Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht [1 ed.] 9783428518340, 9783428118342

In der Diskussion um eine grundlegende Neuordnung des deutschen Steuerrechts durch Steuervereinfachung stellt sich insbe

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German Pages 296 Year 2005

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Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht [1 ed.]
 9783428518340, 9783428118342

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Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Band 159

Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht Von

Christian Jehke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN JEHKE

Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Heinrich Dörner Dr. Dirk Ehlers Dr. Ursula Nelles

Band 159

Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht

Von

Christian Jehke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-11834-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde im Juni 2004 abgeschlossen und sodann von der Juristischen Fakultät der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Ende Oktober 2004. An dieser Stelle ist es mir mehr Vergnügen als Pflicht, einigen Personen zu danken, ohne deren Hilfe diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Mein Dank gilt zunächst in besonderem Maße Herrn Professor Dr. Rainer Wernsmann, meinem Doktorvater, der die Arbeit trotz der hohen zeitlichen Belastung in einer auch für sein eigenes berufliches Fortkommen entscheidenden Phase in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit gefördert hat. Herrn Professor Dr. Dieter Birk danke ich für die ausgesprochen zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Meine Freundin, Katrin Rosendahl, hat die Arbeit Korrektur gelesen; ihr verdanke ich wertvolle Anregungen. Auch dafür gebührt ihr mein herzlicher Dank. Zuletzt möchte ich meinen Eltern Hildegard und Rolf Jehke und meinem Großvater, Herrn Horst Jehke, danken, die mich schon mein ganzes Leben lang bedingungslos gefördert und unterstützt haben. Ohne ihre finanzielle Hilfe hätte auch das Promotionsvorhaben nicht realisiert werden können.

Münster, im Juni 2005

Christian Jehke

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung................................................................................................................ 19 I. Problemstellung................................................................................................. 19 II. Untersuchungsgegenstände................................................................................ 21 1. Die Verwirklichung der Grundsätze der Bestimmtheit und Klarheit im gegenwärtigen Steuerrecht .......................................................................... 21 2. Bestimmtheit und Klarheit in der Verfassungsdogmatik............................. 22 3. Die Verfassungsrechtsprechung zu Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht................................................................................................... 23 B. Bestimmtheit........................................................................................................... 25 I. Allgemeines ....................................................................................................... 25 1. Bestimmtheit und Sprache........................................................................... 25 2. Begrifflichkeiten.......................................................................................... 28 3. Quantitative und qualitative Unbestimmtheit .............................................. 30 4. Abgrenzungen ............................................................................................. 32 II. Arten von Unbestimmtheit................................................................................. 33 1. Überblick..................................................................................................... 33 2. Unbestimmte Rechtsbegriffe ....................................................................... 36 a) Charakteristika ...................................................................................... 36 b) Spezialformen ....................................................................................... 37 aa) Generalklauseln............................................................................... 37 bb) Unbestimmte Wertbegriffe.............................................................. 38 cc) Typusbegriffe .................................................................................. 39 3. Unbestimmte Rechtsbegriffe im Steuerrecht ............................................... 41 III. Spezielle Bestimmtheitsgebote .......................................................................... 43 1. Allgemeines................................................................................................. 43 2. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG .............................................................................. 43 3. Art. 103 Abs. 2 GG ..................................................................................... 45 IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz .................................................... 49

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Inhaltsverzeichnis 1. Der Bestimmtheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............................................................................................... 49 a) Generelle Anmerkungen........................................................................ 49 b) Die Leitentscheidungen zum Steuerrecht .............................................. 50 aa) BVerfG vom 10.10.1961 (BVerfGE 13, 153)................................. 50 bb) BVerfG vom 14.12.1965 (BVerfGE 19, 253)................................. 52 cc) BVerfG vom 14.3.1967 (BVerfGE 21, 209)................................... 53 dd) BVerfG vom 19.4.1978 (BVerfGE 48, 210)................................... 53 ee) BVerfG vom 11.5.1988 (BVerfGE 78, 214)................................... 55 2. Analyse........................................................................................................ 56 a) Rechtsstaatsprinzip................................................................................ 57 aa) Rechtssicherheitsprinzip ................................................................. 58 (1) Recht und Rechtssicherheit....................................................... 58 (2) Rechtssicherheit und Grundgesetz............................................ 60 (3) Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit ............................ 62 bb) Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG...................................... 64 cc) Gewaltenteilungsgrundsatz ............................................................. 67 (1) Der klassische Gewaltenteilungsbegriff.................................... 68 (2) Gewaltenteilung als Funktionentrennung ................................. 70 dd) Gesetzlichkeitsprinzip..................................................................... 72 (1) Vorbehalt des Gesetzes............................................................. 73 (2) Vorrang des Gesetzes................................................................ 74 b) Demokratieprinzip................................................................................. 76 aa) Demokratieprinzip und Vorbehalt des Gesetzes ............................. 76 (1) Vorrang der Legislative – Das legitimatorische Argument....... 77 (2) Vorrang der Legislative – Das funktionale Argument .............. 78 bb) Demokratieprinzip und Gewaltenteilung ........................................ 80 c) Grundrechte........................................................................................... 82 aa) Objektiv-rechtliche Dimension ....................................................... 83 bb) Subjektiv-rechtliche Dimension...................................................... 85 cc) Gleichheitsgrundrechte ................................................................... 86 dd) Grundrechte als ausschließlicher Ansatzpunkt für Bestimmtheitserfordernisse ............................................................................ 87 d) Ergebnis ................................................................................................ 89 aa) Allgemeines .................................................................................... 89 bb) Der Bestimmtheitsgrundsatz als Regulativ und Prinzipiennorm..... 90

Inhaltsverzeichnis

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cc) Das Verhältnis zwischen vorbehaltsrechtlichen und „allgemeinen“ Bestimmtheitsanforderungen.................................................. 92 dd) Vorbehaltsrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz und Parlamentsvorbehalt ......................................................................................... 94 V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht...................................................... 95 1. Geltung eines Parlamentsvorbehalts als Kriterium für steuergesetzliche Regelungsdichte ......................................................................................... 96 a) Allgemeines........................................................................................... 96 b) Vorbehalt des Gesetzes im Steuerrecht ................................................. 98 c) Begründungsansätze für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht ....................................................................................... 99 aa) Steuerrecht als „intensiver“ Grundrechtseingriff .......................... 101 (1) Art. 14 Abs. 1 GG................................................................... 102 (2) Art. 12 Abs. 1 GG................................................................... 104 (3) Art. 2 Abs. 1 GG..................................................................... 106 bb) Der „positivistische“ Charakter des Steuerrechts.......................... 107 (1) Mangelnde „Sachgesetzlichkeit“ ............................................ 108 (a) Steuerrecht als „Diktum des Gesetzgebers“...................... 108 (b) Steuerrecht als „Offenes System“ ..................................... 111 (c) Bewertung ........................................................................ 112 (2) Das Versagen grundrechtlicher Schutzsysteme ...................... 115 cc) Analogie zu Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG............................................ 117 dd) Gewohnheitsrecht ......................................................................... 121 (1) Vorkonstitutioneller gewohnheitsrechtlicher Parlamentsvorbehalt ...................................................................................... 122 (a) Die Möglichkeit der Berücksichtigung von vorkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht ....................... 122 (b) Begründungsansätze für vorkonstitutionelles Verfassungsgewohnheitsrecht..................................................... 123 (2) Nachkonstitutioneller gewohnheitsrechtlicher Parlamentsvorbehalt ................................................................................. 125 d) Ergebnis .............................................................................................. 126 2. Orientierungssicherheit als Kriterium für steuergesetzliche Regelungsdichte......................................................................................................... 126 a) Allgemeines......................................................................................... 126 b) Das Erfordernis der „Vorausberechenbarkeit“ der Steuerlast für den Bürger........................................................................................... 128

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Inhaltsverzeichnis aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Rezeption in der Literatur ............................................................................. 128 bb) Bewertung..................................................................................... 131 c) Das Auslegungskriterium .................................................................... 133 aa) Auslegungsbedürftigkeit – Begrenzung gesetzlicher Bestimmtheit ................................................................................................ 134 bb) Auslegungsfähigkeit – Begrenzung gesetzlicher Unbestimmtheit ................................................................................................ 135 d) Das Verhältnis zwischen Auslegungskriterium und Voraussehbarkeit der Rechtsanwendung – Die Adressatenproblematik ................... 137 3. Gerechtigkeit als Kriterium für steuergesetzliche Regelungsdichte .......... 141 a) Materielle Einzelfallgerechtigkeit ....................................................... 141 b) Vollzugsgerechtigkeit ......................................................................... 143 4. Weitere Kriterien zur Bestimmung der steuergesetzlichen Regelungsdichte......................................................................................................... 146 a) „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel ................................................. 146 b) Regelungsfähigkeit des Sachbereichs.................................................. 148 c) Auslandsberührung ............................................................................. 152 d) Gefestigte Rechtsprechung.................................................................. 153 e) Begrenzung der Steuerpflicht.............................................................. 154 VI. Schlussbetrachtungen ...................................................................................... 156 1. Die Zulässigkeit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Steuerrecht................................................................................................. 157 a) Verallgemeinerbare Aussagen............................................................. 157 b) Besonderheiten in Teilgebieten des Steuerrechts ................................ 159 aa) Steuerverfahrensrecht und allgemeines Steuerschuldrecht ........... 159 bb) Körperschaftsteuerrecht ................................................................ 161 cc) Lenkungsnormen........................................................................... 162 2. Prüfungsmodell ......................................................................................... 166 a) Vorbemerkung .................................................................................... 166 b) Auslegungsstadium ............................................................................. 167 c) Rechtfertigungsstadium....................................................................... 169 d) Abwägungsvorgang............................................................................. 170 3. Bewertung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ...................................................................................................... 172 4. Zum Begriff der „Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung“ ....................... 175

Inhaltsverzeichnis

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C. Klarheit................................................................................................................. 178 I. Bestimmtheit und Klarheit............................................................................... 180 1. Gemeinsamkeiten ...................................................................................... 181 2. Unterschiede.............................................................................................. 182 3. Das Verhältnis zwischen Bestimmtheit und Klarheit ................................ 185 II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes............................................................... 189 1. Widerspruchsfreiheit ................................................................................. 190 2. Systemgerechtigkeit/Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ................. 193 3. Übersichtlichkeit ....................................................................................... 196 4. Normenwahrheit........................................................................................ 198 5. Weitere Aspekte ........................................................................................ 200 III. Der Klarheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des BVerfG ........................... 201 1. Allgemeines............................................................................................... 201 2. BVerfG vom 10.11.1998 (BVerfGE 99, 216) ........................................... 203 3. BVerfG vom 9.4.2003 (BVerfGE 108, 52) ............................................... 204 IV. Klarheitsgrundsatz und Verfassungsrecht........................................................ 205 1. Verfassungsrechtliche Determinanten ....................................................... 206 2. Rechtfertigung gesetzlicher Unklarheiten ................................................. 210 3. Adressatenproblematik .............................................................................. 213 4. Ergebnis .................................................................................................... 217 V. Schlussbetrachtungen ...................................................................................... 220 1. Allgemeines............................................................................................... 220 2. Anmerkungen zur Verwirklichung des Klarheitsgrundsatzes im Steuerrecht........................................................................................................... 222 a) Gegenwärtiger Rechtszustand ............................................................. 222 b) Reform des Einkommensteuerrechts als Reaktionsmöglichkeit .......... 224 D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG .......................................................... 227 I. Allgemeines ..................................................................................................... 227 II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG................................................ 230 1. „Ähnliche Modelle“ .................................................................................. 230 a) Auslegungsstadium ............................................................................. 231 aa) Wortlaut ........................................................................................ 232 bb) Systematik..................................................................................... 234 cc) Historie ......................................................................................... 236 dd) Teleologie ..................................................................................... 237

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Inhaltsverzeichnis ee) Gesamtschau ................................................................................. 238 b) Rechtfertigungsstadium....................................................................... 240 c) Ergebnis .............................................................................................. 242 2. „Rendite nach dem Betriebskonzept“........................................................ 242 a) „Rendite“............................................................................................. 242 aa) Auslegungsstadium ....................................................................... 243 bb) Rechtfertigungsstadium ................................................................ 246 b) „Betriebskonzept“ ............................................................................... 247 aa) Auslegungsstadium ....................................................................... 249 bb) Rechtfertigungsstadium ................................................................ 251 c) Ergebnis .............................................................................................. 252 3. Sonstiges ................................................................................................... 252 III. Die hinreichende Klarheit des § 2b EStG........................................................ 253 1. Widerspruchsfreiheit ................................................................................. 253 2. Übersichtlichkeit ....................................................................................... 256 IV. Abschließende Bewertung ............................................................................... 257

E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen..................................................... 260 Literaturverzeichnis................................................................................................... 267 Sachwortregister ........................................................................................................ 292

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AcP a.F. AK Alt. AO AöR Art. AStG AT BB Bd. BewG BFH BFHE BGB BGH BGHSt BMF bspw. BStBl. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVG bzw. DB dems. dens. ders. d.h. dies. Diss. DÖV DStJG

anderer Ansicht Absatz Archiv für die civilistische Praxis alter Fassung Alternativkommentar Alternative Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Außensteuergesetz Allgemeiner Teil Betriebsberater Band Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Bundesministerium der Finanzen beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Bundesversorgungsgesetz beziehungsweise Der Betrieb demselben denselben derselbe das heißt dieselbe Dissertation Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft

16 DStR DStZ DVBl. EB/FAGO EFG ErbStG EStG evtl. f. FAZ ff. FG FGO Fn FördG FR GewStG GG ggf. ggü. GrEStG Habil. HbStR HHR HHSp h.M. Hs. i.S.e. i.S.v. i.V.m. JA JP JR Jura JuS JZ KStG KVStG LAG MD m.E. MK MKS m.w.N. NJW Nr. NVwZ

Abkürzungsverzeichnis Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Deutsches Verwaltungsblatt Ergänzungsbestimmungen zur Finanzamtsgeschäftsordnung Entscheidungen der Finanzgerichte Erbschaftsteuergesetz Einkommensteuergesetz eventuell folgende (singular) Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende (plural) Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Fußnote Fördergebietsgesetz Finanz-Rundschau Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls gegenüber Grunderwerbsteuergesetz Habilitationsschrift Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Hermann/Heuer/Raupach Hübschmann/Hepp/Spittaler herrschende Meinung Halbsatz im Sinne einer im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jarass/Pieroth Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Körperschaftsteuergesetz Kapitalverkehrsteuergesetz Lastenausgleichsgesetz Maunz/Dürig meines Erachtens v. Münch/Kunig v. Mangoldt/Klein/Starck mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

Abkürzungsverzeichnis OECD-MA PBefG Rn S. SB SJZ s.o. sog. SPD StbJb Stbg StBp StGB StRO st. Rspr. StuB StuW StVJ SZ u.a. UStG usw. u.U. UWG VerfGH VerwArch VfgSl. vgl. VR VVDStRL z.B. ZG ZfIR ZPO ZRP z.T. zugl.

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OECD-Musterabkommen Personenbeförderungsgesetz Randnummer Satz oder Seite Schmidt/Bleibtreu Schweizerische Juristen-Zeitung siehe oben sogenannt(e/r) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Steuerberater-Jahrbuch Die Steuerberatung Die steuerliche Betriebsprüfung Strafgesetzbuch Die Steuerrechtsordnung ständige Rechtsprechung Steuern und Bilanzen Steuern und Wirtschaft Steuerliche Vierteljahresschrift Süddeutsche Zeitung unter anderem, und andere Umsatzsteuergesetz und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vergleiche Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zum Beispiel Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Immobilienrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil zugleich

Im Übrigen wird auf Kirchner, Hildebert (Begr.)/Butz, Cornelie (Bearb.), Abkürzungsverzeichnis der Rechtsprache, 5. Auflage Berlin 2003, verwiesen. Im Folgenden wurde – auch in wörtlichen Zitaten – ältere Rechtsprechung und Literatur an die neuen Schreibweisen angepasst, sofern dies vertretbar erschien. Soweit Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohne Fundstellen nur mit Datum und Aktenzeichen zitiert ist, sind diese Entscheidungen zugänglich über www.bverfg.de.

„melius est ius deficiens quam ius incertum“

A. Einleitung I. Problemstellung Wie in jedem anderen Rechtsgebiet hat der Gesetzgeber auch im Steuerrecht die Vorgaben der deutschen Verfassung, des Grundgesetzes, zu befolgen1. Der Verfasser möchte mit dieser Arbeit untersuchen, welche Anforderungen zwei Verfassungsgrundsätze, die der Bestimmtheit und Klarheit von Rechtsnormen, an die Ausgestaltung von formellen Steuergesetzen stellen. Obwohl an Literatur zum Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Steuerrecht kein Mangel herrscht2, ist die Zahl der Untersuchungen speziell zu den angeführten Grundsätzen bisher überschaubar geblieben, obwohl zu beiden eine umfangreiche verfassungsgerichtliche Rechtsprechung vorliegt3. Dies liegt aber nicht daran, dass es im Steuerrecht mit der Verwirklichung dieser Grundsätze zum Besten stünde und somit kein Anlass für eine umfangreiche Erörterung gegeben wäre. Bedingt durch den gesetzgeberischen Aktionismus und dem stetigen Wandel, dem das Steuerrecht infolgedessen unterliegt, sowie der gerade in diesem Rechtsgebiet häufig anzutreffenden mangelhaften handwerklichen Qualität der Gesetze4, nehmen Komplexität und Kompliziertheit in Teilbereichen stets zu, ohne dass zur gleichen Zeit wirklich umfassende Rechtsvereinfachungen oder -bereinigungen von Erfolg gekrönt wären. Immer neue Felder des __________ 1 Vgl. zur „Höchstrangigkeit“ der Verfassung MD-Herzog, GG, Art. 20 VII Rn 54 ff.; Sobota, Rechtsstaat, S. 39 f.; Hartmann/Walter, Auslegung von Steuergesetzen, S. 106. 2 Man vergegenwärtige sich nur, in welchem Umfang bspw. die ebenfalls rechtsstaatlich gelagerte Rückwirkungsproblematik für das Steuerrecht aufgearbeitet wurde. Zu diesem Themenkomplex erschienen erst kürzlich noch zwei Habilitationsschriften (Leisner, Kontinuität; Hey, Steuerplanungssicherheit). 3 Dies verwundert auch deshalb, weil die Frage nach hinreichender Klarheit und Bestimmtheit des Steuerzugriffs eine überaus lange Tradition in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Steuern besitzt. Schon Adam Smith rechnete die Forderung nach „Bestimmtheit des Steueranspruchs“ zu seinen „vier allgemeinen Grundregeln der Besteuerung“: „Eine Steuer, die jeder Einzelne zu zahlen verpflichtet ist, sollte genau und nicht willkürlich festgelegt sein. Der Steuertermin, die Zahlungsform und der zu entrichtende Betrag sollten für den Steuerpflichtigen und jeden anderen klar und offenkundig sein“ (Smith, Wohlstand der Nationen, S. 704). 4 Vgl. nur Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 67 f.; Raupach, Niedergang, S. 15 ff.

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A. Einleitung

Steuerrechts geraten deshalb in den Grenzbereich einer noch rechtsstaatlich vertretbaren Unübersichtlichkeit. Die Frage, welche Anforderungen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Bestimmtheit und Klarheit von Rechtsnormen an das Steuerrecht stellen und ob diese Vorgaben gegenwärtig verwirklicht werden, wird also immer dringlicher. Dieses Problem wird insoweit gesehen, als dass in jüngerer Zeit in juristischen Abhandlungen immer häufiger die Frage nach ausreichender Bestimmtheit und Klarheit von neu geschaffenen steuerrechtlichen Normen zumindest aufgeworfen wird5. Gleichzeitig ist aber zu beobachten, dass eindeutige Stellungnahmen zur Frage, ob eine bestimmte Norm bereits die Grenze zur Verfassungswidrigkeit wegen Unbestimmtheit oder Unklarheit überschreitet, tendenziell gescheut werden6. Die Zurückhaltung in der Literatur, die zwar das Problem thematisiert, Festlegungen aber vermeidet, hat sicherlich auch mit dem hohen verfassungsdogmatischen Abstraktionsniveau zu tun, auf dem sowohl Bestimmtheits- als auch Klarheitsgrundsatz angesiedelt sind. Dies macht es schwer, präzise Aussagen im Sinne einer subsumtionsfähigen „theoretischen Großformel“7 zu gewinnen und auf das Steuerrecht anzuwenden. Der gegenwärtige Rechtszustand ist aber als unbefriedigend zu qualifizieren, denn gerade im Steuerrecht lässt sich ein „merkwürdiger Kontrast zwischen abstrakten Aussagen zur Geltung verfassungsrechtlicher Bestimmtheitsanforderungen und generell zur Rolle des Gesetzgebers im Rechtsanwendungsprozess einerseits und andererseits konkreten Konsequenzen für die Zulässigkeit unbestimmter Rechtsbegriffe feststellen“8. Gerade dies aber gibt Anlass und Rechtfertigung, sich dem Thema monographisch anzunähern, um einen Beitrag zu der in diesem Bereich erforderlichen dogmatischen Klarheit zu leis__________ 5 Umfangreiche Diskussionen gab bzw. gibt es z.B. zur Bestimmtheit der §§ 2b EStG und 1 Abs. 2a ErbStG a.F. Wegen mangelnder Klarheit wurde zuletzt die sog. „Mindestbesteuerung“ gem. § 2 Abs. 3 S. 3-8 a.F. problematisiert. 6 Wenn man die Diskussion um einen Verstoß des § 2b EStG gegen den Bestimmtheitsgrundsatz betrachtet, so sind Aussagen wie „besteht der Verdacht“ (Söffing, DB 2000, S. 2346); „spricht daher manches dafür“ (Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436) und „ergeben sich Bedenken“ (Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 1) typisch, die oftmals auch in Bezug auf die schlecht prognostizierbare Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts erfolgen. 7 Formulierung bei Gassner, ZG 1996, S. 39. 8 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 140. Ähnlich schon Papier, DStJG 12 (1989), S. 61: „Verfassungsrecht und Wirklichkeit klaffen selten so stark auseinander wie beim Bestimmtheitsgrundsatz allgemein und bei seiner Anwendung im Steuerrecht im Besonderen. Seine Unangefochtenheit und verbale Glorifizierung in Rechtsprechung und Literatur stehen in einem auffälligen Missverhältnis zur tatsächlichen Beachtung in der Gesetzgebung und zur faktischen Durchsetzung seitens der Judikatur“. Daran hat sich bis heute im Wesentlichen nichts geändert.

II. Untersuchungsgegenstände

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ten und insoweit auch eine Lücke in der steuerverfassungsrechtlichen Literatur zu schließen.

II. Untersuchungsgegenstände Eine nähere Beschäftigung mit den Grundsätzen der Bestimmtheit und Klarheit ist nicht nur ein „akademisches Glasperlenspiel“ zur Verfeinerung der steuerverfassungsrechtlichen Dogmatik, sondern kann, wie zu zeigen sein wird, u.U. konkrete, für das Steuerrecht direkt verwertbare Ergebnisse liefern.

1. Die Verwirklichung der Grundsätze der Bestimmtheit und Klarheit im gegenwärtigen Steuerrecht Der Zustand des gegenwärtigen deutschen Steuerrechts wird in der Literatur mit teilweise drastischen Worten beschrieben: Es ist die Rede vom „Steuerdschungel“ oder „Steuerchaos“9. Zurückführen lässt sich dieser Rechtszustand auf eine Reihe von Faktoren: Es gibt zu viele und zu umfangreiche Steuergesetze, allein der Normenbestand ist kaum zu überschauen10. Das Steuerrecht wird zudem als politisch beliebig verfügbare, prinzipienlose Masse begriffen. Dementsprechend häufig werden Gesetze geändert, was die Überschaubarkeit des Rechtsgebiets weiter verringert11 und Vollzugsdefizite durch die Verwaltung nach sich zieht12. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber häufig auf Einzelfälle reagiert, was zu einer vielfältigen normativen Differenzierung geführt und den Komplexitätsgrad des gesamten Steuerrechts weiter hat ansteigen lassen13. Man __________ 9 Vgl. Tipke, StRO III, S. 1142 m.w.N.; Isensee, StuW 1994, S. 4; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 1 ff.; Borell, Steuervereinfachung, S. 15. K. Tipke stellte schon 1971 die Frage „Steuerrecht – Chaos, Konglomerat oder System?“ und berichtete über die Klage, dass „das geltende Steuerrecht ein Steuerchaos, ein Steuerdschungel, ein Steuerdickicht, ein Steuerirrgarten oder ein Steuerwirrwarr sei“ (vgl. dens., StuW 1971, S. 2 ff.). Vgl. dazu auch die Vorworte der führenden Lehrbücher (Birk, Steuerrecht (5. Auflage), S. V, Tipke/Lang, Steuerrecht, S. VII f.): Die dort geäußerte drastische Kritik am Gesetzgeber ist in anderen Rechtsgebieten zwar auch nicht unbekannt, aber in dieser Form seltener anzutreffen. 10 Vgl. aus der fast unübersehbaren Literatur zur „Normenflut“ im Steuerrecht Leisner, Kontinuität, S. 544 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 69 ff., beide m.w.N.; Tipke, StRO III, S. 1441 ff.; Klein, DStZ 1988, S. 600 f.; Herzog, StbJ 1985/86, S. 37 ff.; Vogel, StuW 1980, S. 206 ff. 11 Umfassend zu dieser Problematik Tipke, StRO I, S. 88 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 1 ff; § 21 Rn 5 f. 12 Vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, § 21, Rn 5 f; Tipke, StRO III, S. 1196 ff.; Isensee, Typisierende Verwaltung, S. 155 ff.; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 377 ff.; Egge, StuW 1994, S. 272 f. 13 Vgl. Papier, DStJG 12 (1989), S. 69 f.

22

A. Einleitung

wird sich deshalb leicht darauf einigen können, dass der Zustand des gegenwärtigen Steuerrechts zumindest aus rechtspolitischer Sicht einiges zu wünschen übrig lässt. Jenseits von rein rechtspolitischen Desideraten stellt sich aber die Frage, ob dieser Rechtszustand als solcher auch verfassungsrechtliche Relevanz erlangt. Dies betrifft insbesondere die Frage, inwieweit die Verfassung normativer Komplexität und Kompliziertheit Grenzen setzt und wo diese zu ziehen sind. Zusätzlich ist ein anderes Phänomen zu beobachten: Die immer detailliertere Ausgestaltung des Steuertatbestands sorgt gleichzeitig dafür, dass die Zahl der Steuervermeidungsmöglichkeiten weiter wächst, weil präzise vorgegebene Definitionen durch Gestaltung leichter zu umgehen sind14. Der Gesetzgeber versucht diese Vorgehensweise durch Auffangtatbestände einzudämmen, die bewusst vage und „offen“ formuliert sind, damit möglichst viele Ausweichmöglichkeiten erfasst werden15. Dies wiederum wirft die Frage auf, bis zu welchem Punkt mangelnde steuergesetzliche Präzision von Verfassungs wegen tolerabel ist. Der Verfasser möchte mit dieser Arbeit das Bewusstsein für Fehlentwicklungen der genannten Art im Bereich des Steuerrechts schärfen und konkretere Maßstäbe als bisher üblich zu ihrer verfassungsrechtlichen Beurteilung entwickeln.

2. Bestimmtheit und Klarheit in der Verfassungsdogmatik In der verfassungsrechtlichen Dogmatik ist bisweilen die Tendenz erkennbar, den Topos der „Bestimmtheit“ als Passepartout zur Beurteilung aller verfassungsrechtlichen Fragen im Umfel d dessen zu gebrauchen, was als „defizitäre“ Gesetzgebung bezeichnet werden kann. „Defizitäre“ Gesetzgebung äußert sich aber, wie es für den Bereich des Steuerrechts bereits angedeutet wurde, in vielfältigen Erscheinungsformen. Einerseits mangelt es an gesetzlicher Präzision, andererseits sind Teilbereiche des Steuerrechts übermäßig präzise geregelt und werden dadurch unübersichtlich. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die daraus resultierenden Probleme wirklich alle mittels eines einzigen verfassungsrechtlichen Instituts bewältigt werden können, das dann notwendigerweise wenig Konturen aufweist, oder ob hier nicht das Heil in einer dogmatischen Ausdifferenzierung zu suchen ist, die den Verfassungsanwender dazu befähigt, den rechtstatsächlichen Problemstellungen besser gerecht zu werden. Die gegenwärtig bestehende Unsicherheit über den dogmatischen Gehalt von Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz äußert sich augenfällig in schwammigen __________ 14 15

Vgl. Papier, DStJG 12 (1989), S. 69; dens., Gewaltentrennung, S. 106 Keine Norm des Steuerrechts repräsentiert dies besser als § 2b EStG.

II. Untersuchungsgegenstände

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Begrifflichkeiten in Rechtsprechung und Literatur16. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es deshalb – über den steuerrechtlichen Ansatzpunkt hinaus – innerhalb stringenterer Begrifflichkeiten den Versuch zu unternehmen, die bestehende verfassungsrechtliche Dogmatik in diesem Bereich zu konturieren und ggf. auszudifferenzieren. Das Hauptaugenmerk soll darauf liegen, Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz deutlicher als bisher üblich voneinander zu trennen und ihre jeweils eigene Gestalt hervortreten zu lassen. Damit soll nicht einer auch auf der Verfassungsebene überwundenen Begriffsjurisprudenz das Wort geredet werden: Es geht vielmehr um die sachgerechte Problemlösung durch verfassungsdogmatischen Präzisionsgewinn.

3. Die Verfassungsrechtsprechung zu Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht Eine ähnliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wie sie schon für die Aufarbeitung von Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz durch die rechtswissenschaftliche Literatur diagnostiziert wurde, lässt sich auch in der Rechtsprechung feststellen, speziell der des Bundesverfassungsgerichts, welche naturgemäß die Auslegung des Verfassungsrechts entscheidend prägt. Einerseits äußerte schon 1984 dessen ehemaliger Präsident Ernst Benda die Erwartung, dass das Gericht „einen steuerrechtlichen Normenbestand schon deshalb einmal an den Gesetzgeber zurückreicht, weil die Regelung in sich unklar und insgesamt nicht hinreichend verständlich ist“17. Dieser Erwartung entspricht die vom Gericht im Abstrakten schon des Öfteren aufgestellte und, wie noch zu zeigen sein wird, strenge Forderung, dass ein Gesetz so bestimmt sein müsse, dass der Steuerpflichtige seine Steuerschuld im Einzelfall selbst vorausberechnen könne18. Andererseits musste das Bundesverfassungsgericht schon häufiger gerade steuerrechtliche Normen oder Normkomplexe auf ihre Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheits- oder Klarheitsgrundsatz hin überprüfen19, so dass es an Anläs__________ 16 So bleibt die Eigenständigkeit und der genaue verfassungsdogmatische Gehalt von Bezeichnungen wie „Bestimmtheit“, „Klarheit“, „Einfachheit“, „Übersichtlichkeit“, „Überschaubarkeit“, „Verständlichkeit“, „Widersprüchlichkeit“ und „Genauigkeit“, mit denen durchgängig ähnliche Problemstellungen angesprochen werden, vielfach diffus. Vgl. zu dieser auch Problematik B I 2. 17 Benda, DStZ 1984, S. 162. 18 Zuerst in BVerfGE 19, 253/267. Vgl. zum diesem Urteil B IV 1 b) bb); zur „Vorausberechnungsformel“ B V 3 b). 19 Vgl. nur BVerfGE 13, 153/160; 19, 253/267; 21, 1/3 f.; 21, 209/215; 22, 330/345; 26, 1/10; 34, 348/365; 48, 210/221; 49, 343/362; 50, 57/93; 63, 312/323; 73, 388/400; 78, 214/226; 79, 106/120; 99, 216/243.

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A. Einleitung

sen einzuschreiten nicht gemangelt hätte. Die Erwartung Bendas harrt aber bis heute ihrer Einlösung. Das Gericht hat noch nie ein formelles Steuergesetz wegen eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt, teilweise entgegen einer langjährigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes20. Dies mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass es mitunter vor den fiskalischen Folgen zurückschreckte, die eine solche Entscheidung möglicherweise nach sich gezogen hätte21. Auch wenn sich langsam ein Wandel in der Rechtsprechung anzudeuten scheint, so betrifft dies zur Zeit nur den Klarheitsgrundsatz22. Ein Blick über die Grenzen lehrt, dass sich Gerichte durchaus zuweilen gegen gesteigert unbestimmte oder unklare Rechtsvorschriften zur Wehr setzen. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang das sog. „Denksporterkenntnis“ des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes, der im Jahr 1990 eine Norm mit der Begründung aufhob, sie sei unverständlich. In diesem Zusammenhang stellte das Gericht u.a. fest: „Nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und mit einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben kann überhaupt verstanden werden, welche Anordnungen hier getroffen werden sollen“23. Es ist nicht auszuschließen, dass auch das Bundesverfassungsgericht eines Tages seine Rechtsprechung zu Bestimmtheitsfragen verschärfen will. Man wird zudem nicht behaupten wollen, dass das deutsche Steuerrecht frei von Normen der durch den Österreichischen Verfassungsgerichtshof beschriebenen Art sei24. Deshalb wird sich diese Arbeit intensiv mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts auseinander setzen, um evtl. Vorschläge zu unterbreiten, wie dieses die in Rede stehenden Grundsätze in Zukunft präziser handhaben könnte, wenn sich ihm im Steuerrecht dazu ein Anlass biete.

__________ 20 Vgl. einerseits BVerfGE 48, 210/221 ff., andererseits BFHE 85, 399/404; 99, 376/378 (zu § 34 c Abs. 3 EStG a.F., jetzt Abs. 5). Ausführlich dazu B IV 1 b) aa). 21 So Benda, DStZ 1984, S. 160. 22 Vgl. dazu BVerfGE 1999, 216/243; 108, 52/74 ff. Ausführlich dazu C III. 23 VfSlg. 12420/1990. Vgl. dazu Huber, ZG 1990, S. 355 ff.; Lehner, NJW 1991, S. 890 ff.; Kanzler, DStZ 1996, S. 681. Dieses „Erkenntnis“ steht in einer gewissen Tradition: Schon 1956 hatte der Gerichtshof in VfSlg. 3130/1956 festgestellt, dass „eine Vorschrift, zu deren Sinnermittlung subtile verfassungsrechtliche Kenntnisse, qualifizierte juristische Befähigung und Erfahrung und geradezu archivarischer Fleiß von Nöten sind“, wegen Unverständlichkeit nichtig sein könne. Auch aus dem angloamerikanischen Rechtskreis ist bekannt, dass Vorschriften als „void for uncertainty and vagueness“ erklärt wurden. Vgl. dazu Schneider, Gesetzgebung, S. 44 m.w.N. 24 Man lese nur § 22 Nr. 5 EStG.

B. Bestimmtheit I. Allgemeines 1. Bestimmtheit und Sprache Am Anfang einer jeden Betrachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes muss die Erkenntnis stehen, dass es sich letztlich um eine Betrachtung von Sprache und ihrer Wirkung handelt: Sprache, deren Macht der Macht öffentlicher Gewalt entgegengesetzt wird, die die Kraft hat, „Willkür, Unmaß und Parteilichkeit“1 einzugrenzen, die eine der wesentlichen Grundlagen der menschlichen Kommunikation darstellt und die auch eines der Medien ist, derer sich der Staat bedient, wenn er dem Individuum gegenübertritt. Auch Steuergesetze sind in der deutschen Sprache abgefasst. Erst die Einkleidung rechtlicher Vorstellungen in Worte macht diese mitteilbar und gibt ihnen eine feste Gestalt2. Man kann dies mit der Situation eines Senders und eines Empfängers vergleichen, also die Rechtsordnung als Kommunikationssystem auffassen, als einen Mechanismus des Austausches „von (eher imperativen als informativen) Nachrichten“3. Mit Sprache kann kreativ umgegangen werden, sie bietet dem Anwender vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten. Die Vermittlung einer Information kann auf mannigfaltige Art und Weise erfolgen. Gerade dieser Reichtum der Sprache kann aber auch zur Gefahr werden: Der Gesetzgeber erteilt über das Kommunikationsmedium „Gesetz“ dem rechtsunterworfenen Individuum einen Normbefehl, auf dessen Einhaltung ein Anspruch besteht und der u.U. sogar strafbewehrt ist, wie dies auch im Steuerrecht über die Tatbestände des Steuerstrafrechts der Fall ist4. Der Rechtsunterworfene muss im Gegenzug die Chance haben, die Information zu erhalten, die der Gesetzgeber über das Medium „Sprache“ vermitteln will, damit er sich nach dem Normbefehl richten kann. Das Gleiche gilt jenseits dieser „individualbezogenen“ Dimension auch für staatliche __________ 1 So die Formulierung von Sobota, Rechtsstaat, S. 132. Vgl. auch HbStR II-Kirchhof, § 20 Rn 13 ff; Volk, Bestimmtheit, S. 27 f.; Isensee, Staat im Wort, S. 575 f. 2 Vgl. Zippelius, Methodenlehre, S. 19; Rüthers, Rechtstheorie, Rn 150 f.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 10 f.; Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S. 98 ff. 3 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 202. Vgl. auch Baden, Gesetzgebung im Kommunikationsprozess, S. 29 ff.; Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 162 ff. 4 Vgl. Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 487; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben, S. 136; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 45.

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B. Bestimmtheit

Instanzen, die Recht anzuwenden und auszulegen haben, also für Verwaltung und Rechtsprechung. Versagt die Sprache als Medium der Informationsvermittlung, entfällt auch eine Grundprämisse staatlicher Machtausübung5. Ein solches Versagen der Sprache kann auf mehrere Arten eintreten. Ein Grund liegt in deren Wesen begründet: Es gehört zu den Grunderkenntnissen moderner Linguistik und Sprachphilosophie, dass Sprache notwendigerweise unscharf ist6 und so zwangsläufig ein gewisses Maß an Mehrdeutigkeit des Gesetzes nach sich zieht7. Sprache basiert auf Wörtern, und bei diesen handelt es sich um Zeichen, also um abstrakte Muster für eine Vielzahl verschiedener Anwendungsfälle. Aus diesen Anwendungsfällen heraus kann sprachliche Bedeutung entstehen, also der jeweilige „Begriff“, aber nicht schon aus dem Muster an sich i.S.e. lexikalischen Wortbedeutung8. Diese Unschärfe der Sprache macht sich der Gesetzgeber auch zunutze, denn es ist seine ureigene Aufgabe, abstrakt-generelle Regelungen aufzustellen, also solche, die nicht nur auf einen Fall Anwendung finden, sondern auf verschiedene Lebenssachverhalte übertragbar sind9. Mit der allgemeinen Unschärfe, die den Wörtern und den durch sie bezeichneten Begriffen immanent ist, kann in der Rechtswirklichkeit im Wesentlichen gut umgegangen werden; man ist sogar auf sie angewiesen10. Sprache kann aber auch durch den Sprachgebrauch zum untauglichen Mittel der Informationsvermittlung werden. Unsicherheit kann hier schon durch die gesetzliche Verwendung von – über die allgemeine Unschärfe von Sprache hinaus – unbestimmten Rechtsbegriffen entstehen11. Aufgrund ihrer „Vagheit“ kann der Rechtsunterworfene oder -anwender über diese den Anwendungsbe__________ 5

Vgl. Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 487. Vgl. Busse, Juristische Semantik, S. 273 m.w.N.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn 164 ff.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 18 ff, 34. 7 Vgl. Erichsen, DVBl. 1985, S. 22; Hillers, VR 1989, S. 117; Krebs, Kontrolle, S. 75 f.; Jachmann, Fiktion, S. 668. 8 Vgl. zu diesem Komplex Busse, Juristische Semantik, S. 273. Zwischen Wörtern und Begriffen, also den Vorstellungsinhalten, die Wörter bezeichnen, ist normalerweise streng zu unterscheiden. Umgangs- und z.T. auch fachsprachlich wird die Bezeichnung „Begriff“ jedoch auch für das einzelne Wort verwandt. Differenziert wird dann zwischen „Begriff“ und „Begriffsinhalt“. Die Unterschiedlichkeit von Wort und Begriff bzw. Begriff und Begriffsinhalt zeigt sich schon daran, dass derselbe Vorstellungsinhalt mit verschiedenen Wörtern/Begriffen bezeichnet werden kann. Vgl. dazu auch Zippelius, Methodenlehre, S. 19 ff; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 22.; Strahl, Typisierende Betrachtungsweise, S. 172 ff. m.w.N. 9 Vgl. Engisch, Konkretisierung, S. 238 f.; Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 166; Zippelius, Methodenlehre, S. 47; Seiler, Auslegung, S. 1. Dies fordert auch Art. 19 Abs. 1 GG. 10 Vgl. HbStR II-Kirchhof, § 20 Rn 39 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn 177; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 167; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 164. 11 Vgl. B II. 6

I. Allgemeines

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fehl nur mit erhöhtem Aufwand ermitteln, so dass die angestrebte Informationsvermittlung möglicherweise vollständig scheitert (Situation 1). Ein solches Scheitern wird aber auch dann möglich, wenn – trotz des Einsatzes präziser Begriffe – deren Beziehung untereinander nicht mehr hinreichend deutlich wird. Erst durch den unzulänglichen begrifflichen Zusammenhang entstehen dann Unsicherheiten im Verständnis, z.B. durch die dadurch hervorgerufene Widersprüchlichkeit des Normbefehls (Situation 2). Diese Differenzierung reflektiert insoweit auch grundsätzliche Kategorien der Semiotik (Zeichenlehre): Diese unterscheidet zwischen Semantik, der Beziehung von Zeichen und Bedeutung, Syntaktik, der Beziehung von Zeichen untereinander, und Pragmatik, der Beziehung zwischen Zeichen und Benutzer12. Bei der beschriebenen Situation 1 handelt es sich also um ein semantisches, bei Situation 2 um ein syntaktisches Problem. Die beschriebenen Unzulänglichkeiten sind vom Normgeber beeinflussbar, nämlich durch die bewusste Verwendung von möglichst präzisen Begriffen und durch die Formulierung von überschaubaren und widerspruchsfreien Gesetzen. Das letztgenannte Ziel wird dabei vom Gesetzgeber im Regelfall nur unabsichtlich verfehlt und ist meist das Resultat von Gesetzgebungsfehlern13. Bei der Verwendung von vagen und unpräzisen, auch als „offen“14 zu bezeichnenden „unbestimmten Rechtsbegriffen“ ist dies im Regelfall anders: Diese setzt der Gesetzgeber bewusst ein, um dem Rechtsanwender mehr Freiheit einzuräumen. Es ist allgemein anerkannt, dass es zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben gehört, dass der „Steuerungscharakter des Rechts“15 nicht vollständig verloren gehen darf16. Dieser kann sich aber nur dann entfalten, wenn dem Rechtsanwender der Normbefehl durch präzise Rechtsbegriffe hinreichend genau übermittelt wird. Die Qualität, die Gesetze demnach besitzen müssen, wird im Zusammenhang mit der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen üblicherweise – in Anlehnung an die Bezeichnung in Art. 80 Abs. 1 S. 2 und 103 Abs. 2 GG – als „Bestimmtheit“ bezeichnet17. Dieses Erfordernis ist einerseits ausdrücklich im Grundgesetz normiert, nämlich in Art. 80 Abs. 1 S. 2 und 103 Abs. 2 GG für Rechtsverordnungsermächtigungen und Strafgesetze18. Andererseits verbleibt, __________ 12

Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 213. Ausführlich dazu C I 2. 14 Vgl. zu dieser Terminologie Geitmann, Offene Normen, S. 47. 15 Formulierung bei Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 252. 16 Vgl. für viele MK-Schnapp, GG, Art. 20 Rn 29; JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 54 ff, 60 ff., MKS-Sommermann, GG, Art. 20 Rn 279; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 487. 17 Vgl. zu weiteren Verwendungen des Begriffes „Bestimmtheit“ im Grundgesetz mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt Geitmann, Offene Normen, S. 24 (Fn 11). 18 Vgl. zu diesen und zu den nach h.M. ebenfalls Bestimmtheitsanforderungen aufstellenden Art. 97, 101 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 104 Abs. 1 S. 1 GG auch B III. 13

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B. Bestimmtheit

wie noch zu zeigen sein wird, ein großer Bereich, den keines der ausdrücklich normierten Bestimmtheitsgebote abdeckt und auf den diese auch nicht im Wege des Analogieschlusses übertragen werden können19. Auch formelle Steuergesetze werden größtenteils nicht von ausdrücklich normierten Bestimmtheitsgeboten erfasst20. Trotzdem ist unbestritten anerkannt, dass das Verfassungsrecht eine solche, insoweit partiell ungeschriebene21 Bestimmtheitsvorgabe für alle formellen Gesetze macht22. Die Begrifflichkeiten hierzu differieren aber in Rechtsprechung und Literatur erheblich23, so dass an dieser Stelle zunächst eine Klärung der Terminologie erfolgen soll, um im Folgenden den Untersuchungsgegenstand zu präzisieren.

2. Begrifflichkeiten Die in der Literatur gebräuchlichsten Bezeichnungen für diesen ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz sind „Bestimmtheitsgebot“ oder „Bestimmtheitsgrundsatz“24. Zu finden ist aber, soweit nicht direkt vom Erfordernis der „Verständlichkeit“, „Genauigkeit“ oder „Eindeutigkeit“ staatlicher Regelungen gesprochen wird25, auch die synonym benutzte Bezeichnung „Rechtsklarheit“ oder „Normenklarheit“26. Diese terminologische Vielfalt wäre dann zu vernachlässigen, wenn Konsens darüber bestünde, was gemeint ist. Das ist aber nicht der Fall. Vor allem der Gebrauch der Begriffe „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ ist __________ 19 Vgl. Gusy, DVBl. 1979, S. 575; Fricke, Ausländergesetz, S. 9 ff.; Geitmann, Offene Normen, S. 64 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 81 und B III. 20 Inwieweit diese Aussage auf Art. 103 Abs. 2 GG zutrifft, wird unter B III 3 erörtert. 21 Vgl. zur Rechtsnatur und Funktionsweise von ungeschriebenem Verfassungsrecht Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 196 ff. 22 Vgl. für viele Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 207; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 255 ff. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 81, verweist auf den Ursprung in der Rechtsregel „Ubi ius incertum, ibi ius nullum“ („Wo das Recht unbestimmt ist, herrscht kein Recht“). Hier lässt sich noch „Melius est ius deficiens quam ius incertum“ („Kein Recht zu haben ist besser als eine unklare Rechtslage“) hinzufügen. 23 Dies bemängelt auch Sobota, Rechtsstaat, S. 133. Vgl. dazu auch die Darstellung bei R. Müller, Normenklarheit, S. 3 f. 24 Vgl. für viele JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 60 ff.; Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 177; Gusy, DVBl. 1979, S. 575 ff.; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 255 ff. (Bestimmtheitsgebot); Kunig, Jura 1990, S. 495 ff.; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 117 (Bestimmtheitsgrundsatz). 25 Darauf verweist Sobota, Rechtsstaat, S. 133. 26 Vgl. Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 200 ff, 396 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 829 ff.; MD-Herzog, GG, Art. 20 VII Rn 63; Möllinger, DStJG 5 (1982), S. 339, 350; Lerche, Übermaß, S. 67 ff.

I. Allgemeines

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uneinheitlich. Mit „Bestimmtheit“ ist üblicherweise die Forderung nach möglichst präzisen Begriffen gemeint27. Es wird also die oben dargestellte Situation 1 angesprochen. Mit „Klarheit“ werden hingegen meist Anforderungen an die Übersichtlichkeit einer Norm bezeichnet, es wird somit auf obige Situation 2 Bezug genommen28. Diese Kategorisierung ist aber bei weitem nicht durchgängig zu verifizieren: Teilweise wird „Bestimmtheit“ auch als Überbegriff verstanden29, teilweise „Klarheit“30. Damit geht häufig auch eine inhaltliche Gleichsetzung oder zumindest wenig differenzierte Behandlung von Bestimmtheit und Klarheit einher31. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der Bestimmtheitsgrundsatz teilweise überhaupt nicht selbstständig bezeichnet. Die angewandten Maßstäbe werden dann entweder direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip gewonnen32 oder das Gericht bildet gleich konkrete Fallgruppen33. Auch wenn der Grundsatz als solcher terminologisch identifiziert wird, wobei heutzutage meist die Rede vom „allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot“ ist34, so gibt es doch noch einen bunten Strauß weiterer Bezeichnungen, die sich in der Geschichte der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nachweisen lassen und die nicht konsistent und teilweise mit erheblichen Bedeutungsnuancen gebraucht werden35. Die Bezeichnungen „Klarheit“ und __________ 27

Vgl. Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 126 ff.; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 117 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 551. 28 Vgl. Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 125; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 129 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 118 ff. 29 Vgl. Papier, DStJG 12 (1989); S. 69 f., der der Sache nach den Klarheitsgrundsatz als „Undurchschaubarkeit von Normkomplexen“ behandelt und ausdrücklich davon redet, dass sich der Bestimmtheitsgrundsatz aus der „rechtsstaatlichen Maxime der Normenklarheit“ speise, also ein hierarchisches Verhältnis postuliert. Daran anlehnend HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 685. Sobota, Rechtsstaat, S. 133 f., sieht die Verwendung des Begriffes „Klarheit“ meist dort, wo der Bürger als Regelungsadressat ins Blickfeld gelangt und plädiert für eine vorzugsweise Verwendung gegenüber dem Bezeichnung „Bestimmtheit“. Damit erfasst sie aber die vorherrschende Begriffsprägung, nach der „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ nicht austauschbar sind, nur unzureichend. Auch Stern, Staatsrecht I, S. 830, sieht das „Gebot der Bestimmtheit“ über „die Anforderungen der Klarheit hinaus“ gehen, postuliert also ebenfalls ein Stufenverhältnis. 30 Vgl. MD-Herzog, GG, Art. 20 VII Rn 63; R. Müller, Normenklarheit, S. 3 f.; Herschel, JZ 1967, S. 728 f. 31 Vgl. dazu auch Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 548 m.w.N. Im Steuerrecht kommt eine weitere terminologische Unsicherheit hinzu: Hier ist im Zusammenhang mit Bestimmtheits- und Klarheitsanforderungen zuweilen die Rede vom Erfordernis der „Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung“. Vgl. dazu B VI 4. 32 So z.B. in BVerfGE 21, 245/261; 45, 400/420; 52, 1/41; 89, 69/84. 33 Vgl. BVerfGE 13, 153/160; 17, 306/314. 34 BVerfGE 56, 1/12; 59, 104/114; 83, 130/144; 84, 133/149; 87, 234/263; 90, 1/16; 92, 262/272. 35 „Gebot der Normenklarheit“, „Gebot gesetzgeberischer Klarheit“, „rechtsstaatliches Gebot hinreichender Bestimmtheit“, „rechtsstaatliche Grundsätze der Normenklarheit und Justitiabilität“. Umfassend zu diesem Komplex Wolff, Ungeschriebenes

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B. Bestimmtheit

„Bestimmtheit“ werden z.B. vom Bundesverfassungsgericht vielfach synonym verwandt36. Erst in jüngerer Zeit lässt sich eine Tendenz zur Annäherung an die überwiegende Begriffsbildung in der Literatur erkennen37. Diese soll deshalb auch hier übernommen werden: Als „Bestimmtheitsgrundsatz“ wird im Folgenden die verfassungsrechtliche Forderung nach begrifflicher Präzision bei der Abfassung von Rechtsnormen bezeichnet. Unter „Klarheitsgrundsatz“ wird hingegen die Forderung nach möglichst übersichtlichem und widerspruchsfreiem Recht verstanden. Zwischen Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz besteht eine enge Verwandtschaft, sowohl was die verfassungsrechtlichen Grundlagen als auch die praktischen Auswirkungen betrifft38. Bei aller Ähnlichkeit kommt dem Klarheitsgrundsatz aber ein eigener Charakter zu. Er wird deshalb in einem gesonderten Kapitel behandelt39. Im Folgenden soll zunächst der Bestimmtheitsgrundsatz näher betrachtet werden.

3. Quantitative und qualitative Unbestimmtheit Im bisherigen Verlauf der Darstellung ist eine Wirkung gesetzlicher Unbestimmtheit bereits zutage getreten: Die Hervorrufung von Unsicherheit beim Rechtsanwender. Deshalb wird die Frage nach der gebotenen Gesetzesbestimmtheit weitgehend als formales Problem adäquater Gesetzesgestaltung aufgefasst40. Ausgehend von der Erkenntnis, dass jede gesetzliche Regelung notwendigerweise unbestimmt ist und nur der Grad an Unbestimmtheit gefunden werden muss, ab dem ein Rechtsbegriff zunächst als „unbestimmter Rechtsbegriff“ bzw. im weiteren Fortgang als „verfassungswidrig unbestimmt“ qualifiziert werden kann, wird dies üblicherweise als quantitative Komponente des Bestimmtheitsgrundsatzes bezeichnet41. ___________ Verfassungsrecht, S. 265 f. (mit Einzelnachweisen); Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 200 ff. Vgl. zuletzt auch BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 103 („Erfordernis der Normenbestimmtheit und Normenklarheit“). 36 Vgl. BVerfGE 5, 25/31 ff.; 26, 338/367; 31, 255/284; 37, 132/142; 45, 400/420; 62, 169/183; 65, 1/44; 93, 213/238 f.; 103, 21/33; BVerfG 2 BvR 2374/99 vom 18.5.2004, Abs. 123. 37 Vgl. BVerfGE 108, 52/74 f.; 108, 169/181 ff.; BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 103 ff. Anders wiederum noch BVerfGE 103, 21/33 (Normklarheit für Bestimmtheit). 38 Vgl. C I 1. 39 Vgl. C. 40 So die Einschätzung von Gassner, ZG 1996, S. 38 m.w.N., der dies als die vorherrschende Deutung der Natur des Bestimmtheitsgrundsatzes identifiziert. 41 Vgl. zu dieser Komponente Jesch, AöR 82 (1957), S. 167 f.; Rengeling, NJW 1978, S. 2221; Gassner, ZG 1996, S. 39; Jachmann, Fiktion, S. 669; Hey, Steuerpla-

I. Allgemeines

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Gesetzliche Unbestimmtheit bewirkt aber auch noch etwas anderes: Dem Rechtsanwender werden dadurch, dass unbestimmte Rechtsbegriffe erst mit Bedeutung gefüllt und ausgelegt werden müssen, Entscheidungsbefugnisse übertragen. Was der Gesetzgeber nicht festgelegt hat, kommt nun Verwaltung und Rechtsprechung zu. An diese werden Kompetenzen delegiert. Es kommt in dieser Konstellation also zusätzlich die Frage der Aufgabenverteilung innerhalb des Staates ins Blickfeld, womit auch die verfassungsrechtlichen Institute der Gewaltenteilung und des Vorbehalts des Gesetzes relevant werden. Dies lässt sich als kompetenzielle Qualität des Bestimmtheitsgrundsatzes bezeichnen, die neben die quantitative Komponente tritt42. Die Wirkungsweise von unbestimmtem Recht kann deshalb auch als „verdeckte Delegation“ beschrieben werden43: Delegation, weil Entscheidungsbefugnisse vom Gesetzgeber auf andere staatliche Instanzen übertragen werden. Verdeckt, weil dies allein durch den Sprachgebrauch, also durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe geschieht. Dies steht im Gegensatz zur „offenen“ Delegation von Entscheidungsmacht, die über gesetzliche Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen oder durch die Einräumung von Satzungsautonomie erfolgt44. Dieser „kompetenzielle“ Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes wird nicht nur von der Literatur herausgestellt, auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird er schon sehr früh betont. Im sog. „Preisgesetzbeschluss“, der Leitentscheidung zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Bestimmtheitsgrundsatzes, nimmt das Gericht ausdrücklich auf die Gewaltenteilung Bezug und reißt damit den Aspekt der Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Exekutive zumindest an45. Ausdrücklich weist es auf die „qualitative“ Komponente des Bestimmtheitsgrundsatzes zuerst im sog. „Kalkar-Beschluss“ hin46. ___________ nungssicherheit, S. 552; Erichsen, DVBl. 1985, S. 22; Hillers, VR 1989, S. 117; Papier, DStJG 12 (1989), S. 67; Ehmke, Ermessen, S. 29; Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 185. 42 Ausführlich dazu Gassner, ZG 1996, S. 39. R. Geitmann kommt das Verdienst zu, diese Komponente als erster ausführlich beleuchtet zu haben. Vgl. dens., Offene Normen, S. 22 ff. 43 Der Begriff stammt aus der Dogmatik zum Vorbehalt des Gesetzes (vgl. dazu Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 37 f.; Busch, Verhältnis, S. 56 ff.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 423 ff.), trifft aber auch die Wirkungsweise unbestimmten Rechts zu. Vgl. dazu etwa HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 684 ff. 44 Vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 37. 45 Vgl. BVerfGE 8, 274/325. 46 Vgl. BVerfGE 49, 89/138: „Im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis, dessen wesentliche verfassungsrechtliche Funktion in der Abgrenzung der Handlungsbereiche von Gesetzgeber und Exekutive besteht, (...)“.

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B. Bestimmtheit

Die Abgrenzung der Wirkungsbereiche staatlicher Gewalten ist eine der wesentlichen Funktionen des Bestimmtheitsgrundsatzes47. Die Gestalt dieser „qualitative“ Komponente ist aber noch immer umstritten48. An dieser Stelle muss zunächst die nur grob substanziierte Behauptung dieser Eigenschaft in Form einer Arbeitshypothese genügen, welche sich im Zuge der Analyse der verfassungsrechtlichen Determinanten des Bestimmtheitsgrundsatzes bewähren muss.

4. Abgrenzungen Üblicherweise werden unter dem Stichwort „Bestimmtheit“ eine Reihe von Problemkomplexen erörtert49. Manche davon, z.B. die Problematik gesetzlicher Verweisungen, sind aber dem Klarheitsgrundsatz zuzuordnen und werden in dessen Zusammenhang behandelt50. Andere Problemstellungen werden bewusst ausgespart, obwohl in ihre Betrachtung Bestimmtheitserwägungen zumindest mit einflössen: So stellen sich bspw. im Steuerrecht die Fragen nach der Zulässigkeit einer steuerbegründenden und -schärfenden Analogie und nach den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, auf die hier nicht näher eingegangen wird51. Verzichtet wird auch auf eine Betrachtung der Gestalt von Art. 80 Abs. 1 GG im Steuerrecht52 und auf eine nähere Behandlung der Frage nach der Zulässigkeit des Einsatzes von Ermessensnormen in diesem Rechtsgebiet53. __________ 47

Ossenbühl, DÖV 1981, S. 2, spricht von der „Feineinstellung der Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Staatsfunktionen“. 48 Vgl. nur Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 258 (Fn 5): „Konzentriert man sich bei der Frage der Bestimmtheit zu sehr auf das Verhältnis des Gesetzgebers zu der Exekutive, führt dies schnell zu Fehlgewichtungen“. 49 Vgl. als Überblick nur Papier, DStJG 12 (1989), S. 61 ff. und die Kommentierungen zum Bestimmtheitsgrundsatz, z.B. Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 122 ff; DreierSchulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 117 ff. 50 Vgl. C II 5, wo allerdings auf eine Analyse der Zulässigkeit „dynamischer“ Verweisungen aufgrund der teilweise äußerst komplexen verfassungsrechtliche Fragestellungen verzichtet wird. 51 Zur Zulässigkeit von richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht vgl. die umfassende Analyse von Barth, Rechtsfortbildung, S. 175 ff. Zur belastenden steuerrechtlichen Analogie vgl. die Überblicke bei Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 184 ff.; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 484; Birk, Steuerrecht, Rn 144 m.w.N. 52 Auch diese war in jüngerer Zeit Gegenstand einer umfangreichen Untersuchung: Vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 147 ff., 374 ff. 53 Die Bezeichnung „unbestimmter Rechtsbegriff“ wird üblicherweise für die Tatbestandsseite einer Rechtsnorm verwandt, während die Einräumung von Ermessen ausschließlich die Rechtsfolgenseite betrifft. Vgl. dazu nur Maurer, Allg. Verwaltungs-

II. Arten von Unbestimmtheit

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II. Arten von Unbestimmtheit 1. Überblick Sprache ist, wie bereits erwähnt, per se unbestimmt. Beließe man es bei dieser Feststellung, so würde sich in der Tat die Frage stellen, warum dann in der juristischen Literatur die „Unbestimmtheit“ von Rechtsbegriffen überhaupt je problematisiert würde. Diese müssten dann als Bestandteile des Mediums „Sprache“ eigentlich alle als „unbestimmt“ oder „vage“, eine andere in diesem Zusammenhang von Rechtsprechung und Literatur gern verwandte Vokabel54, zu qualifizieren sein. Wäre das der Fall, so gäbe dies berechtigterweise Anlass zu generellem Sprachskeptizismus und Zweifeln an der Tauglichkeit von „Sprache“ als Vermittlungsmedium für „Recht“. Es ist aber offensichtlich, dass die allgemeine Unschärfe der Sprache dann, wenn im juristischen Diskurs die Rede von „Unbestimmtheit“ ist, schon deshalb nicht gemeint sein kann, weil sich Sprache, rein tatsächlich betrachtet, bereits als taugliches Medium zur Vermittlung von „Recht“ erwiesen hat. „Unbestimmtheit“ muss also etwas anderes, darüber Hinausgehendes sein. Das grundsätzliche Wesen sprachlicher Unbestimmtheit lässt sich immer noch gut anhand von Hecks Unterscheidung zwischen „Begriffskern“ und „Begriffshof“ verdeutlichen55, die die juristische Methodendiskussion lange Zeit geprägt hat56: In den Kern falle nach dieser Lesart der „zweifelsfreie Inhalt des Begriffs“57, während der Hof nach außen hin nicht fest abgrenzbar sei, sondern „durch Subsumtion und Exzeption (...) an der betreffenden Stelle näher bestimmt“58 werden müsse. Ausgehend von der Erkenntnis, dass jeder Begriff über einen solchen „Hof“ verfügt und damit notwendigerweise einen gewissen Grad an Unbestimmtheit aufweist, werden als „unbestimmte Rechtsbegriffe“ diejenigen verstanden, die über einen besonders großen Begriffshof und einen ___________ recht, § 7 Rn 26; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rn 8 ff.; Erichsen, Allg. Verwaltungsrecht, § 10 Rn 3 ff.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 213. 54 In frühen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wird häufig vor „vagen Generalklauseln“ gewarnt, vgl. BVerfGE 6, 32/42; 8; 274/325; 13, 153/160; aber auch BFHE 85, 399/405 f.; 99, 376/378. Vgl. aus der Literatur Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 194 ff.; Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 33 ff; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 19 f. 55 Vgl. Heck, AcP 112 (1914), S. 46, 173, der allerdings von „Bedeutungs- bzw. Vorstellungskern“ und „-hof“ spricht. 56 Vgl. Engisch, Einführung, S. 108; Jesch, AöR 82 (1957), S. 176; Rüthers, Rechtstheorie, Rn 167; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 20. Kritisch zur Brauchbarkeit dieses Bildes Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 40 ff. 57 Jesch, AöR 82 (1957), S. 176. 58 Jesch, AöR 82 (1957), S. 177. Heck, AcP 112 (1914), spricht S. 46 vom „Vorstellungshof, der allmählich in wortfremde Vorstellungen führt“.

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B. Bestimmtheit

im Vergleich dazu kleinen Kernbereich verfügen59. Schon durch dieses Bild wird deutlich, dass sich gesetzliche Unbestimmtheit mit einer Skala vergleichen lässt, auf der nur graduelle Abstufungen möglich sind60. Das Heck´sche Modell wird verfeinert durch das sog. „Drei-Bereiche-Bild“. In dessen Rahmen wird unterschieden zwischen Fällen, die vom fraglichen Begriff eindeutig erfasst sind (sog. „positive“ Kandidaten); solchen, die eindeutig nicht unter diesen fallen (sog. „negativen“ Kandidaten), und solchen, bei denen dies unklar ist (sog. „neutrale“ Kandidaten). Diese entsprechen in etwa dem Heck´ schen Begriffshof61. Diese Annäherungen werden von der neueren juristischen Semantik relativiert. Diese richtet den Blick auf den einzelnen Sprachrezipienten oder eine bestimmte Gruppe und nimmt die Deutung von Begriffen von dieser Basis aus vor, so dass auch das, was als „Begriffskern“ oder „positive/negative Kandidaten“ bezeichnet wird, sich von Fall zu Fall unterschiedlich, eben durch die „interpretatorische Praxis“ und nicht durch „vorgegebene Entitäten“ bestimmt62. Auch diese Herangehensweise schließt aber die Richtigkeit von zwei Grunderkenntnissen, die die Betrachtung der verschiedenen Modelle für die Funktionsweise von unbestimmten Rechtsbegriffen liefern kann, nicht aus: Zum einen ist es prinzipiell möglich, Ausdrücke als „bestimmt“ oder „unbestimmt“ zu qualifizieren, und zwar mit einem Wahrheitsanspruch, der die Ebene des einzelnen Individuums, also des individuellen Sprachrezipienten, übersteigt. Über die konkrete Einordnung mag dann zwar nicht im gesamten Sprachraum Konsens __________ 59 Jesch, AöR 82 (1957), S. 177. Vgl. auch die Kritik bei Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 41 f. 60 Das Bild der Skala benutzt u.a. Papier, DStJG 12 (1989), S. 67. 61 Vgl. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 67 ff., 194 ff.; Wank, Juristische Begriffsbildung, S. 25; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 21; Jachmann, Fiktion, S. 663 f.; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 97; Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 33 ff. Ähnlich schon 1913 W. Jellinek, Gesetz, S. 37 f. mit folgendem Beispiel: Eine badische Verordnung aus dem Jahr 1908 verbietet das Einreisen von „Zigeunern“ in „Horden“, wobei der Begriff der „Horde“ nicht näher präzisiert wird. Man wird sich leicht darauf einigen können, dass 50 „Zigeuner“ eine „Horde“ bilden und einer nie, aber der Bereich dazwischen ist größtenteils unsicher. Ähnliche Schwierigkeiten bestehen heutzutage bei der Auslegung des Begriffs „große Zahl von Menschen“, wie er in § 306b Abs. 1 StGB benutzt wird. Vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, § 306b Rn 5; Schönke/Schröder-Heine, StGB, Vor §§ 306 Rn 13a. 62 Vgl. dazu die Darstellung bei Busse, Juristische Semantik, S. 273 f. Dies hängt damit zusammen, wie Sprache erlernt wird. Vgl. dazu Rüthers, Rechtstheorie, Rn 152 f.: „Die Sprachinhalte werden durch kollektiv eingeübte, im sozialen Kontakt erlernte Assoziationen vermittelt. (...) Die Begriffsinhalte, also die Zuordnung zwischen Wörtern und Vorstellungen sind von der Intensität, der Differenziertheit und dem Milieu eines permanenten Lernprozesses abhängig“. Insofern muss das Bild von Heck dahin gehend modifiziert werden, dass der „Begriffshof“ nicht nur nach außen, sondern auch zum Kern hin nicht scharf begrenzt ist.

II. Arten von Unbestimmtheit

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bestehen, aber eine Übereinstimmung einer großen Gruppe von Sprachrezipienten ist dadurch nicht ausgeschlossen. Viele Menschen machen ähnliche Erfahrungen und verbinden deshalb mit bestimmten Begriffen ähnliche Inhalte, so dass eine „Durchschnittsbedeutung“ entstehen kann, die die Intersubjektivität der Sprache gewährleistet63. Zum anderen ist es auch bei einem individualistischen Ansatz noch möglich, Bestimmtheitsgrade im Sinne eines „Mehr“ oder „Weniger“ dergestalt zu quantifizieren, dass sich zumindest eine große Gruppe auf diese Quantifizierung im konkreten Fall verständigen kann64. Die Möglichkeit der Abstufung von Bestimmtheitsgraden wurde auch innerhalb dieser Untersuchung bisher stillschweigend vorausgesetzt. Aufgrund des Gesagten kann diese Grundprämisse beibehalten werden65. Dem „Drei-Bereiche-Bild“ kommt also bei der Darstellung der Struktur von „unbestimmtem“ Recht immer noch Orientierungskraft zu66.

__________ 63

Vgl. Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S. 103. So mit Recht Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 122. 65 Diese Problematik hat aber z.T. zu Verständnisschwierigkeiten zwischen Juristen und Linguisten geführt. Vgl. dazu die Kritik bei Busse, Juristische Semantik, S. 273. 66 Dagegen Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 184. Diesen zufolge muss man „sich von der heute noch zuweilen gepflegten Illusion verabschieden, es ließen sich von der Regel her die positiven und negativen Kandidaten der Anwendung klar vom Vagheitsbereich der kritischen Fälle trennen“. Diese Aussage ist im Zusammenhang mit der Deutung normativer Bestimmtheit von F. Müller und seinen Schülern im Rahmen ihrer „strukturierenden Rechtslehre“ zu sehen. Vgl. dazu Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 166: „Die Forderung nach einer Bestimmtheit und Klarheit rechtlicher Regelung, die im Sinn einer Eigenschaft der gesetzlichen Vorschrift innewohnt und damit der Auslegung und Anwendung vorgegeben ist, ist sprachlich nicht einlösbar. Kein Text kann die mit ihm verknüpften Lesarten determinieren. (...) Vielmehr ist Bestimmtheit eine normative Aufgabe. Sie stellt sich als Frage der Bestimmbarkeit von rechtsförmigen Entscheidungen anhand von Normtexten“. Dies bedeutet aber für die „strukturierende Rechtslehre“ keine vollständige Negation des Bestimmtheitsgrundsatzes, denn auch hier wird die Forderung aufgestellt, dass der Normtext die Anwendungsentscheidung beeinflussen müsse, vgl. Rn 184: „Damit wird die Vorstellung von situationsabstrakter Bestimmtheit des Textes durch ein Konzept von anwendungsbezogener Bestimmbarkeit ersetzt“. Auch diese Arbeit ist aber in erster Linie an einer anwendungsbezogenen Konkretisierung des Bestimmtheitsgrundsatzes interessiert. Die verfassungsrechtlichen Erwägungen, die dazu noch angestellt werden, hätten deshalb auch vor den Augen der „strukturierenden Rechtslehre“ Bestand. Die von dieser vollzogene Abkehr von einer semantischen zu einer pragmatischen Bindung des Rechtsanwenders (vgl. auch Christensen/Kudlich, Richterliches Begründen, S. 128 ff.) äußert sich in erster Linie in unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Methoden der Normkonkretisierung. 64

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B. Bestimmtheit

2. Unbestimmte Rechtsbegriffe Im juristischen Diskurs ist es üblich, über die allgemeine Unschärfe von Sprache hinaus gesteigert „unbestimmtes“ Recht auf begrifflicher Ebene mit dem Terminus „unbestimmter Rechtsbegriff“ zu identifizieren. Unbestimmte Rechtsbegriffe können verschiedene Charakteristika aufweisen, deren Bedeutung im Folgenden klargestellt werden soll. Des Weiteren ist die Bezeichnung „Unbestimmter Rechtsbegriff“ auch Oberbegriff für verschiedene Spezialformen „offenen“ Rechts. Auch diese gängigen Untergliederungen werden dargestellt, bevor abschließend praktische Beispiele im geltenden Steuerrecht aufgezeigt werden.

a) Charakteristika Unbestimmte Rechtsbegriffe können neben der Eigenschaft, besonders viele „neutrale Kandidaten“ zu besitzen, weitere Charakteristika aufweisen, die sich nicht durchgängig, aber häufig nachweisen lassen und die auch terminologisch näher klassifizierbar sind. Als solche werden in der Literatur Vagheit, Porösität, Inkonsistenz und Mehrdeutigkeit genannt67. Bei „Vagheit“ handelt es sich nur um ein Synonym für die „Bedeutungsoffenheit“ unbestimmter Rechtsbegriffe, ihre große Zahl „neutraler“ Kandidaten. Mit „Porösität“ bezeichnet man hingegen die Eigenschaft von unbestimmten Rechtsbegriffen, ihre Bedeutung im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch im Laufe der Zeit zu ändern. Die Bedeutungsoffenheit von Ausdrücken ergibt sich dann daraus, dass durch diese auch zum Zeitpunkt des Normerlasses noch unbekannte Objekte erfasst werden können68. „Porösität“ lässt sich deshalb auch als „potenzielle Vagheit“ bezeichnen69. „Inkonsistenz“ und „Mehrdeutigkeit“ hängen eng zusammen: Mit „Mehrdeutigkeit“ wird Bezug genommen auf die allgemeine Eigenschaft eines Ausdrucks, innerhalb verschiedener Kontexte unterschiedliche Bedeutungen anzunehmen70. „Inkonsistenz“ als Spezialfall der „Mehrdeutigkeit“ bezeichnet die Problematik, dass ein Begriff __________ 67

Vgl. dazu den Überblick bei Osterloh, Gesetzesbindung, S. 97 ff. Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 97; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 21; Wank, Juristische Begriffsbildung, S. 26 m.w.N. 69 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 97. 70 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn 165; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 20; Jachmann, Fiktion, S. 664; Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 29 f. Letzterer verweist darauf, dass diese Eigenschaft z.T. als Kennzeichen eines unbestimmten Rechtsbegriffes abgelehnt wird (z.B. von Sethy, Ermessen, S. 17 f.), da die Bedeutung von mehrdeutigen Ausdrücken innerhalb eines festgelegten Kontextes sehr wohl bestimmt sein könne und damit zumindest keine Unbestimmtheit des Begriffs vorläge. Ebenso kritisch Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 443. 68

II. Arten von Unbestimmtheit

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innerhalb eines Kontextes, bspw. eines Rechtsgebietes, einheitlich, in verschiedenen Kontexten aber unterschiedlich gebraucht wird und unklar bleibt, welche der beiden Verwendungsarten für einen dritten Kontext maßgeblich ist71.

b) Spezialformen Ausgehend von diesen generellen Charakteristika unbestimmter Rechtsbegriffe ist es möglich, weitere Ausdifferenzierungen vorzunehmen, die entweder an die gesetzestechnische Einkleidung oder an besondere Subsumtionsanforderungen anknüpfen.

aa) Generalklauseln Als „Generalklauseln“ werden Vorschriften bezeichnet, welche „sprachlich nur einen vagen Richtliniengehalt enthalten und im Übrigen auf andere Normen (oder Normbildungsmethoden) verweisen“72. An anderer Stelle werden diese mit den hohen Graden der Unbestimmtheit, der Allgemeinheit und der Abstraktionshöhe der verwendeten Begriffe umschrieben73. Solche „Generalklauseln“ lassen sich an vielen Stellen unserer Rechtsordnung auffinden. Besonders herauszuheben sind dabei die Generalklauseln des BGB, z.B. § 138 und § 242, und im öffentlichen Recht die polizeirechtliche Generalklausel74. Wesenseigen ist ihnen die „Schlüsselfunktion“, die sie für ein ganzes Rechtsgebiet erfüllen, wie es bspw. bei § 1 UWG (für das Wettbewerbsrecht) oder der erwähnten polizeirechtlichen Generalklausel der Fall ist. „Generalklauseln“ werden vom Gesetzgeber geschaffen, um Konstellationen, die im Gesetzgebungsverfahren nicht vorhersehbar waren oder keiner Spezialnormierung für würdig befunden wurden, doch noch einer Regelung zu unterwerfen75. Ausgehend von ihnen kann eine rechtliche Ausdifferenzierung erfolgen, zunächst über die Präzisierung des Inhalts durch die Schaffung von Fallgruppen seitens der Rechtsprechung, die dann teilweise wieder vom Gesetz__________ 71

Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 98; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 21.; Jachmann, Fiktion, S. 664. 72 Bydlinski, Methodenlehre, S. 582. 73 Vgl. Garstka, Generalklauseln, S. 96 ff. 74 Vgl. die einschlägigen Landespolizeigesetze. Die polizeirechtliche Generalkausel wurde vom Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 54, 143 als verfassungsgemäß gebilligt. 75 Vgl. Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 204.

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B. Bestimmtheit

geber aufgegriffen und kodifiziert werden76. Ansonsten ist aber festzuhalten, dass zwischen „nur“ unbestimmten Rechtsbegriffen und „Generalklauseln“ nicht klar inhaltlich abgegrenzt werden kann, sondern im Einklang mit oben angeführten Umschreibungen nur Vorschriften, die in besonderem Maße von unbestimmten Rechtsbegriffen geprägt sind, als Generalklauseln bezeichnet werden77. So geht insbesondere auch die Rechtsprechung vor78.

bb) Unbestimmte Wertbegriffe Neben den sog. deskriptiven Rechtsbegriffen, die Lebenswirklichkeiten abbilden79, und auf die, falls sie besonders „vage“ sind, die oben dargestellten Charakteristika in erster Linie anwendbar sind, fallen unter die unbestimmten Rechtsbegriffe auch die sog. „unbestimmten Wertbegriffe“, auch normative Begriffe genannt80. Diese enthalten zwar auch eine deskriptive Bedeutungskomponente und können schon aus diesem Grund vage sein81, sie zeichnen sich jedoch zusätzlich dadurch aus, dass sie vom Rechtsanwender im Subsumtionsprozess das Treffen einer Wertung erfordern82. Für diese liefern sie aber selbst keine Kriterien und eröffnen somit eine große Bandbreite an Entscheidungsmöglichkeiten83. Hierin ist auch die zusätzliche „Offenheit“ unbestimmter Wertbegriffe zu sehen: Die deskriptive Bedeutungskomponente determiniert die auf der Anwendung des Wertbegriffs beruhende Rechtsanwendungsentscheidung nicht in __________ 76 Ein Beispiel für eine solche Ausdifferenzierung sind die polizeirechtlichen Standardermächtigungen. In jüngerer Zeit konnte man diese Vorgehensweise z.B. bei der Reform des UWG beobachten. Vgl. einerseits § 1 UWG a.F., andererseits §§ 3 f. UWG n.F. 77 Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 204, bezeichnen Generalklauseln als „Extremfälle von unbestimmten Rechtsbegriffen“. 78 Vgl. dazu den Überblick bei R. Müller, Normenklarheit, S. 27 m.w.N. 79 Vgl. zu diesen Rüthers, Rechtstheorie, Rn 179 ff.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 39. 80 Vgl. Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 201; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 39 f.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn 182 ff. Die Bezeichnung als „normativer“ Rechtsbegriff ist vor allem im Strafrecht gebräuchlich. 81 Vgl. Jachmann, Fiktion, S. 664 ff.; Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 203 f. m.w.N. 82 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn 184. Skeptisch dazu Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 39. Alexy, Logische Analyse, S. 190 f. spricht in diesem Zusammenhang von einer sog. „evaluativen“ Offenheit. 83 Vgl. zur Funktionsweise Podlech, AöR 95 (1970), S. 185 ff. Kritisch zu den bisherigen Begründungsversuchen für „unbestimmte Wertbegriffe“ Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 24 ff, 100 und Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 201 ff., die insbesondere die Abgrenzung zu „deskriptiven“ Begriffen für bisher noch nicht überzeugend getroffen halten.

II. Arten von Unbestimmtheit

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eindeutiger Weise, weder nach ihrem Wortsinn noch nach der ratio legis84. Es entsteht also eine über die rein sprachliche hinausgehende inhaltliche Unbestimmtheit85. Als Beispiele können hier wiederum die Generalkauseln des Zivilrechts angeführt werden, vor allem § 1 UWG a.F., der den Terminus „gute Sitten“ enthielt, der nur durch Wertungen auszufüllen war86. Es ist aber davor zu warnen, in „unbestimmten Wertbegriffen“ etwas kategorial anderes als in unbestimmten deskriptiven, empirischen Begriffen zu sehen: Auch bei diesen kann, wie oben gezeigt, eine stark ausgeprägte sprachliche Unbestimmtheit vorliegen. Wenn diese Unbestimmtheit im Wege der Auslegung nur bedingt zu reduzieren ist, kann der Rechtsanwender „neutrale“ Kandidaten frei zuordnen, die Norm ist also über die sprachliche Unbestimmtheit hinaus inhaltlich unbestimmt. Strukturell entspricht dies der Wahlmöglichkeit des Rechtsanwenders im Rahmen der wertenden Komponente bei normativen Begriffen87. Ein Unterschied kann höchstens noch darin liegen, dass der Rechtsanwender bei normativen Begriffen in höherem Maße auf die eigene Maßstabsbildung angewiesen ist, was aber wiederum nur ein graduelles und kein kategoriales Unterscheidungskriterium darstellt88.

cc) Typusbegriffe Typusbegriffe zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen im Rechtsanwendungsprozess Einzelerscheinungen wertend zugeordnet werden müssen89. Insoweit gleichen sie den „unbestimmten Wertbegriffen“. Dabei stellen Typusbegriffe gewissermaßen eine Vorstufe zu den in Rechtsnormen üblicherweise verwendeten abstrakten, sog. „klassifikatorischen“90 Rechtsbegriffen dar, die Tatbestandsmerkmale aufstellen, unter die jeweils subsumiert werden muss und die __________ 84

Vgl. Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 205; Jachmann, Fiktion, S. 665. Vgl. Jachmann, Fiktion, S. 665 m.w.N.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 39. 86 Vgl. Köhler/Piper-Piper, UWG, § 1 Rn 5. Das Bundesverfassungsgericht hat § 1 UWG a.F. in BVerfGE 102, 347/360 f. für verfassungsgemäß befunden. 87 Vgl. Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 201; Jachmann, Fiktion, S. 665 f. 88 Vgl. Jachmann, Fiktion, S. 667; Hillers, VR 1989, S. 116 f. Auch Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 40 weist darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen „deskriptiv“ und „normativ“ „letztlich nur graduell sein kann“. 89 So die ganz herrschende Lesart in der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre, vgl. dazu nur Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 95. Kritisch dazu Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 169 ff.; Drüen, StuW 1997, S. 266. Vgl. zu Inhalt und Struktur der Erkenntnisform „Typus“ Strahl, Typisierende Betrachtungsweise, S. 55 ff. 90 Vgl. dazu Koch, Unbestimmter Rechtsbegriff, S. 31 m.w.N. 85

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B. Bestimmtheit

im Einzelfall alle vorliegen müssen, damit eine Regel anwendbar wird91. Beim Typus sind die Übergänge fließend, ein „Mehr oder Weniger“ ist hier gängig, kein klares „Urteil des Ja oder Nein“92. Im konkreten Fall können Merkmale, die üblicherweise einen Typus bestimmen, auch komplett fehlen, ohne dass dies an der Zugehörigkeit der Erscheinungsform zum Typus, die aufgrund einer Wertung bejaht werden kann, etwas ändern würde93. Paradigmatisch hierfür ist der Begriff des „Arbeitnehmers“. Typusbegriffe können aber im Laufe der Zeit, meist durch langjährige Rechtsprechung, soweit konkretisiert werden, dass sie zu abstrakten Rechtsbegriffen werden. Teilweise wird, ähnlich wie bei Generalklauseln, diese Rechtsprechung wieder kodifiziert, womit endgültig der Schritt zum „klassifikatorischen“ Begriff vollzogen ist94. Typusbegriffe ermöglichen eine erhöhte Anpassungsfähigkeit des abstrakten Gesetzes an konkrete Lebenssituationen und können so größere Einzelfallgerechtigkeit verwirklichen, wie dies vor allem bei besonders vielfältigen Lebenssachverhalten und dynamischen Entwicklungen nötig ist95. __________ 91

Vgl. Engisch, Konkretisierung, S. 243 ff. Zu anderen Erklärungsversuchen für Typusbegriffe aus der Methodenlehre vgl. Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 166 ff. 92 Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 166. 93 Vgl. Tipke/Kruse-Kruse, § 4 AO Rn 295; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 75 ff.; Weber-Grellet, Typus, S. 551. Vgl. zur Funktionsweise des Typus Larenz, Methodenlehre, S. 461 ff.; Birk, Steuerrecht, Rn 1008 ff. (zu § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG); Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 34 ff. Ähnlich ist die Funktionsweise eines sog. „beweglichen Systems“, das sich als Methode der Normauslegung am Zusammenspiel einschlägiger Rechtsprinzipien orientiert. Vgl. dazu Wilburg, Bewegliches System, S. 5 f., 12 ff., 22 f.; Canaris, Systemdenken, S. 75; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 213 f.; Petersen, Bewegliches System, S. 27 ff. Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 203 f., setzen „bewegliches System“ und Typusbegriff der Sache nach gleich. 94 Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn 45 führen als Beispiel den Begriff „Gewerbebetrieb“ an, der nach Ausformung durch die Rspr. und Kodifikation in § 15 Abs. 2 EStG den Weg vom Typusbegriff zum abstrakten Begriff beschritten habe. Die Richtigkeit dieser Einschätzung nachgewiesen hat Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 172 ff. Anderer Ansicht sind aber der BFH, BStBl. II 2000, S. 404 f. und Teile der Literatur (sehr dezidiert vertritt Fischer, DStZ 2000, S. 887 ff. einen typisierenden Charakter der Teilmerkmale „nachhaltig“ und „Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“). Ein ähnlicher Wandel vom Typusbegriff zum „klassifikatorischen“ Begriff mag sich eines Tages mit dem Begriff des „Mitunternehmers“ vollziehen. 95 Vgl. Strahl, Typisierende Betrachtungsweise, S. 210 f.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 445. Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 106 und Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 173, vermuten, dass der BFH den Gewerbebegriff nur deshalb noch als Typusbegriff bezeichnet, damit er sich erhöhte Entscheidungsfreiheiten offen halten kann. Diese Entscheidungsfreiheit des Rechtsanwenders ist die Folge der dargestellten Funktionsweise von Typusbegriffen. Zur „Komplexität“ und „Dynamik“ von Sachverhalten vgl. B V 5 b).

II. Arten von Unbestimmtheit

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Die Verwendung von Typusbegriffen ist vor allem im Steuerrecht in letzter Zeit verstärkt in die Kritik geraten96. Diese wehrt sich gegen die teilweise anzutreffende Einschätzung, dass Typusbegriffe unverzichtbar seien97. In diesem Zusammenhang versucht sie vor allem nachzuweisen, dass bisher als „Typusbegriffe“ qualifizierte unbestimmte Rechtsbegriffe auch als „klassifikatorische“ Begriffe gedeutet werden können98.

3. Unbestimmte Rechtsbegriffe im Steuerrecht Steuergesetze enthalten in großer Zahl unbestimmte Rechtsbegriffe, wobei die nun folgende Aufzählung keineswegs abschließend ist99: „Zwingendes öffentliches Interesse“ (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO), „sachdienlich“ (§ 93 Abs. 4 S. 2 AO), „erforderlich“ (§ 100 Abs. 1 S. 1 AO), „entschuldbares Versäumnis“ (§ 152 Abs. 1 S. 2 AO), „unbillig“ (§§ 109 Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 1 S. 1, 227 Abs. 1, 258, 297 AO), „erhebliche Härte“ (§ 222 S. 1 AO), „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“ (§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG), „rechtliche, tatsächliche oder sittliche Gründe“ (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG), „nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person notwendig und angemessen“ (§ 33a Abs. 1 S. 5 EStG), „aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig“, „besonders schwierig“ (§ 34c Abs. 5 EStG), „verdeckte Gewinnausschüttungen“ (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG), „wesentlich im Interesse einer Familie (...) errichtet“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Die Steuerrechtsordnung ist zudem von partieller Inkonsistenz der verwandten Begriffe gekennzeichnet. Als prominentes Beispiel mag hier der uneinheitliche Gebrauch der Begriffe „Leistungen“ und „Unternehmer“ in Einkommenund Umsatzsteuerrecht dienen100. Begriffliche Porösität ist bspw. im Rahmen des § 2b EStG anzutreffen, was dann unmittelbar einsichtig wird, wenn man die Wirkungsweise des in dieser Vorschrift enthaltenen unbestimmten Rechtsbeg__________ 96

Weber-Grellet, Typus, S. 567 ff., hält Typusbegriffe generell wegen ihrer Unbestimmtheit für rechtsstaatswidrig und spricht sich deshalb vehement gegen die Tendenz des BFH aus, unbestimmte Rechtsbegriffe als Typusbegriffe zu interpretieren. Ähnlich kritisch Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 181; Knobbe-Keuk, Unternehmenssteuerrecht, S. 381 ff. Vgl. zum Typus im Steuerrecht auch Tipke/Kruse-Kruse, AO, § 4 Rn 395 ff.; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 105 f. 97 Dies vertreten z.B. Tipke/Kruse-Kruse, AO, § 4 Rn 136; Fischer, DStZ 2000, S. 886 ff. 98 Vgl. Mössner, Typusbegriffe im Steuerrecht, S. 176 ff. 99 Vgl. dazu auch die Listen bei HHSp-Birk/Wernsmann, AO, § 5 Rn 61; Tipke/Kruse-Kruse, AO, § 5 Rn 19 f.; Hartmann/Walter, Auslegung von Steuergesetzen, S. 177, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen. 100 Vgl. dazu einerseits §§ 22 Nr. 3, 15 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 EStG, andererseits §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 UStG (Beispiel bei Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 67 (Fn 27)).

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B. Bestimmtheit

riffs „ähnliche Modelle“ näher betrachtet: Dieser ist nicht nur besonders vage, er erfasst (und soll dies der gesetzgeberischen Intention nach gerade101) auch „Modelle“, die zum Zeitpunkt des Normerlasses noch unbekannt waren102. Das geltende Steuerrecht verwendet trotz der generell hohen Regelungsdichte mitunter auch unbestimmte Rechtsbegriffe, die wegen ihrer großen „Offenheit“ und ihrer „Schlüsselfunktion“ generalkauselartigen Charakter haben. Dies trifft bspw. auf § 4 Abs. 4103 und § 9 Abs. 1 S. 1 EStG zu104. In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick auf die Vorschläge zur Reform des Steuerrechts: § 2 Abs. 3 S. 2 des Karlsruher Entwurfes105, durch den sämtliche bisherigen Einkunftsarten abgelöst werden sollen und der dementsprechend einen sehr großen Sachbereich abdeckt, stellt, trotz der Präzisierung des Begriffs „Erwerbsgrundlage“ in Abs. 3 S. 3, ebenfalls eine Generalkausel dar106. Typische „unbestimmte Wertbegriffe“ enthält § 42 AO, der vom „Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten“ und der „angemessenen rechtlichen Gestaltung“ spricht. Beide Begriffe sind der individuellen Bewertung zugänglich und auf diese angewiesen107. Typusbegriffe sind bspw. „Lebensführung“ (§ 12 Nr. 1 S. 2 EStG), „Unternehmer“/“Mitunternehmer“ (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 EStG), „Arbeitnehmer“ (§ 19a Abs. 1 EStG), „wirtschaftliche Einheit“ (§ 70 Abs. 1 BewG), „Wohnung“ (§ 75 Abs. 5, 6 BewG), „nachhaltig“ (§ 2 Abs. 1 S. 3 UStG), „Renten und dauernde Lasten“ (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG), „Teilbetrieb“ (§ 6 Abs. 3 S. 1 EStG), „Selbstständigkeit“ (mit dem Gegenpol „Nichtselbstständigkeit“) (§§ 18, 19 EStG), „betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer“ (§ 7 Abs. 1 S. 2 EStG)108. Sie werden im Steuerrecht ebenfalls in großer Zahl eingesetzt, um der „Vielgestaltigkeit des Wirtschaftslebens“ gerecht zu werden109. __________ 101

Vgl. dazu die umfassende Analyse unter D II 1. Auf „Steuersparmodelle“ als Anwendungsbeispiel für tatbestandliche Porösität verweist auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 97. 103 So auch die Einschätzung von Jachmann, StuW 1998, S. 196. 104 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 169 spricht hier von „kargen Grundtatbeständen“. 105 Der Wortlaut ist (Stand: Oktober 2004): „Erwerbshandeln ist die Nutzung von Arbeitskraft und Erwerbsgrundlagen zur Erzielung von Einkünften am Markt“. 106 Vgl. zur Kritik hieran nur Tipke, StuW 2002, S. 158 ff.; Schön, StuW 2002, S. 27; Weber-Grellet, ZRP 2003, S. 281. 107 Vgl. dazu auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 98 f. 108 Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn 45 verweisen zusätzlich darauf, dass das EStG auch mit dem Verlangen, dass etwas „ähnlich“ (§§ 2b Abs. 1 S. 1, 13 Abs. 1 Nr. 4, 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2.), „vergleichbar“ (§ 22 Nr. 4) oder „gleichartig“ (§ 19 Abs. 2 Nr. 1) sein müsse, den Vergleich mit einem Typus fordere. 109 Vgl. für Einzelnachweise zur Rechtsprechung auch die Auflistungen bei WeberGrellet, Typus, S. 565; Fischer, DStZ 2000, S. 887 ff.; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 105 f. 102

III. Spezielle Bestimmtheitsgebote

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III. Spezielle Bestimmtheitsgebote 1. Allgemeines Auf der Suche nach Bestimmtheitsanforderungen wird man zunächst im Normtext des Grundgesetzes fündig. Eine Reihe von Verfassungsnormen stellen solche auf. Neben den bekannteren Art. 80 Abs. 1 S. 2 und Art. 103 Abs. 2 GG gehören dazu auch die Art. 97110, 101 Abs. 1 S. 2, Abs. 2111 und 104 Abs. 1112. Die Untersuchung der erstgenannten Norm wird im Rahmen dieser Arbeit ausgeklammert113. Art. 97, 101 Abs. 2 und 104 Abs. 1 GG decken keine spezifisch steuerrechtliche Thematiken ab und können deshalb im Rahmen dieser Darstellung ebenfalls vernachlässigt werden. Die Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 und 103 Abs. 2 GG sollen hingegen näher betrachtet werden.

2. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG Da das Steuerrecht über eine eigene Gerichtsbarkeit verfügt, wird Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG in diesem Rechtsgebiet selbstständig ausgestaltet, und zwar durch die Vorschriften der Finanzgerichtsordnung. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist für einen Teilbereich der Steuerrechtsordnung also Bestimmtheitsmaßstab. Diese Verfassungsnorm fordert einerseits, dass der Gesetzgeber grundsätzlich selbst den für den Einzelfall zuständigen Richter so genau bestimmen muss, wie dies gesetzestechnisch möglich ist114. Andererseits schließt dies aber nach einhelliger Ansicht die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus115. __________ 110 Dass auch Art. 97 GG ein Bestimmtheitsgebot enthält, wird häufig nicht deutlich herausgestellt. Vgl. dazu aber Geitmann, Offene Normen, S. 74. 111 Vgl. zum Charakter des Art. 101 GG als Bestimmtheitsgebot für viele MKS-Classen, GG, Art. 101 Rn 19 ff, 64. 112 Vgl. BVerfGE 14, 245/251; 22, 1/18; 51, 60/70 f.; 75, 329/340 ff.; 78, 374/387 ff.; 86, 288/311; 88, 203/337; MKS-Gusy, GG, Art. 104 Rn 26; MK-Kunig, GG, Art. 104 Rn 10. 113 Dies gilt aber nicht für die Frage, ob nicht der Maßstab, den Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG aufstellt, also die Bestimmtheit nach „Inhalt, Zweck und Ausmaß“, auch bei der Konkretisierung des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes fruchtbar gemacht werden kann, also außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereich des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. Dieser soll aber an anderer Stelle nachgegangen werden, vgl. B V 5 a). 114 Vgl. BVerfGE 2, 307/319 f.; 6, 45/50 f.; 9, 223/226; 17, 294/298; 19, 52/59 f.; st. Rspr.; MK-Kunig, GG, Art. 101 Rn 23 ff; Küttner, Garantie des gesetzlichen Richters, S. 13 f. Laut Geitmann, Offene Normen, S. 118 f., verlangt das BVerfG mit dieser Formel nicht die „theoretisch höchstmögliche“ Bestimmtheit, sondern will lediglich eine „Tendenz zur Strenge“ ausdrücken. 115 Vgl. nur BVerfGE 95, 322/330; MK-Kunig, GG, Art. 101 Rn 26; Sachs-Degenhart, GG, Art. 101 Rn 16a.

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B. Bestimmtheit

Das Bundesverfassungsgericht sieht Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG dementsprechend nur dann als verletzt an, wenn eine Regelung „mehr als (...) notwendig auf solche Begriffe zurückgreift“116. Auch im Bereich des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG reiche es aus, wenn Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen juristischen Methoden zu bewältigen seien117. Anforderungen an die Effektivität der Tätigkeit der Rechtsprechungsorgane könnten sogar die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen erforderlich machen118. In Literatur und Rechtsprechung werden fast einmütig keine Bedenken in Bezug auf die ausreichende Bestimmtheit der Vorschriften der Finanzgerichtsordnung geäußert. Lediglich Küttner hält § 81 Abs. 2 FGO wegen mangelnder Bestimmtheit des unbestimmten Rechtsbegriffes „geeignet“ für verfassungswidrig und zieht zur Begründung einen Vergleich mit der Norm des § 375 Abs. 1 ZPO heran, welche zeige, dass auch eine präzisere Regelung der gleichen Problematik möglich sei119. Seer weist in diesem Zusammenhang aber zu Recht darauf hin, dass § 375 Abs. 1 ZPO über § 82 FGO sogar sinngemäß anwendbar sei und zur Konkretisierung des Begriffs „geeignet“ folglich herangezogen werden könne120. Des Weiteren könne auf der Suche nach Anhaltspunkten für die Bestimmung eines „geeigneten“ Falles auch auf die Regelung des § 79 Abs. 3 S. 2 FGO zurückgegriffen werden121. Dass der Gesetzgeber mit der Verwendung des Begriffs „geeignet“ mehr als nötig auf einen unbestimmte Rechtsbegriff zurückgreift, ist folglich nicht erkennbar, zumal § 81 Abs. 2 FGO gerade eine Vorschrift zur Steigerung der Effektivität der Tätigkeit der Rechtsprechungsorgane ist, deren grundsätzliche „Offenheit“ sich auch über die schlechte Vorhersehbarkeit und – daraus folgend – Normierbarkeit der in Betracht kommenden Fälle rechtfertigt, die im Übrigen auch § 375 Abs. 1 ZPO nur ansatzweise erfasst. Und selbst wenn man den Verweis auf „geeignete Fälle“ für zu unbestimmt hält, so hätte dies aufgrund der sich anbietenden Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung – der Beschränkung des § 81 Abs. 2 FGO auf die Fälle des § 375 Abs. 1 ZPO – nicht die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift zur Folge. Der Auffassung von Küttner ist folglich nicht zu folgen, zumal ansonsten keine der gängigen Kommentierungen die Frage der ausreichen__________ 116 BVerfGE 95, 322/331. Vgl. dazu auch die Darstellung von MK-Kunig, GG, Art. 101 Rn 26. 117 Vgl. BVerfGE 85, 337/353; 95, 322/333; Sachs-Degenhart, Art. 101 Rn 16a. 118 Vgl. BVerfGE 95, 322/332. 119 Vgl. Küttner, Garantie des gesetzlichen Richters, S. 152 f. 120 Vgl. Tipke/Kruse-Seer, FGO, § 81 Rn 32. Vgl. auch HHSp-List, FGO, § 81 Rn 31; § 82 Rn 37 f. 121 Vgl. Tipke/Kruse-Seer, FGO, § 81 Rn 32. HHSp-List, FGO, § 81 Rn 33 hält das Verhältnis zwischen den §§ 81 Ab. 2 und 79 Abs. 3 S. 2 jedoch für ungeklärt.

III. Spezielle Bestimmtheitsgebote

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den Bestimmtheit des § 81 Abs. 2 FGO auch nur problematisiert122. In dem im Vergleich zum gesamten Regelungsumfang des Steuerrechts kleinen Bereich, in dem das Bestimmtheitsgebot des Art. 101 Abs. 1 Nr. 2 GG die Maßstäbe vorgibt, wird diesem also entsprochen.

3. Art. 103 Abs. 2 GG Im Rahmen der Untersuchung von ausdrücklich in der Verfassung normierten Bestimmtheitsanforderungen ist des Weiteren eine nähere Betrachtung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots (nullum crimen sine lege certa) notwendig, welches in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegt ist123. Auch die Tatbestände des Steuerstrafrechts müssen den Anforderungen dieser Norm entsprechen124. Bei diesen handelt es sich nach herrschender Ansicht um sog. „Blankettnormen“125. Diese Regelungstechnik soll am Beispiel des § 370 AO noch einmal dargestellt werden: Die Vorschrift enthält die Tatbestandsmerkmale „steuerlich erhebliche Tatsachen“ und „Steuern verkürzt“; die Frage nach der Strafbarkeit kann im konkreten Fall also nicht ohne Rückgriff auf das materielle Steuerrecht beantwortet werden. In diese Merkmale müssen die Vorschriften der Einzelsteuergesetze „hineingelesen“ werden, der Steuerstraftatbestand muss also gedacht werden, als ob er unter Einbeziehung der Merkmale der Einzelsteuer__________ 122 Vgl. nur HHSp-List, FGO, § 81 Rn 31; Gräber-Koch, FGO, § 81 Rn 15; Tipke/Kruse-Seer, FGO, § 81 Rn 32. 123 Vgl. grundlegend Jescheck/Weigend, AT, S. 136 f., Roxin, AT I, § 5 Rn 67 ff. Zur Handhabung dieses Bestimmtheitsgebots BVerfGE 71, 106/114; 75, 329/341; 92, 1/11 f. und zuletzt 105, 135/152 ff. 124 Vgl. für viele BVerfGE 37, 201; BGHSt 20, 177/180; BGH wistra 82, S. 108 ff.; Kohlmann, Steuerstrafrecht, Teil B Rn 14; Klein-Gast-de Haan, AO, § 369 Rn 9; § 370 Rn 1. 125 Ein Überblick über die Normen, die „Blankette“ enthalten, findet sich bei Kohlmann, Steuerstrafrecht, Teil B Rn 13. Die Einordnung als „Blankettnorm“ nimmt vor allem die Rspr. vor, vgl. BVerfG NJW 1992, 35; BGHSt wistra 1987, 139/142. Undeutlich aber BVerfG NJW 1995, 1883. Vgl. aus der Lit. Klein-Gast-de Haan, AO, § 370 Rn 5; Röckl, Steuerstrafrecht, S. 133 ff. Die gegenteilige Ansicht geht mit guten Gründen davon aus, dass es sich um „normative“ Tatbestandsmerkmale handelt, bei denen bzgl. des Vorsatzes nur eine sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“ erforderlich sei. Vgl. dazu für viele HHSp-Hellmann, AO, § 370 Rn 44 ff., der auch darlegt, dass es letztlich keine große Unsicherheiten über die praktischen Konsequenzen gebe, da von der h.M. die nötigen Konsequenzen aus der Einordnung als „Blankettnorm“, also die Anwendbarkeit des § 17 StGB bei der Unkenntnis der Steuerbarkeit von Einkünften, nicht gezogen würden. Dazu auch Tipke/Lang, Steuerrecht, § 23 Rn 46. Die Terminologie der h.M. soll deshalb auch hier zugrunde gelegt werden.

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B. Bestimmtheit

gesetze formuliert wäre126. Diese Wirkungsweise ist mit der einer sog. „dynamischen Verweisung“ vergleichbar127. Das Bundesverfassungsgericht hat die Blanketttechnik im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG als generell, also auch für den Bereich des Steuerstrafrechts, für dann verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet, wenn sich die Strafbarkeit entweder aufgrund des Blanketts selbst oder aufgrund der jeweiligen Einzelsteuergesetze, die dann einen Teil des Tatbestandes bilden, im Einzelfall voraussehen und vorausberechnen lässt128. Dadurch, dass sich die Blankette über die Einzelsteuergesetze aktualisieren, müssen aber auch die blankettausfüllenden Gesetze im strafrechtlichen Kontext den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen129. An dieser Tatsache entzünden sich einige zumindest missverständliche Aussagen, die man zuweilen in der Literatur findet: Hier hat es z.T. den Anschein, als ob eine Geltung der Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG für das gesamte Steuerrecht wegen der grundsätzlichen Strafbewehrtheit des materiellen Steuerrechts auch abseits des strafrechtlichen Bezuges angenommen würde130. Wäre dies der Fall, so würde der ungeschriebene verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht fast vollständig von Art. 103 Abs. 2 GG verdrängt. Dieser Auffassung ist allerdings nicht zuzustimmen: Wird materielles Steuerrecht, das den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht genügt, in eine Blankettnorm des Steuerstrafrechtes „hineingelesen“, so ist der so gebildete Straftatbestand wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig. Mangels rechtswirksamen Strafgesetzes kann deshalb im Einzelfall nicht bestraft werden131, es sei denn, es ist eine verfassungskonforme, d.h. hinreichend bestimmte __________ 126 HHSp-Hellmann, AO, § 370 Rn 45. Vgl. zur generellen Funktionsweise der Blanketttechnik aus der strafrechtlichen Literatur Warda, Blankettstrafgesetze, S. 18 f. und speziell zum Steuerrecht Backes, Tatbestands- und Verbotsirrtum im Steuerstrafrecht, passim; v. d. Heide, Vorsatzprobleme bei der Steuerhinterziehung, S. 34 ff. 127 Vgl. Seer, StuW 1995, S. 187. 128 Vgl. BVerfGE 14, 174/185 f.; 14, 245/252; 22, 1/18; 22, 21/25; 23, 265/269; 37, 201/208 f.; st. Rspr.; Klein-Gast-de Haan, AO, § 370 Rn 5; Kohlmann, Steuerstrafrecht, Teil B Rn 14; FGJ-Joecks, Steuerstrafrecht, AO, § 369 Rn 21. 129 Vgl. Klein-Gast-de Haan, AO, § 369 Rn 9; Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983), S. 53; Bornheim, StuW 1998, S. 154 f. 130 So z.B. Löhr, StuW 2000, S. 34 f. (unter Verweis auf Kirchhof, DStJG 21 (1998), S. 13). Zumindest undeutlich auch Kirchhof, Besteuerung nach Gesetz, S. 19; ders., Stbg 1995, S. 69; ders., DStJG 21 (1998), S. 13; ders., AöR 128 (2003), S. 39; Jachmann, StuW 1998, S. 196; Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 40. P. Kirchhof wird es wohl (ähnlich wie Tipke, StRO I, S. 144 f.) eher darum gehen, für die strafrechtlichen Implikationen komplizierten und unbestimmten Steuerrechtes zu sensibilisieren, als die Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG für das gesamte Steuerrecht auch außerhalb des strafrechtlichen Bezuges zu postulieren. Seine Ausführungen sind aber in dieser Hinsicht missverständlich und werden wohl auch z.T. so verstanden. 131 Dies wird auch zuweilen im Prozess so vorgebracht, vgl. BGH wistra 1982, 108 ff. Vgl. dazu Röckl, Steuerstrafrecht, S. 445, Nr. 22 f.

III. Spezielle Bestimmtheitsgebote

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Auslegung der betreffenden Norm möglich132. Dies bedeutet aber nicht, dass Art. 103 Abs. 2 GG dann auch, unabhängig von der Vermittlung über eine Norm des Strafrechts, den für das materielle Steuerrecht gültigen Bestimmtheitsmaßstab darstellt und die einschlägigen Anforderungen folglich allein dieser Norm zu entnehmen wären133. Wäre dies der Fall, unterfielen weite Teile der Rechtsordnung, die in irgendeiner Weise straf- oder bußgeldbewehrt sind, Art. 103 Abs. 2 GG, dessen „lex specialis“-Charakter134 somit ausgehebelt würde. Außerdem kommt es häufig vor, dass Normkomplexe erst nachträglich mit strafrechtlichen Sanktionen belegt werden, so dass möglicherweise eine inhaltliche Beschränkung durch die Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG eintritt, die vom Gesetzgeber so nie gewollt war135. In der Literatur wird zudem die Geltung des ebenfalls durch Art. 103 Abs. 2 GG angeordneten Rückwirkungsverbots für das gesamte Steuerrecht diskutiert, diese aber außerhalb des strafrechtlichen Rahmens einhellig verneint136. Diese Aussagen müssen dann aber auch zwangsläufig für das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG gelten. Eine Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG für das gesamte Steuerrecht könnte noch mittels einer Analogie begründet werden, weil es sich sowohl beim Strafals auch beim Steuerrecht um typisches „Eingriffsrecht“ handelt. Für eine solche Analogie ist aber schon mangels Regelungslücke kein Raum137. Zutreffend wird auch darauf hingewiesen, dass es sich bei einer solchen um ein „logisches Monstrum“ handeln würde, da diese ein „Analogieverbot aufgrund Analogie“138 zur Folge haben könnte. Relevant wäre diese Frage zudem nur, wenn das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot Anforderungen aufstellen würde, die über den __________ 132

Vgl. Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983), S. 51 f. Vgl. Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983), S. 49 ff. Deutlich auch Röckl, Steuerstrafrecht, S. 440 Nr. 2; Bornheim, StuW 1998, S. 155. Zwar lässt sich in der Zivilrechtsprechung auch die gegenteilige Ansicht finden (BGH NJW 1978, S. 1856 f.). Diese Entscheidung betrifft aber nur das Analogieverbot, und dieser Ansatz wurde von der Rechtsprechung, soweit ersichtlich, seitdem auch nicht mehr aufgegriffen. 134 Vgl. JP-Pieroth, GG, Art. 103 Rn 40; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 II Rn 15, 51. 135 Vgl. Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983), S. 50. 136 Vgl. nur Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 170 m.w.N.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 417 f. 137 Vgl. BVerfGE 7, 89/95. Herzog, StbJB 1985/86, S. 43 f., betont zwar die historische Nähe des steuerlichen zum strafrechtlichen Eingriff, weist aber darauf hin, dass dies nur umso deutlicher mache, dass der Parlamentarische Rat nur das strafrechtliche Analogieverbot geregelt wissen wollte. Dem Verfassungsgeber hätte es freigestanden, ein Bestimmtheitsgebot auch für andere Bereiche zu normieren. Es fehle so an einer Regelungslücke. Ebenso Walz, Steuergerechtigkeit, S. 143 f. Vgl. dazu auch Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 177; Weber-Grellet, DStR 1991, S. 444 und Barth, Rechtsfortbildung, S. 405 ff. m.w.N., die eine dem Strafrecht vergleichbare Interessenlage nicht anerkennen. 138 So Herzog, StbJB 1985/86, S. 43 f. 133

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B. Bestimmtheit

ungeschriebenen Bestimmtheitsgrundsatz hinausgingen139. Dies wird zwar allgemein so gesehen140, lässt sich aber in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bedingt verifizieren141. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Art. 103 Abs. 2 GG zwar Maßstab für Bestimmtheitsanforderungen an das Steuerstrafrecht ist, das materielle Steuerrecht aber nicht beeinflusst. Allein die Tatsache der Strafbewehrung des materiellen Steuerrechts bedeutet nicht, dass sich Bestimmtheitsanforderungen auch unabhängig vom strafrechtlichen Kontext ausschließlich nach Art. 103 Abs. 2 GG zu richten hätten. Dafür spricht zudem, dass Art. 103 Abs. 2 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu steuerrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen bisher fast keine Rolle gespielt hat142. In der jüngeren steuerrechtlichen Literatur wird versucht, den „Schutzzweck“ des Art. 103 Abs. 2 GG nutzbar zu machen, dessen Anforderungen aber im Übrigen nicht vollständig auf das Steuerrecht zu übertragen143. Das Gesetz solle zumindest so bestimmt sein, dass der Bürger in der Lage sei, die strafrechtlichen Risiken, die er durch eine steuererhebliche Handlung eingeht, einschätzen zu können144. Eine solche Aussage bleibt zwar dogmatisch vage, ihr __________ 139

Vgl. Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983), S. 54 ff. Vgl. nur Jescheck/Weigend, AT, S. 137; Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983), S. 56 ff. 141 Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur nötigen Bestimmtheit von Strafrechtsnormen ist ebenfalls von großer Zurückhaltung geprägt. Vgl. dazu auch die Einschätzung von Kunig, VVDStRL 61 (2002), S. 48; dems., Jura 1990, S. 495; Faller, Bestimmtheitsgebot, S. 78; Paulduro, Verfassungsgemäßheit von Strafrechtsnormen, S. 432; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 103 II Rn 34 ff. und die Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs von Krahl, Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, S. 338 ff. In letzter Zeit scheint sich aber eine Tendenz zu stärkeren Bestimmtheitsanforderungen abzuzeichnen, vor allem in der Rechtsprechung des 2. Senats. Vgl. dazu BVerfG NStZ 1989, S. 229; BVerfGE 105, 135/152 ff. (Vermögensstrafe). Ähnlich auch die Einschätzung von Vogel in der FAZ vom 10.12.2003. 142 Die einzige Ausnahme bildet insofern BVerfGE 99, 216/243. In diesem Beschluss wird Art. 103 Abs. 2 GG zwar nicht explizit erwähnt, im Zusammenhang mit „defizitärer“ Gesetzgebung wird aber zumindest auf deren strafrechtliche Implikationen verwiesen: „Das rechtsstaatliche Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Steuerlasten und die Besteuerungsgleichheit fordern eine Einfachheit und Klarheit der gesetzlichen Regelungen, die dem nicht steuerrechtskundigen Pflichtigen erlauben, seinen – strafbewehrten (§ 370 AO) – Erklärungspflichten nachzukommen“. 143 Diesen „Mittelweg“ geht Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 117/281 ff. (relativierend aber wiederum S. 283). Vgl. auch Kirchhof/Söhn-Seiler, EStG, § 51 B 60 ff. Er postuliert ein Gebot gesteigerter Bestimmtheit, das aber nicht in vollem Umfang der durch Art. 103 Abs. 2 GG gebotenen entsprechen soll. Ähnlich Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 39 m.w.N., der ebenfalls vom „Schutzgedanken“ des Art. 103 Abs. 2 GG spricht. In diesem Sinne ist wohl auch BVerfGE 99, 216/243 zu verstehen. 144 Vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 281. 140

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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wird man aber eher zustimmen können als der Behauptung, Art. 103 Abs. 2 GG fände im Steuerrecht direkt oder analog Anwendung. Es bleibt also bei der grundsätzlichen Feststellung, dass geschriebene grundgesetzliche Bestimmtheitsanforderungen fast keine Relevanz für das Steuerrecht erlangen. Für die Masse der Vorschriften gilt nur der ungeschriebene verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz Der Bedeutung, die dem ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz als hauptsächlichem Ansatzpunkt für Bestimmtheitsanforderungen an das Steuerrecht zukommt, soll nicht nur durch eine umfassende Analyse seiner verfassungsdogmatischen Wurzeln Rechnung getragen werden145. In diesem Kontext spielt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine überragende Rolle, die den Grundsatz in der Rechtswirklichkeit erst effektuiert. Sie bildet daher den Ausgangspunkt der nachfolgenden Betrachtungen.

1. Der Bestimmtheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a) Generelle Anmerkungen Die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Bestimmtheitsanforderungen im Steuerrecht ist bis heute von großer Zurückhaltung geprägt. Dies wird daran deutlich, dass bisher noch nie ein Steuergesetz wegen Unbestimmtheit für verfassungswidrig erklärt wurde. Den Gründen, die das Gericht zu dieser nachsichtigen Rechtsprechung veranlassten, wobei es sich in einzelnen Entscheidungen gegen die herrschende Auffassung in der Literatur und eine langjährige obergerichtliche Rechtsprechung wandte, soll deshalb besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Im Folgenden werden einige Entscheidungen aus der Frühzeit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung dargestellt, welche aufgrund der Tatsache, dass in ihnen Maßstäbe gesetzt und Anforderungen aufgestellt werden, an denen das Gericht z.T. bis heute festhält, die Bezeichnung „Leitentscheidung“ verdienen. Noch viel umfangreicher ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheitsgrundsatz außerhalb des Steuerrechts. Deren __________ 145

Dazu sogleich B IV 2.

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B. Bestimmtheit

ausführliche Darstellung ist aber im Rahmen dieser am Steuerrecht orientierten Untersuchung nicht erforderlich und auch bereits anderweitig verfügbar146.

b) Die Leitentscheidungen zum Steuerrecht aa) BVerfG vom 10.10.1961 (BVerfGE 13, 153) In diesem Beschluss aus dem Jahr 1961 äußert sich das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal zu Bestimmtheitsanforderungen an formelle Steuergesetze147. Gegenstand ist der unbestimmte Rechtsbegriff „wenn die Darlehensgewährung eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt“ aus § 3 KVStG, der als mit den „Grundsätzen des Rechtsstaats“148 vereinbar angesehen wird. Auffällig ist der gerichtliche Prüfungsansatz: Es übernimmt die „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, ergänzt um die Forderung nach Bestimmtheit des „Gegenstandes“, auch für den Bereich der Einzelaktsermächtigungen149 und untersucht in vorbildlicher Weise150 § 3 KVStG anhand dieses Programms151. Das Gericht konkretisiert diese Formel mit der Forderung nach „Messbarkeit und Berechenbarkeit“ der konkreten Steuerlast für den Bürger, die in diesem Beschluss der Sache nach zum ersten Mal auf__________ 146

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die ausführliche Untersuchung von Geitmann, Offene Normen, der sich ausführlich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Bestimmtheitsfragen auseinander setzt. Auch wenn nur der Zeitraum bis 1970 erfasst ist, so bleiben doch die wesentlichen Erkenntnisse bis heute gültig. Enthalten ist auch eine Übersicht über sämtliche Entscheidungen (S. 167 ff.) 147 BVerfGE 7, 267/272 ff. und 7, 282/291 ff. betrafen nur Rechtsverordnungen zum UStG und somit ausschließlich den Bereich des Art. 80 Abs.1 S. 2 GG. Vgl. dazu auch die Übersicht bei Geitmann, Offene Normen, S. 167 ff. 148 BVerfGE 13, 153/160. Der als solcher nicht selbstständig bezeichnete Bestimmtheitsgrundsatz wird hergeleitet aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Gewaltenteilung und der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. 149 Ausführlich zu diesem Ansatz B V 5 a). 150 Dies betrifft sowohl den Umfang als auch die Intensität der Prüfung. In späteren Entscheidungen belässt es das Bundesverfassungsgericht häufig selbst bei viel problematischeren Normen bei dem bloßen Hinweis, dass sich der Inhalt durch Auslegung bestimmen lasse, ohne jedoch selbst diese Auslegung nachvollziehbar vorzunehmen. Exemplarisch dafür ist die Entscheidung 26, 1/10 zum Begriff der „Schulden, die (...) der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen“ in § 8 Nr. 1 GewStG a.F. Vorbildlich zuletzt BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 109 ff. 151 Verfehlt ist die Ansicht von Geitmann, Offene Normen, S. 116, nach dessen Auffassung die Anwendung der Formel in dieser Entscheidung nur dem Schein nach erfolgte. Auch wenn das Gericht die einzelnen Prüfungspunkte bis auf den „Gegenstand“ nicht so benennt, lassen sie sich der Sache nach durchaus zuordnen.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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gestellt wird und auch spätere Entscheidungen zu dieser Thematik prägt152. Im Zuge der Analyse führt das Gericht aus, dass die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Allgemeinen unbedenklich sei. Diese könnten gerade im Steuerrecht dazu beitragen, den Grundsatz der Belastungsgleichheit zu verwirklichen, weil sie dem Rechtsanwender die Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalls ermöglichen. Im Fortgang weist das Gericht nach, dass auch der konkrete unbestimmte Rechtsbegriff verfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil sich durch Auslegung ergebe, dass ein Darlehen in der Regel dann eine „durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung“ ersetze, wenn es für Investitionszwecke verwandt wird. Diese Auslegung sei auch für den Steuerpflichtigen vorhersehbar153. Zudem klingt schon ein Gedanke an, der erst in späteren Entscheidungen vollständig entwickelt wird154, nämlich dass die Steuerpflicht durch den unbestimmten Rechtsbegriff eher begrenzt als erweitert wird und der Steuerpflichtige deshalb weniger schutzwürdig ist155. Diese Entscheidung hat von verschiedenen Seiten Kritik erfahren. So wird z.B. das Argument der Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit durch unbestimmte Normen deshalb angezweifelt, weil es die letzte Konsequenz einer solchen Annahme wäre, jegliche gesetzliche Bindung der Verwaltung abzulehnen: Erst dann könnte sie jedem Einzelfall vollständig „gerecht“ werden. Dies sei aber unvereinbar mit der Gewaltenteilung und den Grundrechten156. Zusätzlich wird kritisiert, dass das Bundesverfassungsgericht zu wenig beachtet habe, dass das „Gebotensein“ einer Kapitalzuführung subjektive Kriterien bezeichne. Der Steuerpflichtige habe aber aus Art. 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG einen Anspruch darauf, nur aufgrund objektiv fassbarer Normen belastet zu werden157. An anderer Stelle wird bemängelt, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Auslegung der Norm auf vom Bundesfinanzhof entwickelte Grundsätze beruft und diese gerichtliche Konkretisierung der Prüfung zugrunde __________ 152 Hier wird die Formel noch mit dem einschränkendem Zusatz „in gewissem Umfang“ gebraucht, der später teilweise nicht mehr verwandt wird. Vgl. dazu die nur wenig später ergangene Entscheidung BVerfGE 19, 253/267 und BVerfGE 50, 57/93, wo nur noch die „Berechenbarkeit“ gefordert wird, in letztgenannter Entscheidung sogar unter – so zu pauschalem – Verweis auf BVerfGE 13, 153/160. Umfassend dazu B V 3 b). 153 Vgl. zu diesen Erwägungen im Einzelnen BVerfGE 13, 153/160 ff. 154 Vgl. für viele BVerfGE 48, 210/222 (dazu sogleich B IV 1 b) ee)). 155 Vgl. BVerfGE 13, 153/162. Der letztgenannte Aspekt bleibt unausgesprochen, ist aber Voraussetzung für die Schlüssigkeit des Arguments. Geitmann, Offene Normen, S. 149 hält diesen Ansatz für falsch und verweist zu Recht darauf, dass im Grundsatz jedes einfache Tatbestandsmerkmal als „einschränkend“ zu qualifizieren sei. 156 Vgl. Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 409 f. 157 Vgl. Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 410.

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B. Bestimmtheit

legt. Der Bestimmtheitsgrundsatz jedoch richte „sich nicht an den Richter, sondern an den Gesetzgeber“158.

bb) BVerfG vom 14.12.1965 (BVerfGE 19, 253) In dieser Entscheidung billigt das Bundesverfassungsgericht die Ermächtigung der Hamburger Evangelisch-lutherischen Kirche durch den Staat Hamburg, Kirchensteuern durch Satzung festzulegen und zu erheben. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der „Tatbestandsmäßigkeit“ der Besteuerung als Bezeichnung für rechtsstaatliche Bestimmtheitsanforderungen im Steuerrecht auch vom Bundesverfassungsgericht übernommen159. Das Gericht fordert zudem, bis dato gebrauchte Formulierungen verschärfend160, dass „steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann“161. Im konkreten Fall stellt das Gericht fest, dass die – sich nur aus Gewohnheitsrecht ergebende – Globalermächtigung zur Kirchensteuererhebung deshalb nicht gegen den Grundsatz der „Tatbestandsmäßigkeit“ verstößt, weil die Kirchensteuerordnungen der Evangelisch-lutherischen Kirche die „Voraussetzungen der Steuerpflicht sowie Bemessungsgrundlage, Höhe und Erhebung der Kirchensteuer im Einzelnen festlegen“, daher könne sich jeder Steuerpflichtige „über Grund und Umfang seiner Steuerpflicht im Voraus vergewissern“162. Im Jahr 1986 musste das Bundesverfassungsgericht diese Frage in nahezu identischer Form noch einmal beurteilen. Hier billigte es die im neu geschaffenen Hamburger Kirchensteuergesetz befindliche Globalermächtigung zur Kirchensteuererhebung, an seine im Beschluss von 1965 angestellten Erwägungen anknüpfend, ebenfalls als ausreichend bestimmt163.

__________ 158 159

Geitmann, Offene Normen, S. 45 (der zusätzlich auf BVerfGE 26, 1/10 verweist). Vgl. BVerfGE 19, 253/267. Vgl. zum Begriff der „Tatbestandsmäßigkeit“ auch B

VI 4. 160 Vgl. die in BVerfGE 13, 153/160 gebrauchte Formel, nach der die Steuer „in gewissem Umfang“ berechenbar sein solle. 161 BVerfGE 19, 253/267. Diese „Vorausberechnungsformel“ hat in der Literatur viel Kritik erfahren, die vor allen Dingen daran Anstoß nimmt, dass das Gericht den Maßstab in seiner Rechtsprechung zwar postuliert, aber der Sache nach niemals angewandt hat. Vgl. dazu B V 3 b). 162 BVerfGE 19, 253/267. 163 Vgl. BVerfGE 73, 388/400.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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cc) BVerfG vom 14.3.1967 (BVerfGE 21, 209) Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte 1967 die Verfassungsmäßigkeit der §§ 175, 176 des Lastenausgleichgesetzes zu überprüfen. Diesen Vorschriften ließen sich keine Aussagen bezüglich der Art und Weise der Verrechnung einer Abgabenschuld auf Zinsen und Tilgung entnehmen; sie sollten deshalb nach Auffassung der Beschwerdeführerin in verfassungswidriger Weise unbestimmt sein. Zur notwendigen Bestimmtheit führt das Gericht Folgendes aus: „Diesem Erfordernis ist auch bei Steuerrechtsnormen genügt, wenn der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit trifft; er braucht nicht jede einzelne Frage zu entscheiden und ist hierzu angesichts der Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge vielfach auch gar nicht in der Lage“164. Nach Auffassung des Gerichts ist dieses Erfordernis bei den §§ 175, 176 LAG noch gewahrt, denn Steuerpflicht und Steuergegenstand seien hinreichend genau getroffen. Die Art und Weise der Verrechnung sei demgegenüber untergeordnet und lasse sich durch Auslegung der in Rede stehenden Normen bestimmen165. Diese Entscheidung wird in der Literatur zuweilen als „Relativierung“ der bisherigen „strikten Rechtsprechung zur erforderlichen Bestimmtheit steuerlicher Normen“ gedeutet166, wobei mit „strikter Rechtsprechung“ die in der Entscheidung vom 10.10.1961 konstituierten Grundsätze gemeint sind, die von der weiteren Rechtsprechung übernommen und zur „Vorausberechungsformel“ modifiziert wurden.

dd) BVerfG vom 19.4.1978 (BVerfGE 48, 210) Exemplarisch für die große Toleranz des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen durch den Steuergesetzgeber steht bis heute auch diese Entscheidung, in der das Gericht den Begriff „aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig“ in § 34 c Abs. 3 EStG a.F. billigt167. Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass bereits eine langjährige Rechtsprechung verschiedener Senate des BFH bestand, die diese Norm wegen __________ 164

BVerfGE 21, 209/215. Vgl. BVerfGE 21, 209/215. 166 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 300 f. In der Einschätzung ähnlich Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 476, 482; HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 69. 167 Jetzt § 34 c Abs. 5 EStG. 165

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B. Bestimmtheit

ihrer Unbestimmtheit für unvereinbar mit der Verfassung hielten168. Diese mussten die Frage aber nie gem. Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen, da es in den zu entscheidenden Fällen nicht auf die Gültigkeit der Norm ankam. Der Bundesfinanzhof führte zur Begründung der Verfassungswidrigkeit in erster Linie an, dass der Begriff der „Volkswirtschaft“ ein überaus komplexes Gebilde bezeichne und dass dementsprechend „volkswirtschaftliche Gründe“ aus einer nicht mehr überschaubaren Anzahl von Quellen herrühren könnten. Zudem habe der Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt, die relevanten Gründe auf die „Außenwirtschaft“ zu begrenzen. Nicht einmal dies sei erfolgt169. Es handele sich somit nur noch um eine „vage Generalklausel“, die als solche den „Grundsätzen des Rechtsstaats“ widerspreche170. Die damalige Literatur beurteilte diese Frage ähnlich, jedoch mit anderer Begründung: Es wurde darauf hingewiesen, dass der Vorbehalt des Gesetzes auch Steuerbefreiungen umfasse. Das aus diesem folgende Legalitätsprinzip verbiete gerade die Verlagerung der Entscheidungsbefugnis in dieser politisch wichtigen Frage171. Als schließlich das Bundesverfassungsgericht 1978 nach einem Vorlagebeschluss des FG Düsseldorf172 mit dieser Frage befasst wird, entscheidet es überraschend und nicht auf die ungeteilte Zustimmung der Literatur treffend173 mit folgender Argumentation gegenteilig: Zum einen seien Bestimmtheitserfordernisse schon deshalb gelockert, weil entscheidend für diese die Eigenarten des geregelten Sachbereichs und das Ausmaß der Grundrechtsbetroffenheit seien. § 34 c Abs. 3 EStG ermächtige aber nicht zu einem belastenden Verwaltungsakt, sondern habe das Ziel, den Steuerpflichtigen zu entlasten, was zu einer stark verminderten Grundrechtsbetroffenheit führe174. Zudem entfalte § 34c __________ 168 Vgl. 4. Senat vom 13.1.1966 (BFHE 85, 399/404 ff.); 6. Senat vom 10.7.1970 (BFHE 99, 376/378 f.). 169 BFHE 85, 399/406. Kritisiert wird zudem die fehlende Beschränkung auf eine Antragstellung durch den Steuerpflichtigen und die Ermächtigung der Verwaltung, bereits dann zu handeln, wenn sie es für „zweckmäßig“ hält. 170 BFHE 85, 399/404. Ähnlich BFHE 99, 376/378, wo der Argumentation aus BFHE 85, 399/404 ff. vollständig beigetreten wird. 171 Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 170. Ähnlich Bayer, StuW 1972, S. 155 (mit Verweis auf die Aufgabenstellung der Finanzbehörden durch das Grundgesetz). 172 EFG 1975, 116 f. 173 Kruse, Steuerrecht I, S. 56, verneint die ausreichende Vorhersehbarkeit der Handhabung dieser Vorschrift, woran auch die vorgesehene Zustimmung der Obersten Finanzbehörden der Länder nichts ändere: „Das Gesetz spiegelt eine ‚Legitimität durch Verfahrenǥ vor, doch die Steuerlast bleibt unvorhersehbar und unberechenbar“. Schneider, Gesetzgebung, S. 47 (Fn 31) vermutet jedoch, dass die Tatsache, dass im Gesetz die ausschließliche Entscheidungsbefugnis der Obersten Finanzbehörden der Länder vorgesehen ist, für das Gericht den Ausschlag zur Billigung gab. 174 BVerfGE 48, 210/222.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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Abs. 3 EStG ein hinreichend konkretisiertes Normprogramm, weil sich zumindest aus der Systematik des Gesetzes ergebe, dass die Verwaltung nur spezifisch außenwirtschaftliche Gründe berücksichtigen dürfe und dass die Anwendung der Norm auf solche Sachverhalte beschränkt sei, die eine schnelle, einzelfallbezogene Reaktion der Finanzbehörden erforderten und somit gesetzlicher Regelung gar nicht zugänglich seien175. Die Besonderheit dieser Entscheidung wird im Allgemeinen darin gesehen, dass das Bundesverfassungsgericht sich in der Begründung weniger auf die Voraussehbarkeit der Anwendungsweise der Norm durch die Verwaltung für den Steuerpflichtigen konzentriert, als vielmehr den Schwerpunkt auf die sachgerechte Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Exekutive setzt176. Es sollte kein Einzelfall bleiben: Der Beschluss markiert im Gegenteil den Beginn einer Tendenz in der gesamten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Problematik der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vermehrt auch unter kompetenziellen Gesichtspunkten zu würdigen177.

ee) BVerfG vom 11.5.1988 (BVerfGE 78, 214) Dieser Beschluss betrifft zwar in erster Linie die Frage nach der Zulässigkeit von Typisierungen und Pauschalierungen durch die Finanzverwaltung178, doch in jenem Rahmen prüft das Gericht auch die Verfassungsmäßigkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe „Notwendigkeit“ und „Angemessenheit“ in den §§ 33 Abs. 2 und 33 a Abs. 1 EStG. Neben der Wiederholung der üblichen Grundsätze zur Zulässigkeit solcher Begriffe, also des Verweises auf die grundsätzliche Notwendigkeit, im Steuerrecht auf diese zurückzugreifen179, welche aber durch die Tatsache begrenzt werde, dass die „Freiheit des Bürgers nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung“ gelegt werden dürfe, wird wieder die „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel angewandt180. Auf den Maßstab, dass eine Norm so bestimmt sein müsse, dass der Steuerpflichtige seine Steuerschuld „vo__________ 175

Vgl. BVerfGE 48, 210/223 ff. mit der Schlussfolgerung, dass das Verwaltungshandeln für den Einzelnen voraussehbar und in der Tendenz berechenbar sei. 176 Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 136 ff., die aber zu Recht auf den Widerspruch hinweist, dass erhöhte Grundrechtsbetroffenheit höhere Bestimmtheitsanforderungen rechtfertigen soll, andererseits aber gesetzliche Unbestimmtheit als Mittel zur Verwirklichung von (prinzipiell grundrechtsschützender) Einzelfallgerechtigkeit angesehen wird. 177 Vier Monate später betont der gleiche (2.) Senat diesen Gedanken auch in BVerfGE 49, 89/138 („Kalkar“). 178 Vgl. dazu auch die Rezension von Osterloh, JuS 1990, S. 100 ff. 179 Vgl. BVerfGE 78, 214/226, hier schon als „st. Rspr.“ bezeichnet. 180 Vgl. BVerfGE 78, 214/226.

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B. Bestimmtheit

rausberechnen“ könne, wird nicht mehr zurückgegriffen. Die untersuchten Normen werden dann ohne offen gelegte Subsumtion gebilligt. Bemerkenswert ist, dass das Gericht dem Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit in diesem Zusammenhang im Vergleich zu einigen früheren Entscheidungen weit weniger Bedeutung beimisst: In diesen wurde gesetzliche Unbestimmtheit damit gerechtfertigt, dass sie der Verwaltung erlaube, auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen (s.o.). Nun wird gesetzliche Unbestimmtheit, die sich daraus ergibt, dass „offene“ Gesetze Raum für Typisierungen durch die Verwaltung lassen, damit gerechtfertigt, dass das Steuerrecht die Besonderheit habe, auf raschen und effizienten Gesetzesvollzug angelegt zu sein und deshalb „langjährige Prüfungen der steuerpflichtigen Tatbestände (...) schon aus praktischen Gründen die Ausnahme bleiben“ müssen181. Zugespitzt ausgedrückt: Während früher Gesetze unbestimmt sein durften, damit die Verwaltung den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragen kann, dürfen Gesetze jetzt unbestimmt sein, damit Raum für Typisierungen und Pauschalierungen durch die Verwaltung bleibt, also um den Besonderheiten des Einzelfalles nicht Rechnung zu tragen. Inwieweit dem Gericht in dieser Auffassung und in seiner gesamten Rechtsprechung zum ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht in ihren unterschiedlichen Ausprägungen über die Jahre hinweg zu folgen ist, darüber soll die nun folgende verfassungsrechtliche Analyse dieses Rechtsinstituts näheren Aufschluss geben182.

2. Analyse Die Existenz von „ungeschriebenem“ Verfassungsrecht kann auf zwei verschiedene Arten nachgewiesen werden: Über Herleitungsketten aus geschriebenen Verfassungsnormen oder durch die Ableitung aus Rechtsprinzipien183. Einer Literaturauffassung zufolge ist der Bestimmtheitsgrundsatz der letztgenannten Art zuzuschlagen, da der Ausgangspunkt der Argumentation hier in der „Steuerungsfunktion des Rechts“ bestünde184. Diese Beobachtung trifft, wenn man sich die vorherrschende Deutung des Bestimmtheitsgrundsatzes in Literatur und Rechtsprechung vor Augen führt, hinsichtlich des Existenznachweises weitgehend zu. Das Bestreben richtet sich im Regelfall aber nicht nur darauf, die Existenz eines Bestimmtheitsgrundsatzes nachzuweisen oder in Frage zu __________ 181

BVerfGE 78, 214/226 ff., besonders S. 228. Vgl. dazu auch B VI 3. 183 Vgl. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 250 ff. 184 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 252. Vgl. zum „Steuerungscharakter des Rechts“ auch Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn 100 ff. 182

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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stellen, vielmehr soll dessen dogmatisches Fundament gefestigt und präzisiert werden. Zu besagter Festigung werden dann aber verschiedene geschriebene Verfassungsinstitute herangezogen185. Dazu passt die Einschätzung von Lerche, nach der bei einer „weitgehenden Gewissheit im Ziel“ unterschiedliche „Verfassungsstützen“ bemüht werden186. Im Zusammenhang mit der verfassungsdogmatischen Herleitung des Bestimmtheitsgrundsatzes lassen sich in der Literatur zwei Phänomene beobachten, die häufiger im Umfeld ungeschriebener Verfassungsnormen dieser Art auftreten: Ein „Rechtsnormentausch“ und eine „Normenkumulation“187. Dies bedeutet, dass bei gleichbleibendem Ergebnis – der Anerkennung eines ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes – zur Begründung entweder völlig unterschiedliche Verfassungsnormen (Rechtsnormentausch) oder mehrere Verfassungsnormen in ihrer Gesamtheit (Normenkumulation) herangezogen werden188. In Literatur und Rechtsprechung lassen sich drei grundsätzliche Ansatzpunkte für eine solche finden, nämlich das Rechtsstaatsprinzip, das Demokratieprinzip und die Grundrechte mit den jeweiligen Unterprinzipien. Diese Ansatzpunkte sollen im Fortgang näher untersucht werden.

a) Rechtsstaatsprinzip Bei der Herleitung des Bestimmtheitsgrundsatzes durch Rechtsprechung und Literatur spielen zunächst solche verfassungsrechtlichen Institute eine besondere Rolle, die herkömmlicherweise dem „Rechtsstaatsprinzip“ zugerechnet werden189. Als Ansatzpunkt zur näheren Bestimmung und Überprüfung der in diesem Zusammenhang relevanten Unterprinzipien soll hier der sog. „Preisgesetzbeschluss“ des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.1958 dienen, in dem dieses erstmals190 detailliert darlegt, auf welchen verfassungs__________ 185

Vgl. für viele Geitmann, Offene Normen, S. 77 ff.; Gassner, ZG 1996, S. 39 ff. Lerche, Übermaß, S. 72 f. Kritisch dazu R. Müller, Normenklarheit, S. 2. 187 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 262. 188 So leitet z.B. Kunig (Rechtssstaatsprinzip, S. 399 ff.) Bestimmtheitsanforderungen allein aus den Grundrechten ab. Osterloh sieht dagegen nur den Vorbehalt des Gesetzes als „sedes materiae“ des Bestimmtheitsgrundsatzes an (Gesetzesbindung, S. 109 ff.). Gassner, ZG 1996, S. 39 ff. und Geitmann, Offene Normen, S. 77 ff. stehen exemplarisch für Begründungsansätze, die verschiedene Rechtsinstitute in ihrer Gesamtheit heranziehen, auch wenn diesen im Einzelnen unterschiedliche Aussagekraft zugesprochen wird. 189 Vgl. zur Heterogenität des Rechtsstaatsprinzips und der Vielzahl von Normen, die als Rechtsstaatselemente gelten, Sobota, Rechtsstaat, S. 27 ff.; 399 ff.; Hartmann/Walter, Auslegung von Steuergesetzen, S. 104 ff. 190 BVerfGE 8, 274. In früheren Entscheidungen beschränkte sich das Gericht noch auf den Hinweis auf „rechtsstaatliche Grundsätze“ und Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfGE 1, 14/45, vgl. auch zuletzt noch E 86, 288/311). 186

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B. Bestimmtheit

dogmatischen Wurzeln der Bestimmtheitsgrundsatz im Bereich des Rechtsstaatsprinzips seiner Auffassung nach fußt: Angesprochen werden die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, das Prinzip der Gewaltenteilung und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG191. In der Literatur lässt sich jeder dieser Ansätze wiederfinden, wenn auch teilweise abweichende Schwerpunkte gesetzt werden192.

aa) Rechtssicherheitsprinzip Das Prinzip der Rechtssicherheit gehört zu den in Rechtsprechung193 und Literatur194 am häufigsten genannten, wenn es um den Ursprung des Bestimmtheitsgrundsatzes geht195.

(1) Recht und Rechtssicherheit Sowohl in Rechtsphilosophie als auch -soziologie besteht Einigkeit darüber, dass Rechtssicherheit nicht nur ein Teilaspekt einer idealtypischen Rechtsordnung ist, sondern dass die Herstellung von Rechtssicherheit eine der „Hauptaufgaben des Rechts“ darstellt196. Teilweise wird vertreten, dass „Rechtssicherheit“ den Rechtsbegriff überhaupt erst konstituiere197. Diese sei dann „dritter Bestandteil“ der Rechtsidee neben Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit198. Darüber __________ 191

BVerfGE 8, 274/325 f. Vgl. die Kommentarliteratur als Übersicht zu den verschiedenen Begründungsversuchen des Bestimmtheitsgrundsatzes, vor allem Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 117 ff.; MK-Schnapp, GG, Art. 20 Rn 30. Ausführlich auch Gassner, ZG 1996, S. 37 ff. 193 Vgl. für viele BVerfGE 49, 168/181; 59, 104/114; 62, 169/183; 80, 103/107. 194 Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177/181 f.; Geitmann, Offene Normen, S. 78 f.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 89 ff.; Sobota, Rechtsstaat, S. 133; Jachmann, Fiktion, S. 662 f., Lerche, Übermaß, S. 71; Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 265; Rümelin, Rechtssicherheit, S. 9. 195 Geitmann, Offene Normen, S. 78, sprach zwar 1970 noch davon, dass Rechtssicherheit „nur selten als Begründung für Bestimmtheitserfordernisse genannt“ würde. Diese Einschätzung trifft heutzutage aber nicht mehr zu. 196 Formulierung bei Zippelius, Wesen des Rechts, S. 103. Ähnlich Leisner, Kontinuität, S. 99 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 1 m.w.N. Zur geistesgeschichtlichen Entwicklung des Rechtssicherheitsgedankens vgl. Coing, Rechtsphilosophie, S. 145 ff.; Leisner, Kontinuität, S. 11 ff. 197 BVerfGE 60, 253/267 f. Vgl. auch Stern, Staatsrecht I, S. 829; Lerche, Übermaß, S. 67; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 257; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 163; Zippelius, Methodenlehre, S. 8 f.; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 487. 198 Vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 390, 444; Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S. 141 ff. 192

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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hinaus sei Rechtssicherheit eine der wesentlichen Legitimationen für Staatsgewalt199. Zippelius beschreibt dies folgendermaßen: „Die Sorge für Rechtssicherheit, das heißt für Rechtsfrieden, Ordnung, Verlässlichkeit und Konsequenz im Zusammenleben, ist eine der Hauptaufgaben des Rechts. Eine eindeutige und verlässliche Verhaltensordnung gewährleistet, dass wir in äußerem Frieden miteinander auskommen. Sie trägt dazu bei, dass man sichere Dispositionsgrundlagen für ein zukunftsbezogenes Handeln hat. Sie ermöglicht es, dass man die Früchte seiner Arbeit genießt (oder sie wenigstens in geordneter Weise an das Finanzamt verliert)“200. In der Rechtssoziologie wird betont, dass Rechtssicherheit Verhaltenserwartungen stabilisiert und so gesellschaftliche Interaktion steuert201. Laut Habermas kommt es darauf an, „Dämme stabiler Verhaltenserwartungen gegen den geschichtlichen Variationsdruck zu errichten“202. Üblich ist es in beiden wissenschaftlichen Disziplinen, Rechtssicherheit in die Unterprinzipien Realisierungssicherheit und Orientierungssicherheit aufzugliedern. Orientierungssicherheit benennt dabei einen Zustand, in dem der Einzelne den Inhalt einer gesetzlichen Regelung kennt und sein Verhalten an dieser Kenntnis ausrichten kann, weil die zu erwartenden Rechtsfolgen seines Handelns für ihn voraussehbar sind. Realisierungssicherheit bezeichnet darüber hinaus die Gewissheit, dass Normen auch beachtet und durchgesetzt werden203. Beide Teilaspekte ergänzen sich, denn ohne Realisierungssicherheit kann keine hinreichende Orientierungssicherheit bestehen. Deutlich wird der enge Zusammenhang zwischen Gesetzesbestimmtheit und Orientierungssicherheit: Letztere besteht nur, wenn für den Adressat einer Regelung die zu erwartenden Rechtsfolgen „messbar und berechenbar“ sind204. Dies kann aus zwei Gründen nicht der Fall sein: Zum einen könnte schon die Bestimmung der für die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts einschlägigen Norm scheitern, z.B. aufgrund überkomplexen oder widersprüchlichen Rechts. Dieses Problem ist dem Klarheitsgrundsatz zuzuordnen und wird an anderer Stelle behandelt205. Der Bestimmtheitsgrundsatz berührt einen anderen Aspekt __________ 199

Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 163 m.w.N. Der Legitimationsgedanke findet sich schon bei Hobbes, Leviathan, Kap. 17. 200 Zippelius, Wesen des Rechts, S. 103. 201 Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts, S. 73 ff., ders., Rechtssoziologie, S. 43; Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn 100 ff.; Röhl, Rechtssoziologie, S. 239 ff. Vgl. zum Ansatz Luhmanns auch Leisner, Kontinuität, S. 113 ff. 202 Habermas, Faktizität, S. 269. 203 Begriffsprägung bei Geiger, Vorstudien, S. 64 f. Vgl. dazu auch Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 163 ff; Barth, Rechtsfortbildung, S. 542; Leisner, Kontinuität, S. 106 ff.; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 173 (Fn 15). 204 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 438 f. 205 Vgl. C IV 1.

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B. Bestimmtheit

der Orientierungssicherheitsproblematik: Selbst wenn die einschlägige Regelung ohne weiteres festgestellt werden kann, so kann diese doch u.U. so „offen“ formuliert sein, dass deren Normbefehl nicht zu erfassen ist. Dieses Problem stellt sich besonders für die zur Rechtsanwendung berufenen Organe: Deren Entscheidungsfindung wird durch das Gesetz nicht mehr in ausreichendem Maße determiniert. Auch für diese staatlichen Instanzen besteht aber ein Bedürfnis nach Orientierungssicherheit206. Dies wirkt wiederum auf den Bürger als Adressaten der aufgrund der betreffenden Norm ergehenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung zurück: Er kann zusätzlich zu seiner eigenen Rechtsunsicherheit das Verhalten der gesetzesanwendenden Organe nicht mehr vorhersehen, was seine Orientierungssicherheit, in diesem Fall nicht verstanden als „individuelle Verhaltenssicherheit“, sondern als „allgemeine Verkehrssicherheit“, weiter beeinträchtigt207.

(2) Rechtssicherheit und Grundgesetz Wenn, wie dargelegt, die Herstellung von Rechtssicherheit eine der zentralen Funktionen von „Recht“ überhaupt ist, so verwundert es nicht, wenn sich ein „Rechtssicherheitsprinzip“ auch in der Verfassung wiederfinden lässt bzw. diesem Verfassungsrang zukommt. Eine Untersuchung des Verfassungstextes aber bringt hier keinen Fortschritt: Das Grundgesetz enthält an keiner Stelle die Ausdrücke „Rechts-“ oder „Orientierungssicherheit“208. Trotzdem ist es in Rechtsprechung und Literatur letztlich unumstritten, dass auch das Grundgesetz Rechtssicherheit als Prinzip mit Verfassungsrang anerkennt und dieses sogar ein „Kernelement“209 des Rechtsstaatsprinzips darstellt210. Lediglich hinsichtlich der dogmatischen Herleitung bestehen Kontroversen: Einer Auffassung nach ist das Rechtssicherheitsprinzip als wesentliches Ele__________ 206 Grundlegend dazu Henkel, Rechtsphilosophie, S. 438. Vgl. auch Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 141. 207 Zusammenfassend zu dieser Problematik Barth, Rechtsfortbildung, S. 546. 208 Darauf verweisen auch Hartmann/Walter, Auslegung von Steuergesetzen, S. 102; Barth, Rechtsfortbildung, S. 544. 209 Formulierung bei Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 116. 210 Vgl. Leisner, Kontinuität, S. 198: „In einem Verfassungsstaat wie dem der Bundesrepublik Deutschland kann ein Rechtsgrundsatz der Rechtskontinuität nur auf der höchsten Ebene der Normenhierarchie verankert werden: der Verfassung“. Kritisch hier nur MD-Herzog, GG, Art. 20 VII Rn 61, der „einen Verfassungsrang“ des Rechtssicherheitsprinzips für „mehr als zweifelhaft“ hält. Herzog nimmt hier aber nur an dem seiner Meinung nach zu allgemeinen Begriff der „Rechtssicherheit“ Anstoß. Er plädiert für eine stärkere Ausdifferenzierung in Unterprinzipien, denen er dann aber Verfassungsrang zuweist, so dass es sich in der Sache um keine abweichende Auffassung handelt. Herzogs Ansatz referiert auch Sobota, Rechtsstaat, S. 156.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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ment von „Rechtsstaatlichkeit“ unmittelbar Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips, also letztlich in Art. 20 Abs. 3 GG normativ verankert211. Eine andere Literaturstimme bemängelt die Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip hingegen als zu pauschal212: In Art. 20 Abs. 3 GG werde nur der Vorrang des Gesetzes ausdrücklich normiert, der höchstens mittelbar Rechtssicherheit gewährleiste, indem er eine Normenhierarchie konstituiere. Der richtige Anknüpfungspunkt sei bei den Freiheitsgrundrechten zu suchen: Diese würden verbindliche Entscheidungen über den Konflikt zwischen individueller Freiheit und staatlichen Zielen herbeiführen und dadurch Rechtssicherheit gewährleisten. Die in ihrem Regelungsbereich ergehenden Maßnahmen müssten für den Bürger voraussehbar und berechenbar213 sein und so individuelle Verhaltenssicherheit gewährleisten214. Diese Beobachtung ist richtig, versagt aber da, wo der grundrechtsrelevante Bereich verlassen wird. Oben dargelegte rechtsphilosophische und -soziologische Erwägungen verdeutlichen jedoch, dass auch im nicht grundrechtsrelevanten Bereich – da es sich gleichfalls um „Recht“ handelt – ein Bedürfnis nach Orientierungssicherheit besteht und das Rechtssicherheitsprinzip folglich nicht unbekannt ist. Es ist deshalb eine differenzierte Betrachtung notwendig: Es ist die Aufgabe der Staatsstrukturprinzipien, grundlegende Phänomene des Rechts zu bündeln und der Verfassung zugrunde zu legen. Die Forderung nach Rechtssicherheit, die als solche konstitutiv für den Rechtsbegriff ist bzw. zumindest als eine der „Hauptaufgaben“ des Rechts angesehen wird, ist deshalb direkt im Rechtsstaatsprinzip anzusiedeln215. __________ 211 So die Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 7, 194/196; 21, 245/260 f.; 49, 148/164; 59, 104/114; 60, 253/267. Vgl. aus der Literatur HbStR IISchmidt-Aßmann, § 26 Rn 81; Sobota, Rechtsstaat, S. 154 ff; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 134; Leisner, Kontinuität, S. 148 m.w.N. 212 Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 390 ff. 213 Leisner, Kontinuität, S. 356 ff., unterscheidet zwischen „Vorhersehbarkeit“ und „Berechenbarkeit“: Vorhersehbarkeit müsse nur „reine Vorausschau“ ermöglichen, Berechenbarkeit hingegen beziehe alles ein, womit der Betrachter „rechnen könne“. Solche begrifflichen Ausdifferenzierungen, wenn man sie denn für begründet hält, mögen im Rahmen der Rückwirkungsproblematik Bedeutung entfalten, als Bezeichnung des rechtsstaatlichen Kriteriums „Orientierungssicherheit“ sind sie jedoch gleichzusetzen. Zum Verständnis von „Berechenbarkeit“ als „Ausrechenbarkeit (der Steuerlast)“ vgl. B V 3 b). 214 Vgl. Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 390 ff. Ausführlich zu dieser Auffassung auch Barth, Rechtsfortbildung, S. 544 f. Sie wird verständlicher, wenn man sich das Anliegen Kunigs vor Augen führt, einzelne zwar prinzipiell anerkannte Elemente des Rechtsstaatsprinzips, deren Existenz aber meist nur behauptet wird, wieder stärker normativ an die Verfassung rückzukoppeln. Vgl. dazu B IV 2 c) dd) und Papier/ Möller, AöR 122 (1997), S. 181, der in BVerfGE 62, 169/183 und 88, 366/379 Anklänge an Kunig sieht. 215 Etwas anders geht Leisner im Rahmen ihres Versuchs eines Neuentwurfs einer Rechtssicherheitsdogmatik vor (vgl. dies., Kontinuität, S. 406 ff.), der in erster Linie auf

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B. Bestimmtheit

Dabei ist zu beachten, dass das Prinzip der Rechtssicherheit so fundamental ist, dass es darüber hinaus auch durch andere Verfassungsnormen abgebildet wird, etwa durch die Funktionsweise der Grundrechte216. Mit dem ausschließlichen Rückgriff auf die grundrechtlichen Eingriffsvorbehalte besteht aber nicht unbedingt ein Gewinn an normativer Klarheit gegenüber der unmittelbaren Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip, denn auch bei diesen liegt keine explizite normative Verankerung des Rechtssicherheitsprinzips im Sinne eines Anhaltspunktes im Verfassungstext vor217. Man kann beide Argumentationsmuster aber als sich ergänzende Facetten begreifen, wobei ein Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip ohne konkreteren normativen Anknüpfungspunkt notwendig ist, um den Grundsatz der Rechtssicherheit vollständig zu erfassen, also auch im nicht grundrechtsrelevanten Bereich. Einen Erkenntnisgewinn hat aber die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Begründungsversuchen für ein „Rechtssicherheitsprinzip“ schon jetzt hervorgebracht: Dieses ist ebenso fundamental wie vage und liegt eher der Rechtsordnung zugrunde, als dass es durch sie konstituiert wird. Ein Ableitungsversuch von konkreten Bestimmtheitsanforderungen aus dem Rechtssicherheitsprinzip ist somit über die bloße Feststellung hinaus, dass Gesetze ein nicht weiter bestimmbares Mindestmaß an Rechtssicherheit gewährleisten müssen, nicht möglich. Dazu ist es aufgrund des rechtsprinzipiellen Charakters zu abstrakt218. Gefunden wurde aber ein Ansatzpunkt, auf dem bei der Suche nach Bestimmtheitsanforderungen aus dem Rechtsstaatsprinzip aufgebaut werden kann.

(3) Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit Die oben dargestellte Funktionsweise von „offenen“ Normen, die der Exekutive weite Spielräume lassen, hat nicht nur nachteilige Effekte, wie z.B. den ___________ Art. 3 Abs. 1 GG basiert, aber auch noch weitere geschriebene Verfassungsnormen mit einbezieht (Freiheitsgrundrechte, Ewigkeitsgarantie). 216 Vgl. im Einzelnen Leisner, Kontinuität, S. 199 ff. 217 Anderer Ansicht ist hier Kunig, Jura 1990, S. 497, der darauf verweist, dass bei den Grundrechten zumindest im Vergleich zu Art. 20 Abs. 3 GG weiter gehende Ansatzpunkte im Wortlaut bestünden. Dies betreffe z.B. den Begriff der „Regelung“ in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, auf den das BVerfG auch in E 76, 171/188 zurückgegriffen habe. Vor einer Überbewertung der Aussagekraft des grundrechtlichen Normtextes warnt aber Osterloh, Gesetzesbindung, S. 120 (Fn 48). 218 Lerche, Übermaß, spricht S. 72 vom „allzu allgemeinen“ Rechtssicherheitsprinzip. Vgl. zum Prinzipiencharakter des Rechtssicherheitsgedankens auch Leisner, Kontinuität, S. 169 ff. m.w.N. Dies schließt aber nicht aus, dass Rechtssicherheitsvorstellungen rechtsgebietsspezifisch konkretisiert werden können und deshalb auch im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes größere Aussagekraft entfalten. Vgl. dazu B V 3.

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Verlust von Rechtssicherheit für den Normadressaten. „Offene“ Normen ermöglichen es, ein höheres Maß an Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten, als dies ein eng geschnürtes „normatives Korsett“ könnte, das naturgemäß die Eventualitäten des Lebens weniger berücksichtigen kann und somit im Zweifel die Möglichkeiten des Rechtsanwenders einengt, dem Einzelfall gerecht zu werden219. Das Streben nach materieller Gerechtigkeit ist als notwendiges Element materialen Rechtsstaatsdenkens220 und als eine der konstitutiven Voraussetzungen für die Rechtsidee als solche aber ein der Rechtssicherheit mindestens gleichwertiges Prinzip221. Es besteht also neben dem hohen Abstraktionsniveau des Rechtssicherheitsprinzips ein weiterer Grund, der verhindert, dass dieses über seinen heuristischen Wert hinaus für die Konturierung des Bestimmtheitsgrundsatzes unmittelbar fruchtbar gemacht werden kann: Das Spannungsverhältnis zwischen den Forderungen nach Rechtssicherheit und materieller Einzelfallgerechtigkeit222. Diese Spannung kann nicht vollständig zu Lasten eines der Prinzipien aufgelöst werden, vielmehr ist es Aufgabe der Gesetzgebung, diesen „rechtsstaatlichen Zielkonflikt“ durch Abwägung zu einem Ausgleich zu führen. Dies kann nur durch Optimierung beider Leitideen im Sinne einer „praktischen Konkordanz“ geschehen, also indem diesen in der Verwirklichung im Rahmen der gesetzgeberischen Tätigkeit Grenzen gezogen werden, so dass beide möglichst weitgehend realisiert werden können223. Zu Recht wird auch darauf hingewiesen, dass es ein „Gebot größtmöglicher Vorhersehbarkeit durch größtmögliche Gesetzesbestimmtheit“224, welches prinzipiell der Forderung nach Rechtssicher__________ 219 Vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 77 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 89; Braun, Verw-Arch 76 (1985), S. 53; Geitmann, Offene Normen, S. 79 m.w.N. 220 Ausführlich dazu Sobota, Rechtsstaat, S. 90 ff. 221 Vgl. nur HbStR II-Schmidt-Aßmann, § 26 (Fn 257); Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 78, 103. Auf die Gleichrangigkeit Wert legen auch MD-Herzog, GG, Art. 20 VII Rn 61; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 77 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 132. 222 BVerfGE 3, 225/237; 9, 223/226 f.; 15, 313/319 f.; 20, 336/344; 41, 323/326; 48, 1/22; st. Rspr.; HbStR II-Schmidt-Aßmann, § 26 Rn 81; Zippelius, Methodenlehre, S. 9; Seuffert, BB 1972, S. 1066; Raether, Prinzip des Rechtsstaats, S. 45; Löhlein, Zulässigkeit rückwirkender Steuergesetze, S. 124. Ausführlich auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 123 ff. Vgl. zum Gedanken, dass das Prinzip der Rechtssicherheit gegen andere Prinzipien abgewogen werden muss, auch Habermas, Faktizität, S. 270. Radbruch, SJZ 1946, S. 107, bezeichnet den Gegensatz zwischen beiden Grundsätzen als „Konflikt der Gerechtigkeit mit sich selbst“. Vgl. dazu Leisner, Kontinuität, S. 110 ff. 223 Gusy, DVBl. 1979, S. 576; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 89 f.; Geitmann, Offene Normen, S. 79. Vgl. zu Begriff und Funktionsweise „praktischer Konkordanz“ nur BVerfGE 17, 306/314 und Hesse, Verfassungsrecht, Rn 72. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 132 f. bedauert die im Vergleich zur Grundrechtsdogmatik fehlenden strukturierten Abwägungskriterien. 224 Formulierung bei HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 686 (mit Verweis auf angeblich missverständliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts). Ein solch radikaler

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heit am meisten gerecht würde, schon allein wegen des Allgemeinheitsgebots des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG nicht geben könne. Diese Verfassungsnorm bedinge ein gewisses Maß an Unbestimmtheit, damit einer gesetzlichen Regelung überhaupt ein abstrakt-genereller Charakter zukomme, der nötig sei, damit die Norm eine Vielzahl von Fällen umfassen könne225.

bb) Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG Als weitere Wurzel des Bestimmtheitsgrundsatzes wird häufig die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG genannt, die auch das Bundesverfassungsgericht in seinem „Preisgesetzbeschluss“ heranzieht226. Nach einhelliger Auffassung stellt diese ein selbstständig normiertes Teilelement des Rechtsstaatsprinzips dar227. Gegenüber dem Rechtssicherheitsprinzip besteht der Vorteil, dass die Rechtsweggarantie ausdrücklich im Verfassungstext enthalten ist und somit ein normativer Ansatzpunkt für Überlegungen besteht. Dies könnte zu Hoffnungen berechtigen, zu konkreteren Aussagen über die Gestalt des Bestimmtheitsgrundsatzes zu gelangen. Über diese Möglichkeit bestehen jedoch in der Literatur kontroverse Auffassungen. Die Grundüberlegung der Autoren, die aus Art. 19 Abs. 4 GG Bestimmtheitsanforderungen ableiten wollen, drückt Papier so aus: „Die gerichtliche Kontrolle exekutiver Maßnahmen ist eine streng gesetzesakzessorische, keine beliebige. Die gerichtlichen Beurteilungs- und Prüfungsmaßstäbe sind identisch mit den Verhaltensnormen der Exekutive. Es ist mit anderen Worten Aufgabe und Kompetenz des Normgebers, die Macht der Exekutive zu begrenzen. Die rechtsprechende Gewalt ist allein dazu berufen, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen. Die Judikative soll messen, nicht aber selbst die Grundlagen und Maßstäbe des Messens finden. Diese Grundeinsichten führen zwangsläufig zu einer „Verdünnung“ der Gerichtskontrolle, wenn und soweit die Steuerungskraft und Maßstabsfähigkeit der Rechtssätze fehlen“228. Mit anderen Worten: Wo die Exekutive keinen Maßstab hat, da fehlt er auch der Judikative. Für diese verlangt aber Art. 19 Abs. 4 GG einen solchen, damit die Ge___________ Ansatz klingt aber in den zitierten Entscheidungen nicht an, vielmehr verweist das Gericht regelmäßig darauf, dass eine gewisse „Offenheit“ von Regelungen durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zulässig und unvermeidbar sei, vgl. nur BVerfGE 21, 73/80; 35, 348/358 f.; 37, 132/142. 225 HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 686 m.w.N. 226 Vgl. nur BVerfGE 8, 274/326; danach z.B. E 21, 73/79; 22, 330/345 f.; 34, 52/60; 34, 165/193; 52, 1/41; st. Rspr.; zuletzt 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 110. 227 Vgl. für viele MD-Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 IV Rn 15. 228 Papier, DStJG 12 (1989), S. 65; ähnlich Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 180 f.

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richte ihrer Funktion gerecht werden können. Dies muss dann auch für die Exekutive gelten, mit der Folge, dass deren Handlungsanweisungen, die Gesetze, hinreichend bestimmt sein müssen229. Dagegen wird Folgendes eingewandt: Jede Norm sei grundsätzlich justiziabel, und sei sie noch so unbestimmt230. Zu einem völligen Funktionsverlust der Rechtsprechung, der gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstieße, könne es deshalb nicht kommen. Diese Verfassungsnorm enthalte keine Aussage über die Regelungsdichte des Gesetzes, das der zu überprüfenden Maßnahme zugrunde liege231. Die Rechtsschutzaktivität könne sich von vornherein nur im vorgegebenen materiell-rechtlich Rahmen entfalten, da nur der Gesetzgeber dazu befugt sei, über die Konstitution subjektiver Rechte zu entscheiden232. Art. 19 Abs. 4 GG gewähre kein materielles Recht, er setze es voraus233. Durch einen Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 GG mache man sich deshalb „die Sache zu einfach“234. Zudem wird auf die Feststellung der Rechtsprechung hingewiesen, dass Art. 19 Abs. 4 GG den Gesetzgeber nicht daran hindere, der Exekutive „normativ eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume“ einzuräumen, an denen die gerichtliche Kontrolle ihre Grenzen finde235. Zu dieser Kontroverse ist festzustellen: Die Kritik an der Ableitung von Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG ist dann berechtigt, wenn man aus dieser Norm ein „Verrechtlichungsgebot im Sinne einer normativen Verdichtung“236 entnimmt. Dies ist nicht die Aufgabe von Art. 19 Abs. 4 GG, und das kann diese Norm auch gar nicht leisten. Will man Art. 19 Abs. 4 GG so verstehen, wäre die Warnung davor, „möglichst vielen Rechtsinstituten über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus möglichst viele Zusatzaufträge“ aufzubürden, berechtigt237. Über den Umfang, in dem er der Verwaltung Freiräume schafft, bestimmt prinzipiell der Gesetzgeber. Die Kriteriengewinnung durch __________ 229 Vgl. für die weiteren Vertreter dieser Ansicht Gusy, DVBl. 1979, S. 576; AK GGFrankenberg, Art. 20 Rn 36 f. In der Rspr. lässt sich dieses Begründungsmuster nach BVerfGE 8, 274/326 u.a. noch in 21, 73/79; 31, 255/264; 37, 132/142; 47, 239/247; 50, 42/48; 52, 1/41; 59, 104/114; 63, 312/323; 78, 214/226 wiederfinden. 230 Kunig, Jura 1990, S. 497; Gassner, ZG 1996, S. 42. 231 Geitmann, Offene Normen, S. 82 f.; Lerche, Übermaß, S. 72 f; Jesch, AöR 82 (1957), S. 236 ff.; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 54. 232 Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 91. 233 Geitmann, Offene Normen, S. 82 (im Anschluss an BVerfGE 15, 275/281); Braun, VerwArch 76 (1985), S. 54. 234 Geitmann, Offene Normen, S. 83. 235 Vgl. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 91 unter Bezugnahme auf BVerfGE 88, 40/56 (im Anschluss an BVerfGE 61, 82/111; 84, 34/50). Vgl. jetzt auch BVerfGE 103, 142/156 f. 236 So die Formulierung von Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 91. 237 MD-Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 IV Rn 13 (unter Bezugnahme auf diese Problematik).

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die Gerichte ist aber ihrer Natur nach eine „materiell-akzessorische“238. Wollte man dem gerade die Gewährung des Rechtsweges durch die Verfassung entgegen halten, so gelangt man bedrohlich in die Nähe einer zirkelschlüssigen Argumentation. Deutlich wird dies auch in folgender Aussage des Bundesverfassungsgerichts in einer neueren Entscheidung: „Gerichtliche Kontrolle endet also dort, wo das materielle Recht der Exekutive in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Entscheidungsprogramme vorzugeben“239. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Der Aussage des Gerichts lässt sich aber entnehmen, dass die Frage, ob diesem genügt wird, der Bestimmung der Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG vorgelagert ist. Der Bestimmtheitsgrundsatz muss danach mit außerhalb von Art. 19 Abs. 4 GG liegenden Mitteln konkretisiert werden. Richtig ist aber, dass ein tauglicher Rechtsschutz, der prinzipiell auch eine „tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle“240 im Sinne einer ausreichenden Kontrolldichte umfasst241, dann versagen muss, wenn das zuständige Gericht jeglichen materiellen Kriteriums zur Überprüfung von Entscheidungen entbehrt, weil es auch der Exekutive an einem solchen mangelt. Insoweit ist eben nicht jede Norm justiziabel242. Man kann also durchaus noch den Standpunkt einnehmen, dass Art. 19 Abs. 4 GG zumindest einen Anhaltspunkt dafür bietet, dass Normen im Regelfall über eine gewisse Bestimmtheit verfügen müssen, um rechtsstaatlichen Erfordernissen zu genügen. Greifbare Kriterien, ab wann eine Norm nicht mehr bestimmt genug ist, lassen sich aber redlicherweise in Art. 19 Abs. 4 GG nicht finden. Insbesondere enthält diese Verfassungsnorm kein Postulat einer über die Auslegbarkeit hinausgehenden „Bürgerfreundlichkeit“ des Gesetzes243. Sie ist also für die Suche nach Bestimmtheitsanforderungen weitgehend unergiebig und deshalb zu vernachlässigen. Dazu muss auf weitere Verfassungsprinzipien rekurriert werden244. __________ 238

BVerfGE 88, 40/58; 103, 142/156 f. BVerfGE 103, 142/156 f. Vgl. dazu MD-Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 IV Rn 184. Tendenziell anders aber jetzt 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 110. 240 BVerfGE 35, 263/274; 40, 272/275; 42, 128/130; 51, 268/284; 61, 82/111; 77, 275/284; 84, 34/49; 93, 1/13; 96, 27/39; 101, 106/122; 101, 397/407; st. Rspr. 241 Vgl. dazu aus der Kommentarliteratur Sachs-Krüger/Sachs, GG, Art. 19 Rn 145 f.; MKS-Huber, Art. 19 Rn 511 ff. MK-Krebs, GG, Art. 19 Rn 65 spricht davon, dass die Frage nach der gebotenen gerichtlichen Kontrolldichte zu den „schwierigsten, deren Beantwortung die Rechtsschutzgarantie des Abs. 4 aufgibt“, gehöre. 242 Ähnlich Gusy, DVBl. 1979, S. 576; Jachmann, Fiktion, S. 670. 243 Jachmann, Fiktion, S. 670. 244 Ähnlich Papier, Gewaltentrennung, S. 104; Kunig, Jura 1990, S. 497. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 129 spricht von „bemerkenswerter Ambivalenz“, durch die sich das Rechtsschutzgebot ggü. Bestimmtheitsanforderungen auszeichne. 239

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Auf einen weiteren Aspekt der Rechtsschutzgarantie weist Osterloh hin: Dieses Verfassungsgebot ziehe das Bundesverfassungsgericht nicht nur zur Begrenzung gesetzlicher Unbestimmtheit heran. Es werde ihm gleichzeitig auch eine Kompensationsfunktion gegenüber mangelnder gesetzlicher Bestimmtheit zugesprochen, weil ein Letztentscheidungsrecht der unabhängigen und unparteilichen Gerichte Bestimmtheitsdefizite ausgleichen könne245. Auch aus diesem Grund verbiete es sich, Verschärfungen des Bestimmtheitsgrundsatzes aus der Rechtsschutzgarantie herauszulesen246. Letztlich stellt sich die Frage, ob man aus der Kontrollkompetenz der Gerichte Rückschlüsse auf Anforderungen an Handlungsanweisungen für die Exekutive ziehen kann, eher als solche nach der richtigen Ausgestaltung der Funktionengliederung des Grundgesetzes im Sinne der Kompetenzzuordnung der Gewalten dar247, auf die im Rahmen einer Betrachtung des Gewaltenteilungsgrundsatzes des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG noch eingegangen werden muss. Art. 19 Abs. 4 GG liefert lediglich einen „Impuls für möglichst weitreichende Bestimmtheit“248. Nicht anders ist aber auch die Erwähnung der Rechtsweggarantie durch das Bundesverfassungsgericht im „Preisgesetzbeschluss“ zu verstehen.

cc) Gewaltenteilungsgrundsatz Als weiteres Verfassungsinstitut, das zur Herleitung des allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatzes fruchtbar gemacht werden könnte, gerät somit die Gewaltenteilung ins Blickfeld. Das Grundgesetz bekennt sich zu dieser in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 sowie in den Überschriften der Abschnitte VII bis IX, wobei eine grundsätzliche Regelung über das Postulat des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 hinaus fehlt249. Nach übereinstimmender Auffassung handelt es sich aber auch unabhängig von einer Normierung in der Verfassung um ein klassisches Element von Rechtsstaatlichkeit250, dessen Wichtigkeit durch 2500 Jahre Philosophiegeschichte unterstrichen wird251. Der Grundge__________ 245 BVerfGE 33, 303/341; 41, 251/265; 44, 105/116; 49, 168/181 ff. Skeptisch aber zuletzt BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 149: „Verfahrensgarantien, insbesondere gerichtlicher Rechtsschutz, vermögen aber nicht einer insgesamt unbestimmten Norm zur Bestimmtheit verhelfen“. 246 Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 129 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 80. 247 Vgl. MK-Krebs, GG, Art. 19 Rn 65. 248 Kunig, Jura 1990, S. 497. 249 Sobota, Rechtsstaat, S. 72. Vgl. zur beschränkten Aussagekraft des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auch Hesse, Verfassungsrecht, Rn 477. 250 Vgl. exemplarisch HbStR II-Schmidt-Aßmann, § 26 Rn 47 ff.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 125 ff. 251 Grundlegend zum Gewaltenteilungsgrundsatz Montesquieu, Geist der Gesetze I, S. 214 ff., der im Anschluss an John Locke und antike Vorbilder (Plato, Aristoteles und

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danke ist der, dass das Gewaltmonopol des Staates durch die Gewaltenteilung, die als rechtsstaatliches Organisationsprinzip für eine politische Machtverteilung und damit auch Machtmäßigung sorgt, kompensiert werden kann und dadurch die bürgerliche Freiheit gesichert wird252. Dieses Prinzip führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung immer wieder an, wenn es um die Begründung von Bestimmtheitserfordernissen geht253. Im „Preisgesetzbeschluss“ wird der zugrunde liegende Gedankengang ausformuliert: „Sind die Vollmachten der Exekutive nicht hinreichend bestimmt, so führt sie nicht mehr das Gesetz aus und handelt nicht mehr nach den Richtlinien des Gesetzgebers, sondern entscheidet an dessen Stelle. Das verletzt den Gewaltenteilungsgrundsatz“254. Die Exekutive sehe sich nach einem solchen Rückzug der Legislative nur noch der Judikative gegenüber, die durch ihre Entscheidungsvorgaben sowohl „programmiert als auch kontrolliert“255.

(1) Der klassische Gewaltenteilungsbegriff Diese Argumentation des Bundesverfassungsgerichts setzt aber voraus, dass es ein vorgefasstes, abstraktes Gewaltenteilungsschema mit einer klaren Aufgabenzuteilung und Trennung der Gewalten gibt. Nur vor diesem Hintergrund könnte die pauschale Aussage Bestand haben, dass die vollziehende Gewalt nur darauf beschränkt sei, das Gesetz auszuführen. Diese Konzeption von Gewaltenteilung ist aber verfassungsdogmatisch überholt256. Hierfür gibt auch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu wenig her: Dieser konstituiert keine Trennung, nur eine Unterscheidung der staatlichen Funktionen und weist selbst den einzelnen Organe keine Aufgaben und Befugnisse zu257. Das Verhältnis der Gewalten ist an ande___________ Polybios, vgl. dazu Kägi, Gewaltenteilungsprinzip, S. 13 ff.) bereits zwischen gesetzgebender, vollziehender und richterlicher Gewalt unterscheidet. Vgl. auch Art. 16 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1791), wonach die Gewaltenteilung eine konstitutive Voraussetzung für den Begriff „Verfassung“ ist. Zur Gewaltenteilung bei Montesquieu vgl. auch Hoffmann, AöR 34 (1995), S. 20 ff. 252 BVerfGE 3, 225/247; 34, 52/59; 95, 1/15; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 81; HbStR II-Schmidt-Aßmann, § 26 Rn 49; HbStR II-Di Fabio, § 27 Rn 9; Papier, Gewaltentrennung, S. 95; Küster, AöR 75 (1949), S. 402. 253 Grundlegend BVerfGE 8, 274, 325; 13, 153/161; 20, 150/157. 254 BVerfGE 8, 274/325 (unter Verweis auf BVerfGE 6, 32/42; 8, 71/76 und BVerwGE 2, 114/116). Dieser Grundgedanke wurde zur st. Rspr. des Gerichts und lässt sich noch in BVerfGE 62, 168/182 finden. 255 Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 180. 256 Vgl. nur Horn, Grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 257 ff.; dens.; AöR 127 (2002), S. 437 ff. Hesse, Verfassungsrecht, Rn 482; H. Seiler, Gewaltenteilung, S. 87 ff., 285 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 93. 257 Vgl. MK-Schnapp, GG, Art. 20 Rn 41; Schnapp, VVDStrL 43 (1985), S. 190; v. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 334.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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rer Stelle im Grundgesetz ausführlich geregelt. Dementsprechend ist auch die Gewaltenteilung in der Verfassungswirklichkeit ausgeprägt: Hier begründen die einzelnen, sich gegenseitig kontrollierenden Gewalten ein System der „checks and balances“, in dem es zu Gewaltenverschränkungen im Sinne von Gewichtsverschiebungen innerhalb der Gewalten kommt258, so dass die klassische Gewaltenteilung durchbrochen wird. Die Exekutive erhält so eine selbstständige Rolle in der grundgesetzlichen Gewaltenordnung, eine „Komplementärfunktion“, welche mit einer reinen Gesetzesvollzugsdoktrin259 nicht vereinbar ist260. Es ist deshalb schon aufgrund dieser allgemeinen Erwägungen nicht möglich, trennscharf zwischen einer Legislative, die ausschließlich determiniert, und einer Exekutive, die nur vollzieht und in diesem Rahmen vollständig determinierbar ist, zu unterscheiden261. Der Verwaltung kommt ein Bereich eigener Rechtskonkretisierung und Entscheidung zu, zudem kann sie u.U. in ihrem Aufgabenbereich selbstständig tätig werden262. Einen konkreten Lösungsansatz zur Problematik der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsdichte bietet ein pauschaler Verweis auf den Grundsatz der Gewaltenteilung also nicht263. Diese Erkenntnis hilft jedoch, das Problem präziser in der Verfassung zu verorten: Eine Lösung wird sich nur über eine nähere Bestimmung des grundsätzlichen Verhältnisses von Exekutive und Legislative finden lassen. Diese Bestimmung kann aber nur über eine Abgrenzung der verschiedenen Kompetenzen und Aufgabenbereiche erfolgen, also über den materiellen Inhalt der staatlichen Funktionen264, für den Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG selbst zu wenig Anhaltspunkte liefert.

__________ 258 BVerfGE 30, 1/28; 68, 1/86; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 73; MKSchnapp, GG, Art. 20 Rn 40; MD-Herzog, Art. 20 V Rn 11 ff., 37 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn 495 f. (mit umfangreichen Beispielen). Vgl. zum Gedanken der „checks and balances“ auch Hamilton/Madison/Jay, Federalist Papers, S. 319 ff. (Paper 51). 259 Vgl. dazu Gassner, ZG 1996, S. 43 m.w.N. 260 Hesse, Verfassungsrecht, Rn 536 ff.; Dreier, VerwArch 1979, S. 253. 261 V. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 334 weist darauf hin, dass schon Montesquieus Gewaltenteilungslehre in ihren naturrechtlichen Wurzeln weder tatsächlich noch ihrem Anspruch nach eine „trennscharfe Funktionsdifferenzierung des gesamten Staatshandelns“ bot. Darauf verwiesen im Übrigen schon im Jahr 1787 Hamilton/Madison/Jay in den Federalist Papers, S. 302 ff. (Paper 47 f.). 262 Ausführlich dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rn 537. 263 Übereinstimmend Geitmann, Offene Normen, S. 81; Gassner, ZG 1996, S. 44; Papier, Gewaltentrennung, S. 104; ders., DStJG 12 (1989), S. 65; Lerche, Übermaß, S. 72; Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 190; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 229; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 74. 264 So schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 614.

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B. Bestimmtheit

(2) Gewaltenteilung als Funktionentrennung Auch das Bundesverfassungsgericht selbst betont mittlerweile, dass „staatliche Entscheidungen möglichst richtig, d.h. von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“265. Diesem sog. Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur266 kommt als Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips ebenfalls Verfassungsrang zu267. Im Mittelpunkt steht bei diesem Ansatz nicht die Sicherung der Freiheit durch Machtbalance, sondern der verfassungsrechtliche Status und die Leistungsfähigkeit eines Staatsorgans268. Treibt man diesen Gedanken auf die Spitze, so könnte es sogar u.U. verfassungsrechtlich geboten sein, dass der Gesetzgeber der Verwaltung durch „offene“ Normen weitgehende Gestaltungsspielräume einräumt, wenn diese im konkreten Fall das funktional „richtigere“ Organ zur Sachentscheidung wäre269. Der Ansatz für eine Präzisierung des Bestimmtheitsgrundsatzes über den Grundsatz der Gewaltenteilung ist somit über dessen Ausgestaltung als „grundgesetzliche Funktionenordnung“ zu suchen, die durch eine „kompetenzrechtliche Komponente“270 geprägt ist. Anhand von funktionstypischen Merkmalen ist ein Versuch der Kompetenzzuweisung möglicherweise erfolgreicher. Dies entspricht insoweit auch dem im Rahmen von Art. 19 Abs. 4 GG gefundenen Ergebnis. Wie oben dargelegt, ist die Verwaltung nicht ausschließlich durch die Legislative fremdgesteuert, es kommt ihr nach heute herrschender Auffassung ein selbstständiger Platz in der verfassungsrechtlichen Ordnung der staatlichen Funktionen zu271. Zu diesem Ergebnis führen aber Erwägungen in Form von __________ 265

BVerfGE 68, 1/86 f.; 95, 1/15; 98, 218/251 f. Vgl. auch BVerwGE 72, 300/317. Umfassend dazu v. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 329. Vgl. auch HbStR IISchmidt-Aßmann, § 24 Rn 50 (der in diesem Zusammenhang von einer „zweiten Richtung“ spricht); HbStR II-Di Fabio, § 27 Rn 10; HbStR III-Ossenbühl, § 62 Rn 48 ff.; dens., DÖV 1980, S. 545 ff.; Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 ff.; Horn, Grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 260 ff.; Kuhl, Kernbereich der Exekutive, S. 130 ff.; Groß, Kollegialprinzip, S. 200 ff. Als „Entdecker“ dieses Grundsatzes gilt Otto Küster, AöR 75 (1949), S. 397 ff. 267 So ausdrücklich V. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 331 ff. 268 HbStR III-Ossenbühl, § 62 Rn 48 f; Stern, Staatsrecht II, S. 536 ff. Lerche, Gewaltenteilung, S. 79 weist auf die weitgehende Einigkeit darüber hin, dass „heutige Gewaltenteilung Effizienz und Optimierung im Auge habe“. 269 Dieser Gedanke klingt ebenfalls an bei Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 149. 270 V. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 336. 271 Vgl. zur näheren Konkretisierung der Charakteristika eines solchen „Kernbereiches der Exekutive“ Kuhl, Kernbereich der Exekutive, S. 141 ff. und die Referate von Maurer und Schnapp auf der Staatsrechtslehrertagung 1984 (vgl. VVDStRL 43 (1985), S. 135 ff., 172 ff.) Auch das BVerfG geht von der Existenz eines unantastbaren Kernbereichs der jeweiligen Gewalt aus, vgl. nur BVerfGE 95, 1/15. 266

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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Annäherungen an einen „richtig“ verstandenen Begriff der Exekutive, zu denen der Gewaltenteilungsgrundsatz selbst nichts beiträgt. Das liegt auch daran, dass dieser in seiner rechtsstaatlichen Dimension selbst nicht genügend Anhaltspunkte für den Inhalt der Funktionen liefert, deren Trennung er anordnet272. Dazu muss auf andere Grundgesetznormen Bezug genommen werden, die das Verhältnis der Gewalten näher konkretisieren, wie z.B. die Ausgestaltung der einzelnen Organe durch die Verfassung273. Es zeigt sich, dass es auch hier schwierig ist, zu präziseren Aussagen darüber zu gelangen, wo die Grenze parlamentarischer Delegation zu ziehen ist, durch die ja die Rolle der Exekutive zu Lasten der Legislative gestärkt würde274. Der normative Sinn der Gewaltenteilung wird zuweilen sogar nur in der „Organisationsregel, nach der die einheitlich verstandene und nach dem demokratischen Prinzip auf das Volk bezogene Staatsgewalt funktionsorientiert ausgestaltet und gegliedert werden muss“275, gesehen. Dies mag überspitzt ausgedrückt sein. Es macht aber deutlich, dass man, um die grundgesetzliche Funktionenordnung näher beleuchten zu können, vor allem das Demokratieprinzip wird untersuchen müssen, innerhalb dessen sich der Gewaltenteilungsgrundsatz als Organisationsprinzip erst entfalten kann276. Über die Aussage, dass dem Grundsatz der Gewaltenteilung zumindest in seiner Ausprägung als Funktionentrennung ein kompetenzzuweisender Gehalt zukommt, dieser aber subsidiären Charakter hat und mit außerhalb von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG liegenden Mittel bestimmt werden muss, wird man deshalb an dieser Stelle nicht hinauskommen277. Ein Ansatzpunkt für weitere Erkenntnisse könnte das __________ 272 Vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 187 f.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 74; Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 190; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 229; Horn, AöR 127 (2002), S. 440. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, warnt S. 95 wiederum davor, dem Prinzip der Gewaltenteilung zu wenig Aussagekraft beizumessen, weil sonst „die Verfassung Organe ohne eigenen originären Kompetenz- und Funktionsbereich institutionalisiert hätte“. 273 Hesse, Verfassungsrecht, Rn 481; v. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 339; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 74. 274 MK-Schnapp, GG, Art. 20 Rn 41 beklagt dementsprechend, dass der Grundsatz der funktionsgerechten Organstruktur bisher keine „deutlichen Strukturen“ angenommen hätte. 275 V. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 334 (im Anschluss an Böckenförde, Richterwahl, S. 64; dens., Organisationsgewalt, S. 79). 276 Diesen Ansatz betont Horn, Grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 260 ff. V. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 330 spricht von der Verdrängung der „Vorstellung der balancierenden Gewaltenhemmung zugunsten einer zunehmenden Hierarchisierung der Staatsfunktionen unter dem Leitgedanken der möglichst unmittelbaren Herstellung demokratischer Legitimation“. Zum Demokratieprinzip im Zusammenhang mit Gewaltenteilung sogleich B IV 2 b) bb). 277 Ebenso Gassner, ZG 1996, S. 45, der zu Recht davon spricht, dass das funktionell verstandene Gewaltenteilungsprinzip „für die Entscheidung über die verfassungsrecht-

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B. Bestimmtheit

im Anschluss zu behandelnde rechtsstaatliche Gesetzlichkeitsprinzip sein, dem Aussagen über das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive zu entnehmen sind.

dd) Gesetzlichkeitsprinzip Als letzter „klassisch“ rechtsstaatlicher Aspekt wird zur Konturierung des Bestimmtheitsgrundsatzes das Prinzip der Gesetzlichkeit herangezogen, das normativ in Art. 20 Abs. 3 GG verankert ist278. Dieses existiert in zwei Ausprägungen: Als „negative“ Gesetzmäßigkeit, sog. Vorrang des Gesetzes, begrenzt es innerhalb eines gesetzlich geregelten Sachbereichs den Handlungsspielraum der Verwaltung; jenseits eines solchen verbleibt ihr aber ein Freiraum. Der Vorbehalt des Gesetzes hingegen, die „positive“ Gesetzmäßigkeit, untersagt es der Verwaltung, ohne gesetzlichen Befehl in einem bestimmten Bereich überhaupt tätig zu werden279. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes ist somit auch ein Instrument der Kompetenzverteilung im System der horizontalen Gewaltenteilung280. In dieser Form wurde er zu einer der Grundlagen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Bestimmtheitsanforderungen281. Diesen Ansatz übernahm auch die Literatur weitgehend282. Sie leitet den ungeschriebenen Bestimmtheitsgrundsatz aber nicht nur aus dem Vorbehalt (1), sondern teilweise auch aus dem Vorrang des Gesetzes (2) ab.

___________ lich gebotene Regelungsdichte im Einzelfall aber nur ein grobes Raster bieten kann“. Vgl. auch v. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 338 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 74. 278 Vgl. nur BVerfGE 48, 210/221. 279 Vgl. zu dieser grundsätzlichen Funktionsweise für viele Sobota, Rechtsstaat, S. 107 ff. Die Terminologie ist in diesem Zusammenhang uneinheitlich, vgl. dazu auch Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 28 ff. Wenn in dieser Arbeit vom „(einfachen) Gesetzesvorbehalt“ die Rede ist, so wird dies verstanden als „Vorbehalt des materiellen Gesetzes“ oder „Rechtssatzvorbehalt“. Davon abzugrenzen ist der Begriff des „Parlamentsvorbehalts“, der die Notwendigkeit eines formellen Gesetzes bezeichnet. Die Terminus „Vorbehalt des Gesetzes“ wird hingegen als Oberbegriff für Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt verwandt. 280 Gusy, DVBl. 1979, S. 575. 281 BVerfGE 8, 274/325; 9, 83/87; 13, 153/160; 20, 150/157; 21, 73/79 f.; 48, 210/221; 52, 1/41; 62, 169/182. 282 Vgl. nur Osterloh, Gesetzesbindung, S. 113 ff.; Geitmann, Offene, Normen, S. 83 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 96 ff.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 288 ff.; Papier, DStJG 12 (1989), S. 63 ff.; Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 180; Gusy, DVBl. 1979, S. 575; Lehner, NJW 1991, S. 892; Kunig, Rechtsstaatsprinzip; S. 399 ff.; Sobota, Rechtsstaat, S. 137 f.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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(1) Vorbehalt des Gesetzes Im „Preisgesetzbeschluss“ stellt das Bundesverfassungsgericht auf folgenden Aspekt maßgeblich ab: Wenn eine Regelungsmaterie dem Vorbehalt des Gesetzes unterfalle, dem Gesetzgeber also eine Regelungspflicht auferlegt werde, so könne sich dieser der Pflicht nicht dadurch entziehen, dass er der Exekutive durch unbestimmte Normen nur vage und allgemeine Ermächtigungen erteile, er müsse diese auch inhaltlich beschränken. Insofern ziele der Vorbehalt des Gesetzes auch darauf ab, Eingriffe der öffentlichen Gewalt möglichst berechenbar zu machen283. Der „klassische“ Vorbehalt des Gesetzes, nach dem Eingriffe in „Freiheit und Eigentum“ des Bürgers nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen dürfen, wird in dieser Form aber nicht mehr vertreten284 und ist abgelöst worden von einem Vorbehaltsbegriff, der, orientiert am Verfassungsstaat des Grundgesetzes, um demokratiestaatliche und grundrechtliche Elemente angereichert wurde285. Ausgangspunkt hierfür ist die sog. „Wesentlichkeitsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts, mit der der Vorbehalt des Gesetzes u.a. auch außerhalb der Eingriffsverwaltung fruchtbar gemacht und zum sog. „Parlamentsvorbehalt“ gesteigert wird286. Insoweit ist auch bei der Auffassung, die das Bundesverfassungsgericht im „Preisgesetzbeschluss“ vertritt, zu berücksichtigen, dass sie aus einer Zeit stammt, in der das Gericht den Vorbehalt des Gesetzes noch als hauptsächlich rechtsstaatlich begründet verstand. Es berücksichtigte somit demokratiestaatliche und grundrechtliche Begründungsstränge noch nicht hinreichend. Deshalb sind auch Bedenken an der nicht näher begründeten Aussage des Gerichts angebracht, dass der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit nicht nur überhaupt ein, son__________ 283 BVerfGE 8, 274/325 (mit Verweis auf BVerfGE 6, 32/42; 7, 282/302; 8, 71/76 und BVerwGE 2, 114/116). 284 So ausdrücklich Kuhl, Kernbereich der Exekutive, S. 77; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 114 f. 285 Dazu sogleich B IV 2 b) und c). 286 Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der „Wesentlichkeitstheorie“ und der sie tragenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übersteigt den Umfang dieser Untersuchung und führt im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes auch zu keinen neuen Erkenntnissen. Paradigmatisch ist BVerfGE 34, 165/192. Vgl. dazu und zum „modernen“ Verständnis des Vorbehalt des Gesetzes Sobota, Rechtsstaat, S. 108 ff.; Kloepfer, JZ 1984, S. 685 ff; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 51 ff.; Busch, Verhältnis, S. 21 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 53 ff.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 103 ff. An dieser Stelle ist auch auf die Unterscheidung zwischen dem „Parlamentsvorbehalt“ in Form gesetzgeberischer Regelungspflichten und den sog. „schlichten“ Parlamentsbeschlüssen hinzuweisen, die nicht in Gesetzesform ergehen. Letztere sind für diese Abwandlung irrelevant, vgl. zu ihnen aber Busch, Verhältnis, S. 67 ff.

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B. Bestimmtheit

dern ein näher bestimmtes Gesetz erfordere287. Die in der Literatur vorgebrachte Einschätzung, dass dies nur „ein bloßes Postulat ohne dogmatischen Sinngehalt sei“288, erscheint aber zu hart. Der „klassische“ Vorbehalt des Gesetzes behandelt zwar primär nur die Frage, ob ein Gesetz erforderlich ist und nicht, wie dieses beschaffen sein muss, die Erforderlichkeit einer bestimmten normativen Dichte lässt sich aber mittelbar nicht zuletzt aus der Existenz des Art. 80 Abs. 1 GG schließen. Denn wenn dem Gesetzgeber für die „offene“ Delegation Schranken auferlegt sind, kann für die „verdeckte“ nichts anderes gelten289. Es fällt allerdings schwer, darüber hinaus zu greifbaren Aussagen zu kommen290. Dies gilt jedoch nur für das „klassische“ Verständnis vom Vorbehalt des Gesetzes. Im Zuge einer Analyse des Demokratieprinzips und der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte im Hinblick auf Bestimmtheitsanforderungen mag sich erweisen, dass der moderne Begriff vom Vorbehalt des Gesetzes, seine Steigerung zum „Parlamentsvorbehalt“, hinsichtlich dieser Problematik sehr wohl Aussagekraft entfaltet.

(2) Vorrang des Gesetzes Soweit der „Vorrang des Gesetzes“ zur Begründung von Bestimmtheitsanforderungen herangezogen wird, wird folgendermaßen argumentiert: Da ein Gesetz in seinem Regelungsbereich ein eigeninitiatives Tätigwerden der Verwaltung ausschließe, dürfe diese auch nicht ihre eigenen Erwägungen an die Stelle derer des Gesetzgebers setzen. Sei aber eine gesetzliche Ermächtigung in dem Sinne nicht hinreichend bestimmt, dass die Verwaltung die Wertungsgesichtspunkte des Gesetzes nicht zu konkretisieren vermöge, so sei sie gezwungen, auf ihre eigenen Erwägungen zurückzugreifen. Dies durchbreche jedoch die Gesetzesgebundenheit und lasse den Vorrang des Gesetzes leer laufen291. Dagegen __________ 287

Vgl. BVerfGE 8, 274/325. So Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 97, der auch darauf verweist, dass die Begründung in der bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung (BVerwGE 2, 114, 116 f.), die dem „Preisgesetzbeschluss“ zugrunde lag, aus teleologischer Sicht tragfähiger sei: Der Schwerpunkt wurde dort darauf gelegt, dass der Vorbehalt des Gesetzes seine Schutzfunktion einbüße, wenn der Gesetzgeber durch unbestimmte Normen in Wahrheit einen Generaldispens von den Grundrechten erteile. Das Bundesverwaltungsgericht vertrat also schon damals einen anderen Vorbehaltsbegriff, dem sich das Bundesverfassungsgericht selbst erst im Rahmen seiner „Wesentlichkeitsrechtsprechung“ annäherte. 289 Vgl. Rengeling, NJW 1978, S. 2221. Im Ansatz ähnlich Kisker, NJW 1977, S. 1314, der davon spricht, dass „der Gesetzesvorbehalt nicht durch Globalermächtigungen zur Farce gemacht werden soll“. Kritisch Kloepfer, JZ 1984, S. 692 f. 290 In der Einschätzung ähnlich Osterloh, Gesetzesbindung, S. 120; Geitmann, Offene Normen, S. 88; Gassner, ZG 1996, S. 45. 291 Gusy, DVBl. 1979, S. 575 f. 288

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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wird darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber durch die Verwendung „offener“ Normen gerade zu erkennen gegeben habe, dass er durch die Gewährung von Handlungsspielräumen an die Verwaltung auf die gesetzliche Bindung verzichtet bzw. diese gelockert habe. Der Handlungsbefehl der Legislative an die Exekutive sei dann von vornherein inhaltlich beschränkt292. Dazu ist Folgendes zu sagen: Es ist richtig, dass der Gesetzgeber (in den Grenzen der „Wesentlichkeitstheorie“) selbst entscheiden kann, inwieweit er die Gesetzesbindung der Verwaltung lockert. Dies kann durch die Verwendung von „offenen“ Normen geschehen, die im Regelungsbereich des Gesetzes bewusst administrative Gestaltungsspielräume einräumen. Die bisherige Diskussion übersieht aber, dass dies nur so lange gilt, wie der Regelungsbereich des Gesetzes eindeutig betroffen ist293. Nur dort findet eine teilweise Delegation von Entscheidungsbefugnissen an die Exekutive statt. Sobald jedoch die Regelung so unbestimmt ist, dass die Grenzen des Regelungsbereichs unklar werden, wird die Frage nach dem Vorrang des Gesetzes wieder akut: Im nicht gesetzesgebundenen Bereich kann die Verwaltung normalerweise unbeschränkt tätig werden, sofern keine anderweitige Regelungssperre besteht. Bestehen aber durch die unbestimmte Formulierung des Gesetzes Zweifel, wo dieser regelungsfreie Bereich beginnt, weil der geregelte Sachbereich seinerseits nicht genau abgegrenzt ist, so ist die Verwaltung auf eigene Erwägungen zu dessen Reichweite angewiesen. Kommt sie zu dem Schluss, dass der Regelungsbereich des Gesetzes nicht betroffen sei, so läuft sie Gefahr, die Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG zu unterlaufen, weil sie im Regelungsbereich auch im Falle der Einräumung weitreichender Handlungsspielräume zumindest an die grundsätzlichen Leitlinien des Gesetzgebers gebunden wäre294. Aus dem Vorrang des Gesetzes lassen sich somit tendenziell erhöhte Bestimmtheitsanforderungen für die Abgrenzung des gesetzlichen Regelungsbereiches ableiten. Ansonsten steht es dem Gesetzgeber im Grundsatz zu, Handlungsspielräume zu delegieren. Hier ist in der Tat der Grundsatz der gesetzlichen Bindung der Exekutive formal gesehen nicht berührt295. Noch einmal eine andere Frage ist es, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorrang des Ge__________ 292

Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 98. Laut F. Müller (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn 126) sind Regelungsbereiche (nach seiner Terminologie „Normbereiche“) „Strukturen der Wirklichkeit, die in ihrem gegenständlichen Umfang und in ihrer Relevanz von Normprogrammen her umschrieben und an sie gebunden sind“. Vgl. dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 154. 294 Dieser Gedanke klingt in der Literatur bei Gusy, DVBl. 1979, S. 576 und in der Rechtsprechung in BVerfGE 52, 1/41 an. Ähnlich auch Kirchhof, DStJG 21 (1999), S. 12: „Auch die Finanzverwaltung und die Rechtsprechung brauchen berechenbare gesetzliche Vorgaben, um (...) die Grenzen der Steuerpflicht strikt achten zu können.“ 295 Richtig Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 98. 293

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B. Bestimmtheit

setzes dann vorliegt, wenn der Normvollzug der Verwaltung deshalb erschwert ist, weil das Gesetz widersprüchlich oder unklar ist. Auf diese Frage wird im Zusammenhang mit der Untersuchung des Klarheitsgrundsatzes noch einmal zurückzukommen sein296.

b) Demokratieprinzip aa) Demokratieprinzip und Vorbehalt des Gesetzes Wie bereits dargelegt, ist der entscheidende Ansatz für die Begründung von Bestimmtheitsanforderungen in der Bestimmung der Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Exekutive zu suchen; einer Problematik, die üblicherweise beim Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes angesiedelt wird. Dieser könnte es gebieten, dass die Legislative zwingend die Regelung bestimmter Fragen übernimmt, die dann folglich nicht über die Verwendung „offener“ Normen verdeckt an die Exekutive delegiert werden dürfen. Der rechtsstaatliche Begründungsstrang dieses Verfassungsinstituts vermochte aber keine nennenswerten Präzisierungen in dieser Richtung hervorzubringen (s.o.). Nun wird der moderne Begriff vom Vorbehalt des Gesetzes nicht nur aus dem Rechtsstaatprinzip abgeleitet, es besteht mittlerweile Konsens darüber, dass auch demokratiestaatliche Wurzeln bestehen297, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Zuge der Ausdehnung des Vorbehalts des Gesetzes auf die Leistungsverwaltung über die „Wesentlichkeitstheorie“ immer wichtiger wurden298.

__________ 296

Vgl. C IV 1. BVerfGE 33, 125/159 ff.; 33, 303/346; 34, 52/59; 40, 237/249 f.; 41, 251/259 ff; 47, 46/78; 48, 210/221; 49, 89/126; st. Rspr., vgl. zuletzt BVerfGE 105, 279/303 ff. Denninger, JA 1993, S. 264 spricht davon, dass im Vorbehalt des Gesetzes „Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip zu einer unauflöslichen Einheit verschmolzen“ seien. Grundlegend zum modernen „Parlamentsvorbehalt“ Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 6 Rn 5; HbStR III-Ossenbühl, § 62 Rn 35 ff, Degenhart, Staatsrecht, Rn 65 ff.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 163 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 83 ff. 298 Vgl. dazu Kloepfer, JZ 1984, S. 686 f. Die Frage, ob unter der Geltung des Grundgesetzes mittlerweile die Annahme eines „Totalvorbehaltes“ des Gesetzes geboten ist, braucht hier nicht entschieden zu werden, reicht doch die Feststellung aus, dass dem demokratiestaatlich unterfütterten Vorbehalt des Gesetzes überhaupt Anhaltspunkte für Bestimmtheitsanforderungen entnommen werden können. Grundsätzlich bejahend aber z.B. Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 171 f.; Sobota, Rechtsstaat, S. 125 ff. Ähnlich auch Rupp, Grundfragen, S. 131 ff. Kritisch dazu für viele Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 214 ff. 297

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, normativ verankert in Art. 20 Abs. 2 S. 1299, bindet alle Staatsgewalt ans Volk. Die Volksvertretung, das Parlament, wählt die Regierung und kontrolliert sie auch. Es wird deshalb vertreten, dass es berechtigt sei, von einer „Suprematie des Parlaments“ zu sprechen300. Aus einem demokratiestaatlich unterfütterten Vorbehalt des Gesetzes könnte folglich dann eine Beschränkung der Delegationsmacht der Legislative abzuleiten sein, wenn dieser eine vorrangige Entscheidungsgewalt zukommt. Der hergebrachte Vorbehalt des Gesetzes, der normalerweise nur einen „einfachen“ Gesetzesvorbehalt darstellt, steigert sich so zu einem Parlamentsvorbehalt, bei dem die Legislative die „wesentlichen“ Fragen weder „offen“ noch „verdeckt“ delegieren darf, der also nicht nur Anforderungen an das „Ob“, sondern auch an das „Wie“ des Gesetzes stellt301. Für einen solchen partiellen Vorrang der Legislative lassen sich im Rahmen des Parlamentsvorbehaltes zwei Argumente finden, ein legitimatorisches (1) und ein funktionales (2).

(1) Vorrang der Legislative – Das legitimatorische Argument Das legitimatorische Argument beruht auf dem Gedanken, dass sich das direkt gewählte Parlament gegenüber der nur mittelbar demokratisch legitimierten Exekutive durch diese größere „Nähe“ zum Wahlvolk auch auf einem qualitativ höheren demokratischen Legitimationsniveau befinde302. Man kann aber bereits mit guten Gründen bezweifeln, ob sich aus diesem demokratischen Unmittelbarkeitsvorteil der Legislative zwingend ein Vorrang gegenüber der Exekutive ableiten lässt. Immerhin ist auch diese demokratisch legitimiert 303 und ihr wird __________ 299

Für viele BVerfGE 83, 60/71; 93, 37/66; Hesse, Verfassungsrecht, Rn 130; Stern, Staatsrecht I, S. 604; Groß, Kollegialprinzip, S. 165. Auf die begrenzte Aussagekraft von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG selbst verweist Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 287: „(...) Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt weder Intensität noch Eigenart der Rückführbarkeit aller staatlichen Herrschaftsausübung auf Willensbildungsakte des Volkes. (...) Es sind demnach die sonstigen – staatsorganisationsrechtlichen – Verfassungsnormen, die erkennen lassen, wann im Sinne des Grundgesetzes alle Staatsgewalt vom Volke „ausgeht“.“ 300 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 686; ähnlich Dreier, Jura 1997, S. 256 („Primat der Legislative“). 301 Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 133 ff.; Kloepfer, JZ 1984, S. 690 f. Zum Begriff des „Parlamentsvorbehaltes“ vgl. auch die Nachweise bei Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 28 ff. Busch, Verhältnis, S. 67 führt Literaturstimmen an, die diese Terminologie kritisieren. 302 Vgl. für viele BVerfGE 40, 237/249; Krebs, Jura 1979, S. 310; G. Müller, Kompetenzordnung, S. 107 f. Kritisch Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 168 f.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 83 ff. m.w.N. Ausführlich zur Systematik demokratischer Legitimation Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 265 ff. 303 Sehr deutlich BVerfGE 49, 89/125; 68, 1/109. Vgl. auch Kloepfer, JZ 1984, S. 686; Kisker, NJW 1977, S. 1314; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 207 f.;

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B. Bestimmtheit

vom Grundgesetz schon durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 ein eigener Platz im staatlichen Funktionengefüge zugewiesen304. Aber selbst wenn man die Grundannahme teilt, werden gegen diesen Ansatz weitere gewichtige Bedenken vorgebracht, die an der grundsätzlichen Tragfähigkeit des Arguments zweifeln lassen. So wird darauf hingewiesen, dass ein dergestalt konstruierter Vorrang der Legislative für diese eine Selbstentscheidungspflicht statuiere. Es handele sich also im Endeffekt um eine Beschränkung legislatorischer Kompetenzen305. Nach der personell-demokratischen Argumentation läge es aber näher, dem Parlament statt der Auferlegung einer Pflicht, nämlich der zur Selbstentscheidung in bestimmten Fragen, weitere Rechte zuzusprechen, etwa in dem Sinne, dass dieses selbst bestimmen dürfe, inwieweit es delegiere. Eine Beschränkung der Rechte des Parlaments durch den Verweis auf dessen höhere demokratische Legitimation sei so im Grundansatz widersprüchlich306. Auch wenn diese Ansicht wiederum zu wenig berücksichtigt, dass die grundsätzliche Forderung, die aufgrund der vermeintlich erhöhten personell-demokratischen Legitimation der Legislative erhoben wird, nämlich die der Aufgabenstärkung des Parlaments, auch dann nachvollziehbar bleibt, wenn mit dieser Aufgabenstärkung gleichzeitig zusätzliche Pflichten verbunden sind: Dieser Einwand ist nicht vollständig zu entkräften. Das legitimatorische Argument ist deshalb nicht als uneingeschränkt durchschlagskräftig anzusehen, weist aber in eine Richtung307.

(2) Vorrang der Legislative – Das funktionale Argument Das funktionale Argument unterstreicht den Vorteil der parlamentarischen Diskussion für die öffentliche Meinungsbildung: Die verschiedenen widerstreitenden Interessen könnten hier in einem Verfahren abgewogen werden, welches ein höheres Maß an Öffentlichkeit als das Verwaltungsverfahren biete und so ___________ Hill, Gesetzgebungslehre, S. 41 f.; Böckenförde, NJW 1999, S. 1236. Auch die Regierung für unmittelbar demokratisch legitimiert halten Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 167 ff.; Busch, Verhältnis, S. 36; Magiera, Parlament; S. 103 ff.; Börger, Genehmigungsentscheidungen, S. 30. 304 Vgl. für viele MD-Herzog, Art. 20 V Rn 37 ff. 305 Kloepfer, JZ 1984, S. 690 f.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 172; Gassner, ZG 1996, S. 48. 306 Ausführlich zu dieser Frage Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 171 ff. 307 Im Ergebnis ebenso Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 101 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 85 („ein tendenziell für eine stärkere Verantwortung des Parlaments sprechendes Indiz“).

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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die Entscheidungssuche stärker an das Wahlvolk rückkoppele308. Dem parlamentarischen Verfahren komme somit eine Integrations- und „Veröffentlichungsfunktion“ zu309, über die das Verwaltungsverfahren in diesem Maße nicht verfüge310. Aber auch dieser Ansatz ist nicht unumstritten: So wird bisweilen in der Literatur generell bezweifelt, ob das parlamentarische Verfahren durch Diskussion und Öffentlichkeit in jedem Fall das „menschlich erreichbare Maß an Vernünftigkeit des Gesetzesinhalts“311 verbürge312. Auch das parlamentarische Verfahren mag Schwächen haben313, ein solch kategorischer Zweifel entbehrt aber der Grundlage: Im parlamentarischen Verfahren verwirklicht sich das Prinzip der Freiheit und der Subjektstellung des Bürgers314. Zudem wohnt der Zustimmung durch das Parlament die grundlegende Gerechtigkeitsvorstellung des „volenti non fit iniuria“ inne315, die das Verwaltungsverfahren in dieser Form nicht verwirklichen kann. Ein generelles Misstrauen gegen die Möglichkeiten parlamentarischer Entscheidungsfindung ist deshalb unangebracht. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass auch dem Verfahren parlamentarischer Willensbildung nicht durchgängig ein besonderer demokratischer Legitimationswert zukomme: Nehme man die „Veröffentlichungsfunktion“ des Verfahrens ernst, so könne damit nur in dem Bereich ein Vorrang begründet werden, der sich überhaupt für eine öffentliche Diskussion eigne. Dies seien in aller Regel gerade nicht Detailprobleme, sondern nur die Grundsatzfragen316. Die Wirklichkeitsnähe dieses Gedankens darf bezweifelt werden. Aufgrund der fortschreitenden Verrechtlichung aller Lebensbereiche und der damit einher gehenden Verkomplizierung der Organisationsgrundlagen moderner Demokratien sind auch gerade Detailregelungen in Gesetzesvorhaben, vor allem im Bereich __________ 308 Grundlegend BVerfGE 33, 125/159; 40, 237/249; 41, 251/260; st. Rspr. Vgl. auch Böckenförde, Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, S. 149; dens., Gesetz, S. 384; Stern, Staatsrecht I, S. 618 f.; Lerche, Gewaltenteilung, S. 83; Busch, Verhältnis, S. 37 ff.; Kisker, NJW 1977, S. 1315; Eberle, DÖV 1984, S. 489 f.; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 52. 309 Kisker, NJW 1977, S. 1315. Kloepfer, JZ 1984 , S. 687 spricht von einer in hohem Maße „diskussions-, einsichts- und konsensfördernden“ Funktion des öffentlichen Gesetzgebungsverfahrens, das insofern auch der staatlichen Integration diene. 310 Vgl. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 196 ff. Ähnlich Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 6. 311 Formulierung bei Böckenförde, Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, S. 149. 312 Denninger, JA 1993, S. 265, spricht hier von „besitz- und bildungsbürgerlicher Repräsentationsideologie“. 313 Vgl. Denninger, JA 1993, S. 267 ff.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 224 ff; Hill, DÖV 1988, S. 667 f.; Kloepfer, JZ 1984, S. 686 f.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 85 ff. 314 Böckenförde, Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, S. 149; Gassner, ZG 1996, S. 49. 315 „Dem Wollenden geschieht kein Unrecht“. Vgl. Roellecke, NJW 1978, S. 1778. 316 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 122 f.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 86.

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B. Bestimmtheit

des Steuer- und Sozialrechts, durchaus Gegenstand nicht nur der parlamentarischen, sondern auch der öffentlichen Diskussion317. Diese erfolgt dann zwar nicht immer verständig, findet aber nichtsdestotrotz statt. Es bleibt dabei: Angesichts der politischen Homogenität von Parlament und Regierung mag Ersterem keine zusätzliche Dimension personell-demokratischer Legitimation zukommen, die größeren Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die Öffentlichkeitsfunktion und die Eignung des parlamentarischen Verfahrens zur Entscheidung über politische Streitfragen rechtfertigen aber die Annahme, dass dem Parlament durch das Demokratieprinzip des Grundgesetzes eine funktional begründbare Vorrangstellung zugewiesen ist318, die einen partiellen Parlamentsvorbehalt legitimieren kann. Dieser wirkt sich dahin gehend aus, dass die Delegationsmöglichkeiten des Parlaments eingeschränkt sind, und begründet somit Bestimmtheitsanforderungen.

bb) Demokratieprinzip und Gewaltenteilung Wie bereits oben beschrieben, verfügt die Verwaltung über einen Kernbereich eigenständiger Tätigkeit, der sich nicht nur im Gesetzesvollzug erschöpft. Dies ist im Grundsatz unumstritten, es ist nur fraglich, ob dieser abstrakt oder nur bezogen auf den Einzelfall bestimmt werden kann319. Gleichzeitig wurde aber dargelegt, dass es gerade auch funktionale Argumente wie die Öffentlichkeit des parlamentarischen Verfahrens sind, die im Rahmen eines demokratiestaatlich gestützten Verständnisses des Gesetzesvorbehalts einen partiellen Vorrang der Legislative rechtfertigen. Es muss also die Grenze zwischen einem so verstandenen Vorrang der Legislative und dem Bereich gefunden werden, wo der Grundsatz der Gewaltenteilung der Exekutive einen eigenen Spielraum garantiert, um dem Gedanken, dass der Gewaltenteilungsgrundsatz eine „funktionsgerechte Organstruktur“ garantiert, gerecht zu werden320. Als Kriterien zur näheren Konkretisierung dieses Kernbereiches und damit auch der Grenze eines Vorrangs der Legislative werden insoweit Praktikabilität, __________ 317 Man vergegenwärtige sich etwa, wie kontrovers in Deutschland mitunter Anpassungen von Sozialbeiträgen um Zehntelprozentpunkte diskutiert werden. 318 So u.a. auch BVerfGE 85, 386/403 f.; HbStR III-Ossenbühl, § 62 Rn 37; v. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 333; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 103; Busch, Verhältnis, S. 39. 319 Vgl. HbStR III-Ossenbühl, § 62 Rn 53 ff. 320 Vgl. Gassner, ZG 1996, S. 50: „Das prinzipiell höhere demokratische Legitimationsniveau des Parlaments kann sich daher nur insoweit kompetenziell realisieren, als dies funktionelle Gesichtspunkte rechtfertigen“.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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Effektivität, Sachgerechtigkeit und die Regelungsfeindlichkeit eines Sachbereiches angeführt321. Zu Recht wird aber auch darauf hingewiesen, dass eine genaue Bestimmung bisher auffällig blass geblieben ist322. Eine trennscharfe Abgrenzung wird auch abstrakt nicht möglich sein323, jedoch muss bei der Betrachtung des Einzelfalls versucht werden, unter Zuhilfenahme obiger Kriterien im Auge zu behalten, dass ein Vorrang der Legislative aus dem Vorbehalt des Gesetzes nicht allumfassend ist und den Grundsatz der Gewaltenteilung, immerhin eine Grundlage des gesamten modernen Staatsverständnisses, nicht unterlaufen darf. Dies kann auch ein Gegengewicht zu überspannten Bestimmtheitsanforderungen an parlamentarische Gesetzgebung darstellen. Als Endergebnis der Betrachtung des grundgesetzlichen Demokratieprinzips und seiner Auswirkung auf das Verständnis des Vorbehalts des Gesetzes und des Gewaltenteilungsgrundsatzes bleibt aber festzuhalten, dass hier ein Ansatzpunkt gefunden wurde, Bestimmtheitsanforderungen greifbarer zu legitimieren. Vor allem der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes in seiner demokratiestaatlichen Ausprägung als „Parlamentsvorbehalt“ weist dem Parlament Regelungsbefugnisse zu, derer es sich nicht durch Delegation an die Verwaltung entledigen kann. Aber auch der Grundsatz „funktionsgerechter Organstruktur“ kann dazu dienen, das vom Demokratieprinzip verlangte Legitimationsniveau abzustützen. Dieser ist damit nicht nur „kompetenzrechtliches Korrektiv zum Wesentlichkeitspostulat, sondern ermöglicht auch eine auf Konkordanz bedachte Verwirklichung beider Prinzipien“324. Im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes entfaltet das Demokratieprinzip folglich in mehrfacher Hinsicht Aussagekraft325. Zu konkreten Ergebnissen kann man aber erst bei der im Rahmen dieser Untersuchung noch anstehenden Analyse der gesetzlichen Regelungsmaterien kommen. __________ 321 Vgl. für viele Kuhl, Kernbereich der Exekutive, S. 141 ff.; Gassner, ZG 1996, S. 49 f. Vgl. auch HbStR III-Ossenbühl, § 62 Rn 47 und 63 ff., der es als Verdienst der „Wesentlichkeitslehre“ bezeichnet, die Vorbehaltsdiskussion auch für diese Topoi geöffnet und sensibilisiert zu haben. 322 Ausführlich Gassner, ZG 1996, S. 49 f., der sich auch kritisch über die Möglichkeit äußert, die angeführten Kriterien, die dem Kernbereich der Exekutive wesenseigen sein sollen, überhaupt aus Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG herleiten zu können. 323 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 686, der betont, dass der Gegensatz zwischen Legislative und Exekutive nicht so scharf und deshalb gut voneinander abgrenzbar sei wie „zwischen der ursprünglich allmächtigen monarchischen Exekutive und der demokratischen Legislative“. 324 V. Danwitz, Staat 35 (1996), S. 345. 325 Ebenso Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 106; Sobota, Rechtsstaat, S. 136. Kritischer zu dieser Ableitungsmöglichkeit Osterloh, Gesetzesbindung, S. 122 f.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 175. Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 87 ff. verweist darauf, dass eine Beschränkung des Parlamentes auf „Grundsatzentscheidungen“ diesem die Aufgabenwahrnehmung erleichtere und so dessen Stellung stärke, was im Rahmen des Demokratieprinzips eine gegenläufige Tendenz konstituiere.

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B. Bestimmtheit

c) Grundrechte Bestimmtheitsanforderungen an Gesetze lassen sich, wie oben gezeigt, sowohl aus dem Rechtsstaats- als auch aus dem Demokratieprinzip ableiten. Aber auch die Grundrechtsgewährleistungen des Grundgesetzes, speziell die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte, könnten in diesem Zusammenhang Aussagekraft entfalten. Die Frage nach der Relevanz der Grundrechte für die Konkretisierung von Bestimmtheitsanforderungen müsste aber dann von vornherein verneint werden, wenn die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte schon von der Rechtsfigur des Vorbehalts des Gesetzes abgedeckt wären. Schon mit dem „klassischen“ Vorbehalt des Gesetzes besteht aber keine Deckungsgleichheit: Die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte betreffen einerseits nicht das gesamte Feld der denkbaren Eingriffe in „Freiheit und Eigentum“326 und besitzen somit einen geringeren Anwendungsbereich, stellen andererseits aber teilweise spezielle Anforderungen an einschränkende Gesetze. Sie bleiben also teils hinter den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes zurück, teils gehen sie über diese hinaus. Die Relevanz der Grundrechte wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass Geltung und Reichweite des Parlamentsvorbehalts in erster Linie grundrechtsbezogen über die Formel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“327 bestimmt werden328. Die Grundrechte können also durchaus neue Gesichtspunkte im Rahmen der Analyse des Bestimmtheitsgrundsatzes liefern. Die Literatur bejaht die Frage nach Bestimmtheitsanforderungen aus den Grundrechten grundsätzlich329, wobei zwischen solchen, die sich aus deren ob__________ 326 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 247 verweist auf eine juristische Person, die zwar ihren Sitz in Deutschland hat, aber aufgrund der Beherrschungsverhältnisse oder ihres Aktionszentrums als ausländische juristische Person anzusehen ist und deshalb zwar wegen Art.19 Abs. 3 GG nicht Art. 2 Abs. 1 GG unterfällt, wohl aber den Schutz des Vorbehalts des Gesetzes in Anspruch nehmen kann. Vgl. zu dieser Frage auch Krebs, Vorbehalt und Grundrechte, S. 39 ff.; Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 200 ff. 327 BVerfGE 34, 165/192; 40, 237/249; 41, 251/260 f.; 45, 400/418; 47, 46/79; 49, 89/126 ff.; 56, 1/13; 57, 295/321; 58, 257/272 ff.; st. Rspr. 328 Vgl. für viele Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 114. 329 Protagonist dieser Ansicht ist P. Kunig, der in seiner Analyse des Rechtsstaatsprinzips für dessen Abschaffung als Sammelbegriff für unterschiedliche verfassungsrechtliche Topoi und für eine Neufundierung der gesamten Rechtsstaatsdogmatik in anderen geschriebenen Verfassungsnormen, vor allem den Grundrechten, plädiert (vgl. zum Bestimmtheitsgrundsatz Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 396 ff.; dens., Jura 1990, S. 497). Den grundrechtlichen Ansatz zur Begründung von Bestimmtheitsanforderungen betonen auch Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 181 ff; Hill, ZG 1987, S. 266; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 186; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 106 ff., ohne

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jektiv-rechtlicher Funktion, und solchen, die sich aus der subjektiv-rechtlichen Abwehrfunktion ergeben, differenziert wird330. Diese getrennte Betrachtung soll deshalb hier aufgegriffen werden. Auch die Rechtsprechung erkennt an, dass der Bestimmtheitsgrundsatz teilweise grundrechtlich fundiert ist: In mehreren Entscheidungen untersucht das Bundesverfassungsgericht Bestimmtheitsanforderungen im Rahmen einer Grundrechtsprüfung331.

aa) Objektiv-rechtliche Dimension Dass sich die durch das Grundgesetz statuierten Grundrechte nicht nur in der subjektiven Abwehrfunktion des „klassischen“ Grundrechtsverständnisses erschöpfen, sondern darüber hinaus auch eine „objektive Werteordnung“ konstituieren, wird heutzutage, bei aller Unsicherheit über Begrifflichkeiten und Details332, im Grundsatz nicht mehr ernsthaft bezweifelt333 und soll damit auch dieser Untersuchung als Faktum zugrunde gelegt werden. Grundrechte sind somit auch Maßstab für die Gesetzgebung, da sie objektive Grundsatznormen darstellen, über die das Verfassungsrecht dem Gesetzgeber einen Rahmen zieht. Gesetzgebung im grundrechtsrelevanten Bereich wird deshalb zu Recht als Grundrechtskonkretisierung angesehen334. Kunig beschreibt die Relevanz des Bestimmtheitsgrundsatzes als „Optimierungsauftrag“ in diesem Zusammenhang wie folgt: „Wenn aber einfaches Recht zur Umsetzung grundrechtlicher Inhalte in konkreten Fragen beiträgt, ja häufig diese erst effektuiert (...), dann bedeutet die unzureichende Wahrnehmung dieser Aufgabe durch unbestimmte, mehrdeutige, nicht praktikable Gesetze einen Grundrechtsverstoß, d.h. einen Verstoß gegen das dem jeweiligen Lebensbereich gegenständlich zugrunde liegende Grundrecht“335. Normativ könnte diese Sichtweise direkt an den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten mit ihren z.T. differierenden Anforderungen an die Qualität des ___________ die grundsätzliche Konzeption Kunigs zu übernehmen. Kritisch Ziegler, Selbstbindung, S. 242. 330 Vgl. exemplarisch Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 181 ff. 331 Vgl. z.B. BVerfGE 17, 306/313 ff.; 49, 89/237; 62, 169/183; 76, 171/188; 87, 234/316 ff.; 88, 366/379; 90, 1/16 ff. und zuletzt 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 102 ff. Diesen Aspekt betonen auch Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 182 (Fn 18). 332 Vgl. als Überblick dazu Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 27. 333 Vgl. zum objektiven Grundrechtsverständnis Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 30 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 73 ff.; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 180 f.; Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 ff. In der Rechtsprechung zuerst BVerfGE 7, 198/204 ff.; st. Rspr. 334 Sehr deutlich Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 398 ff, 323 ff. 335 Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 399. Vgl. auch BVerfGE 62, 169/183; 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 107 ff.

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B. Bestimmtheit

einschränkenden Gesetzes festgemacht werden. Der Vorteil dieses Ansatzes wird darin gesehen, dass die verschiedenen Grundrechtsnormen konkrete Anhaltspunkte für die Normierung einzelner Sachbereiche lieferten, aufgrund derer man auch Bestimmtheitsanforderungen besser fundieren könne336. Dazu lässt sich allerdings anmerken, dass eine Betrachtung allein des Normtextes auch nicht weiterführt, denn dieser enthält explizit keine Aussagen zu notwendigen Regelungsdichten. Vor allen Dingen lassen die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte die Frage nach dem zu Eingriffen befugten Entscheidungsträger offen, so dass auch die Frage nach der Geltung eines Parlamentsvorbehalts nicht zwingend beantwortet wird337. Gegen dieses konsequent grundrechtsorientierte Verständnis des Bestimmtheitsgrundsatzes wird aber noch weitere Kritik laut, die auf dessen letztlich ambivalenten Charakter verweist: Ein weiter Handlungsspielraum der Exekutive gereiche dem Grundrechtsträger nicht in jedem Fall zum Nachteil, da die dadurch mögliche größere Berücksichtigung von Umständen des Einzelfalls eher zur Grundrechtsentfaltung beitragen und damit Einzelfallgerechtigkeit sichern könne338. Der Einwand versagt aber partiell dort, wie von einem Vertreter dieser Ansicht selbst eingeräumt wird, wo die Grundrechtsausübung erst durch eine detaillierte gesetzliche Regelung ermöglicht wird339. Bei der Betrachtung dieser Einwände ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Ansatz Kunigs, Bestimmtheitsanforderungen auch aus den Grundrechten in ihrer objektiven Dimension zu gewinnen, im Grundsatz nicht bestritten wird. Auf Zweifel trifft nur dessen Bestreben, diese Anforderungen ausschließlich aus den Grundrechten zu gewinnen und die anderen rechts- und demokratiestaatlichen Begründungsansätze für überflüssig zu erklären340. Inwieweit diese Kritik berechtigt ist, wird unten unter (dd) noch näher beleuchtet.

__________ 336

Kunig, Jura 1990, S. 497; ders.; Rechtsstaatsprinzip, S. 398 ff.; ihm folgend Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 182. 337 Vgl. die ausführliche Analyse bei Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 194 ff. Kritisch auch Gassner, ZG 1996, S. 53 f., der darauf verweist, dass die Gesetzesvorbehalte „kompetenziell offen“ seien und somit unter dem Gesichtspunkt der organadäquaten Funktionenverteilung nur unter Zuhilfenahme anderer Verfassungsgrundsätze wie des Demokratieprinzips Aussagen über Bestimmtheitsanforderungen liefern könnten. 338 Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 212; Gassner, ZG 1996, S. 51 f.; der Sache nach auch Hill, DÖV 1987, S. 894, der auch auf die Gleichheitsgrundrechte verweist, die gerade ein Gebot zur Einzelfalldifferenzierung beinhalten. 339 Gassner, ZG 1996, S. 51. Vgl. dazu auch Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 97 f. 340 Dieser Schluss muss aus der Aussage von Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 401, dass es keinen Sinn mache, „zusätzlich noch rechtsstaatliche Bestimmtheit zu überprüfen“, gezogen werden.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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bb) Subjektiv-rechtliche Dimension In ihrer subjektiv-rechtlichen Dimension stellen Grundrechte als subjektivöffentliches Recht in erster Linie Abwehrrechte des Individuums gegen den Staat dar341. Diesen Aspekt betonte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz schon sehr früh, indem es regelmäßig darauf verwies, dass Gesetze umso bestimmter sein müssten, je stärker sie in grundrechtlich geschützte Bereiche des Adressaten eingriffen342. Zur Verdeutlichung dieses Gedankens verweist das Gericht auch auf die mögliche Beeinträchtigung der Anwendbarkeit der zwar primär rechtsstaatlichen Figur des Übermaßverbots, die aber besonders als „Schranken-Schranke“343 im Rahmen einer Grundrechtsprüfung Relevanz erlangt: „Je ungenauer die Ziele einer Normierung und die Anforderungen an die tatsächliche Ausgangslage gesetzlich umschrieben sind, umso schwerer fällt die Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit (...)“344. Auch die Aussage des Gerichts, dass maßgeblich für die geforderte Bestimmtheit einer Regelung die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs sei345, ist teilweise durch die unterschiedliche Grundrechtsrelevanz staatlicher Regelungen zu begründen346. In diesen Herangehensweisen tritt die individualschützende Komponente der Grundrechte deutlich hervor. Die Literatur übernimmt diesen Ansatz des Bundesverfassungsgerichts347. Zur Erläuterung der Funktionsweise wird in diesem Zusammenhang das zur objektiv-rechtlichen Komponente des Grundrechtsschutzes Gesagte angeführt: Die Grundrechtswahrnehmung werde durch die mit unbestimmten Formulierungen verbundene Rechtsunsicherheit erschwert348, also müsse Rechtssicherheit durch __________ 341 Ausführlich zu dieser Funktion Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 159 ff.; ders., Staat 29 (1990), S. 49 ff. und zuletzt Poscher, Abwehrrechte, S. 15 ff., 145 ff. 342 BVerfGE 20, 150/158; 37, 132/142; 49, 89/133; 49, 168/181; 56, 1/13; 59, 104/114; 62, 169/183; 81, 70/88; 83, 130/145; 84, 133/149 f.; 86, 288/311; 87, 287/316; 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 106 ff. 343 Vgl. zu diesen Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 274 ff.; HbStR V-Stern, § 109 Rn 81; Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 5. 344 BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 111. 345 Vgl. BVerfGE 41, 251/265 f.; 48, 210/222; 49, 89/133; 49, 168/181; 56, 1/13; 58, 257/278; 59, 104/114; 87, 234/263; 89, 69/84; 102, 347/361. 346 Diesen Zusammenhang stellt das Gericht in BVerfGE 48, 210/222 ausdrücklich her: „Das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit einer gesetzlichen Ermächtigung lässt sich nicht allgemein festlegen, sondern hängt von der Eigenart des geregelten Sachbereichs ab, insbesondere von dem Ausmaß, in dem Grundrechte betroffen werden“. 347 Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 182; Hill, DÖV 1987, S. 894; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 54 f.; Poscher, Abwehrrechte, S. 333; SB-Brockmeyer, GG, Art. 20 Rn 34. 348 Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 182; Poscher, Abwehrrechte, S. 333. Hill, ZG 1987, S. 266: „Systemlose oder absolut unverständliche Gesetze engen schließlich auch

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B. Bestimmtheit

Gesetzesbestimmtheit geschaffen werden. Die Abstufung nach Art und Qualität der Grundrechtsbeeinträchtigung kann naturgemäß mit einem rein formellrechtsstaatlich verstandenen Bestimmtheitsgrundsatz nicht erklärt werden, deshalb bleibt der grundrechtliche Begründungsstrang wichtig. Grundrechtlich geforderte Bestimmtheit wirkt aber auch wieder auf rechtsund demokratiestaatlich fundierte Bestimmtsheitsanforderungen zurück und trägt zu deren Handhabbarmachung und Präzisierung bei: Dadurch, dass die „Wesentlichkeitstheorie“ vom Bundesverfassungsgericht maßgeblich durch die Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“ konkretisiert wird, kommt den Grundrechten über die Rechtsfigur des „Parlamentsvorbehalts“ auch kompetenzielle Wirkkraft zu (s.o.). Die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsdichte kann dadurch konkretisiert und je nach einschlägiger Grundrechtsposition differenziert betrachtet werden349. Somit stehen grundrechtliche und rechts- und demokratiestaatlich begründete Bestimmtheitserfordernisse nicht isoliert nebeneinander, sondern bedingen sich zum großen Teil gegenseitig.

cc) Gleichheitsgrundrechte Im Zusammenhang mit der Herleitung von Bestimmtheitserfordernissen aus den Grundrechten orientiert sich die Argumentation, wie auch hier bisher, primär an den Freiheitsgrundrechten. Gleichheitsgrundrechte werden in diesem Zusammenhang weitaus seltener untersucht350. Dies verwundert aber dann nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass Gleichheitsgrundrechte, und hier zuvorderst der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, Anforderungen an den Inhalt staatlicher Machtäußerungen stellen, aber nicht an deren Form: Art. 3 Abs. 1 GG weist Verantwortung nicht in erster Linie einem Staatsorgan zu, sondern betrifft alle staatlichen Ebenen351. Gerade kompetenzielle Erwägungen sind aber, wie gezeigt, ein wichtiger Ansatzpunkt für eine differenziertere Betrachtung von Bestimmtheitserfordernissen. Den Gleichheitsgrundrechten lässt sich letztlich nur ein schwacher Impuls in Bezug auf Mindesterfordernisse an ___________ die Möglichkeit des Steuerpflichtigen zu grundrechtlicher Freiheitsverwirklichung in übermäßiger und durch die Eigenart der Materie nicht gerechtfertigter Weise ein. Der Bürger muss sich auf vielfältige Deutungsmöglichkeiten der Norm einrichten. Will er keinesfalls den gesetzlichen Tatbestand verwirklichen, muss er sich weit mehr Handlungen enthalten, als dies bei einem klar und eindeutig formulierten Gesetz erforderlich wäre“. Ähnlich Schnädter, DStZ 1984, S. 355. 349 Hill, DÖV 1987, S. 894; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 180 f. 350 Ausführlich zur Aussagekraft des Art. 3 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit Bestimmtheitserfordernissen Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 98 ff. 351 Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 99; Kirchhof/Söhn-Seiler, EStG, § 51 Rn B 40.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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gesetzliche Bestimmtheit entnehmen352, den Hill so benennt: „Darüber hinaus dürfte es sich um einen willkürlichen Gesetzesbefehl (Art. 3 Abs. 1 GG) handeln, wenn die Anordnung des Gesetzes für den Durchschnittsbürger nicht mehr oder nur unter unzumutbarem informatorischen Aufwand verständlich ist, wenn die Fassung des Gesetzes schlechthin untauglich oder objektiv ungeeignet ist, den darin enthaltenen Gesetzesbefehl zu erkennen“353. Der allgemeine Gleichheitssatz ist aber trotzdem für die Diskussion um Bestimmtheitserfordernisse vor allem im Steuerrecht nicht ohne Wert: Hier stellt er die verfassungsrechtliche Konkretisierung eines bereichsspezifischen Gerechtigkeitsmaßstabs dar und liefert somit Aussagen über den Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit354.

dd) Grundrechte als ausschließlicher Ansatzpunkt für Bestimmtheitserfordernisse Auch wenn das Verdienst Kunigs, die Dogmatik des Rechtsstaatsprinzips wieder näher an den Verfassungstext gebunden und dabei die Grundrechte fruchtbar gemacht zu haben, anerkannt und gewürdigt wird, so stößt doch sein darüber hinausgehendes Bestreben, die Existenz eines selbstständigen Rechtsstaatsprinzips als Sammelbegriff für verschiedene verfassungsrechtliche Topoi vollständig in Frage zu stellen, weitgehend auf Kritik und Ablehnung355. Denn die Schlussfolgerung aus der Konzeption Kunigs wäre, und sie wird auch von ihm so gezogen356, dass u.a. der Bestimmtheitsgrundsatz als ausschließlich grundrechtlich begründet zu verstehen wäre. Es wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass es eines sinnvermittelnden Kriteriums zwischen materiellem Grundrecht und einschränkender Regelung bedürfe, damit Anforderungen an den Inhalt der einschränkenden Regelung gestellt werden können. Hier handele es sich in erster Linie um eine kompetenzzuweisende Komponente, welche maßgeblich durch Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ausgefüllt werde, so dass man auf deren Einbeziehung nicht voll__________ 352

Nach Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 100, begründet der allgemeine Gleichheitssatz sogar eine überzogenen Bestimmtheitsanforderungen gegenläufige Tendenz: „Zum anderen gebietet der Gleichheitssatz ebenfalls, Ungleiches nicht ohne rechtfertigenden Grund gleich zu behandeln. Um ungewöhnliche abweichende Umstände berücksichtigen zu können, ist deswegen von einer übermäßig strengen Gesetzesbindung der Verwaltung abzusehen“. 353 Hill, ZG 1987, S. 266 (im Anschluss an Burchardi, StuW 1981, S. 317 f.). 354 Vgl. B V 4 a). 355 Vgl. nur Sobota, Rechtsstaat, S. 399 ff.; Gassner, ZG 1996, S. 52; Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 182 f. 356 Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 399 ff.

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B. Bestimmtheit

ständig verzichten könne357. Zudem wird auf die Wurzeln des Bestimmtheitsgrundsatzes in den formellen Elementen des Rechtsstaatsprinzips verwiesen, die auch im Rahmen dieser Untersuchung bereits dargestellt und für aussagekräftig erachtet wurden, wenn auch auf sehr abstrakter Ebene. Bei der Festlegung von Bestimmtheitsanforderungen im Einzelfall könnte es nötig sein, diese selbstständig heranzuziehen, weil sie sich „nicht unmittelbar einem bestimmten Grundrecht zurechnen lassen“358. Es bestehe kein Bedürfnis, auf die Möglichkeit, die eine ausdifferenziertere Dogmatik hervorbringe, nämlich im Bedarfsfall sachgerechter zu argumentieren, zu verzichten359. Bei der Betrachtung dieser Frage ist aber im Auge zu behalten, dass es sich in den meisten Fällen um ein Scheinproblem handeln wird, wie auch die Literatur zugesteht: Da der Grundrechtsbestand in seiner objektiven Ausprägung auch als Teil des Rechtsstaatsprinzips begriffen wird, gehen beide Aspekte ineinander über und werden häufig von denselben Erwägungen gestützt360. Die Anerkennung sowohl der grundrechtlichen als auch der rechtsstaatlichen Wurzeln des Bestimmtheitsgrundsatzes hat aber den Vorzug, dass sie das Bewusstsein dafür aufrecht erhält, dass es sich bei diesem um ein Fundamentalprinzip der Verfassung handelt, welches sie folglich auch in allen Bereichen durchdringt. Zudem muss die ausschließliche Ansiedelung des Bestimmtheitsgrundsatzes in den Grundrechten nicht unbedingt zu einer handhabbareren Dogmatik führen361, das Problem wird dadurch nur in einen anderen Bereich verlagert und nicht gelöst362. Es wird auch davor gewarnt, durch ständige Neuverortung von verfassungsrechtlichen Problemstellungen in den Grundrechten diese zu überfrachten363. Aufgrund der genannten Erwägungen wird auch im Rahmen dieser Untersuchung dem Ansatz Kunigs insoweit nicht gefolgt, als dieser auf eine Herleitung von Bestimmtheitsanforderungen aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip vollständig verzichten will364. __________ 357

Ausführlich dazu Gassner, ZG 1996, S. 52. So Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 182, die als Beispiel das Rechtssicherheitsprinzip anführen. 359 Sobota, Rechtsstaat, S. 407 f. weist sogar nach, dass Kunig bei seiner Herleitung von Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 33 Abs. 5 GG selbst nicht ohne Rückgriff auf andere Verfassungsprinzipien auskommt. Vgl. zu weiteren Lücken in Kunigs Argumentation auch Gassner, ZG 1996, S. 52. 360 Vgl. Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 182; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 117; der Tendenz nach auch Gassner, ZG 1996, S. 51 ff. 361 Der Gedanke einer Neuorientierung und letztlich auch Vereinfachung der Dogmatik war ja das wesentlichen Anliegen Kunigs, vgl. dens., Rechtsstaatsprinzip, S. 464 ff. 362 Vgl. die ausführliche Kritik Sobotas an Kunigs Ansatz (vgl. dies., Rechtsstaat, S. 399 ff.). 363 Sobota, Rechtsstaat, S. 408 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 110. 364 Dem liegt auch der Gedanke zugrunde, dass das Bundesverfassungsgericht als die Instanz, die Bestimmtheitsanforderungen gegenüber dem Gesetzgeber durchsetzen kann, 358

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d) Ergebnis aa) Allgemeines Die Analyse hat ein vielschichtiges Bild ergeben: Die Rechtsinstitute, die üblicherweise dem Rechtsstaatsprinzip in seiner formellen Ausprägung zugerechnet werden, wie das Rechtssicherheitsprinzip, die Rechtsweggarantie, der Grundsatz der Gewaltenteilung und das Gesetzlichkeitsprinzip, liefern alle Anhaltspunkte dafür, dass die Verfassung die hinreichende Bestimmtheit von Rechtsnormen fordert. Sie konstituieren aber auch gleichzeitig gegenläufige Tendenzen oder entbehren, wie das Gewaltenteilungsprinzip oder der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, ohne den Rückgriff auf andere Verfassungsinstitute der generellen Aussagekraft. Insgesamt konnte hier nur auf einem hohen Abstraktionsniveau operiert werden, zur Gewinnung von Kriterien für Bestimmtheitsanforderungen im Einzelfall ist der Rückgriff auf diese Rechtsinstitute weitgehend untauglich. Dieses Ergebnis verwundert auch nicht, wenn man die Rechtsnatur der Staatsstrukturprinzipien in Betracht zieht. So sehr deren Aussagekraft im Besonderen umstritten ist, so unbestritten ist aber auch, dass sie aufgrund ihres abstrakten Wesens im Hinblick auf subsumtionsfähige Maßstäbe nur begrenzt Aussagekraft entfalten365. Nichts anderes gilt auch für das Rechtsstaatsprinzip und die diesem zuzurechnenden Rechtsinstitute. Mit der Heranziehung des Demokratieprinzips wurde aber in zweierlei Hinsicht ein Erkenntnisfortschritt erzielt: Zunächst einmal konnten die Grundsätze der Gewaltenteilung und des Vorbehalts des Gesetzes so herausgearbeitet werden, wie sie die heutige Staatsrechtslehre versteht. Damit wurde auch deutlich gemacht, dass ein Rechtsinstitut, hier der Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als „Parlamentsvorbehalt“, über seine unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Wurzeln auch unterschiedlich stark ausgeprägte Bestimmtheitserfordernisse in sich vereinigen kann. Dies hat zur Folge, dass der Bestimmtheitsgrundsatz neben seinem formellen Charakter auch zu einem wesentlichen Teil als „kompetenziell aussagekräftig“ verstanden werden muss. Insofern bildet er ein Regulativ für die Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Exekutive. Er verfügt somit auch über eine „qualitative“ Komponente. Durch die Einbeziehung der Grundrechte konnte schließlich gezeigt werden, dass der Bestimmtheitsgrundsatz auch ein Grundprinzip materialer Rechtsstaatlichkeit dar___________ Kunigs Ansatz bisher nicht aufgegriffen hat. Diese Untersuchung hat aber auch die gegenwärtige Wirklichkeit der Verfassungsrechtsprechung zu berücksichtigen. 365 BVerfGE 7, 89/92 f.; 25, 269/290; 57, 250/276; 65, 283/290. Vgl. aus der Literatur Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 72 ff.; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 167, 267 ff.; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 3 ff. Vgl. speziell zum Rechtsstaatsprinzip Sendler, NJW 1998, S. 2875 f.

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B. Bestimmtheit

stellt und darüber hinaus individualschützenden Charakter besitzt. In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass es bei der Begründung und Konkretisierung von Bestimmtheitsanforderungen wesentlich auf Besonderheiten des geregelten Sachbereichs ankommt. So wichtig ihre Heranziehung für das Verständnis von Natur und Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes ist: All diese Begründungsmuster sind nicht frei von Zweifeln und gegenläufigen Tendenzen, so dass die Gewinnung allgemeingültiger Aussagen zwar möglich ist, subsumtionsfähige Maßstäbe aber wiederum nur verfassungsrechtlich eingekreist, nicht aber direkt gewonnen werden können. Es steht jedoch bereits fest, dass die z.T. gegenläufigen Prinzipien keinen Grundsatz der „totalen“ i.S.e. „theoretisch höchstmöglichen“ Bestimmtheit begründen, weil dieser sowohl Erfordernissen der Einzelfallgerechtigkeit als auch dem modernen Verständnis von Gewaltenteilung nicht gerecht würde366. Diese abstrakte „Einkreisung“ des Bestimmtheitsgrundsatzes durch anerkannte verfassungsrechtliche Institute verdeutlicht aber zugleich, dass es möglich ist, Bestimmtheitsanforderungen auch unabhängig von Einzelfall und geregeltem Sachbereich zu formulieren367, was zuweilen bezweifelt wird368. Eine „totale Relativierung“369 des Bestimmtheitsgrundsatzes ist also nicht zu befürchten.

bb) Der Bestimmtheitsgrundsatz als Regulativ und Prinzipiennorm Der Bestimmtheitsgrundsatz lässt sich also sowohl auf rechts- und demokratiestaatliche als auch auf grundrechtliche Begründungselemente stützen. Gerade in ihrem Zusammenhang sorgen diese dafür, dass dessen Wirkungsweise in all ihren Facetten hinreichend verfassungsdogmatisch untermauert und erklärt werden kann. Es handelt sich dabei gerade nicht um eine große „In-Eins-Sicht“, vor der in der Literatur gewarnt wird370, sondern um ein Bemühen, auf einer hohen dogmatischen Abstraktionsebene die Verständnisgrundlagen für eine Ausdifferenzierung von Bestimmtheitsstandards nach Sachmaterien, Eingriffsintensität und -ausmaß zu schaffen371. Der Zusammenhang zeigt sich deutlich schon darin, __________ 366 So übereinstimmend Rechtsprechung und Literatur; vgl. dazu nur BVerfGE 8, 274/312; Geitmann, Offene Normen, S. 116 ff.; Gassner, ZG 1996, S. 56; Papier, Gewaltentrennung, S. 105; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 132 ff.; Hill, Gesetzgebungslehre, S. 109. Diese Forderung wäre im Übrigen auch aufgrund des prinzipiellen Unbestimmtheitscharakters von Sprache gar nicht einzulösen, vgl. B I 1; B II 1. 367 Diese Möglichkeit und zugleich Notwendigkeit wird auch von Gassner, ZG 1996, S. 39 f. und Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 188 betont. 368 Z.B. von Ehmke, Ermessen, S. 29. Undeutlich Braun, VerwArch 76 (1985), S. 56. 369 Sobota, Rechtsstaat, S. 136. 370 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 691. 371 Dies fordert gerade Kloepfer, JZ 1984, S. 691.

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dass die zur Konkretisierung der Gestalt des Bestimmtheitsgrundsatzes herangezogenen Rechtsinstitute selbst untereinander in mehrfacher Hinsicht verbunden sind. Als Beispiel mag wiederum der Vorbehalt des Gesetzes dienen, der als klassisch rechtsstaatliches Element im Zuge der Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung über die „Wesentlichkeitstheorie“ mit demokratiestaatlichen Elementen angereichert wurde, wobei besagte „Wesentlichkeitstheorie“ wiederum hauptsächlich grundrechtsbezogen begründet wird. Insofern ist die Literaturansicht zutreffend, nach der es sich beim Bestimmtheitsgrundsatz um keine Regel, sondern um eine nicht subsumierbare Prinzipiennorm handelt372. Deren Wert besteht darin, dass sie als Optimierungsgebot festlegt, dass ein bestimmtes Regelungsziel so weit realisiert werden soll, wie es die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten zulassen, wobei die rechtlichen Möglichkeiten durch gegenläufige Prinzipien und Regeln bestimmt werden373. Die oben analysierten Verfassungsinstitute markieren dabei die zur Bestimmung der hinreichenden Regelungsdichte tauglichen Ausgangspunkte. Andere Einordnungsversuche in der Literatur versuchen dieser Vielgestaltigkeit dadurch gerecht zu werden, dass sie einen solchen Bestimmtheitsgrundsatz als „Verfassungsprinzip eigener Qualität“ bezeichnen374, wobei zu der hier vertretenen Ansicht nur terminologisch, nicht aber der Sache nach abgegrenzt wird375. __________ 372 Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 117 f. Grundlegend zu „Prinzipien“ Dworkin, Bürgerrechte, S. 22 ff., Alexy, Rechtsregeln, S. 217 ff.; ders.; Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 251 ff. 373 Kunig, Jura 1990, S. 495; Gassner, ZG 1996, S. 55; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 552; Bleckmann, JZ 1995, S. 686. Vgl. zu Optimierungsgeboten auch Alexy, Rechtsregeln, S. 223 ff.; dens. Theorie der Grundrechte, S. 75 f.; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 164 ff; Würtenberger, VVDStRL 58 (1999), S. 141 ff. Osterloh, Gesetzesbindung, betont zwar S. 132 ff. die Offenheit des Bestimmtheitsgrundsatzes, sieht diesen aber nicht als Optimierungsnorm an (vgl. S. 111). Gassner, ZG 1996, S. 55 betont im Anschluss an Denninger den Charakter des Bestimmtheitsgrundsatzes als sog. „relationaler Schlüsselbegriff“, der die Aufgabe habe, verfassungsrechtliche Zusammenhänge, die sowohl die Ebene der Staatsorganisation als auch das Verhältnis Staat-Bürger beträfen, zu erfassen (vgl. Denninger, Schlüsselbegriffe, S. 295). Hinter dieser Begrifflichkeit verbirgt sich aber kein Mehrwert an Erkenntnis. Kritisch auch Papier/Möller, AöR, 122 (1997), S. 183 (Fn 23). 374 Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 183 f. Ähnlich Lerche, Übermaß, S. 73 ff., der den Bestimmtheitsgrundsatz dem „dirigierenden“ Verfassungsrecht zuordnet, welches „einzelne Anklänge an so zahlreichen Stellen des institutionellen Verfassungsgehalts“ hinterlässt. 375 Auch Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 184, leiten den Bestimmtheitsgrundsatz aus allen auch hier geprüften Wurzeln her und kommen zu dem Schluss, dass die Anwendung auf den Einzelfall auch alle diese Aspekte zu berücksichtigen habe. Auch die Fundierung des Bestimmtheitsgrundsatzes in der „Steuerungsfunktion des Rechts“, die Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 255 ff. vornimmt, kommt dem Verständnis als „Prinzipiennorm“ nahe.

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B. Bestimmtheit

cc) Das Verhältnis zwischen vorbehaltsrechtlichen und „allgemeinen“ Bestimmtheitsanforderungen Nicht alle Autoren im Schrifttum begreifen den Bestimmtheitsgrundsatz als so umfassend verfassungsrechtlich fundiert wie hier, sondern unterscheiden z.T. zwischen einem allgemein-rechtsstaatlichen und einem vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz376. Dabei werden zwei der Hauptbegründungsstränge des Bestimmtheitsgrundsatzes zu jeweils selbstständigen Rechtsfiguren zusammengefasst: Der allgemein-rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz soll sich aus den formalen Elementen des Rechtsstaatsprinzips herleiten, vor allem aber aus dem Gedanken der Rechtssicherheit377, und für jegliches Staatshandeln gelten, also auch für Gerichtsurteile und Verwaltungsentscheidungen378. Der vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz hingegen hat danach vorwiegend kompetenziellen Charakter, liegt in der „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts begründet und fußt besonders auf demokratiestaatlichen Elementen379. Teilweise wird dieses Verständnis auch begrifflich abgesichert380: Von einigen Literaturstimmen wird die Bezeichnung „Bestimmtheitsgrundsatz“ eng verstanden und von vornherein nur auf Fragestellungen angewandt, in die kompetenzielle Erwägungen mit einfließen. Das, was von anderen „allgemeines Bestimmtheitsgebot“ genannt wird, wird dann als „Klarheitsgebot“ bezeichnet381. Teilweise wird auch die Existenz eines kompetenziell aussagekräftigen vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes insgesamt geleugnet und Aussagekraft in dieser Hinsicht allein der Figur des Parlamentsvorbehalts zugeschrie__________ 376

JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 54, 60; Kloepfer, JZ 1984, S. 691; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 140 f; Hill, DÖV 1987, S. 893; Lehner, NJW 1991, S. 892; Busch, Verhältnis, S. 141 f; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 488; Jachmann, Fiktion, S. 661 ff. 377 JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 60; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 141; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 488; Jachmann, Fiktion, S. 661 ff. Kloepfer, JZ 1984, S. 691, sieht die Legitimation eines allgemeinen Bestimmtheitsgebots „maßgeblich in der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlicher Entscheidungen für den Bürger“. 378 So ausdrücklich Kloepfer, JZ 1984, S. 691; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 141; Lehner, NJW 1991, S. 892. 379 Vgl. JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 54; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 139 ff.; Jachmann, Fiktion, S. 672 ff.; Kloepfer, JZ 1984, S. 691. Ähnlich auch Busch, Verhältnis, S. 141, der vom „Bestimmtheitsgebot des Parlamentsvorbehalts“ redet. 380 Auf diesen Aspekt weist auch Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 258 hin. 381 Vgl. dazu Busch, Verhältnis, S. 141 f.; Geitmann, Offene Normen, S. 24 f., 28 f.; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 45 f. Diese Begriffsbildung wird aber der über das Rechtsstaatsprinzip hinausgehenden verfassungsrechtlichen Fundierung des Klarheitsgrundsatzes nicht gerecht. Vgl. dazu C IV.

IV. Der ungeschriebene Bestimmtheitsgrundsatz

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ben382. Zumindest der Sache nach haben alle diese Ansätze gemeinsam, dass sie zwischen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen und solchen, die aus dem Vorbehalt des Gesetzes folgen, unterscheiden383. Einen starken Verbündeten hat diese Sichtweise in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Dieses differenziert ebenso zwischen rechtsstaatlichen und vorbehaltsrechtlichen Anforderungen, wobei es aber gleichzeitig auf deren engen Zusammenhang verweist384. Die Annahme eines einheitlichen Bestimmtheitsgrundsatzes, so wie sie hier erfolgt, soll deshalb noch einmal kritisch beleuchtet und hinterfragt werden. Die Streitfrage stellt aber z.T. ein Scheinproblem dar: Der Konflikt, der zwischen den fraglichen Ansätzen bestünde, ist im Rahmen dieser Untersuchung schon deshalb entschärft, weil es hier letztlich um die Gewinnung von Bestimmtheitsanforderungen an formelle Gesetze geht. Diese stellen aber unstreitig beide Bestimmtheitsgrundsätze bereit385, sollte man denn differenzieren. Die Frage, ob man die rechts- und demokratiestaatlichen Wurzeln des Bestimmtheitsgrundsatzes als ein einheitliches oder als zwei getrennte Prinzipien auffasst, macht dann keinen Unterschied. Weiterhin wird auch von den Vertretern der Gegenansicht eingeräumt, dass selbst dann, wenn man von der Existenz zweier Bestimmtheitsgrundsätze ausginge, diese schwer zu trennen seien und sich in vielfältiger Art und Weise überschnitten386. In der Tat ist eine erfolgreiche trennscharfe Abgrenzung bisher nicht gelungen und wegen der großen Überschneidungsflächen der beteiligten Rechtsinstitute auch wenig wahrscheinlich. In Anbetracht dessen hat die Bündelung der als aussagekräftig erkannten Bestimmtheitserfordernisse innerhalb nur eines Bestimmtheitsgrundsatzes vielfältige Vorteile: Es kann das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass die zur __________ 382 Vgl. die Darstellung dieses sog. „reduktionistischen“ Ansatzes bei Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 144 ff. 383 Sehr deutlich in dieser Hinsicht Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 488, die den Wert eines solchen Bestimmtheitsgrundsatzes „jenseits des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes“ als „Auffangbereich“ betonen. 384 BVerfGE 49, 89/129; 56, 1/13 („Insoweit berührt sich das Bestimmtheitsgebot mit dem Verfassungsgrundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes“); 58, 257/278 („Bestimmtheit die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des aus dem Demokratieund Rechtsstaatsprinzip folgendem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes“); 62, 169/183. 385 Vgl. dazu Jachmann, Fiktion, S. 674; Barth, Rechtsfortbildung, S. 349 und BVerfGE 62, 169/182 f.; 64, 261/286. 386 Vgl. JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 60; Lehner, NJW 1991, S. 892. Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 141, stellt zwar sehr dezidiert den seiner Meinung nach bestehenden Unterschied dar, kommt dann aber im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehalts doch zum Schluss, dass der allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz „integraler Bestandteil“ desselben sei.

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B. Bestimmtheit

Anwendung kommenden Maßstäbe, auch wenn sie aus verschiedenen dogmatischen Figuren hergeleitet werden, wenn nicht materiell identisch, so doch alle ähnlich unscharf sind387. Unökonomische Vielfachprüfungen können vermieden werden388. Bei der Anwendung können die verschiedenen verfassungsdogmatische Wurzeln, seien es rechts-, demokratiestaatliche oder grundrechtliche Elemente, argumentativ nebeneinander genutzt werden, sich gegenseitig stützen und so zu einem flexiblen Rechtsinstitut verschmelzen389. Es ist also weiterhin von einer Einheitlichkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes auszugehen390.

dd) Vorbehaltsrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz und Parlamentsvorbehalt Somit verlagert sich die hier verneinte Frage, ob man zwischen einem allgemeinem und einem vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz trennen muss, auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Parlamentsvorbehalt und einem (wie hier) auch als „kompetenziell aussagekräftig“ verstandenen Bestimmtheitsgrundsatz, der vorbehaltsrechtliche Aspekte und damit die aus dem Parlamentsvorbehalt folgenden Bestimmtheitsanforderungen mit umfasst. Diese Rechtsinstitute stellen aber, wenn es um die Einzelfallanalyse geht, denselben Maßstab zur Verfügung, nämlich die „Wesentlichkeit“ einer Regelung. Sie sind somit, wie sich bereits bei der Erörterung des Demokratieprinzips gezeigt hat, zumindest funktional identisch391. Auch diese Untersuchung, der es letztlich um die Gewinnung solcher Maßstäbe und deren Anwendung auf eine konkrete Norm geht, also um Bestimmtheitsanforderungen, wird „Wesentlichkeit“ als Maßstab zu berücksichtigen haben392. Eine Klärung aber, welchem Prinzip ausschließli__________ 387

Vgl. Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 199. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, verweist S. 149 (Fn 59) als Negativbeispiel auf den „Kalkar-Beschluss“ des BVerfG (BVerfGE 49, 89/127 ff.), bei dem dieses im Rahmen der Prüfung von Bestimmtheitsanforderungen nacheinander mit dem Vorbehalt des Gesetzes, dem Parlamentsvorbehalt, dem Bestimmtheitsgrundsatz und den Grundrechten operiert. Der Sache nach wird aber viermal der gleiche Maßstab verwendet. 389 Vgl. Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 199; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 54. 390 Ebenso Papier/Möller, AöR 122 (97), S. 199; Gassner, ZG 1996, S. 56; Rengeling, NJW 1978, S. 2221; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 685; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 117; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 401; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 186 ff.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 349 f.; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 54 und wohl auch Rengeling, NJW 1978, S. 2221 und Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 40. Sobota, Rechtsstaat, S. 137 f. attestiert einer Aufspaltung in zwei Prinzipien „mangelnde Eleganz“: „Durch diese Konstruktion, die Verzahnung von Gesetzesvorbehalt und Bestimmtheitsgebot, entfällt das Problem der Doppelnatur (...)“. 391 Dies wird schon daran deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht in Entscheidungen zum Parlamentsvorbehalt auch immer wieder auf Leitentscheidungen zum Bestimmtheitsgrundsatz verweist. Vgl. dazu BVerfGE 80, 137/161; 83, 130/142 und Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 139 f. 392 Kritisch zur Aussagekraft dieses Kriteriums Osterloh, Gesetzesbindung, S. 121 ff. 388

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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che Aussagekraft in Bezug auf Bestimmtheitsanforderungen zuzusprechen ist, kann in dieser Arbeit unterbleiben und würde auch ihren Umfang sprengen, da dies aufgrund der funktionalen Identität – Bestimmtheitsanforderungen betreffend – keinen Erkenntnisfortschritt brächte und auf eine Frage der Begrifflichkeiten reduziert393. Insbesondere soll deshalb nicht darauf verzichtet werden, auch im Rahmen der Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes mit dem Begriff „Parlamentsvorbehalt“ zu operieren, weil sich viele Aussagen in der Literatur zur erforderlichen Regelungsdichte im Steuerrecht an dieser Rechtsfigur orientieren394 und der Umgang mit diesen nicht durch eine abweichende Begriffsbildung zusätzlich erschwert werden soll. Diese Einsichten geben auch die weitere Struktur der Prüfung vor: Bestimmtheitsanforderungen können je nach Sachgebiet unterschiedlich ausfallen. Da hier speziell die an das Steuerrecht zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen untersucht werden sollen, müssen im Folgenden die „Eigenarten“ dieses Rechtsgebietes näher betrachtet werden.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht Es wurde festgestellt, dass zum einen die vorbehaltsrechtlichen Aspekte des Bestimmtheitsgrundsatzes im Rahmen dessen, was üblicherweise als „Parlamentsvorbehalt“ bezeichnet wird, besonders aussagekräftig im Hinblick auf die erforderliche Regelungsdichte einer Norm sein können. Es wird also zunächst zu untersuchen sein, ob für den Bereich des Steuerrechts die Geltung eines solchen Parlamentsvorbehalts angenommen werden kann, die sich evtl. über die demokratiestaatliche oder grundrechtliche Relevanz begründen lässt, die dieses Rechtsgebiet entfaltet. Zusätzlich müssen auch die Ausprägungen näher untersucht werden, die die spezifisch rechtsstaatlichen Komponenten des Bestimmtheitsgrundsatzes im Steuerrecht erhalten. Besondere Aufmerksamkeit wird in __________ 393 Vgl. zu dieser Frage aber Gassner, DÖV 1996, S. 24 f., der aufgrund ähnlicher Ausgangspunkte, wie sie hier zugrunde gelegt wurden, ebenso zu dem Ergebnis kommt, dass Parlamentsvorbehalt und kompetenziell verstandener Bestimmtheitsgrundsatz funktionell identisch sind, als normativer Prüfungsmaßstab für die verfassungsrechtliche Regelungsintensität aber der Bestimmtheitsgrundsatz vorzugswürdig sei. Ähnlich auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 113 ff. Z.T. ist die Herangehensweise auch genau umgekehrt: Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 73 ff. schlägt sämtliche hier als Teil des Bestimmtheitsgrundsatzes angesehenen dogmatischen Ansatzpunkte, auch rein rechtsstaatlicher Natur, allein dem Parlamentsvorbehalt zu und verzichtet begrifflich vollständig auf den Bestimmtheitsgrundsatz als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung erforderlicher Regelungsdichten (vgl. dens., Parlamentsvorbehalt, S. 32 ff.). Auch dadurch tritt deutlich zutage, dass es sich letztlich um einen rein terminologischen Unterschied handelt. 394 Vgl. nur Barth, Rechtsfortbildung, S. 385 ff.; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 142 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 257 ff.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 117 ff.

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B. Bestimmtheit

diesem Zusammenhang der Frage gewidmet, inwieweit die konfligierenden Prinzipien Orientierungssicherheit und materielle Einzelfallgerechtigkeit im Steuerrecht präzisiert und zum Ausgleich gebracht werden können. Um ein abgerundetes Bild darüber zu erhalten, nach welchen Kriterien die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung Bestimmtheitsanforderungen im Steuerrecht konkretisiert, werden zuletzt einige Umstände und Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht bisher zur Beurteilung von Bestimmtheitsanforderungen herangezogen hat, näher betrachtet und auf ihre Tauglichkeit hin überprüft.

1. Geltung eines Parlamentsvorbehalts als Kriterium für steuergesetzliche Regelungsdichte a) Allgemeines Bei der Festlegung von Bestimmtheitsanforderungen an formelle Gesetze kommt es im Rahmen eines als kompetenziell aussagekräftig verstandenen Bestimmtheitsgrundsatzes im Wesentlichen darauf an, dass Entscheidungspflichten im Spannungsfeld zwischen Exekutive und Legislative einer dieser Gewalten zugewiesen werden. Die Feststellung der Geltung eines „einfachen“ Gesetzesvorbehalts ist für solche Zwecke nur bedingt tauglich, denn in dessen Rahmen ist auch die Regelung eines Sachbereiches aufgrund eines Gesetzes erlaubt, d.h. Entscheidungsmacht kann in großem Umfang entweder „offen“ oder „verdeckt“ delegiert werden. Ein aussagekräftigeres Mittel, um Entscheidungskompetenzen abzugrenzen, ist in diesem Zusammenhang die Rechtsfigur des „Parlamentsvorbehalts“: Über diese können der Legislative Entscheidungspflichten für einen bestimmten Regelungsbereich verbindlich zugewiesen werden. Diese Entscheidungspflichten ziehen erhöhte Anforderungen an die gesetzliche Regelungsdichte nach sich, „verdeckte“ Delegationen sind dann nur noch eingeschränkt möglich395. Sollte __________ 395

Wenn man einen prinzipiellen Gleichlauf von Bestimmtheitsanforderungen an „offene“ und „verdeckte“ Ermächtigungen annimmt, so könnte eine nähere Betrachtung des Streites erforderlich sein, wie sich die Norm des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG in die Lehre vom Parlamentsvorbehalt einfügt. Wenn nämlich innerhalb des Geltungsbereichs eines Parlamentsvorbehalts einerseits erhöhte Bestimmtheitsanforderungen an „verdeckte“ Ermächtigungen gestellt würden, andererseits „offene“ Ermächtigungen nach Maßgabe des Art. 80 Abs. 1 GG uneingeschränkt zulässig wären, so wäre die Annahme eines Gleichlaufs nicht zu halten. Einer Ansicht zufolge sind Verordnungsermächtigungen nur im Rahmen solcher Rechtsmaterien zulässig, die nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 91, 148/162 ff; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 142 ff.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 71 ff.). Hiernach stellt sich das Problem eines mangelnden Gleichlaufs also von vornherein nicht. Aber auch die abweichende Herangehensweise,

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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für das Steuerrecht die Geltung eines solchen Parlamentsvorbehalts anzunehmen sein, so könnte man Bestimmtheitsanforderungen präziser beschreiben. Die sog. „Wesentlichkeitstheorie“, die das Bundesverfassungsgericht zur Konkretisierung des Parlamentsvorbehaltes geprägt hat, besagt, „dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss“396. Die „Wesentlichkeit“ einer Entscheidung, ein im Grundsatz rein heuristischer Begriff397, der ob seiner Weite z.T. heftiger Kritik in der Literatur ausgesetzt ist398, wird zum einen dahin gehend konkretisiert, dass das Ausmaß formell-gesetzlicher Regelungsdichte im Hinblick auf die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung (sog. individuelle Wesentlichkeit) festgelegt werden muss. Je intensiver die Grundrechte beeinträchtigt werden, desto bestimmter muss die Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers sein399. Zum anderen werden Begründungsansätze herangezogen, die nicht so sehr auf die Grundrechtsintensität eines Gesetzes abstellen, sondern dessen „spezifische demokratische Dignität“400 betonen (sog. generelle Wesentlichkeit)401. Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts soll demnach u.a. für politisch besonders kontroverse Entscheidungen oder für solche mit irreversiblen Folgen anzunehmen sein402. Neben der Bezugnahme auf die „Wesentlichkeitstheorie“ bestehen im Steuerrecht aber auch rechtsgebietsspezifische Begründungsansätze für einen Parlamentsvorbehalt403. Auch deren Tauglichkeit soll untersucht werden. ___________ die Verordnungen auch im Geltungsbereich des Parlamentsvorbehaltes zulassen will, stellt dann der Sache nach die gleichen gesteigerten Bestimmtheitsanforderungen, wie sie für „verdeckte“ Ermächtigungen gelten, über Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG (vgl. BVerfGE 58, 257/277 f.; Busch, Verhältnis, S. 132 ff.; Gassner, DÖV 1996, S. 23), so dass auch hier ein Gleichlauf vorliegt. Vgl. dazu auch die Überblicke bei Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 6 Rn 11 c; Cremer, AöR 122 (1997), S. 246 ff. 396 Für viele BVerfGE 76, 1/75; 77, 170/230 f., 77, 381/403; 84, 212/226. Vgl. dazu schon B IV 2 a) dd) (1). 397 Vgl. HbStR III-Ossenbühl, § 62 Rn 45; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 66 m.w.N. 398 Vgl. für viele Erichsen, VerwArch 69 (1978), S. 395 f.; Busch, Verhältnis, S. 41 f.; Kisker, NJW 1977, S. 1317; Kloepfer, JZ 1984, S. 692. 399 BVerfGE 48, 210/221 f.; 49, 89/126 f.; 58, 257/274; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 6 Rn 11 b, Kisker, NJW 1977, S. 1317; Busch, Verhältnis, S. 77 f.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 120 ff.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 389 f.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 103 ff. Kritisch zur Aussagekraft des Kriteriums „Intensität“ Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 182 ff. 400 Formulierung bei Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 200. 401 Vgl. zu beiden materiellen Inhalten der Wesentlichkeitstheorie Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 180 ff.; 200 ff. m.w.N. 402 Vgl. zu den in diesem Zusammenhang relevanten Maßstäben Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 247 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 200 ff. 403 Das Bundesverfassungsgericht lässt auch rechtsgebietsspezifische Begründungsansätze für einen Parlamentsvorbehalt ohne weiteres zu. Vgl. dazu nur BVerfGE 48,

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B. Bestimmtheit

b) Vorbehalt des Gesetzes im Steuerrecht Zu Recht kann an dieser Stelle gefragt werden, ob nicht das Augenmerk zunächst einmal auf den Nachweis gerichtet sein sollte, dass die fragliche Regelungsmaterie überhaupt vom Vorbehalt des Gesetzes erfasst wird, also zumindest ein „einfacher“ Gesetzesvorbehalt gilt. Die Erkenntnis, dass das Steuerrecht dem Vorbehalt des Gesetzes unterfällt, ist aber angesichts der Historie des Rechtsinstitutes nicht mehr als eine Banalität, die keine breiteren Ausführungen rechtfertigt. Der steuerrechtliche Gesetzesvorbehalt teilt mit dem demokratischen Vorbehalt des Gesetzes entwicklungsgeschichtlich zahlreiche Verbindungslinien und kann deshalb als einer von dessen Vorläufern bezeichnet werden404. Schon nach der hergebrachten Formel vom „Eingriff in Freiheit und Eigentum“ ergibt sich, dass das Steuerrecht als „klassisches“ Eingriffsrecht405 dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt. Nachdem dieses liberalstaatliche Verständnis durch den Parlamentsvorbehalt der „Wesentlichkeitstheorie“ abgelöst wurde, beantwortet sich die Frage nach der Geltung eines Gesetzesvorbehalts im Steuerrecht inzidenter bei der Prüfung des Bestehens eines Parlamentsvorbehalts, denn dieser setzt als „mindere Stufe“ die Geltung eines einfachen Gesetzesvorbehalts voraus, der durch die spezifischen Grundrechtsschranken konturiert wird406. ___________ 210/221 f.: „Das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit einer gesetzlichen Ermächtigung lässt sich nicht allgemein festlegen, sondern hängt von der Eigenart des geregelten Sachbereichs ab (...).“ Müßig ist dabei die Klärung der Frage, ob es sich hierbei um bereichsspezifische Ausprägungen der „Wesentlichkeitstheorie“ (so wohl Barth, Rechtsfortbildung, S. 389, 394; Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 56) oder, wie hier angenommen, um eigenständige Begründungsansätze handelt. 404 Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 104 ff.; Hahn, Gesetzmäßigkeit, S. 59; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 473; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 47 ff; Mußgnug, Haushaltsplan, S. 35 ff. 405 Barth, Rechtsfortbildung, weist S. 390 darauf hin, dass das Steuerrecht heutzutage für den Bürger – allein schon wegen der Tatsache, dass er mit diesem Rechtsgebiet häufiger konfrontiert wird – empfindlicher spürbar wird als das Polizei- und Ordnungsrecht, das lange als das „klassische“ Eingriffsrecht galt. 406 Der „einfache“ Gesetzesvorbehalt oder „Rechtssatzvorbehalt“ steht richtiger Ansicht nach – „schlichte“ Parlamentsbeschlüsse außer Acht gelassen – zum Parlamentsvorbehalt derart in einem Stufenverhältnis, dass immer dann, wenn das Vorliegen eines Parlamentsvorbehalts bejaht werden muss, gleichzeitig ein Gesetzesvorbehalt als „minus“ vorliegt. Vgl. dazu BVerfGE 58, 257/286 ff.; Busch, Verhältnis, S. 73 f.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 120 f.; a.A. z.B. Kloepfer, JZ 1984, S. 695. Im Steuerrecht greift zumindest der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG, dazu näher sogleich B V 2 c) aa) (3). Als weitere Begründungsansätze werden – wohlgemerkt nur für die Geltung eines „einfachen“ Gesetzesvorbehalts – u.a. herangezogen: Art. 105 Abs. 3 GG, der im Rahmen seines Anwendungsbereichs immer ein Gesetz fordere, und Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG, der einen abstrakt-generellen Maßstab und somit zumindest ein materielles Gesetz voraussetze (vgl. dazu HbStR IV-Kirchhof, § 88 Rn 42).

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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c) Begründungsansätze für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht Wenn wie hier als Begründungsansatz für ein legislatives Delegationsverbot die Geltung eines Parlamentsvorbehalts „im Steuerrecht“ untersucht wird, so ist dieser Ansatz ohne klarstellende Ergänzungen zunächst zu pauschal: Der bloße Verweis auf das Rechtsgebiet „Steuerrecht“ unterstellt eine Homogenität der Rechtsmaterie, die im Rahmen der Anwendung der „Wesentlichkeitstheorie“ fehl am Platz ist und in die Irre führt. Das Steuerrecht setzt sich aus sehr verschiedenartigen Teilgebieten zusammen. Steuerverfahrensrecht und Bilanzsteuerrecht haben z.B. wenig gemein. Die „Wesentlichkeitstheorie“ ist aber primär nur in der Lage, vor allem in ihrer grundrechtsbezogenen Komponente, Aussagen über die einzelne staatliche Maßnahme, den konkreten geregelten Sachverhalt zu treffen407. Deshalb können mit ihr nur dann Erkenntnisse über erforderliche Regelungsdichten gewonnen werden, die über konkrete Sachverhalte hinausgehen, wenn sich ein Rechtsgebiet durchgängig aus gleichartigen Regelungstatbeständen zusammensetzt. Diesen müsste dann auch die gleiche – ausreichend intensive – Grundrechtsrelevanz zukommen408. Das ist im Steuerrecht nicht der Fall. Deshalb sind Aussagen wie „Im Steuerrecht gilt ein Parlamentsvorbehalt“ potenziell irreführend, wenn sie ohne Bezug auf konkrete Regelungsmaterien getätigt werden. Eine solche auf das gesamte Rechtsgebiet bezogene Herangehensweise findet sich aber vielfach sowohl in Rechtsprechung als auch Literatur, so dass auch hier auf sie nicht verzichtet werden soll409. Dies ist auch – trotz der angeführten Bedenken – aus folgenden Gründen zumindest im Grundsatz legitim: Zum einen können durchaus Charakteristika aus Rechtsgebieten herausdestilliert werden, die sachverhaltsübergreifenden Gel__________ 407

Der Parlamentsvorbehalt muss deshalb als „partielles“ Delegationsverbot verstanden werden. Vgl. dazu Barth, Rechtsfortbildung, S. 387 f.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 135; Rengeling, NJW 1978, S. 2219; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 655 (Fn 37). 408 Vgl. dazu Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 135. Zur besonderen Heraushebung einzelner Regelungsbereiche aus einem Rechtsgebiet vgl. aus dem Schulrecht BVerfGE 47, 46/83 (Sexualkunde) und 58, 257/275 (Schulentlassung). 409 Üblicherweise wird die besondere Problematik dieser Vorgehensweise nicht reflektiert. So setzt zum Beispiel die „Vorausberechnungsformel“, die das Bundesverfassungsgericht teilweise als Bestimmtheitsmaßstab im Steuerrecht verwandt hat (vgl. B V 3 b)), stillschweigend voraus, dass Bestimmtheitsanforderungen im Hinblick auf ganze Rechtsgebiete konkretisiert werden können. Vgl. als Beispiel aus der Literatur Kruse, Steuerrecht I, S 55 f. Auch Barth, Rechtsfortbildung, S. 387 ff., untersucht ohne einschränkende Erläuterung die „Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht“ trotz eigenen Hinweises auf die Problematik eines solchen Vorgehens. Richtig aber BVerfGE 86, 288/311; Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 62; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 439.

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tungsanspruch besitzen. Dies betrifft z.B. die Qualifikation eines Rechtsgebietes als „Eingriffsrecht“, die auch für das Steuerrecht bspw. immer dort zutrifft, wo Abgabepflichten begründet werden. Zum anderen darf auch nicht übersehen werden, dass die „Wesentlichkeit“ einer Entscheidung nicht nur grundrechtsbezogen begründet werden kann, sondern anerkanntermaßen auch „Besonderheiten des geregelten Sachbereichs“ jenseits der Grundrechtsrelevanz ein Indiz für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts sein können410. „Sachbereich“ ist aber mehr als „konkreter Sachverhalt“. Durch die Untersuchung sachbereichsspezifischer Begründungsansätze müsste es also ebenfalls möglich sein, über den Regelungsbereich einer konkreten Norm hinausgehende Aussagen über erforderliche Regelungsdichten zu treffen. Wenn also im Folgenden „das Steuerrecht“ anhand der „Wesentlichkeitstheorie“ untersucht werden soll, so muss dies auf der Grundlage des „steuerlichen Regelfalls“, also anhand eines typisierenden und abstrahierenden Verständnisses des Rechtsgebietes erfolgen, was auch bei den gewonnenen Ergebnissen zu berücksichtigen ist. Dies hat zur Folge, dass bei der Untersuchung von Bestimmtheitsanforderungen an konkrete Normen auf eine erneute Prüfung spezieller grundrechtlicher Implikationen, insbesondere des Wesentlichkeitskriteriums, nicht verzichtet werden darf. Denn auch wenn bereits festgestellt wurde, dass die fragliche Regelungsmaterie in ihrer Gesamtheit nicht einem Parlamentsvorbehalt unterfällt, kann dies im Einzelfall immer noch zu bejahen sein. Der Wert der abstrahierenden Untersuchung kann aber darin gesehen werden, dass für die Betrachtung des Einzelfalls Vermutungsregeln gewonnen werden, die bereits eine fundierte Ausgangsbasis für weitere Betrachtungen liefern können. Nicht anders geht im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung von vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen vor411. Im Rahmen der „Wesentlichkeitstheorie“ kommt im Steuerrecht in erster Linie eine Argumentation anhand der „individuellen Wesentlichkeit“ in Frage412. __________ 410

Vgl. nur Barth, Rechtsfortbildung, S. 389, 394. Sehr deutlich wird dies in BVerfGE 48, 210/222 (vgl. schon B IV 1 b) dd)): „§ 34 c Abs. 3 EStG ist nicht eine die Steuerpflicht begründende Vorschrift und ermächtigt nicht zu belastenden Verwaltungsakten, sondern lediglich zu Maßnahmen, die den Steuerpflichtigen entlasten. (...) Mögen im Steuerrecht Belastungen und Vergünstigungen nicht selten Hand in Hand gehen, sind die Anforderungen an das Maß der gesetzlichen Bestimmtheit solcher Ermächtigungen gleichwohl geringer als bei Eingriffsermächtigungen, weil deren Grundrechtsrelevanz regelmäßig erheblich gewichtiger ist“. Dieser Grundsatz lässt die Möglichkeit zur Entkräftung im Einzelfall offen. 412 Argumente, die dem Bereich der „generellen“ Wesentlichkeit zuzurechnen sind, also der politischen Wichtigkeit, werden zur Begründung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht so gut wie nicht herangezogen und deshalb auch hier nicht weiter untersucht. Die einzige Ausnahme bildet insofern der Verweis auf die Relevanz der staatlichen Einnahmen für den Staatshaushalt und damit für die „Staatsleitung“. Auf dieses 411

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Im Folgenden soll deshalb die Grundrechtsrelevanz dieses Rechtsgebiets näher betrachtet werden (aa). Zusätzlich lassen sich drei rechtsgebietsspezifische Argumente für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts ausmachen. Hier wird zunächst der „positivistische Charakter“ des Steuerrechts hervorgehoben (bb). Des Weiteren wird eine Analogie zu Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG erwogen (cc) und das Vorliegen von Gewohnheitsrecht diskutiert (dd).

aa) Steuerrecht als „intensiver“ Grundrechtseingriff Theoretisch können Steuern alle grundrechtlich geschützten Freiheiten beeinträchtigen413. Im Zusammenhang mit dem hier allein interessierenden „typischen“ Steuereingriff werden jedoch regelmäßig drei Freiheitsgrundrechte besonders problematisiert: Die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG, die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG414. Diese sind auch hier Ausgangspunkt der Untersuchung. Der Nachweis eines bloßen Eingriffs in diese Grundrechte wird dabei nicht ausreichen: Zur Begründung der Geltung eines Parlamentsvorbehalts mit den daraus folgenden Anforderungen an die formalgesetzliche Regelungsdichte muss der Eingriff als besonders „intensiv“ zu qualifizieren sein415. Auf diesem Punkt wird deshalb der Schwerpunkt der nachfolgenden Ausführungen liegen. ___________ Argument wird im Zusammenhang mit der Überprüfung eingegangen, ob Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG analog auch für die Steuererhebung gilt, vgl. dazu B V 2 c) cc). 413 Vgl. nur Birk, Die Verwaltung 2002, S. 91, 107; Mellinghoff; DStR 2003, Beihefter 3, S. 10. Vor allem Art. 6 Abs. 1 GG hat in letzter Zeit in steuerrechtlicher Diskussion und Verfassungsrechtsprechung stark an Bedeutung gewonnen. Vgl. als Überblick Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 12 f. und Birk, Steuerrecht, Rn 160 m.w.N. Ehe und Familie sind aber durch die Auferlegung von Abgabepflichten nicht typischerweise betroffen, so dass hier auf eine nähere Untersuchung von Art. 6 Abs. 1 GG verzichtet wird. Das gleiche gilt für den ebenfalls im steuerrechtlichen Kontext im Zusammenhang mit der „Rechtsformneutralität“ der Besteuerung an Bedeutung gewinnenden Art. 9 Abs. 1 GG. Vgl. dazu zuletzt Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 27 ff.; Lang, DStJG 24 (2001), S. 60; Hey, DStJG 24 (2001), S. 161 ff. 414 Vgl. nur Seer, DStJG 23 (2000), S. 90; Butzer, Grenzen der Steuerlast, S. 31 ff. Die Relevanz der Freiheitsgrundrechte für das Steuerrecht ist hoch problematisch, auch heute noch umstritten und teilweise, vor allem im Bereich des Art. 14 Abs. 1 GG, noch nicht abschließend geklärt. Eine eingehende Behandlung dieser Fragen in zufrieden stellender Dichte würde aber Umfang und Zielsetzung dieser Arbeit sprengen. Vgl. aber nur die Darstellungen bei Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 532 ff.; HHSpBirk/Barth, AO, § 4 Rn 525 ff; Tipke, StRO I, S. 417 ff.; Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 10 ff.; Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 12 ff. 415 Die „Intensität“ einer Maßnahme erlangt im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Parlamentsvorbehalts insoweit doppelte Relevanz, als es sich auch um eines der Kriterien handelt, mit denen festgestellt werden kann, ob überhaupt ein Eingriff in ein Grundrecht vorliegt. Die Bejahung eines solchen Eingriffs begründet aber in der Regel nur einen „einfachen“ Gesetzesvorbehalt. Vgl. dazu Eckhoff, Grundrechtseingriff,

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(1) Art. 14 Abs. 1 GG Die Diskussion in der Literatur über die Relevanz des Art. 14 Abs. 1 GG für das Steuerrecht ist geprägt von der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage. Dieses hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass der Schutzbereich der Eigentumsgarantie durch die Auferlegung von Abgabepflichten nicht berührt sei416. Später wurde diese Position dahin gehend eingeschränkt, dass eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG durch die Auferlegung von Abgabepflichten dann in Frage komme, wenn diese „erdrosselnde“ Wirkung hätten, d.h. wenn es sich um einen de facto konfiskatorischen Zugriff auf das Vermögen des Steuerpflichtigen handele417. Das Bundesverfassungsgericht orientierte sich jedoch in seiner Rechtsprechung im Jahr 1995 mit dem sog. „Vermögenssteuerbeschluss“ grundsätzlich neu. Es stellte fest, dass durch Besteuerung stets die sog. „Eigentümerfreiheit“, die zum Schutzobjekt des Art. 14 Abs. 1 GG erklärt wurde, beeinträchtigt wird418. Diese Entscheidung setzte den vorläufigen Schlusspunkt unter das allgemeine Bemühen der steuerverfassungsrechtlichen Dogmatik, mit P. Kirchhof als Protagonisten419, auch die Freiheitsgrundrechte als Grenzen der Besteuerungsgewalt nutzbar zu machen. Aus Art. 14 Abs. 2 GG wurde zudem herausgelesen, dass die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleiben müsse420, was das Schrifttum teilweise heftig kritisiert421. Dementsprechend bestehen zur Relevanz des Art. 14 Abs. 1 GG für die Besteuerung auch eine Reihe von abweichenden Konzeptionen, in deren Rahmen die Eigentumsgarantie z.T. nur dann als verletzt angesehen wird, wenn ___________ S. 252 ff. Die für die Annahme eines Parlamentsvorbehalts erforderliche „Intensität“ muss notwendigerweise eine andere, darüber hinausgehende sein. Vgl. zu Konkretisierungsversuchen dieser besonderen Intensität Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 268. 416 Zuerst im sog. „Investitionshilfe-Urteil“ vom 20. 7. 1954 (BVerfGE 4, 7/17). 417 BVerfGE 14, 221/241, st. Rspr.; vgl. zum Begriff der „Erdrosselung“ BVerfGE 30, 250/272; 38; 61/102; 82, 159/190. Diese Ansicht findet sich aber meist in obiter dicta, praktisch relevant geworden ist sie nie. Vgl. dazu Butzer, Grenzen der Steuerlast, S. 32 f. 418 Vgl. BVerfGE 93, 121/137. 419 Grundlegend dazu Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), S. 215 ff. Vgl. auch Butzer, Grenzen der Besteuerung, S. 38 (Fn 36). 420 Sog. „Halbteilungsgrundsatz“ (BVerfGE 93, 121/138). Vgl. dazu Helbig, Halbteilungsgrundsatz, S. 44 ff.; Seer, FR 1999, S. 1280 ff.; dens., DStJG 23 (2000), S. 94 ff.; Tipke, StRO I, S. 439 ff.; Butzer, Grenzen der Besteuerung, S. 55 ff. 421 Vgl. dazu nur Birk/Wernsmann, JZ 2001, S. 218; Helbig, Halbteilungsgrundsatz, S. 76 f.; Birk, Die Verwaltung 2002, S. 106 f.; Tipke, StRO I, S. 449 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 223 m.w.N. und das abweichende Votum von Ernst-Wolfgang Böckenförde (BVerfGE 93, 149/153 ff.).

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durch die Wirkung einer Steuer in konkrete Eigentumspositionen eingegriffen wird und diese nachhaltig entwertet werden422. Auch aufgrund des Widerstandes, auf den der „Vermögenssteuerbeschluss“ in Teilen der steuerrechtlichen Literatur stieß, ist der Feststellung beizupflichten, dass das Verhältnis zwischen Eigentumsfreiheit und Besteuerung bis heute nicht zufrieden stellend geklärt ist423. Es ist aber der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts, der Art. 14 Abs. 1 GG die größte Relevanz einräumt. Dieser soll deshalb der Betrachtung, ob im steuerlichen Regelfall eine „wesentliche“, d.h. hinreichend intensive Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit vorliegt, zugrunde gelegt werden. Wenn dies auf der Basis dieser Konzeption verneint werden kann, so muss dies erst recht für andere Auffassungen gelten, die Art. 14 Abs. 1 GG im Steuerrecht weniger Raum zugestehen. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichts weiter als einen Versuch darstellt, die unter dem Kriterium der „Erdrosselung“ blass gebliebenen Grenzen zur Übermaßbesteuerung neu zu ziehen424. Eine Übermaßbesteuerung ist, zumal die Vermögenssteuer nicht weiter erhoben wird und die Gesamtsteuerlast gegenüber 1995 gesenkt wurde und noch weiter sinken wird, keine akute Gefahr mehr, so dass sich ein durchgängig anzunehmender Parlamentsvorbehalt für das Steuerrecht mit der möglichen Beeinträchtigung von Art. 14 Abs. 1 GG nicht begründen lässt. Andererseits ist die Interpretation des Art. 14 Abs.1 GG durch das Bundesverfassungsgericht, die trotz ihrer Umstrittenheit als solche grundsätzlich respektiert werden muss, nicht vollständig ohne Aussagekraft für die Konkretisierung von Bestimmtheitsanforderungen: Will man einen möglichen Verstoß gegen den „Halbteilungsgrundsatz“ vorhersehen können, müsste zumindest die Obergrenze der steuerlichen Belastung aus dem Gesetz erkennbar sein. Z.T. wird daraus in der Literatur die Folgerung gezogen, dass Steuerschuldner, -bemessungsgrundlage, -gegenstand und -satz im formellen Gesetz vorgeprägt sein müssen425. Dies erscheint aber angesichts der oben angedeuteten steuerrechtlichen Entwicklungstendenzen, die einen Verstoß gegen den Halbteilungsgrundsatz immer __________ 422 So HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 580 ff., die auch weitere dogmatische Konzeptionen eingehend darstellen. Vgl. auch Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 224. Zur begrenzten Tauglichkeit des Art. 14 Abs. 1 GG als freiheitsrechtliche Schranke der Besteuerungsgewalt vgl. zuletzt Helbig, Halbteilungsgrundsatz, S. 55 ff. 423 Vgl. HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 581. 424 Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 223; Lang, Halbteilungsgrundsatz, S. 173. 425 Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 263 ff. Dieser relativiert seine Aussagen aber S. 264 selbst, indem er zugesteht, dass „sich die gesetzgeberische Verantwortung allerdings auf die maßgeblichen Grundentscheidungen“ beschränkt.

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unwahrscheinlicher erscheinen lassen, als zu weit gehend. In Art. 14 Abs. 1 GG sollte folglich lediglich ein Impuls für Regelungspflichten des formellen Gesetzgebers in grundlegenden Fragen der Steuergestaltung gesehen werden. Jede weitergehende Aussage lässt sich unter den gegebenen Verhältnissen nicht redlich begründen426.

(2) Art. 12 Abs. 1 GG „Die Erhebung von Steuern und sonstigen Abgaben greift in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ein, wenn sie in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes steht und – objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lässt“, so das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen aus der jüngeren Vergangenheit427. Die Annahme eines solchen Eingriffs ist im geltenden Steuerrecht nicht fern liegend, knüpft dieses doch mit einer Reihe von Tatbeständen direkt an das Merkmal „Beruf“ i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG an, so unter anderem mit den meisten Einkunftsarten des Einkommensteuerrechts428. Auch in der Literatur wird nicht bezweifelt, dass durch die Auferlegung von Abgabenlasten in eine Reihe von durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheiten wie die Unternehmerfreiheit oder die berufliche Vertragsfreiheit429 eingegriffen werden kann430. Kontrovers beurteilt wird jedoch die Frage, nach welchen Kriterien in diesem Zusammenhang das Vorliegen eines Eingriffs bestimmt werden __________ 426 Zweifel bzgl. der Aussagekraft von Art. 14 Abs. 1 GG zur Begründung eines Parlamentsvorbehalts, allerdings noch ohne Berücksichtigung der Vermögenssteuerentscheidung, hegt auch Barth, Rechtsfortbildung, S. 392 ff., der auch auf Versuche eingeht, Art. 14 Abs. 3 GG in diesem Zusammenhang nutzbar zu machen. 427 BVerfGE 98, 83/97; 98, 106/117 (unter Bezugnahme auf BVerfGE 37, 1/17). Hohmann, DÖV 2000, S. 406 f. betont, dass Art. 12 GG in der Rechtsprechung des Gerichts nach 1974 zunächst etwas „aus dem Blickfeld“ geriet, bevor dieser 1998 revitalisiert wurde. 428 Ausführlich dazu HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 553. 429 Ob die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet bzw. die sog. „Wettbewerbsfreiheit“ Art. 2 Abs. 1 oder ausschließlich Art. 12 Abs. 1 GG unterfällt, ist weiterhin umstritten (vgl. für ersteres JP-Jarass, GG, Art. 2 Rn 4; dagegen z.B. HbStR VIErichsen, § 152 Rn 60 ff.; MKS-Starck, GG, Art. 12 Rn 67). Letzteres ist aufgrund des spezielleren Charakters des Art. 12 Abs. 1 GG zumindest dann der Fall, wenn die steuerliche Regelung eine „objektiv berufsregelnde“ Tendenz aufweist, was in der Mehrzahl der Fälle vorliegen wird. Eine Auflistung der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheiten finden sich bei HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 551. 430 Hohmann, DÖV 2000, S. 409 m.w.N., spricht bei der Darstellung des Meinungsspektrums in der Literatur davon, dass der früher vertretene Ansatz, dass Steuern in der Regel keinen Eingriff in Art. 12 GG darstellen, heute „überwunden“ sein dürfte. Ähnlich Seer, FR 1999, S. 1281.

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muss431. Teilweise wird der Kreis der möglichen Eingriffe sehr weit gezogen, jede mittelbare Beeinträchtigung soll dann genügen432. Es lassen sich aber auch Stimmen ausmachen, die außerhalb von Lenkungssteuern einen Eingriff in die Berufsfreiheit nur bei unmittelbarem staatlichem Zugriff annehmen, die also einen mittelbaren Eingriff, auch wenn dieser eine „objektiv berufsregelnde“ Tendenz aufweist, nicht ausreichen lassen433. Danach würde das Steuerrecht in seiner bloß lastenausteilenden Funktion regelmäßig nicht an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen sein. Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann aber auch hier dahingestellt bleiben, wenn ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG durch die Auferlegung von Steuerlasten im Regelfall zumindest nicht die für die Begründung der Geltung eines Parlamentsvorbehalts erforderliche Intensität erreicht. Als Kriterium zur Bestimmung der Eingriffsintensität bietet sich die im „Apothekenurteil“ des Bundesverfassungsgerichts entwickelte „Stufentheorie“ an434. Wenn der Steuer dort, wo sie eine „objektiv berufsregelnde“ Tendenz entfaltet, generell der Charakter einer objektiven Berufswahlbeschränkung zukäme, so läge es nahe, dies als „wesentliche“ Betroffenheit der Grundrechte zu qualifizieren. Ein solcher Charakter wird sowohl in Rechtsprechung als auch Literatur dann angenommen, wenn einer Steuer dergestalt „erdrosselnde“ Wirkung zukommt, dass die Ergreifung eines bestimmten Berufes tatsächlich ausgeschlossen ist435. Dies ist aber in der Regel nicht der Fall. Der Staat will durch lastenausteilende Steuernormen am wirtschaftlichen Erfolg seiner Bürger partizipieren und diesen nicht verhindern436. Steuern sind somit im Regelfall als „Berufsausübungsregelungen“ zu qualifizieren. Für solche Eingriffe bestehen aber schon auf Grundrechtsebene deutlich reduzierte Rechtfertigungsanforde__________ 431

Es besteht aber zumindest Einigkeit darüber, dass es in diesem Zusammenhang weniger auf die vom Gesetzgeber bezweckte Wirkung als auf die materielle Betroffenheit des Grundrechtsträgers ankommt. Vgl. dazu nur Tipke, StRO I, S. 434; Seer, FR 1999, S. 1281; dens., DStJG 23 (2000), S. 93 f. 432 Vgl. zu dieser Auffassung die Nachweise bei Hohmann, DÖV 2000, S. 409 (Fn 21). 433 Vgl. nur Selmer, Steuerinterventionismus, S. 244 f. 434 BVerfGE 7, 377 ff. Vgl. zur „Stufentheorie“ als typisiertem Intensitätsmaßstab auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 850. 435 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 827 f.; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 659; Barth, Rechtsfortbildung, S. 393; Butzer, Grenzen der Steuerlast, S. 41. Hohmann, DÖV 2000, S. 412 ff. (414) vermeidet den Begriff der „Erdrosselung“ und führt Folgendes aus: „Je deutlicher es einer Steuer realiter um die Prohibition der beruflichen Tätigkeit geht, umso eher könnte möglicherweise die objektive Berufswahlregelung angenommen werden“. In der Verfassungsrechtsprechung wird dieser Gedanke in BVerfGE 8, 222/228 und 13, 181/185 ff. angedeutet, das BVerfG hat bisher aber noch keine steuerliche Vorschrift als „Berufswahlbeschränkung“ qualifiziert, obwohl es schon Steuernormen an Art. 12 Abs. 1 GG hat scheitern lassen (vgl. BVerfGE 98, 106/117 ff.). 436 Dies mag bei Lenkungsnormen im Einzelfall anders sein, diese sind aber immer noch in der Minderzahl, die Mehrzahl der Steuernormen ist „bloß“ lastenausteilend.

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B. Bestimmtheit

rungen437, eben weil sie als wenig „intensiv“ angesehen werden. Die Möglichkeit einer parlamentarischen Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen im Fall von Berufsausübungsregelungen wird folglich von der Rechtsprechung ausdrücklich bejaht438. Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts kann deshalb über Art. 12 Abs. 1 GG im Allgemeinen nicht begründet werden.

(3) Art. 2 Abs. 1 GG Seit dem „Elfes“-Urteil verstehen das Bundesverfassungsgericht439 und die ganz herrschende Ansicht in der Literatur Art. 2 Abs. 1 GG als sog. „allgemeine Handlungsfreiheit“440. In dem Bereich des Steuerrechts also, in dem die Schutzbereiche der bisher untersuchten Grundrechtsartikel thematisch nicht einschlägig sind oder für nicht betroffen gehalten werden, steht der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG offen441. Art. 2 Abs. 1 GG umfasst dann auch die allgemeine Freiheit wirtschaftlicher Betätigung442. Mit der Auferlegung von Abgabepflichten liegt notwendig eine Einbuße an wirtschaftlicher Gestaltungsfähigkeit beim Adressaten vor. Diese Auferlegung begründet also einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit443. Zumindest deshalb steht das Steuerrecht unter (grundrechtlichem) Gesetzesvorbehalt444. Was die Intensität des Eingriffs betrifft, so ist hier einerseits davor zu warnen, diese im Vergleich zu anderen Grundrechtseingriffen als zu gering zu ver__________ 437 Ausreichend sind hier „Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit“ (BVerfGE 77, 308/332) und „jede vernünftige Erwägung des Allgemeinwohls“ (BVerfGE 78, 155/162; 95, 173/183). Vgl. dazu Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 855; JP-Jarass, GG, Art. 12 Rn 36. 438 BVerfGE 38, 373/380; 71, 162/171; 76, 171/185. Vgl. dazu auch HHSpBirk/Barth, AO, § 4 Rn 566. 439 BVerfGE 6, 32/36 ff, seitdem st. Rspr. Vgl. nur BVerfGE 80, 137/152 ff. (Reiten im Walde). 440 Dagegen z.B. Hesse, Verfassungsrecht, Rn 427 f. und Grimm, Sondervotum, BVerfGE 80, 164 ff. (sog. „Persönlichkeitskerntheorie“). Vgl. zur „allgemeinen Handlungsfreiheit“ auch Pieroth, AöR 115 (90), S. 33 ff. 441 Vgl. Butzer, Grenzen der Steuerlast, S. 42. 442 BVerfGE 10, 89/99; 25, 371/407; 29, 260/266 f.; 60, 329/339; 65; 196/210; 70, 115/123; 73, 261/270; 78, 232/242; MK-Kunig, GG, Art. 2, Rn 16; Butzer, Grenzen der Steuerlast, S. 42. 443 Vgl. BVerfGE 9; 3/11; 42, 220/227; 44, 216/223 f.; 48, 102/115 f.; 81, 108/122; 87, 153/169; 93, 121/137; 95, 267/300; 96, 375/397; 105, 1/17; JP-Jarass, GG, Art. 2 Rn 3; MK-Kunig, Art. 2 Rn 16 und HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 526 f. mit ausführlicher Subsumtion. 444 Vgl. zum üblichen Verständnis der Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG als „einfacher“ Gesetzesvorbehalt i.S.e Rechtssatzvorbehalts für viele BVerfGE 6, 32/38 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 383; JP-Jarass, GG, Art. 2 Rn 17.

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anschlagen445. Andererseits ist der Charakter des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht im Auge zu behalten. Eingriffe in spezielle Grundrechte gelten schon typischerwiese als „wesentlicher“446. Zu Recht wird auch darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz selbst nur in sehr geringem Umfang förmliche Gesetzesvorbehalte enthalte447. Man müsse deshalb, um keinen Fremdkörper im System der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte durch eine zu strenge Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG zu schaffen, mit der Annahme eines Parlamentsvorbehalts aufgrund dieser Norm sehr zurückhaltend sein. Das Grundgesetz liefere mit der Normierung eines förmlichen Gesetzesvorbehalts für Freiheitsentziehungen in Art. 104 Abs. 1 GG einen Anhaltspunkt für die Eingriffsintensität, die für die Annahme eines Parlamentsvorbehalts erforderlich sei. Es sei nicht ersichtlich, dass der Steuererhebung typischerweise eine vergleichbare Intensität zukomme448. Es zeigt sich, dass durch die Auferlegung von Steuerlasten zwar regelmäßig in Art. 2 Abs. 1 und unter besonderen Voraussetzungen in Art. 14 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG eingegriffen wird, aber die Intensität der Beeinträchtigung im Regelfall nicht die Annahme eines „wesentlichen“ Eingriffs rechtfertigt. Über die „Wesentlichkeitstheorie“ kann somit im Regelfall die Geltung eines Parlamentsvorbehalts für das Steuerrecht nicht begründet werden. Deshalb sollen nun rechtsgebietsspezifische Ansätze zur Begründung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht näher untersucht werden.

bb) Der „positivistische“ Charakter des Steuerrechts Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht wird denn auch heutzutage hauptsächlich mittels eines Ansatzes zu begründen versucht, dem ein besonderes „Grundverständnis“ dieses Rechtsgebiets zugrunde liegt, das üblicherwiese mit einer bestimmten „Schule“ identifiziert wird und welches mit dem __________ 445 Vgl. Barth, Rechtsfortbildung, S. 392, der in diesem Zusammenhang (im Anschluss an Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 125) darauf verweist, dass die Regelungsintensität schon eine „Bagatellgrenze“ überschreiten müsse, damit überhaupt das Vorliegen eines „Eingriffs“ in Art. 2 Abs. 1 GG angenommen werden könne. Vgl. dazu auch Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 255 ff. 446 Vgl. BVerfGE 58, 257/272 ff.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 55. Dazu Herzog, NJW 1999, 27: „Aber bedenken Sie bitte, worum es im Steuerrecht geht. Da sind natürlich hohe Güter in der Diskussion. Aber wenn ich mir aus meiner politischen und aus meiner verfassungsrichterlichen Praxis vorstelle, um welche Güter es in anderen Bereichen geht – im Familienrecht, im elterlichen Erziehungsrecht, wo es um das Glück und nicht nur um das Geld der Menschen geht (...)“. 447 Vgl. Barth, Rechtsfortbildung, S. 394. 448 Vgl. zu dieser Argumentation HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 660; Barth, Rechtsfortbildung, S. 394.

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B. Bestimmtheit

Wort „positivistisch“449 bezeichnet werden kann. An anderer Stelle ist auch die Rede von einem „deterministischen Modell“450. Aus dieser Deutung der „Natur des Steuerrechts“, welche im Folgenden noch näher dargelegt wird, werden zwei ihrerseits eng verwandte Argumente für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts gewonnen. Zum einen wird eine „mangelnde Sachgesetzlichkeit“ des Steuerrechts postuliert (1); zum anderen wird angenommen, dass grundrechtliche Schutzsysteme in diesem Rechtsgebiet strukturell versagen (2).

(1) Mangelnde „Sachgesetzlichkeit“ Die Annahme, dass das Steuerrecht über keine eigene „Sachgesetzlichkeit“ verfüge und diesem deshalb eine „positivistische“ Natur zukomme, fußt auf einem Gedanken, den mehrere Autoren, darunter Kruse, Flume und K. Vogel, in Anlehnung an Otto Mayer entwickelt haben451 und der z.T. heute noch mit Vehemenz vertreten wird452.

(a) Steuerrecht als „Diktum des Gesetzgebers“ Dieser Ansatz beruht auf der Grundannahme, dass das Steuerrecht im Rahmen von „lastenausteilenden“ Normen keinen anderen Zweck habe als die Finanzbeschaffung des Staates. Dies sei, so wird argumentiert, zwar ein Zweck, aber kein konkreter, der weder die Ausgestaltung noch die Ausführung der Steuergesetze strukturieren könne. In Bezug auf diesen Zweck sei auch jede steuerrechtliche Regelung geeignet, erforderlich und bis zur Grenze der Erdrosselung verhältnismäßig, wenn man auf den Gesamtstaatsbedarf abstelle. Damit fehle es an einem „Bindeglied, das außerhalb der Steuerverwaltung das Fortwirken der ursprünglichen gesetzgeberischen Entscheidung im Verwal__________ 449 So z.B. W. Flume, StbJb 1967/68, S. 64 ff., der von der „positivistischen Natur des Steuertatbestandes“ redet. Ähnlich ders., StbJb 1985/86, S. 279 ff. Deutlich auch Tipke, StRO I, S. 121: „Im Steuerrecht gibt es eine besondere positivistische Tradition“. 450 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 287. An anderer Stelle bezeichnet er diesen Ansatz als die „Reine Steuerrechts-Lehre“ (S. 286). 451 Vgl. Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 480 ff.; HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 68 ff.; Kruse, Steuerrecht I, S. 45 ff., 61; dens., StuW 1990, S. 324 ff.; dens., DStJG 5 (1982), S. 81 ff.; Flume, StbJb 1967/68, S. 64 ff.; dens., StbJb 1985/86, S. 279 ff. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 316, sprach noch von der „Losgelöstheit von bedingenden Zusammenhängen“. 452 Vgl. nur Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 40; Isensee, StuW 1994, S. 7; Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 110 f.

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tungshandeln“ sicherstelle453. Dies unterscheide das Steuerrecht auch von anderen Eingriffsrechten: Bei jenen könne der Zweck des Eingriffs auch außerrechtlich, d.h. ohne die Verwendung von Rechtsnormen beschrieben werden und z.B. darin liegen „Güter zu erhalten, zu vermehren oder zu vernichten, Zustände zu erhalten oder zu ändern, Handlungen zu veranlassen oder zu verhindern etc.“454. Diese Besonderheit des Steuerrechts habe zur Folge, dass der Gesetzgeber den Steuertatbestand deutlicher normieren müsse, als dies bei anderen Eingriffstatbeständen nötig sei, um dem Rechtsanwendungsprozess die nötigen Leitlinien zur Hand zu geben455. Das gleiche ist gemeint, wenn darauf hingewiesen wird, dass es keinen Lebenssachverhalt gebe, der „von sich aus die Besteuerung erfordert“456. Die endgültige Konsequenz dieses Steuerrechtsverständnisses wäre die Bejahung der vollständigen Unmöglichkeit jeglicher teleologischer Auslegung457. Ein wichtiger Bestandteil des juristischen Auslegungsinstrumentariums würde also im Steuerrecht versagen. Ist man bereit, diese Schlussfolgerung zu ziehen, so erscheint die sich daran anschließende Forderung nach erhöhter Präzision des steuergesetzlichen Tatbestands, also nach gesteigerter Bestimmtheit durch einen strengen Parlamentsvorbehalt, in der Tat als einleuchtend. Diese Sichtweise wird nicht nur in der Literatur vertreten. In einer frühen Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1962 klingt derselbe Gedanke an, wenn davon die Rede ist, dass das Steuerrecht „von der Idee der primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte“ getragen sei und „dementsprechend aus dem Dictum des Gesetzgebers“ lebe458. Es ist jedoch __________ 453

So Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 481 (unter wörtlicher Übernahme der Formulierung aus HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 71). Ebenso K. Vogels Schülerin Leisner (Kontinuität, S. 584 f.). In diesem Sinne auch Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 76 ff.; Kruse, Steuerrecht I, S. 45 ff.; Kirchhof, DStJG 21 (1999), S. 11 f.; Heun, DÖV 1989, S. 1058 f. 454 Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 480 (im Anschluss an Vogel, Vergleich, S. 683); Kruse, DStJG 5 (1982), S. 81 ff. 455 Vgl. HbStR IV-Kirchhof, § 88 Rn 41; dens., DStJG 21 (1999), S. 12; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 481; Kruse, Steuerrecht I, S. 46; Vogel, Ungeschriebenes Finanzrecht, S. 265 ff.; HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 68, 70 f.; Heun, DÖV 1989, S. 1059. 456 Flume, StbJb 1967/68, S. 63 ff.; Walz, Steuergerechtigkeit, S. 148; Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 110; Kruse, Steuerrecht I, S. 46. Ähnlich schon Bühler/Strickrodt, Steuerrecht, S. 658. 457 Weber-Grellet, DStR 1991, S. 443; Tipke, StRO I, S. 189. Diese Schlussfolgerung wird entgegen der Einschätzung von Tipke, StRO I, S. 189 auch tatsächlich mitunter gezogen, vor allem von K. Vogel (vgl. HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 73 m.w.N.; dens., Vergleich, S. 683; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 483 (Fn 59)). 458 BVerfGE 13, 318/328. Diese Entscheidung übernimmt wörtlich die Formulierung von Bühler/Strickrodt, Steuerrecht, S. 658. Siehe dazu auch Fischer, StVJ 1992, S. 10 f.

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B. Bestimmtheit

auch zu berücksichtigen, dass dieser Ansatz in der weiteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr aufgenommen wurde459. Dieser Grundkonzeption des Steuerrechts und dem daraus abgeleiteten Erfordernis eines bereichsweisen Parlamentsvorbehalts wird hauptsächlich in zweifacher Weise widersprochen. Zum einen wird versucht nachzuweisen, dass selbst dann, wenn man dieselben Grundprämissen zugrunde lege, die Annahme eines strikten Parlamentsvorbehalts nicht die zwangsläufige Folge sei460. Zum anderen gibt es eine Tendenz in der Literatur, schon das gesamte „positivistische“ Steuerrechtsverständnis in Frage zu stellen461. Die Vertreter des erstgenannten Ansatzes gestehen zu, dass es in der Tat unabdingbar sei, dass Normen des besonderen Steuerschuldrechts als sog. primäre Entscheidungen des Steuergesetzgebers zumindest Steuersubjekt, -objekt und Steuersatz bestimmten, weil diese nicht aus anderen Entscheidungen des Gesetzgebers und vor allen Dingen nicht auseinander ableitbar seien462. Insofern bestehe keine „Sachgesetzlichkeit“ der Steueranknüpfung463. Dies schließe aber nicht aus, dass diese Grundentscheidungen ein System bildeten, aus welchem dann die sekundären Entscheidungen des Gesetzgebers, also die konkrete Ausgestaltung der Steuertatbestände, ihrerseits ableitbar seien464. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass dieser Gedanke sogar schon bei O. Bühler und G. Strickroth anklang, den Begründern der „Dictum“-Formel465. __________ 459 Die einzige Ausnahme bildet hier ein Beschluss des Vorprüfungsausschusses des BVerfG vom 30.1.1985 (NJW 1985, S. 1891). In der Rechtsprechung des BFH hielt sich dieser Ansatz, vgl. dazu BFH (GrS) BStBl. II 1984, S. 160. 460 So vor allem Osterloh, Gesetzesbindung, S. 164 ff. Ähnlich Seer, Verständigungen, S. 164 f.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 307 ff., 319 f. 461 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 302 ff.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 394 ff.; andeutungsweise auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 165 f. und Tipke, StRO III, S. 1265: „Es gibt Zwecke auch im Steuerrecht (der Fiskalzwecknormen), nicht bloß den allgemeinen Fiskalzweck“. 462 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 163. 463 Vgl. Barth, Rechtsfortbildung, S. 396 f. und Osterloh, Gesetzesbindung, S. 164 f., die zu Recht darauf verweist, dass es im Ermessen das Gesetzgebers liege, dass „Hundehaltung, nicht aber die Haltung von Katzen und Bären besteuert wird, dass es eine Branntwein-, Bier- und Mineralölsteuer gibt, nicht aber eine Wein-, Mineralwasserund Kohlesteuer, oder dass schließlich auch die umkämpfte Gewerbesteuer aufrechterhalten bleibt“. 464 Vgl. Lang, Bemessungsgrundlage, S. 97 ff., S. 167 ff.; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 165 f.; Seer, Verständigungen, S. 165; Barth, Rechtsfortbildung, S. 396; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 301 ff.; Weber-Grellet, DStR 1991, S. 443; Fischer, StVJ 1992, S. 16, 21; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 309 f., 319 f. In der Tendenz jetzt auch Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 6 ff. 465 Diese sprechen davon, dass die aus den einmal getroffenen Grundentscheidungen folgenden Besteuerungszusammenhänge dann „der Interpretation voll erschlossen werden“ sollen, und zwar ausdrücklich durch Rückgriff auf die aus ihnen folgenden systematischen Zusammenhänge wie auch auf „die Individualrechte des Grundrechtska-

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Letztendlich verfahre auch die Rechtsprechung so, die sich noch nie habe abhalten lassen, auch im Bereich des Steuerrechts richterliche Rechtsfortbildung zu betreiben und Analogien heranzuziehen, die zumindest der Sache nach den Steuerpflichtigen belasten466. Die Annahme eines den gesamten Bereich des Steuerrechts betreffenden strikten Parlamentsvorbehalts aufgrund mangelnder „Sachgesetzlichkeit“ sei also verfehlt467. Einer anderen Konzeption zufolge ergibt sich zumindest dann eine „Sachgesetzlichkeit“ der Steueranknüpfung, wenn man den Besteuerungszweck enger fasst. Die Steuer rechtfertige „sich nicht darüber, dass sie Erträge abwirft, sondern weil sie den Staat durch Teilhabe am individualnützigen Erfolg privaten Wirtschaftens“ finanziere468. Hierdurch erhalte das Übermaßverbot einen umgrenzteren Zweck469.

(b) Steuerrecht als „Offenes System“ Andere Autoren greifen die Kritik am „positivistischen“ Verständnis des Steuerrechts auf einer grundsätzlichen Ebene auf und diagnostizieren ein vollständiges Scheitern der Theorie eines geschlossenen steuerrechtlichen Systems470. Dieses „Weltbild“ entspräche „in seiner Gesamtheit nicht dem heutigen Stand der methodologischen Diskussion“, die steuerrechtliche Praxis „genüge ___________ talogs des GG“ (vgl. Bühler/Strickrodt, Steuerrecht, S. 657). Vgl. dazu auch Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 301; Fischer, StVJ 1992, S. 10. 466 Vgl. Seer, Verständigungen, S. 164 f.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 396 f.; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 165 (mit dem Verweis auf die richterrechtlich geprägten Figuren der „Gegenwerttheorie“ im Rahmen des § 33 EStG und der „Betriebsaufspaltung“). Vgl. dazu auch Tipke, StRO I, S. 177 ff. 467 Zu diesem Ergebnis kommen Osterloh, Gesetzesbindung, S. 166; Barth, Rechtsfortbildung, S. 398; Tipke, StRO I, S. 189, 197 ff.; Weber-Grellet, DStR 1991, S. 438. 468 Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 7. Tendenziell noch anders ders., DStJG 21 (1999), S. 11 f. 469 Vgl. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 6 ff. Vor einer vorschnellen Verallgemeinerung dieses Gedankens muss aber gewarnt werden, denn er steht und fällt mit der Bejahung der speziellen Steuerrechtfertigungsvorstellung von P. Kirchhof. Diese wird aber von der Literatur nicht durchweg geteilt (vgl. nur Weber-Grellet, ZRP 2003, S. 180 f.; dens., Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 4 ff., nach dessen Ansicht Steuern reine Solidarbeiträge zur Finanzierung der Gemeinschaft sind). Eine genaueres Eingehen auf die verschiedenen Steuerrechtfertigungstheorien übersteigt aber zum einen den Umfang dieser Untersuchung und ist zum anderen auch nicht erforderlich: Es ist bereits hinreichend deutlich geworden, dass der Gedanke der „mangelnden Sachgesetzlichkeit“ des Steuerrechts immer häufiger in Frage gestellt wird, und das von Vertretern verschiedener steuerrechtlicher „Schulen“. 470 So vor allem Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 304 m.w.N. Dieser weist zudem darauf hin, dass ein solcher Ansatz auch in der Rechtstheorie längst aufgegeben sei.

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den aus dem Modell abgeleiteten Forderungen nicht nur nicht“, sondern könne „ihnen wegen der strukturellen Defizite des Modells gar nicht entsprechen“471. Die Versuche des Gesetzgebers, einem solchen System gerecht zu werden, zögen eine Verstrickung „in einem Wust von Detailregelungen, Regeldurchbrechungen und Unterausnahmen“ nach sich und seien im Wesentlichen für den gegenwärtigen Zustand der Steuergesetzgebung verantwortlich472. An die Stelle eines „geschlossenen“ solle ein „offenes gesetzliches System“ treten, das durch Typisierung und Beschränkung auf Prinzipien eine erhöhte Anpassungskraft an die Wirklichkeit entfalte473.

(c) Bewertung Die grundsätzliche Beobachtung, dass das Steuerrecht von partiell im Vergleich zu anderem Eingriffsrecht unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten geprägt ist, ist schwer angreifbar. Spricht ein Polizist für den Zeitpunkt der Entschärfung eines „Blindgängers“ einen Platzverweis gegenüber Anwohnern aus, so ist es durchaus möglich, dass diese Maßnahme, gemessen am Zweck, Leben und Gesundheit besagter Anwohner zu schützen, gar nicht erforderlich, ja noch nicht einmal geeignet ist474. Bei der Auferlegung einer Steuerlast können solche Probleme nicht auftreten, eine Zahlungspflicht ist immer geeignet und erforderlich, den Finanzbedarf des Staates zu decken475: „Wo der Fiskus ruft, verstummt die Frage nach der Geeignetheit“476. Die Folgerungen, die aus dieser Beobachtung bzgl. etwaiger Regelungspflichten abzuleiten sind, sollten jedoch nicht überbewertet werden. Denn so__________ 471

Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 286 f. So Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 303, der auch darauf verweist, dass diese Gesetzgebungstechnik für die gegenwärtig unübersichtlichen Vorschriften zum zeitlichen Geltungsanspruch von Steuernormen und für die – für starke Rechtsunsicherheit sorgenden – steuergesetzlichen Rückwirkungsprobleme verantwortlich sei. 473 So im Endeffekt Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 302 ff. 474 Wenn es sich z.B. um Anwohner handelt, die gar nicht in Reichweite einer möglichen Bombenexplosion wohnen. 475 Skeptisch sogar hierzu Weber-Grellet, DStR 1991, S. 443, der meint, dass man nicht auf den Zweck der „Mittelbeschaffung“ abstellen dürfe, sondern dass steuerliche Normen „im Hinblick auf die Gesamtregelung zweckstrukturiert“ seien. Dies kann aber allenfalls bei sekundären Normen so sein (und in dieser Hinsicht ist Weber-Grellet wohl auch zu verstehen), für die nach der hier vertretenen Ansicht sowieso nicht die Geltung eines Parlamentsvorbehalts nachgewiesen werden kann. Insofern handelt es sich um ein Scheinproblem. 476 Betterman/Loh, BB 1969, S. 72. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 7, drückt dies so aus: „Der Besteuerungszweck, den öffentlichen Finanzbedarf zu decken, würde auch durch die törichtste Steuer, etwa eine Belastung nach der Hautfarbe oder dem Körpergewicht, erreicht“. 472

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bald der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen hat, welche Sachverhalte er für besteuerungswürdig hält, also den Belastungsgrund normiert hat477, lässt sich darauf ein System aufbauen, das in sich folgerichtig sein kann und aus dem weitere Aussagen abgeleitet werden können478. Den Nachweis, dass man Prinzipien so konsequent entfalten kann, dass man dadurch in die Lage versetzt wird, ein vollständiges Steuersystem aufbauen und rechtfertigen zu können, hat Tipke mit seiner „Steuerrechtsordnung“ erbracht479. Weite Teile der steuerlichen Bemessungsgrundlage knüpfen an wirtschaftliche Sachverhalte an, deren Eigengesetzlichkeiten und Sachstrukturen im Rahmen des Steuerrechts nutzbar gemacht werden können, indem man ihnen ergänzende Maßstäbe für die Gesetzesauslegung entnimmt. Berücksichtigt werden können diese Maßstäbe über den spezifisch steuerrechtlichen Auslegungstopos der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“480, eines Kriteriums, dem gerade die „teleologische“ Natur zukommt, deren Existenz für die steuerrechtliche Gesetzesauslegung teilweise bestritten wird481. Auch darüber hinaus ist bei der Auslegung von Fiskalzwecknormen aus dem gesamten Bereich des Steuerrechts schon immer auf Zwecke jenseits der bloßen Finanzbeschaffung zurückgegriffen worden482. Bei der Auslegung von Steuergesetzen ist bspw. auch immer eine Orientierung am jeweiligen Belastungsgrund möglich483. Im Rahmen dieser kann festgestellt werden, ob ein bestimmter Sachverhalt steuerliche Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Steuerwürdigkeitsentscheidung des Gesetzgebers indiziert484. Damit kommt zugleich auch dem Leistungsfähigkeitsprinzip eine entscheidende Bedeutung für die Te__________ 477 Vgl. zu dieser Terminologie nur Kirchhof, DStJG 21 (1999), S. 11 ff.; dens., Stbg 1995, S. 68; dens., Steuervereinfachung, S. 5; dens. StuW 2000, S. 319 f. 478 So z.B. die gegenwärtige Entscheidung des Gesetzgebers für die „Markteinkommenstheorie“ in Form von „Reinvermögenszugangs-“ und „Quellentheorie“. Vgl. dazu auch Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 319 f. 479 Vgl. zu diesem Anliegen Tipkes nur das Vorwort zum ersten Band seiner StRO, S. V: „Mehr angespornt (...) hat mich die Behauptung einiger Steuerpositivisten oder Steuerrelativisten, die Materie „Steuerrecht“ unterscheide sich von allen anderen Rechtsmaterien dadurch, dass sich für das Steuerrecht „sachgerechte Prinzipien“ schlechterdings nicht finden ließen, involviert das doch zugleich die Auffassung, das Steuerrecht sei eigentlich gar kein Recht, sondern könne nur und müsse daher beliebig gesetzt werden“. 480 Konkretisiert wird dieser Grundsatz durch die einfachgesetzlichen Anordnungen, die der Gesetzgeber in den §§ 39 ff. AO getroffen hat. Durch die somit geschaffenen Konturen wird eine willkürliche Handhabung in der Rechtsanwendung vermieden. Ausführlich dazu Tipke, StRO III, S. 1309 ff. 481 Vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn 64 ff.; Tipke, StRO III, S. 1283 ff.; Woerner, FR 1992, S. 228; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 320. 482 Vgl. nur die ausführliche Darstellung bei Tipke, StRO III, S. 1265 ff. 483 Vgl. dazu Woerner, FR 1992, S. 228, Fn 22. 484 Vgl. Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 5 m.w.N.; Birk, Steuerrecht I, § 11 Rn 28.

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leologie von Fiskalzwecknormen zu485. Zudem wird trotz der in letzter Zeit zu beobachtenden Tendenz, den Freiheitsgrundrechten im Steuerrecht wieder mehr Raum zu verschaffen, in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Abwehr von Steuerlasten immer noch eher als gleichheits- denn als ein freiheitsrechtliches Problem verstanden. Die Bedeutung des Steuerrechts wird vornehmlich nicht in der Lastenausteilung, sondern in der angemessenen Verteilung der notwendigen Lasten gesehen486. Art. 3 Abs. 1 GG ist also die in diesem Zusammenhang entscheidende Verfassungsnorm, aus der in den letzten zwanzig Jahren immer strengere Anforderungen herausgelesen wurden487. Die Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 GG setzt aber voraus, dass das Steuerrecht gewisse „Sachgesetzlichkeiten“ wenn nicht vorgefunden, dann doch zumindest konstituiert hat488. Die Notwendigkeit der Annahme eines strikten Parlamentsvorbehalts wegen mangelnder „Sachgesetzlichkeit“ des Steuerrechts ist somit für die sekundären gesetzgeberischen Entscheidungen über die Ausgestaltung der Steuertatbestände abzulehnen, weil eine solche „Sachgesetzlichkeit“ i.S.e. systemimmanenten Logik für diesen (weiten) Bereich besteht. Die zahlreichen Wertungswidersprüche im geltenden Steuerrecht ändern nichts an dieser Grundeinsicht. Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts ist aber in der Tat für oben genannte primäre gesetzgeberische Entscheidungen anzunehmen, also in erster Linie für die Festlegung des Belastungsgrundes. Die Notwendigkeit einer präzisen gesetzlichen Normierung der Grundelemente des Steuertatbestands wird aber auch im Grundsatz, soweit ersichtlich, nicht ernsthaft bestritten489. __________ 485

Vgl. für viele Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn 54. Grundlegend Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 155 ff., 305. Vgl. auch WeberGrellet, DStR 1991, S. 443 f.; Kirchhof, StuW 1990, S. 291. Tipke, StRO I, S. 290: „Das Steuerrecht wird theoretisch geprägt vom Gleichheitssatz, vom Sozialstaatsprinzip und von den Freiheitsgrundrechten. Die größte Rolle spielt aber der Gleichheitssatz, der für die gleiche Steuerbelastung der Bürger sorgen soll“. 487 BVerfGE 61, 319/343 f.; 66, 214/223; 67, 290/297; 68, 143/152 f.; 82, 60/82 f.; 84, 239/268. Dazu auch Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 306 ff.; Hohmann, DÖV 2000, S. 407; Barth, Rechtsfortbildung, S. 397 f. Vor einer einseitigen Berufung auf den Eingriffscharakter des Steuerrechts warnen auch Woerner, FR 1992, S. 230; Weber-Grellet, StuW 1993, S. 97. Vgl. aber zuletzt BVerfG 1 BvR 1748/99 vom 20.4.2004, Abs. 58 ff. (Ökosteuer). 488 Dementsprechend wird vom Steuerpositivisten J. Brinkmann auch der Schluss gezogen, Art. 3 Abs. 1 GG sei im Steuerrecht nicht anwendbar (vgl. dens., Tatbestandsmäßigkeit, S. 87 ff.). 489 Selbst Eckhoff als Vertreter eines „offenen“ steuerrechtlichen Systems bezweifelt dies nicht. Zu seiner Kritik am überkommenen „deterministischen Modell“ merkt er an: „Dabei soll jedoch nicht behauptet werden, dass alle Einzelthesen unzutreffend wären, aus denen sich das hier skizzierte Gedankengebäude zusammensetzt. Es kann nicht darum gehen, eine neue steuerrechtliche Dogmatik zu entwerfen“. (Rechtsanwendungsgleichheit, S. 287). 486

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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Überhaupt ist festzuhalten, dass die praktischen Konsequenzen der skizzierten divergierenden Auffassungen zumindest für den Bereich „Bestimmtheit“ – im Hinblick auf die Frage nach der Zulässigkeit einer belastenden Analogie oder nach der Möglichkeit von richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht mag dies anders sein490 – denkbar gering sind, denn auch die Verfechter eines strengen steuerrechtlichen Parlamentsvorbehalts bezweifelten zu keiner Zeit die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe491. Als Ergebnis der Untersuchung des Gedankens der mangelnden „Sachgesetzlichkeit“ des Steuerrechts kann festgehalten werden, dass aus diesem allenfalls erhöhte Bestimmtheitsanforderungen für die unabdingbaren Kernbestandteile des Steuertatbestands ableitbar sind492. Ansonsten bleibt aber nichts anderes, als sich der Einschätzung Osterlohs anzuschließen: „Welches Maß an Bestimmtheit bei der gesetzlichen Ausgestaltung der einzelnen Elemente des steuerschuldbegründenden verfassungsrechtlichen Tatbestands verfassungsrechtlich geboten ist, wieweit also der Gesetzgeber berechtigt ist, durch „offene Normen“ Entscheidungen an den Rechtsanwendungsprozess zu delegieren, bleibt danach im Wesentlichen noch unbeantwortet“493.

(2) Das Versagen grundrechtlicher Schutzsysteme Der grundsätzlichen Beobachtung, dass die Trias Geeignetheit/Erforderlichkeit/Verhältnismäßigkeit des Übermaßverbotes im Rahmen des Steuerrechts auf Anwendungsschwierigkeiten stößt, gewinnt Papier noch ein weiteres Argument für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts ab, das mit der Argumentation zur mangelnden „Sachgesetzlichkeit“ des Steuerrechts eng verwandt ist. Er weist darauf hin, dass das Übermaßverbot eine „der wichtigsten Eingriffsschranken für den freiheitsbegrenzenden Gesetzgeber“ sei. „Nur wegen eines Systems effizienter materieller Eingriffsschranken lässt das Grundgesetz eine (begrenzte) Abschwächung der Legitimation normativer Eingriffsakte zu. Wo dieses Schutzsystem versagt – wie weitgehend beim Steuereingriff – bedarf der Bürger des vollen demokratisch-formellen Freiheitsschutzes in der Gestalt des zwingenden Parlamentsvorbehalts“494. Voraussetzung für die Richtigkeit dieser Auffassung ist die Interpretation der Gesetzesvorbehalte der Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG als schlichte „Rechtssatzvorbehalte“, die folglich auch durch eine __________ 490

Diese Problematiken betrafen die meisten der zitierten Ausführungen primär. Vgl. z.B. Kruse, Steuerrecht I, S. 55 f. 492 Zu den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen vgl. B VI 1 a). 493 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 163. 494 Papier, Fälle, S. 34 f. Vgl. auch dens., Gesetzesvorbehalte, S. 74 ff. 491

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B. Bestimmtheit

Rechtsverordnung oder Satzung ausgefüllt werden könnten. Papiers Bestreben richtet sich deshalb auch in erster Linie darauf, die Rechtswidrigkeit von Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen steuerbegründender, -schärfender, -befreiender oder -ermäßigender Art nachzuweisen495. Dieser Frage kommt aber auch im Rahmen der Diskussion um Bestimmtheitsanforderungen Aussagekraft zu, da sich mit diesem Argument evtl. die Geltung eines Parlamentsvorbehalts begründen ließe496. Diese Ansicht ist aber aus mehreren Gründen nicht mehr haltbar; teils, weil die verfassungsrechtliche Diskussion die entscheidende Grundannahme heute anders beurteilt; teils, weil die gezogenen Schlussfolgerungen nicht zwingend sind497. Zunächst einmal ist es mittlerweile absolut herrschende Meinung, dass es sich bei den in Rede stehenden grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten nicht um schlichte „Rechtssatzvorbehalte“ handelt, sondern dass im Gegenteil jeder Grundrechtseingriff auf eine formal-gesetzliche Grundlage rückführbar sein muss498. Damit entbehrt die These, dass der Grundgesetzgeber die Anforderungen an Grundrechtseingriffe abgeschwächt habe, weil im Gegenzug neue verfassungsrechtliche Schutzinstrumente wie das Übermaßverbot zur Verfügung standen, schon ihrer Grundlage. Zu Recht wird zudem darauf hingewiesen, dass das Übermaßverbot in der Gestalt, die es in der heutigen verfassungsrechtlichen Dogmatik gewonnen hat, zum Zeitpunkt des Erlasses des Grundgesetzes noch gar nicht bekannt war499. Aber selbst wenn man ein „Versagen des Übermaßverbotes“ im Sinne Papiers annimmt, so ist die Schlussfolgerung doch mehr als zweifelhaft, dass dies durch das Verfahren beim Erlass eines formellen Gesetzes kompensiert werden könne. Dahinter steckt häufig die Überzeugung, dass der parlamentarische Prozess in der Lage sei, den gerechten Steuerzugriff zu gewährleisten500. Die Hoffnung, dass dieser dem Bürger wirksamen Schutz gegen übermäßige Steuerlasten __________ 495

So die Einschätzung von Barth, Rechtsfortbildung, S. 399 (mit Verweis auf Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 63 ff.). 496 Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 143 ff.; 148 f. 497 Ausführlich Osterloh, Gesetzesbindung, S. 150 ff. 498 Vgl. nur Starck, Gesetzesbegriff, S. 32 ff.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 137 ff.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 398 (Fn 273). Osterloh, Gesetzesbindung, weist S. 150 darauf hin, dass diese Frage in der Nachkriegsdiskussion noch streitig war. 499 Osterloh, Gesetzesbindung, verweist S. 150 f. darauf, dass das ursprünglich im Polizeirecht entwickelte Übermaßverbot in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung erst in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren durch BVerfGE 7, 198 ff. (Lüth) und 16, 194 ff. (Liquor) Bedeutung gewann und in der Wissenschaft erst 1961 durch die Untersuchung von Lerche (vgl. dens., Übermaß, passim.) grundlegend thematisiert wurde. Ähnlich Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 318. 500 Vgl. z.B. die – allerdings schon eingeschränkt – positiven Äußerungen von Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 117 ff.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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gewährt, hat sich in der Praxis jedoch als weitgehend vergeblich erwiesen501. Zudem ist die Grundrechtsbindung durch Art. 1 Abs. 3 GG gerade Ausdruck des Misstrauens des Verfassungsgebers gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber502. Einem Mangel an materieller Grundrechtssicherung kann dann eben nicht durch Erweiterung der Regelungsmöglichkeiten des Gesetzgebers begegnet werden503. Der unterschiedliche funktionale Charakter von Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechtsbindung tritt hier zutage: Grundrechte gewährleisten Schutz vor dem Staat, der Vorbehalt des Gesetzes gewährleistet Schutz vor dem Staat durch Beteiligung am Staat504. Die am freiheitsrechtlichen Grundrechtsschutz orientierte Argumentation Papiers kann auch vor dem Hintergrund der immer noch geringen Bedeutung der Freiheitsgrundrechte im Vergleich zu Art. 3 Abs. 1 GG in der Verfassungsrechtsprechung zum Steuerrecht nicht bestehen505. Deshalb kann auch dieser Ansatz, die Geltung eines strikten Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht zu begründen, letztlich nicht überzeugen.

cc) Analogie zu Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG Papier hat in seiner Untersuchung über die „finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte“ noch einen weiteren, demokratiestaatlich orientierten Ansatz zur Be__________ 501 So Barth, Rechtsfortbildung, S. 400 f. m.w.N., der darauf verweist, dass immer die Gefahr bestehe, dass in die Rechte bestimmter Gruppen, hinter denen kein großes Wählerpotenzial stehe, übermäßig eingegriffen werde, um die stimmträchtigen Gruppen zu schützen. Ähnlich BVerfGE 63, 343/367 f.: „Die Verankerung des Steuereingriffs in der demokratischen Repräsentation bedeutet (...) nur einen beschränkt wirksamen Schutz gegenüber unmäßigen Eingriffen“. Die übrige Literatur ist ebenfalls größtenteils skeptisch, vgl. nur Tipke, StRO I, S. 121 ff. („Davon, dass das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren aus sich heraus für eine gerechte, gleichmäßige Besteuerung sorge, kann keine Rede sein“); Kirchhof, Stbg 1995, S. 71; dens., StuW 1975, S. 366; Vogel, DStJG 12 (1989), S. 128. 502 Vgl. dazu Barth, Rechtsfortbildung, S. 400: Dies trage der historischen Erkenntnis Rechnung, dass auch der Gesetzgeber grundrechtswidrige Gesetze erlassen könne. 503 Ebenso Osterloh, Gesetzesbindung, S. 152 („Materiell-rechtsstaatlicher und parlamentarisch-demokratischer Freiheitschutz können sich zwar gegenseitig ergänzen, nicht aber kompensieren“); Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt, S. 83 f.; Kirchhof, StuW 1984, S. 302 f.; Friauf, StuW 1985, S. 309; Barth, Rechtsfortbildung, S. 400; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 318 f. 504 Vgl. nur Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 247. 505 Vgl. auch Barth, Rechtsfortbildung, S. 400; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 154 f. Aus dem im Anschluss an P. Kirchhof (vgl. HbStR IV-Kirchhof, § 88 Rn 99) aus Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG gewonnenen sog. „Halbteilungsgrundsatz“ des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu B V 2 c) aa) (1)) eine generelle „Renaissance der Freiheitsgrundrechte“ im Steuerrecht abzuleiten, wäre verfehlt.

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B. Bestimmtheit

gründung eines Parlamentsvorbehalts aufgezeigt506. Ausgangspunkt ist dabei die analoge Anwendung des in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG ausdrücklich geregelten Gesetzesvorbehalts, dem Ausgabenbewilligungsrecht des Parlaments, für die Einnahmeseite. Argumentiert wird folgendermaßen: Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG habe den Zweck, die parlamentarische Betätigung in einem bestimmten Bereich der Staatsführung – der Wirtschaftsführung – zu garantieren. Aus diesem Grund ordne er nicht nur einen allgemeinen Rechtssatzvorbehalt, sondern einen Parlamentsvorbehalt an507. Beziehe sich der Parlamentsvorbehalt aber nur auf die Ausgabenseite, werde dieser Zweck nur unvollkommen erfüllt, denn die Entscheidungsmacht des Parlaments über das Einnahmevolumen sei von nicht minderer Bedeutung. Deshalb müsse der Vorbehalt des Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG für das parlamentarische Budgetrecht im Wege der Analogie und in Form eines zwingend-formalgesetzlichen Steuervorbehalts auch auf die Einnahmeseite ausgedehnt werden508. Dies solle soweit gehen, dass die Regelungspflicht des Parlaments erst „bei nicht regelungswürdigen Tatbeständen“ ende, „die wegen ihrer geringen Zahl oder Tragweite keine entscheidende Auswirkung auf die öffentliche Einnahmengestaltung oder die politische Wirtschaftsführung haben und deren Regelung ohne eine politisch ins Gewicht fallende Entscheidungsverlagerung der Exekutive übertragen werden kann“509. Diese strenge Forderung wird aber vom Autor selbst wieder relativiert, denn nach dessen Ansicht schließe dies zunächst nur die Verwendung von Generalklauseln und Globalermächtigungen der Exekutive aus, ansonsten müsse von Fall zu Fall beurteilt werden, ob eine grundsätzliche Selbstentscheidungspflicht des Gesetzgebers noch gewahrt sei510. Aber trotz des wenig präzise skizzierten Umfanges der parlamentarischen Regelungspflicht in den Ausführungen Papiers: Wäre ihm zu folgen, so ergäben sich in der Tat wesentliche Konsequenzen für die Zulässigkeit „verdeckter“ Delegation und somit auch für Bestimmtheitsanforderungen an Steuergesetze511. __________ 506

Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 101 ff. Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 100 f. 508 Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 103 f. Zustimmend Bayer, Rechtsvergleichung, S. 262. Ähnlich Kirchhof, Besteuerung nach Gesetz, S. 18, der davon spricht, dass das Steuergesetz eine wesentliche Grundlage des parlamentarischen Budgetrechts sei und somit „ebenfalls einen generell-abstrakten Maßstab der Planung und Kontrolle“ voraussetze, „der im Parlamentsgesetz seinen verlässlichsten Ausdruck“ finde. 509 Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 168. 510 In dieser Hinsicht sind die Ausführungen von Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 168 zu verstehen. 511 Seiler, Parlamentsvorbehalt, verweist S. 284 auch auf die Konsequenz, dass dann für Fiskalzwecknormen und Steuervergünstigungen die gleiche erhöhte Gesetzesdichte gelten müsse. 507

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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Schon der grundsätzliche Ansatz blieb aber nicht unwidersprochen: Bekanntermaßen setzt die Annahme einer Analogie Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage voraus512. Zu Recht wird schon das Vorliegen einer Regelungslücke bezweifelt: Dem Verfassungsgeber sei der politische Rang der Steuererhebung ebenso bekannt gewesen wie die Praxis steuerrechtlicher Rechtsverordnungsermächtigungen. Er habe trotzdem von der Aufnahme eines Gesetzesvorbehalts für die Steuererhebung in das Grundgesetz abgesehen513. An anderer Stelle wird angemerkt, dass es zwar u.U. zulässig sei, einen Parlamentsvorbehalt aus einem grundgesetzlichen Prinzip abzuleiten514. Hier käme jedoch nur ein allgemeines Rechtsprinzip in Frage, nach dem die Steuergesetzgebung als „Akt der Staatsleitung“ dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten sei. Ein solches Prinzip sei dem Grundgesetz jedoch fremd, die „Staatsleitung“ sei ein „kooperativer Prozess zwischen Parlament und Regierung“515, der diesen „gewissermaßen zur gesamten Hand“516 zustünde517. Eine Analogie ist deshalb auch mangels Erkennbarkeit eines anderweitigen grundgesetzlichen Plans abzulehnen. Damit ist aber Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG als Ansatzpunkt für die Begründung eines steuerlichen Parlamentsvorbehalts nicht vollständig untauglich: Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass diese Verfassungsnorm auch ein Hinweis darauf sein könnte, dass es sich bei der Steuerbewilligung um eine „wesentliche“ Entscheidung handele, weil sie einen „Akt der Staatsleitung“ darstelle. Wenn dies zuträfe, dann könnte ein Parlamentsvorbehalt für diesen Regelungsbereich mit der „Wesentlichkeitstheorie“ begründet werden518. Dies scheitert aber schon daran, dass der Begriff der „Staatsleitung“, auch aufgrund seines Abstraktionsgrades, in erster Linie nur heuristischen Wert und keine kompetenzielle Aussagekraft besitzt519. Die „Staatsleitung“ wird gerade arbeitsteilig durch Parlament __________ 512 Vgl. für viele Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff.; Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 16. 513 Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 156 m.w.N. Diese führt auch noch an, dass es sich, wenn man sich der Auffassung Papiers anschlösse, der Sache nach sogar um eine Wiederbelebung der frühkonstitutionellen „Finanzgesetze“, also einer periodischen Einnahmebewilligung, handeln würde. Ebenso Barth, Rechtsfortbildung, S. 404. 514 Barth, Rechtsfortbildung, S. 403 f., der auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. 7. 1994 (BVerfGE 90, 286/381 ff., „NATO/Awacs/Adria“) verweist. 515 Magiera, Staatsleitung, S. 218. 516 Formulierung bei Friesenhahn, VVDStRL 16 (58), S. 38; von Osterloh, Gesetzesbindung, S. 158 als „schon klassische Formel“ bezeichnet. 517 Vgl. zu dieser Argumentation auch Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 284 f.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 404 m.w.N. Dies entspricht im Übrigen auch dem Gedanken „funktionsgerechter Organstruktur“. 518 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 157. Es wird also Bezug auf die sog. „generelle“ Wesentlichkeit genommen. Vgl. dazu schon B V 2 a). 519 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 157 f.

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B. Bestimmtheit

und Regierung wahrgenommen und kann somit schon keinen Vorrang des Parlamentes begründen. Zudem wird darauf hingewiesen, dass mit der Annahme eines Parlamentsvorbehalts in dem von Papier dargelegten Umfang für die Einnahmeseite etwas gefordert würde, was so schon auf der Ausgabenseite nicht grundgesetzlich realisiert sei. Hier gilt für den Hauptteil der im Staatshaushaltsplan veranschlagten Ausgaben, die schon anderweitig gesetzlich festgelegt sind, kein „Etatvorbehalt“. Dies hat zur Folge, dass dann, wenn das Parlament kein Haushaltsgesetz verabschiedet hat oder einzelne Etatmittel erschöpft sind, die Rechtsansprüche der materiellen Gesetze bestehen bleiben und der Ausgabenträger zur Zahlung verpflichtet bleibt520. Ein Haushaltsgesetz entfaltet zudem bei Etatpositionen, die noch nicht anderweitig gesetzlich festgelegt sind, gegenüber der Exekutive bloße Ermächtigungs-, keine Verpflichtungswirkung521. Dies steht im Gegensatz zu Steuergesetzen, für die das Legalitätsprinzip gilt und die folglich erhoben müssen. Es wird deutlich, dass die Annahme eines Parlamentsvorbehalts für die Steuergesetzgebung aus Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, sei es im Wege der Analogie oder darüber, dass man Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG als Indiz für die „Wesentlichkeit“ des Regelungstatbestands begreift, schon deshalb nicht geboten ist, weil die Grundprämissen Papiers einer Überprüfung nicht standhalten522. Selbst wenn man ihm in seinem Unbehagen über die Unterschiedlichkeit der grundgesetzlich normierten Rechte des Parlaments im Bereich der Einnahmen im Vergleich zu den Ausgaben beipflichtet, so kann immer noch darauf verwiesen werden, dass das Parlament schon wegen der Regelung des Art. 20 Abs. 3 GG jederzeit die Möglichkeit hat, einen Bereich formalgesetzlich zu regeln. Die Annahme eines Parlamentsvorbehalts, um die „politische Führungsrolle“ des Parlaments zu sichern, ist somit nicht erforderlich523.

__________ 520 Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 1209; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 159; Barth, Rechtsfortbildung, S. 403; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 661; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 285 f. 521 Vgl. v. Mutius, VVDStRL 42 (1984), S. 167 ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 1207; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 159 f. 522 So auch die fast einhellige Meinung in der Literatur, vgl. dazu Osterloh, Gesetzesbindung, S. 160 f.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 405; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 288; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 661. 523 Vgl. zu diesem Argument Barth, Rechtsfortbildung, S. 405; daran anschließend HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 661. Seiler, Parlamentsvorbehalt, verweist S. 287 zusätzlich darauf, dass Art. 110 GG nur das Verhältnis zwischen verschiedenen Staatsorganen und nicht das zwischen Staat und Bürger betreffe, so dass auch ein wichtiger struktureller Unterschied bestehe.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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dd) Gewohnheitsrecht Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht wird zuletzt abseits von Ansätzen im geschriebenen Recht damit begründet, dass ein solcher bereits verfassungsgewohnheitsrechtlich anerkannt sei. Die Verfassungsrechtsprechung hat sich hierzu, soweit ersichtlich, bisher noch nicht geäußert. Eine solche Äußerung wäre zwar nicht Voraussetzung für die Geltung von Gewohnheitsrecht524, ihr Fehlen sollte aber zumindest als gewichtiges Indiz gegen die gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht gewertet werden. Betrachtet man die Literaturauffassungen zu diesem Thema, so ergibt sich ein ausgewogenes Meinungsbild525. Im Zuge der Betrachtung dieser Frage sollte zunächst Anlass bestehen, sich der dogmatischen Grundlagen der Geltung von Verfassungsgewohnheitsrecht erneut zu vergewissern. Gewohnheitsrecht entsteht durch längere und gleichmäßige Übung (consuetudo, objektives Element) und die Überzeugung der Beteiligten, dass diese Übung rechtlich geboten sei (opinio iuris, subjektives Element)526. Vereinzelt wird noch als „formales“ Element die Formulierbarkeit der Übung als Rechtssatz gefordert527. Als Verfassungsgewohnheitsrecht ist das Gewohnheitsrecht zu qualifizieren, das sich auf den Gegenstand der Verfassung bezieht528 und deshalb an der Rangordnung der Verfassung in der innerstaatlichen Normenhierarchie teilhat529. Die Möglichkeit der Geltung von Verfassungsgewohnheitsrecht ist durch das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle ausdrücklich in Betracht gezogen worden530. Über die Bestimmung des Art. 123 Abs. 1 GG, der von „Recht“ __________ 524 Vgl. zur Irrelevanz richterlicher Anerkennung für die Geltung von Gewohnheitsrecht nur Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 4 Rn 19. 525 Für die Geltung eines gewohnheitsrechtlichen Parlamentsvorbehalts plädieren Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 132 ff.; Kruse, Steuerrecht I, S. 60 f.; Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 35; Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt, S. 83 (Fn 160). Dagegen argumentieren Schwarz-Schwarz, AO, § 3 Rn 6; Barth, Rechtsfortbildung, S. 411 ff.; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 160 f.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 22 ff. 526 Vgl. für viele BVerfG 34, 293/303 ff. m.w.N.; Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 4 Rn 19. 527 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 264, 428. 528 Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 130. Ausführlich dazu Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 279 ff. 529 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 428. 530 BVerfGE 1, 144/151; 1, 208/240; 6, 309/335. Den skeptischen Stimmen in der Literatur soll deswegen nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. dazu aber Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 428 (Fn 13); Krebs, Vorbehalt und Grundrechte, S. 13 m.w.N.

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B. Bestimmtheit

statt „Gesetz“ spricht, kann sogar vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht noch weiter gelten531.

(1) Vorkonstitutioneller gewohnheitsrechtlicher Parlamentsvorbehalt (a) Die Möglichkeit der Berücksichtigung von vorkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht Bevor man sich auf die Suche nach vorkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht begibt, stellt sich zuerst die grundsätzliche Frage, ob eine solche nicht schon deswegen überflüssig ist, weil durch die über zehnjährige Unterbrechung der bis dahin geltenden Verfassungstraditionen durch den Nationalsozialismus532 das Merkmal der „dauerhaften Übung“ zwangsläufig entfällt533; eine Frage, die bei der bisherigen Diskussion um die Frage einer verfassungsgewohnheitsrechtlichen Begründung der Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht nicht die ihr gebührende Rolle gespielt hat534. Die Steuerbewilligung durch das Parlament spielte wegen dessen Entmachtung in der nationalsozialistischen Zeit keine Rolle mehr, es wurden durch die Regierung sowohl neue Steuern erhoben als auch alte abgeschafft oder erhöht. Es lag also auch in dieser speziellen Frage keine Kontinuität vor535. Es spricht daher vieles dafür, schon __________ 531 Für viele Blankenagel, Tradition und Verfassung, S. 16; Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht, S. 82 ff. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 429 ff., gibt aber zu Bedenken, dass Art. 123 Abs. 1 GG nicht zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht differenziere. Im Zusammenhang mit den Art. 124 f. GG, mit denen Art. 123 GG erkennbar eine Einheit bilde, sei jedoch von einem Bezug nur auf einfaches Gesetzesrecht auszugehen, so dass Art. 123 Abs. 1 GG letztlich überhaupt keine Aussagekraft bzgl. der Möglichkeit von vorkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht habe. Eine genauere Diskussion kann aber unterbleiben, wenn man wie hier die Existenz von vorkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht im konkreten Fall letztlich verneint. 532 Vgl. nur Voß, Steuern im Dritten Reich, S. 70 f. 533 So Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 439 f., der eine solche bewusste Unterbrechung von Verfassungstraditionen als ausreichend ansieht. Dagegen Pieroth, Rückwirkung, S. 277. V. Bülow, Staatsrechtslehre, warnt S. 32 davor, wegen der unmittelbaren Anknüpfung der staatsrechtlichen Diskussion nach dem Krieg an der Weimarer Zeit die praktisch nicht vorliegende Kontinuität zu übersehen. 534 Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, beweist S. 132 zwar in Ansätzen Problembewusstsein, meint aber die Frage dadurch überspielen zu können, dass er (S. 73) darauf verweist, dass es sich zur Zeit des Nationalsozialismus um keine „rechtsstaatliche“ Besteuerung gehandelt habe, womit er unausgesprochen unterstellt, dass nur eine solche relevant für die Annahme von Verfassungsgewohnheitsrecht sei. Dies ist aber mehr als zweifelhaft. 535 Vgl. Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 73, der allerdings darauf verweist, dass sich der normalerweise im Parlament ausgetragene Meinungsstreit de facto auf der Ebene der Regierung fortsetzte.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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aus diesem Grund die Möglichkeit der Geltung von entgegenstehendem vorkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht zu verneinen. In diesem Zusammenhang ist aber auch zu berücksichtigen, dass das Merkmal der „dauerhaften Übung“ innerhalb der rechtswissenschaftlichen Diskussion über Verfassungsgewohnheitsrecht zu den bisher weitgehend ungeklärten gehört. Es besteht weder Einigkeit über die in dessen Zusammenhang erforderliche Dauer noch über die grundsätzliche Notwendigkeit des Merkmals536. Angesichts dieser Unsicherheiten soll deshalb zunächst davon ausgegangen werden, dass die Fortgeltung von vorkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht nach der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft nicht a priori ausgeschlossen ist. Kann im Fortgang kein vorkonstitutionelles Verfassungsgewohnheitsrecht ausgemacht werden, erübrigt sich eine nähere Klärung.

(b) Begründungsansätze für vorkonstitutionelles Verfassungsgewohnheitsrecht In der Literatur werden zwei Anhaltspunkte für die Geltung eines vorkonstitutionellen steuerrechtlichen Parlamentsvorbehalts ausgemacht: Das ständische Steuerbewilligungsrecht und das Steuerbewilligungsrecht in der konstitutionellen Monarchie. Was das ständische Steuerbewilligungsrecht betrifft, so kann seit der Untersuchung von Brinkmann537 als gesichert gelten, dass dieses als Grundlage für Gewohnheitsrecht nicht in Frage kommt. Zwar lässt sich der Gedanke, dass ohne Einwilligung der Vertreter des Volkes keine Abgaben erhoben werden dürfen, schon in der frühen Neuzeit auffinden. Das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der „dauerhaften Übung“ ist aber zu verneinen, da es den Fürsten schon früh gelang, die Landesstände politisch auszuschalten und so das Steuerbewilligungsrecht zur reinen Formsache zu degenerieren538. Spätestens zur Zeit der absoluten Monarchie ging der demokratische Mitwirkungsgedanke durch die Vereinigung der gesamten Staatsgewalt in der Hand des Monarchen vollständig verloren539. Bedenkenswert ist aber, ob nicht zu Zeiten der konstitutionellen Monarchie unter der Ägide des „klassischen“ Vorbehalts des Gesetzes, nach dem Steuergesetze als Eingriffe in „Freiheit und Eigentum“ der Bürger einer gesetzlichen __________ 536

Ausführlich dazu Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 438 ff. Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 28 ff. Vgl. zum „ständischen Steuerbewilligungsrecht“ auch Pirson, Steuerbewilligung, S. 814 ff. 538 Vgl. Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 53; Barth, Rechtsfortbildung, S. 416; Thier, Steuergesetzgebung, S. 657 ff. Zu Zweifeln an der Qualifikation dieses Steuerbewilligungsaktes als „Gesetzgebung“ Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 105; Böckenförde, Gesetz, S. 47 ff. 539 Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 53; Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 26 f.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 416. 537

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B. Bestimmtheit

Grundlage und somit der Mitbestimmung des Parlaments bedurften540, eine „dauerhafte Übung“ entstand, die Grundlage für die Entstehung von vorkonstitutionellem Gewohnheitsrecht sein könnte. Eine „dauerhafte Übung“ müsste aber, um einen Parlamentsvorbehalt zu begründen, so ausgesehen haben, dass durch die erforderliche Mitbestimmung des Parlaments die gesetzgeberische Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen an die Exekutive unmöglich wurde541. Der „klassische“ Vorbehalt des Gesetzes umfasste aber nie das Verbot von Rechtssetzung durch Verordnungen, solange diese noch auf einer gesetzlichen Grundlage beruhten. Sowohl für die Zeit ab 1848 als auch zur Zeit der Geltung der Reichsverfassung von 1871 lässt sich diese Tatsache für das Steuerrecht verifizieren. Hier war durch die Rechtsprechung anerkannt, dass jedenfalls steuerrechtliche Verordnungen auf Grund einer ausdrücklichen gesetzlichen Delegation ergehen konnten542. Dies äußerte sich auch in der Verfassungswirklichkeit durch die umfangreiche Nutzung des Instruments „Rechtsverordnung“, welche zu Zeiten der Weimarer Republik ständig stärker wurde543. Zudem gab es schon zur Weimarer Zeit Literaturstimmen, die einen durch Art. 134 WRV konstituierten zwingend-förmlichen Parlamentsvorbehalt in Frage stellten544. Aus alledem kann geschlossen werden, dass eine „dauerhafte Übung“ nicht bestand und eine entsprechende opinio iuris zumindest ab Beginn des 20. Jahrhunderts als zweifelhaft erscheint545. Die Annahme von Verfassungsgewohnheitsrecht scheitert zudem dort, wo man sich unter Berufung auf solches über geschriebene Normen hinwegsetzen will. Sog. „derogierendes“ Verfassungsgewohnheitsrecht ist also unzulässig546. In diesem Zusammenhang wird zu bedenken gegeben, dass es gerade im Bereich des Parlamentsgesetzes durch die Abkehr vom „klassischen“ Vorbehalts__________ 540

Dazu Hess, Analogieverbot und Steuerrecht, S. 100. Richtig Barth, Rechtsfortbildung, S. 419. 542 Vgl. Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 22 ff. m.w.N., der sich auf eine Untersuchung der Rechtsprechung des preußischen OVG durch O. Bühler beruft, in der dieser nachweist, dass Steuerpflichten nicht ausschließlich durch Gesetz bestimmt wurden. Die Rechtsprechung des RG und des RFH wertet Papier dann selbst aus und kommt zum genannten Ergebnis, vgl. S. 23 f. m.w.N. Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, meint jedoch S. 64 f. unter Berufung auf O. Mayer das Gegenteil nachweisen zu können. Vgl. dazu aber Papier, a.a.O., S. 25 f. 543 Vgl. Oechsle, Steuerliche Grundrechte, S. 154 f. m.w.N. Diese Tatsache kann auch nicht mit dem Verweis auf die besonderen verfassungsrechtlichen Umstände dieser Zeit und den Ausnahmecharakter der Rechtsverordnungen relativiert werden, wie es Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 134 versucht. 544 Vgl. zu dieser Entwicklung Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 24 ff.; Oechsle, Steuerliche Grundrechte, S. 152. 545 Ebenso Osterloh, Gesetzesbindung, S. 160; Barth, Rechtsfortbildung, S. 420. 546 Stern, Staatsrecht I, S. 111 f. m.w.N.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn 34. 541

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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begriff zu einem „tiefgreifenden Wandel des Staatsfunktionengefüges“ durch die grundgesetzliche Ordnung gekommen sei547. Die Anerkennung von Gewohnheitsrecht aber, welches auf einer vollständig anderen Staatskonzeption beruht, kommt „derogierendem“ Verfassungsgewohnheitsrecht sehr nahe und ist auch aus diesem Grunde abzulehnen548. Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht kann also nur noch mit nachkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht begründet werden.

(2) Nachkonstitutioneller gewohnheitsrechtlicher Parlamentsvorbehalt Gegen die Annahme der Entstehung eines gewohnheitsrechtlichen Parlamentsvorbehalts für Steuergesetze nach der Einführung des Grundgesetzes spricht zum einen schon die Tatsache, dass Rechtsverordnungen im geltenden Steuerrecht eine überragende Bedeutung zukommt und diese zum täglichen Handwerkszeug einen jeden Steuerrechtsanwenders gehören. Zum anderen ist das deutsche Steuerrecht auch abseits des Instruments der Rechtsverordnung geprägt durch eine umfassende Konkretisierungstätigkeit der Verwaltung, die sich in einer großen Zahl von Verwaltungsvorschriften äußert549. Diese füllen nicht nur Beurteilungs- und Ermessensspielräume aus, sondern enthalten auch eigenständige Typisierungen und Pauschalierungen, denen in gesetzlich besonders allgemein gehaltenen Bereichen wie bspw. dem deutschen Außensteuerrecht z.T. gesetzesvertretende Funktion zukommt550. Eine „dauerhafte Übung“, die zur Begründung eines Parlamentsvorbehalts so aussehen müsste, dass Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften sich nur darauf beschränkten, Gesetzesunklarheiten und -lücken auszufüllen, hat sich bisher in der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland so nicht herausgebildet551 und ist auch zu keiner Zeit ansatzweise zu erkennen gewesen. __________ 547

Osterloh, Gesetzesbindung, S. 160 f. In diesem Sinne auch Barth, Rechtsfortbildung, S. 420; Schwarz-Schwarz, AO, § 3 Rn 6. 549 In der Literatur lassen sich deshalb sogar Aussagen wie diese finden (Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 72): „Etwas verallgemeinernd kann man durchaus sagen, dass das Einkommensteuergesetz ohne Richtlinien kaum mehr in seinem wahren Gehalt verständlich ist“. 550 Vgl. Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 72. Als weiteres Beispiel mag hier das sog. „Stuttgarter Verfahren“ dienen, welches in den Erbschaftssteuerrichtlinien 96 ff. niedergelegt ist. 551 Nach Barth, Rechtsfortbildung, S. 421 lässt sich höchstens eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines Ausschlusses des eigenständigen und originären Vorgehens der Exekutive nachweisen. Anders Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 73, die der Auffassung sind, dass Verwaltungsvorschriften in der Praxis sogar durchaus gesetzesvertretende Funktion zukomme. Osterloh, Gesetzesbindung, problematisiert S. 160 f. im Rahmen ihrer Analyse eines gewohnheitsrechtlichen Parlamentsvorbehalts 548

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B. Bestimmtheit

Es dürfte auch schwierig sein, für die heutige Zeit eine Überzeugung der Rechtsgemeinschaft nachzuweisen, dass ein solcher Parlamentsvorbehalt geltendes Recht sei, denn im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Diskussion über die Geltung eines gewohnheitsrechtlichen Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht lassen sich beileibe nicht nur „vereinzelte Gegenstimmen“552 ausmachen, die in der Tat das Rechtsbewusstsein nicht erschüttern könnten. Die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht ist somit zu verneinen, sie ergibt sich weder aus einer vorkonstitutionellen Praxis noch aus einer Übung, die nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes eingesetzt hätte.

d) Ergebnis Die Betrachtung der verschiedenen Begründungsansätze für die Geltung eines Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht lassen ein sehr ernüchterndes Bild entstehen. Bis auf die Feststellung, dass bestimmte „Grundelemente“ des Steuertatbestands gesetzlich größtmöglich bestimmt vorgeprägt werden müssen, d.h. Steuersubjekt, -objekt, -satz und die Grundzüge der Bemessungsgrundlage, war die Untersuchung im Hinblick auf verallgemeinerbare Aussagen wenig ergiebig. Der Blick soll deshalb jetzt auf die in primär rechtsstaatlichen Figuren wurzelnden Begründungsstränge des Bestimmtheitsgrundsatzes gerichtet werden. Dies betrifft in erster Linie die Suche nach spezifisch steuerrechtlichen Anhaltspunkten für die Bewältigung des Konflikts zwischen Orientierungssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit.

2. Orientierungssicherheit als Kriterium für steuergesetzliche Regelungsdichte a) Allgemeines Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen sind überaus bedeutend für wirtschaftliche Dispositionen, die Bürger und Unternehmen vornehmen. Diese werden häufig gerade im Vertrauen auf die Beständigkeit und Sicherheit dieser Rahmenbedingungen getroffen553. Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit macht ___________ nur eine etwaige vorkonstitutionelle Praxis, was darauf hindeutet, dass eine eingehende Diskussion der Frage nach nachkonstitutionellem Verfassungsgewohnheitsrecht von ihr als völlig abwegig angesehen wird. 552 So aber die Einschätzung von Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 35. Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, meinen hingegen S. 36, dass man von einem Mindestkonsens im Bereich des ungeschriebenen Finanzrechts „noch weit entfernt“ sei. 553 Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 9 ff.; Leisner, Kontinuität, S. 551 ff.; Jachmann, StuW 1998, S. 196; Isensee, StuW 1994, S. 6 f.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

127

wiederum einen großen Teil der Freiheit des Bürgers in Rechtsstaat und sozialer Marktwirtschaft aus. Steuerrechtliche Rechtsunsicherheit wirkt also mittelbar auch auf das allgemeine Freiheitsempfinden des Bürgers zurück, eine auch für die Akzeptanz der demokratischen Staatsform nicht unwesentliche Komponente. Orientierungssicherheit spielt im Steuerrecht folglich eine wichtige Rolle. Ein entscheidender Punkt, der das Vertrauen des Bürgers in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erschüttern kann, ist die allgemeine Unstetigkeit der Steuergesetzgebung554. Daneben können aber auch vage Gesetze nicht minder für Rechtsunsicherheit sorgen. Insofern verwundert es nicht, dass es immer wieder Bestrebungen gegeben hat, das Erfordernis der Orientierungssicherheit auch verfassungsrechtlich in einer Weise abzusichern, die dessen Bedeutung, gerade für das Steuerrecht, gerecht wird. Der bekannteste Versuch in dieser Richtung ist die zeitweilig vom Bundesverfassungsgericht und auch heute noch von Teilen der Literatur erhobene Forderung, dass Steuergesetze so bestimmt sein müssten, dass der Bürger seine Steuerschuld vorausberechnen könne. Diese Formel bietet nicht nur einen aus dem Gesichtspunkt der Orientierungssicherheit entwickelten Ansatz, Bestimmtheitsanforderungen an Steuergesetze näher zu präzisieren, sie wäre auch unmittelbar subsumtionsfähig555. Nicht nur die Anerkennung der rechtsstaatlichen Forderung nach Orientierungssicherheit gehört aber zum Grundkonsens des verfassungsrechtlichen Diskurses über Bestimmtheitsanforderungen. Es herrscht auch Einigkeit darüber, dass auf die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und damit auf gesetzliche Unbestimmtheit im Allgemeinen nicht verzichtet werden kann556. Damit wird der Unterschied zwischen unbestimmten, aber bestimmbaren und unbestimmbaren Tatbestandsmerkmalen anerkannt557. Die Trennlinie dazwischen, die dann auch über das Verdikt der Verfassungsmäßigkeit entscheidet, wird vom Bundesverfassungsgericht über das Kriterium der „Auslegungsfähigkeit“ der Norm gezogen558. Die Forderung nach Voraussehbarkeit staatlicher Entscheidungen und das prinzipielle Zugeständnis, dass ihre bloße Auslegungsbedürftigkeit eine Norm noch nicht verfassungswidrig unbestimmt werden lässt, begründen gegenläufige Tendenzen. Je präziser eine Norm sprachlich gefasst ist, desto besser kann eine auf ihrer Grundlage ergehende Verwaltungsentscheidung vorausgesehen wer__________ 554 Dazu näher Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 69 ff.; Leisner, Kontinuität, S. 544 ff.; Neumark, Grundsätze gerechter Steuerpolitik, S. 364 ff. 555 Dazu sogleich B V 3 b). 556 Vgl. nur BVerfGE 3, 225/243; 4, 352/357 f.; 8, 274/326; 41, 314/319 f.; 78, 205/212; 80, 103/108; 87, 234/263 f.; 90, 1/16; Tipke, StRO I, S. 143; Papier/Möller, AöR 122 (97), S. 184; MD-Herzog, GG, Art. 20 VII Rn 63; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 121. 557 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 548. 558 Dazu sogleich B V 3 c) bb).

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B. Bestimmtheit

den. Je „offener“ eine Norm ist, desto mehr Auslegungsaufwand erfordert sie, damit „neutrale Kandidaten“ zugeordnet werden können, und desto weniger voraussehbar wird die Entscheidung, die sie determinieren soll. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen Voraussehbarkeits- und Auslegungskriterium, welche jeweils nur auf Kosten des anderen verwirklicht werden können. Damit beide Forderungen beibehalten werden können, muss deren Verhältnis zueinander harmonisiert und optimiert werden559.

b) Das Erfordernis der „Vorausberechenbarkeit“ der Steuerlast für den Bürger aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Rezeption in der Literatur In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen zwei Wendungen unterschieden werden, in denen das Gericht „Steuerlast“ in Beziehung zu „Berechenbarkeit“ setzt und die es über lange Zeit parallel verwandt hat. Die erste Voraussetzung, die die Bezeichnung „Vorausberechnungsformel“ verdienen könnte, wird vom Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal im Beschluss des Zweiten Senats vom 10.10.1961 aufgestellt und liest sich dort so: „Die Grundsätze des Rechtsstaats fordern, dass die Norm, die die Steuerpflicht begründet, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, so dass die Steuerlast messbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar wird“560. Diese Forderung war keine völlige Neuschöpfung, der Senat knüpft mit der Formel „voraussehbar und berechenbar“ an frühere Urteile an, in denen diese Wendung schon fast wortgleich verwandt wurde. Statt der „Steuerlast“ mussten dort „die Eingriffe“ messbar, voraussehbar und berechenbar sein561. Es handelte sich also ursprünglich um nichts weiter als um einen allgemeinen Hinweis darauf, dass ein Gesetz trotz der Verwendung „offener“ Normen wenigstens ansatzweise Orientierungssicherheit gewährleisten muss. Es ist schon deshalb fraglich, ob das Gericht mit der Ersetzung von „die Eingriffe“ durch „die Steuerlast“ in dieser Formel auch eine sachliche Umdeutung des Wortes „berechenbar“ in „ausrechenbar“ beabsichtigt, zumal im Beschluss vom 10.10.1961 auch keine Subsumtion in dieser Hinsicht erfolgt. Geprüft wird nur die „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel562. Diese __________ 559 Dazu sogleich B V 3 d). Letztlich handelt es sich auch hier eine Konkretisierung des Widerspruchs zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit. 560 BVerfGE 13, 153/160. Vgl. dazu bereits B IV 1 b) aa). 561 Vgl. den „Preisgesetzbeschluss“ (BVerfGE 8, 274/325) und BVerfGE 9, 137/147. 562 Vgl. zu dieser B V 5 a).

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

129

Voraussetzung des Zweiten Senats kann daher am besten als „Berechenbarkeitsformel“ bezeichnet werden. Eine andere Forderung, die man als „Vorausberechnungsformel“ bezeichnen könnte, wird das erste Mal in einem Beschluss des ersten Senats vom 14.12. 1965 aufgestellt: „Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, dass steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann“563. Verschwunden ist gegenüber der Rechtsprechung des zweiten Senats die Einschränkung „in gewissem Umfang“, und der Begriff „berechenbar“ wird durch „vorausberechenbar“ ersetzt. Im weiteren Verlauf der Entscheidung wird deutlich, dass der Senat dies wirklich im Sinne von „ausrechenbar“ versteht, auch wenn er nicht mehr als eine nur angedeutete Subsumtion vornimmt564. Ob der Erste Senat hiermit der Sache nach an die Rechtsprechung des zweiten anknüpft und dessen Formel dabei nur verkürzt wiedergibt oder eine neue, eigene Rechtsprechung begründen will, darüber zu spekulieren ist müßig. Jedenfalls wird zu Recht darauf hingewiesen, dass er es sich leisten konnte, diese vergleichsweise harten Anforderungen aufzustellen, denn im konkreten Fall war die Bestimmtheit der zu überprüfenden Norm nicht ernsthaft bedenklich565. Es wird deutlich, dass es, wenn überhaupt, nur gerechtfertigt ist, diese strengere Voraussetzung als „Vorausberechnungsformel“ zu bezeichnen, wenn man darunter mehr als einen bloßen Hinweis des Gerichts auf erforderliche Orientierungssicherheit verstehen will. Kurz darauf, in einem Beschluss vom 14.3.1967, äußert sich der Erste Senat wieder etwas anders zur erforderlichen Bestimmtheit: „Diesem Erfordernis ist auch bei Steuerrechtsnormen genügt, wenn der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit trifft (...)“566. Stimmen in der Literatur sehen in dieser Wendung eine Abkehr von der erst kurz zuvor begründeten strengeren Rechtsprechung567. Ein völlig neuer Ansatz liegt aber schon deshalb nicht vor, weil im weiteren Verlauf des __________ 563

BVerfGE 19, 253/267. Vgl. dazu schon B IV 1 b) bb). Vgl. BVerfGE 19, 253/267: „Die Ermächtigung, die der hamburgische Staat der dortigen Evangelisch-lutherischen Kirche zur Erhebung von Kirchensteuern gewährt hat, steht mit diesem Grundsatz nicht im Widerspruch. (...) Da diese die Voraussetzungen der Steuerpflicht sowie Bemessungsgrundlage, Höhe und Erhebung der Kirchensteuer im Einzelnen festlegen, kann jeder Kirchensteuerpflichtige sich über Grund und Umfang seiner Steuerpflicht im Voraus vergewissern“. 565 So die Einschätzung von Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983), S. 57 (Fn 56). 566 BVerfGE 21, 209/215. Im weiteren Verlauf der Entscheidung wird darauf hingewiesen, dass es insofern ausreiche, wenn das Gesetz noch „auslegbar“ sei. Vgl. auch B IV 1 b) cc). 567 Vgl. Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 476; HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 72. 564

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B. Bestimmtheit

Urteils die „Berechenbarkeitsformel“ des Zweiten Senats zitiert568 und somit zumindest an dessen Rechtsprechung angeknüpft wird. Von einer Rechtsprechungswende kann aber auch deshalb nicht die Rede sein, weil die „Vorausberechnungsformel“ auch nach dieser Entscheidung noch als Maßstab verwandt wird: Wenn das Gericht in späteren Entscheidungen „Berechenbarkeit“ der Steuergesetzgebung fordert, so geschieht dies z.T. unter Verwendung der Formulierung des Ersten Senats569, mal der des Zweiten570, mal werden beide Formeln auch in anderen Rechtsgebieten angewandt571. Insgesamt ist die Tendenz erkennbar, dass die „Vorausberechnungsformel“ des Ersten Senats immer dann zum Zuge kommt, wenn die zu überprüfende Regelung von vornherein auf keine ernsthaften Bedenken trifft. In besonders „kritischen“ Fällen wird schon Ende der Siebziger Jahre ganz auf das Kriterium der „Vorausberechenbarkeit“ verzichtet572. Der Nachweis, dass das Gericht, abseits von seinen Verlautbarungen, inhaltlich jemals die strengen Anforderungen gestellt hat, die die „Vorausberechnungsformel“ impliziert, und nicht statt dessen immer schon in der Weise vorging, die es im Urteil vom 14.3.1967 offen ausspricht, fällt somit außerordentlich schwer573. Zumindest kommt der „Vorausberechnungsformel“ in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nie eine wichtige Rolle zu, viel häufiger wird z.B. unter die dem Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG entnommene „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel subsumiert574. Zuletzt lässt sich die „Vorausberechnungsformel“ im Beschluss des zweiten Senats vom 23.10.1986 zum Hamburger Kirchensteuergesetz nachweisen575. Es ist aber zu bezweifeln, dass das Gericht weiter an ihr festhält576. Zumindest für den ersten Senat ist dies nicht anzunehmen, führt dieser doch zum sachlich vergleichbaren Gebührenrecht im Beschluss vom 9.5.1989 aus: „Der Einwand feh__________ 568

BVerfGE 21, 209/215. BVerfGE 34, 348/365; 37, 132/142; 49, 343/362; 73, 388/400. 570 BVerfGE 26, 1/10 (Verweis auf 21, 209/215); 50, 57/93; 56, 1/12. Vgl. auch E 99, 216/243 (zur Rechtsklarheit). 571 BVerfGE 37, 132/142 (zum Mietrecht); 56, 1/12 (zum Sozialrecht). 572 In BVerfGE 48, 210/221 ff. ist in der Sache schon eine Neuorientierung des Gerichts hin zu einer grundrechtsbezogenen Betrachtungsweise erkennbar. Folglich wird auch nur von „in der Tendenz berechenbar“ gesprochen. 573 Der Einschätzung von Tipke, StRO I, S. 203, dass es sich um „überspitzte Leitsätze“ handelt, ist jedenfalls zuzustimmen. Ebenso HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 686. 574 Ausführlich dazu B V 5 a) m.w.N. 575 BVerfGE 73, 388/400. Die zu beurteilende Fragestellung war nahezu identisch mit BVerfGE 19, 253/267, so dass es nicht verwunderlich ist, dass das Gericht die dortigen Formulierungen übernahm, also auch die „Vorausberechnungsformel“. 576 Kürzlich berief sich aber Bundesverfassungsrichter R. Mellinghoff in einem Aufsatz wieder auf die „Vorausberechnungsformel“ (DStR 2003, Beihefter 3, S. 14). 569

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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lender Bestimmtheit (...) greift ebenfalls nicht durch. Ihm liegt die zu weit gehende Vorstellung zugrunde, der Staatsbürger müsse sich aus dem Gesetz oder aus untergesetzlichen Normen in jeder Hinsicht absolute Gewissheit über die Höhe des festzusetzenden Wertes verschaffen können“577. Im großen Gegensatz zur geringen praktischen Bedeutung, die die „Vorausberechnungsformel“ gewann, steht das Gewicht, das dieser noch heute in der rechtswissenschaftlichen Diskussion eingeräumt wird, in der sie teilweise ein Eigenleben entwickelt hat578. In Grundgesetzkommentaren wird die „Vorausberechnungsformel“ noch heute erwähnt, ohne dass problematisiert wird, ob das Gericht selbst noch an ihr festhält579. Viele Autoren haben sich diese Forderung, wenn auch z.T. mit Einschränkungen, zu Eigen gemacht580. Gerade in den Neunziger Jahren wurde sie im Rahmen der Steuervereinfachungsdiskussion instrumentalisiert und wird noch häufig benutzt, um die Diskrepanz zwischen Sein und Sollen des geltenden Steuerrechts zu verdeutlichen581. Gleichzeitig gibt es aber auch kritische Stimmen, die entweder auf den Unterschied zwischen abstrakten Anforderungen und konkretem Handeln in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinweisen582, oder, gerade in jüngerer Zeit, die Tauglichkeit der „Vorausberechungsformel“ als Maßstab für die in der Steuergesetzgebung erforderliche Bestimmtheit generell in Frage stellen583.

bb) Bewertung Auch wenn man wie hier davon ausgeht, dass sich das Bundesverfassungsgericht mittlerweile selbst von der „Vorausberechnungsformel“ verabschiedet hat, so ist eine nähere Betrachtung dieses Maßstabs doch nicht vergebens, denn als rechtsstaatliche Utopie entfaltet er seinen eigenen Charme. Wenn Steuergesetze diese Anforderung erfüllen könnten, wäre für den Rechtsanwender Orientie__________ 577

BVerfGE 80, 103/108. Auch Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, weist S. 288 (Fn 14) auf die häufig unkritische Übernahme dieses Ansatzes durch Literatur und Finanzrechtsprechung hin, die die Einschränkungen, die schon in der Rechtsprechung des BVerfG enthalten waren, „lange Zeit nicht aufgegriffen und konkretisiert“ habe. 579 Vgl. JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 62; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 124. 580 Kruse, Steuerrecht I, S. 55 f.; Isensee, StuW 1994, S. 6 f. („jedenfalls der Idee nach“); Kirchhof, Stbg 1995, S. 68. 581 Vgl. z.B. Isensee, StuW 1994, S. 6 f.; Jachmann, StuW 1998, S. 196. 582 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 140; Papier, DStJG 12 (1989), S. 61 ff.; Tipke, StRO I, S. 140. 583 Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 371; Eckhoff, Rechtanwendungsgleichheit, S. 288 ff.; Tipke, StRO I, S. 140 f.; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 168 f.; HHSpBirk/Barth, AO, § 4 Rn 686; Birk, Steuerrecht, Rn 145; Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 71; Fischer, StVJ 1992, S. 12 (Fn 109); Kamm, Tatbestandsbildung, S. 90. 578

132

B. Bestimmtheit

rungssicherheit in Reinkultur verwirklicht. Solche Steuergesetze müssten dann aber auch vollständig auf die Verwendung „offener“ Normen verzichten, da diese immer ein Unsicherheitsmoment darstellen, gerade für steuerliche Laien584. Doch schon diese Erkenntnis führt zu der Schlussfolgerung, dass eine solche Utopie nicht verwirklicht werden kann. Wie bereits dargelegt, ist es bereits im „Wesen“ des Rechts angelegt, dass vollständige Rechtssicherheit immer nur auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit verwirklicht werden kann585. In diesem Zielkonflikt, in dem sich jedes Recht befindet, kann also keines der beiden Prinzipien vollständig verwirklicht werden, ohne dass gleichzeitig etwas verloren geht, was als ebenso essentiell wie das verwirklichte Prinzip verstanden wird. Dies soll aber nicht heißen, dass, ganz im Einklang mit der Natur des Bestimmtheitsgrundsatzes, ein möglichst im wörtlichen Sinne „berechenbares“ Recht nicht als Optimierungsziel angestrebt werden sollte. Diese Forderung stößt nur an natürliche Grenzen, die es, einmal erkannt, zu akzeptieren gilt586. Andere, über diesen rechtsphilosophischen Ansatz hinausgehende Grenzen liegen in der „Natur der Sache“ jeglicher Gesetzgebung begründet. Ein Steuerrecht, das durchgängig „rechenbar“587 ist, müsste theoretisch jede Zweifelsfrage regeln, dies ist aber nicht möglich588. Zudem erfordern Gesetze als abstraktgenerelle Normierung von Lebenssachverhalten zum Verständnis ein gewisses Abstraktionsvermögen seitens des jeweiligen Rezipienten. Wenn man hypothetisch den „gemeinen Steuerpflichtigen“ als Adressat des Gesetzes zugrunde legt589, dann bleibt nur die Feststellung, dass es immer Steuerpflichtige geben wird, die dieses Abstraktionsvermögen nicht aufbringen können. Aber selbst wenn man ein durchschnittliches Bildungsniveau unterstellt590: Auf ein gewisses Maß an Fachterminologie kann in Gesetzen nicht verzichtet __________ 584

Ähnlich Barocka, DVBl. 1967, S. 562: „Eine genaue Vorausberechnung erweist sich namentlich dann als unmöglich, wenn die Bestimmungen über die Bemessungsgrundlagen (...) unbestimmte Rechtbegriffe (...) enthalten (...)“. 585 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 439: „Vollkommene Inhaltsbestimmtheit der Rechtsnormen ist weder erreichbar noch auch ohne Einschränkung erstrebenswert“. Vgl. dazu auch B IV 2 a) aa) (3). 586 Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 169: „Ein Steuerrecht, das es sogar dem Laien ermöglicht, seine Steuerlast „vorauszuberechnen“, ist nicht „machbar“, gibt es auch nirgends auf der Welt“. 587 Eckhoff, Rechtanwendungsgleichheit, S. 289 (Fn 17) kritisiert eine solche Forderung mit dem Hinweis, dass „es sich zumindest um höhere Mathematik handeln muss“. 588 Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 482. 589 Ob dieser wirklich als Adressat anzusehen ist, wird genauer unter B V 3 d) erörtert. 590 So die Forderung von Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 371. Ähnlich Kamm, Tatbestandsbildung, S. 92 m.w.N.; Baden, Gesetzgebung im Kommunikationsprozess, S. 76.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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werden591, so dass es auch aus diesem Grund schwierig ist, Steuergesetze zu schaffen, die Laien durchgängig erfassen können592. Klar ist aber auch, dass Gesetze, die selbst Steuerberater nicht mehr verstehen, in Konflikt mit dem Rechtsstaat geraten. Das Bundesverfassungsgericht war hier und ist noch heute vom Ansatz her auf dem richtigen Weg, indem es ausdrücklich oder zumindest der Sache nach nur Orientierungssicherheit i.S.v. Berechenbarkeit „in gewissem Umfang“ fordert. Ob die Bestimmung dieses „Umfangs“ durch die Rechtsprechung allerdings immer geglückt ist, darüber lässt sich trefflich streiten, nicht aber über die Tatsache, dass von der Utopie des vollständig „rechenbaren“ Steuerrechts Abstand genommen wurde593.

c) Das Auslegungskriterium Entsprechend der Wendung, dass Berechenbarkeit staatlichen Handelns nur „in gewissem Umfang“ gefordert sei, lässt sich als Einschränkung übermäßiger Anforderungen an gesetzliche Bestimmtheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchgängig eine Feststellung finden594, die für das Steuerrecht im Beschluss vom 14.3.1967 so formuliert wird: „Vielmehr ist es Sache der Verwaltungsbehörden und Gerichte, die bei der Gesetzesanwendung mangels ausdrücklicher Regelungen auftauchenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten (...). Eine solche Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer gesetzlichen Regelung noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit (...)“595. Auch wenn dies zum Steuerrecht nicht ausnahmslos so deutlich ausgesprochen wird, zumindest der Sache nach bildet __________ 591

Vgl. nur Isensee, StuW 1994, S. 6 f; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 169. Jachmann, StuW 1998, fordert S. 194, dass der Teil der Steuergesetze, der wie die Lohnsteuervorschriften die Allgemeinheit betrifft, auch dem allgemeinen Sprachgebrauch anzupassen ist, erklärt aber trotzdem „die Verweisung an einen steuerlichen Berater“ für gerechtfertigt. Vgl. zu einem solchen Ansatz im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes C IV 3. 592 Vgl. Tipke, StRO I, S. 140 (mit Verweis auf Isensee, Staat im Wort, S. 571 ff.). Zur Unerfüllbarkeit der Forderung einer Verständlichkeit des Rechts für vollständige Laien vgl. auch Baden, Gesetzgebung im Kommunikationsprozess, S. 76 ff. Stapperfend, DStJG 24 (2001), fordert S. 371, dass Gesetze so bestimmt sein müssten, dass der Steuerpflichtige das Vorgehen des Finanzamtes, wenn schon nicht vorausberechnen, dann wenigstens anhand des Gesetzes nachvollziehen können muss. 593 Zur abschließenden Einschätzung der bisherigen Rspr. des BVerfG vgl. B VI 3. 594 Vgl. BVerfGE 3, 255/242 f.; 11, 126/130; 17, 67/82; 19, 166/177; 21, 245/261; 27, 209/215; 31, 255/264; 37, 132/142; 45, 400/420; 63, 312/323; 78, 205/212; 79, 106/121; 83, 130/145; 87, 287/318; 89, 69/84 f.; 90, 1/16 f.; 103, 111/136; BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 115. 595 BVerfGE 21, 209/215; 79, 106/120; BVerfG 2 BvR 2374/99 vom 18.5.2004, Abs. 125.

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B. Bestimmtheit

diese Erkenntnis in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu jeder Zeit Gegenpol und Einschränkung der Forderung nach möglichst weitgehender Berechenbarkeit der steuergesetzlichen Rechtsanwendung596. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass dieser Gedanke auch Eingang in die Steuerrechtsliteratur gefunden hat. In überblicksartigen Abhandlungen zu Bestimmtheitsanforderungen wird er als relativierendes Element aufgeführt597. Genauer betrachtet handelt es sich hier um ein Kriterium, welches im Rahmen von Bestimmtheitsanforderungen in zweierlei Hinsicht als Schranke wirkt: Einmal soll es, wie in der Entscheidung, aus der obiges Zitat stammt, übermäßige Anforderungen an gesetzliche Bestimmtheit relativieren. Allein die Tatsache, dass eine Norm auslegungsbedürftig ist, macht sie nicht verfassungswidrig unbestimmt. Damit eine Norm aber noch als verfassungsmäßig bestimmt angesehen werden kann, muss sie zumindest auslegungsfähig sein. Hier fungiert das Auslegungskriterium als Begrenzung gesetzlicher Unbestimmtheit, also der Einsatzmöglichkeit unbestimmter Rechtsbegriffe598.

aa) Auslegungsbedürftigkeit – Begrenzung gesetzlicher Bestimmtheit In seiner Eigenschaft als Begrenzung gesetzlicher Bestimmtheit ist das Auslegungskriterium, was aufgrund der gewonnenen dogmatischen Grundlagen des Bestimmtheitsgrundsatzes sicher beurteilt werden kann, nicht mehr als eine Banalität. Dies ist nicht schon deshalb so, weil das Gericht mit „auslegungsbedürftig“ nicht mehr meinte als die allgemeine Auslegungsbedürftigkeit jeder Rechtsnorm, die sich aus deren abstrakt-generellem Charakter und der Natur der Rechtsfindung ergibt. Man kann getrost unterstellen, dass auf „offene“ Normen im hier in Rede stehenden Sinne Bezug genommen wird, also auf solche mit einer gesteigerten Menge „neutraler Kandidaten“599. Die Selbstverständlichkeit ergibt sich vielmehr aus dem Charakter des Bestimmtheitsgrundsatzes als Prinzipiennorm und dem verfassungsdogmatischen Ansatzpunkt, der diese Klassifikation im Wesentlichen begründet: Der Widerstreit zwischen Orientierungssicherheit des Bürgers und Flexibilität der Verwaltung zur Sicherung der Einzelfallgerechtigkeit, der eine vollständige Verwirklichung eines der Grundsätze zu Lasten des anderen ausschließt. Deshalb kann es im __________ 596 So wird bspw. in BVerfGE 13, 153/161 festgestellt: „Die Grundsätze des Rechtsstaats verwehren es dem Gesetzgeber nicht schlechthin, Generalkauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Gerade im Bereich des Steuer- und Wirtschaftsrechts kommt der Gesetzgeber nicht ohne sie aus“. Ähnlich schon BVerfGE 3, 225/243. 597 Vgl. dazu beispielhaft aus der Kommentarliteratur Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 40; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 686. 598 Paradigmatisch hierfür ist BVerfGE 17, 306/314; st. Rspr. 599 Vgl. zu diesen B II 1.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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Regelfall kein „Gebot höchstmöglicher Bestimmtheit“ geben, und deshalb begegnet auch die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, die im Einzelfall einen höheren Auslegungsaufwand seitens des Rechtsanwenders erfordern, im Grundsatz keinen Bedenken600.

bb) Auslegungsfähigkeit – Begrenzung gesetzlicher Unbestimmtheit Das Auslegungskriterium, hier als „Auslegungsfähigkeit“ verstanden, fungiert auch als Begrenzung gesetzlicher Unbestimmtheit. Dieser Gedanke wird vom Bundesverfassungsgericht dahin gehend präzisiert, dass der Gesetzgeber „wenigstens seine Grundgedanken, das Ziel seines gesetzgeberischen Wollens, vollkommen deutlich“601 machen soll. Speziell zum Steuerrecht wird gesagt, dass der Gesetzgeber „die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit“602 treffen muss. Dies bedeutet in der Sache dasselbe, nämlich die Tatsache, dass der Rechtsanwender beim Prozess der Normauslegung nicht inhaltlicher Leitlinien entbehren darf. Mit dieser Schranke rückt zusätzlich zum Konflikt Orientierungssicherheit/Gerechtigkeit noch der Aspekt der Gewaltenteilung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ins Blickfeld. Diese verfassungsgerichtliche Anforderung bündelt aber jeweils nur die Mindesterfordernisse, die aus den genannten Rechtsinstituten im Hinblick auf Bestimmtheitsanforderungen herauszulesen sind. Ist eine Norm wirklich so unbestimmt, dass sie nicht mehr rational zu konkretisieren ist, so wird nicht nur der Konflikt zwischen Orientierungssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit vollständig zu Lasten der Orientierungssicherheit aufgelöst, auch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung versagt, weil die Verwaltung dann der Steuerung durch den Gesetzgeber entbehrt und somit vollständig eigenmächtig vorgehen kann und muss. Dass dies von Verfassungs wegen nicht sein darf, ist aber offensichtlich und als einschränkendes Kriterium für gesetzliche Unbestimmtheit in der Subsumtion ohne weitere Spezifikation wenig tauglich. Die in diesem Zusammenhang primär interessierende Frage, ab wann eine Norm nicht mehr auslegbar sein soll, wird vom Bundesverfassungsgericht nicht weiter präzisiert. Es verwundert ob der Weite dieses einschränkenden Kriteriums nicht, dass das Gericht in seiner bisherigen Rechtsprechung regelmäßig die Verfas__________ 600

Dies kann im Geltungsbereich eines Parlamentsvorbehalts anders sein, aber die Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts beziehen sich auf die Regelsituation der Geltung eines „einfachen“ Gesetzesvorbehalts, die folglich auch Beurteilungsmaßstab sein muss. 601 BVerfGE 17, 306/314; st. Rspr. 602 BVerfGE 21, 209/215.

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B. Bestimmtheit

sungsmäßigkeit einer Norm unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit bejahen konnte603. Andererseits ist dem Gericht zugute zu halten, dass diese Voraussetzung in vielen Urteilen auch nicht viel mehr als die Funktion erfüllen sollte, den Extrempol zu verdeutlichen. Die nähere Prüfung erfolgte dann unter Verwendung vorwiegend materieller Maßstäbe wie der Grundrechtsbetroffenheit604. Die im Steuerrecht verwandte Formel ist in dieser Hinsicht schon präziser, wenn die Rede von den „wesentlichen Bestimmungen“ der Steuer ist, die mit „hinreichender Genauigkeit“ getroffen werden sollen605. Aber auch hier bleibt offen, was „hinreichend“ ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich aus dem Auslegungskriterium in seinen beiden Wirkungsrichtungen in der hauptsächlich deklaratorischen Form, in der es das Bundesverfassungsgericht zur Konkretisierung von Bestimmtheitsanforderungen heranzieht, wenig Erkenntnisfortschritte ergeben. Etwas aussagekräftiger wäre dieser Ansatz, wenn er strenger gehandhabt würde: So könnte man ihn etwa dahin gehend formulieren, dass die Grenze der Verfassungswidrigkeit dann erreicht ist, wenn aufgrund der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs anhand der anerkannten juristischen Auslegungsmethoden kein eindeutiges Ergebnis erzielt werden kann606. Dies kann schon dann der Fall sein, wenn verschiedene Auslegungsmethoden ein unterschiedliches Ergebnis nahe legen. Insofern ist aber zu berücksichtigen, dass dadurch in erster Linie nur die fehlende Gewährleistung gesetzlicher Orientierungssicherheit abgebildet wird. Die daraus resultierende Unbestimmtheit kann immer noch über weitere Aspekte, die im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes ebenfalls zu berücksichtigen sind, gerechtfertigt werden607. __________ 603 Eine Ausnahme bildet insofern BVerfGE 17, 306/314 f., in der das Gericht unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Verdeutlichung des Grundgedankens den Satzteil „und Fahrer und Mitfahrer weder durch öffentliche Vermittlung noch durch Werbung zusammengeführt worden sind“ in § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes für verfassungswidrig erklärte. In diesem Urteil standen aber Normenwahrheits- und Klarheitsaspekte im Vordergrund, so dass davon auszugehen ist, dass die Bestimmtheitsproblematik nur als Hilfsargument angeführt wurde. Vgl. aber zuletzt BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 121 ff., 148 zu den Merkmalen des „Planens“ in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AWG und der „erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen“ in § 34 Abs. 2 AWG, die für zu unbestimmt gehalten werden. 604 Deutlich wird die wachsende Relevanz materieller Erwägungen im Rahmen der Bestimmtheitsprüfung in der Rspr. nach BVerfGE 48, 210/221 ff. Vgl. z.B. 58, 257/287 f.; 62, 169/183; 83, 130/145; 87, 287/316 ff. 605 Vgl. BVerfGE 21, 209/215. 606 Dieser Gedanke klingt auch mitunter in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an, vgl. nur BVerfGE 21, 209/215 oder zuletzt BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 115. 607 Vgl. dazu B V 5.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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d) Das Verhältnis zwischen Auslegungskriterium und Voraussehbarkeit der Rechtsanwendung – Die Adressatenproblematik Die Forderung nach Voraussehbarkeit staatlichen Handelns „in gewissem Umfang“ und das Auslegungskriterium in seiner Bestimmtheitsanforderungen begrenzenden Dimension gilt es zu harmonisieren. Das Bedürfnis hiernach ergibt sich aus einem Widerspruch, der sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachweisen und der sich im Wesentlichen mit dem engen Zusammenhang erklären lässt, in dem beide Gedanken stehen: Einerseits wird gefordert, dass der Bürger staatliches Handeln vorhersehen bzw. der Steuerpflichtige seine Steuerschuld vorausberechnen können müsse, damit eine Norm noch als ausreichend bestimmt angesehen werden könne. Das Gericht wählt also eine subjektivierte Herangehensweise. Andererseits wird konstatiert, dass die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm ihrer Bestimmtheit nicht entgegenstehe. Das Gericht geht also davon aus, dass trotz der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in einer Rechtsnorm die grundsätzliche Möglichkeit der Voraussehbarkeit der Anwendungsentscheidung gegeben ist. Die Richtigkeit dieser Annahme setzt aber voraus, dass der Bürger, und zwar jeder Einzelne, rechtskundig sein bzw. zumindest die gängigen juristischen Auslegungsmethoden beherrschen müsste, denn erst dann wäre er in der Lage, den Inhalt des Gesetzes zu erfassen und staatliches Handeln für den konkreten Anwendungsfall vorherzusehen608. Dies ist aber zweifelsohne nicht der Fall. Das Gericht bezieht denn auch die Feststellung, dass die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm ihrer Bestimmtheit nicht entgegenstehe, teilweise ausdrücklich auf eine Auslegung durch Verwaltungsbehörden und Gerichte609, objektiviert also dieses Kriterium, ohne aber zu reflektieren, dass beim im gleichen Zusammenhang gebrauchten Voraussehbarkeitserfordernis auf den Bürger abgestellt wird und sich somit ein Widerspruch der Perspektiven ergibt: Behält man die Forderung bei, dass die Rechtsanwendung für den Bürger voraussehbar sein müsse, so kann schwerlich davon ausgegangen werden, dass die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm ihrer Bestimmtheit nicht schadet. Objektiviert man hingegen das Auslegungskriterium, so muss dies in gleicher Wiese beim Voraussehbarkeitserfordernis geschehen. Es stellt sich also die Frage nach dem zu wählenden Blickwinkel, also nach dem für die Überprüfung des Bestimmtheitsgrundsatzes relevanten Gesetzesadressaten. Die Adressatenproblematik im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes wird auch in der Steuerrechtsliteratur diskutiert. Im steuerrechtlichen Zusammenhang läuft es dabei letztlich auf die Frage hinaus, ob der Steuerpflichtige selbst die __________ 608 So Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 157 (im Anschluss an Geitmann, Offene Normen, S. 96 f.; Neumeyer, Begrenzung, S. 162). 609 Vgl. dazu nur oben BVerfGE 21, 209/215.

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B. Bestimmtheit

Rechtslage beurteilen können muss (subjektivierter Ansatz), oder ob auf die Kenntnisse und somit die Perspektive eines Steuerberaters abgestellt werden kann (objektivierter Ansatz). Aufgrund der Unsicherheit der verfassungsgerichtlichen Vorgaben610 hat sich an dieser Frage ein Streit entzündet. Ausführungen hierzu lassen sich in erster Linie im Rahmen der Diskussion um den Wert der „Vorausberechnungsformel“ finden: Diese wird teilweise dann für sinnvoll gehalten, wenn es statt für den Bürger zumindest für einen Steuerrechtskundigen möglich sei, die Steuerlast vorauszuberechnen611. Es wird also versucht, den Maßstab durch „Objektivierung“ handhabbar zu machen. Aber auch abseits dieser konkreten Diskussion gehen Stimmen in der Steuerrechtsliteratur davon aus, dass nur steuerrechtlich Vorgebildete die relevanten Gesetzesadressaten sind612. Die Gegenposition wurde jüngst von Hey nachdrücklich vertreten613. Sie untermauert ihre grundsätzliche Forderung, dass das Gesetz die Sprache derer sprechen müsse, denen es Pflichten auferlege, mit folgenden Argumenten: Wenn das Steuerrecht nur noch von entweder selbst rechtskundigen oder zumindest gut beratenen Bürgern verstanden würde, sei zunächst das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt614. Ein so entstehender faktischer Beratungszwang verstoße, weil sich nicht jeder Steuerpflichtige eine Steuerberatung leisten könne, auch gegen das Sozialstaatsprinzip615. Dabei nimmt Hey aber selbst in zweifacher Weise Einschränkungen vor: Zunächst differenziert sie zwischen dem Grundbestand der Steuernormen und solchen, die speziellere Sachverhalte regeln. Bei letzteren sei der Verweis auf den Steuerberater zumutbar616. Zudem wird auf den Charakter des Bestimmtheitsgrundsatzes als Optimierungsgebot verwiesen, der es geböte, „den Anspruch auf ein angemessenes Maß zurückzuschneiden“617. Spätestens nach dieser Aussage aber bleibt die genaue Konzeption Heys unklar. __________ 610

Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 559 m.w.N. legt ausführlich dar, dass die Perspektivenwahl auch in der neueren Rechtsprechung des BVerfG undeutlich bleibt, in der im Gegensatz zu BVerfGE 21, 209/215 wieder der Blickwinkel des Steuerpflichtigen betont wird (vgl. zuletzt BVerfGE 99, 216/243 zum Grundsatz der Rechtsklarheit). 611 Tipke, StRO I, S. 141; ders., StRO III, S. 1451; Isensee, StuW 1994, S. 6 f.; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 140 (Fn 7). 612 So z.B. Meßmer, BB 1981, Beilage 1, S. 19; Benda, DStZ 1984, S. 162. 613 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 560 ff. Ähnlich Herzog, NJW 1999, S. 26 f. 614 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 561 (mit Verweis auf BVerfGE 84, 239/284 (Zinsurteil) und Herzog, NJW 99, S. 26). Zur Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht vgl. B V 4 b). 615 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 561 (mit Verweis auf Hill, ZG 1987, S. 265). 616 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 562. Vgl. zur Anwendbarkeit dieses Gedankens im Bereich des Klarheitsgrundsatzes C IV 3. 617 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 563.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Ansatz von Kamm: Dieser stellt zwar auf den durchschnittlichen Steuerpflichtigen als Gesetzesadressaten ab, der den Inhalt einer Norm aus deren Wortlaut wenigstens noch als Möglichkeit erkennen müsse618. Mangels Kenntnis der juristischen Methodik sei aber von diesem „zu verlangen, sich grundsätzlich nicht mit der Subsumierbarkeit seiner außersteuerlichen Sachverhaltsvorstellungen unter den Wortsinn der steuerlichen Tatbestandsnormen zufrieden zu geben. Der Steuerpflichtige muss sich vielmehr die Mühe machen, seine laienhaften Rechtsvorstellungen bewusst in Frage zu stellen“619. Dies kann er aber nur sachgerecht tun, wenn er sich steuerlich beraten lässt, so dass dieser Ansatz im Ergebnis ebenfalls als „objektiviert“ charakterisiert werden muss620. Im Steuerrecht ergibt sich also im Endeffekt kein einheitliches Meinungsbild. Um die Frage abschließend beurteilen zu können, ist es deshalb hilfreich, den Blick wieder zurück auf die Diskussion der Adressatenproblematik in der allgemeinen staatsrechtlichen Literatur zu lenken: Diese schlägt weitgehend einmütig vor621, den perspektivischen Widerspruch dahin gehend aufzulösen, dass man die Voraussehbarkeit und somit auch das Auslegungskriterium objektiviert verstünde, nämlich als „generalisierte Erkenntnismöglichkeit“622. Es soll genügen, dass das behördliche Verhalten im Einzelfall von einer rechtskundigen Person, die über alle erforderlichen Erkenntnisquellen verfüge, mit hinreichender Gewissheit vorhergesagt werden könne623. Diese Herangehensweise hat den Vorteil, dass sie dem Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts in der Sache am nächsten kommt. Dieses greift bei der Prüfung des Auslegungskriteriums auf das gesamte juristische Instrumentarium zurück, wählt also einen „objektivierten“ Ansatz. Ein subjektivierter Blickwinkel hätte in der Rechtsprechung auch mangels Praktikabilität keine ernsthafte Chance auf Durchsetzung, denn dieser würde es mit sich bringen, dass das Gericht in seiner Entscheidungsfindung die beschränkteren Erkenntnismöglichkeiten des Rechtsunkundigen simulieren müsste. Es müsste sich also seines juristischen Handwerkszeugs und Sachverstands begeben und sich absichtlich __________ 618

Kamm, Tatbestandsbildung, S. 93. Kamm, Tatbestandsbildung, S. 97. 620 Kamm, Tatbestandsbildung, sieht S. 97 diese Konsequenz: „Will er Gewissheit haben, so steht ihm frei, Rechtsauskunft beim Finanzamt einzuholen“. 621 Neumeyer, Begrenzung, S. 162, bevorzugt eine individualisierte Sichtweise und stellt dementsprechend hohe Bestimmtheitsanforderungen. 622 Begriff bei BK-Rüping, GG, Art. 103 II Rn 24: „Erkennbarkeit versteht sich dabei nicht als individualpsychologischer Befund, sondern als generalisierte Erkenntnismöglichkeit, die durch die Objektivierung nicht frei von normativen Elementen sein kann“. Vgl. dazu auch Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 157. 623 Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 157; Geitmann, Offene Normen, S. 100. 619

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B. Bestimmtheit

„dumm stellen“624. Das Auslegungskriterium ist deshalb nur unter einem objektivierten Blickwinkel sinnvoll und für die Rechtsanwendung operationabel. Nichts anderes kann dann aber für die Beurteilung des Aspektes der Voraussehbarkeit gelten, denn es ist bereits hinreichend deutlich geworden, dass die Kriterien der „Auslegbarkeit“ und „Voraussehbarkeit“ nur dann harmonisiert werden können, wenn beide dieselbe Perspektive voraussetzen. Diese Harmonisierung ist aber unumgänglich, denn beide Kriterien sind verfassungsrechtlich begründet und somit als solche wiederum nicht verzichtbar. Es ist letztlich die Eigenart des Rechts, nicht für jedermann ohne entsprechendes Vorwissen vollständig verständlich zu sein, die eine dahin gehende Auflösung der Adressatenproblematik erfordert, dass die für die verfassungsrechtliche Prüfung relevante Perspektive die eines Rechtskundigen sein muss. Der mehrheitlichen Auffassung in der staats- und steuerrechtlichen Literatur ist somit beizupflichten625. Diese Herangehensweise hat auch den Vorteil, dass auf die vielfältigen grundsätzlichen Relativierungen, zu denen sich die Gegenauffassung gezwungen sieht, verzichtet werden kann. Um der Tatsache zu begegnen, dass die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln dem Gesetzgeber im Grundsatz gestattet ist, was auch die Vertreter eines „subjektivierten“ Ansatzes nicht bestreiten626, müsste man, wollte man diese Auffassung praktikabel machen, den „gewissen Umfang“, in dem die Voraussehbarkeit dem Verfassungsgericht zufolge nur garantiert sein kann, sehr weit fassen. Dies würde aber die Handhabung des Voraussehbarkeitserfordernisses unsicherer machen, als wenn man dieses wie hier von vornherein objektiviert versteht. Es muss in diesem Zusammenhang aber darauf hingewiesen werden, dass diese Überlegungen zunächst nur für den Bestimmtheitsgrundsatz gelten, also für die Problematik der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber. Anders mag dies im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes sein, dem viel weniger der Charakter eines „Optimierungsgebots“ zukommt627. Die Forderungen Heys mögen verfassungsrechtlich nicht zwingend sein, weil die normative Kraft der faktisch begrenzten Möglichkeiten des Gesetzgebers zur allge__________ 624 Dieser Aspekt wird auch von Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 566 gesehen: „Es ist zu befürchten, dass sich das Verfassungsgericht, trotz aller gegenteiligen Formulierungen, von dem Vortrag eines Steuerpflichtigen, er verstünde das Recht nicht, nicht sonderlich wird beeindrucken lassen“. 625 Inwieweit diese Schlussfolgerung mit der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in BVerfGE 99, 216/243 zumindest für den Bereich der steuerlichen Erklärungspflichten deutlich auf den einzelnen Steuerpflichtigen als Gesetzesadressat abgestellt hat, in Einklang zu bringen ist, wird unter C IV 3 ausführlich behandelt. 626 Vgl. für viele Sandrock, Verständlichkeit, S. 804. 627 Vgl. dazu C IV 2.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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mein verständlichen Kommunikation des intendierten Normbefehls gegen sie streitet. Dies heißt aber nicht, dass sie nicht als rechtspolitische Forderungen Bestand haben. Vor allem dem Gedanken, dass das Gesetz umso benutzerfreundlicher sein sollte, je mehr es Materien regelt, die den Bürger unmittelbar betreffen, ist im gegenwärtigen Steuerrecht nur unzureichend Rechnung getragen worden628.

3. Gerechtigkeit als Kriterium für steuergesetzliche Regelungsdichte a) Materielle Einzelfallgerechtigkeit Ein in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wiederkehrender Ansatz zur Begründung verringerter Bestimmtheitsanforderungen an Steuergesetze basiert auf der Erkenntnis, dass es die mit „offenen“ Normen einher gehende Delegation von Entscheidungskompetenz der Verwaltung ermöglicht, besser auf die Besonderheiten des Einzelfalles eingehen zu können und so materielle Gerechtigkeit zu sichern629. Wie bereits dargelegt, ist „materielle Gerechtigkeit“ auch als Teilprinzip des Rechtsstaatsprinzips anerkannt630. Als solches steht sie aber im Konflikt mit dem ebenso geschützten Prinzip der Rechtssicherheit, so dass im Grundsatz keines der Prinzipien zur vollen Entfaltung gebracht werden kann. Es muss eine „praktische Konkordanz“ angestrebt werden, die je nach Eigenart des geregelten Sachverhalts und des Hinzutretens weiterer Kriterien, welche Bestimmtheitsanforderungen entweder verschärfen oder abschwächen, unterschiedlich ausfallen kann631. Steuerrecht ist Eingriffsrecht, mit dem der Bürger regelmäßig konfrontiert wird und welches diesen u.U. hochgradig belastet. Die Akzeptanz der Steuerpflicht wird umso größer sein, je mehr der Steuerbürger das Gefühl hat, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt632. Vollständige Gerechtigkeit kann auch nicht durch besonders detaillierte Normierungen erreicht werden, denn das Leben wird immer zu komplex dafür sein, um vollständig in Normen gefasst zu werden633. „Offene“ Tatbestände erscheinen deshalb als geeigneteres Mittel. Vor __________ 628 Vgl. auch Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 563: „Die hier skizzierten, nicht zu leugnenden Einschränkungen (...) dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gesetzgeber weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt“. 629 BVerfGE 8, 274/326; 13, 153/164; 47, 46/79; 48, 210/222; 59, 104/114 f. 630 Vgl. B IV 2 a) aa) (3). 631 BVerfGE 14, 76/104; 27, 375/386; 28, 66/88; 38, 61/83; 68, 193/222; DreierSchulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 136. 632 Birk, Steuerrecht, Rn 5; Isensee, StuW 1994, S. 7; Benda, DStZ 1984, S. 163. 633 Herzog, NJW 1999, S. 26: „Aber das Gesetz ist nicht der richtige und vor allem nicht der einzige Ort, für jede auch nur theoretisch denkbare Fallkonstruktion umfas-

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B. Bestimmtheit

diesem Hintergrund ist die Betonung des Gedankens der Einzelfallgerechtigkeit als Rechtfertigung abgeschwächter Bestimmtheitsanforderungen durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade für das Steuerrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht im Grundsatz nicht zu beanstanden. In der Literatur wird aber – unter Zugrundelegung eines Gerechtigkeitsverständnisses, dass sich an der „Richtigkeit“ der Entscheidung in Bezug auf den Gesetzeszweck orientiert – zu Bedenken gegeben, dass diesem Argument zirkuläre Züge anhaften: Bei unbestimmten Rechtsbegriffen könne gerade nicht mehr sicher beantwortet werden, ob die Einzelentscheidung richtig sei634. Zudem könnte man – noch viel grundlegender – an dieser Stelle einwenden, dass durch die Rechtsphilosophie bisher noch nicht zufrieden stellend geklärt werden konnte, was „Gerechtigkeit“ eigentlich ist635. Will man nicht generell eine Argumentation ablehnen, die auf diesem Begriff basiert, ist man deshalb auf sachbereichsspezifisch konkretisierte Gerechtigkeitsvorstellungen angewiesen. Könnte man solche ausmachen, würden die dargelegten Einwände nicht greifen, weil ein Kriterium zur Verfügung stünde, mit dem die „Richtigkeit“ der Entscheidung im Einzelfall gemessen werden könnte. Das Steuerrecht ist in dieser Hinsicht eine dankbare Materie. Materielle Einzelfallgerechtigkeit heißt hier in erster Linie Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit und ist dem Problembereich des Art. 3 Abs.1 GG zuzuordnen636. Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gibt auch der Verwaltung bei der Rechtsanwendung eine Richtschnur in die Hand637. Mit diesem Kriterium besteht also ein verfassungsrechtlich abgesicherter sachbereichsspezifischer Gerechtigkeitsmaßstab. So konkretisiert kann der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts beigepflichtet werden. ___________ sende Einzelfallgerechtigkeit zu garantieren. Wer diesen Anspruch perfekt verwirklichen will, begibt sich in einen immerwährenden Wettlauf mit dem praktischen Leben, das bekanntlich immer einen Fall mehr kennt als der klügste Theoretiker und damit auch der klügste Gesetzgeber“. 634 Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 187. 635 Vgl. nur Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S. 140: „Was die Gerechtigkeit ist, lässt sich nicht – noch weniger als der Rechtsbegriff – in einer exakten, abschließenden Definition sagen. Denn die Gerechtigkeit ist ein nicht mehr weiter rückführbarer Grundbegriff der Ethik (...)“. Vgl. auch Henkel, Rechtsphilosophie, S. 395 ff. und als Beispiel für einen Gerechtigkeitsentwurf aus der neueren Rechtsphilosophie Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 19 ff.; 81 ff. (Gerechtigkeit als „Fairness“). 636 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 153 ff.; dens., JZ 1988, S. 820 ff.; Kirchhof, StuW 1985, S. 319 ff.; HbStR IV-Kirchhof, § 88 Rn 114 ff.; Tipke, Steuergerechtigkeit, S. 57 ff.; dens., StRO I, S. 282 ff.; Walz, Steuergerechtigkeit, S. 155 ff.; Hartmann/Walter, Auslegung von Steuergesetzen, S. 287 ff.; Mössner, DStZ 1990, S. 135 ff. Kritisch u.a. Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 354 ff. 637 Ausführlich Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 109 ff. Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 187, nehmen das Steuerrecht deshalb auch ausdrücklich aus ihrem Einwand gegen das Kriterium der „Gerechtigkeit“ aus.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

143

b) Vollzugsgerechtigkeit Gerade im Steuerrecht wird aber neben dem Gesichtspunkt der materiellen Einzelfallgerechtigkeit regelmäßig noch ein weiterer Gerechtigkeitsaspekt relevant638: Steuerrecht ist Massenfallrecht und die Kapazitäten der Finanzverwaltung sind begrenzt. Die Zeit, die für jede Veranlagung aufgewandt werden kann, wird immer geringer639. Die Verwirklichung der in den Steuergesetzen angelegten Einzelfallgerechtigkeit kann deshalb an der Tatsache scheitern, dass die Verwaltung diese auch unter besten Umständen niemals verwirklichen kann640. Und so hat sich im Laufe der Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein wesentliches Gerechtigkeitselement im Steuerrecht nicht nur die Gleichheit im abstrakt-generellen Belastungsgrund ist, also die reine Gleichheit vor dem Gesetz, sondern auch die als Vollzugsgerechtigkeit zu bezeichnende Gleichheit im Belastungserfolg641. Ein Mittel, um diese Vollzugsgerechtigkeit herzustellen, sind sog. „Typisierungen“, also die gesetzliche Erfassung von Normalfällen, mit denen abweichende gleich behandelt werden642. Genau genommen haben bei einem solchen Verständnis alle abstrakt-generellen Normen typisierende Wirkung, da diese unterschiedliche Erscheinungen der Wirklichkeit wertend und generalisierend zu__________ 638 Vgl. dazu auch schon den Problemaufriss unter B IV 1 b) ee) bei der Erörterung von BVerfGE 78/214. 639 Dies veranschaulichen die EB/FAGO und die daraus resultierende Tendenz der Finanzverwaltung, Steuererklärungen nur noch überschlagsmäßig anhand von sog. „Prüffeldern“ nachzuprüfen. Diese Vorgehensweise wird verständlich, wenn man sich die Zahl von 120 Millionen Verwaltungsakten vor Augen führt, die die Finanzverwaltung pro Jahr anzufertigen hat (so Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn 24). 640 Isensee, StuW 1994, S. 9. 641 Dieses Ergebnis wird vom Gleichheitssatz vorgegeben und ist somit verfassungsrechtlich über Art. 3 Abs. 1 GG abgesichert. Grundlegend BVerfGE 84, 239/278 ff. Vgl. dazu auch Kirchhof, Steuervereinfachung, S. 11; dens., StuW 2000, S. 319; Isensee, StuW 1994, S. 7 f.; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 130 f. m.w.N. Ausführlich Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 141 ff. 642 Isensee, Typisierende Verwaltung, S. 97 ff.; Arndt, Praktikabilität, S. 7 ff.; Tipke, StRO I, S. 349 ff.; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 491. Einen Widerspruch zwischen Gerechtigkeit und Typisierung sieht HbStR III-Rüfner, § 80 Rn 97, der damit auch dem Konzept der „Vollzugsgerechtigkeit“ reserviert gegenübersteht. Dagegen aber Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 132; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 492; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 82 (Fn 68). Ein vergleichbares Mittel sind „Pauschalierungen“, d.h. Schematisierungen der rechnerischen Grundlagen eines Steuertatbestands. Vgl. zu diesen Jarzyk-Dehne, Pauschalierungen, S. 25 ff. Sie sind wie Typisierungen zu behandeln. Im Rahmen dieser an der „Offenheit“ von formellen Gesetzen orientierten Erwägungen ist die umstrittene Frage irrelevant, inwieweit die Verwaltung eigenmächtig typisieren darf. Dazu ausführlich Osterloh, Gesetzesbindung, S. 203 ff.; Isensee, Typisierende Verwaltung, S. 171 ff.

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B. Bestimmtheit

sammenfassen643. Typisierungen im hier erörterten Sinne zeichnen sich aber dadurch besonders aus, dass sie die Praktikabilität einer Norm in der Rechtsanwendung herstellen oder erleichtern644 und somit einen einheitlichen Belastungserfolg sichern sollen645. In diesem Zusammenhang wird auch gesetzliche „Offenheit“ relevant: Rechtstechnisches Mittel, um den Typisierungszweck zu erfüllen, ist nicht nur die formalgesetzliche Bezugnahme auf den steuerrechtlichen Regelfall, sondern auch die Verwendung von „offenen“ Normen646. Diese lassen der Verwaltung den benötigten Spielraum, um ihrerseits zu typisieren und damit im Einzelfall die Vollzugsgerechtigkeit zu sichern. Die Rechtfertigung gesetzlicher Unbestimmtheit durch Gerechtigkeitserwägungen hat also auch dann Bestand, wenn die Verwaltung den durch „offene Normen“ eröffneten Spielraum für Typisierungen und Pauschalierungen nutzt, also gerade von einer ausführlichen Prüfung des Einzelfalles absieht. Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das zur Typisierung anhaltende „offene“ Regelungen auch unter Bestimmtheitsgesichtspunkten für zulässig erklärt647, ist somit im Grundsatz nicht zu beanstanden. Das Gericht setzt sich in der Sache nicht zu früheren Aussagen in Widerspruch, weil der Bezugspunkt, die Gerechtigkeit für den jeweiligen Steuerpflichtigen, unter Zugrundelegung eines erweiterten Gerechtigkeitsbegriffs – Gerechtigkeit als Rechtsanwendungsgleichheit – derselbe geblieben ist. Allerdings kann das Gerechtigkeitsargument zur Legitimation gesetzlicher Unbestimmtheit im Zu__________ 643

BVerfGE 82, 126/151; Kirchhof, Steuervereinfachung, S. 5 ff.; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 80 f. Die hier dargestellten „Typisierungen“ sind also Sachverhaltstypisierungen. Davon sind die unter B II 2 b) cc) erörterten „Typusbegriffe“ zu unterscheiden, bei denen gesetzliche Tatbestandsmerkmale als Typus fungieren. Vgl. dazu Weber-Grellet, Typus, S. 561 ff. 644 Es wird darauf hingewiesen, dass den „Typisierungen“ deshalb auch ein eigener, zusätzlicher Gerechtigkeitsgehalt zukomme. Sie halten die Finanzverwaltung bspw. dazu an, auch die beim gewöhnlichen Steuerpflichtigen anfallenden Aufwendungen regelmäßig zu berücksichtigen, so dass sie nicht nur jenen meist vermögenden Steuerpflichtigen aberkannt werden, die sich eine steuerliche Beratung leisten können. Vgl. dazu HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 492; Isensee, StuW 1994, S. 8; Herzog, NJW 1999, S. 26. 645 Deutlich das Bundesverfassungsgericht im „Zinsurteil“ (BVerfGE 84, 239, 1. Leitsatz): Das materielle Steuergesetz müsse „in ein normatives Umfeld eingebettet sein (...), welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet“. 646 Seiler, Parlamentsvorbehalt, meint S. 336 dazu: „Dennoch können „materielle“ Typisierungen im Einzelfall das Ergebnis einer nach allgemeinen methodischen Regeln erfolgten Normkonkretisierung sein. Eine solche Interpretation kann insbesondere, aber nicht nur bei unbestimmten Rechtsbegriffen gelingen, die eine besondere Distanz zum konkreten Fall und damit einen erhöhten Ergänzungsbedarf aufweisen“. 647 Beispielhaft hierfür ist BVerfGE 78, 214/226 ff. Vgl. dazu auch B IV 1 b) ee).

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

145

sammenhang mit Typisierungen nicht in dem Maße Bestand haben, wie dies bei angestrebter Einzelfallgerechtigkeit der Fall wäre: Setzt der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe bewusst ein, um die Verwaltung zum typisierenden Vorgehen anzuhalten, so kann dies nur unter Beachtung der einschränkenden Voraussetzungen erfolgen, unter denen auch Typisierungen und Pauschalierungen selbst nur zulässig sind. Diese werden im Wesentlichen aus dem in diesem Rahmen relevanten verfassungsrechtlichen Strukturelement gewonnen, dem allgemeinen Gleichheitssatz648. So darf gegenüber dem Gewinn an Praktikabilität der Verlust an Einzelfallgerechtigkeit nicht zu groß sein649. Typisierungen müssen deshalb auf eine möglichst weite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen650, die die erfassten wirtschaftlichen Vorgänge realitätsgerecht abbildet651. Die Verwendung von „offenen“ Normen zur Erzielung von Anwendungsgerechtigkeit hat auch dort ihre Grenze, wo zu große „Offenheit“ die Rechtsanwendung wieder vor Vollzugsprobleme stellt652. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht schon früh festgestellt, dass Typisierungen bei Sachverhalten unzulässig sind, die empfindliche Freiheitsbereiche betreffen653. Das Gerechtigkeitskriterium ist somit im Steuerrecht aufgrund gleich zweier Gesichtspunkte geeignet, gelockerte Bestimmtheitsanforderungen an formelle Gesetze zu rechtfertigen: Zum einen als materielle Einzelfall-, zum anderen als Vollzugsgerechtigkeit. Letztere begegnet aber Einschränkungen dadurch, dass Art. 3 Abs. 1 GG die Vollzugsgleichheit, die er als Gerechtigkeitsmaßstab einerseits fordert, andererseits wiederum begrenzt und so gleichzeitig gegenläufig wirkt. Das Erfordernis der Vollzugsgerechtigkeit wird also in erster Linie in solchen Bereichen gesetzliche „Offenheit“ rechtfertigen können, in denen Vollzugsdefizite bestehen.

__________ 648 Eine ausführliche Darstellung der Funktionsweise des allgemeinen Gleichheitssatzes in diesem Zusammenhang enthält Eckhoffs Untersuchung zur „Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht“, vgl. nur S. 82 ff. 649 BVerfGE 13, 331/341; 21, 12/27, st. Rspr.; Isensee, Typisierende Verwaltung, S. 165 ff.; ders., StuW 1994, S. 10, 12 m.w.N.; Kirchhof, Stbg 1995, S. 69 f.; Eckhoff, Rechtanwendungsgleichheit, S. 90 f. 650 Vgl. zuletzt BVerfGE 96, 1/16; 101, 297/309; st. Rspr. 651 BVerfGE 93, 121/136; 96, 1/6 f.; 99, 280/290; 101, 297/310; 105, 73/127. 652 Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 131, mahnen an, dass dies der Fall sein könnte, wenn das Gesetz auf wenige Generalklauseln reduziert würde. Ebenso Isensee, StuW 1994, S. 7 f., der dafür den Ausdruck „terrible simplification“ benutzt. 653 Vgl. nur BVerfGE 6, 55/83. Dazu eingehend Osterloh, Gesetzesbindung, S. 335 ff. m.w.N.

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B. Bestimmtheit

4. Weitere Kriterien zur Bestimmung der steuergesetzlichen Regelungsdichte In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu steuergesetzlichen Bestimmtheitsanforderungen lässt sich über die Jahre hinweg die stetige Wiederkehr einzelner Auslegungstopoi und Subsumtionsformeln beobachten, die nur teilweise auf spezifische Eigenarten des Steuerrechts zugeschnitten sind und auch bei der Überprüfung von Bestimmtheitsanforderungen in anderen Rechtsgebieten zur Anwendung kommen. Nichtsdestotrotz rechtfertigt ihre Bedeutung in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechungspraxis eine nähere Betrachtung auch im Rahmen einer primär an den Besonderheiten des Steuerrechts orientierten Untersuchung. Die in diesem Zusammenhang interessierenden Fragen sind, inwieweit die Kriterien tauglich sind, verfassungsrechtliche Bestimmtheitsanforderungen subsumtionsfähig zu machen und wie sie sich in die verfassungsdogmatischen Wurzeln des Bestimmtheitsgrundsatzes einfügen lassen.

a) „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel Die Forderung nach Bestimmtheit hinsichtlich „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ stellt das GG selbst in Art. 80 Abs. 1 S. 2 auf, dort bezogen auf Verordnungsermächtigungen. Das Bundesverfassungsgericht zögerte aber nicht, diesen Maßstab auch bei der Überprüfung von Einzelaktsermächtigungen in formellen Gesetzen und damit außerhalb des von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vorgegebenen Anwendungsbereiches zu berücksichtigen, meist angereichert um die Forderung nach hinreichender Bestimmtheit des „Gegenstandes“654. Auch bei der Überprüfung von Steuerrechtsnormen findet diese Formel als Bestandteil der „Berechenbarkeitsformel“ des zweiten Senats Anwendung655, wobei deren Relevanz für die Prüfung schwankt: In einigen Entscheidungen subsumiert das Gericht ausführlich alle Merkmale656, z.T. wird eine Subsumtion aber auch nur angedeutet657. Die Verwendung dieses Maßstabs bringt einige Vorteile mit sich: Er lässt sich auf den Verfassungstext zurückführen, bietet ein eigenständiges Subsumtionsprogramm und funktioniert unabhängig von Natur und Sachbereich der ge__________ 654

Zuerst in BVerfGE 8, 274/325; 9, 137/147. Vgl. dazu B V 3 b) aa) mit genauem Zitat. Verwandt wurde dieses Kriterium in Entscheidungen zum Steuerrecht in BVerfGE 13, 153/160; 48, 210/221; 50, 57/93. 656 So vor allem in BVerfGE 13, 153/160 ff., der Sache nach auch in BVerfGE 48, 210/221 ff. 657 Vgl. BVerfGE 50, 57/93. 655

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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troffenen Regelung. Aber gerade in letztgenannter Feststellung, also negativ ausgedrückt der Undifferenziertheit des Maßstabs, liegt auch dessen Schwäche, die auch u.a. zu dessen Bedeutungsverlust in der Rechtsprechungspraxis seit den späten Siebziger Jahren beitrug. Über einen rein formalen Maßstab können materielle Bestimmtheitskriterien wie die Grundrechtsintensität einer Maßnahme nicht abgebildet werden658. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wandte sich über die Jahre hinweg aber vermehrt solch materiellen Kriterien zu659. Dies machte die Rechtsprechung allerdings auch unberechenbarer. Insofern ist es durchaus erwägenswert, die „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Trias wieder verstärkt für den Bereich zu aktivieren, für den sie zusätzliche Erkenntnisse liefern kann: Die formalen Aspekte des Bestimmtheitsgrundsatzes. Sind nämlich Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Regelung hinreichend bestimmt, so liegt die Vermutung nahe, dass sich ein Rechtskundiger und im Idealfall jeder Bürger „in gewissem Umfang“ die Rechtslage durch Lektüre des Gesetzestextes erschließen kann und staatliches Handeln so prognostizierbar wird. Dieser Maßstab kann also zusätzliche Indizien für den Grad der Orientierungssicherheit liefern, den ein Gesetz verwirklicht660. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10.1961 zu § 3 Abs. 1 KVStG661 verdeutlicht diesen Wert: Die dort vorgenommene ausführliche Subsumtion mittels der zwar Allgemeingültigkeit anstrebenden, aber dennoch flexibel wirkenden „Berechenbarkeitsformel“ führt im Endergebnis zu einer guten Nachvollziehbarkeit und hohen Überzeugungskraft des Beschlusses. Insofern wird auch deutlich, dass die weitaus strengere und unflexiblere „Vorausberechnungsformel“, die das Bundesverfassungsgericht später z.T. verwandte, in jeder Hinsicht einen Rückschritt gegenüber der ursprünglichen Herangehensweise darstellte. __________ 658

In der Literatur wir sogar z.T. ein Zusammenhang gesehen zwischen dem Bedeutungsverlust der „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel und dem Siegeszug des „Wesentlichkeitskriteriums“ bei der Konkretisierung von Bestimmtheitsanforderungen, vgl. dazu v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 94; Pietzcker, JuS 1979, S. 710, 712 (Fn 27). Dagegen aber Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 165. 659 So auch die Einschätzung von Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 164. Dieser Paradigmenwechsel wird im Steuerrecht durch BVerfGE 48, 210/221 ff. verkörpert, wo zwar die „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel noch zitiert und geprüft wird, gleichzeitig aber materielle Kriterien in vorher nicht üblicher Weise zusätzliche Bedeutung gewinnen. Vgl. aber zuletzt die Entscheidung 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 109, in der die „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel wieder zitiert wurde. 660 So auch Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 166. Im Ganzen kritisch Geitmann, Offene Normen, S. 114 f., der diesen Maßstab für zu starr hält und bemängelt, dass er materielle Kriterien nicht berücksichtige. Dieser Einwand greift aber dann nicht, wenn der Maßstab wie hier im Wesentlichen nur als eines von mehreren Bestimmtheitskriterien fungieren soll. Vgl. zu weiteren Kritikpunkten im Einzelnen Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 165 f. 661 Vgl. B IV 1 b) aa).

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B. Bestimmtheit

Der „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Maßstab ist aber aufgrund seiner bereits dargelegten Schwächen kein Allheilmittel zur Konkretisierung von Bestimmtheitsanforderungen. Mit ihm ist man in der Lage, das Teilkriterium der Orientierungssicherheit näher zu bestimmen. Auf das Hinzuziehen weiterer formeller und vor allem materieller Kriterien zur Konkretisierung anderer Aspekte des Bestimmtheitsgrundsatzes kann nicht verzichtet werden.

b) Regelungsfähigkeit des Sachbereichs Ein weiteres Kriterium für Bestimmtheitsanforderungen, welches sich häufig und bis in die heutige Zeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden lässt, ist die Berücksichtigung der „Eigenarten des Regelungsgegenstandes“. Diese sollen auf dessen Regelungsfähigkeit zurückwirken und Aussagen über die erforderliche Regelungsdichte ermöglichen662. An dieser Stelle muss zunächst zum Kriterium der Grundrechtsrelevanz abgegrenzt werden, bei dem ebenfalls „Eigenarten“ des jeweiligen Regelungsgegenstandes relevant werden: „Eigenart“ bezeichnet hier nicht die thematische Einschlägigkeit eines Grundrechts, als „Eigenarten“ werden in diesem Zusammenhang die Komplexität der geregelten Verhältnisse und die Veränderungen, denen diese unterliegen, angesehen663. Meistens wird dieser Umstand zur Begründung reduzierter Bestimmtheitsanforderungen herangezogen, etwa indem gesagt wird, dass „die Vielheit der Verwaltungsaufgaben (...) sich nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen“664 lässt. Abstrakte und unbestimmte Formulierungen sollen die Verwaltung „in die Lage (...) versetzen, ihren Aufgaben, den besonderen Umständen des einzelnen Falles und den schnell wechselnden Situationen des wirtschaftlichen Lebens gerecht zu werden“665. __________ 662 Die Terminologie ist in diesem Bereich inkonsistent, häufig ist auch die Rede von der „Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse“. Vgl. dazu Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 169 m.w.N. „Eigenarten des geregelten Sachbereichs“ werden z.B. in BVerfGE 3, 225/243; 8, 274/326; 13, 153/161; 21, 209/215; 48, 210/222 ff.; 49, 89/133; 49, 168/181; 56, 1/12 f.; 58, 257/278; 59, 104/114; 78, 205/212; 84, 133/149; 87, 234/263; 89, 69/84; 90, 1/16; 102, 347/361; 103, 131/138 berücksichtigt. 663 Häufig wird zwischen Komplexität und Dynamik eines Sachbereiches unterschieden, vgl. dazu Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 170 ff. und die vielfältigen Untergliederungen bei Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 261 ff. Auf diese Unterscheidung wird an dieser Stelle jedoch verzichtet, um den Blick nicht auf die beiden Systematisierungsversuchen zugrunde liegende Erkenntnis zu verstellen, dass es sich um Normierungshindernisse handelt, die sämtlich in der Faktizität der Verhältnisse begründet liegen. 664 BVerfGE 8, 274/326. 665 BVerfGE 8, 274/326.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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Die „Vielfalt des Wirtschaftslebens“666 ist ein in diesem Zusammenhang häufig wiederkehrender Topos. Da das Steuerrecht in vielen Teilbereichen an die Verhältnisse des Wirtschaftslebens anknüpft und in diesem Rahmen denselben „Sachgesetzlichkeiten“ unterliegt, verwundert es nicht, dass auch das Bundesverfassungsgericht häufig auf diesen Argumentationsansatz zurückgreift, wenn es steuergesetzliche Regelungsdichten zu beurteilen hat667. Die Berücksichtigung von Eigenarten des Regelungsgegenstandes wird aber nicht nur als Argument für reduzierte Bestimmtheitsanforderungen gebraucht, sondern begründet in den Fällen, in denen der Regelungsgegenstand überschaubar war, auch die Forderung nach höherer gesetzlicher Bestimmtheit. Der Gesetzgeber sei „gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“668. In der Literatur wird wegen dieses Entsprechungsverhältnisses zwischen normativer Regelungsdichte und Komplexitätsgrad der Regelungsmaterie auch von einer „bundesverfassungsgerichtlichen Adäquanzformel“ gesprochen669. Zur dogmatischen Rechtfertigung dieses Gedankens kann auf zwei der verfassungsrechtlichen Wurzeln des Bestimmtheitsgrundsatzes verwiesen werden670: Zum einen kommt hier der Grundsatz „funktionsgerechter Organstruktur“ zum Zuge. Die Verwaltung ist strukturell besser als der parlamentarische Gesetzgeber in der Lage, auf komplexe und dynamische, d.h. sich in ständiger Entwicklung befindliche Sachverhalte zu reagieren. Das parlamentarische Ver__________ 666

BVerfGE 7, 282/301; 8, 274/326; 9, 137/151; 13, 153/161, 164; 19, 17/30; 21, 1/4; 33, 358/366; 42, 191/203; 48, 210/222 ff.; 59, 105/115; 80, 270/275 f. 667 BVerfGE 13, 153/161, 164; 21, 1/4; 21, 209/215; 48, 210/222 ff. Vgl. dazu auch Geitmann, Offene Normen, S. 137 f., der aus diesem Grunde auch die Lehre von der „Tatbestandsmäßigkeit“ der Besteuerung und die „Vorausberechnungsformel“ des Bundesverfassungsgerichts für verfehlt hält: „Mit einer solchen Formel ist der Kompliziertheit der heute vom Steuergesetzgeber zu berücksichtigenden Sachverhalte wohl kaum Rechnung zu tragen“. Kritisch beurteilen diesen Ansatz Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 186: „Wenn ein Gesetz so viele Sachverhalte betrifft, dass es nicht präzise formuliert werden kann, muss der Gesetzgeber daraus die Konsequenz ziehen, die große Anzahl disparater Lebensvorgänge mit mehreren „bestimmten“ Normen zu bewältigen“. 668 BVerfGE 78, 205/212; 87, 234/263; 93, 213/238; BVerfG 2 BvR 2374/99 vom 18.5.2004, Abs. 125. BVerfGE 17, 306/314 erhebt die Forderung nach erhöhter gesetzlicher Bestimmtheit „besonders dann, wenn es sich um die Regelung eines verhältnismäßig einfachen und leicht zu überschauenden Lebenssachverhalts handelt und die Formung des gesetzlichen Tatbestandes deshalb wenig Schwierigkeiten bereitet“. 669 Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 171. 670 Anders Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 262 ff., der dieses Kriterium im Rahmen des Parlamentsvorbehalts diskutiert, was aber seiner dogmatischen Konzeption, Bestimmtheitserfordernisse unter dem Topos „Parlamentsvorbehalt“ zu bündeln, geschuldet ist. In der Sache handelt es sich um die gleichen Erwägungen.

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B. Bestimmtheit

fahren ist im Gegensatz dazu schwerfälliger und zeitraubend und das Parlament als solches notorisch überlastet671. Die Notwendigkeit der Delegation von Entscheidungsbefugnissen an die Verwaltung wird in diesem Zusammenhang einsichtig. Ließe das Parlament durch detaillierte Normierungen der Verwaltung wenig Entscheidungsfreiraum, zwänge dies diese in ein „Steuerungskorsett“. Das würde evtl. dazu führen, dass die Verwaltung vor allem bei dynamischen Sachverhalten der generellen Regelungsintention des Gesetzgebers im Einzelfall nicht mehr gerecht werden könnte, z.B. wenn die tatsächlichen Grundlagen einer gesetzlichen Regelung bereits entfallen sind. Neuen Entwicklungen könnte so nur über die stetige Anpassung von Normen begegnet werden, die wieder über das parlamentarische Verfahren vorgenommen werden müsste. Dieser Aufgabenzuwachs des Parlaments würde aber in letzter Konsequenz die Funktionsfähigkeit der gegenwärtigen Staatsorganisation gefährden. Reduzierte Bestimmtheitsanforderungen sind ein in solchen Zusammenhängen taugliches Mittel, Entscheidungskompetenzen zu verlagern672. Als weiteres verfassungsrechtliches Kriterium wird die rechtsstaatlich begründete Forderung nach Orientierungssicherheit relevant. Dieses Bedürfnis könnte sich bei komplexen und dynamischen Sachverhalten oberflächlich betrachtet dahin gehend auswirken, dass Gesetze besonders bestimmt gefasst werden müssten, weil der Gesetzgeber gerade dort, wo sich die tatsächlichen Verhältnisse schnell ändern, für Sicherheit und Kontinuität sorgen sollte. Der Bürger kann aber naturgemäß nicht auf die rechtliche Bewertung von Sachverhalten vertrauen, die ihm selbst noch gar nicht bekannt sind und die es auch dem Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Normerlasses nicht waren673. Die Sorge des Gesetzgebers kann schon aus faktischen Gründen nur darauf beschränkt sein, dem Bürger Leitlinien vorzugeben, die notwendigerweise einen gesteigerten Abstraktionsgrad aufweisen. Der Bürger muss der Grundkonzeption einer gesetzlichen Regelung vertrauen können, die sich auch bei komplexen und sich wandelnden Verhältnissen bewähren muss. Auch insofern sind „offene“ Normen, die sich darauf beschränken, eben diese Leitlinien vorzugeben, detaillierten Regelungen vorzuziehen, die durch ihre präzise Formulierung auch nur ausgewählte Sachverhalte erfassen können und durch die im ungünstigsten Fall sogar der Blick auf die Grundentscheidungen eines Gesetzes verstellt wird. Dies wird im geltenden Steuerrecht besonders deutlich: Auch hier gerät der steuerliche Belastungsgrund durch übermäßig detaillierte Regelungen häufig aus dem Blickfeld, ein in der Literatur, vor allem von P. Kirchhof, viel be__________ 671

Ausführlich dazu Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 262 ff. Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 550; Hill, ZG 1987, S. 238, 261; Geitmann, Offene Normen, S. 128. 673 Dazu Leisner, Kontinuität, S. 355: „Vom Bürger kann nicht verlangt werden, (...) dass er gar weiter in die Zukunft blicke als die Staatsinstanzen“. 672

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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klagtes Phänomen674. Durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die aufgrund ihrer „Porösität“ auch neue und unvorhergesehene Entwicklungen erfassen können675, kann die „Vielgestaltigkeit“ der Lebensverhältnisse rechtstechnisch angemessen berücksichtigt werden676, was sich in Einzelfällen sogar zur verfassungsrechtlichen Forderung verdichtet677. Ebenso deutlich wird die umgekehrte Wirkungsweise: Bei statischen und überschaubaren Sachverhalten vertraut der Bürger auf die Kontinuität der Rechtslage. Diesem Bedürfnis nach Orientierungssicherheit stehen auch keine faktischen Schwierigkeiten des Gesetzgebers bei der Normierung oder Erwägungen zur funktionsgerechten Organstruktur gegenüber. Hier ist, wie vom Bundesverfassungsgericht richtig erkannt wurde678, eine erhöhte Regelungsintensität nicht nur angebracht, sondern auch erforderlich, um die prinzipielle Höherwertigkeit des parlamentarischen Verfahrens gegenüber den Entscheidungsprozessen der Verwaltung zu verwirklichen679. Dem Ansatzpunkt des Bundesverfassungsgerichts, die Besonderheiten des geregelten Sachbereichs in die Beurteilung von Bestimmtheitsanforderungen einfließen zu lassen, ist also nicht nur von einem pragmatischen Standpunkt aus uneingeschränkt zuzustimmen, er fügt sich zudem in die dogmatischen Grundlagen des Bestimmtheitsgrundsatzes reibungslos ein und ist mit diesen zufrieden stellend erklärbar. Aber auch hier sind zwei Dinge einschränkend anzumerken: Bei den „Eigenarten des Regelungsgegenstandes“ handelt es sich um ein primär einzelfallbezogenes Kriterium. Vor der Annahme einer Übertragbarkeit dieses Gedankens, z.B. auf das gesamte Steuerrecht, muss gewarnt werden. Nicht immer knüpft dieses an komplexe wirtschaftliche Sachverhalte an, und nicht immer wird Bezug genommen auf eine dynamische, dauernden Veränderungen ausgesetzte Materie. Selbst die Aufstellung einer Vermutungsregel verbietet sich. Erkenntnisse können nur aus der Betrachtung der konkreten Regelung gewonnen werden. Des Weiteren ist auch hier zu berücksichtigen, dass es sich nur um eines von mehreren tauglichen Kriterien zur Konkretisierung von Bestimmtheits__________ 674

Vgl. nur Kirchhof, Steuervereinfachung, S. 12 ff.; dens., StuW 2000, S. 319 f.; dens., Stbg 1995, S. 70; Isensee, StuW 1994, S. 6; Tipke, StuW 1993, S. 3 ff. 675 Vgl. zur „Porösität“ unbestimmter Rechtsbegriffe schon B II 2 a). 676 Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 551; Meßmer, BB 1981, Beilage 1, S. 2; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 256. 677 Dies ist schon wegen des Erfordernisses einer möglichst gleichmäßigen Besteuerung aus Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Vgl. dazu Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 206. Insofern ist die Wirkungsweise vergleichbar mit gesetzlichen Typisierungen und Pauschalierungen. Dazu für viele Isensee, StuW 1994, S. 10 ff.; Kirchhof, Stbg 1995, S. 69 f. und B V 4 b) 678 Vgl. nur BVerfGE 78, 205/212. 679 Vgl. zu dieser B IV 2 b) aa).

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B. Bestimmtheit

anforderungen handelt. Selbstverständlich können auch wieterhin andere verfassungsrechtliche Determinanten, besonders materielle Kriterien wie die Grundrechtsintensität einer Maßnahme, auch bei komplexen und dynamischen Sachverhalten die Erforderlichkeit einer detaillierten gesetzlichen Regelung begründen.

c) Auslandsberührung Häufig verwendet der Gesetzgeber dann unbestimmte Rechtsbegriffe, wenn er Sachverhalte mit Auslandsberührung regelt. Das Bundesverfassungsgericht führt in diesem Zusammenhang aus: „Der Gesetzgeber trifft in Fällen dieser Art auf Fallgestaltungen, bei denen die Auswirkung seiner Regelung von Umständen abhängig ist, die dem Einfluss der deutschen Staatsgewalt weithin entzogen sind. Wenn er angesichts dessen – gerade auch im Interesse der Begünstigten – in der Regelung unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, so können an die Bestimmtheit der Normierung nicht dieselben Anforderungen gestellt werden, wie sie bei Sachverhalten mit innerstaatlicher Anknüpfung möglicherweise zu fordern wären, wenn anders nicht der Gesetzgeber zur Untätigkeit verurteilt werden soll“680. Genau genommen handelt es sich in diesen Fällen um spezielle Ausprägungen des Kriteriums der „Regelungsfähigkeit“ vielgestaltiger Sachbereiche, so dass die in dessen Zusammenhang angestellten Überlegungen weitgehend übertragbar sind. Würde man bei der Regelung von Sachverhalten mit Auslandsberührung hohe Bestimmtheitsanforderungen aufstellen, müssten evtl. Normen geschaffen werden, die im Extremfall die Besonderheiten der Gesetze jedes anderen Landes auf der Welt erfassen681. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch die Rechtsordnungen anderer Länder nicht statisch sind, sondern sich ständig ändern. Es handelt sich also um Sachverhalte, die im Einzelfall sowohl komplex als auch dynamisch sein können. Das parlamentarische Verfahren offenbart Schwächen bei der Schaffung von Regelungen dieser Art. Die Verwaltung hingegen verfügt wegen ihrer Flexibilität über die in diesem Zusammenhang weitaus effizienteren Möglichkeiten __________ 680 BVerfGE 56, 1/14 (zum Begriff „besondere Gründe“ in § 64 Abs. 1 BVG). Dieser Gedanke findet aber auch außerhalb des Sozialrechts im insoweit vergleichbaren Steuerrecht Anwendung, so z.B. (unausgesprochen) in BVerfGE 48, 210/221 ff. zu § 34c Abs. 3 EStG a.F. (vgl. dazu B IV 1 b) dd)), einer Regelung zur Vermeidung von Unbilligkeiten im Bereich des internationalen Steuerrechts, und in BVerfGE 78, 214/227 f. zur Notwendigkeit von Typisierungen durch die Verwaltung, zu der sie durch unbestimmte Rechtsbegriffe ermächtigt wurde. 681 BVerfGE 56, 1/13 verweist z.B. darauf, dass „sich der Kreis der Berechtigten auf über 80 Staaten verteilt“.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

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der Entscheidungsfindung, etwa über schnell anpassbare Verwaltungsvorschriften. Der Gedanke der Reduktion von Bestimmtheitserfordernissen bei Sachverhalten mit Auslandsberührung ist für das Steuerrecht von eminenter Wichtigkeit, denn gerade in diesem Rechtsgebiet finden sich viele grenzüberschreitende Sachverhalte, nicht zuletzt wegen der fortschreitenden internationalen Verflechtung der deutschen Volkswirtschaft im Zuge der Globalisierung. Es verwundert deshalb nicht, dass gerade Steuergesetze, die Auslandssachverhalte regeln, wie die Doppelbesteuerungsabkommen und das Außensteuergesetz, eine tendenziell höhere Zahl von unbestimmten Rechtsbegriffen aufweisen682. Dieser zunächst rein tatsächliche Befund ist aber aufgrund obiger Erwägungen auch rechtlich nicht zu beanstanden.

d) Gefestigte Rechtsprechung Ein Kriterium, welches das Bundesverfassungsgericht vor allem dann heranzieht, wenn es unbestimmte Rechtsbegriffe auslegt, ist die bereits erfolgte Konkretisierung ihres Inhalts durch eine gefestigte Rechtsprechung. Dies soll gegen eine verfassungswidrige Unbestimmtheit sprechen683. So erklärt das Gericht den Rechtsbegriff „Zinsen für Schulden, die (...) der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen“ in § 8 Nr. 1 GewStG a.F. im Wesentlichen für deshalb bestimmt genug, weil der BFH Grundsätze entwickelt hatte, aufgrund derer der Steuertatbestand verlässlich abzugrenzen war684. Problematisch an dieser Argumentation ist aber, dass sie die Möglichkeit einer Konvaleszenz ursprünglich unbestimmter Normen voraussetzt. Wenn man eine gefestigte Rechtsprechung nicht nur als reines Indiz dafür betrachtet, dass eine Norm der Auslegung zugänglich ist, sondern allein deren Existenz als Nachweis für eine ausreichende Bestimmtheit genügen lässt, wäre es denkbar, dass eine Norm, die zum Zeitpunkt ihres Erlasses verfassungswidrig unbestimmt ist, durch die nachfolgende Konkretisierung durch die Rechtspre__________ 682

Typische „offene“ Gesetzesformulierungen, die der Auslandsberührung geschuldet sind, sind in diesem Zusammenhang etwa „unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart“ (§ 1 Abs. 1 AStG); „eine der deutschen Erbschaftssteuer entsprechende Steuer“ (§ 4 Abs. 2 AStG); „nur unwesentlich besteuert wird“ (§ 16 Abs. 1 AStG). Vor allem das Außensteuergesetz bemüht sich aber auch um in Anbetracht der Natur des Regelungsgegenstandes vorbildliche Präzisierungen. Zu verweisen ist hier auf § 2 AStG, in dessen Abs. 2 und 3 die unbestimmten Rechtsbegriffe „niedrige Besteuerung“ und „wesentliche wirtschaftliche Interessen“ aus Abs. 1 ausführlich definiert werden. Ähnlich verfährt Art. 3 OECD-MA. 683 Vgl. nur BVerfGE 26, 1/10; 49, 89/134; 58, 257/278. 684 Vgl. BVerfG 26, 1/10.

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B. Bestimmtheit

chung, für die sie ob ihrer Unbestimmtheit keine taugliche Grundlage bieten konnte, nunmehr doch, gewissermaßen durch Zeitablauf, als verfassungsgemäß zu beurteilen ist. Dies erscheint aber deshalb problematisch, weil es letzte Konsequenz der Bejahung dieser Möglichkeit wäre, die Objektivität von Aussagen über gesetzliche Bestimmtheit vollständig zu verneinen. Diese müssten immer in Relation zum Zeitpunkt gesetzt werden, zu dem sie getroffen werden685. Jedenfalls wird man diesem Argument dann mehr Überzeugungskraft einräumen können, wenn der Gesetzgeber bei einer Neunormierung von Sachverhalten auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgegriffen hat, die schon in anderen Rechtsgebieten Verwendung fanden und dort bereits durch die Rechtsprechung konkretisiert wurden. Der Gesetzgeber gibt dann zu erkennen, dass er an diese Rechtsprechung anknüpft, was entscheidende Hinweise für die Auslegung der Norm liefern und so hinreichende Bestimmtheit begründen kann686.

e) Begrenzung der Steuerpflicht Der materielle Maßstab der „Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung“ wird vom Bundesverfassungsgericht für das Steuerrecht u.a. so konkretisiert, dass eine gesetzliche Begrenzung der Steuerpflicht mit verminderten Bestimmtheitsanforderungen einher gehen soll687. Taucht dieser Gedanke in frühen Entscheidungen noch als allgemeine Erwägung auf688, so wird später der grundrechtliche Zusammenhang klargestellt: „Mögen im Steuerrecht Belastungen und Vergünstigungen nicht selten Hand in Hand gehen, sind die Anforderungen an das Maß der gesetzlichen Bestimmtheit solcher Ermächtigungen gleichwohl geringer als bei Eingriffsermächtigungen, weil deren Grundrechtsrelevanz regelmäßig erheblich gewichtiger ist“689. Die__________ 685

Eine genauere Untersuchung des Verhältnisses von gesetzlicher Bestimmtheit und Zeitablauf würde den Umfang dieser Arbeit übersteigen und erscheint auch angesichts der seltenen Verwendung dieses Argumentes im Steuerrecht als nicht gerechtfertigt, so dass die Problematik hier nur angerissen wird. Ausführlich dazu Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 133 ff. (mit ähnlicher Tendenz). 686 Deutlich wird dieser Ansatz in der „Kalkar-Entscheidung“ (BVerfGE 49, 89/134), in der ausgeführt wird: „Begriffe wie zum Beispiel „Zuverlässigkeit“ und „notwendige Kenntnisse“ (...) werden seit jeher in wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Gesetzen verwendet (...). Sie sind in einer langen Tradition von Gesetzgebung, Verwaltungshandhabung und Rechtsprechung so ausgefüllt worden, dass an ihrer rechtsstaatlich hinreichenden Bestimmtheit nicht zu zweifeln ist, mögen sie für jeden neuen Sachbereich auch neue Konkretisierungen erfordern“. 687 BVerfGE 13, 153/162; 13, 318/328; 48, 210/222. Ähnlich 56, 1/13 für das Sozialrecht. 688 BVerfGE 13, 153/162; 13, 318/328. 689 BVerfGE 48, 210/222.

V. Der Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht

155

se Argumentation des Gerichts erscheint zunächst nachvollziehbar690, darf aber nicht zu dem Umkehrschluss verleiten, dass allein aus dem belastenden Charakter einer Regelung ein Verbot gesetzlicher Delegation von Entscheidungskompetenz mittels unbestimmter Rechtsbegriffe herzuleiten sei. Regelmäßig wird dann ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG vorliegen. Dieser aber rechtfertigt als solcher, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, wie etwa einer besonderen Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung, nicht die Annahme eines Parlamentsvorbehalts691. Aber auch die Grundaussage des Bundesverfassungsgerichts muss mit Bedacht gehandhabt werden: Besonders relevant sind in diesem Zusammenhang sog. mehrdimensionale Grundrechtsbeeinträchtigungen, also Regelungen, die mehrere Grundrechtsträger betreffen, deren Sphären der Staat gegeneinander abzugrenzen hat692. Im Grundsatz wird zwar durch die steuerliche Entlastung Einzelner, auch wenn sie in Form von Verschonungssubventionen erfolgt, nicht in Rechte Dritter eingegriffen693. Es sind jedoch andere Konstellationen vorstellbar. Art. 12 Abs. 1 GG kann beispielsweise dann relevant werden, wenn die steuerliche Entlastung eines Marktteilnehmers zu Wettbewerbsverzerrungen führt, die bei anderen Marktteilnehmern eine „objektiv berufsregelnde“ Tendenz entfalten, also eine mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung darstellen694. Diese kann u.U. eine solche Intensität erreichen, dass die Annahme eines Parlamentsvorbehalts nahe liegt, der wiederum gesteigerte Bestimmtheitsanforderungen nach sich zieht. Mit der bloßen Orientierung am „entlastenden“ Charakter der gesetzlichen Regelung in Bezug auf den unmittelbar Betroffenen würde man fälschlicherweise zum entgegengesetzten Ergebnis gelangen, also reduzierte Bestimmtheitsanforderungen bejahen. Die Qualifikation einer gesetzlichen Regelung als „entlastend“ kann folglich ohne Analyse der grundrechtlichen Implikationen des normativen Regelungsumfeldes und damit einer genaue__________ 690 Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 273 ff., verweist zwar darauf, dass entlastende Regelungen in Form von Verschonungssubventionen als „negative“ Eingriffsvoraussetzungen, auch unabhängig von ihrer grundrechtlichen Relevanz, dem formellen Gesetzesvorbehalt unterlägen, schließt sich dann aber S. 276 dem Bundesverfassungsgericht an und plädiert gleichfalls für eine geringere Regelungsdichte. Ähnlich Hartmann/Walter, Auslegung von Steuergesetzen, S. 117; Herschel, JZ 1967, S. 734. 691 Vgl. dazu B V 2 c) aa) (3). 692 Vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 241. Ausführlich auch Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 194 ff m.w.N. 693 Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 274 f. 694 Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 275. Auf diese Problematik weist aber das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 48, 210/222 auch ausdrücklich hin und beweist somit mehr Problembewusstsein als noch in BVerfGE 13, 153/162 und 13, 318/328: „Dies gilt jedenfalls insoweit, als eine solche Ermächtigung Ausnahmetatbestände regelt, die die gleichmäßige Belastung aller von der steuerbegründenden Norm Betroffenen grundsätzlich unberührt lassen, also etwa nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen“.

156

B. Bestimmtheit

ren Betrachtung der Umstände des Einzelfalls nur eine Vermutungsregel für die Zulässigkeit reduzierter Bestimmtheitsanforderungen begründen695. Auf diese Problematik wird aber der Blick verstellt, wenn man die Qualifikation „belastend/nicht belastend“ nur mit Blick auf den unmittelbaren Adressaten einer Maßnahme vornimmt.

VI. Schlussbetrachtungen Nach der Aufarbeitung der verfassungsrechtlichen Determinanten des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Darstellung der speziellen Ausprägung, welche sie im Rahmen des Steuerrechts erfahren, ist es nun an der Zeit, ein Resümee zu ziehen, um sich der Beantwortung der Frage nach Umfang und Grenzen der Verwendbarkeit von unbestimmten Rechtsbegriffen im Steuerrecht soweit wie möglich anzunähern. Dabei soll zunächst versucht werden, zu verallgemeinerbaren Aussagen über notwendige Regelungsdichten im Steuerrecht zu gelangen. Es wird jedoch auch erforderlich sein, an den gebotenen Stellen eine nach einzelnen Teilgebieten des Steuerrechts differenzierte Betrachtung vorzunehmen (1). Ausgehend von den im bisherigen Verlauf der Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen wird zudem eine Prüfungsstruktur entwickelt, anhand derer die Verfassungsmäßigkeit von Steuernormen unter Bestimmtheitsgesichtspunkten systematisiert beurteilt werden kann (2). Zur Abrundung soll zudem noch auf zwei weitere Aspekte eingegangen werden: Zum einen wird die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Bestimmtheitsfragen auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse abschließend bewertet (3). Zum anderen wird die Sinnhaftigkeit des Begriffs der „Tatbestandsmäßigkeit“ der Besteuerung, der in Literatur und Rechtsprechung teilweise als Bezeichnung für die aus dem Vorbehalt des Gesetzes folgenden Bestimmtheitsanforderungen im Steuerrecht verwandt wird, einer näheren Prüfung unterzogen (4).

__________ 695

Hey, Steuerplanungssicherheit, verweist S. 553 darauf, dass der Aspekt der Rechtssicherheit eine Orientierung am „belastenden“ Charakter einer Regelung nicht rechtfertige: „(...) ist eine solche Abstufung aus der Sicht der Planungssicherheit verfehlt. Denn das Interesse des planenden Steuerbürgers an der Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit der Grenzen steuerlicher Begünstigungstatbestände ist ebenso groß wie an der Vorhersehbarkeit der Belastung, möglicherweise sogar größer, wenn er die Begünstigungsnorm zum Anlass einer Investition nimmt, die er andernfalls nicht getätigt hätte“.

VI. Schlussbetrachtungen

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1. Die Zulässigkeit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Steuerrecht a) Verallgemeinerbare Aussagen Im Rahmen der Untersuchung des ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes anhand der Eigenschaften des Rechtsgebietes „Steuerrecht“ in Bezug auf allgemeine, für das gesamte Rechtsgebiet gültige Aussagen konnten Kriterien für Bestimmtheitsanforderungen nur in sehr begrenztem Umfang und weniger eindeutig und zwingend, als es einige Literaturstimmen zunächst vermuten ließen696, gewonnen werden. Dies entspricht aber der Rechtsnatur des Bestimmtheitsgrundsatzes als bloßer „Prinzipiennorm“. Es ist jedoch, und auch hier lassen sich in der Literatur gegenteilige Ansichten ausmachen697, nicht gänzlich unmöglich, Aussagen über die notwendige Bestimmtheit von Steuergesetzen mit einzelfallübergreifendem Geltungsanspruch zu formulieren, zumindest was den in erster Linie problematischen Bereich des besonderen Steuerschuldrechts anbetrifft. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe als solche ist hier grundsätzlich zulässig. In welchem Umfang jedoch über diese Begriffe Entscheidungsmacht delegiert werden kann, d. h. wie „offen“ sie jeweils sein dürfen, kann nur in Ansehung des Einzelfalls bestimmt werden. Dabei müssen die für die Festlegung von Bestimmtheitsanforderungen im Steuerrecht als einschlägig erkannten verfassungsrechtlichen Determinanten, die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellt wurden, berücksichtigt werden698. Es ist zu beachten, dass die Tatbestände des besonderen Steuerschuldrechts grundrechtsrelevant sind, weil über sie im Einzelfall die Steuerschuld begründet wird, was im Regelfall einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG darstellt699. Dieser Grundrechtseingriff erreicht aber im Regelfall nicht die Intensität, um durchgängig die Annahme eines Parlamentsvorbehalts zu legitimieren. Es besteht in diesem Bereich lediglich ein Impuls hinsichtlich einer erhöhten gesetzlichen Bestimmtheit, die grundsätzliche Zulässigkeit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wird dadurch aber nicht in Frage stellt. Einschränkungen von diesem Grundsatz müssen nur dort vorgenommen werden, wo die „Grundelemente“ der Steuertatbestände normiert werden. Dort bestehen in der Tat keine „Sachgesetzlichkeiten“, an die die Rechtsanwendung zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe anknüpfen __________ 696 Vgl. nur Kruse, Steuerrecht I, S. 54 ff.; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 476 ff. (einschränkend aber wieder Rn 482). 697 Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 166 ff.; ähnlich Barth, Rechtsfortbildung, S. 421 ff.; beide im Endeffekt zu pessimistisch. 698 Vgl. B V und das sogleich unter B VI 2 erläuterte Prüfungsschema. 699 Vgl. B V 2 c) aa) (3).

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B. Bestimmtheit

könnte. Bei besagten „Grundelementen“ soll es sich nach einer gebräuchlichen Formel um Steuersubjekt, -objekt, -bemessungsgrundlage und -satz handeln. Dementsprechend wird vielfach vertreten, dass in deren Zusammenhang keine Delegation von Entscheidungsmacht erfolgen dürfe, sei es „offen“ oder „verdeckt“700. Dieser Aussage kann aber nach den Erkenntnissen dieser Untersuchung nur teilweise gefolgt werden. Zutreffend ist sie für Steuersubjekt, -gegenstand und satz, die mangels Vorprägung in der Wirklichkeit vom formellen Gesetzgeber präzise bestimmt werden müssen. Zusätzlich gestützt wird dieses Ergebnis durch die potenzielle Relevanz der Festlegung von Steuergegenstand und -satz für Art. 14 Abs. 1 oder 12 Abs. 1 GG701. Den genannten Elementen des Steuertatbestands kommt zudem – mit Ausnahme der Festlegung des Steuersatzes – die wichtige Aufgabe zu, den von der Steuer erfassten Sachbereich abzugrenzen. Dass diese Abgrenzung möglichst bestimmt vorgenommen wird, erfordert besonders der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes702. Die Möglichkeit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist hier also regelmäßig von Verfassungs wegen eingeschränkt. Anders stellt sich dies jedoch, und diese Frage wird in der Literatur auch unterschiedlich beurteilt, bei der Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage dar703. Hier sind die erfassten wirtschaftlichen Vorgänge in der Regel zu vielgestaltig, als dass deren steuerliche Behandlung eindeutig, d.h. unter weitgehendem Verzicht auf unbestimmte Rechtsbegriffe, gesetzlich vorgeprägt werden könnten704. Deshalb erscheint ein vollständiges Delegationsverbot in diesem Bereich als gesetzgebungstechnisch nicht zu verwirklichen und auch im Übrigen als nicht angebracht: Der Rechtsanwender hat hier die Möglichkeit, sich bei der Gesetzes__________ 700 Vgl. für viele Nds. FG, EFG 2001, 778/780; Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 38; Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 37; Hahn, Gesetzmäßigkeit, S. 102 ff. 701 Vgl. B V 2 c) aa). 702 Vgl. B IV 2 a) dd) (2). 703 Erhöhte Bestimmtheitsanforderungen im Rahmen der Festlegung der Bemessungsgrundlage stellen bspw. Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 37; Hahn, Gesetzmäßigkeit, S. 102 ff.; MKS-Jachmann, GG, Art. 105 Rn 35 und sehr dezidiert Kruse, Steuerrecht I, S. 59, der aber andererseits S. 55 relativierend davon spricht, dass „über den Grad der Bestimmtheit des Steuertatbestandes (...) nur allgemeine Aussagen möglich“ seien. Konsequent ist dann aber wiederum seine Forderung danach, dass die Steuerschuld aufgrund des Gesetzeswortlauts vorausberechnet werden können müsse (S. 55). Undeutlich Tipke, StRO I, S. 128, der zwar einen Parlamentsvorbehalt für die Bemessungsgrundlage fordert, dies aber nur am Rande mit dem Bestimmtheitsgebot in Verbindung bringt. Dazu passt auch nicht, dass Tipke an anderer Stelle (S. 140 f.) die Forderung nach Vorausberechenbarkeit der Steuerschuld ablehnt. 704 So auch Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 264; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 303 (der aber S. 304 wiederum darauf hinweist, dass das Wirtschaftsgeschehen nicht so unstrukturiert sei, dass es überhaupt nicht systematisch erfassbar sei).

VI. Schlussbetrachtungen

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auslegung an den Strukturen, also den eigenen „Sachgesetzlichkeiten“ der erfassten wirtschaftlichen Vorgänge zu orientieren705. Es reicht deshalb aus, wenn der Gesetzgeber die Grundstrukturen der Bemessungsgrundlage als sog. primäre gesetzgeberische Entscheidung so vorprägt, dass diese durch die Rechtsanwendung weiterentwickelt werden können. Bei besagten Grundstrukturen handelt es sich in erster Linie um die Steuerwürdigkeitsentscheidung, also die Festlegung des steuerlichen Belastungsgrundes. Diese muss auf jeden Fall hinreichend bestimmt im Parlamentsgesetz zum Ausdruck kommen muss, da sie der erste Bezugspunkt für eine an der Leistungsfähigkeit orientierte teleologische Auslegung sekundärer Steuernormen sein kann706.

b) Besonderheiten in Teilgebieten des Steuerrechts aa) Steuerverfahrensrecht und allgemeines Steuerschuldrecht Nicht nur bei den Normen des materiellen Steuerrechts, sondern auch im Bereich des in erster Linie in der AO kodifizierten Steuerverfahrensrechts, das ebenfalls einen wichtigen Teil des gesamten Rechtsgebiets „Steuerrecht“ ausmacht, wird die Frage nach der notwendigen Regelungsdichte relevant707. Da die eigentliche Steuerauflage nur durch den materiell-rechtlichen Steuertatbestand begründet wird, könnte man im Zusammenhang mit dem Steuerverfahrensrecht auf den Gedanken verfallen, jegliche Grundrechtsrelevanz und die Geltung eines Gesetzesvorbehalts zu verneinen, was weitreichende Delegationsspielräume für den Gesetzgeber zur Folge hätte. Auch das Steuerverfahrensrecht wird aber vom Vorbehalt des Gesetzes erfasst: Das Verwaltungsverfahren ist notwendiges Korrelat des materiell-rechtlichen Steuertatbestands. Damit das materielle Recht Wirkung erlangt, muss sichergestellt sein, dass es vollzogen wird. Der Pflicht des Schuldners zur gesetzmäßigen Steuerzahlung entspricht dabei die Pflicht des Gläubigers zur gesetzmäßigen Steuererhebung708. __________ 705

Ähnlich Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 310 ff., 353 ff. Die Festlegung des Belastungsgrundes umfasst selbstverständlich zunächst die Auswahl des Steuerobjektes, wirkt aber auch in die Bemessungsgrundlage, also das „konkrete Steuerobjekt“ (vgl. nur Birk, Steuerrecht, Rn 97), hinein. So wird man schwerlich behaupten können, dass der steuergesetzliche Belastungsgrund hinreichend deutlich normiert sei, wenn sich ein Gesetz bspw. nur darauf bezöge, dass das „Einkommen“ der Steuerpflicht unterfiele. Die genaue Gestalt der Steuerpflicht wird erst durch die Festlegung der Bemessungsgrundlage deutlich und systematisierbar. Der Belastungsgrund wird also in erster Linie über Vorschriften geprägt, die über die bloße Festlegung des Steuerobjektes hinausgehen. 707 Vgl. dazu auch Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 265 und ausführlich S. 292 ff. 708 Vgl. hierzu Puhl, DStR 1991, S. 1142; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 292 ff. 706

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B. Bestimmtheit

Dafür, dass im Steuerverfahrensrecht zumindest ein „einfacher“ Gesetzesvorbehalt gilt, spricht aber auch die Bedeutung, die der allgemeine Gleichheitssatz in diesem Teilgebiet erlangt: Spätestens seit dem sog. „Zinsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts709 steht fest, dass Vollzugsdefizite im Steuerrecht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen können. Es müsse ein „normatives Umfeld“ bestehen, dass die Gewähr dafür biete, dass das Massenfallrecht Steuerrecht auch so vollzogen werde, dass nicht nur Rechtssetzungs-, sondern auch Rechtsanwendungsgleichheit bestehe710. Dieses „normative Umfeld“ muss zumindest in den Grundzügen gesetzlich geschaffen werden711. Unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit ist aber nicht so sehr die Frage nach der Geltung eines „einfachen“ Gesetzesvorbehalts, sondern die nach der Geltung eines Parlamentsvorbehalts entscheidend, dem allein Aussagen über notwendige Regelungsdichten entnommen werden können. Ein Parlamentsvorbehalt kann aber über Art. 3 Abs. 1 GG nicht begründet werden: Dieser Norm ist, wie dargelegt, die Verpflichtung des Gesetzgebers zu entnehmen, bei drohenden Vollzugsdefiziten, wie sie im Steuerrecht an der Tagesordnung sind, für Rechtsanwendungsgleichheit zu sorgen. Ein wesentliches Mittel, diese zu erreichen, stellen gesetzliche Typisierungen dar, deren Wirkung in hohem Maße auf der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und der daraus folgenden Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf die Verwaltung fußt712. Art. 3 Abs. 1 GG ist also in diesem Zusammenhang auch die Tendenz zu einer verringerten gesetzlichen Regelungsdichte zu entnehmen713. Auch andere Determinanten gesetzlicher Bestimmtheit streiten eher für eine verringerte Regelungsdichte im Bereich des Steuerverfahrensrechts. So verfängt hier z.B. das Argument der fehlenden „Sachgesetzlichkeit“ der Anknüpfung des Steuerzugriffs nicht. Ein Versagen des Übermaßverbots, wie es teilweise für den Bereich des besonderen Steuerschuldrechts befürchtet wird714, kommt schon grundsätzlich nicht in Betracht, weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Bezug auf die Zwecke der jeweiligen Verfahrenshandlung konkretisiert werden kann. Es ist weiterhin gerade die Aufgabe des Steuerverfahrensrechts, In__________ 709

BVerfGE 84, 239/268 ff. BVerfGE 84, 239/268 ff.; 96, 1/6 ff. und zuletzt BVerfG vom 9. 3. 2004, Abs. 65 ff. Vgl. schon B V 4 b) und zusammenfassend Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 561 ff. 711 Vgl. auch Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 293. 712 Vgl. B V 4 b). 713 Undeutlich sind die Ausführungen zu diesem gesamten Komplex bei Seiler, Parlamentsvorbehalt, der zwar S. 293 die Geltung eines Parlamentsvorbehalts für die „wichtigsten Folgefragen des Steuerrechts“ postuliert, der allerdings keine umfassende Regelungspflicht begründen, sondern sich auf die „für den Gesetzesvollzug bedeutsamen oder ihrerseits grundrechtserheblichen Fragen des Verfahrensrechts“ beschränken soll. 714 Vgl. B V 2 c) bb) (2). 710

VI. Schlussbetrachtungen

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strumente zur Verwirklichung der materiellen Einzelfallgerechtigkeit bereitzustellen715. Es soll also Anforderungen realisieren, die eine geringere gesetzliche Regelungsdichte legitimieren können716. Abschließend lässt sich feststellen, dass für das Steuerverfahrensrecht nur ein einfacher Gesetzesvorbehalt besteht, der die Delegation von Entscheidungsmacht an den Rechtsanwendungsprozess nicht verbietet. In den Bereichen, in denen eine solche Delegation nötig ist, um Rechtsanwendungsgleichheit herzustellen, wird dies von Art. 3 Abs. 1 GG sogar gefordert (s.o.). Erhöhte Regelungsdichten werden in erster Linie dort erforderlich sein, wo einzelne Verfahrensnormen besondere freiheitsrechtliche Grundrechtsrelevanz entfalten. Dies kann aber nur in Ansehung des Einzelfalls bestimmt werden. Ähnliche Erwägungen wie für das Steuerverfahrensrecht gelten für die verfahrenstechnischen Regelungen im Bereich des allgemeinen Teils des Steuerschuldrechts, wie sie die Abgabenordnung vorsieht717. Aufgrund des vergleichbaren Charakters dieser Normen ist auch hier im Grundsatz eine verminderte Regelungsdichte zulässig.

bb) Körperschaftsteuerrecht Wie gezeigt, können gesteigerte Bestimmtheitsanforderungen besonders über die Relevanz, die eine Norm für die Grundrechtsausübung des jeweiligen Rechtsunterworfenen entfaltet, legitimiert werden718. Innerhalb des besonderen Steuerschuldrechts könnte man in diesem Zusammenhang auf den Gedanken verfallen, dort eine geringere Regelungsdichte zuzulassen, wo keine natürlichen Personen der Steuerpflicht unterliegen, wie es z.B. im Körperschaftsteuergesetz der Fall ist. Die Grundrechte könnten hier aufgrund des fehlenden „personalen Charakters“ der in § 1 KStG aufgezählten Steuersubjekte, in der Mehrzahl juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts, ein geringeres Schutzniveau entfalten. Im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist dieser Gedanke nicht unbekannt: Hier kann die der jeweiligen Organisa__________ 715

So Puhl, DStR 1991, S. 1176, der allerdings zu Recht auch darauf verweist, dass das Steuerverfahrensrecht dann ebenso Instrumente zur Gewährleistung von Rechtssicherheit für den Bürger bereithalten muss, wenn diese im Einzelfall höher zu bewerten ist als die Durchsetzung der Einzelfallgerechtigkeit. 716 Als Beispiel ist hier die Möglichkeit des Billigkeitserlasses gem. § 163 AO zu nennen (vgl. auch HHSp-v. Groll, AO, § 163 Rn 20 f.). Zusammen mit seinem Äquivalent aus dem Erhebungsverfahren, § 227 AO, handelt es sich bei § 163 AO zwar um eine der „offensten“ Normen des gesamten Steuerrechts. Die Verfassungsmäßigkeit unter Bestimmtheitsgesichtspunkten wird aber trotzdem zu Recht nicht bezweifelt, vgl. hierzu nur Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 165 ff. 717 So z.B. §§ 222, 227 AO. 718 Vgl. B IV 2 c) bb).

162

B. Bestimmtheit

tionsform einer wirtschaftlichen Unternehmung zugrunde liegende wirtschaftliche Wirklichkeit, z.B. die Anonymität einer großen Kapitalgesellschaft, berücksichtigt werden und einen rechtfertigenden Grund für Belastungsunterschiede liefern719. Das Körperschaftsteuerrecht stellt aber nicht auf den Grad der Anonymität eines rechtlichen Gebildes ab, sondern einzig und allein auf die Tatsache der rechtlichen Verselbstständigung in Form einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse. Schon Art. 19 Abs. 3 GG ordnet aber an, dass die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. In der Verfassungsrechtsprechung ist geklärt, dass dies für die im Zusammenhang mit der Besteuerung in erster Linie relevanten Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1720, Art. 12 Abs. 1721 und Art. 14 Abs. 1 GG722 zutrifft723. Diese sind in ihrer Schutzintensität nicht abgeschwächt724. Man wird deshalb davon ausgehen müssen, dass eine verminderte Regelungsdichte und damit einher gehend reduzierte Bestimmtheitsanforderungen im Bereich des Körperschaftsteuerrechtes nicht über eine verminderte Grundrechtsrelevanz begründet werden können.

cc) Lenkungsnormen Die Ausführungen zur erforderlichen steuergesetzlichen Bestimmtheit waren im Rahmen dieser Untersuchung bisher primär am Grundtypus der steuerrechtli__________ 719 Vgl. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 28. Dies betrifft allerdings nicht Belastungsunterschiede, die an die bloße Wahl der Rechtsform anknüpfen, vgl. BVerfGE 101, 151/156 f. 720 BVerfGE 20, 323/336; 44, 353/372. 721 BVerfGE 41, 126/149; 53, 1/13; 65, 196/210. 722 BVerfGE 4, 7/17; 35, 348/360; 41, 126/149. 723 Der Streit, inwieweit sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, welche teilweise vom KStG erfasst werden (vgl. § 4 KStG), auf die Grundrechte berufen können, braucht hier nicht näher betrachtet werden, da die Grundrechte zumindest für juristische Personen des Privatrechts gelten. Diese jedoch bilden den Großteil der Steuersubjekte, die dem KStG unterfallen. Vgl. als Überblick zur Grundrechtsgeltung für juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts MK-Krebs, GG, Art. 19 GG, Rn 40 ff. 724 Anders sah dies das Bundesverfassungsgericht in der „Mitbestimmungsentscheidung“, in der sich folgende Feststellung finden lässt (BVerfGE 50, 290/364 f.): „Angesichts der Größe der dem Mitbestimmungsgesetz unterfallenden Unternehmen fehlt deren Berufsfreiheit weitgehend der personale Grundzug, der den eigentlichen Kern der Gewährleistung dieses Grundrechts ausmacht“. Das aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzniveau wurde deshalb abgesenkt. Dieser Gedanke ist aber nicht auf das KStG anwendbar, da hier nicht nach der Größe bzw. des Grades der Anonymität des Steuersubjektes differenziert wird.

VI. Schlussbetrachtungen

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chen Norm orientiert, der sog. Fiskalzwecknorm, deren alleiniger Zweck es ist, den Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte über die Erzielung von Erträgen zu decken. Davon zu unterscheiden sind sog. Lenkungsnormen, über die der Gesetzgeber nicht auf die gerechte Verteilung von Belastungswirkungen zielt, sondern über die er im Gewand des Steuergesetzes den Eintritt bestimmter Lenkungseffekte hervorrufen will, die seinen politischen Gestaltungsvorstellungen entsprechen725. Sofern auf die erforderliche Regelungsdichte von Lenkungsnormen in der Literatur gesondert eingegangen wird, lässt sich zumeist die Feststellung finden, dass solche Vorschriften gegenüber rein lastenausteilenden Normen nur verringerten Bestimmtheitsanforderungen unterlägen726. Dies erscheint zunächst aufgrund zweier Erwägungen einsichtig, wobei die erste für alle Arten steuerlicher Lenkungsnormen gilt, während die zweite speziell Steuervergünstigungen betrifft727: Zum einen legitimieren sich Lenkungsnormen auch durch einen außerfiskalischen Zweck, an dem sie zusätzlich gemessen werden können. Die Vornahme einer Normauslegung anhand teleologischer Gesichtspunkte, die zwar auch bei reinen Fiskalzwecknormen nach hier vertretener Ansicht nicht unmöglich ist728, ist zumindest bei Lenkungsnormen völlig unproblematisch. Die Argumentationsstruktur der „mangelnden Sachgesetzlichkeit“ des Steuerrechts als Begründung für teilweise erhöhte Anforderungen an die steuertatbestandliche Bestimmtheit greift hier also nicht729. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei Lenkungsnormen in Form von Steuervergünstigungen sein Ziel, d.h. die steuerliche Entlastung desjenigen, der die staatliche Verhaltensempfehlung annimmt, auch dadurch erreichen könnte, dass er einen Geldbetrag in Höhe der Steuerersparnis direkt auszahlt. Eine solche Subvention unterläge aber keinem Gesetzesvorbehalt, zumal auch regelmäßig nicht in Rechte Dritter eingegriffen würde730. Prima facie be__________ 725

Vgl. zu Fiskal- und Lenkungsnormen Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 20 f.; Birk, Steuerrecht, Rn 168 ff. Vgl. zuletzt auch die umfassende Darstellung bei Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 5, der auch auf abweichende Terminologien eingeht. 726 In diesem Sinne z.B. Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 59 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 273 ff.; S. 328 ff.; HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 51 ff. Tendenziell a.A. ist z.B. Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 118 f. 727 Innerhalb des Bereichs steuerrechtlicher Lenkungsnormen ist zwischen Lenkungssteuern, Steuervergünstigungen und steuerlichen Benachteiligungen zu unterscheiden. Vgl. dazu Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 5 V. 728 Vgl. B V 2 c) bb) (1) (c). 729 So auch Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 62; Kruse, Steuerrecht I, S. 53. Zudem liegt hier auch nicht das bei Fiskalzwecknormen zumindest diskutierte Versagen des Übermaßverbots vor (vgl. B V 2 c) bb) (2)). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im Gegenteil das im Zusammenhang mit Lenkungsnormen entscheidende Instrument zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit. Vgl. hierzu nur Wernsmann, Verhaltenslenkung, §§ 14, 15, 19. 730 Ausführlich Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 273 ff. Ähnlich zuletzt auch BVerfG 1 BvR 1748/99 vom 20.04.2004, Abs. 53 ff. („Ökosteuer“).

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B. Bestimmtheit

stünden deshalb geringere Bestimmtheitsanforderungen. Zugleich wird aber zu Bedenken gegeben, dass Steuervergünstigungen aufgrund einer anderen Erwägung einem Gesetzesvorbehalt unterlägen: Die Steuerauflage werde durch sie begrenzt. Dies könne im Einzelfall sogar so weit gehen, dass die Pflicht zur Steuerzahlung ganz entfalle. Mittelbar wirke der Einsatz von sog. „Verschonungssubventionen“ so auf die Grenzen des geregelten Sachbereichs zurück, diese setzten als sog. „negative Eingriffsvoraussetzung“ der Steuerauflage Schranken731. Die verminderte Grundrechtsrelevanz, die sich aus ihrem begünstigenden Charakter ergebe, könne dadurch kompensiert werden732. Mit ähnlicher Berechtigung könnte man aber auch davon ausgehen, dass Lenkungssteuern tendenziell erhöhten Bestimmtheitsanforderungen unterlägen: Bei diesen tritt, wie dargelegt, zusätzlich zu der Belastungswirkung auch eine Gestaltungswirkung. Die dadurch beim Steuerpflichtigen ausgelösten Verhaltenszwänge können je nach Intensität in dessen Freiheitsgrundrechte eingreifen733. Dies wird häufig der Fall sein, so dass hier im Unterschied zur Situation bei lastenausteilenden Normen spezielle Freiheitsgrundrechte wie z.B. Art. 12 Abs. 1 GG größere Relevanz erlangen734. Diese zusätzliche grundrechtliche Implikation kann im Einzelfall sogar die Geltung eines Parlamentsvorbehalts begründen, wenn nämlich dem staatlichen Handlungswunsch zwangsähnliche Wirkung zukommt, Grundrechte deshalb intensiv betroffen sind und die Regelung somit als „wesentlich“ zu qualifizieren ist. Dies würde eine Entscheidungsdelegation über „offene Normen“ ausschließen und somit die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe einschränken. Aus diesen Erwägungen wird deutlich, dass im Bereich der Lenkungsnormen die üblichen verfassungsrechtlichen Determinanten des Bestimmtheitsgrundsatzes zwar teilweise andere Ausprägungen erhalten, aber nicht zweifelsfrei nur für eine höhere bzw. niedrigere Regelungsdichte streiten. Vielmehr ergeben sich auch hier gegenläufige Tendenzen. Eine generelle Aussage, etwa dahin gehend, dass im Bereich der Lenkungsnormen, und hier speziell der Steuervergünstigungen, eine geringere Regelungsdichte zulässig sei, verbietet sich also. Zudem stellt sich dieser Bereich als überaus heterogen dar: Gerade die grundrecht__________ 731 Vgl. Kruse, Steuerrecht I, S. 59; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 117 ff.; Tipke, StRO I, S. 129. Ausführlich Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 273 ff., 353. 732 Fehl geht der Verweis bei Kruse, Steuerrecht I, S. 59 auf BVerfGE 48, 210/222: Diese Entscheidung behandelt keine Verschonungssubvention im üblichen Sinne, sondern die der Verwaltung eingeräumte Möglichkeit, faktische Übermaßbesteuerung im internationalen Kontext abzumildern, also eine den Steuerpflichtigen rein begünstigende Billigkeitsregelung. 733 Vgl. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 194 ff.; dens., Steuerrecht, Rn 178; Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 17. 734 Vgl. zur Relevanz des Art. 12 Abs. 1 GG im Bereich der Lenkungssteuern Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 25 f.

VI. Schlussbetrachtungen

165

lichen Implikationen, für Aussagen zur erforderlichen Regelungsdichte überaus wichtig, können sich von Fall zu Fall unterscheiden, je nach betroffener Sachmaterie und konkreter Ausgestaltung der fraglichen Regelung. Auch hier drängt sich wieder die Schlussfolgerung auf, dass Erkenntnisse nur in Betrachtung des Einzelfalles gewonnen werden können. Dabei wird neben dem Inhalt auch die gesetzestechnische Ausgestaltung der Regelung zu berücksichtigen sein735. Eine bereits unzulässig verallgemeinerte Grundannahme, etwa dergestalt, dass für Lenkungsnormen „niedrigere Bestimmtheitsanforderungen gelten“, verstellt aber diesen Blick auf den Einzelfall von vornherein. Die verschiedenen Determinanten des Bestimmtheitsgrundsatzes nach hier vorgestellter Konzeption sind flexibel genug, die Charakteristika von steuerlichen Lenkungsnormen auch im Einzelfall ausreichend abzubilden. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist bisher nur eine allgemeine Aussage zu gesetzgeberischen Regelungspflichten im Bereich der steuerlichen Lenkungsnormen ersichtlich736: Das Bundesverfassungsgericht verlangt „eine erkennbare Entscheidung des Gesetzgebers, mit dem Instrument der Steuer auch andere als bloße Ertragswirkungen erzielen zu wollen“, wobei der Lenkungszweck „mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein“ müsse737. Diese Forderung ist als solche nicht zu beanstanden738, hängt doch die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Norm von so einer Vorzeichnung wesentlich ab739: Durch eine solche wird der Anknüpfungspunkt für eine Gleichheits__________ 735

Ausführlich Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 276 f. Die vom Bundesverfassungsgericht des Öfteren getroffene Feststellung, dass Normen, die den Steuerpflichtigen begünstigen, tendenziell geringeren Bestimmtheitsanforderungen unterlägen (vgl. für viele BVerfGE 48, 210/221 f.), kann nicht hierzu gezählt werden. Weder sind alle für den Steuerpflichtigen günstige Regelungen als Lenkungsnormen zu qualifizieren, da es sich hierbei auch im bloße Normen zur korrekten Feststellung der individuellen Leistungsfähigkeit handeln kann, noch haben alle Lenkungsnormen begünstigenden Charakter, wie es z.B. bei der Auferlegung von Sonderbelastungen der Fall ist. Vgl. hierzu Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 5 IV 2. 737 BVerfGE 93, 121/147 f. Ähnlich im Anschluss daran BVerfGE 99, 280/296. Diese Forderung des Bundesverfassungsgerichts ist verhältnismäßig neu. Vgl. zu anders lautenden Urteilen und zur Rechtsprechungshistorie Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 15 II 3. 738 Grundsätzlich bejahend auch Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 15 II 3 c). Anders aber Trzaskalik, Gutachten E, 89 f. i. V. m. 28 f.: Einer solchen Forderung stünde entgegen, dass eine Lenkung gerade nicht geregelt werden soll, sondern lediglich mittelbar durch ökonomischen Anreiz intendiert sei. 739 So auch Osterloh, DStJG 24 (2001), S. 396, die von einem „eher materiellen“ Verständnis des Erfordernisses der tatbestandlichen Vorzeichnung spricht, da diese Forderung vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Zurückweisung von „nachgeschobenen“ Lenkungszielen erhoben wurde. Ausführlich zum gesamten Komplex Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 15 I 3, II 3. 736

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B. Bestimmtheit

prüfung anhand von Art. 3 Abs. 1 GG festgelegt740 und der Normzweck, der Bezugspunkt für die teleologische Auslegung ist, verdeutlicht. Als Ansatzpunkt für eine Bestimmtheitsprüfung ist diese Forderung des Bundesverfassungsgerichts trotzdem wertlos. Fehlt eine genaue tatbestandliche Vorzeichnung eines steuergesetzlichen Lenkungszwecks, so wird das Bundesverfassungsgericht keinen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz diagnostizieren. Ein solches Fehlen stellt vielmehr nur ein Indiz dafür dar, dass das Gesetz gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen könnte741.

2. Prüfungsmodell a) Vorbemerkung Der Versuch, ein Prüfungsmodell für die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsbegriffen unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit aufzustellen, unterliegt von vornherein gewichtigen Beschränkungen. Die Abstraktheit der Materie erfordert an vielen Stellen individuelle Wertungen. Unterschiedliche Grade der Bestimmtheit einer Rechtsnorm lassen sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen, vielmehr sind die Übergänge fließend. Trotzdem hat die bisherige Untersuchung ergeben, dass es durchaus möglich ist, Aussagen zur erforderlichen Bestimmtheit von Steuernormen aufzustellen, die sich anhand der Verfassung verifizieren lassen können. Das im Folgenden skizzierte Prüfungsmodell soll deshalb den Zweck erfüllen, eine grobe Richtschnur vorzugeben, damit die bisher diskutierten und für aussagekräftig erachteten verfassungsrechtlichen Determinanten des Bestimmtheitsgrundsatzes in eine sinnvolle Systematik eingebunden und in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Als gedanklichem Leitfaden kommt damit auch einem sehr groben Prüfungsraster noch ein Mehrwert gegenüber der bloßen Abwägung von Argumenten zu, welche für sich genommen zwar verfassungsrechtlich valide sind, deren Gegenüberstellung aber ungeordnet erfolgt. Die sich aus der Abstraktheit der Materie ergebenden immanenten Beschränkungen dürfen dabei aber nicht aus den Augen verloren werden. Eine solche Prüfung lässt sich grob in zwei Schritte bzw. Stadien untergliedern, auf die im Folgenden vertieft eingegangen werden soll: Ein Auslegungsstadium (b) und ein Rechtfertigungsstadium (c). Zuletzt wird unter (d) auf die Charakteristika des im Rechtfertigungsstadium erfolgenden Abwägungsprozesses eingegangen. __________ 740

Osterloh, DStJG 24 (2001), S. 396. Zudem enthält die Forderung nach tatbestandlicher Vorzeichnung eines Lenkungszwecks als solche noch keine Aussage darüber, wie detailliert diese Vorzeichnung erfolgen muss. Im Rahmen der Untersuchung erforderlicher gesetzlicher Regelungsdichten ist sie auch aus diesem Grund unergiebig. 741

VI. Schlussbetrachtungen

167

Dieses Prüfungsraster ist nicht nur zur verfassungsrechtlichen Überprüfung von unbestimmten Rechtsbegriffen im Steuerrecht, sondern auch in jedem anderen Rechtsgebiet einsetzbar. Als solches spiegelt es die Besonderheiten des Steuerrechts also nicht wider. Wie bereits oben festgestellt, kommt aber den Argumentationsstrukturen, die in dieses Raster eingebettet werden, je nach Rechtsgebiet eine unterschiedliche Bedeutung bzw. Aussagekraft zu, so dass die Besonderheiten des Steuerrechts durch diese abgebildet werden können742.

b) Auslegungsstadium Dem Auslegungsstadium kommen im Wesentlichen zwei Funktionen zu. Es fungiert einerseits als grober Filter für die weitere Prüfung, andererseits können in ihm Vermutungsregeln für das Rechtfertigungsstadium aufgestellt werden. Wie bereits festgestellt, ergibt sich der Grad der Unbestimmtheit einer Norm aus der Zahl der „neutralen Kandidaten“, die ihr zukommen743. Erstes Ziel innerhalb des Auslegungsstadiums muss es deshalb sein, die Zahl der „neutralen Kandidaten“ eines Rechtsbegriffes einzuschätzen. Wenn man deren Anzahl auf eine Skala projiziert, wobei dem Fortschreiten der Skala eine höhere Anzahl „neutraler Kandidaten“ und folglich eine größere Unbestimmtheit oder „Offenheit“ des Begriffes entspricht, so lassen sich grob vier Kategorien unterteilen: Begriffe, die so wenig „neutrale Kandidaten“ haben, dass sie noch nicht einmal als „unbestimmter Rechtsbegriff“ zu qualifizieren sind, sind von vornherein unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit verfassungsrechtlich unbedenklich (Kategorie 1). Eine weitere Prüfung kann dann unterbleiben. Die Grenze zum „unbestimmten Rechtsbegriff“ ist dort zu ziehen, wo deutlich wird, dass durch eine Norm in nennenswertem Umfang Entscheidungsbefugnisse an die Rechtsanwendung delegiert werden, ihre Unbestimmtheit also offen zutage liegt744. Dann folgt ein Bereich, in dem der fragliche Rechtsbegriff zwar als „unbestimmt“ zu qualifizieren ist, eine nennenswerte Delegation von Entscheidungsmacht durch den Gesetzgeber also vorliegt, die Zahl der „neutralen Kandidaten“ aber trotzdem überschaubar bleibt (Kategorie 2). Die Bestimmung des Inhalts der Norm erfordert dann zwar eine Auslegung anhand der etablierten juristischen Methoden, das Ergebnis liefert aber sichere Maßstäbe für die Rechtsanwendung. Das wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn „Inhalt, Zweck und __________ 742

Im Steuerrecht wird bspw. freiheitsgrundrechtlichen Argumentationsfiguren regelmäßig geringe Relevanz zukommen. Dazu sogleich B VI 2 d). 743 Vgl. B II 1. 744 Vgl. nur Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 212; Weber-Grellet, Typus, S. 554. Kritisch zu dieser Kategorisierung Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 184 f. Vgl. auch B II 1 m.w.N.

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B. Bestimmtheit

Ausmaß“ einer Norm dem Gesetz zu entnehmen sind745. In diesem Bereich besteht dann eine Vermutung der Verfassungsmäßigkeit unter Bestimmtheitsgesichtspunkten, denn allein die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm bzw. daraus folgend die Delegation von Entscheidungsbefugnissen an den Rechtsanwendungsprozess ist als solche, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, etwa rechtsgebietsspezifischer Besonderheiten, verfassungsrechtlich unbedenklich. Es folgt ein Bereich, in dem die Zahl der „neutralen Kandidaten“ so angewachsen ist, dass erhebliche Unsicherheit in der Rechtsanwendung besteht (Kategorie 3). Das wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn das Gesetz so wenig Kriterien für die Rechtsanwendung bereitstellt, dass über die gängigen juristischen Auslegungsmethoden, auch mit großem Auslegungsaufwand, nur schwer ein Ergebnis zu erreichen ist und gewichtige Zweifel verbleiben. Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Regelung sind dann dem Gesetz kaum noch zu entnehmen. Dieses verliert so teilweise seine Steuerungsfunktion746. Deshalb besteht in diesem Bereich eine Vermutung der Verfassungswidrigkeit der Regelung. Diese kann allerdings dann entkräftet werden, wenn sich Gründe finden lassen, die eine so weitreichende Delegation von Entscheidungsmacht vom Gesetzgeber an den Rechtsanwendungsprozess rechtfertigen können747. Als letzter Abschnitt schließt sich der Bereich an, in dem einer Norm so viele „neutrale Kandidaten“ zukommen, dass ihre Steuerungsfunktion vollständig verloren geht und sie weder operationabel noch justiziabel ist (Kategorie 4). Dies ist dann der Fall, wenn sie mangels objektiver, gesetzlich vorgeprägter Kriterien nicht mehr rational auslegbar und deshalb im Rechtsanwendungsprozess nicht handhabbar ist. Dies würde die Grenze zur Entwertung einer Reihe verfassungsrechtlicher Institute wie der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG oder des Grundsatzes der Gewaltenteilung darstellen748. Eine solche Entwertung und ein damit einher gehender Bedeutungsverlust des Gesetzes ist aber keiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung mehr zugänglich749. Deshalb kann __________ 745

Vgl. zur grundsätzlichen Aussagekraft dieses Maßstabs im Rahmen von Einzelaktsermächtigungen B V 5 a). 746 Auch hier ist wieder festzuhalten, dass der Übergang zwischen Begriffen der Kategorien 2 und 3 fließend und bruchlos erfolgt und dessen Beurteilung deshalb zugänglich für individuelle Wertungen ist. Im Steuerrecht kann man sich zur Bestimmung dieser Grenze zusätzlich an der unter B V 3 b) bb) dargestellten modifizierten „Vorausberechnungsformel“ orientieren, d.h. die Steuerlast müsste für einen Steuerrechtskundigen „in gewissem Umfang“ voraussehbar sein. Ist die Steuerlast aufgrund der „Offenheit“ einer gesetzlichen Regelung mehr als nur „in gewissem Umfang“ unsicher, verbleiben also gewichtige Zweifel, handelt es sich um einen Begriff der Kategorie 3, es besteht also eine Vermutung der Verfassungswidrigkeit. 747 Dazu sogleich B VI 2 c). 748 Vgl. zu diesen Wurzeln des Bestimmtheitsgrundsatzes B IV 2 a). 749 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 553 f., verweist zudem auf die Konsequenzen für die Grundrechtsprüfung: „Die Verwendung unbestimmbarer Tatbestandsmerkmale

VI. Schlussbetrachtungen

169

bei solchen Normen schon an dieser Stelle der Prüfung die Verfassungswidrigkeit festgestellt werden. Dies wird aber sehr selten der Fall sein, so dass man im Rahmen der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm unter Bestimmtheitsgesichtspunkten fast immer bis zum zweiten Stadium gelangt.

c) Rechtfertigungsstadium Innerhalb des Rechtfertigungsstadiums750 können die im Rahmen der Auslegung gewonnenen Vermutungen im Wege der Abwägung entweder bestätigt oder entkräftet werden. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen der Kategorie 2, über die zwar Entscheidungsbefugnisse delegiert werden, die aber ohne weitere Schwierigkeiten auszulegen sind, kann ausnahmsweise dann eine Verfassungswidrigkeit anzunehmen sein, wenn sich Gründe finden lassen, die schon diese bloße Delegation von Entscheidungsbefugnissen untersagen. Dies werden in erster Linie materielle Gründe wie die erhöhte Grundrechtsrelevanz einer gesetzlichen Ermächtigung sein. Besondere Bedeutung erlangt hier die Rechtsfigur des Parlamentsvorbehalts751. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen der Kategorie 3, bei denen nach dem Auslegungsstadium eine Vermutung der Verfassungswidrigkeit besteht, muss diese im Rechtfertigungsstadium argumentativ entkräftet werden. Hierzu können sämtliche in dieser Arbeit vorgestellten und für aussagekräftig erachteten Bestimmtheitsdeterminanten, seien sie materieller oder formeller Natur, herangezogen werden752. Lassen sich zusätzlich zu der schon bestehenden Vermutung noch weitere Gründe finden, die für eine Verfassungswidrigkeit sprechen, so erhöhen diese entsprechend die Anforderungen an eine Rechtfertigung der Unbe___________ ist nicht nur nicht erforderlich zur Erfassung komplexer Lebenssachverhalte, sondern schlicht ungeeignet“. 750 Den Gedanken, dass jegliche Unbestimmtheit „gerechtfertigt“ werden muss, betonen besonders Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 199 ff. Diese Terminologie erscheint insbesondere deswegen angemessen (und wird deshalb auch hier übernommen), weil in unbestimmten Gesetzen u.U. ein Grundrechtsverstoß liegen kann. 751 Vgl. B IV 2 d). Als Beispiel für diese Wirkungsweise kann Folgendes angeführt werden: Ein fiktives Steuergesetz bestimme den Steuerschuldner mittels eines Begriffes, der wegen seiner „Offenheit“ zwar als „unbestimmt“ zu charakterisieren wäre, aber mit vertretbarem Auslegungsaufwand konkretisiert werden kann. Normalerweise wäre ein solches gesetzgeberisches Vorgehen unter Bestimmtheitsgesichtspunkten verfassungsgemäß. Die Festlegung des Steuerschuldners unterfällt aber einem Parlamentsvorbehalt (vgl. nur B VI 1 a)) und bleibt damit ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten, der sich dieser Aufgabe nicht entledigen darf. Die Norm wäre also unter Bestimmtheitsgesichtspunkten verfassungswidrig. 752 Also die verminderte Grundrechtsrelevanz, die mangelnde Regelungsfähigkeit des Sachbereichs, das Bestehen einer gefestigten Rechtsprechung, die Begrenzung der Steuerpflicht, strukturelle Vorteile der Verwaltung etc. Vgl. vor allem B V 5.

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B. Bestimmtheit

stimmtheit der Norm. Lässt sich die Vermutung insgesamt nicht entkräften und besteht auch nicht die Möglichkeit einer verfassungskonformen, d.h. hinreichend bestimmten Auslegung753, so ist die fragliche Norm insgesamt verfassungswidrig unbestimmt.

d) Abwägungsvorgang Anlass dazu, überhaupt in eine verfassungsrechtliche Prüfung einzusteigen, werden regelmäßig nur Normen mit einem Unbestimmtheitsgrad der Kategorie 3 geben. Die Verfassungsmäßigkeit einer Norm wird also im Regelfall im Rahmen einer umfangreichen Abwägung festgestellt werden müssen, weil sich häufig mehr als nur ein Argument für oder wider reduzierte Bestimmtheitsanforderungen finden lässt. In den meisten Fällen wird es darauf ankommen, formelle Argumente gegeneinander abzuwägen. Materielle Fragestellungen werden deshalb seltener relevant, weil – zumindest im Steuerrecht – regelmäßig keine erhöhte Grundrechtsrelevanz der fraglichen Regelung zu bejahen sein wird754. Im Kern werden deshalb die Gerichte bei der Beurteilung von Bestimmtheitsfragen zu überprüfen haben, ob die gesetzgeberische Abwägung zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit richtig getroffen wurde. Hinsichtlich der Gewichtung von im Kern formellen Argumenten lässt die Verfassung aber einen großen Spielraum. Dementsprechend wird in der Literatur auch das Fehlen von strukturierenden Abwägungskriterien beim Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Rechtsrichtigkeit beklagt755. Bei der näheren Betrachtung der Frage, wie die Bewältigung dieses Konflikts gerichtlich überprüft werden kann, ist zunächst zu berücksichtigen, dass im Gesetzgebungsprozess häufig verschiedene Formulierungsvarianten erwogen werden. Man kann deshalb davon ausgehen, dass der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe, wenn er sie einsetzt, auch bewusst verwendet756. Wenn sich die somit getroffene Abwägung zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit noch im Rahmen des „Vertretbaren“ hält, so wird das Bundesverfassungsgericht, das die Frage __________ 753

Diese Möglichkeit zieht vor allem die Rechtsprechung im Zusammenhang mit unbestimmten Normen immer wieder in Betracht. Vgl. zuletzt BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 128 ff. und aus der Literatur Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 127 ff. 754 Dies trifft in erster Linie auf Fiskalzwecknormen im Rahmen der Regelbesteuerung zu. Ausführlich dazu B V 2 c) aa). Andere Konstellationen sind vor allem im Bereich der Lenkungsnormen denkbar, hier können Steuernormen im Einzelfall durchaus auch eine „intensive“ Grundrechtsbeeinträchtigung darstellen. Zu denken ist dabei z.B. an die Art. 6 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG. 755 Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 106 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 133. 756 Ausführlich dazu C I 2.

VI. Schlussbetrachtungen

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der Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz letztlich zu beurteilen haben wird, sehr zurückhaltend damit sein, seine Erwägungen an die Stelle derer des Gesetzgebers setzen. Dem entspricht auch die bisherige Wirklichkeit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Frage. Allein die Tatsache, dass bisher so wenig Normen wegen mangelnder Bestimmtheit für verfassungswidrig erklärt wurden, spricht in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Dem Gesetzgeber wurde zumindest der Sache nach vom Gericht eine Einschätzungsprärogative im Sinne einer Vertretbarkeitskontrolle zugestanden757. In Anbetracht des Abstraktionsgrads der Materie und der wenig zwingenden Abwägungskriterien in diesem Bereich ist dieses Vorgehen auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn man in der gerichtlichen Praxis eine bloße „Vertretbarkeitskontrolle“ diagnostiziert und diese zumindest im Rahmen der Überprüfung des gesetzlichen Einsatzes unbestimmter Rechtsbegriffe außerhalb des Geltungsbereichs eines Parlamentsvorbehalts gutheißt, so drängt sich im Anschluss die Frage auf, wo die Grenzen dieses „Vertretbaren“ zu ziehen sind. Die Annahme einer verfassungswidrigen Unbestimmtheit wird aber dort nahe liegen, wo der Gesetzgeber gar nicht erkannt hat, dass er über eine Norm in großem Umfang Entscheidungsbefugnisse delegiert, und somit auch nicht erwägen konnte, welche Argumente für und wider eine solche Delegation streiten. Dies gilt auch für den – eher praktisch werdenden – Fall, dass vom Gesetzgeber einzelne Aspekte, die er eigentlich im Rahmen seiner Entscheidung in Betracht hätte ziehen müssen, nicht berücksichtigt wurden. Letztlich verwirklicht sich hier der Charakter des Bestimmtheitsgrundsatzes als „Optimierungsgebot“758: Wenn der Gesetzgeber den Ausgleich zwischen zwei widerstreitenden Zielen finden muss, und das wird regelmäßig der Gegensatz zwischen Orientierungssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit sein, so hat er dafür Sorge zu tragen, dass er alle Faktoren berücksichtigt, die auf diesen Ausgleich Einfluss haben können. Sonst hat keine „Optimierung“ im Sinne einer weitestgehenden Verwirklichung jedes Optimierungsziels stattgefunden. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien unterliegt auch der vorzunehmende Abwägungsvorgang nicht vollständiger Beliebigkeit und ein Ausgleich zwischen der einerseits gebotenen Zurückhaltung und der andererseits notwendigen Kontrolle ist möglich. Der Vergleich mit der verwaltungsrechtlichen Abwägungsdogmatik, staatliche Planungen betreffend, liegt hier nahe759. Diese kann __________ 757 Ähnlich die Einschätzung von Rengeling, NJW 1978, S. 2221 (mit Rechtsprechungsnachweisen). 758 Vgl. B IV 2 d) bb). 759 Grundlegend dazu BVerwGE 45, 309/312 ff.

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B. Bestimmtheit

zumindest als gedankliche Stütze herangezogen werden. Vor allem die anerkannten Fallgruppen des „Abwägungsausfalls“ und des „Abwägungsdefizits“ sind im Kern auf diese verfassungsrechtliche Problematik übertragbar.

3. Bewertung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht hat in der Literatur nicht nur Zustimmung760, sondern auch Kritik erfahren761. Diese entzündete sich im Wesentlichen an zwei Punkten: Zum einen an der generellen Toleranz des Gerichts hinsichtlich der Verwendung von „offenen Normen“ durch den Steuergesetzgeber762 und zum anderen daran, dass sich diese Toleranz „im Ergebnis“ nicht in den Anforderungen widerspiegelt, die das Gericht im Abstrakten aufstellt. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem letztgenannten Vorwurf erfolgte im Rahmen dieser Untersuchung bereits763, deswegen soll hier nur der Aspekt der allgemeinen bundesverfassungsgerichtlichen Zurückhaltung noch einmal näher betrachtet werden. Zum Teil lassen sich in der Literatur unmissverständliche Aufrufe an das Gericht finden, diese Zurückhaltung bei der Durchsetzung des Bestimmtheitsgrundsatzes aufzugeben: „Der Worte aber sind genug gefallen, die Rechtsprechung ist gefordert zu handeln, den Gesetzgeber an seine Konkretisierungslasten zu erinnern (...)“764. Verfassungsrechtliche Erwägungen können eine solche Einschätzung aber nur bedingt stützen. Vielmehr legt auch das Ergebnis dieser Untersuchung nahe, dass der selbst auferlegte „judicial self restraint“ des Bundesverfassungsgerichts, der in diesem Bereich bisher rein tatsächlich festzustellen ist, seine rechtliche „Rechtfertigung in der relativen Offenheit und Ambivalenz der verfassungsrechtlichen Abwägungsmaßstäbe, die dem Vorbehaltsprinzip als sedes materiae verfassungsrechtlicher Bestimmtheitsanforderungen zu entnehmen sind“765, findet. Die bisher vom Gericht getroffenen Entscheidungen sind deshalb von einem rein verfassungsrechtlichen Standpunkt aus gesehen allesamt vertretbar. Die aus der Literatur an das Verfas__________ 760

Osterloh, Gesetzesbindung, S. 167. Vgl. Papier, DStJG 12 (1989), S. 61 ff.; Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 196 ff.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 233 ff., 396 ff.; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 478 ff.; unentschieden Tipke, StRO I, S. 138 ff. 762 Papier, DStJG 12 (1989), S. 61; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 481. 763 Vgl. B V 3 b) aa). 764 Papier, DStJG 12 (1989), S. 78. 765 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 167. 761

VI. Schlussbetrachtungen

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sungsgericht herangetragenen Forderungen sind denn auch nicht in erster Linie so zu verstehen, dass dem Gericht der Vorwurf gemacht würde, es habe zuweilen den Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen verkannt und deshalb mitunter falsch entschieden. Dahinter steht im Regelfall vielmehr eine ernst zu nehmende rechtspolitische Forderung. Die Tatsache, dass es das Gericht bisher unterlassen hat, den Gesetzgeber durch das deutliche Aufzeigen von Grenzen zu sorgfältigerer Arbeit anzuleiten, könnte nämlich eine der Ursachen für den viel beklagten Niedergang des Niveaus der Steuergesetzgebung sein. Der gegenwärtige unbefriedigende Zustand des Steuerrechts ist aber nicht in erster Linie auf die exzessive Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zurückzuführen. Dies mag zwar für die rechtsanwendenden staatlichen Instanzen und unter dem Gesichtspunkt der Voraussehbarkeit des Steuerzugriffs auch für den jeweiligen Steuerpflichtigen teilweise ein Problem darstellen, die grundsätzliche Fragwürdigkeit gegenwärtiger Steuergesetzgebung hat andere Ursachen. Hierzu meint K. Tipke: „Das Problem liegt nicht hauptsächlich in der Verwendung unbestimmter oder unverständlicher Begriffe, sondern es steht dem Verständnis des Steuerrechts – auch durch Fachleute – vor allem die übergroße Quantität (Normenhypertrophie), zum Teil auch die mangelnde Qualität der Vorschriften entgegen. Die zu große, unübersichtliche, undurchsichtige, mehr oder weniger ungeordnete, über eine Vielzahl von Steuergesetzen verstreute Vorschriftenmenge kann von keinem Einzelnen mehr voll zur Kenntnis genommen, geschweige denn beherrscht werden (...)“766. Mit anderen Worten: Nicht diejenige Steuergesetzgebung ist rechtspolitisch fragwürdig, die die Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit dem Rechtsanwendungsprozess anvertraut, sondern jene, die glaubt, Gerechtigkeit dadurch erreichen zu können, dass sie sehr spezielle Anwendungsfälle gesetzlich vornormiert und sich dadurch in einen „Hase-und-Igel“-Wettstreit767 mit der Wirklichkeit begibt, der in letzter Konsequenz nur Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten hervorbringen kann768. Der damit u.a. angesprochene Aspekt der notwendigen Klarheit von Rechtsnormen wird später ausführlich behandelt, wobei im Vorgriff auf die dortigen Ausführungen schon an dieser Stelle angemerkt werden darf, dass das Bundesverfassungsgericht in Bereich der Verwirklichung dieser verfassungsrechtlichen Forderung weit weniger zurückhaltend agierte __________ 766

Tipke, StRO I, S. 142 m.w.N. Ähnlich Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 547 f.; Scholz, Steuerstaat, S. 798 f.; Birk, DStJG 27 (2004), S. 14. 767 Dieses Bild benutzt Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 304. Ähnlich Herzog, NJW 1999, S. 26 f. 768 Vgl. auch Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 555 (im Anschluss an Bydlinski, Richterrecht, S. 7): „Weil der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, eine abstrakte, aber klare Grundregel aufzustellen, normiert er Einzelfälle, innerhalb derer sich mangels Maßstäblichkeit Inkonsistenzen ergeben“.

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B. Bestimmtheit

und die Anforderungen an die Gesetzesausgestaltung in jüngerer Zeit tendenziell sogar verschärft hat769. Nach meiner Auffassung ist das bisherige Vorgehen des Verfassungsgerichts eher als weise zu bezeichnen, denn es wurde denjenigen Tendenzen des Gesetzgebers, die sich aus heutiger Sicht zumindest im Steuerrecht als rechtspolitisch überlegen erwiesen haben, nämlich der zur Delegation von Entscheidungsmacht770, zumindest nicht offen entgegen getreten. Es hätte befürchtet werden müssen, dass der Gesetzgeber dann in noch stärkerem Maße versucht hätte, möglichst viele Anwendungsfälle im Gesetz selbst zu regeln, um den Einsatz von unbestimmten Rechtsbegriffen zu vermeiden. Ob dies dem Steuerrecht gut getan hätte, darf mit guten Gründen bezweifelt werden. Die Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts ist also auch aus rechtspolitischer Sicht nicht zu missbilligen. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass auf die demokratischen Selbstregulierungskräfte im Bereich des Steuerrechts zwar oft vergeblich vertraut wurde, aber diese auch nicht in solchem Umfang versagen, wie zuweilen behauptet wird771. Wenn eine Norm einmal wirklich so unbestimmt sein sollte, dass sie in der Rechtsanwendung nicht mehr praktikabel ist, dann wird auch der parlamentarische Druck auf den Gesetzgeber steigen, diese neu zu fassen. Hierzu kann sogar ein Beispiel aus jüngster Zeit angeführt werden. Der § 1 Abs. 2a GrEStG a. F., erst 1997 eingeführt772, wurde nach heftiger Kritik in der Literatur, in der er weitgehend übereinstimmend als verfassungswidrig unbestimmt bezeichnet wurde773, nach nur zwei Jahren Gültigkeit 1999 wieder abgeschafft. __________ 769

Vgl. nur C III und zuletzt BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 102 ff. Zur Bestätigung dieser Einschätzung kann nur auf sämtliche diskutierten Vorschläge zur Reform des Steuerrechts, speziell zur Reform der Einkommensteuer, verwiesen werden. Diese bauen ausnahmslos auf dem Grundprinzip einer Reduktion des Normtextes bei gleichzeitiger Streichung von Ausnahmetatbeständen und der offenen und verdeckten Delegation von Entscheidungsbefugnissen an die Exekutive auf. 771 Vgl. zuletzt Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 2 ff. 772 §§ 1 Abs. 2a S. 1, 2 GrEStG a. F. lauteten: „Gehört zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich bei ihr innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand vollständig oder wesentlich, gilt dies als auf die Übereignung des Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft. Eine wesentliche Änderung des Gesellschafterbestandes ist anzunehmen, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Übertragung des Grundstücks auf die neue Personengesellschaft darstellt“. 773 Die Kritik entzündete sich am Tatbestandsmerkmal der „wirtschaftlichen Betrachtung“, welches für nicht mehr auslegbar gehalten wurde. Die Verfassungswidrigkeit bejahten u. a. Fischer, DStR 1997, S. 1749; Felix, ZfIR 1997, S. 12; Schuhmann, ZfIR 1998, S. 128; M. Müller, BB 1997, S. 1388; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 15 Rn 25; Boruttau-Fischer, GrEStG, § 1 Rn 837. A.A. war nur Pahlke/Franz-Pahlke, GrEStG, § 1 Rn 301 f., der eine verfassungskonforme enge Auslegung für möglich hielt. 770

VI. Schlussbetrachtungen

175

Damit wurde auch den in der Literatur geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen774.

4. Zum Begriff der „Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung“ Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse ist es auch möglich, die Aussagekraft eines Begriffs näher zu klären, der ganz bewusst in die bisherige Untersuchung noch nicht mit einbezogen wurde, weil die Gefahr bestand, dass dadurch der Blick auf die zugrunde liegende Dogmatik eher verstellt als erhellt werden würde: Die sog. „Tatbestandsmäßigkeit“ der Besteuerung, wie die aus dem Gesetzesvorbehalt gefolgerten Bestimmtheitsanforderungen im Steuerrecht gängigerweise bezeichnet werden. Dieser Begriff ist, wenn damit verfassungsrechtliche Anforderungen bezeichnet werden, einerseits historisch zu erklären775, andererseits knüpft er an die Begrifflichkeit in § 3 Abs. 1 AO an, der den einfachgesetzlichen Grundsatz der „Tatbestandsmäßigkeit“ der Besteuerung regelt776. Die besondere Bezeichnung hängt auch damit zusammen, dass ein großer Teil der Literatur mit diesem Begriff die häufig an die angeblich fehlenden „Sachgesetzlichkeiten“ angelehnten erhöhten Anforderungen an die Gesetzesbestimmtheit im Steuerrecht terminologisch absichern will777. Ein anderer Teil der Literatur, meist aus jüngerer Zeit, sieht im Begriff „Tatbestandsmäßigkeit“ nur eine andere Bezeichnung für den Vorbehalt des Gesetzes im Steuerrecht, die keine besonderen Bestimmtheitsanforderungen impliziere778. Dementsprechend __________ 774 Diese Erkenntnis findet sich etwas verklausuliert in BT-Drucks. 14/443, S. 42: „Hierdurch werden Abgrenzungs- und Auslegungsprobleme vermieden“. 775 Der Begriff wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts verwandt. Vgl. dazu Sobota, Rechtsstaat, S. 134. 776 Vgl. dazu und zum einfachgesetzlichen Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit HHSp-Birk/Eckhoff, AO, § 3 Rn 89 ff. Der in diesem Zusammenhang ebenfalls oft genannte § 38 AO regelt nur technisch, wann der Steueranspruch entsteht. Vgl. dazu Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 33a. 777 Den Begriff der „Tatbestandsmäßigkeit“ als Bezeichnung für erhöhte Bestimmtheitsanforderungen, resultierend aus dem steuerlichen Gesetzesvorbehalt, benutzen Kruse, Steuerrecht I, S. 54 ff.; Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 25 ff.; Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 6 ff.; Hahn, Gesetzmäßigkeit, S. 77 ff.; Tipke, StRO I, S. 128 f.; HbStR IV-Vogel, § 87 Rn 68 ff.; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 476 ff.; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben, S. 118; Leisner, Kontinuität, S. 584 ff.; Walz, Steuergerechtigkeit, S. 137 ff.; Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 56. 778 Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 316 f.; Barth, Rechtsfortbildung, S. 346 ff.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 154; ders., DStJG 12 (1989), S. 63 f.; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 150 f; Sobota, Rechtsstaat, S. 134; JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 62; MK-Fischer-Menshausen, GG, Art. 105 Rn 1a; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 650; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 288 ff., 305 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 552.

176

B. Bestimmtheit

wird der Begriff auch für entbehrlich gehalten779. Die Rechtsprechung, sowohl die des Bundesverfassungsgerichts780 als auch die des Bundesfinanzhofs781, verwendet zwar weiterhin den Begriff „Tatbestandsmäßigkeit“, verbindet mit ihm aber mittlerweile keinen über die Bezeichnung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts hinausgehenden besonderen Aussagegehalt mehr. Es stellt sich somit die Frage, ob es noch sinnvoll ist, eine gesonderte Terminologie für das Steuerrecht aufrecht zu erhalten. Wie bereits nachgewiesen, lässt sich eine der grundlegenden Prämissen der abweichenden Begriffsbildung, das Postulat der mangelnden „Sachgesetzlichkeit“ des Steuerrechts, das zur Grundlage der Forderung nach besonderen Bestimmtheitsanforderungen gemacht wird, wenn überhaupt nur mit solchen Einschränkungen aufrecht erhalten, dass es nicht mehr als gerechtfertigt erscheint, hieraus eine Terminologie abzuleiten, die dort eine eigene Rechtsfigur nahe legt, wo keine besteht782. Zudem ist der Begriff auch aus mehreren Gründen irreführend: „Tatbestandsmäßig“ in dem Sinne, dass die Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes erfüllt sein müssen, muss jeder Grundrechtseingriff sein. Zudem ist „Tatbestandsmäßigkeit“ auch dann, wenn man den Ansatz derjenigen Autoren zugrunde legt, die diesem Begriff einen eigenen dogmatischen Aussagegehalt zusprechen, eine unzutreffende Bezeichnung, denn nach deren Lesart soll auch die Rechtsfolge von den erhöhten Bestimmtheitsanforderungen umfasst sein783. Insgesamt handelt es sich hier um ein Phänomen, das sich häufig gerade im Öffentlichen Recht finden lässt: Die Verselbstständigung von Begrifflichkeiten, deren ursprüngliche dogmatische Rechtfertigung längst entfallen ist oder deren Wirkungsweise mit allgemeinen Rechtsinstituten bereits zufrieden stellend erfasst werden kann. Die Anforderungen an steuergesetzliche Regelungsdichten, die mit dem Begriff der „Tatbestandsmäßigkeit“ beschrieben werden sollen, können auch mit der Rechtsfigur eines als „kompetenziell aussagekräftig“ verstandenen Bestimmtheitsgrundsatzes ausreichend erklärt werden. Dieser hat mittlerweile eine dogmatische Flexibilität erreicht, über die auch rechtsgebietsspezifische Besonderheiten sachgerecht abgebildet werden können. Es ist daher zu raten, vom Begriff der „Tatbestandsmäßigkeit“ als Bezeichnung für besondere Bestimmtheitsanforderungen Abstand zu nehmen und in der ver__________ 779 Vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 317; HHSp-Birk/Barth, AO, § 4 Rn 650 (Fn 7); Geitmann, Offene Normen, S. 137 f. 780 Dieses sieht den Grundsatz der „Tatbestandmäßigkeit“ als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips an. Vgl. BVerfGE 49, 343/362; 73, 388/400. 781 Z.B. BFHE 159, 341/345 f. („Grundsatz der Gesetzmäßigkeit oder Tatbestandmäßigkeit der Besteuerung“). 782 Vgl. B V 2 c) bb) (3). 783 Diese Einwände erhebt zu Recht Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 316 f. Ähnlich Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn 158; Tipke, StRO I, S. 128. Dagegen Tipke/KruseDrüen, AO, § 3 Rn 33.

VI. Schlussbetrachtungen

177

fassungsdogmatischen Strukturierung des Steuerrechts nicht mit abweichenden Begrifflichkeiten, sondern mit flexibilisierten und deshalb leistungsfähigeren Instituten aus der allgemeinen verfassungsrechtlichen Dogmatik zu operieren784. Diese Kritik greift aber nur da, wo mit dem Begriff „Tatbestandsmäßigkeit“ Bestimmtheitsanforderungen umschrieben und verfassungsrechtlich verankert werden sollen. Der in § 3 Abs. 1 AO einfachgesetzlich festgelegte Grundsatz der „Tatbestandsmäßigkeit“ umfasst hingegen auch zwei über die Forderung nach hinreichender Bestimmtheit hinausgehende Anforderungen an den Steuertatbestand: Zum einen die Entstehung der Steuer kraft Gesetzes, zum anderen den Ausschluss von Verwaltungsermessen bei der Entstehung des Steueranspruchs als Rechtsfolge der Tatbestandsverwirklichung785. Diese Phänomene können mit dem hier unterstützten Verständnis des Bestimmtheitsgrundsatzes, besonders über seine im Vorbehalt des Gesetzes fußende Komponente, nur teilweise erklärt werden786. Die Erkenntnis liegt nahe, dass ein anderer Begriff von „Tatbestandsmäßigkeit“ gebraucht wird. Die Frage aber, ob sich auch die von diesem Begriff umfassten steuerrechtlichen Besonderheiten verfassungsrechtlich absichern lassen, und ob dafür dann eine gesonderte Begrifflichkeit „Tatbestandsmäßigkeit“ der Besteuerung auf der Verfassungsebene berechtigt ist, bedarf im Rahmen dieser allein am Bestimmtheitsgrundsatz interessierten Untersuchung nicht der Entscheidung.

__________ 784 Deutlich Sobota, Rechtsstaat, S. 498: „Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit ist ein terminologisches Relikt früher Versuche, die Ausgestaltung des Rechtsstaats auf das Steuerrecht zu erstrecken“. 785 Vgl. dazu Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 156 ff.; Tipke/Kruse-Drüen, AO, § 3 Rn 39. 786 Dies betrifft in erster Linie die Entstehung der Steuer kraft Gesetzes. Vgl. dazu auch Papier, DStJG 12 (1989), S. 64; dens., Gesetzesvorbehalte, S. 153 ff.

C. Klarheit

Eine Untersuchung des ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes und seiner steuerrechtlichen Auswirkungen wäre nicht vollständig, wenn nicht gleichzeitig auch die Betrachtung eines verwandten verfassungsrechtlichen Grundsatzes mit einbezogen würde, der inhaltlich dem unmittelbaren Umfeld des Bestimmtheitsgrundsatzes zuzurechnen ist: Der Grundsatz der (Rechts- bzw. Normen)klarheit1. Eine erste Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlichem Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz wurde an anderer Stelle in dieser Arbeit bereits vorgenommen, um den Regelungsgehalt des Bestimmtheitsgrundsatzes näher einzugrenzen. Auf diese grundsätzlichen Erwägungen sei hier zunächst verwiesen2. Daran soll nun eine ausführlichere Betrachtung des Klarheitsgrundsatzes anknüpfen, bei dem es sich verfassungsrechtlich zu großen Teilen immer noch um eine terra incognita handelt3. Im Zuge einer solchen Analyse kann im Vergleich zu der bereits angestellten Betrachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes nur in geringerem Umfang auf Vorarbeiten der rechtswissenschaftlichen Literatur zurückgegriffen werden: Viele Ausführungen zu gesetzlicher „Offenheit“ kranken daran, dass Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz nicht deutlich voneinander geschieden werden, wobei meist die Elemente eines eigenständigen Klarheitsgrundsatzes dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht nur begrifflich, sondern auch inhaltlich zugeschlagen werden4. Inhalt, Funktion und Grenzen des Klarheitsgrundsatzes bleiben blass. Dies resultiert in erster Linie aus der Tatsache, dass die diesbezüglichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts terminologisch und inhaltlich bis heute undeutlich geblieben sind5, was wiederum unmittelbar auf den Verfassungstext zurückzuführen sein mag: Das Grundgesetz verwendet den Begriff „Klar__________ 1

Zwischen den gebräuchlichen Bezeichnungen „Rechtsklarheit“ und „Normenklarheit“ besteht in der Sache kein Unterschied. 2 Vgl. B I 1. 3 Ähnlich Busch, Verhältnis, S. 142, der die genaue Gestalt eines Klarheitsgebots als noch „klärungsbedürftige“ Problematik bezeichnet. 4 Vgl. dazu unten C III 1. 5 Vgl. dazu die Darstellung der jüngeren Verfassungsrechtsprechung unter B I 2; C III 1.

C. Klarheit

179

heit“ im Gegensatz zu „Bestimmtheit“ nicht6. Erst in jüngerer Zeit ist eine Tendenz in der juristischen Literatur auszumachen, Bestimmtheit von Klarheit auch inhaltlich deutlich zu trennen7. Mittlerweile kann man davon sprechen, dass zumindest die grundsätzliche Unterscheidungswürdigkeit von „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ trotz aller Unsicherheiten im Detail anerkannt ist8. Die anzutreffenden Bemühungen, einem verfassungsrechtlichen Klarheitsgrundsatz deutlichere Konturen zu verleihen, sollen im Rahmen dieser Untersuchung aufgegriffen werden. Im Folgenden wird es darum gehen, das Bewusstsein für die Existenz eines vom Bestimmtheitsgrundsatz zu trennenden Klarheitsgrundsatzes durch Erarbeitung eines eigenständigen dogmatischen Fundaments zu schärfen. Diese Betrachtung wird zwar bestätigen, dass Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz wesentliche verfassungsrechtliche Wurzeln teilen. Es soll aber versucht werden, die verbreitete Einschätzung zu widerlegen, dass diese deshalb nicht eindeutig voneinander abzugrenzen wären9. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: Zunächst soll der Klarheitsgrundsatz im Wege der Abgrenzung zum Bestimmtheitsgrundsatz konkretisiert werden. Dazu wird es nötig sein, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten sowie das Verhältnis zwischen beiden Grundsätzen näher zu bestimmen (I). Ist so die Gestalt des verfassungsrechtlichen Klarheitsgrundsatzes deutlicher hervorgetreten, soll geklärt werden, welche Elemente dieser genau umfasst, wobei wiederum eine Abgrenzung zu verwandten verfassungsrechtlichen Figuren nötig sein wird, insbesondere zu den Grundsätzen der „Systemgerechtigkeit“ und „Normenwahrheit“ (II). Sind nun Umfang und Gestalt des Klarheitsgrundsatzes hervorgetreten, kann eine kurze Betrachtung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgen, soweit sie für diese Untersuchung relevant ist (III). Daran schließt sich eine Betrachtung der verfas__________ 6

Darauf verweist Braun, VerwArch 76 (1985), S. 45. Vgl. aus der staatsrechtlichen Kommentarliteratur Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 129 ff.; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 123 ff.; JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 63 ff. Die größeren Monographien zum Bestimmtheitsgrundsatz bewiesen hingegen schon immer eine Sensibilität für die Unterschiede zwischen Bestimmtheit und Klarheit. Vgl. nur Geitmann, Offene Normen, S. 28 f., 59 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 118 ff. 8 Vgl. Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 122; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 129; Geitmann, Offene Normen, S. 28; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 118; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 45; Denninger, Normsetzung, S. 160; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 548; Fischer, StVJ 1992, S. 11 (Fn 102); Jachmann, Fiktion, S. 671 (die zumindest die Möglichkeit einer „normlogischen Unterscheidung“ anerkennt) Für austauschbar hält die Begriffe „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ in der neueren Literatur z.B. noch Sobota, Rechtsstaat, S. 133 f. 9 So z.B. Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 126. Vgl. auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 110 (Fn 4): „Der Versuch, insoweit nach eindeutigen begrifflichen Abgrenzungen zu suchen, dürfte allerdings juristisch wenig ergiebig sein“. 7

180

C. Klarheit

sungsrechtlichen Determinanten des Klarheitsgrundsatzes an, in deren Rahmen erneut auf die schon beim Bestimmtheitsgrundsatz relevant gewordene Adressatenproblematik eingegangen wird (IV).

I. Bestimmtheit und Klarheit Zu Beginn dieser Arbeit wurden „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ danach geschieden, dass „Bestimmtheit“ die verfassungsrechtliche Forderung an den Gesetzgeber nach Verwendung hinreichend präziser Rechtsbegriffe bezeichne, „Klarheit“ jedoch die nach möglichst übersichtlichem und widerspruchsfreiem Recht10. Diese Unterscheidung muss jedoch durch die Herausstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Grundsätze verfeinert werden. Wenn in der Literatur der Versuch unternommen wird, gesetzliche Klarheitsanforderungen zu präzisieren, so geschieht dies ebenfalls meist im Wege der Abgrenzung zum Bestimmtheitsgrundsatz. Folgende Aussagen mögen als Beispiel für diese Vorgehensweise dienen: „Im Unterschied zum inhaltsbezogenen Bestimmtheitspostulat ist die Klarheit eine Frage der Gesetzestechnik hinsichtlich der verbalen Ausformung und des systematischen Aufbaus der Norm; sie betrifft das Wie und nicht das Was und Wie viel der gesetzlichen Regelung“11. „Während das Bestimmtheitsgebot primär auf die inhaltliche Wiete einer Norm abhebt, zielt die Forderung der Klarheit vor allem auf die gesetzestechnische Qualität einer Vorschrift. (...) Der Begriff der normativen Unklarheit deutet also auf ein durch mangelhafte Gesetzestechnik verursachtes Kommunikationsproblem zwischen Gesetzgeber und Gesetzesanwender hin“12. „Klarheit des Gesetzes bedeutet Durchsichtigkeit im Zusammenspiel der einzelnen Begriffe, Sätze und Paragraphen und Übersichtlichkeit im Aufbau. Klarheit ist (...) keine Frage der inhaltlichen Weite, Begrenztheit oder Spezifizierung“13. Es fordere „das Gebot der Klarheit die Verständlichkeit und das Bestimmtheitsgebot die hinreichende Genauigkeit einer gesetzlichen Regelung“14. Zum Teil wird auch versucht, dem Begriff der „Klarheit“ dadurch mehr Konturen zu verleihen, dass dieser funktional vom Begriff der Bestimmtheit abge__________ 10

Vgl. B I 2. Braun, VerwArch 76 (1985), S. 46 (im Anschluss an Geitmann, Offene Normen, S. 28). 12 Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119. Ähnlich Osterloh, Gesetzesbindung, S. 110 (Fn 4): „Überwiegend wird die Klarheit wohl primär als gesetzestechnisches Problem der klaren Gesetzesgestaltung, Bestimmtheit dagegen als Frage der inhaltlichen Ausstattung des Regelungsgehalts gesehen“. 13 Geitmann, Offene Normen, S. 28. 14 Barth, Rechtsfortbildung, S. 543. 11

I. Bestimmtheit und Klarheit

181

grenzt wird. Dann wird festgestellt, dass „Normenklarheit primär die Erkennbarkeit für den betroffenen Bürger“, jedoch die „Normenbestimmtheit primär die Determinationsfunktion gegenüber der Exekutive im Auge“ habe15.

1. Gemeinsamkeiten Um diese Aussagen, die die Unterschiede der in Rede stehenden Grundsätze herausstellen, besser nachvollziehen zu können, muss man sich zunächst die Gemeinsamkeiten der hinter beiden Grundsätzen stehenden verfassungsrechtlichen Forderungen vergegenwärtigen. Nur bestimmte und klare Gesetze garantieren die Vorhersehbarkeit behördlichen Verhaltens und wirken so auch auf den Normadressaten zurück, der sein Verhalten danach ausrichten kann. Die Regelungsfunktion beider Grundsätze ist insoweit identisch16. Dementsprechend verursacht deren Nichterfüllung, also gesetzliche Unbestimmt- oder Unklarheit, dieselbe Wirkung: Die Ermittlung des Normbefehls durch den Gesetzesanwender ist nicht mehr möglich, die Rechtsordnung als Kommunikationsmedium versagt also. Aufgrund dieser Erkenntnisse hinsichtlich Regelungsfunktion und Wirkungsweise kann man, auch ohne der noch anstehenden Betrachtung der verfassungsrechtlichen Determinanten zu sehr vorzugreifen, eine erste grobe Zuordnung vornehmen, unter die sowohl „Bestimmtheit“ als auch „Klarheit“ passen: Beide sind zumindest in Teilbereichen dem Problemkreis der Rechtssicherheit zuzuordnen17. In dieser einheitlichen Wirkungsweise liegt auch der tiefere Grund verborgen, warum Rechtsprechung und Literatur zwischen Bestimmtheit und Klarheit häufig nicht oder nicht deutlich genug unterscheiden und beide Phänomene vorzugsweise unter dem Oberbegriff „Bestimmtheit“ erörtern. Der richtige Kern, der hinter einer solch undifferenzierten Betrachtung verborgen liegt, besteht in der Erkenntnis, dass, wenn Klarheit und Bestimmtheit im Falle ihres Nichtvorliegens eine gleichartige Wirkung hervorrufen, es auch prinzipiell möglich sein muss, einen einheitlichen Oberbegriff für beide Grundsätze zu finden. Dieser ist aber nur dann korrekt gewählt, wenn er ausschließlich die Gemeinsamkeiten terminologisch bündelt und bestehende Unterschiede nicht verdeckt. Schon im allgemeinen Sprachgebrauch haben „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ aber nicht dieselbe Bedeutung und sind nicht als Synonyme zu verstehen18. Es liegt deshalb näher, diese Begrifflichkeiten für die __________ 15

Denninger, Normsetzung, S. 160. Vgl. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 118 (im Anschluss an Merten, Gesetzeswahrheit, S. 295, 301); Barth, Rechtsfortbildung, S. 542 f. 17 Dementsprechend werden Bestimmtheit und Klarheit teilweise unter diesem Oberbegriff kommentiert. Vgl. nur Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 122 ff. 18 So Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 118; Geitmann, Offene Normen, S. 28. 16

182

C. Klarheit

Präzisierung der Unterschiede im normativen Gehalt der in Rede stehenden Verfassungsinstitute, die noch aufzuzeigen sind, zu verwenden. Sowohl Unklarheit als auch Unbestimmtheit haben jedoch gemeinsam, dass die Lösung einer Rechtsfrage ungewiss wird. Als tauglicher Oberbegriff, der an die Wirkung der Nichterfüllung beider Forderungen anknüpft, bietet sich deshalb der Terminus „Offenheit“ an19.

2. Unterschiede Wenn man die soeben angeführten Definitionsversuche eines verfassungsrechtlichen Klarheitsgrundsatzes aus der rechtswissenschaftlichen Literatur näher betrachtet, so wird deutlich, dass die Abgrenzung zur Bestimmtheitsforderung offenbar primär anhand der Unterscheidung Gesetzestechnik/Gesetzesinhalt vorgenommen wird. Die gleiche Wirkung, nämlich Rechtssicherheit für den Gesetzesanwender, soll durch verschiedene Anforderungen an die Qualität einer Norm sichergestellt werden: Diese soll einerseits verständlich, d.h. überschaubar und nicht widersprüchlich sein (Klarheit), andererseits aber auch hinreichend präzise (Bestimmtheit). In diesen Anforderungen, die auf den ersten Blick so ähnlich erscheinen, dass man sich die Frage nach dem Sinn einer weiteren Ausdifferenzierung stellt, liegt aber gleichzeitig schon begründet, warum Klarheit und Bestimmtheit getrennt behandelt werden sollten: Die Forderung nach Widerspruchsfreiheit und Übersichtlichkeit wird durch solche Gesetze am besten erfüllt, die möglichst kurz und wenig komplex sind. Dadurch wird Übersichtlichkeit gewährleistet und es besteht aufgrund geringerer Komplexität die erhöhte Wahrscheinlichkeit gesetzlicher Widerspruchsfreiheit. Damit ist aber noch nicht gesichert, dass solche Gesetze auch hinreichend präzise sind. Bei gleichbleibendem Regelungsumfang wird die Forderung nach begrifflicher Präzision in erster Linie von detaillierten Normen oder Normkomplexen erfüllt, in denen bereits möglichst viele konkrete Anwendungsfälle berücksichtigt sind. Solche wiederum laufen dann aber Gefahr, widersprüchlich und unüberschaubar zu werden20. Bestimmtheit und Klarheit begründen damit unterschiedliche gesetzgeberische Tendenzen. Der in der Literatur anzutreffenden Beobachtung, dass Bestimmtheit nach Ausführlichkeit strebt, die Forde__________ 19 So auch Geitmann, Offene Normen, S. 17 f. Ähnlich Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119. Auch Braun, VerwArch 76 (1985), S. 45 ff., erörtert sowohl Bestimmtheit als auch Klarheit im Rahmen der „Offenheit“ von Rechtsnormen. 20 Vgl. Herzog, NJW 1999, S. 26; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben, S. 136; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 549; Geitmann, Offene Normen, S. 28; Hill, Gesetzgebungslehre, S. 130.

I. Bestimmtheit und Klarheit

183

rung nach Klarheit aber eher zur Kürze, ist beizupflichten21. Dementsprechend sind die Fragestellungen innerhalb einer verfassungsrechtlichen Überprüfung von Normen anhand des Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatzes teilweise unterschiedlich. Soll eine Norm kürzer gefasst werden, so kann dies, wenn der gleiche Regelungsbereich umfasst bleiben soll, nur bedingt durch verbesserte Gesetzestechnik geschehen, sondern muss durch den Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe erfolgen, über die Entscheidungskompetenzen „verdeckt“ delegiert werden können22. Verbunden ist damit ein Verlust von Rechtssicherheit beim Anwender. Verfassungsrechtlich relevant wird in diesem Zusammenhang ausschließlich der Bestimmtheitsgrundsatz, denn ab einem bestimmten Punkt kann die Regelungsdichte einer Norm nicht weiter reduziert werden, ohne dass das für die Rechtsanwendung erforderliche Mindestmaß an Präzision vollständig verloren geht und eine von Verfassungs wegen nicht mehr tolerable Rechtsunsicherheit beim Rechtsanwender entsteht. Eine Norm muss hingegen nicht zwangsläufig irgendwann unklar werden, wenn sie immer weiter verkürzt wird. Im Zweifel wird sie dadurch sogar immer klarer. Anders ist dies hingegen bei einer Steigerung der Regelungsdichte bei gleichbleibendem Regelungsumfang einer Norm: Das Gesetz wird jedenfalls im Grundsatz immer präziser und der Gesetzgeber kann umso mehr auf den Einsatz von unbestimmten Rechtsbegriffen verzichten, je ausführlicher eine Regelung ist. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz wird somit immer unwahrscheinlicher. Die Regelung wird aber in steigendem Maße schwierig zu überschauen und tendenziell unverständlicher, die Gefahr gesetzlicher Widersprüche steigt. Denkt man dies weiter, ist auch hier irgendwann einmal ein solcher normativer Komplexitätsgrad erreicht, dass für den Rechtsanwender in einer verfassungsrechtlich nicht mehr tolerablen Weise Rechtssicherheit verloren geht. Dann wird gegen den Klarheitsgrundsatz verstoßen23. Das Ergebnis für den Rechtsanwender ist bei einem Verstoß des Gesetzgebers gegen Bestimmtheitsund Klarheitsgrundsatz also ähnlich, der Weg dorthin kann jedoch höchst unterschiedlich sein24. __________ 21

Dies wurde zuerst bei Geitmann, Offene Normen, S. 28, herausgestellt. Vgl. im Anschluss daran auch Braun, VerwArch 76 (1985), S. 46; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119. 22 Ausführlich zu dieser Wirkungsweise unbestimmter Rechtsbegriffe schon B I 3. 23 Dies betrifft zwar nicht zwangsläufig die Widersprüchlichkeits-, trifft aber zumindest auf die Transparenz- bzw. Übersichtlichkeitskomponente zu. 24 Natürlich ist es bei groben Gesetzgebungsmängeln denkbar, dass auch knappe Regelungen gegen den Klarheitsgrundsatz verstoßen, genauso wie es innerhalb eines im Grundsatz komplexen und detaillierten Regelungswerkes trotzdem zum Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe kommen kann, die als verfassungsrechtlich bedenklich zu qualifizieren sind. Ein Musterbeispiel hierfür ist unser geltendes Steuerrecht. Um die Ge-

184

C. Klarheit

Es wurde somit bereits ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Grundsätzen gefunden. Insofern wird auch einsichtig, dass die Bestimmtheitsproblematik in erster Linie im Rahmen der gesetzlichen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe relevant wird und deshalb häufig nur die Verwendung einzelner oder weniger Wörter im Normtext fraglich ist, die diese unbestimmten Rechtsbegriffe konstituieren25, während ein Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz fast immer nur ganze Normkomplexe innerhalb eines Gesetzes oder gar das Zusammenwirken zwischen Normen innerhalb unterschiedlicher Gesetze betrifft26. Falsch ist es jedoch wiederum, wenn die Klarheitsproblematik ausschließlich auf Normkomplexe reduziert wird27. Neben der Tatsache, dass Bestimmtheit und Klarheit tendenziell gegenläufige Tendenzen für die Normsetzung repräsentieren, sind sie noch aufgrund eines weiteren Aspektes zu unterscheiden: Die Erfüllung des Bestimmtheitsgrundsatzes wird im Falle einer besonders geringen gesetzlichen Regelungsintensität fraglich. Für eine solche entscheidet sich der Gesetzgeber im Rahmen der ihm obliegenden Abwägung zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit aber bewusst28. Anders ist dies bei Verstößen gegen den Klarheitsgrundsatz: Ein Gesetz wird im Regelfall nicht bewusst unverständlich im Sinne von „widersprüchlich“ oder „unüberschaubar“ abgefasst. Anhand des Bestimmtheitsgrundsatzes werden also Fälle planvoller gesetzlicher „Offenheit“ überprüft, der Klarheitsgrundsatz betrifft planwidrige29. Ausgehend vom Ober___________ genläufigkeit von Bestimmtheit und Klarheit aufzuzeigen, muss aber zunächst ein Gesetzgeber zugrunde gelegt werden, der seine Aufgaben im Grundsatz idealtypisch erfüllt. 25 Auf die grundsätzliche Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen „Wort“ und „Begriff“ wurde bereits unter B I 1 hingewiesen. 26 Vgl. Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 487; Benda, DStZ 1984, S. 162. In erster Linie wirkt der Klarheitsgrundsatz also „internormativ“. 27 So aber der Tendenz nach Papier, DStJG 12 (1989), S. 69 f. und Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 143 f. Grundsätzlich können alle Aspekte gesetzlicher Unklarheit bei grob fehlerhafter Gesetzgebung auch innerhalb einer Norm, d.h. „intranormativ“ auftreten. Vgl. Schneider, Gesetzgebung, Rn 81: „Eine lange und detaillierte Tatbestandsumschreibung in mehreren Alternativen, mit Ausnahmen unter allerlei Voraussetzungen und Ausnahmen von den Ausnahmen mag als bestimmt angesehen werden, sie entbehrt aber der notwendigen Klarheit“. 28 Vgl. Dourado/Prokisch, Legalitätsprinzip, S. 65: „Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe (...) ist insofern nicht nur zulässig, sondern abhängig von der Wertung, ob das einfache Steuerrecht oder das einzelfallgerechte Steuerrecht wichtiger ist, mehr oder weniger geboten“. 29 Ähnlich Geitmann, Offene Normen, S. 60 ff.; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 555. Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 184 f., sehen in der Bezugnahme auf die Intention des Gesetzgebers keinen „Erkenntnisvorteil, weil die Bestimmtheitsanforderungen der Verfassung nicht von der Absicht des Gesetzgebers (...) abhängen können, sondern die konkreten Auswirkungen (...) in den Blick nehmen müssen“. Dieser Einwand wäre dann berechtigt, wenn der Rückgriff auf die Intention des Gesetzgebers die verfassungsrechtliche Beurteilung vollstän-

I. Bestimmtheit und Klarheit

185

begriff „Offenheit“ liefert diese Erkenntnis eine differentia specifica zwischen Bestimmtheit und Klarheit. Die Grundsätze der Bestimmtheit und Klarheit, obwohl in Wirkungsweise und Regelungsfunktion ähnlich, weisen also teilweise deutlich unterschiedliche Charakteristika auf. Es sollte verwundern, wenn sich diese nicht auch in einer unterschiedlichen verfassungsdogmatischen Ausformung und Handhabung in der Prüfung niederschlagen sollten. So soll bereits an dieser Stelle eine Vermutung aufgestellt werden, deren Richtigkeit der weitere Untersuchungsverlauf, insbesondere eine genauere Analyse der einschlägigen verfassungsrechtlichen Determinanten, noch erweisen muss: Wenn unklare Gesetze vom Gesetzgeber eher vermieden werden können als unbestimmte, so müsste gesetzliche Unklarheit schlechter zu rechtfertigen sein als gesetzliche Unbestimmtheit.

3. Das Verhältnis zwischen Bestimmtheit und Klarheit Abschließend soll der Beziehungszusammenhang zwischen Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz näher betrachtet werden. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob ein Verstoß gegen einen der Grundsätze auch automatisch einen Verstoß gegen den anderen nach sich ziehen muss. Einigkeit besteht in der Literatur darüber, dass es Gesetze geben kann, welche klar, aber (durch den Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe) unbestimmt sind30. Dies wird sogar häufig der Fall sein, denn die partielle Reduktion der Regelungsdichte ist, wie dargelegt, ein taugliches Mittel, den Klarheitsgrad eines Gesetzes zu erhöhen. Die Frage, ob auch die entgegengesetzte Kombination möglich ist, es also Gesetze geben kann, welche zwar bestimmt, aber unklar sind, wird hingegen unterschiedlich beantwortet. Teilweise wird dies bejaht31. Es wird aber auch vertreten, dass Unklarheit zwangsläufig Unbestimmtheit nach sich ziehe, weil die Ermittlung des Bestimmtheitsgrades, also der Regelungsdichte einer Norm, erst dann möglich sei, wenn deren Bedeutungsinhalt zumindest in sprachlicher Hinsicht klar sei32. ___________ dig präjudizieren würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Gesucht war vielmehr lediglich ein kategoriales Unterscheidungskriterium zwischen Bestimmtheit und Klarheit. Die verfassungsrechtliche Beurteilung erfolgt weitgehend unabhängig davon. Zudem ist der Rückgriff auf die gesetzgeberische Zweckverfolgung auch an anderer Stelle in der Steuerrechtsordnung nicht unbekannt: Die Unterscheidung von „Lenkungs-“ und „Fiskalzwecknormen“ erfolgt nach weitgehend einhelliger Ansicht ebenfalls anhand dieses Kriteriums. Vgl. dazu nur Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 5 I 2. 30 Vgl. Braun, VerwArch 76 (1985), S. 24, 46; Geitmann, Offene Normen, S. 28; Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119; Tettinger, Rechtsanwendung, S. 376. 31 Vgl. Geitmann, Offene Normen, S. 28. 32 Vgl. Braun, VerwArch 76 (1985), S. 46; Busch, Verhältnis, S. 142.

186

C. Klarheit

Einer differenzierenden Betrachtungsweise zufolge ist zwischen verschiedenen Ausprägungen des Klarheitsgrundsatzes zu unterscheiden: Gesetze, deren Unklarheit sich aus inhaltlichen Widersprüchen innerhalb einer Norm ergebe, die also „intranormativ“ unklar seien, gingen ihres Aussagegehalts verlustig, und somit sei auch ihre Regelungsdichte verringert. Insofern bestehe ein Zusammenhang zwischen Klarheit und Bestimmtheit. Anders sei dies aber bei Normkomplexen, die aufgrund ihrer Unüberschaubarkeit, d.h. ihrer mangelnden Transparenz für den Rechtsanwender, gegen das Klarheitsgebot verstießen, also in erster Linie bei der „internormativen“ Ausprägung des Klarheitsgrundsatzes. Diese könnten aufgrund ihrer Ausdifferenziertheit durchaus dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen, weil der Spielraum des Rechtsanwenders eng begrenzt sei. In diesem Bereich seien also unklare, aber bestimmte Regelungen denkbar33. Gegen diesen differenzierten Ansatz lässt sich sofort ein Einwand erheben: Auch bei Regelungen, die mangels Übersichtlichkeit unklar sind, ist das praktische Ergebnis für den Rechtsanwender nicht anders als bei solchen, die diesem Verdikt aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit anheim fallen: Der Normbefehl des Gesetzes geht verloren und der Rechtsanwender bleibt auf sich gestellt34. Die faktische Regelungsdichte des Gesetzes ist vermindert. Mittelbar hat dies auch kompetenzielle Folgen, denn dadurch gehen Entscheidungsbefugnisse auf den Rechtsanwender über35. Ein prinzipieller Unterschied in der Wirkungsweise zwischen Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz ist hier nicht feststellbar. Schon aus diesem Grund kann eine nach inter- und intranormativer Wirkungsweise des Klarheitsgrundsatzes differenzierte Auffassung nicht überzeugen36. Die verbleibenden Auffassungen widersprechen sich letztlich in der Sache nicht, sondern fußen bei genauerer Betrachtung lediglich auf der Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten. Wie bereits festgestellt, bewirken sowohl Unbestimmtheit als auch Unklarheit gesetzliche „Offenheit“. Wenn nun davon die Rede ist, dass Unklarheit zwangsläufig Unbestimmtheit nach sich zöge, dann ist offensichtlich diese „Offenheit“ in Form einer Unbestimmtheit „im weiteren Sinne“ gemeint37. __________ 33

So Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119 ff. Vgl. C II 1. 35 Ausführlich dazu B I 3 und speziell zum Klarheitsgrundsatz unten C IV 1. 36 Dies räumt Gassner letztlich auch selbst ein, wenn er darauf verweist, dass sich „Anforderungen an die Transparenz der äußeren sprachlichen Form (...) zwangsläufig auch im Inhalt einer Norm niederschlagen“ müssen (Genehmigungsvorbehalte, S. 121). Letztlich bleibt der genaue Gehalt seiner differenzierenden Auffassung dunkel. Der Aussage, dass „Bestimmtheit und Klarheit sich zueinander wie zwei sich schneidende Kreise“ verhalten (Genehmigungsvorbehalte, S. 121), weil sich beide Prinzipien auf die Regelungsdichte auswirken, ist aber uneingeschränkt zuzustimmen. 37 Die Ausführungen von Braun, VerwArch 76 (1985), S. 46, sind in dieser Hinsicht zu verstehen. 34

I. Bestimmtheit und Klarheit

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Wenn man ein solches Verständnis zugrunde legt, dann ist die Aussage, dass unklare Gesetze automatisch unbestimmt sein müssen, in der Tat richtig. Geitmann benutzt aber, wenn er behauptet, dass es unklare, aber bestimmte Gesetze gebe, den Begriff „Bestimmtheit“ im auch hier vertretenen „engeren“ Sinne, also beschränkt auf die Problematik der planvollen gesetzlichen „Offenheit“ durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe38. Seiner Aussage kann dann ebenfalls nicht widersprochen werden: Selbstverständlich sind Gesetze denkbar, die unklar sind, aber keinen unbestimmten Rechtsbegriff enthalten und deshalb gleichwohl in diesem Sinne „bestimmt“ sind39. Es handelt sich also im Wesentlichen um eine Scheindebatte, die nicht überbewertet werden sollte. Unter Zugrundelegung der hier vertretenen Begrifflichkeit ist die Frage nach dem Wechselspiel zwischen Klarheit und Bestimmtheit wie folgt zu beantworten: Unbestimmte Regelungen oder Regelungskomplexe können gleichwohl klar sein. Dies trifft bspw. bei einer überschaubaren und nicht widersprüchlichen Regelung zu, in deren Rahmen gleichwohl durch die Verwendung eines oder mehrerer unbestimmter Rechtsbegriffe in erheblichem Umfang Entscheidungsbefugnisse delegiert werden. Ebenso kann eine Regelung aufgrund von Widersprüchlichkeit, mangelnder Transparenz etc. unklar sein, gleichwohl aber keine Elemente enthalten, die als „unbestimmte Rechtsbegriffe“ zu qualifizieren wären. Bestimmtheit trotz Unklarheit ist somit durchaus denkbar. Sowohl unklare als auch unbestimmte Gesetze sind jedoch grundsätzlich als „offen“ zu qualifizieren. Sie ziehen beide eine verminderte gesetzliche Regelungsdichte nach sich. Fragt man nur nach dieser Eigenschaft, so wäre eine Differenzierung zwischen „Unbestimmtheit“ und „Unklarheit“ in der Tat überflüssig. Dem vereinzelt in der Literatur vorgebrachten Gedanken, dass Klarheit und Bestimmtheit in einem Stufenverhältnis stehen würden40, lässt sich also nicht generell beipflichten. Lediglich in Extremfällen mag dies so sein: Man stelle sich ein Gesetz vor, das unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die ob ihrer gesteigerten „Offenheit“ verfassungsrechtlich fragwürdig sind. Ist das Gesetz nun zusätzlich so unklar, sei es wegen Widersprüchlichkeiten oder Transparenzmängeln, dass das normative Umfeld, in das die gesetzgeberische Entscheidungsdelegation mittels unbestimmter Rechtsbegriffe eingebettet ist, nicht mehr durchschaut werden kann, so kann dies auch auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Norm unter Bestimmtheitsgesichtspunkten zurückwirken. Denn diese __________ 38

Vgl. Geitmann, Offene Normen, S. 28, 59 ff. Die genaue Unterscheidung der Begriffe „Klarheit“, „Bestimmtheit“ und „Offenheit“ wird von diesem vorbildlich durchgehalten. 39 Dies war z.B. bei dem unter Klarheitsgesichtspunkten problematischen § 2 Abs. 3 S. 3-8 EStG a.F. der Fall. 40 Vgl. Braun, VerwArch 76 (1985), S. 46.

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C. Klarheit

richtet sich im Wesentlichen danach, inwieweit ein Begriff noch „auslegbar“ ist. Ein unklares normatives Umfeld des fraglichen Begriffs kann aber dafür sorgen, dass entscheidende Anhaltspunkte für die Auslegung entfallen41. So kann es zu der Situation kommen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Einsatz unter anderen Umständen noch als rechtmäßig zu beurteilen wäre, durch ein solches unklares normatives Umfeld mit in die Verfassungswidrigkeit „gerissen“ wird, planwidriges gesetzgeberisches Handeln mithin auf planvolles zurückwirkt42. Es versteht sich aber von selbst, dass dies nur Extremfälle betreffen wird43. Selbst eine „intranormative“ verfassungswidrige Unklarheit kann genauso gut nur neben einen unter Bestimmtheitsgesichtspunkten bedenklichen Rechtsbegriff treten und dessen Auslegung in keinster Weise beeinträchtigen. Auch dieser Aspekt darf deshalb nicht überbewertet werden44: Unklarheit kann Grundlage für Unbestimmtheit sein, muss es aber nicht. Zum Verhältnis zwischen Bestimmtheit und Klarheit ist noch eine weitere verdeutlichende Anmerkung angebracht. Die Tatsache, dass diese Grundsätze tendenziell gegenläufige Anforderungen an die Ausgestaltung eines Gesetzes stellen, könnte zu der Annahme verleiten, dass sie auch für gegenläufige Rechtsprinzipien stünden. Dies hätte zur Folge, dass jegliche Gesetzgebung auch immer wieder neu den Ausgleich zwischen diesen beiden als Gegensätze zu begreifenden Polen suchen müsste. Dann käme dem Gesetzgeber neben dem Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit noch ein weiterer Optimierungsauftrag zu. Dies ist jedoch nicht der Fall: Klarheit und Bestimmtheit sind keine Anforderungen, die zwingend nur auf Kosten der jeweils anderen verwirklicht werden könnten. Es existiert ein sehr breiter Bereich, in __________ 41 So könnten zum Beispiel systematische oder teleologische Auslegungsansätze versagen. Vgl. auch Jachmann, Fiktion, S. 668: „Die Regelungsdichte eines Rechtsbegriffs ist weiter nicht allein abhängig von der isolierten Aussagekraft des einzelnen Begriffs, sondern auch von dem normativen Kontext, in dem er steht“. 42 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 549, spricht hier von einer Voraussetzung „für eine willkürfreie Reduktion von Offenheit“: „Die Bestimmbarkeit des Inhalts eines unbestimmten Tatbestandsmerkmals hängt wesentlich von der Regelhaftigkeit des Teilrechtsgebiets ab, weil Unbestimmtheit anhand übergeordneter gesetzlicher Wertungen reduziert werden muss“. 43 Gleichwohl werden solche Fälle praktisch. In BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 131, wird explizit das Zusammenspiel der Verweisungen des AWG mit dem unbestimmten Tatbestandsmerkmal „planen“ in § 39 Abs. 1 Nr. 1 AWG gerügt: „Da die Tatbestandselemente auf ein Verhalten zu beziehen sind, das sich noch im Vorfeld einer Straftat befindet, bewirken die Vielzahl und die Möglichkeiten zu unterschiedlichen Kombinationen solcher Tatbestandselemente ein hohes Fehlerrisiko in der Rechtsanwendung“. Der unbestimmte Rechtsbegriff lässt hier die Verweisungen unklar werden, während diese wiederum auf die Bestimmtheit des Rechtsbegriffs negativ zurückwirken. 44 Der Gedanke erlangt aber Bedeutung bei der Betrachtung der Adressatenproblematik im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes. Vgl. dazu C IV 3.

II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes

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dem ein Gesetz sowohl als hinreichend bestimmt als auch als hinreichend klar angesehen werden kann45. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber gesetzliche Unklarheit durchgängig vermeiden kann, was für gesetzliche Unbestimmtheit nicht zutrifft. Deshalb tritt ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Klarheitsforderung im Regelfall auch unabsichtlich ein. Der Konflikt, den der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzgebungsvorgangs zu optimieren hat, bleibt der zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit, und allein der Bestimmtheitsgrundsatz ist das in diesem Rahmen entscheidende Regulativ46.

II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes Unklarheit als „gesetzestechnisch induzierte normative Offenheit“ kann aufgrund der Vielzahl von denkbaren Gesetzgebungsfehlern durch eine Reihe von unterschiedlichen Faktoren verursacht werden. Deswegen werden die Eigenschaften eines Gesetzes, die es unklar machen, bzw. die Anforderungen, die ein Gesetz erfüllen muss, damit es als „klar“ zu bezeichnen ist, in der Literatur zum Klarheitsgrundsatz meist nur umschrieben und nicht abschließend definiert. So liest man, dass Gesetze „verständlich“, „durchsichtig“ und „übersichtlich“ sein müssen. Diese Eigenschaften sollen dann nicht mehr vorliegen, wenn Gesetze „missverständlich“, „irreführend“ oder „widerspruchsvoll“ sind47. Allein schon wegen dieser Vielzahl der anzutreffenden Umschreibungen hat es den Anschein, als ob „Unklarheit“ eine wesentlich heterogenere Problematik als die relativ genau einzugrenzende „Unbestimmtheit“ bezeichnet. Dies soll aber nicht heißen, dass die Elemente gesetzlicher Unklarheit nicht abgrenz- und kategorisierbar wären. Im Folgenden sollen deshalb einige typische Anforderungen an die Qualität von Gesetzen, die üblicherweise zur Klarheitsproblematik gezählt werden, näher untersucht werden. Dabei wird häufig auch zu verwandten verfassungsrechtlichen Fragestellungen abgegrenzt werden müssen. Ein näheres Eingehen auf den Begriff der „Verständlichkeit“48 erübrigt sich. Dabei handelt es sich um nichts anderes als um ein Synonym für „Klarheit“49 __________ 45 Deutlich Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 486: „„Normenklarheit“, „Bestimmtheit“ und „Verständlichkeit“ können – müssen hingegen nicht – in ein Spannungsverhältnis zueinander treten“. Das Spannungsverhältnis zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit besteht hingegen immer, der Ausgleich muss immer wieder neu gefunden werden. 46 Ebenso Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554. Vgl. auch C IV 2 zu den daraus im Rahmen der verfassungsrechtlichen Analyse zu ziehenden Schlussfolgerungen. 47 Vgl. zu diesen Umschreibungen nur die unter C I zitierten Annäherungsversuche an den Begriff der „Klarheit“ aus der Literatur. 48 Vgl. u.a. BVerfGE 14, 13/16; 17, 306/314; 47, 239/247; MD-Herzog, GG, Art 20 VII Rn 63; Huber, ZG 90, S. 355 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554 ff.

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C. Klarheit

und ist folglich nur eine allgemeine Beschreibung der generellen Eigenschaft, die ein „klares“ Gesetz haben muss; eine Bezeichnung für die „Grundforderung“ des Klarheitsgrundsatzes und kein eigenständiges Unterelement, durch dessen Präzisierung der Klarheitsgrundsatz deutlichere Formen erhalten könnte. Auch ein zusätzlicher heuristischer Wert des Begriffes „Verständlichkeit“ gegenüber der Bezeichnung „Klarheit“ ist nicht ersichtlich50. Erfolgversprechend erscheint aber eine nähere Auseinandersetzung mit dem Gedanken der „Widerspruchsfreiheit“ des Gesetzes (1), in deren Zusammenhang auch zu den Anforderungen der „Systemgerechtigkeit“ und der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ abgegrenzt werden muss (2). Des Weiteren lohnt eine Betrachtung der Forderung nach normativer „Übersichtlichkeit“, deren Nichterfüllung ebenfalls einen Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz indizieren soll (3). Abschließend wird noch auf den Grundsatz der „Normenwahrheit“ einzugehen sein, der im Umfeld von „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ anzusiedeln ist (4), bevor kurz spezielle Anwendungsfälle des Klarheitsgrundsatzes erörtert werden (5).

1. Widerspruchsfreiheit Wenn „Widerspruchsfreiheit“ eine der Forderungen des Klarheitsgrundsatzes ist, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass gesetzliche „Widersprüchlichkeit“ „Unklarheit“ hervorrufen muss, also eine gesetzliche „Offenheit“, die von Verfassungs wegen als nicht mehr tolerabel erscheint. Gesetzliche Widersprüchlichkeit ist in mehreren Formen denkbar: So können sich etwa Tatbestandselemente einer Norm aus sprachlogischen Gründen widersprechen. Dadurch verliert das Gesetz seinen Aussagegehalt und kann so keine taugliche Handlungsanweisung für Bürger oder Verwaltung mehr sein51. Diese Art von „Widersprüchlichkeit“ wird deshalb vom Klarheitsgrundsatz umfasst52. ___________ 49 Deutlich wird dies z.B. in BVerfGE 14, 13/16 und bei Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554 (Fn 42). 50 Ähnliches gilt für den im Zusammenhang mit Bestimmtheit und Klarheit häufig verwandten Begriff der „Praktikabilität“ (vgl. nur BVerfGE 25, 216/226 f.; 78, 205/212 f.; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 125; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 129). Auch hier handelt es sich nicht um ein spezielles Element beider Grundsätze, sondern nur um eine Beschreibung der Wirkung, die eintritt, wenn sowohl dem Bestimmtheits- als auch dem Klarheitsgrundsatz genügt wird. Richtig Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 549. 51 Dieser in der Literatur diskutierte Fall (vgl. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 120) wird aber praktisch so gut wie nicht vorkommen, denn ein Gesetz, das so „defizitär“ formuliert ist, dass sich Tatbestandselemente einer Norm schon aus sprachlogischen Gründen widersprechen, ist schwer vorstellbar. 52 Vgl. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 120; Sendler, NJW 1998, S. 2876; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 48.

II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes

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Im „internormativen“ Bereich entsprechen dieser Situation zwei oder mehr Rechtsnormen, die aufgrund unterschiedlicher zugrunde liegender gesetzgeberischer Wertungen für denselben Sachverhalt abweichende Regelungen vorsehen. Ein solcher Widerspruch ist aber nur in dem Maße problematisch, wie er sich nicht durch Auslegung beseitigen lässt53. Dabei ist zwischen Regel- und Prinzipienkonflikten zu unterscheiden54: Ein Regelkonflikt ist dann gegeben, wenn die Auslegung ergibt, dass sich gegenläufige Wertungen dergestalt verdichten, dass konkrete gesetzliche Handlungsanweisungen miteinander konfligieren, etwa ein Ge- mit einem Verbot55. Zwei Regelungen ordnen dann für denselben Sachverhalt einander ausschließende, miteinander unvereinbare Rechtsfolgen an. In einem zweiten Schritt ist dann festzustellen, ob dieser Regelkonflikt nicht dadurch entschärft werden kann, dass Kollisionsnormen in die Auslegung mit einbezogen werden, mit Hilfe derer einer der Regeln der Vorrang zugestanden werden kann. Ein solcher Vorrang kann einerseits unmittelbar dem Grundgesetz zu entnehmen sein56, andererseits kann dieser auch anhand der allgemeinen juristischen Kollisionsregeln bestimmt werden57. Erst wenn auch auf diese Weise keine Auflösung möglich ist, ist endgültig ein Widerspruch zu bejahen: Der Normadressat weiß nicht mehr, wie er sich rechtmäßig verhalten soll, die Stabilisierungsfunktion des Gesetzes und damit dessen Normbefehl gehen verloren. Ein solcher „echter“ Widerspruch wird deshalb vom Klarheitsgrundsatz erfasst58. Bei einem Prinzipienkonflikt handelt es sich hingegen um einen Widerstreit von Optimierungsgeboten. Hier konfligieren zwei Regeln nicht durch gegensätzliche Handlungsanweisungen, von denen nur eine befolgt werden könnte, es __________ 53 Vgl. Sendler, NJW 1998, S. 2876; Jarass, AöR 126 (2001), S. 592; Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 10 III 2. 54 Ausführlich Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 ff. 55 Vgl. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 243 (im Anschluss an Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 46). Felix, a.a.O., S. 245 m.w.N. weist zudem darauf hin, dass es in der Rechtstheorie mittlerweile herrschende Auffassung sei, dass die Bezeichnung „Widerspruch“ eigentlich nicht zutreffe, da Rechtsnormen keine Wahrheitswerte zugeordnet werden können und man deswegen nur von „Normkonflikten“ sprechen könne. Da die staatsrechtliche Literatur aber noch fast durchgängig mit dem Terminus „Widerspruch“ operiert, soll dieser hier beibehalten werden. 56 Hier sind Art. 31 und 70 ff. GG zu nennen. Vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 3 ff.; Jarass, AöR 126 (2001), S. 594 f. 57 Hier kommen im Wesentlichen die drei Regeln „lex specialis derogat legi generali“, „lex posterior derogat legi priori“ und „lex superior derogat legi inferiori“ in Frage. Vgl. zum ganzen Komplex auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 f.; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 9 ff.; Jarass, AöR 126 (2001), S. 596 f.; 603 f. 58 Ebenso BVerfGE 17, 306/314; 25, 216/227; Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 239 ff.; Bumke, ZG 1999, S. 379; Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 10 III 2; Jarass, AöR 126 (2001), S. 597.

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C. Klarheit

bleibt bei unterschiedlichen Wertungen. Dieser Wertungswiderspruch lässt sich durch Auslegung bewältigen, indem man für bestimmte Fallgruppen Vorrangregeln bildet59. Durch einen Prinzipienkonflikt wird der gesetzlichen Normbefehl also nicht in einer Weise unscharf, der im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes problematisch wäre60. Es wird aber selten der Fall sein, dass verschiedene Normen Handlungsanweisungen geben, die sich diametral widersprechen61. Häufiger werden weniger eindeutige Arten normativer Widersprüche in Rede stehen. So ist zum Beispiel denkbar, dass das Zusammenspiel von einzelnen Tatbestandsmerkmalen einer Norm oder von verschiedenen Normen innerhalb eines Regelungskomplexes nur „gestört“ ist62, sich diese aber nicht begriffsnotwendig gegenseitig ausschließen. Eine solche „Störung“ kann bspw. dann gegeben sein, wenn grundlegende Begriffe innerhalb eines Regelungswerks nicht einheitlich verwandt werden, also sprachliche „Inkonsistenz“ vorliegt63. Ein derartig fehlerhaftes Zusammenspiel kann meist ebenfalls durch Auslegung bewältigt werden, in deren Rahmen auch aus sprachlicher Inkonsistenz herrührende divergierende Normbefehle aufeinander abgestimmt werden können. Die Bedeutung der Normauslegung, die auch bei der Prüfung eines Verstoßes gegen den Klarheitsgrundsatz immer den ersten Schritt darstellen muss, tritt somit deutlich hervor. Die Annahme eines Verstoßes erscheint nur dann als gerechtfertigt, wenn der „intra-“ oder „internormative“ Regelungswiderstreit durch diese nicht zu beheben ist, denn erst dann handelt es sich um im Rahmen der gegebenen exekutivischen Entscheidungsspielräume nicht mehr rational reduzierbare „Offenheit“64. __________ 59 Vgl. Bumke, ZG 1999, S. 379; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78 ff.; Jarass, AöR 126 (2001), S. 593; dens., VVDStRL 50 (1991), S. 262. 60 Vgl. Bumke, ZG 1999, S. 379. 61 Jarass, VVDStRL 50 (1991), S. 261 führt als Beispiel eines möglichen Widerspruchs „eine Baumschutzsatzung, die das Fällen von Bäumen verbietet, wenn und soweit das private Nachbarrecht dem Nachbarn einen Anspruch auf das Beseitigen von Bäumen an der Grundstücksgrenze gibt“, an. 62 Formulierung bei Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 120. 63 Ausführlich Braun, VerwArch 76 (1985), S. 47. Zum Begriff der „Inkonsistenz“ vgl. B II 1. 64 Vgl. HbStR V-Kirchhof, § 124 Rn 231 f.: „Gesetzliche Ungereimtheiten verraten mangelnde Beherrschung der Gesetzgebungskunst, begründen aber noch keinen Verstoß gegen das Verfassungsrecht“. Ein enges Verständnis von „Widersprüchlichkeit“ unterstützt auch Denninger, Normsetzung, S. 160. Er nimmt einen Verstoß gegen das Klarheitsgebot erst dann an, „wenn einer gesetzlichen Regelung auch bei lege artis durchgeführter Konkretisierung oder Auslegung objektiv kein vernünftiger eindeutiger Sinn abzugewinnen ist, z. B., weil der Gesetzgeber einander widersprechende Sätze formuliert hat“.

II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes

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„Widerspruchsfreiheit“ kann aber noch in einem weiteren Sinn verstanden werden: Als inhaltliche Abgestimmtheit von Normkomplexen, also als ein System von Grundregeln, das in sich geschlossen ist und als Ganzes verständlich sein muss65. Dieser Problemkreis wird in der Literatur schwerpunktmäßig unter dem Begriff der „Systemgerechtigkeit“ und damit verbunden der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ erörtert. Diese Begrifflichkeiten sollen auch hier als Ausgangspunkt für eine Überprüfung dienen, inwieweit die dahinter stehenden Gedanken ebenfalls als Teilprinzipien eines Klarheitsgrundsatzes verstanden werden können.

2. Systemgerechtigkeit/Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Nach obiger Abstufung der Relevanz gesetzlicher Widersprüchlichkeit für den Klarheitsgrundsatz sollte eigentlich auf der Hand liegen, dass Widersprüche der letztgenannten Art, also solche, die durch mangelnde „Systemgerechtigkeit“ des Rechts bedingt sind und sich in erster Linie aus divergierenden gesetzlichen Wertungen ergeben, nicht unter den Klarheitsgrundsatz fallen, weil sie prinzipiell durch Auslegung zu bewältigen sind und durch sie der Normbefehl des Gesetzgebers nicht unmittelbar verloren geht66. In der Literatur liest man aber, dass das Fehlen eines nachvollziehbaren gesetzlichen Gerüstes systematisch aufeinander abgestimmter Prinzipien dazu führe, dass „praktisch jede Norm unbestimmt und schlimmer unbestimmbar“ sei67. Damit wird die Situation verfassungswidriger gesetzlicher „Offenheit“ angesprochen, die auch Grundlage des Klarheitsgrundsatzes ist. Das Prinzip der „Systemgerechtigkeit“ wird bisher in erster Linie im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG diskutiert68. Eine „Systemwidrigkeit“ kann in diesem Zusammenhang zwar ein Indiz für einen Gleichheitsverstoß liefern. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass der Gesetzgeber von einem selbst gesetzten System jederzeit dann abwei__________ 65

Vgl. Benda, DStZ 1984, S. 162 f.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 563. In diesem Sinne auch Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 74, 97; ders., DÖV 1981, S. 484: „Wertungswidersprüche im Verhältnis unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen sind nicht mit rechtsstaatswidriger Willkür gleichzusetzen“. Sollte ein gesetzlicher Wertungswiderspruch einmal nicht durch Auslegung zu beheben sein, so zieht dies trotzdem nicht die Rechtsfolge der Nichtigkeit nach sich, solange es nicht zu widersprüchlichen Handlungsanweisungen kommt, denn das Gesetz bleibt befolgbar. Vgl. dazu Canaris, Systemdenken, S. 125 ff.; Jarass, AöR 126 (2001), S. 593; Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 10 III 2 m.w.N. 67 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 564. 68 Vgl. zu diesem nur Kischel, AöR 124 (1999), S. 174 ff.; Prokisch, Systemgerechtigkeit, S. 295 ff. 66

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C. Klarheit

chen darf, wenn es dafür einen ausreichenden Grund gibt69. Die Anforderungen des Grundsatzes der „Systemgerechtigkeit“ sind also sehr begrenzt und verfassungsrechtlich außerhalb des Rechtsstaatsprinzips verwurzelt70. Sie sind deshalb von der Klarheitsproblematik zu trennen71. Der Gedanke der „Systemgerechtigkeit“ hat in der jüngeren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine zusätzliche Verschärfung erfahren, die unter dem Schlagwort der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ diskutiert wird72. Das Bundesverfassungsgericht stellte in den sog. „Abfallrechtsentscheidungen“ zur kommunalen Verpackungssteuer73 und landesrechtlichen Abfallabgaben74 im Zusammenhang mit der Ausübung von Steuergesetzgebungskompetenzen folgende Forderung auf: „Das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet alle rechtssetzenden Organe des Bundes und der Länder, die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen“75. Aufgrund __________ 69 Vgl. für viele BVerfGE 85, 238/247; HbStR V-Kirchhof, § 124 Rn 231 f.; Jarass, AöR 126 (2001), S. 595 f. 70 Gegen die Verortung des Gedankens der „Systemgerechtigkeit“ im Rechtsstaatsprinzip spricht sich auch Sobota, Rechsstaat, S. 153 f. m.w.N. aus, die darauf verweist, dass dieser dann auch Art. 79 Abs. 3 GG unterfiele: „Zu dieser Aufwertung sind jedoch weder das Bundesverfassungsgericht noch die Mehrheit der Lehre bereit. Zu Recht wird eine inhaltliche Fesselung der Volksvertretung befürchtet, die zwar im Namen des „Systems“, tatsächlich aber im Interesse von Besitzstandswahrungen durchgesetzt werden könnte“. 71 Im Regelfall erörtern auch Literatur und Verfassungsrechtsprechung diese Fragen ohne Bezug zur Klarheitsproblematik. Vgl. dazu zuletzt Kirchhof, AöR 123 (2003), S. 44 ff.; Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 8 f., jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen. Letztlich behandelt auch Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 563 f. diese Fragen abseits der Bestimmtheits- und Klarheitsproblematik, auch wenn ähnliche Erwägungen herangezogen werden. 72 Diese Begriffsbildung ist vorherrschend, vgl. nur Jarass, AöR 126 (2001), S. 588 ff.; Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 10 III 1; Rodi, StuW 1999, S. 105 ff. Teilweise erfolgt aber auch eine begriffliche Zuordnung zum „Folgerichtigkeitsgebot“ (vgl. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 44 f.; Prokisch, Systemgerechtigkeit, S. 306) oder die Bezeichnung als „bundesstaatliches Kohärenzgebot“ (vgl. Bumke, ZG 1999, S. 377 ff.). 73 BVerfGE 98, 106 ff. 74 BVerfGE 98, 83 ff. 75 BVerfGE 98, 106/118 f. Vgl. dazu mit eingehender Kritik Sendler, NJW 1998, S. 2875 f.; Bumke, ZG 99, S. 376 ff.; Jarass, AöR, 126 (2001), S. 588 ff.; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 1 ff.; Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 10 III 2; Rodi, StuW 1999, S. 109 ff. Zwar betreffen diese Beschlüsse zunächst nur das Verhältnis Bund – Länder, sollen aber nach Ansicht des Berichterstatters P. Kirchhof auch auf die Widerspruchsfreiheit innerhalb der Bundesgesetzgebung übertragbar sein (vgl. Kirchhof, Stbg 98, S. 388). Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat diesen Grundsatz in eingeschränkter Form in der Entscheidung zum Bayerischen Schwange-

II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes

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der verfassungsgerichtlichen Fundierung dieses Gedankens im Rechtsstaatsprinzip ist auch hier eine Zuordnung zur Klarheitsproblematik erwägenswert76. Denkt man den Ansatz des Bundesverfassungsgerichts zu Ende, so würde aus dem Rechtsstaatsprinzip letztlich die Forderung nach einer „Einheit der Rechtsordnung“ abgeleitet und dessen Anwendungsbereich damit nicht unerheblich ausgedehnt77. In der Literatur herrscht aber im Grundsatz Einvernehmen darüber, dass es eine „Einheit der Rechtsordnung“ im Sinne einer „inhaltlichen Gesamtkonzeption“, die ein Verbot von Wertungswidersprüchen umfasst, nicht geben kann78 und diese deshalb auch nicht mit verfassungsrechtlichen Mitteln erzwingbar ist79. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Vorhersehbarkeit der Rechtsordnung durch einen bloßen Wertungswiderspruch nicht beeinträchtigt wird. „Der Bürger kann sich auf die widersprüchliche Situation einstellen, auch wenn sie ihm unsinnig erscheint“80. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Rechtssicherheit gewährenden Ausprägung ist somit nicht betroffen. Dem Gericht ist deshalb zumindest dann nicht zu folgen, wenn es die „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ aus diesem Verfassungsprinzip ableiten will81. Man sollte deshalb trotz der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts die Klarheitsfrage auf gesetzliche Widersprüche im „engen“, oben angedeuteten Sinne reduzieren, weil nur so ein eindeutiger Bezug zu normativer „Offenheit“ gewahrt bleibt. Diese Präzisierung kann auch begrifflich dadurch nachvollzogen werden, dass schon die Bezeichnung „Widerspruch“ ausschließlich für solche Konstellationen reserviert wird82. ___________ renhilfeergänzungsgesetz (BVerfGE 98, 265/301) übernommen. Vgl. dazu Jarass, AöR 126 (2001), S. 590 f. 76 Der Klarheitsgrundsatz wird dementsprechend auch in der Analyse der „Abfallrechtsentscheidungen“ des BVerfG herangezogen, vgl. nur Jarass, AöR 126 (01), S. 597; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 8; Frenz, BB 1999, S. 1850. 77 Vgl. Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 2 f.; Jarass, AöR 126 (2001), S. 594. Beide plädieren deshalb für eine einschränkende Auslegung der Ausführungen des BVerfG. 78 Vgl. Baldus, Einheit der Rechtsordnung, S. 197; Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 363 ff.; Bumke, ZG 1999, S. 381; Degenhart, DÖV 1981, S. 484; Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 10 III 2. 79 So Bumke, ZG 1999, S. 382 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 144 (Fn 509); Sendler, NJW 1998, S. 2876 m.w.N. 80 Bumke, ZG 1999, S, 382. Ähnlich Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 244, 252. 81 Diese Problematik kann im Rahmen dieser Untersuchung letztlich nur angerissen werden. Die hier gezogene Schlussfolgerung entspricht aber der Ansicht eines großen Teiles der Literatur. Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen bei Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 10 III 2; Rodi, StuW 1999, S. 108 ff.; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 7 f.; Sacksofsky, Umweltschutz durch nicht-steuerliche Abgaben, S. 248 ff. 82 Ähnlich Jarass, AöR 126 (2001), S. 592 f., der zwischen „Normwidersprüchen“ und „Normdivergenzen“ unterscheidet.

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C. Klarheit

Die Ablehnung der verfassungsrechtlichen Forderung nach einer „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ bedeutet aber nicht, dass nicht zumindest den Topoi der „Systemgerechtigkeit“ bzw. „Folgerichtigkeit“ verfassungsrechtliche Bedeutung zukäme. Mit dem Gleichheitsgrundsatz steht aber ein probates und dogmatisch ausdifferenzierteres Mittel zur Verfügung, mit dem der Gesetzgeber zur folgerichtigen Entwicklung gesetzlicher Grundkonzeptionen angehalten werden kann und das im Steuerrecht auch weidlich für diese Aufgabe genutzt wird83. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Klarheitsgrundsatz ein Gebot gesetzlicher Widerspruchsfreiheit nur dort konstituiert, wo aufgrund „defizitärer“ Gesetzesgestaltung der Normbefehl unmittelbar zu entfallen droht, sei es durch sprachlogische Widersprüche oder durch nicht auflösbare Regelkonflikte. Prinzipien- bzw. Wertungskonflikte innerhalb eines oder im Zusammenspiel mehrerer Gesetze unterfallen dem Klarheitsgrundsatz hingegen nicht.

3. Übersichtlichkeit Neben dem Gedanken der „Widerspruchsfreiheit“ tritt als weiterer dem Klarheitsgrundsatz zuzurechnender Hauptbestandteil die Forderung nach „Übersichtlichkeit“, „Überschaubarkeit“ bzw. „Transparenz“ der Rechtsordnung84. Verfassungsrechtlich unzulässige „Offenheit“ soll in diesem Fall daraus resultieren, dass die Rechtslage aufgrund des großen Umfanges bzw. der besonderen Art und Weise der gesetzlichen Regelung nicht mehr erkennbar ist85, aber nicht notwendigerweise wegen der Widersprüchlichkeit des Normbefehls. Dies wird häufig das Zusammenspiel ganzer Normkomplexe und weniger einzelne Normen betreffen86. Es handelt sich also um ein kognitives Problem, das aus nor__________ 83 Vgl. zum „Folgerichtigkeitsgebot“ im Steuerverfassungsrecht zuletzt Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 8 f. und Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 44 ff., beide mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen. 84 Diese Begriffe bezeichnen der Sache nach denselben Teilaspekt des Klarheitsgrundsatzes und sind als Synonyme zu verstehen. Vgl. bspw. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119 f. (Übersichtlichkeit, Transparenz); Geitmann, Offene Normen, S. 28 (Übersichtlichkeit); Huber, ZG 1990, S. 358 (Überschaubarkeit); Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554 ff. (Übersichtlichkeit); Maurer, Staatsrecht I, § 8, Rn 48 (Übersichtlichkeit). 85 Vgl. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 119 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554 ff. 86 Dieser „internormative“ Aspekt des Klarheitsgrundsatzes wurde zuletzt vom BVerfG stark betont, vgl. nur BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 107: „Soweit die praktische Bedeutung einer Regelung vom Zusammenspiel der Normen unterschiedlicher Regelungsbereiche abhängt, müssen die Klarheit des Norminhalts und die Voraussehbarkeit der Ergebnisse gerade auch im Hinblick auf dieses Zusammenwirken gesichert sein“. Vgl. auch schon BVerfGE 108, 52/75.

II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes

197

mativer Komplexität bzw. Kompliziertheit resultiert und das im Unterschied zur Widerspruchsproblematik nicht primär den Inhalt, sondern in erster Linie die Form der Regelung betrifft. Dass grundsätzlich eine Situation denkbar ist, in der der Normbefehl des Gesetzes durch übergroße Regelungsdichte verloren gehen kann, zeigt schon die bereits angestellte Überlegung, dass es möglich ist, eine Regelung innerhalb eines vorgegebenen Sachbereichs prinzipiell grenzenlos auszudifferenzieren87. Irgendwann muss dann einmal der Punkt erreicht sein, ab dem diese nicht mehr intellektuell erfassbar ist. Dieser Aspekt des Klarheitsgrundsatzes ist aber in der Rechtsanwendung ausgesprochen schwierig handhabbar zu machen. Es beginnt schon mit der Adressatenfrage: Für die Beurteilung, ab wann ein Gesetz eine solche Komplexität und/oder Kompliziertheit erreicht, dass sein Inhalt nicht mehr fassbar ist und damit der Normbefehl verloren geht, kommt es wesentlich auf die jeweiligen intellektuellen Fähigkeiten des Rechtsanwenders an. Bei einem mit der speziellen Materie vertrauten Juristen ist die Erreichung dieses Zustandes fast nicht denkbar. Anders wird wiederum die Beurteilung eines unter Klarheitsgesichtspunkten problematischen Normkomplexes ausfallen, wenn dieser aus dem Blickwinkel des zwar durchschnittlich intellektuell befähigten, aber mit der Materie nicht befassten Bürgers betrachtet wird88. Um eine andere Konstellation handelt es sich, wenn zusätzlich zur Komplexität und Kompliziertheit gesetzliche Widersprüche auftreten, was durchaus der Fall sein kann, denn deren Wahrscheinlichkeit steigt mit steigendem Komplexitäts- und Kompliziertheitsgrad. Dann gelten die zur Widerspruchskomponente des Klarheitsgrundsatzes dargestellten Grundsätze. Die beiden hier herausgearbeiteten Hauptproblematiken im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes können deshalb zwar theoretisch getrennt werden, werden aber in der Praxis auch gemeinsam auftreten. Letztlich ist die Klarheitsproblematik mit ihren inhaltlichen und formalen Aspekten deshalb nicht so heterogen, wie es zunächst den Anschein hat. Dies rechtfertigt es auch, den Klarheitsgrundsatz einheitlich zu betrachten und nicht weiter, obgleich dies theoretisch denkbar wäre, in „inhaltliche“ und „formale“ Unklarheit zu untergliedern. Inhaltliche und formale Elemente greifen oftmals ineinander. Das Grundresultat fehlender gesetzlicher Klarheit, nämlich unzulässige gesetzliche „Offenheit“ aufgrund „defizitärer“ Gesetzesgestaltung, ist in jedem Fall gleich89. __________ 87

Vgl. C I 2. Auf die Adressatenproblematik im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes wird unter C IV 3 vertieft eingegangen. 89 Ähnlich Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 549. 88

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C. Klarheit

Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen zur Übersichtlichkeits- und Transparenzproblematik im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes wird auch deutlich, dass und warum die verbreitete Klage über die „Normenflut“ oder den „Niedergang der Gesetzgebungskunst“ verfassungsrechtlich schwer festzumachen ist, wenn sie unabhängig von konkreten Normdefiziten erhoben wird90. Der Klarheitsgrundsatz wäre zwar tauglicher Ansatzpunkt für die Beurteilung und Sanktionierung solch gesetzgeberischer Praktiken91, ist aber gerade in diesem Punkt, wie gezeigt, schwierig zu konkretisieren. Man sollte sich der Erkenntnis stellen, dass „schlechte“ Gesetzgebung nur teilweise verfassungsrechtlich problematisch ist, nämlich dort, wo sie zu einem vollständigen Verlust der gesetzlichen Steuerungsfunktion führt. Mit verfassungsrechtlichen Mitteln kann sie deshalb auch nur in diesem Zusammenhang bekämpft werden92.

4. Normenwahrheit In letzter Zeit hat auch der sog. Grundsatz der „Normenwahrheit“ verstärkt an Bedeutung gewonnen, der vereinzelt der Klarheitsproblematik zugerechnet wird93 und deshalb auch hier kurz betrachtet werden soll. Dieser besagt zum einen, dass der Gesetzgeber sich nachträglich an den von ihm getroffenen erkennbaren Entscheidungen messen lassen muss94. Ein „Nachschieben“ von Gründen außerhalb eines gesetzgeberischen Willensbildungsverfahrens ist somit nicht statthaft95. Dies bedeutet gleichzeitig, dass der Gesetzgeber seine Absichten offen legen muss und nicht verschleiern darf96. Die Bezeichnung „Nor__________ 90 Sobota, Rechtsstaat, bezeichnet diese S. 152 m.w.N. als „apokalyptischen Teil“ vieler Ausführungen zum Zustand des Rechtsstaats. Vgl. dazu auch C V 2 a). 91 Insofern ist der Behauptung von Sobota, dass kein Rechtsstaatsmerkmal ersichtlich sei, „das über die bekannten Rechtsstaatselemente hinaus die beanstandeten Erscheinungen normativ qualifizieren könnte“ (Rechtsstaat, S. 152), zu widersprechen. 92 Sobota, Rechtsstaat, verweist S. 152 m.w.N. darauf, dass Klagen über den Niedergang der Gesetzgebungskunst so alt sind „wie die Staatslehre überhaupt“. Allein diese Tatsache relativiert schon die stetige Behauptung eines solchen „Niedergangs“. 93 Vgl. zuletzt BVerfGE 2 BvL 9/98 vom 19.3.2003, Abs. 40 ff.; Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 15. 94 Vgl. Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3, S. 15 (im Anschluss an BVerfGE 2 BvL 9/98 vom 19.3.2003). Ausführlich zu diesem Teilaspekt auch Wernsmann, NVwZ 2000, S. 1360 ff.; ders., Verhaltenslenkung, § 15 II 3. Teilweise anders geht der erste Senat des BVerfG vor, vgl. BVerfG NJW 1998, S. 1776. Dazu Wernsmann, NVwZ 2000, S. 1360 ff. 95 Vgl. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 48; Osterloh, DStJG 24 (2001), S. 396. Differenzierend Wernsmann, Verhaltenslenkung, § 15 II 3. 96 Dies geschah beispielsweise durch die zeitweise im PBefG angeordnete Genehmigungspflichtigkeit für die Beförderung öffentlich vermittelter Mitfahrer durch Mitfahrzentralen, die der Gesetzgeber mit dem Schutz vor unzuverlässigen Fahrern begründete. Der Genehmigungsvorbehalt war dabei denkbar weit gefasst und dessen Voraussetzun-

II. Elemente eines Klarheitsgrundsatzes

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menwahrheit“ hat also in erster Linie im Rahmen des letztgenannten Teilaspektes ihre Berechtigung. Die Frage nach der Zulässigkeit eines „Nachschiebens“ von Gründen erlangt vor allem bei der Feststellung eines rechtfertigenden Zwecks im Rahmen einer Grundrechtsprüfung Relevanz97. Beim Verbot der Verschleierung legislativer Absichten aber handelt es sich um eine originär rechtsstaatlich gelagerte Problematik, die folglich auch im Rahmen dieser Untersuchung von Interesse ist: Eine solche Verschleierung von Absichten lässt sich am besten über normative „Offenheit“ bewirken, und so kann die Wahrheits- sowohl die Klarheits- als auch die Bestimmtheitsproblematik betreffen, je nachdem welche Gestalt diese gesetzliche „Offenheit“ im konkreten Fall annimmt. Gemeinsam ist allen drei Grundsätzen, dass sie sich durch ihre teilweise Verwurzelung im Rechtsstaatsprinzip in ihrer verfassungsrechtlichen Beurteilung streckenweise überschneiden. Aufgrund des Elementes der „Unlauterkeit“ des gesetzgeberischen Vorgehens ist die Wahrheitsproblematik aber letztlich von Klarheits- und Bestimmtheitsfragestellungen zu trennen: Der Unterschied zur Klarheitsproblematik besteht darin, dass es sich nicht um planwidrige „Offenheit“ handelt, sondern der Gesetzgeber diese zur Verschleierung seiner Absichten bewusst einsetzt. Die Bestimmtheitsproblematik hingegen ist deshalb von der Wahrheitsfrage zu trennen, weil der Gesetzgeber bei letzterer zwar normative „Offenheit“ ebenfalls planvoll einsetzt, aber dadurch keinen Optimierungskonflikt entscheiden will, sondern unlauter vorgeht. Der Bestimmtheitsgrundsatz behandelt mithin „gute“ planvolle Offenheit, der Wahrheitsgrundsatz „schlechte“. Aufgrund dieser teilweise anders gelagerten Problemstellung wird auf den Grundsatz der „Normenwahrheit“ hier nicht weiter eingegangen98. ___________ gen dem Gesetz so gut wie nicht zu entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 17, 306 ff.) nahm hier schon deshalb einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip an, weil die Regelung in Wirklichkeit „zum Schutze der öffentlichen Verkehrsträger, namentlich der Deutschen Bundesbahn“ (S. 317) erlassen worden war, diese Zielsetzung aber nicht offen zugegeben wurde und im Gesetz nicht zum Ausdruck kam: „Jedenfalls verstößt eine solche der Sachlage zuwiderlaufende Gesetzesgestaltung, die die wahren Absichten des Gesetzgebers verschleiert, gegen das Rechtsstaatsprinzip; sie hält sich nicht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und ist deshalb nichtig“ (S. 318). Eine ähnliche Problematik ergab sich in letzter Zeit bei den in BadenWürttemberg angeordneten universitären Rückmeldegebühren, deren Höhe nicht mit den tatsächlichen Verwaltungskosten zu rechtfertigen waren. Vgl. dazu BVerfGE 2 BvL 9/98 vom 19.3.2003, Abs. 63 ff. 97 Vgl. die Darstellung bei Wernsmann, NVwZ 2000, S. 1360 ff.; dems., Verhaltenslenkung, § 15 II 3. 98 Fragen der Normenwahrheit werden häufiger aktuell, als man es in einem Rechtsstaat eigentlich glauben möchte. Im Steuerrecht betrifft dies besonders § 2b EStG: In Bezug auf diese Norm wird zuweilen die Vermutung geäußert, dass sie der Gesetzgeber deshalb so „offen“ abgefasst habe, damit eine unsichere Rechtslage entsteht, die schon als solche von der Nutzung von „Steuersparmodellen“ abschreckt. Vgl. dazu D IV.

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C. Klarheit

5. Weitere Aspekte Klarheitsfragen werden in der Literatur häufig auch in Bezug auf spezielle Anwendungsfälle diskutiert, auf die an dieser Stelle zumindest hingewiesen werden soll. Dies betrifft in erster Linie das Gebot der Kompetenzklarheit und das Gebot der eindeutigen Verweisungen99. Das Gebot der Kompetenzklarheit bezeichnet die rechtsstaatlich begründete Pflicht des Gesetzgebers, erkennbar zu entscheiden, welche staatliche Stelle unter welchen Umständen zuständig ist100. Damit ist auch der Aspekt staatlicher Transparenz und der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit staatlicher Machtäußerungen angesprochen, so dass die Einschätzung zutrifft, dass Überschneidungen mit der Bestimmtheits- und Klarheitsproblematik bestehen101. Von der Klarheitsproblematik ist diese Frage aber deshalb im Endergebnis zu unterscheiden, weil sich das Gebot der Kompetenzklarheit auch auf verwaltungsinterne organisatorische Maßnahmen bezieht, also einen größeren Anwendungsbereich als der hier skizzierte Klarheitsgrundsatz besitzt, sowie eine Reihe von Verfassungsnormen wie Art. 1 Abs. 1 GG und das republikanische Prinzip betrifft, die im Rahmen der Klarheitsfrage keine Rolle spielen102. Die Problematik gesetzlicher Verweisungen ist jedoch dem Klarheitsgrundsatz zuzuordnen. Dies betrifft zumindest die Anforderung, dass Verweisungen eindeutig zu erfolgen haben, d.h. dass diese hinreichend klar erkennen lassen müssen, welche Vorschriften im Einzelnen gelten103. Im Wesentlichen handelt es sich um einen speziellen Anwendungsfall der Übersichtlichkeitskomponente des Klarheitsgrundsatzes, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann104. Bzgl. der Frage, ob dynamische Verweisungen rechtmäßig sind, also Verweisungen auf Rechtsnormen in ihrem jeweils gültigen Bestand, müssen jedoch teilweise überaus komplexe demokratie- und bundesstaatliche __________ 99

Auf das teilweise ebenfalls der Klarheitsproblematik zugeordnete Verkündungsgebot für Rechtsnormen (vgl. nur JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 66, Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 123) wird aufgrund seines mehrheitlich anerkannten eigenständigen Charakters hier nicht weiter eingegangen. Vgl. dazu aber Sobota, Rechtsstaat, S. 140 ff. 100 Vgl. Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 130; Sobota, Rechtsstaat, S. 139 f. Vgl. dazu zuletzt BVerfGE 108, 169/181 ff. 101 Vgl. Sobota, Rechtsstaat, S. 139. Vgl. auch BVerfGE 108, 169/181 f. 102 Vgl. dazu im Einzelnen Sobota, Rechtsstaat, S. 139 f. 103 Vgl. BVerfGE 5, 25/31 f.; 8, 275/302; 22, 330/346; 92, 191/197 f.; BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 107, 131 ff.; JP-Jarass, GG, Art. 20 Rn 64; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 123; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 131. 104 Vgl. C II 3. Die Problematik gesetzlicher Verweisungen wird sogar als Hauptanwendungsfall der Übersichtlichkeitskomponente qualifiziert werden müssen, wenn man die Rechtsprechung des BVerfG betrachtet. Vgl. zuletzt nur BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 131 ff.

III. Der Klarheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des BVerfG

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Fragestellungen bewältigt werden. Diese Problematik geht dann über reine Erwägungen zur Gesetzesklarheit hinaus105.

III. Der Klarheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des BVerfG 1. Allgemeines Bei der Betrachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Klarheitsgrundsatz steht man vor der Schwierigkeit, dass dieser vom Gericht begrifflich selten als solcher identifiziert wird106. Vor allem die Verwendung der Begriffe „Bestimmtheit“ und „Klarheit“ geht als solche fast ununterscheidbar ineinander über107. Mal werden mit „Klarheit“ Bestimmtheitsanforderungen bezeichnet108, mal mit „Bestimmtheit“ Klarheitsanforderungen109, mal ist im Zusammenhang mit Klarheitsfragen nur die Rede von „rechtsstaatlichen Grundsätzen“110. Der Umgang mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wird durch diese unsichere Begriffsverwendung nicht unerheblich erschwert. Eine genaue Zuordnung einer Entscheidung zur Klarheitsproblematik kann nur in Ansehung der Umstände des konkreten Falles erfolgen, also fast ausschließlich „der Sache nach“. Die folgende Darstellung löst sich deshalb von der gerichtlichen Terminologie und orientiert sich an der hier entwickelten Begriffsbildung. Dass das Gericht gewillt ist, Klarheitsanforderungen aufzustellen und durchzusetzen, legte es bereits in einer seiner ersten Entscheidungen dar: „Wenn die Fassung eines Gesetzes seinen wirklichen Gehalt nicht zum Ausdruck bringt, wenn sie missverständlich oder irreführend ist, oder wenn das Gesetz in sich widerspruchsvoll ist, kann es wegen Widerspruchs mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nichtig sein“111. Auch wenn das Gesetz im konkreten Fall noch für verfassungsgemäß gehalten wurde, so lassen sich in der Geschichte der bundesrepublikanischen Verfassungsrechtsprechung doch zuweilen Fälle ausmachen, in denen Gesetze wegen Verstoßes gegen den Klarheitsgrundsatz tatsächlich für __________ 105

Vgl. MK-Gubelt, GG, Art. 30 Rn 21; JP-Pieroth, GG, Art. 20 Rn 65; MKS-März, GG, Art. 30 Rn 29 ff.; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 132 m.w.N. 106 Vgl. B I 2; C I 1. 107 So auch die Einschätzung von Osterloh, Gesetzesbindung, S. 110 (Fn 4). 108 BVerfGE 31, 255/264; 37, 132/142; 45, 400/420; 65, 1/44; 93, 213/238 f.; 103, 21/33. 109 BVerfGE 17, 67/82. 110 BVerfGE 1, 14/45; 5, 25/31; 17, 67/82. 111 BVerfGE 1, 14/16, Leitsatz 14 („2. Neugliederungsgesetz“). Ausführlich dazu Geitmann, Offene Normen, S. 61 f., der die Formulierung des Leitsatzes als nicht den Ausführungen im Urteil entsprechend kritisiert.

202

C. Klarheit

verfassungswidrig erklärt wurden. Diese betreffen in erster Linie die Problematik gesetzlicher Verweisungen112 und seltener als defizitär zu qualifizierende Formulierungen113. Während das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz bisher so gut wie nie annahm und die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe fast durchgängig billigte114, ist es folglich mit der Durchsetzung von Klarheitsanforderungen etwas besser bestellt. Aber auch beim Klarheitsgrundsatz lässt sich nicht leugnen, dass zwischen gerichtlichem Anspruch und tatsächlicher Durchsetzung in der Rechtsprechungspraxis eine Lücke klafft. Dies betrifft insbesondere das Steuerrecht. Lange Zeit war eine große Zurückhaltung des Gerichts spürbar, Klarheitsanforderungen auch in diesem Rechtsgebiet durchzusetzen. Es kam zwar gelegentlich zu richterlichen Drohungen in Richtung Gesetzgeber115, die aber letztlich nichts daran änderten, dass es das Gericht bisher versäumte, den Klarheitsgrundsatz speziell für das Steuerrecht zu konturieren116. Diese verfassungsgerichtliche Zurückhaltung traf sogar streckenweise auf das Wohlwollen der Literatur117. Im Unterschied zur Situation beim Bestimmtheitsgrundsatz scheint sich aber ein echter Rechtsprechungswechsel anzudeuten: In den letzten Jahren ist bei beiden Senaten des Gerichts die Tendenz erkennbar, dem Klarheitsgrundsatz auch im Steuerrecht Formen zu verleihen. Dafür stehen zwei Entscheidungen, die im Folgenden ausführlicher betrachtet werden sollen.

__________ 112 BVerfGE 5, 25/31 ff. (Apothekenstopp); 21, 312/323 f.; BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 131 ff. 113 Vgl. aber BVerfGE 17, 306/313 ff. (Mitfahrzentralen). Das Gericht erklärte § 1 Abs. 2 Nr. 1 PBefG a.F. zwar auch wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Bestimmtheit und Normenwahrheit für verfassungswidrig, stützte sich dabei aber ebenfalls auf Klarheitserwägungen. Das häufig als Beispiel für die Durchsetzung von Klarheitsanforderungen angeführte „Volkszählungsurteil“ (vgl. dazu Bäumler, JR 1984, S. 362 ff.) betrifft hingegen eher eine Bestimmtheitsproblematik (vgl. dazu BVerfGE 65, 1/44). 114 Dies betrifft zumindest den Bereich des ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes. Vgl. aber jetzt BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 102 ff. Auf die sich andeutende Verschärfung der Rechtsprechung zu Art. 103 Abs. 2 GG wurde bereits unter B III 3 hingewiesen. 115 Vgl. Benda, DStZ 1984, S. 162. 116 So auch die Einschätzung von Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 489. 117 Vgl. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 110 (Fn 4) m.w.N.: „Wichtiger ist es m.E. zu unterscheiden zwischen einerseits Bestimmtheitsanforderungen (...) und schließlich stilistischen Anforderungen an die zweckmäßige (oder optimale) sprachliche Darstellungsform, die zwar nach zunehmender Ansicht auch Gegenstand verfassungsrechtlicher Sorgfaltspflichten des Gesetzgebers sein sollen, deren in der modernen Gesetzgebung verbreitete Vernachlässigung das BVerfG jedoch aus m.E. guten Gründen bisher nicht sanktioniert hat“.

III. Der Klarheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des BVerfG

203

2. BVerfG vom 10.11.1998 (BVerfGE 99, 216) Erste Anzeichen, dass das Bundesverfassungsgericht gewillt ist, dem Klarheitsgrundsatz auch im Steuerrecht Konturen zu verschaffen, finden sich in der Entscheidung des zweiten Senats vom 10.11.1998. Hier werden die §§ 33c Abs. 1 bis 4 und 32 Abs. 7 EStG a.F. wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 GG für verfassungswidrig erklärt, soweit sie die in ehelicher Gemeinschaft lebenden, unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern vom Abzug der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit bzw. von der Gewährung des Haushaltsfreibetrags ausschließen118. Der Gesetzgeber wird zu einer gesetzlichen Neuregelung verpflichtet. Bei der Formulierung des Reformauftrags stellt das Gericht dann Pflichten auf, die als Versuch einer Effektuierung des Klarheitsgrundsatzes in seiner oben herausgearbeiteten Form auch im Steuerrecht verstanden werden können, also als verfassungsrechtliche Anforderung an die Einfachheit und Verständlichkeit einer Regelung119: „Soweit das Familienexistenzminimum sich nach personenbezogenen Daten wie Familienstand, Anzahl der Kinder und Alter bestimmt, muss – nach dem rechtsstaatlichen Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit – dieser Tatbestand so gefasst werden, dass die bloße Angabe dieser Daten die Anwendung des Gesetzes möglich macht“120. In den Entscheidungsgründen heißt es dazu weiter: „Das rechtstaatliche Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit von Steuerlasten und die Besteuerungsgleichheit fordern eine Einfachheit und Klarheit der gesetzlichen Regelungen, die es dem nicht steuerrechtskundigen Pflichtigen erlauben, seinen – strafbewehrten (§ 370 AO) – Erklärungspflichten sachgerecht zu genügen. Soweit ein Steuertatbestand sich nach personenbezogenen Daten wie Familienstand, Anzahl der Kinder und Alter bestimmt, kann der steuererhebliche Tatbestand so definiert werden, dass die bloße Angabe dieser Daten die Anwendung des Gesetzes möglich macht“121.

__________ 118

Vgl. BVerfGE 99, 216/218. Ebenso Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Nachtrag zu Rn 489 (S. 533); Sandrock, Verständlichkeit, S. 801 f. 120 BVerfGE 99, 216/217. 121 BVerfGE 99, 216/243. Das Bundesverfassungsgericht knüpft im Fortgang ausdrücklich an Gedanken an, die bereits in BVerfGE 96, 1/6 f. folgendermaßen ausformuliert wurden: „Außerdem kann ein vereinheitlichter Entlastungstatbestand des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs dazu dienen, komplizierte Lebenssachverhalte übersichtlicher und verständlicher zu machen, um so den steuerlichen Belastungsgrund zu verdeutlichen und in das Bewusstsein zu rücken“. 119

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C. Klarheit

3. BVerfG vom 9.4.2003 (BVerfGE 108, 52) Die große Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht dem Klarheitsgrundsatz mittlerweile zumisst, wurde zuletzt im – auch das Steuerrecht betreffenden – Beschluss vom 9.4.2003 deutlich: Hier wird § 1612 Abs. 5 BGB, der unter bestimmten Umständen die Anrechnung von Kindergeld auf den Kindesunterhalt versagt, zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungsgemäß angesehen. Das Bundesverfassungsgericht verbindet diese Feststellung aber mit einem Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber122, der in den Leitsätzen folgendermaßen dargelegt wird: „Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG gebietet dem Gesetzgeber, bei der von ihm gewählten Ausgestaltung eines Familienleistungsausgleichs Normen zu schaffen, die auch in ihrem Zusammenwirken dem Grundsatz der Normenklarheit entsprechen. Dem genügen die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtung immer weniger“123. In den Entscheidungsgründen wird ein Gedanke sehr deutlich herausgestellt, der in der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts zum Klarheitsgrundsatz, an die im Übrigen ausdrücklich angeknüpft wird124, bis dato nicht so deutlich ausgeführt wurde: „Soweit die praktische Bedeutung einer Norm für den Normunterworfenen nicht nur von der Geltung und Anwendung einer Einzelnorm abhängt, sondern vom Zusammenspiel von Normen unterschiedlicher Regelungsbereiche, hier des Kindergeld-, Unterhalts-, Steuer- und Sozialhilferechts, müssen die Klarheit des Norminhalts und die Voraussehbarkeit der Ergebnisse der Normanwendung gerade auch im Hinblick auf dieses Zusammenwirken gesichert sein“125. Nach der generellen Feststellung, dass die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihren sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtungen diesen Grundsätzen immer weniger genügen, arbeitet das Gericht ausführlich heraus, an welchen Punkten Rechtsunsicherheiten bestehen126. Im Zusammenhang mit __________ 122 Die verfassungsrechtlich bedenkliche Rechtslage hatte bereits der Bundestag erkannt, der die Bundesregierung in einer Entschließung gebeten hatte, das Unterhaltsrecht insbesondere hinsichtlich der Abstimmung seiner Inhalte mit sozial- und steuerrechtlichen Parallelregelungen zu überprüfen sowie Vorschläge für eine Neuregelung einzubringen (vgl. BT-Drucks. 14/3781, S. 3). Das Bundesverfassungsgericht konnte sich dementsprechend auf die Feststellung beschränken, dass diese Forderung des Bundestags auch verfassungskräftig sei, und von einer Verfassungswidrigkeitserklärung absehen (BVerfGE 108, 52/77). Vgl. zu diesen sog. „Appell-Entscheidungen“ des BVerfG Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz, S. 37 ff. 123 BVerfGE 108, 52/53 (Leitsatz 2). 124 Vgl. die Nachweise in BVerfGE 108, 52/75. 125 BVerfGE 108, 52/75. 126 BVerfGE 108, 52/75 ff.

IV. Klarheitsgrundsatz und Verfassungsrecht

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dem Steuerrecht wird ausdrücklich bemängelt, dass nicht erkennbar sei, „inwieweit das Kindergeld in seiner Doppelfunktion als Sozial- und gleichzeitig steuerliche Ausgleichsleistung Steuergerechtigkeit herstellen soll und welcher Anteil hiervon staatliche Familienförderung ist“127. Es erscheint nicht übertrieben, in den sehr ausführlichen und deutlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts den Fingerzeig und die Warnung an den Gesetzgeber zu sehen, dass es immer weniger gewillt ist, der fortschreitenden Unübersichtlichkeit der Rechtsordnung tatenlos zuzusehen. Es steht zu vermuten, dass es in Zukunft häufiger nicht nur bei einem „Hinweis“ des Gerichts bleiben wird, sondern dieses dem Klarheitsgrundsatz eine noch größere Rolle einräumen bzw. seine Anforderungen in Bezug auf diesen verschärfen und durchsetzen wird128. Der in BVerfGE 99, 216 für das Steuerrecht eingeschlagene Weg wird also mit dem Beschluss vom 9.4.2003 konsequent fortbeschritten. Dass das Gericht mit der Anmahnung einer Rückbesinnung auf die gesetzgeberischen Tugenden der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit eine Forderung aufgestellt hat, die zumindest rechtspolitisch für sinnvoll erachtet wird, bezeugt das enorme und durchweg positive Presseecho auf diesen Beschluss129.

IV. Klarheitsgrundsatz und Verfassungsrecht Aufgrund der nun gewonnenen Erkenntnisse zu Inhalt, Gestalt und Grenzen des Klarheitsgrundsatzes und des Nachweises seiner prinzipiellen Anerkennung und Durchsetzung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollen jetzt seine verfassungsrechtliche Determinanten noch einmal näher betrachtet werden. Schon bei der entsprechenden Untersuchung des Bestimmtheitsgrundsatzes hat sich gezeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, ungeschriebene Verfassungsgrundsätze an geschriebene Verfassungsnormen oder an dogmatisch bereits stärker konturierte ungeschriebene Verfassungsinstitute rückzukoppeln, und dass dies einen erheblichen dogmatischen Stringenz- und Präzisionsgewinn nach sich ziehen kann. Auch im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes erscheint eine solche Untersuchung als angebracht, sind doch viele der Betrachtungen des Grundsatzes in der rechtswissenschaftlichen Literatur in diesem Punkt wenig __________ 127

BVerfGE 108, 52/75 f. Die Entscheidungspraxis des letzten Jahres bestätigt diesen Befund, vgl. nur BVerfGE 108, 169/178 ff.; BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 102 ff. 129 Siehe z. B. die Kommentare und Berichte in der SZ vom 6.8.2003 („Ratlos vor dem Recht“) und der FAZ vom 6.8. („Klarheit“, „Verfassungsgericht fordert Normenklarheit“) und 16.8.2003 („Im Gesetzesdschungel“). 128

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C. Klarheit

ausführlich130. Es verwundert nicht, dass unpräzise Ansatzpunkte dann auch häufig zu wenig aussagekräftigen Resultaten führen. Wie bereits gezeigt, spielen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Klarheitsgrundsatzes ähnlich wie beim Bestimmtheitsgrundsatz im Rechtsstaatsprinzip fußende Elemente eine große Rolle. Fraglich und somit untersuchungsbedürftig ist aber in erster Linie, ob sich ein Klarheitsgrundsatz darüber hinaus auch aus weiteren verfassungsrechtlichen Instituten und Prinzipien ableiten lässt, die nur teilweise dem Rechtsstaatsprinzip zugehörig sind (1.). Mit der Untersuchung der verfassungsrechtlichen Determinanten des Klarheitsgrundsatzes hängt die Frage zusammen, ob und wie gesetzliche Unklarheiten gerechtfertigt werden können (2.). Zudem muss erneut auf die bereits vom Bestimmtheitsgrundsatz bekannte Adressatenproblematik eingegangen werden (3.).

1. Verfassungsrechtliche Determinanten Dass das Rechtsstaatsprinzip im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Klarheitsgrundsatzes entscheidende Bedeutung erlangt, zeigt sich schon an der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das den Grundsatz seit jeher in diesem Verfassungsprinzip verortet131. Auch die Literatur sieht hier den grundsätzlichen Ansatzpunkt132. Nun wurde bereits dargelegt, dass es sich beim Rechtsstaatsprinzip um ein sehr heterogenes Staatsstrukturprinzip handelt, das eine Reihe höchst unterschiedlicher Rechtsfiguren umfasst und deshalb als solches über seinen heuristischen Wert hinaus nur bedingt tauglich zur dogmatischen Ausdifferenzierung bisher unscharf gebliebener verfassungsrechtlicher Phänomene ist133. Dementsprechend wird man um eine weitere Präzisierung nicht umhin kommen. Soweit die verfassungsrechtlichen Determinanten des Klarheitsgrundsatzes in Literatur und Rechtsprechung weiter spezifiziert werden, liest man mehrheitlich, dass sich die Klarheitsforderung aus dem Rechtssicherheitsprinzip rechtfertige134, speziell dem Gedanken der Orientie__________ 130

Vgl. nur Peine, Systemgerechtigkeit, S. 260; Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 74 f. 131 Schon BVerfGE 1, 14/45 nimmt Bezug auf Art. 20 Abs. 3 GG und die hier verankerten „rechtsstaatlichen Grundsätze“. Ebenso BVerfGE 5, 25/31; 14, 13/16; 21, 312/324; 25, 216/226 f.; 31, 255/264; 59, 104/106; 62, 169/182 f.; 65, 1/54; 73, 206/234 f.; 80, 103/108; 108, 52/53 (Leitsatz 2). 132 Vgl. für viele Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Art. 20 Rn 132; Busch, Verhältnis, S. 141; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 488; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 46, 52 f.; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 260. 133 Vgl. B IV 2 a). 134 Vgl. BVerfGE 5, 25/31; 14, 13/16; 21, 312/324. Ausführlich dazu in der Literatur Herschel, JZ 1967, S. 728 ff. Ebenso Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn 122; Gassner, Ge-

IV. Klarheitsgrundsatz und Verfassungsrecht

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rungssicherheit, die das Recht gewährleisten müsse, wolle es überhaupt den Charakter von „Recht“ annehmen135. Dazu schreibt Barth: „Damit überschneiden sich die Auswirkungen fehlender gesetzlicher Klarheit mit den Auswirkungen fehlender gesetzlicher Bestimmtheit, die gegeben sein kann, wenn das Gesetz dem Rechtsanwender oder Gesetzesadressaten de facto die Entscheidung durch die Verwendung unbestimmter oder wertungsausfüllungsbedürftiger Begriffe (...) überlässt. In beiden Fällen weiß der Gesetzesadressat nicht, welches Verhalten von ihm erwartet wird: Bei fehlender Bestimmtheit, weil die Norm die Verhaltenspflichten nicht genau genug umschreibt, bei fehlender Klarheit, weil wegen Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten der gesetzlichen Normierung sowohl das eine als auch das andere Verhalten rechtmäßig sein kann“136. Letztlich kann hier auf die im Rahmen der Betrachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes und auf die zu Beginn dieses Kapitels angestellten Überlegungen zum Rechtssicherheitsprinzip verwiesen werden137. Verfassungsrechtliche Relevanz entfaltet in diesem Zusammenhang auch der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes: Widersprüchliche oder unklare Gesetze erschweren den Normvollzug durch die Verwaltung, die ihrer Gesetzesgebundenheit deshalb u.U. nicht mehr gerecht werden kann138. Der grundsätzliche Verfassungsrang des Klarheitsgedankens lässt sich also über eine Reihe von Gesichtspunkten legitimieren. Dieser wird aber auch, soweit ersichtlich, nirgendwo in Abrede gestellt, soweit zwischen Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz überhaupt differenziert wird. Ein wesentlicher Unterschied zur Situation beim Bestimmtheitsgrundsatz besteht aber: Im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes gibt es keinen Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit, das Einzelfallgerechtigkeitserfordernis kann deshalb hier Forderungen nach Rechtssicherheit nicht einschränken. Unklare Normen mögen zwar ebenfalls gesetzliche „Offenheit“ nach ___________ nehmigungsvorbehalte, S. 118; Barth, Rechtsfortbildung, S. 542 f.; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 547, 554 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 164 f.; Stern, Staatsrecht I, S. 829; Papier, DStJG 12 (1989), S. 69 (mit teilweise anderer Terminologie). 135 Das „Wesen des Rechts“, das Mindestanforderungen an Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit stelle, betonen im Zusammenhang mit dem Klarheitsgedanken Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 487. Vgl. dazu schon B IV 2 a) aa) (1). 136 Barth, Rechtsfortbildung, S. 543. Darauf, dass der Gedanke fehlender Orientierungssicherheit auch für den Transparenzaspekt des Klarheitsgrundsatzes gilt und damit auch gesetzliche Komplexität betrifft, verweist Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 165: „Aus den Naturwissenschaften stammt die Einsicht, dass „Chaos“ nicht notwendig Gesetzlosigkeit bedeutet, sondern auch eine nicht mehr durchschaubare Komplexität gesetzmäßiger Vorgänge bezeichnen kann“. 137 Vgl. B IV 2 a) aa), C I 1. 138 Vgl. Gusy, DVBl. 1979, S. 576; ebenso Gassner, ZG 1996, S. 46.

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sich ziehen. Es handelt sich jedoch um keine „Offenheit“, die daraus resultiert, dass der Gesetzgeber normative Vorgaben bei fortbestehender Erfüllung der gesetzlichen Determinationsfunktion bewusst verringert, um dem Rechtsanwender die hinreichende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu ermöglichen. Die durch gesetzliche Unklarheit bewirkte faktisch verringerte Regelungsdichte dient keinem Zweck und erfüllt auch keine, wenn auch verringerte, Determinationsfunktion. Da der Rechtssicherheitsgedanke im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes folglich in keinem Widerstreit zu einem anderen Rechtsprinzip steht139, lassen sich aus ihm tendenziell strengere Anforderungen ableiten, als dies noch beim Bestimmtheitsgrundsatz möglich war. Letztlich liegt die Problematik der verfassungsrechtlichen Verankerung des Klarheitsgrundsatzes aber auch nicht darin, dass dessen rechtsstaatliche Wurzeln geleugnet würden. Vielmehr werden diese in Teilen der Literatur überbetont bzw. wird der Klarheitsgrundsatz auf eine rein im Rechtsstaatsprinzip angesiedelte Problemstellung reduziert. Diesen Auffassungen zufolge liegt der Unterschied zum Bestimmtheitsgrundsatz gerade darin begründet, dass es sich bei diesem im Wesentlichen um ein kompetenzielles Regulativ handele, das sich zwar auch, aber nicht mehrheitlich aus spezifisch rechtsstaatlichen Rechtsfiguren speise. Der Klarheitsgrundsatz sei hingegen nichts anderes als ein Bestandteil eines „allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots“, welches vom vorbehaltsrechtlichen streng zu trennen sei140. Eine solche Trennung zwischen verschiedenen Bestimmtheitsgrundsätzen wurde im Rahmen dieser Untersuchung aber schon zugunsten der Annahme eines einheitlichen Bestimmtheitsgrundsatzes abgelehnt, in dessen Rahmen sowohl rechts- als auch demokratiestaatliche und grundrechtliche Elemente gebündelt werden141. Eine alleinige Ansiedelung des Klarheitsgrundsatzes im Rechtsstaatsprinzip würde aber vor allem der Grundrechtsrelevanz, die unklares Recht entfalten kann, nicht gerecht. Die mangelnde Gewährleistung von Orientierungssicherheit erschwert die Grundrechtsausübung und die Vorhersehbarkeit von Grundrechtseingriffen142: An einen Normkomplex, durch den die Grundrechtsausübung ein__________ 139

Vgl. dazu schon C I 3. So Busch, Verhältnis, S. 141 f.; Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 488; Kloepfer, JZ 1984, S. 691; Lehner, NJW 1991, S. 892. Im Ergebnis ebenso Osterloh, S. 110 (Fn 4), die zwar die Existenz eines „allgemeinen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots“ verneint, eine ähnliche Zuordnung aber über „Mindestanforderungen an rationales Sprechen“ vornehmen will, die ebenfalls verfassungsrechtlich begründbar seien. 141 Vgl. B IV 2 d) cc). 142 Vgl. B IV 2 c) aa) und bb). 140

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geschränkt wird, sind somit erhöhte Klarheitsanforderungen zu stellen. Schon dies zeigt, dass eine alleinige Betonung des Rechtsstaatsprinzips als verfassungsrechtlicher Wurzel des Klarheitsgrundsatzes fehl am Platz ist. Sowohl Unklarheit als auch Unbestimmtheit ziehen normative „Offenheit“ nach sich. Zumindest rein faktisch ist die gesetzliche Regelungsdichte für den Rechtsanwender reduziert. Er kann dem Gesetz keinen eindeutigen Normbefehl mehr entnehmen, sei es weil dieses widersprüchlich oder nicht mehr zu übersehen ist. Es kommt somit zu einer Verlagerung von Entscheidungskompetenzen. Deswegen lässt es sich nicht leugnen, dass auch dem Klarheitsgrundsatz ein kompetenzielles Moment innewohnt. Diese Tatsache wird auch von Teilen der Literatur nicht abgestritten, die dem Grundsatz durchaus Bedeutung für die Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Verwaltung zuspricht143. Soweit aber einschränkend darauf verwiesen wird, dass sich eine solche kompetenzielle Relevanz nur als Reflex, also „mittelbar“ ergebe144, so ist dazu anzumerken, dass diese „Mittelbarkeit“ nichts am grundsätzlichen Befund der Entscheidungsverlagerung ändert. Ein verfassungsrechtlich begründbarer Entscheidungsvorrang des Parlaments, etwa über den Parlamentsvorbehalt der „Wesentlichkeitstheorie“, der hauptsächlich grundrechtlich begründet wird, darf in keinem Fall unterlaufen werden. Auch „mittelbares“ Staatshandeln kann aber nach dem modernen Eingriffsverständnis unstreitig einen Grundrechtseingriff begründen145. Eine Beschränkung auf rein rechtsstaatliche Figuren wird deshalb der Komplexität der Fragestellung nicht mehr gerecht146. Als Ergebnis der Betrachtung des verfassungsrechtlichen Umfeldes des Klarheitsgrundsatzes lässt sich deshalb feststellen, dass auch dieser in mehreren Verfassungsinstituten gründet. Lediglich die Bedeutungsgewichtung der einzelnen Wurzeln unterscheidet den Klarheits- vom Bestimmtheitsgrundsatz. Die rechtsstaatlichen Begründungsstränge sind beim Klarheitsgrundsatz, wie oben dargelegt, schon deshalb durchschlagskräftiger, weil in deren Zusammenhang nicht die ebenfalls verfassungsrechtlich begründete Forderung nach Einzelfall__________ 143 Vgl. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 121; Geitmann, Offene Normen, S. 63; Busch, Verhältnis, S. 142. Die Tatsache, dass auch dem Klarheitsgrundsatz eine kompetenzielle Komponente zukommt, scheint dagegen von Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 548 und Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 257 f. nicht gesehen bzw. bestritten zu werden. 144 Vgl. Gassner, Genehmigungsvorbehalte, S. 121; Geitmann, Offene Normen, S. 63; Busch, Verhältnis, S. 142. 145 Vgl. für viele BVerfGE 82, 209/223 f.; 86, 28/37; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 173 ff.; Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S. 373. 146 Nicht zu folgen ist deshalb Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 488; Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 258; und wohl auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 110 (Fn 4), die den Klarheitsgrundsatz auf eine rein im Rechtsstaatsprinzip gründende Figur reduzieren. Offen lassend Busch, Verhältnis, S. 142.

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gerechtigkeit übermäßige Erwartungen an Rechtssicherheit beschränkt. Ähnliches gilt für einen möglichen Grundrechtsverstoß durch unklares Recht.

2. Rechtfertigung gesetzlicher Unklarheiten Die aufgezeigten Ähnlichkeiten zum Bestimmtheitsgrundsatz lassen die Schlussfolgerung als gerechtfertigt erscheinen, dass die Überprüfung der Wahrung des Klarheitsgrundsatzes durch den Gesetzgeber in vergleichbaren Bahnen verlaufen muss. Im Rahmen einer Prüfung des Bestimmtheitsgrundsatzes zieht die Erkenntnis, dass eine Norm bedenklich „offen“ formuliert ist, nicht automatisch das Verdikt der verfassungswidrigen Unbestimmtheit nach sich. Vielmehr muss in den meisten Fällen noch gefragt werden, ob die Unbestimmtheit nicht aufgrund anderer verfassungsrechtlicher Erwägungen zu rechtfertigen ist147. Die gleiche Frage stellt sich auch im Rahmen einer Prüfung des Klarheitsgrundsatzes: Inwieweit ist gesetzliche Unklarheit einer Rechtfertigung zugänglich? Aufgrund der Tatsache, dass diese auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein kann, ist es zur Beantwortung der Frage notwendig, zu differenzieren: Gesetzliche Unklarheiten, die sich aus „echten“ normativen Widersprüchen ergeben, sind in der Tat nicht zu rechtfertigen, weil sie grundsätzlich vermeidbar sind. Man könnte in diesem Zusammenhang zwar geneigt sein, auf die Entstehungsgeschichte vieler Rechtsnormen zu verweisen, insbesondere bei Normen des Steuerrechts, die häufig aus im Eiltempo durchgeführten Gesetzgebungsverfahren und langen Nächten im Vermittlungsausschuss herrühren. Es wird aber zu Recht angemerkt, dass diese Umstände zwar erklären können, warum solche mangelhaften Normen gelegentlich entstehen, dass aber weder „Zeitnot noch die Komplexität eines von Kompromissen geprägten Gesetzgebungsverfahrens“ vermeidbare Gesetzesmängel rechtfertigen können148. Die Frage nach einer Rechtfertigungsmöglichkeit stellt sich auch von vornherein nicht, denn bei Widersprüchen der bezeichneten Art existiert keine „Grauzone“ der verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeit, wie sie etwa im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes anzutreffen ist. Eine Regelung ist entweder so widersprüchlich, dass dem Gesetz kein Normbefehl mehr zu entnehmen ist und es dadurch unverständlich wird, oder sie ist es nicht. __________ 147

Vgl. B VI 2 c). Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554. S. 555 führt sie dazu aus: „Der Erlass „unfertiger“, nicht hinreichend durchdachter und damit oftmals besonders unklarer Normen kann nicht mit den prozeduralen Mängeln überhasteter Gesetzgebungsverfahren gerechtfertigt werden. Es handelt sich hierbei um ein „Organisationsverschulden“ des Steuergesetzgebers, dem gegebenenfalls durch eine Reform der Geschäftsordnungen der gesetzgebenden Gremien zu begegnen ist, das aber nicht zu Lasten der Gesetzesqualität gehen darf“. 148

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Diesem Befund kann der Rechtsanwender auch nicht mit erhöhten Auslegungsanstrengungen entgegenwirken149. „Kritische“ Bereiche, in denen in einem ersten Schritt nur Vermutungen der Verfassungswidrigkeit aufgestellt werden können, die dann widerlegt werden müssen, gibt es nicht, zumindest wenn man vom hier vertretenen „engen“ Widerspruchsbegriff ausgeht. Es zeigt sich, dass dem Klarheitsgrundsatz in dieser Dimension kein „Optimierungskonflikt“ zugrunde liegt150. Etwas anders ist es bei Unklarheit, die aus gesetzlicher Kompliziertheit herrührt, die wiederum meist eine Folge normativer Komplexität ist. Hier ist der Punkt, ab dem eine Norm oder ein Normkomplex in die Verfassungswidrigkeit „abkippt“, schwer zu bestimmen. Es kann ein weiter Bereich existieren, der zunächst nur als „verfassungsrechtlich bedenklich“ zu qualifizieren ist. So wird man etwa den Hinweis darauf für zulässig erachten müssen, dass komplexe Lebenssachverhalte häufig auch nur in komplexe rechtliche Regelungen gefasst werden können151. Allein aus der Tatsache, dass einer Regelung ein hoher Komplexitätsgrad zukommt, der den „ersten Zugriff“ auf die Materie erschwert, kann noch nicht geschlossen werden, dass dieser Zustand schon als verfassungswidrig zu bezeichnen ist. Eine solche Argumentation anhand der „Natur der Regelungsaufgabe“ ist schon vom Bestimmtheitsgrundsatz her bekannt und auch beim Klarheitsgrundsatz zulässig. Die diesem Gedanken immanenten Grenzen dürfen aber nicht verschwiegen werden: Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass „Komplexität nicht notwendigerweise komplizierte Regelungen“ erfordere152. Durch durchdachte Gesetzgebung ist es dem Gesetzgeber immer möglich, auch komplexe Sachverhalte in einer solchen Weise zu bewältigen, dass der Norminhalt für den Gesetzesanwender verständlich bleibt. Ihm stehen dazu eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung: Regelungen, die zu einem abgrenzbaren und zusammengehörigen Lebenssachverhalt ergehen, können beispielsweise in einem Gesetzbuch kodifiziert werden153. Der Gesetzgeber kann auch zu einem höheren Abstraktionsniveau greifen, das es erlaubt, Grundwertungen deutlicher hervortreten zu lassen. Ein im Steuerrecht be__________ 149

Letztlich steckt diese Erkenntnis hinter der Aussage von Braun, VerwArch 76 (1985), S. 48, dass die „Rettung der Anwendungsfähigkeit solch planwidrig offener Gesetzesbestimmungen um jeden Preis, etwa durch mittels exegetischer Akrobatik erlangter, orakelhafter dunkler Sprüche“ nicht gefordert sei. 150 Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554. 151 Vgl. Herschel, JZ 1967, S. 730; Schön, StuW 2002, S. 28, 35; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 183: „Die Regelung muss sachadäquat sein, darf also denselben Schwierigkeitsgrad aufweisen wie die Regelungsmaterie selbst“. 152 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554: „Auch dort, wo Komplexität auf komplexe Lebenssachverhalte zurückzuführen ist, existiert kein Kompliziertheitsvorbehalt (...)“. 153 Vor einer Überbewertung dieses Ansatzes warnt jedoch Schön, StuW 2002, S. 27.

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liebtes und verfassungsrechtlich anerkanntes Mittel zur Reduktion von Komplexität und Kompliziertheit sind normative Typisierungen und Pauschalierungen154. Nur unnötige Kompliziertheit kann also zu dem Urteil führen, dass eine Regelung unter Klarheitsgesichtspunkten als verfassungswidrig einzustufen ist155. An dieser Stelle lässt sich wieder ein Bogen zum geltenden Steuerrecht schlagen, welches geradezu ein Schulbeispiel für eine komplexe gesetzliche Materie ist, weil hier die Vielfalt des gesellschaftlichen Wirtschaftslebens normativ bewältigt werden muss. Die Tatsache, dass das Steuerrecht einen dementsprechend hohen Komplexitätsgrad aufweist, verwundert nicht. Teilweise wird in der Literatur vorgebracht, dass wegen dieser gesetzlichen Komplexität auch höhere Klarheitsanforderungen gelten würden, weil die „im Gesetz angeschlagene Regelungshöhe nicht willkürlich außer acht gelassen werden“ könnte156. Der hinter dieser Aussage stehende Gedanke bleibt zunächst etwas dunkel. Sie lässt sich aber als Hinweis darauf verstehen, dass der Gesetzgeber innerhalb komplexer Regelungsgebiete eher Gefahr läuft, gegen den Klarheitsgrundsatz zu verstoßen, weil die Wahrscheinlichkeit von normativen Widersprüchen und Transparenzmängeln steigt, und er deshalb besonders „auf der Hut“ sein muss. Diese Beobachtung ist zutreffend157. Wie beim Bestimmtheitsgrundsatz sind bei der Überprüfung einer Norm anhand des Klarheitsgrundsatzes auch materielle Gesichtspunkte wie die Beeinträchtigung von Grundrechten zu berücksichtigen, die in erster Linie gesetzliche Klarheitsanforderungen verschärfen: Es wurde bereits dargelegt, dass Regelungskomplexe, welche besondere Grundrechtsrelevanz entfalten, tendenziell klarer sein müssen als solche, die die Grundrechtsausübung nur vermindert oder __________ 154

Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 557. Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 555 f. 156 So Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 489 m.w.N., die auch auf das Sozialrecht verweisen. Ähnlich Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 144. Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben, S. 135, präzisiert folgendermaßen: „Eine in einem Normenbestand erreichte Regelungshöhe kann beispielsweise nicht einfach durch die „plötzliche und unerwartete“ Verwendung von Generalklauseln unterlaufen werden“. Dieser Gedanke scheint sich also auch auf die Bestimmtheitsproblematik zu beziehen. 157 Zunächst unverständlich ist aber folgende Aussage von Vogel/Waldhoff, Finanzverfassungsrecht, Rn 489: „Falls ein Spannungsverhältnis zwischen Bestimmtheit bzw. Normenklarheit und Verständlichkeit auftreten sollte, wird dies im Bereich des Steuerrechts vorrangig zugunsten der Bestimmtheit und Klarheit zu lösen sein“. Es ist gerade das Ziel des Klarheitsgrundsatzes, gesetzliche Verständlichkeit zu gewährleisten. Ein Widerspruch zwischen diesen Forderungen kann nicht erblickt werden. Gemeint ist, wie nach Lektüre von Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben, S. 138, deutlich wird, der in der Tat denkbare Widerstreit zwischen übertriebener gesetzlicher Präzision und Allgemeinverständlichkeit. Es zeigt sich wieder, dass eine genauere inhaltliche und begriffliche Differenzierung zwischen Bestimmtheit und Klarheit von Vorteil wäre. 155

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gar nicht betreffen. Auch dies betrifft in erster Linie die Übersichtlichkeitskomponente des Klarheitsgrundsatzes158. Transparenzmängel sind dort weit weniger zu tolerieren, wo massiv in Grundrechte eingegriffen wird oder durch eine Regelung erst die Voraussetzungen für eine individuelle Grundrechtsausübung geschaffen werden159. Insbesondere wird man mit einer „klarheitskonformen Auslegung“ im grundrechtsrelevanten Bereich sehr zurückhaltend sein müssen. Diese Erwägungen zur Rechtfertigungsmöglichkeit gesetzlicher Unklarheit lassen eine Erkenntnis immer deutlicher hervortreten: Der Klarheitsgrundsatz stellt der Tendenz nach höhere Anforderungen an die Gesetzgebung als der Bestimmtheitsgrundsatz. Bestehen bei gesetzlicher „Offenheit“, die aus Normen mit bewusst reduzierter Regelungsdichte herrührt, noch vielfältige Rechtfertigungsmöglichkeiten, so kann auf solche bei unklaren Normen größtenteils nicht oder nur in eingeschränktem Umfang zurückgegriffen werden. Eine gesetzliche Unklarheit wird man deshalb – im Gegensatz zur Situation beim Bestimmtheitsgrundsatz – häufig als verfassungswidrige Unklarheit qualifizieren müssen.

3. Adressatenproblematik Nachdem deutlich wurde, dass dem Gedanken der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns, also dem Problemkreis hinreichender Orientierungssicherheit für den Gesetzesadressaten, im Rahmen eines verfassungsrechtlichen Klarheitsgrundsatzes entscheidende Bedeutung zukommt, stellt sich nun die Frage, wie dieser Gesichtspunkt entsprechend präzisiert werden kann. In diesem Zusammenhang stößt man auf das gleiche Problem wie beim Bestimmtheitsgrundsatz: Auf wessen Perspektive muss abgestellt werden? Speziell auf das Steuerrecht bezogen: Reicht es, die Verständnismöglichkeiten eines Steuerrechtskundigen zugrunde zu legen, oder muss auf den einzelnen Steuerpflichtigen abgestellt werden, der als solcher schon in der Lage sein muss, ein Normengefüge zu durchschauen? Im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes wurde diese Frage mit der Forderung nach einer „generalisierten __________ 158 Hier zeigt sich, dass der Parlamentsvorbehalt nicht ein „möglichst viel“, sondern das ausreichende Maß an gesetzlicher Regelung erfordert. Wird ein Gesetz durch eine unnötig hohe, Kompliziertheit mit sich bringende Regelungsdichte unübersichtlich und deshalb unklar, ist aufgrund der entstehenden Rechtsunsicherheit dasselbe Ergebnis erreicht, als wenn die Regelungsdichte von vornherein unzulässig niedrig gewesen wäre. Es bestätigt sich, dass Bestimmtheits- und Klarheitsanforderungen zwar tendenziell in unterschiedliche Richtungen streben, im Falle ihrer Nichterfüllung aber die gleichen Wirkungen hervorbringen. 159 In diesen Fällen zeigt auch das Bundesverfassungsgericht zunehmend weniger Toleranz gegenüber gesetzlichen Transparenzmängeln, vgl. nur BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 106 ff., 131 ff.

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Erkenntnismöglichkeit“ des Gesetzesinhalts beantwortet. Ein „subjektivierter“ Ansatz wurde im Wesentlichen deshalb verworfen, weil über einen solchen – der strenge Bestimmtheitsanforderungen nach sich ziehen würde – nicht zufrieden stellend abgebildet werden kann, dass es dem Gesetzgeber der Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe im Grundsatz nicht verwehrt ist160. Aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz liegt es nahe, auch die Adressatenproblematik einheitlich zu beurteilen und bei der Subsumtion des Voraussehbarkeitserfordernisses im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes ebenfalls eine „generalisierte Erkenntnismöglichkeit“ zugrunde zu legen. Diese unbesehene Übernahme würde aber der teilweise anders gelagerten Problematik aus zwei Gründen nicht gerecht: Zum einen sind, wie gezeigt, die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Klarheitsgrundsatzes nicht vollständig mit denen des Bestimmtheitsgrundsatzes identisch. Insbesondere die Problematik der innerstaatlichen Kompetenzverteilung mit den dazugehörigen verfassungsrechtlichen Implikationen erlangt beim Klarheitsgrundsatz, obwohl ebenfalls berührt, zumindest weniger Gewicht. Die Erkenntnis, dass die „verdeckte“ gesetzliche Delegation von Entscheidungsmacht über unbestimmte Rechtsbegriffe ein durchaus rechtmäßiges legislatorisches Mittel sein kann, hielt aber im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes zur Vorsicht vor übersteigerten Bestimmtheitserwartungen an. Zum anderen sind die verfassungsgerichtlichen Vorgaben hinsichtlich der Adressatenproblematik beim Klarheitsgrundsatz deutlicher: Hier wurde zuletzt im Zusammenhang mit dem Voraussehbarkeitserfordernis ausdrücklich und unmissverständlich auf den „nicht steuerrechtskundigen Pflichtigen“ als Gesetzesadressaten abgestellt161. Diese Erwägungen könnten Anlass zu der Schlussfolgerung geben, dass bei der Beurteilung des Voraussehbarkeitserfordernisses im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes eine andere Perspektive als beim Bestimmtheitsgrundsatz gewählt werden muss, nämlich eine „subjektivierte“, auf den einzelnen Steuerpflichtigen __________ 160

Vgl. B V 3 d). Vgl. BVerfGE 99, 216/243. Dies stellt auch keinen Widerspruch zu der unter B V 3 d) getroffenen Feststellung dar, dass die Rechtsprechung des BVerfG zur Adressatenproblematik im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes unklar bleibt. In BVerfGE 99, 216 ff. wird zwar mit dem Voraussehbarkeitserfordernis operiert, aber eindeutig auf den Klarheitsgrundsatz Bezug genommen. Es bleibt somit offen, ob die Auffassung des Gerichts auch den Bereich des Bestimmtheitsgrundsatzes und die Problematik der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe betrifft. Es steht zu vermuten, dass sich das Gericht in diesem Bereich zurückhaltender geäußert hätte. Letztlich ist diese Unsicherheit auch eine Folge der schwammigen Begrifflichkeiten in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Aber auch die Literatur stellt den eingeschränkten Anwendungsbereich dieser Entscheidung teilweise nicht deutlich genug heraus, vgl. nur Sandrock, Verständlichkeit, S. 802. Auch Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 558 ff., differenziert bei ihrer Erörterung der Adressatenproblematik nicht zwischen Bestimmtheit und Klarheit. 161

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bezogene. Diese Schlussfolgerung soll aber nur teilweise gezogen werden, weil die Unterschiede zwischen Bestimmtheit und Klarheit wiederum nicht groß genug sind, um eine so grundsätzlich unterschiedliche Betrachtungsweise rechtfertigen zu können: Bevor festgestellt werden kann, ob sich Vorschriften widersprechen, müssen diese erst ausgelegt werden. Erst danach wird deutlich, ob es sich um einen „echten“ normativen Widerspruch oder nur um eine partielle Unabgestimmtheit gesetzlicher Regelungen handelt, die durch Auslegung auflösbar ist. Die gleichen Erwägungen gelten auch im Rahmen gesetzlicher Unübersichtlichkeit, die ebenfalls potenziell durch Auslegung reduziert werden kann. Im Zuge dieser kann aber auf das gängige juristische Instrumentarium ebenso wenig wie beim Bestimmtheitsgrundsatz verzichtet werden, was im Endeffekt eine objektivierende Herangehensweise erzwingt. Auch die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts stehen einer teilweisen Beibehaltung einer objektivierenden Herangehensweise nicht vollständig entgegen: Sie beschränken sich auf einen bestimmten Sachbereich, nämlich auf Normen, die Erklärungspflichten des Steuerpflichtigen betreffen. Diese zumindest müssen einfach und verständlich sein162. Um all diesen Erwägungen gerecht zu werden, bietet es sich an, die Perspektivenproblematik im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes durch eine je nach Art des in Rede stehenden Normkomplexes differenzierte Betrachtung zu bewältigen und sich bei der Beantwortung der Adressatenfrage vor allem an der rechtstatsächlichen Relevanz einer Norm zu orientieren163. Grundsätzlich gilt dann auch für den Klarheitsgrundsatz, dass es auf die „objektivierte Erkenntnismöglichkeit“ des Gesetzesinhalts ankommt. Nur bei Normen oder Normkomplexen, die für den Bürger deshalb unmittelbar relevant sind, weil sie sich in ihrem Regelungsgehalt direkt an ihn wenden, muss das Recht klar genug sein, so dass auch der einzelne, durchschnittlich gebildete Bürger bzw. Steuerpflichtige die Struktur des Gesetzes durchschauen kann. Welche Normen sich in diesem Sinne „direkt an den Bürger wenden“, ist aber wiederum nicht abschließend definierbar, sondern muss von Fall zu Fall festgestellt werden. __________ 162

Vgl. BVerfGE 99, 216/243. Diese Ausdifferenzierung des Adressatenkreises nach rechtstatsächlicher Relevanz entspricht auch dem mittlerweile herrschenden Vorgehen in Rechtstheorie und soziologie. Umfassend zu dieser Frage Noll, Gesetzgebungslehre, S. 172 ff. m.w.N. Vergleichbar auch Baden, Gesetzgebung im Kommunikationsprozess, S. 65 ff.; Braun, VerwArch 76 (1985), S. 45; Bleckmann, JZ 1995, S. 686. Dazu Sandrock, Verständlichkeit, S. 802 f.: „Das Klarheits- und Verständlichkeitsgebot erfordert also eine Differenzierung nach dem Verständnishorizont des jeweiligen Normadressaten. Ein solcher Verständnishorizont kann zwischen zwei Polen hin- und her oszillieren, je nach dem, welche Mittel dem Normadressaten zur Verfügung stehen und welche Belastung mit Auslegungsproblemen ihm daher zumutbar ist“. Zur Diskussion dieses Ansatzes im Bereich des Bestimmtheitsgrundsatzes vgl. B V 3 d). 163

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Als Beispiel können solche Normen angeführt werden, die unmittelbar Verhaltenspflichten begründen, im Steuerrecht etwa Erklärungspflichten. Aber auch sozial motivierte Steuervergünstigungen, die erst auf Antrag gewährt werden, müssen hierzu gerechnet werden164. Es wird sich zudem häufig um Normen handeln, die eine besondere Grundrechtsrelevanz entfalten165. In diesem Bereich ergibt sich also eine Divergenz zur beim Bestimmtheitsgrundsatz durchgängig befürworteten objektivierten Herangehensweise. Ein sachlicher Widerspruch ergibt sich daraus aber nicht, wie folgende Überlegung verdeutlichen soll: Der Gesetzgeber kann auch bei Regelungstatbeständen der gerade beschriebenen Art u.U. nicht auf die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe verzichten. Im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes, anhand dessen die Rechtmäßigkeit des Einsatzes unbestimmter Rechtsbegriffe ja beurteilt werden soll, muss deshalb das Voraussehbarkeitserfordernis auch bei solchen Normen „objektiviert“ werden. Beim Klarheitsgrundsatz ist dies nicht zwingend so, denn es gibt keinen Grund für den Gesetzgeber, Gesetze widersprüchlich oder besonders unverständlich abzufassen. Vielmehr ist die Bejahung einer teilweise subjektivierten Auflösung der Adressatenproblematik im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes sogar das notwendige Korrelat einer durchgängig objektivierten Herangehensweise im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes: Wenn man von einem hypothetischen Steuerpflichtigen, der allein anhand des Gesetzes versucht zu ermitteln, welche Pflichten der Gesetzgeber ihm auferlegt bzw. welche mitwirkungsbedürftigen Rechte ihm gewährt werden, verlangt, dass er zu den Stellen des Gesetzes, die sich ihm nicht sofort erschließen, etwa weil unbestimmte Rechtsbegriffe verwandt werden, Expertenrat einholt166, so muss er zumindest in der Lage sein, das Gesetz soweit zu durchschauen, dass er diese „kritischen“ Stellen überhaupt ausmachen kann167. Dazu muss das Gesetz hinreichend klar __________ 164 Skeptisch zur Einbeziehung von Vergünstigungen Noll, Gesetzgebungslehre, S. 183, der befürchtet, dass „die Nichtigerklärung der undeutlichen Norm nur eine noch größere Unklarheit, nämlich eine Lücke im Gesetz“ schaffen würde. Diesem Einwand kann entgegengehalten werden, dass das Bundesverfassungsgericht keinesfalls zur Nichtigerklärung gezwungen ist, es kann den verfassungswidrigen Rechtszustand auch bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber fortgelten lassen. 165 Da die in Rede stehenden Normen nicht abschließend zu definieren sind und die Individualrelevanz einer steuergesetzlichen Norm im Einzelfall unterschiedlich ausfallen kann, wird man auch Abstufungen bei den Anforderungen im Rahmen der zu wählenden Perspektive für zulässig halten müssen, ohne dabei aber die hier vorgeschlagene Lösung der Adressatenproblematik vollständig zu relativieren. Ähnlich Sandrock, Verständlichkeit, S. 802 ff. 166 Vgl. B V 3 d). 167 Vgl. Krüger, Adressat des Rechtsgesetzes, S. 114: „Die Forderung nach Verständlichkeit hat ein so entscheidendes Gewicht, dass sie im Zweifel, aber auch nur dann, der Präzision vorgezogen werden muss“. Dieser Aussage ist aufgrund des Gesagten zuzustimmen.

IV. Klarheitsgrundsatz und Verfassungsrecht

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sein. Ob dieses Erfordernis erfüllt ist, muss dann aber zumindest bei solchen Normen auch aus der Perspektive des Steuerpflichtigen beurteilt werden, die für diesen unmittelbar relevant werden. Dem entspricht die Erkenntnis, dass Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz zumindest in Einzelfällen in einem Stufenverhältnis stehen können, nämlich dann, wenn ein unklares Regelungsumfeld die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs weiter erschwert und dessen Regelungsintensität mittelbar weiter reduziert168. Durch den hier vertretenen Ansatz werden dem Gesetzgeber auch keine übermäßigen Fesseln angelegt. Er mag zwar nicht zu einer bestimmten Regelungsdichte verpflichtet sein. Von der Pflicht zur verständigen Gesetzgebung, gerade in den hier in Rede stehenden Bereichen, ist er aber niemals entbunden. Deswegen ist es gerechtfertigt, im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes teilweise jene höheren Anforderungen anzulegen, die sich aus einer subjektivierten Betrachtungsweise zwangsläufig ergeben169.

4. Ergebnis Die angestellten Überlegungen machen deutlich, dass es prinzipiell möglich ist, einer Prüfung des Klarheitsgrundsatzes das zum Bestimmtheitsgrundsatz entwickelte Modell zugrunde zu legen, da die Funktionsweise beider Grundsätze grundsätzlich ähnlich ist. Zunächst kann also auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden170. Insbesondere bietet sich auch beim Klarheitsgrundsatz eine Trennung zwischen Auslegungs- und Rechtfertigungsstadium an171. Es müssen aber Modifikationen vorgenommen werden: Die Beurteilung der Auslegungsfähigkeit von Normen, die sich direkt an den Bürger wenden, etwa indem sie ihm Verhaltenspflichten auferlegen oder Vergünstigungen gewähren, die nicht von Amts wegen berücksichtigt werden, ist, wie gerade dargelegt, aus __________ 168

Vgl. C I 3. Es zeigt sich somit, dass die funktionale Abgrenzung zwischen Bestimmtheitsund Klarheitsgrundsatz von Denninger (vgl. C I), bei der der Erkennbarkeit für den Bürger im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes besondere Bedeutung zugemessen wird, im Grundsatz berechtigt ist. 170 Vgl. B VI 2. 171 Die beim Bestimmtheitsgrundsatz noch im Vordergrund stehende „klassische“ Auslegung nach Grammatik, Systematik, Teleologie und Historie bzw. Genese des Gesetzes ist im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes, wie gezeigt, nicht irrelevant, denn sie ist Hilfsmittel bei der Feststellung, ob es sich bei sich gegenläufigen Normen um bloße Wertungswidersprüche oder um „echte“ Regelkonflikte handelt. Im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes wird freilich den Kollisionsregeln die größte Bedeutung zukommen, die primär der Vorrangbildung bei sich widersprechenden Normen und der Bewältigung normativer Komplexität dienen. Vgl. oben C II 1. 169

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C. Klarheit

der Perspektive eben dieses Bürgers vorzunehmen, bei dem allerdings ein durchschnittliches Bildungsniveau zu unterstellen ist172. Im Rechtfertigungsstadium sind zudem die verfassungsrechtlich validen Rechtfertigungsmöglichkeiten im Vergleich zum Bestimmtheitsgrundsatz reduziert. Dies rührt daher, dass beim Klarheitsgrundsatz kein in erster Linie argumentativ zu bewältigender Optimierungskonflikt vorliegt. Hier wird man im Wesentlichen nur den Verweis auf die mangelnde Grundrechtsrelevanz einer Regelung bzw. den Gedanken, dass gesetzliche Komplexität als solche ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, weil sie bei der Regelung komplexer Lebenssachverhalte nicht immer vermieden werden kann173, als Rechtfertigungsansätze für zulässig halten müssen174. Die im Auslegungsstadium aufgestellte Vermutung gesetzlicher Unklarheit wird also nur selten entkräftet werden können. Letztlich wird man auch regelmäßig seltener bis zum Rechtfertigungsstadium gelangen, denn bei normativer Unklarheit, die aus gesetzlichen „Regelkonflikten“ resultiert, existiert, wie bereits dargelegt, keine verfassungsrechtlich bedenkliche „Grauzone“175: Widersprüchliche Normbefehle sind von vornherein keiner Rechtfertigung zugänglich. Bloße Unabgestimmtheiten des Gesetzes, die auf Wertungswidersprüchen beruhen, sind hingegen schon keine im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes problematische Widersprüche176. __________ 172 Dies wird es mit sich bringen, dass zumindest eine laienhafte Vorstellung über wichtige juristische Auslegungsregeln besteht. Man wird unterstellen können, dass auch ein rechtlicher Laie zumindest die im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes besondere Bedeutung erlangenden juristischen Kollisionsregeln richtig wertet, d.h. dass er bspw. davon ausgeht, dass die speziellere Regelung der allgemeinen vorgeht. Zudem muss man bei diesem gedachten Steuerbürger von einem Mindestmaß an intellektueller Kapazität ausgehen können, Komplexität gleich welcher Art zu bewältigen. Mit diesen Verdeutlichungen soll dem Einwand vorgebeugt werden, mit der teilweisen Bejahung eines subjektiven Ansatzes zu strenge Klarheitsanforderungen aufzustellen. Auch eine subjektivierte Perspektive zieht so nicht automatisch bei kleineren normativen „Holprigkeiten“ schon die Vermutung der Verfassungswidrigkeit nach sich. 173 Hierzu ist anzumerken, dass in dieser Hinsicht problematische Normkomplexe meistens schon im Auslegungsstadium für unbedenklich erachtet werden können. 174 Die Grundrechtsrelevanz einer Regelung ist also im Rahmen der Transparenzkomponente des Klarheitsgrundsatzes mitunter doppelt zu berücksichtigen: Zunächst kann diese die Wahl einer „subjektivierten“ Auslegungsperspektive nahe legen. Zusätzlich kann eine besondere Grundrechtsrelevanz auch auf der Rechtfertigungsebene Klarheitsanforderungen weiter verschärfen, vgl. dazu C IV 2. 175 Vgl. C IV 2. Mittelbar werden hier abwägende Elemente aber trotzdem relevant, denn die Bejahung eines echten Normwiderspruchs gehen immer (gescheiterte) Bemühungen voraus, einen solchen im Rahmen der Auslegung zu vermeiden. Der Abwägungsprozess wird deshalb de facto in die Normauslegung verlagert. 176 Vgl. C II 2. Gesetzliche Wertungswidersprüche können selbstverständlich dann Relevanz für den Klarheitsgrundsatz entfalten, wenn durch sie die Übersichtlichkeit der fraglichen Regelung beeinträchtigt wird.

IV. Klarheitsgrundsatz und Verfassungsrecht

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Versucht man, diese Erwägungen zusammenfassen, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass der Klarheitsgrundsatz dort die geringsten Anforderungen stellt, wo Normen oder Normkomplexe Gefahr laufen, unübersichtlich zu werden, der fragliche Regelungsbereich aber den Bürger nicht direkt betrifft und auch sonst eine geringe Grundrechtsrelevanz entfaltet177. Strenger sind die Anforderungen dort, wo das Gesetz im Zusammenhang mit Normen, die für den gewöhnlichen Steuerpflichtigen unmittelbar relevant werden, unverständlich wird. Ist ein echter Normwiderspruch feststellbar, so begründet dies immer einen Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz178. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts in jüngerer Zeit. Beide Urteile, in denen das Gericht im Zusammenhang mit dem Klarheitsgrundsatz zuletzt Normen des Steuerrechts problematisierte179, betrafen genau solche Konstellationen, in denen auch nach der hier vorgeschlagenen Betrachtungsweise strenge Anforderungen aufzustellen sind: Steuerliche Entlastungstatbestände aufgrund von Betreuungs- oder Erziehungsbedarf betreffen den Steuerbürger direkt in Form von begünstigenden Regelungen, mit denen aber Erklärungspflichten verbunden sind180. Es ist nicht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht von der im Rahmen des Klarheitsgrundsatzes eingeschlagenen strengeren Linie in naher Zukunft abweichen wird, und obige Ausführungen haben gezeigt, dass ihm in der Sache Recht zu geben ist. Wünschenswert wäre jedoch, wenn die dogmatischen Grundlagen der im Ergebnis richtigen Entscheidungen zu dieser Problematik in Zukunft deutlicher herausgestellt und insbesondere Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz terminologisch besser voneinander getrennt würden. __________ 177

Im Steuerrecht beträfe dies etwa den gesamten Bereich der Unternehmensbesteuerung, speziell der der Kapitalgesellschaften. Eine gesteigerte Komplexität bzw. Kompliziertheit wäre hier also bspw. weniger schädlich als im Rahmen der Normierung von Erklärungspflichten im Rahmen der Einkommensbesteuerung. Vom „praktischen Ergebnis“ her überzeigt dies sofort und korrespondiert auch mit den Lebenstatsachen. Einer in den meisten Fällen steuerlich beratenen Kapitalgesellschaft wird man von Verfassungs wegen mehr zumuten dürfen als der „durchschnittlichen“ steuerpflichtigen Privatperson. Ähnlich Jachmann, StuW 1998, S. 194. 178 Eine Differenzierung danach, ob es sich bei den fraglichen Normen um solche handelt, die sich direkt an den Bürger wenden, ist aber auch in diesem Zusammenhang nicht ohne Belang. Bedeutung erlangt sie bei der Frage, in welchem Umfang Auslegungsanstrengungen zur Vermeidung der Annahme eines Regelkonflikts unternommen werden müssen. Im Rahmen von Normen, die sich direkt an den Bürger wenden, wird man weniger tolerant gegenüber „exegetischer Akrobatik“ sein, mittels derer die Bejahung eines gesetzlichen Widerspruchs vermieden werden soll. Auf diese Weise kann auch die Grundrechtsrelevanz einer Regelung im Rahmen der Widersprüchlichkeitskomponente berücksichtigt werden. 179 BVerfGE 99, 216/243; BVerfG BvL 1/01 vom 9.4.2003. 180 Konsequent ist es, wenn das Gericht den Gesetzgeber dann gleich selbst auf die angemessene Regelungsweise hinweist. Vgl. dazu BVerfGE 99, 216/243.

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C. Klarheit

V. Schlussbetrachtungen 1. Allgemeines Die Untersuchung des Klarheitsgrundsatzes hat dessen eigenen Charakter hervortreten lassen. Im Zuge der Analyse der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen wurde zudem deutlich, dass die anfangs aufgestellte Vermutung zutrifft, dass gesetzliche Unklarheiten tendenziell schlechter verfassungsrechtlich valide zu rechtfertigen sind181. Eine solche Anerkennung eines vom Bestimmtheitsgrundsatz zu unterscheidenden verfassungsrechtlichen Klarheitsgrundsatzes stößt in der rechtswissenschaftlichen Literatur teilweise auf Vorbehalte182. Dahinter mögen letztlich Bedenken stehen, dass die Verankerung eines Klarheitsgrundsatzes in der Verfassung die Forderung nach „gesetzestechnischer Vollkommenheit“183 mit sich bringt, die in der Tat unerfüllbar ist. Der Klarheitsgrundsatz kann aber, wie obige Ausführungen gezeigt haben, durchaus so präzisiert werden, dass er für die Rechtsanwendung praktikabel wird, ohne dass ihm zugleich unerfüllbare Forderungen entnommen werden, etwa die nach der „optimalen sprachlichen Darstellungsform“, vor der Osterloh warnt184. Unausgesprochen mag es auch Bedenken geben, gegenüber in erster Linie handwerklichen gesetzlichen Mängeln gleich die „schweren Geschütze“ des Verfassungsrechts aufzufahren und die Verfassung damit letztlich zu profanieren. In der Tat scheint es bedenklich, bei jedem Gesetzgebungsfehler die „Keule der Verfassungswidrigkeit“ zu schwingen. Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass längst nicht jeder Gesetzgebungsfehler auch vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird. Die hier einzig in Rede stehenden untragbaren gesetzgeberischen Missstände, welche allein wegen eines Verstoßes gegen den Klarheitsgrundsatz in der hier skizzierten Gestalt das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nach sich ziehen können, werden im Regelfall alsbald nach Erkenntnis vom Gesetzgeber selbst beseitigt. Zudem werden die meisten gesetzlichen Ungereimtheiten schon durch die Rechtsprechung ausgeräumt werden können, deren ureigene Aufgabe es ist, über rechtliche Zweifelsfälle und somit auch über vermeintliche oder tatsächliche gesetzliche Widersprüchlichkeiten verbindlich zu entscheiden. Bei den Fällen, die dann noch zum Bundesverfassungsgericht gelangen, wird es sich in erster __________ 181

Vgl. C I 2. Geitmann, Offene Normen, S. 60 ff., sieht eine Verfassungswidrigkeit wegen Unklarheit nur „in extremen Fällen“ für gegeben. Kritisch auch Osterloh, Gesetzesbindung, S. 110 (Fn 4). 183 Geitmann, Offene Normen, S. 63. 184 Osterloh, Gesetzesbindung, S. 110 (Fn 4). 182

V. Schlussbetrachtungen

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Linie um Sachverhalte handeln, in denen die unserem politischen System immanenten Selbstregulierungskräfte versagen. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich eine verfassungsrechtlich bedenkliche unklare Gesetzeslage über Jahre hinweg kaum merklich entwickelt, so dass sie nicht die Aufmerksamkeit des parlamentarischen Prozesses erringt. Dies wird aber nur eine so geringe Zahl von Fällen betreffen, dass eine inflationäre Handhabung des Klarheitsgrundsatzes nicht zu befürchten ist. Es ist dann aber nicht einsichtig, warum dem Bundesverfassungsgericht nicht die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen sollten, einen unter Klarheitsgesichtspunkten für unhaltbar erachteten Zustand zu beenden, resultiere er doch „nur“ aus schlechter Gesetzgebung. Verfassungsrechtlich ist ein solches Vorgehen gut zu begründen. Durch einen solchen Richterspruch wird sich auch nicht „Rechtsunsicherheit in fortgesetzter Inzucht vermehren“185: Gelegentlich wird davor gewarnt, dass zu der sowieso gegebenen unsicheren Rechtslage noch die Unsicherheit durch die Nichtigerklärung des Gesetzes treten würde186. Dem kann aber dadurch begegnet werden, dass der Rechtszustand nur mit Wirkung für die Zukunft für verfassungswidrig erklärt und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung aufgefordert wird187, wie es auch die Literatur für diese Fälle empfiehlt188. Wenn man sich das Ergebnis der vorangegangenen Untersuchung noch einmal vor Augen führt, so hat sich auch gezeigt, dass die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz trotz der Ähnlichkeit der durch sie gestellten Anforderungen und der hervorgebrachten Wirkungen bei Nichterfüllung durch den Gesetzgeber berechtigt ist. Dies zeigt sich schon an den Anforderungen an die Gesetzgebung, die beide Grundsätze stellen. Hier repräsentieren Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz aufgrund der Tatsache, dass ein Grundsatz in Richtung normativer Kürze, der andere in Richtung Ausführlichkeit strebt, unterschiedliche Tendenzen. Ist die Vereinbarkeit einer Norm oder eines Normkomplexes mit einem der Grundsätze fraglich, so hat man sich vor Augen zu führen, dass dem Klarheits- in weit geringerem Maße als dem Bestimmtheitsgrundsatz der Charakter eines Regulativs im Rahmen eines Optimierungskonfliktes zukommt. Die Überprüfung einer Norm anhand des Klarheitsgrundsatzes ist deshalb nicht in der Hauptsache „abwägend“. Dies hat zur Folge, dass fast durchgängig das im Rahmen der Überprüfung des Bestimmtheitsgrundsatzes noch entscheidende Rechtfertigungsstadium entfällt, weil die Möglichkeiten zur Rechtfertigung gesetzlicher Unklarheit ge__________ 185

Herschel, JZ 1967, S. 733. Vgl. Herschel, JZ 1967, S. 733; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 183. 187 Und so verfuhr das Bundesverfassungsgericht denn auch bisher, vgl. nur BVerfGE 99, 216, 242 f. Vgl. zu dieser Tenorierungsmöglichkeit Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz, S. 79 f. 188 Vgl. Geitmann, Offene Normen, S. 64. 186

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C. Klarheit

genüber denen zur Rechtfertigung gesetzlicher Unbestimmtheit deutlich eingeschränkt sind. Hier spiegelt sich auch wieder, dass die Bestimmtheitsproblematik planvolle und nicht -widrige gesetzliche „Offenheit“ betrifft. Nach hier vertretener Ansicht unterscheiden sich Bestimmtheit und Klarheit zudem durch die teilweise unterschiedliche Lösung der Adressatenproblematik, also der Perspektive, die im Rahmen der Überprüfung der normativen Wahrung beider Grundsätze zugrunde gelegt werden muss. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass der Erfolg auf dem steinigen Weg zur verfassungsrechtlichen Bewältigung der umfangreichen Problematik gesetzlicher „Offenheit“ nur darin liegen kann, die einschlägige Dogmatik zu verfeinern, um so zu angemessenen Lösungen zu gelangen. Aufgrund der vielfältigen und teilweise unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Determinanten ist eine problemorientierte Ausdifferenzierung erforderlich. Der hier vorgeschlagene Ansatz, Bestimmtheit und Klarheit deutlicher als bisher üblich voneinander zu scheiden, versteht sich als ein Beitrag dazu.

2. Anmerkungen zur Verwirklichung des Klarheitsgrundsatzes im Steuerrecht a) Gegenwärtiger Rechtszustand Die generelle, schon in der Einleitung dargestellte Klage über den Zustand des deutschen Steuerrechts bezieht sich in erster Linie auf Umstände, die, wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, der Klarheitsproblematik zuzurechnen sind: Die zu große Zahl von Normen, die daraus resultierende Unübersichtlichkeit und der streckenweise exorbitant hohe Schwierigkeitsgrad bestimmter Regelungen, der diese wenig praktikabel macht und den Rechtsanwender teilweise ratlos zurücklässt. „Die zu große, unübersichtliche, undurchsichtige, mehr oder weniger ungeordnete, über eine Vielzahl von Steuergesetzen verstreute Vorschriftenmenge kann von keinem Einzelnen mehr voll zur Kenntnis genommen, geschweige denn beherrscht werden, auch nicht von einem Steuerfachmann“189. Nun wurde bereits festgestellt, dass gesetzliche Komplexität allein ohne das Hinzutreten weiterer Faktoren im Regelfall nicht in Konflikt mit dem Klarheitsgrundsatz gerät. Damit ein Verstoß gegen diesen unter dem Aspekt mangelnder normativer Übersichtlichkeit angenommen werden kann, muss ein Zustand erreicht sein, in dem der Normbefehl eines Gesetzes vollständig verloren geht. Dementsprechend erscheint ein unspezifiziert vorgetragenes Lamento über mangelnde Gesetzesqualität als wenig erfolgversprechend. Ein solcher Vortrag __________ 189

Tipke, StRO I, S. 142.

V. Schlussbetrachtungen

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findet auch vor den Gerichten kein Gehör: Das FG Hamburg wies am 4.3.1999 äußerst knapp eine Klage ab, in der das EStG wegen seiner Unübersichtlichkeit als Ganzes für verfassungswidrig gehalten wurde190. Der Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesfinanzhof nicht stattgegeben191. Man muss aber zugestehen, dass die allgemeine Klage über die Unübersichtlichkeit des Rechtsgebiets „Steuerrecht“ aus rechtspolitischer Sicht jede Berechtigung hat. Anders verhält es sich jedoch, wenn spezielle Normen angeführt werden können, denn das Steuerrecht enthält eine Reihe von Regelungen, die in der Tat unter Klarheitsgesichtspunkten als problematisch anzusehen sind. Häufig wird in diesem Zusammenhang § 15a EStG erwähnt192. Unter Klarheitsgesichtspunkten gerieten z. B. auch die sog. „Mindestbesteuerung“ in § 2 Abs. 3 S. 3-8 EStG a.F.193, die Regelung des § 233a AO194, der Schuldzinsenabzug gem. § 4 Abs. 4a EStG a. F.195 und die nachgelagerte Besteuerung gem. § 22 Nr. 5 EStG196 in __________ 190

EFG 1999, S. 659 f. Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 558 (Fn 57). 192 Vgl. Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 370; Herzig/Watrin, StuW 2000, S. 383; Tipke, StRO I, S. 142; Knobbe-Keuk, Unternehmenssteuerrecht, S. 487 ff.; dies., StuW 1981, S. 97 ff. 193 Bemängelt wurde vor allem die Kompliziertheit der Regelung, verursacht durch die sprachlich verunglückte Ausformulierung mathematischer Rechenschritte, die die Gesetzesanwendung erheblich erschwerte (Vgl. für viele Herzig/Briesemeister, DStR 1999, S. 1383; Böckstiegel/Betz, FR 2000, S. 802). Teilweise wurde vertreten, dass auch Steuerrechtskundige nicht mehr in der Lage seien, bei komplizierteren Berechnungen die Richtigkeit des Ergebnisses anhand des Gesetzestextes zu beurteilen, etwa bei steigender Anzahl der Einkunftsarten unter gleichzeitiger Einbeziehung des Verlustausgleichs unter Ehegatten (vgl. Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 372; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 622). Man sei im Rahmen des § 2 Abs. 3 EStG auf EDVUnterstützung angewiesen (vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 622), auf die man aber auch zurückgreifen könne, denn die Rechenschritte des § 2 Abs. 3 EStG seien programmierbar (vgl. Altfelder, FR 2000, S. 18 (Fn 5); Werner, Mindestbesteuerung, S. 76). Dies wiederum veranlasste P. Kirchhof zu seiner Bemerkung, dass Steuerrecht „unter Gesetzes-, nicht unter Computervorbehalt“ stünde (vgl. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 39). Angesprochen wird damit der Übersichtlichkeitsaspekt des Klarheitsgrundsatzes, also das Problem der intellektuell nicht mehr zu bewältigenden Kompliziertheit aufgrund übergroßer gesetzlicher Komplexität, die dem Rechtsanwender im Einzelfall die Ermittlung des Normbefehls unmöglich macht. Und so wurde teilweise auch der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit erhoben (Vgl. für viele Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 373; Schmidt-Seeger, EStG, § 2 Rn 79; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 621 f.; Kanzler, FR 2003, S. 665 f.; zurückhaltend Holdorf, BB 2001, S. 2092). Obwohl sich die Bedenken der Literatur durchaus hören ließen, verwarf der BFH in einer Aussetzungsentscheidung den Vorwurf mangelnder Praktikabilität zumindest für § 2 Abs. 3 S. 3 EStG in denkbar knapper Weise (Vgl. BFH BStBl. II 2001, S. 555. Als verfassungsgemäß wurde die Regelung auch in der ausführlichen Untersuchung von Werner, Mindestbesteuerung, S. 74 ff. qualifiziert). 194 Vgl. Sandrock, Verständlichkeit, S. 786 f. m.w.N.; Loose, StuW 2003, S. 377 („unübersichtlich und kaum verständlich“); Birk, DStJG 27 (2004), S. 14 f. 195 Vgl. Bornheim, DStR 1999, S. 704; Herzig/Watrin, StuW 2000, S. 383. 191

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C. Klarheit

die Kritik. Birk meint zu der teilweise inakzeptablen Qualität einzelner Steuernormen: „Wie sehr sich die Gesetzgebungskunst im Niedergang befindet (...) zeigt sich auch in völlig unverständlichen Formulierungen von Normtexten. Als Beispiel seien nur § 6 Abs. 3 S. 2 EStG genannt oder der Satz 1 des § 9 Nr. 7 GewStG, der aus mehr als 200 Worten besteht. Wer soll solche Gesetze noch verstehen und anwenden können?“197. Neben einzelnen Normen sind es auch bestimmte Teilbereiche des Steuerrechts, die entweder als Ganzes unter Klarheitsgesichtspunkten problematisch sind oder zumindest Gefahr laufen, nicht auflösbare Widersprüche hervorzubringen. Hier erscheinen vor allem die zahlreichen Übergangsregelungen als bedenklich, die es häufig kaum möglich machen herauszufinden, welche Norm in welcher Gestalt zu welcher Zeit galt198. Die Problematik verschärft sich dann, wenn im Rahmen der Feststellung, ob eine Unklarheit durch Auslegung zu beseitigen ist, auf die Perspektive und die Erkenntnisfähigkeiten des einzelnen Steuerbürgers abzustellen ist199. Der bereits durch das Bundesverfassungsgericht gerügte Rechtszustand beim Kindergeld ist in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel. Dem Gesetzgeber ist in solchen Fällen zu raten, in Zukunft vermehrt inhaltlich zusammengehörige Bereiche mit Auswirkungen auf mehrere Rechtsgebiete nicht mehr verteilt auf die einzelnen Rechtsgebiete zu regeln, sondern mit einheitlichen Kodifikationen zu arbeiten. So sinkt die Gefahr „echter“ Normwidersprüche, weil der Gesamtbestand der Regelungen zu einer Materie immer im Blickfeld des Gesetzgebers bleibt.

b) Reform des Einkommensteuerrechts als Reaktionsmöglichkeit Der Reformbedarf des bestehenden Einkommensteuerrechts tritt im Hinblick auf die Klarheitsproblematik deutlich hervor, denn mit einem neu formulierten, auf Grundzüge zurückgeführten und an Prinzipien orientierten Einkommensteuergesetz200 könnten die hier aufgezeigten Missstände behoben werden. Der Vermutung, dass das Einkommensteuerrecht in seiner Gesamtheit so degeneriert sei, dass die Schwelle zur Unanwendbarkeit überschritten werde, würde durch ein neues Gesetz der Boden entzogen. Auch einzelne Normen oder Normkomplexe müssten unter Klarheitsgesichtspunkten seltener problematisiert werden. ___________ 196

Vgl. nur Schmidt-Wacker, EStG, § 22 Rn 125 („fast undurchdringliches Wortgewirr“). 197 Birk, Steuerrecht, Vorwort zur 5. Auflage. 198 Bezeichnenderweise nennt Weber-Grellet den § 52 EStG „eine der schrecklichsten Vorschriften des EStG“ (StuW 2003, S. 282). 199 Vgl. C IV 3. 200 Dieser Ansatz liegt letztlich allen gegenwärtigen Modellen zur Reform der Einkommensbesteuerung, in ihrer Zahl kaum zu übersehen, zugrunde.

V. Schlussbetrachtungen

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Dies wird dann deutlich, wenn man sich die Rechtsnatur vieler Normen vergegenwärtigt, die gegenwärtig als verfassungsrechtlich bedenklich beurteilt werden: Der Mehrzahl nach handelt es sich um Missbrauchsvermeidungsvorschriften, die häufig schon wegen der Natur ihres Regelungsgegenstandes kompliziert sein müssen201. Das legislative Bedürfnis nach solchen Vorschriften resultiert aus einkommensteuerlichen Systembrüchen, die die sog. „Steuerschlupflöcher“ erst hervorbringen, die dann über Missbrauchsvermeidungsvorschriften bekämpft werden sollen202. Die Verwerfung produziert neue Verwerfungen. Wird das Einkommensteuerrecht aber auf wenige, dafür aber klar erkennbare, stringent ausgeführte und aufeinander abgestimmte Prinzipien zurückgeführt, so entfällt mangels Systembruchs das Bedürfnis nach weiteren Regelungen203. Genau hier liegt auch das Vereinfachungspotenzial, über das der Steuergesetzgeber verfügt. Ein einer modernen Gesellschaft angemessenes Einkommensteuerrecht muss notwendigerweise über ein gewisses Mindestmaß an Komplexität verfügen. Andernfalls wird man der Vielfalt der zu bewältigenden wirtschaftlichen Sachverhalte nicht mehr gerecht. Vereinfachungen können deshalb, will man besagtes Mindestmaß nicht unterschreiten, immer nur dort erfolgen, wo Systembrüche und die durch sie ausgelösten legislativen Folgeerscheinungen zu beklagen sind, also im Rahmen der nicht durch Komplexität gerechtfertigten Kompliziertheit. Dieses Potenzial ist aber immer noch erheblich. Größere Einfachheit bringt dann auch mehr Klarheit mit sich. Auch die Problematik der ausufernden Übergangsregelungen kann durch eine Neuformulierung des EStG gelindert werden. Ganz gleich, ob das EStG komplett neu kodifiziert oder noch an bestehende Strukturen angeknüpft werden soll, zunächst wird ein Übergangsrecht von riesigen Ausmaßen nötig werden204. Auf lange Sicht jedoch besteht Anlass zu der Hoffnung, dass sich der gesetz__________ 201 Vgl. zu weiteren Gründen für steuergesetzliche Kompliziertheit auch Quantschnigg, DStJG 21 (1999), S. 135 ff. 202 Auch wenn sich aus einem Systembruch kein „Steuerschlupfloch“ ergibt (dessen Existenz sich im Übrigen nur damit erklären lässt, dass es aufgrund einer politischen Wertung als solches bezeichnet wird), auf das mit Missbrauchsvermeidungsvorschriften reagiert werden muss, so muss dieser Systembruch doch zumindest legislativ bewältigt werden, was ebenfalls ein zusätzliches Normierungsbedürfnis nach sich zieht. So geschaffene Normen sind häufig nicht nur aus Klarheitsgesichtspunkten, sondern auch wegen eines möglichen Verstoßes gegen eine Reihe anderer Verfassungsnormen fragwürdig. Häufig besteht an solchen Stellen eine Gleichheitsproblematik. Ein Beispiel hierfür ist § 35 EStG, der die grundsätzlich unterschiedlichen Systeme der Gewerbe- und Einkommensbesteuerung koordinieren soll. 203 Dies entspricht der wiederholt von P. Kirchhof vorgetragenen Forderung, dass der steuergesetzliche Belastungsgrund wieder erkennbar werden müsse. Vgl. dazu nur dens., DStJG 21 (1999), S. 11 ff.; dens., StuW 2002, S. 3. 204 Vgl. Weber-Grellet, StuW 2003, S. 282 f. Grundsätzlich zum steuerrechtlichen Übergangsrecht Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 392.

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C. Klarheit

geberische Aktionismus, der die Ursache für das schon bestehende umfangreiche Übergangsrecht darstellt, nach einer konsequent an Prinzipien ausgerichteten Neuordnung des Einkommensteuerrechts vermindern wird, weil dieses dann nicht mehr als „politisch beliebig verfügbare Rechtsmasse“205 aufgefasst werden kann und aufgrund der verringerten Missbrauchsmöglichkeiten weniger Anlass zur gesetzgeberischen Reaktion besteht206.

__________ 205

Formulierung bei Birk, Steuerrecht, Rn 45-61. Skeptisch hierzu Schön, StuW 2002, S. 35, der in dieser „optimistischen Annahme“ „eine der größten Gefahren“ sieht. 206

D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG I. Allgemeines Um die Funktionsweise von Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz im Allgemeinen und im Steuerrecht im Besonderen in der in dieser Arbeit gewonnen Gestalt noch einmal anschaulich zu machen, soll abschließend die Norm des § 2b EStG auf ihre Vereinbarkeit mit beiden Grundsätzen hin überprüft werden. § 2b EStG bietet sich deshalb besonders an, weil es sich bei dieser Vorschrift um eine relativ junge Norm handelt, deren Verfassungsmäßigkeit im Schrifttum massiv angezweifelt wird, zu der sich aber das Bundesverfassungsgericht bisher noch nicht geäußert hat. Es besteht also die als realistisch einzuschätzende Möglichkeit, dass sich das Gericht eines Tages mit der Frage der ausreichenden Bestimmtheit von § 2b EStG wird befassen müssen. Für diesen Fall wird prophezeit, dass es sich um die erste steuerrechtliche Vorschrift handeln könnte, die wegen mangelnder Bestimmtheit für verfassungswidrig erklärt wird1. Die in der Literatur vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken betreffen zwar hauptsächlich die Bestimmtheits- und Klarheitsproblematik, beschränken sich aber nicht auf diese2. Im Rahmen dieser Ausführungen interessiert aber nur ein etwaiger Verstoß gegen den Bestimmtheits- oder Klarheitsgrundsatz. Deshalb erfolgt hier auch keine umfassende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG. Zunächst soll aber der Wortlaut der Vorschrift in Erinnerung gerufen werden: „§ 2b Negative Einkünfte aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften und ähnlichen Modellen Negative Einkünfte auf Grund von Beteiligungen an Gesellschaften oder Gemeinschaften oder ähnlichen Modellen dürfen nicht mit anderen Einkünften ausgeglichen

__________ 1 Vgl. Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436; Söffing, DB 2000, S. 2346; Elicker, FR 2002, S. 1042; Schmidt-Seeger, § 2b EStG Rn 1; Butzer, BB 1999, S. 2062; Tipke, StRO I, S. 144. 2 So nehmen eine Reihe von Autoren auch eine nicht gerechtfertigte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips und andere Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG an. Vgl. dazu im Einzelnen Elicker, FR 2002, S. 1047 ff.; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 624 f., 627; Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 24; Lademann-Kaligin, EStG, § 2b Rn 13 f.; Söffing, DB 2000, S. 2346; Durchlaub, Grenzen des Normkonzeptes des § 2b EStG, S. 523 ff.

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

werden, wenn bei dem Erwerb oder der Begründung der Einkunftsquelle die Erzielung eines steuerlichen Vorteils im Vordergrund steht. Sie dürfen auch nicht nach § 10d abgezogen werden. Die Erzielung eines steuerlichen Vorteils steht insbesondere dann im Vordergrund, wenn nach dem Betriebskonzept der Gesellschaft oder Gemeinschaft oder des ähnlichen Modells die Rendite auf das einzusetzende Kapital nach Steuern mehr als das Doppelte dieser Rendite vor Steuern beträgt und ihre Betriebsführung überwiegend auf diesem Umstand beruht oder wenn Kapitalanlegern Steuerminderungen durch Verlustzuweisungen in Aussicht gestellt werden. Die negativen Einkünfte mindern nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 die positiven Einkünfte, die der Steuerpflichtige in demselben Veranlagungszeitraum aus solchen Einkunftsquellen erzielt hat, und nach Maßgabe des § 10d die positiven Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus solchen Einkunftsquellen erzielt hat oder erzielt“.

§ 2b EStG wurde mit dem StEntlG 1999/2000/2002 in das Einkommensteuergesetz eingefügt und sollte laut Gesetzesbegründung die – mittlerweile wieder abgeschaffte – sog. „Mindestbesteuerung“ in § 2 Abs. 3 S. 3-8 EStG und die Neuregelung der Begrenzung des Verlustausgleichs in § 10d EStG „flankieren“ und so „längerfristig zur Verminderung unerwünschter Steuersparmodelle beitragen“3. Damit sollte auch ein Versprechen der SPD aus dem Bundestagswahlkampf 1998 eingelöst werden4. § 2b EStG war nicht von Anfang an Bestandteil des am 24.3.1999 verabschiedeten StEntlG 1999/2000/2002: Zurückgehend auf einen Vorschlag des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen ist die Norm erst im Rahmen der 2. Lesung des Gesetzes im Bundestag Mitte Februar 1999, also erst nach Abschluss der öffentlichen Anhörung am 19.1.1999, in den Gesetzgebungsprozess eingeführt worden5. Die plötzliche Verabschiedung und die daraus resultierende mangelnde Möglichkeit der Einflussnahme auf den parlamentarischen Willensbildungsprozess durch Wissenschaft und Praxis trug mit dazu bei, dass sich § 2b EStG nach Inkrafttreten massiver Kritik ausgesetzt sah. Die__________ 3

BT-Drucks. 14/443, S. 20. Das SPD-Wahlkampfprogramm versprach „mehr Steuergerechtigkeit“ dadurch, dass verhindert werden sollte, dass sich gut verdienende „Abschreibungskünstler“ der Einkommensbesteuerung entzögen (zitiert nach Kaminski, BB 2000, S. 1605). 5 Vgl. hierzu Kohlhaas, DStR 2001, S. 1137 f. m.w.N. Abgeordnete der Opposition brachten vor, im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses keine ausreichenden Einflussmöglichkeiten auf die Ausgestaltung des § 2b EStG gehabt zu haben, sogar ausreichende Informationen über Inhalt und Tragweite der Gesetzesvorschläge seien nicht zu erlangen gewesen. Ausführlich zu den sich hieraus ergebenden Bedenken hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes – die Richtigkeit dieses Vorbringens unterstellt – Birk/Kulosa, FR 1999, S. 434 f. 4

I. Allgemeines

229

se konzentrierte sich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten von Anfang an vordringlich auf seine tatbestandliche Weite6. Die Umstrittenheit der Regelung spiegelt sich auch in deren Aufarbeitung in der Literatur wider: Es wird, speziell bei den Klagen über die mangelnde Bestimmtheit der Norm, manchmal wenig deutlich, was als rechtspolitisch motivierte Wut über mangelnde Gesetzgebungsqualität und was als substanziierter Versuch der Darlegung der Verfassungswidrigkeit der Norm zu verstehen ist. Hier entsteht zuweilen der Eindruck, dass die Ablehnung der Norm aus politischen Gründen teilweise nur im Gewand des verfassungsrechtlichen Arguments daherkommt7. Rund ein Jahr nach Erlass der Norm, am 5.7.2000, folgte das Anwendungsschreiben des Bundesfinanzministeriums8, welches wieder ein Jahr später durch das Schreiben vom 22.8.2001 hinsichtlich einiger Zweifelsfragen geringfügig ergänzt wurde9. Die Auseinandersetzung mit dem BMF-Schreiben löste eine zweite Welle von Aufsatzliteratur aus, die sich einerseits mit der nun vorliegenden Verwaltungsauffassung auseinander setzte, andererseits aber schon auf die Literatur zurückgreifen konnte, die unmittelbar nach Inkrafttreten der Norm erschienen war10. Bemerkenswert war, dass der Vorwurf verfassungswidriger Unbestimmtheit trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden Konkretisierungsversuche von manchen Autoren unverändert aufrechterhalten wurde11. Der zuweilen zu beobachtende Ablauf, dass eine Norm unmittelbar nach Inkrafttreten für verfassungswidrig unbestimmt gehalten wird, dieser Vorwurf aber nicht mehr aufrecht erhalten wird, nachdem einige Zeit vergangen ist und sich die Praxis mit der Norm arrangiert hat oder sich diese als weitgehend unproblematisch in der An__________ 6

In dieser „ersten Welle“ von Aufsätzen wird eine Verfassungswidrigkeit wegen Unbestimmtheit von Seer/Schneider, BB 1999, S.873, 875; Birk/Kulosa, FR 1999, S. 435 f.; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 627 f. und wohl auch von Butzer, BB 1999, S. 2061 f. und Stuhrmann, NJW 1999, S. 1663 angenommen. 7 Dieser Aspekt wird in der Literatur durchaus gesehen, vgl. dazu Blümich-Stuhrmann, EStG, § 2b Rn 36: „I.ü. erscheint es problematisch, eine stl. Regelung, die unerwünscht ist, sofort mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu belegen. So sind entsprechende Angriffe gegen vergleichbare Regelungen im Ausl. (...) nicht bekannt“. Ähnlich Litzmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 5: „Rechtspolitisch darf man den Sinn und Zweck der Vorschrift für zweifelhaft halten und für eine Abschaffung plädieren (...). Dies allein führt jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit“. 8 BStBl. I 2000, S. 1148 ff. 9 BStBl. I 2001, S. 588 ff. 10 Kaminski, BB 2000, S. 1605 ff.; Söffing, DB 2000, S. 2340 ff.; Ronig, DB 2000, S. 1480 ff.; Kohlhaas, FR 2000, S. 922 ff.; ders., DStR 2001, S. 1137 ff. 11 So z.B. von Söffing, DB 2000; Kaminski, BB 2000, S. 1607, 1609; Elicker, FR 2002, S. 1043 f.; Wotschofsky/Meßmer, StuB 2002, S. 1054 f.; Sandrock, Verständlichkeit, S. 786 f. Vgl. aus der Kommentarliteratur auch Frotscher-Lindberg, EStG, § 2b Rn 17; Litzmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 5; Lademann-Kaligin, EStG, § 2b Rn 15 ff.; wohl auch Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 1.

230

D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

wendung erwiesen hat12, trat in dieser Form bei § 2b EStG nicht ein. Selbst in jüngster Zeit lassen sich Literaturstimmen ausmachen, die sich vehement gegen eine vermeintliche Tendenz zur Akzeptanz dieser Norm aussprechen13. Es ist deshalb davon auszugehen, dass unverändert ein beachtlicher Teil der Literatur an der Auffassung festhält, § 2b EStG verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Diese Frage hat also nichts an Relevanz verloren, solange eine bundesverfassungsgerichtliche Klärung noch aussteht. Für die Diskussion um die Bestimmtheit des § 2b EStG gilt dabei nichts anderes als für die Diskussion von Bestimmtheitsfragen auf abstrakt-verfassungsrechtlicher Ebene: Die Begrifflichkeit ist verworren und Bestimmtheit und Klarheit werden vielfach gleichgesetzt oder nicht deutlich genug voneinander getrennt. Dabei beschränken sich die Vorwürfe gegen § 2b EStG in der Sache nicht auf Verstöße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, sondern betreffen auch Klarheitsfragen. Es ist folglich eine differenzierte Erörterung angebracht.

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG § 2b EStG enthält eine ungewöhnlich hohe Anzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen. Nicht alle sind aber von Verfassungs wegen problematisch. Das Urteil der Verfassungswidrigkeit wegen Unbestimmtheit fällen zwar eine Reihe von Autoren über § 2b EStG, dies ist aber hauptsächlich durch die Verwendung zweier spezieller Begriffe motiviert: § 2b S. 1 EStG spricht von „ähnlichen Modellen“, und in S. 3 ist von der „Rendite nach dem Betriebskonzept“ die Rede. Auf diese konzentrieren sich deshalb die folgenden Ausführungen. Auf weitere unbestimmte Rechtsbegriffe wird, soweit auch sie vereinzelt Gegenstand verfassungsrechtlicher Bedenken sind, nur kurz hingewiesen.

1. „Ähnliche Modelle“ Im Mittelpunkt der Kritik an § 2b EStG steht die Verwendung des Begriffs „ähnliche Modelle“. Eine Reihe von Autoren halten diesen für nicht mehr auslegbar und deshalb für verfassungswidrig unbestimmt14. Um diesem Vorwurf __________ 12

Aus dem Steuerrecht ist vor allem § 15a EStG als Beispiel zu nennen, der anfangs unter Bestimmtheitsgesichtspunkten ähnlich kritisch wie § 2b EStG beurteilt wurde. Vgl. dazu auch C V 2 a) m.w.N. Diese Bedenken konnten sich aber nicht durchsetzen. Vgl. Bordewin/Brandt-Ronig, EStG, § 2b Rn 58; Kirchhof/Söhn-von Beckerath, EStG, § 2b Rn A 62. 13 Vgl. Elicker, FR 2002, S. 1041 ff. (als Reaktion auf Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 701 ff.).

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

231

näher nachzugehen, soll das an anderer Stelle entwickelte Prüfungsmodell zum Einsatz kommen15.

a) Auslegungsstadium Grundsätzlich muss der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen werden, nach der die bloße „Auslegungsbedürftigkeit“ eines Begriffes seiner verfassungsmäßigen Bestimmtheit nicht im Wege steht. Der Begriff muss aber noch auslegungsfähig sein. Dies soll im Folgenden überprüft werden. Aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse kann der Begriff dann kategorisiert werden, was den weiteren Verlauf der Prüfung determiniert16. An dieser Stelle kann bereits berücksichtigt werden, dass über die grundsätzliche Qualifikation des Begriffs „ähnliche Modelle“ als „unbestimmter Rechtsbegriff“ in der Literatur Einigkeit besteht17. Eine Zuordnung zu Begriffen der Kategorie 118 scheidet folglich von vornherein aus. Im Folgenden muss deshalb primär festgestellt werden, ob entweder ein eindeutiges Auslegungsergebnis erreicht wird (Kategorie 2) oder die Auslegung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist und Rechtsunsicherheiten verbleiben (Kategorie 3) oder ob der Begriff so „offen“ ist, dass er durch Auslegung nicht mehr rational zu konkretisieren ist und die Rechtsanwendung dadurch beliebig wird (Kategorie 4). Ziel der folgenden Ausführungen ist es aber nicht, Lösungen zu jeder einfachrechtlichen Frage zu entwickeln. Die Auslegung ist vielmehr Mittel zum Zweck einer verfassungsrechtlichen Prüfung und soll nur aufzeigen, ob und an welchen Stellen der Rechtsanwender auf Schwierigkeiten bei der Handhabung der Norm stößt, um aufgrund dieser Erkenntnisse den „Offenheitsgrad“ des Begriffs zu ermitteln. Vereinzelt wird in der Literatur vorgebracht, dass schon die Existenz einer Verwaltungsvorschrift zu § 2b EStG zeige, dass diese Norm der Auslegung zugänglich sei19. Dem ist aber zu widersprechen: Solange eine Vorschrift gelten__________ 14 Frotscher-Lindberg, EStG, § 2b Rn 17; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 561; Seer/Schneider, BB 1999, S. 873; Söffing, DB 2000, S. 2342; Kaminski, BB 2000, S. 1607; Elicker, FR 2002, S. 1043 ff. 15 Vgl. B VI 2. 16 Vgl. B VI 2 c). 17 Vgl. für viele Bordewin/Brandt-Ronig, EStG, § 2b Rn 57; Kohlhaas, DStR 2001, S. 1139. 18 Vgl. zu dieser Kategorisierung B VI 2 b). 19 Vgl. Blümich-Stuhrmann, EStG, § 2b Rn 36: Die „unbestimmten Rechtsbegriffe sind, wie das BMF-Schr. v. 7.7.00, 1148, zeigt, der praktischen Anwendung zugänglich“. Ebenso Tiedtke/Striegel, FR 2003, S. 439.

232

D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

des Recht darstellt, muss die Verwaltung diese anwenden. Die Frage ist deshalb nicht, ob eine einheitliche Auslegung der Norm durch die Verwaltung in Gestalt eines BMF-Schreibens existiert und ob die in diesem Schreiben gewählten Lösungen in jedem Fall „richtig“ sind, sondern vielmehr, ob sie in ausreichendem Maße durch das Gesetz determiniert oder als völlig willkürlich anzusehen sind20. Dies lässt sich aber nur im Wege der nachvollziehenden Gesetzesauslegung feststellen, auf die folglich nicht mit dem Hinweis auf eine existierende Verwaltungsvorschrift verzichtet werden kann. Die juristische Methodenlehre erkennt im Wesentlichen vier Auslegungskriterien an; den Wortlaut, die Systematik, die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck einer Regelung21. Einigkeit besteht auch darüber, dass – bedingt durch die Tatsache, dass alle Rechtsquellen sprachlich abgefasst sind – jegliche Auslegung mit dem Wortlaut einer Norm zu beginnen hat22. Keinem der Auslegungskriterien kommt aber von sich aus ein Übergewicht zu, die einzelnen Auslegungsergebnisse müssen deshalb zusätzlich in einer Gesamtschau gewürdigt und gewichtet werden23.

aa) Wortlaut Im Rahmen der Auslegung anhand des Wortlauts wird in der Literatur folgende Reihenfolge vorgeschlagen, die auch hier übernommen wird: Zuerst sei der spezifische Sprachgebrauch des Gesetzes zugrunde zu legen, dann der allgemeine juristische und schließlich der umgangssprachliche24. Der Begriff „Modell“ wird im Gesetz nicht legaldefiniert, die Gesetzesbegründung geht ebenfalls nicht näher auf ihn ein25. Auch im sonstigen EStG sowie im restlichen Steuer- und Gesellschaftsrecht wird dieser Begriff nicht verwandt, es handelt sich also um eine Neuschöpfung des Gesetzgebers26. Bei der Konkretisierung __________ 20

Richtig Elicker, FR 2002, S. 1041. Vgl. hierzu den Überblick bei Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 47 ff. 22 Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 596; Rüthers, Rechtstheorie, Rn 731; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141; Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 47; Seiler, Auslegung, S. 26 23 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 166; Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 85 f.; Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 136 ff.; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 301; Brugger, AöR 119 (1994), S. 21. Vgl. auch zuletzt BVerfGE 105, 135/157. 24 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 50. Vgl. zu den verschiedenen „Spracharten“, die dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen, auch Seiler, Auslegung, S. 26 f.; Brugger, AöR 119 (1994), S. 23 f.; Kirchhof, Bestimmtheit der Rechtssprache. 25 Dies bemängeln Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 4; Wotschofsky/Meßmer, Stbg 2002, S. 442; Seer/Schneider, BB 1999, S. 873. 26 Vgl. Wotschofsky/Meßmer, Stbg 2002, S. 442; Seer/Schneider, BB 1999, S. 873; HHR-Hallerbach, EStG, § 2b Rn 26; Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 12. 21

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

233

des Begriffes könnte jedoch weiterhelfen, dass auch die amtliche und somit zum Normtext gehörige Überschrift den Begriff „Modell“ verwendet, diesmal in Bezug auf „Verlustzuweisungsgesellschaften“. Der Begriff der „Verlustzuweisungsgesellschaften“ existiert in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes mit einem feststehenden Bedeutungsgehalt. Diese Rechtsprechung operiert ebenfalls mit einem Kriterium der „Modellhaftigkeit“, so dass hier evtl. ein steuerjuristischer Sprachgebrauch vorliegt, den man für die Auslegung des Begriffs „ähnliche Modelle“ aufgreifen könnte27. Eine nähere Bestimmung von „ähnliche Modelle“ durch den Rückgriff auf die Rechtsprechung des BFH ist aber nicht möglich, denn dieser vermutet bei „Verlustzuweisungsgesellschaften“ im Sinne seiner Rechtsprechung eine anfänglich fehlende Einkünfteerzielungsabsicht28. Eine solche Einkünfteerzielungsabsicht ist aber gerade Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 2b EStG29. Folglich müssen „Verlustzuweisungsgesellschaften“ im Rahmen des § 2b EStG etwas anderes sein als in der BFH-Rechtsprechung30. Der Begriff des „Modells“ kann auf diesem Weg also nicht näher konkretisiert werden, ein einschlägiger steuerjuristischer Sprachgebrauch ist nicht erkennbar. Ein konsentierter allgemein-juristischer Gebrauch des Begriffs „Modell“ ist ebenfalls nicht ersichtlich31. Näheren Aufschluss kann deshalb nur die umgangssprachliche Bedeutung von „Modell“ liefern. Im Duden liest man dazu Folgendes: „Muster, Vorbild, Typ; Entwurf, Nachbildung; Gießform; nur einmal in dieser Art hergestelltes Kleidungsstück; Person od. Sache als Vorbild für ein Kunstwerk; Mannequin“32. Im Zusammenhang des § 2b EStG erscheinen am ehesten noch die zuerst aufgezählten Umschreibungen einschlägig. „Modell“ in diesem Sinne bezeichnet also etwas „Typisiertes“, etwas „Vor-Gebildetes“33. __________ 27

Vgl. dazu Söffing, DB 2000, S. 2342. BFH BStBl. II 1996, 219. Vgl. zu diesem Komplex Seer/Schneider, BB 1999, S. 872; Kohlhaas, DStR 2001, S. 1138 f. und die ausführliche Darstellung der Rechtsprechungsgeschichte bei Jakob/Jakob, StuW 2004, S. 25 ff. 29 So die einhellige Meinung von Literatur und Verwaltung. Vgl. dazu für viele Bordewin/Brandt-Ronig, EStG, § 2b Rn 62; Kohlhaas, DStR 2001, S. 1139; Seer/Schneider, BB 1999, S. 872 und das BMF-Schreiben vom 5.7.2000, Rn 2. 30 Vgl. Kohlhaas, DStR 2001, S. 1139; Söffing, DB 2000, S. 2340. 31 Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 12, verweist darauf, dass der Begriff des „Modells“ zwar im Baurecht Verwendung findet, dort jedoch in anderem Zusammenhang. 32 Duden, Die deutsche Rechtschreibung, S. 659. Auf den „Duden“ beruft sich im Rahmen seiner Wortlautinterpretation auch Söffing, DB 2000, S. 2342. 33 Ähnlich Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 705: „Der Wortlaut des „Modells“ ist dadurch gekennzeichnet, dass regelmäßig gleiche charakteristische Grundstrukturen zu erkennen sind“. Unverständlich ist der Einwand von Söffing, DB 2000, S. 2342, nach der alle vom Duden angeführten Bedeutungen „mit dem Im-Vordergrund-Stehen eines steuerlichen Vorteils nichts zu tun“ haben. Dies müssen sie auch nicht, geht es an dieser 28

234

D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

Die von der Finanzverwaltung vorgenommene Präzisierung, nach der sich „modellhafte“ Gestaltungen durch ein „vorgefertigtes Konzept“ sowie „gleichgerichtete Leistungsbeziehungen, die im Wesentlichen identisch sind“34 auszeichnen, erscheint somit als sinnvolle, vom Wortlaut gedeckte Annäherung35. Eine weitere, darüber hinausgehende Konkretisierung nur anhand des Wortlautkriteriums erscheint aber nicht möglich.

bb) Systematik Im Rahmen der systematischen Auslegung wird der Gebrauchszusammenhang, in dem der fragliche Begriff steht, in die Betrachtung mit einbezogen36. Dabei ist nicht nur der Kontext des jeweiligen Gesetzes zu berücksichtigen, sondern auch übergeordnete Normen und der Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung37. Eine verfassungs- oder europarechtskonforme Auslegung unterfällt ebenfalls diesem Punkt38. Hier ist zunächst beachtlich, dass das Gesetz „Modelle“ über das Wort „ähnliche“ in Beziehung zu „Beteiligungen an Gesellschaften oder Gemeinschaften“ setzt. „Modelle“ wird also als Oberbegriff verstanden39. Daraus lassen sich zwei Rückschlüsse ziehen: Zum einen kann der Begriff „Modelle“ zur Konkretisierung von „Beteiligungen an Gesellschaften ___________ Stelle doch nur um eine Präzisierung des Begriffes „Modell“ und nicht um weitere Merkmale des Tatbestandes des § 2b EStG. 34 BMF-Schreiben vom 5.7.2000, Rn 17. 35 Unverständlich wirkt deshalb auch der zu Beginn der Diskussion um § 2b EStG von Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 561 vorgebrachte Einwand, dass „Modell“ kein Rechtsbegriff sei, „sondern ein Begriff, der zur Systematisierung rechtstatsächlicher Gestaltungen dient und sich damit im vorrechtlichen Bereich“ bewege. Diese Beobachtung mag zwar hinsichtlich der Verwendung des Begriffes bis dato zutreffend sein, dies hindert den Gesetzgeber jedoch nicht daran, ihn zu einem Rechtsbegriff zu erheben. 36 Vgl. für viele Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 145 ff.; Seiler, Auslegung, S. 28. 37 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn 744 ff. Hilfreich ist dabei auch die Unterscheidung zwischen „äußerer“ und „innerer“ Systematik. Zur „äußeren“ Systematik soll z.B. die amtliche Überschrift, der Abschnitt, in dem die Norm steht oder die allgemeine Gliederung des Gesetzes gehören, wohingegen das „innere“ System die inhaltliche Abgestimmtheit von Normen im Sinne einer „Einheit der Rechtsordnung“ bezeichnet. Vgl. dazu Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 63 ff. 38 Vgl. Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 610; Rüthers, Rechtstheorie, Rn 763 ff. Teilweise werden diese auch als eigenständige Auslegungsansätze aufgeführt; vgl. dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 159 ff.; Seiler, Auslegung, S. 33 f. 39 Ebenso Seer/Schneider, BB 1999, S. 873; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 705; Elicker, FR 2002, S. 1042; HHR-Hallerbach, EStG, § 2b Rn 24; Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn B 15. Dagegen aber Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 561 f.; Wotschofsky/Meßmer, Stbg 2002, S. 442 (mit dem Hinweis, dass Gesellschaften und Gemeinschaften als solche keine „Modelle“ seien).

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

235

und Gemeinschaften“ herangezogen werden40. Zum anderen kann über diese wiederum versucht werden, „Modelle“ näher zu bestimmen41. An dieser Beziehung entzündet sich aber auch die größte Auslegungsstreitigkeit im Zusammenhang mit dem Begriff „Modell“; nämlich die Frage, ob über dieses Tatbestandsmerkmal auch die Einbeziehung negativer Einkünfte eines Einzelinvestors zulässig sein kann42. Deren Beantwortung wird im Wesentlichen dadurch vorgegeben, wie man § 2b S. 1 EStG versteht: Ist diese Norm als „Einkünfte aufgrund von Beteiligungen an ähnlichen Modellen“ oder als „Einkünfte aufgrund von ähnlichen Modellen“ zu lesen? Wäre Ersteres der Fall, so würde der Normzusammenhang einer Einbeziehung von Einzelinvestoren im Wege stehen, denn der Begriff der „Beteiligung“ bezeichnet eine von mehreren Steuerpflichtigen gleichzeitig verwirklichte Einkunftsquelle43. Diese Lesart wird mit dem Argument untermauert, dass der Gesetzgeber die Vorschrift auch anders hätte formulieren können: Anstelle der im Gesetzeswortlaut vorgenommenen Verbindung von Gesellschaften, Gemeinschaften und ähnlichen Modellen über ein „oder“ hätte die Formulierung „Einkünfte aufgrund von Beteiligungen an Gesellschaften oder Gemeinschaften und aus ähnlichen Modellen“ klar gestellt, dass sich „Beteiligungen“ nicht auf „ähnliche Modelle“ bezieht44. Gestützt wird dieser Einwand vom Wortlaut des § 52 Abs. 4 S. 2, 3 und 5 EStG. In diesen Normen wird durchgängig auf „Beteiligungen“ Bezug genommen45. Gegen den Bezug von „Beteiligungen“ auf „ähnliche Modelle“ lassen sich im Wesentlichen zwei Argumente ins Feld führen. Das im Normtext des § 2b EStG __________ 40 Diese Schlussfolgerung wird von einer Mindermeinung in der Literatur bestritten, denn die Stimmen, die „Modell“ nicht als Oberbegriff ansehen (vgl. vorherige Fußnote), lehnen folgerichtig auch eine „Modellhaftigkeit“ als gemeinsames Merkmal der Varianten des § 2b S. 1 EStG ab. Vergleichbar mit teilweise anderer Begründung Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn B 16. Sie ergibt sich m.E. aber eindeutig aus dem Ähnlichkeitserfordernis in § 2b S. 1 EStG. Warum dieser Deutung der Wortlaut des Gesetzes entgegenstehen soll, wie beispielsweise Söffing, DB 2000, S. 2341 anmerkt, wird nicht recht verständlich. 41 Darin liegt auch kein Zirkelschluss. Über diese Alternative soll nicht wieder der gemeinsame Oberbegriff konturiert werden, das „Modell“, sondern nur das „ähnliche Modell“, also ein unbekanntes Drittes, das im Vergleich zum Oberbegriff zusätzliche Merkmale aufweist. Diese zusätzlichen Merkmale können durchaus über einen Vergleich mit der ersten Tatbestandsalternative präzisiert werden, auch wenn diese ebenfalls bereits im Hinblick auf den gemeinsamen Oberbegriff konturiert wurde. Ähnlich Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 704 f. 42 Dies verneinen Kohlhaas, FR 2000, S. 924; ders., DStR 2001, S. 1142; Söffing, BB 2000, S. 2341 f.; Kaminski, BB 2000, S. 1607; Elicker, FR 2002, S. 1043. 43 Vgl. Blümich-Stuhrmann, EStG, § 2b Rn 16; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 703; dies., FR 2003, S. 435 f. 44 Vgl. Kohlhaas, FR 2000, S. 924; Söffing, DB 2000, S. 2341. 45 Ausführlich dazu Kohlhaas, FR 2000, S. 924.

236

D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

vermisste „und“ findet sich in der amtlichen Überschrift der Vorschrift sowie in der Gesetzesbegründung46. Hieraus lässt sich zumindest ableiten, dass der Gesetzgeber einer genauen Verwendung der Konjunktionen „und“ und „oder“ keine große Bedeutung beigemessen hat47 und man deren Relevanz für die systematische Auslegung der Norm folglich nicht zu groß einschätzen sollte. Wenn man sich allein am Normtext des § 2b EStG orientiert, erscheinen demnach beide Auffassungen vertretbar48. Dafür, dass auch Einzelinvestoren unter den Begriff des „Modells“ fallen, lässt sich unter systematischen Gesichtspunkten zusätzlich ein verfassungsrechtliches Argument anführen: Aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen erscheint es in der Tat als unhaltbar, kapitalstarke Steuerpflichtige grundsätzlich vom Anwendungsbereich des § 2b EStG auszunehmen, während kapitalschwächere Steuerpflichtige, die zwar das gleiche Objekt ausführen, dieses aber nur in gesellschaftlicher oder gemeinschaftlicher Verbundenheit tun können, der vollen Last des § 2b EStG ausgesetzt sind49. Eine an Art. 3 Abs. 1 GG orientierte verfassungskonforme Auslegung legt es also ebenfalls nahe, Einzelinvestoren einzubeziehen.

cc) Historie Über die historische Auslegung wird der Kontext der Entstehungsgeschichte einer Norm in die Betrachtung mit einbezogen50. Dies erlaubt nicht nur den __________ 46

Vgl. BT-Drucks. 14/443, S. 20. So auch Seer/Schneider, BB 1999, S. 873. 48 Zusätzlich verweisen Tiedtke/Striegel (FR 2002, S. 703; FR 2003, S. 436) darauf, dass gemeinschaftlich verwirklichte Einkunftsquellen bereits zur Gänze dem Begriff der „Beteiligungen an Gesellschaften oder Gemeinschaften“ unterfallen. Für das Kriterium „ähnliche Modelle“ verbleibe somit kein Anwendungsfall mehr, wenn auch dieses nur gemeinschaftlich verwirklichte Einkünfte umfasse. 49 Vgl. Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 703; dies., FR 2003, S. 436; Kohlhaas, DStR 2001, S. 1139. Kritisch dazu Elicker, FR 2002, S. 1043 f., der sich zwar diesem Argument nicht grundsätzlich verschließt, durch eine solche Auslegung aber die Wortlautgrenze als überschritten ansieht. Dieser Auffassung kann aber schon deshalb nicht gefolgt werden, weil nur aus der Verwendung der Konjunktion „oder“, wie oben dargelegt, nicht auf einen entgegenstehenden Wortlaut geschlossen werden kann. Wenn Elicker S. 1043 anführt, dass sich für den „durchschnittlichen Adressaten“, mit dem anscheinend der „durchschnittliche Steuerpflichtige“ gemeint ist, „ähnliche Modelle“ auf „Gesellschaft oder Gemeinschaft“ beziehe „und ein Einzelner diesen Gebilden nicht „ähnlich“ sein kann, sondern den Gegenbegriff hierzu“ darstelle, so ist dies erstens eine nicht substanziierte Behauptung, der zweitens eine falsche Vorstellung über die bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen einzunehmende Perspektive zugrunde liegt, die eben nicht die des „durchschnittlichen Steuerpflichtigen“ sein kann. Vgl. zur Adressatenproblematik B V 3 d). 50 Vgl. zur historischen Auslegung Rüthers, Rechtstheorie, Rn 778 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149 ff.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 599 f.; Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 73 ff.; Seiler, Auslegung, S. 28 f. 47

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

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Rückgriff auf den konkreten Regelungswillen bei der Gesetzgebung, der anhand der Gesetzesmaterialien ermittelt werden kann51, sondern erfasst auch die Betrachtung eventueller Vorgängerregelungen und ein Eingehen auf den historisch-gesellschaftlichen und geistes- und dogmengeschichtlichen Kontext einer Vorschrift52. In Bezug auf § 2b EStG im Allgemeinen und den Begriff des „ähnlichen Modells“ im Besonderen ist die Ausbeute aber mager. Eine Vorgängerregelung existiert nicht. Die Gesetzesmaterialien schweigen sich, wie bereits dargelegt, zum „ähnlichen Modell“ aus. Redlicherweise kann eine Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Norm nur die Erkenntnis liefern, dass in die Formulierung und Beratung des gesamten § 2b EStG nicht übermäßig viel Zeit und Sorgfalt investiert wurde. Dies wiederum stützt den Eindruck, dass der Verwendung der Konjunktion „oder“ anstelle von „und“ in S. 1 keine spezielle inhaltliche Bedeutung beigemessen bzw. die möglichen Auswirkungen gar nicht gesehen wurden. Die Gesetzesmaterialien und die Umstände der Entstehung des § 2b EStG können aber insofern für die Auslegung fruchtbar gemacht werden, als aus ihnen deutlich der Sinn und Zweck der Vorschrift hervortritt, die „Teleologie“ der Norm.

dd) Teleologie Wie genau der Wille des Gesetzgebers innerhalb der Auslegung zu berücksichtigen ist, ist seit jeher Gegenstand einer Kontroverse innerhalb der juristischen Methodenlehre. Zu unterscheiden ist hier zwischen einer „subjektiven“ und einer „objektiven“ Theorie53. Nach der „subjektiven“ Theorie ist zur Ermittlung des Gesetzeszwecks allein der Wille des historischen Gesetzgebers maßgeblich54. Nach der „objektiven“ Theorie können sich Gesetze vom ursprünglichen Regelungszweck lösen und somit eine von der ursprünglichen Regelungsintention unabhängige Bedeutung annehmen55. Relevanz erlangt dieser __________ 51 Vgl. dazu Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 75 f.; sog. „Entstehungsgeschichte im engeren Sinne“. 52 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn 780 ff.; Seiler, Auslegung, S. 28 f. 53 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn 796 ff.; Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 610 ff. 54 Vgl. Engisch, Einführung, S. 110 ff. m.w.N. und Wank, Grenzen, S. 59 ff. Ders., Auslegung von Gesetzen, betont S. 37, dass es sich beim historischen Gesetzgeber im Sinne der „subjektiven“ Theorie um den in die Gegenwart projizierten historischen Gesetzgeber handele, eine Bindung an die Vorstellung des wirklichen historischen Gesetzgebers werde nicht mehr vertreten. Eine an die subjektiven Theorie angelehnte vermittelnde Ansicht vertritt Rüthers, Rechtstheorie, Rn 806 ff. 55 Dieser Ansatz wurde maßgeblich von Karl Larenz geprägt und ist heute herrschend (vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 333 ff.). Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen. BVerfGE 11, 126/130 spricht u.a. davon, der

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

Streit allein bei Normen, deren Entstehungszeit lange zurückliegt und über die folglich die mit der Zeit gewandelten Verhältnisse nicht hinreichend berücksichtigt werden können, wollte man allein auf den Willen des historischen Gesetzgebers abstellen56. Der vergleichsweise junge, erst 1999 geschaffene § 2b EStG wird von dieser Problematik also nicht erfasst. § 2b EStG soll als Ganzes zur Verminderung unerwünschter Steuersparmodelle beitragen57. Gutverdienenden Steuerpflichtigen soll es nicht mehr möglich sein, sich durch Beteiligungen an Verlustzuweisungsmodellen ganz der Einkommensteuer zu entziehen58. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Norm ein möglichst weiter Anwendungsbereich zugestanden werden. Dies wird von der Beobachtung gedeckt, dass dem Begriff „ähnliche Modelle“ der Charakter eines Auffangtatbestandes zukommt, über den vom Tatbestandsmerkmal „Beteiligungen an Gesellschaften oder Gemeinschaften“ nicht abgedeckte Fälle erfasst werden können59. Dieser Charakter wiederum kann als weiteres Indiz dafür herangezogen werden, dass „ähnliche Modelle“ in einem Alternativitätsverhältnis zu „Beteiligungen an Gesellschaften und Gemeinschaften“ steht60. Zusätzlich spricht dies dafür, dass auch „Steuersparmodelle“ von Einzelinvestoren über den Begriff der „ähnlichen Modelle“ erfasst werden, denn es ist nicht ersichtlich, dass diese weniger unerwünscht wären als solche, an denen eine Mehrzahl von Personen beteiligt sind.

ee) Gesamtschau Im Zuge der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „ähnliche Modelle“ in § 2b S. 1 EStG anhand der gängigen Kriterien stößt man zwar auf Schwierigkeiten, es hat sich aber gezeigt, dass der Begriff nicht nur der Auslegung zugänglich ist, sondern durch diese prinzipiell auch so konturiert werden kann, dass er für die Rechtsanwendung handhabbar wird. ___________ Wille des historischen Gesetzgebers könne „nur insoweit berücksichtigt werden, als er im Gesetz selbst einen hinreichenden Ausdruck gefunden hat“. Dem entspricht auch die Vorgehensweise des Bundesfinanzhofs, vgl. nur BStBl. II 1975, 245; 1992, 167/172. 56 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 577 ff.; Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 46. 57 Begründung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/443, S. 46. Vgl. auch BTDrucks. 14/443, S. 20. 58 Vgl. Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 702; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 489; Kohlhaas, DStR 2001, S. 1138. 59 In dieser Charakterisierung ist sich die Literatur weitgehend einig. Vgl. bspw. Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 12; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 705; dies., FR 2003, S. 436; Kohlhaas, DStR 2001, S. 1139. Diesem Tatbestandsmerkmal kommt also ein „generalklauselartiger“ Charakter zu. 60 Vgl. Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 702.

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

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Als erstes Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass der Begriff als solcher nicht zu denjenigen unbestimmten Rechtsbegriffen zu zählen ist, die nicht mehr rational konkretisierbar sind und bei denen die Ermittlung des Normbefehls mangels objektiver Kriterien scheitert. Diese Einschätzung wird mittlerweile auch von einer Reihe von Literaturstimmen und den meisten Kommentierungen – man kann hier mittlerweile von einer herrschenden Meinung sprechen – geteilt, die „ähnliche Modelle“ ebenfalls für prinzipiell auslegungsfähig halten61. Im Rahmen der Auslegung hat sich aber auch gezeigt, dass das gesetzgeberische Vorgehen, „einen neuartigen, aus sich heraus nicht bestimmbaren Begriff“ einzuführen, „ohne sich die Mühe zu machen, dessen Inhalt zu umschreiben“62, durchaus als unglücklich und kritikwürdig einzuschätzen ist. Aus dem Wortlaut und der Historie des Gesetzes konnten kaum nähere Erkenntnisse zur Gestalt der „ähnlichen Modelle“ gewonnen werden. Eine Konturierung des Anwendungsbereichs wurde jedoch durch die Berücksichtigung von Systematik und Teleologie der Vorschrift ermöglicht. Hinsichtlich des Hauptstreitpunktes, der Einbeziehung von Einzelinvestoren in den Normbereich des § 2b S. 1 EStG, konnte aufgezeigt werden, dass mehrere Auslegungskriterien deutlich für eine solche sprechen. Gleichwohl ist zuzugeben, dass in diesem Zusammenhang ein erhöhter Auslegungsaufwand erforderlich ist und der Wortlaut der Vorschrift, ohne die Gegenansicht auszuschließen, tendenziell in eine andere Richtung weist. Der Begriff „ähnliche Modelle“ und mit ihm der gesamte S. 1 des § 2b EStG ist folglich aufgrund der nicht unerheblichen – aber gleichwohl lösbaren – Auslegungsschwierigkeiten, die er aufwirft, im Grenzbereich zwischen den Kategorien 2 und 3 anzusiedeln63. Es erscheint deshalb zweckmäßig, für das Rechtfertigungsstadium zunächst eine Vermutung der Verfassungswidrigkeit vorzugeben, aber davon auszugehen, dass diese mit erleichtertem Aufwand zu widerlegen ist.

__________ 61 Vgl. Striegel, Auslegung des § 2b EStG, S. 184; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 702 ff.; dies., FR 2003, S. 439; Kohlhaas, FR 2000, S. 924; dens., DStR 2001, S. 1140; Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn B 26-29; Blümich-Stuhrmann, EStG, § 2b Rn 36; Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 12; Bordewin/Brandt-Ronig, EStG, § 2b Rn 96; HHR-Hallerbach, EStG, § 2b Rn 26; Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 65; Lademann-Kaligin, EStG, § 2b Rn 30, und nicht zuletzt die Finanzverwaltung, BMFSchreiben vom 5.7.2000, Rn 11 ff. 62 So die Klage von Seer/Schneider, BB 1999, S. 873. 63 Vgl. zu diesen B VI 2 b).

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

b) Rechtfertigungsstadium Bevor nach Rechtfertigungsgründen für die „Offenheit“ des Merkmals „ähnliche Modelle“ gesucht wird, ist zunächst zu untersuchen, ob die Rechtfertigungsanforderungen nicht aufgrund zusätzlicher Erwägungen noch verschärft werden müssen. Als Bestimmtheitsdeterminant, der die Anforderungen an die gesetzliche Regelungsdichte erhöhen und somit die für den Begriff des „ähnlichen Modells“ aufgestellte Vermutung der Verfassungswidrigkeit erhärten könnte, kommt die Geltung eines Parlamentsvorbehalts in Betracht64. Wäre dies der Fall, müsste der Gesetzgeber das „Wesentliche“ selbst regeln und dürfte Entscheidungsbefugnisse nicht in dem Umfang, wie es durch die Verwendung des Begriffs „ähnliche Modelle“ geschieht, auf die Verwaltung übertragen. Die Geltung eines Parlamentsvorbehalts könnte zum einen dann angenommen werden, wenn § 2b EStG eine besondere Grundrechtsrelevanz entfalten würde65. Eine über das übliche Maß hinausgehende Grundrechtsbeeinträchtigung dadurch, dass der Gesetzgeber möglichst alle „Steuersparmodelle“ zu erfassen sucht, ist aber nicht ersichtlich. Schon die originäre Auferlegung von Steuerlasten als einfacher Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG ist nicht als „wesentliche“ Entscheidung zu beurteilen. Es ist nicht ersichtlich, dass einer teilweisen Verlustausgleichsbeschränkung eine größere freiheitsgrundrechtliche Eingriffsintensität zukäme. Auch mit dem Verweis auf die vermeintlich „mangelnden Sachgesetzlichkeiten“ des Steuerrechts ist die Geltung eines Parlamentsvorbehalts nicht zu begründen. Das Erfordernis einer erhöhten steuergesetzlichen Regelungsdichte besteht, wie gezeigt, im Rahmen der Bemessungsgrundlage nur bei der Prägung des Belastungsgrundes66. Diese Materie betrifft § 2b EStG jedoch nicht, es handelt sich um eine bloße Ausgestaltung der gesetzlichen Verlustverrechnungsvorschriften67. __________ 64 In diese Richtung gehen die Ausführungen von Seer/Schneider, BB 1999, S. 873 und Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn A 70. 65 Vgl. dazu B V 2 c). 66 Vgl. dazu B VI 1 a) . 67 Es sei zudem in Erinnerung gerufen, dass das Erfordernis höherer Regelungsdichte für die „Grundstrukturen des Steuerzugriffs“ mit dem Fehlen einer über die Absicht der bloßen Einnahmeerzielung hinausgehenden eigenständigen Teleologie des Steuerrechts begründet wird. Dies mache es notwendig, dass der Gesetzgeber soviel wie möglich selbst regele. § 2b EStG verfolgt in erster Linie das Ziel, unerwünschte „Steuersparmodelle“ einzudämmen. Es besteht also eine eigenständige Zwecksetzung, die über die bloße Einnahmeerzielung hinausgeht. Hieran kann sich auch die Normauslegung orientieren. Bestätigt wird dies durch die Beobachtung, dass dort, wo § 2b EStG in der Literatur exemplarisch auslegt wird, selbstverständlich auch teleologische Kriterien herangezogen werden. Vgl. dazu nur Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 705 f.; Kohlhaas, DStR 2001, S. 1138. Schon deswegen greift aber eine auf die „fehlende Sachgesetzlichkeit“

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

241

Es ist deshalb davon auszugehen, dass im Regelungsbereich des § 2b EStG keine erhöhten Anforderungen an die Möglichkeit zur Delegation von Entscheidungsmacht an die rechtsanwendenden Instanzen zu stellen sind. Letztendlich handelt es sich beim Begriff „ähnliches Modell“ geradezu um ein Musterbeispiel für den bewussten Gebrauch der Delegationswirkung gesetzlicher „Offenheit“. Der Gesetzgeber reagiert hier auch auf die gerade im Steuerrecht häufig zu machende Erfahrung, dass detaillierte Ausnahmeregelungen von der Praxis durch abweichende rechtliche Gestaltungen leicht umgangen werden können. Denn je mehr Tatbestandsmerkmale eine Vorschrift enthält, umso leichter kann deren Anwendungsbereich durch die Modifikation nur eines Merkmals umgangen werden. Wenn man nun, ausgehend von dieser Erkenntnis, nach Rechtfertigungen für die „Offenheit“ des § 2b S. 1 EStG sucht, so wird man leicht fündig. Es ist zunächst einmal an der grundsätzlichen Möglichkeit zu zweifeln, „Verlustzuweisungsgesellschaften“ im Sinne des § 2b EStG oder ggf. „Steuersparmodelle“ positiv zu definieren, denn diese nutzen teilweise völlig unterschiedliche steuerrechtliche Vorgaben aus68. Diese Möglichkeit der Definition wäre aber die Voraussetzung für eine präzisere Normierung. Hätte sich der Gesetzgeber trotzdem an einer Legaldefinition versucht, so hätte diese aufgrund der schon aus der Vielgestaltigkeit des Regelungsgegenstandes notwendig resultierenden Unzulänglichkeiten sehr detailliert ausfallen müssen, was wiederum Ausweichmöglichkeiten eröffnet hätte, die auch absehbarerweise genutzt worden wären. Will der Gesetzgeber aber denkbare Fallgestaltungen zur Gänze erfassen und „Vermeidungsstrategien der Branche“69 vermeiden, was für sich genommen ein legitimes Anliegen ist, so bleibt ihm nur der Weg, eine generalklauselartige Auffangvorschrift zu schaffen, die aber notwendigerweise einen erhöhten „Offenheitsgrad“ mit sich bringt. Mit dem Verweis auf die reduzierte „Regelungsfähigkeit des Sachbereichs“ kann gesetzliche Unbestimmtheit verfassungsrechtlich valide gerechtfertigt werden70. Gestützt wird diese Erkenntnis von Erwägungen zur „funktionsgerechten Organstruktur“71. Die Verwaltung, die grundsätzlich dem Einzelfall näher steht, wird durch die Bezugnahme auf „ähnliche Modelle“ in die Lage versetzt, auf Gestaltungen zu reagieren, die der Gesetzgeber aufgrund der dem parlamentarischen Verfahren immanenten Beschränkungen nicht vorhersehen kann. Insofern macht sich der Gesetzgeber die ___________ gestützte Argumentation zur Begründung besonderer Bestimmtheitsanforderungen nicht. 68 Vgl. Kohlhaas, DStR 2001, S. 1139 f, 1143. 69 So die Formulierung von Seer/Schneider, BB 1999, S. 873. Lademann-Kaligin, EStG, § 2b Rn 30, verweist auf die „enorme Kreativität der sog. Steuersparbranche“. 70 Vgl. B V 5 b). 71 Näher dazu B IV 2 a) cc) (2).

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

„Porösität“ des unbestimmten Rechtsbegriffs „ähnliche Modelle“ zunutze72. Die Steuerungswirkung des Gesetzes bleibt aber gleichwohl gewahrt, weil der Begriff „ähnliche Modelle“ im Grundsatz einer Konkretisierung zugänglich ist.

c) Ergebnis Aufgrund dieser Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass die Verwendung des Begriffs „ähnliche Modelle“ in § 2b S. 1 EStG noch mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar und somit als verfassungsgemäß anzusehen ist. Der herrschenden Auffassung in der Literatur ist beizupflichten. Verbleibende Unsicherheiten, wie die Einbeziehung von Einzelinvestoren in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift, die auch nach Auffassung der Verwaltung zulässig ist73, können notfalls gerichtlich geklärt werden, die Determinationswirkung der Norm geht dadurch nicht verloren.

2. „Rendite nach dem Betriebskonzept“ Neben dem Begriff des „ähnlichen Modells“ konzentriert sich die Kritik an § 2b EStG unter Bestimmtheitsgesichtspunkten auf die „Offenheit“ des ersten Regelbeispiels in S. 3, in dessen Zusammenhang es die „Rendite nach dem Betriebskonzept“ zu ermitteln gilt. Genauer betrachtet werden zwei verschiedene verfassungsrechtlich motivierte Vorwürfe erhoben, die sich zum einen auf den Begriff „Rendite“ beziehen, zum anderen darauf, dass die Norm auf das „Betriebskonzept“ abstellt. Diese sollen deshalb auch getrennt untersucht werden.

a) „Rendite“ In der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass der Rechtsbegriff „Rendite“ als „unbestimmt“ zu qualifizieren ist74. Zwar gibt es eine allgemeine Definition von „Rendite“. Es gibt aber mehrere anerkannte Methoden, eine solche „Rendite“ zu berechnen, die teilweise zu stark divergierenden Ergebnissen führen75. Zur Anwendung eines Gesetzes, das die Ermittlung einer „Rendite“ verlangt, muss sich der Rechtsanwender auf eine Berechnungsmethode festlegen. § 2b __________ 72

Zur „Porösität“ vgl. B II 2 a). Vgl. das BMF-Schreiben vom 5.7.2000, Rn 11 f. 74 Vgl. für viele Marx/Löffler, DStR 1999, S. 1959. 75 Vgl. Seer/Schneider, BB 1999, S. 874 m.w.N.; Marx/Löffler, DStR 1999, S. 1959; Söffing, DB 2000, S. 2343; Elicker, FR 2002, S. 1046; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 565; Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 17. 73

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

243

S. 3 EStG gibt aber keinen näheren Hinweis darauf, welche Methode anzuwenden ist. Aus dieser „Offenheit“ resultieren die verfassungsrechtlichen Bedenken76. Es stellt sich wieder die Frage, ob sich der Begriff der „Rendite“ durch Auslegung soweit konkretisieren lässt, dass die Auswahl einer Renditeberechnungsmethode durch die Verwaltung noch als hinreichend gesetzlich determiniert angesehen werden kann.

aa) Auslegungsstadium Im Rahmen der Auslegung nach dem Wortlaut stößt der Rechtsanwender auf Schwierigkeiten: § 2b EStG definiert den Begriff der „Rendite“ nicht weiter. Eine nähere Erläuterung findet sich auch nicht in der Gesetzesbegründung. Ein spezieller gesetzlicher Gebrauch des Begriffs „Rendite“ existiert im Rahmen des § 2b S. 3 EStG also nicht. Auch im übrigen Steuerrecht gibt es keine verbindliche Definition von „Rendite“77. Fast einhellig wird daraus in der Literatur der Schluss gezogen, dass im Rahmen des § 2b EStG der Rückgriff auf eine betriebswirtschaftliche Methode der Renditeermittlung erforderlich ist78. Auch eine solche müsste aber bis zu einem gewissen Grad gesetzlich determiniert sein. Es bietet sich deshalb auch hier an, im Rahmen der Wortlautauslegung bei einer allgemeinen Definition des Renditebegriffs anzusetzen: „Als Rendite, auch Rentabilität genannt, bezeichnet man allgemein das Verhältnis zwischen dem Ergebnis (Gewinn, Jahresüberschuss, Cash Flow u.a.) einer (finanzwirtschaftlichen) Maßnahme und dem eingesetzten Kapital“79. Nahe legen würde ein solches Verständnis die Bestimmung des auf einen bestimmten Zeitraum bemessenen Gesamtertrags eines angelegten Kapitals in Prozenten80. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das Regelbeispiel des § 2b S. 3 EStG nur dann greifen soll, wenn die Nachsteuerrendite mehr als das Doppelte der Vor__________ 76 Solche äußern Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 564 ff.; Elicker, FR 2002, S. 1046; Seer/Schneider, BB 1999, S. 873; Birk/Kulosa, FR 1999, S. 435; Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 5, 122. 77 Dies ist unstreitig; vgl. nur Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 709; Meinhövel/Roeder, StuB 2001, S. 1067. 78 Vgl. u.a. Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b, Rn 34; Marx/Löffler, StuB 2002, S. 549; Seer/Schneider, BB 1999, S. 874. Dagegen nur Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 709 ff.; Elicker, FR 2002, S. 1049 ff. 79 Zitiert nach Marx/Löffler, DStR 1999, S. 1959 m.w.N. Auf eine allgemeine Definition verweisen auch Seer/Schneider, BB 1999, S. 874 m.w.N.: „Unter Rendite ist daher der während der gesamten Anlageperiode bezogene prozentuale Wertzuwachs einer Investition bezogen auf den Wert zu Beginn dieser Periode zu verstehen“. Ähnlich Söffing, DB 2000, S. 2343. 80 So Söffing, DB 2000, S. 2343, der dies als den „allgemeinen Sprachgebrauch“ von „Rendite“ identifiziert.

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

steuerrendite beträgt81. Bei der vorgeschlagenen Herangehensweise muss die Nachsteuerrendite aber zwangsläufig geringer ausfallen82. Das Regelbeispiel könnte also niemals erfüllt werden. Schon der systematische Zusammenhang des Begriffes „Rendite“ ergibt folglich, dass ein solches Verständnis verfehlt ist83. Es muss also ein anderes Verfahren der Renditeberechnung gewählt werden, in das auch eine erzielte Steuerersparnis mit einbezogen wird. Grundsätzlich lassen sich hier statische Verfahren, die Zeitpräferenzen unberücksichtigt lassen, und dynamische, über die Zinseffekte abgebildet werden können, unterscheiden84. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz die „Rendite“ in Bezug zum „Betriebskonzept“ der Gesellschaft setzt. Betriebskonzepte von „Verlustzuweisungsmodellen“ im Sinne des § 2b EStG erstrecken sich aber üblicherweise über Jahre, und ihre Attraktivität in steuerlicher Hinsicht resultiert zu einem großen Teil daraus, dass Steuerzahlungen de facto zinslos gestundet werden, der Steuerpflichtige also einen teilweise erheblichen Zinseffekt erzielen kann85. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 2b EStG, die Attraktivität solcher „Steuersparmodelle“ zu vermindern, erscheint somit auch eine Berücksichtigung dieser Wirkungsweise innerhalb der Normauslegung angebracht86. Dem Zeitfaktor muss Rechnung getragen werden. Teleologische Erwägungen sprechen somit dafür, statische Renditeberechnungsmethoden auszuscheiden, die diesen Zeitfaktor grundsätzlich unberücksichtigt lassen87. Das bis__________ 81 Das Gesetz spielt hier auf die Situation an, dass eine Investition sich nach Steuern als vorteilhafter erweist als bei einer Berechnung ohne Steuern. In der betriebswirtschaftlichen Literatur ist dies als „Steuerparadoxon“ bekannt. Vgl. dazu Marx/ Löffler, DStR 1999, S. 1958; dies., StuB 2002, S. 549 m.w.N. 82 Söffing, DB 2000, S. 2343, führt folgendes Beispiel an: Ausgehend von einem Kapitaleinsatz von 100.000, einem Zinssatz von 10 % und einer Steuerlast von 50 % betrüge die Rendite vor Steuern 10.000 und nach Steuern 5.000, also nur die Hälfte. 83 Ebenso Söffing, DB 2000, S. 2343. 84 Vgl. Seer/Schneider, BB 1999, S. 874; Wotschofsky/Meßmer, Stbg 2002, S. 443; Marx/Löffler, DStR 1999, S. 1959. 85 Vgl. dazu Seer/Schneider, BB 1999, S. 874. 86 Ebenso Marx/Löffler, DStR 1999, S. 1959; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 565. 87 Diese Schlussfolgerung entspricht der herrschenden Meinung und ist u.a. die einhellige Auffassung im betriebswirtschaftlichen Schrifttum zu § 2b EStG, vgl. dazu nur Marx/Löffler, DStR 1999, S. 1959; Meinhövel/Roeder, StuB 2001, S. 1068 ff. Einen anderen Ansatz vertreten Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 709 ff. und Striegel, Auslegung des § 2b EStG, S. 141 ff., die darauf verweisen, dass das Einkommensteuerrecht auf dem Nominalwertprinzip basiere, also Zinseffekte unberücksichtigt lasse. Ihrer Auffassung nach seien nicht genügend Ansatzpunkte erkennbar, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 2b EStG davon abweichen und einen rein betriebwirtschaftlichen Renditebegriff etablieren wollte. Deswegen seien u.a. auch Steuerstundungseffekte im Rahmen der Renditeberechnung nicht zu berücksichtigen. Diese Auffassung kann sich m.E. zwar zu

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

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her gefundene Auslegungsergebnis legt also die Wahl einer dynamischen Renditeberechnungsmethode nahe. Von diesen gibt es aber wiederum mehrere, die alle unterschiedliche Vorteile und Schwächen aufweisen88. Die Finanzverwaltung hat sich in diesem Zusammenhang für die Anwendung der Renditeberechnungsmethode nach dem „Internen Zinsfuß“ entschlossen89. Dazu ist Folgendes festzustellen: Im betriebswirtschaftlichen Schrifttum zur dynamischen Investitionsrechnung ist die Ermittlung des „Internen Zinsfußes“ zur Renditeberechnung gebräuchlich, aber nicht unumstritten90. Andere Methoden werden in erster Linie dann empfohlen, wenn Investitionsalternativen miteinander verglichen werden sollen. Darauf jedoch kommt es im Rahmen des § 2b EStG nicht an91. Die Berechnungsmethode nach dem „Internen Zinsfuß“ ist für die Zwecke des § 2b EStG grundsätzlich tauglich92. Das Gesetz determiniert diese insoweit, als es die Wahl einer betriebswirtschaftlichen Methode der Renditeberechnung nahe legt, über die Zeiteffekte abgebildet werden können93. Die Zahl der in Betracht kommenden Berechnungsarten wird dadurch deutlich reduziert, so dass die Verwaltung aus den verbleibenden Methoden pragmatisch auswählen kann. Es ist dann letztlich diese Auswahl, die als solche nicht mehr auf das Gesetz rückführbar ist. Sie ist aber durch ___________ Recht auf einen bisher vorherrschenden steuerjuristischen Sprachgebrauch berufen, legt aber nicht überzeugend dar, warum von diesem nicht abgewichen werden kann. Hierbei wird die Teleologie des § 2b EStG, wie sie oben dargelegt wurde, verkannt. Wenn die Attraktivität von „Steuersparmodellen“ reduziert werden soll, so muss sich das Gesetz auch auf die Faktoren „einlassen“, die die Attraktivität dieser Modelle begründen. Soweit ersichtlich, ist Tiedtke/Striegel bisher auch nur Elicker, FR 2002, S. 1049 ff. gefolgt. 88 Seer/Schneider, BB 1999, S. 874 m.w.N. verweisen auf die Annuitäten-, die Kapitalwert- und die Interne-Zinsfuß-Methode. Vgl. dazu auch Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 565 (Fn 21); Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 116; Meinhövel/ Roeder, StuB 2001, S. 1068 ff. 89 Vgl. das BMF-Schreiben vom 5.7.2000, das auch eine Berechnungsformel liefert. Laut Marx/Löffler, DStR 2000, S. 1667, wird mit der Formel der Verwaltung aber nicht der internen Zinsfuß vor Steuern, sondern der ohne Steuern mit dem internen Zinsfuß nach Steuern verglichen. Diese sehen darin einen Verstoß gegen den Gesetzeswortlaut. Dagegen zu Recht Meinhövel/Roeder, StuB 2002, S. 552. 90 Vgl. nur die Darstellung der Schwächen bei Meinhövel/Roeder, StuB 2001, S. 1068 f. 91 Vgl. Marx/Löffler, DStR 1999, S. 1959 m.w.N.; Bordewin/Brandt-Ronig, EStG, § 2b Rn 218 ff. 92 Teilweise a.A. sind Meinhövel/Roeder, StuB 2001, S. 1068 ff., die zwar den „Internen Zinsfuß“ nicht völlig ablehnen, aber eine modifizierte Berechnung nach der „Baldwin-Methode“ vorschlagen. 93 Eine Berechnung nach der Methode des „Internen Zinsfußes“ ist zudem in der sonstigen Rechtsordnung nicht unbekannt, auch die Preisangabeverordnung sieht diese Methode zur Ermittlung des Effektivzinses vor, worauf im BMF-Schreiben vom 5.7.2000, Rn 32, hingewiesen wird.

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

den verbleibenden Einfluss des Gesetzes auf die Entscheidung der Verwaltung nicht als willkürlich zu bezeichnen94: Dieses erfüllt seine Steuerungsfunktion im Wesentlichen. Es ist somit keine Vermutung der Verfassungswidrigkeit aufzustellen, der Begriff der „Rendite“ ist als solcher Kategorie 2 zuzuordnen95.

bb) Rechtfertigungsstadium Eine Verfassungswidrigkeit kann somit nur noch dann vorliegen, wenn sich in diesem Fall Gründe finden lassen, verschärfte Bestimmtheitsanforderungen zu stellen. Wie bereits zum Begriff der „ähnlichen Modelle“ ausgeführt, unterliegt § 2b EStG keinem Parlamentsvorbehalt, der u.U. das Erfordernis einer dergestalt erhöhten Regelungsdichte begründen könnte, dass sogar die genaue Berechnungsmethode der „Rendite“ durch das Gesetz vorgegeben sein müsste. Die bloße Tatsache, dass der Gesetzgeber prinzipiell in der Lage gewesen wäre, etwas explizit im Gesetz zu verankern, was er nun der Klärung durch die Rechtsanwendung überlassen hat, führt hier, wie sonst auch, nicht zur Annahme einer verfassungswidrigen Unbestimmtheit. Dieses Ergebnis wird von folgender Kontrollüberlegung bestätigt: Hätte der Gesetzgeber den Weg über eine „offene“ Delegation gewählt, also die Verwaltung gem. Art. 80 Abs. 1 GG dazu ermächtigt, die Berechnungsmethode für die Rendite per Rechtsverordnung zu bestimmen, so wäre dies hinsichtlich der Erfüllung der Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG wohl kaum auf verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen. Im Bereich der „verdeckten“ Delegation gelten aber keine substanziell anderen Überlegungen in Bezug auf erforderliche Regelungsdichten96. __________ 94

Die gegenteilige Ansicht klingt z.B. an bei Seer/Schneider, BB 1999, S. 874 f.; Söffing, DB 2000, S. 2343 f. 95 Einen zurückhaltender Umgang mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit legt in diesem Fall auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahe. In der Entscheidung vom 14.3.1967 (BVerfGE 21, 209/214 f., vgl. B IV 1 b) cc)) wurden die §§ 175, 176 LAG für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. In diesen Normen blieb im Zusammenhang mit einer Kreditgewinnabgabe ungeregelt, nach welchem Zeitraum zu entrichtende Teilbeträge als Tilgung zu bewerten waren, es ging also letztlich ebenfalls um eine Berechnungsfrage. Deren Lösung war zudem im Vergleich zu § 2b EStG noch in weit geringerem Maße aus dem Gesetz ableitbar. Das Gericht stellte hierzu fest: „Die hier streitige Frage der Verrechnung der vierteljährlich zu entrichtenden Teilbeträge auf Zinsen und Tilgung stellt demgegenüber eine Einzelfrage von untergeordneter Bedeutung dar, die sich durch Auslegung der §§ 175, 176 LAG auf dem üblichen Wege der Gesetzesinterpretation entscheiden lässt“. 96 Die pragmatische Ausfüllung von hinsichtlich bestimmter Berechnungsmethoden „offenen“ gesetzlichen Vorschriften durch die Verwaltung ist im Übrigen ein im geltenden Steuerrecht nicht unbekanntes Phänomen. Hier braucht nur auf § 11 Abs. 2 S. 2 BewG verwiesen zu werden, dessen Normtext nur davon spricht, dass der gemeine Wert „zu schätzen“ sei, ohne eine bestimmte Berechnungsmethode vorzugeben. Die Verwaltung wendet hier das sog. „Stuttgarter Verfahren“ an. Ein Verstoß des § 11 Abs. 2 S. 2

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

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Gelangt man nun aber zum Ergebnis, dass der Begriff der „Rendite“ im Hinblick auf eine konkrete Berechnungsmethode ausreichend bestimmt ist, so stellt sich die weitergehende Frage, auf was für Grundlagen eine solche Berechnung denn basieren soll. Dies ist aber weniger eine Frage der „Offenheit“ des Begriffs „Rendite“, sondern der gesetzlichen Aussage, dass bezüglich dieser auf das „Betriebskonzept“ abzustellen sei. Diese Bezugnahme wird von der Literatur unter Bestimmtheitsgesichtspunkten kritisiert97. Auch dieser Kritik soll nachgegangen werden, zumal jene zusätzliche „Offenheit“ auf den Renditebegriff zurückwirken kann, denn bei einer Unsicherheit über die Grundlagen der Renditeberechnung wird auch die Sicherheit über die Methode entwertet.

b) „Betriebskonzept“ Wenn das Gesetz auf das „Betriebskonzept“ des „Modells“ als Grundlage für die Renditeberechnung verweist, so stellt das die Finanzverwaltung bei der Gesetzesanwendung zunächst vor nur geringe Schwierigkeiten. Solche „Steuersparmodelle“ werden häufig mittels eines erläuternden Prospektes vertrieben, dem die relevanten Daten, die einer Renditeberechnung zugrunde zu legen sind, ohne weiteres entnommen werden können. Dies betrifft bspw. die Laufzeit oder die im Rahmen des Konzeptes modellhaft angebotenen Leistungen. Auch die Gesetzesbegründung verweist darauf98. Woran sich die Unsicherheit beim Abstellen auf das „Betriebskonzept“ im Rahmen der Renditeberechnung entzündet, wird bei einer bloßen Betrachtung des Wortlauts der Vorschrift also nicht recht deutlich. Die Schwierigkeiten erschließen sich erst aus der weitergehenden Überlegung, dass eine „Rendite“ nur vom einzelnen Steuerpflichtigen erzielt wer___________ BewG gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aufgrund seiner „Offenheit“, die in diesem Punkt durchaus mit der des § 2b Abs. 3 1. Alt. EStG vergleichbar ist, wird aber, soweit ersichtlich, nicht ernsthaft diskutiert. Die „Offenheit“ wird teilweise sogar noch gelobt. Vgl. dazu Viskorf/Glier/Knobel-Viskorf, BewG, § 11 Rn 30: „Bei einem Gesetzgeber, dem man vieles, nur nicht eine Scheu vor Perfektionismus, nachsagen kann, ist das eine sensationell knappe und ungenaue Bestimmung. Wer die Praxis der Anteilsbewertung (...) kennt, weiß die Zurückhaltung des Gesetzgebers indessen zu schätzen, denn dieses Verfahren geht auf alle wichtigen Einzelfragen ein und ließ sich vor allem im Turnus der Hauptveranlagungen und Richtlinien flexibel fortentwickeln“. 97 Vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 624; Söffing, DB 2000, S. 2343; Seer/Schneider, BB 1999, S. 875. 98 Vgl. BT-Drucks. 14/443, S. 20: „In erster Linie ist dies anhand des Verkaufsprospekts zu beurteilen“. Söffing, DB 2000, S. 2343, merkt dazu kritisch an, dass nicht immer ein Prospekt vorhanden sein muss. Diese Fälle werden allerdings zu vernachlässigen sein, denn dann wird es häufig schon an der „Modellhaftigkeit“ des Konzeptes fehlen.

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

den kann. Nur dieser ist Steuersubjekt, nicht die Gesellschaft oder Gemeinschaft oder das „ähnliche Modell“99. Dieser Gedanke wird dadurch gestützt, dass auch der Begriff des „steuerlichen Vorteils“, den die Regelbeispiele des § 2b S. 3 EStG ja konkretisieren sollen, ein subjektives Verständnis nahe legt100. Ein „Betriebskonzept“ aber berücksichtigt nicht die Eigenschaften des individuellen Steuerpflichtigen, es abstrahiert und objektiviert dadurch101. Seine Entsprechung findet die „subjektive“ Sichtweise darin, dass auch Verkaufsprospekte für „Steuersparmodelle“ bisweilen verschiedene Modellrechnungen für Steuerpflichtige mit unterschiedlichen Grenzsteuersätzen enthalten102. Spätestens hier stellt sich die Frage, welches der verschiedenen Muster der Renditeberechnung zugrunde gelegt werden soll. Aus dem Normzusammenhang des § 2b S. 3 EStG ergibt sich somit ein eklatanter Widerspruch zwischen einer „subjektiven“ und einer „objektiven“ Betrachtungsweise, dessen Existenz auch durchgängig anerkannt wird103 und der die Auslegung dieses Satzes und der Begriffe des „Betriebskonzepts“ und mittelbar der „Rendite“ erschwert. Der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit basiert in der Sache darauf, dass der Normtext nicht hinreichend genau erkennen lässt, wie subjektive Elemente in die Renditeberechnung mit einzubeziehen sind. Auch hier kann das Verdikt der verfassungswidrigen Unbestimmtheit nur vermieden werden, wenn sich der dahinter stehende Konflikt der Perspektiven prinzipiell durch Auslegung bewältigen lässt. Mit einer solchen bräuchte aber erst gar nicht begonnen werden, wenn es sich um einen gesetzlichen Widerspruch handelt, der als solcher gar nicht auflösbar wäre. Dann wäre die Norm im Übrigen auch schon wegen eines Verstoßes gegen den Klarheitsgrundsatz verfassungswidrig104. Es ist aber weder zu erkennen, dass sich die unbestimmten Rechtsbegriffe, aus denen sowohl objektive als auch subjektive Herangehensweise abgeleitet werden, schon aus sprachlogischen Gründen so widersprächen, dass der Normbefehl der Vorschrift dadurch verloren ginge, noch dass die Norm zwei gegensätzliche Handlungsanweisungen enthielte, von denen nur eine befolgt werden __________ 99 Vgl. Blümich-Stuhrmann, EStG, § 2b Rn 17; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 706; Birk/Kulosa, FR 1999, S. 435. 100 Vgl. Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 706. 101 Vgl. Birk/Kulosa, FR 1999, S. 435. 102 Vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 564 f.; Wotschofsky/Meßmer, Stbg 2002, S. 443; Elicker, FR 2002, S. 1046. 103 Vgl. für viele Blümich-Stuhrmann, EStG, § 2b Rn 17; Birk/Kulosa, FR 1999, S. 435. 104 Vgl. dazu C II 1.

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

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könnte. Denn falls die Auslegung ergibt, dass sowohl subjektive als auch objektive Elemente berücksichtigt werden müssen, ließe sich dieser Widerspruch bspw. dadurch bewältigen, dass zwar grundsätzlich auf den individuellen Steuerpflichtigen abgestellt wird, dieser Betrachtung jedoch ein typisierter „Mustersteuerpflichtiger“ zugrunde gelegt wird105. Eine Harmonisierung zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ erscheint deshalb prinzipiell als möglich.

aa) Auslegungsstadium Im Rahmen der Auslegung liefern mehrere Kriterien kein eindeutiges Ergebnis. Dies beginnt schon beim Wortlaut der Vorschrift, der, wenn man nur das Wort „Betriebskonzept“ betrachtet, ein objektives Verständnis nahe legt. Aber schon dann, wenn man ihn als „Rendite nach dem Betriebskonzept“ geringfügig weiter fasst, bleibt nur die Feststellung, dass zur gleichen Zeit auch auf subjektive Kriterien verwiesen wird („Rendite“). Die Auslegung nach dem Wortlaut ist in diesem Fall zur näheren Eingrenzung wenig ergiebig, es lässt sich nur feststellen, dass dieser sowohl einem „subjektiven“ als auch einem „objektiven“ Verständnis nicht im Wege steht. Steuersystematische Erwägungen sprechen deutlich für einen subjektiven Ansatz, denn § 2b EStG soll gerade die Verlustverrechnung des einzelnen Gesellschafters beschränken, was auch in § 2b S. 4 EStG deutlich wird106. Eine objektive Herangehensweise wird hingegen von einer Betrachtung der Historie des Gesetzes gestützt: Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass es „auf die individuellen Verhältnisse beim Anleger, z.B. dessen Grenzsteuersatz und Fremdkapitalquote“, nicht ankomme, maßgeblich sei „stets das jeweilige Betriebskonzept“107. Der Gesetzgeber wollte die Vorschrift also „objektiv“ verstanden wissen. Teleologische Erwägungen stützen dieses Verständnis ebenfalls: Der Wille des Gesetzgebers, unerwünschte „Steuersparmodelle“ einzudämmen, kann nur dann sinnvoll verwirklicht werden, wenn diese „Modelle“ als Einheit aufgefasst werden und damit die Eigenschaft als „Modell“, also als etwas nicht individuell Gestaltbares, sondern konzeptionell Bestimmtes, im Mittelpunkt der Betrachtung steht108. Eine solche „Einheitlichkeit“ wäre aber dann nicht gewährleistet, __________ 105 So Söffing, DB 2000, S. 2343; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 706: „Dieser Mustersteuerpflichtige ist einkommensteuerpflichtig und verfügt über einen Einkommensteuersatz. Der individuelle Anleger wird – für die Beurteilung nach § 2b EStG – zum Mustersteuerpflichtigen verobjektiviert“. 106 Vgl. Kohlhaas, FR 2000, S. 927. 107 BT-Drucks. 14/443, S. 20. 108 Vgl. dazu Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 707; Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn B 54. Ähnlich Kaminski, BB 2000, S. 1607.

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

wenn eine rein „subjektive“ Betrachtungsweise gewählt würde, weil dann letztlich doch die Besonderheiten des Einzelfalls über das Vorliegen des Regelbeispieles entschieden. Dies würde zudem dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der auch im Wortlaut zum Ausdruck gekommen ist („Betriebskonzept“), widersprechen. Es ist nicht zuletzt auch zu berücksichtigen, dass eine vom Einzelfall abstrahierende Betrachtungsweise die einzig praktikable ist, denn wenn die individuellen Besonderheiten jedes Steuerpflichtigen berücksichtigt werden müssten, wäre das Gesetz kaum vollziehbar109. Praktikabilitätsgesichtspunkte aber sind im Rahmen der teleologischen Auslegung durchaus anerkannte Kriterien110. Historie und Teleologie sprechen also deutlich für eine „objektivierte“ Auslegung. Dennoch können die steuersystematischen Gesichtspunkte, die einen „subjektiven“ Ansatz nahe legen, nicht unberücksichtigt bleiben. Es ist somit der oben angedeutete Weg zu beschreiten, der Renditeberechnung einen „Mustersteuerpflichtigen“ zugrunde zu legen111. Dieser „stellt den typischen Anleger dar, auf welchen das Betriebskonzept unter Berücksichtigung der Einkommensund Vermögenslage ausgerichtet ist“112. Teilweise wird in diesem Zusammenhang noch die Frage problematisiert, welcher Betrachtungszeitraum einer Renditeberechnung zugrunde zu legen ist113. Die Antwort ergibt sich aber schon aus der Erwägung, nach der oben bereits die Notwendigkeit der Heranziehung einer „dynamischen“ Renditeberechungsmethode bejaht wurde: „Verlustzuweisungsmodelle“ basieren im Wesentlichen darauf, dass Aufwand vorverlagert und die Erzielung von Erträgen verschoben wird. Für den steuerlichen Vorteil ist also das Zeitelement entscheidend. Der Renditeberechnung kann folglich nicht nur ein Besteuerungsabschnitt zugrunde gelegt werden. Als Grundlage ist vielmehr der gesamte Zeitraum zu wählen, auf den das „Verlustzuweisungsmodell“ angelegt ist. Dieser ist wiederum objektiv nach dem Betriebskonzept zu bestimmen114. Die im § 2b S. 3 EStG vermeintlich angelegten Widersprüche __________ 109 Vgl. Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 707; Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn 53. 110 Vgl. Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 707 (mit Rechtsprechungsnachweisen); Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 81. 111 Im Ergebnis ebenso Seer/Schneider, BB 1999, S. 874; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 707; dies., FR 2003, S. 437 ff. Diese Vorgehensweise hat auch den Vorteil, dass sich die Finanzverwaltung im Rahmen der Berücksichtigung subjektiver Elemente bei der Renditeberechnung von Beispielsrechnungen im Vertriebsprospekt lösen kann, von denen es möglicherweise mehrere gibt. 112 Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 707 m.w.N. 113 Vgl. Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 4; Birk/Kulosa, FR 1999, S. 435 f. 114 Ebenso Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 706 ff. Vgl. auch das BMF-Schreiben vom 5.7.2000, Rn 34.

II. Die hinreichende Bestimmtheit des § 2b EStG

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lassen sich also durch Auslegung auflösen115. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände ist somit kein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz festzustellen, die Zuordnung zu Kategorie 2 kann beibehalten werden.

bb) Rechtfertigungsstadium Das gesetzliche Abstellen auf das „Betriebskonzept“ könnte unter Bestimmtheitsgesichtspunkten nur noch deshalb problematisch sein, weil damit deutlich gemacht wird, dass die individuellen Verhältnisse des Anlegers gerade nicht berücksichtigt werden sollen. Der Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit, der die „Offenheit“ von Normen rechtfertigen kann, tritt durch die in diesem Fall von den rechtsanwendenden Instanzen verlangte typisierende Betrachtungsweise in den Hintergrund116. Dieses Vorgehen ist aber grundsätzlich deshalb zulässig, weil so Anwendungs- bzw. Vollzugsgerechtigkeit erreicht wird, welche im Steuerrecht nicht minder wichtig ist117. Damit geht für die Verwaltung aber auch die Verpflichtung einher, den Voraussetzungen zu genügen, unter denen auch sonst Typisierungen allein zulässig sind, also zuvorderst der realitätsgerechten Erfassung des „typischen“ Falles118. __________ 115

Birk/Kulosa, FR 1999, S. 435 f., die § 2b EStG in diesem Punkt für nicht auslegungsfähig halten, ist also nicht zu folgen. Zwar lässt sich aus der Betrachtung von Wortlaut und Systematik kein eindeutiges Auslegungsergebnis erzielen. Das Versagen einzelner Auslegungskriterien bedeutet jedoch nicht, dass ein Auslegungsergebnis nicht doch aus den verbleibenden Kriterien gewonnen werden kann, wie hier durch die historisch-genetische und teleologische Auslegung der Norm. Im Rahmen der Auslegung einer Rechtsnorm ist es häufig der Fall, dass Kriterien in unterschiedliche Richtungen weisen und erst deren Gewichtung zu einem Ergebnis führt. 116 Vgl. Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 707; dies., FR 2003, S. 438 f.; Söffing, DB 2000, S. 2343; Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn B 51 f. Sehr kritisch dazu Elicker, FR 2002, S. 1046, der befürchtet, dass man sich mit dem „Mustersteuerpflichtigen“ unzulässig weit vom Individuum entferne, auf das sich aber die Rechtsordnung zuvorderst beziehen müsse. Diesen Vorwurf könnte man aber gegen jede Form der Typisierung erheben. Eine solche unterliegt aber anerkannterweise nur dann Bedenken, wenn sie den „typischen“ Steuerpflichtigen nicht mehr realitätsgerecht erfasst. Im Rahmen der Delegation von Typisierungsbefugnissen dürfte der Rechtsanwender durch den Wortlaut der Vorschrift zumindest nicht daran gehindert sein, eine solche realitätsgerechte Erfassung des „typischen“ Steuerpflichtigen vorzunehmen. Dies ist bei § 2b S. 3 EStG nicht der Fall. Insofern ist es auch nicht richtig, wenn Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 21, die fehlende gesetzliche Grundlage für Verwaltungstypisierungen kritisiert. Ausführlich zu dieser Problematik auch Tiedtke/Striegel, FR 2003, S. 438 f. 117 Vgl. B V 4 b). Insofern geht auch der Einwand von Söffing, DB 2000, S. 2343, fehl, der in letzter Konsequenz der Legislative die Befugnis zur Delegation von Typisierungsbefugnissen abspricht, indem er verlangt, dass das Gesetz selbst standardisierte Werte bestimmt. 118 Deshalb ist die in der Literatur heftig kritisierte (vgl. Kaminski, BB 2000, S. 1607 f.; ähnlich Elicker, FR 2002, S. 1046) Verwaltungsauffassung (BMF-Schreiben vom

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

c) Ergebnis Die vorhergehenden Ausführungen haben gezeigt, dass der Begriff der „Rendite nach dem Betriebskonzept“ hinsichtlich der im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz besonders problematischen Gesichtspunkte, also der anzuwendenden Berechnungsart und der in die Berechnung einzustellenden Faktoren, rational konkretisierbar ist: Es ist eine „dynamische“ Investitionsrechnungsmethode zu verwenden, der die Angaben aus dem Vertriebsprospekt des jeweiligen „Verlustzuweisungsmodells“ zugrunde zu legen sind. Soweit subjektive Elemente in die Betrachtung mit einbezogen werden müssen, ist auf einen „Mustersteuerpflichtigen“ anzustellen. Dem Rechtsanwender wird also ein Typisierungsauftrag erteilt. Dieser bringt es mit sich, dass der „typische“ Nutzer von „Steuersparmodellen“ möglichst realitätsgerecht simuliert werden muss. Das erste Regelbeispiel in § 2b S. 3 EStG verstößt also in seiner Gesamtheit ebenfalls nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.

3. Sonstiges Neben den „ähnlichen Modellen“ und der „Rendite nach dem Betriebskonzept“ werden in der Literatur noch einige andere Begriffe des § 2b EStG unter Bestimmtheitsgesichtspunkten gerügt. So wird bemängelt, dass nicht deutlich werde, ob § 2b S. 1 EStG noch einen Anwendungsbereich außerhalb der Regelbeispiele des S. 3 habe119. Falls dies zu bejahen wäre, würde nicht deutlich, wie das „Im-Vordergrund-Stehen eines steuerlichen Vorteils“ zu konkretisieren sei120. Weiterhin wird hinsichtlich der Renditeberechnung kritisiert, dass nicht hinreichend klar werde, welche Einkunftsarten in die Betrachtung mit einzube___________ 5.7.2000, Rn 37) nicht zu beanstanden, die für die Renditeberechnung den „jeweils aktuellen Höchstsatz der Einkommensteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag“ ohne Kirchensteuer zugrunde legt und sich somit in diesem Punkt typisierend von der Übernahme des jeweiligen Betriebskonzepts löst. Beim typischen Nutzer von „Steuersparmodellen“ wird es sich in erster Linie um vermögende Steuerpflichtige handeln, die dem Höchstsatz der Einkommensteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag unterfallen. Vgl. dazu Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn B 59. Wotschofsky/ Meßmer, Stbg 2002, S. 509 (Fn 120); Meyer-Scharenberg/Fleischmann, DStR 2000, S. 1381, melden zwar Zweifel daran an, dass sich ausschließlich solch vermögende Steuerpflichtige an Verlustzuweisungsmodellen beteiligen. Dies ist sicherlich richtig, berücksichtigt aber den typisierenden Charakter des § 2b S. 3 EStG nicht ausreichend, der gerade nicht danach strebt, auch jeden abweichenden Einzelfall zu erfassen. An der grundsätzlichen Realitätsgerechtigkeit der Annahme der Finanzverwaltung ist aber nicht zu zweifeln. 119 Vgl. für viele Günkel/Fenzl, DStR 1999, S. 660. 120 Vgl. Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 4. Ähnlich HHR-Hallerbach, EStG, § 2b Rn R 11.

III. Die hinreichende Klarheit des § 2b EStG

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ziehen seien121. Zuletzt wird auch gerügt, dass in der 2. Alt. des § 2b S. 3 EStG nicht voraussehbar sei, ab wann genau Werbung mit anrechenbaren Verlusten schädlich sein soll122. Mit diesen Hinweisen auf die mangelnde Genauigkeit des Gesetzes wird aber in der Regel nicht der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit verbunden, so dass eine genauere Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit unterbleiben soll123.

III. Die hinreichende Klarheit des § 2b EStG Dem § 2b EStG wird nicht nur verfassungswidrige Unbestimmtheit vorgeworfen, es werden darüber hinaus noch Aspekte der Norm problematisiert, die aus verfassungsrechtlicher Sicht anhand des Klarheitsgrundsatzes zu beurteilen sind. Dies betrifft sowohl das Erfordernis der Widerspruchsfreiheit als auch das der Übersichtlichkeit.

1. Widerspruchsfreiheit § 2b EStG schränkt den Verlustabzug bei negativen Einkünften aus Verlustzuweisungsmodellen ein. Viele dieser „Modelle“ nutzen aber Anreize aus, die der Gesetzgeber selbst gesetzt hat, bspw. durch die Gewährung von Sonderabschreibungen. Mit der Gewährung von Sonderabschreibungen verfolgt der Gesetzgeber normalerweise einen Lenkungszweck: Der Steuerpflichtige soll für ein be__________ 121

Vgl. Söffing, DB 2000, S. 2342 f. Wenn § 2b S. 3 1. Alt. EStG auf das „Betriebskonzept“ und die „Betriebsführung“ abstellt, wird vom Wortlaut her eine Beschränkung auf betriebliche Einkunftsarten nahe gelegt. Nach Sinn und Zweck des § 2b EStG müssen aber auch nichtbetriebliche Einkunftsarten einbezogen werden, da auch diese Grundlage vieler „Verlustzuweisungsmodelle“ sind. Das BMF-Schreiben vom 5.7.2000, Rn 29, bezieht folglich die nichtbetriebliche Einkunftsarten in die Betrachtung mit ein. Laut Söffing, DB 2000, S. 2343, soll dies einen Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz begründen. Dagegen spricht aber zusätzlich, dass sich die Bezugnahme auf das „Betriebskonzept“ auch als einfacher Hinweis auf die Eigenschaften, die den „Modellcharakter“ des Konzeptes ausmachen, so z.B. das Finanzierungskonzept, verstehen lässt. Vgl. dazu Wotschofsky/Meßmer, Stbg 2002, S. 508 f.; HHR-Hallerbach, EStG, § 2b Rn R 33. 122 Ausführlich dazu zuletzt Jakob/Jakob, StuW 2004, S. 30 ff., die aber gleichzeitig nachweisen, dass auch diese Alternative durch Auslegung hinreichend konkretisierbar ist. 123 Vgl. HHR-Hallerbach, EStG, § 2b Rn R 11: „Die übrigen Tatbestandsmerkmale (Was ist Gesellschaft iS dieser Vorschrift? Was sind Steuerminderungen? Wann werden sie in Aussicht gestellt? Was sind Verlustzuweisungen?) sind zwar in höchstem Maße unbestimmt, aber grundsätzlich einer Auslegung zugänglich“.

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

stimmtes, von staatlicher Seite als wünschenswert beurteiltes Verhalten mit einer niedrigeren Steuerlast belohnt werden. Wenn nun aber der Gesetzgeber die Vorteile, die er dem Steuerpflichtigen mit der einen Hand gewährt hat, über die andere Hand wieder nimmt, also durch die Einschränkung des Verlustabzugs mittels des § 2b EStG, so wird dies in der Literatur als im Grundsatz widersprüchlich gerügt124. Fraglich ist aber, ob diese „Widersprüchlichkeit“ die Verfassungswidrigkeit des § 2b EStG begründen kann, wie es teilweise vertreten wird125. In Betracht kommt ein Verstoß gegen zwei verfassungsrechtliche Grundsätze: Den Klarheitsgrundsatz und den Grundsatz der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ in der Form, den er durch die neuere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung erhalten hat. Die verfassungsrechtliche Validität des letztgenannten Grundsatzes wurde aber in dieser Arbeit bereits verneint126. Hier ist deshalb allein der mögliche Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz von Interesse. Ein solcher Verstoß ist nur bei einem echten Regelkonflikt zu bejahen127. Das Gesetz müsste also aufgrund gegensätzlicher, sich ausschließender Handlungsanweisungen seine Sinnhaftigkeit verlieren128. Dies ist aber aus zwei Gründen nicht der Fall: Die Regelung des § 2b EStG neutralisiert zum einen den durch steuerliche Lenkungsnormen gewährten Vorteil nicht in jedem Fall und nicht vollständig, sondern nur für „Verlustzuweisungsmodelle“ mit bestimmten, in § 2b EStG näher dargelegten Charakteristika. Dahinter steckt der Gedanke, dass auf Verhaltenssteuerung durch das Steuerrecht nicht verzichtet werden kann, diese andererseits aber dort eingeschränkt werden soll, wo volkswirtschaftlich unerwünschte Fehlallokationen von Kapital zu befürchten sind129. Dies wird dann der Fall sein, wenn eine Investition ausschließlich oder zum größten Teil nur aus steuerlichen Gründen wirtschaftlich wird, und daran sind auch die Regelbeispiele des § 2b S. 3 EStG orientiert. Diese gesetzgeberische Motivation aber ist im Grundsatz nicht zu beanstanden130. __________ 124

Vgl. zu dieser Wirkungsweise Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436; Kirchhof/Söhnv. Beckerath, EStG, § 2b Rn A 61; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 617; SchmidtSeeger, EStG, § 2b Rn 1. 125 Z.B. von Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 1, 24; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 623 f.; für Teilbereiche auch von Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436. 126 Vgl. C II 2. 127 Vgl. C II 1. 128 Darauf spielen Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436 an: „Auf der anderen Seite führt § 2b EStG nunmehr zu einem Normbefehl, der dieser vom Gesetzgeber gewollten Folge gerade entgegensteht, (...)“. 129 Vgl. Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn A 61; HHR-Hallerbach, EStG, § 2b Rn R 8. 130 Ebenso Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn A 61; Offerhaus, DStZ 2000, S. 12; Jakob/Jakob, StuW 2004, S. 29 f.

III. Die hinreichende Klarheit des § 2b EStG

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Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass zwar viele „Modelle“ im Sinne des § 2b EStG auf steuerlichen Lenkungsnormen basieren131, aber z. T. auch allgemeine Vorschriften ausnutzen, mit denen kein Lenkungszweck verfolgt wird132. Bei diesen aber stellt sich das Problem widersprüchlicher gesetzlicher Impulse von vornherein nicht133. Durch § 2b EStG werden also nicht sich gegenseitig ausschließende gesetzliche Handlungsanweisungen begründet. Allenfalls handelt es sich um einen Wertungswiderspruch innerhalb der Steuerrechtsordnung, der als solcher keinen Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz darstellt134. Unter diesem Gesichtspunkt ist § 2b EStG deshalb nicht verfassungswidrig135. Die gleichen Erwägungen gelten im Übrigen auch für den potenziellen Widerspruch, der sich im Rahmen der Regelung des § 2b S. 3 2. Alt. EStG ergibt: Hiernach dürfen Steuerminderungen durch Verlustzuweisungen den Kapitalanlegern nicht mehr „in Aussicht gestellt werden“, andernfalls unterfällt das jeweilige Modell § 2b EStG. Die zivilrechtlichen Regeln über die „Prospekthaftung“ erfordern es aber gerade, dass auf die steuerlichen Auswirkungen einer Investition hingewiesen wird136. Aber auch hier ist es möglich, die verschiedenen gegenläufigen Anforderungen, die die Rechtsordnung stellt, zu harmonisieren, indem man die Darstellung steuerlicher Auswirkungen zwar zulässt, auf „aggressive“ Werbung mit Verlustzuweisungen aber verzichtet werden __________ 131 Grundlage für viele „Steuersparmodelle“ waren in der Neunziger Jahren die Sonderabschreibungen gem. § 4 FördG, mit denen der „Aufbau Ost“ gefördert werden sollte. 132 So nutzen z.B. Medien- und insbesondere Filmfonds, die in letzter Zeit stark dadurch an Bedeutung gewonnen haben, dass der Gesetzgeber vermehrt Steuervergünstigungen abbaut, keine Lenkungsnormen aus, sondern allgemeine Bilanzierungsregeln, wie bspw. das Aktivierungsverbot für immaterieller Wirtschaftsgüter gem. § 248 Abs. 2 HGB i.V.m. 5 Abs. 2 EStG. Vgl. dazu nur Budeit/Borggreve, DB 2001, S. 887; Jakob/Jakob, StuW 2004, S. 28 m.w.N. 133 Anders Jakob/Jakob, StuW 2004, S. 30, die gerade in einem solchen Fall einen Normwiderspruch bejahen. Diese Auffassung berücksichtigt aber nicht, dass den Bürger in dieser Konstellation schon gar keine widersprüchlichen Normbefehle ereilen. Ihm wird von Seiten des Staates nicht ein bestimmtes Verhalten nahe gelegt, dessen intendierte steuerliche Folgen ihm dann aber versagt werden, es bleibt vielmehr ausschließlich bei einer Versagung steuerlicher Folgen für bestimmte Situationen, die aber vorher nicht vom Staat als „wünschenswert“ beurteilt wurden. Vgl. dazu auch Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436. 134 Nach dem Gesagten stellt sich sogar die Frage, ob die Wirkungsweise des § 2b EStG überhaupt einen Wertungswiderspruch begründet. Dann wäre § 2b EStG auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der „Widerspruchfreiheit der Rechtsordnung“ unproblematisch, sollte man diesen denn für existent halten. 135 So auch Kirchhof/Söhn-v. Beckerath, EStG, § 2b Rn A 61. Ähnlich Birk/Kulosa, FR 1999, S. 436; Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 24, diese allerdings eingeschränkt auf den Ausschluss der Verlustverrechnung bei solchen „Steuersparmodellen“, die nicht auf Lenkungsnormen beruhen. 136 Ausführlich dazu Seer/Schneider, BB 1999, S. 875 ff.; Jakob/Jakob, StuW 2004, S. 34 f.

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

muss137. Ein Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz aufgrund sich ausschließender gesetzlicher Handlungsanweisungen ist somit auch hier nicht anzunehmen.

2. Übersichtlichkeit Der zweite Vorwurf verfassungsrechtlicher Art gegen § 2b EStG, der anhand des Klarheitsgrundsatzes zu beurteilen ist, bezieht sich darauf, dass die Regelung in ihrer Gesamtheit, also unabhängig von speziellen Tatbestandsmerkmalen, nicht mehr zu überschauen und deshalb unanwendbar sei; aufgrund der Vielzahl von Auslegungsschwierigkeiten, die diese Norm mit sich bringe, sei sie für den Rechtsanwender nicht mehr praktikabel138. Ein Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz wäre dann anzunehmen, wenn § 2b EStG wirklich dergestalt unübersehbar wäre, dass daran die Ermittlung des Normbefehls scheitert139. Bereits festgestellt wurde aber, dass die einzelnen Bestandteile des § 2b EStG, also sämtliche verwendeten Rechtsbegriffe, unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit trotz der teilweise mit ihnen verbundenen Auslegungsschwierigkeiten noch als verfassungsgemäß zu beurteilen sind. Um zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu gelangen, noch dazu unter dem verfassungsrechtlich teilweise anders gelagerten Aspekt mangelnder Klarheit, müssten die Auslegungsschwierigkeiten in ihrer Gesamtheit eine andere Qualität annehmen, also mehr als die „Summe ihrer Teile“ sein140. Zu diesem Schluss kann man zum einen dann gelangen, wenn man die „Auslegungsfähigkeit“ der Vorschrift im Rahmen der Prüfung des Klarheitsgrundsat__________ 137

Dieser Konflikt wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gesehen. In der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 14/443, S. 20) wird darauf hingewiesen, dass das bloße Nachkommen der zivilrechtlichen Aufklärungspflicht im Rahmen des § 2b EStG unschädlich sein soll. Im BMF-Schreiben vom 5.7.2000, Rn 42, wird dies dahin gehend präzisiert, dass keine „werbemäßige Hervorhebung“ erfolgen dürfe. Zuzugestehen ist aber, dass auch dieser Punkt wiederum Rechtsunsicherheit hervorruft, vgl. dazu Kaminski, BB 2000, S. 1608; Seer/Schneider, BB 1999, S. 876 f. und zuletzt die ausführliche Darstellung von Jakob/Jakob, StuW 2004, S. 33 ff. 138 In diese Richtung gehen die Ausführungen bei Littmann/Bitz/Pust-Handzik, EStG, § 2b Rn 5 („häufen sich bei § 2b EStG so viele Unklarheiten“); Seer/Schneider, BB 1999, S. 878; Elicker, FR 2002, S. 1042. 139 Vgl. C II 3. 140 Die grundsätzliche Denkbarkeit dieser Konstellation hat auch das BVerfG schon anerkannt, vgl. BVerfG 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Abs. 116: „In einem einheitlichen Zusammenhang dürfen auch mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet werden, solange die Normen insgesamt den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normenklarheit und Justitiabilität entsprechen (...). Ist die Maßnahme auf mehrere Normen gestützt, die jeweils unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, darf die Schutzwirkung des Bestimmtheitsgebots durch das Zusammentreffen mehrerer solcher Begriffe nicht aufgeweicht werden“.

IV. Abschließende Bewertung

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zes aus einer grundsätzlich anderen Perspektive als noch beim Bestimmtheitsgrundsatz beurteilt, nämlich aus der eines juristisch nicht vorgebildeten Steuerpflichtigen. Dies ist bei solchen Normen nötig, die sich direkt an den Bürger wenden, etwa indem sie diesem Verhaltenspflichten auferlegen141. § 2b EStG konstituiert aber weder unmittelbare Verhaltenspflichten, noch wendet er sich sonst in seinem Regelungsgehalt direkt an den Bürger. Es ist deshalb nicht ersichtlich, warum im Rahmen des § 2b EStG von der grundsätzlichen Erwägung abgewichen werden sollte, dass auch bei der Begutachtung von Normen unter Klarheitsaspekten eine „objektivierte“ Perspektive zugrunde zu legen ist142. Wenn nun aber im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen den Klarheitsgrundsatz die gleiche Perspektive wie bei der Prüfung des Bestimmtheitsgrundsatzes zugrunde gelegt werden muss, so erscheint es nicht gerechtfertigt, vom dort gefundenen Ergebnis der Verfassungsmäßigkeit der Norm abzuweichen. § 2b EStG ist als solcher in seiner Normstruktur nicht auffällig komplex oder unübersichtlich. Der bloßen Häufung mehrerer – einzeln rechtmäßiger – unbestimmter Rechtsbegriffe kommt deshalb keine neue verfassungsrechtliche Qualität zu. Diese Erkenntnis wird durch die Beobachtung gestützt, dass sich der Vorwurf mangelnder Bestimmtheit der Norm durchgängig darauf bezieht, dass das Gesetz zu wenig regele143. Eine geringe Regelungsdichte ist aber unter Klarheitsgesichtspunkten gerade wünschenswert. Eine Verfassungswidrigkeit des § 2b EStG wegen eines aus einer mangelnden Übersichtlichkeit der Norm herrührenden Verstoßes gegen den Klarheitsgrundsatz ist somit abzulehnen.

IV. Abschließende Bewertung § 2b EStG ist somit sowohl unter Bestimmtheits- als auch unter Klarheitsgesichtspunkten verfassungsgemäß. Diese Schlussfolgerung überrascht etwas, wenn man sich die teilweise massiven Angriffe gegen diese Norm in Erinnerung __________ 141

Vgl. C IV 3. Dieses Ergebnis wird gleich von mehreren Kontrollüberlegungen bestätigt: Eine Unklarheit kommt hier nur wegen einer Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe in Frage, und nicht etwa deshalb, weil die Beziehung dieser Begriffe untereinander gestört wäre. Der Steuerpflichtige, der seine Steuerschuld anhand des Gesetzes ermitteln will, ist somit in der Lage, die problematischen Stellen des Gesetzes selbst herauszufinden und gezielt steuerlichen Rat einzuholen. Dies aber ist ihm zuzumuten (vgl. B IV 3 d)). Zudem werden Nutzer von „Steuersparmodellen“ im Regelfall steuerlich beraten sein, entweder weil das Modell selbst von einem Steuerberater empfohlen wird oder weil diese Modelle zumindest von ihrerseits Steuerrechtskundigen vertrieben werden. Bei vom Steuerpflichtigen „auf eigene Faust“ geschaffenen steuerlich vorteilhaften Gestaltungen wird kein „Modell“ vorliegen, so dass der Anwendungsbereich des § 2b EStG sowieso nicht eröffnet ist. 143 Vgl. nur die vorangegangenen Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe „ähnliche Modelle“ und „Rendite nach dem Betriebskonzept“. 142

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D. Die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG

ruft. Sie wird mittlerweile aber von einem nicht unerheblichen Teil der Literatur geteilt144. Letztlich ist diese auch ein Resultat des hier zugrunde gelegten Prüfungsmodells, das auf der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Bestimmtheits- und Klarheitsfragen aufbaut. Der liberale Charakter dieser Rechtsprechung, der im Wesentlichen aus den zahlreichen gebilligten Rechtfertigungsmöglichkeiten für gesetzliche „Offenheit“ herrührt, ist in dieser Untersuchung bereits zu Genüge hervorgetreten und spiegelt sich auch im zu § 2b EStG gefundenen Ergebnis. Wie die dogmatischen Ausführungen in dieser Arbeit gezeigt haben, ist die Herangehensweise des Gerichtes unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechtes aber auch nicht zu beanstanden. Deutlich wird vor allem, wie wichtig die Wahl der Perspektive, aus der die „Auslegbarkeit“ einer Norm zu beurteilen ist, für die Beantwortung der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Norm unter Bestimmtheits- und Klarheitsgesichtspunkten ist. Müssten die Gerichte hier die Erkenntnismöglichkeiten eines „einfachen Bürgers“ simulieren, der ausschließlich anhand des Gesetzes ermitteln will, was der Gesetzgeber von ihm verlangt oder wie dieser sein Verhalten beurteilen wird, so würden sie merklich häufiger zum Urteil der Verfassungswidrigkeit gelangen. Es wird aber ebenso deutlich, dass dies nicht der richtige Ansatz sein kann, will man dem Gesetzgeber nicht den Einsatz vom ausnahmslos anerkannten legislativen Gestaltungsmittel „unbestimmter Rechtsbegriff“, der zudem u.U. von Verfassungs wegen sogar geboten sein kann, weitgehend versagen. Das wäre aber die Folge, wenn man besagten „subjektiven“ Ansatz konsequent durchhält. Dies alles ändert selbstverständlich nichts an dem Urteil, dass es sich bei § 2b EStG um eine ausgesprochen misslungene Vorschrift handelt, die eine Zumutung für jeden Rechtsanwender darstellt. Nur muss dies von der Frage unterschieden werden, ob die Norm deshalb schon verfassungswidrig ist. Dies kann für die hier untersuchte Frage der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit nicht bejaht werden. Möglicherweise könnte diese Einschätzung anders ausfallen, wenn man den Grundsatz der „Normenwahrheit“ in die Betrachtung des § 2b EStG mit einbezieht145. Im Rahmen der Prüfung von Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz ist von einem redlichen Gesetzgeber auszugehen, der gesetzliche „Offenheit“ deshalb einsetzt, weil es ihm unter den gegebenen Umständen am zweckmäßigsten erscheint. Zu § 2b EStG wird jedoch fast durchgängig der Verdacht geäußert, __________ 144 Für insgesamt verfassungsgemäß unter den hier angesprochenen Gesichtspunkten wird § 2b EStG u.a. auch von Blümich-Stuhrmann, EStG, § 2b Rn 36; Kirchhof/Söhnv. Beckerath, EStG, § 2b Rn A 61 f.; Tiedtke/Striegel, FR 2002, S. 711; dens., FR 2003, S. 439; Striegel, Auslegung des § 2b EStG, S. 184 ff.; Bordewin/Brandt-Ronig, EStG, § 2b Rn 58 f. und wohl auch von Frotscher-Lindberg, EStG, § 2b Rn 11 ff. gehalten. 145 Vgl. zu diesem C II 4.

IV. Abschließende Bewertung

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dass diese Norm absichtlich unbestimmt formuliert wurde, um damit Anleger generell von der Inanspruchnahme von „Steuersparmodellen“ abzuschrecken146. § 2b EStG soll demnach gar nicht anwendbar sein147. Würde sich dieser Verdacht bestätigen, so wäre das in der Tat ein unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht akzeptables Verhalten der Legislative. Es steht dem Gesetzgeber zwar frei, unerwünschtes Verhalten zu verbieten, dann muss er diese Regelungsintention aber offen legen und darf sie nicht verschleiern. Eine eingehende Untersuchung dieser Frage übersteigt aber den Umfang dieser Arbeit, auf die Problematik kann deshalb hier nur hingewiesen werden. Deutlich soll aber werden, dass mit der Verneinung eines Verstoßes gegen Klarheits- und Bestimmtheitsgrundsatz nicht das letzte Wort in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG gesprochen ist. Ungeachtet der Frage, ob § 2b EStG schon die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschritten hat: Ein Unbehagen am Rechtszustand in Teilbereichen des Steuerrechts bleibt auf jeden Fall zurück. Dieses wird durch § 2b EStG wie durch kaum eine zweite Norm speziell des Einkommensteuerrechts repräsentiert. Der Gesetzgeber ist letztlich gezwungen, auf generalklauselartigen Vorschriften wie den § 2b EStG zurückzugreifen, wenn er im Steuerrecht Unausweichlichkeiten schaffen will. Die Komplexität dieses Rechtsgebietes und die in Teilbereichen übermäßige Regelungsdichte kann nicht mehr mit immer komplexeren und detaillierteren Normen beantwortet werden, da diese nur wieder neue Ausweichmöglichkeiten schaffen. Die Folge aber sind eklatant ungleichgewichtige Regelungsdichten innerhalb der einzelnen Steuergesetze, die wiederum wesentlich für den inkohärenten Gesamteindruck des Steuerrechts verantwortlich sind. Die Komplexität und Kompliziertheit des Steuerrechts, die viele andere Missstände erst bedingt, wurde aber vom Gesetzgeber selbst geschaffen, wenn auch über Jahrzehnte hinweg. Verfassungsrechtlich mögen dagegen nur sehr eingeschränkt Kräuter gewachsen sein, der politische Reformauftrag tritt umso deutlicher hervor.

__________ 146 Vgl. Schmidt-Seeger, EStG, § 2b Rn 1; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, S. 566; Butzer, BB 1999, S. 2062; Lademann-Kaligin, EStG, § 2b Rn 16; Frotscher-Lindberg, EStG, § 2b Rn 11; Bordewin/Brandt-Ronig, EStG, § 2b Rn 57; Kaminski, BB 1999, S. 1609; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 554. 147 Frotscher-Lindberg, EStG, § 2b Rn 11; Lademann-Kaligin, EStG, § 2b Rn 16 berichten (unter Berufung auf Schuhmann, StBp 2000, S. 198) von Aussagen von BMFMinisterialen, nach denen § 2b EStG nicht auf Anwendung ausgelegt sei. Der primäre Zweck solle vielmehr in der Abschreckung liegen. Butzer, BB 1999, S. 2062 (Fn 3) verweist zur Bestätigung dieser Vermutung auf die Plenarprotokolle zur zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfes im deutschen Bundestag (14.Wahlperiode/25. Sitzung vom 4.3.1999/1927 (D) ff.).

E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen 1. Gerade im Steuerrecht wird häufig eine mangelnde gesetzliche Bestimmtheit und Klarheit gerügt. Eine genaue Überprüfung dieses Vorwurfs wird aber sowohl durch die inkonsistenten verfassungsgerichtlichen Vorgaben als auch durch die fehlende verfassungsdogmatische Klarheit auf diesem Gebiet erschwert, die sich in der unzureichenden Differenzierung zwischen Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz und dem Mangel an subsumtionsfähigen Maßstäben äußert. 2. Die Vermittlung des vom Gesetzgeber intendierten Normbefehls an die rechtsanwendenden Instanzen und das rechtsunterworfene Individuum erfolgt mittels des Mediums „Sprache“. Sprache ist schon als solche unbestimmt. Der Gesetzgeber kann aber durch den Einsatz sog. „unbestimmter Rechtsbegriffe“ den aus der Unbestimmtheit der Sprache notwendigerweise folgenden Grad an „Offenheit“ normativer Vorgaben weiter steigern und dadurch in großem Umfang Entscheidungskompetenzen auf die rechtsanwendenden Instanzen „verdeckt“ verlagern. Auch das geltende Steuerrecht verwendet an vielen Stellen „unbestimmte Rechtsbegriffe“. Die verfassungsrechtliche Problematik dieses Vorgehens resultiert zum einen aus der inhaltlichen Lockerung gesetzlicher Vorgaben, zum anderen daraus, dass die Gesetzesanwendung für das normunterworfene Individuum weniger vorhersehbar wird. 3. Der verfassungsrechtliche Maßstab, anhand dessen die Rechtmäßigkeit dieses Einsatzes unbestimmter Rechtsbegriffe und damit einher gehend die verfassungsrechtlichen Grenzen der Reduktion gesetzlicher Regelungsdichte beurteilt werden können, ist der Bestimmtheitsgrundsatz. Das Grundgesetz enthält mehrere geschriebene Bestimmtheitsgebote. Diese besitzen aber nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich, so dass der Großteil des Steuerrechtes dem ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz unterfällt. 4. Die Wurzeln des ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes werden üblicherweise im Rechtsstaatsprinzip, im Demokratieprinzip und in den Grundrechten verortet. Das Rechtstaatsprinzip umfasst die Forderung nach Rechtssicherheit. Rechtssicherheit wiederum erfordert Orientierungssicherheit, d.h. die Vorhersehbarkeit der Gesetzesanwendung, und ist damit eine der Hauptgrundlagen des Bestimmtheitsgrundsatzes. Das Erfordernis der Rechtssicherheit steht aber im

E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

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Widerstreit zum ebenfalls rechtsstaatlich begründeten Ruf nach Einzelfallgerechtigkeit, welche umso besser verwirklicht werden kann, je durchlässiger das „normative Korsett“ ausfällt, in dem sich die Verwaltung bewegt. Jede Art von Gesetzgebung muss deshalb einen Ausgleich zwischen diesen beiden Polen finden. Der Bestimmtheitsgrundsatz wird deshalb zu Recht als „Optimierungsgebot“ qualifiziert. Dies bedeutet zugleich, dass die Verfassung im Grundsatz nicht die „größtmöglich denkbare“ gesetzliche Bestimmtheit verlangt, sondern dass Bestimmtheitsanforderungen dort abgesenkt werden können, wo dem Ziel der Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit besondere Bedeutung zukommt. Aus dem Rechtsstaatsprinzip lässt sich folglich als Bestimmtheitskriterium im Abstrakten nur ableiten, dass die Orientierungssicherheit des Gesetzesadressaten nicht vollständig verloren gehen darf. Ähnliches fordert auch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG: Normen müssen zumindest ein Mindestmaß an Bestimmtheit aufweisen, um justiziabel zu sein. 5. Der Grundsatz der Gewaltenteilung lässt sich nur insofern als Bestimmtheitsmaßstab heranziehen, als er eine funktionsgerechte staatliche Organstruktur erfordert. Entscheidungskompetenzen sollen möglichst dem staatlichen Organ zukommen, das dafür über die geeigneten Strukturen verfügt. Dies beinhaltet, dass gesetzliche Bestimmtheitsanforderungen dort reduziert werden dürfen, wo die Exekutive gegenüber der Legislative über Flexibilitätsvorteile verfügt, etwa bei sich schnell ändernden Sachverhalten. 6. Auch den Grundsätzen vom Vorrang und vom Vorbehalt des Gesetzes kommt in ihrer klassisch-rechtsstaatlichen Ausprägung nur geringe Aussagekraft hinsichtlich erforderlicher gesetzlicher Regelungsdichten zu. Zumindest der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes ist dann ergiebiger, wenn man ihn wie die neuere Staatsrechtslehre auch als demokratiestaatlich fundiert betrachtet. Als sog. Parlamentsvorbehalt begründet er u.a. einen Entscheidungsvorrang des Parlaments für „wesentliche“ Entscheidungen, aus dem auch die Erfordernisse erhöhter gesetzlicher Regelungsdichte und, daraus folgend, erhöhter normativer Bestimmtheit abzuleiten sind. 7. Auch Grundrechte begründen sowohl in ihrer objektiv- als auch in ihrer subjektiv-rechtlichen Dimension sich vorwiegend aus dem Rechtssicherheitsgedanken speisende Bestimmtheitsanforderungen. Zudem wird die sog. „Wesentlichkeitstheorie“ und damit die Rechtsfigur des Parlamentsvorbehalts in erster Linie grundrechtsbezogen konkretisiert, indem als „wesentlich“ das angesehen wird, was „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“ ist. 8. Der Bestimmtheitsgrundsatz verfügt also über eine Vielzahl von verfassungsrechtlichen Wurzeln. In der Literatur wird deshalb teilweise zwischen einem „allgemeinen rechtsstaatlichen“ und einem „vorbehaltsrechtlichen“ Bestimmtheitsgrundsatz unterschieden. Dem ist jedoch ein einheitliches Verständ-

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E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

nis des Bestimmtheitsgrundsatzes vorzuziehen, der in dieser Form die aus der Rechtsfigur des Parlamentsvorbehalts herrührenden Bestimmtheitsanforderungen mit umfasst. Aufgrund der vielfältigen Wurzeln eines so verstandenen Bestimmtheitsgrundsatzes, die nebeneinander argumentativ genutzt werden können, kommt dem Rechtsinstitut eine hohe Flexibilität zu. Mehrfachprüfungen können so vermieden und problemangemessene Lösungen jederzeit ermöglicht werden. 9. Um zu präziseren Aussagen über Bestimmtheitsanforderungen an Steuergesetze zu gelangen, müssen die den Bestimmtheitsgrundsatz begründenden Rechtsinstitute bereichsspezifisch konkretisiert werden. In diesem Rahmen ist in erster Linie zu klären, inwieweit das Steuerrecht einem Parlamentsvorbehalt unterfällt und welche Ausprägung die Erfordernisse der Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit in diesem Rechtsgebiet erlangen. Zur Begründung eines Parlamentsvorbehalts kommt im Steuerrecht nicht nur die „Wesentlichkeitstheorie“ in Frage, es bestehen darüber hinaus auch rechtsgebietsspezifische Begründungsansätze. So wird u.a. der „positivistische Charakter“ des Steuerrechts hervorgehoben, eine Analogie zu Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG gezogen und auf die Geltung von Gewohnheitsrecht verwiesen. 10. Mit der Grundrechtsrelevanz des Steuerrechts kann die Geltung eines Parlamentsvorbehalts nicht begründet werden. Als freiheitsgrundrechtlicher Maßstab erlangen im Steuerrecht in erster Linie Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG Bedeutung. In diese wird im steuerlichen Regelfall aber nicht ausreichend intensiv eingegriffen. Ein „intensiver“ Eingriff wäre aber die Voraussetzung für die Annahme der „Wesentlichkeit“ einer Regelung und damit eines Parlamentsvorbehalts. Desgleichen kann weder der Gesetzesvorbehalt für staatliche Ausgaben gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG im Wege der Analogie auch auf die Einnahmeseite ausgedehnt werden, noch lässt sich die Existenz eines steuergesetzlichen Parlamentsvorbehalts mit Verfassungsgewohnheitsrecht begründen. 11. Das Erfordernis einer erhöhten gesetzlichen Regelungsdichte wird im Steuerrecht deshalb häufig mit dem Verweis auf den „positivistischen Charakter“ des Rechtsgebiets bejaht, der detaillierte gesetzliche Vorgaben nötig mache. Zur Begründung wird angeführt, dass der Steuerzugriff keine „Entsprechung in der Wirklichkeit“ habe. Dieser basiere vielmehr ganz auf der Entscheidung des Gesetzgebers, die deshalb möglichst deutlich hervortreten müsse. Darüber hinaus bestehe im Regelfall auch kein anderer Gesetzeszweck als der der Einnahmeerzielung, was sowohl ein Versagen teleologischer Auslegungskriterien als auch des Übermaßverbots nach sich ziehe, weil jeder Steuerzugriff in diesem Sinne geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei. Mit diesem Gedanken kann aber nur eine erhöhte Regelungsdichte im Bereich der Grundstrukturen des Steuerzugriffs begründet werden, also in erster

E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

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Linie für die Festlegung von Steuerschuldner, -gegenstand und -satz in Normen des besonderen Steuerschuldrechts. Die Mehrzahl der Normen des besonderen Steuerschuldrechts betrifft aber die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage. In diesem Bereich kann ein gesteigertes Normierungsbedürfnis nur für die unverzichtbaren gesetzlichen Grundentscheidungen angenommen werden. Dies betrifft in erster Linie die Festlegung des Belastungsgrunds. Die weitere Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage ist dann ohne weiteres aus diesen Grundstrukturen ableitbar, zumal im Steuerrecht mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und dem Topos der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ bereichsspezifische Konkretisierungsmaßstäbe bestehen, die auch keinesfalls nur zu einer durchgängig profiskalischen Auslegung anhalten. Für die Masse der Normen des besonderen Steuerschuldrechts besteht deshalb kein Parlamentsvorbehalt. 12. Die Betonung des Aspektes der individuellen Voraussehbarkeit der Steuerzugriffs verfügt über eine lange Tradition in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Bestimmtheitsanforderungen im Steuerrecht. Dies kulminierte in der zeitweilig erhobenen Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dass Steuernormen, um noch als verfassungsgemäß zu gelten, so bestimmt sein müssten, dass der Steuerpflichtige seine individuelle Steuerschuld vorausberechnen könne. In dieser Strenge ist der Forderung des Gerichts, die im Übrigen von diesem selbst seit langem nicht mehr erhoben wird, in der Literatur aber ein Eigenleben entwickelt hat, nicht zuzustimmen. Denn gleichzeitig judiziert das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dass allein die Tatsache, dass eine Norm der Auslegung bedürfe, diese noch nicht verfassungswidrig unbestimmt werden lasse. Steuerpflichtige sind aber in der Mehrzahl juristische Laien, die nicht über die nötigen Kenntnisse über die Auslegung von Rechtsnormen verfügen. Wollte man wirklich fordern, dass diese ihre Steuerschuld in jedem Falle vorausberechnen können müssen, so müsste man in der Konsequenz das Zugeständnis, dass Normen so „offen“ sein dürfen, dass sie erst durch Auslegung zu konkretisieren sind, weitestgehend aufgeben. Das Auslegungs- und das Berechenbarkeitskriterium sind deshalb so zu harmonisieren, dass nur eine Berechenbarkeit „in gewissem Umfang“ gefordert ist. Zudem ist im Rahmen der Prüfung der Voraussehbarkeit der Gesetzesanwendung nicht die Perspektive eines „durchschnittlich gebildeten“ Steuerpflichtigen, sondern die eines Steuerrechtskundigen zugrunde zu legen. Erst wenn es für diesen nicht mehr möglich ist, die Rechtsanwendungsentscheidung „in gewissem Umfang“ vorherzusagen, dass Gesetz also nicht einmal mehr auslegungsfähig ist, ist sicher das Stadium der Verfassungswidrigkeit erreicht. Ein tauglicher Maßstab zur Beurteilung dieser „Auslegungsfähigkeit“ ist die „Inhalt, Zweck und Ausmaß“-Formel des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG.

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E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

13. Das Erfordernis der Einzelfallgerechtigkeit äußert sich im Steuerrecht bereichsspezifisch in erster Linie in der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit, wobei der Besteuerungsgleichheit durch Vollzugsgerechtigkeit ebenfalls eine große Bedeutung zukommt, die verfassungsrechtlich durch Art. 3 Abs. 1 GG abgesichert ist. Gesetzliche „Offenheit“, über die der Gesetzgeber der Verwaltung Raum für sog. „Typisierungen“ gibt, also dieser gerade das Absehen vom Einzelfall ermöglichen will, damit Vollzugsgleichheit hergestellt werden kann, ist deshalb im Grundsatz nicht zu beanstanden. Gesetzliche „Offenheit“ dieser Art muss aber dergestalt verfassungskonform konkretisiert werden, dass diejenigen Einschränkungen beachtet werden, unter denen auch gesetzliche Typisierungen nur zulässig wären, d.h. zuvorderst die realitätsgerechte Erfassung des typischen Falles. 14. Darüber hinaus operiert das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung mit verschiedenen weiteren Topoi, die in erster Linie zur Rechtfertigung reduzierter gesetzlicher Regelungsdichten herangezogen werden. Zuvorderst ist hier die „Regelungsfähigkeit des Sachbereichs“ zu nennen. Je weniger die einem Sachverhalt zugrunde liegende Lebenswirklichkeit normativ erfasst werden kann, was beispielsweise dann der Fall ist, wenn die zu regelnden Umstände besonders dynamisch oder komplex sind, desto „offener“ darf auch das Gesetz sein, um zumindest der Verwaltung eine angemessene Reaktion zu ermöglichen. Aus der gleichen Erwägung heraus wird auch bei Sachverhalten mit Auslandsberührung eine geringere gesetzliche Regelungsdichte für zulässig gehalten. Der Tatsache, dass ein „unbestimmter Rechtsbegriff“ bereits durch die Rechtsprechung konkretisiert wurde, kommt hingegen bei der Beurteilung gesetzlicher „Offenheit“ entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kein rechtfertigender Charakter zu, sondern begründet allenfalls eine Indizwirkung für die Auslegungsfähigkeit des betreffenden Begriffs. Gleiches gilt, wenn eine gesetzliche Regelung die Steuerpflicht begrenzt und nicht erweitert, was nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls reduzierte Bestimmtheitsanforderungen nach sich ziehen soll. Auch hier besteht nur eine Indizwirkung für eine verminderte Grundrechtsrelevanz der Maßnahme, die die umfassende Analyse grundrechtlicher Implikationen nicht ersetzen kann. 15. Als Schlussfolgerung der Untersuchung der bereichsspezifischen Ausprägung des Bestimmtheitsgrundsatzes im Steuerrecht ist festzuhalten, dass in diesem Rechtsgebiet im Wesentlichen keine von anderen Rechtsgebieten abweichenden erhöhten Bestimmtheitsanforderungen gelten. Die bisherige zurückhaltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bisher noch keine Steuernorm wegen eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt hat, ist folglich im Grundsatz nicht zu beanstanden. Der Terminus „Tatbestandmäßigkeit der Besteuerung“ ist deshalb aufzugeben, so-

E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

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fern mit diesem besondere Bestimmtheitsanforderungen an Steuergesetze bezeichnet werden sollen. 16. Eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Erfüllung des Bestimmtheitsgrundsatzes muss grundsätzlich zweistufig erfolgen. In einem ersten Schritt ist die fragliche Norm auszulegen. Ist ein Rechtsbegriff so wenig „offen“, dass über diesen nicht in nennenswerter Weise Entscheidungskompetenzen „verdeckt“ an die Verwaltung übertragen werden, ist er schon gar nicht als „unbestimmt“ zu qualifizieren. Er ist also in jedem Fall verfassungsgemäß. Ist ein Begriff andererseits so „offen“, dass er im Wege der Auslegung nicht mehr rational konkretisiert werden kann, ist schon an dieser Stelle die Verfassungswidrigkeit festzustellen. In einem zweiten Schritt muss geklärt werden, ob sich die „Offenheit“ von Rechtsbegriffen, die zwar als unbestimmt bezeichnet werden können, aber durch Auslegung noch konkretisiert werden können, verfassungsrechtlich valide rechtfertigen lässt. Im Grundsatz unproblematisch sind dabei solche Begriffe, die keine größeren Auslegungsschwierigkeiten aufwerfen. Diese können nur in Ausnahmefällen als verfassungswidrig beurteilt werden. Dies wird in erster Linie dann der Fall sein, wenn der normierte Sachbereich eine erhöhte Grundrechtsrelevanz aufweist und sonst kein Rechtfertigungsgrund für den gewählten „Offenheitsgrad“ einschlägig ist. Eine Vermutung der Verfassungswidrigkeit besteht hingegen bei solchen Rechtsbegriffen, die erhebliche Auslegungsschwierigkeiten mit sich bringen. Im Steuerrecht ist dies dann der Fall, wenn auch ein Steuerrechtskundiger die Rechtsanwendungsentscheidung kaum noch vorhersehen kann. Der Einsatz eines solchen Begriffes bedarf immer rechtfertigender Gründe. Wenn sich solche nicht finden lassen, ist er als verfassungswidrig zu beurteilen. 17. Sowohl beim Bestimmtheits- als auch beim Klarheitsgrundsatz handelt es sich um verfassungsrechtliche Regulative im Umfeld normativer „Offenheit“. Während der Bestimmtheitsgrundsatz planvolle gesetzliche „Offenheit“ betrifft, ist planwidrige anhand des Klarheitsgrundsatzes zu beurteilen. Dabei wird es sich in erster Linie um gesetzestechnisch induzierte normative „Offenheit“ handeln. Bestimmtheits- und Klarheitsgrundsatz unterscheiden sich auch in den Anforderungen, die sie an die Ausgestaltung von Normen stellen. Während der Bestimmtheitsgrundsatz eine möglichst detaillierte Regelung erfordert, verlangt der Klarheitsgrundsatz normative Kürze und Übersichtlichkeit. 18. Ein Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz liegt zum einen dann vor, wenn Gesetze einen solchen Grad an Unübersichtlichkeit erreicht haben, dass deren Normbefehl anhand der üblichen Auslegungskriterien nicht mehr rational zu ermitteln ist. Im Unterschied zum Bestimmtheitsgrundsatz muss hier bei solchen Normen, die sich in ihrem Regelungsgehalt direkt an den Bürger bzw. Steuerpflichtigen wenden, also etwa durch die Auferlegung von Verhal-

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E. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

tenspflichten oder durch die Gewährung von Steuervergünstigungen, die an Mitwirkungspflichten gekoppelt sind, die Beurteilung der Übersichtlichkeit einer Norm aus der Perspektive des Bürgers erfolgen. Das gleiche gilt für Normen, die in sonstiger Weise eine besondere Grundrechtsrelevanz entfalten. Der Klarheitsgrundsatz hält zum anderen auch zur widerspruchsfreien Normgebung an. Ein die Verfassungswidrigkeit der Norm begründender Verstoß gegen den Klarheitsgrundsatz ist aber erst beim Vorliegen eines echten Regelkonflikts zu bejahen, also dort, wo der Rechtsordnung konkrete sich widersprechende Handlungsanweisungen zu entnehmen sind. Bloße gesetzliche Wertungswidersprüche sind unter Klarheitsgesichtspunkten unbedenklich, sie machen das Gesetz nicht unbefolgbar. 19. Immer größere Bereiche unseres geltenden Steuerrechts geraten in den Grenzbereich dessen, was unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten noch an Unübersichtlichkeit zu vertreten ist. Im heutigen Steuerrecht ist deshalb weniger die Verwirklichung des Bestimmtheits- als die des Klarheitsgrundsatzes problematisch. Dem kann am besten durch eine Neuordnung des Einkommensteuerrechts in einem neuen Einkommensteuergesetz begegnet werden. 20. Unter Bestimmtheits- und Klarheitsgesichtspunkten wird im Steuerrecht besonders die Norm des § 2b EStG problematisiert. Eine Verfassungswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen Bestimmtheits- oder Klarheitsgrundsatz liegt aber nicht vor: Die Bestimmung des Regelungsgehalts der in der Norm enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe „ähnliche Modelle“ und „Rendite nach dem Betriebskonzept“ stellt den Rechtsanwender zwar vor Schwierigkeiten. Er ist aber gleichwohl durch Auslegung rational konkretisierbar. Die verbleibende „Offenheit“ der Norm lässt sich u.a. durch das Bestreben des Gesetzgebers rechtfertigen, möglichst viele zum Zeitpunkt des Normerlasses noch nicht absehbare Fallgestaltungen abzudecken und damit ein Ausweichverhalten des Steuerpflichtigen möglichst weitgehend zu unterbinden.

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Sachwortregister

Abgabepflichten 100 ff., 106 Abwägungsvorgang 170 f. Abwehrfunktion 83 Adressatenproblematik 137 ff., 180, 188, 197, 206, 213 ff., 222, 236 Analogie 32, 47, 101, 115 ff., 262 Ausdifferenzierung 22, 37 f., 59 f., 90, 182, 206, 215, 222 Auslandsberührung 152 f., 264 Auslegungsbedürftigkeit 127, 133 ff., 168, 231 Auslegungsfähigkeit 127, 135, 217, 256, 263 f. Auslegungskriterium 128, 133 ff., 139 Auslegungsmethoden 133 ff., 168 Auslegungsstadium 166 ff., 218, 231, 243, 249 Außensteuergesetz 15, 153 Begrenzung der Steuerpflicht 154, 169 Begriffshof 33 f. Begriffskern 33 f. Belastungsgrund 113, 143, 150, 159, 203, 225 Belastungswirkung 164 Bemessungsgrundlage 52, 110, 113, 126, 129, 158 f., 240, 263 Berechenbarkeit 48, 50 f., 61, 92, 128, 130, 133 f., 200, 203, 213, 263 Berechenbarkeitsformel 129 f., 146 f. Berufsausübungsregelungen 105 Berufsfreiheit 101, 105, 162 Bestimmtheitsgebote 28, 43, 260 Bestimmtheitsgrundsatz 20, 24, 28 ff., 32, 46, 48 ff., 52, 56 ff., 66, 72,

82 ff., 89 ff., 140, 166, 171 f., 177 ff., 186 ff., 199, 202, 206 ff., 230, 242, 247, 251 f., 257 ff. Bestimmtheitsmaßstab 43, 47, 99, 261 Blankettnormen 45 BMF-Schreiben 229, 233 f., 239, 242, 245, 250 ff., 256 Bundesfinanzhof 15, 51, 54, 223 Delegation 31, 71, 74 f., 81, 106, 118, 124, 141, 150, 155, 158 ff., 167 ff., 171, 174, 214, 241, 246, 251 Demokratieprinzip 57, 71, 76 f., 80 ff., 88, 260 Doppelbesteuerungsabkommen 153 Effektivität 44, 81 Eigentumsfreiheit 101, 103 Eindeutigkeit 28 Einfachheit 23, 48, 203, 225 Eingriffsvorbehalte 62 Einkommensteuerrecht 224, 225, 244 Einschätzungsprärogative 171 Einzelfallgerechtigkeit 40, 51, 55 f., 62 f., 84, 90, 96, 126 ff., 132 ff., 141 ff., 161, 170 ff., 184, 188 f., 207, 210, 251, 261 ff. Entscheidungsbefugnis 54 Entscheidungsdelegation 164, 187 Entscheidungspflichten 96 Entstehungsgeschichte 210, 232, 236 f. Exekutive 31 f., 55, 62 ff., 84, 89, 96, 118, 120, 124 f., 174, 181, 261 Finanzbedarf 112, 163

Sachwortregister Fiskalzwecknormen 110, 113 f., 118, 163, 170, 185 Flexibilität 134, 152, 176, 262 Freiheitsgrundrechte 62, 101 f., 117, 164 Funktionengliederung des Grundgesetzes 67 Funktionentrennung 70 f. Gebührenrecht 130 Genauigkeit 23, 28, 53, 129, 135 f., 180, 253 Generalkauseln 37 ff., 134 Gerechtigkeit 58, 63, 87, 135, 141 ff., 173 Gesetzesmaterialien 237 Gesetzesvorbehalte 47, 54, 74, 82, 84, 95 f., 107 ff., 115 ff., 121, 124, 161 ff., 175, 177 Gesetzgebung 17, 20, 22, 24 f., 48, 54, 63, 81 ff., 123, 132 f., 154, 184, 188, 198, 202, 211, 213, 215, 217, 221, 237, 261 Gesetzlichkeitsprinzip 72, 89 Gestaltungsspielräume 70, 75 Gewaltenteilung 31, 50 f., 58, 67 ff., 79 ff., 89 f., 135, 168, 261 Gewaltenverschränkungen 69 Gewaltmonopol 68 Gewohnheitsrecht 52, 101, 121 ff., 262 f. Gleichheitsgrundrechte 84, 86 Globalermächtigung 52 Globalisierung 153 Grundrechte 57, 62, 82 ff., 91, 97, 101 f., 105 ff., 117, 121, 124, 161 ff., 191 f., 213, 261 Grundrechtsbetroffenheit 54 f., 136 Grundrechtsintensität 97, 147, 152 Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur 70 Halbteilungsgrundsatz 102 f., 117

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Haushaltsgesetz 120 Inkonsistenz 36, 41, 192 Judikative 64, 68 Kernbereich 34, 70, 73, 80 f. Kindergeld 204 f., 224 Klarheitsgrundsatz 20, 22 f., 29 f., 32, 59, 178 f., 183 ff., 189 ff., 195 ff., 200 ff., 208 ff., 218 ff., 227, 248, 254 ff., 260, 265 f. Kommunikation 25, 141 Kompensationsfunktion 67 Kompetenzklarheit 200 Komplexität 19, 22, 40, 148, 182, 197, 207 ff., 217 ff., 222 ff., 259 Kompliziertheit 19, 22, 53, 149, 197, 211 ff., 219, 223 ff., 259 Konvaleszenz 153 Körperschaftsteuergesetz 16, 161 Leistungsfähigkeit 70, 113, 142, 159, 165, 263 f. Leistungsverwaltung 76 Lenkungssteuern 105, 163 f. Letztentscheidungsrecht 67 Linguistik 26 Machtmäßigung 68 Massenfallrecht 143, 160 Mehrdeutigkeit 26, 36 Monarchie 123 Nationalsozialismus 122 Normadressat 191 Normbefehl 25 ff., 60, 186, 191 ff., 196 f., 209 f., 222, 248, 254, 265 Normenflut 21, 198 Normenhierarchie 60 f., 121 Normenkumulation 57 Normenwahrheit 179, 190, 198 ff., 258 Normierbarkeit 44

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Sachwortregister

Normkomplexe 23, 47, 184, 196, 218 f., 224 Normkonkretisierung 35, 144 Normprogramm 55 Offenheit 38, 42 ff., 64, 91, 143 ff., 167 ff., 172, 178, 182 ff., 192 ff., 207 ff., 213, 222, 240 ff., 247, 251, 258, 260, 264 ff. Öffentlichkeit 78 ff. Optimierungsgebot 91, 138, 171, 261 f. Optimierungsziel 132 Orientierungssicherheit 59 ff., 96, 126 ff., 132 ff., 147 f., 150 f., 171, 207 f., 213, 260 f. Parlamentsvorbehalt 31 f., 48, 60, 63, 67 ff., 84, 86 f., 89, 92 ff., 103, 107, 109 f., 113, 116 ff., 122, 124 ff., 144 ff., 155 ff., 163 ff., 169, 175 f., 184, 195, 209, 212 f., 246, 261 ff. Pauschalierungen 55 f., 125, 143 ff., 151, 212 Porösität 36, 41 f., 151, 242 Pragmatik 27 Praktikabilität 80, 139, 143 ff., 190 Präzision 22, 30, 109, 182 f., 212, 216 Prinzipienkonflikt 191 Prinzipiennorm 90 f., 134, 157 Prüfungsmodell 166, 231 Realisierungssicherheit 59 Rechtsanwendungsgleichheit 21, 40 ff., 53, 108 ff., 114, 131, 138, 142 ff., 158 ff., 173, 175 Rechtsschutzgarantie 58, 66 f., 168 Rechtssicherheit 58 ff., 85 ff., 92, 128, 132, 141, 156, 161, 170, 181 ff., 188 f., 195, 207, 210, 260 ff. Rechtsstaatsprinzip 28 ff., 47, 51, 57, 61 f., 72, 76, 82 ff., 87 ff., 92 ff., 172, 194 f., 199, 204 ff., 260 f.

Rechtsverordnungen 31, 50, 116, 124 f. Rechtsweggarantie 50, 64, 67, 89, 261 Regelkonflikt 191, 254 Regelungsadressat 29 Regelungsbereich 61, 74 f., 96, 100, 119, 183, 219, 241 Regelungsdichte 42, 65, 69, 72, 86, 91, 95 ff., 101, 126, 141, 146 ff., 155, 159 ff., 183 ff., 197, 208 f., 213, 217, 240, 246, 257 ff. Regelungsfähigkeit 148, 152, 169, 241, 264 Regelungsfeindlichkeit 81 Regelungsumfeld 217 Reichsverfassung 124 Sachbereich 42, 75, 90, 100, 146, 154, 158, 215, 265 Sachgesetzlichkeit 108, 110 f., 114 f., 160, 163, 176, 240 Selbstentscheidungspflicht 78, 118 Semantik 26 f., 34 f. Semiotik 27 Sprache 25 f., 33 ff., 90, 138, 171, 260 Sprachphilosophie 26 Staatsleitung 100, 119 Staatsstrukturprinzipien 61, 89 Steuerbefreiungen 54 Steuergesetze 21, 25, 28, 41, 50, 63, 108, 118, 123, 125, 127, 131, 133, 141, 153, 259, 262, 265 Steuerrechtsordnung 17, 41, 43, 113, 185, 255 Steuersatz 110 Steuerschlupflöcher 225 Steuerschuldrecht 159 Steuersparmodelle 42, 228, 238, 240 f., 244, 247 ff., 255 Steuersubjekt 110, 126, 158, 248 Steuerungsfunktion 56, 91, 168, 198, 246

Sachwortregister Steuervereinfachungsdiskussion 131 Steuerverfahrensrecht 99, 159 ff. Steuervergünstigungen 118, 163 f., 216, 255, 266 Strafbewehrung 48 Stufentheorie 105 Subvention 163 Syntaktik 27 Systemgerechtigkeit 179, 190 ff., 206 Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung 29, 175 Transparenz 183 ff., 196, 200 Typisierungen 55 f., 125, 143 ff., 151 f., 160, 212, 251, 264 Typusbegriffe 25 f., 39 ff., 144 Übergangsregelungen 224 f. Übermaßverbot 111, 115 f. Überschaubarkeit 21, 23, 196 Übersichtlichkeit 23, 29, 180, 182, 186, 190, 196, 205, 218, 222, 253, 256 f., 265, 266 Unschärfe 26, 33, 36 Unternehmerfreiheit 104 Unübersichtlichkeit 20, 205, 215, 222 f., 265 f. Unverständlichkeit 24 Vagheit 26, 36 Verfassungsgewohnheitsrecht 121 ff., Verfassungstext 62 ff., 87, 146, 178 Verhaltenserwartungen 59 Verhaltenssicherheit 60 f. Verhaltenszwänge 164 Verkehrssicherheit 60 Verlustzuweisungsgesellschaften 227, 233, 241 Vermittlungsausschuss 210

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Vermutungsregel 151, 156 Veröffentlichungsfunktion 79 Verrechtlichungsgebot 65 Verschonungssubventionen 155, 164 Verständlichkeit 23, 28, 133, 138, 140, 180, 189 f., 203, 205, 207, 212, 214 ff., 223, 229 Vertrauensschutz 58 Verwaltungsverfahren 78 f., 159 Verwaltungsvorschriften 69, 71, 76 f., 125, 153 Verweisungen 32, 188, 200, 202 Vollzugsdefizite 21, 145, 160 Vollzugsgerechtigkeit 143 ff., 251, 264 Vorausberechenbarkeit 128 ff., 158 Vorausberechnungsformel 23, 52, 99, 128 ff., 138, 147, 149, 168 Voraussehbarkeit 48, 55, 127, 137 ff., 173, 196, 200, 203 f., 213, 263 Vorbehalt des Gesetzes 31, 54, 57, 72 ff., 81, 82, 89 ff., 93 f., 98, 117, 123 f., 156, 159, 175, 177, 261 Vorrang des Gesetzes 61, 72 ff., 158, 207 Weimarer Republik 124 Wesentlichkeitsrechtsprechung 73 f. Wesentlichkeitstheorie 73 ff., 86, 91 f., 97 ff., 107, 119, 209, 261 f. Wettbewerbsverzerrungen 155 Widersprüchlichkeit 23, 27, 186 f., 190 ff., 196, 254 Widerspruchsfreiheit 182, 190, 193 ff., 253 f. Zeichen 26 f. Zweckmäßigkeit 58, 106