Bernhard von Waging (+ 1472), ein Theologe der Melker Reformbewegung: Monastische Theologie im 15. Jahrhundert? 9783161510687, 9783161508424

Ulrike Treusch fragt anhand von Person und Werk Bernhards von Waging (? 1472) nach der monastischen Theologie im 15. Jah

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German Pages 375 [381] Year 2011

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Widmung
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Technica
Einleitung
Kapitel 1. Bernhard und die benediktinische Reformbewegungvon Melk und Tegernsee
1.1 Die Melker Reform und ihr Anliegen
1.1.1 Das Konzil von Konstanz und die Anfänge der Melker Reform
1.1.2 Die Reform in Melk 1418 und die Ausbreitung der Reform in Österreich
1.1.3 Die Übernahme der Melker Observanz in Tegernsee 1426
1.1.4 Das Konzil von Basel als Wendepunkt der Reformbewegung
1.1.4.1 Das Basler Konzil als Forum des Austauschs
1.1.4.2 Ordensreform auf dem Konzil von Basel
1.1.4.3 Tegernseer Visitationstätigkeit
1.1.4.4 Diskussion der Melker Observanz
1.2 Die Legation des Nikolaus von Kues 1450–1452
1.3 Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Melk und Tegernsee?
1.4 Bemühungen um Konformität und benediktinische Union
1.5 Schriften und Autoren der Melker Reformbewegung
1.5.1 Johannes Keck
1.5.2 Christian Tesenpacher
1.5.3 Keck, Tesenpacher und Bernhard von Waging
1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee
1.6.1 Organisation und Zugehörigkeit zum Melker Reformkreis
1.6.2 Regional- und lokalgeschichtliche Studien
1.6.3 Prosopographische Studien
1.6.4 Arbeiten zur Melker Reform in Tegernsee
1.6.5 Arbeiten zu Bernhard von Waging
1.6.6 Die Monographien von Niederkorn-Bruck und Groiß
1.6.7 Forschungsdesiderate
1.6.8 Das Ziel dieser Studie
Kapitel 2. Bernhard von Waging als Benediktiner, Visitator und Autor der Melker Reform
2.1 Zur Person Bernhards von Waging
2.1.1 Bernhards Werdegang bis zu seinem Eintritt in Tegernsee
2.1.2 Als Augustinerchorherr in Indersdorf
2.1.3 Vom Augustinerchorherrn zum Benediktiner – der Übertritt
2.1.3.1 Das Geschehen des Übertritts
2.1.3.2 Die Motive für den Übertritt
2.1.3.3 Geistliches Leben in Indersdorf in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts
2.1.3.4 Das kontemplative Leben als Lebensideal Bernhards
2.1.4 Bernhard als Benediktiner in Tegernsee
2.1.4.1 Bernhard als Prior
2.1.4.2 Bernhard als Reformer und Visitator
2.1.4.2.1 Als Visitator des Stifts Sonnenburg
2.1.4.2.2 Als Visitator von St. Georgenberg
2.1.4.2.3 Weitere Reformtätigkeit Bernhards
2.1.5 Bernhards Wirken für die Union
2.1.5.1 Die Gespräche in der Salzburger Provinz
2.1.5.2 Die Gespräche in der Mainzer Provinz
2.1.5.3 Getrennte Wege in den Provinzen
2.1.5.4 Die benediktinische Union in der Provinz Mainz
2.2 Bernhards Schriften
2.2.1 Der Umfang seines Werks
2.2.2 Schriften Bernhards in chronologischem Überblick
2.2.3 Bernhards Predigten und Briefe
2.2.4 Deutsche Schriften Bernhards?
2.3 Zu Thema und Vorgehen der Arbeit
2.3.1 Drei große Themenkomplexe: Vita contemplativa, Mystik, Askese
2.3.1.1 Bernhards Schriften zur vita contemplativa
2.3.1.2 Bernhards Schriften zur Mystik
2.3.1.3 Bernhards Schriften zur Askese
2.3.2 Zur Untersuchung von Bernhards Schriften
Kapitel 3. Die Diskussion um die vita contemplativa
3.1 Die persönliche Bedeutung der Kontemplation für Bernhard
3.2 Das Einschärfen der vita contemplativa in den Professpredigten
3.3 Bernhards Rat an Cusanus, die vita contemplativa zu wählen
3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann
3.4.1 Bischof Johann von Eych und Bernhard von Waging
3.4.2 Johann als Reformer des Bistums Eichstätt
3.4.2.1 Reform des Klerus
3.4.2.2 Reform der Klöster und Stifte
3.4.2.3 Johanns Streit mit Domkapitel und Klerus der Stadt Eichstätt
3.4.3 Johanns Briefe zur Frage des kontemplativen Lebens
3.4.4 Das Seelsorgeverbot in den benediktinischen Reformbewegungen
3.5 Bernhards Speculum pastorum et animarum rectorum (1462)
3.5.1 Ein Vorwurf an das kontemplative Mönchtumund seine Widerlegung
3.5.1.1 Bernhards These: Das kontemplative Leben ist besser und sicherer
3.5.1.2 Die Reihe der Zeugen für die vita contemplativa
3.5.1.3 Das Bischofsamt und seine Aufgaben
3.5.1.4 Die Lasten und Gefahren des Amtes
3.5.1.5 Das Bischofsamt in der gegenwärtigen Zeit und in der Alten Kirche
3.5.1.6 Das kontemplative Leben ist besser und nützlicher
3.5.1.7 Ein Trost für diejenigen, die ihr Bischofsamt aufgeben
3.5.2 Bernhards Argumentation im Speculum
3.5.2.1 Die Aufl ösung der Quaestio
3.5.2.2 Der Autoritätsbeweis
3.5.2.3 Die Rolle der Erfahrung
3.5.2.4 Das Einbeziehen des Lesers
3.5.2.5 Der Kontrast zwischen vita activa und vita contemplativa
3.5.2.6 Die inhaltliche Bestimmung des kontemplativen Lebens
3.5.2.7 Das Ideal der »primitiva ecclesia«
3.5.2.8 Bernhards Verständnis des Bischofsamtes
3.6 Johanns Epistula impugnatoria speculi pastorum (1462)
3.6.1 Variation der Quaestio
3.6.2 Der hohe ideelle Rang der vita contemplativa und das Recht der vita activa
3.6.3 Johanns Interpretation der Maria-Martha-Erzählung
3.6.4 Das Recht des Urteils über die beiden Wege
3.6.5 Ein Ja zum Dienst in der Kirche
3.6.6 Erneute Aufforderung zur Actio an die kontemplativle benden Mönche
3.6.7 Der Vergleich und das Recht beider Wege
3.6.8 Kein Aufgeben des Kirchenamtes
3.6.9 Speculum und Epistula im Vergleich
3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)
3.7.1 Die Verteidigung der vita contemplativa
3.7.1.1 Bernhards These
3.7.1.2 Der Vorrang der vita contemplativa
3.7.1.3 Bernhards Interpretation der Maria-Martha-Erzählung
3.7.1.4 Warnung vor den Gefahren des Amts
3.7.1.5 Der Pastorenspiegel
3.7.1.6 Die Beantwortung der Quaestio
3.7.2 Bernhards Plädoyer für das kontemplative Leben im Defensorium
3.7.2.1 Sprache und Stil im Defensorium
3.7.2.1.1 Aufl ösung der Quaestio
3.7.2.1.2 Der Autoritätsbeweis
3.7.2.1.3 Die Adressaten
3.7.2.1.4 Stilistische Beobachtungen
3.7.2.2 Die von Bernhard zitierten Autoritäten
3.7.2.3 Die vita contemplativa als Ermöglichung mystischer Erfahrung
3.7.2.4 Die zeitliche Dimension
3.7.2.5 Die Erfahrung als hermeneutisches Prinzip
3.7.2.6 Biographische Anmerkungen und persönliche Notizen
3.7.2.7 Die Maria-Martha-Interpretation von Bernhard und Johann
3.7.3 Die Positionen von Bernhard und Johann– ein Fazit
3.8 Das Ideal der vita contemplativa und Bernhards Reformtätigkeit
Kapitel 4. Die Kontroverse um die theologia mystica
4.1 Bernhards Schriften zur Mystik
4.1.1 Zu Forschungsstand, Quellenlage und Forschungsdesiderat
4.1.2 Die theologia mystica als Streitpunkt
4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia
4.2.1 De docta ignorantia des Nikolaus Cusanus als Auslöser des Streits
4.2.2 Die Rezeption von De docta ignorantia
4.2.3 Der Streitschriften-Wechsel zwischen 1453 und 1460
4.2.4 Bernhards Laudatorium doctae ignorantiae
4.2.4.1 Bernhards Argumentation im Laudatorium
4.2.4.2 Bernhards Interpretation der theologia mystica im Laudatorium
4.2.5 Der Briefwechsel zwischen Cusanus und den Tegernseer Mönchen
4.2.5.1 Die Quaestio Kaspar Aindorffers und die Antwort des Cusanus
4.2.5.2 Kritik und Gegenposition des Vinzenz von Aggsbach
4.2.5.3 Die Antwort des Cusanus in De Visione Dei (1453)
4.2.5.4 Die Entfaltung der Kontroverse
4.2.5.5 Bernhards Briefwechsel mit Cusanus
4.2.5.6 Das unterschiedliche Verständnis von Cusanus und Bernhard
4.2.5.7 Der Abschluss des Briefwechsels 1456
4.2.6 Die Fortsetzung des Mystik-Streits 1454–1459
4.2.7 Bernhards Defensorium laudatorii doctae ignorantiae
4.2.7.1 Bernhards Argumentation im Defensorium
4.2.7.2 Bernhards Arbeitsweise im Defensorium
4.2.7.3 Die belehrte Unwissenheit als Heilsweg
4.2.8 Der Abschluss der Kontroverse 1459–1460
4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum
4.3.1 Bernhards Argumentation in De cognoscendo Deum
4.3.1.1 Die christologische Prämisse
4.3.1.2 Die Quaestio: Die Rolle des Intellekts
4.3.1.3 Eine über-intellektuale Erkenntnis
4.3.1.4 Die Bestimmung der mystischen Theologie
4.3.1.5 Zeugen der mystischen Erfahrung
4.3.1.6 Nachtrag zur Rede von Gott nach Pseudo-Dionys
4.3.2 Die Verteidigung von Pseudo-Dionys und Cusanus in De cognoscendo Deum
4.3.3 Zu Sprache und Stil in De cognoscendo Deum
4.3.4 Bernhards Kompilation von Autoritätszitaten
4.3.5 Die Rolle der Erfahrung
4.3.6 Eine Disposition für mystische Erfahrung
4.3.7 Schneller, leichter, sicher und gesund zur Gotteserfahrung gelangen
4.3.8 Eine mittelbairische Übersetzung
4.4 De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali
4.4.1 Bernhards Argumentation in De spiritualibus sentimentis
4.4.2 Mystisches Erleben in Vergangenheit und Gegenwart
4.4.3 Purgatio und Meditation
4.4.4 Die göttliche Einwohnung in der menschlichen Seele
4.4.5 Nachweis mit Autoritätszitaten und Beispielen
4.4.6 Mystische Erfahrung in der Praxis
4.5 Die Bedeutung der theologia mystica für Bernhard
Kapitel 5. Bernhards Schriften zur Askese
5.1 Asketische Fragen in der Reformdiskussion des 15. Jahrhunderts
5.2 Die Abstinenz vom Fleisch in Bernhards Briefen
5.3 Die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts
5.3.1 Die Gattung der De-esu-carnium-Schriften
5.3.2 Die De-esu-carnium-Schriften von Autoren der Melker Observanz
5.3.3 Schriften von Autoren außerhalb der Melker Observanz
5.3.4 Schriften zur kartäusischen Abstinenz
5.3.5 Überblick über die De-esu-carnium-Schriften
5.3.6 Bernhards Kenntnis der De-esu-carnium-Schriften
5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern
5.4.1 Die Aussagen der Benediktsregel
5.4.2 Die Kommentierung der Benediktsregel vom 9. bis 14. Jahrhundert
5.4.2.1 Die Kommentare des 9. Jahrhunderts von Smaragdus und Hildemar
5.4.2.2 Die Rezeption der Regel-Kommentare in den De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts
5.4.2.3 Der Kommentar des Bernhard von Montecassino
5.4.2.4 Der Kommentar des Petrus Boërius
5.4.2.5 Die Regelkommentare und die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts
5.4.3 Päpstliche und konziliare Erlasse des 13. bis 15. Jahrhunderts
5.4.3.1 Papst Innozenz III.: Cum ad monasterium Sublacense (1215)
5.4.3.2 Papst Honorius III.: Ea quae pro religionis honestate (1225)
5.4.3.3 Die Reformerlasse unter Papst Gregor IX.
5.4.3.4 Papst Clemens V. und das Konzil von Vienne
5.4.3.5 Papst Benedikt XII.: Summi magistri dignatio (1336)
5.4.4 Beschlüsse zur Fleischabstinenz in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts
5.4.4.1 Das Petershausener Kapitel auf dem Konstanzer Konzil (1417)
5.4.4.2 Die Abstinenz auf dem Konzil von Basel (1431–1449)
5.4.4.2.1 Die Abstinenz in den Konzilsbeschlüssen zur benediktinischen Reform
5.4.4.2.2 Die Programmschrift Martins von Senging
5.4.5 Die in Tegernsee und Melk um 1450 praktizierte Abstinenz
5.5 Bernhards Epistola contra illicitum carnium esum
5.5.1 Zur Entstehung: Eine Anfrage
5.5.2 Die Epistola als Forderung strenger Fleischabstinenz
5.5.2.1 Die zwölf Conclusiones
5.5.2.1.1 Das Verbot des Fleischgenusses
5.5.2.1.2 Die Interpretation der Regel und der Bulle Cum ad monasterium
5.5.2.1.3 Die Interpretation der Bulle Summi Magistri
5.5.2.1.4 Die Beantwortung von Martins Quaestio
5.5.2.2 Weitere Aspekte der Abstinenz und die Gelübde
5.5.2.3 Die Klage über den Verfall monastischen Lebens
5.5.3 Bernhards Argumentation
5.5.3.1 Die inhaltliche Aussage: Rigorose Abstinenz
5.5.3.2 Der Autoritätsbeweis und die Harmonisierung von altem und neuem Recht
5.5.3.3 Die Erfahrung als Voraussetzung des rechten Verstehens
5.5.3.4 Quaestio, Brief und Sermo
5.5.3.5 Sprache und Motive
5.5.4 Die Reaktion des Johannes Schlitpacher
5.5.4.1 Brevis confirmatio
5.5.4.2 Johannes Schlitpachers briefl iche Kritik
5.5.5 Die Epistola im Kontext der De-esu-carnium-Traktate
5.5.5.1 Der De-esu-carnium-Traktat des Nikolaus von Dinkelsbühl
5.5.5.2 Nikolaus’ Traktat im Vergleich mit Bernhards Epistola
5.5.5.3 Eine schriftliche Vorlage
5.5.6 Bernhards Epistola als Positionspapier der Melker Observanz
5.6 Der Dialogus
5.6.1 Zu Autorschaft und Entstehungszeit des Dialogus
5.6.1.1 Die handschriftliche Überlieferung des Dialogus
5.6.1.1.1 Clm 4403 (St. Ulrich und Afra, Augsburg)
5.6.1.1.2 Clm 7008 (Zisterzienserkloster Fürstenfeld)
5.6.1.1.3 Clm 18548b (Tegernsee)
5.6.1.1.4 Codex 990 (Melk)
5.6.1.1.5 Zuschreibung und Abhängigkeit der vier Codices
5.6.1.2 Neudatierung und Neuzuschreibung des Dialogus
5.6.1.3 Der Dialogus als Schrift des 12. Jahrhunderts
5.6.2 Der Dialogus als Programm strenger Abstinenz
5.6.2.1 Zu Aufbau und Inhalt des Dialogus
5.6.2.2 Die Streitfrage
5.6.2.2.1 Das Verbot von Geflügel
5.6.2.2.2 Die Konsequenzen aus dem Verbot von Geflügel
5.6.2.3 Die Argumentation des Dialogus
5.6.2.3.1 Die inhaltliche Position
5.6.2.3.2 Eine Lehre von Erkenntnis, Erfahrung und Verstehen
5.6.2.3.3 Die Heilsrelevanz der Abstinenz
5.6.2.3.4 Die Erfahrung der Väter
5.6.2.3.5 Der Gegensatz von Antiqui und Moderni
5.6.2.4 Die Parallelen zwischen Dialogus und Epistola
5.6.2.5 Überlieferungsgeschichtliche Hypothese für die Zuschreibung an Bernhard
5.7 Die Nahrungsaskese im Werk Bernhards
Kapitel 6. Bernhards theologisches Denken – ein Fazit
6.1 Bernhard als Theologe des monastischen Lebens und der Benediktsregel
6.2 Bernhard als Theologe der Reform des 15. Jahrhunderts
6.3 Bernhard als Vertreter einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts?
6.3.1 Zur Problematik theologiegeschichtlicher Einordnung
6.3.2 Bernhard als Vertreter einer Frömmigkeitstheologie?
6.3.3 Monastische Theologie
6.3.3.1 Monastische Theologie im 15. Jahrhundert
6.3.3.2 Monastische Theologie Bernhards?
6.4 Ausblick
Anhänge
7.1 Verzeichnisse der lateinischen Schriften Bernhards im Vergleich
7.2 Der Dialogus: Die Handschriften im Vergleich
Quellen- und Literaturverzeichnis
Schriften Bernhards von Waging
In der Arbeit zitierte handschriftliche Überlieferung
In der Arbeit verwendete (Teil-)Drucke von Schriften Bernhards
Ungedruckte Quellen
Gedruckte Quellen
Zitierte Handschriften-Kataloge
Hilfsmittel und Lexika
Forschungsliteratur
Ortsregister
Personenregister
Sachregister
Beiträge zur historischen Theologie
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Bernhard von Waging (+ 1472), ein Theologe der Melker Reformbewegung: Monastische Theologie im 15. Jahrhundert?
 9783161510687, 9783161508424

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Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von

Albrecht Beutel 158

Ulrike Treusch

Bernhard von Waging († 1472), ein Theologe der Melker Reformbewegung Monastische Theologie im 15. Jahrhundert?

Mohr Siebeck

Ulrike Treusch, geboren 1971; Studium der Evang. Theologie und Germanistik in Tübingen und Jerusalem; 2000 Staatsexamen; 2001–2002 DFG-Stipendiatin im Graduiertenkolleg ›Ars und Scientia im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit‹, Tübingen; 2002–2007 Assistentin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte (Prof. Dr. Ulrich Köpf), Evang.-theol. Fakultät, Universität Tübingen; 2010 Promotion; seit 2007 Dozentin für Theologie (Schwerpunkt Kirchen- und Theologiegeschichte) am CVJM-Kolleg, seit 2009 auch an der CVJM-Hochschule in Kassel.

e-ISBN PDF 978-3-16-151068-7 ISBN 978-3-16-150842-4 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo-Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Meiner Mutter

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/10 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen als Dissertation angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Die Veröffentlichung wurde durch einen namhaften Druckkostenzuschuss der Forschungsstiftung für Spätmittelalter und Reformation gefördert, der ich für die großzügige und unkomplizierte Unterstützung herzlich danke. Mein aufrichtiger Dank gilt auch allen Personen, die zur Entstehung und Publikation der Arbeit beigetragen haben. An erster Stelle sei mein Doktorvater, Herr Professor Dr. Ulrich Köpf, genannt. Er hat nicht nur durch seine Lehrveranstaltungen bereits in Studienzeiten mein Interesse und meine Begeisterung für die Theologie- und Kirchengeschichte geweckt, sondern mich auch von 2002 bis 2007 als seine Assistentin am Lehrstuhl und als Doktorandin gefördert. Aus der Lektüre seiner Aufsätze und aus Gesprächen mit ihm entwickelte sich das Thema der vorliegenden Arbeit, deren Entstehung und Fertigstellung er mit Interesse und Geduld verfolgte. Nicht zuletzt gilt ihm mein Dank für die Erstellung des Erstgutachtens. Herrn Professor Dr. Reinhold Rieger danke ich für die Abfassung des Zweitgutachtens, der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen für die Annahme als Dissertation. Herzlich danke ich auch Herrn Professor Dr. Albrecht Beutel für die Aufnahme meiner Arbeit in die Beiträge zur historischen Theologie. Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Frau Jana Trispel vom Verlag Mohr Siebeck gilt mein Dank für die freundliche Betreuung des Weges vom Manuskript zum Buch. Den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren in den Handschriftenabteilungen, insbesondere der Bayerischen Staatsbibliothek München, mit denen ich in Person oder Korrespondenz in Kontakt stand, danke ich für Auskünfte und Materialien. Auf dem Weg vom ersten Blick in Bernhards Schriften bis zur Publikation haben mich weitere Menschen begleitet. Stellvertretend seien hier die mediävistischen Kolleginnen und Kollegen der Internationalen Editorenschule 2005–2007 und deren Leiter, Herr Professor Dr. Marc-Aeilko Aris (München), Herr Professor Dr. Loris Sturlese (Lecce) und Frau Dr. Maria Burger (Bonn), genannt, die mich durch interessiertes Nachfragen und

VIII

Vorwort

Fachgespräche wieder neu für die manchmal auch ermüdende Arbeit an den lateinischen (Hand-)Schriften motivierten. Last but not least danke ich meinem Freundeskreis und meiner Familie. Von meinen Freunden, die über Jahre hinweg regen Anteil an »meinem Bernhard« nahmen, seien genannt: Dr. Monica Herghelegiu, Dr. Heike Krauter-Dierolf, Nicole Metzger und Kerstin Rehberg-Schroth. Pfarrerin Tanja Götz hat Bernhard von Waging bereits als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl kennen gelernt und meine Arbeit von der ersten Recherche bis zur Publikation interessiert und freundschaftlich verfolgt, auch ihr danke ich herzlich. Meiner Freundin und mediävistischen Kollegin Dr. Christine Baatz, deren Doktorarbeit im nahezu gleichen Zeitraum entstand und abgeschlossen wurde, sage ich hier einfach »Danke« für alle Gespräche, den fachlichen Austausch und manche PC-Tipps. Mein letzter und größter Dank gilt meiner Familie, besonders meiner Schwester Anette und meiner Mutter. Meine Schwester gab mir immer wieder einen verbalen Stoß, die Arbeit doch (endlich) abzuschließen, und half mir engagiert bei der Vorbereitung des Manuskripts für den Druck. Meine Mutter hat mich in dieser Arbeit wie in meinen Plänen stets ermutigt und unterstützt – ihr sei dieses Buch gewidmet. Kassel, den 2. Februar 2011

Ulrike Treusch

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Technica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1.1 Die Melker Reform und ihr Anliegen . . . . . . . . . . 1.1.1 Das Konzil von Konstanz und die Anfänge der Melker Reform . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Die Reform in Melk 1418 und die Ausbreitung der Reform in Österreich . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Die Übernahme der Melker Observanz in Tegernsee 1426 . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Das Konzil von Basel als Wendepunkt der Reformbewegung . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4.1 Das Basler Konzil als Forum des Austauschs 1.1.4.2 Ordensreform auf dem Konzil von Basel . 1.1.4.3 Tegernseer Visitationstätigkeit . . . . . . 1.1.4.4 Diskussion der Melker Observanz . . . . .

. .

3

. .

4

. .

6

. .

7

. . . . .

. . . . .

10 11 12 13 14

Die Legation des Nikolaus von Kues 1450–1452 . . . . . . Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Melk und Tegernsee? . Bemühungen um Konformität und benediktinische Union Schriften und Autoren der Melker Reformbewegung . . . 1.5.1 Johannes Keck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Christian Tesenpacher . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Keck, Tesenpacher und Bernhard von Waging . . .

. . . . . . .

15 17 18 20 21 22 23

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1.2 1.3 1.4 1.5

X

Inhaltsverzeichnis

1.6.1 Organisation und Zugehörigkeit zum Melker Reformkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Regional- und lokalgeschichtliche Studien . . . . . . 1.6.3 Prosopographische Studien . . . . . . . . . . . . . . 1.6.4 Arbeiten zur Melker Reform in Tegernsee . . . . . . 1.6.5 Arbeiten zu Bernhard von Waging . . . . . . . . . . 1.6.6 Die Monographien von Niederkorn-Bruck und Groiß . 1.6.7 Forschungsdesiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.8 Das Ziel dieser Studie . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 28 29 30 32 35 36 37

2 Bernhard von Waging als Benediktiner, Visitator und Autor der Melker Reform . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2.1 Zur Person Bernhards von Waging . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Bernhards Werdegang bis zu seinem Eintritt in Tegernsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Als Augustinerchorherr in Indersdorf . . . . . . . . 2.1.3 Vom Augustinerchorherrn zum Benediktiner – der Übertritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.1 Das Geschehen des Übertritts . . . . . . . . 2.1.3.2 Die Motive für den Übertritt . . . . . . . . 2.1.3.3 Geistliches Leben in Indersdorf in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . 2.1.3.4 Das kontemplative Leben als Lebensideal Bernhards. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Bernhard als Benediktiner in Tegernsee . . . . . . . 2.1.4.1 Bernhard als Prior . . . . . . . . . . . . . 2.1.4.2 Bernhard als Reformer und Visitator . . . . 2.1.4.2.1 Als Visitator des Stifts Sonnenburg . . . 2.1.4.2.2 Als Visitator von St. Georgenberg . . . . 2.1.4.2.3 Weitere Reformtätigkeit Bernhards . . . 2.1.5 Bernhards Wirken für die Union . . . . . . . . . . 2.1.5.1 Die Gespräche in der Salzburger Provinz . . 2.1.5.2 Die Gespräche in der Mainzer Provinz . . . 2.1.5.3 Getrennte Wege in den Provinzen . . . . . 2.1.5.4 Die benediktinische Union in der Provinz Mainz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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38

. .

38 40

. . .

41 41 43

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45

. . . . . . . . . . .

48 49 50 51 51 52 53 55 55 56 58

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60

2.2 Bernhards Schriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der Umfang seines Werks. . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Schriften Bernhards in chronologischem Überblick 2.2.3 Bernhards Predigten und Briefe . . . . . . . . . .

. . . .

61 61 62 66

. . . .

Inhaltsverzeichnis

XI

2.2.4 Deutsche Schriften Bernhards? . . . . . . . . . . . .

66

2.3 Zu Thema und Vorgehen der Arbeit . . . . . . . . . . 2.3.1 Drei große Themenkomplexe: Vita contemplativa, Mystik, Askese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Bernhards Schriften zur vita contemplativa 2.3.1.2 Bernhards Schriften zur Mystik . . . . . . 2.3.1.3 Bernhards Schriften zur Askese . . . . . . 2.3.2 Zur Untersuchung von Bernhards Schriften . . . .

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa . . . . . . . . . .

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3.1 Die persönliche Bedeutung der Kontemplation für Bernhard 3.2 Das Einschärfen der vita contemplativa in den Professpredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Bernhards Rat an Cusanus, die vita contemplativa zu wählen 3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Bischof Johann von Eych und Bernhard von Waging . 3.4.2 Johann als Reformer des Bistums Eichstätt . . . . . . 3.4.2.1 Reform des Klerus . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2 Reform der Klöster und Stifte. . . . . . . . . 3.4.2.3 Johanns Streit mit Domkapitel und Klerus der Stadt Eichstätt. . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Johanns Briefe zur Frage des kontemplativen Lebens . . 3.4.4 Das Seelsorgeverbot in den benediktinischen Reformbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

3.5 Bernhards Speculum pastorum et animarum rectorum (1462) 3.5.1 Ein Vorwurf an das kontemplative Mönchtum und seine Widerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.1 Bernhards These: Das kontemplative Leben ist besser und sicherer . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.2 Die Reihe der Zeugen für die vita contemplativa. . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.3 Das Bischofsamt und seine Aufgaben . . . . . 3.5.1.4 Die Lasten und Gefahren des Amtes . . . . . . 3.5.1.5 Das Bischofsamt in der gegenwärtigen Zeit und in der Alten Kirche . . . . . . . . . . . . 3.5.1.6 Das kontemplative Leben ist besser und nützlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XII

Inhaltsverzeichnis

3.5.1.7 Ein Trost für diejenigen, die ihr Bischofsamt aufgeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Bernhards Argumentation im Speculum. . . . . . . 3.5.2.1 Die Auflösung der Quaestio . . . . . . . . . 3.5.2.2 Der Autoritätsbeweis . . . . . . . . . . . . 3.5.2.3 Die Rolle der Erfahrung . . . . . . . . . . 3.5.2.4 Das Einbeziehen des Lesers . . . . . . . . . 3.5.2.5 Der Kontrast zwischen vita activa und vita contemplativa. . . . . . . . . . . . . . 3.5.2.6 Die inhaltliche Bestimmung des kontemplativen Lebens . . . . . . . . . . . 3.5.2.7 Das Ideal der »primitiva ecclesia« . . . . . . 3.5.2.8 Bernhards Verständnis des Bischofsamtes . . 3.6 Johanns Epistula impugnatoria speculi pastorum (1462) . . 3.6.1 Variation der Quaestio . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Der hohe ideelle Rang der vita contemplativa und das Recht der vita activa . . . . . . . . . . . . 3.6.3 Johanns Interpretation der Maria-Martha-Erzählung 3.6.4 Das Recht des Urteils über die beiden Wege. . . . . 3.6.5 Ein Ja zum Dienst in der Kirche. . . . . . . . . . . 3.6.6 Erneute Aufforderung zur Actio an die kontemplativ lebenden Mönche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.7 Der Vergleich und das Recht beider Wege. . . . . . 3.6.8 Kein Aufgeben des Kirchenamtes . . . . . . . . . . 3.6.9 Speculum und Epistula im Vergleich . . . . . . . . 3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463) . . . . . 3.7.1 Die Verteidigung der vita contemplativa. . . . . . . 3.7.1.1 Bernhards These . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1.2 Der Vorrang der vita contemplativa . . . . . 3.7.1.3 Bernhards Interpretation der Maria-MarthaErzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1.4 Warnung vor den Gefahren des Amts . . . . 3.7.1.5 Der Pastorenspiegel . . . . . . . . . . . . . 3.7.1.6 Die Beantwortung der Quaestio. . . . . . . 3.7.2 Bernhards Plädoyer für das kontemplative Leben im Defensorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2.1 Sprache und Stil im Defensorium . . . . . . 3.7.2.1.1 Auflösung der Quaestio . . . . . . . . 3.7.2.1.2 Der Autoritätsbeweis . . . . . . . . . 3.7.2.1.3 Die Adressaten . . . . . . . . . . . . 3.7.2.1.4 Stilistische Beobachtungen . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

XIII

3.7.2.2 Die von Bernhard zitierten Autoritäten . . . . 3.7.2.3 Die vita contemplativa als Ermöglichung mystischer Erfahrung . . . . . . . . . . . . . 3.7.2.4 Die zeitliche Dimension. . . . . . . . . . . . 3.7.2.5 Die Erfahrung als hermeneutisches Prinzip . . 3.7.2.6 Biographische Anmerkungen und persönliche Notizen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2.7 Die Maria-Martha-Interpretation von Bernhard und Johann . . . . . . . . . . . 3.7.3 Die Positionen von Bernhard und Johann – ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.8 Das Ideal der vita contemplativa und Bernhards Reformtätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica . . . . . . . . . .

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4.1 Bernhards Schriften zur Mystik . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Zu Forschungsstand, Quellenlage und Forschungsdesiderat . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die theologia mystica als Streitpunkt . . . . . . . . .

138

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia . . . . 4.2.1 De docta ignorantia des Nikolaus Cusanus als Auslöser des Streits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Rezeption von De docta ignorantia . . . . . . . . 4.2.3 Der Streitschriften-Wechsel zwischen 1453 und 1460 . 4.2.4 Bernhards Laudatorium doctae ignorantiae . . . . . . 4.2.4.1 Bernhards Argumentation im Laudatorium . . 4.2.4.2 Bernhards Interpretation der theologia mystica im Laudatorium. . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Der Briefwechsel zwischen Cusanus und den Tegernseer Mönchen . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5.1 Die Quaestio Kaspar Aindorffers und die Antwort des Cusanus . . . . . . . . . . . . . 4.2.5.2 Kritik und Gegenposition des Vinzenz von Aggsbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5.3 Die Antwort des Cusanus in De Visione Dei (1453). . . . . . . . . . . . . 4.2.5.4 Die Entfaltung der Kontroverse . . . . . . . . 4.2.5.5 Bernhards Briefwechsel mit Cusanus . . . . .

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XIV

Inhaltsverzeichnis

4.2.5.6 Das unterschiedliche Verständnis von Cusanus und Bernhard . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5.7 Der Abschluss des Briefwechsels 1456 . . . . . 4.2.6 Die Fortsetzung des Mystik-Streits 1454–1459 . . . . . 4.2.7 Bernhards Defensorium laudatorii doctae ignorantiae . 4.2.7.1 Bernhards Argumentation im Defensorium . . 4.2.7.2 Bernhards Arbeitsweise im Defensorium . . . 4.2.7.3 Die belehrte Unwissenheit als Heilsweg . . . . 4.2.8 Der Abschluss der Kontroverse 1459–1460. . . . . . .

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4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Bernhards Argumentation in De cognoscendo Deum 4.3.1.1 Die christologische Prämisse . . . . . . . . 4.3.1.2 Die Quaestio: Die Rolle des Intellekts. . . . 4.3.1.3 Eine über-intellektuale Erkenntnis . . . . . 4.3.1.4 Die Bestimmung der mystischen Theologie . 4.3.1.5 Zeugen der mystischen Erfahrung . . . . . . 4.3.1.6 Nachtrag zur Rede von Gott nach Pseudo-Dionys . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Verteidigung von Pseudo-Dionys und Cusanus in De cognoscendo Deum. . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Zu Sprache und Stil in De cognoscendo Deum . . . 4.3.4 Bernhards Kompilation von Autoritätszitaten . . . . 4.3.5 Die Rolle der Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Eine Disposition für mystische Erfahrung . . . . . . 4.3.7 Schneller, leichter, sicher und gesund zur Gotteserfahrung gelangen. . . . . . . . . . . . . . 4.3.8 Eine mittelbairische Übersetzung . . . . . . . . . .

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4.4 De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali . . . . 4.4.1 Bernhards Argumentation in De spiritualibus sentimentis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Mystisches Erleben in Vergangenheit und Gegenwart 4.4.3 Purgatio und Meditation . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Die göttliche Einwohnung in der menschlichen Seele 4.4.5 Nachweis mit Autoritätszitaten und Beispielen. . . . 4.4.6 Mystische Erfahrung in der Praxis. . . . . . . . . .

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4.5 Die Bedeutung der theologia mystica für Bernhard . . . . .

197

XV

Inhaltsverzeichnis

5 Bernhards Schriften zur Askese . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Asketische Fragen in der Reformdiskussion des 15. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Abstinenz vom Fleisch in Bernhards Briefen . . . . 5.3 Die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts . . . 5.3.1 Die Gattung der De-esu-carnium-Schriften . . . . 5.3.2 Die De-esu-carnium-Schriften von Autoren der Melker Observanz . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Schriften von Autoren außerhalb der Melker Observanz . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Schriften zur kartäusischen Abstinenz . . . . . . . 5.3.5 Überblick über die De-esu-carnium-Schriften . . 5.3.6 Bernhards Kenntnis der De-esu-carnium-Schriften

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5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern . 217 5.4.1 Die Aussagen der Benediktsregel . . . . . . . . . . . 217 5.4.2 Die Kommentierung der Benediktsregel vom 9. bis 14. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . 219 5.4.2.1 Die Kommentare des 9. Jahrhunderts von Smaragdus und Hildemar . . . . . . . . . 219 5.4.2.2 Die Rezeption der Regel-Kommentare in den De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts 221 5.4.2.3 Der Kommentar des Bernhard von Montecassino . . . . . . . . . . . . . . . 221 5.4.2.4 Der Kommentar des Petrus Boërius . . . . . . 223 5.4.2.5 Die Regelkommentare und die De-esucarnium-Schriften des 15. Jahrhunderts . . . . 224 5.4.3 Päpstliche und konziliare Erlasse des 13. bis 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 5.4.3.1 Papst Innozenz III.: Cum ad monasterium Sublacense (1215) . . . . . . . . . . . . . . . 225 5.4.3.2 Papst Honorius III.: Ea quae pro religionis honestate (1225) . . . . . . . . . . . . . . . 226 5.4.3.3 Die Reformerlasse unter Papst Gregor IX. . . . 226 5.4.3.4 Papst Clemens V. und das Konzil von Vienne . 228 5.4.3.5 Papst Benedikt XII.: Summi magistri dignatio (1336) . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5.4.4 Beschlüsse zur Fleischabstinenz in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5.4.4.1 Das Petershausener Kapitel auf dem Konstanzer Konzil (1417) . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

XVI

Inhaltsverzeichnis

5.4.4.2 Die Abstinenz auf dem Konzil von Basel (1431–1449) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

5.4.4.2.1 Die Abstinenz in den Konzilsbeschlüssen zur benediktinischen Reform . . . . . . . 5.4.4.2.2 Die Programmschrift Martins von Senging

231 232

5.4.5 Die in Tegernsee und Melk um 1450 praktizierte Abstinenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

5.5 Bernhards Epistola contra illicitum carnium esum . . . . . 5.5.1 Zur Entstehung: Eine Anfrage . . . . . . . . . . . 5.5.2 Die Epistola als Forderung strenger Fleischabstinenz . 5.5.2.1 Die zwölf Conclusiones . . . . . . . . . . . 5.5.2.1.1 Das Verbot des Fleischgenusses . . . . .

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5.5.2.1.2 Die Interpretation der Regel und der Bulle Cum ad monasterium . . . . . . . . . . 5.5.2.1.3 Die Interpretation der Bulle Summi Magistri . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2.1.4 Die Beantwortung von Martins Quaestio .

5.5.3

5.5.4

5.5.5

5.5.6

5.5.2.2 Weitere Aspekte der Abstinenz und die Gelübde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2.3 Die Klage über den Verfall monastischen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhards Argumentation. . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3.1 Die inhaltliche Aussage: Rigorose Abstinenz . 5.5.3.2 Der Autoritätsbeweis und die Harmonisierung von altem und neuem Recht . . . . . . . . . 5.5.3.3 Die Erfahrung als Voraussetzung des rechten Verstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3.4 Quaestio, Brief und Sermo . . . . . . . . . . 5.5.3.5 Sprache und Motive. . . . . . . . . . . . . . Die Reaktion des Johannes Schlitpacher . . . . . . . . 5.5.4.1 Brevis confi rmatio . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4.2 Johannes Schlitpachers briefl iche Kritik . . . . Die Epistola im Kontext der De-esu-carnium-Traktate 5.5.5.1 Der De-esu-carnium-Traktat des Nikolaus von Dinkelsbühl . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5.2 Nikolaus’ Traktat im Vergleich mit Bernhards Epistola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5.3 Eine schriftliche Vorlage . . . . . . . . . . . Bernhards Epistola als Positionspapier der Melker Observanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.6 Der Dialogus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Zu Autorschaft und Entstehungszeit des Dialogus . . .

235 236 238 238 239 240 241 242 243 245 246 246 247 250 250 251 252 252 253 253 254 254 256 257 257 257

XVII

Inhaltsverzeichnis

5.6.1.1 Die handschriftliche Überlieferung des Dialogus . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1.1.1 5.6.1.1.2 5.6.1.1.3 5.6.1.1.4 5.6.1.1.5

Clm 4403 (St. Ulrich und Afra, Augsburg) Clm 7008 (Zisterzienserkloster Fürstenfeld) Clm 18548b (Tegernsee) . . . . . . . . . Codex 990 (Melk) . . . . . . . . . . . Zuschreibung und Abhängigkeit der vier Codices . . . . . . . . . . . . . .

5.6.1.2 Neudatierung und Neuzuschreibung des Dialogus . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1.3 Der Dialogus als Schrift des 12. Jahrhunderts 5.6.2 Der Dialogus als Programm strenger Abstinenz . . . 5.6.2.1 Zu Auf bau und Inhalt des Dialogus . . . . . 5.6.2.2 Die Streitfrage . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2.2.1 Das Verbot von Geflügel . . . . . . . .

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5.6.2.2.2 Die Konsequenzen aus dem Verbot von Geflügel . . . . . . . . . . . . . .

5.6.2.3 Die Argumentation des Dialogus . . . . . . . 5.6.2.3.1 Die inhaltliche Position . . . . . . . . . 5.6.2.3.2 Eine Lehre von Erkenntnis, Erfahrung und Verstehen . . . . . . . . . . . . 5.6.2.3.3 Die Heilsrelevanz der Abstinenz . . . . 5.6.2.3.4 Die Erfahrung der Väter . . . . . . . . 5.6.2.3.5 Der Gegensatz von Antiqui und Moderni

259 259 260 260 261 262 262 263 266 266 267 268 269 270 270

. . . . 5.6.2.4 Die Parallelen zwischen Dialogus und Epistola. 5.6.2.5 Überlieferungsgeschichtliche Hypothese für die Zuschreibung an Bernhard. . . . . . .

271 271 272 272 273

5.7 Die Nahrungsaskese im Werk Bernhards . . . . . . . . . .

274

6 Bernhards theologisches Denken – ein Fazit . . . . . . . . .

276

273

6.1 Bernhard als Theologe des monastischen Lebens und der Benediktsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Bernhard als Theologe der Reform des 15. Jahrhunderts . . . 6.3 Bernhard als Vertreter einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Zur Problematik theologiegeschichtlicher Einordnung. 6.3.2 Bernhard als Vertreter einer Frömmigkeitstheologie? . 6.3.3 Monastische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.1 Monastische Theologie im 15. Jahrhundert . . 6.3.3.2 Monastische Theologie Bernhards? . . . . . .

283 283 288 291 292 293

6.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

296

276 281

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297

7.1 Verzeichnisse der lateinischen Schriften Bernhards im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Der Dialogus: Die Handschriften im Vergleich . . . . . . .

297 301

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . .

303

Schriften Bernhards von Waging . . . . . . . . . . . . . . . . In der Arbeit zitierte handschriftliche Überlieferung. . . . . In der Arbeit verwendete (Teil-)Drucke von Schriften Bernhards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 303 304

Ungedruckte Quellen. . . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . . Zitierte Handschriften-Kataloge Hilfsmittel und Lexika . . . . . Forschungsliteratur . . . . . . .

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Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Technica Rechtschreibung und Abkürzungen folgen: Duden. Die deutsche Rechtschreibung. Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der neuen amtlichen Regeln, hg. v. Bibliographisches Institut, 25., verbesserte und erweiterte Auflage Mannheim 2009. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: art. c. concl. f. FS ND p.

articulus capitulum/Kapitel conclusio folio(s) Festschrift Nachdruck pars

cgm. clm. Cod. Mell. BSB München SB Melk UB

qu. r S. Sp. t. v

quaestio recto Seite Spalte tomus verso

Codex germanicus monacensis (BSB München) Codex latinus monacensis (BSB München) Codex Mellicensis (SB Melk) Bayerische Staatsbibliothek München Stiftsbibliothek Melk Universitätsbibliothek

In den Fußnoten wird mit Kurztiteln gearbeitet. Die vollständigen bibliographischen Angaben fi nden sich im Literaturverzeichnis.

Einleitung Bernhard von Waging († 1472), ein Theologe der Melker Reformbewegung – Monastische Theologie im 15. Jahrhundert? Der Name Bernhards von Waging und die Frage nach einer monastischen Theologie im ausgehenden Mittelalter wurden bisher kaum in einem Atemzug genannt. Person und Werk Bernhards sind fast nur im Kontext der Cusanus-Forschung bekannt durch den Briefwechsel des Nikolaus von Kues mit den Mönchen von Tegernsee. Das Konzept der monastischen Theologie dagegen wird für die Theologie des 12. Jahrhunderts rezipiert. Die Studien von Jean Leclercq und Ulrich Köpf wiesen hier einen eigenständigen Theologietypus nach, der seinen Sitz im Kloster hat, stark erfahrungsbezogen ist und in Bernhard von Clairvaux einen herausragenden Vertreter hat. Die Frage nach der Weiterentwicklung der monastischen Theologie und deren Wiederaufleben im Spätmittelalter war die Ausgangsfrage für Studien, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden. Wenn, so die These, sich der Typus einer monastischen Theologie im 15. Jahrhundert erhalten hat, dann im Kontext der Reformen des älteren Mönchtums. Dem Verfall des benediktinischen Mönchtums traten in dieser Zeit Reformbestrebungen von Papst und Kurie, von Landesherren sowie aus dem Mönchtum selbst entgegen, für die exemplarisch die Melker Reform stehen kann. Diese benediktinische Reformbewegung erfasste österreichische, bayerische und schwäbische Klöster, und das Kloster Tegernsee wurde zum süddeutschen Reformzentrum der Bewegung. Hier wirkte Bernhard von Waging als Prior, als Reformer und als Autor zahlreicher Schriften. Die Frage nach einer monastischen Theologie im 15. Jahrhundert bildet den Rahmen für die Untersuchung der Schriften Bernhards als eines der bedeutendsten Vertreter der Melker Reform. Bernhards theologische Hauptschriften, die sich mit den Themen Seelsorge und Kontemplation, Mystik und Askese befassen, stehen exemplarisch für die noch nicht untersuchte Theologie der Melker Reform zwischen 1450 und 1470. Seine lateinischen Schriften entstanden stets im Austausch mit in der Reform engagierten Personen und in Auseinandersetzung mit aktuellen Reformfragen. Themen und Argumentation weisen das Profi l einer Theologie im Dienst der benediktinischen Reform auf. Ob diese als eine monastische Theologie verstanden werden darf, soll abschließend gefragt werden.

2

Einleitung

Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, anhand der Schriften Bernhards die Theologie der Melker Reform zu untersuchen und die Frage nach einer Fortsetzung der monastischen Theologie im 15. Jahrhundert zu beantworten. Die theologiehistorische Studie greift damit die Forschungshypothese einer monastischen Theologie im Spätmittelalter auf und untersucht diese anhand bisher weitgehend unerschlossener Quellen und in erstmals monographischer Zuwendung zum Werk Bernhards. Sie verbindet die theologische Fragestellung mit der historischen und philologischen Erschließung der Schriften Bernhards von Waging.

1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee Bernhard ist sowohl in der Quantität und Qualität seiner Schriften als auch in seiner persönlichen Reformtätigkeit einer der bedeutendsten Vertreter der Melker Reform. Diese Reformbewegung erfasste im Jahr 1426 das Kloster Tegernsee, das ab Mitte der 40er Jahre das süddeutsche Zentrum der Bewegung bildete. Schon bald nach seinem Eintritt in den Tegernseer Konvent im Jahr 1446 verfasste Bernhard Schriften für die Reform und vertrat als Visitator deren Anliegen. Daher werden einführend die Melker Reform und besonders die Rolle des Klosters Tegernsee dargestellt, um vor diesem Hintergrund Bernhards Biographie und Schriften zu betrachten.

1.1 Die Melker Reform und ihr Anliegen Die Klagen über den Niedergang der Klöster sowie den Verfall monastischer Disziplin sind seit dem 13. Jahrhundert wiederkehrende Topoi in zeitgenössischen Schriften. Den Verfallserscheinungen im Mönchtum, seien diese organisatorische, disziplinarische, wirtschaftliche oder geistliche Defizite,1 sollte mit Reformen begegnet werden, um die sich im 14. und 15. Jahrhundert mit unterschiedlichem Erfolg Kirche und Orden durch Reformdekrete und -synoden bemühten.2 Das benediktinische Mönchtum erlebte drei große Reformbewegungen im 15. Jahrhundert, die von den Klöstern Kastl, Melk und Bursfelde ausgingen und das monastische Leben nach der Benediktsregel wiederherstellten. 1 Vgl. Elm, Verfall und Erneuerung, S. 191–210, der die Verfallserscheinungen als »Symptome notwendiger Entwicklungsprozesse« deutet (S. 203) und zu Recht auf die Interdependenz von ökonomischen Gegebenheiten und quantitativem und qualitativem Rückgang des Ordenslebens verweist (S. 208–210). Zu Verfallserscheinungen und Reformbemühungen im Mönchtum im Überblick, jeweils mit Nennung einschlägiger Literatur vgl. Elm, Monastische Reformen, S. 59–111; Ders., Reform- und Observanzbestrebungen, S. 23–19; Ders., Verfall und Erneuerung, S. 188–238; Proksch, Klosterreform, S. 275–277. Zu benediktinischen Reformen des 15. Jahrhunderts vgl. auch Schmitz, Geschichte des Benediktinerordens 3, S. 167–190; Becker, Benediktinische Reformbewegungen im Spätmittelalter, S. 167–187. 2 Zum Überblick über die Reformerlasse des 13. bis 15. Jahrhunderts vgl. Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 3–9; Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 32–36.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

Von Melk aus erfasste die Reform bis ca. 1470 zahlreiche Benediktinerklöster.3 Da die Bewegung sich unter unterschiedlichen Reformträgern im geographischen Gebiet von Niederösterreich über Bayern bis Schwaben ausbreitete, die Einzelklöster aber nicht wie in der Bursfelder Reform in fester Verbandsform zusammengeschlossen waren, ist die Melker Reform ein komplexes Phänomen. Gemeinsam ist den Klöstern der Bewegung aber die Observanz nach dem Vorbild von Subiaco-Melk, wie sie mit Beschluss des Konzils von Konstanz 1418 in Melk eingeführt wurde.4

1.1.1 Das Konzil von Konstanz und die Anfänge der Melker Reform Initiation für die Melker Reform waren ein Reformprogramm des Wiener Universitätsprofessors Nikolaus von Dinkelsbühl, die im Rahmen des Konzils von Konstanz (1414–1418) gefassten Beschlüsse für das Mönchtum und die Ausführung dieser Reformmaßnahmen mit kirchlicher und landesherrlicher Unterstützung. Bereits in seiner Schrift Reformationis methodus (1415/16) hatte Nikolaus von Dinkelsbühl seinem Landesherrn Herzog Albrecht V. vorgeschlagen, zur Wiederherstellung der Klöster Mönche aus streng nach der Regel lebenden Konventen nach Österreich zu holen.5 Dieses Reformbestreben für das 3 Aus der wachsenden Zahl der Publikationen zur Melker Reform sei exemplarisch an neuerer Literatur die Einleitung zum ersten Band der Germania Benedictina (Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum, 1999) genannt, die einen vorzüglichen Überblick über die Abläufe und den gegenwärtigen Forschungsstand zur Melker Reform bietet: Angerer, Reform von Melk, S. 271–313. Vgl. auch Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung, S. 29–75. 4 Angerer, Reform von Melk, S. 271, bevorzugt den Begriff der Melker Observanz, da dieser inhaltlich zum Ausdruck bringt, was die Reformer erreichen wollten. Mit Observanz wird meist »das reguläre, regelmäßige bzw. regelgetreue Leben einer Mönchsgemeinschaft in einem Kloster« bezeichnet (Angerer, Zur Problematik, S. 312–323, hier: S. 113 f.). Bei den Klöstern des Melker Reformkreises bedeutet der Begriff auch, dass diese Klöster eine gemeinsame Observanz, nämlich die nach Subiaco-Melk haben, die sie untereinander verbindet. Observanz wird in der Literatur auch als Synonym für Ordens- und Klosterreform verwendet. Im Folgenden wird der in der Forschung übliche Begriff Melker Reform als Bezeichnung für die übergreifende Bewegung beibehalten. Der Begriff Melker Observanz wird als inhaltliche Bezeichnung für das regelgemäße Leben nach dem Vorbild Subiacos verwendet. Auch Ordensreform und (benediktinische) Klosterreform werden oft synonym verwendet. Da die Benediktiner im Spätmittelalter keinen Orden unter zentraler Leitung bildeten, sondern jedes Kloster eigenständig war, ist der Terminus benediktinische Klosterreform zutreffender. Klosterreform kann sowohl die Reform des Einzelklosters als auch die mehrerer Klöster meinen, während Ordensreform übergreifend die Reform aller Mönchsgemeinschaften bezeichnet. 5 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, Reformationis methodus, unter dem Titel Avizamenta seu consilia Dinkelspilii recte instituendi reformationem Austriae Ordinis S. Benedicti gedruckt in: Chronicon Mellicense, S. 309–312, hier: S. 309: »qui sub regulari disciplina et jugo regulari

1.1 Die Melker Reform und ihr Anliegen

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Mönchtum wurde sowohl von kirchlicher Seite6 als auch von Seiten des Landesherrn, der Universität Wien und reformwilligen Benediktinern unterstützt und auf dem Konzil von Konstanz aufgegriffen.7 Unter den drei Zielen des Konzils, der Überwindung des Papstschismas (causa unionis), der Bekämpfung der Häresie (causa fidei) und der Reform der Kirche an Haupt und Gliedern (causa reformationis in capite et membris), gehörte die Ordensreform zu letzterem. Doch konnte sich das Konzil aufgrund vieler Reformanliegen nicht intensiv mit dieser befassen.8 Das Konzil berief aber am 27. November 1416 ein Kapitel der Ordensprovinz Mainz-Bamberg nach Petershausen bei Konstanz ein, das vom 28. Februar bis 17. März 1417 tagte und die Inhalte der benediktinischen Reform und deren Durchführung bestimmte.9 Visitationen und Provinzialkapitel sollten die Reform umsetzen. Das Einhalten der Mönchsgelübde und der Benediktsregel, wie bereits 1336 in der Bulle Summi Magistri von Papst Benedikt XII. formuliert, wurde als inhaltliches Ziel benannt.10

praedicti ordinis a sui professionis exordio rigorosius enutriti sunt et sancte ac religiose vixerunt«. 6 Vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 254–257, der die Melker Reform als »Spiegel der kirchlichen Reformbemühung« sieht: »Auch wenn die monastische Erneuerungsbewegung als eine ›Spätwirkung‹ der Initiativen von 1215 und 1336 zur Erneuerung der Benediktiner bewertet werden kann, wird deutlich, daß die Klosterreform des 15. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Kirchenreform steht, die [. . .] Teil des Konstanzer Konzilsprogramms [. . .] war.« (S. 254). Boockmann, Die Orden, S. 275–288, zeigt, dass die Ordensreform zwar Teil der Kirchenreform war, aber in den deutschsprachigen Texten zur Kirchenreform des 15. Jahrhunderts kaum eine Rolle spielte. Anders in den Klosterchroniken vgl. Proksch, Klosterreform, S. 202–268. Zum päpstlichen Interesse an der Ordensreform vgl. Walsh, Papsttum und Ordensreform, S. 411–430. 7 Vgl. zu den Trägern der Melker Reform Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 36–46; zu den Reformplänen Herzog Albrechts V. von Österreich vgl. die Monographie von Koller, Princeps in ecclesia; Uiblein, Die österreichischen Landesfürsten und die Wiener Universität, S. 402–408. 8 Zur Bedeutung des Konzils für die benediktinische Reform vgl. Mertens, Reformkonzilien und Ordensreform, S. 444–446; Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 110–115. Der Konzilserlass De statu monachorum et aliorum religiosorum (ediert in: Sacrorum Conciliorum Collectio 28, hg. v. Mansi, S. 323–332) forderte die Reform der Religiosen. 9 Vgl. Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 9–26 zu Ausschreibung und Vorbereitung, S. 26– 46 zu Verlauf und Beschlüssen des Provinzialkapitels von Petershausen; S. 51–63 Edition des Processus capituli provincialis. Zur benediktinischen Reform auf dem Konstanzer Konzil vgl. Mertens, Reformkonzilien und Ordensreform, S. 445 f. Die neuere Arbeit von Stump, The Reforms, S. 154–159, geht über Zeller und Mertens nicht hinaus. Neben Benediktinern aus anderen Ordensprovinzen nahmen auch Vertreter der Zisterzienser, Prämonstratenser und Augustinerchorherren am Kapitel teil. Vgl. Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 10–14. 20–26. Molitor, Aus der Rechtsgeschichte 1, S. 241, bezeichnet das Provinzialkapitel als »eine der größten Versammlungen, die von Äbten des Ordens jemals veranstaltet wurden«. 10 Vgl. zu den Statuten von Petershausen Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 28–39; die Beschlüsse sind dort ediert, S. 51–63. Die Statuten wurden nicht offi ziell vom Konzil von Konstanz bestätigt.

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Papst Martin V. beauftragte im Januar 1418 den Benediktiner Nikolaus Seyringer (1360–1425) 11 aus Subiaco mit der Reform der Benediktinerklöster und Augustinerchorherren-Stifte in Österreich.12 Durch Visitationen von Mönchen aus Subiaco sollte die monastische Ordnung nach dem Vorbild der dortigen regularis practica wiederhergestellt werden.13 Auf der Synode der Salzburger Kirchenprovinz im November 1418 wurde die Umsetzung der Reformerlasse des Petershausener Kapitels bestätigt, und die Reform nahm ihren Anfang im Kloster Melk.

1.1.2 Die Reform in Melk 1418 und die Ausbreitung der Reform in Österreich Im Juni 1418 wurde Melk durch Nikolaus Seyringer und Mitbrüder aus Subiaco visitiert und reformiert. Das Vorgehen in Melk war typisch für die Visitationen in der Reformbewegung. Die Visitatoren protokollierten die Missstände eines Klosters, wobei sie sich eines Fragebogens bedienten, mit dessen Hilfe sie den geistlichen und wirtschaftlichen Zustand des Klosters beurteilten.14 Den Abschluss des Verfahrens bildete die Visitationsurkunde, in der die Visitatoren den Stand des geistlichen Lebens im Kloster beurteilten. Ziel war die Reform in spiritualibus et temporalibus, wobei die wirtschaftliche Konsolidierung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Geistliches Anliegen war die Wiederherstellung des gemeinschaftlichen Lebens nach der Benediktsregel durch »einheitliche Observanz in liturgischen Belangen, Rückkehr zu einem echten monastischen Leben, Aufnahme von Nichtadligen in die Konvente, Einhaltung aller Vorschriften der Regel St. Benedikts und aller päpstlichen Erlässe sowie, als Fundament des gesamten Reformwerkes, die Annahme und Befolgung der Consuetudines in Ergänzung zur Regel [. . .] nach Subiaco-Melk«.15 11

Zu Nikolaus Seyringer vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 81–91. In den Reformpapieren des Konzils werden stets Benediktinerklöster und Chorherrenstifte zusammen genannt. Eine Reform der Zisterzienser oder Kartäuser wird nicht explizit angeordnet. 13 Der Verweis auf Subiaco meint stets sowohl das Kloster (S. Scolastica und S. Speco) als auch das davon abhängige Priorat S. Anna in Mondragone bei Capua, die sich beide durch eine strenge Befolgung der Benediktsregel auszeichneten. Vgl. zu Subiaco als Reformkloster Frank, B., Subiaco, S. 526–656; Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 101–108. 14 Der Ablauf folgt einem Modus procedendi in reformatione monasteriorum. Das Interrogatorium, ein Fragenkatalog, diente als Instrument, um den status regularis des Klosters zu überprüfen. Vgl. Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 45–47; dort auch Edition des Melker Interrogatorium und des Modus procedendi, den Johannes Schlitpacher 1450/51 niederschrieb, S. 214–229. 15 Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung, S. 44. Vgl. zur Abschaffung des Adelsprivilegs als Kennzeichen der Reform Schreiner, Benediktinische Klosterreform, 12

1.1 Die Melker Reform und ihr Anliegen

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Dabei hatten die Visitatoren jedoch nur begrenzte Eingriffsrechte: Ihre Aufgabe war die einmalige Wiederherstellung der Observanz im visitierten Kloster, vor allem durch disziplinarische Maßnahmen und durch Einsetzung eines neuen, reformwilligen Abtes. Die Eigentraditionen jedes Klosters durften beibehalten werden, sofern diese mit der Regel übereinstimmten. Die dauerhafte Übernahme der Observanz von Subiaco konnte nicht erzwungen werden. »Die regularis observantia hing auch in bereits reformierten Klöstern letztlich von der Tüchtigkeit des jeweiligen Abtes oder Priors ab, wobei das Instrumentarium gleichsam der Macht, nämlich übergeordnete Instanzen mit abgesicherter Kompetenz fehlten und nie angestrebt wurden.«16 Ein juristisch verbindlicher Klosterverband der reformierten Benediktinerklöster wurde in der Melker Reformbewegung nicht angestrebt.17 In Melk wurde am 2. Juli 1418 Nikolaus Seyringer zum Abt eingesetzt, und bereits während seiner Abtszeit (1418–1425) breitete sich die Melker Observanz durch Visitationen in Göttweig (1418), im Wiener Schottenkloster (1418), in Kleinmariazell, Seitenstetten, Kremsmünster, Garsten, Lambach, Gleink (1419) sowie in mehreren Chorherrenstiften in Österreich aus. Auch die Melker Äbte Leonhard von Straubing (1426–1433) und Christian Eibensteiner (1433–1451) bemühten sich um die weitere Ausbreitung der Reform.18

1.1.3 Die Übernahme der Melker Observanz in Tegernsee 1426 Im April 1426 forderte Papst Martin V. die Bischöfe von Freising, Augsburg und Regensburg auf, alle Klöster, auch die exemten, in ihren Bistümern zu S. 165–176; zur Möglichkeit, sich der Reform durch Umwandlung von Benediktinerklöstern in adlige Säkularkanonikerstifte zu entziehen, vgl. Wendehorst, Der Adel und die Benediktinerklöster, S. 333–353. 16 Angerer, Reform von Melk, S. 274. 17 Die Bestimmung der Zugehörigkeit von Klöstern zur Melker Reformbewegung ist daher nicht immer einfach: Angerer, Reform von Melk, S. 276–281.288 f., nennt für die Zuordnung drei Kriterien: die Beteiligung von Melker Konventualen an der Visitation des betreffenden Klosters, das Vorhandensein von Textzeugen Sublacenser oder Melker Observanz im jeweiligen Kloster oder die Vermittlung der Reform durch ein Sekundärzentrum der Melker Reform. Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 178–213, nimmt in ihre Liste der zur Melker Reform gehörenden Konvente auch die Klöster auf, in denen die Melker Observanz durch die Visitatoren nur durchgesetzt werden sollte. 18 Neben Visitatoren bringen auch Gäste (hospites), die das observante Leben in Melk kennenlernten, die Melker Observanz in ihre Heimatkonvente mit. Zeller, Beiträge zur Geschichte der Melker Reform, S. 168, nennt 131 Mönche, die zwischen 1418 und 1470 in Melk als hospites lebten; Angerer, Reform von Melk, S. 275 Anm. 22, korrigiert diese Zahl mit Berlière, La Réforme de Melk, S. 209, auf 121 Mönche. 1429 waren z. B. die Tegern seer Konventualen Johannes Sumersdorffer und Sebastian Crevenreuter als hospites in Melk, vgl. Aigner, Das Kloster Tegernsee, S. 21.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

visitieren.19 Mit der Unterstützung der bayerischen Herzöge Wilhelm III. (1397–1435) und Albrecht III. (1438–1460) begann ab 1426 im politisch geteilten Bayern die Klerus- und Klosterreform.20 Für das Bistum Freising beauftragte Bischof Nikodemus della Scala im Juli 1426 seinen Generalvikar Johannes Grünwalder mit der Klosterreform.21 Dieser visitierte zusammen mit dem Melker Prior Petrus von Rosenheim (1370–1433) 22 , der bereits mit Nikolaus Seyringer die österreichischen Benediktinerklöster und Augustinerchorherren-Stifte visitiert hatte, dem Melker Mönch Johannes von Ochsenhausen 23 und Dekan Johannes aus Indersdorf im Juli 1426 das Kloster Tegernsee. Durch die Melker Visitatoren und die Unterstützung des Landesherrn gelang es der Melker Reform, in Bayern Fuß zu fassen und in Tegernsee ein neues Zentrum der Reformbewegung aufzubauen.24 »Was Melk für den österreichischen Raum bedeutete, wurde Tegernsee für Bayern.« 25 Mit der Einsetzung des erst 24jährigen Kaspar Aindorffer 26 zum Abt am 2. August 1426 wurde Tegernsee der Melker Observanz angeschlossen und übernahm die Statuten von Melk. Sowohl die Carta reformationis Tegernseensis vom 6. Dezember 1426 als auch der abschließende Visitationsbericht vom 7. Januar 1427 beklagen den geistlichen, aber auch fi nanziellen Zustand des 19

Vgl. Maß, Das Bistum Freising, S. 299 f. Umstritten ist die Rolle, die die bayerischen Herzöge bei der Klosterreform spielten: Während die ältere Literatur, z. B. Zibermayr, Die Legation, S. 33, davon ausgeht, dass die Landesherren nur die Reformmaßnahmen des Diözesanbischofs unterstützten, hat Rankl, Das vorreformatorische landesherrliche Kirchenregiment, S. 178 f., gezeigt, dass die bayerischen Landesherren aktiv die Reform initiierten. Ebenso Stievermann, Klosterreform und Territorialstaat, S. 153–156, hier: S. 152: »Ganz speziell gerade im Bereich der Klosterreform zeigte sich der Territorialstaat als aktiver und dominanter Faktor«. Zur politischen Situation Bayerns im 15. Jahrhundert vgl. Handbuch der bayerischen Geschichte 2, S. 222–293, hier: S. 227: »Gerade die auffällige Konzentration der Reformierungen auf den Münchener Herrschaftsteil zeigt, dass der angestrebte volle und gleichmäßige Erfolg der Reform an dem System der geteilten Herrschaft in Bayern seine Grenzen fand.« 21 Zur Reform im Bistum Freising unter den Bischöfen Herman von Cilli (1412–1421), Nikodemus della Scala (1422–1443) und Johann III. Grünwalder (1448–1452) vgl. Maß, Das Bistum Freising, S. 292–315. 22 Zu Petrus von Rosenheim vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 86–91; Thoma, Die Briefe des Petrus von Rosenheim, S. 1–20; Ders., Petrus von Rosenheim, S. 94–222; Rosenfeld, Art. Petrus von Rosenheim, in: VerLex 2 7 (1989), Sp. 518–521. 23 Zu Johannes von Ochsenhausen vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 118 f. 24 Vgl. zur Melker Reform in Bayern Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns 5, S. 53– 63. 25 Angerer, Die Bräuche, S. 19. 26 Vgl. zu Kaspar Aindorffer die umfassende Biographie von Wessinger, Kaspar Aindorffer; Angerer, Die Bräuche, S. 23–61. Vgl. die Briefe Bernhards nach dem Tod Kaspars bei Wessinger, Kaspar Aindorffer, S. 258–260. Auch die Nekrologe geben Aufschluss über sein weitreichendes Wirken, vgl. Rerum Boicarum Scriptores 1, Monumenta Tegernseensia, S. 631 f. Lindner, Familia, S. 62–66, mit Zusammenstellung der Quellen zu Kaspars Leben und Werk. 20

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Klosters.27 So gehörte zu den ersten Maßnahmen Abt Kaspars die Wiederherstellung des Gemeinschaftslebens nach der Regel, die Abschaffung des Adelsprivilegs und die wirtschaftliche Konsolidierung des Klosters.28 Dazu kamen in den folgenden Jahren bauliche Erneuerungen wie der Umbau des Chors und der Ausbau der Bibliothek.29 Waren dies zunächst nur äußere Neuerungen, gelang es Kaspar, den Konvent zu neuer geistlicher und geistiger Blüte zu führen. Denn er und sein Amtsnachfolger Konrad Airimschmalz (1461–1492) förderten die Studien und die Schreibtätigkeit der Mönche und erwarben zahlreiche Schriften für die Bibliothek.30 Durch Abschriften, Tausch, Kauf und Schenkungen hatte die Tegernseer Bibliothek im Jahr 1484 bereits einen Bestand von mehr als 1000 Bänden.31 Die lectio gewann in Tegernsee wie in allen Klöstern der Melker Reformbewegung an Bedeutung, und »Bücherleihe und Büchertausch waren ein Mittel der von Melk getragenen Reform.«32 Durch das Verfassen von Schriften traten in Tegernsee ab den 40er Jahren eine Reihe von Mönchen hervor, darunter neben Bernhard von Waging auch Johannes Keck, Christian Tesenpacher, Wolfgang Kydrer und Ulrich von Landau. Zeugnis des inneren Lebens im reformierten Kloster Tegernsee sind die Tegernseer Consuetudines, die das, was bereits seit 1426 praktiziert wurde, um 1450 schriftlich fi xierten. Sie schärfen die Gebetszeiten ein, vertreten 27 Vgl. Carta reformationis Tegernseensis, Abschrift in clm 1008, f. 23r–28r. Zur Reform in Tegernsee vgl. auch Angerer, Bräuche, S. 29–34; Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 208 f.; Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 8 f.; Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 128 f. 28 Vgl. zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in Tegernsee im Spätmittelalter Holzfurtner, Das Klostergericht Tegernsee, S. 24–35; Heldwein, Die Klöster Bayerns, passim. 29 Vgl. zu Architektur und Künsten in Tegernsee unter Abt Kaspar und Abt Konrad Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 160–162. 30 Sowohl Abt Kaspar als auch Abt Konrad werden in der Tegernseer Chronik ausdrücklich wegen ihrer Bemühungen um die Bibliothek gerühmt. Vgl. zu Abt Kaspar: »Bibliothecam vero cum solicitudine restaurare curavit. Codices veteres quam plurimos pretio comparavit: Sed et novos, quos manu scriptorum conductorum pro fratrum studio scribi permisit.« (Chronicon monasterii Tegernseensis, in: Pez, Thesaurus anecdotorum 3/3, S. 541); zu Abt Konrad: »Libros vero ad bibliothecam cum omni diligentia, labore et pretio augmentavit. Comparavit enim circa quadringenta quinquaginta volumina, praeter volumina a fratribus scripta, et a devotis personis ad Fraternitatem oblata, et constant mille centum libras denariorum.« (a.a.O., S. 547). Vgl. den Tegernseer Bibliothekskatalog von 1483/84, Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, Nr. 109, S. 751–849. Redlich, Tegernsee, S. 72–90, listet die Bibliothekare und Schreiber (S. 191–194) in Tegernsee im 15. Jahrhundert auf. 31 Der Bibliothekskatalog des Ambrosius Schwerzenbeck von 1483 nennt ca. 1103 Handschriften; 1494 wurden 1738 Bände gezählt (vgl. Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 135 f.). Zum Vergleich: Die Melker Bibliothek hatte nach dem Katalog von 1483 ca. 1078 Handschriften (vgl. Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 174). 32 Schreiner, Benediktinische Klosterreform, S. 139. Vgl. zur lectio in der Melker Reform Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 161–174.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

nachdrücklich eine Bußdisziplin und fordern ebenso betont die asketische Lebenshaltung, die sich sowohl in der Nahrungsaskese als auch in der Einhaltung des Schweigegebots und in der Ablehnung von Seelsorgetätigkeit von Mönchen außerhalb des Klosters äußert. Tegernsee galt bald als vorbildlich im religiösen Leben, wie es sich in Messfeiern, Predigten und Collationes sowie in Heiligenverehrung, Reliquiensammlungen und Ablässen,33 aber auch in sozial-karitativer Tätigkeit zeigte.34 Mit einer Reihe von Klöstern schloss Tegernsee Gebetsverbrüderungen, und der Konvent pflegte in den folgenden Jahrzehnten intensive Kontakte zu Reformklöstern in Bayern, aber auch zu den Bischöfen der Bistümer Freising, Augsburg und Eichstätt.35 Diese Reformen trugen Abt Kaspar die Bezeichnung »alter Monasterii Fundator«36 ein und führten zu einer Ausstrahlung des Klosters, die Mönche zum Übertritt aus anderen Klöstern, wie später auch Bernhard, oder zum Neueintritt veranlasste.37 Mit dem Konzil von Basel wurde das Kloster Tegernsee zum Zentrum der Melker Reform in Bayern.

1.1.4 Das Konzil von Basel als Wendepunkt der Reformbewegung Die Bedeutung des Konzils von Basel (1431–1449) für die Melker Reformbewegung darf nicht unterschätzt werden. Denn erst ab dem Konzil von Basel kann im eigentlichen Sinne von einer Melker Observanz gesprochen werden. »War das Constantiense der Geburtsort der Melker Kongregation gewesen, förderte das Basiliense als Leitstelle den endgültigen Durchbruch der Benediktinerreform (Melk, Bursfeld, Kastl) in Deutschland.« 38

33 Vgl. zum religiösen Leben Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 21–81, zu Tegernsee S. 22 f.32 f.38 f. 58–73 passim. 34 Vgl. Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 82–100, zu Tegernsee passim; Holler, Über die Arznei- und Heilkunde, S. 17–20. 35 Vgl. die Aufzählung der mit Tegernsee in der Reform verbrüderten Klöster bei Redlich, Tegernsee, S. 131–169, darunter am 4. April 1427 die Verbrüderung mit dem Augustinerchorherren-Stift Indersdorf, 1428 mit dem Kloster Melk. Die Gebetsverbrüderungen (auch: Konföderation) sind Ausdruck gemeinsamer (Reform-)Gesinnung, versichern gegenseitige Gastfreundschaft und gegenseitiges Totengedenken. 36 Chronicon Monasterii Tegernseensis (Pez, Thesaurus anecdotorum 3/3, S. 538). 37 Tegernsee zählte vor Einführung der Melker Reform im Jahr 1418 10 Konventualen, im Jahr 1426 19. Bernhard von Waging nennt in seinem Brief an Nikolaus von Kues, vor dem 28. Juli 1455 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 56, S. 180), noch 39 Konventualen in Tegernsee nach dem Weggang von sieben Brüdern nach Andechs. Ende des 15. Jahrhunderts zählte der Konvent ca. 45 Mitglieder, vgl. Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 202 Anm. 2; Lindner, Familia, S. 59–66. 38 Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 61. Helmrath hat sachlich recht; doch ist der Begriff einer Melker »Kongregation« für den losen Verbund der Klöster, die der Melker Observanz folgten, zur Zeit des Basler Konzils noch nicht zutreffend.

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Neben Visitationen im Bistum Freising, darunter in Tegernsee, wurden Ende der 20er bis Ende der 30er Jahre Klöster in den Diözesen Salzburg, Passau, Konstanz und Augsburg visitiert und der Observanz von SubiacoMelk zugeführt. So verbreitete sich ab 1429 die Melker Reform in der Salzburger Diözese, nicht zuletzt durch die Tätigkeit des Petrus von Rosenheim. In der Diözese Passau fasste die Melker Reform erst nach dem Passauer Bischofsstreit Fuß,39 als um 1430 Bischof Leonhard Layminger von Passau die Visitation der oberösterreichischen Klöster einleitete. Für die Reformbewegung von Melk und für das sich zum bayerischen Reformzentrum entwickelnde Tegernsee hatte das Konzil mehrfache Bedeutung: Es bot den reformwilligen Kräften aus Kirche und Mönchtum ein Forum des Austauschs. Im Kontext der Ordensreform auf dem Konzil entstanden nun zahlreiche Schriften, die auch um der Abgrenzung von anderen Reformbewegungen willen die Melker Observanz diskutierten und schriftlich fi xierten, wozu auch Bernhards theologische Schriften gehören. Schließlich bestellte das Konzil Melker und Tegernseer Mönche zu Visitatoren und anerkannte damit die Reformbewegung und ihre Zentren in Melk und Tegernsee. 1.1.4.1 Das Basler Konzil als Forum des Austauschs Das Konzil bot erstmals die Möglichkeit eines Austauschs zwischen den Benediktinern der Melker Observanz. So nahmen zahlreiche Melker Reformer an den verschiedenen Phasen des Konzils teil, darunter Petrus von Rosenheim,40 Johannes von Ochsenhausen,41 Johannes de Spira42 und Martin von Senging43. Auch der Tegernseer Prior Johannes Keck und Ulrich Stöckl aus Tegernsee nahmen am Konzil teil.44 Mit dem bayerischen Herzog Wilhelm III. als Konzilsprotektor hatte das Konzil zudem »eine starke Rückwirkung auf die bayrischen Stammlande und das benachbarte Österreich.«45 Zugleich ermöglichte das Konzil den Kontakt mit den benediktinischen Reformbewegungen von Kastl und Bursfelde, aber auch anderen kirchlichen und monastischen Reformern. So nahm z. B. Johannes Rode aus Trier als Vertreter der Bursfelder Bewegung am Konzil teil, ebenso Peter von Inders39

Zum Streit vgl. Koller, Princeps in ecclesia, S. 117–175. Vgl. zur Tätigkeit des Petrus von Rosenheim auf dem Konzil in Basel Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 151–166. 41 Vgl. zu Johannes von Ochsenhausen Bruck, Profeßbuch, S. 118 f. 42 Vgl. zu Johannes de Spira ( Johann von Speyer) Bruck, Profeßbuch, S. 97–104. 43 Vgl. zu Martin von Senging Bruck, Profeßbuch, S. 123–128. 44 Vgl. zu Johannes Keck Lindner, Familia, S. 68–75; zu Ulrich Stöckl a.a.O., S. 59–62. Zu den bayerischen Konzilsteilnehmern aus den benediktinischen Reformbewegungen vgl. auch Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns 5, S. 31 f. 45 Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns 5, S. 31. 40

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

dorf für die Raudnitzer Observanz der Augustinerchorherren. Den Vertretern der verschiedenen Reformbewegungen bot das Konzil neben der Gelegenheit zum Gespräch auch die des Austauschs von Schriften.46 1.1.4.2 Ordensreform auf dem Konzil von Basel Auch das Konzil von Basel widmete sich der Reform des Mönchtums.47 Schon im September 1431 richtete das Konzil ein Gremium ein, das alle Ordensregeln überprüfen sollte, und forderte im Oktober 1431 dazu auf, aus jedem Bistum ein bis zwei Religiosen nach Basel zu senden. Den Plan der Reform aller monastischen Gemeinschaften verfolgte eine Bulle vom Dezember 1433 mit Vollmachten für Visitatoren, »eine Vorstufe für den späteren Reformentwurf (1435) des Kardinals Cesarini.«48 Die Bulle Inter curas innumeras (27. Mai 1436) forderte die deutschen Bischöfe zur Visitation der Benediktinerklöster in ihren Diözesen auf.49 Die Bulle Inter curas multiplices vom 20. Februar 1439 wandte sich an die vorsitzenden Äbte und Visitatoren aller, nicht nur der deutschen, benediktinischen Provinzen und forderte mit Nachdruck die Reform aller Benediktinerklöster.50 »Erst zusammen mit den Basler Dokumenten von 1436 und 1439 bilden ›Benedictina‹ und Petershausener Rezeß eine Art Magna Charta der Benediktinerreform.«51 Die Bedeutung des Konzils lag aber weniger in inhaltlichen Reformvorgaben als »in der zielgerichteten Sammlung und Förderung bereits bestehender Reformpläne.«52 Denn es gelang dem Konzil nicht, Regelungen für eine einheitliche Reform der Benediktiner aller Nationen zu fi nden. Bereits 1434 kam es zu unüberbrückbaren Differenzen hinsichtlich Brevier, Habit und Nahrungsaskese, wobei die Vertreter aus Melk und Bursfelde hartnäckig an ihrer strengen Auffassung festhielten. Die von Martin von Senging verfasste und 1436 in Basel verlesene Schrift Tuitiones pro observantia regulae s. Benedicti stellte die Melker Observanz vor und wurde inhaltlich in den Statuta Concilii

46 Vgl. zum Basler Konzil als Büchermarkt Lehmann, Konstanz und Basel, S. 253–280; Miethke, Kirchenreform auf den Konzilien, S. 37. 47 Vgl. zur Ordensrefom auf dem Konzil von Basel Mertens, Reformkonzilien und Ordensreform, S. 446–455; Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 59–68. 48 Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 59. 49 Vgl. zur Bulle Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 62. 50 Die Bulle Inter curas multiplices (20. Februar 1439) ist ediert bei Trithemius, Opera pia, S. 1016–1025. Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 36 Anm. 102, bietet eine inhaltliche Zusammenfassung. Die Bulle wird in den Schriften der Melker Reformbewegung nicht explizit rezipiert. 51 Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 63. Vgl. zur Entwicklung der benediktinischen Reformen zwischen dem Konzil von Konstanz und dem Konzil von Basel Becker, Benediktinische Reformbewegungen im Spätmittelalter, S. 174–177. 52 Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 41.

1.1 Die Melker Reform und ihr Anliegen

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Basiliensis aufgenommen, die die benediktinischen Provinzialkapitel von Mainz-Bamberg 1435 und von Köln-Trier 1436 annahmen.53 Die vom Konzil initiierte Reform griff auf bereits vorhandene Reformkräfte, seien dies Äbte, wie der Abt Johannes Rode aus St. Matthias in Trier, oder Landesherren zurück, indem sie diesen Visitationsrechte bewilligte. Die in Basel Versammelten bestellten am 23. Juni 1434 Visitatoren für die Benediktinerklöster in den Diözesen Konstanz und Augsburg, darunter den Melker Johannes de Spira.54 Herzog Albrecht V. von Österreich erhielt 1435 und 1437 vom Konzil die Erlaubnis, die österreichischen Klöster erneut visitieren zu lassen, und auch die dafür ernannten Visitatoren stammten aus Melk und dem Melker Reformkreis.55 Herzog Albrecht III. von BayernMünchen erhielt das konziliare Visitationsprivileg 1441. Der Tegernseer Abt Kaspar Aindorffer, Dekan Johannes aus Indersdorf und Propst Petrus Fries aus Rohr wurden zu Visitatoren für alle Klöster im Herrschaftsbereich des bayerischen Herzogs ernannt.56 Den größten Einfluss gewann allerdings in den folgenden Jahren der Reformverband von Bursfelde, der 1446 vom Basler Konzil konstituiert wurde.57 Mit der Beauftragung der Melker Reformer mit Visitationen in den Diözesen in Konstanz und Augsburg und der Beauftragung der Tegernseer im Herrschaftsgebiet des bayerischen Herzogs gewann Tegernsee als bayerisches Reformzentrum eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber Melk. Zum dritten Reformzentrum entwickelte sich ab den 40er Jahren das 1441 visitierte Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg.58 Parallel zum Konzil und nach dessen Abschluss breitete sich die Melker Reform im Wesentlichen von diesen drei Zentren aus. 1.1.4.3 Tegernseer Visitationstätigkeit Vom Herzog beauftragt, visitierte der Tegernseer Abt Kaspar mit den genannten Mitvisitatoren die bayerischen Augustinerchorherrenstifte Dießen, Polling und Rottenbuch sowie die Benediktinerabteien Ettal, Ebersberg und Scheyern. Durch diese Visitationen stärkte Tegernsee seinen Ruf als Reformkloster und führte die Melker Observanz in bayerischen Benediktinerkonventen ein. Ebenfalls auf Verlangen des bayerischen Herzogs grün53 Die Statuta Concilii Basiliensis sind ediert bei Hisch, Die liturgischen Bestimmungen, S. 115–180. 54 Zur Melker Reform im Bistum Augsburg vgl. Zeller, Beiträge zur Geschichte der Melker Reform, S. 167–182. 55 Vgl. Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 29 f. 56 Vgl. Rankl, Das landesherrliche Kirchenregiment, S. 184 f. 57 Vgl. zur chronologischen Entwicklung der benediktinischen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts die Übersicht bei Becker, Benediktinische Reformbewegungen im Spätmittelalter, [Einlage nach] S. 176. 58 Vgl. zur Reform im Bistum Augsburg Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 167–178.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

dete Tegernsee 1455 das Filialkloster Andechs. Tegernseer Benediktiner, darunter Bernhard von Waging, visitierten während und nach dem Konzil von Basel bayerische Klöster, und Tegernsee stellte die Äbte für Wessobrunn, Benediktbeuern, Scheyern, Oberaltaich, Seeon und Metten, um durch personelle Kontinuität die Reform zu garantieren.59 1.1.4.4 Diskussion der Melker Observanz Die Begegnung mit in der Reform engagierten Personen verschiedener Reformkreise auf dem Konzil förderte eine Besinnung auf die Inhalte der Melker Observanz. So wurde im Verlauf des Konzils auch eine unterschiedliche regularis practica innerhalb des Melker Reformkreises erkennbar. Daher entstanden im Umfeld und in Folge des Basler Konzils zahlreiche Schriften zu Fragen der Observanz, darunter Schriften Bernhards von Waging zur Nahrungsaskese. Die inhaltliche Diskussion der Melker Observanz führte auch zur Adaption der Observanz von Subiaco in Melk und Tegernsee. Die Traditionskette Subiaco-Melk wurde gewahrt; die Gewohnheiten aus Subiaco wurden bei der Reform an das visitierte Kloster vermittelt, und sowohl Melk als auch Tegernsee folgten dem Caeremoniale Sublacense. So betonte Martin von Senging auf dem Konzil von Basel in seinen Tuitiones, dass die Melker Reformer an Liturgie und Lebensweise nach dem Vorbild Subiacos festhielten.60 Doch zugleich wurde die Sublacenser Observanz in Melk assimiliert und umgestaltet, so dass ab dem Basler Konzil von einer Melker Observanz gesprochen werden kann.61 Zu den wichtigen Veränderungen der Melker gegenüber der Sublacenser Observanz gehörten Neuerungen für Konversen und Donaten, der Einfluss kartäusischer Lebensweise in der Betonung der Kontemplation und der Strenge der Askese sowie die Ausgestaltung der aus Subiaco übernommenen Liturgie nach dem Vorbild der römischen Liturgie zu einem Ritus Mellicensis.62 Tegernsee, das mit der Reform die Consuetudines von Subiaco-Melk übernommen hatte, verschriftlichte in den 50er Jahren seine eigenen Bräuche. Doch wurde sowohl auf dem Konzil als auch im Schriftwechsel rund um das Konzil deutlich, dass Tegernsee auch von Melk abweichende Positionen vertreten konnte. Das zeigt exemplarisch Bernhards Epistola contra 59 Vgl. zu den Klöstern, an die Tegernsee die Melker Reform vermittelt, Redlich, Tegernsee, S. 131–169. 60 Vgl. Martin von Senging, Tuitiones pro observantia Regulae (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 505–550): »quod omnia Monasteria S. Benedicti tenerent idem Divinum Officium cum Monasteriis Specus et Sublacensis«. 61 Vgl. zur komplizierten Verflechtung und Weiterentwicklung des Observanzguts aus Subiaco und Tegernsee Angerer, Reform von Melk, S. 285–287.294–299. 62 Vgl. zu den Veränderungen der Sublacenser Observanz im Melker Brauchbuch zusammenfassend Angerer, Reform von Melk, S. 304–309.

1.2 Die Legation des Nikolaus von Kues 1450–1452

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esum carnium zur Frage der Fleischabstinenz in der Melker Reform, in der Bernhard die strengere Tegernseer Praxis gegenüber der etwas gemäßigteren in Melk vertritt.63 Das kirchenpolitische Scheitern des Konzils von Basel hatte auch Folgen für die Melker Reform. Denn die unterschiedlichen Haltungen einzelner Konvente zu Papstschisma und Konziliarismus spielten bis in die theologischen Debatten, z. B. im Mystik-Streit, hinein. Auch das Reformbündnis von Bischof, Landesherr und reformierten Konventen geriet angesichts der Ablehnung bzw. Befürwortung des Konziliarismus unter Druck. »Um die Konzilsopposition, die auch in den Klöstern des bayerischen Herzogtums noch stark war, zurückzudrängen und neue Anhänger zu gewinnen, musste sich das restaurierte Papsttum der Reform des religiösen Lebens und besonders des Ordensklerus aufgeschlossen zeigen.« 64 Die Legation des Kardinals Nikolaus von Kues in den Jahren 1450 bis 1452 war der päpstliche Versuch der Klosterreform, und die Melker Reform wurde von diesem insbesondere in der Kirchenprovinz Salzburg unterstützt.

1.2 Die Legation des Nikolaus von Kues 1450–1452 Papst Nikolaus V. beauftragte 1450 Nikolaus von Kues mit der Verkündigung des Jubelablasses und der Reform in den deutschen Kirchenprovinzen, womit er 1451 in der Kirchenprovinz Salzburg begann.65 Zu seinem Reformauftrag gehörte auch die Ordensreform, und Nikolaus von Kues sollte die in Basel gefassten Beschlüsse umsetzen. Am 3. Februar 1451 eröffnete er die Salzburger Provinzialsynode; im März 1451 ernannte er die Visitatoren. Visitiert und auf ihre regelgemäße Observanz überprüft werden sollten nicht nur die Benediktinerklöster, sondern auch die AugustinerchorherrenStifte der Kirchenprovinz. Wie das Konzil von Basel griff Cusanus auf bereits vorhandene Reformkräfte zurück, und so war die Refom in der Salzburger Kirchenprovinz personell und inhaltlich von der Melker Observanz geprägt. In der Charta visitationis, die einer Vorlage aus Melk folgte, wurden alle Benediktiner63

Vgl. Kapitel 5 in dieser Arbeit. Rankl, Das vorreformatorische landesherrliche Kirchenregiment, S. 194 f. 65 Vgl. zur cusanischen Reform in der Kirchenprovinz Salzburg: Zibermayr, Die Legation, S. 44–71. Zur Legationsreise: Meuthen, Die deutsche Legationsreise, S. 421–499; Ders., Das Itinerar, S. 473–502; Sullivan, Nicholas of Cusa as Reformer, S. 382–428. Da sowohl Melk als auch Tegernsee sowie viele der von der Melker Reform erfassten Klöster zur Kirchenprovinz Salzburg (Diözesen Regensburg, Passau, Freising, Brixen, Erzdiözese Salzburg) gehörten, beschränkt sich die Darstellung der Cusanus-Legation hier auf diese. Vgl. zu den Provinzialsynoden der Kirchenprovinz Salzburg als Mittel der Reform Treiber, Die Autorität der Tradition, S. 87–102. 64

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

klöster zur Übernahme der Lebensform von Melk aufgefordert.66 »Völlige Einheitlichkeit der Observanz in allen Klöstern der Kirchenprovinz auf Grund buchstäblicher Befolgung der Ordensregel und rigorosester Auslegung im Sinne der Melker Reform war also das Ziel, das der Legat in kurzer Zeit zu erreichen suchte.« 67 Allerdings konnten die Visitatoren die Konvente nicht auf die Melker Observanz zwangsverpfl ichten. Zu Visitatoren ernannte Cusanus Äbte aus dem Melker Reformkreis: Abt Martin aus dem Wiener Schottenkloster, Abt Laurenz aus Kleinmariazell und den Melker Prior Stephan von Spanberg68 , an dessen Stelle aufgrund der Wahl Stephans zum Abt Johannes Schlitpacher (1403–1482) trat.69 Schlitpacher visitierte rund 50 Klöster der Salzburger Kirchenprovinz, darunter am 14. April 1452 das Kloster Tegernsee, dessen Observanz von Schlitpacher gelobt wurde.70 Ermahnt wurde der Konvent darin, dass Weltgeistliche statt Tegernseer Brüdern die Seelsorge in den inkorporierten Pfarreien übernehmen sollten und die Abstinenz vom Fleisch eingehalten werden müsse,71 was auch zwei große Themen der Schriften Bernhards in diesen Jahren sind. Cusanus beauftragte Abt Kaspar zudem mit weiteren Visitationen. Wie Tegernsee wurde auch Melk erneut visitiert. Bei dieser Visitation Anfang 1451 wurde dem Resignationswunsch des Melker Abtes Christian Eibensteiner stattgegeben und am 20. März 1451 Stephan von Spanberg zum Abt gewählt.72 Die Visitation Melks zeigte die internen Schwierigkeiten, mit denen Melk um die Jahrhundertmitte zu kämpfen hatte. Das Kloster Tegernsee gewann dagegen durch die zweite Visitation an Bedeutung als Reformzentrum. Auch der Briefwechsel zwischen Cusanus und dem Konvent in den Jahren 1452 bis 1456 und die Schriften Bernhards 66 Edition der Charta visitationis von Melk, die als Muster für Visitationen in Österreich und Süddeutschland während der Cusanus-Visitation galt, bei Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 222–229. Angerer, Reform von Melk, S. 277, vertritt die Meinung, dass die cusanische Reform allein nicht für die Zuordnung des jeweiligen Klosters zur Melker Reformgruppe genüge, da die Visitationscharta »keine tatsächliche Übernahme der Lebensform von Melk« beweise. 67 Zibermayr, Die Legation, S. 46. 68 Vgl. zu Stephan von Spanberg Bruck, Profeßbuch, S. 145–149. 69 Vgl. Keiblinger, Geschichte des Benediktinerstiftes Melk, S. 363 f. In der Kirchenprovinz Mainz-Bamberg (Bistümer Würzburg, Eichstätt, Augsburg, Konstanz) arbeitete Cusanus dagegen stärker mit der Reformbewegung von Bursfelde zusammen. Zu Person und Werk Schlitpachers vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 161–177; Tersch, Johannes Schlitpacher, S. 72–82; Ellegast, Die Anfänge einer Textkritik, S. 18–20. 70 Vgl. die Zusammenstellung der visitierten Klöster bei Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 32. Zur Visitation in Tegernsee vgl. Angerer, Die Bräuche, S. 47–49; Zibermayr, Johann Schlitpachers Aufzeichnungen, S. 277. Vgl. die Ablassbestimmungen des Nikolaus Cusanus für das Kloster Tegernsee vom 19. März 1451 und den 100-Tage-Ablass für die Quirinuskirche des Klosters Tegernsee vom 20. März 1451 (Acta Cusana 4, Nr. 1112; 1119). 71 Vgl. Angerer, Die Bräuche, S. 47 f. 72 Zu Christian Eibensteiner vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 128–134.

1.3 Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Melk und Tegernsee?

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aus den 50er Jahren, in denen er die Debatten innerhalb der Melker Reform aufnahm, bezeugen die herausragende Stellung der Tegernseer.73 Im Zuge der cusanischen Visitation in Melk wurden 1451 die Melker Gewohnheiten, wie sie sich aus den Sublacenser Gewohnheiten entwickelt hatten und im Melker Breviarium caeremoniarum festgehalten wurden, bestätigt.74 Im selben Jahr wurden auch die Tegernseer Consuetudines fertiggestellt und beim Besuch des Cusanus in Tegernsee Anfang Juni 1452 ebenfalls bestätigt.75 Sie schließen sich weitgehend an die Melker und Sublacenser Consuetudines an. Doch »in diesem Zusammenhang sei auch gesagt, dass Tegernsee nie einen Verweis auf die Melker Consuetudines gibt, während es sich ausdrücklich auf die Observanz von Subiaco beruft.«76

1.3 Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Melk und Tegernsee? Zwischen Tegernsee und Melk bestanden in diesen Jahren stets enge Kontakte und ein Austausch von Schriften, doch rückte Tegernsee ab den 50er Jahren des 15. Jahrhunderts zunehmend als Reformzentrum in den Vordergrund. »Es kann vielleicht von Tegernsee gesagt werden, dass es in der Folge, und zwar durch einige außergewöhnliche Führerpersönlichkeiten wie auch durch seine sich unter diesen entwickelnde fruchtbare Verbundenheit mit dem Kardinalbischof von Brixen, Nikolaus v. Cues, eine weit reichende und weiter reichende Reformwirkung ausübte als Melk.«77 Die Tegernseer erkannten zwar die Autorität Melks in Fragen der Observanz an, maßen der genuinen Observanz in Subiaco als einer unmittelbar auf den Ordensgründer Benedikt von Nursia zurückzuführenden Klostergründung jedoch sehr große Autorität zu. Exemplarisch zeigen diese Haltung Briefe vom Juli 1455, in denen die Tegernseer direkt vom Kloster Subiaco Antwort auf Fragen zur monastischen Observanz sowie bestimmte Reformtexte erbaten.78 Ausdruck der bewussten Rückbindung an Subiaco 73 Vgl. zum Verhältnis von Cusanus zu Tegernsee, die bisherige Forschung zusammenfassend, Endres, Nicolaus Cusanus und das Kloster Tegernsee, S. 134–144. 74 Das Melker Breviarium caeremoniarum (ediert: CCMon XI,2) wurde erst 1460 endgültig verschriftlicht. Vgl. dazu die Sublacenser Caeremoniae: Caeremoniae regularis observantiae sanctissimi patris nostri Benedicti ex ipsius regulae sumptae, secundum quod in sacris locis, scilicet Specu et monasterio Sublacensi practicantur (ediert: CCMon XI,1). Zum Verhältnis von Sublacenser und Melker Observanz und Consuetudines vgl. Angerer, Reform von Melk, S. 271–289.294– 299. 75 Vgl. die Tegernseer Bräuche (ediert: Angerer, Die Bräuche, S. 295–314). 76 Angerer, Die Bräuche, S. 73. 77 Bohnenstaedt, Einführung, in: Nikolaus von Kues, Von Gottes Sehen, hg. v. Dies., S. 7. 78 Vgl. clm 3025, f. 258r–260v; clm 18152, f. 251r-253v, mit Bruck, Profeßbuch, S. 160

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

war auch die Verbrüderung von Tegernsee und Subiaco am 4. Juli 1455.79 Dennoch versuchten die Tegernseer nicht, die Bindung zum Mutterkloster aufzulösen, und die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Melker Observanz in diesen Jahren zeigen deutlich, dass Tegernseer und Melker sich als zusammengehörig empfanden. Doch verstand sich Tegernsee auch selbstbewusst als eigenständiges Reformzentrum nach dem Vorbild der genuinen Observanz in Subiaco.80 Ist die Melker Reformbewegung mit der Cusanus-Visitation auf einem Höhepunkt ihrer Ausbreitung und Wirkung angekommen, muss festgestellt werden, dass es nach der Cusanus-Visitation »allmählich abwärts« ging.81 Das forsche Auftreten der Melker Reformer, die zunehmend Reformen erzwangen, die nicht kontinuierliche päpstliche Unterstützung,82 die schwierigen politischen Verhältnisse in Österreich und das Scheitern einer Verbandsbildung der Melker sowie einer benediktinischen Union in Deutschland in den 70er und 80er Jahren führten zu einem Bedeutungsverlust der Melker Reform.

1.4 Bemühungen um Konformität und benediktinische Union Die lose Organisation der Melker Reformklöster mit der bewussten Wahrung der Autarkie des Einzelklosters, der hervorgehobenen Stellung des Abts, der die Verantwortung für die Auslegung der Regel hatte, sowie mit dem Verzicht auf Generalkapitel erwiesen sich als Schwächen der Bewegung. Zwar waren alle benediktinischen Provinzen, darunter die vier deutschsprachigen Provinzen Köln-Trier, Mainz-Bamberg, MagdeburgBremen und Salzburg, bereits von Papst Benedikt XII. 1336 zur regelmäßigen Abhaltung von Provinzialkapiteln mindestens alle drei Jahre verAnm. 19. Diese Briefe nach Subiaco erwähnt Bernhard ausdrücklich gegenüber Cusanus, Brief nach dem 9. September 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 50, S. 169). 79 Vgl. clm 1008, f. 11r–v; Melk verbrüderte sich ein Jahr zuvor, am 28. März 1454, mit dem Konvent von Subiaco, vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 160 f. 80 Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Melk und Tegernsee wurde bislang kaum thematisiert. Angerer, Die Bräuche, S. 57, sieht in der von Tegernsee ausgehenden Bewegung keine selbständige Reform; Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 54, spricht von »Separationsbestrebungen«. M. E. zeigen die Schriften Bernhards und seine Reformtätigkeit, dass er sich als Vertreter einer genuin benediktinischen, über Subiaco und Melk vermittelten Observanz versteht. Trotz theologischer Diskussionen mit Melk sind dezidiert separatistische Bestrebungen nicht erkennbar. 81 Glückert, Hieronymus von Mondsee, S. 177. 82 Mit seiner Bulle vom 7. April 1459 an den Augsburger Bischof Peter von Schaumberg forderte Papst Pius II. erneut zur Klosterreform in Bayern auf, die sich diesmal auf das Herrschaftsgebiet Herzogs Ludwig IX. von Bayern-Landshut (1458–1464) konzentrierte. Vgl. Rankl, Das landesherrliche Kirchenregiment, S. 199 f.

1.4 Bemühungen um Konformität und benediktinische Union

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pfl ichtet worden, doch wurden diese nur bedingt abgehalten und brachten »keinerlei rechtliche Bindungen zwischen den einzelnen Klöstern mit sich«.83 Generalkapitel als jährliche Versammlung der zum Reformkreis gehörenden Äbte, wie die Bursfelder Reformbewegung sie pflegte, waren im Melker Reformkreis nicht üblich.84 Doch war es zwangsläufig notwendig, die Observanz nicht nur durch Visitationen, Consuetudines und Statuten, sondern auch durch eine Verbandsbildung zu institutionalisieren, wie dies die Bursfelder Kongregation exemplarisch zeigte.85 Die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Melker Observanz scheiterten zwar in den 70er Jahren. Die Diskussion über die Kernpunkte der Melker Observanz und damit auch der Regelinterpretation war jedoch Anlass für eine große Zahl von Schriften zu asketischen Fragen, zu deren Autoren auch Bernhard gehörte. Ab 1453 verhandelten die drei benediktinischen Reformbewegungen von Kastl, Melk und Bursfelde zudem mit dem Ziel einer einheitlichen Observanz der deutschsprachigen Benediktiner.86 In den 70er Jahren scheiterten auch diese Unionsverhandlungen, was dazu führte, dass ab ca. 1470 die drei Reformbewegungen nur noch partikulare, regional begrenzte Bedeutung hatten. Als bayerisches Reformzentrum wurde das Kloster Tegernsee auch in den 70er und 80er Jahren geschätzt. Noch 1475 werden mit herzoglicher Unterstützung auf der Freisinger Synode die Äbte von Tegernsee und Scheyern zu Visitatoren der Benediktinerklöster in Bayern berufen.87 Der Tod Bernhards von Waging im Jahr 1472 fiel in eine Zeit des Scheiterns von Verbands- und Unionsbemühungen, die Bernhard entscheidend geprägt hatte. Seine Schriften spiegeln die Diskussion in den Klöstern des Melker Reformkreises wider, ebenso das Anliegen einer gemeinbenediktinischen Observanz und umfassenden Klosterreform. Darin ist er exemplarischer Vertreter des Melker Reformschrifttums.

83 Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 34–36, hier: S. 35. Vgl. zu den Provinzialkapiteln der vier deutschen Ordensprovinzen im 15. Jahrhundert die Übersicht bei Maier, Die Epoche der General- und Provinzialkapitel, S. 208. 84 Vgl. zu den Begriffen Provinzial- und Generalkapitel Maier, Die Epoche der Generalund Provinzialkapitel, S. 195. 85 Vgl. zur inneren Logik der Kongregationsbildung zur Sicherung der Reformen Schreiner, Dauer, Niedergang und Erneuerung, S. 306–325; Mertens, Monastische Reformbewegungen, S. 172–175. Die Bemühungen um eine Union der deutschen Benediktinerklöster gehören zum Prozess »normativer Zentrierung«, wie ihn Hamm für das 15. und 16. Jahrhundert konstatiert. Vgl. Hamm, Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation, S. 7–82; Ders., Normative Zentrierung, S. 163–202. 86 Vgl. zu den Unionsbemühungen Molitor, Aus der Rechtsgeschichte 2, S. 1–36; Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 178–194, der die Brief handschrift clm 19697 (BSB München) unter diesem Aspekt auswertet; vgl. Maier, Ursprung und Ausbreitung, S. 180–194. 87 Vgl. Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 16–19.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

1.5 Schriften und Autoren der Melker Reformbewegung Die Melker Reform hatte, dem zeitgenössischen Reformbegriff entsprechend, das Wiederherstellen der Ordnung durch die Beseitigung von Missständen und die geistlich-spirituelle Erneuerung zum Ziel.88 Für die Wiederherstellung der regelgemäßen Lebensform bildeten die Beschlüsse des Provinzialkapitels von Petershausen (1417), die auf dem Konzil von Basel 1433 verabschiedeten Statuten für die Benediktiner und die Interrogatorien und Visitationschartas den normativen Rahmen, ergänzt durch die Caeremoniae von Subiaco, die Consuetudines von Melk und andere Brauchtexte. Zu diesen treten zwischen ca. 1420 und 1480 zahlreiche Schriften, die von Benediktinern aus dem Melker Reformkreis verfasst wurden und zur observantia regularis und geistlicher Erneuerung führen sollten. Die Autoren bedienten sich unterschiedlicher Literaturgattungen, vom Regelkommentar über die wissenschaftliche Abhandlung zum Brief. »Um diese Observanz im klösterlichen Alltag in Beständigkeit überführen zu können, war die Schriftform in möglichst großer Bandbreite nötig, die in der Weiterführung nicht nur die Transferierung der Observanz in andere Klöster gewährleistete, sondern auch deren Einbringung in eine gewünschte Union«.89 So entstanden in der Melker Reformbewegung Kommentare zur Benediktsregel und Schriften zu theologischen Fragen der Reform, aber auch zu Aspekten der Kirchenreform wie dem Konziliarismus. Diese Schriften spiegeln die Diskussionen innerhalb der Melker Reform, damit das theologische Denken wider und dürfen nicht nur unter dem Aspekt der Verbands- und Unionsbemühungen gesehen werden.90 Autoren sind aus Melk z. B. Johannes Schlitpacher, der zwischen 1437 und 1443 mehrere Regelkommentare verfasste, oder Wolfgang von Steyr 91, der 88 Vgl. zum Reformbegriff Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 48–50; Mertens, Monastische Reformbewegungen, S. 167–170; Ders., Klosterreform als Kommunikationsereignis, S. 397–410. Frank, K., Ordensreform und Verlust der gesellschaftlichen Funktion, S. 146–148, nennt als Determinanten monastischer Reform mit Recht die Verabsolutierung des Ursprungszustands, das Unbehagen an der Gegenwart, die Reaktion auf veränderte kirchliche und gesellschaftliche Verhältnisse sowie die Bejahung des monastischen Anpassungswillens an die nichtmonastische Umwelt. 89 Angerer, Reform von Melk, S. 308 f. 90 Vgl. Schreiner, Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform, S. 43–71, der die Consuetudines und die Schriften, die im Kontext von Verbandsbildung, Visitationen und Verwaltung von Klostergut entstehen, als charakteristische Verschriftlichung der Reform sieht. Allerdings wertet er den Zweck von theologischen und historischen Schriften ausschließlich unter dem Aspekt der Uniformierung und der Zensur (S. 67–71), während m. E. diese Schriften auch als Ausdruck der theologischen Diskussion innerhalb des Melker Reformkreises gewertet werden müssen. 91 Vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 119–122.

1.5 Schriften und Autoren der Melker Reformbewegung

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1467 eine kritische Fassung der Benediktsregel schrieb.92 Ursprünglich aus Melk kommen auch Autoren wie Petrus von Rosenheim, Hieronymus von Mondsee, Johannes de Spira und Martin von Senging. In Tegernsee als bayerischem Zentrum der Melker Reform ist Bernhard wohl der produktivste und bedeutendste Autor. Doch auch die Schriften von Johannes Keck und Christian Tesenpacher, Vorgänger und Nachfolger Bernhards im Amt des Priors, sind Autoren wichtiger Schriften. Offensichtlich förderte das Amt des Priors die Schreibtätigkeit, und Prioren führten als Stellvertreter des Abts in Tegernsee oft die Korrespondenz des Klosters. Aus dieser Tätigkeit heraus entstanden Schriften zu Fragen der Regelauslegung sowie zu aktuellen Fragen der Melker Reform.

1.5.1 Johannes Keck Johannes Keck, 1400 in Giengen an der Brenz geboren, gehörte zu jenen Theologen, die in Wien studierten und später ins Kloster eintraten.93 1426 an der Wiener Artistenfakultät immatrikuliert, erwarb er den Magister Artium und den Grad des Baccalaureus theologiae formatus (1434). Kanonistische Studien in Rom schlossen sich an, bevor er ab 1437 als Priester in München wirkte. Auf dem Konzil von Basel wurde er 1442 zum Doktor der Theologie promoviert.94 1442 trat er ins Kloster Tegernsee ein und legte am 8. Dezember des Jahres die Profess ab. Hier wirkte er zuerst als Bibliothekar und von 1443 bis 1446 als Prior mit intensiver Predigttätigkeit, von der ein umfangreiches, bisher nicht erschlossenes Predigtcorpus zeugt. Wie Bernhard von Waging wirkte auch Keck als Visitator, z. B. des Klosters Benediktbeuern. 1449 als Poenitentiarius minor an die Römische Kurie berufen, starb er im Juni 1450 an der Pest. Von den rund 60 erhaltenen, meist unedierten Schriften Kecks entstanden die meisten in seiner Zeit als Benediktiner. Doch äußerte sich Keck nicht nur zu Fragen der Observanz und Klosterreform, sondern ebenso in mehreren Traktaten zur Rechtmäßigkeit des Konzils von Basel. Zum asketischen Leben verfasste er mehrere Schriften, von denen für Bernhard drei wichtig 92 Eine Übersicht über das Reformschrifttum aus Melk bei Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 158–163; Angerer, Reform von Melk, S. 302–304. 93 Vgl. zu Biographie und Werk mit Literaturübersicht Roßmann, Art. Keck, Johannes, in: VerLex 2 4 (1984), Sp. 1090–1104; Kolmer, Art. Johannes Keck, in: BBKL 3 (1992), Sp. 435 f. Eine »starke Affi nität« (S. 284) zwischen der Universität Wien und dem Melker Konvent kann konstatiert werden, vgl. Angerer, Reform von Melk, S. 282–284. Vgl. die Liste der Melker Konventualen aus Wien bei Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 156–158. Absolventen der Wiener Universität traten auch in andere Klöster der Melker Reform ein, wie z. B. in Tegernsee neben Johannes Keck Bernhard von Waging und Christian Tesenpacher. 94 Vgl. zur Konzilsuniversität: Redlich, Eine Universität auf dem Konzil, S. 92–101.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

wurden: Im Zehnfragentraktat, dem Decaperotision, beantwortete er im Mai 1447 Fragen des Propsts Johannes von Indersdorf und setzte sich nach dem (unerlaubten) Übertritt Bernhards nach Tegernsee für weiterhin gute Beziehungen zwischen Indersdorf und Tegernsee ein.95 Seine Auseinandersetzung mit dem eremitischen Leben nahm Gedanken vorweg, die auch Bernhard in seiner Forderung eines sehr strengen asketischen Lebens kennt.96 Theologisch am bedeutendsten ist Kecks Kommentar zur Benediktsregel, den er in den Jahren 1446–1448 schrieb und der aus seinen Predigten als Prior erwuchs.97 In diesem umfangreichen Werk interpretierte er nicht nur die Benediktsregel in Übereinstimmung mit der Melker Observanz, sondern ergänzte Exkurse zur vita contemplativa und zur mystischen Theologie, Themen, zu denen auch Bernhard in den 50er und 60er Jahren mehrere Schriften verfasste. Zitiert Bernhard Kecks Schriften nie explizit, so ist Keck doch in Vielem Gleichgesinnter und zeitlich auch Vorläufer Bernhards. Seine Schriften waren Gelegenheitsschriften und seiner »geistigen Grundrichtung nach war er Eklektiker«98 , und auch darin zeigen sich Parallelen zu Bernhards Schriften. Allerdings war es Bernhard, der aufgrund des frühen Tods Kecks die theologischen Diskussionen und die von Tegernsee ausgehende Reformtätigkeit entscheidend prägte.

1.5.2 Christian Tesenpacher Christian Tesenpachers wichtigste Schrift ist ein Kommentar zur Benediktsregel.99 In den Quellen wird Tesenpacher erst 1449 mit seiner Immatrikulation für das Studium an der Wiener Universität greif bar. Der aus Salzburg gebürtige Tesenpacher erwarb dort den Baccalaureus Artium und war anschließend als Seelsorger tätig. Als Hilfsgeistlicher in Oberwang bei Mondsee in den Jahren 1457 bis 1462 wohnte er in der Abtei Mondsee, die ebenfalls zum Melker Reformkreis gehörte. Geprägt durch Person und Schriften des Hieronymus von Mondsee, legte er am 31. Oktober 1462 die Profess in Tegernsee ab. Aus seiner Tätigkeit als Prior (1476–1482) erwuchs aus den

95 Responsiones ad decem quaestiones sibi a Praeposito Undensdorffensi exhibitas (1. 5. 1447), Johannes Keck an Propst Rothut, clm 19606, f. 115v–126v (Autograph), vgl. dazu Roßmann, Art. Keck, Johannes, in: VerLex 2 4 (1984), Sp. 1098. 96 Responsio super consultatione fratris Johannis [. . .], ediert und interpretiert bei Baum, Johannes Kecks Traktat, S. 444–461. 97 Expositio super regulam s. Benedicti, clm 18150, f. 1–232 (Autograph), vgl. Roßmann, Art. Keck, Johannes, in: VerLex 2 4 (1984), Sp. 1098 f. 98 Roßmann, Art. Keck, Johannes, in: VerLex 2 4 (1984), Sp. 1103. 99 Zur Biographie vgl. Redlich, Tegernsee, S. 55–66; Worstbrock, Art. Tesenpacher, Christan, in: VerLex 2 9 (1995), Sp. 714–717; Lindner, Familia, S. 100–102.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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täglichen Kapitelansprachen ein Kommentar zur Benediktsregel.100 Anders als von seinen Vorgängern Johannes Keck und Bernhard von Waging sind von Tesenpacher neben dem Kommentar jedoch nur wenige Kapitelansprachen und Briefe überliefert. Sein Kommentar bündelt kompilatorisch die Diskussion um die Auslegung der Benediktsregel und bezieht sowohl die Regelauslegung des Johannes Keck als auch die von Johannes Schlitpacher aus Melk ein. In ihm zeigt sich das Ende der Melker Reform und ihrer Schriften.

1.5.3 Keck, Tesenpacher und Bernhard von Waging Anders als Keck und Tesenpacher hat Bernhard keinen Kommentar zur Benediktsregel verfasst, aber er äußert sich zu einzelnen Abschnitten der Benediktsregel, die im Zuge der Reform einer Interpretation bedürfen. Bernhard zeichnet sich gegenüber Keck und Tesenpacher dadurch aus, dass er die theologischen Kontroversen der Zeit, innerhalb und außerhalb der Melker Bewegung, rasch aufgriff und dazu Stellung bezog auf Basis der Melk-Tegernseer Observanz. Seine Schriften gehen meist von Fragen der Reform aus, doch weisen sie darüber hinaus. Die Tegernseer Autoren bieten kein homogenes Gesamtwerk, aber die Schriften der drei Autoren sind hinsichtlich der Reformbewegung als Entstehungskontext und der in ihnen erkennbaren geistlichen Prägung verwandt. Bernhard steht somit exemplarisch für die Tegernseer Theologie ab Mitte des 15. Jahrhunderts im Kontext der Melker Reform. Für alle drei Autoren gilt, dass ihr Werk großenteils nicht erschlossen und ediert ist. Ein knapper Überblick über die Forschungsarbeiten zur Melker Reform mit besonderem Augenmerk auf Tegernsee als Reformzentrum und Bernhard von Waging als Autor folgt daher, um angesichts der Forschungsdesiderate die Ziele dieser Studie zu zeigen.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee Obwohl Organisation, Ablauf und Ziele der Melker Reform mittlerweile in ihren Grundlagen erforscht sind, gibt es aus theologischer Sicht noch dringenden Forschungsbedarf. Weder ist das erwähnte Melker Schrifttum ediert noch gibt es inhaltliche Studien zu diesen Schriften von Autoren aus den Klöstern der Melker Reform, wie es sie zumindest vereinzelt für die Burs100 Vgl. Christian Tesenpacher, Expositio super regulam s. Benedicti. Die älteste erhaltene Handschrift ist clm 18149 (BSB München) mit Tegernseer Provenienz aus dem Jahre 1488.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

felder oder Kastler Reformbewegung gibt.101 Zudem konzentrieren sich die bisherigen Arbeiten auf das Kloster Melk als Mutterkloster. Tegernsee als süddeutsches Reformzentrum wird in der Forschung wenig und nur als rezeptiver Teil der Melker Reform beachtet. Daher müssen in einer Studie zu einem Tegernseer Autor nicht nur die zahlenmäßig überschaubare Literatur zu Tegernsee, sondern auch die bereits für Melk und die österreichischen Klöster erarbeiteten Aspekte miteinbezogen werden. Einen aktuellen Überblick über Abläufe und Inhalte der Melker Reform bietet Angerer im 1999 erschienenen ersten Band der Germania Benedictina.102 Hier bietet der seit den 60er Jahren zur Melker Reform forschende Prämonstratenser auch einen chronologischen Überblick über die Quellen und Forschungsliteratur zur Melker Reform, der lokalgeschichtliche Untersuchungen zu österreichischen Klöstern sowie prosopographische Artikel aufnimmt.103 Daher wird auf einen chronologischen Abriss hier weitgehend verzichtet zugunsten eines systematischen Überblicks über die bisher zur Melker Reform geleistete Forschung.

1.6.1 Organisation und Zugehörigkeit zum Melker Reformkreis Grundlage aller Forschung zur Melker Reform sind noch immer die aus benediktinischem, ordenshistorischem Interesse entstandenen Arbeiten und Editionen zur Geschichte des Klosters Melk der Melker Konventualen Anselm Schramb,104 Philibert Hueber,105 Martin Kropff,106 Bernhard und Hieronymus Pez107 sowie Ignaz Keiblinger.108 Auch im 19. Jahrhundert entstanden die meisten Untersuchungen zur Melker Reform noch aus ordenshisto101 Vgl. zu Johannes von Kastl: Sudbrack, Die geistliche Theologie; Grabmann, Der Benediktinermystiker Johannes von Kastl, S. 186–235, sowie die 2008 erschienene Arbeit von Sonnenberg, Die Abtswahl nach Johannes von Kastl; zu Johannes Rode: Becker, Das monastische Reformprogramm. 102 Vgl. Angerer, J.: Reform von Melk, in: Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum, bearb. von U. Faust/F. Quarthal, St. Ottilien 1999 (GermBen 1), S. 271–313, Literaturübersicht S. 310–313. – Obwohl in dieser Arbeit mit Kurztiteln gearbeitet wird, werden in diesem Forschungsüberblick zur leichteren Einordnung der Arbeiten bei erstmaliger Nennung die Titel mit vollständigen bibliographischen Angaben aufgeführt. 103 Vgl. a.a.O., S. 310–313. 104 Vgl. Chronicon Mellicense [. . .], hg. v. A. Schramb, Wien 1702. 105 Vgl. Austria ex archivis Mellicensibus illustrata [. . .], hg. v. Ph. Hueber, Leipzig 1722. 106 Vgl. Bibliotheca Mellicensis [. . .], hg. v. M. Kropff, Wien 1747. 107 Vgl. Bibliotheca ascetica antiquo-nova [. . .], hg. v. B. Pez, Regensburg 1723–1740; Scriptores rerum Austriacorum [. . .], hg. v. H. Pez, Leipzig 1721–1745. 108 Vgl. Keiblinger, J.: Geschichte des Benediktinerstiftes Melk, Bd. 1, Wien 1851; vgl. zu den Melker Autoren: Niederkorn-Bruck, M. u. J.: Hochbarocke Geschichtsschreibung in Melk, in: 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung. Ausstellungskatalog, Melk 1989, S. 399–403.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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rischem Interesse und wurden meist in den Zeitschriften des benediktinischen Mönchtums publiziert.109 Exemplarisch seien hierfür die Arbeiten von Braunmüller (1882), Dungel (1883), Grillnberger (1889), Rabensteiner (1889), Berlière (1895), Zibermayr (1918) und Zeller (1922) genannt, die sich erstmals mit Ablauf, Verlauf und Formen der Melker Reform befassten.110 Doch gelang es nicht, »die Reformgeschichte des 15. Jahrhunderts zum Gegenstand intensiverer Forschungen werden zu lassen.«111 Die zeitlich parallel beginnenden Forschungen zu den Reformkonzilien von Konstanz und Basel sowie den Provinzialsynoden erwähnen die Melker Reform allenfalls knapp.112 Daher kann resümiert werden, dass die Studien zur Melker Reform bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die Grundlagen dieser Bewegung erforschten. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu historischen Studien, die die Melker Reform im zeitgenössischen Kontext des 15. Jahrhunderts einzuordnen versuchten. Diese Studien untersuchten die Zusam109 Für das deutschsprachige Mönchtum sind das die ›Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige‹ (SMBO; SMGB). In der französischen Revue Bénédictine stößt die Melker Reform naturgemäß auf geringeres Interesse, da die Melker Reform den französischen Sprachraum nicht erfasste. Doch befasste sich darin Berlière erstmals 1895 mit der Melker Reform. 110 Vgl. Braunmüller, B.: Zur Reformgeschichte der Klöster im 15. Jahrhundert, in: SMBO 3 (1882), S. 311–321; Dungel, A.: Die Oesterreichische Benedictiner-Congregation, in: SMBO 4 (1883/1), S. 49–64 und 306–324; (1883/2) S. 108–115.300–309; Grillnberger, O.: Zur Reformgeschichte des Benedictiner-Ordens im XV. Jahrhundert, in: SMBO 10 (1889), S. 1–17; Rabensteiner, A.: Beiträge zur Reformgeschichte der Benedictinerklöster im XV. Jahrhundert, in: SMBO 10 (1889), S. 414–422; Berlière, U.: La Réforme de Melk au XVe Siècle, in: RBen 12 (1895), S. 204–213.289–309; Zibermayr, I.: Die Reform von Melk. Aus Anlass 500jährigen Gedenkens ihrer Begründung, in: SMGB 39 (1918), S. 171– 174; Zeller, J.: Das Provinzialkapitel im Stifte Petershausen im Jahr 1417. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformen im Benediktinerorden zur Zeit des Konstanzer Konzils, in: SMGB 41 = N. F. 10 (1922), S. 1–73. 111 Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 3. 112 Vgl. Zeibig, H.: Beiträge zur Geschichte der Wirksamkeit des Basler Concils in Österreich, in: SAWW.PH 8 (1852), S. 515–616; Haller, J.: Concilium Basiliense, Bd. 1: Studien und Dokumente zur Geschichte der Jahre 1431–1437, Basel 1896. Auch die einschlägigen Arbeiten des 20. Jahrhunderts zur Ordensreform auf den Reformkonzilien bieten nur knappe Verweise auf die Melker Reform, vgl. exemplarisch Leinweber, J.: Provinzialsynode und Kirchenreform im Spätmittelalter, in: Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. FS Erwin Iserloh, hg. v. R. Bäumer, Paderborn u. a. 1980, S. 113–127; Helmrath, J.: Das Basler Konzil 1431–1449. Forschungsstand und Probleme (= KHAB 32), Köln/Wien 1987; Ders.: Theorie und Praxis der Kirchenreform im Spätmittelalter, in: RoJKG 11 (1992), S. 41–70; Ders.: Capitula. Provinzialkapitel und Bullen des Basler Konzils für die Reform des Benediktinerordens im Reich. Mit einer Konkordanz und ausgewählten Texten, in: Studien zum 15. Jahrhundert. FS Erich Meuthen. Bd. 2, hg. v. Ders./H. Müller, München 1994, S. 87–121; Brandmüller, W.: Das Konzil von Konstanz 1414–1418. 2 Bde., Paderborn u. a. 1997.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

menhänge von Melker Reform und Universität Wien,113 Kirchenpolitik des österreichischen Landesherren Albrecht V.,114 päpstlicher Reformpolitik115 sowie allgemein die Bemühungen um eine Ordens- und Kirchenreform im 15. Jahrhundert.116 Parallel dazu wurden die benediktinischen Reformbewegungen von Kastl117 und Bursfelde118 erforscht, wobei ein Vergleich der drei Reformbewegungen aussteht. Zu diesen Arbeiten traten in den letzten drei Jahrzehnten thematische Studien zu einzelnen Aspekten der Melker Reform, die in der Regel am Mutterkloster Melk untersucht wurden. Doch geben diese Arbeiten wichtige Hinweise auch für die anderen Reformzentren der Bewegung, wie z. B. Tegernsee. Der Einfluss, den Kartäuser auf die Melker Reform hatten, wird in den Arbeiten zu Kartäusern des 15. Jahrhunderts angesprochen.119 Das Verhält113 Vgl. Rupprich, H.: Das Wiener Schrifttum des ausgehenden Mittelalters (= SÖAW. PH Sitzungsberichte 228, 5. Abhandlung), Wien 1954. 114 Vgl. Koller, G.: Princeps in ecclesia. Untersuchungen zur Kirchenpolitik Herzog Albrechts V. von Österreich (= AÖG 124), Wien 1964. 115 Vgl. Studt, B.: Legationen als Instrumente päpstlicher Reform- und Kreuzzugspropaganda im 15. Jahrhundert, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. v. G. Althoff (= VKAMAG 51), Stuttgart 2001, S. 421–453; J. Hlavácˆek/ A. Patschovsky (Hgg.): Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Konstanz-Prager Historisches Kolloquium (11.–17. Oktober 1993), Konstanz 1996. 116 Von grundlegender Bedeutung für die Erforschung der Ordensreformen sind die Aufsatzbände von Fleckenstein, J. (Hg.): Untersuchungen zu Kloster und Stift (= VMPIG 68; StGS 14), Göttingen 1980, und Elm, K.: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen (= BHSt 14; Ordensstudien 6), Berlin 1989; vgl. Boockmann, H. u. a. (Hgg.): Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1983–1987 (= AAWG.PH 179), Göttingen 1989. 117 Vgl. Maier, P.: Ursprung und Ausbreitung der Kastler Reformbewegung, in: SMGB 102 (1991), S. 75–204. Diese Reform, die vom oberpfälzischen Benediktinerkloster Kastl ausging, hatte ab 1418 in Nordbayern mehrere Benediktinerklöster erfasst. Vgl. zur Kastler Reform in bayerischen Klöstern Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns 5, S. 50–52. 118 Grundlegend für die Observanz von Bursfelde: Becker, P.: Das monastische Reformprogramm des Abtes Johannes Rode von St. Matthias in Trier. Ein darstellender Kommentar zu seinen Consuetudines (= BGAM 30), Münster 1970; Ders.: Benediktinische Reformbewegungen und klösterliches Bildungsstreben. Die rheinischen Abteien der Bursfelder Kongregation, in: RoJKG 11 (1992), S. 161–174. Vgl. Elm, K.: Monastische Reformen zwischen Humanismus und Reformation, in: 900 Jahre Kloster Bursfelde. Reden und Vorträge zum Jubiläum 1993, hg. v. L. Perlitt, Göttingen 1994, S. 59–111. Vgl. die Edition der Bursfelder Consuetudines: Consuetudines et observantiae monasteriorum sancti Mathiae et sancti Maximi Treverensium ab Iohannes Rode abbate conscriptae (= CCMon 5), hg. v. P. Becker, Siegburg 1968. 119 Vgl. Klapper, J.: Der Erfurter Kartäuser Johannes Hagen. Ein Reformtheologe des 15. Jahrhunderts. 2 Bde. (= EThSt 9–10), Leipzig 1960–61; Auer, J.: Die Theologia Mystica des Kartäusers Jacob von Jüterbog († 1465), in: Die Kartäuser in Österreich. Bd. 2, hg. v. J. Hogg (= ACar 83/2), Salzburg 1981, S. 19–52; Mertens, D.: Jakob von Paradies (1381–

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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nis der Melker Reform zur Devotio moderna und zum Humanismus ist erst in Ansätzen erforscht.120 Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Nikolaus von Kues und der Melker Reform wurden anhand der cusanischen Reformen thematisiert.121 Mit der liturgisch-musikalischen Erneuerung in den Benediktinerklöstern, die die Melker Reform mit sich brachte, befasste sich Angerer in mehreren Studien seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts.122 Angerer stellte damit die Weichen für die Wahrnehmung der theologisch-liturgischen Inhalte der Melker Reform. Die Untersuchung der Gestaltung von Liturgie und divinum offi cium für die Konversen schloss sich daran an.123

1465) über die mystische Theologie, in: Kartäusermystik und -mystiker. Dritter Internationaler Kongreß über die Kartäusergeschichte und -spiritualität. Bd. 5 (= ACar 55), Salzburg 1982, S. 31–46; Rüthing, H.: Die Kartäuser und die spätmittelalterlichen Ordensreformen, in: Elm, K.: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen, S. 35–58; Ellegast, B.: Reformtätigkeit in der Kirche des 15. Jahrhunderts. Die Kartause Aggsbach und das Reformzentrum Melk (Vinzenz von Aggsbach/Johannes Schlitpacher). Vortrag anläßlich des Kartäuserkongresses in der Kartause Aggsbach am 14. 9. 1990, in: Melker Mitteilungen 157 (März 1991), S. 40–49; Achten, G.: Kartäuser und Devotio moderna. Kleiner Beitrag zur Geschichte der spätmittelalterlichen Mystik, in: Die Geschichte des Kartäuserordens. Bd. 2, hg. v. J. Hogg (= ACar 125), Salzburg 1992, S. 154–181. 120 Vgl. den Überblick in der 1999 erschienenen Arbeit von Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 55–61. 121 Vgl. Zibermayr, I.: Die Legation des Kardinals Nikolaus Cusanus und die Ordensreform in der Kirchenprovinz Salzburg (= RGST 29), Münster 1914. Vansteenberghe, E.: Autour de la docte ignorance. Une controverse sur la théologie mystique au XVe siècle (= BGPhMA 14), Münster 1915; Baum, W.: Nikolaus Cusanus und die spätmittelalterliche Mystik in Österreich, in: Konziliarismus und Humanismus: Kirchliche Demokratisierungsbestrebungen im spätmittelalterlichen Österreich, hg. v. R. Bäumer u. a., Wien 1996, S. 112– 137; Meuthen, E.: Cusanus und die Orden. Aus der geistlichen Welt des späten Mittelalters (= Vorträge der Aeneas-Silvius-Stiftung 32), Basel/Frankfurt a. M. 1996. 122 Vgl. Angerer, J.: Die Begriffe ›Discantus, organa‹ und ›scolares‹ in reformgeschichtlichen Urkunden des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Pflege der Mehrstimmigkeit in den Benediktinerklöstern des österreichisch-süddeutschen Raumes, in: AAWW.PH 109 (1972/73), S. 145–170; Ders.: Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform. Studien zur Erforschung der Musikpraxis in den Benediktinerklöstern des 15. Jahrhunderts (= DÖAW.PH 287 = Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung 15), Wien 1974; Ders.: Klösterliches Musikleben unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse der Melker Reform, in: Klösterliche Sachkultur des Spätmittelalters. Internationaler Kongreß Krems/Donau 18.–21. September 1978 (= Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 3), Wien 1980, S. 279–303; Ders.: Lateinische und deutsche Gesänge aus der Zeit der Melker Reform. Probleme der Notation und des Rhythmus, bezogen auf den historischen Hintergrund und verbunden mit einer Edition der wichtigsten, durch die Reform eingeführten Melodien (= Forschungen zur älteren Musikgeschichte 2), Wien 1979. Vgl. auch Schmidt, A.: Zusätze als Problem des monastischen Stundengebets im Mittelalter (= BGAM 36), Münster 1986. 123 Vgl. Frank, B.: Konversen und Laien in benediktinischen Reformklöstern des 15. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte der Konversen im Mittelalter, hg. v. K. Elm (= BHSt 2; Ordensstudien 1), Berlin 1980, S. 49–66.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

Die Übersetzungsliteratur, die für die nicht-lateinkundigen Konversen in Melk geschaffen wurde, ist Gegenstand einiger philologisch-germanistischer Studien, wobei die theologischen Inhalte der Übersetzungsliteratur kaum thematisiert wurden.124 Auch in ihren Auswirkungen auf die Literatur des 15. Jahrhunderts und das Buchwesen in Österreich wurde die Melker Reform vereinzelt untersucht.125 Einige neuere Arbeiten schließen bereits von exemplarisch an Einzelklöstern erarbeiteten Aspekten auf die ganze Melker Reformbewegung, so z. B. hinsichtlich der Auslegung der Benediktsregel, der Verschriftlichung der Reform und des Geschichtsbewusstseins.126

1.6.2 Regional- und lokalgeschichtliche Studien Die Schwierigkeit, auch nur in Einzelaspekten Aussagen zu treffen, die für alle Klöster der Melker Reformbewegung Gültigkeit haben, ist auch in der nur losen Verbindung der Klöster der Melker Reform begründet. Daher sind regionalgeschichtliche Studien noch selten,127 während lokalgeschichtliche Arbeiten, deren Interesse oft stärker heimat- und kulturgeschichtlich 124 Vgl. für Melk: Löser, F.: Meister Eckhart in Melk. Studien zum Redaktor Lienhart Peuger. Mit einer Edition des Traktats ›Von der Sel wirdichait und aigenschafft‹ (= Texte und Textgeschichte 48), Tübingen 1999. 125 Vgl. Knapp, F.: Die Rolle des Stiftes Melk in der Entwicklung der mittelalterlichen Literatur, in: 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung. Ausstellungskatalog, Stift Melk 1989, S. 422–425; Zeman, H. (Hg.): Die österreichische Literatur. Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung. Teil 1: Ihr Profi l von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050–1750), in Zusammenarbeit mit dem Institut für Österreichische Kulturgeschichte und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Österreichische Literaturforschung hg. v. Ders., Graz 1986; Holter, K.: Der Einfluß der Melker Reform auf das klösterliche Buchwesen in Österreich, in: Klösterliche Sachkultur des Spätmittelalters. Internationaler Kongress Krems a. d. Donau, 18.–21. September 1978 (SÖAW.PH 367 = Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 3), Wien 1980, S. 305–320. 126 Vgl. Schreiner, K.: Benediktinische Klosterreform als zeitgebundene Auslegung der Regel. Geistige, religiöse und soziale Erneuerung in spätmittelalterlichen Klöstern Süddeutschlands im Zeichen der Kastler, Melker und Bursfelder Reform, in: BWKG 86 (1986), S. 105–195; Ders.: Erneuerung durch Erinnerung. Reformstreben, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung im benediktinischen Mönchtum Südwestdeutschlands an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. v. K. Andermann (= Oberrheinische Studien 7), Sigmaringen 1988, S. 35–87; Ders.: Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, hg. v. H. Keller u. a. (= MMAS 65), München 1992, S. 37–75. Vgl. auch Ellegast, B.: Die Anfänge einer Textkritik zur Regel des heiligen Benedikt in den Kreisen der Melker Reform (15. Jahrhundert), in: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart 3 (1983), S. 8–91. 127 Vgl. Zibermayr, I.: Die Legation des Kardinals Nikolaus Cusanus und die Ordensreform in der Kirchenprovinz Salzburg (= RGST 29), Münster 1914; Zeller, J.: Beiträge zur Geschichte der Melker Reform im Bistum Augsburg, in: AGHA 5 (1916–1919), S. 167–182.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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ist, noch immer große Bedeutung haben. Allerdings wird die Melker Reform in lokalgeschichtlichen Studien oft nur als Teil einer umfassenden Darstellung der Klostergeschichte kurz angesprochen. Die Bände der Germania Benedictina zu den österreichischen Klöstern fassen diese lokalgeschichtlichen Studien zusammen.128 »Es bleibt auf diesem Gebiete noch viel zu tun; Aufgabe der lokalgeschichtlichen Forschung wird es sein, den gegenseitigen Beziehungen zwischen den schwäbischen und österreichischen Klöstern im Zeitalter der Ordensreform im einzelnen nachzugehen.«129

1.6.3 Prosopographische Studien Ergänzt werden lokal- und regionalgeschichtliche Studien durch einzelne prosopographische Arbeiten zu herausragenden Vertretern der Melker Reform wie Johannes Schlitpacher,130 Petrus von Rosenheim,131 Hieronymus von Mondsee132 und Nikolaus von Dinkelsbühl.133 Das Melker Professbuch von Bruck bietet einen sehr guten ersten Überblick über Biographie und Werk der Reformer aus Melk.134 Vergleichbares fehlt für Tegernsee, doch bieten Redlich und Lindner prosopographische Skizzen zu Tegernseer Mönchen.135 128 Vgl. Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol, bearb. v. U. Faust/W. Krassnig (= GermBen 3,1–3), St. Ottilien 2000–2002. 129 Zeller, Beiträge zur Geschichte der Melker Reform, S. 181. 130 Vgl. Zibermayr, I.: Johann Schlitpachers Aufzeichnungen als Visitator der Benediktinerklöster in der Salzburger Kirchenprovinz. Ein Beitrag zur Geschichte der Cusanischen Klosterreformen 1451–1452, in: MIÖG 30 (1909), S. 258–279; Hubalek, F.: Aus dem Briefwechsel des Johannes Schlitpacher von Weilheim. Der Kodex 1767 der Stiftsbibliothek Melk, Diss. Wien 1963. 131 Vgl. Thoma, F.: Die Briefe des Petrus von Rosenheim an Abt Kaspar Ayndorffer von Tegernsee während der Klosterreform in Südbayern 1426–1431, in: OBA 67 (1930), S. 1–20; Ders.: Petrus von Rosenheim. Ein Beitrag zur Melker Reformbewegung, in: SMGB 44 (1927), S. 94–222. 132 Vgl. Glückert, L.: Hieronymus von Mondsee (Magister Johannes de Werdea). Ein Beitrag zur Geschichte des Einflusses der Wiener Universität im 15. Jahrhundert, in: SMGB 48 (1930), S. 98–201. 133 Vgl. Madre, A.: Nikolaus von Dinkelsbühl. Leben und Schriften. Ein Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte (= BGPhMA 40), Münster 1965. 134 Vgl. Bruck, M.: Profeßbuch des Klosters Melk (1. Teil 1418–1452), in: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart 4 (1985), S. 79–202. 135 Vgl. Lindner, P.: Familia S. Quirini in Tegernsee. Die Aebte und Mönche der Benediktiner-Abtei Tegernsee von den ältesten Zeiten bis zu ihrem Aussterben (1861) und ihr literarischer Nachlaß, in: OBA 50 (1897), S. 18–130; Ergänzungen dazu in: Ders.: Monasticon metropolis Salzburgensis antiquae. Verzeichnis aller Aebte und Pröpste der Klöster der alten Kirchenprovinz Salzburg, Salzburg 1908; Ders.: ›Album Wiblingense‹. Die Aebte und Mönche der Benediktinerabtei Wiblingen von 1099–1864. Mit bibliographischen Notizen, in: DASchw 19 (1901), S. 1–4.37–42.73–77.108–112.163–167; DASchw 20 (1902), S. 10– 15.85–90.107–110; ergänzt von Zimmermann, A.: Die Familia S. Quirini im Mittelalter, in:

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

1.6.4 Arbeiten zur Melker Reform in Tegernsee Obwohl das Kloster Tegernsee für die süddeutschen Klöster der Melker Reform noch als am besten erforscht betrachtet werden kann, finden sich viel weniger Studien zu Tegernsee als zu Melk. Zwar bieten die Bände der Germania Benedictina grundlegende Informationen und Literatur auch zu Einzelklöstern in Süddeutschland, die sich der Melker Reform anschlossen.136 Doch Studien zur Melker Reform in diesen Klöstern, zu Personen und Schriften fi nden sich noch kaum.137

SMGB 60 (1946), S. 190–217. Redlich, V.: Tegernsee und die deutsche Geistesgeschichte im 15. Jahrhundert (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 9), München 1931. 136 Vgl. Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum, bearb. von U. Faust/F. Quarthal, St. Ottilien 1999 (= GermBen 1); Die Benediktinerklöster in Baden-Württemberg, bearb. v. F. Quarthal (= GermBen 5), München 1975; Die Benediktinerklöster in Bayern, bearb. v. J. Hemmerle (= GermBen 2), Augsburg/Ottobeuren 1970. 137 Vgl. zur Melker Reform in Schwaben Schreiner, K.: Benediktinisches Mönchtum in der Geschichte Südwestdeutschlands, in: Die Benediktinerklöster in Baden-Württemberg, bearb. v. F. Quarthal u. a. (= GermBen 5), München 1975, S. 23–114; Ders.: Mönchtum im Geist der Benediktsregel. Erneuerungswille und Reformstreben im Kloster Blaubeuren während des hohen und späten Mittelalters, in: Blaubeuren. Die Entwicklung einer Siedlung in Südwestdeutschland, hg. v. H. Decker-Hauff/I. Eberl, Sigmaringen 1986, S. 93–167. In Franken: Wendehorst, A.: Das benediktinische Mönchtum im mittelalterlichen Franken, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift, hg. v. J. Fleckenstein (= VMPIG 68; StGS 14), Göttingen 1980, S. 38–60; Ders.: Die fränkischen Benediktinerabteien und die Reformation, in: Benediktinisches Mönchtum in Franken vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Zum 400. Todestag des Münsterschwarzacher Abtes Johannes IV. Burckhardt (1563–1598), hg. v. E. Hochholzer (= MüSt 48), Münsterschwarzach 2000, S. 179–194. Notizen zur Melker Reform in Südwestdeutschland fi nden sich meist auch in Aufsätzen, die sich allgemein mit Kirchen- und Klosterreformen im 15. Jahrhundert befassen, vgl. Stievermann, D.: Klosterreform und Territorialstaat in Süddeutschland im 15. Jahrhundert, in: RoJKG 11 (1992), S. 149–160; Sydow, J.: Sichtbare Auswirkungen der Klosterreform des 15. Jahrhunderts. Beobachtungen an Quellen südwestdeutscher Klöster, in: RoJKG 11 (1992), S. 209–221. Unter anderem zur Melker Reform im Bistum Eichstätt: Bünz, E./ Littger, K. (Hgg.): Klerus, Kirche und Frömmigkeit im spätmittelalterlichen Bistum Eichstätt. Ausgewählte Aufsätze von Franz Xaver Buchner (= SUBE 36), St. Ottilien 1997; Reiter, E.: Rezeption und Beachtung von Basler Dekreten in der Diözese Eichstätt unter Bischof Johann von Eych (1445–1464), in: Von Konstanz nach Trient. Beiträge zur Geschichte der Kirche von den Reformkonzilien bis zum Tridentinum. FS August Franzen, hg. v. R. Bäumer, München u. a. 1972, S. 215–232.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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Die Melker Reform in Bayern und Tegernsee erwähnen die Darstellungen zur bayerischen Kirchengeschichte138 und zur Geschichte des Klosters Tegernsee.139 Für Tegernsee grundlegend sind immer noch die bereits genannten Arbeiten von Lindner (1897) und Redlich (1931), der die einzige zusammenfassende Darstellung des geistlichen und geistigen Lebens in Tegernsee im 15. Jahrhundert aus zeitgenössischen Quellen bietet. Die ebenfalls kulturgeschichtliche Studie zu den Klöstern Bayerns von Heldwein (1913) erarbeitet aus den Münchener Handschriftenbeständen einige wichtige Aspekte des religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen und »sittlichen« Lebens in Tegernsee im 15. Jahrhundert.140 Angerer (1968) untersuchte in der Einleitung zur Edition der Tegernseer Consuetudines erstmals knapp die Eigenständigkeit und Abhängigkeit Tegernsees vom Mutterkloster Melk und berücksichtigte besonders die Verdienste Kaspar Aindorffers.141 Weitere Studien zu inhaltlichen Aspekten der Melker Reform in Tegernsee fi nden sich bisher nur vereinzelt, z. B. zum Verhältnis des Klosters zum Humanismus142 oder zu Nikolaus von Kues143 im Kontext der Melker Reform. 138 Vgl. Heldwein, J.: Die Klöster Bayerns am Ausgange des Mittelalters, München 1913; Bauerreiss, R.: Kirchengeschichte Bayerns. Bd. 5: Das XV. Jahrhundert, St. Ottilien 1955, S. 53–63; Hemmerle, J.: Die Benediktinerklöster in Bayern (= GermBen 2), Augsburg 1970, S. 297–304 zu Tegernsee; Wendehorst, A.: Stifte, Klöster und religiöse Gemeinschaften im späten Mittelalter, in: Handbuch der Geschichte der evangelischen Kirche in Bayern. Bd. 1: Von den Anfängen des Christentums bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, hg. v. G. Müller u. a., St. Ottilien 2002, S. 101–124. 139 Vgl. Hartig, M.: Die Benediktinerabtei Tegernsee 746–1803. Kurzer Überblick über ihre Geschichte und ihre Verdienste um Wissenschaft und Kunst. München 1946; Bosl, K. (Hg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 7, Stuttgart 1961, S. 696 f. Weitere Literatur zur Geschichte des Klosters Tegernsee ist gut in der ansonsten populärwissenschaftlich auf bereiteten Darstellung von Mathäser, W.: Chronik von Tegernsee. Nach alten Dokumenten, aus neueren Quellen mit persönlichen Bemerkungen zu Vergangenem und über Gegenwärtiges, München 1981, zusammengestellt. – Doch selbst in einschlägigen Darstellungen zur Tegernseer Geistesgeschichte wird die Melker Reform mitunter kaum thematisiert, vgl. die Studie von Schmeidler, B.: Studien zur Geschichtsschreibung des Klosters Tegernsee vom 11. bis 16. Jahrhundert (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 20), München 1935. 140 Vgl. Heldwein, J.: Die Klöster Bayerns am Ausgange des Mittelalters, München 1913, passim zu Tegernsee. 141 Vgl. Angerer, J.: Die Bräuche der Abtei Tegernsee unter Abt Kaspar Ayndorffer (1426–1461) verbunden mit einer textkritischen Edition der Consuetudines Tegernseenses (= SMGB.E 18), Ottobeuren 1968, S. 3–61. 142 Vgl. Müller, W.: Die Anfänge der Humanismus-Rezeption in Kloster Tegernsee, in: SMGB 92 (1981), S. 28–90. Müller untersucht anhand der Inhalte und Provenienz der Tegernseer Handschriften die Rezeption des frühen Humanismus in Tegernsee im 15. Jahrhundert, wobei sein Humanismus-Begriff in seiner Breite zu diskutieren ist. 143 Vgl. Baum, W.: Johannes Kecks Traktat über Klosterleben und Eremitentum für den Einsiedler Hans Frankenfurter im Halltal (1447). Ein Beitrag zur Geschichte des Klosters Tegernsee und zur Biographie des Nikolaus von Kues, in: SMGB 97 (1986), S. 444–461,

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

In diesen Studien wird Bernhard von Waging meist erwähnt und seine Leistungen werden unter Stichworten wie Melker Reform, Mystik und Schriften »moralischer und aszetischer Natur«144 gewürdigt.

1.6.5 Arbeiten zu Bernhard von Waging Neben der Erwähnung in heimatkundlichen Arbeiten145 wird Bernhard mit zwei Themen in Verbindung gebracht, mit einer bayerischen Mystik des 15. Jahrhunderts und mit der Diskussion um die Frage der vita contemplativa. Auf Bernhard als »bayerischen Benediktiner-Mystiker« hat Grabmann (1920) aufmerksam gemacht.146 Vansteenberghe (1915) untersuchte den Briefwechsel zwischen Cusanus und den Mönchen von Tegernsee, darunter Bernhard von Waging, und bot die erste Darstellung der Kontroverse um die Mystik.147 Bernhards Schriftwechsel mit dem Eichstätter Bischof Johann

sowie Baums Editionen der Briefe des Cusanus (Ders./Senoner, R. (Hgg.): Nikolaus von Kues. Briefe und Dokumente zum Brixner Streit, 2 Bde., Wien 1998/Klagenfurt 2000) und von Bernhards Klageliedern über St. Georgenberg (Ders./Rauter, K.: Bernhard von Waging († 1472): ›Klagelieder über St. Georgenberg‹. Das Scheitern einer Klosterreform des Nikolaus Cusanus (1453/54), in: Der Schlern. Monatszeitschrift für südtiroler Landeskunde 57/H. 9 (1983), S. 482–494). Zum Briefwechsel zwischen Cusanus und Abt Kaspar sowie Bernhard von Waging vgl. Schmidt, M.: Nikolaus von Kues im Gespräch mit den Tegernseer Mönchen über Wesen und Sinn der Mystik, in: Das Sehen Gottes nach Nikolaus von Kues. Akten des Symposiums in Trier vom 25.–27. September 1986, hg. v. R. Haubst (= MFCG 18), Trier 1989, S. 25–49; Schmidt, P.: Amor transformat amantem in amatum. Bernhard von Waging an Nicolaus Cusanus über die Vision einer reformunwilligen Nonne, in: Poetry and Philosophy in the Middle Ages. FS Peter Dronke, hg. v. J. Marenbon (= MLST 29), Leiden 2001, S. 197–215. Weitere Literatur zur Kontroverse um die Mystik, an der sowohl Nikolaus von Kues als auch Bernhard von Waging beteiligt waren, vgl. Kapitel 4 unten. 144 Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 115. 145 Vgl. Wilpert, P.: Bernhard von Waging, Reformer vor der Reformation, in: Festgabe für Seine Königliche Hoheit Kronprinz Rupprecht von Bayern, hg. v. W. Götz, München 1954, S. 260–276; Angerpointner, A.: Nikolaus von Kues und Bernhard von Waging, in: Amperland 1 (1965), S. 3–5; Bittmann, J.: Der Benediktinermönch Bernhard von Waging (Briefpartner des Kardinals von Kues und Reformer vor der Reformation), in: Chiemgauer Blätter, Traunstein 1996/Nr. 11, S. 1 f. 146 Vgl. Grabmann, M.: Bernhard von Waging (gest. 1472), Prior von Tegernsee, ein bayerischer Benediktinermystiker des 15. Jahrhunderts, in: SMGB 60 (1946), S. 82–98; Ders.: Bayerische Benediktinermystik am Ausgang des Mittelalters, in: BenM 2 (1920), S. 196–202; Ders.: Die Erklärung des Bernhard von Waging O. S. B. zum Schlußkapitel von Bonaventuras Itinerarium mentis in Deum, in: FS 8 (1921), S. 125–135. 147 Vgl. Vansteenberghe, E.: Autour de la docte ignorance. Une controverse sur la théologie mystique au XVe siècle (= BGPhMA 14), Münster 1915. Vgl. Riemann, H.: ›De cognoscendo Deum‹: Die Entstehungsgeschichte eines Traktates des Bernhard von Waging zum Mystikerstreit des 15. Jahrhunderts, in: Einheit und Vielfalt. FS Karl Bormann, hg. v. L. Hagemann/R. Glei (= Religionswissenschaftliche Studien 30), Würzburg 1993, S. 121– 160.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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von Eych über die vita contemplativa wurde von Wilpert (1954) angesprochen und von Riemann (1985) ediert und kommentiert.148 Neben diesen Arbeiten werden einzelne Schriften Bernhards in theologiehistorischen Arbeiten erwähnt: Franz (1902) erläuterte Bernhards Schrift Ordinarium missae practicum und ordnete sie in den Kontext der mittelalterlichen Schriften zur Messliturgie ein.149 Auer (1928) ging in seiner Studie zu den Trostbüchern auch auf die Bernhard-Schriften Consolatorium seu remediarium tribulatorium und Remediarius contra pusillanimes ein.150 Bernhards Schrift zur Kunst des Sterbens (Speculum mortis) wurde bei Rudolf (1957) im Kontext der Ars-moriendi-Literatur des Mittelalters angesprochen.151 Zum Gegenstand germanistischer Forschungen wurde Bernhard von Waging in den Arbeiten von Höver (1971) 152 und Bauer (1996) 153. Bauer untersuchte exemplarisch an der Bibliothek des Klosters Tegernsee Überlieferung, Gebrauch und Funktion spätmittelalterlicher deutschsprachiger Literatur. Er stellte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Auf bau einer deutschsprachigen Abteilung der Bibliothek fest, für den er Bernhard von Waging verantwortlich sah. Bernhard war es nach Bauer auch, der für Konversen erbauliche Texte aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzte. Daher ist, so die These Bauers, Bernhard mit dem Tegernseer Anonymus zu identifizieren, was bereits zuvor Höver aufgrund seiner Untersuchung der deutschsprachigen Rezeption Bernhards von Clairvaux vermutete. Dass Bernhard deutsche Texte geschrieben oder lateinische ins Deutsche übersetzt hat, ist eine Vermutung. Bezeugt ist er als Verfasser lateinischer theologischer Schriften zur Mystik und zur kontemplativen Lebensform. Dem entspricht, dass auch die Editionen seiner Schriften von Pez,154 Van148 Vgl. Wilpert, P.: Vita contemplativa und vita activa. Eine Kontroverse des 15. Jahrhunderts, in: Passauer Studien. FS für Simon Konrad Landersdorfer, Passau 1953, S. 209–227; Riemann, H.: Der Briefwechsel Bernhards von Waging und Johannes’ von Eych (1461– 1463). Speculum pastorum et animarum rectorum, Epistula impugnatoria, Defensorium speculi pastorum et animarum rectorum. Zur Kontroverse über Rang und Verdienst des aktiven und des kontemplativen Lebens, Diss. Köln 1985. 149 Vgl. Franz, A.: Die Messe im deutschen Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Liturgie und des religiösen Volkslebens, Darmstadt 1902, S. 566–577. 150 Vgl. Auer, A.: Johannes von Dambach und die Trostbücher vom 11. bis zum 16. Jahrhundert (= BGPhMA 27, 1–2), Münster 1928, S. 310–317. 151 Vgl. Rudolf, R.: Ars moriendi. Von der Kunst des heilsamen Lebens und Sterbens (= FVK 39), Köln 1957, S. 92–95. 152 Vgl. Höver, W.: Theologia Mystica in altbairischer Übertragung. Bernhard von Clairvaux, Bonaventura, Hugo von Balma, Jean Gerson, Bernhard von Waging und andere. Studien zum Übersetzungswerk eines Tegernseer Anonymus aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (= MTU 36), München 1971; Ders.: Art. Tegernseer Anonymus, in: VerLex 2 9 (1995), Sp. 665–670. 153 Vgl. Bauer, C.: Geistliche Prosa im Kloster Tegernsee. Untersuchungen zu Gebrauch und Überlieferung deutschsprachiger Literatur im 15. Jahrhundert (= MTU 107), Tübingen 1996. 154 Bernhard von Waging: De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali, in: Pez,

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

steenberghe155 und Riemann156 diese Themen aufnehmen. Wie die theologischen Schriften von Autoren des Melker Reformkreises sind die Schriften Bernhards inhaltlich kaum erschlossen. Selbst die Edition von Professpredigten Bernhards bei Öhm (1987), eine leider nicht veröffentlichte und daher kaum rezipierte Dissertation, bietet zwar einen Kommentar mit Wortund Sacherklärungen, geht aber auf die theologischen Inhalte der Predigten wenig ein.157 Das zeigt die Schwierigkeit, das theologische Denken Bernhards zu untersuchen, solange seine Texte dafür nicht in zumindest diplomatischen Editionen gesichert sind. Die bei Pez edierte Chronik von Tegernsee,158 die Melker und Tegernseer Consuetudines,159 Nekrologe und Urkunden geben wichtige Hinweise auf das geistliche Leben des Reformklosters. Mittelalterliche Bibliothekskataloge erschließen zumindest den Umfang der Überlieferung der Melker Reform in Tegernsee. Doch gilt für die theologischen Schriften Bernhards, was für die Schriften des Melker Reformkreises insgesamt festzuhalten ist: Inhaltliche Studien sind ein Desiderat.

Bibliotheca ascetica 5, S. 1–404; Remediarius contra pusillanimes et scrupulosos, in: Pez, Bibliotheca ascetica 7, S. 445–525. 155 Bernhard von Waging: Laudatorium doctae ignorantiae, necnon invitatorium ad amorem eiusdem, editum per Bernardum priorem in Tegernsee (1451), in: Vansteenberghe, E.: Autour de la docte ignorance. Une controverse sur la théologie mystique au XVe siècle (= BGPhMA 14), Münster 1915, S. 163–167. Defensorium laudatorij docte ignorancie per patrem Bernardum in Tegernsee priorem compilatum (1459), a.a.O., S. 169–188. 156 Bernhard von Waging, Speculum pastorum et animarum rectorum; Ders.: Defensorium speculi pastorum, in: Riemann, H.: Der Briefwechsel, S. 1–313; Dies.: De cognoscendo Deum, S. 120–160. 157 Vgl. Öhm, C.: Bernhard von Waging. Profeßpredigten (clm 18572, f. 317r–341v), Wien 1987, darin Edition (S. 104–219), Wort- und Sacherklärungen (S. 222–263), Übersetzung (S. 263a-345), Hinweise auf »Prediger, die Predigtadressaten, den Professtermin und die Predigt« (S. 346–368), Anhang mit Professurkunden (S. 383–387) und Predigtregister (S. 387a-458). 158 Vgl. Chronicon Monasterii Tegernseensis, in: Pez, Thesaurus anecdotorum 3/3, Augsburg 1721. 159 Vgl. Consuetudines Tegernseenses, in: Angerer, Die Bräuche, S. 96–314; Breviarium caeremoniarum monasterii Mellicensis (= CCMon 11,2), hg. v. J. Angerer, Siegburg 1987. – Trotz der frühen Edition der Sublacenser Consuetudines des 15. Jahrhunderts von Allodi (Consuetudines et Caeremoniae [. . .], rec. L. Allodi, Subiaco 1902) wurde die Bedeutung der Consuetudines erst mit den Arbeiten von Ellegast (Die Melker Handschriften zur Regula Benedicti. 3 Bde., Diss. [masch.] Wien 1962) und Hallinger als Herausgeber der ab 1963 erschienenen Reihe Consuetudines Monasticae erkannt.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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1.6.6 Die Monographien von Niederkorn-Bruck und Groiß Die beiden 1999 erschienenen, sich ergänzenden Monographien von Meta Niederkorn-Bruck160 und Albert Groiß161 versuchten erstmals, die Inhalte der Reform auf der Grundlage der Consuetudines bzw. der Visitationsakten zu erarbeiten. Ihre Studien sollen, den Forschungsüberblick beschließend, kurz vorgestellt werden, da sie sowohl das bereits Erarbeitete als auch die Forschungsdesiderate zur Melker Reform zeigen. Der Benediktiner Groiß stellte in seiner 1996 in S. Anselmo, Rom, als Dissertation angenommenen Arbeit den Alltag in Melk um 1460 auf der Basis des Melker Caeremoniale vor. Damit knüpfte Groiß an die Consuetudines-Forschung an und erschloss in seinem »darstellenden Kommentar« eine der wichtigsten Quellen für die Reform im Melker Konvent. Groiß stellte zudem drei Melker Autoren, ausgehend von den Editionen von Pez, mit je einer Schrift vor, De statu vitae monasticae des Petrus von Rosenheim, den Libellus exhortans monachorum des Johannes von Speyer und die Tuitiones pro observantia Regulae des Martin von Senging.162 Groiß kam dabei zu folgenden Thesen: (1) Er charakterisierte das theologische Denken in Melk summarisch als eine nicht wissenschaftliche, sondern »monastische« Theologie, die auf die Praxis ausgerichtet ist und eine Fülle zweit- und drittklassiger Autoren hervorbrachte.163 »Das Ziel ihrer Theologie war die praktizierte Lebensgestaltung selbst, die sie zur alles gestalteten Mitte machten und so in die akademische Theologie integrierten.«164 (2) Die Melker Reform beurteilte er mit einer Formulierung Martins von Senging als reformatio in ihrem Bezug auf die Quellen des Mönchtums und als innovatio in ihrer von der Devotio moderna beeinflussten Anthropologie.165 (3) Schließlich sind für Groiß die Melker Reformanliegen (Mönchsprofess, Gemeinschaftsleben, Fleischabstinenz, Liturgie, Studium, Wirtschaftsführung) ein Spiegel der zeitgenössischen kirchlichen Reformbemühungen.166 Groiß wagte damit erstmals eine inhaltliche Gesamtbeurteilung der Melker Reform.

160 Vgl. Niederkorn-Bruck, M.: Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen (= MIÖG.E 30), Wien/München 1994. Vgl. die nicht immer zu Recht kritische Rezension von Angerer, J.: Rezension zu Meta Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, in: ZKG 109 (1998), S. 123–128. 161 Vgl. Groiß, A.: Spätmittelalterliche Lebensformen der Benediktiner von der Melker Observanz vor dem Hintergrund ihrer Bräuche. Ein darstellender Kommentar zum Caeremoniale Mellicense des Jahres 1460 (= BGAM 46), Münster 1999. 162 Vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 204–246. 163 Vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 153–156. 164 Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 154. 165 Vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 250–253. 166 Vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 254–257.

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1 Bernhard und die benediktinische Reformbewegung von Melk und Tegernsee

Doch kann sein Urteil vorerst nur für den Melker Konvent gelten. Denn neben dem Melker Caeremoniale zog er nur die drei bei Pez edierten Schriften Melker Professen heran. Seine Thesen müssten auf breiterer Quellenbasis für die süddeutschen Klöster der Melker Bewegung überprüft werden. Auch die summarische Kategorisierung der Melker Reformschriften als »monastische« Theologie ist zu prüfen. Doch ist seine Arbeit grundlegend für die Frage nach den theologischen Inhalten der Melker Reform. Stellte Groiß die Melker Reform anhand der Brauchtexte vor, erschloss Niederkorn-Bruck aus den Visitationsakten Ziele und Inhalte der Melker Reform. In ihrer 1994 eingereichten Dissertation erarbeitete sie detailreich die Visitationen als tragendes Element der Melker Reform und analysierte die im Rahmen einer Visitation entstehenden Texte (Modus procedendi; Interrogatorium; Visitationsurkunde). Aus der Quellenarbeit heraus bot sie eine erste zusammenfassende Darstellung der praxis regularis in den Klöstern der Melker Observanz, wobei auch sie die österreichischen Klöster der Melker Reform im Blick hatte. Beide Arbeiten gehen von den als normativ verstandenen Texten aus, damit dem Ideal der Melker Observanz, wie sie, unter Beachtung der Diskrepanz zwischen normativer Forderung und Umsetzung, im Melker Konvent gelebt wurde. Die Entwicklung und Diskussion dieser Ideale könnten aber die noch nicht erschlossenen theologischen Schriften der Melker Reform zeigen: »Bedauerlicherweise fehlt es noch an einem Überblick über das Ausmaß des Schrifttums der Melker Reformbewegung, außerdem an Arbeiten über einzelne Melker Reformatoren und Schriftsteller, an Vorarbeiten und Editionen des spätmittelalterlichen Schrifttums, die für eine genuine Interpretation der Melker Observanz von größter Dringlichkeit wären.«167

1.6.7 Forschungsdesiderate Für die Melker Reform und insbesondere die Reformzentren in Bayern müssen sich künftige Arbeiten den drei Desideraten stellen: (1) Vorarbeiten, also die Erforschung von Einführung und Verlauf der Reform im Einzelkloster, (2) Erschließung von Autoren und Schriften der Melker Reformbewegung sowie (3) die Edition dieser theologischen Schriften. Für Tegernsee sind die Vorarbeiten zum Ablauf der Reform, zur Übernahme der Melker Observanz und zur Entwicklung des Klosters zum Reformzentrum zumindest in großen Zügen geleistet. Die Darstellung des monastischen Lebens auf der Basis der Tegernseer Brauchtexte hat Angerer begonnen und damit Tegernsee als eigenständiges Reformzentrum angesprochen. 167

Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 11.

1.6 Forschungen und Desiderate zur Reform von Melk und Tegernsee

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Für die Erforschung von Formen und Inhalten der Melker Observanz in Tegernsee und bayerischen Klöstern ebenso wie für die Erschließung der Reformschriften sind Editionen ein Forschungsdesiderat. Die im Jahr 2007 am Martin-Grabmann-Institut in München begonnene Edition von Bernhards Schriften zur Mystik ist ein Anfang.168 Schließlich ist die Erarbeitung der Anliegen der Melker Reform von liturgischen über rechtlich-organisatorische zu asketischen und spirituellen Fragen ein Desiderat. Dazu bedarf es der Untersuchung der Schriften von Autoren der Melker Reform. Erst solche Untersuchungen ermöglichen eine auch theologische Beurteilung der Melker Reform.

1.6.8 Das Ziel dieser Studie Die vorliegende Studie will letzteres Desiderat aufnehmen in der Untersuchung von Person und Werk Bernhards von Waging als Repräsentanten der Melker Reform in Bayern. »Eine Darstellung seines Lebens und Wirkens und eine Edition seiner wichtigsten Schriften steht noch aus.«169 In Bernhards Person und Reformtätigkeit zeigt sich exemplarisch die Melker Reform, wie sie in Tegernsee umgesetzt und von hier aus tradiert wurde. In Bernhards Schriften lassen sich die theologisch-inhaltlichen Aspekte der Melker Reform erkennen. Sie spiegeln zugleich die Diskussion dieser Themen innerhalb des Melker Reformkreises und darüber hinaus wider. Denn Bernhards Schriften sind Gelegenheits- und Streitschriften, die die monastische Lebensform diskutieren, theologisch reflektieren und verteidigen. In einem ersten Teil wird Bernhards Biographie als Benediktiner, Reformer und Autor der Melker Reform vorgestellt, während die weiteren Kapitel der Arbeit die Schriften Bernhards zur vita contemplativa, zur Mystik und zur Askese untersuchen. Aus der Untersuchung seines theologischen Denkens, wie es sich in seinem Handeln und in seinen Schriften zeigt, können aber – pars pro toto – Aussagen zur Theologie der Melker Reformbewegung getroffen und diese zeitgenössisch eingeordnet werden. Groiß’ Charakterisierung als »monastische Theologie« muss dann überprüft werden.

168 Seit 2007 wird in einem DFG-Projekt am Martin-Grabmann-Forschungsinstitut in München die Edition der folgenden Werke Bernhards vorbereitet: Laudatorium doctae ignorantiae, Defensorium doctae ignorantiae, De cognoscendo Deum, außerdem von Vinzenz von Aggsbach: Impugnatorium, Replicatio contra defensorium laudatorii doctae ignorantiae, das Scriptum invectivum contra defensorium laudatorii doctae ignorantiae und die Refutatio. – Beim Abschluss dieser Arbeit im September 2009 lagen die Editionen noch nicht vor. 169 So das von Wilpert bereits 1953 formulierte Forschungsdesiderat (Wilpert, Vita contemplativa, S. 209 Anm. 1).

2 Bernhard von Waging als Benediktiner, Visitator und Autor der Melker Reform 2.1 Zur Person Bernhards von Waging Die Bezeichnung Bernhards als »bayerischer Benediktinermystiker«1 und »Reformer vor der Reformation«2 weist auf Charakteristika seines Denkens und Handelns hin, seine Tätigkeit als Klosterreformer und seine Autorschaft von Schriften zur Mystik. Die fast zeitgenössische Notiz des Ambrosius Schwerzenbeck im Tegernseer Bibliothekskatalog (1483/84) fällt nüchterner aus: »Bernhardi prioris nostri de Bägingen artium liberalium Bienensis baccalarii«.3 Damit sind drei wichtige Punkte seiner Biographie angesprochen: der Herkunftsort, sein an der Universität Wien erworbener akademischer Grad sowie das Amt des Priors in Tegernsee. Bernhard äußerte sich selten zu seiner Biographie; wo er es doch tat, betonte er stets den Eintritt ins Kloster Tegernsee, der von ihm als Lebenswende erfahren wurde. So nimmt auch dieser biographische Überblick diese Zäsur auf und betrachtet zuerst Bernhards Leben bis zum Eintritt in Tegernsee, das Geschehen des Eintritts bzw. Übertritts und sein Wirken als Benediktiner in Tegernsee. Aus den Quellen wird Bernhard erst als Chorherr in Indersdorf fassbar,4 und in den Quellen fest bezeugt ist sein Leben und Handeln erst ab seinem Eintritt in Tegernsee.

2.1.1 Bernhards Werdegang bis zu seinem Eintritt in Tegernsee Bernhard wurde um 1400 in Waging, vermutlich einem Waging bei Salzburg oder am Waginger See bei Traunstein geboren.5 Über Bernhards 1 Grabmann, Bernhard von Waging [. . .], ein bayerischer Benediktinermystiker des 15. Jahrhunderts, S. 82–98. 2 Wilpert, Bernhard von Waging, Reformer vor der Reformation, S. 260–276. 3 Vgl. clm 1925, f. 20v (BSB München) (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 773 f.). 4 Vgl. zu Leben und Werk Bernhards von Waging knapp Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779–789. Aus den Quellen erarbeitet auch Öhm, Profeßpredigten, S. 7–10, die nachweisbaren biographischen Fakten. 5 Als (Herkunfts-)Namen sind Waging, Wägingen, Bägingen und Dorffen überliefert: Statt Waging wird Bernhard in den Tegernseer Codices auch als Bernhard aus »Wägingen«

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Kindheit und Jugend sowie seine Schulbildung ist nichts bekannt. Wie viele Zeitgenossen, die später in ein Kloster eintraten und sich in den Dienst der Melker Reform stellten,6 studierte auch Bernhard an der Universität Wien die Artes liberales und schloss das Studium mit dem Grad des Baccalaureus Artium ab. In den Matrikeln der Universität ist sein Name nicht zu finden,7 aber die Tegernseer Handschriften ergänzen zu Bernhards Namen mehrfach den Titel eines Baccalaureus Artium der Wiener Universität.8 Das bedeutet, (vgl. clm 18599) oder auch »Bägingen« (vgl. clm 1925, f. 20v) bezeichnet. In seiner Tegernseer Professurkunde wird er als »frater Bernhardus Weginger« bezeichnet (Klosterarchiv Scheyern, Tegernseer Professurkunde Nr. 13; vgl. Öhm, Profeßpredigten, S. 7 Anm. 2). Nur in der Klosterliteralie Indersdorf 1, f. 62 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv München), in der die aus Indersdorf in andere Klöster übergetretenen Chorherren aufgelistet werden, wird Bernhard als »Bernardus de Dorffen, vir doctus« bezeichnet. Ebd. wird allerdings – entgegen der weiteren Überlieferung – 1473 als Todesjahr genannt, so dass zu fragen ist, wie zuverlässig die chronikalischen Notizen sind. Die Chronik nennt für Bernhards Eintritt ins Stift Indersdorf kein Datum. – Vgl. die Diskussion der in Frage kommenden Orte mit Namen Waging bei Martin, Fifteenth-Century Carthusian Reform, S. 209 Anm. 79. Ergänzt werden müssen zu Martin noch die Orte mit der Bezeichnung Dorf(f )en: Allein in Bayern und BadenWürttemberg fi nden sich 11(Teil-)Orte mit Namen Dorfen, darunter Dorfen zwischen München und Altötting, am Starnberger See bei Wolfratshausen sowie bei Burghausen südöstlich von Altötting. Keiner der Orte liegt in so unmittelbarer Nähe zu einem Ort Waging, dass die Überlieferung des Beinamens »de Dorffen« und »de Waging« zu erklären wäre. Auch eine unmittelbare Nähe zu Indersdorf bei Dachau, wo Bernhard ins Chorherrenstift eintrat, ist nicht gegeben. Da Bernhard in der Indersdorfer Chronik als Bernhard von Dorffen geführt wird, ist es theoretisch möglich, dass Bernhard vor seinem Eintritt ins Stift in einem Dorffen, vielleicht einem ›Dorf‹ bei Indersdorf, als Priester tätig war. Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio, verweist auf einen Tegernseer Codex, in dem er die Angabe fand, dass Bernhard aus Waging bei Salzburg gebürtig war: »Itaque Bernardus, ut dixi, Wagingae seu Bagingae in agro Salisburgenis lucem adspexit sub fi nem saeculi XIV.« Das entspricht der Anmerkung des Bibliothekars Schwerzenbeck in clm 18599: »fuit natus de Wägingen, foro circa Salczpurgam«. Am wahrscheinlichsten ist daher, dass Bernhard aus der Nähe von Salzburg stammt. 6 Zur Übersicht über die Wiener Dozenten und Studenten, die ins Kloster eintraten vgl. auch Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 99–101. 7 In den Akten der Artes-Fakultät fi ndet sich kein Bernhard von Waging. Für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts wird aus Waging nur ein Student namens »Mauricius Grublinger de Baging« im Jahr 1423 genannt (vgl. Die Matrikel der Universität Wien 1, S. 477), aus Dorf(f )en mehrere Studierende, aber kein Bernhard, sowie ein »Bernhardus de Arnsdorff«, der sich 1423 als Pauper immatrikulierte (a.a.O., S. 139). Martin, Fifteenth-Century Carthusian Reform, S. 209.338, identifi ziert diesen Ort als Arnsdorf an der Salzach, das in der Nähe von Waging bei Salzburg liegt, und vermutet daher die Immatrikulation Bernhards an der Universität Wien im Jahr 1423. Doch bleiben alle Identifi zierungsversuche auf der Basis der bisher bekannten Quellen hypothetisch. Möglicherweise ist Bernhards Name nicht in den Matrikeln aufgenommen. Dass Bernhards Name ein Ordensname ist (vgl. Martin, ebd.) ist unwahrscheinlich, da Bernhard in Indersdorf unter diesem Vornamen geführt wird und in der Regel im 15. Jahrhundert beim Eintritt in ein Chorherrenstift kein Ordensname angenommen wurde. 8 Vgl. die Randnotizen, z. B. »bernhardi prioris artium liberalium alme wiennens. universitat.« (clm 18598, 18599). Oehl, Deutsche Mystikerbriefe, S. 542, konstatiert, dass Bernhard »in Salzburg und Wien« studierte, bietet aber keine Belege dafür.

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dass Bernhard etwa im Alter von 19 Jahren, also um 1420, diesen ersten akademischen Grad erwarb, da das Studium der Artes an der Wiener Universität in der Regel zwei bis drei Jahre dauerte.9 Über ein weiteres Studium zum Magister ist nichts bekannt, und auch die Matrikeln der theologischen Fakultät geben keine Hinweise auf ein Studium Bernhards.10 In die Zeit zwischen dem Studium und der Aufnahme in Indersdorf fällt seine Priesterweihe, über deren Zeitpunkt und Ort nichts überliefert ist.11

2.1.2 Als Augustinerchorherr in Indersdorf Ebenfalls ohne genaue Jahresangabe, aber fest bezeugt ist Bernhards Eintritt ins Augustinerchorherrenstift in Indersdorf (Diözese Freising) zwischen 1430 und 1435.12 Doch ist über seine Tätigkeit und seinen Aufenthaltsort zwischen Studium und Eintritt in Indersdorf nichts bekannt. Sollte Bernhard die Universität Wien im Alter von 20 Jahren verlassen haben, so bleiben damit 10 bis 15 Jahre, für die über Bernhards Priesterweihe und Tätigkeit als Priester nichts überliefert ist. Möglicherweise hat ihn der gute Ruf des Reformstifts Indersdorf dazu bewogen, dort, ungeachtet seines ursprünglichen Herkunftsortes, einzutreten.13 Mehr als zehn Jahre lebte Bernhard als Augustinerchorherr im Stift Indersdorf, doch ist aus dieser Zeit 9

Vgl. Lhotsky, Die Wiener Artistenfakultät, S. 59. Die Akten der theologischen Fakultät der Universität Wien (1396–1508) nennen keinen Bernhard (von Waging) im möglichen Zeitraum, vgl. Uiblein, Die Akten der theologischen Fakultät, 2 Bde. Allerdings werden Weltkleriker, die Theologie studierten, nicht unbedingt in den Matrikeln der theologischen Fakultät genannt, wenn sie schon als Artisten immatrikuliert waren, vgl. Meuthen, Zur europäischen Klerusbildung, S. 281. 11 Bernhard selbst bezeichnet sich in seiner Schrift Defensorium speculi pastorum als Mönch und Priester, vgl. Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 294): »quod sim monachus, additur, quod sim nihilo minus et presbyter«. Dass Bernhard Priester war, wird durch die Indersdorfer KL 1, f. 62, durch (nachträgliche) Titulierungen in seinen Schriften und eine Notiz im 1483 von Ambrosius Schwerzenbeck verfassten Bibliothekskatalog (vgl. clm 1925, f. 20v) bestätigt. Als »presbyter et monachus« spricht auch der Eichstätter Bischof Johann von Eych Bernhard in einem Brief vom 8. Dezember 1462 an (clm 4403, f. 37r), vgl. Wilpert, Vita contemplativa, S. 211 Anm. 12; S. 223 Anm. 49. In einem Brief vom 22. März 1463 erwähnt Bernhard, dass er die Messe nicht lesen konnte (»confiteor etiam, quod in festo S. Benedicti missam non legi, nec vidi nec audivi«), vgl. Redlich, Tegernsee, S. 204. 12 Heute Markt Indersdorf bei Dachau. Das Jahr 1435 nennen: Hilpisch, Art. Bernhard v. Waging, in: LThK 2 2 (1958), Sp. 250; Roßmann, Art. B. v. Waging, in: LMA 1 (1980), Sp. 2004. Die neuere Forschung geht vom Jahr 1430 aus, vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779. Einziger Datierungshinweis ist eine Angabe bei Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio: Demnach trat Bernhard nicht lange (»nec multo post tempore«) nach dem Studium in Wien ins Augustinerchorherrenstift Indersdorf ein. Pez beruft sich auf ein von ihm eingesehenes anonymes Wessobrunner Manuskript aus dem Jahr 1513, worin Bernhard auch als »vir conversatione et doctrina excellentissimus atque Religionis Zelator eximius« bezeichnet werde. 13 Vgl. Zibermayr, Die Legation, S. 34: »Durch das ganze Jahrhundert blieben Indersdorf und Tegernsee die Zentren der neuen Reform in Bayern.« 10

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wenig Genaues über seine Tätigkeit bekannt. Den sich verstreut in seinen Schriften fi ndenden Bemerkungen zufolge war Bernhard in der Seelsorge und als Beichtvater tätig.14 Darüber hinaus wirkte er vermutlich als Sekretär und persönlicher Referent des Propsts Johannes von Indersdorf. Schriften Bernhards sind aus diesen Jahren nicht überliefert. Bernhards aus Sicht des Indersdorfer Propstes unerlaubtes Verlassen des Stifts bildete 1446 den Schlusspunkt dieser Lebensphase. Der Übertritt ins Benediktinerkloster Tegernsee wurde für Bernhard zur biographischen Zäsur.15 Erst in Tegernsee begann er nachweislich, Schriften zu verfassen und als Reformer zu wirken. Aus seinem Selbstverständnis als Benediktiner eines von Melk reformierten Konvents heraus stellte er sich aktiv in den Dienst der benediktinischen Reform.

2.1.3 Vom Augustinerchorherrn zum Benediktiner – der Übertritt 2.1.3.1 Das Geschehen des Übertritts Im Jahr 1446 verließ Bernhard das Chorherrenstift Indersdorf und trat ins Benediktinerkloster St. Quirin in Tegernsee ein.16 Sein Wechsel nach Tegernsee verlief nicht ohne Probleme und löste einen Briefwechsel zwischen Propst Johannes und dem Tegernseer Abt Kaspar Aindorffer sowie Prior Johannes Keck aus, in dem der Indersdorfer Propst seinen Unmut über Bernhards Weggang deutlich zum Ausdruck bringt.17 Sein Unmut ist verständlich, da schon kurz zuvor ein Indersdorfer Chorherr, Wilhelm Kienberger († 1467), nach Tegernsee übergetreten war.18 14 Bernhard war wohl nicht als Pfarrvikar in Indersdorf tätig. Vgl. Mittelstraß, Augustinerchorherren als Pfarrvikare, S. 17: »Der 1446 genannte ›Bernhardus plebanus in Understorff‹ ist wahrscheinlich identisch mit dem von 1446 bis 1451 ( Juli) als Dekan des Klosters Indersdorf bezeugten Bernhard. Bei diesem kann es sich nicht um den bekannten Gelehrten Bernhard von Waging gehandelt haben, da dieser 1446 Kloster Indersdorf verließ, um in Tegernsee einzutreten.« 15 Vgl. Treusch, Bernhard von Waging: Vom Chorherrn zum Benediktiner, S. 157–168. 16 Die Angabe, dass Bernhard erst ab 1448 in Tegernsee war, vgl. Hilpisch, Art. Bernhard v. Waging, in: LThK 2 2 (1958), Sp. 250, ist vermutlich ein Schreibfehler. Die genaue Datierung des Übertritts im Jahr 1446 ist schwierig. Ein Brief vom Juli 1446 von Propst Johannes von Indersdorf an Abt Kaspar erwähnt nur den Übertritt Wilhelm Kienbergers, nicht aber den Bernhards (vgl. clm 19697, f. 7v, Nr. 18), so dass Bernhard wohl erst in der zweiten Jahreshälfte in Tegernsee eintrat. Sein Noviziat bis zur Profess im Dezember 1447 dauerte damit für Tegernseer Verhältnisse relativ lang. 17 Vgl. clm 19697, f. 7v (Nr. 17), Brief von Propst Johannes von Indersdorf an Abt Kaspar von Tegernsee. Die Abschriften in der Brief handschrift clm 19697 geben Adressat, Absender und vor allem Datum nicht immer an. – Vgl. zum Übertritt Bernhards auch Redlich, Tegernsee, S. 136–142. 18 Wilhelm Kienberger legte im Juni 1446 die Profess in Tegernsee ab, vgl. Lindner, Familia, S. 79.

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Zwar war der Wechsel von den Regularkanonikern zum benediktinischen Mönchtum seit dem 13. Jahrhundert kirchenrechtlich erlaubt als ein Übertritt zu einer besseren und höherwertigen Lebensform. Allerdings bedurfte der Übertrittswillige dafür der Erlaubnis seines Vorgesetzten im Stift oder des Bischofs.19 Obwohl Bernhard nach eigener Aussage den Propst dreimal um Erlaubnis für seinen Übertritt gebeten hatte, wurde ihm diese nicht gewährt.20 Daher warf ihm der Indersdorfer Propst Johannes vor, er habe unerlaubt und heimlich nachts Indersdorf verlassen. Johannes bezweifelt in seinem Brief an Abt Kaspar, dass Bernhard bei diesem Schritt vom rechten Geist (zelus) erfüllt gewesen sei, und erinnert daran, dass Bernhard aufgrund seiner schwachen Gesundheit bereits in Indersdorf vom Chordienst freigestellt war. Er fragt daher kritisch, wie Bernhard das strengere Leben (rigor vite monastice) in Tegernsee bewältigen möge.21 Der Propst bestand darauf, Bernhard nur freizustellen, wenn dieser eine mit Siegel versehene Bestätigung über die Aufnahme in Tegernsee übersandte.22 Bernhard verteidigte sich in einem Brief nach Indersdorf damit, 23 dass er insgesamt sogar viermal vergeblich um Erlaubnis zum Übertritt gebeten habe. »Licentiam domine praelati [. . .] obtinere non potui«.24 Doch wurden die Unstimmigkeiten zwischen Indersdorf und Tegernsee bald beigelegt. Wohl noch 1446 wandten sich die Indersdorfer Chorherren mit zehn Fragen zur Reform an die Tegernseer Brüder. Prior Johannes Keck beantwortete diese Fragen 1447 mit seiner Schrift Decaperotision.25 Freundliche Kontakte bestimmten weiterhin das Verhältnis. Bernhard schrieb 1454 an Propst Johannes einen Brief, in dem er sich erkennbar um eine auch per19 Vgl. zur kirchenrechtlichen Problematik des Übertritts im Mittelalter Melville, Zur Abgrenzung, S. 205–243. 20 Vgl. clm 18150, f. 94v; vgl. auch Redlich, Tegernsee, S. 139. Im Defensorium speculi pastorum, c. 10 (Riemann, S. 292 f.), verteidigt Bernhard seinen Übertritt, indem er davon berichtet, dass zwei Männer ihm nach Tegernsee vorausgegangen waren, die ebenfalls lange Erfahrung in der Seelsorgearbeit hatten. Bernhard nennt keine Namen, doch war Wilhelm Kienberger sicher einer der beiden hier erwähnten Personen. 21 Vgl. clm 19697, f. 34v–35r (Nr. 84), Brief von Propst Johannes von Indersdorf an Abt Kaspar von Tegernsee. 22 Vgl. clm 19697, f. 35v (Nr. 85), Brief von Propst Johannes, möglicherweise an Bernhard adressiert. 23 Vgl. clm 19697, f. 36r–v (nicht nummeriert, der Zählung folgend: Nr. 86), undatiert; ein Brief Bernhards, dessen Adressat nicht genannt wird. Bernhard grüßt den Adressaten wie einen Vater, aber auch als Bruder und Sohn (»cum fi liali affectu«; »frater mi«; »tu mihi semper singularis fi lius et frater«). Wahrscheinlich hat Bernhard diesen Brief an einen Mitbruder (Oswald Nott?) adressiert, da er auch den Adressaten zum Übertritt auffordert (»oro, mi frater, persequi me«). Redlich, Tegernsee, S. 141 Anm. 49, erwähnt diesen Brief, »den Bernhard an die Indersdorfer schrieb«, bietet aber ebenfalls keine Hinweise zur Datierung. 24 Clm 19697, f. 36v. 25 Vgl. zum Inhalt der Schrift Redlich, Tegernsee, S. 140 f.

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sönliche Versöhnung bemüht und die Erwartung eines Besuchs des Propstes in Tegernsee ausdrückt.26 Abt Kaspar hatte 1454 das Stift Indersdorf besucht, und auch Bernhard stattete diesem vor Ostern 1456 wohl einen Besuch ab.27 Übertritte zu Klöstern der Melker Reformbewegung Die Verweigerung der Erlaubnis, nach Tegernsee überzutreten, war möglicherweise auch darin begründet, dass 1446 bereits Wilhelm Kienberger von Indersdorf nach Tegernsee übergetreten war. Dabei waren Übertritte in ein Reformkloster, wie Tegernsee es war, nicht selten. So trat neben Wilhelm Kienberger und Bernhard auch der Indersdorfer Chorherr Oswald Nott 1449 nach Tegernsee über.28 Während der Abtszeit von Kaspar Aindorffer (1426–1461) traten außerdem noch Diepold Westendorffer aus Ettal, Georg aus Ingolstadt, Johannes aus dem Chorherrenstift Beyharting, Michael Saxl und Johannes Hausmann aus Benediktbeuern sowie Johannes Khistler aus dem Stift Reichenbach (Oberpfalz) über.29 Doch auch innerhalb der Melker Reform gab es Wechsel von einem Reformkloster in ein anderes. So verlegte z. B. 1445 Konrad von Geisenfeld seine stabilitas von Melk nach Tegernsee.30 Der vorausgehende Briefwechsel zwischen den Tegernseern und dem Melker Abt Christian Eibensteiner zeigt, dass ein solcher Übertritt nur in gegenseitigem Einverständnis erfolgen konnte.31 Für den Übertritt dreier Chorherren von Indersdorf nach Tegernsee ist aber nach den Gründen zu fragen. War es ein defi zitäres oder als solches empfundenes geistliches Leben in Indersdorf, das den Übertritt von Wilhelm, Bernhard und Oswald veranlasste? Die Chronik von Indersdorf sowie Briefe von Wilhelm und Bernhard werfen ein Licht auf die Motive ihres Übertritts.

2.1.3.2 Die Motive für den Übertritt Die Chronik von Indersdorf hebt den Übertritt der drei nach Tegernsee übergetretenen Chorherren positiv hervor im Kontrast zu denen, die in diesen Jahren aus Ablehnung der strengen Lebensform in Indersdorf in nichtreformierte Klöster übertraten. Der Chronist sieht im brennenden Eifer den Grund für den Übertritt zur höheren Lebensform der Benediktiner: »No26

Vgl. clm 19697, f. 43v–44r (Nr. 113). Vgl. clm 19697, f. 86r–v (Nr. 212): Kaspar bedankt sich für die freundliche Aufnahme, die Bernhard in Indersdorf gefunden hatte. 28 Oswald Nott legte im März 1449 die Profess in Tegernsee ab und war in Tegernsee als Schreiber, u. a. für Bernhard von Waging, tätig, vgl. Lindner, Familia, S. 91. 29 Diepold Westendorffer tritt 1433 von Ettal nach Tegernsee über (vgl. Lindner, Familia, S. 67). Georg aus Ingolstadt, vorher »ordinis S. Brigittae«, 1437 (vgl. a.a.O., S. 68), Johannes, Chorherr in Beyharting, 1450 (vgl. a.a.O., S. 93). Michael Saxl, vorher Mönch in Benediktbeuern, tritt 1449 nach Tegernsee über; Johannes Hausmann folgt ihm 1452 (a.a.O., S. 92 f.). Johannes Khistler tritt 1453 über (a.a.O., S. 94). 30 Vgl. zu Konrad von Geisenfeld Bruck, Profeßbuch, S. 141–145; Lindner, Familia, S. 76–79; Reinhardt, Art. Konrad von Geisenfeld, in: BBKL 4 (1992), Sp. 389 f.; Stahl, Art. Konrad von Geisenfeld, in: VerLex 2 5 (1985), Sp. 176–179. 31 Vgl. Cod. Mell. 778, f. 64r–71v; mit Bruck, Profeßbuch, S. 131. Mathäser, Chronik, S. 105, ist der Meinung, dass Tegernsee im September 1449 von Papst Nikolaus das Privileg erhielt, Mönche eines anderen Klosters auch ohne Erlaubnis des Herkunftsklosters aufzunehmen, nennt aber keine Belege. 27

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mina fratrum nostrorum qui fervenciori spiritu ducti venerunt ad alciorem ordinem, scilicet benedictinensem«.32 Begründet der Chronist den Übertritt im Wunsch nach einer höheren, respektive strengeren Lebensform, so entsprach das der kirchenrechtlichen Beurteilung und nahm zugleich die Selbstaussagen der Übergetretenen auf. So schrieb Wilhelm Kienberger 14 Tage nach seinem Übertritt nach Tegernsee einen Brief an den noch in Indersdorf verbliebenen Bernhard, in dem er seinen Übertritt verteidigte und Bernhard ebenfalls zum Übertritt aufforderte.33 Wilhelm legt darin dem »alter ego frater michi dulcissime«34 dar, dass ihn die Verhältnisse in Indersdorf, darunter der Genuss von Fleisch, die zahlreichen Messfeiern, die unermüdliche Tätigkeit, für die er Bernhard als Zeuge anruft, zum Übertritt veranlasst haben. Im Kontrast zum Leben in Indersdorf stellt er das Leben in Tegernsee dar. Er wertet die Lebensweise der Chorherren gegenüber der benediktinischen ab, da sich diese zwei Lebensformen so verhalten wie das aktive Leben in der Welt zu dem der Regularkanoniker: »comparata talis est qualis vita secularium ad canonicorum regularium eciam vestre observancie«.35 Wilhelm lobt in Tegernsee die fleischlose Kost, das Schweigen und die Studienmöglichkeiten, die es ihm ermöglichen, anspruchsvolle Schriften, wie z. B. Johannes Gersons Schrift über die mystische Theologie, zu lesen und zu verstehen.36 Er beschließt den Brief mit einem Appell an Bernhard, ihm nach Tegernsee zu folgen: »Seque me!« Für Wilhelm waren die strengere Askese, die Befreiung vom priesterlichen Amt, die Zeit für Kontemplation und Studium das, was sein Leben in Tegernsee von dem in Indersdorf unterschied. Er nennt damit genau die Punkte, in denen sich vita canonica und vita contemplativa in dieser Zeit unterschieden. Bernhard äußerte sich erst einige Zeit später zu den Motiven seines Übertritts. Im bereits erwähnten Brief nach Indersdorf nennt er offen als Gründe für seinen Übertritt die Zeit für Studium und Kontemplation, die ihm in Indersdorf aufgrund des Chordienstes, der Arbeit und der vielen Kontakte 32 Klosterliteralie Indersdorf Nr. 1, f. 62r (Bayerisches Hauptstaatsarchiv München). Die um 1159 angelegte und im 16. Jahrhundert abgeschlossene Sammelhandschrift enthält u. a. ein Verzeichnis der aus- bzw. übergetretenen Chorherren, aus dem diese Notiz stammt, die sich zeitlich nicht genau bestimmen lässt. – Die lateinischen Zitate aus den Handschriften werden, sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, diplomatisch wiedergegeben. 33 Clm 19697, f. 32r–33v (Nr. 80), Brief Wilhelm Kienbergers an Bernhard von Waging über die Gründe seines Übertritts. Redlich, Tegernsee, S. 137 f., bietet einen Auszug aus dem Brief in deutscher Übertragung. 34 Clm 19697, f. 33v. 35 Clm 19697, f. 33r. 36 »plus legi saltem cum intellectu in Tegernsee quam toto tempore quo fui expulsus in meo exilio«, clm 19697, f. 33v.

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und Gespräche gefehlt habe.37 Wie Wilhelm vergleicht auch Bernhard sein Leben ›damals‹ in Indersdorf und ›jetzt‹ und stellt die erschöpfende körperliche Arbeit in Indersdorf der religiösen Erfahrung und der Zeit für Studium (sacre lectionis studium) und Kontemplation (meditatio) in Tegernsee gegenüber. Auffallend ist, dass Bernhard den Chordienst und die schwere Arbeit erwähnt, obwohl er aufgrund seines geschwächten Gesundheitszustands davon nach Aussage des Indersdorfer Propstes befreit war.38 Bernhard argumentiert hier also in traditionellen Topoi für die vita monastica und gegen die vita canonica. Persönlicher äußerte er sich gegenüber Nikolaus von Kues, als er diesen im Jahr 1454 bei der Reform der Klöster St. Georgenberg und Sonnenburg unterstützte. In einem Brief ermahnt Bernhard Cusanus, bei dieser Reform auf jeden Fall auf der Abstinenz vom Fleischgenuss zu bestehen und fügt hinzu: »Nam apud nos de esu carnium memoria est penitus extincta [. . .]. Fugi ego ordinem canonicorum regularium propter ipsum esum et eciam propter alias causas etc. Verumtamen sanior fui semper et magis valens in ordine isto sancti Benedicti quam, dum eram degens sub regula sancti Augustini.«39 Bernhard nennt erneut die strenge Nahrungsaskese, die Fleischabstinenz, als Motiv seines Übertritts.40 Zu den mit »etcetera« übergangenen Gründen zählt wohl die Gelegenheit zu theologischer Lektüre und Kontemplation. Abstinenz und Kontemplation waren in den 50er und 60er Jahren Themen Bernhards, die er in Schriften und Briefen immer wieder behandelte. Im Akt des Übertritts wie in ihren, vielleicht auch nachträglich legitimierenden, Briefen äußerten Wilhelm und Bernhard Kritik am geistlichen Leben in Indersdorf. Um Bernhards Kritik nachzuvollziehen, ist zu fragen, wie das zeitgenössische geistliche Leben im Stift aussah.41 2.1.3.3 Geistliches Leben in Indersdorf in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Die Augustinusregel war Konstituente des gemeinsamen Lebens in Indersdorf als Klerikergemeinschaft mit den Gelübden von Armut, Keuschheit 37

Vgl. clm 19697, f. 36r–v (Nr. 86), undatiert. Vgl. clm 19697, f. 34v–35r (Nr. 84), Brief von Propst Johannes von Indersdorf an Abt Kaspar von Tegernsee. 39 Brief Bernhards an Nikolaus von Kues, April 1454, clm 19697, f. 61v (Nr. 156) (Baum/ Senoner, Briefe 1, S. 140 f.). 40 Angerpointners Vermutung, dass Bernhards Übertritt nach Tegernsee »eine Sendung – eine Art missio« war, ist aus den Quellen nicht zu belegen, vgl. Angerpointner, Das Kloster Indersdorf, S. 15. 41 Vgl. zur Geschichte des Stifts Indersdorf im 15. Jahrhundert die Darstellung von Fugger, Geschichte des Klosters Indersdorf, S. 51–59, der auf Basis der von Hundt herausgegebenen Urkunden von Indersdorf eine immer noch gute und detaillierte Übersicht bietet; vgl. Haberkern, Funken aus alter Glut, S. 235–273. Eine aktuelle Bibliographie zu Indersdorf bei Beringer, Bibliographie, S. 136–149. 38

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und Gehorsam, mit gemeinsamem Chorgebet und mit dem Auftrag der cura animarum in inkorporierten Pfarreien.42 Die Regel wurde durch Statuten ergänzt, die die Spiritualität des jeweiligen Stifts entscheidend prägten.43 Indersdorf hatte unter Propst Erhard Prunner (1412–42) bereits im Juli 1417 die Statuten des böhmischen Augustiner-Chorherrenstifts Raudnitz an der Elbe übernommen, die die Benedictina (1339) zur Reform der Regularkanoniker umsetzten, und sich damit der Raudnitzer Reform angeschlossen.44 Diese Statuten schärften u. a. die asketische vita communis und den Verzicht auf Privatbesitz ein. Einen besonderen Akzent legten die Statuten sowohl auf das Bücherstudium als auch auf das Abschreiben von Büchern und den Austausch von Handschriften.45 So legten die Statuten nicht nur fest, dass jedes Chorherrenstift einen »librarius« haben sollte, sondern auch, dass die 42 In Indersdorf wurde vermutlich die Augustinusregel in Form der Regula recepta befolgt. Vgl. Text bei Zumkeller, Die Regel des heiligen Augustinus, S. 9–21; Verheijen, Die Regel des Hl. Augustin, S. 349–364; Verheijen folgend: Leinsle, Die Regel des heiligen Augustinus, S. 11–19. Zu den Formen der Augustinusregel und deren Verwendung bei den Regularkanonikern vgl. Köpf, Die Regula Augustini, S. 565–570; Zumkeller, Augustinus. Einführung, S. 101–119. Zur Lebensform der Augustinerchorherren vgl. Backmund, Die Chorherrenorden, S. 29–46, zu Indersdorf: S. 93–97. Vgl. zur Seelsorgetätigkeit bei den Augustinerchorherren seit dem Hochmittelalter die Monographie von Bosl, Regularkanoniker, mit den Corrigenda von Weinfurter, Bemerkungen und Corrigenda, S. 381–395; Schmale, Kanonie, Seelsorge, Eigenkirche, S. 38–63, zur Salzburger Kirchenprovinz: S. 55; Doppelfeld, Mönchtum und Pfarrseelsorge, S. 387– 418. 43 Vgl. zur Spiritualität der Augustinerchorherren Köpf, Kann man von einer Spiritualität, S. 141–158, der zu Recht die Meinung vertritt, dass über die Spiritualität als der bewusst geformten Frömmigkeit innerhalb einer Gemeinschaft nur hinsichtlich des einzelnen Konvents der Augustinerchorherren gesprochen werden kann. 44 Vgl. zur Raudnitzer Reform in Indersdorf Weber, Die Raudnitzer und Indersdorfer Reform, S. 51–56; Haberkern, Die Raudnitz-Indersdorfer Klosterreform, S. 37–46; Angerpointner, Das Kloster Indersdorf, S. 11–16. Zur Raudnitzer Reform in Bayern vgl. Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns 5, S. 44–49; im Bistum Freising Maß, Das Bistum Freising, S. 295; mit umfangreichen Literaturhinweisen Röhrig, Art. Raudnitz, in: Die Stifte der Augustiner-Chorherren, S. 177–202. 45 Vgl. die Reformstatuten für die Regularkanoniker der Diözese Freising sowie die Statuten von Indersdorf, die 1459 von Papst Pius II. bestätigt wurden, nachdem der Konvent bereits rund 40 Jahre nach diesen Statuten gelebt hatte: Vetus Disciplina Canonicorum Regularium, S. 679–729 (Diözese Freising); S. 731–740 (Auszug aus den Statuten von Indersdorf ). Zur wissenschaftlichen Leistung von bayerischen Augustinerchorherren vgl. Fuchs, Die literarischen und wissenschaftlichen Leistungen, S. 61–65, S. 64 f. zu Johannes von Indersdorf, sowie Köpf, Bildung im Leben und Wirken der Regularkanoniker, S. 53–82. Während Kottje, Claustra sine armario, S. 125–144, für das frühe und hohe Mittelalter noch beobachtet, dass Kanonikerstifte »an bibliothekarischem Besitz nicht oder nicht nennenswert interessiert gewesen sind« (S. 139), zeigt Köpf, a.a.O., S. 53–82, wie groß die Rolle der Bildung bei den Regularkanonikern im Mittelalter war, wozu auch Bibliothek und Scriptorium im Stift gehörten. Vgl. zu den Bibliotheken der Regularkanoniker Auge, Spiritualität und Frömmigkeit, S. 1–37. Schreiner, »Nimm lies«, S. 57–75, berücksichtigt in seiner Darstellung der Augustinus-Rezeption im Spätmittelalter nur die Augustinereremiten und die Windesheimer Chorherren, nicht die Augustinerchorherren der Raudnitzer Reform.

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theologischen und erbaulichen Schriften dem ganzen Konvent zugänglich sein sollten.46 Unter Propst Johannes (1442–70) erfolgte ab Mitte des 15. Jahrhunderts der systematische Auf bau der Indersdorfer Bibliothek. Eine Zählung aus dem Jahr 1450 nennt rund 360 Bücher, die als Präsenzbestand (in cathenis) den Chorherren zugänglich gewesen waren.47 Von Indersdorf aus erfasste die Reform unter den Pröpsten Erhard und Johannes rund 20 Chorherrenstifte in Bayern.48 Der Freisinger Generalvikar Johannes Grünwalder, der seine Schulbildung wohl im Stift erhielt,49 ernannte in den Visitationen von 1426/27 Johannes von Indersdorf zum Visitator. Dieser wirkte bei der Visitation des Klosters Tegernsee mit. Während in Tegernsee diese Visitation erst 1427 eine Erneuerung auslöste, wurde dem Stift Indersdorf zu dieser Zeit bereits vorbildliche Regeltreue bescheinigt. Die Visitationscharta vom 2. April 1427 bescheinigt den guten geistlichen Zustand in Indersdorf,50 der auch in der Cusanus-Visitation von 1451/52 und einer Visitation 1460 bestätigt wurde.51 Schließlich hatte Indersdorf nicht nur in Propst Johannes einen führenden Reformer und Autor von Reformschriften,52 sondern auch in Petrus 46

Vgl. Vetus Disciplina Canonicorum Regularium, S. 715–717. Vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 660–672 (zu Indersdorf ), hier: S. 661. Doch die Verzeichnisse aus der zweiten Hälfte des 13. sowie aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und ein Schenkungsbrief von 1422 geben nur wenig Aufschluss über die in der Bibliothek zur Verfügung stehenden Bücher. Darin werden neben biblischen Schriften, Kommentaren und Glossen Sentenzensammlungen, Sermones und Passionsbetrachtungen genannt, meist ohne Nennung der Autoren. 48 Zu den von der Reform erfassten Stiften zählen Augsburg (Heilig-Kreuz), Rottenbuch, Rohr, Diessen, Beyharting, Schlehdorf und Ulm-Wengen. Vgl. Heldwein, Die Klöster Bayerns, S. 8: »Für die Bedeutung dieses Hauses und seines leitenden Dekans spricht übrigens auch die Tatsache, dass 31 Kanoniker Indersdorfs zu Vorstehern anderer Klöster erwählt wurden und Dekan Johannes selbst in 24 Häusern seines Ordens die notwendigen Reformen eingeführt hat.« Die Zahl der von Indersdorf aus reformierten Stifte wird unterschiedlich angegeben, je nachdem, ob nur die erfassten Chorherrenstifte oder auch die von Indersdorf aus reformierten Benediktinerklöster gezählt werden. Backmund, Die Chorherrenorden, S. 94, zählt ca. 20 Stifte; Zeschick, Das Augustinerchorherrenstift Rohr, zählt 24 Stifte und Klöster. 49 Vgl. Maß, Das Bistum Freising, S. 313. Zur Schule in Indersdorf vgl. Fink-Lang, Die schulgeschichtlichen Einflüsse, S. 300 f. 50 Vgl. die Carta visitationis vom April 1427 (Hundt, Die Urkunden des Klosters Indersdorf, Nr. 561). 51 Vgl. Carta visitationis vom 19. März 1452 (Hundt, Die Urkunden des Klosters Indersdorf, Nr. 808). Indersdorf bat den Freisinger Bischof Johann IV. von Tulbeck 1460 um eine erneute Visitation, da sich die Chorherren »in ›überängstlicher Gewissenhaftigkeit‹ um Fastenregeln und liturgische Fragen stritten.« (Maß, Das Bistum Freising, S. 319). Auch diese Visitation, die der Bischof zusammen mit den Äbten von Weihenstephan und Scheyern vornahm, bestätigte die große Disziplin und Regeltreue der Indersdorfer. 52 Vgl. zu Person und Werk des Johannes von Indersdorf Haberkern, Funken aus alter Glut, S. 189–235; Haage, Der Traktat, S. 147–175; Ders., Johannes von Indersdorf in der zeitgenössischen Chronik, S. 169–174; Ders., Art. Johannes von Indersdorf, in: VerLex 2 4 (1983), Sp. 647–651; Klein, Johannes von Indersdorf, S. 439–442. 47

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Fries (1389–1455), der wie Bernhard in Wien die Artes studiert hatte, bevor er in Indersdorf eintrat, das Stift auf dem Konzil von Basel vertrat und 1438 zum Propst von Rohr ernannt wurde.53 2.1.3.4 Das kontemplative Leben als Lebensideal Bernhards Die zeitgenössischen Quellen zeigen das Chorherrenstift Indersdorf als ein blühendes Reformstift unter den Pröpsten Erhard und Johannes. In dieser Perspektive ist Bernhards Übertritt nur ein kirchenrechtlich möglicher Wechsel von der kanonikalen zur benediktinischen Lebensform. Möglicherweise empfand Bernhard jedoch das nachweislich observante Leben in Indersdorf in den 40er Jahren als in Gesetzlichkeit erstarrt. Bernhard betont in einer kleinen Schrift, dass Observanz nicht erzwungen werden dürfe, sondern in einem Geist der Liebe geschehen müsse.54 »Ubi enim caritatis regula non custoditur, nulla regularis observancia invenitur vel quomodo secundam regulam vel regulariter vivere cedantur.«55 Er klagt hier über erzwungenen Gehorsam und die buchstabengetreue Befolgung von Statuten, möglicherweise mit Bezug auf seine Erfahrungen in Indersdorf.56 Doch könnten diese Aussagen auch auf die zeitgenössische Reformtätigkeit von Melker Reformern bezogen sein. Bernhard hat seinen Übertritt nach Tegernsee als Lebenswende erfahren und wertet daher sein früheres Leben in Indersdorf gegenüber der vita contemplativa in Tegernsee stets ab. In seiner Reformtätigkeit, als Prior und Prediger sowie in seinen Schriften setzte er sich fortan für die kontemplative Lebensform ein. Doch fi ndet sich eine weitere Notiz, in der Bernhard auch das observante Leben in Tegernsee und der Melker Reform zu kritisieren scheint. In einem Brief an Cusanus vom Herbst 1454 erwähnt er die nach Subiaco gesandten 53 Zu Petrus Fries vgl. Zeschick, Das Augustinerchorherrenstift Rohr, S. 6–10.18–30. Von einem näheren Kontakt zwischen Bernhard und Petrus Fries ist nichts überliefert. 54 Vgl. clm 18565, f. 257v–259r, f. 258v: »iuxta intentionem«; vgl. f. 257v: »nec absque caritatis observantia ulla regula observari potest«. Die nur wenige Seiten umfassenden Bemerkungen sind ursprünglich ohne Titel (heute unter dem Titel »De loco quodam regulae S. Benedicti«) und ohne genauere Angaben im 1472 fertiggestellten Tegernseer Codex clm 18565 überliefert. Der Text ist versehrt, so dass f. 257v nur teilweise lesbar ist. Bernhard bezieht sich hier nicht ausdrücklich auf Indersdorf, bezieht aber in seine Beschreibung des rechten Verständnisses der Regel auch seine biographischen Erfahrungen ein. Vergleichbare Aussagen zur Interpretation der Regel fi nden sich häufig in Bernhards Schriften. Redlich, Tegernsee, S. 137, bezieht diese Aussagen ausschließlich auf Bernhards Indersdorfer Zeit und fasst frei zusammen (f. 258v): »Die strengen Formen der Observanzen fi ngen an, zu erstarren, der Eifer aber, der sie einst geschaffen hatte, bitter und hart zu werden. Menschensatzungen wurden wichtiger als Gottes größtes Gebot der Liebe. Das war es, ruft er aus, was mich von meinem früheren Ort und Stand vertrieben hat!« 55 Clm 18565, f. 258v. 56 Vgl. clm 18565, f. 259r: »stricta et coacta observantia«, f. 258v: »perfectam litterae observantiam statutorum«.

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Briefe, um von dort die rechte Befolgung der Regel, den »rigor observantiae«, zu erfahren. »Puto enim nos differe ab eis in multis et, quis sit iam verus monachus, in partibus nostris expertus non sum.«57 Diese Bemerkung verbindet er – als Mönch aus dem Reformzentrum Tegernsee und zu dieser Zeit bereits selbst als Visitator tätig – mit der Klage, dass er die vollkommene »reformacio« nie erfahren habe. »Quid sit perfecta reformacio, ego ipse penitus ignoro; volo tamen ac vehementer desidero verorum monachorum aliquando effici consors atque convivere et commori eisdem. Det Deus!« 58 Diese Notiz acht Jahre nach seinem Eintritt in Tegernsee vermittelt ein Bild von Bernhard als einem Menschen, der stets nach dem vollkommenen geistlichen Leben strebte und sich auf der Suche nach diesem Ideal zuerst den reformierten Augustinerchorherren, dann der strengeren Lebensweise der Benediktiner anschloss. Seine Haltung in den Unionsgesprächen zeigt, dass Bernhard die noch strenger geregelte Lebensweise in der Bursfelder Reform erstrebenswert fand. Seine Schriften spiegeln das Ideal eines Lebens in strengster Askese und vollkommener Kontemplation wider. Die Rezeption von Kartäuser-Schriften deutet ebenfalls darauf hin, dass Bernhard auf der Suche nach der vollkommenen, strengsten Lebensform war. Wohl auch diesem Eifer verdankte er die Bezeichnung als »zelosus«.59

2.1.4 Bernhard als Benediktiner in Tegernsee Am 8. Dezember 1447 legte Bernhard zusammen mit Konrad Airimschmalz, seinem späteren Abt,60 und Leonhard Egerer aus München die Profess in Tegernsee ab.61 Sind aus der Indersdorfer Zeit keine Schriften Bernhards erhalten, wurde er in Tegernsee zum produktiven Autor. Doch Bernhard wirkte nicht nur durch seine Schriften, sondern auch praktisch durch seine Reformtätigkeit und seine Bemühungen um eine Union der benediktinischen Reformbewegungen.

57 Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, nach dem 9. September 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 50, S. 166–171, hier: S. 168). 58 Ebd. 59 So Johannes Schlitpacher von Melk über Bernhard: »pater providus et zelosus« (Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio). Vgl. das Urteil Vansteenberghes über Bernhard, Vansteenberghe, Autour, S. 4: »C’est un optimiste, comme tous les ardents; et un enthousiaste, comme tous les optimistes ardents.« 60 Zu Konrad Airimschmalz vgl. Redlich, Tegernsee, S. 35–38; Lindner, Familia, S. 80 f. 61 Die Professpredigt für die drei Professen zu Mt 11,7 hielt Prior Johannes Keck, vgl. Sermo »Quid existis in desertum videre?« (clm 19606, f. 275).

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2.1.4.1 Bernhard als Prior Bereits 1452 wurde Bernhard zum Prior gewählt, und er übte dieses Amt dreizehn Jahre lang, bis 1465, unter den Äbten Kaspar Aindorffer und Konrad Airimschmalz aus.62 Als Prior und damit Stellvertreter des Abts hatte er nicht nur das regelgemäße Leben der Mönche zu überwachen und ggf. zu sanktionieren, sondern war auch für Chorgebet und Gottesdienst verantwortlich und wirkte als Beichtvater.63 Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Auslegung der Benediktsregel, der Consuetudines und der Bibel für seine Mitbrüder in den täglichen Kapitelansprachen sowie Predigten. Konventansprachen, Predigten und Professpredigten Bernhards aus seiner Zeit als Prior zeugen von seiner Tätigkeit.64 Erst als Prior begann Bernhard wohl, selbst Schriften zu verfassen. Seine erste datierbare Schrift, das Laudatorium doctae ignorantiae, entstand 1451/1452. 1454 nahm er die Korrespondenz mit Nikolaus von Kues auf. Offensichtlich hatte Bernhard als Prior die Freiheit und Pfl icht, sich auch nach außen als Vertreter der Tegernseer zu strittigen Fragen zu äußern und die Korrespondenz gemeinsam mit Abt Kaspar zu führen.65 Das Amt des Bibliothekars hatte Bernhard, anders als die Tegernseer Autoren Johannes Keck oder Konrad von Geisenfeld, nicht inne. Doch führte er als Prior die Aufsicht über Bücheranschaffungen und den Zugang der Brüder zur Bibliothek. Bernhards Briefwechsel mit Nikolaus von Kues zeigt, dass er für die Tegernseer Bibliothek Bücher abschreiben ließ, tauschte und von seinen Briefpartnern erbat.66 Der sich verschlechternde Gesundheitszustand Abt Kaspars führte zudem dazu, dass Bernhard den Konvent wohl bereits ab ca. 1453 nach außen vertrat, wenn aus Tegernsee Visitatoren und Gesprächspartner erbeten wurden.67

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Vgl. die Liste der Prioren des 15. Jahrhunderts bei Redlich, Tegernsee, S. 190 f. Vgl. zur Rolle des Priors nach den Forderungen der Melker Observanz NiederkornBruck, Die Melker Reform, S. 94–101. 64 Vgl. die Konventsansprachen aus den Jahren 1454 bis 1470 in clm 1470, clm 18591, clm 18987, clm 19857 (BSB München); zu den Ansprachen: Redlich, Tegernsee, S. 94. Vgl. die Edition einiger Professpredigten Bernhards bei Öhm, Profeßpredigten. 65 Vgl. zum vertrauten Verhältnis zwischen Bernhard und Kaspar Aindorffer exemplarisch den Nachruf Bernhards nach dem Tode Kaspars, Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 595– 600. Bereits zu Lebzeiten Kaspars bezeichnete Bernhard ihn in einem Brief als sein »alter ego«, Vgl. Brief Bernhards an Nikolaus von Kues, 12. April 1455 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 54, S. 174). 66 Vgl. Brief Bernhards an Nikolaus von Kues, vor dem 12. Februar 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 33, S. 112–119). 67 Vgl. Kaspars Klage über seine Gesundheit im Brief an Nikolaus von Kues, vor dem 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 35, S. 124): »deficiente et corporis valitudine prepediente«. 63

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2.1.4.2 Bernhard als Reformer und Visitator Ab 1453 führte ihn seine Reformtätigkeit in verschiedene Klöster und Bischofsstädte in den Kirchenprovinzen Salzburg und Mainz-Bamberg. Als Visitator war Bernhard vor allem im Auftrag des Cusanus tätig, so 1454 in Sonnenburg und St. Georgenberg.68 2.1.4.2.1 Als Visitator des Stifts Sonnenburg Im Herbst 1453 bat Nikolaus von Kues die Äbte von St. Peter in Salzburg, von Tegernsee und Stams darum, das Frauenstift Sonnenburg an der Rienz (Südtirol) in seinem Bistum Brixen zu visitieren. Abt Kaspar sandte Bernhard von Waging und Eberhard Stöcklin nach Sonnenburg, wo Cusanus am 29. November 1453 das Visitationsverfahren eröffnete und es nach seinem Besuch in Tegernsee zu einer erneuten persönlichen Begegnung mit Bernhard kam. Die Reformmaßnahmen wurden durch den heftigen Widerstand der Sonnenburger Äbtissin Verena von Stuben verschleppt und scheiterten schließlich.69 Noch 1455 bat Cusanus Bernhard aber erneut zum Abschluss der Verhandlungen über Sonnenburg nach Brixen,70 bevor im März 1456 im Brixner Vertrag mit Herzog Sigismund von Österreich die Äbtissin zur Resignation und die Nonnen zur Befolgung der Reformstatuten aufgefordert wurden.71 Nach der Visitation in Sonnenburg schreibt Bernhard in einem Brief an Cusanus, dass er bei den Nonnen und der Äbtissin weder guten Willen noch irgendeine Kenntnis von Klosterleben und Ordensregel erkenne. Er sagt das Scheitern der Reform voraus und empfiehlt, bereits reformierte Nonnen vom Nonnberg in Salzburg in den Konvent zu entsenden. Dieser Vorschlag entspricht dem üblichen Visitationsverfahren in der Melker Reform: Bereits reformierte Religiosen sollten das regelgemäße Leben im visitierten Kloster dauerhaft sichern.72 68 Ein Itinerar gehört zu den Desideraten der Forschung. Redlich, Tegernsee, S. 91 Anm. 2, nennt wichtige Orte, an denen Bernhard in den Jahren 1454 bis 1464 wirkte. 69 Zur Reform der Abtei Sonnenburg ausführlich und mit Zusammenfassung wichtiger Briefe aus clm 19697 Jäger, Der Streit des Cardinals Bd. 1, S. 44–73.90–96.122–168.182–191; Vansteenberghe, Le Cardinal, S. 146 f. Die heftige Kritik Jägers, S. 95, an der strengen Reformforderung und Haltung des Cusanus muss durch die inzwischen zusätzlich erschlossenen Quellen revidiert werden, vgl. Hallauer, Eine Visitation, S. 104–119. Vgl. Bernhards Visitationsbericht, die Acta visitationis et reformationis parthenonis S. Mariae Suneburgensis (zur Überlieferung: Höver, Art. Bernhard von Waging, VerLex 2 1 (1978), Sp. 780). 70 Vgl. Brief des Nikolaus von Kues an Bernhard von Waging, 13. Januar 1455 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 52, S. 172 f.). 71 Vgl. Brixner Vertrag, März 1456 (Baum/Senoner, Briefe 2, IV,1, S. 286–289). 72 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, vor dem 12. Februar 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 33, S. 112–119). Vgl. den Brief zw. 18. und 21. April 1454 (a.a.O., Nr. 41, S. 140 f.).

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Doch hält Bernhard offensichtlich die Entsendung von reformierten Nonnen für die Reform des Frauenklosters nicht für ausreichend. Er empfiehlt überdies die Bildung einer Mönchsgemeinschaft vor Ort, die die geistliche Leitung der Frauen übernehmen soll, was Cusanus ernsthaft umzusetzen versuchte.73 Der Vorschlag, einen oder mehrere männliche Religiosen mit der Betreuung der Nonnen zu beauftragen, entspricht genau der Tätigkeit, die Bernhard selbst ab 1467 für die Nonnen von Bergen im Bistum Eichstätt übernahm. Bernhards Vertrauen in die Fähigkeit von Frauenkonventen, ohne männliche Anleitung ein observantes Leben zu führen, war offensichtlich begrenzt. So betonte er noch vor dem Scheitern der Reform in Sonnenburg: »ubi eciam [. . .] mutare sexum, non ordinem, si foret possibile, sicut tunc suasi, ita et hodie, quia melius, simpliciter suadeo confidenter.«74 2.1.4.2.2 Als Visitator von St. Georgenberg Ebenfalls auf Bitte des Cusanus visitierte Bernhard im April 1454 zusammen mit Konrad von Geisenfeld das Kloster St. Georgenberg in Tirol.75 Auch diese Reform gelang nicht; die Benediktiner von St. Georgenberg verlangten andere Visitatoren.76 Für diesen Konvent forderte Bernhard briefl ich ebenfalls eine neue geistliche Leitung. Doch hielt er im Frühjahr 1454 das Gelingen der Reform dort aufgrund der Unterstützung des Landesherrn noch für möglich.77 In einem Brief Bernhards an Cusanus über die Reform in St. Georgenberg zeigt sich erneut sein von Cusanus abweichendes Verständnis von Reform. Während Cusanus wie in seiner Legationsreise 1451/52 eine einmalige Wiederherstellung der Observanz anstrebte, hielt Bernhard diese aufgrund seiner Erfahrung nicht für ausreichend. Er schlug Cusanus daher für St. Georgenberg eine regelmäßige Visitation alle drei Jahre vor sowie eine starke geistliche Leitung. »Oportet visitaciones huiusmodi [. . .] de trienno in 73 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, vor dem 12. Februar 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 33, S. 114). Vgl. die Antwort des Nikolaus von Kues an Bernhard, 18. März 1454 (a.a.O., Nr. 39, S. 134): »Non reperio consensum, si introducere velim viros.« 74 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, zwischen dem 12. Februar und 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 126–135, hier: S. 128). 75 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Abt Kaspar, 18. März 1454, mit Bitte um Mithilfe bei der Reform von Georgenberg und um Entsendung Bernhards und Konrads (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 37, S. 124–127). Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Bernhard, 4. April 1454 (a.a.O., Nr. 40, S. 138 f.). 76 Vgl. zur Visitation von St. Georgenberg Baum, Klagelieder über St. Georgenberg, S. 486–489; Jäger, Der Streit des Cardinals, S. 112–115; Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 190. 77 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, vor dem 12. Februar 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 33, S. 112–119).

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triennium generaliter continuari; ac eciam cultores simul et custodes per loca singula ponere«.78 Bernhards Erfahrung mit der cusanischen Reform in der Kirchenprovinz Salzburg führte ihn zu einem längerfristigen Reformdenken. Auch in St. Georgenberg lehnte Bernhard ausdrücklich eine Dispens vom Verbot des Fleischverzehrs ab.79 In Sonnenburg wie in St. Georgenberg war die Forderung der strengen Nahrungsaskese auch ein Grund für den heftigen Widerstand der Religiosen. Bernhards Verbitterung über die vergeblichen Reformbemühungen wird in seinen Klageliedern über St. Georgenberg spürbar, die er an Cusanus sandte.80 2.1.4.2.3 Weitere Reformtätigkeit Bernhards Erfolgreicher als die Reform im Bistum Brixen war die auf Aufforderung von Herzog Albrecht III. von Bayern erfolgte Gründung des Tegernseer Filialklosters Andechs im Jahr 1455, an der Bernhard zusammen mit Abt Kaspar und dem Indersdorfer Propst Johannes beteiligt war und das mit sieben Mönchen aus Tegernsee besiedelt wurde.81 Bernhard, der seit 1454 im Auftrag des Cusanus mit Herzog Albrecht auch über die Nachfolge für den Brixener Bischofsstuhl verhandelte, besuchte Andechs in der Fastenzeit 1455 anlässlich der Einweihung der Klosterkirche.82 Die gemeinsame Gründung von Andechs zeigt auch das wiederhergestellte gute Verhältnis zwischen Bernhard und dem Indersdorfer Propst Johannes. Im Auftrag des Augsburger Bischofs Petrus von Schaumberg visitierten Bernhard und Wilhelm Kienberger, inzwischen Abt von Scheyern, 1457 das Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg.83 Bereits 1441 war das Kloster durch Visitation der Melker Reform angeschlossen worden, doch hielt sich die Reform nicht. Bernhard und Wilhelm erwirkten die Resignation des Abts Johannes Höhensteiner und die Einsetzung von Melchior von Stamheim (1458–1474) zum neuen Abt, unter dem der Augsburger Konvent zum

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Ebd. (a.a.O., Nr. 33, S. 116). Vgl. die Briefe Bernhards an Nikolaus von Kues, April 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 41–42, S. 140–143). 80 Bernhard von Waging, Klagelieder über St. Georgenberg, clm 19697, f. 60r–61v (Nr. 155), ediert und übersetzt bei Baum, Klagelieder über St. Georgenberg, S. 489–493. 81 Vgl. Brief von Abt Kaspar Aindorffer an Nikolaus von Kues, vor dem 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 35, S. 120–125), und Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, vor dem 28. Juli 1455 (a.a.O., Nr. 56, S. 178–181). Bernhard klagt über den Weggang von sieben Brüdern. 82 Bernhard führte dort auch Gespräche mit dem Propst von Ilmmünster über die Besetzung des Bischofsstuhls. Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, 12. April 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 54, S. 174–177). 83 Vgl. die Carta visitationis vom 20. Juli 1457 (cgm 1586, f. 76r–78v), die u. a. von Bernhard verfasst wurde. Vgl. Redlich, Tegernsee, S. 164. 79

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schwäbischen Zentrum der Melker Reform wurde.84 Bernhard stand dem Konvent auch weiterhin als Ratgeber zur Seite, und aus Gesprächen mit den Augsburger Benediktinern ging u. a. seine Epistola zur Fleischabstinenz hervor. Im August 1457 war Bernhard mit der Visitation des Klosters Heiligenberg beauftragt worden, doch nach Widerständen des dortigen Abts lehnte Bernhard weitere Bemühungen im Dezember des Jahres ab.85 Auf Bitten des Eichstätter Bischofs Johann von Eych bemühte Bernhard sich dagegen ab 1459 um das regelgemäße Leben in der Nonnenabtei Bergen.86 Johann selbst hatte Bergen 1453 visitiert, konnte die Reform aber gegen den Widerstand der Äbtissin Elisabeth Steurer nicht durchsetzen. Erst mit der Visitation Bernhards und einer neuen Äbtissin, Barbara Ekkerin aus dem reformierten Kloster auf dem Nonnberg in Salzburg, hatte die Reform nach 1459 Erfolg, wovon auch die Gebetsverbrüderungen 1459 mit Tegernsee, 1464 mit Indersdorf zeugen. 87 Nach dem Tod Bischof Johanns († 1464) kümmerte sich Bernhard als Seelsorger und Beichtvater um die Nonnen und siedelte 1467 oder 1468 nach Bergen über.88 Von Bergen aus wirkte er noch an der Reform der Benediktinerinnen von Kühbach und Neuburg mit.89 In Bergen starb Bernhard am 2. August 147290 und liegt dort begraben.91 84 Zu Melchior von Stamheim (auch: Stammheim, Steinheim) vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 150–153. 85 Mit Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 145 f. 86 Bergen: heute Stadtteil von Neuburg an der Donau (Oberbayern). 87 Vgl. die Einladung Bischof Johanns von Eichstätt an Bernhard, 8. Dezember 1459, clm 19697, f. 127v (Nr. 307), und den Brief Bernhards an Bischof Johann über die erfolgte Visitation aus dem Jahr 1461, clm 19697, f. 132v (Nr. 315). Vgl. zur Reform in Bergen Seitz, Das Benediktinerinnenkloster Bergen, S. 16 f. Die Visitationsdokumente befi nden sich heute in Akte B 6 im Diözesanarchiv Eichstätt. 88 Das Jahr 1467 ist terminus post quem der Übersiedlung nach Bergen, da aus diesem Jahr noch Konventsansprachen von Bernhard in Tegernsee überliefert sind (vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779.786). Doch die an Bernhard gerichteten Briefe aus dem Jahr 1467 (vgl. clm 19697, f. 178r–180r (Nr. 382–385) besagen nicht zwingend, dass Bernhard sich noch das ganze Jahr 1467 in Tegernsee auf hielt. Die beiden datierten Briefe sind im Mai (Nr. 382) bzw. vor dem Sonntag Jubilate 1467 (Nr. 384) verfasst, also im Frühjahr 1467, so dass Bernhard in der zweiten Jahreshälfte 1467 noch nach Bergen hätte umsiedeln können. 89 Vgl. Redlich, Tegernsee, S. 113. 90 Vgl. Necrologium Tegernseense. MGH Necrol. 3 (1915), S. 136–157, hier: S. 148: »IV. non. 2. August 1472 Bernardus pbr., olim prior n. cg. 1472«. Aus dem Nekrolog und von Pez, der in der Bibliotheca ascetica 7, Praefatio (b5), ebenfalls »4. Nonas Augusti« als Sterbedatum nennt, übernehmen mit Recht Hilpisch, Art. Bernhard v. Waging, in: LThK 2 2 (1958), Sp. 250; Roßmann, Art. Bernhard von Waging, in: LMA 1 (1980), Sp. 2004, und Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779, den 2. August 1472 als Todestag. Die Angabe von Westermayer, Art. Bernhard v. Waging, in: ADB 2 (1875), S. 456: »10. August 1472«, ist vermutlich ein Rechenfehler. 91 Vgl. Klosterliteralie Indersdorf 1, f. 62 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv München).

2.1 Zur Person Bernhards von Waging

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Bernhards Engagement für die Reform der Klöster dauerte lebenslang, und er vertrat inhaltlich in allen Visitationen die Melker Reform, wie er sie in Tegernsee erlebte und als Prior gestaltete. Parallel zu seiner Visitationstätigkeit trat Bernhard aktiv für eine Vereinheitlichung der Melker Observanz ein und führte Unionsverhandlungen mit den Vertretern der beiden anderen deutschsprachigen benediktinischen Reformbewegungen von Kastl und Bursfelde.

2.1.5 Bernhards Wirken für die Union Auf dem Konzil von Basel zeigten sich die Unterschiede zwischen den drei benediktinischen Observanzen von Melk, Kastl und Bursfelde. In der Folge kam es zu Gesprächen einerseits über eine Union zwischen den Reformbewegungen, andererseits über die Vereinheitlichung der Melker Observanz und eine Verbandsbildung.92 Beide Ziele wurden nicht getrennt verfolgt, sondern die Gespräche zu »conformitas et unitas« 93 verliefen in den Jahren 1455 bis 1472 parallel. Der »entscheidende Anstoß und Aufruf« 94 zu diesen Gesprächen ging von Tegernsee aus, und Bernhard war von 1456 bis zur Übersiedlung nach Bergen 1467/68 ein wichtiger Akteur in diesen Gesprächen.95 Denn er setzte sich für die Vereinheitlichung der Consuetudines in den Klöstern der Melker Reform und für die benediktinische Union in der Salzburger Provinz, aber auch in der Provinz Mainz-Bamberg ein. 2.1.5.1 Die Gespräche in der Salzburger Provinz Da das Kloster Tegernsee zur Salzburger Kirchenprovinz gehörte, begannen Bernhard und Abt Kaspar ihre Bemühungen mit einem Schreiben an den Kanzler des Salzburger Erzbischofs. Über Bernhard sandte Abt Kaspar im März 1456 ein Schreiben an Kanzler Bernhard von Kraiburg, mit dem Bernhard von Waging bereits persönlich bekannt war. Konkreter Anlass des Schreibens war die im April 1456 geplante Provinzialsynode, an der Kaspar nicht teilnehmen konnte, für die er aber den Wunsch nach regelmäßigen Provinzialkapiteln sowie nach einer Vereinheitlichung von Kleidung, Con92 Vgl. zu den Unionsbemühungen Molitor, Aus der Rechtsgeschichte 2, S. 1–36; Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 178–194; Maier, Ursprung und Ausbreitung, S. 180–194. 93 Vgl. die Avisamenta Bernhards an Erzbischof Burkhard von Salzburg, 1464, clm 19697, f. 64r–165v (Nr. 359), gedruckt bei Redlich, Tegernsee, S. 205–211, hier: S. 209. 94 Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 178. 95 Für die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Observanz und Union sind die Briefe in der Brief handschrift clm 19697 (BSB München) eine wichtige Quelle, die im Folgenden ausgewertet wird, jedoch immer nur Notizen zu Bernhards Beteiligung an den Unions- und Observanzgesprächen bieten. Einige dieser Briefe sind ediert bei Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 581–584.603–609.618–628.

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2 Bernhard von Waging als Benediktiner, Visitator und Autor der Melker Reform

suetudines und Liturgie ausdrückte. Kaspar regte zudem an, über eine Union mit den Bursfeldern nachzudenken.96 Dieser Gedankenanstoß aus Tegernsee stieß in den Klöstern des Melker Reformkreises auf positive Resonanz, besonders in Melk, Wiblingen und St. Ulrich in Augsburg, wovon der Briefwechsel zwischen 1456 und 1460 zeugt.97 Martin von Senging aus Melk wurde 1456/57 nach Bursfelde gesandt, um die Bursfelder Observanz vor Ort kennenzulernen. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands Abt Kaspars war es Bernhard, der für die Tegernseer die Unionsgespräche führte. Johannes Hausheimer, Abt von Melk (1453–1474),98 unterrichtete Abt Kaspar mehrmals brieflich über den Stand der Unionsverhandlungen und bat ihn 1459, Vertreter aus Tegernsee, darunter den »Dominus Prior« zu entsenden.99 Abt Kaspar kam diesem Wunsch nach, und Bernhard war wohl im Februar 1460 zu Gesprächen in Melk. Denn in einem Brief vom 26. Februar 1460 lobt der Melker Abt die Bemühungen Bernhards um die Union ausdrücklich: »diligenter ad hoc egit et se occupat, uti id ore ad os et scriptis ostendere, ac de cunctis copiose eandem informare poterit.«100 Kaspar verwies in seiner Antwort vom Mai des Jahres darauf, dass der Prior alles Weitere mündlich ergänzen könne,101 so dass Bernhard wohl 1460 noch einmal in Melk war. Mit dem Tod Kaspars im Januar 1461 und den schwierigen politischen Verhältnissen in Bayern und Österreich scheinen die Gespräche ins Stocken geraten zu sein. 2.1.5.2 Die Gespräche in der Mainzer Provinz Doch Bernhard führte auch mit den Bursfelder Vertretern der Mainzer Provinz Unionsgespräche und nahm am Kapitel der Provinz Mainz-Bamberg 1459 in Nürnberg teil.102 Dort wurden Pläne des Papstes bekannt, die drei benediktinischen Observanzen der Mainzer Provinz zu unieren. An den folgenden Verhandlungen in der Kirchenprovinz Mainz-Bamberg nahm Bernhard auf dringenden Wunsch des Abts Melchior von St. Ulrich und Afra teil. 96 Vgl. clm 19697, f. 85r–v (Nr. 210), Brief Abt Kaspars an Bernhard von Kraiburg; zur Provinzialsynode vgl. clm 19697, f. 87r–88v (Nr. 213–217). 97 Vgl. Briefwechsel zwischen Kaspar Aindorffer und Melchior von Stamheim aus St. Ulrich und Afra in Augsburg (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 581–628). 98 Zu Johannes Hausheimer vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 158–161. 99 Brief von Johannes Hausheimer an Kaspar Aindorffer, 16. Oktober 1459 (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 581–583). 100 Brief von Johannes Hausheimer an Kaspar Aindorffer, 26. Februar 1460, vgl. clm 19697, f. 110r–110v (Nr. 278) (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 583 f.). 101 »Sufficiant nun ista de his. Nam Prior noster reliqua supplebit.« Brief von Kaspar Aindorffer an Johannes Hausheimer, 13. Mai 1460 (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 586–588). 102 Vgl. zu den Kapiteln in der Provinz Mainz-Bamberg Zeller, Die Liste der Benediktiner-Ordenskapitel, S. 184–195.

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Im Frühjahr 1461 trafen sich Vertreter der drei Reformrichtungen in Nürnberg zu Unionsgesprächen.103 Was in diesen Gesprächen zur Liturgie erarbeitet wurde, sollte anschließend festgehalten werden, und Bernhard wurde wohl bereits 1461 mit der schriftlichen Formulierung und Angleichung der in Nürnberg festgestellten Unterschiede betraut.104 Auf Bitten der Vertreter der drei Observanzen beauftragte Papst Pius II. am 3. November 1461 Bischof Johann von Eichstätt mit der Union der drei benediktinischen Observanzen von Melk, Kastl und Bursfelde in der Mainzer Provinz.105 Im Verlauf des Jahres 1462 schlossen sich aufgrund der starren Haltung der Bursfelder die Melker und Kastler Reformer zusammen, so dass die Unionsgespräche nun zwischen zwei Parteien geführt wurden. Abt Melchior von St. Ulrich und Afra bat im Dezember 1462 wiederholt Bernhard nach Augsburg zur Formulierung der 1461 in Nürnberg erarbeiteten Einigungspunkte. Bernhard hielt sich im Winter 1462/63 in Augsburg auf und reiste von dort zusammen mit Abt Melchior im Februar 1463 zum Provinzialkapitel nach Nürnberg, an dem die Bursfelder jedoch nicht teilnahmen.106 Von der Nürnberger Versammlung wurde Bernhard erneut beauftragt, die Übereinkünfte und Differenzen festzuhalten und einen Liber unius observantiae auszuarbeiten, was er im Frühjahr 1463 in Augsburg tat. Bernhard berichtete seinem Abt Konrad in einem Brief vom 22. März 1463 über seinen Auftrag und die bisherigen Gespräche in Nürnberg.107 Darin kommentiert er die Bursfelder Verhandlungspartner und bezeichnet sie als hart, gebildet, listig, fromm und vor allem als stolz auf ihre Observanz. »Bursfeldenes sunt duri, [. . .] Verumtamen, quia docti, astuti et gnari, ymmo et religiosi ac zelosi timendum est, quod non penitus quiescent, nam suas observancias nimis extollunt«.108 Bernhards Kommentar benennt das Problem der Unionsgespräche. Die Bursfelder Vertreter wurden von der Melk-Kastler Gruppe wegen ihrer Observanz respektiert. Die Intention der Bursfelder, nur die eigene Observanz gelten zu lassen und für alle als verbindlich durchzusetzen, stieß jedoch auf Kritik. 103

Vgl. Molitor, Aus der Rechtsgeschichte 2, S. 5 f. Vgl. Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 182 f. 105 Vgl. die Bulle Inter nostri cordis archana des Papstes Pius II. vom 3. November 1461, vgl. Schmitz, Geschichte des Benediktinerordens 3, S. 186; Bruck, Profeßbuch, S. 163; Molitor, Aus der Rechtsgeschichte 2, S. 6–8. Vgl. zu den Provinzialkapiteln von Mainz-Bamberg Maier, Die Epoche der General- und Provinzialkapitel, S. 209–224. 106 Vgl. zum Ergebnis der Nürnberger Versammlung die Copia recessus Nuremberge (1463), clm 19697, f. 151v–152r (Nr. 332). Zeller, Die Liste der Benediktiner-Ordenskapitel, S. 188, nennt dieses Kapitel nicht. 107 Vgl. clm 19697, f. 152v–153r (Nr. 337), Brief Bernhards in Augsburg an Konrad Airimschmalz in Tegernsee, 22. März 1463 (Redlich, Tegernsee, S. 203–205). 108 Brief Bernhards in Augsburg an Konrad Airimschmalz, 22. März 1463, clm 19697, f. 153r (Redlich, Tegernsee, S. 204). 104

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2 Bernhard von Waging als Benediktiner, Visitator und Autor der Melker Reform

Abt Melchior erbat im Juli 1463 erneut Bernhards Mitwirkung an Gesprächen, an der Vorbereitung des nächsten Provinzialkapitels in Würzburg und bei der Werbung für eine Union mit den Bursfeldern in der Provinz Salzburg.109 Nachdem Bernhard Ende August 1463 nach Tegernsee zurückgekehrt war, berichtete Abt Melchior Ende des Jahres, dass er vom Eichstätter Bischof erfahren habe, dass die Bursfelder vom Papst das Privileg erhalten hätten, alle deutschen Abteien zu visitieren. Die Unionsgespräche gewannen damit neue Dringlichkeit, und Melchior forderte Bernhard erneut auf, nach Augsburg zu kommen.110 2.1.5.3 Getrennte Wege in den Provinzen Bernhard bemühte sich darum, auch in der Salzburger Kirchenprovinz die Gespräche über die Vereinheitlichung der Melker Observanz und die Union fortzusetzen. Der Melker Abt lud Bernhard auf Juli 1464 zu einem Kapitel nach Krems ein.111 Abt Konrad von Tegernsee kündigte jedoch an, Bernhard stattdessen im Herbst nach Melk schicken zu wollen.112 Aufgrund der Kriegswirren 1464 in Österreich trat Bernhard die für den Herbst geplante Reise nach Melk nicht an, sandte aber im Laufe des Jahres 1464 Vorschläge an den Salzburger Erzbischof Burkhard zur Reform und Union. In diesen Avisamenta berichtet er vom Stand der Gespräche in der Mainzer Provinz und wirbt darum, dass auch die Klöster der Salzburger Provinz sich diesen Bemühungen um eine Vereinheitlichung von Leben und Bräuchen anschließen. Zudem betont er die Notwendigkeit von regelmäßigen Generalkapiteln.113 Auch die Melker bemühten sich um Unionsgespräche in der Salzburger Provinz, und der Melker Abt bat im Dezember 1464 erneut um die Teilnahme Bernhards an Gesprächen zur Union und zur Vereinheitlichung der Bräuche (negotio unionis et conformitatis).114 Denn Bernhard und der Tegernseer Abt waren das Verbindungsglied zwischen den Klöstern der Melker Reform in beiden Kirchenprovinzen. 109 Vgl. Brief von Melchior von Stamheim (vermutlich) an den Tegernseer Abt Konrad Airimschmalz, Juli 1463, clm 19697, f. 156r–v (Nr. 343). 110 Vgl. Brief von Melchior von Stamheim an Bernhard von Waging, Ende Dezember 1463/Anfang Januar 1464, clm 19697, f. 152r (Nr. 333). 111 Vgl. die Briefe des Melker Abts Johannes Hausheimer vom 2. Juli 1464: clm 19697, f. 161r (Nr. 348) und f. 161v (Nr. 349). 112 Vgl. die Briefe Bernhards (clm 19697, f. 162r, Nr. 351) und Abt Konrads (f. 161v–162r, Nr. 350) an den Melker Abt Johannes Hausheimer vom 13. Juli 1464. 113 Vgl. Avisamenta, Bernhard von Waging an Erzbischof Burkhard von Salzburg, 1464, clm 19697, f. 164r–165v (Nr. 359) (Redlich, Tegernsee, S. 205–211). A.a.O., S. 206: »quatinus sic vite morumque conformitas, conformitatem similiter parent animorum ac insuper professionum non dispares in observanciis non dissimiles haberentur.« 114 Vgl. Brief von Johannes Hausheimer an Konrad Airimschmalz, 27. Dezember 1464 (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 603 f.).

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Doch die politisch instabilen Verhältnisse in Österreich führten dazu, dass sich die Reformbemühungen im Jahr 1464 in der Mainzer Provinz verselbständigten und Abt Melchior von Augsburg intensive Gespräche mit den Bursfeldern aufnahm. Am 11. Juni 1464 trafen sich die Vertreter der Melker und Kastler Observanz der Provinz Mainz-Bamberg zu Gesprächen in Augsburg und luden auf den 1. August 1464 die Bursfelder dorthin ein.115 Der Augsburger Abt Melchior bat im November 1464 und Februar 1465 den Tegernseer Abt Konrad ausdrücklich um die erneute Entsendung Bernhards.116 Konrad schickte Bernhard offensichtlich noch Ende 1464 nach Augsburg, da er im Februar 1465 bereits von dessen Rückkehr berichtet. In diesem Brief erwähnt Konrad auch, dass er einen anderen Tegernseer Bruder nach Österreich und Melk gesandt habe. Doch lässt der Brief auch seine Frustration über die bisher vergeblichen Gespräche in der Salzburger Provinz erkennen. Konrads Urteil über die Gespräche: »Hoc autem refert quod non male nec peius sed pessime res agitur«.117 Melchior und an seiner Seite Bernhard erzielten 1465 Fortschritte hinsichtlich einer Union mit den Bursfeldern. Doch kam es 1465 zum Bruch zwischen den Klöstern der Melker Reform in den beiden Provinzen: Denn die Benediktiner von Melk waren der Meinung, dass die Unterschiede zwischen der Melker und der Bursfelder Observanz zu groß für eine Einigung seien und der Augsburger Abt den Bursfelder Reformern in den Gesprächen zu weit entgegenkomme. Sie forderten, dass der Salzburger Bischof die Unionsbemühungen leite.118 In diesem Wunsch wird eine gewisse Gekränktheit der Melker spürbar. Denn die Vertreter der süddeutschen Reformklöster in Augsburg und Tegernsee führten die Konformitäts- und Unionsgespräche, auch aufgrund der politischen Situation in Österreich, sehr selbstbewusst und selbständig.

115 Zeller, Die Liste der Benediktiner-Ordenskapitel, S. 188, kennt für das Jahr 1464 nur ein Kapitel vom 22. April 1464 in Würzburg und ein außerordentliches Kapitel am 7. November 1464 in Bamberg (Michelsberg) unter dem Vorsitz des Melchior von Stamheim. 116 Briefe von Melchior von Stamheim an Abt Konrad Airimschmalz, 25. November 1464, clm 19697, f. 169v–170r (Nr. 368), und 22. Februar 1465, clm 19697, f. 170r (Nr. 371). Vgl. Brief von Konrad Airimschmalz an Melchior »de negotio Unionis et Conformitatis in regulari Observantia Monasteriorum Benedictinorum in Germania«, 8. November 1464 (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 605–609). 117 Brief von Konrad Airimschmalz an Melchior von Stamheim, 16. Februar 1465, clm 19697, f. 169v–170r (Nr. 370), hier: f. 170r. 118 Vgl. Brief von Johannes Hausheimer an Konrad Airimschmalz, 25. Januar 1465, clm 19697, f. 173r–v (Nr. 375) (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 619 f.); an Melchior von Stamheim, 25. Januar 1465, clm 19697, f. 173v–174r (Nr. 376) (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 621– 628, hier: S. 623).

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2 Bernhard von Waging als Benediktiner, Visitator und Autor der Melker Reform

2.1.5.4 Die benediktinische Union in der Provinz Mainz Am Sonntag Jubilate 1465 schlossen die Vertreter der verschiedenen Reformrichtungen, darunter die Äbte und Vertreter aus Bursfelde, Wiblingen, Elchingen und St. Jakob in Mainz, im Kloster St. Aegidius in Nürnberg eine Union der benediktinischen Klöster der Mainzer Provinz, die allerdings, wie von den Melkern befürchtet, der Bursfelder Observanz folgte.119 Bernhard selbst war maßgeblich am Zustandekommen dieser Union beteiligt. Verschiedene Äbte der Mainzer Provinz sprachen ihm Dank aus und erbaten zugleich seine Mithilfe bei der Vorbereitung des nächsten Provinzialkapitels.120 Bernhard blieb noch bis mindestens Ende Oktober 1465 in Augsburg.121 Doch war die Situation für Bernhard nicht unproblematisch: Sein Konvent Tegernsee gehörte nicht zu den unierten Klöstern der Mainzer Provinz, und die Gespräche zur Union wie auch zur Vereinheitlichung der Melker Observanz machten in der Salzburger Provinz keine Fortschritte. Da Bernhard an den erfolgreichen Unionsgesprächen entscheidend beteiligt war und er vieles in der Bursfelder Reform als vorbildlich ansah, ist davon auszugehen, dass ihn die zögerliche Haltung Melks und der Klöster der Salzburger Diözese persönlich traf. Bernhard nahm noch am Kapitel der Provinz Mainz-Bamberg am 19. April 1467 teil, und auch hier wurde ihm ausdrücklich Dank gezollt.122 Das Kapitel verabschiedete ein Schreiben an die Äbte der Salzburger Provinz mit der Aufforderung zur Union. Doch können die Unionsbemühungen in der Salzburger Provinz ab 1467 als gescheitert betrachtet werden. Das Festhalten der Bursfelder an ihrer Observanz, die politische Lage in Österreich und die Uneinigkeit innerhalb des Melker Reformkreises führten zum Abbruch der Unionsbemühungen. Bernhard zog sich 1467/68 nach Bergen zurück und nahm nicht mehr an Gesprächen zur Union teil. Seine jahrelangen Bemühungen trugen für seinen Heimatkonvent Tegernsee und das Kloster Melk kaum Frucht.123 Doch 119

Vgl. die Übereinkunft: clm 19697, f. 177r–v (Nr. 381). Vgl. Brief vom Mai 1465 von Abt Paulus von Elchingen an Abt Konrad Airimschmalz, clm 19697, f. 178r–v (Nr. 382). Paulus dankt ausdrücklich für die Tätigkeit Bernhards (»laudem exinde plurimam apud patres qui illic fuere obtinuit«) und bittet um weitere Mithilfe Bernhards. 121 Vgl. Brief Ulrichs von Landau an Johannes Schlitpacher von Melk, 28. Oktober 1465, nach cod. Mell. 424, f. 248v, gedruckt bei Redlich, Tegernsee, S. 210 f., hier: S. 210: »Pater meus Bernardus iam moratur in Augusta cum domino abbate Sci Udalrici tractans de negocio uniformitatis ordinis nostri«. 122 »interfuit pater Bernhardus tractatibus et actibus singulis sicuti unus ex nostrum«, Brief von Abt Melchior von Stamheim an Abt Konrad Airimschmalz, 1467, clm 19697, f. 178v179r (Nr. 383). Vgl. den Dank verschiedener Äbte in einem Brief an Konrad Airimschmalz, Frühjahr 1467, clm 19697, f. 179r–v (Nr. 384) (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 626–628). 123 Vgl. Redlich, Tegernsee, S. 113, der urteilt: »Aber ein Erfolg dieses Mißerfolges ist 120

2.2 Bernhards Schriften

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wurden zumindest die Gespräche über die Vereinheitlichung der Melker Observanz fortgesetzt, allerdings ohne Beteiligung Bernhards. Am 28. August 1470 berieten in Salzburg 17 Äbte und 9 Prioren der Diözesen Salzburg, Passau, Freising, Konstanz, Augsburg und Brixen über die conformitas innerhalb der Melker Observanz.124 Das Kapitel verständigte sich auf eine liturgische Vereinheitlichung sowie das regelmäßige Abhalten von Provinzialkapiteln alle drei Jahre, doch wurde eine Vereinheitlichung der Bräuche nicht mehr angestrebt. Auf der beschlussfassenden Versammlung am 1. September 1471 in Passau wurden einige Artikel angenommen. Das Kapitel in Lambach am 20. April 1472 scheiterte, da mit nur vier anwesenden Vertretern, darunter ein Vertreter aus Tegernsee, keine Beschlussfähigkeit gegeben war. Mit dem Lambacher Kapitel wurden auch die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Melker Observanz vorläufig aufgegeben.125 Bernhards Beteiligung an den Gesprächen über eine einheitliche Melker Observanz und um eine Union der benediktinischen Reformbewegungen führte dazu, dass er sich mehrere Jahre lang mit den Unterschieden der Observanzen beschäftigte. Das spiegelt sich in seinen Schriften wider, von denen viele parallel zu den Gesprächen zwischen 1455 und 1465 entstanden.

2.2 Bernhards Schriften Bernhards Tätigkeit als Prior und Visitator sowie Gespräche zur Konformität der Observanz und zur benediktinischen Union bilden den Hintergrund für seine Schriften und waren oft Anlass ihrer Entstehung. Zahlreiche lateinische Schriften können Bernhard gesichert zugeschrieben werden.

2.2.1 Der Umfang seines Werks Die erste Zusammenstellung der Schriften Bernhards fi ndet sich im alphabetisch angelegten Bibliothekskatalog von Tegernsee, den der Bibliothekar Ambrosius Schwerzenbeck 1483 begann. Darin werden Bernhard 24 Titel zugeschrieben, darunter auch Sermones und Exzerpta.126 Die im Bibliodoch sichtbar geworden: eine Ausweitung des Geistes und der Beziehungen. Auch die schwäbischen Abteien traten nun mit Tegernsee in Verbindung.« 124 Vgl. Molitor, Aus der Rechtsgeschichte 2, S. 14–16. 125 Vgl. zur Fortführung der Unionsbemühungen Molitor, Aus der Rechtsgeschichte 2, S. 17–31. 126 Vgl. clm 1925, f. 20v (BSB München) (vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 773 f.). In Schwerzenbecks Liste haben alle Schriften Bernhards die Signatur H oder J; aus dem Vergleich mit den Signaturen anderer Autoren lässt sich schließen, dass die H-Signaturen für Schriften, die das benediktinische Mönchsleben und die Regelauslegung behandeln, vergeben wurden, während die eher theoretisch-spekulativen Schriften zur mystischen

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2 Bernhard von Waging als Benediktiner, Visitator und Autor der Melker Reform

thekskatalog ohne Entstehungsdatum genannten Schriften gelten heute noch als Schriften Bernhards, wobei einige Titel, die Schwerzenbeck als selbständige Schriften anführt, als Teile von Bernhards umfangreichen Traktaten zu identifizieren sind. Gegenüber dem Katalog von Schwerzenbeck bietet das zweite Werkverzeichnis von Pez (1724) weitere Titel, die Bernhard zugeschrieben werden. Der Kernbestand der Schriften im Tegernseer Bibliothekskatalog und bei Pez ist identisch. Pez nimmt einige weitere Schriften auf, die er selbst nicht vor Ort einsehen konnte, sondern die er aus den Informationen, die ihm der Tegernseer Pater Alphonsus Hueber zukommen ließ, ergänzte.127 Nur zwei dieser Schriften, der Bericht über die Visitation im Kloster Sonnenburg (Acta visitationis) sowie die Schrift De forma servanda in excommunicando stammen nachweislich von Bernhard.128 Zu diesen größeren Schriften müssen Briefe und Predigten Bernhards ergänzt werden.

2.2.2 Schriften Bernhards in chronologischem Überblick Bernhards Schriften, die heute noch überliefert sind, sind Gelegenheitsschriften. Eine konkrete Anfrage aus einem Kloster, durch einen Streit ausgelöste Fragen oder ein briefl icher Disput über ein Thema, dem Bernhard entscheidende Bedeutung für das monastische Leben zumaß, waren Anlass für einen Brief oder einen Traktat Bernhards. Obwohl seine Schriften aus einer konkreten Situation heraus entstanden, verbreiteten sie sich über den Entstehungskontext hinaus, vor allem in den Klöstern der Melker Reform. Der chronologische Überblick zeigt den Gelegenheitscharakter seiner Schriften, aber auch die Vielfalt der Themen, die Bernhard behandelte. Als erste überlieferte Schrift verfasste Bernhard nach der Lektüre von De docta ignorantia des Nikolaus von Kues 1451/52 ein Lob dieser Schrift, das Laudatorium doctae ignorantiae.129 Während sich diese Schrift mit dem theologischen Problem der Gotteserkenntnis befasst, ist seine chronologisch nächste Schrift ein direkt aus der Reformtätigkeit hervorgehender Sachtext. Im Anschluss an die Visitation des Klosters Sonnenburg formulierte Bernhard, Theologie (vgl. auch die Signaturen bei Dionysius Areopagita, a.a.O., S. 777 f.) und Anleitungen zu liturgischen Fragen, wie z. B. zur Messe (vgl. das Messformular des Johannes Schlitpacher, S. 804 f.) die Signatur J erhielten. Manche Schriften sind mehrfach und unter verschiedenen Signaturen vorhanden, so z. B. Bernhards Laudatorium doctae ignorantiae und Defensorium doctae ignorantiae. Vgl. den tabellarischen Überblick über die Schriften Bernhards nach den verschiedenen Werkverzeichnissen im Anhang. 127 Vgl. Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio, Nr. 22–36. 128 Vgl. die Zusammenstellung bei Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779–789, mit Verzeichnis der überlieferten Handschriften. 129 Das Laudatorium ist heute noch in der BSB München und in der SB Melk in sieben Handschriften überliefert. Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779 f.

2.2 Bernhards Schriften

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zusammen mit seinen Mitvisitatoren, 1455 den Visitationsbericht, die Acta visitationis et reformationis parthenonis S. Mariae Suneburgensis.130 Sowohl bei Bernhards Visitation in Sonnenburg als auch in St. Georgenberg war die strenge Abstinenz vom Fleisch ein Streitpunkt. Diesem Thema widmete Bernhard sich in mehreren Schriften. 1456 schrieb er die Epistola seu tractatus contra illicitum carnium esum monachorum ordinis S. Benedicti für Bruder Martin Imler im Kloster Wiblingen.131 Auf diese Schrift reagierte Johannes Schlitpacher aus Melk mit einigen Einwänden,132 die Bernhard mit einer nicht mehr erhaltenen Responsio beantwortete.133 Ebenfalls Bernhard zugeschrieben wird auch ein nicht datierbarer Dialog zwischen einem Magister und seinem Schüler über die Fleischabstinenz.134 Noch vor seiner Visitation des Klosters St. Ulrich und Afra in Augsburg schrieb Bernhard wohl 1456 für die Augsburger Mönche die Schrift De materia eucharistiae sacramenti tractatus epistolaris über das rechte Verständnis der Eucharistie.135 In der Tradition der Ars-moriendi-Schriften steht Bernhards Tractatus de morte necnon de praeparatione ad mortem seu speculum mortis, den er um 1458 ohne überlieferten Entstehungsanlass verfasste.136 Die zeitgenössische Kontroverse um die mystische Theologie veranlasste Bernhard, 1459 zwei Schriften, das Defensorium Laudatorii137 und eine Schrift 130 Zur Überlieferung: Höver, Art. Bernhard von Waging, VerLex 2 1 (1978), Sp. 780. Vgl. Jäger, Der Streit des Cardinals, Bd. 1, S. 131–135; Hallauer, Eine Visitation, S. 104– 125. 131 Die Epistola ist mit rund 13 erhaltenen Handschriften vermutlich eine der verbreitetsten Schriften Bernhards gewesen. Lindner, Familia, S. 89, nennt einen Teil dieser Epistola, die Lamentationes et threni super excidio ac desolatione conversationis et vitae monasticae, als separate Schrift. 132 Vgl. cod. 960, p. 405 f. (SB Melk), Brief des Johannes Schlitpacher an Bernhard von Waging, 27. August 1458. Von Schlitpacher stammt vermutlich auch die kurze Zusammenfassung der Thesen Bernhards und der Einwände in der Brevis confirmatio conclusionum in tractatu contra illicitum carnium esum (cod. 960, p. 404, SB Melk). 133 Responsio ad quaedam argumenta contra aliqua dicta in quaestione de esu carnium monachorum O. S.B., genannt bei Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio Nr. 2. 134 Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae S. Benedicti fortium et sanorum, in 4 Handschriften erhalten, vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 781. 135 Die Schrift De materia eucharistiae ist in fünf Abschriften erhalten; zur Entstehung vgl. Redlich, Tegernsee, S. 109. 136 Der Tractatus de morte necnon de praeparatione ad mortem seu speculum mortis ist heute noch in sechs Abschriften erhalten; vgl. zur Datierung Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio, Nr. 5, der eine heute verschollene Melker Handschrift mit diesem Traktat aus dem Jahr 1458 nennt; wohl Pez folgend, dieselbe Datierung bei Rudolf, Ars moriendi, S. 92. Rudolf, a.a.O., S. 92–95, bietet eine Zusammenfassung der Schrift. »Waging hat in seinem Sterbebuch sozusagen alles, was von den Theologen des Mittelalters, besonders der Wiener Schule, über den Tod und über die Kunst des heilsamen Lebens und Sterbens geschrieben worden war, gesammelt und mit einer ausgebreiteten Kenntnis der Hl. Schrift und der Väterliteratur zu einem umfangreichen Traktat verarbeitet.« (S. 94 f.). 137 Heute noch in drei Handschriften in der Staatsbibliothek München überliefert; die

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über die Gotteserkenntnis (De cognoscendo Deum) zu schreiben.138 In beiden Schriften setzt er sich mit den Thesen seines Kontrahenten Vinzenz von Aggsbach zur mystischen Erfahrung auseinander. Aus Bernhards Kontakten mit Bischof Johann von Eych gingen in den Jahren 1461 bis zu Johanns Tod 1464 mehrere Schriften hervor. 1461 verfasste Bernhard das Consolatorium seu remediarium tribulatorum, eine Schrift aus der Gattung der mittelalterlichen Trostbücher, die er Johann von Eych widmete.139 Nach seiner Visitation im Kloster Bergen widmete Bernhard der neu eingesetzten Äbtissin Barbara die ebenfalls 1461 geschriebene Abhandlung über die Weihe der Nonnen (Tractatus de consecratione monialium), in der Bernhard die Jungfräulichkeit als asketische Tugend darlegt.140 Auf ausdrückliche Bitte Johanns schrieb Bernhard 1461/62 eine vierteilige Anleitung zur Messfeier, das Ordinarium missae practicum.141 Mit Bischof Johann führte Bernhard in den Jahren 1462 und 1463 schließlich einen Schriftwechsel zur vita contemplativa. Bernhard verteidigte 1462 das kontemplative Leben in seinem Speculum seu monitorium pastorum et animarum rectorum. Auf Johanns Einwände reagierte er 1463 mit seiner Schrift Defensorium speculi pastorum.142 Die Auslegung eines Abschnitts der Benediktsregel (Declaratio huius passus regulae S. Benedicti),143 richtete er nach 1461 an seinen Abt Konrad Airimschmalz. Sein Confessionale144 sowie eine kurze Abhandlung zur Exkommuzwei bezeugten Abschriften in Melk sind nicht mehr auffi ndbar. Ediert bei Vansteenberghe, Autour, S. 169–188. 138 Der Traktat ist heute noch in mindestens sechs Handschriften überliefert; eine vollständige Edition ist ein Desiderat. Kapitel 9 gedruckt bei Grabmann, Die Erklärung des Bernhard von Waging, S. 125–135; Kapitel 1–3 bei Riemann, De cognoscendo Deum, S. 121–160. 139 Heute noch in vier Handschriften erhalten. Vgl. Auer, Johannes von Dambach, S. 310–314. Zur Abhängigkeit der Trostbücher des 15. Jahrhunderts von Johannes Gerson vgl. die Monographie von Grosse, Heilsungewißheit und Scrupulositas, der allerdings die Schriften Bernhards nicht behandelt, da er sich auf im Druck erschienene Quellen beschränkt. Doch gilt diese Abhängigkeit von Gerson auch für Bernhards Consolatorium. 140 Mit dem Kurztitel Tractatus de consecratione monialium fasst der Tegernseer Bibliothekar Ambrosius Schwerzenbeck den Inhalt der Schrift zusammen, die in den drei in München erhaltenen Handschriften unter dem Langtitel Exhortatio commendatoria simul quod ad bonum initiatoria eius, cui ista scripta specialiter sunt facta überliefert ist. Zum Inhalt der Schrift Grabmann, Bernhard von Waging, S. 95. 141 Die Schrift ist in Auszügen in zahlreichen Handschriften überliefert. Vgl. zum Inhalt Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, S. 567–577; Grabmann, Bernhard von Waging, S. 94. 142 Die in mehreren Handschriften überlieferten Schriften Bernhards wie der Brief Johanns von Eych sind ediert und kommentiert bei Riemann, Der Briefwechsel, S. 1–313. 143 Declaratio huius passus regulae S. Benedicti In Omnibus omnes magistram sequatur regulam. Überliefert nur in clm 18565, f. 257r–259r (BSB München). 144 Confessionale seu tractatus de confessione, vollständig überliefert in ca. sechs Handschriften, wobei der Schrift wechselnde Anhänge beigefügt wurden, vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 784.

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nikation145 sind nicht datiert, gehören aber wohl auch in die 60er Jahre, in denen Bernhard den Eichstätter Bischof bei dessen Reform von Klerus und Kirche im Bistum Eichstätt unterstützte. In einer weiteren großen Schrift, De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali, nahm Bernhard 1463/64 das Thema der mystischen Erfahrung noch einmal auf.146 Überwog bei Bernhards vorausgehenden Schriften zur mystischen Theologie das spekulative Interesse, so steht in dieser Schrift die Anleitung zur mystischen Erfahrung im Zentrum. Ein Jahr später, 1464/65, verfasste Bernhard eine seelsorgerliche Schrift für Kleinmütige und Angefochtene (Remediarius contra pusillanimes et scrupulosus), die wahrscheinlich dem Regensburger Generalvikar Johannes Goldner gewidmet war.147 Nicht sicher Bernhard zuzuweisen, aber in einer Sammelhandschrift überliefert, die fast nur Schriften Bernhards enthält, und mit Bernhards Schrift De spiritualibus sentimentis thematisch verwandt, sind die Aufzeichnungen über die Vision einer Jungfrau (Epistola de quadam visione cuiusdam virginis).148 Thematisch-inhaltliche Parallelen allein können jedoch nicht die Zuschreibung an Bernhard beweisen. Das gilt auch für das lange Zeit Bernhard zugeschriebene, 1460 entstandene Strictilogium de mystica theologia, das vermutlich als Abschluss des Mystik-Streits von Konrad von Geisenfeld verfasst wurde.149 Von den datierbaren Schriften Bernhards ist keine nach 1465 verfasst worden, so dass er mit der Aufgabe des Priorenamts offensichtlich auch seine schriftstellerische Tätigkeit beendete. 145 De forma servanda in excommunicando et qualiter sententia excommunicationis in subditos ferenda sit. Überliefert in clm 18564, f. 47v–49v (BSB München). 146 Der ausdrückliche Bezug Bernhards in De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali auf den 1459 entstandenen Traktat De cognoscendo Deum führt zur Datierung der Schrift in die 60er Jahre. Da zudem in der Fassung nach clm 18598 am Ende des zweiten Teils die Datierung 1464 durchgestrichen ist und vermerkt wird, dass ein weiteres Kapitel folge, gilt als gesichert, dass die Schrift mit Unterbrechungen entstand. Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 784 f. Im Tegernseer Bibliothekskatalog wird die Schrift als erstes Werk Bernhards genannt. Wenn der Bibliothekar Schwerzenbeck eine chronologische Reihenfolge beabsichtigte, ist zu überlegen, ob Bernhard diese Schrift früher begann und immer wieder fortschrieb. Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 1–404, folgt in seiner Edition der stark verkürzten und stilistisch überarbeiteten Fassung von Anton Volmar (1617). 147 Heute noch in vier Handschriften überliefert; ediert bei Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 447–525. Zur Frage des Adressaten vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 786. Auer, Johannes von Dambach, S. 315–317, nimmt Johann von Eych als Adressaten an. 148 Epistola de quadam visione cuiusdam virginis, überliefert undatiert und anonym nur in clm 4403, f. 129r–135v (BSB München). Ediert bei Schmidt, Amor transformat amantem, S. 197–215, der ebenfalls Bernhard von Waging als Autor vermutet. 149 Überliefert in clm 19114, f. 154r-155v (BSB München); Druck bei Wilpert, Bernhard von Waging, S. 275–276. Zur Verfasserschaft vgl. Roßmann, Der Magister Marquard Sprenger, S. 406 f.

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Bereits der chronologische Überblick über die Schriften Bernhards zeigt, dass er sich zu einer Fülle von Themen, von Fragen der Regelauslegung über Fragen des Kirchenrechts bis zur mystischen Theologie äußerte. Seine Schriften entstanden oft aus seiner Tätigkeit als Visitator und hatten damit einen konkreten Adressaten. Die Überlieferung in anderen Konventen der Melker Reform zeigt zugleich, dass seine Schriften über die konkrete Situation hinaus auf breites Interesse stießen. Fast alle Schriften Bernhards sind längere thematische Abhandlungen, obwohl Bernhard diese oft nicht als »tractatus« bezeichnet, sondern auch als »epistola« oder »sermo«.

2.2.3 Bernhards Predigten und Briefe Neben diesen Schriften verfasste Bernhard zahlreiche Briefe und Predigten. Als Prior hielt Bernhard die Kapitelansprachen, die er, den erhaltenen Korrektur-Handschriften zufolge, wohl auch zur Veröffentlichung bestimmte. In zwei Sammelhandschriften sind rund 71 Predigten zu den Festtagen des Jahres und sieben Kapitelansprachen anlässlich der Profess von Mitbrüdern aus den Jahren 1451 bis 1459 erhalten sowie weitere 22 Predigten zum Kirchenjahr aus den 60er Jahren.150 Die Kapitelansprachen und Predigten geben einen Einblick in Bernhards Vorstellung vom observanten Leben in Tegernsee. Seine zahlreichen Briefe, die er an Nikolaus von Kues, an Johannes Schlitpacher, an die Äbte in Tegernsee sowie Bischöfe verschiedener Bistümer sandte, gehen dagegen meist von aktuellen Fragen der Reform aus, erlauben aber ebenfalls, ergänzend zu seinen Traktaten, Einblicke in sein theologisches Denken.151

2.2.4 Deutsche Schriften Bernhards? Die genannten lateinischen Schriften können Bernhard eindeutig zugeschrieben werden. Offen bleibt, ob Bernhard auch deutsche Texte schrieb oder lateinische Schriften ins Deutsche übersetzte. Auszüge aus seinen lateinischen Schriften sind in deutscher Übersetzung überliefert, so z. B. aus De cognoscendo Deum.152 Auch von Bernhards Schrift Consolatorium tribulatorum 150 Clm 18572, f. 1r–341v (BSB München) enthält 71 Sermones de tempore et de sanctis sowie sieben Collationes in professionem fratris aus den Jahren 1451–59; clm 18591, f. 113r–163r (BSB München) enthält weitere 22 Sermones de tempore aus den 60er Jahren. Vgl. zur Überlieferung Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 786 f. 151 Die Briefe Bernhards sind gesammelt in clm 19697 (BSB München). Zum Druck einzelner Briefe vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 787 f. Ergänzend fi ndet sich bei Baum/Senoner, Briefe 1, S. 84–279, fast vollständig der Briefwechsel zur Kontroverse um die Mystik, darunter auch die Briefe Bernhards. 152 Vgl. cgm 743, f. 141v–151r (BSB München), Incipit: »Got bekhennen und liebhaben, suechen und fi nden«. Der mittelbairische Textauszug ist eingebunden in den Sammelcodex

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sind Auszüge in zwei deutschen Übertragungen erhalten.153 Der Bericht über die Visitation in St. Ulrich und Afra in Augsburg fi ndet sich neben der lateinischen Fassung in deutscher Sprache.154 Zu fragen ist auch, ob Bernhard deutsche Texte ins Lateinische übersetzte. Denn der zweite Teil von Bernhards Schrift De spiritualibus sentimentis ist weitgehend eine Übersetzung des in Tegernsee nur in deutscher Sprache vorhandenen Buchs von der geistlichen Armut. Doch ist eine Übersetzertätigkeit Bernhards nicht abschließend zu beweisen, obwohl Bauer aufgrund eines Schriftvergleichs die Identität Bernhards mit dem Tegernseer Anonymus, der ab 1447 zahlreiche deutsche Übersetzungen für geistliche Frauengemeinschaften in München und Salzburg anfertigte, postulierte.155 Bernhard scheint lateinische Texte vorzuziehen, wenn er 1455 Cusanus nach dem Erhalt von dessen deutscher VaterunserErklärung ausdrücklich um eine lateinische Textfassung bittet.156 »Das Deutsche spielte als Sprache der Schriftlichkeit, wahrscheinlich aber auch des mündlichen Umgangs unter den Klerikern, in Tegernsee keine große Rolle.«157 Für Bernhard hat das in Tegernsee vorhandene deutschsprachige Schrifttum inhaltlich kaum Bedeutung für seine lateinischen Schriften. aus dem 3. Viertel des 15. Jahrhunderts und gibt keine Hinweise auf Entstehungsanlass und Adressat. Schreiber war der Tegernseer Mönch Oswald Nott. 153 Vgl. cgm 746, f. 77r–82r (BSB München), und cgm 801, f. 60v–67r (BSB München), die deutsche Übertragung der Kapitel 1–3 des Consolatorium. Die Abschrift im Tegernseer Codex cgm 746 ist bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden. Vgl. dazu Auer, Johannes von Dambach, S. 314.320; Höver, Theologia mystica, S. 172–177.263. 154 Vgl. cgm 1586, f. 76r–78v (BSB München). 155 Bauer, Geistliche Prosa, S. 142, nimmt Bernhard als Übersetzer an: »Ungefähr zehn Jahre später (1463/64) übersetzte Bernhard von Waging das ›Buch von geistlicher Armut‹ ins Lateinische«. »Und er war es auch, der die deutschen Übersetzungen nach Bernhards von Clairvaux Hoheliedpredigten sowie die Texte innerhalb der Sammlungen der ›Ascetica‹ und der ›Mystica‹ übersetzte. Mit anderen Worten: Bernhard von Waging ist der ›Tegernseer Anonymus‹.« Vgl. Höver, Theologia mystica, S. 272: »Es liegt daher nahe, in Bernhard von Waging selbst den Übersetzer all dieser Werke zu vermuten«. Vgl. Höver, Art. Tegernseer Anonymus, in: VerLex 2 9 (1995), Sp. 665–670. Für eine Übersetzung lateinischer Schriften ins Deutsche durch Bernhard spricht, dass er als Seelsorger für Frauengemeinschaften wie die Nonnen von Bergen tätig war und für deren Bedürfnisse möglicherweise Schriften ins Deutsche übersetzte. Auffallend ist auch, dass Bernhard mit seinem Eintritt in Tegernsee 1447 beginnt, Schriften zu verfassen, und zeitlich parallel der Tegernseer Anonymus ab 1447 Schriften übersetzte. Inhaltlich greifen die deutschen Übersetzungen des Anonymus ebenso wie mehrere Schriften Bernhards die mystische Theologie auf. 156 »Pater Noster in Latino, etc.?«, vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, vor dem 28. Juli 1455 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 56, S. 181). Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 788: »B. las offensichtlich ungern dt. Texte.« 157 Bauer, Geistliche Prosa, S. 5; ebd.: »Die vielen deutschen Texte, die das Kloster seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in rein volkssprachigen Handschriften sammelte [. . .] fi nden nirgendwo einen Niederschlag im lateinischen Bestand.« Bauer, a.a.O., S. 2, stellt auch fest, dass es bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts in Tegernsee keine deutschsprachigen Schriften

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Die Frage nach der Übersetzungstätigkeit Bernhards führt aber zur Frage nach seiner Arbeitsweise, über die ebenfalls nicht viel bekannt ist. Aufgrund der aus Tegernsee überlieferten Autographen ist anzunehmen, dass Bernhard seine Texte zunächst entweder diktierte oder selbst schrieb, danach eine Reinschrift herstellen ließ, die er dann vor weiteren Abschriften eigenhändig korrigierte.158 Einige dieser Korrekturhandschriften sind erhalten.159

2.3 Zu Thema und Vorgehen der Arbeit 2.3.1 Drei große Themenkomplexe: Vita contemplativa, Mystik, Askese Chronologisch betrachtet, äußerte Bernhard sich in vielfältiger Weise zu scheinbar unterschiedlichen Themen. Werden seine Schriften aber vor dem Hintergrund des von ihm immer wieder betonten Selbstverständnisses als Mönch und Benediktiner sowie seiner Aufgaben als Prior und Reformer gesehen, sind drei Themen für das Werk Bernhards charakteristisch: Schriften zur vita contemplativa, zur Mystik und zur Askese. Obwohl Bernhards Schriften fast immer einen konkreten Entstehungsanlass hatten, lassen sich seine Hauptschriften diesen drei Themengebieten zuordnen. Auch in Briefen und Predigten griff er diese Themen immer wieder auf. Die drei Themen stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind Ausdruck eines theologischen Grundanliegens Bernhards und bieten ein Gesamtbild seiner Theologie. 2.3.1.1 Bernhards Schriften zur vita contemplativa Im Schriftwechsel mit Bischof Johann von Eych diskutierte Bernhard, ausgehend von der Frage nach der praktischen Mitwirkung der Benediktiner an der Reform durch Visitation und Seelsorgetätigkeit, grundsätzlich das Verhältnis von vita activa und vita contemplativa. In zwei Schriften, dem Speculum seu monitorium pastorum (1462) und der Apologie dieser Schrift, dem Defensorium speculi pastorum (1463), mit der Bernhard auf die Einwände Jogab, die Zahl der deutschen Handschriften aber in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sprunghaft zunahm, was er als Verdienst Bernhards sieht. Insgesamt ist die Zahl der deutschen Handschriften, die im 15. Jahrhundert in Tegernsee vorhanden war, gering: Bauer (S. 251) nennt insgesamt 31 Handschriften, die von Laienbrüdern gelesen oder vom Inhalt her für sie geeignet waren. 158 Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779, geht generell von Diktaten Bernhards aus. Die Bemerkungen über den Schreibprozess in seinem Defensorium speculi pastorum lassen aber darauf schließen, dass er zumindest diese Schrift in einer ersten Fassung selbst niederschrieb. 159 Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 779–786.

2.3 Zu Thema und Vorgehen der Arbeit

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hanns von Eych reagierte, vertritt Bernhard den Primat des kontemplativen Lebens. Zwar entstanden beide Schriften erst in den 60er Jahren, gegen Ende der Schreibtätigkeit Bernhards. Doch ist die Frage, wie die kontemplative Lebensweise bestimmt und gelebt werden kann, ein Thema, mit dem er sich immer wieder in Predigten und Briefen befasste. 2.3.1.2 Bernhards Schriften zur Mystik Seine Schriften zur Mystik bestimmen die kontemplative Lebensform näher. Bernhards im Kontext des Mystik-Streits entstandene Schriften sind, nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung des Cusanus an der Kontroverse, seine bislang bekanntesten Schriften. Kernpunkt dieses Brief- und Schriftwechsels zwischen Cusanus, Bernhard, Vinzenz von Aggsbach und weiteren Autoren ist die Frage nach den Bedingungen mystischer Erfahrung. Bernhard verfasste 1451 sein Laudatorium doctae ignorantiae. Gegen die Angriffe des Vinzenz von Aggsbach schrieb Bernhard 1459 das Defensorium Laudatorii sowie De cognoscendo Deum. Den Schlusspunkt seiner Schriften zur Mystik setzt die umfangreiche Schrift De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali (1463/64), in der er die Bedeutung der religiösen Erfahrung des geistlichen Lebens noch einmal grundlegend erarbeitete. Mit Schriften zu diesem Thema trat Bernhard erstmals als Autor auf. Doch hatte das Thema für ihn große persönliche Bedeutung, und er beschäftigte sich jahrelang auch in Briefen und Predigten mit der mystischen Erfahrung. 2.3.1.3 Bernhards Schriften zur Askese Bei Bernhards Schriften zur vita contemplativa wie der Mystik ist der theologische Charakter der Schriften evident. Dies gilt in geringerem Maße für eine dritte Schriftengruppe im Werk Bernhards, die sich mit Fragen der Askese befasst. Diese Schriften wurden in der Forschung kaum rezipiert und allenfalls als Schriften zu Fragen des Ordenslebens charakterisiert.160 Dazu zählen Bernhards große Schriften zur Abstinenz, die Epistola seu tractatus contra illicitum esum carnium von 1456 und der Dialogus more didascalico. Diese Schriften sind jedoch nicht nur praxisbezogene Erläuterungen der Observanz nach der Benediktsregel, sondern zeigen Bernhards theologisches Den160 Vgl. die Gliederung der Schriften Bernhards bei Öhm, Profeßpredigten, S. 9, die unter seinen Schriften philosophisch-mystische Traktate (Laudatorium, Defensorium, De cognoscendo Deum), Anliegen des Seelsorgers (De materia eucharistiae, Tractatus de morte, Ordinarium missae, De forma servanda), Werke für Beichtväter (Consolatorium, Speculum, Defensorium speculi, De spiritualibus sentimentis, Remediarius contra pusillanimes) und Schriften zu Fragen des Ordenslebens, zu denen sie die Schriften zur Fleischabstinenz zählt, unterscheidet.

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ken zu einer im zeitgenössischen Mönchtum kontrovers diskutierten Frage. Während seine Epistola zur Gattung der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zahlreichen De-esu-carnium-Traktate gehört, äußerte sich Bernhard auch in seinen Briefen zur Abstinenz.

2.3.2 Zur Untersuchung von Bernhards Schriften Ziel dieser Arbeit ist, anhand seiner Hauptschriften ein Profi l der Theologie Bernhards als eines herausragenden Autors der Melker Reform zu erarbeiten. Bernhards Schriften liegen nur teilweise in Editionen vor und sind insgesamt noch wenig erschlossen. Daher werden Inhalte, Argumentation, Quellen und in philologischer Analyse auch Akzentuierungen in Sprache und Stil der Schriften aus den drei genannten Themenbereichen untersucht. Da fast alle Schriften im Diskussionskontext entstanden sind, werden auch die Schriften der Gesprächspartner Bernhards für die Untersuchung herangezogen, um im Vergleich die Charakteristika von Bernhards theologischem Denken zu zeigen. Erst im Anschluss an die philologisch-historische und theologische Erschließung der Schriften soll im letzten Teil der Arbeit gefragt werden, wie Bernhards Theologie in den zeitgenössischen Kontext eingeordnet werden kann und ob sich hier eine monastische Theologie des 15. Jahrhunderts zeigt.

3 Die Diskussion um die vita contemplativa Die Diskussion zwischen Bernhard und dem Eichstätter Bischof Johann von Eych über die beiden Lebensformen, vita activa und vita contemplativa, bildet zeitlich fast den Abschluss der Schriften Bernhards. Inhaltlich aber beschäftigte ihn die Frage nach der rechten Lebensform und der Bestimmung der vita contemplativa lebenslang. Nicht nur seine Biographie gibt davon Zeugnis, sondern in fast allen Schriften kommt Bernhard auf die beschauliche Lebensform und deren Gestaltung zu sprechen. In seinen Schriften beschreibt er immer wieder das Ideal der vita contemplativa, und sowohl in seinen Predigten als auch in seinen Briefen lädt er zu dieser Lebensform ein. Davon zeugen exemplarisch sein Briefwechsel mit Cusanus und seine Professpredigten aus den 50er Jahren. Die Auseinandersetzung mit Johann von Eych in den Jahren 1462 und 1463 über die seelsorgerliche Tätigkeit von Mönchen ist als Summe seiner Gedanken zur monastischen Lebensform zu verstehen. Dieser Diskurs war für Bernhard zugleich Anlass, Wesen und Vorzüge des kontemplativen Lebens darzustellen. Aufgrund seiner eigenen Entscheidung für das kontemplative Leben als Benediktiner wird Bernhard in seinen Schriften zum Verfechter dieser Lebensform. Ausgehend von seiner Biographie, werden im Folgenden seine Predigten und Briefe zur vita contemplativa vorgestellt, um vor diesem Hintergrund den Streitschriftenwechsel mit Johann von Eych zu untersuchen.

3.1 Die persönliche Bedeutung der Kontemplation für Bernhard Den Übertritt von den Augustinerchorherren in Indersdorf zu den Benediktinern von Tegernsee im Jahr 1447 hat Bernhard als Lebenswende erfahren. Dieser Übertritt war zugleich der Wechsel von der vita canonica zur vita contemplativa. Im Vergleich zur vita activa der Laien und Weltgeistlichen stand die kanonikale Lebensform eines Augustinerchorherren kirchenrechtlich höher. Doch das kontemplative Leben im Kloster wurde theologisch und kirchenrechtlich als vollkommener Weg (via perfectionis), als strenger, besser und höherwertiger (vita strictior, melior, altior, arctior) und als wahrhaft

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

apostolisches Leben (vita vere apostolica) beurteilt.1 »Nie wurde die funktionale Differenz zwischen vita canonica und vita monastica aufgezeigt, stets ging es um den vergleichbaren Grad der Lebensstrenge, also um den Bereich, der Domäne der Mönche war und worin diese genuin überlegen sein mußten.« 2 Bernhard übernahm diese Hochschätzung der vita contemplativa des älteren Mönchtums, und seine Biographie vom Priester zum Chorherrn zum Benediktiner zeigt, dass er stets bewusst die strengere Lebensform suchte. Nicht aus biographisch-apologetischen Gründen, sondern aus Überzeugung spricht er sich in seinen Schriften immer wieder für den status religionis im kontemplativen Klosterleben aus. Einen Vergleich zwischen seinem früheren Leben als Kanoniker und dem als Benediktiner zieht er selten, so z. B. im bereits erwähnten Brief nach seinem Übertritt.3 Hier vergleicht er die anstrengende Arbeit in Indersdorf mit der Freiheit zu Kontemplation (meditatio) und Studium (sacrae lectionis studium) im Kloster. In einem Brief an Nikolaus von Kues erwähnt er die größere Strenge des asketischen Lebens der Benediktiner gegenüber dem der Chorherren.4 Hat Bernhard das kontemplative Leben mit seinem Übertritt nach Tegernsee gewählt und vertritt er es als Ideal in seinen Schriften, so steht dieses Ideal in Spannung zu seiner tatsächlichen Lebensgestaltung. Seine Aufgaben führten ihn immer wieder aus dem Konvent heraus. Doch auch in den zu reformierenden Klöstern, wie z. B. Sonnenburg und St. Georgenberg, schärfte Bernhard die kontemplative Lebensform immer wieder ein. Denn Reform war für ihn die Rückkehr zum Leben nach der Regel, und die vita contemplativa wurde damit zum Kennzeichen der Reform und der Regelobservanz des visitierten Klosters. Bildet aber der Reformkontext den Hintergrund für seine Schriften über diese Lebensform, so ist deren theologischer Kern die Erfahrung besonderer Nähe Gottes. Dies zeigt sich bereits in den Professpredigten, die Bernhard anlässlich der Aufnahme von neuen Brüdern in Tegernsee hielt. 1 Vgl. zur kirchenrechtlichen Argumentation Melville, Zur Abgrenzung, S. 205–243. – Das Verhältnis von vita contemplativa und vita canonica ist exemplarisch zusammengefasst in der hochmittelalterlichen Schrift De vere vita apostolica (von Honorius Augustodunensis oder Rupert von Deutz), in der betont wird, dass das Leben der Mönche dem der Regularkanoniker überlegen ist, weil die Mönche u. a. kein Fleisch essen, keine Leinenkleidung tragen und einer strengeren Lebensform folgen; vgl. »Monachorum igitur ordo vestro ordine arctior est, quia nec carnibus vescuntur, nec lineis vestiuntur, nec stramentorum blanda mollitie fruuntur, et statutis vigiliis amplius fatigantur, et apprehensa majori disciplina iram Domini strenue praeveniunt«. (PL 170, Sp. 610–664, hier: Sp. 665). 2 Melville, Zur Abgrenzung, S. 243. 3 Vgl. clm 19697, f. 36r–v (Nr. 86), undatiert, ohne namentliche Nennung des Adressaten. 4 Vgl. Brief Bernhards an Nikolaus von Kues, April 1454, clm 19697, f. 61v (Nr. 156) (Baum/Senoner, Briefe 1, S. 140 f.).

3.2 Das Einschärfen der vita contemplativa in den Professpredigten

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3.2 Das Einschärfen der vita contemplativa in den Professpredigten Bernhards Professpredigten aus den Jahren 1451 bis 1457, aus seiner Zeit als Prior, richten sich an die Brüder, die sich mit der Profess gerade für die lebenslange vita contemplativa entschieden haben. Die Predigten setzen den Entschluss für diese Lebensform voraus und dienen der Ermutigung und Ermahnung der Neuprofessen. Bernhard muss hier nicht mehr für diese Lebensform werben, sondern er stellt deren Kennzeichen eindringlich vor Augen. Viele Gedanken dieser Predigten nimmt Bernhard in seinen späteren Schriften, wie z. B. dem Speculum pastorum und Defensorium speculi pastorum, gegenüber anderen Adressaten wieder auf, und diese Überlegungen sind konstitutiv für sein Verständnis der vita contemplativa und deren Bedeutung. So predigt er die vita contemplativa als die Lebensform, in der der Mensch Gott ruhiger und freier dienen kann: »vtdeo quiecius et liberius deseruire possent«.5 Bernhard drückt daher seinen Wunsch aus, dass jeder, von allen Ämtern befreit, diese Lebensform wähle.6 Denn das Leben der Religiosen sei sicher, erwählens- und empfehlenswert. »Exhys omnibus clare colligitur quam secura eligibilis et commendabilis est vita religiosorum«.7 Er ist sich gewiss, dass durch das Leben nach der Ordensregel alle gerettet werden können.8 Das Leben nach den Gelübden hat laut Bernhard auch größeren Lohn als alle anderen Lebensformen9 und ist der Stand der Vollkommenheit.10 Deshalb kann er das beschauliche Leben auch mit dem Gott angenehmsten Opfer im Alten Testament, dem Brandopfer (holocaustum), vergleichen.11 Dem Anlass der Predigten entsprechend, führt Bernhard auch die Gelübde von Besitzlosigkeit, Gehorsam und Keuschheit aus.12 Stärker als durch 5 Predigt 3 (Öhm, Profeßpredigten, S. 137,6–12, hier: S. 137,9 f.). Diese Predigt richtet sich an zwei Neuprofessen mit Namen Michael und Matthias; weder über die Professen noch den Zeitpunkt der Profess ist Weiteres überliefert. – Die Wiedergabe folgt der diplomatischen Edition Öhms nach clm 18572; das Auflösen der Abbreviaturen in Klammern wurde jedoch der besseren Lesbarkeit wegen nicht übernommen. 6 Vgl. Predigt 5 (Öhm, Profeßpredigten, S. 157,23–158,6). 7 Predigt 5 (Öhm, Profeßpredigten, S. 160,19–21). 8 Vgl. Predigt 5 (Öhm, Profeßpredigten, S. 161,19–21): »qui si essent positi in vita regulari omnes fierent utique salui«. Vgl. Predigt 7 (S. 196,17 f.). 9 Vgl. Predigt 7 (Öhm, Profeßpredigten, S. 181,7–182,23). Diese Professpredigt wurde am 18. März 1456 für drei namentlich nicht genannte Neuprofessen gehalten. Vgl. Predigt 7 (S. 194,20–195,2; 195,24 f.; 196,4–8) und 8 (S. 205,16–18). 10 Vgl. Predigt 8 (Öhm, Profeßpredigten, S. 214,24–26): »esse in statu perfectionis propter fi nem religionis que est perfectio, que est in caritate«. 11 Vgl. Predigt 7 (Öhm, Profeßpredigten, S. 181,7–182,23); Predigt 8 (S. 202,26–203,2; 214,6; 216,12). 12 Vgl. zum Motiv der Armut: Öhm, Profeßpredigten, S. 114,16–19; 116,6 f.; 268,21– 271,16 u. a.

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

diese Gelübde bestimmt er das kontemplative Leben aber inhaltlich als Voraussetzung für mystische Erfahrung. So beschreibt er die vita contemplativa mit typischem Vokabular mystischen Erlebens: Das Sehen des Lichts und das Schmecken der Süße Gottes sind Merkmale des kontemplativen Lebens.13 Bernhard beschreibt als Ziel der vita contemplativa die unio mystica14 und wählt für die Profess das Bild der geistlichen Hochzeit.15 Die mystische Erfahrung wird in den Professpredigten erbeten und als Höhepunkt des geistlichen Lebens im Kloster beschrieben, wobei Bernhard betont, dass zu dieser Erfahrung das Einhalten der Regel (lex regularis) führe.16 Für Bernhard sind Kontemplation und mystisches Erleben eng miteinander verbunden,17 und die Betrachtung des Leidens Christi im kontemplativen Leben führt zum Schmecken und Erfahren Gottes. Was er in diesen Predigten nur skizziert, führt er in seinen Schriften zur Mystik breiter aus: Die vita contemplativa ist für ihn die Ermöglichung mystischer Erfahrung, die wiederum Ziel des beschaulichen Lebens ist. In der Beschreibung dieser Lebensform ist für Bernhard das Motiv der blinden und sehenden Augen charakteristisch, das er von Bernhard von Clairvaux übernimmt und auch in anderen Schriften verwendet.18 So kann er das kontemplative Leben durch sehende Augen gegenüber den blinden Augen in der vita activa kennzeichnen. Auch der Mönchsstand selbst kann mit blinden oder sehenden Augen aufgenommen werden, und Bernhard gebraucht hier das Motiv, um den Gehorsam gegenüber den Oberen einzuschärfen, die allein den neuen Mitbruder auf dem Weg der Erkenntnis und des Sehens leiten können.19 Schließlich können im kontemplativen Leben die Begierden wie Schuppen von den Augen fallen.20 In der Beschreibung des beschaulichen Lebens und dem Motiv der blinden/sehenden Augen ist immer der Gegensatz von aktivem und kontemplativem Leben vorausgesetzt. Für Bernhards Argumentation ist eine klare Trennung beider Lebensformen konstitutiv und führt ihn stets zu einer kri13

Vgl. Predigt 2 (Öhm, Profeßpredigten, S. 121,4–8), vgl. Predigt 7 (S. 184 f.). Vgl. Predigt 7 (Öhm, Profeßpredigten, S. 184,15–185,9). 15 Vgl. Predigt 8 (Öhm, Profeßpredigten, S. 198,1–199,13). 16 Vgl. Predigt 2 (Öhm, Profeßpredigten, S. 121, 25–122,1); vgl. Predigt 5 (S. 157,11 f.). 17 Vgl. Predigt 5 (Öhm, Profeßpredigten, S. 154–157). Bei dieser Predigt handelt es sich wohl um die Professpredigt für Christian Tesenpacher und Wolfgang Kydrer am 31. Oktober 1462. 18 Bernhard zitiert in den Professpredigten häufi g Bernhard von Clairvaux, dessen Aussagen zum kontemplativen Leben er mit denen des Thomas von Aquin ergänzt, vgl. Predigt 8 (Öhm, Profeßpredigten, S. 198–219), die sich durch einen Wechsel von Zitaten Bernhards und Thomas’ auszeichnet. 19 Vgl. Predigt 1 (Öhm, Profeßpredigten, S. 112,24–114,4). 20 Vgl. Predigt 2 (Öhm, Profeßpredigten, S. 126,1–127,16). Bei Professpredigt 2 handelt es sich um eine nachträgliche Ansprache für einen Professen Friedrich mit Beinamen »humilis«, der seine Profess am 25. Januar 1452 feierte. 14

3.3 Bernhards Rat an Cusanus, die vita contemplativa zu wählen

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tischen Darstellung der vita activa. Seine eigene Erfahrung und seine Tätigkeit als Reformer führen ihn dazu, die vita contemplativa als die beste Lebensform zu propagieren und für sie zu werben. Das zeigt auch ein Ausschnitt aus seinem Briefwechsel mit Cusanus in den Jahren 1454 bis 1456.

3.3 Bernhards Rat an Cusanus, die vita contemplativa zu wählen Nikolaus von Kues hat sich bereits früh mit der vita activa und vita contemplativa in seinen Predigten auseinandergesetzt.21 Die Frage der Lebensform gewann für ihn in der Mitte der 50er Jahre persönliche Bedeutung. Die Misserfolge bei der Reform der Klöster in seinem Bistum Brixen und insbesondere des Konvents Sonnenburg führten ihn dazu, den Papst um Freistellung von seinen Ämtern zu bitten.22 Zwischen 1454 und 1455 drückt er in seinen Briefen nach Tegernsee ein ernsthaftes Verlangen nach dem Rückzug ins Kloster aus. Diesen Wunsch hat er offenbar bereits Ende 1453 geäußert, denn Abt Kaspar erwähnt Anfang 1454 die cusanische Bitte, ihm eine Zelle in Tegernsee einzurichten.23 Cusanus bestätigt dies in seinem nächsten Brief an Kaspar ausdrücklich.24 Er äußert in seinen Briefen des Jahres 1454 mehrfach den Wunsch nach dem Rückzug ins Kloster, frei von der Last der Seelsorge.25 Doch trotz der Unterstützung der Tegernseer, insbesondere durch Bernhard, der im März 1455 über Nachfolgeregelungen mit dem bayerischen Herzog Albrecht III. verhandelte, wurde ihm diese Bitte nicht gewährt.26 21 Vgl. zum frühen Predigtzyklus (1432–1438), in dem er in sechs Predigten beide Lebensformen thematisierte: Haubst, Ein Predigtzyklus, S. 15–46; Ders., Streifzüge, S. 328– 334. »Die Problematik von vita activa und contemplativa ließ Nikolaus bis in seine letzten Tage nicht los. Denn sie war nicht zufällig das Lieblingsthema seines ersten großen fruchtbaren Predigtjahres, sondern vielmehr der tiefste religiöse Krisenherd seiner Zeit.« (Haubst, Ein Predigtzyklus, S. 32). 22 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Bernhard von Waging, 9. September 1454 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 49, S. 162–167). 23 Vgl. Brief von Kaspar Aindorffer an Nikolaus von Kues, Januar/Februar 1454 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 31, S. 106–111, hier: S. 106): »quod vestra Reverendissima paternitas sibi cellam nobiscum iusserit fieri«. 24 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Kaspar Aindorffer, 12. Februar 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 32, S. 110–113, hier: S. 112): »propterea fratribus dixi michi cellam parari«. Vgl. die Zusage Kaspar Aindorffers an Cusanus im Brief vom März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 35, S. 120). 25 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Kaspar Aindorffer, 16. August 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 44, S. 144–147) und Briefe an Bernhard von Waging, 16. August 1454 (a.a.O., Nr. 45, S. 146–149) und 28. Juli 1455 (a.a.O., Nr. 57, S. 180–185). 26 Vgl. den Briefwechsel zwischen Nikolaus von Kues und Bernhard im April 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 53–54, S. 172–177). Bernhard führte im Auftrag von Cusanus die Verhandlungen mit Herzog Albrecht III. von Bayern-München über die Resignation des

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Bernhard aber reagierte auf den von Cusanus geäußerten Wunsch in einem Brief vom September 1454. Hier empfiehlt er Cusanus nachdrücklich das kontemplative Leben und möchte ihn damit in seinem Entschluss, das Bischofsamt aufzugeben, bestärken.27 Dazu nennt Bernhard eine lange Reihe von Zeugen von den Ordensgründern bis zu Bischöfen, die sich aus dem aktiven Leben ins Kloster zurückgezogen haben. »Probant hoc Arsenius, Antonius, Franciscus, Dominicus, soror Benedicti, mater Augustini et reliqui sine numero«.28 Er zitiert und empfiehlt Cusanus Schriften von Autoren, angefangen von Papst Alexanders De contemptu bis zu Johannes Niders Formicarius, die alle bezeugen, dass es besser sei, kontemplativ zu leben als aktiv im kirchlichen Dienst. Dabei geht er auch auf die Gefahren des Bischofsamtes in der gegenwärtigen Zeit ein: »Status pontificum atque pastorum nunc istis temporibus quam sit periculosus«.29 In diesem Brief zeigt sich exemplarisch Bernhards Position: Um des Heils des Einzelnen willen soll die vita contemplativa gewählt werden. Was Bernhard hier in nuce behandelt, entspricht von den Argumenten bis zu den zitierten Autoren dem, was er im Schriftwechsel mit Johann von Eych sieben Jahre später ausführen wird. An der Person des Cusanus zeigt sich jedoch auch, dass der von Bernhard gewählte Weg ins beschauliche Leben für die verantwortungsbewussten Reformer im Dienst der Kirche kaum zu gehen war. Denn für die Kirchenreform bedurfte es gerade der Personen, die in der vita activa ihren Dienst erfüllten. Die Auseinandersetzung zwischen Bernhard und Johann von Eych ist daher Teil einer das Spätmittelalter bestimmenden Diskussion beider Lebensformen im Horizont der Reformnot der Kirche. Gerade Johanns Engagement für die Reform von Kirche und Klöstern in seinem Bistum machen sein Anliegen in der Diskussion mit Bernhard verständlich.

3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann 3.4.1 Bischof Johann von Eych und Bernhard von Waging Bischof Johann III. von Eych 30 (um 1404–1464) studierte ab 1423 an der Universität Wien und hätte dem vermutlich zur gleichen Zeit dort studieNikolaus von Kues, vgl. den Brief von Nikolaus von Kues an Herzog Albrecht III., 9. Oktober 1455 (Baum/Senoner, Briefe 2, IV,2, S. 295) und an Thomas Pirckheimer (a.a.O., S. 297–303). 27 Vgl. Brief von Bernhard an Nikolaus von Kues, 9. September 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 47, S. 150–161). 28 A.a.O. (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 47, S. 152). 29 A.a.O. (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 47, S. 158). 30 Auch Johann(es) von Eich, selten in älterer Literatur: Eyb. Zur Biographie vgl. Reiter,

3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann

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renden Bernhard bereits damals begegnen können. Doch ist über eine persönliche Bekanntschaft aus diesen Jahren nichts überliefert. Johann, der ab 1429 in Padua die Rechte studierte und den Doktortitel erwarb, übernahm dort 1433/34 das Rektorat der Universität und lehrte anschließend an der juristischen Fakultät der Universität Wien, in den Jahren 1435 und 1437/ 38 als deren Dekan. In den 30er und 40er Jahren stand er im Dienst der österreichischen Herzöge Albrecht V., des späteren deutschen Königs Albrecht II., sowie Albrecht VI., als deren Gesandter er am Konzil von Basel teilnahm. So gehörte er auch zu jenem Gremium, das in der Mainzer Akzeptation vom 26. März 1439 die Anerkennung aller Reformdekrete des Konzils von Basel beschloss.31 Bereits seit 1430 Mitglied des Domkapitels von Eichstätt, wurde er am 1. Oktober 1445 zum Bischof des Bistums Eichstätt gewählt und widmete seine Amtszeit der praktischen Umsetzung der Basler Reformdekrete in der Reform von Klerus, geistlichen Häusern und Kirchenvolk der rund 307 Pfarreien des Bistums.32 Vermutlich war das Konzil von Basel der Ort, an dem Johann den Vertretern der Melker Reform aus Tegernsee begegnete. Sein Kontakt zu den benediktinischen Reformern scheint intensiv gewesen zu sein, denn er sollte 1464 im päpstlichen Auftrag die drei benediktinischen Reformbewegungen von Kastl, Melk und Bursfelde in Deutschland unieren, was sein Tod am 1. Januar 1464 verhinderte. Im Kontext seiner bischöfl ichen Reformen kam vermutlich auch der briefl iche und persönliche Kontakt zu Bernhard zustande, dessen Reformtätigkeit und Unionsbemühungen seit Mitte der 50er Jahre ihn über Tegernsee hinaus bekannt machten. Aus der Zeit vom Juni 1461 bis Dezember 1462 sind acht Briefe Johanns an Bernhard erhalten, die sich fast durchweg mit Fragen der Reform befassen.33 Hier fragte Johann Bernhard um Rat und bat ihn um Schriften für die Klerusreform im Bistum sowie um persönliche Visitationstätigkeit. Im April 1461 bat Johann den Tegernseer Abt Konrad um die Entsendung Bernhards als Reformer und Beichtvater für das Nonnenkloster Bergen, was Konrad aufgrund eines bevorstehenden Besuchs des Freisinger Bischofs nur Art. Johann von Eych, in: VerLex 2 4 (1984), Sp. 591–595; Schmid, Art. Eych, Johannes v., in: LThK 2 3 (1995), Sp. 1139 f.; Ders., Art. Eych, Johann von, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches, S. 173 f., jeweils mit weiterführender Literatur. 31 Vgl. zur Anerkennung der Dekrete Hürten, Die Mainzer Akzeptation 1439, S. 42–75; Reiter, Rezeption und Beachtung von Basler Dekreten, S. 215–217, hier S. 216: »Ausgenommen waren nur die Erklärung über die Superiorität des Konzils und das Dekret, das die Suspension des Papstes aussprach.« 32 Vgl. Wendehorst, Kirche, Gesellschaft und religiöse Bewegungen, S. 89. 33 Die Briefe Johanns von Eych an Bernhard fi nden sich in der Brief handschrift clm 19697, f. 76v–79r, Nr. 193–200 (BSB München); vgl. zur Briefüberlieferung Reiter, Art. Johann von Eych, in: VerLex 2 4 (1984), Sp. 593 f. Knappe Inhaltsangabe zum Briefwechsel bei Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio, Nr. 10; Lindner, Familia, S. 84 f.

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

zögernd zusagte.34 Bernhards Übersiedlung nach Bergen erfolgte erst 1467/68. Am 29. Oktober 1461 erbat Johann von Bernhard eine Schrift über die Messliturgie für den Klerus des Bistums,35 die Bernhard im Winter 1461/62 verfasste. Johann bestätigte den Erhalt von Bernhards Ordinarium missae practicum und beabsichtigte, auf der Synode zu Ostern 1462 diese Schrift allen Geistlichen seines Bistums zu empfehlen.36 Johanns Wunsch war eine einheitliche und würdige Messfeier, und Bernhards Schrift sollte dazu eine verständliche Anleitung bieten. Bei der Abfassung des Ordinarium missae practicum37 konnte Bernhard auf die Überarbeitung des Missale nach dem römischen Ritus (Ordo Romanus) in Tegernsee, die 1450 abgeschlossen war, zurückgreifen.38 Er selbst hatte für die Benediktiner von St. Ulrich und Afra in Augsburg bereits 1456 eine Erklärung zur Eucharistiefeier geschrieben.39 Im Ordinarium behandelt er die Vorbereitung des Priesters auf die Messfeier, die Bedeutung der Messgewänder und bietet eine Anleitung für die Zelebration der Messe. Darin ist die Schrift vergleichbar mit den ebenfalls in der Mitte des Jahrhunderts verfassten Abhandlungen zur Messe von Autoren aus dem Kreis der Melker Reform, wie z. B. Hieronymus von Mondsee und Johannes Schlitpacher.40 Während die Schriften von Hieronymus und Johannes aber die genannten Aspekte knapp zusammenfassend erläutern, stellt Bernhard dem liturgischen Teil, der eigentlichen Messerklärung, eine ausführliche Abhandlung voran, in der er auf die Haltung und Vorbe34

Vgl. die Antwort Abt Konrads in clm 19697, f. 132v, Nr. 314 (BSB München). Vgl. den Brief von Johann von Eych an Bernhard von Waging, 29. Oktober 1461, nach clm 18548b, f. 1 (BSB München), gedruckt bei Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, S. 567 f.; vgl. clm 19697, f. 77r, Nr. 194. 36 Vgl. den Brief von Johann von Eych an Bernhard von Waging, 18. September 1462, nach clm 18548b, f. 100 (BSB München), gedruckt bei Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, S. 577 f.; vgl. clm 19697, f. 79r, Nr. 200. 37 Zu Bernhards Ordinarium vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 783; zu Auf bau und Inhalt vgl. Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, S. 569–577. 38 Vgl. den Brief von Abt Kaspar Aindorffer an den Freisinger Bischof Johannes Grünwalder, 10. Januar 1450, in dem Kaspar die abgeschlossene Überarbeitung schildert (gedruckt bei: Redlich, Tegernsee, S. 198–202). Vgl. zur Neuordnung von Gottesdienst und Brevier durch die Melker Reform Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 125–149. 39 Bernhard von Waging, De materia eucharistiae sacramenti tractatus epistolaris (1456), vgl. Redlich, Tegernsee, S. 109; Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 781. 40 Hieronymus von Mondsee: Opusculum de offi cio missae (vor 1462). Vgl. zu Inhalt und Überlieferung Glückert, Hieronymus von Mondsee, S. 157 f.; Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, S. 580–582, zu Johannes Schlitpacher: S. 578–580. Zu weiteren Messerklärungen des 15. Jahrhunderts vgl. Franz, a.a.O., S. 515–602; Jungmann, Missarum Sollemnia 1, S. 72 f.; zu den Traktaten zur Vorbereitung des Priesters auf das Messopfer und den Expositiones missae in der Melker Reform Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 142– 144. 35

3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann

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reitung des Priesters auf die Messe eingeht. Hier nimmt er Gebete und Betrachtungen auf und zitiert die Väterschriften, aber auch Anselm von Canterbury, Albertus Magnus, Bonaventura und Heinrich Seuse als Autoritäten. Dem Anliegen Johanns und dem Titel entsprechend, bemüht sich Bernhard um eine praxisnahe, einfach verständliche Anleitung. »Indem der Prior von dogmatischen Erörterungen und von der [. . .] allzuweit gehenden Allegorisierung der in der Messe vorkommenden Handlungen absieht, gewinnt er Raum für seine praktischen Anweisungen.«41 Neben dem Briefwechsel kam es auch zu persönlichen Begegnungen zwischen Johann und Bernhard. Denn Bernhard bezieht sich im Speculum ausdrücklich auf ein Gespräch mit einem Bischof, das er zum Anlass der Abfassung des Speculum nahm und womit er vermutlich Johann von Eych meinte.42 Der Brief- und Schriftenwechsel zwischen Johann und Bernhard zeugt von einer großen Vertrautheit, und Bernhard bezeichnete Johann nach dessen Tod als »familiarissimus«.43 Doch zeigen die Schriften und Briefe Johanns, dass er nicht nur an einer Reform der Klöster interessiert war, sondern, den Konzilien des 15. Jahrhunderts entsprechend, eine Kirchenreform an Haupt und Gliedern anstrebte.44 Seine Reformen für den Klerus des Bistums und der Stadt Eichstätt sind Zeugnis dafür und zeigen sein breites bischöfl iches Reformanliegen.

3.4.2 Johann als Reformer des Bistums Eichstätt 3.4.2.1 Reform des Klerus Als Instrumente der Klerusreform im Bistum nutzte Johann sowohl Diözesansynoden als auch Visitationen.45 Auf der ersten Diözesansynode, die Jo41

Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, S. 577. Vgl. Bernhard von Waging, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 1,1 f.). 43 Vgl. Avisamenta, Bernhard von Waging an Erzbischof Burkhard von Salzburg, 1464, clm 19697, f. 164r–165v (Redlich, Tegernsee, S. 205–211, hier: S. 207): »vir iste beatus, michi dum in humanis existeret familiarissimus«. 44 Vgl. zu den erhaltenen Schriften Reiter, Art. Johann von Eych, in: VerLex 2 4 (1984), Sp. 592–594; Pez, Bibliotheca ascetica 8, Praefatio Nr. 18. 45 Die Reformen Johanns von Eych sind bislang noch kaum erforscht. Vorläufige Darstellung und Würdigung bei Buchner, Johann III. Reiter, Rezeption und Beachtung von Basler Dekreten, S. 215–232, konzentriert sich in seiner Darstellung auf die Umsetzung der Reformdekrete in den Eichstätter Synodalstatuten und deren Bekanntmachen auf den von Johann regelmäßig abgehaltenen Provinzialsynoden. Damit hat er primär die Reform des Klerus im Blick. Vgl. zum Forschungsüberblick und den Desideraten der Forschung zum Bistum Eichstätt im 15. Jahrhundert Bünz, Klerus, Kirche und Frömmigkeit, S. 49–74, hier: S. 58: »Am deutlichsten sind die Desiderate im Bereich der Quellenerschließung und -edition. Während für die früh- und hochmittelalterliche Bistumsgeschichte mittlerweile mehrere wichtige Quellenausgaben vorliegen, bleibt für das späte Mittelalter in Eichstätt – wie in vielen deutschen 42

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

hann im Oktober 1447 in Eichstätt abhielt, verkündete er vor den etwa 700 anwesenden Klerikern die neuen Statuten, die die Reformdekrete von Basel aufnahmen.46 Inhaltlich forderten die Statuten die regelmäßige Abhaltung von Synoden und die Abschaffung des Konkubinats; Bestimmungen über Exkommunikation und Interdikt waren ebenso enthalten wie solche über das Chorgebet.47 Die Synoden im Oktober 1447 mit der Einführung der neuen Statuten, im April 1451 mit deren verbindlicher Durchsetzung auch für das Domkapitel sowie im November 1454 mit der Bestimmung, dass jeder Dekan sowohl ein Diözesanbrevier als auch ein Exemplar der Statuten besitzen und jedem Kleriker die Einsicht darin ermöglichen müsse, waren Meilensteine seiner Klerusreform.48 Neben der Einführung der neuen Statuten nutzte er die Synoden zur Belehrung über das seelsorgerliche Amt, insbesondere über die Verwaltung der Sakramente, und zur Examination von Missständen. Die Umsetzung der Reformen suchte Johann durch Visitationen zu erreichen, wobei die Abschaffung des Konkubinats der Priester und die Gestaltung der Messe im Zentrum standen. Für letzteres erbat sich Johann von Bernhard die bereits erwähnte Schrift Ordinarium missae practicum für die Unterweisung des Klerus.49 Ergänzt wird sein Bemühen durch die Verteilung von geistlichen Schriften an den Klerus, neben Bernhards Schrift zur Messe den Traktat Pro instructione simplicium presbyterum in cura animarum des Johannes von Auerbach für die seelsorgerliche Arbeit.

Bistümern – praktisch noch alles zu tun.« A.a.O., S. 63: »Wünschenswert wäre eine umfassende Untersuchung der bischöfl ichen Reformbemühungen seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts [. . .].« 46 Obwohl die Basler Dekrete nicht im Wortlaut zitiert werden, ist deren Rezeption in den Synodalstatuten unverkennbar; möglicherweise waren die Basler Dekrete bereits zuvor im Bistum bekannt und publiziert, so dass Johann diese in seinen Synodalstatuten von 1447 nur erneut aufgriff. Vgl. dazu Reiter, Rezeption und Beachtung von Basler Dekreten, S. 217–220. 47 Die Statuten sind ediert von Suttner, in: Pastoralblatt des Bistums Eichstätt 1 (1854), S. 110–123; dort auch Edition (S. 148–158) der 14 Artikel Bischof Johanns von Eych aus dem Jahr 1453, vor allem zum Verhalten der Laien. 48 Zu weiteren Synoden im Februar 1452, in den Jahren 1453, 1456 und 1457 sowie im Herbst 1460 und zu Ostern 1463 vgl. Reiter, Rezeption und Beachtung von Basler Dekreten, S. 221–227. 49 Johann leistete damit einen Beitrag zur Klerusbildung, die in den Reformschriften und Konzilien des 15. Jahrhunderts kaum thematisiert wurde, vgl. Meuthen, Zur europäischen Klerusbildung, S. 263–294; Oedinger, Um die Klerusbildung im Spätmittelalter, S. 145– 188. Zu den wenigen Reformansätzen für den Weltklerus um 1500 vgl. Mertens, Der Humanismus und die Reform des Weltklerus, S. 11–29. Die mangelnde Auseinandersetzung mit der Bildung des Klerus steht pars pro toto für die Thematisierung der kirchlichen Bildung auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts: Sowohl die Konzile von Konstanz und Basel als auch die deutschen Provinzial- und Diözesansynoden sparen das Thema Bildung und Bildungsreform aus, vgl. Smolinsky, Kirchenreform als Bildungsreform, S. 37–42.

3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann

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Visitationen und regelmäßige Synoden erreichten den Klerus. Doch forderten bereits die Synodalstatuten von 1447, dass Glaubensbekenntnis und Vaterunser deutsch vorzubeten seien. Sie verboten die Haustaufe und schärften die Beichte ein, so dass darin Johanns Bemühen erkennbar wird, auch die Laien zu erreichen und zu reformieren.50 Denn für ihn »war die Rezeption der Basler Dekrete nicht nur eine formaljuristische Angelegenheit, sondern ein pastorales Anliegen.« 51 Dabei stützte Johann sich auf bereits vorhandene Reformkräfte, was sich besonders an der Klosterreform im Bistum zeigt.52 3.4.2.2 Reform der Klöster und Stifte Das Benediktinerkloster Kastl war bereits Ausgangspunkt einer Erneuerungsbewegung geworden, die Klöster im Osten Frankens erfasste, und Johann unterstützte hier die Kastler Reformer.53 Auf Wunsch Johanns schloss sich das Augustinerchorherrenstift Rebdorf 1458 der Windesheimer Reformkongregation an.54 Das Benediktinerinnenkloster St. Walburg in Eichstätt ließ Johann reformieren, indem er Nonnen aus dem als vorbildlich geltenden Konvent St. Marienberg bei Boppard zur Reform holte.55 Für die Benediktinerinnen von Bergen schließlich erbat Johann sich Bernhard als Visitator und Reformator und zog damit einen Reformer der von Melk geprägten Erneuerungsbewegung heran. Johann zeigte sich stets offen für verschiedene monastische Reformbewegungen, sofern diese zur Erneuerung der Observanz in den Konventen führten. Doch gerade im Kernbereich seiner Bischofsgewalt, in der Stadt Eichstätt und im Domkapitel, stießen seine Reformen auf heftigen Widerstand. 3.4.2.3 Johanns Streit mit Domkapitel und Klerus der Stadt Eichstätt Das Domkapitel, seit dem neunten Jahrhundert ein Säkularkanonikerstift ohne vita communis mit Privatbesitz der Domherren und Pfründenwesen, 50

Zum Kultus vgl. Buchner, Kirchliche Zustände, S. 152–179. Reiter, Rezeption und Beachtung von Basler Dekreten, S. 220. 52 Vgl. zu der von Johann geförderten Reform der Klöster und Stifte Buchner, Johann III.; Bünz, Klerus, Kirche und Frömmigkeit, S. 38 f.; Wendehorst, Art. Eichstätt, in: LMA 3 (1986), Sp. 1671–1673. Zum Bistum gehörten die Säkularkanonikerstifte Herrieden, St. Emmeram, Spalt (St. Nikolaus), Heidenheim und Hipoltstein, die Benediktinerklöster Wülzburg, Kastl, Plankstetten, Auf hausen a. d. Wörnitz, die Benediktinerinnenabteien von Monheim, Bergen und St. Walburg, die Zisterzienserabtei von Heilsbronn, das Augustinerchorherrenstift Rebdorf u. a. 53 Vgl. zur Reformbewegung von Kastl im Bistum Eichstätt knapp Wendehorst, Das benediktinische Mönchtum im mittelalterlichen Franken, S. 57. 54 Vgl. zu Rebdorf Buchner, Das Bistum Eichstätt, S. 235; Littger, Die Bibliothek, S. 109–138. 55 Zur Reform des Klosters vgl. Buchner, Johann III., S. 12–15. 51

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

bestand in der Mitte des 15. Jahrhunderts aus etwa 30 Adligen, die meist eine juristische Ausbildung und eine kirchliche Weihe hatten.56 Neben der ursprünglichen Aufgabe, dem Vollzug der Liturgie, hatten die Domherren kirchenpolitisch entscheidenden Einfluss durch die Übernahme von Aufgaben der Bistumsverwaltung sowie durch das Bischofswahlrecht.57 Die Domherren wählten den Bischof seit 1365 stets aus ihrem Kreis und regelten die Beziehung zwischen Domkapitel und Bischof seit 1259 durch Wahlkapitulationen, die die bischöfl iche Jurisdiktionsgewalt über das Domkapitel stark begrenzten. So hatte auch Johann von Eych in seiner Wahlkapitulation auf das Jurisdiktionsrecht über Domkapitel, Weltklerus der Stadt und dessen Bedienstete verzichtet und dieses dem Dekan überlassen.58 Bei der Einführung der Reformstatuten 1447 kam es daher zum Streit über deren rechtliche Verbindlichkeit für Domkapitel und Weltklerus von Eichstätt. Bei seinem Besuch in Eichstätt im April 1451 entschied der päpstliche Legat Nikolaus von Kues, dass die leicht modifizierten Synodalstatuten auch für Domkapitel und Stadtklerus gelten sollten. Cusanus unterstützte damit Johanns Reformen, beließ aber dem Domdekan die Jurisdiktion über den Klerus.59 Damit hatte Johann am Domkapitel und im Stadtklerus trotz der päpstlichen Unterstützung nur wenig Rückhalt für seine Reformen.60 56 Zum Domkapitel Eichstätt vgl. Schieffer, Die Entstehung von Domkapiteln, S. 187– 191; Buchner, Das Bistum Eichstätt, S. 212–215; Heidingsfelder, Die Regesten; Braun, Das Domkapitel zu Eichstätt, S. 10–14. Zur Unterscheidung von Domkapiteln und Säkularkanonikerstiften knapp Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts 2, S. 139. Die Geschichte des Domkapitels Eichstätt ist noch wenig erforscht, vgl. Bünz, Klerus, Kirche und Frömmigkeit, S. 66: »Verfassung und Besitz, geistiges und geistliches Leben, vor allem aber der Personalstand dieser Institutionen im Mittelalter sind praktisch unerforscht.« – Die Kanoniker der Domkapitel mussten geweihte Subdiakone, Diakone oder Priester sein, vgl. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts 2, S. 140. Zur Zahl der Kanonikate im 15. Jahrhundert vgl. Buchner, Kirchliche Zustände, S. 183. 57 Vgl. zur kirchenrechtlichen Stellung der Domkapitel Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts 2, S. 139–147. Der geistliche Charakter der Domkapitel ging im späten Mittelalter durch das Adelsprivileg und die Beschränkung auf die niedere kirchliche Weihe zum Subdiakon als Aufnahmevoraussetzung weitgehend verloren, obwohl der geistliche Stand zumindest durch die obligatorische Tonsur der Domherren noch erkennbar war. Vgl. zu Domkapiteln in Bayern: Wendehorst, Kirche, Gesellschaft und religiöse Bewegungen, S. 74– 79. 58 Vgl. Buchner, Das Bistum Eichstätt, S. 214. Zu den Dignitäten des Domkapitels zählten der Dompropst, der vom Papst eingesetzt wurde und im 15. Jahrhundert nur noch Repräsentationsfunktion hatte, und der Dekan (auch: Dechant) als der »eigentliche juristische Vorstand des Domkapitels« (Braun, Das Domkapitel zu Eichstätt, S. 24). Beide hatten einen Treueeid gegenüber dem Bischof abzulegen. Vgl. zu den Ämtern im Domkapitel Braun, a.a.O., S. 15–39. 59 Vgl. zum Streit Bruggaier, Die Wahlkapitulationen, S. 40–42. 60 Vgl. Bruggaier, Die Wahlkapitulationen, S. 42: Schließlich »trug der Bischof den Sieg über sein Domkapitel davon, welches sich nunmehr, wie es scheint, endgültig seinem ihm weit überlegenen und äußerst tatkräftigen Oberhirten beugte.«

3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann

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Zu den geistlichen Häusern innerhalb der Stadtgrenzen gehörten auch zwei Kollegiatstifte, das Domannex-Stift St. Willibald und das Neue Stift (Unsere Liebe Frau).61 Das Neue Stift war Johanns Einfluss weitgehend entzogen, und er konnte die Statuten von 1447 dort nicht durchsetzen. Denn das Domkapitel hatte das Besetzungsrecht für die zwölf Kanonikate des Neuen Stifts, und Propst des Neuen Stifts war stets ein Domherr, so dass das Neue Stift im Widerstand gegen Johanns Reformen mit dem Domkapitel verbunden war.62 Die Mitglieder des Kollegiatstifts St. Willibald, das sich im Westchor des Doms befand, konnte Johann für seine Reformen gewinnen. Er bestimmte 1454, dass Mitglieder des Stifts nur Doktoren der beiden Rechte und der Theologie werden konnten. »Dadurch wurde die Bedeutung unterstrichen, die dieser Reformbischof diesem Kapitel beimaß. Er wollte an ihm einen Stab gelehrter und reformwilliger Mitarbeiter haben im Gegensatz zum Domkapitel, das nichts tat und gegen jede Reform war.« 63 Die Reformbemühungen zeigen Johann als einen Bischof, der als geistlicher Vater und Vorbild wirkt, für die Bildung des Klerus sorgt, visitiert und visitieren lässt.64 Johann hatte mit seinen Reformen teilweise dauerhaft Erfolg, da auch sein Nachfolger im Bischofsamt, Wilhelm von Reichenau (1464–1496), die Reformen fortsetzte.65 Die Diskussion um die kontemplative Lebensform muss vor dem Hintergrund seiner Reformtätigkeit gesehen werden. Da Johann sein Bischofsamt in dieser Weise engagiert wahrnahm, führte dies fast zwangsläufig zur Kritik an den kontemplativ lebenden Mönchen, die sich nicht aktiv in den Dienst der Kirchenreform stellten. Johann versuchte, »bischöfl iches Amt

61 Vgl. Backmund, Die Kollegiat- und Kanonissenstifte, S. 51–54 (zu Eichstätt); Wendehorst/Benz, Verzeichnis der Säkularkanonikerstifte, S. 56 f. Zum Kollegiatstift auch Moraw, Über Typologie, S. 9–37. 62 Vgl. Backmund, Die Kollegiat- und Kanonissenstifte, S. 52–54; Buchner, Das Bistum Eichstätt, S. 218–220. 63 Backmund, Die Kollegiat- und Kanonissenstifte, S. 51. St. Willibald hatte auch eine eigene Bibliothek, über deren Bestand im 15. Jahrhundert jedoch nichts überliefert ist, vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 3/2, S. 200 f. 64 Vgl. Mertens, Der Humanismus und die Reform des Weltklerus, S. 18: »Der Bischof als der geistliche Vater und Lehrer und das Vorbild seiner Kleriker, wie ihn Gerson in seiner Schrift ›De officio pastoris‹ beschrieben hat, steht in der Tat im Mittelpunkt der Reformkonzeption der oberrheinischen Reformer [. . .].« Was Mertens für die oberrheinischen Reformer konstatiert, gilt auch für Johann von Eych. 65 Wilhelm veranlasste z. B. 1480 eine umfassende Visitation von Klerus und Pfarreien im Bistum; er förderte die Gründung der Universität Ingolstadt und sorgte für die weitere Verbreitung des neuen Messritus (Missale Eystettense, gedruckt 1486; Obsequiale Eystettense; Breviarium Eystettense, gedruckt 1483). Das von Johannes Vogt verfasste, bislang nur in Auszügen edierte Visitationsprotokoll von 1480 ist die wichtigste Quelle für die spätmittelalterlichen Reformen im Bistum, vgl. Bünz, Klerus, Kirche und Frömmigkeit, S. 41–48. Ausgewertet bei Buchner, Kirchliche Zustände, S. 83–198.

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

und priesterliches Leben, aktiven Einsatz in der Seelsorge und Kontemplation zu vereinen«.66 Denn er schätzte die vita contemplativa durchaus.

3.4.3 Johanns Briefe zur Frage des kontemplativen Lebens So befasste sich Johann bereits vor seinem Schriftwechsel mit Bernhard mit dem Verhältnis von kontemplativem und aktivem Leben. In einem Brief vom Februar 1457 an die Nonnen aus St. Marienberg, die er zur Reform ins Kloster St. Walburg holte, spricht Johann ausdrücklich die monastische Lebensweise an. Er erinnert die Schwestern an die Jungfräulichkeit und fordert sie zur regelgemäßen kontemplativen Lebensweise auf, doch vertieft er das Thema hier noch nicht.67 Das Verhältnis von aktiver Reformtätigkeit und kontemplativem Leben war 1458 Anlass für einen Briefwechsel mit dem Kartäuser Jakob von Tückelhausen.68 Den Kartäuser bat Johann in einem Brief um eine »sive exhortativa sive devocionis alicuius epistola« zur Frage, ob das Leben im Kloster verdienstvoller sei als das Leben in der Seelsorge. Der Kartäuser reagierte darauf in insgesamt drei Briefen, die beiden ersten vom 4. Oktober sowie 1. November 1458.69 Hier vertritt der Kartäuser die vita contemplativa als sicheren Heilsweg. Er empfiehlt dem Bischof einen zeitweisen Rückzug aus seinem aktiven Dienst, aber sieht auch den Wert und die Notwendigkeit des priesterlichen Dienstes in der Welt. Am 1. Dezember 1458 antwortete Johann dem Kartäuser; er plädiert für eine Verbindung von vita activa und vita contemplativa und bittet erneut für sich um eine Formula vivendi.70 Jakob reagierte darauf am 18. Januar 1459 mit einem Brief, dem er u. a. eine »formula ad unitivi amoris perfectionem inductiva« beilegte.71 Dieser Briefwechsel zwischen Johann von Eych und dem Kartäuser Jakob nimmt inhaltlich den Briefwechsel mit Bernhard vorweg. Johann verwendet in seinem Traktat die gleichen Argumente für die vita activa wie 1462 in der Epistula impugnatoria an Bernhard von Waging. »Johannes von Eych ver-

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Wendehorst, Kirche, Gesellschaft und religiöse Bewegungen, S. 76 f. Epistola ad sanctimoniales monasterii S. Walpurgae, 7. Februar 1457, gedruckt: Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 651–670. 68 Zum Schriftwechsel zwischen Jakob von Tückelhausen und Johann von Eych vgl. Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 236–242, mit kurzen Auszügen aus den Briefen (S. 238– 241). Der Schriftwechsel zwischen Johann und Jakob spiegelt zugleich die vorausgehende Auseinandersetzung zwischen den beiden Kartäusern Jakob von Paradies und Johannes Hagen wider, vgl. a.a.O., S. 187–230. 69 Vgl. clm 18610, f. 211r–215v (BSB München). Zur Überlieferung des Briefwechsels vgl. Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 237 Anm. 441–443. 70 Vgl. clm 18610, f. 27r–29r. 71 Vgl. clm 18610, f. 220r–223v. 67

3.4 Die Diskussion der Lebensformen zwischen Bernhard und Johann

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bindet beide Auseinandersetzungen nicht allein durch seine Person, sondern auch durch die Wiederholung der gleichen Argumente«.72 Johanns Plädoyer für eine vita activa ist aber gegenüber seinem neuen Gesprächspartner Bernhard schärfer formuliert. So ist sein Hauptargument im Brieftraktat vom Dezember 1458, dass die gegenwärtigen Zustände gerade deshalb so schlecht seien, weil sich fähige Männer aus den geistlichen Leitungsämtern in die vita contemplativa zurückzögen. »Der übersteigerte Anspruch des monastisch-kontemplativen Ideals schmälert demnach die Rekrutierungsbasis der Elite«.73 Johann beurteilt die Seelsorgetätigkeit positiv und als die gegenüber dem monastischen Leben größere Herausforderung und schwerere Aufgabe. Beide Gedanken nimmt er in der Epistula wieder auf. Der Kartäuser Jakob gebraucht in seinen Briefen die Argumente, die auch Bernhard im Speculum pastorum und Defensorium speculi pastorum als Beweis für den Vorrang des kontemplativen Lebens verwendet.74 Jakob warnt in »modernis temporibus« vor der Gefahr des Prälatenstandes für das eigene Heil und empfiehlt nachdrücklich das kontemplative Leben.75 Jakobs Argumentation und Formulierungen sind beeinflusst von den Schriften des Erfurter Kartäusers Jakob von Paradies. Bernhard weiß zur Zeit der Abfassung des Speculum (1462) nichts über den Schriftwechsel zwischen Johann und Jakob von Tückelhausen. Erst in der Epistula impugnatoria bezieht Johann sich selbst auf diesen bereits geführten Schriftwechsel. Doch die Schriften des Erfurter Kartäusers Jakob waren Bernhard möglicherweise bekannt; er rezipiert sie in seinen Schriften gegen Johann von Eych jedoch nicht explizit.76 Im Schriftwechsel mit Jakob von Tückelhausen wird Johanns Anliegen deutlich: In seiner bischöfl ichen Reformabsicht wünschte er eine stärkere Beteiligung der Mönche an der Kirchenreform. In der vita activa vieler reforminteressierter Männer sah er die Möglichkeit der praktischen Umsetzung seiner Reformen im Bistum. Johann griff das Thema erneut in einem Gespräch mit Bernhard auf, in dem der Bischof den Vorwurf äußerte, die Mönche und Ordensleute kümmerten sich zu wenig um aktive Reform durch Seelsorge und lebten im 72

Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 237. Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 239. 74 Die Titel der Schriften werden im Folgenden i. d. R. abgekürzt verwendet: Speculum, Epistula bzw. Defensorium. 75 Vgl. clm 18610, f. 211v–212r. 76 Der Münchener Codex 18600 (BSB München), in dem auch Autographen Bernhards überliefert sind, enthält auch Schriften des Erfurter Kartäusers Jakob (vgl. clm 18600, f. 348r-357v, 418r–419v). Rezipiert wird der Erfurter Kartäuser in Tegernsee spätestens 1464, als Oswald Nott mehrere Schriften des Erfurter Kartäusers und den Briefwechsel zwischen Johann von Eych und Jakob von Tückelhausen abschrieb (vgl. clm 18610); vgl. Redlich, Tegernsee, S. 193. 73

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Kloster nur für ihr eigenes Heil. Auf diesen Vorwurf, der nur in der Reaktion Bernhards überliefert ist, antwortete Bernhard im Oktober 1462 mit der Schrift Speculum pastorum, die er Anfang November abschloss und an Johann von Eych sandte. Dieser reagierte mit seiner Epistula impugnatoria, die er am 8. Dezember 1462 an Bernhard sandte und die dieser mit dem Defensorium speculi pastorum beantwortete, das er am 25. Januar 1463 beendete. Wie Johanns Position von seinem Amt und den Basler Reformdekreten zur Kirchenreform beeinflusst war, war auch Bernhards Position im Schriftwechsel von seiner Biographie und der Melker Reformbewegung geprägt.

3.4.4 Das Seelsorgeverbot in den benediktinischen Reformbewegungen Die Frage, ob Mönche in der Seelsorge in Gemeinden priesterlich tätig sein dürfen, wurde im benediktinischen Mönchtum immer wieder diskutiert.77 Denn die cura animarum, die Verwaltung der Sakramente (potestas sacramenti), Gottesdienst und Predigt (potestas docendi et praedicandi) in Pfarreien, war nach der Benediktsregel nicht vorgesehen. Doch wurde sie seit dem 12. Jahrhundert zumindest bei inkorporierten Pfarreien praktiziert. In ihrer Forderung nach der Rückkehr zum regelgemäßen Leben lehnten die benediktinischen Reformer von Kastl, Melk und Bursfelde die Seelsorgetätigkeit von Mönchen strikt ab, auch bei den zum Kloster gehörigen Pfarreien. »Da die Seelsorge auf Klosterpfarren nur sehr bedingt mit dem klösterlichen Leben vereinbar war, wollten die Reformer im Idealfall die Pfarrseelsorge den Mönchspriestern weitgehendst entziehen.«78 Das Konzil von Basel erlaubte es den Benediktinern jedoch, ihren Dienst in inkorporierten Pfarreien auszuüben, sofern sie weiterhin im Kloster wohnten und an Komplet und Nachtgebet teilnahmen. Die Reformer aus Melk und Tegernsee standen diesem Zugeständnis ablehnend gegenüber und sahen in den Consuetudines eine seelsorgerliche Tätigkeit außerhalb des Klosters nur in Notfällen vor.79 Erlaubt war z. B. die geistliche Betreuung von Frauenkonventen.80 Denn die Seelsorgetätigkeit wurde, auch von Bernhard, als vita activa verstanden, die dem kontemplativen Leben in strikter Befolgung der Benediktsregel entgegenstand. Bereits vor dem Schriftwechsel zwischen Johann und Bernhard sind damit die Positionen, die beide vertreten, durch ihren Stand als Bischof bzw. 77 Vgl. zur Entwicklung bis ins 13. Jahrhundert Hofmeister, Mönchtum und Seelsorge, S. 209–273. 78 Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 172–175, hier: S. 173. 79 Vgl. Breviarium caeremoniarum monasterii Mellicensis (CCMon 11,2, S. 167,11–14): »nisi in causa evidentis necessitatis et ubi aliter fieri non potest«; vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 175. 80 Vgl. Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 149–160.

3.5 Bernhards Speculum pastorum et animarum rectorum (1462)

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Mönch vorgezeichnet. Der Schriftwechsel diente nun der theologischen Diskussion der beiden Lebensformen, um angesichts der zeitgenössischen Reformnot zu einem situativ angemessenen Urteil über die Seelsorgetätigkeit von Mönchen zu kommen, für die Johann warb und die Bernhard ablehnte. Im Folgenden wird Bernhards Argumentation der Johanns von Eych gegenübergestellt.81 Dabei wird die erste Schrift Bernhards, das Speculum, ausführlicher behandelt als die Gegenschrift Johanns und Bernhards Reaktion darauf im Defensorium. Denn im Speculum greift Bernhard einen mündlichen Vorwurf auf und konzipiert den Traktat als Antwort darauf eigenständig, während er im Defensorium auf Johanns Schrift reagiert, deren Argumente aufnimmt und widerlegt. Die Thesen des Speculum werden im Textverlauf vorgestellt, um anhand von Auf bau, Motivik sowie Sprache und Stil Bernhards theologisches Denken nachzuvollziehen.

3.5 Bernhards Speculum pastorum et animarum rectorum (1462) 3.5.1 Ein Vorwurf an das kontemplative Mönchtum und seine Widerlegung Anlass der Schrift war, so Bernhard, ein Gespräch mit einem »sehr gelehrten Mann« in bischöfl ichen Würden.82 Mehr wird über den Gesprächspartner Bernhards nicht gesagt; auch die zeitliche Einordnung des Gesprächs bleibt mit der adverbialen Bestimmung (aliquando) unbestimmt. Wahrscheinlich war Bischof Johann von Eych selbst der Gesprächspartner.83 Jedoch behält auch Johann in seinem Antwortschreiben, der Epistula impugnatoria, die literarische Distanzierung bei, wenn er sich auf ein Gespräch bezieht, das Bernhard mit irgendjemandem aus dem Episkopat geführt habe.84 In diesem Gespräch über den gegenwärtigen Zustand der Kirche und des Mönchtums (de statu religionis) war der Vorwurf erhoben worden, dass 81 Der Schriftwechsel wird erstmals ausführlicher bei Wilpert (1953), Vita contemplativa, S. 209–227, behandelt; vereinzelte Hinweise bei Redlich, Tegernsee, S. 104–110; Grabmann, Bernhard von Waging, S. 82–98. Erst die Edition des Schriftwechsels von Riemann (1985), Der Briefwechsel, S. 1–313, bietet die Grundlage für eine detaillierte Untersuchung der Schriften, die Riemann in ihrem Kommentar zur Edition (S. 314–389) begonnen hat. Sie bietet neben einer Strukturskizze einen »auf die Problematik der Zwei-Wege-Lehre reduzierten Kommentar« (a.a.O., S. VI). 82 Vgl. Bernhard von Waging (im Folgenden abgekürzt: BvW), Speculum, Praefatio (Riemann, S. 1,1–4,3, hier: S. 1,1 f.). »Habita collatione cum viro quodam doctissimo, in solio pontificalis dignitatis sublimato«. 83 Vgl. Wilpert, Vita contemplativa, S. 210 Anm. 6: »Es kann kein Zweifel sein, dass es sich um die Eichstätter Unterredung mit Bischof Johann von Eych handelt.« 84 Johann von Eych, Epistula Impugnatoria (Riemann, S. 102,3 f.): »quam te cum quodam in pontificatu exsistente habuisse narras«.

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

nicht wenige Religiosen sich allein zugute leben und »keine Frucht für die Kirche bringen«, es daher »nützlicher, besser und heilbringender« sei, wenn diese um des Seelenheils vieler Menschen willen in der Welt blieben.85 Diesen Vorwurf greift Bernhard auf und hält dagegen, dass er das »Gesündere« und »Sichere« in dieser Schrift aufzeigen möchte.86 Die Adjektive »sanus« und »securus« sind typisch für Bernhard. Denn für ihn ist das Sichere für das Seelenheil des einzelnen Menschen und das Gesunde nach dem Urteil der benediktinischen sanior pars das, was er in seinen Schriften darlegen will. Im Speculum trägt Bernhard nun zusammen (comportare), was in der Frage der vita activa und vita contemplativa das Vorzuziehende sei.87 So formuliert er die Quaestio: »Utrum utilius, fructuosius et salubrius sit aliquem manere in saeculo et multos Christo lucrificare verbo et exemplo atque per consequens in vita futura maiori exinde remunerari praemio quam sibi soli [. . .] et sese pro Christo omnibus abnegatis in claustro recludere.« 88 In der Formulierung der Quaestio werden die zentralen Aspekte des Themas deutlich: Es geht Bernhard um den höheren ideellen Rang der vita contemplativa, der sich am Verdienst (meritum) bei Gott erkennen lässt. Bernhard fragt aber auch nach dem Nutzen dieser Lebensform für das eigene Heil und für das der anderen. Unter diesen Aspekten werden die beiden Wege, die vita activa und die vita contemplativa, diskutiert. An die Quaestio anschließend, gibt Bernhard einen Überblick über seine Argumentation.89 Die Quaestio bejahend (pars affi rmativa), wird er sowohl Beispiele von Heiligen, die das Kloster verließen und sich der Seelsorge widmeten, anführen als auch Vernunftgründe (rationes) nennen, die für ein Leben im kirchlichen Dienst zu sprechen scheinen. »Ad contrarium« wird er die Argumente für das kontemplative Leben nennen. Die gesamte Argumentation erfolgt unter dem Vorbehalt der gegenwärtigen Zeit (nunc temporis),90 was sowohl für das Speculum als auch die beiden folgenden Schriften gilt. Denn der Vorwurf ist eine aus der zeitgenössischen geistlichen Not geborene Aufforderung an die kontemplativ lebenden Mönche, sich aktiv an der Reform der Kirche zu beteiligen. Daher argumentiert Bernhard formal auf seine Gegenwart bezogen. Seine Aussagen lassen aber erkennen, dass er

85 Vgl. BvW, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 1,6–14): »quod videlicet plerique in monasteriis degentes sibique soli viventes [. . .] fructum non ferrent ecclesiae [. . .] quod diversis respectibus videretur utilius, melius ac salubrius ob plurimorum profectum lucrumque animarum aliquem talem manere in saeculo quam [. . .] servire in claustro.« 86 Vgl. BvW, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 2,2 f.): »quid in materia proposita sit sanius tenendum atque securius imitandum«. 87 Vgl. BvW, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 2,7 f.). 88 BvW, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 2,13–3,2). 89 Vgl. BvW, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 2,12–4,3). 90 Vgl. BvW, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 3,17).

3.5 Bernhards Speculum pastorum et animarum rectorum (1462)

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das Verhältnis der beiden Lebensformen grundsätzlich bestimmen will in den sieben Kapiteln der Schrift. 3.5.1.1 Bernhards These: Das kontemplative Leben ist besser und sicherer Trotz der angekündigten Abhandlung der Quaestio beginnt er die Argumentation mit der Formulierung der Gegenthese. »De eo quod melius sit et securius nunc temporis sibi soli et deo vacare quam in statu praelationis gubernare«.91 Im ersten Kapitel beweist Bernhard, dass es gegenwärtig besser und sicherer sei, sich von allen weltlichen Verpfl ichtungen frei zu machen und Gott zu dienen, als ein Amt in der Kirchenleitung zu übernehmen. Dazu habe er die folgenden Überlegungen aus verschiedenen Schriften zusammengetragen,92 zur Diskussion für die Gelehrten und Kundigen,93 denn die Streitfrage bewege viele, insbesondere diejenigen, die im Glauben stark seien. Mit dem Verweis auf die Starken im Glauben spricht er als erweiterten Adressatenkreis alle an, die ein verantwortungsvolles kirchliches Amt, wie z. B. ein Bischofsamt, innehaben. Bernhard nennt gleich zu Beginn seiner Argumentation seine Zeugen, darunter Mönchsväter wie Hieronymus, Augustinus, Ambrosius, Hilarius, Benedikt von Nursia und Bernhard von Clairvaux, deren Hinwendung von der vita activa zur contemplativa sie für ihn zu Exempla machen.94 Ebenso zitiert er als Autoritäten die Aussagen biblischer Autoren und Gregor des Großen.95 Doch trotz des Autoritätsbeweises, den Bernhard beginnt, folgt er hier und in den folgenden Kapiteln nicht der Form der Quaestio. Vielmehr löst er diese auf zugunsten einer durch Stichworte verknüpften Aussagetechnik. Zu diesen den Text strukturierenden Stichworten gehören die oft im Komparativ angeführten Adjektive in adverbialem Gebrauch wie »melius«, »securius«, »rectius« und »salubrius«.96 Sie spiegeln die zentrale Aussage der Schrift wider: Das kontemplative Leben ist der sicherere Weg zum ewigen Heil im Gegensatz zu der unsicheren Hoffnung auf Rettung vieler Seelen durch eine aktive kirchliche Tätigkeit.

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BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 4,4 f.), vgl. a.a.O. (S. 4,4–14,7). Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 4,9 f.): »ex multorum scriptis et gestis sanctorum«. 93 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 5,2 f.): »doctis et sapientibus«. 94 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 5,9–12; 12,5; 14,3; 14,5). 95 Z. B. Paulus mit 1. Kor 9,16 (Riemann, S. 8,11); Petrus mit Joh 21,17 (S. 8,14); den alttestamentlichen Propheten Haggai 1,6 (S. 9,10–12); die Homilien Gregors des Großen (S. 12,9–11) etc. 96 Vgl. zu »melius« BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 4,4; 10,12); zu »securius« a.a.O. (S. 4,4; 11,3; 11,6); »securus« (S. 7,1); »rectius« (S. 10,4); »salubrius« (S. 10,4). 92

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Davon möchte Bernhard den Leser überzeugen, und er tut dies, indem er in die Geschichte zurückblickt.97 Viele Mönchsväter flohen vor dem kirchlichen Amt ins Kloster und bewiesen damit, so Bernhard, mehr geistliche Erkenntnis, Heiligkeit und Weisheit als in gegenwärtigen Zeiten vorhanden.98 Denn sie erkannten die Gefahr für das eigene Heil und nahmen den kirchlichen Dienst allenfalls als ausdrücklich dazu »von Gott Berufene« oder »Gezwungene« wahr.99 Bernhard betont nachdrücklich den Kontrast zwischen der Weitsichtigkeit der Väter gegenüber dem kurzsichtigen Ehrgeiz in der gegenwärtigen Kirche, da sie selbst erfahrene Männer dazu verführe, die via perfectionis zu verlassen.100 Im Kontrast zu den zeitgenössischen Zuständen stellt er die apostolische Zeit als eine Zeit dar, in der die Apostel das Wort Gottes verkündigten, Beichte hörten und Sakramente spendeten.101 Er stellt diese Zeit als Idealzeit vor Augen, in der Seelsorge und Sorge um das eigene Heil einander nicht ausschlossen. Für seine Gegenwart warnt Bernhard mit dem Propheten Haggai davor, das eigene Heil durch die Sorge um das Seelenheil anderer zu verlieren.102 Denn die vita activa berge durch vielfältige Ablenkungen und nichtiges Geschwätz nur Gefahren für die Seele,103 so dass es besser sei, Gott für die Seelen sorgen zu lassen und nur die eigene Seele zu retten.104 Dies ist für Bernhard der sichere Weg, der vor der Verdammnis bewahrt und Freude bewirkt. Deshalb lobt er auch all jene, die die »cura pastoralis« aufgaben. Wechselte Bernhard schon mit rhetorischen Fragen105 in einen erbaulichen Stil, so mündet das erste Kapitel in sehnsuchtsvoll ausgerufenen Wünschen, dass viele, die im kirchlichen Dienst stehen, die Freude des kontemplativen Lebens umarmen mögen.106 3.5.1.2 Die Reihe der Zeugen für die vita contemplativa Hat Bernhard im ersten Kapitel das kontemplative Leben als Idealform geistlichen Lebens vorgestellt, ist das zweite Kapitel der Autoritätsbeweis für diese These. Er nennt eine lange Reihe von Zeugen, die das Bischofsamt niederlegten und sich um des eigenen Seelenheils willen in das kontempla97

Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 5,6–6,16). Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 5,12–14): »altiori tamen scientia, sanctitate et sapientia quam nostris temporibus modernis plurimi fulgentes«. 99 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 6,4 f.): »a deo vocati«; »non nisi inviti et coacti« (S. 6,8). 100 BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 6,8–17). 101 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 8,7–10) »ministerium verbi dei, confessiones audire, consilia dare, sacramenta ministrare«. 102 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 8,7–10,3). 103 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 10,4–11). 104 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 10,11–11,16). 105 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 11–13). 106 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 13,14.16). 98

3.5 Bernhards Speculum pastorum et animarum rectorum (1462)

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tive Leben zurückzogen.107 In der ersten Hälfte des Kapitels108 listet er deren Namen nur auf und ergänzt Biographisches zur Verdeutlichung, warum er sie als Zeugen sieht. Bernhard schöpft aus der patristischen und mittelalterlichen Literatur und kompiliert Aussagen aus De contemptu mundi des Petrus Damiani, aber auch aus der Historia tripartita des Epiphanius-Cassiodor.109 Für Bernhard zählen nicht die unterschiedlichen Motive, das Amt niederzulegen, sondern allein das Faktum der Amtsaufgabe. Wichtig ist ihm zum einen der Verdienstgedanke, der ewige Lohn, zum anderen die Freude und das Glück dieser Personen im Kloster. Das Kapitel ist geradezu eine Werbeschrift für das kontemplative Leben, und die Exempla fordern zur Nachahmung auf. Nach den »Alten« (veteres) wendet sich Bernhard auch zeitgenössischen Schriften zu und zitiert ausführlich aus Johannes Niders Formicarius. Dabei übernimmt er wörtlich Passagen aus seinem Brief vom September 1454 an Cusanus.110 Die Selbstzitation zeigt, dass Bernhard sich nicht nur immer wieder und gegenüber unterschiedlichen Gesprächspartnern zum beschaulichen Leben äußerte. Sie zeigt auch die Beständigkeit seiner Position, die er 1454 im Brief an Cusanus, 1462 in der Schrift an Johann zum Ausdruck bringt. Der Vorrang der vita contemplativa ist konstitutiv für Bernhards theologisches Denken. Daher kann Bernhard auch die eschatologische Ehre und den Ruhm derer, die sich aus Liebe zu Gott von allem Weltlichen getrennt haben, ausführlich schildern.111 Er fährt in seiner Überzeugungsarbeit damit fort, dass auch Gregor der Große, Bernhard von Clairvaux und Augustinus nur gezwungenermaßen das Bischofsamt auf sich nahmen, und zieht daraus den Schluss: Wenn diese fest im Glauben stehenden Männer die Lasten (onera) und Gefahren (pericula) des Bischofsamtes fürchteten, so ist es dumm (stultus), freiwillig das geistliche Leitungsamt zu übernehmen.112 Damit hat

107 BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 15,1; vgl. S. 27,4–6): »pro Christi amore pontificales infulas deponentes, sese monachum induerunt«. 108 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 15,6–23,17). 109 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 14,11–23,17). 110 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 24,3–27,1). Von diesem Brief hatte Bernhard wohl eine Vorlage oder Abschrift, da zwischen den beiden Textpassagen fast keine Abweichungen zu fi nden sind. Vgl. Brief von Bernhard an Nikolaus von Kues, vor dem 9. September 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 47, S. 150–161), auch: Vansteenberghe, Autour, S. 143–148, Nr. 25. Es entsprechen sich: BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 15,6–9)/ Baum/Senoner, a.a.O., S. 154; Riemann, S. 24,3–27,1/ Baum/Senoner, S. 154–156; Riemann, S. 30,4–10/ Baum/ Senoner, S. 156; Riemann, S. 30,17–32,17/ Baum/Senoner, S. 156–158. 111 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 27,7–14). 112 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 27,15–30,3).

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Bernhard das Ziel seiner Argumentation erreicht. Er gesteht aber zu, dass es notwendigerweise geistliche Leiter geben müsse.113 3.5.1.3 Das Bischofsamt und seine Aufgaben Die mit dem geistlichen Amt verbundenen Gefahren114 stellt Bernhard in den Kapiteln 3 bis 5 vor Augen, indem er zuerst mit Hugo von St. Victor die bischöfl ichen Aufgaben bestimmt. »Pastores forent ordinanda, docenda et corrigenda«.115 Zentrales Stichwort in diesem Kapitel ist das »officium praelationis«, und so entspricht das dritte Kapitel dem, was von der literarischen Gattung des Spiegels erwartet wird.116 Unter dem Leitsatz »das gehört zum Amt«117 listet Bernhard detailliert die Aufgaben eines Bischofs auf, die weit über Gottesdienst und Kultus hinausgehen. Zum geistlichen Amt gehöre auch die Fürsorge für den Klerus und dessen moralisch-sittlichen Wandel, die sich in Visitationen, Provinzialsynoden und der Inquisition zeige. Ein Bischof habe zudem die Aufgabe der Rechtsprechung ebenso wie die der Erneuerung der religio und des Vorgehens gegen Aberglauben.118 An die Nennung der geistlichen Aufgaben schließt Bernhard die gesellschaftlich-juridischen an, das Vorgehen gegen unlautere Geschäftspraktiken, das Verbot des Zinswuchers und der Simonie. Zum geistlichen Amt gehört schließlich laut Bernhard auch die Fürsorge für die Religiosen. Indem Bernhard selbst missbräuchliche Handelspraktiken von Handwerkern und Händlern als bischöfl iche Aufgaben bestimmt,119 erweitert er den bischöfl ichen Aufgabenbereich weitestmöglich. Da die Händler mit ihrem Verhalten eine Todsünde begehen könnten, gehört auch deren Ermahnung (admonitio generalis) zu den bischöfl ichen Aufgaben.120 Nach dieser umfassenden Beschreibung, die, wie Bernhard betont, nur einen Ausschnitt aus dem Aufgabenbereich eines Bischofs erfasse, geht er auf den fi ktiven Einwand ein, dass es leicht sei, von diesen Aufgaben zu schreiben, aber schwer, sie zu erfüllen.121 Diesen Gedanken greift Bernhard auf, um damit die Schwere des pastoralen Amtes und der pastoralen Sorge zu

113 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 30): »oportet enim« (S. 30,6); »oportet utique« (S. 30,17); »oportet etiam« (S. 31,1). 114 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 33,6 f.): »statui praelationis annexa pericula gravia«. 115 BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 33,15). 116 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 34,2–41,6). 117 BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 34,3): »ad eorum pertinet officium«. 118 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 34,3–36,12). 119 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 39,7–41,6). 120 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 41,3). 121 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 41,7–9).

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erläutern.122 Bernhard spielt mit dem Motiv der »cura« als ›Fürsorge, Seelsorge‹ und als ›Sorge‹. Für ihn ist die Seelsorge nur Sorge.123 Er warnt abschließend vor der Gefahr der Güter- und Besitzverwaltung sowie des persönlichen Besitzes des Bischofs.124 Bernhard erlaubt seinem Adressaten einen dem Amt angemessenen Besitz, aber er lässt keinen Zweifel daran, dass einen Bischof die inneren Werte, die »puritas cordis et recta intentio«, zieren.125 3.5.1.4 Die Lasten und Gefahren des Amtes Aus der Aufgabenbeschreibung greift Bernhard eine Aufgabe heraus, die der geistlichen Disziplinierung. Denn in der mangelnden geistlichen Disziplinierung durch die Kirchenleitung sieht er die Wurzel allen gegenwärtigen Übels. »Et iudicio meo ideo hodie tot errores exorbitantiae et insolentiae invaluerunt in ecclesia, quia vitia debite non castigantur nec vigiles sollicite super greges intendunt nec speratur aliqua reformatio generalis vel specialis, nisi disciplina coercendi reprobos reflorescat.«126 Eine Reform der Kirche kann nur gelingen, wenn gegen geistliche Irrtümer und Sünden disziplinarische Maßnahmen ergriffen werden. Daher ist das Nicht-Korrigieren für Bernhard ein Zeichen der Vernachlässigung des geistlichen Amts.127 Mit zahlreichen Beispielen stellt er heraus, dass es nicht genüge, selbst in Leben und Lehre vorbildlich zu sein, sondern dass zum Bischofsamt auch die Aufdeckung und Bestrafung von Sünde gehöre,128 wobei bei manchen Sündern die ermahnende Predigt genüge, andere mit Furcht vor Strafe und deren aktivem Vollzug auf den rechten Weg gebracht werden müssten.129 Bernhard interpretiert zur Illustration das Gleichnis vom barmherzigen Samariter allegorisch: Wie dieser die Wunden mit Wein säuberte, so tue dies auch der geistliche Leiter mit dem Wein der Strenge (vinum severitatis).130 Wie es medizinisch nichts nütze, eine Wunde oberflächlich zu verarzten, so müsse auch der geistliche Leiter die Laster mit der »censura disciplinae«131 ausmerzen, damit diese sich nicht ausbreiten. Bernhard sieht die Scheu des 122 BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 41,10 f., vgl. S. 41,10–42,10): »Ideo non levis est sarcina pontificalis et quaelibet cura pastoralis«. 123 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 41,10 f.16 f.). 124 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 43,7–45,3). 125 Vgl. BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 44,15 f.). 126 Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 50,11–15). 127 BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 50,15): »impunitas mater est omnium neglegentiarum«. 128 Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 45,7–46,15). 129 Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 46,16–47,13). 130 Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 47,13–48,4). 131 BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 48,15, vgl. S. 48,5–49,11).

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geistlichen Leiters, andere zu betrüben, als verantwortlich für eine falsche Scheu vor disziplinarischen Maßnahmen.132 Er ermahnt daher mit zahlreichen biblischen Beispielen und Zitaten altkirchlicher Autoren die »pastores«, ihr geistliches Amt wahrzunehmen.133 Wichtig ist ihm, dass die geistlichen Leiter in gegenwärtiger Zeit die Möglichkeit disziplinarischer Maßnahmen haben, während die Apostel »in paupertate condicione« diese nicht hatten.134 Daher fordert er nachdrücklich dazu auf, die offensichtlichen Sünden auszumerzen und damit nicht nur das geistliche Amt wahrzunehmen, sondern auch die Frommen (boni) zu schützen.135 Gemäß der Gattung des Spiegels fasst Bernhard abschließend die Aufgaben des Bischofs zusammen. Ein Bischof muss (1) die Gemeinde mit Gottes Wort versorgen, (2) die Sakramente verwalten, (3) visitieren, (4) schädliches Verhalten in Wort und Tat anprangern und (5) selbst als Vorbild leben.136 Unter diesen Punkten ist die Forderung nach Visitationen typisch für die konziliaren Forderungen des 15. Jahrhunderts, die auch die Melker Reformbewegung aufgriff. 3.5.1.5 Das Bischofsamt in der gegenwärtigen Zeit und in der Alten Kirche Aus der Bestimmung der bischöfl ichen Aufgaben im dritten und vierten Kapitel zieht Bernhard im fünften Kapitel die Schlussfolgerungen (conclusio) für das Verhältnis von aktivem Seelsorgedienst und kontemplativem Leben: »Enimvero nunc istis temporibus praelatio et in cura animarum praesidentia lusus est nimis periculosus«.137 Bernhard kommt erwartungsgemäß zur These, dass das Seelsorgeamt gegenwärtig sehr gefährlich sei, da Neid und Missgunst das Amt zu einer Gefahr und Last machten.138 Besondere Gefahren berge das geistliche Amt, da Begierde und Bosheit (cupiditas et malignitas) herrschten,139 »nil liberum, nil integrum, nil denique securum, nil purum relinquunt«.140 Diese Klage über die gegenwärtigen Zustände führt Bernhard zur historischen Rückschau, wobei er die Entwicklung der Kirche als Verfallsgeschichte sieht.141 Die ersten Christen flohen aus der Welt, um Gott in Ruhe zu dienen, und aus ihrer Liebe zu Gott entstanden Kirchen, Klöster und 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141

Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 49,12–50,10). Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 50,11–53,1). Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 53,2–14). Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 53,14–54,16). Vgl. BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 54,17–57,17). BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 58,8–10). Vgl. BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 58,14–59,7). Vgl. BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 59,8–60,17). BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 60,13 f.). Vgl. BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 60,17–62,15).

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gute Werke. Später verführte der Teufel die Kirche zum Abfall von der christlichen Armut. Das Auf bewahren von Gaben statt deren Weitergabe an die Armen führte dazu, dass Kirche und Klerus immer mehr Aufgaben übernehmen mussten und Gott nicht mehr in Ruhe dienen konnten. Mit dieser Kritik fordert Bernhard implizit ein Ideal kollektiver Armut der Kirche. Doch ist diese Forderung bei ihm nicht Ausdruck radikaler Kirchenkritik, sondern erwächst aus seiner Sorge um das Seelenheil des einzelnen Amtsträgers. Wie die Empfehlung persönlicher Armut im dritten Kapitel soll auch die Armut der Kirche dem Bischof Freiheit von den Gefahren des Besitzes bringen. Ziel seiner Argumentation ist die Befreiung von der Last des Amtes zu einem wahrhaft Gott dienenden Leben in der Kontemplation.142 Daher stellt Bernhard mit Zitaten und Klagerufen die Last des aktiven Lebens in der Seelsorge dar.143 Den Einwand, dass das Seelsorgeamt gefahrlos sei, wenn jemand es freiwillig und um die Gefahren wissend auf sich nehme, wehrt er entschieden ab. Denn, so Bernhard, wer sich mit der Welt einlässt, erliegt um so leichter deren Laster: »Quando quisque curis mundi maioribus occupatur, tanto facilioribus vitiis premitur.«144 Das Ideal des geistlichen Amtes und des beschaulichen Lebens sieht er in der Alten Kirche. Damals übernahm ein Mann ein geistliches Amt aus Liebe und in der Bereitschaft zum Martyrium und tat somit ein gutes Werk (bonum opus).145 Bernhard überlässt es an dieser Stelle dem Leser, die Schlüsse für seine Gegenwart zu ziehen. Seine These ist klar: Kontemplation statt Aktion, monastisches Leben statt Bischofsamt »nunc in fine mundi«.146 3.5.1.6 Das kontemplative Leben ist besser und nützlicher In der Replicatio und Invectio des sechsten Kapitels kehrt Bernhard zur Quaestio zurück und greift zwei Vorwürfe gegen die vita contemplativa auf, das Bischofsamt als gutes Werk und den Nutzen der vita activa für den Nächsten. Er beantwortet also die Frage nach Verdienst (meritum) und sittlichem Wert der beiden Lebensformen. Das Bischofsamt ist für Bernhard nicht per se ein »opus bonum«, und Bernhard hält daran fest, dass ein geistliches Amt nur annehmen soll, wer durch Notwendigkeit gezwungen werde.147 Den damit verbundenen Ein142 Vgl. BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 62,15–17, hier: S. 62,15–17): »qui a cura liber tota die in thalamo cellae pulcherrime sponsae suavitatis sapientiae vel Rachelis venustae contemplationis complexibus et osculis insistit.« 143 Vgl. BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 63,1–66,5). 144 BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 66,6–67,12, hier: S. 67,9 f.). 145 Vgl. BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 67,13–68,17). 146 BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 68,9). 147 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 73,1–3): »per urgentem et inevitabilem necessitatem«, vgl. a.a.O. (S. 69,13–73,3).

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wand, dass jeder seine von Gott gegebenen Gaben einsetzen müsse, begegnet er mit einem Exkurs zum Missbrauch des geistlichen Amtes.148 Als Beispiele solchen Abusus nennt er sowohl das eigenmächtige Predigen der Waldenser als auch das zeitgenössische Auftreten von »Pseudo-Aposteln«149 aus den Bettelorden, die Predigt und Sakramente außerhalb der parochialen Ordnung anböten: »Ecce abusus damnosus crediti talenti. Ecce blasphemias et insanias falsas.«150 Bernhard tritt hier engagiert für die kirchliche Ordnung ein, innerhalb derer er eine Erneuerung fordert, die er durch das unkontrollierte freie Predigen bedroht sieht. Er bejaht das neutestamentliche Gebot der Nächstenliebe und fordert dann in direkter Anrede an den Leser auf, im Gebet für den Nächsten einzutreten. »Orando inquam pro quolibet et in qualibet adversitate proximorum pro sua eruditione, directione, castigatione, consolatione, patientia, cibo, potu, veste, sanitate.«151 Damit hat Bernhard das kontemplative Leben als aktives Eintreten für den Nächsten qualifi ziert und kann den Vorwurf zurückweisen, dass ein kontemplativ lebender Mensch nur sich selbst und nicht anderen nütze.152 Ein Mönch nütze vielmehr sich selbst mehr, da die vita contemplativa Gott wohlgefälliger sei als die vita activa. Dem Nächsten nütze das kontemplative Leben, da der Mönch als gutes Beispiel das Gott wohlgefällige Leben in der Tat (opera) vorlebe, Fürbitte tue und durch das ständige Gebet und Lob Gottes für die Kirche wirke. Bernhard steigert seine Argumentation zu der Behauptung, dass das Gebet eines in der Vereinigung (unio) mit Gott lebenden Mönchs mehr bewirke als 1000 Gebete eines Menschen in der vita activa.153 Weder die Einwände noch Bernhards Widerlegung bieten argumentativ Neues. Doch in der Widerlegung bietet Bernhard eine ausführliche Schilderung des kontemplativen Lebens und verteidigt diese von ihm gewählte Lebensform vehement.154 3.5.1.7 Ein Trost für diejenigen, die ihr Bischofsamt aufgeben Angesichts des Werbens für das kontemplative Leben überrascht es, dass Bernhard sein letztes Kapitel als Tröstung (consolatio) versteht für diejenigen, die ihr Amt zugunsten des kontemplativen Lebens aufgaben. Bernhard 148

Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 73,4–75,14). BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 73,15). 150 BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 74,18 f.). 151 BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 77,6–8). 152 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 75,15–82,8). 153 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 81,12–15): »nam oratio devota unius contemplativi deo per contemplationem uniti maioris est ponderis et valoris maioraque impetrat quam ducentorum aut mille activorum minus devotorum.« 154 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 78,8–80,15). 149

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scheint hier einen konkreten Fall vor Augen zu haben.155 Im Kontext der vorausgehenden Kapitel ist diese Tröstung nur sinnvoll, wenn Bernhard zum Aufgeben des Amtes überreden konnte und nun innere Konfl ikte antizipiert. Bernhard geht auf den Verlust von Ansehen ein, wenn Personen ihre geistliche Würde niederlegen und sich ins Kloster zurückziehen.156 Diese Menschen ringen innerlich damit, kein Ansehen der Person mehr zu genießen. Bernhard verleiht deren Klage mit Worten Hiobs Ausdruck und betont zugleich, dass der Mensch bei solchen Klagen weder Ruhe noch Frieden mit Gott fi nde.157 Er erklärt diese Unruhe im kontemplativen Leben damit, dass diese Personen blinde Augen und größere Liebe zur Welt als zu Gott haben.158 Sein Wunsch ist es, dass sie das weltliche Ansehen wie »Kot« erachten159 und erkennen, dass Amt und Würden nur große Gefahren bergen und keinerlei Sicherheit bieten.160 In redundanter Argumentation nennt er weitere Beispiele von Kirchenvätern, die vor dem Amt flohen, und wiederholt, dass es eine Freude sei, von der Gefahr des Amtes verschont zu bleiben.161 Freude und Sicherheit sind die beiden Stichworte, die Bernhard immer wieder als Kontrast zu den Gefahren des Amtes verwendet. In scharfer Formulierung und mit rhetorischen Fragen beweist er, dass es dumm sei, ein Amt anzunehmen oder auch nur zu begehren und damit freiwillig auf die Sicherheit des kontemplativen Lebens zu verzichten.162 Bernhard weist also die Klagen zurück und empfiehlt noch einmal die Flucht aus dem Amt. Die Tröstung liegt für Bernhard darin, über die Errettung aus der Gefahr, Last und Sorge des Amtes zu meditieren.163 Mehr als eine Tröstung ist das Schlusskapitel jedoch ein Aufruf dazu, den Schritt in die vita contemplativa zu wagen.

3.5.2 Bernhards Argumentation im Speculum Bernhards mehrfach wiederholte These im Speculum ist, dass die kontemplative Lebensform in dieser Zeit (nunc temporis) sowohl besser (melius) als 155 Mit Wilpert, Vita contemplativa, S. 218 Anm. 33, der vermutet, dass dieses Kapitel an eine bestimmte Person adressiert war: »Es trägt ganz persönliche Züge und ist sicher aus einem bestimmten Anlaß für eine bestimmte Person geschrieben.« 156 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 82,13–84,2). 157 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 84,2–10). 158 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 84,10–84,14, hier: S. 84,10 f.): »o quam caecos oculos habes«. 159 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 85,12): »pro luto computares«. 160 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 85,14–87,11). 161 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 88,11–90,6). 162 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 90,6–98,10). 163 Vgl. BvW, Speculum, c. 7 (Riemann, S. 98,11–99,10).

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auch sicherer (securius) sei als das Wahrnehmen von Leitungsaufgaben in Gemeinde und Kirche. Mit der Argumentation des besseren und sicheren Wegs nimmt Bernhard die traditionelle Argumentation von Rang und Verdienst der vita contemplativa unter dem Aspekt des »nunc temporis« auf. Der höhere Rang der vita contemplativa ist nach Bernhard freilich grundsätzlich gegeben: Sie ist von höherem Rang als das Leben in der Seelsorge, da sie sowohl im Blick auf die Fruchtbarkeit (fructus) als auch im Blick auf das zu erwerbende Verdienst (meritum) höher zu bewerten ist. Gemäß der traditionellen Zwei-Wege-Lehre vertritt Bernhard den höheren sittlichen Rang der vita contemplativa; gemäß einer Standeslehre nach Thomas von Aquin vertritt er die ideelle Höherstellung des kontemplativen Lebens.164 Letztere wird im Speculum allerdings kaum angesprochen, sondern vorausgesetzt, um vor diesem Hintergrund den individuellen und sozialen Wert dieser Lebensform aufzuzeigen. »Der höhere Rang des beschaulichen Lebens wird dabei nur noch zur Stützung des sichereren Weges betont.«165 Bernhard verwendet den Begriff vita contemplativa kaum. Er umschreibt diese Lebensform vielmehr als »sich allein zugute zu leben« (pro se solo vivere) und betont damit nachdrücklich den Heilsweg des Einzelnen. Diese Betonung ist nicht Ausdruck eines Heilsindividualismus, sondern Bernhard argumentiert, auch aus seiner biographischen Erfahrung heraus, als Vertreter des kontemplativen Mönchtums.166 Neu ist aber sein Drängen auf eine Entscheidung für die vita contemplativa. Denn er wirbt im Speculum für das kontemplative Leben und will von dieser Lebensform überzeugen. Das zeigt sich auch im Stil der Schrift. In der Intention zu überzeugen löst Bernhard die scholastische Form der Quaestio auf zugunsten einer von Autoritätszitaten belegten, durch Stichwortassoziation verbundenen Darstellung der beiden Lebensformen. 3.5.2.1 Die Auflösung der Quaestio Zu Beginn der Schrift zitiert Bernhard die Quaestio, die er affi rmativ und negativ erörtern will. Doch Bernhard weicht von der Form einer scholasti164

Vgl. Riemann, Der Schriftwechsel, S. 323 f. Wilpert, Vita contemplativa, S. 214. 166 Wilpert, Vita contemplativa, S. 213, kann nur begrenzt zugestimmt werden: »Besonders stark fällt der extreme Individualismus auf, der hinter diesen Begründungen steht und kaum mehr etwas von der christlichen Verantwortung für den Nächsten weiß.« Mit Riemann, Der Schriftwechsel, S. 328: »Bernhard verficht also weder einen individuellen Standpunkt (Rettung seines Lebensideals – so Wilpert) noch den eines dubiosen ›Zeitgeistes‹ (Individualismus/lebensflüchtige Stimmung der spätmittelalterlichen Mystik), sondern den, den er als Individuum coram deo zu vertreten hat wie als Angehöriger des status religionis, dessen Vollkommenheit darin besteht, sich gänzlich dem Dienste Gottes zu weihen«. 165

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schen Quaestio ab.167 Zwar arbeitet er mit Vernunft- und Autoritätsbeweisen, doch wichtiger als Rationes sind für ihn stets die Aussagen von Autoritäten. Seine auf Stichwortassoziation beruhende Argumentation zeigt sich exemplarisch im appellierenden letzten Kapitel, wo Bernhard das Wortfeld der Gefahr (periculum, periculosus) mit den positiv besetzten und für das kontemplative Leben stehenden Begriffen von Freude (gaudium, gaudere) und Sicherheit (securitas, securius, tutius) kontrastiert. Seine Argumentation dient nicht der wissenschaftlich-objektiven Erörterung der Frage, ob die Mönche besser in der Seelsorge tätig werden sollten, sondern der Überzeugung von der vita contemplativa. Auch die Gattung des Spiegels, die Bernhard als Titel der Schrift wählt, bietet ihm die Möglichkeit einer formal freieren Argumentation. Diese im Spätmittelalter oft verwendete literarische Form möchte dem jeweiligen Adressaten das seinem Beruf und Stand gemäße Verhalten darlegen.168 »Ein Spiegel (Speculum) aber bietet als literarische Form ein kompilatorisch aufgebautes Panorama, dem ein starkes didaktisches Interesse zugrunde liegt, eine strenge Komposition, [. . ..] darf darum nicht erwartet werden«.169 Bernhards Speculum pastorum erfüllt den Anspruch, die Aufgaben und Gefahren des Hirtenamtes vorzustellen, fast nur in den Kapiteln 3 und 4. Didaktisches Interesse und Kompilation von Zitaten aber kennzeichnen die ganze Schrift. 3.5.2.2 Der Autoritätsbeweis Als Autoritäten versteht Bernhard die »lex divina« und die »auctoritas sanctorum patrum«.170 Bernhard zitiert neben altkirchlichen und mittelalterlichen Kirchenlehrern biblische Autoren, mit deren Zitaten er seine Thesen zur vita contemplativa beweist. So nennt er seine Zeugen bereits im ersten Kapitel summarisch, darunter Hieronymus, Gregor der Große, Augustinus, Ambrosius, Hilarius, Anto-

167 Vgl. Riemann, Der Briefwechsel, S. 321, die die Schrift wie eine Quaestio gliedert, aber ebenfalls die Auflösung der Form konstatiert: »Bernhards Erörterung des Themas in diesem ersten Traktat hat nichts mehr von der bewußt beibehaltenen Objektivität und Abstraktheit scholastischer Quaestionen, die ihren faktisch-historischen Hintergrund unartikuliert lassen.« Vgl. Wilpert, Vita contemplativa, S. 212: »Bernhard [. . .] liefert also gewissermaßen die Vorarbeit zu einer scholastischen Quaestio, indem er die auctoritates zusammenstellt. Sie soll jedoch nicht abgehandelt werden. Vielmehr möge der Leser sich selbst ein Urteil bilden.« Wilpert hält aber daran fest, dass das Speculum insgesamt die Form einer Quaestio beibehält. 168 Der Titel Speculum fi ndet sich bereits in den frühen Abschriften des Traktats, so dass er vermutlich sehr früh, möglicherweise von Bernhard selbst, der Schrift hinzugefügt wurde. 169 Riemann, Der Schriftwechsel, S. 327. 170 BvW, Speculum, c. 3 (Riemann, S. 39,1 f.): »auctoritas sanctorum doctorum et lex divina«; vgl. c. 4: »canones et lex divina« (S. 46,12).

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nius, Benedikt von Nursia und Bernhard von Clairvaux.171 Die zitierten Autoritäten haben fast alle selbst Erfahrung im kontemplativen Leben, und für Bernhard macht deren eigene Erfahrung sie erst zu Autoritäten. Am häufigsten zitiert er Bernhard von Clairvaux, der für ihn die Autorität der vita contemplativa ist. Bernhards Argumentation ist auf Mt 16,26 aufgebaut.172 Neutestamentlich beruft er sich zudem auf Wirken und Schriften des Paulus,173 auf die Berufung des Petrus,174 aber auch auf Gleichnisse aus den Evangelien,175 und zieht zur Verdeutlichung seiner Aussagen einzelne Personen des Neuen Testaments heran.176 Im Alten Testament fi ndet Bernhard Belege für das kontemplative Leben bei den Propheten Haggai, Hesekiel, Joel und in den Psalmen.177 Er nennt auch immer wieder einzelne Personen aus dem Alten Testament, z. B. Aaron, Ruth, David und Mose sowie Hiob als Beispiele für das kontemplative Leben.178 Bernhard bemüht sich dabei um den ursprünglichen Sinn von Aussagen und argumentiert philologisch detailliert.179 Er kennt aber auch die Interpretation »ad sensum« oder »ex intentione«.180 Biblische Texte, wie z. B. das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, interpretiert er allegorisch als Aussage über die gegenwärtige Zeit. 171 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 5,8–11). – Vgl. die Zitate im Speculum von Ambrosius (Riemann, S. 5,10); Antonius (S. 5,10); Athanasius (S. 20,5; S. 30–32); Augustinus (S. 5,10; 50,17 f.; 51,5; 70,15–17; 78,6; 86,11–13; 90,13 f.; 97,12–15); Beda Venerabilis (S. 78,16–79,3); Benedikt von Nursia (S. 5,10); Bernhard von Clairvaux (S. 5,10; 14,3; 42,5– 8; 43,17–44,9; 48,12; 50,17; 60,9; 87,15–88,4; 86,5–7; 93,15–94,10; 96,16–97,11); Bonifatius (S. 3,6); Boethius (S. 90,7–13); Gregor dem Großen (S. 5,9; 12,9–13,14; 62,10–13; 63,12–14; 64,10–14; 64,14 ff.; 65,4–11; 73,4–6; 86,6–8; 91,8–15; 92,14 f.; 93,6–8; 97,16–98,10), vgl. die Dekretalen Gregors (S. 70,9–14); Papst Hadrian (S. 89,10 f.); Hieronymus (S. 5,9; 42,9 f.; 52, 6–12; 63,5–10; 68,14–16); Hilarius (S. 5,10); Hugo von St. Victor (S. 33,9; 93,9–12); Isidor von Sevilla (S. 67,5–7.9–12); Johannes Chrysostomos (S. 5,10; 30–32; 65,15–66,5; 71,1–7; 78,8–10); Martin von Tours (S. 21,8); Origenes (S. 30–32); Petrus Damiani (S. 88,11–89,8); Thomas von Aquin (S. 71,15–72,8), aber auch aus Platons Politeia (S. 68,3–7). 172 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 10,12–11,15). 173 Zu Paulus vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 8,11; 8,16–9,3; 40,15 f.; 44,17–45,1; 46,4; 50,1, 55,5–8; 55,17–56,2; 63,4; 69,15–70,1; 92,3 f.). 174 Zu Petrus vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 8,13–16; 56,10; 57,12–17). 175 Vgl. das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 51,15–52,1). 176 Zu Johannes dem Täufer und Herodes: BvW, Speculum, c. 4 (Riemann, S. 49,12 f.). 177 Vgl. BvW, Speculum, zu den Propheten Haggai (Riemann, S. 9,10–12); Hesekiel (S. 43,3 f.; 37,11 f.); Joel (S. 59,17–60,1). Vgl. Psalm 39,11 (S. 43, 2 f.). 178 Vgl. BvW, Speculum, zu Hiob (Riemann, S. 13,16; 43,4–6; 55,15 f.; 57,5 f.; 83,7–84,1; 84,15–85,1; 85,5–10), zu Aaron (Riemann, S. 6,5); Abraham (S. 51,10 f.); Adam (S. 49,15); Ahab (S. 51,12–15); David (S. 49,13); Eli (S. 48,16 f.); Elia (S. 52, 2); Mose (S. 37,11 f.); Nebukadnezar (S. 68,8); Rahel (S. 62,16 f.); Ruth (S. 4,4 f.: 41,13–16); Saul (S. 46,19). 179 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 70,14 f.; 76,10 f.). 180 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 78,8): »respondeo ex intentione«.

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Nur an einer Stelle differenziert Bernhard formal zwischen der größeren Autorität eines Thomas von Aquin gegenüber der kleineren des Johannes Gerson, wobei er diese Unterscheidung ironisiert.181 Für ihn sind diejenigen Zeugen, die selbst Erfahrung mit der vita contemplativa haben, ob »veteres« oder »moderni«. Letztere, wie z. B. Gerson oder Johannes Nider, zitiert Bernhard; allerdings macht er die Zitate von Zeitgenossen in der Regel nicht kenntlich.182 Autoritäten sind für Bernhard daher biographische Beispiele von Personen, die aus dem geistlichen Amt ins Kloster geflüchtet sind.183 An die Seite der scholastischen auctoritates stellt er solche Exempla von Personen, die nicht durch ihre Schriften, sondern durch ihr Leben die vita contemplativa bezeugen. Diese Beispiele sollen den Leser zur Nachahmung einladen.184 Schließlich zitiert Bernhard an mehreren Stellen im Speculum auch sich selbst bzw. seine Briefe.185 Das zeigt, dass Bernhard im Speculum eine von ihm längst vertretene Position wiederaufnimmt und ausarbeitet. 3.5.2.3 Die Rolle der Erfahrung Der persönlichen Erfahrung mit dem kontemplativen Leben schreibt Bernhard entscheidende Bedeutung zu. Zwar spricht er selten von »experientia«, aber er setzt die monastische Erfahrung in seiner Argumentation voraus. Die von ihm zitierten Autoritäten sind aufgrund ihrer eigenen Erfahrung im kontemplativen Leben fähig, über diese Lebensform zu urteilen. Nur aufgrund ihrer Erfahrung werden sie für Bernhard zu Zeugen und Garanten der theologischen Wahrheit. Bernhard macht die persönliche Erfahrung zum hermeneutischen Prinzip und wertet damit seine Argumentation auf. Denn er, der Erfahrung in beiden Lebensformen hat, kann beurteilen, welche Lebensform die bessere ist. Die Erfahrung im kontemplativen Leben wird so zur exklusiven Befähigung, diese zu verstehen und zu beurteilen.186 Deshalb zitiert Bernhard solche »experti« immer wieder.187 Dieses Motiv fi ndet sich bereits in Bernhards Professpredigten, wenn Bernhard betont, dass die Neuprofessen bereits Erfahrung im Klosterleben 181 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 70,8 f.): »si maioris auctoritate responsio plus placeat«. 182 Vgl. BvW, Speculum, c. 6, zu Johannes Gerson (Riemann, S. 70,7 f.; 71,8–12); a.a.O., zu Johannes Niders Formicarius (Riemann, S. 24,2–25,5). 183 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 6,14): »verbo et exemplo«; vgl. »exemplum bonum operum« (S. 56,11). 184 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 22,14): »possum ad exemplum inducere imitationis«. 185 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 24,3–25,5; 30,4–10; 30,17–32,17). 186 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 82,7): »Experti intellegunt, quae dico.« 187 Vgl. »experti«: BvW, Speculum (Riemann, S. 7,4; 27,6; 56,12–18).

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gesammelt haben. Auch hier wird die eigene Erfahrung in der vita contemplativa als Voraussetzung für ein gesundes Urteil über diese Lebensform gesehen.188 »Experti« sind für Bernhard aber auch allgemein im göttlichen und menschlichen Recht erfahrene Männer,189 und die Erfahrung (experientia) ist neben Wissen (scientia) und geheiligtem Lebenswandel (sanctitas) für Bernhard die Voraussetzung für jedes geistliche Amt.190 Erfahrung ist somit bei Bernhard ein weit gefasster Begriff, der die allgemeine Lebenserfahrung, eine experimentelle Erfahrung der vita contemplativa und die individuelle, innere religiöse, oft mystische Erfahrung einschließt.191 In diesem weiten Verständnis spielt die Erfahrung für Bernhard aber eine wichtige Rolle in seiner Argumentation. 3.5.2.4 Das Einbeziehen des Lesers Deshalb lädt Bernhard den Leser ein, die vita contemplativa selbst zu erfahren. Er spricht zu dem Leser immer wieder in der zweiten Person Singular, fordert ihn imperativisch zum Handeln auf und stellt rhetorische Fragen.192 Charakteristisch für Bernhard sind auch seine konjunktivischen Klagerufe und Wünsche (»o dass doch«).193 In ihnen drückt sich sein inniger Wunsch aus, dass alle Leser die Vorzüge des kontemplativen Lebens erkennen mögen, wie er auch die als glücklich (felix) preist, die ihr Amt um des Seelenheils willen verlassen.194 Mit der direkten Anrede und den Ich- und Wir-Aussagen personalisiert Bernhard das Gesagte und vermittelt den Eindruck eines seelsorgerlichen Gesprächs. Dem entspricht auch die inhaltliche Redundanz, die in der Absicht begründet ist, die Kernaussagen durch Wiederholung einzuprägen. Bernhard warnt vor der Gefahr des geistlichen Amtes und fordert zu einem

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Vgl. Predigt 1 (Öhm, Profeßpredigten, S. 112,10 f.). Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 36,10; 38,8; 87,8). 190 Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 87,12; 94,13). 191 Trotz der Rezeption Bernhards von Clairvaux ist Bernhards Erfahrungsbegriff nicht so differenziert wie dessen Verständnis von experientia als religiöser Erfahrung, die sich im affektiven Bereich vollzieht und dem religiösen Subjekt in Passivität widerfährt, vgl. Köpf, Experientia contra experientiam, S. 207–211; Ders., Passivität und Aktivität, S. 280–298; Ders., Art. Erfahrung III/1, in: TRE 10 (1982), S. 111–113; Ders., Ein Modell religiöser Erfahrung, S. 109–124. 192 Vgl. die direkte Anrede an den »lector prudens«, BvW, Speculum, c. 5 (Riemann, S. 58,4 f.), und die Rede in der zweiten Person Singular, a.a.O. (Riemann, S. 66,6–67,12; 52,10 f.; 52,17; 53,2). Vgl. die imperativische Anrede (S. 77,1–10) und die Fragen (S. 11,6). 193 Vgl. zu den mit »o« eingeleiteten Klagerufen und Wünschen BvW, Speculum (Riemann, S. 13,14–17; 40,6; 52,14 f.; 63,14 f.; 64,6; 64,7 f.; 66,10 f.; 66,12 f.; 73,6–8; 75,9–12; 84,10;88,4). 194 Vgl. BvW, Speculum, c. 2 (Riemann, S. 21,1–7). 189

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Leben im Kloster auf. Diese Aussage wird leitmotivisch immer wieder aufgegriffen. 3.5.2.5 Der Kontrast zwischen vita activa und vita contemplativa Dem Aufforderungscharakter entspricht die kontrastive Darstellung der beiden Lebensformen. Bereits in der Quaestio stellt er die vita activa im kirchlichen Amt und das allem Weltlichen entsagende Leben im Kloster einander gegenüber.195 Während sich die kirchlichen Amtsträger um das Heil anderer Menschen sorgen, hat im kontemplativen Leben das eigene Heil Vorrang.196 Der Kontrast zwischen beiden Lebensformen bildet die inhaltliche Struktur der Argumentation und ist mehr als ein stilistisches Mittel, das Bernhard im Speculum verwendet, um die beiden Lebensformen klar voneinander abzugrenzen. So sieht Bernhard das aktive Leben geprägt durch Weinen und Klagen, Unruhe und Ablenkung durch müßiges Geschwätz, vor allem aber als Unsicherheit im Blick auf das ewige Heil.197 Das geistliche Amt ist eine Last und Gefahr,198 und das aktive, weltliche Leben trägt die Gefahr der Verdammnis in sich.199 Dagegen wird die vita contemplativa nur positiv charakterisiert als die Lebensform, die Gott näher ist, und als via perfectionis.200 Sie ist Ausdruck der Liebe zu Gott, und das Leben im Kloster ist besser, sicherer, richtiger und heilbringender.201 Diese Lebensform ist vorzuziehen, da sie das ewige Heil sichert.202 Sie bedeutet ein Leben in Frieden und Ruhe.203 Den Unterschied zwischen vita activa und vita contemplativa drückt Bernhard auch in der Auslegung der lukanischen Erzählung von Maria und Martha aus,204 ebenso im Motiv der blinden und sehenden Augen, das er 195

Vgl. BvW, Speculum, Praefatio (Riemann, S. 2,14–3,2). Vgl. BvW, Speculum (Riemann S. 9,5): »cura aliorum« versus »salus propria«. 197 Vgl. BvW, Speculum: »cum quantis lacrimis« (Riemann, S. 12,7); »ad planctum et fletum provocavit« (S. 14,1 f.); »lamentare« (S. 14,4); »deplorare« (S. 12,11); vgl. a.a.O. (Riemann, S. 62,8): »quies omnis penitus evanescit«; vgl. a.a.O. (Riemann, S. 6,3): »sub maiori incertitudine«. 198 Vgl. BvW, Speculum: »onus« (Riemann, S. 6,5, 26,14; 28,3.9.11; 29,8.10; 89,14 f.; 91,5–7; 99,4); »non levis est« (S. 41,10 f.); »hoc tempore pro certo est pondus« (S. 59,5). Vgl. »periculum« (S. 6,2; 11,2; 28,1.11; 29,9.16; 32,3 f.; 33,6 f. u. a.); »infi nita pericula« (S. 11,3 f.); »periculosus« (S. 58,9–11). 199 Vgl. BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 11,2 f.). 200 Vgl. BvW, Speculum: »ut deo familiarius viveret« (Riemann, S. 21,10); »multo plus placeat deo quam in vita activa« (S. 78,11 f.); »familior, intimior et carior« (S. 78,13); »deo acceptior et amabilior« (S. 79,8). Vgl. »via perfectionis« (S. 7,5.10; 96,9); »statum perfectionis« (S. 10,1 f.). 201 Vgl. BvW, Speculum: »melius« (Riemann, S. 4,4; 10,12); »secur(i)us« (S. 4,4; 7,1; 10,4.6; 90,5); »tutius« (S. 2,7; 92,17); »rectius« (S. 10,4); »salubrius« (S. 10,4). 202 Vgl. BvW, Speculum: »praemia vitae aeternae« (Riemann, S. 15,5). 203 Vgl. BvW, Speculum: »quieta« / »tranquilla vita« (Riemann, S. 93,3; 82,5–8; 84,8.10; 96,7). 204 Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 80,10–12): »pars optima«, »pars bona«. 196

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bereits in den Professpredigten verwendete. So öffne das kontemplative Leben die Augen für den Willen Gottes, während der weltliche Ehrgeiz die Augen verhülle.205 3.5.2.6 Die inhaltliche Bestimmung des kontemplativen Lebens Neben der kontrastiven Darstellung der beiden Lebensformen beschreibt Bernhard ausführlich das kontemplative Leben. Er bedient sich dabei Metaphern, mit denen er in anderen Schriften auch das mystische Erleben schildert. So wird in der vita contemplativa die Süße Gottes geschmeckt.206 Sie ist ein Aufstieg zu Gott,207 verheißt Freude und wird von denen, die in Liebe zu Gott brennen,208 mit Freude umarmt.209 Umgekehrt wird die Versuchung im geistlichen Amt als falsche Süße und falsches Gefühl gebrandmarkt.210 Am ausführlichsten wird das kontemplative Leben im sechsten und siebten Kapitel beschrieben, und Bernhard zitiert hier aus Gersons Schrift De mystica theologia practica.211 Damit ist klar, dass das Ziel des kontemplativen Lebens für Bernhard die Vereinigung der Seele mit Gott ist.212 Indem er aber die kontemplative Lebensform und die mystische Erfahrung verknüpft, erfährt erstere als Ermöglichung unmittelbarer Erfahrung Gottes die größtmögliche Aufwertung. 3.5.2.7 Das Ideal der »primitiva ecclesia« Bernhard kontrastiert aber nicht nur die beiden Lebensformen, sondern jede Lebensform sieht er zugleich im spannungsvollen Verhältnis von Vergangenheit und zeitgenössischen Zuständen stehen. Die Argumentation im Speculum steht, der Quaestio entsprechend, formal unter dem Vorzeichen von »hodie« und »nunc temporis«.213 Doch ist seine Gegenwart für Bernhard ein 205 Vgl. zum Motiv der blinden und sehenden Augen BvW, Speculum, c. 1: »nubis crassae ambitionis oculos obtenebratos« (Riemann, S. 6,3 f.) vs. »claros habebant oculos« (S. 6,9); vgl. Riemann, S. 84,10; 85,6.14; 88,4; 95,17. 206 Vgl. BvW, Speculum: »odor suavitatis« (Riemann, S. 27,13); »monasticae quietis dulcedo« (S. 3,7 f.); »suavitas« (S. 62,15–17). 207 Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 7,10): »ascendere«. 208 Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 27,2): »divini amoris igne ferventes«. 209 Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 13,16 f.; vgl. S. 62, 15–17): »cum quanto gaudio id amplexatus fuisset«; »gaudere«, »gaudium« (S. 11,5.8; 61,5; 61,11; 90,1; 99,3; 99,9 f.); »iucunditas« (S. 13,2) etc. 210 Vgl. BvW, Speculum: »dulcedo favoris noxii« (Riemann, S. 48,8 f.); »affectio sive cupiditas praelaturae« (S. 48,10 f.; vgl. S. 84,12; 86,1; 95,10 f.). 211 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 78,8). 212 Vgl. BvW, Speculum, c. 6 (Riemann, S. 79,3 f.): »unio mentis in deum«. 213 Vgl. BvW, Speculum: »hodie« (Riemann, S. 50,11); »nunc temporis« (S. 3,17; 4,4; 7,3; 44,10; 73,14); »nunc« (S. 64,1.3.5; 66,9); »nunc in fi ne mundi« (S. 68,9); »nunc istis temporibus« (S. 58,9); »hoc tempore« (S. 59,5.8); »in praesenti« (S. 85,15); »nostri temporis« (S. 87,9); »in praesenti saeculo« (S. 90,4).

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Höhepunkt des verderbten Lebens.214 Im Gegensatz dazu sieht er die Zeit der Entstehung von Kirche und Mönchtum als Idealzeit.215 Den Autoren dieser Zeit schreibt er grundsätzlich mehr Wissen, Weisheit und Heiligkeit zu als zeitgenössischen Autoren.216 Angesichts dieser Beurteilung der zeitgenössischen Zustände gewinnt seine Warnung vor der Gefahr des Amtes besondere Dringlichkeit.217 Bernhard kehrt damit die Quaestio um: Die zeitgenössischen Zustände sind gerade nicht Anlass für eine vita activa, wie die Quaestio sie forderte, sondern für den Rückzug ins Kloster. 3.5.2.8 Bernhards Verständnis des Bischofsamtes Bernhard argumentiert im Speculum durchweg unter der Perspektive des Seelenheils des einzelnen Menschen. Sein seelsorgerliches Bemühen um den Einzelnen zeigt sich auch in der direkten Anrede und dem Aufruf zur Umkehr aus dem aktiven Leben. Unter dem Heilsaspekt ist das Bischofsamt für ihn, pars pro toto für jedes kirchliche Amt, negativ besetzt als Gefahr, Last und Versuchung. Grundsätzlich sieht er das Bischofsamt mit seinen Aufgaben durchaus positiv. Seine Beschreibung der Aufgaben des Bischofs entspricht in Vielem dem, was die Benediktsregel als Aufgaben eines Abts nennt, von der Seelsorge der ihm Anvertrauten bis zur geistlichen Führung und Disziplinierung als pater familias. Doch angesichts der zeitgenössischen Zustände in Kirche und Gesellschaft kann Bernhard das Bischofsamt im Speculum nur als gefährliche Last verstehen.218 Zudem hält das Bischofsamt vom Weg in die vita contemplativa ab. Die Notwendigkeit des Amtes bestreitet Bernhard nicht; doch seinen Adressaten möchte er das kontemplative Leben als beste Lebensform vermitteln.

214

Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 59,5.8): »hoc tempore«. Vgl. BvW, Speculum: »priscis temporibus« (Riemann, S. 7,8–8,6); »tunc« (S. 61,12; 61,11.16; 68,2.3.7); »olim«, »olim in primitiva ecclesia« (Riemann, S. 5,6; 66,9, 67,13). 216 BvW, Speculum, c. 1 (Riemann, S. 5,12–14): »Altiori tamen scientia, sanctitate et sapientia quam nostris temporibus modernis plurimi fulgentes«; vgl. die »moderni« (Riemann, S. 5,15 f.); »in ecclesia moderna« (S. 6,13). 217 Vgl. BvW, Speculum: »praecipue ad praesens« (Riemann, S. 34,1); vgl. »nunc plus quam olim« (S. 59,9). 218 Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 59,5): »hoc tempore pro certo est pondus«. 215

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3.6 Johanns Epistula impugnatoria speculi pastorum (1462) Johann von Eych reagierte auf Bernhards Speculum mit einer viel kürzeren Gegenschrift, der Epistula impugnatoria.219 Diese sandte er mit einem Begleitschreiben, das auf den 8. Dezember 1462 datiert ist, an Bernhard.220 Der Brieftraktat ist nicht weiter untergliedert und behält mit Anrede und Schlussformel durchweg die Briefform bei. Dem Titel entsprechend, akzeptiert Johann Bernhards Aussagen nicht, sondern fordert von ihm die Anerkennung der vita activa angesichts der zeitgenössischen Reformnot in der Kirche. Hat Bernhard als Mönch gegen die Seelsorgetätigkeit von Mönchen argumentiert, so argumentiert Johann als Priester und Bischof dafür.221 Im Begleitbrief nennt Johann seine Absicht, seine vom Speculum abweichende Position darzulegen, und entschuldigt sich für die verzögerte Antwort, indem er auf die Fülle seiner bischöfl ichen Aufgaben verweist: 222 »Inter tot calamitates et curas, quibus episcopale onus abundat, iam pridem epistulam edidimus, quam propter negotia nostra ad te transmittere distulimus«.223 Damit nimmt Johann, wohl unbewusst, genau jene Formulierungen Bernhards zur Last des kirchlichen Amtes auf, aus denen dieser im Speculum die Konsequenz zog, dass das Amt das Seelenheil gefährde. Ausdrücklich bittet der Bischof Bernhard als »Kenner der heiligen Schriften«, ihn zu korrigieren, und wechselt hier ins vertrauliche Du über, das fortan den Ton der Schrift bestimmt.224

3.6.1 Variation der Quaestio Die Quaestio erfährt bei Johann eine Zuspitzung, »utrum utilius salubriusve sit homini in regimine curae animarum sive praelatione exsistenti ad deo liberius ac securius serviendum quietem monasterii appetere vel ad multorum profectum lucrumque animarum susceptae plebis curam non relinquere.« 225 Die Frage aus dem Speculum nach dem Verhältnis von vita activa und contemplativa wird hier in der Frage konkretisiert, ob es für einen Menschen

219 Johann von Eych, Epistula Impugnatoria (Riemann, S. 99–136). Im Folgenden abgekürzt: JvE, Epistula. 220 Vgl. JvE, Epistula, »Datum Bipffenberg ipsa die conceptionis Mariae virginis anno Christi nativitatis 1462« (Riemann, S. 101,4 f.). 221 Zum Inhalt vgl. Riemann, Der Schriftwechsel, S. 344–362; Redlich, Tegernsee, S. 105–107. 222 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 100,1–101,5). 223 JvE, Epistula (Riemann, S. 100,5–7). 224 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 100,15): »qui sacrarum litterarum locupletissimus es«. Vgl. auch die persönliche Anrede »mi Bernharde« (S. 105,6). 225 JvE, Epistula (Riemann, S. 102,4–8).

3.6 Johanns Epistula impugnatoria speculi pastorum (1462)

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im kirchlichen Amt besser sei, im Amt zu bleiben oder es zu verlassen und die vita contemplativa zu wählen. Damit hat sich der Blickwinkel der Debatte verändert. Nicht mehr die Beteiligung von Mönchen an der Seelsorge steht im Zentrum der Auseinandersetzung, sondern die Frage, ob die bereits in Seelsorge und Kirchenleitung Tätigen den Schritt aus der vita activa in die vita contemplativa vollziehen müssten. Johann fragt nach den praktischen Konsequenzen der Zwei-WegeDiskussion unter dem Vorzeichen der zeitgenössischen Zustände. Vor Beginn seiner Argumentation aber rühmt er ausführlich die Gelehrsamkeit Bernhards als eines Menschen, der von Gott die Gabe erhalten habe, leicht über alle Dinge zu schreiben, und sich durch diese Gabe von seinen Mitbrüdern unterscheide.226 Dieses Lob ist mehr als eine captatio benevolentiae. Wenn Johann Bernhard als einen rühmt, der allen zeitlichen Sorgen enthoben in seiner Zelle sitze und den Himmel bereits zu besitzen scheine,227 wird deutlich, dass er seinen Gesprächspartner als eine Ausnahme sieht, sowohl in dessen Gelehrsamkeit als auch in seiner Lebensform. Dies unterstützt seine folgende Argumentation, dass die beschauliche Lebensform nur ein Weg für wenige ist. Johann geht auf Bernhards Argumente ein, ohne dessen Gliederung aus dem Speculum zu übernehmen.

3.6.2 Der hohe ideelle Rang der vita contemplativa und das Recht der vita activa Mit Bernhard stimmt Johann darin überein, dass ein kontemplatives Leben erstrebenswert sei und die Religiosen die »perfectio evangelica« leben.228 Trotz des Vorrangs der vita contemplativa hält Johann aber fest, dass Voraussetzung für das ewige Leben das Befolgen der Gebote Gottes und damit das kontemplative Leben nicht der einzige zum Heil führende Weg ist.229 Kontemplatives Leben bedarf, so Johann, der Ergänzung durch die »actio«, die tätige Liebe.230 Statt der Liebe zu Gott (amor Dei) allein betont er die Liebe zum Nächsten (caritas). Johann greift damit die Unterscheidung von Gebo226 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 102,14–103,1): »scio enim dono ab alto concesso te divinis abundare litteris et ad scribendum de rebus omnibus facillimum. [. . .] qui te prae ceteris professionis tuae consortibus hoc munere fecit abundantiorem.« Vgl. a.a.O. (Riemann, S. 102,1 f.): »in compendio cum multa diversarum scripturarum allegatione«. 227 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 103,1–3): »in cella consedens [. . .] ac a rerum temporalium cura absolutus iucundissimo hoc secreto mentis otio perfruaris et non iam caelum appetere sed quasi possidere videaris.« 228 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 104,1–17). 229 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 105,9–17): »ut mandata servaret.« 230 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 107,2–4): »Nam nisi comitetur actio, quae in praeceptorum dei observatione consistit, nusquam illos certiorem viam ad portas regni ducentem arripuisse assenserim«.

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

ten (praecepta) und Räten (consilia evangelii) auf.231 Er anerkennt den hohen Rang der kontemplativen Lebensform als den vollkommeneren Weg vor Gott, betont aber den Eigenwert einer vita activa, in der die Gebote Gottes durch Taten der Nächstenliebe erfüllt werden. Damit hat Johann die entscheidende These der Epistula vorgestellt und beweist diese nun mit seiner Interpretation der Maria-Martha-Erzählung (Lk 10).

3.6.3 Johanns Interpretation der Maria-Martha-Erzählung Für Johann symbolisiert Martha die karitative Tätigkeit, die zeitlich vor der Kontemplation erfolge.232 Maria habe Gnade empfangen, nicht weil sie zu Füßen des Herrn saß, sondern weil sie viel geliebt und zuvor die Füße des Herrn gesalbt habe. Die Kontemplation ist für Johann Folge und Lohn des aktiven Dienstes am Nächsten.233 »Vita activa und vita contemplativa verhalten sich zueinander wie der Verdienst zum Lohn«.234 Mit dieser Interpretation eines zeitlichen Aufeinanderfolgens von tätiger Nächstenliebe und kontemplativem Leben relativiert er den Rang der vita contemplativa. Johann betont zwar, dass dies eine zeitliche Abfolge unter der Voraussetzung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände sei. Zugleich aber differenziert er beide Lebensweisen nach Lohn und Verdienst: Die vita contemplativa hat einen in der Zukunft folgenden Lohn, nicht aber einen höheren Verdienst an sich. Damit beweist er die vita activa als gegenwärtig gleichberechtigten Weg neben der vita contemplativa. Johann argumentiert sozialethisch unter der Perspektive des Nutzens für die Gemeinschaft der Gläubigen. Betonte Bernhard die Sorge um das individuelle Heil, argumentiert Johann hier als Bischof für das Heil der ganzen Gemeinde. Maria ist für ihn daher nicht nur Sinnbild des kontemplativen Ideals. Sie ist vielmehr darin beispielhaft, dass sie den Herrn salbte, Tränen vergoss und das »opus caritatis« verrichtete, bevor sie ihr Leben in Einsamkeit und asketischer Lebensweise beendete.235

231 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 105,13–15): »religionis ingressum non necessitatis esse sed perfectionis neque praecepti ad salutem sed consilii«. 232 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 107,7–108,5) zum Maria-Martha-Topos. 233 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 108,2): »post laborem in requie cederet, sed necessarium fore, ut antea onera portaret«. 234 Riemann, Der Schriftwechsel, S. 350. 235 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 109,16–110,3): »quin potius eius exemplo ducaris, sublato namque sponso flevit mortuumque lacrimando quaesivit, caritatis opus exhibuit ac ieiuniis, vigiliis et orationibus corporisque maceratione vitam in solitudinem fi nivit.«

3.6 Johanns Epistula impugnatoria speculi pastorum (1462)

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3.6.4 Das Recht des Urteils über die beiden Wege Hatte Bernhard im Speculum die eigene Erfahrung in der vita contemplativa zum Kriterium der Urteilsfähigkeit gemacht, greift Johann das auf. Er vermutet, dass Bernhard ihm aufgrund seiner fehlenden Erfahrung im kontemplativen Leben die Fähigkeit, diese Lebensform zu beurteilen, abspricht, und lässt Bernhard fi ktiv fragen: »Tu qui nondum gustasti, quam suavis est dominus [. . .] quomodo me iudicas?« 236 Johann lehnt das Postulat eigener Erfahrung ab und hält dagegen, dass auch die mystische Schau Gottes gegenwärtig niemandem dauerhaft möglich sei und daher nicht Voraussetzung für ein Urteil sein könne.237 In scharfer Gegenrede wirft er Bernhard vor, nicht über die vita activa im kirchlichen Amt urteilen zu können: Wer wie Bernhard in einer Höhle verborgen lebe (in antro latitas), um Gefahr und Versuchungen zu vermeiden, könne nicht urteilen über die, die sich täglich im kirchlichen Amt bewähren müssen, wie eine Frau in der Ehe nicht die Problematik der Jungfräulichkeit im Kloster verstehen könne.238 Damit hat Johann das Recht seines eigenen Urteils in der Streitfrage bewiesen und wendet sich der Beantwortung der Quaestio zu: Soll der Dienst in Seelsorge, Predigt und bischöfl ichem Leitungsamt zugunsten des Eintritts in ein Kloster niedergelegt werden? 239

3.6.5 Ein Ja zum Dienst in der Kirche Im Speculum lehnte Bernhard das kirchliche Amt und die Seelsorgetätigkeit wegen der damit verbundenen Gefahren für das eigene Seelenheil ab, besonders in gegenwärtiger Zeit.240 Johann argumentiert umgekehrt, dass gerade der zeitgenössische Zustand der Kirche es nötig mache, das Hirtenamt zu übernehmen. Solcher Dienst drücke die Gott und dem Nächsten geschuldete Liebe aus, und das recht geführte Amt gefährde nicht per se das Heil.241 Johann sieht wie Bernhard die Gefahren der Seelsorgetätigkeit für die eigene Seele, doch argumentiert er in Kampfmetaphorik, dass es gelte, wie ein Soldat im Kampf besonnen und vorsichtig zu sein, aber auch den Gefahren nicht auszuweichen: »Quis enim tam vecors miles est, qui, etsi immi236 JvE, Epistula (Riemann, S. 108,6–8). Vgl. auch die Rede von »unio«, »raptus iterum extra me«, »alia [. . .] quae non licet homini loqui«, a.a.O. (Riemann, S. 108,8–109,3). 237 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 109,4–110,8). 238 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 115,8–14). 239 Vgl. JvE, Epistula (Riemann S. 110,9–136). 240 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 110,17–111,12): »tempus praesens«; »novissimus tempus«. 241 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 111,13–113,3, hier: S. 111,15 f.): »quae domino plus grata cognovero«.

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nere sibi sciat in proelio mortis aut vulnerum periculum, ob hoc neglegat pro salute propria cum hoste habere confl ictum?« 242 Nicht die Gefahrenund Sündenvermeidung, damit nicht die Flucht vor dem Amt propagiert Johann, sondern die Bewährung in den Gefahren des Amtes. Wie ein kampferprobter Soldat trage auch der kirchliche Amtsträger Narben aus seinem Dienst davon; doch Gott verstoße den, der Fehler im Amt begehe, nicht.243

3.6.6 Erneute Aufforderung zur Actio an die kontemplativ lebenden Mönche Angesichts der von Bernhard und Johann konstatierten »malitia temporis« kommt letzterer zum Schluss, dass es verdienstvoller sei, wenn die Religiosen inmitten der Welt vorbildlich lebten.244 »Haec est optima vitae probatio inter malos bonum esse«.245 Johann kritisiert die kontemplative Lebensweise ohne karitative und seelsorgerliche Betätigung scharf.246 Wie bereits im Briefwechsel mit dem Kartäuser, den Johann hier erwähnt, ohne dessen Namen zu nennen, vertritt Johann auch Bernhard gegenüber die Meinung, dass der gegenwärtige Fall der Kirche darin begründet liege, dass fähige Männer ihr Seelenheil im Kloster suchten und den kirchlichen Dienst ablehnten, statt das Volk zu leiten.247 Johann macht den Rückzug in die Klöster verantwortlich für den gegenwärtigen Zustand der Kirche und wendet sich sarkastisch an die »sponsa Christi«, die nur danach strebe, in mystischer Schau mit ihrem Bräutigam vereint zu sein und darin den Ausdruck der Liebe zu Gott sehe.248 Diesen Liebesbegriff kritisiert er, wenn er betont, dass die Gläubigen einst (olim) gerade aus Liebe das Kloster verließen, um das Volk für den Herrn zu gewinnen.249 Den Religiosen wirft Johann vor, nur mit Worten, nicht mit Taten Gott zu lieben.250 Betonte Bernhard, dass die gegenwärtige Verderbtheit der Kirche den Rückzug ins Kloster zur Sicherung des eigenen Seelenheils erfordere, wirft Johann ihm vor, dass er die Hoffnung auf die Rettung des Volkes aufgegeben habe. Gerade die gegenwärtige Zeit erfordere das kirchliche Amt, um 242

JvE, Epistula (Riemann, S. 114, 2–4; vgl. S. 113,4–114,15). Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 114,16–115,7). 244 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 115,15–116,16, hier: S. 116,11–13: »Unde puto etiam religiosum sive monachum quemque, si in congregatione inter malos bene atque religiose vixerit plus mereri quam si inter bonos« (S. 116,11–13). 245 JvE, Epistula (Riemann, S. 116,3 f.). 246 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 117,1–119,1). 247 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 117,1–7). 248 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 117,7–118,16). 249 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 117,13–15): »multi quietem monasterii sedesque proprias relinquentes [. . .], ut populum multum domino acquirerent«. 250 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 118,2 f.): »Ubi sunt modo amatores tui? Viri religiosi verbis tibi blandiuntur, onus autem subire recusant.« Vgl. a.a.O. (Riemann, S. 118,5–12). 243

3.6 Johanns Epistula impugnatoria speculi pastorum (1462)

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den Menschen den Weg zur Wahrheit zu zeigen. »Certe dico nunc magis necessarium praedicandi officium«.251 Jetzt ist daher für Johann der Zeitpunkt, von der Kontemplation zur Aktion zu schreiten.252

3.6.7 Der Vergleich und das Recht beider Wege Dennoch sucht er den Kompromiss mit Bernhard und stimmt diesem zu, dass nicht jeder für die Seelsorge geeignet sei.253 Johann liegt an einer Verbindung von beiden Lebensformen, und er spricht Bernhard bewusst als Priester und Mönch an.254 Als Mönch sei Bernhard Kustos der eigenen Seele, als Priester derjenige, der anderen den Weg zeige. Als Mönch sei seine Aufgabe die Buße, während er als Priester die Aufgabe habe zu predigen, das Volk zu leiten und die Sakramente zu spenden. Johann bewertet diese Gegenüberstellung als Aufstieg vom Mönch zum Priester, wie auch die Mönche nicht mehr einfache, von der Arbeit ihrer Hände lebende Religiosen, sondern gebildete und erfahrene Männer mit Priesterweihe seien, die aber ihr priesterliches Amt nicht wahrnehmen.255 Johann kehrt die Rangfolge der beiden Lebensformen um: Die priesterlichen Pfl ichten in der Gesellschaft stehen über den nur auf das Individuum und die monastische Gemeinschaft bezogenen Pfl ichten. So kann Johann provokativ äußern: »Quomodo te excuses, si id [officium sacerdotale] neglexeris, penitus ignoro.« 256 Er betont, dass die von Bernhard zitierten Zeugen, wie z. B. Hieronymus, Augustinus, Gregor der Große, Benedikt und Bernhard von Clairvaux, ein Kirchenamt ausübten und dennoch keineswegs das Mönchtum aufgaben. Diese vita mixta müsste, so Johanns Gedanke, auch gegenwärtig möglich sein.257

3.6.8 Kein Aufgeben des Kirchenamtes Vom Gedanken der vita mixta her beantwortet Johann die Quaestio mit einem klaren Nein zur Amtsaufgabe zugunsten der vita contemplativa.258 Auch 251 JvE, Epistula (Riemann, S. 119,11). Vgl. den Kontrast von »quondam« (S. 117,8) und »olim« (S. 118,13) zu »hodie« (S. 117,4). 252 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 120,3 f.): »Est enim hic casus, quo contemplationem deserere et ad actionem transire tenemur!« Vgl. a.a.O. (Riemann, S. 120,12–18). 253 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 121,15–123,11): »Pauci sint hodie, quos rectus animarum domusque dei zelus ducat.« (S. 122,12 f.); »si purus iustusque assit zelus« (S. 123,4). 254 JvE, Epistula (Riemann, S. 123,12–124,15, hier: S. 123,12): »qui presbyter es et monachus«. 255 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 124,1–6). 256 JvE, Epistula (Riemann, S. 124,6 f.). 257 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 124,8–15). 258 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 125,1–129,9), die Wiederholung der Quaestio (S. 125,3–6).

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nach kanonischem Recht gebe es nur wenige Gründe, sein Amt aufzugeben, zumal das Bischofsamt gegenüber dem Mönchsstand ein Aufstieg sei.259 Bernhard hatte im Speculum zahlreiche Beispiele von Bischöfen angeführt, die ihr Amt aufgaben, um ins Kloster einzutreten. Johann kritisiert diese von Bernhard gewählten Exempla.260 »Experientia denique docuit cessiones episcoporum ut plurimum in ecclesiis non solum minime utiles, quin immo fuisse damnosas.«261 Der Schritt aus dem Kirchenamt ins Kloster sei in den meisten Fällen schädlich gewesen in der Perspektive der Folgen für die Gemeinde. Für jedes der von Bernhard angeführten Beispiele legt er dar, inwiefern der Amtsverzicht und der Eintritt ins Kloster nicht nützlich war für die Gemeinde.262 Daher tritt Johann dafür ein, das Bischofsamt sogar anzustreben.263 Bernhard hatte dies abgelehnt, da das Amt in die Verdammnis führen könne.264 Dem hält Johann schroff entgegen, dass Bernhard den besonderen Fall zur Regel erkläre.265 Vielmehr sei das Bischofsamt ein »bonum opus« und notwendig.266 Daher sei es besser, das Bischofsamt zu begehren, als nur das zu wählen, was der eigene Wille wählt, das kontemplative Leben im Kloster.267 Seine Kritik am eigennützigen Klosterleben setzt er fort, wenn er das tätige Werk und die Sorge des barmherzigen Samariters (Lk 10) lobt und die Probleme im Bischofsamt aus eigener Erfahrung beschreibt.268 Den Kritikpunkt Bernhards, dass ein Bischof durch die Sorge um die Temporalia in Versuchung geführt werde, sieht auch Johann, hält aber diese Aufgaben »nunc« für notwendig, um den Untergang von Staat und Kirche zu verhindern.269 Daher, so die Antwort auf die Quaestio, sei es in den gegenwärtigen Umständen nützlicher, fruchtbringender und heilsamer, in der vita activa Gott zu dienen. Doch beendet Johann die Epistula in versöhnlichem Ton, wenn er darauf hinweist, dass es verschiedene Wege gebe, Gott

259 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 125,15 f.): »ut ascendat monachus ad praesulatum quam praesul ad monachatum descendat«. 260 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 126,5–12). 261 JvE, Epistula (Riemann, S. 125,16 f.). 262 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 127,1–129,9). 263 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 129,10–135,15, hier: S. 129,10 f.): »an liceat episcopatum desiderare«. 264 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 129,11–14). 265 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 129,14–130,2). 266 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 130,2–15). 267 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 131,11–13): »Id ergo gerere, quod tam sancta desiderat necessitas, maius utique videtur, quam quod propria sibi eligit voluntas.« 268 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 132,1–135,15). 269 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 133,10–12): »ad totalemque summae nostrae monarchiae ruinam devenimus ac ecclesiarum dei desolationem ante oculos cernimus«.

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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zu dienen, und jeder in seiner Berufung bleiben möge, sofern nicht anders von Gott berufen.270

3.6.9 Speculum und Epistula im Vergleich Johann nennt gegenüber Bernhards Speculum keine neuen Argumente. Er übernimmt von Bernhard die Argumentation mit der Maria-Martha-Erzählung und der Erfahrung als Kriterium der Urteilsfähigkeit, aber er interpretiert diese neu. Auch die von Bernhard zitierten Autoritäten nimmt Johann auf, ergänzt diese allerdings an wenigen Stellen. So stellt er z. B. gleich zu Beginn der Epistula die vita contemplativa in den größeren Kontext der antiken Tradition, während Bernhard nur christliche Autoren zitiert.271 Auch stilistisch formuliert Johann knapper und folgt stärker als Bernhard der Form der sachlich-argumentierenden Quaestio. Beide argumentieren angesichts des zeitgenössischen Zustands der Kirche. Johann plädiert jedoch aus Verantwortung für die Gesellschaft und die Gläubigen für eine vita activa und eine Seelsorgetätigkeit der im Kloster lebenden Religiosen. Obwohl die Quaestio zu Beginn der Epistula nach den Konsequenzen für die bereits im Amt befindlichen Männer fragt, ist doch zentrale These der Epistula, dass »nunc temporis« die aktiv praktizierte Nächstenliebe ein höheres Gut als die vita contemplativa ist.272 Der »Eifer des status episcopalis ist das movens der Epistula impugnatoria wie der Eifer des status religionis zuvor movens des Speculum pastorum war.« 273 Fordert Johann abschließend den ihm sehr lieben Bernhard auf,274 seine Thesen zu korrigieren, kommt Bernhard dem im Defensorium speculi pastorum nach.

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463) Auf die Epistula Impugnatoria reagierte Bernhard mit der sehr umfangreichen Schrift Defensorium speculi pastorum, die auf den 25. Januar 1463 datiert ist.275 270

Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 135,17–136,3). Wilpert, Vita contemplativa, S. 219, sieht darin bereits einen Ausdruck der humanistischen Bildung Johanns von Eych. Vgl. a.a.O., S. 218: »Wie die Eleganz des Stils sich deutlich von der nicht unedlen, aber oft wortreichen Beredsamkeit des Scholastikers [Bernhard] unterscheidet, so packt der Bischof auch in der Beweisführung knapper und schärfer zu.« 272 Riemann, Der Schriftwechsel, S. 344 f., weist zu Recht darauf hin, dass sich in der unterschiedlichen Argumentation Bernhards und Johanns die Beurteilung der beiden Wege ›per se‹ und ›secundum quid‹ nach Thomas von Aquin (S.th. II-II q. 185) wiederfi ndet. 273 Riemann, Der Schriftwechsel, S. 345. 274 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 136,8): »religiosissime vir, amantissime Bernharde«. 275 Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 313,7). 271

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Eine Reaktion Johanns auf das Defensorium ist nicht überliefert. Vielmehr scheint – wie auch im Mystik-Streit – Bernhard mit seiner Schrift das letzte Wort zu behalten, was wohl auch in Johanns Tod im Januar 1464 seinen Grund hatte. Aufgrund des Umfangs des Traktats werden zuerst die zentralen Thesen Bernhards aus den Kapiteln 1 und 2 vorgestellt, verbunden mit einem Überblick über die folgenden Kapitel. Anschließend werden die Argumente und deren sprachliche und stilistische Vermittlung systematisch dargestellt und mit der Epistula verglichen, um so Bernhards spezifische Argumentation zu zeigen.

3.7.1 Die Verteidigung der vita contemplativa Vertrat Johann in der Epistula die These, die kontemplative Lebensform sei zwar ideell höher zu werten, die vita activa angesichts der gegenwärtigen Zustände aber vorzuziehen, geht Bernhard von dieser These aus, um noch einmal beide Wege zu vergleichen. Bernhard bemüht sich im Defensorium um einen Konsens, verteidigt aber dem Titel gemäß die inhaltlichen Aussagen des Speculum, die er im Defensorium noch ausführlicher darlegt. Der »zweite Traktat Bernhards ist kein Syntheseversuch oder ein Kompromißangebot, Bernhard gibt seinen im ersten Traktat verfochtenen Standpunkt nicht auf«.276 Bernhard folgt der Reihenfolge der Argumente Johanns in der Epistula, geht Satz für Satz auf diese ein und widerlegt sie. Auf Prolog und Einleitung folgen zehn Kapitel, in denen Bernhard – redundant – seine Position darstellt. Die in der Einleitung formulierte Grundthese begründet er in den ersten beiden Kapiteln argumentativ und entfaltet sie in den folgenden Kapiteln, wobei die Kapitel 6 bis 8 in Korrespondenz zum Speculum als ›Pastorenspiegel‹ zu verstehen sind. 3.7.1.1 Bernhards These Im Prolog bedankt Bernhard sich für Johanns wohlwollende Aufnahme seiner »schlichten und ungebildeten« Schrift, des Speculum.277 Im Defensorium antworte er auf die Epistula und habe zur besseren Verständlichkeit diese Schrift in Kapitel mit kurzen Überschriften gegliedert. Er folge der von Johann vorgegebenen Ordnung der Argumente, doch in einem »ungeschliffeneren« Stil.278 276 Riemann, Der Schriftwechsel, S. 366. Vgl. die knappe Zusammenfassung der Argumentation bei Riemann, a.a.O., S. 387–389. 277 Vgl. BvW, Defensorium, Prolog (Riemann, S. 137,1–139,17); vgl. »mea scripta insensata, incompta et inculta, verum tamen puro animo« (S. 137,15 f.). 278 BvW, Defensorium, Prolog (Riemann, S. 139,5–9): »per capitula et rubricas in mo-

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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Bernhard bezeichnet seine Schrift als »sermo«.279 Diese Bezeichnung zeigt nicht nur den Verzicht auf die Form der scholastischen Quaestio, sondern auch die Wahl einer Gattung, die überzeugen will. Zwar übernimmt Bernhard in der Einleitung die Quaestio wörtlich,280 doch führt er sie formal in der Argumentation im Defensorium nicht aus. Bernhards These ist, dass die Gebote Gottes im status religionis besser, leichter und vollkommener zu erfüllen sind.281 Nirgendwo kann das vollkommene christliche Leben besser gelebt werden als im Kloster, »in schola religionis citius, efficatius et expeditus quam extra«.282 Die vita contemplativa »tamquam per se dignior et melior est activae simpliciter praeferenda.« 283 3.7.1.2 Der Vorrang der vita contemplativa Hat Bernhard so den grundsätzlichen Vorrang der kontemplativen Lebensform postuliert, kann er sich mit Johanns Behauptung eines akzidentellen Vorrangs der vita activa angesichts der gegenwärtigen Zustände auseinandersetzen. Dazu formuliert er im ersten Kapitel drei Thesen (fundamenta): 284 (1) Beide Wege führen zum Heil, sofern sie angemessen gelebt werden, wobei das kontemplative Leben nur ein Weg für wenige Menschen ist.285 (2) Unter besonderen Umständen ist die eine Lebensform der anderen vorzuziehen, aber (3) essentiellen Vorrang hat die vita contemplativa, da sie Ausdruck der höchsten Liebe zu Gott ist.286 Aus diesen drei Thesen zieht Bernhard den Schluss, dass ein Kirchenamt um des kontemplativen Lebens willen verlassen werden kann. dum tractatuli distinguere volui stemmata rhetoricae abiciens moremque scholasticum deserens, stilo grossiori proprio mihi et accommodo iuxta ordinem in vestrae paternitatis reverendissimae epistula positum plane processurus«; vgl. »per ordinem in epistula praetacta« (S. 144,16). 279 Vgl. BvW, Defensorium, Introductio (Riemann, S. 140,13). 280 Vgl. BvW, Defensorium, Introductio (Riemann, S. 141,8–12). 281 Vgl. BvW, Defensorium, Introductio (Riemann, S. 142,15–17): »id quod est praecepti in statu monastico melius et expeditius atque perfectius adimplebo«. 282 Vgl. BvW, Defensorium, Introductio (Riemann, S. 143,11 f.). 283 BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 145,11–13). Vgl. »melior, securior et iucundior« (S. 158,2). 284 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 148,12–149,3). Riemann, Der Schriftwechsel, S. 368 f., sieht in Kapitel 1 des Defensorium eine eigenständige Quaestio zur akzidentellen Vorrangigkeit der vita activa und essentiellen der vita contemplativa, schränkt dies aber zugleich ein: »Diese Quaestio hält sich zwar nicht an den Auf bau klassischer Quaestionen: Positionen der Affi rmation, Sed contra, Lehrmeinung, Abweis der obiectiones, – weist aber nichtsdestotrotz all diese Punkte auf« (S. 368). 285 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 148,12–15): »quod utraque vita per se sumpta, si bene et rite peragitur, commendabilis est valde et ad aeternam salutem sufficiens; est tamen una communis multorum reliqua singularis et valde paucorum«. 286 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 149,2 f.): »per se contemplativa activam simpliciter praecellat«; vgl. a.a.O. (S. 148,16–149,3; S. 153,5 f.; 155,16 f.).

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Eine vita mixta, wie Johann sie in der Epistula fordert, hält er nur begrenzt und »pro loco et tempore« für realisierbar.287 Er erläutert im zweiten Kapitel, inwiefern das kontemplative Leben grundsätzlich das aktive übertrifft, unter welchen Umständen (in casu) das aktive möglicherweise vorzuziehen sei und welche Aufgaben beide Lebensformen haben.288 Doch gesteht er Johann zu: »Contemplatio est per se eligenda, cura autem animarum in casu necessitatis fraternae est suscipienda«.289 Allerdings führt Bernhard die Umstände, unter denen die aktive Seelsorgetätigkeit geboten ist, nicht weiter aus. Er beweist vielmehr den prinzipiellen Vorrang der vita contemplativa in der die ersten beiden Kapitel umfassenden Auslegung der Maria-Martha-Erzählung, mit der bereits Johann in der Epistula argumentierte. 3.7.1.3 Bernhards Interpretation der Maria-Martha-Erzählung Bernhard hält wie im Speculum daran fest, dass Maria die kontemplative und beste Lebensform verkörpere. Im ersten Kapitel des Defensorium gebraucht er die Erzählung als Autoritätsbeweis, im zweiten ersetzt seine Interpretation der Perikope den Vernunftbeweis. Seine Auslegung setzt er in den Kapiteln 9 und 10 fort. Zu Beginn des Defensorium beweist Bernhard mit Gregor dem Großen, Augustinus, Thomas von Aquin und Ludolf von Sachsen, dass Maria die »optima pars« mit der kontemplativen Lebensform wählte. »Sed Marthae cura non reprehenditur, Mariae vero otium laudatur, quia magna sunt activae vitae merita, sed contemplativae potiora, [. . .] contemplativae vero gaudia melius ex fine convalescunt.« 290 Damit weist Bernhard die Aufforderung Johanns an die kontemplativ lebenden Mönche zurück, sich in den Dienst der Kirche zu stellen, da Christus selbst das Verhalten der Maria ausdrücklich gutgeheißen habe. Auch im Vernunftbeweis des zweiten Kapitels argumentiert Bernhard mit der lukanischen Erzählung, die er gegenüber Johann wahrheitsgemäßer und vollständiger untersuchen möchte.291 Seine Interpretation der MariaMartha-Erzählung kann mit Augustin, den Bernhard zitiert, darin zusammengefasst werden, dass Martha gut (bone) handle, Maria aber besser (melius) und am besten (optime).292

287

Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 156,13–157,12). Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 157,16–174,12). 289 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 166,3 f.). 290 BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 153,17–154,4, vgl. S. 153,11–155,6). 291 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 158,8–10): »discutiendum est plenius verissimum et solidissimum superius positum Salvatoris dictum«. Vgl. a.a.O. (S. 157,16– 174,12). 292 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 161,3–162,10). 288

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Bernhard zitiert Lukas 10,41 f. und leitet daraus drei Thesen ab, die er durch Zitate belegt.293 In Symmetrie nennt er drei Einwände gegen seine drei Thesen, die er wiederum in drei Abschnitten widerlegt.294 Die erste von Bernhards Thesen lautet erwartungsgemäß, dass nach Lk 10 die vita contemplativa die beste Lebensform ist. »Vita contemplativa est optima et per consequens potior et melior quam vita activa«.295 In der Begründung dieser These greift Bernhard wie in der Debatte um die mystische Theologie auf das intellektuale Seelenvermögen zurück.296 Die kontemplative Lebensform ist die vom Intellekt bestimmte und Gott in besonderem Maße entsprechende Lebensform.297 Aus dieser ersten These leitet Bernhard die zweite und dritte ab, die beide Lebensformen eschatologisch betrachten: Die vita activa mit ihren guten Werken endet »in futura patria«.298 Das kontemplative Leben besteht dagegen als Beschauung Gottes ewig fort.299 Aus dieser übergreifenden zeitlichen Perspektive verwirft Bernhard die vita activa. Sie führe zu Unruhe und Ablenkung der Seele (mens), während es notwendig sei, die Vereinigung der Seele mit Gott zu erreichen. Im Wortspiel von Gott als dem einen, der nicht in der Konzentration auf vieles (multa) erfahren werden kann, lehnt Bernhard die vita activa ab.300 Den Einwand zur ersten These, dass Menschen oft gezwungen sind, die vita contemplativa zugunsten der vita activa aufzugeben, weist Bernhard in großer Breite zurück.301 Seiner Meinung nach ist stets vorzuziehen, was grundsätzlich besser ist, die vita contemplativa also der im Einzelfall gebotenen aktiven Seelsorgetätigkeit.302 Mit der Unterscheidung von grundsätzlichem Vorrang der Kontemplation und akzidenteller Aktion »propter necessitatem vitae praesentis« geht Bernhard auf Johanns Anliegen ein, nicht ohne zu betonen, dass das kontemplative Leben einen größeren Verdienst habe, da in der Kontemplation die Freude Gottes unmittelbar geschaut wer-

293

Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 158,11–162,10). Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 162,11–174,12). 295 BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 158,15 f.). 296 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 158,16–159,10). 297 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2: »potentia animae intellectiva« (Riemann, S. 159,3 f.); »vita maxime deo convenit« (S. 159,5); »hominem maxime deo assimilat« (S. 159,7). 298 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 159,11–16). 299 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 159,17–160,5). 300 BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 160,16–161,2): »Id est unitas mentis ad deum, quia per vitam contemplativam mens adhaeret deo, qui est simpliciter unus, sicut e contra per vitam activam anima per multa dividitur et distrahitur.« 301 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 162,11–168,3). 302 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 166,1–4): »quia id, quod simpliciter praeeligitur, videtur esse melius absolute quam id, quod praeeligitur in casu; sed contemplatio est per se eligenda, cura autem animarum in casu necessitatis fraternae est suscipienda«. 294

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

de, in der vita activa dagegen die Freude des Nächsten.303 Dennoch könne die Verbindung von Kontemplation und Aktion, z. B. in Predigt, Lehre und Seelsorge, notwendig und geboten sein.304 Im Vergleich zum Speculum kommt Bernhard hier Johanns Wunsch nach einer gemischten Lebensform entgegen. Den Einwänden zur zweiten und dritten These widmet sich Bernhard nur knapp. Die vita activa, so verteidigt Bernhard die zweite These, höre im zukünftigen Reich Gottes ihrem Wesen nach (essentia) auf. Denn im liebenden Erkennen Gottes und der Vereinigung mit Gott gibt es keine äußeren Werke mehr. Bernhard bestimmt das Leben im Reich Gottes als Leben in der Unio mit Gott. So ist das Ziel jedes Gläubigen, das, was der Mönch gegenwärtig schon in der vita contemplativa erfahre, die unio mystica. Bernhard setzt die eschatologische Schau Gottes, die »contemplatio«, gleich mit der Lebensform der vita contemplativa. Deshalb kann er feststellen, dass das Ziel der präsentisch gelebten aktiven wie kontemplativen Lebensweise die vita contemplativa im Reich Gottes ist. In der eschatologischen Perspektive sind die beiden Lebensformen keine Gegensätze, sondern nur in ihren Aufgaben (per officia) zu unterscheiden. Zu den Aufgaben der vita activa gehöre das Predigen, Lehren und Ermahnen in der Öffentlichkeit, während zur kontemplativen Lebensform das Lesen für sich und in Abgeschiedenheit (sibi et in secreto) gehöre, vor allem aber das Sehen und Schmecken der Süße des Herrn. Da aber Predigt und Lehre aus der Kontemplation hervorgehen und zu dieser hinführen, sieht Bernhard auch in den »officia« die kontemplative Lebensform der aktiven überlegen.305 Doch macht er das Zugeständnis, dass ein kontemplativ lebender Mensch »pro opportunitate, tempore et necessitate« die Aufgaben der Kirchenleitung und Seelsorge wahrnehmen könne.306 3.7.1.4 Warnung vor den Gefahren des Amts Nach dem Beweis des grundsätzlichen Vorrangs der vita contemplativa greift Bernhard die Frage nach dem akzidentellen Vorzug der vita activa auf, die er als »quaestiuncula« bezeichnet.307 Trotz seines Zugeständnisses einer vita mixta im zweiten Kapitel lehnt er die vita activa grundsätzlich ab. Denn die vita activa um des Seelenheils vieler Menschen willen zu wählen, bedeute, das Unsichere dem höheren Gut und dem Sicheren vorzuziehen.308 Wegen 303

Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 166,6–14). Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 166,14–168,3). 305 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 163–166,3); vgl. dazu den Kommentar von Riemann, Der Schriftwechsel, S. 382–385. 306 BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 171,10 f.). 307 BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 175,15; 177,7). 308 Vgl. BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 178,6–8): »quia sic minus bonum et incertum videtur maiori bono et certo praeferri«. 304

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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des Seelenheils des Einzelnen stellt er die Motive infrage, die zu solcher Hinwendung zu den Gefahren der Welt im Seelsorgedienst führen, und charakterisiert sie als »vanitas«. Die Gefahren des kirchlichen Amtes führt er dreifach aus: Zu Beginn (in ingressu) bestehe die Gefahr der Simonie, im Fortschreiten (in progressu) drohen die Gefahren der Amtsführung, seien dies Günstlingswirtschaft oder die ständige Sorge um Temporalia. Schließlich berge das Amt eine dritte Gefahr, wo die Verpfl ichtung zu Korrektur und Unterweisung auf die Härte und Unbelehrbarkeit der Menschen stoße. Bernhard knüpft an die Gefahren des Amtes, wie er sie im Speculum dargestellt hat, an und führt sie im Defensorium breiter und in eschatologischer Dimension vor Augen.309 Gehört zu den Aufgaben der Bischöfe und Pastoren auch die kirchliche Jurisdiktion, so müssen sie sich am Jüngsten Tag nicht nur für ihre eigenen Taten verantworten, sondern Rechenschaft ablegen für alle, die ihrer Sorge anvertraut waren.310 Denn wer aufgrund seines Amtes in dieser Welt Richter und damit menschlichem Gericht enthoben ist, den wird am Jüngsten Tag ein um so schärferes Gericht und Urteil erwarten.311 »Rationem reddere«312 ist das Leitmotiv des Kapitels, in dem Bernhard die drohende Verdammnis der Pastoren im Jüngsten Gericht mit Zitaten beweist und im Stil eines wortgewaltigen Bußpredigers eine apokalyptische Szene schildert.313 Die drohende Verdammnis ist für ihn ein Grund mehr, das Amt aufzugeben und ins Kloster zu gehen.314 Daher verwirft er im fünften Kapitel alle Gründe, die einen Menschen am Eintritt ins Kloster hindern.315 Weder Predigtamt noch universitäre Lehre, weder der Rang des Gelehrten noch die Leitung der Gemeinde sieht er als Hindernis, in den status religionis zu treten.316 Vielmehr nutze der Eintritt ins Kloster den in der Welt zurückgelassenen Menschen sogar, da die Liebe für diese, z. B. die Eltern und Wohltäter, größer werde. Damit greift Bernhard den Gedanken des Nutzens erneut auf, führt ihn aber nicht weiter aus. 309

Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 185,12–199,4). Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 185,11): »in novissimo die«; vgl. »futurum iudicium« (S. 186,11). 311 Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 185,16–186,15), mit Gregor dem Großen: »ubi quanto liberiores erant hic ab humanis iudiciis, tanto ibi districtius divinis subiacebunt sententiis« (S. 186,11–13). 312 Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 186,3.17; 187,2.8.12; 191,15.17 u. a.). 313 Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 190,4–6): »neglegentia pastoris seu praelati est aliquando peccatum mortale; ergo propter ipsum incurrit reatum damnationis aeternae.« »Re vera hoc iudicium bene est tremendum« (S. 197,6 f.). Vgl. c. 4 (Riemann, S. 197,7– 198,4). 314 Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 185,16–186,3). 315 Vgl. BvW, Defensorium, c. 5 (Riemann, S. 199,8–207,10). 316 Vgl. BvW, Defensorium, c. 5 (Riemann, S. 199,16–200,5). 310

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

3.7.1.5 Der Pastorenspiegel Trotz der Warnung vor dem kirchlichen Amt in den ersten fünf Kapiteln stellt Bernhard in den Kapiteln 6 bis 8 die Aufgaben im pastoralen Dienst durchaus positiv in Form eines Spiegels vor.317 Unter dem Stichwort des Eifers für die Seelen (zelus animarum) 318 und mit Beispielerzählungen beschreibt er das Ideal eines Pastors und Bischofs, der als treuer Knecht Christi für das geistliche und materielle Wohl der ihm anvertrauten Personen sorgt, karitativ wirkt und dadurch die ewige Glückseligkeit erwirbt.319 Ein guter Pastor ist für Bernhard ein guter Nachfolger Christi, »ut scilicet sit sanctus in vita, ut vivat exemplariter«.320 Dazu ruft er alle Pastoren auf. Für sie stellt er Erzählungen, wie z. B. von Thomas von Brabant, und Zitate zu den Aufgaben eines »pastor bonus« 321 zusammen und ergänzt diese durch eigene Anmerkungen.322 Bei allem Lob für den Dienst des Pastors lässt Bernhard keinen Zweifel daran, dass das Amt des Seelenhirten ein schweres Amt ist, das die Bereitschaft zur Lebenshingabe erfordere. Die positive Darstellung des guten Hirten ergänzt er daher um die Warnung vor dem Missbrauch des Amts.323 Denn ein Pastor muss die ihm anvertrauten Gemeindeglieder korrigieren und disziplinieren, selbst heilig sein und in der Kontemplation leben, um sein Amt recht wahrzunehmen.324 Die rechte Amtsausübung sieht Bernhard in seiner Zeit kaum gegeben. Er listet das Fehlverhalten der »persona ecclesiastica« auf, ergänzt aber auch das der Religiosen, obwohl diese »per defi nitionem« vollkommener leben müssten.325 In beiden Lebensformen sieht er Missbräuche und Fehlverhalten. Allerdings nimmt er sein scharfes Urteil über die Religiosen teilweise zurück, wenn er, Johannes Gerson ausdrücklich widersprechend, betont, dass sich früher (olim) viele Religiosen falsch verhielten, gegenwärtig (hodie) aber 317

Vgl. BvW, Defensorium, c. 6–8 (Riemann, S. 207,14–273,15). Vgl. BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 207,14). 319 Vgl. BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 210,12–14): »Debet autem familiam domini pascere magis quam se et eis cibum dare, id est spiritualia et corporalia dispensare«; vgl. »id est bona spiritualia et corporalia fideliter et prudenter ac bene ministrantem, hoc est in actibus caritatis se exercentem ac pro se et sibi commissis vigilantem, quia per talia meretur aeternam beatitudinem« (S. 211,6–9). 320 BvW, Defensorium, c. 7 (Riemann, S. 247,2 f.). Vgl. a.a.O. (S. 212,4 f.): »primum quia bene vixit, secundum quia alios bene vivere docuit.« 321 Vgl. BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 219,14–224,2). 322 Vgl. BvW, Defensorium, c. 7 (Riemann, S. 230,8–248,17). 323 Vgl. zu den Pfl ichten der »pastores« BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 249,7– 258,1), zu den »vitia« a.a.O. (S. 258,1–273,15). 324 Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 250,9 f.): »primo bonus pastor esse strenuus sive sollicitus in correctione«; »Secundo dixi, quod praelatus debet esse sanctus in actione« (S. 254,12); »Tertio dixi, quod praelatus debet esse altus in contemplatione« (S. 256,10 f.). Vgl. a.a.O. (S. 249,12–15). 325 Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 264,15–273,15). 318

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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nur vielleicht zehn von hundert Religiosen noch einen schlechten Lebenswandel führten.326 3.7.1.6 Die Beantwortung der Quaestio In den beiden letzten Kapiteln des Defensorium kehrt Bernhard zur Quaestio und zur Widerlegung der Epistula zurück.327 Er bietet keine zusammenhängende und eigenständige Argumentation, sondern eine detaillierte Widerlegung der einzelnen Argumente Johanns, in der er seine Thesen zur vita contemplativa wiederholt. So widerlegt er Johanns Auslegung der Maria-Martha-Erzählung, vergleicht noch einmal beide Lebensformen und wendet sich nach einem Exkurs zu seiner mystischen Erfahrung einigen Einzelaspekten zu.328 Kernaussage dieser Ausführungen bleibt der Vorzug des kontemplativen Lebens, den er auch mit ungewöhnlichen Vergleichen illustriert. So nimmt er eine Aufforderung Johanns nach Sirach 42,14 auf, dass es besser wäre, wenn die Mönche durch aktives Arbeiten in der Welt ihren »Mann« stünden.329 Bernhard vergleicht darauf hin die vita contemplativa mit dem Frausein, die vita activa mit dem Mannsein. Er konstatiert: »ego mulier«.330 Denn eine Frau sei zerbrechlich und weich und habe die Aufgabe, im Haus zu sitzen und dort gute Werke zu tun, was die Religiosen im beschaulichen Leben tun. Johann hatte in der Epistula die Religiosen dazu aufgefordert, das Kloster zu verlassen und den Menschen durch Seelsorgetätigkeit zu Hilfe zu eilen. Er verwendete dabei das Bild einer Gefahrensituation: Bedrohten Feuer, Gefahr oder Feinde eine Stadt, eilten die Mönche zu Hilfe. Bernhard übernimmt diese Metapher, aber er hält dagegen, dass er die Mönche in einer solchen Situation dazu überreden würde, in ihrer Zelle zu bleiben und zu beten. Denn, so Bernhard, einem Mönch ist es nicht erlaubt, das Kloster zu verlassen, zu predigen und Sakramente zu spenden außer auf ausdrückliche Anweisung.331 Die Quaestio, ob ein kirchliches Amt zugunsten des kontemplativen Lebens verlassen werden soll, beantwortet Bernhard fast nur mit dem Hinweis 326

Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 266,1–268,17). Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 274,1–289,6); c. 10 (S. 289,10–313,7). 328 Vgl. zur Widerlegung BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 275,2–280,9); zum Vergleich beider Lebensformen a.a.O. (S. 280,9–282,4); vgl. den Exkurs zur mystischen Erfahrung a.a.O. (S. 282,5–283,17). 329 BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 285,16 f.): »quod melior sit iniquitas viri quam benefaciens mulier«, vgl. Sir 42,14: »Besser ein unfreundlicher Mann als eine freundliche Frau.« 330 BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 286,2 f.); zum Argumentationsgang a.a.O. (S. 285,15–288,11). 331 Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 290,1–292,2); vgl. a.a.O. (S. 295,1 f.): »nisi a deo vocatus et a superiore auctoritate ad hoc institutus sit.« 327

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

auf die Regelungen des kanonischen Rechts zur Aufgabe des Priesteramts.332 Demnach dürfe das Amt nur mit legitimen Gründen verlassen werden.333 Bernhard ist es zum Schluss des Defensorium wichtig, dass er nicht zum leichtfertigen Aufgeben des Amtes auffordern will, sondern dazu, wie Maria »partem meliorem magisque securam« zu wählen.334 Der Schluss zeigt, dass es Bernhard weniger um den konkreten Fall der zeitgenössischen Seelsorgetätigkeit von Mönchen geht wie Johann in der Epistula, sondern vielmehr um den grundsätzlichen Vorrang der vita contemplativa und die Ermutigung der Bischöfe und Pastoren, diese zu wählen.

3.7.2 Bernhards Plädoyer für das kontemplative Leben im Defensorium Im Speculum wie im Defensorium beweist Bernhard den essentiellen Vorrang und höheren ideellen Rang der vita contemplativa. Er argumentiert durchgehend unter dem Aspekt des Heils (ad salutem) und sieht in dieser Perspektive das kontemplative Leben als nützlicher, fruchtbarer, besser und verdienstvoller als den aktiven Dienst. Im Defensorium kennt er aber auch die Argumentation secundum quid et in casu und kann im Einzelfall eine Seelsorgetätigkeit gutheißen. Er gesteht damit dem kirchlichen Dienst mehr Eigenrecht und Eigenwert zu als im Speculum.335 Angesichts der zeitgenössischen Zustände kann bei theoretischem Vorrang der vita contemplativa eine vita mixta angemessen und eine Seelsorgetätigkeit von Mönchen erlaubt sein. Die Verbindung von Kontemplation und Seelsorgetätigkeit hat für ihn einen hohen Wert, während er der vita activa grundsätzlich kritisch gegenübersteht. Bernhard empfiehlt stets den Wechsel aus der vita activa im pastoralen Dienst in die vita contemplativa. In der ausführlicheren Argumentation im Defensorium eröffnet er aber mit dem Gedanken der vita mixta die Möglichkeit, dass auch Mönche »pro tempore« die Reform in der Kirche aktiv unterstützen, während er umgekehrt die Bischöfe dazu ermahnt, Amt und Kontemplation zu verbinden. Obwohl Bernhard im Defensorium dieselbe Grundthese vom Vorrang der kontemplativen Lebensform mit denselben Argumenten wie im Speculum vertritt, schließt er doch eine weitere Diskussion mit Johann von Eych über eine vita mixta nicht aus. Sowohl im Speculum als auch im Defensorium fi nden sich Argumentationsmuster und Motive, die für Bernhard charakteristisch sind und durch die er sich von Johann unterscheidet. 332

Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 298,12–299,5). Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 299,6–307,17). 334 BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 307,12–15). 335 Vgl. Wilpert, Vita contemplativa, S. 224: »In der praktischen Haltung ist weitgehende Übereinstimmung erzielt. Aber die theoretische Begründung scheidet sie.« 333

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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3.7.2.1 Sprache und Stil im Defensorium 3.7.2.1.1 Auflösung der Quaestio Johann hält sich in der Epistula formal an das Argumentationsschema einer Quaestio, während Bernhard sowohl im Speculum als auch im Defensorium von dieser scholastischen Form der wissenschaftlichen Abhandlung abweicht. Zwar formuliert er zu Beginn beider Schriften die zu diskutierende Quaestio, doch handelt er diese formal nicht ab. Im Defensorium bezeichnet er seine Schrift explizit als Sermon und nimmt für sich einen einfacheren Stil in Anspruch. Die Loslösung von der Form einer sachlich-erörternden Quaestio erlaubt ihm einen subjektiven Stil, und er kann in die Abhandlung auch eigentlich gattungsfremde Elemente, wie z. B. Weherufe, Gebete und biographische Exkurse aufnehmen, um seiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Entsprechend argumentiert Bernhard im Defensorium weitgehend einlinig für seine Position. Nur ganz vereinzelt führt er Gegenpositionen an.336 Häufiger verurteilt er abweichende Meinungen, ohne sie argumentativ nachzuvollziehen, pauschal als Sophisterei oder Verführung des Teufels.337 3.7.2.1.2 Der Autoritätsbeweis Mit der Auflösung der Quaestio verzichtet er fast auf die Argumentation nach Vernunftgründen. Wo er mit Vernunftgründen argumentieren will, bietet er eine direkt auf Aussagen der Bibel oder auf Beispielgeschichten auf bauende Argumentation,338 so dass Autoritätsbeweis und Lebensbeispiele die Argumentation ad rationes ersetzen.339 Für Bernhard ist im Speculum wie Defensorium der Autoritätsbeweis entscheidend, und er kompiliert dafür die Aussagen zahlreicher Autoren aus Kirche und Mönchtum. Charakteristisches Beispiel dafür ist das sechste Kapitel des Defensorium, das nach der These Bernhards nur aus der Kompilation von Autoritäten von den Mönchsvätern der Alten Kirche bis zu Thomas von Aquin und Albertus Magnus besteht und das Bernhard noch mit zwei Beispielgeschichten abschließt.340 Die Zitate grenzt Bernhard meist mit einem »haec ille« ab. Typisch ist für ihn die Überleitung zwischen den Zitaten durch eine kurze Zwischenbemerkung. 336 Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 287,16 f.): »Aliter sed non contrarie exponit [. . .].« 337 Vgl. BvW, Defensorium, c. 5 (Riemann, S. 201,16): »impedimenta et sophistica argumenta«. 338 Vgl. exemplarisch die Argumentation im fünften Kapitel, BvW, Defensorium, c. 5 (Riemann, S. 199–207). 339 Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 289,12 f.): »per auctoritates et exempla sanctorum«. 340 Vgl. BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 207–230).

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Die Beispielerzählungen dienen ihm zur Illustration seiner Aussagen, aber auch als deren Beweis. Denn »exempla« sind für Bernhard im Speculum und Defensorium meist Lebensbeispiele. So führt er z. B. die biographischen Erfahrungen des Ordensgründers Dominicus als Beispiel für das rechte Verhalten eines Pastors an.341 Mit diesen Beispielen will Bernhard seine Leser überzeugen. 3.7.2.1.3 Die Adressaten Erster Leser und Adressat der Schrift war Bischof Johann, dem er beide Schriften zusandte. Johann gegenüber, den er in der zweiten Person Singular anspricht, zeigt Bernhard sich in Anrede und Ton sowohl respektvoll als auch vertraut.342 Seine Hochachtung wird spürbar, wenn sich Bernhard im Vergleich zu Johann als Schüler gegenüber seinem Lehrer, als Häschen gegenüber einem Löwen oder als Junge gegenüber einem Riesen bezeichnet.343 Sein Respekt zeigt sich auch in der Betonung der Übereinstimmungen und dem ausgeprägten Bescheidenheitstopos.344 Bernhard bemüht sich im Defensorium um einen einvernehmlichen Ton, hält aber inhaltlich unnachgiebig an seiner Position fest. In beiden Schriften geht er auf die Situation im kirchlichen Amt ein: Während er im Speculum das Bischofsamt behandelt, erweitert er im Defensorium seine Argumentation auf alle, die im pastoralen Dienst tätig sind. So richtet sich der Pastorenspiegel an alle in Seelsorge und Gemeindeleitung tätigen Personen.345 Begriffl ich wechselt Bernhard im Defensorium zwischen »episcopus«, »praelatus« und »pastor«, wobei er letztere synonym verwendet.346 3.7.2.1.4 Stilistische Beobachtungen Diesen breiteren Adressatenkreis möchte Bernhard vom kontemplativen Leben überzeugen, und er argumentiert im Defensorium für diese Leser ausführlicher, auch redundant, belegt seine Thesen mit langen Zitaten und illustriert sie stärker als im Speculum. Seine Gliederung in Kapitel mit Überschriften zeigt ebenso wie die Beispielerzählungen seine didaktische Intention. 341

Vgl. BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 218,16–219,2). Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 146,12): »o pater sancte«; vgl. »o pater sanctissime« (S. 288,13); »virorum spectatissime« (S. 177,19); »vir probatissimus« (S. 175,13). 343 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 145,16–147,17; vgl. S. 177,17 f.; 282,3 f. u. a.). 344 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 145,16–147,17). 345 Vgl. BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 216,14–217,1); vgl. a.a.O. (Riemann, S. 229,9–15). 346 Selten spricht Bernhard von »persona ecclesiastica«, vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 271,14). 342

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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Auch seine Argumentation ist leicht nachvollziehbar gegliedert. Oft bedient er sich eines Dreierschemas, so z. B. in Kapitel 8 des Defensorium: Bernhard nennt drei Aufgaben eines Pastors und führt diese Aufgaben wieder in je drei Unterpunkten aus, wobei ein Unterpunkt in dreifacher Hinsicht betrachtet wird.347 Neben diesem Dreierschema verwendet Bernhard gerne Zahlenvergleiche: Einer unter Hundert ist berufen zum Leben im Kloster; einer unter Hundert versteht sein Amt als Pastor recht, und einer unter Tausend führt seinen pastoralen Dienst wahrhaft aus.348 Diese Vergleiche spiegeln zugleich inhaltlich ein elitäres Bewusstsein wider; die Kontemplation im Kloster und die Leitungsposition in der Kirche kann nur von wenigen Menschen gelebt werden. Durch direkte Anrede und rhetorische Fragen bezieht Bernhard seine Leser ein.349 »Audite haec, pastores«, »discite« sind Imperative, mit denen Bernhard sich im Defensorium direkt an die Pastores wendet.350 Mit der Anrede an sein Gegenüber verbindet Bernhard oft persönliche Einschübe, z. B. Klagerufe über den zeitgenössischen Zustand der Gesellschaft.351 Solche Rufe können auch Ausrufe des Staunens über die Güte und Größe Gottes sein. Bernhard rezipiert hier eine ihm vertraute literarische Tradition und zitiert diese Ausrufe nach Augustinus oder Bernhard von Clairvaux.352 3.7.2.2 Die von Bernhard zitierten Autoritäten Von diesen Autoren übernimmt Bernhard nicht nur stilistische Elemente, sondern seine Argumentation im Speculum und Defensorium belegt er mit Zitaten dieser und anderer Mönchsväter und Kirchenlehrer. So sind es Augustinus, Bernhard von Clairvaux und Gregor der Große sowie, seltener, Thomas von Aquin, die Bernhard im Defensorium am häufigsten zitiert.353 347

Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 249,1–258,1). Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 272,5–7): »ut vix inter mille unus reperiatur, qui id, quod sua professio exigit, sinceriter agat.« 349 Vgl. zu den Fragen BvW, Defensorium c. 3 (Riemann, S. 184,3–14); c. 4 (S. 197,14– 198,6); c. 5 (S. 200,1–4). 350 Vgl. BvW, Defensorium, c. 7 (Riemann, S. 247,15 f.). 351 Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 198,2–4); vgl. c. 10 (Riemann, S. 295,12.14). 352 Vgl. mit Augustinus »o quanta dignitas«, BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 216,10); mit Bernhard von Clairvaux: »o quanta dignitas« (S. 217,15). 353 Vgl. BvW, Defensorium, zu Augustinus: Riemann, S. 154,14; 156,7.13; 161,4–9; 164,2; 168,1; 180,9; 186,15; 187,13; 188,10; 193,10; 213,12; 214,12–215,15; 232,16–233,4; 252,12; 281,6–11; 309,12–310,1. Zu Bernhard von Clairvaux: S. 187,16; 213,2 f.; 217,13; 218,5; 230,16–231,15; 231,17–232,5; 241,1–7; 242,16–243,8; 258,8–15; 263,14; 286,14– 287,16; 305,7–306,6. Zu Gregor dem Großen: S. 149,16; 150,2; 151,5.17; 153,7–154,13; 164,17–165,1; 181,3–12; 186,6; 191,6; 193,16; 195,11; 213,5 f.; 217,6–13; 233,8–14; 250,10; 254,12.15; 299,14; 305,4–7. Zu Thomas von Aquin: S. 55,16; 167,12–15; 189,9–14; 200,7.17; 205,1; 206,8–17; 306,10–307,1. 348

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Bernhards Bestimmung des Verhältnisses von vita activa und contemplativa stimmen mit der des Thomas in der Summa theologiae überein; doch ist für Bernhard nicht Thomas der entscheidende Zeuge.354 Größere Bedeutung haben für ihn die Aussagen derer, die selbst Erfahrung im monastischen Leben haben. Deshalb zitiert er Augustinus oder Bernhard von Clairvaux sehr häufig, ebenso auch Benedikt von Nursia, Hieronymus oder Johannes Chrysostomos.355 Johann wirft Bernhard sogar vor, dass für ihn Bernhard von Clairvaux ja geradezu der Gesetzgeber sei.356 Nur einmal zitiert Bernhard auch Boethius; er zitiert aber anders als Johann in der Epistula keine nicht-christlichen antiken Autoren.357 Die Dekretalen und deren Kommentierung bilden für seine theologische Argumentation den normativen Rahmen.358 Zeitgenössische Autoren, wie z. B. Johannes Nider und Johannes Gerson, kann Bernhard ebenfalls anführen, wobei er, anders als im Speculum, im Defensorium Gerson sogar namentlich nennt.359 Biblische Zitate vervollständigen seinen Autoritätenkanon, wobei er sowohl Prophetensprüche des Alten Testaments aufnimmt als auch das Handeln einzelner Personen, z. B. der Jünger, als Belege für seine Thesen anführt.360 354 Vgl. Thomas von Aquin, S. th. II-II, q. 185sq. Riemann, Der Schriftwechsel, S. 363– 389, interpretiert Speculum und Defensorium im Vergleich mit der Summa theologiae des Thomas von Aquin, auch wenn sie zugesteht, dass Bernhard diesen Bezug nicht immer expliziert. Es ist zu fragen, ob der Bezug zu Thomas nicht überschätzt wird. Bernhard argumentiert dogmatisch auf dem Boden der kirchlichen Lehre von den zwei Wegen, wie Thomas sie in der Summa darlegt, aber sein Interesse gilt der Erfahrung dieser Lebensform, und Thomas ist für ihn nur eine Autorität unter vielen, die er zitiert. 355 Einige der von Bernhard im Defensorium zitierten Autoritäten: Adam de Persenia (Riemann, S. 235,8–237,16; 239,10–240,10; 244,5–246,1); Albertus Magnus (S. 216,14– 217,6; 218,10; 219,2; 296,15; 297,2–298,4); Ambrosius (S. 161,9–17; 212,7; 218,2; 269,16); Beda Venerabilis (S. 149,15; 238,13–239,8; 299,16); Benedikt von Nursia (S. 192,3; 196,15); Bonaventura (S. 224,4–229,6); Cyprian (S. 262,6); Franz von Assisi (S. 181,12); Gregor von Nazianz (S. 237,10); Hieronymus (S. 155,10.14; 176,10; 188,3; 197,4; 200,5.11–15; 203,11; 206,3; 303,4); Hilarius (S. 204,5); Hugo von St. Victor (S. 149,16; 188,12; 247,17–248,7); Johannes Cassian (S. 178,11; 250,12.16; 254,4.16); Johannes Chrysostomos (S. 189,1; 191,9; 210,9; 212,2; 263,16); Johannes Climacus (S. 203,7); Ludolf von Sachsen (S. 155,6; 161,17– 162,7; 210,5; 232,5–11; 218,15; 281,15 f.; 302,7–303,1; 303,8–304,13); Origenes (S. 187,7; 191,4); Petrus Boërius (S. 192,5); Richard von St. Victor (S. 149,16; 215,16–216,13; 263,8) etc. 356 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 112,15–17): »Testem adduco legislatorem tuum«. 357 Vgl. Boethius, Consolatio philosophiae: BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 256,16). 358 Vgl. zu den Dekretalen und deren Kommentierung: BvW, Defensorium (Riemann, S. 152,6.13; 194 f.; 298,14). 359 Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 264,2; 268,13.17.). 360 Vgl. zu den biblischen Zitaten im Defensorium z. B. Sprüche Salomos (Riemann, S. 180,7); Weisheit Salomos (S. 212,15); Hiob (S. 198,8); aus dem Neuen Testament die Jünger, die ihre Eltern verließen (S. 204,4); Paulus (S. 212,5) u. a. Im Hirtenspiegel in c. 7 des Defensorium argumentiert Bernhard mit Hesekiel (Riemann, S. 154,5; 194,5; 198,13 u. a.).

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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Bernhard unterscheidet zwar zwischen der Autorität der Schrift und der der kirchlichen Autoritäten. Er verbindet diese Differenzierung aber nicht mit einer Wertung.361 Die von ihm zitierten theologischen Schriften sind wie die Aussagen der Heiligen Schrift für ihn verbindlich und zugleich interpretationsbedürftig. So differenziert er zwischen Wortlaut und der Interpretation eines Glossators, kennt die Interpretation »ad intentionem«, die allegorische und die litterale Auslegung, wobei er sich auf letztere am häufigsten beruft.362 Im Defensorium beweist Bernhard eine umfassende Kenntnis altkirchlicher und mittelalterlicher Autoren und Schriften. Nicht alle der von ihm zitierten Schriften sind für das 15. Jahrhundert in der Bibliothek in Tegernsee nachzuweisen. Seine Selbstzitation und die Parallelen zur Argumentation des Kartäusers Jakob im Speculum zeigen, dass Bernhard sich nicht scheute, seine Beweise aus allen ihm zugänglichen Schriften zusammenzustellen. Da er meist darauf verzichtet, Übernahmen von den als zeitgenössisch empfundenen Autoren, den »moderni«, zu kennzeichnen, ist es möglich, dass er zudem von dem innerhalb der Melker Reform entstehenden Schrifttum beeinflusst war und dieses zitiert, so z. B. den Regelkommentar seines Tegernseer Mitbruders Johannes Keck. 3.7.2.3 Die vita contemplativa als Ermöglichung mystischer Erfahrung Für Bernhard beweisen alle Autoritätszitate, dass die vita contemplativa die beste und der vita activa vorzuziehende Lebensform ist. Dementsprechend beschreibt Bernhard das beschauliche Leben wie bereits im Speculum auch im Defensorium immer wieder. Den Vorrang der vita contemplativa kann Bernhard nur in einer Reihe komparativischer Adjektive beschreiben: Die vita contemplativa ist »besser, würdiger, verdienstvoller, sicherer, schneller, freier, leichter« etc. als die vita activa.363 Sie hat größeres Verdienst (meritum) bei Gott, da sie der Weg der Vervollkommnung ist und die Gebote im kontemplativen Leben besser, leichter und vollkommener erfüllt werden können.364 Sie ist daher wesentlich und akzidentell gut 365 und ist die Lebensform, in der der Mensch Gott

361 Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 190,7 f.): »auctoritas scripturae«, »auctoritas sanctorum doctorum«. 362 Vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 190,10–14 u. a.). 363 Vgl. BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 175,5–176,17); vgl. auch c. 1 (Riemann, S. 145,12 f.; 149,2 f.; 150,13 f.; 153,5 f.; 154,2; 155,16 f.; 156,14 f.); vgl. die Komparativreihung a.a.O. (S. 162,2–7; 175,8 f.; 166,2–4). 364 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 142,12 f.16 f.; 143,10): »via perfectionis«. 365 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 167,1–4): »intrinseca et essentialis [bonitas]«; »extrinseca et accidentalis«.

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

am ähnlichsten wird.366 Entscheidend ist für Bernhard, dass das beschauliche Leben der sichere Heilsweg ist.367 Inhaltlich qualifiziert er die vita contemplativa in beiden Schriften als die Ermöglichung mystischer Erfahrung.368 Diese Lebensweise ist nach Bernhard bestimmt durch die Freiheit der Seele, sich zu Gott zu erheben, 369 und durch die Vereinigung der Seele mit Gott.370 Ihr Ziel ist die andauernde Schau Gottes, und bereits in diesem Leben erfährt der kontemplativ lebende Mensch »immediate et directe« die Liebe Gottes.371 Bernhard beschreibt das kontemplative Leben daher als Schmecken der Süße Gottes, als Aufstieg der Seele, als Unio und Schau Gottes.372 Johann kann das Vokabular mystischen Erlebens ironisch zitieren: Er sieht im Streben nach mystischer Erfahrung ein weiteres Zeichen der Weltabgewandtheit des kontemplativen Lebens.373 In Beschreibung und Ironisierung teilen aber beide die Ansicht, dass das kontemplative Leben inhaltlich durch mystisches Erleben und das Streben danach charakterisiert ist. Für Bernhard ist das monastische Leben ein »Stand der Ruhe« und »Ort und Schule der Kontemplation«.374 Mit der Redewendung vom Kloster als Schule greift Bernhard den Prolog der Benediktsregel auf, der das Leben im Kloster als »Schule des Herrn« bestimmt.375 Er führt die inhaltliche Bestimmung weiter, wenn er Sinn und Zweck des Klosterlebens ausdrücklich als Hinführung zur »contemplatio« beschreibt.376 Die Kontemplation gelingt 366

Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 159,7). Vgl. »tutior«, »securior«: BvW, Defensorium (Riemann, S. 143,16 f.; 148,6; 157,9 f.; 162,9; 175,9; 176,15; 299,4 f.; 307,14). 368 Vgl. BvW, Defensorium, c .2: »amorose cognoscere et admirari et cetera« (Riemann, S. 169,8); »uniri et frui deo« (S. 169,10). 369 BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 164,15 f.): »quia tunc anima libere et expedite potest elevari in contemplationem veritatis«. 370 BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 160,16 f.): »unitas mentis ad deum, quia per vitam contemplativam mens adhaeret deo«. 371 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 166,13). 372 Vgl. z. B. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 169,6–10; 170,10–171,9); »suavitatem et dulcedinem patriae cum angelis praegustare et praesentire« (S. 170,10 f.); »et tam ardenti desiderio vivere et ardere, quasi singulis horis debeat iungi angelorum coetibus ad fruendum deo aeternaliter.« (S. 171,2–4); »omnes ad dei amorem exhortatur« (S. 171,7); »ad contemplationis dulcedinem« (S. 176,5). Mit diesen Topoi beschreibt Bernhard die mystische Erfahrung, wobei er hier offen lässt, ob er tatsächlich gemachte Erfahrungen oder Postulate und Desiderate nennt. 373 Vgl. JvE, Epistula (Riemann, S. 117 f.). 374 Vgl. BvW, Defensorium, c. 3: »statum quietis in approbata religione, quae est locus et schola contemplationis« (Riemann, S. 175,10–12); »status quietis monasticae« (S. 176,2); vgl. »religio sacra ob id schola vitae contemplativae dicitur, quia in ea ad contemplationis dulcedinem quis [. . .] expeditur« (Riemann, S. 176,4–6). 375 Regula Benedicti, Prolog, 45: »Constituenda est ergo nobis dominici scola servitii«. 376 Vgl. BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 176,15 f.): »religio, quae ad contemplationem principaliter ordinatur«. 367

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dem Religiosen schneller und leichter als dem in der Welt lebenden Menschen. Mit »contemplatio« meint Bernhard im wörtlichen Verständnis die Betrachtung Gottes, und sie steht bei ihm pars pro toto für das kontemplative Leben im Kloster.377 Die Verbindung von Leben im Kloster, Kontemplation und mystischer Erfahrung ist charakteristisch für Bernhard. Die mystische Erfahrung der Mönche führt er in seinen Schriften zur Mystik aus, aber bereits im Speculum und Defensorium beschreibt er die vita contemplativa wie das mystische Erleben.378 Daher muss Bernhard auch die neueren Formen des Mönchtums in ihrer Weltzugewandtheit, wie z. B. die Bettelorden, kritisieren, was er exemplarisch in seiner Kritik an deren Predigttätigkeit tut. Bei aller Werbung für die vita contemplativa betont Bernhard, dass diese nur ein Weg für wenige Menschen ist.379 Den pastoralen Dienst beschreibt er ebenfalls als schwierigen, nur für wenige Männer begehbaren Weg.380 Die vita activa eines Laien ist dagegen die Lebensweise vieler Menschen, die auch zum Heil führen kann.381 3.7.2.4 Die zeitliche Dimension Bernhards und Johanns Diskussion erfolgt vor dem Horizont der zeitgenössischen Zustände in Kirche und Gesellschaft. So wird die gegenwärtige Zeit ebenso wie die vergangene von Bernhard immer wieder thematisiert. Verwies er im Speculum mit »nunc temporis« auf diese Zustände, warnt er auch im Defensorium vor den Gefahren des aktiven Lebens in der gegenwärtigen Zeit, die seines Erachtens apokalyptische Züge trägt.382 Die negative Beurteilung seiner Zeit führt Bernhard in beiden Schriften zu einer Verfallsklage, in die auch Johann von Eych in der Epistula einstimmt.383 Während Johann deshalb jedoch zur aktiven Reformtätigkeit aufruft, fordert Bernhard angesichts der zeitgenössischen Verhältnisse dazu auf, das beschauliche Le377 Vgl. BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 176,10–13): »quoniam fi nis vitae humanae est deo per amorosam contemplationem inhaerere, qui fi nis in statu religionis celerius faciliusque attingitur, cum ob hoc praecipue ipsa instituta noscatur.« 378 BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 176,5). 379 Vgl. BvW, Defensorium, c. 5 (Riemann, S. 201,4–7): »quod deus paucissimis dat gratiam internae vocationis et inspirationis pro religionis ingressu, immo inter centum vix uni et etiam inter multos, quos deus sic vocat, vix unus sequitur.« 380 Zu den »pericula« vgl. BvW, Defensorium, c. 4 (Riemann, S. 185–189); vgl. »difficillimum« (S. 183,2.10; 184,10.12 f.17). Vgl. a.a.O., c. 6 (S. 209,17–210,1): »quasi diceret: Talis invenitur inter plurimos rarus inter mille ad meum votum vix unus.« 381 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 148,12–15). 382 Vgl. BvW, Defensorium, c. 3 (Riemann, S. 182,1–4): »moderno tempore appropinquate fi ne saeculorum, in quo [. . .] periculosum est valde, et magis quam umquam fuit, animarum curam gerere et onus pastorale subire.« 383 Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 258,15 f.): »modernis istis temporibus plus quam in anterioribus«; »nunc temporis« (S. 263,9), Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 311,2–16).

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ben zu wählen. Die eschatologische Perspektive der Verurteilung der Pastoren im Jüngsten Gericht dient ihm ebenso als Warnung vor der vita activa. Wie das zukünftige Heil die Motivation für die vita contemplativa ist, ist die drohende Verdammnis für ihn eine Warnung vor der vita activa. Bernhards Verhältnis zur Zeit spiegelt sich nicht nur in der Verfallsklage wider. Er sieht auch die Geschichte des Mönchtums und der Kirche als eine Verfallsgeschichte und kontrastiert daher in beiden Schriften die ›schlechte‹ Gegenwart mit dem Ideal von kontemplativem Leben und kirchlichem Amt in der Frühzeit der Kirche.384 Es ist Bernhard daher nicht möglich, die Diskussion mit Johann, wie von diesem gewünscht, nur angesichts der aktuellen, zeitgenössischen Verhältnisse zu führen, sondern seine Thesen entwickelt er aus einer historischen Gesamtschau heraus. In dieser Perspektive ist ihm besonders die Erfahrung der Mönchs- und Kirchenväter wichtig. 3.7.2.5 Die Erfahrung als hermeneutisches Prinzip Hat Bernhard im Speculum inhaltlich immer wieder mit der Erfahrung argumentiert, fi ndet sich dieser starke Erfahrungsbezug auch im Defensorium. Im Speculum wie im Defensorium postuliert er, dass nur dessen Urteil zähle, der auch Erfahrung mit der jeweils diskutierten Lebensform habe. Die Schriften von Theologen und Lehrern werden nur aufgrund ihrer biographischen Erfahrung in der vita contemplativa als »auctoritates« zitiert. Die Beispielerzählungen berichten von der Erfahrung einzelner Personen im kontemplativen Leben, und diese Erfahrung macht sie für Bernhard zu Zeugen. Daher lobt Bernhard Johanns Argumentation da, wo dieser »per authentica exempla« einen Beweis führt.385 Macht Bernhard die eigene Erfahrung zum Kriterium der Urteilsfähigkeit über die Lebensform, widerspricht Johann diesem hermeneutischen Prinzip in der Epistula. Doch Johann wie Bernhard berufen sich auf ihre eigene Erfahrung im pastoralen Dienst bzw. im kontemplativen Leben.386 Bernhard rekurriert besonders im Schlusskapitel des Defensorium auf seine Erfahrungen als Priester und Mönch.387 Aus der Erfahrung in beiden Lebensformen vermag er beide zu beurteilen. 384 Vgl. BvW, Defensorium, c. 8 (Riemann, S. 271,2–273,14, hier: S. 271,2–7): »Praeterea si conferantur haec vita, hii mores, haec regimina ecclesiasticorum nunc exsistentium cum primaeva patrum disciplina, cum eorum caritate, continentia, sobrietate, districta severitate, videbit quisque inter ea [. . .] tantam distantiam [. . .]. Iam siquidem his diebus nostris, in quos fi nes saeculorum devenerunt.« 385 BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 285,15). Vgl. a.a.O., c. 10 (S. 310,2). 386 Vgl. BvW, Defensorium, c. 6 (Riemann, S. 229,17–230,3). 387 Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 294,4 f.): »quod sim monachus, additur, quod sim nihilo minus et presbyter«. Vgl. c. 10 (S. 292,2–295,2).

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3.7.2.6 Biographische Anmerkungen und persönliche Notizen In der Berufung auf die eigene Erfahrung äußert sich Bernhard im Defensorium stärker als sonst in seinen Schriften zu seinem eigenen Lebensweg und zu seiner Person. Ausführlich beschreibt er seine biographische Wende vom Priester zum Mönch, auch um seinen Adressaten zur Nachahmung anzuregen.388 Er kommentiert aber auch seine persönliche mystische Erfahrung.389 Bezeichnete Johann Bernhard als erfahren (expertus) in der mystischen Schau Gottes, geht Bernhard darauf im Defensorium ein. Er lässt aber offen, inwieweit er mystische Erlebnisse hat.390 Vielmehr betont er, dass er wie jeder Mensch, wie selbst Maria, Gott in diesem Leben nur wie in einem Spiegel schaue.391 Er erfahre die verhüllte Schau Gottes jedoch täglich in der Eucharistiefeier.392 Damit verbindet Bernhard mystische Schau und gottesdienstliche Zelebration der Eucharistie. Was er hier nur skizziert, führt er in der vermutlich wenig später verfassten Schrift De spiritualibus sentimentis (1463/64) aus, während er den Gedanken in seinen früheren Schriften noch nicht aufnimmt. Dem vertrauten Verhältnis zu Johann von Eych sind wohl Bernhards persönliche Bemerkungen über seine Müdigkeit oder die späte Zeit zu verdanken, die den Entstehungsprozess des Defensorium erhellen. So bemerkt er z. B. am Ende der Introductio, dass es schon Nacht sei und er am nächsten Tag weiterschreiben werde.393 Diese Bemerkungen zeigen, dass Bernhard das Defensorium wahrscheinlich in einer ersten Fassung eigenhändig geschrieben und nicht diktiert hat. 3.7.2.7 Die Maria-Martha-Interpretation von Bernhard und Johann Sowohl Bernhard im Speculum und Defensorium als auch Johann in der Epistula argumentieren mit der Erzählung von Maria und Martha nach Lk 10 und folgen der allegorischen Auslegung der Perikope, mit der seit Origenes die beiden Schwestern als Symbol für die beiden Lebensformen verstanden werden. Dabei verkörpert Maria die vita contemplativa, Martha die vita activa, 388

Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 292,2–295,2). Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 282,5–283,17). 390 Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 282,10 f.): »si ita est, novit ipse, qui est«. 391 Vgl. 1. Kor 13,12; BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 283,2–4): »non sic sit sentiendum de me, cui solum per speculum et in aenigmate conceditur tenuiter videre.« 392 Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 283,8–10): »Video [. . .] praesentem cotidie dominum sacrae eucharistiae symbolis velatum«. 393 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1 (Riemann, S. 145,2–5): »Est hic igitur paulisper sistendum et iam tempore nocturno aliquantulum quiescendum atque pro meliori discussione eorundem ad aliud, quod mox sequitur, capitulum die crastino veniendum.« Vgl. c. 1 (S. 145,16): »nunc hodie«; c. 10 (S. 294 f.): »etenim hora quietis compellit iam abire, cras gratia iuvante stilus ad alia perget, quo tendit«; »horis plerumque nocturnis« (S. 312,7). 389

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wobei Maria mit der kontemplativen Lebensweise das »bessere Teil« erwählte.394 Dieser Interpretation folgt Bernhard in beiden Schriften und beweist mit seiner Auslegung den Vorrang der vita contemplativa. Doch ist dies nicht die einzig mögliche Auslegung der Erzählung. Sowohl Meister Eckhart als auch Johannes Tauler betonen den Wert der tätigen Liebe der Martha. Meister Eckhart kehrt die traditionelle Rangfolge um, wenn er die Vollkommenheit der Martha lobt, die die Phase der bloßen Kontemplation zu Füßen Jesu hinter sich gelassen hat und bereits zur Tat fortgeschritten ist.395 Johann von Eych könnte sich auf diese Interpretationsrichtung berufen, geht es ihm doch um den zumindest akzidentellen Vorrang der vita activa. Doch geht er in der Epistula wie Bernhard vom grundsätzlichen Vorrang der kontemplativen Lebensform der Maria aus, schränkt diesen aber insofern ein, als er die Kontemplation als zeitlich nachfolgende Belohnung der Aktion sieht. Aus der zeitlichen Reihenfolge fordert er angesichts der zeitgenössischen Zustände die Mönche dazu auf, wie Martha die (Seelsorge-)Tätigkeit zu wählen.396 Zur Widerlegung Johanns beruft Bernhard sich in vier der zehn Kapitel des Defensorium auf die Maria-Martha-Erzählung.397 Im zweiten Kapitel stellt er die These auf, dass nach Lk 10 die vita contemplativa die beste Lebensform sei.398 Er belegt diese These mit Autoritätszitaten von Augustinus, Ambrosius und Ludolf von Sachsen, zitiert aber auch das Argument des Cenomanensis (Hildebert von Lavardin), dass vita activa und contemplativa verbunden werden können, aber nur Martha vom Herrn gerügt werde, da sie niemals (nequaquam) das kontemplative Leben erwählte.399 Inhaltlich lässt sich der Autoritätsbeweis zusammenfassen, dass das Handeln Marthas gut (bone), das der Maria besser (melius) ist. Im neunten Kapitel bietet Bernhard eine Gesamtinterpretation der Perikope und erarbeitet hier eigenständig acht Punkte einer Auslegung.400 Er 394 Vgl. zur Interpretation der lukanischen Erzählung Csányi, Optima pars, S. 5–78. Während der griechische Urtext in Lk 10,42 vom »guten Teil« spricht, übersetzt die Vulgata »optima pars« und bietet damit den Ausgangspunkt für die Hierarchisierung der beiden Lebensformen. 395 Vgl. Meister Eckhart, Predigt IX (Meister Eckhart, Deutsche Predigten, S. 286– 289). Knapp dazu Köpf, Aktivität und Passivität, S. 290 f.; ausführlich Mieth, Die Einheit von vita activa und vita contemplativa. Vgl. Grumett, Action and/or Contemplation?, S. 125–139, der die Interpretation der Perikope bei Meister Eckhart untersucht. 396 Vgl. zum Maria-Martha-Topos JvE, Epistula (Riemann, S. 107,14–108,5; 109,10– 110,3). 397 Vgl. BvW, Defensorium, c. 1,2,9,10. 398 BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 158,15 f.). 399 Vgl. BvW, Defensorium, c. 2 (Riemann, S. 161,4–162,7). Vgl. Ambrosius, Expositio evangelii Lucae VII; Ludolf de Saxonia, Meditationes de vita Iesu Christi. Zu Hildebertus Cenomanensis, Epistula XXII, vgl. a.a.O. (Riemann, S. 171,14–174,12). 400 Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 280,9–281,17).

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

133

argumentiert, dass (1) Maria nicht erst die Vergebung (venia) empfangen habe, als sie Jesus im Haus der Martha zu Füßen saß, sondern bereits, als sie ihm aus Liebe die Füße mit ihren Tränen wusch. (2) Die »conversio« Marias und die Vergebung ihrer Schuld erfolgten bereits im Jahre 32 n. Chr. im Haus des Pharisäers Simon,401 »quia multum dilexit, veniam consecuta fuit.«402 (3) Erst bei seinem Besuch in Marthas Haus sprach Jesus die Worte zu Maria und Martha. Damit beweist Bernhard, dass (4) Maria bereits, bevor Jesus diese Worte sprach, die bessere Lebensform gewählt hatte.403 (5) Die vita contemplativa ist daher die beste Lebensform und der guten Lebensform der Martha vorzuziehen. Hat Bernhard damit wiederum den höheren Rang der vita contemplativa exegetisch bewiesen, betont er erneut, dass (6) nicht viele Menschen den Weg der Maria gehen können und (7) unter bestimmten Umständen eine der beiden Lebensformen vorzuziehen ist. Bernhard ist es abschließend wichtig, dass (8) Martha Christus in ihr Haus aufnahm, da die kontemplativ lebende Maria wie die Religiosen keinen Besitz hatte.404 Mit dieser Aussage schlägt Bernhard den Bogen zu den Religiosen seiner Zeit und deren Armutsgelübde. Die detaillierte Auslegung im neunten Kapitel des Defensorium fasst Bernhards Aussagen zum Verhältnis von aktivem und beschaulichem Leben zusammen. Im zehnten Kapitel zitiert er Bernhard von Clairvaux in einer versöhnlichen Schlussnote zur Zusammengehörigkeit beider Lebensformen: »quoniam sunt invicem contubernales et cohabitant hae duae pariter, est quippe soror Mariae Martha.«405

401 Nach Lk 7,37 f. tritt eine Sünderin weinend zu Jesus, als dieser im Haus des Pharisäers Simon war; ihre Tränen fielen auf Jesu Füße, sie trocknete diese mit ihrem Haar und salbte sie mit Öl. Diese Sünderin war wohl eine Prostituierte, und sie bleibt in dieser nur bei Lukas überlieferten Begebenheit namenlos. Nach Joh 12,3 hat Maria, die Schwester von Martha und Lazarus, Jesus die Füße mit kostbarem Nardenöl gesalbt und mit ihren Haaren seine Füße getrocknet. In der kirchlichen Tradition verbinden sich früh beide Erzählungen, so dass Maria von Betanien, die Schwester Marthas, mit der Sünderin (Maria Magdalena) identifi ziert wird, die Jesus unter Tränen die Füße salbte. – Laut Bernhard von Waging geschah die Bekehrung der Maria beim ersten Ereignis im Haus Simons, während die Worte an Maria und Martha bei einer weiteren Begegnung im Haus der Martha in Betanien fallen (Lk 10). 402 BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 277,6). 403 Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 278,10): »partem meliorem elegerat«. 404 Vgl. BvW, Defensorium, c. 9 (Riemann, S. 280,2–5): »Maria enim non habet domum, quia vita contemplativa omnem huius saeculi spernit habere possessionem, sufficit ei ad pedes domini sedere et verbum dei semper audire ac mentem potius quam ventrem nutrire.« 405 Vgl. BvW, Defensorium, c. 10 (Riemann, S. 305,13–15); vgl. a.a.O. (S. 298,17– 299,3).

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Zum Vergleich: Die Maria-Martha-Erzählung bei Johannes von Indersdorf und Johannes Keck Obwohl Bernhard für seine Interpretation der lukanischen Erzählung keine Quellen nennt, zeigen sich Parallelen zu den Auslegungen seiner Zeitgenossen Johannes von Indersdorf und Johannes Keck, seinem Vorgänger als Prior in Tegernsee. In seiner umfangreichen deutschen Schrift Von dreierlei Wesen der Menschen, die Johannes von Indersdorf 1440 für Herzogin Anna verfasste, argumentierte er ebenfalls mit der Maria-Martha-Erzählung. Möglicherweise war Bernhard in Indersdorf als Sekretär für Propst Johannes tätig und an der Abfassung der Schrift beteiligt.406 Der Traktat Von dreierlei Wesen war im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts auch in Tegernsee vorhanden und Bernhard entweder aus seiner Zeit als Chorherr in Indersdorf oder aus der Bibliothek von Tegernsee bekannt.407 In dieser Schrift beschreibt Johannes den dreistufigen Aufstieg der Seele zu Gott. Die drei biblischen Personen Lazarus, Martha und Maria symbolisieren die drei Stufen des Aufstiegs, die via purgativa, illuminativa und unitiva.408 Maria steht für die dritte und höchste Stufe des Aufstiegs, für die Vereinigung (unio) der Seele mit Gott.409 Sie symbolisiert die Beschauung Gottes (contemplatio), und die ihr entsprechende Lebensform ist das kontemplative Leben im Kloster, das freilich nur von wenigen Menschen gelebt werden kann. Das kontemplative Leben nach dem Vorbild der Maria ist die Lebensform, in der der Mensch Gott am nächsten kommen kann.410 Bereits die nur skizzierten Aussagen der Schrift zeigen auffallende Ähnlichkeiten zur Interpretation Bernhards. Beide verknüpfen die kontemplative Lebensform Marias mit der mystischen Erfahrung, und für beide ist die Gleichsetzung von Kontemplation und kontemplativer Lebensform charakteristisch. Auch in den Autoritätszitaten fi nden sich Parallelen.411 Doch bezieht nur Johannes von Indersdorf die Person des Lazarus mit ein. Er erweitert damit die Zwei-Wege-Lehre und verbindet sie mit der Drei-Stufen-Leh406 Haberkern, Funken aus alter Glut, S. 313, vermutet, dass Bernhard die Rolle des Sekretärs innehatte. A.a.O., S. 349: »Dagegen kann die Vermutung, Bernhard habe Johannes zugearbeitet, insbesondere bei der Zusammenstellung der überaus zahlreichen Zitate, und dass evtl. er der ›magnus compilator‹ war, eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen«. Hat Bernhard jedoch die Zitate für Johannes zusammengestellt, dann könnte er diese auch aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragen haben. Dies würde die These von einer Übersetzungstätigkeit Bernhards (vgl. Höver, Theologia Mystica; Bauer, Geistliche Prosa) unterstützen, lässt sich aber nicht beweisen. 407 Vgl. die Tegernseer Codices cgm 774, f. 1r–118v (BSB München), aus dem Jahr 1467, und cgm 776, f. 1r–155v (BSB München), aus dem Jahr 1488. 408 Vgl. die Edition des Traktats Von dreierlei Wesen der Menschen bei Haage, Der Traktat, S. 278–455; zu Traditionsgeschichte und Inhalt vgl. Haage, a.a.O., S. 176–192; Haage, Ein Vorausentwurf, S. 138–168; Haberkern, Funken aus alter Glut, S. 275–302. 409 Vgl. »Maria Magdalena, die uns bedeutten ist den volkomen menschen [. . .]« (Haage, Der Traktat, S. 410). 410 Vgl. »Und indisem wesen der volkomenhait sind zu vordrist all closterperson, dy sich also mit ir profession verpunden haben, das sy sein abgestorben allen zeittlichen dingen, dar mit sy gott fleissiclicher und mit freyem gemüt mügen dyenen, erkennen und lieb haben und inniclicher mit got veraynt werden, und indem stett dy volkomenhait des lebens« (Haage, Der Traktat, S. 409). 411 Z. B. zitieren Bernhard wie Johannes aus den Legenden des Jacobus de Voragine. Die Einflüsse und Quellen für die Schrift Von dreierlei Wesen der Menschen sind nur wenig erforscht, vgl. Haage, Der Traktat, S. 213. Haage vermutet Einflüsse von Nikolaus von Dinkelsbühl sowie dessen Schüler Thomas Peuntner. Kein Einfluss konnte dagegen von den Schriften Bonaventuras, Cassians oder Hugos von St. Victor nachgewiesen werden, die Bernhard im Defensorium zitiert.

3.7 Bernhards Defensorium speculi pastorum (1463)

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re.412 Dies kann jedoch auch durch die unterschiedliche Adressatenschaft von Bernhard und Johannes von Indersdorf bedingt sein. Bernhard konzentriert sich in seiner Auseinandersetzung mit Johann von Eych auf die Abgrenzung der beiden Lebensformen. Bernhards Interpretation der Maria-Martha-Perikope hat auch bei seinem Tegernseer Mitbruder Johannes Keck Parallelen, der in seinen Regelkommentar, Expositio super regulam s. Benedicti (1446–1448), einen Exkurs zum aktiven und kontemplativen Leben einfügte.413 Wie Bernhard vertritt auch Keck die traditionelle allegorische Auslegung der Perikope, nach der Maria das kontemplative, Martha das aktive Leben verkörpert. Bernhard und Keck zitieren dieselben, in Tegernsee vorhandenen Quellen.414 Auch die aus der Tradition übernommene Verbindung der Maria-Martha-Erzählung mit der alttestamentlichen Erzählung von Rachel und Lea (Gen 29 f.) fi ndet sich bei Johannes Keck und Bernhard.415 Doch sind diese Parallelen in der Interpretation auch dadurch bedingt, dass sowohl Johannes von Indersdorf als auch Johannes Keck und Bernhard in Tegernsee die ihnen zugängliche Tradition rezipieren und kompilieren. Direkte Zitate Bernhards aus den genannten Schriften sind nicht nachzuweisen. Vielmehr scheint es so, dass Bernhards Argumentation im Speculum und Defensorium aus einer gemeinsamen geistlichen Grundhaltung in Tegernsee und Indersdorf hervorgegangen ist. Zu denken ist an eine Gesprächskultur in den monastischen Reformkreisen, die das angesichts der kirchlichen Reformbemühungen aktuelle Thema des Verhältnisses von vita activa und vita contemplativa diskutierte und in Schriften thematisierte.

3.7.3 Die Positionen von Bernhard und Johann – ein Fazit Bernhard verteidigt im Speculum wie im Defensorium die vita contemplativa als den besseren und sicheren Weg zum Heil. Die vita contemplativa ist für ihn hinsichtlich Rang, Verdienst wie auch Nutzen die vorzuziehende Lebensform, während er in der vita activa vor allem die Gefahren des Amtes für das Seelenheil des Amtsträgers sieht.416 Für Johann dagegen ist angesichts der zeitgenössischen Zustände die vita activa die bessere und sozialethisch angemessene Lebensform. Im Defensorium hält Bernhard eine vita mixta für möglich, und er ermöglicht damit beim theoretischen Primat der vita contemplativa eine praktische Reformtätigkeit von Mönchen.

412

Vgl. Haage, Der Traktat, S. 191 f. Johannes Keck, Tractatus de vita activa et contemplativa, clm 18150, f. 142v–145v (BSB München), Autograph. Vgl. zum Inhalt Roßmann, Der Tegernseer Benediktiner Johannes Keck, S. 348. 414 Vgl. Roßmann, Der Tegernseer Benediktiner Johannes Keck, S. 348: »Zitiert werden Augustinus (De civ. dei; De trin.), Bernhard von Clairvaux (Sermo 51 super Cant.), Petrus Venerabilis von Cluny (Ep. ad Cistercienses), Hugo und Richard von St. Victor (Benjamin maior), dazu Aristoteles, das Corpus iuris civilis und die Glosse.« 415 Vgl. BvW, Speculum (Riemann, S. 62,16 f.; 63,8; 172,2–8). 416 Vgl. Schreiner, Dauer, Niedergang und Eneuerung, S. 332: »Das Dreigespann Notwendigkeit, Nutzen und Zeit wurde im Spätmittelalter zu einer beliebten Argumentationsfigur, um Veränderungen des kirchlichen und weltlichen Rechts zu begründen.« 413

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3 Die Diskussion um die vita contemplativa

Aus der gemeinsamen Klage über die zeitgenössischen Verhältnisse gibt Johann der karitativ, diakonisch und seelsorgerlich tätigen vita activa den Vorrang, Bernhard der beschaulichen Lebensform. Denn für Johann ist die Masse der Gläubigen und die gesellschaftliche Öffentlichkeit die Bezugsgröße seiner Argumentation, für Bernhard das Heil des einzelnen Menschen. Daher kommen beide auch zu einer unterschiedlichen Beurteilung der geschichtlichen Entwicklung: Wo Johann die Kirchenväter dafür lobt, den Schritt aus dem Kloster ins kirchliche Amt vollzogen zu haben und zur Priesterwürde aufgestiegen zu sein, sieht Bernhard die Bildung von kontemplativen Gemeinschaften, die sich konsequent kirchlichen Ämtern entzogen, als Fortschritt. Er erhofft sich aus der Rückwendung zum ursprünglichen monastischen Ideal eine Erneuerung. Bernhard und Johann argumentieren beide mit Autoritäts- und Vernunftbeweis, doch hat der Autoritätsbeweis für Bernhard ein viel größeres Gewicht. Die eigene Erfahrung im kontemplativen Leben ist für Bernhard Kriterium der Urteilsfähigkeit über diese Lebensform. Deshalb zitiert er fast nur monastische Autoren, darunter häufig Bernhard von Clairvaux. Er greift bewusst die traditionellen Argumente und Autoritäten auf. »Bernard of Waging reached for thwelfth-century auctoritates not out of timidity in the face of late medieval urban-scholastic culture, but out of a poised and longestablished cultural tradition that maintained a positive role for disciplined contemplative renunciation.«417

3.8 Das Ideal der vita contemplativa und Bernhards Reformtätigkeit Sowohl in seinen Briefen als auch in den Professpredigten und seinem Schriftwechsel mit Johann von Eych wirbt Bernhard für das kontemplative Leben im Kloster. Seine eigene Reformtätigkeit und seine vielen Reisen zu Visitationen und Unionsgesprächen zeigen jedoch, dass Bernhard dieses Ideal selbst kaum verwirklichen konnte. So klagt er in einem Brief vom März 1463: »Vellem iam istis diebus esse cum fratribus in quiete in Tegern417 Martin, Fifteenth-Century Carthusian Reform, S. 223. – Bernhards Argumentation im Speculum und Defensorium zeigt Parallelen zu den Gedanken des Kartäusers Nikolaus Kempf, worauf Martin, a.a.O., S. 208–223, aufmerksam machte. Kempf befasste sich wie Bernhard mit der Rolle und dem Nutzen der kontemplativ lebenden Mönche für die Gesellschaft (vgl. a.a.O., S. 196 f.), den Gefahren des Pastorenamts (S. 197–206) und den Anforderungen an einen »bonus pastor«, der exemplariter leben muss (S. 206–208). Martins Charakterisierung der Ausführungen Kempfs treffen auch auf Bernhard zu: »His teaching shows little originality – much comes from Gregory the Great, Bernard, and the Desert Fathers. But his teaching also bears the mark of his own experience as a pastor-prelate and his compassionate determination to direct souls« (S. 208). Bernhard kennt Kempf jedoch nicht persönlich und zitiert auch nicht ausdrücklich aus dessen Werk.

3.8 Das Ideal der vita contemplativa und Bernhards Reformtätigkeit

137

see«.418 Dennoch ließ er sich immer wieder in die aktive Reform- und Seelsorgetätigkeit rufen, so auch bald nach dem Briefwechsel mit Johann als Seelsorger zu den Nonnen von Bergen. Für Bernhard ist die Frage nach der zum Heil führenden Lebensform ein Thema, das seine Schriften durchzieht. Sein Anliegen ist es, seine ebenfalls an diesen Fragen interessierten Leser, wie z. B. Johann von Eych und Nikolaus von Kues, für das Leben im Kloster zu gewinnen. Im kontemplativen Leben liegt seiner Meinung nach nicht nur das Heil für den Einzelnen, sondern aus der Kontemplation erwartet er eine Reform des Einzelnen, des Mönchtums und der Kirche. Daher ist es ihm ein Anliegen, das Wesen der vita contemplativa zu bestimmen, das er gegenüber Johann ex negativo in der Verweigerung pastoraler Tätigkeit defi niert und positiv als mystische Schau Gottes entfaltet. Wie die mystische Erfahrung erreicht und erfahren wird, beschreibt er in seinen Schriften, die er im Kontext des Mystik-Streits verfasste.

418 Brief von Bernhard von Waging in Augsburg an Abt Konrad in Tegernsee, 22. März 1463, clm 19697, f. 152v–153r (Nr. 337) (Redlich, Tegernsee, S. 203–205, hier: S. 204).

4 Die Kontroverse um die theologia mystica 4.1 Bernhards Schriften zur Mystik Bernhards Schriften im Streit um die Seelsorge-Tätigkeit von Mönchen zeigten, dass für ihn das kontemplative Leben ein Ziel hat, die Erfahrung der mystischen Vereinigung mit Gott. Die vita contemplativa ist für ihn die Lebensform, in der solche Erfahrung möglich wird. So verwundert es nicht, dass Bernhard in den Jahren 1451 bis 1463/64 mehrere Schriften zur Mystik verfasste. Es sind meist spekulative Schriften zu einer Theologie der Mystik, in denen Bernhard auch die Absicht der praktischen Umsetzung erkennen lässt. Möglicherweise sind diese Schriften vor dem Hintergrund mystischer Erfahrungen in Tegernsee zu sehen.1 Doch griff Bernhard mit seinen Schriften zur Mystik ein Thema auf, das in den Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts von besonderem Interesse war. Denn die Kritik an der scholastischen Theologie und ihren rationalen Spekulationen führte zu einem gesteigerten Interesse an der religiösen Lebenspraxis und der unmittelbaren, persönlichen Gotteserfahrung im mystischen Erleben. So entstanden im 15. Jahrhundert bei den Kartäusern, aber auch in den Reformbewegungen von Kastl, Melk und Bursfelde lateinische und deutsche Schriften zur Mystik.2 Auch Bernhards Schriften gehen aus einem konkreten Diskussionskontext hervor, dem sog. Mystik-Streit. Im Kontext dieser Kontroverse befasste Bernhard sich mit einer theologia mystica und deren pseudo-dionysischer und cusanischer Interpretation. Denn die Rezeption der cusanischen Schrift De docta ignorantia (1440) wurde für Bernhard zum äußeren Anlass, sich dem Thema mystischer Erfahrung zuzuwenden. So folgte der Visitation des Nikolaus von Kues in Tegernsee Anfang Juni 1452 ein mehrjähriger Briefwechsel, in dem die Tegernseer, vertreten durch Abt Kaspar Aindorffer und 1 Vgl. Redlich, Tegernsee, S. 97: »Angeregt wurde die ganze Bewegung durch ein in Tegernsee und in anderen süddeutschen Klöstern immer stärker einsetzendes Frömmigkeitsleben. [. . .] Die praktische Mystik fi ng an, sich von der theoretischen beraten zu lassen.« 2 Vgl. Grabmann, der bereits seit 1920 auf die Schriften zur mystischen Theologie im Kontext der Reformen von Kastl, Melk und Bursfelde hinwies. Grabmann, Bayerische Benediktinermystik, S. 196–202; Ders., Der Benediktinermystiker Johannes von Kastl, S. 186– 235; Ders., Bernhard von Waging, S. 82–98.

4.1 Bernhards Schriften zur Mystik

139

Prior Bernhard von Waging, mit Cusanus über Fragen der Mystik und der cusanischen Lehre von der docta ignorantia korrespondierten. In diesen Briefen äußerte Bernhard erstmals seine Gedanken zu einer Theologie der Mystik. Im Kontext des Mystik-Streits verfasste er die Schriften Laudatorium doctae ignorantiae (1451/52), Defensorium laudatorii doctae ignorantiae (1459) sowie De cognoscendo Deum (1459), während er erst nach Abschluss dieses Streitschriften-Wechsels De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali (1463/64) schrieb.

4.1.1 Zu Forschungsstand, Quellenlage und Forschungsdesiderat Diese Schriften wurden fast ausschließlich von Seiten der Cusanus-Forschung behandelt, ohne die Intention und Eigenständigkeit der Schriften Bernhards zu beachten. So wurden seine Schriften und der Briefwechsel mit Cusanus erwähnt, wenn nach dem Verhältnis des Cusanus zum Mönchtum und zu den Benediktinern in Tegernsee gefragt wurde.3 Aus der Perspektive der Cusanus-Forschung stellte Vansteenberghe (1915) in seiner immer noch grundlegenden Untersuchung die Rezeption des Cusanus in Tegernsee und Melk dar, verbunden mit der Edition des Briefwechsels zwischen Cusanus und Tegernsee. Vansteenberghe edierte auch Bernhards Laudatorium und Defensorium doctae ignorantiae sowie das Impugnatorium (1454) des Vinzenz von Aggsbach und weitere Briefe aus dem Mystik-Streit.4 Als Folge seiner Arbeit rückte der Briefwechsel zwischen Nikolaus von Kues und den Mönchen in Tegernsee stärker ins Blickfeld und wurde, zum Teil in Auszügen, ediert und übersetzt.5 Die im Kontext des Mystik-Streits entstandene Schrift Bernhards De cognoscendo Deum ist in Auszügen ediert,6 während seine chronologisch letz3 Vgl. Meuthen, Cusanus und die Orden, S. 5–53. Meuthen will systematisch-biographisch die von Haas, Deum mistice videre, S. 9–79, geleistete Einordnung des Cusanus in die Geistesgeschichte ergänzen und kommt zum Ergebnis, a.a.O., S. 30: »Die geistlichen Kräfte des Mönchtums bezeichnen nicht die Denkwelt des Cusanus insgesamt, aber doch einen wesentlichen Bereich, aus dem er mitzuverstehen ist [. . .].« 4 Vgl. Vansteenberghe, Autour, Edition: S. 107–220; Interpretation: S. 1–104. Nachträge und Korrekturen zur Edition bei Koch in: Nikolaus von Cues und seine Umwelt. IV. Briefe. Erste Sammlung, S. 101–110. 5 Die von Vansteenberghe edierten Briefe zwischen Cusanus und den Mönchen in Tegernsee wurden von Oehl, Deutsche Mystikerbriefe, ins Deutsche übertragen. Der Briefwechsel ist erneut von Baum ediert worden mit einer Übertragung ins Deutsche von Senoner, vgl. Baum/Senoner, Briefe 1. Die grammatisch korrekte Übersetzung in dieser lateinisch-deutschen Edition zeigt zugleich die Schwierigkeit, die philosophisch-theologischen Termini in eine deutsche Lesefassung zu übertragen. 6 Vgl. Grabmann, Die Erklärung des Bernhard von Waging, S. 129–135, bietet die Edition des neunten Kapitels von De cognoscendo Deum. Riemann, De cognoscendo Deum, S. 140–158, edierte Prolog, Kapitelübersicht und die ersten drei Kapitel. Zu der von Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 782, genannten handschriftlichen

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

te Schrift zur Mystik, De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali, nur in einer stark überarbeiteten und gekürzten Fassung des 17. Jahrhunderts vorliegt.7 Auch die Schriften der an der Mystik-Debatte beteiligten Autoren Vinzenz von Aggsbach und Marquard Sprenger sind nur teilweise ediert.8 Die fehlenden Editionen spiegeln das zurückhaltende Interesse an diesen Schriften Bernhards wider. Dabei wurde Bernhards theologisches Denken von Grabmann gerade unter dem Aspekt mystischer Erfahrung zusammengefasst: »Ihm stand als Ziel und Inhalt des Mönchslebens die übernatürliche Gottverbundenheit vor Augen, auf welche das gesamte klösterliche Leben hingeordnet sein sollte«.9 Sieht Grabmann das mystische Erleben als Ziel der Schriften Bernhards, wendet Bernhard sich in seinen Schriften der mystischen Erfahrung in unterschiedlichem Maße zu. Ist die Cusanus-Rezeption im Laudatorium und Defensorium zentral, so durchdenkt Bernhard in den späteren Schriften, ausgehend von Cusanus, was theologia mystica ist und welche Bedeutung diese für die kontemplativ lebenden Mönche hat.

4.1.2 Die theologia mystica als Streitpunkt Thema der genannten Schriften Bernhards ist die theologia mystica, meist übersetzt als mystische Theologie. Deren Defi nition ist ebenso wie die der Mystik nicht leicht zu geben, so dass hier nur skizziert werden soll, was für das Verständnis Bernhards und seiner Kontrahenten im Mystik-Streit wichtig ist. Im christlich-mittelalterlichen Gebrauch wird unter Mystik eine besondere Form des Ergriffenseins des Menschen von der Gegenwart Gottes verstanden, ein unmittelbares religiöses Erleben, sowie dessen literarischer Ausdruck.10 Mystische Erfahrung meint im engen Sinn die Vereinigung des Überlieferung von De cognoscendo Deum ist noch zu ergänzen: MS 458, f. 173r–215r ( John Rylands University Library, Manchester) [= ehemals Melker Codex 650, f. 184r–226r]. 7 Vgl. Bernhard von Waging, De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali, ediert: Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 1–404. 8 Neben der Teiledition von Vinzenz’ Impugnatorium bei Vansteenberghe sind seine Schriften Replicatio contra defensorium laudatorii doctae ignorantiae und Refutatio ediert, vgl. Pez/ Hueber, Codex diplomatico, S. 343–353. 9 Grabmann, Bernhard von Waging, S. 85. 10 Vgl. zur christlichen Mystik im Mittelalter exemplarisch: Grabmann, Wesen und Grundlagen; Haas, Was ist Mystik?, S. 319–34; Haug, Zur Grundlegung einer Theorie, S. 494–508; Oberman, Die Bedeutung der Mystik, S. 9–20. Metz, Gabriel Biel und die Mystik, S. 9–23, bietet als Vorüberlegungen zur Untersuchung Biels einen forschungsgeschichtlich aktuellen und differenzierten Überblick zu Mystik, Theologie der Mystik und mystischer Erfahrung im Spätmittelalter; vgl. Langer, Mystische Erfahrung, der die unterschiedlichen Defi nitionen von mystischer Vereinigung (unio mystica) in der Forschung vorstellt (S. 127–130). Zum Verhältnis von Theologie und Mystik vgl. auch Klauck, Der Bruch zwischen Theologie und Mystik, S. 53–69; Haas, Schulen spätmittelalterlicher Mystik, S. 182–186.

4.1 Bernhards Schriften zur Mystik

141

religiösen Subjekts mit Gott oder Christus, die unio mystica, die als exklusives Ereignis erfahren wird. Diese Erfahrung kann sprachlich nur in Metaphern, z. B. der Liebesbeziehung oder sensitiver Eindrücke,11 wiedergegeben werden und drängt oft zur literarischen Darstellung und Reflexion des Erlebten. In einem weiteren Sinn ist mystische Erfahrung auch die Hinführung zur unio mystica. Sowohl Bernhard von Waging als auch seine KorrespondenzPartner rezipieren die traditionelle Drei-Wege-Lehre und den Aufstiegsgedanken mit via purgativa, illuminativa und unitiva, ebenso den siebenstufigen Aufstieg nach Rudolf von Biberach.12 Neben dem engeren und weiteren Verständnis sind zwei Ebenen zu unterscheiden, die des eigentlichen Erlebens und die der Reflexion über die mystische Erfahrung. Letztere kann als mystische Theologie bezeichnet werden. Die von Dionysius Areopagita zu Beginn des 6. Jahrhunderts geprägte und seit dem 9. Jahrhundert in der abendländischen Theologie rezipierte »mystische Theologie« (lat. theologia mystica) wird zum Streitpunkt im Mystik-Streit, an dem Bernhard sich beteiligt. Während Pseudo-Dionys in seiner Schrift Über mystische Theologie neuplatonisches Gedankengut mit dem christlichen Glauben verband und mit diesem Terminus noch die geheimnisvolle Rede von Gott bzw. eine geheime und nur Eingeweihten zugängliche Gotteserkenntnis meinte, wurde darunter mit der Weiterentwicklung des Theologiebegriffs ab dem 12. Jahrhundert inhaltlich eine Theologie der Mystik verstanden.13 Dies führte zur Kommentierung und Interpretation der dionysischen Schriften in der hochmittelalterlichen Theologie. Eine Aussage des Pseudo-Dionys wurde zum Kernpunkt der Kontroverse in der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Interpretation des dionysischen Impe11 Z. B. die Metaphern »aus dem Bereich der Liebesbeziehung (Kuss, Umarmung, geschlechtliche Vereinigung) und der Nahrungsaufnahme (Essen, Kosten, Schmecken, Verschlingen usw.)«, Köpf, Passivität und Aktivität, S. 280; vgl. Ders., Hoheliedauslegung, S. 50–72. 12 Vgl. Rudolf von Biberach, De septem itineribus aeternitatis, S. 1–92; vgl. Schmidt, Deiformis operatio, S. 221–234. 13 Der Begriff »mystische Theologie« ist in der Forschungsliteratur als Übersetzung der Formulierung des Dionysius Areopagita üblich. Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 124, verweist allerdings mit Recht darauf, dass dieser Terminus sprachlich und inhaltlich korrekt als »Theologie der Mystik« im Sinne einer Theoriebildung übersetzt werden müsste. Damit würde auch stärker das inhaltliche Proprium gewahrt, das Grabmann, Wesen und Grundlagen, S. 60, in der Gleichsetzung von »Theorie der Mystik« mit »mystischer Theologie« benennt. Vgl. Flasch, Meister Eckhart, S. 451: »Die Mystische Theologie im Sinne des Dionysius, die im umgangssprachlichen Sinn dieser Wörter weder mystisch noch Theologie (als autoritativ argumentierende Glaubens- oder Bibelwissenschaft) war, sondern plotinisch-proklische Philosophie der christlichen Mysterien, war also doppelter Auslegung fähig [. . .].« Vgl. zur Theologie der Mystik Köpf, Hoheliedauslegung, S. 50–53; Bohnenstaedt, Einführung, in: Nikolaus von Kues: Von Gottes Sehen, S. 21–36.

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

rativs »Steige unwissend auf!«14 Das Verständnis des »ignote consurge« führte zur Frage, ob der Intellekt eine, vorausgehende oder begleitende, Rolle im Aufstieg zu Gott habe und wie sich Intellekt und Affekt im mystischen Erleben verhalten. Sowohl Bernhard als auch seine Korrespondenz-Partner positionierten sich in der Kontroverse zu einer der bereits bestehenden Interpretationsrichtungen. Die affektiv-voluntaristische Schule lehnte jede Beteiligung der Verstandeskräfte am mystischen Erleben ab. Theologia mystica wurde exemplarisch von Hugo von Balma definiert als »extensio animi in Deum per amoris desiderium«.15 Diese anti-intellektualistische Haltung wurde vor allem von franziskanischen Autoren vertreten, und der Kartäuser Vinzenz von Aggsbach schloss sich in der Mystik-Kontroverse dieser Richtung an. Dagegen ging die spekulativ-intellektualistische Schule der Dominikaner von einer vorausgehenden und/oder begleitenden Erkenntnis und damit der notwendigen Beteiligung des Intellekts aus.16 Diese beiden Schulrichtungen bildeten den Hintergrund für den MystikStreit des 15. Jahrhunderts. Die Kontroverse entzündete sich aber an der cusanischen Schrift De docta ignorantia. Im Folgenden werden der Verlauf und die Streitpunkte des Mystik-Streits sowie Bernhards Beteiligung an der Kontroverse dargestellt, um seine Schriften, Laudatorium, Defensorium, De cognoscendo Deum und De spiritualibus sentimentis, in diesem Kontext zu betrachten.

14 In der lateinischen Formulierung als »ignote consurge« (Übersetzung des Sarracenus), »ignoranter contende« (Hilduin), »inscius restituere« (Eriugena), »incognite restituere« (Grosseteste), »ignote intende« (Traversari). Zu den im 15. Jahrhundert rezipierten lateinischen Dionysius-Kommentaren gehören die von Hugo von St. Victor, Johannes Sarracenus, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Thomas Gallus von Vercelli (Vercellensis), Thomas von St. Victor, Robert Grosseteste (Linconiensis) sowie die Kompilationen von Hugo von Balma (De theologia mystica) und Rudolf von Biberach (De septem itineribus). Vgl. zur Pseudo-Dionysius-Rezeption Auer, Die Theologia Mystica, S. 20–33; Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben 1, S. 453–468; Roßmann, Die Stellungnahme, S. 6–9; Luscombe, Some Examples, S. 230–236. 15 Hugo de Balma, Theologia mystica, Prologus (ediert: Hugues de Balma Théologie Mystique. Tom. 1, S. 126). Hugo erweitert Formulierungen von Thomas von Aquin und Bonaventura, vgl. »cognitio Dei experimentalis« bei Thomas v. Aquin, S. th. II-II q.97 a.2 resp. ad 2 (Thomae Aquinatis Summa Theologiae 2, Turin, S. 465) und Bonaventura, 3 Sent. d.35 a.1 q.1 resp. (Doctoris Seraphici Sancti Bonaventurae Opera omnia 3, S. 774). 16 Vgl. zu den Vertretern beider Schulen McGinn, Love, Knowledge, and Mystical Union, S. 7–24, Haas, Schulen spätmittelalterlicher Mystik, S. 154–187. Zur deutschen Dominikanerschule (Heinrich Seuse, Dietrich von Freiburg, Berthold von Moosburg) vgl. Imbach, Die deutsche Dominikanerschule, S. 157–172.

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia

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4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia 4.2.1 De docta ignorantia des Nikolaus Cusanus als Auslöser des Streits Bereits während seines Studiums in Köln ab 1425 setzte Cusanus sich gründlich mit den Schriften des Pseudo-Dionys und dessen Kommentatoren auseinander.17 Seine Schrift De docta ignorantia ist die Fortsetzung seiner Dionysius-Rezeption.18 Im Februar 1440 schloss Cusanus die Arbeit an den drei Teilbänden der Schrift ab, die er seinem Gönner Kardinal Giuliano Cesarini mit der Bitte um Beurteilung zusandte. Bereits im Titel spielt Cusanus auf das »ignote« des dionysischen Imperativs an, und die belehrte Unwissenheit (docta ignorantia) ist Leitmotiv der Schrift.19 Besonders die Aussagen des ersten Buchs wurden zum Streitpunkt. In 26 Kapiteln führt Cusanus hier zwei Denkfiguren ein, die der belehrten Unwissenheit (docta ignorantia) und die des Ineinsfallens der Gegensätze (coincidentia oppositorum).20 Die docta ignorantia als ein wissendes Nichtwissen besagt bei Cusanus, dass die höchste Erkenntnis des menschlichen Intellekts die des Wissens um sein Nicht-Wissen ist. Mit der Denkfigur der docta ignorantia problematisiert er die Unfähigkeit der vollständigen Erkenntnis einer Sache, aber auch Gottes. Voraussetzung für die belehrte Unwissenheit ist der Zusammenfall der Gegensätze (coincidentia oppositorum). Mit dieser Denkfigur bezieht Cusanus sich auf den aristotelischen Satz von der Widerspruchsfreiheit. Besagt dieser Satz in der Logik, dass eine Aussage nicht zugleich wahr oder falsch sein kann, so gilt in der Ontologie, dass etwas nicht zugleich sein und nicht sein kann. Der anerkannte Satz von der Widerspruchsfreiheit gewinnt daher 17 Vgl. zu Biographie und Schriften des Nikolaus von Kues Vansteenberghe, Le cardinal, S. 1–234; Senger, Art. Nikolaus von Kues, in: VerLex 2 6 (1987), Sp. 1093–1113. 18 Pseudo-Dionys’ Schrift Über mystische Theologie lag Cusanus bereits in der neuen Übersetzung des Ambrogio Traversari von 1436 vor. Zur Dionysius-Rezeption bei Cusanus vgl. Senger, Die Präferenz, S. 505–539; Ritter, Gesamteinleitung, in: Pseudo-Dionysius Areopagita: Über die mystische Theologie und Briefe, S. 38–41. Nach Ritter beginnt mit Cusanus eine neue Interpretationslinie in der Dionysius-Rezeption. Zeitgenössisch wurde die cusanische Dionysius-Interpretation mit der Gersons gleichgesetzt, so z. B. bei Vinzenz von Aggsbach. 19 Die in der Forschung übliche Übersetzung von docta ignorantia als ›belehrte Unwissenheit‹ wird im Folgenden beibehalten; inhaltlich treffender wäre die Übersetzung »wissendes Nichtwissen«. 20 Vgl. zur cusanischen Lehre in De docta ignorantia, die hier nur in für den Streit-Kontext wichtigen Grundzügen skizziert werden kann: Flasch, Nikolaus von Kues, S. 97–120; Haubst, Das Neue, S. 27–56; Klibansky, Zur Geschichte, S. 205–236. – Zur Lehre von der Koinzidenz vgl. Thiemel, Coincidentia; Hoffmann, Die Vorgeschichte, in: Nikolaus von Kues: Über den Beryll, S. 37–64; Meier, Von der Koinzidenz, S. 321–342. Zur Gotteserkenntnis bei Cusanus vor 1440 vgl. Senger, Die Philosophie, S. 155–186. Zur Denkfigur der docta ignorantia vgl. Schnarr, Docta ignorantia, S. 205–234.

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in der Gotteslehre die Bedeutung, dass Gott nicht zugleich sein und nicht sein kann. Cusanus nimmt diesen aristotelischen Satz kritisch auf und erläutert in De docta ignorantia an Beispielen aus der Geometrie, dass in Grenzbereichen solche Gegensätze doch zusammenfallen können, wie z. B. die Linie die Koinzidenz des kleinst- und größtmöglichen Winkels ist.21 Wie in diesem Beispiel der aristotelische Satz aufgehoben ist, so besagt die Koinzidenz der Gegensätze nach Cusanus auch, dass in Gott alle Gegensätze (contraria) und Widersprüche (opposita) ineinsfallen. Cusanus fasst am Ende von De docta ignorantia zusammen, dass er hier dargestellt habe, das Unbegreifl iche in nicht begreifender Weise zu erfassen.22 Koinzidenzgedanke und docta ignorantia sind für Cusanus in De docta ignorantia primär erkenntnistheoretische Überlegungen. Doch erläutert er selbst deren theologische Implikationen, wenn er sagt, dass weder affi rmative noch negative Rede von Gott dessen Wesen adäquat zu erfassen vermag. Daher kann der Mensch nicht auf rein intellektuale Weise zur Erkenntnis Gottes gelangen. Die Erkenntnis dieses menschlichen Unvermögens, Gott zu erkennen, ist vielmehr die docta ignorantia. Mit der Koinzidenz der Gegensätze gelangt Cusanus erkenntnistheoretisch über die affi rmativen wie negativen Aussagen über Gott hinaus. Im Zusammenfall der Gegensätze beginnt jener Bereich, der mit dem Intellekt nicht mehr erfassbar und in dem die Wahrheit zu fi nden ist.23 Theologisch interpretiert ist Gott dort zu fi nden.24

21 Vgl. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia I 37–39, cap. 14 (De docta ignorantia. Die belehrte Unwissenheit. Buch 1, hg. v. Senger, S. 52–54). 22 Nikolaus von Kues, De docta ignorantia III 263, Epistola auctoris (De docta ignorantia. Die belehrte Unwissenheit. Buch 3, hg. v. Senger, S. 100): »ut incomprehensibilia incomprehensibiliter amplecterer in docta ignorantia per transcensum veritatum incorruptibilium humaniter scibilium.« 23 Vgl. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia I 89, cap. 16 (De docta ignorantia. Die belehrte Unwissenheit. Buch 1, hg. v. Senger, S. 112): »Ex quibus concludimus praecisionem veritatis in tenebris nostrae ignorantiae incomprehensibiliter lucere. Et haec est illa docta ignorantia, quam inquisivimus.« 24 Vgl. Flasch, Nikolaus von Kues, S. 44–70, der in seiner genetischen Analyse des Denkens und der Schriften des Cusanus verschiedene Modelle der Interpretation des Koinzidenzgedankens vorstellt. Die Interpretation des Koinzidenzgedankens hängt davon ab, ob Cusanus primär als philosophischer Denker (so z. B. Flasch, Nikolaus von Kues) oder als Theologe (so z. B. Haubst, Streifzüge; vgl. Euler, Die Versöhnung, S. 111–130; Hoye, Nikolaus von Kues, Sp. 273–284; Senger, Mystik als Theorie, S. 111–134; Schmidt, Nikolaus von Kues im Gespräch, S. 25–49) verstanden wird. In der Rezeption durch Bernhard von Waging und die Tegernseer Brüder wird Cusanus einlinig als Theologe und Autor einer mystischen Theologie verstanden. Vgl. zur CusanusRezeption im Mystik-Streit Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen, S. 20–31; Senger, Überlegungen zur Wirkungsgeschichte, S. 200–202. Zu den Interpretationstendenzen in der Cusanus-Forschung vgl. die aktuelle Monographie von Benz, Individualität und Subjektivität.

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4.2.2 Die Rezeption von De docta ignorantia Cusanus argumentiert in De docta ignorantia, wie gesagt, erkenntnistheoretisch, bezieht aber seine Aussagen theologisch auch auf die Gotteserkenntnis. Das führte seine Rezipienten aus den monastischen Kreisen, darunter Bernhard, dazu, seine Aussagen als Erläuterung zu einer Theologie der Mystik zu verstehen, obwohl Cusanus selbst in dieser Schrift nicht von einer theologia mystica spricht, sondern stets von der Koinzidenz.25 Seine monastischen Leser verstanden den Gedanken der Koinzidenz als Beschreibung von mystischer Erfahrung. Die von Cusanus verwendeten Termini mystischen Erlebens und seine Rezeption der Mystischen Theologie des Pseudo-Dionys boten ihnen dafür Anhaltspunkte. In diesem Verständnis bestimmte Cusanus in der Rede von der docta ignorantia das Verhältnis von Affekt und Intellekt im mystischen Aufstieg. Bezogen auf die dionysische Formel vom unwissenden Aufsteigen zu Gott, war mit der docta ignorantia ein intellektuales Moment im mystischen Erleben gegeben. Die Denkfigur der Koinzidenz der Gegensätze konnte, ebenfalls auf das mystische Erleben bezogen, so gedeutet werden, dass in der Schau Gottes Erkennen und Lieben, Intellekt und Affekt zusammenfallen. Im Mystik-Streit wurde die docta ignorantia damit als Modus der Gotteserkenntnis rezipiert, und der Koinzidenzgedanke, von Cusanus mit Pseudo-Dionys begründet, mit der theologia mystica verbunden.26 Cusanus widersprach dieser Zuspitzung seiner Gedanken nicht, sondern bezog sich im Briefwechsel mit den Tegernseer Mönchen ebenfalls auf die mystische Theologie und sprach in späteren Schriften, z. B. in De visione Dei (1453) und De beryllo (1458), selbst von der Schau Gottes jenseits der Koinzidenz der Gegensätze und in der belehrten Unwissenheit. War De docta ignorantia für die monastischen Leser aber eine Schrift zur mystischen Theologie, wurde sie von scholastischer Seite als Angriff auf das Wissenschaftssystem und die Erkenntnislehre verstanden. »Denn während das Koinzidenztheorem, in erkenntnismetaphysischer Hinsicht auf das Feld der mystischen Theologie angewandt, zur grundlegenden Umbesetzung gängiger Positionen führen musste (Aufwertung der symbolischen Theologie, Depotenzierung der theologia negativa), gerät es in seinsmetaphysischer Lesart zum Skandalon für die traditionelle Metaphysik«.27 25 Anders sieht dies Senger, Mystik als Theorie, S. 111–134, hier: S. 113: »Seine Einlassung in und seine Stellungnahme zum Mystikstreit ist deshalb prinzipiell nichts anderes als eine Selbstauslegung dessen, was er in verschiedenen Büchern schon dargelegt hatte.« 26 Dafür konnte an ähnliche Formulierungen bei Augustinus (Ep. 197; Ep. 130) und Bonaventura (Sent. II d.23 a.2 q.3) angeknüpft werden. Vgl. Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen, S. 342–347; Flasch, Nikolaus von Kues, S. 50. 27 Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen, S. 30.

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Die Koinzidenzlehre hob das aristotelische Prinzip der Widerspruchsfreiheit auf und, so der Heidelberger Theologe Johannes Wenck († 1460), zerstöre daher jedes Wissen über Gott. Die Angriffe Wencks auf die Koinzidenzlehre und sein Pantheismus-Vorwurf in De ignota litteratura (1442) leiteten eine erste Phase von Streitigkeiten in der Rezeption von De docta ignorantia ein.28 Cusanus reagierte auf diese massiven Angriffe erst 1449 mit seiner Apologia doctae ignorantiae.29 In der Apologia vergleicht er die docta ignorantia mit der mystischen Theologie und sieht die Koinzidenz der Gegensätze als Ausgangspunkt für diese. In Reaktion auf die Schrift von Johannes Wenck beweist Cusanus, dass es keinen Widerspruch zwischen beiden Denkfiguren gibt. Die Gegenschrift Wencks, De facie scolae doctae ignorantiae, nahm Cusanus nicht mehr zur Kenntnis.30 Die Diskussion zwischen Cusanus und Wenck rezipierten Bernhard und die monastischen Autoren nicht. Für sie ist zentraler Bezugspunkt im Mystik-Streit Cusanus’ frühe Schrift De docta ignorantia, auf die sie jedoch mit zeitlicher Verzögerung reagierten.

4.2.3 Der Streitschriften-Wechsel zwischen 1453 und 1460 Erst in den Jahren 1453 bis 1460 kam es in Reaktion auf De docta ignorantia zu einem Schriftwechsel, an dem mit eigenen Schriften ab 1453 der Münchener Priester Marquard Sprenger, der Kartäuser Vinzenz von Aggsbach sowie Bernhard von Waging mit seinem Laudatorium und Defensorium doctae ignorantiae und der Schrift De cognoscendo Deum beteiligt waren. Vermittler der Schriften in der Kontroverse waren Johannes Schlitpacher von Melk und Konrad von Geisenfeld in Tegernsee, die selbst keine Schriften verfassten, aber die Kontroverse dadurch förderten, dass sie mit Zustimmung oder gegen den Willen der Verfasser die Schriften zwischen Tegernsee, München, Melk und Aggsbach weiterleiteten.31 28 Vgl. zu Wencks Angriffen auf Cusanus in De ignota litteratura (Über die unbekannte Gelehrsamkeit) die Monographien von Vansteenberghe, Le ›De ignota litteratura‹, und Kuhnekath, Die Philosophie des Johannes Wenck. Vgl. Haubst, Studien zu Nikolaus von Kues, S. 83–136; Ders., Die Rezeption, S. 260–263; Stammkötter, Hic homo parum, S. 433–444; Hopkins, Nicholas of Cusa’s Debate with John Wenck, S. 3–18. Hopkins bietet eine gegenüber Vansteenberghe verbesserte Edition von De ignota litteratura (S. 96–118) sowie englische Übersetzungen von Wencks De ignota litteratura und Cusanus’ Apologia doctae ignorantiae (S. 20–60). 29 Vgl. zu Cusanus’ Apologia Flasch, Nikolaus von Kues, S. 181–194. 30 Die Schrift De facie scolae doctae ignorantiae, von Wenck zwischen 1449 und 1455 verfasst, ist nicht erhalten. 31 Ein vollständiger Überblick über den Streit kann hier nicht gegeben werden; skizziert wird, was zum Verständnis von Bernhards Rolle in der Kontroverse beiträgt. Die Positionen der Kontrahenten werden nur dargestellt, wo dies für Bernhards Reaktion darauf notwendig

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4.2.4 Bernhards Laudatorium doctae ignorantiae Zwar hatte Bernhard bereits 1451 die cusanische Schrift De docta ignorantia gelesen 32 und dazu 1451/1452 das Laudatorium doctae ignorantiae verfasst.33 Doch war diese Schrift, ihrem Titel entsprechend, als Lobrede geschrieben und nicht als Streitschrift. Bald nach Abfassung gelangte das Laudatorium aber nach Melk und über Prior Johannes Schlitpacher zu Vinzenz von Aggsbach. Dieser verfasste in Reaktion darauf 1453 den Tractatus cuiusdam Cartusiensis de Mystica Theologia. Somit kann Bernhards Laudatorium als chronologisch erste Schrift im Mystik-Streit betrachtet werden, auch wenn sie nicht als Kontroversschrift verfasst wurde. 4.2.4.1 Bernhards Argumentation im Laudatorium In dieser kurzen Schrift erläutert Bernhard die belehrte Unwissenheit mit einer Fülle von Zitaten aus De docta ignorantia und fordert den Leser dazu auf, sich Cusanus’ Gedanken durch eigene Lektüre anzueignen. Seine Lobrede gliedert Bernhard nicht weiter, sondern unter dem übergeordneten Ziel des Lobens fi nden sich verschiedene Aspekte der belehrten Unwissenheit und unterschiedliche stilistische Elemente. So spricht Bernhard zu Beginn der Schrift die »sacra mistica sapiencia, que es Docta ignorancia«34 selbst an und rühmt sie, die er mit der cusanischen docta ignorantia identifi ziert. Denn neben dem Lob der belehrten Unwissenheit will Bernhard diese erklären. 35 Er sieht sie als etwas, das »ars« und »scientia« übertrifft und bisher in den Schriften kaum erläutert wurde: »que, me ist. Vgl. zum Mystik-Streit auch die Darstellung von Riemann, De cognoscendo Deum, S. 121–140.159 f., sowie Roßmann, Der Magister Marquard Sprenger, S. 389–396, mit weiterführender Literatur (S. 408–411); Baum, Nikolaus Cusanus, S. 123–128; Bohnenstaedt, Einführung, in: Nikolaus von Kues: Von Gottes Sehen, S. 14–21.36–52. 32 Vgl. die Zeitangabe im Einleitungssatz des Defensorium laudatorii (Vansteenberghe, Autour, S. 169). 33 Bernhard von Waging, Laudatorium doctae ignorantiae necnon invitatorium ad amorem eiusdem; im Folgenden: BvW, Laudatorium. Vgl. Edition nach clm 18600, f. 189– 191v, bei Vansteenberghe, Autour, S. 163–167. Vansteenberghe, a.a.O., S. 4–9, bietet auch eine kurze Zusammenfassung. Zu der von Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 780 f., genannten handschriftlichen Überlieferung ist noch zu ergänzen: Zum Laudatorium: MS 458, f. 219r–221v ( John Rylands Univ. Library, Manchester) [= der von Höver als verschollen bezeichnete Melker Codex 650, f. 230r–232v]; Cod. palat. 3588, f. 70v–72v (Österreichische Nationalbibliothek, Wien). Zum Defensorium: MS 458, f. 225r–232v ( John Rylands Univ. Library, Manchester) [= Melker Codex 650, f. 236r–243v]; MS 459, f. 37r–48r ( John Rylands Univ. Library, Manchester) [= Melker Codex 862, f. 110r–118r]. Auf den Verbleib der Melker Codices in der Universitätsbibliothek Manchester hat Riemann (1993), De cognoscendo Deum, S. 139, hingewiesen. 34 BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 163). 35 Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 164–167).

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iudice, nec scriptis tradi, nec sermonibus vix poterit elucidari; nempe ipsa est ars arcium, sciencia scienciarum, quinymmo nec ars, nec sciencia, sed per inmensum supra.«36 Das Ziel der belehrten Unwissenheit liege jenseits des Zusammenfalls der Gegensätze und sei ein nicht-sehendes Sehen und nichtwissendes Wissen.37 Für Bernhard ist die docta ignorantia nichts anderes als mystische Theosophie und diese Synonym zur mystischen Theologie. Beide haben dasselbe Ziel und führen zu Gott, unterscheiden sich aber in der Methode: Die docta ignorantia ist spekulativer, die mystische Theosophie affektiver. Doch hat auch die theologia mystica ein intellektuales Moment, obwohl der Vollzug affektiv ist. Damit schließt die belehrte Unwissenheit sowohl Intellekt als auch Affekt ein, denn Liebe ohne Erkenntnis ist nicht möglich. Mystische Theosophie und docta ignorantia gehen vom Erkennen aus und fi nden im Affekt, der Liebe zu Gott, die Vollendung. »Et sic mistica theosophia forte est prius et inchoative in intellectu, posterius autem et completive in ipso affectu.«38 In immer neuen Anläufen und stilistischer Variation versucht Bernhard das, was ihn begeistert und überzeugt hat, dem Leser zu vermitteln.39 So beschreibt er die belehrte Unwissenheit in einer Reihe von Verben, um zu zeigen, was die docta ignorantia bewirkt.40 Er verwendet die Metapher eines Schiffes, das im Hafen Ruhe fi ndet.41 Durch Negationen versucht er auszusagen, was die belehrte Unwissenheit ist. Schließlich gesteht er sein Unvermögen, von der belehrten Unwissenheit angemessen zu sprechen, und leitet in ein Gebet um Gottes Führung über: »Deduc me domine in hac via tua«.42 Diese Redundanz liegt nicht nur in Bernhards Enthusiasmus und mangelnder Überarbeitung begründet,43 sondern ist stilistisch beabsichtigt, wenn Bernhard mit Elementen unterschiedlicher Gattungen die belehrte Unwissenheit zu beschreiben versucht. Bernhard will seine Adressaten, die er nicht näher charakterisiert, überzeugen. Deshalb empfiehlt er in der zweiten Hälfte des Laudatorium dem Leser einzelne Kapitel aus den cusanischen Schriften 36

BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 164). Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 164): »ut sic fi nem Docte Ignorancie efficaciter attingat, ubi non videns invisa videbit, ac per ipsam ignoranciam nesciens omnia sciet.« 38 BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 165). Vgl. ebd.: »Numquam igitur est amor sine cognicione«. 39 Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 165–167). 40 Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 165): »Industria itaque occumbat, racio cedat, intellectus stupens hereat, sensuum discursus varius et vagus penitus conquiescat, homo denique totus se totum totaliter linquat« etc. 41 Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 166). 42 BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 166). 43 So Vansteenberghe, Autour, S. 10. 37

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De docta ignorantia, De Dei filiatione sowie der Apologia zur Lektüre, greift mögliche Fragen der Leser auf und unterbricht seine inhaltlichen Ausführungen durch Begeisterungsrufe, in die auch der Leser einstimmen soll.44 Er beendet das Laudatorium mit einer Beschreibung der Koinzidenz der Gegensätze: »ubi unum sunt omnia uniter in uno, et omnia pariter unum; ubi omnia ut id sint quod sunt, unius transfusio in omnia fit; ubi coincidit esse unum in quo omnia, et esse omnia in quo unum« etc.45 Jenseits der Koinzidenz wird die docta ignorantia erreicht, die Bernhard abschließend christologisch formuliert: Hier wird Jesus gesucht und gefunden. 4.2.4.2 Bernhards Interpretation der theologia mystica im Laudatorium Bernhards Lob des Cusanus und seine Aussagen zur mystischen Theologie im Laudatorium sind es, die für den Kartäuser Vinzenz zum Anstoß werden. Denn Bernhard identifi ziert hier die cusanische docta ignorantia mit der mystischen Theologie. Er verwendet im Laudatorium die Begriffe »docta ignorantia«, »mystica theosophia« und »mystica theologia«, aber auch »sapientia« synonym und sieht auch Übereinstimmungen zur »speculativa seu contemplativa theologia«, die er aber nicht näher ausführt.46 Zum anderen argumentiert Bernhard, dass sowohl das affektive als auch das intellektuale Vermögen am Aufstieg der Seele zu Gott durch eine vorausgehende und begleitende Erkenntnis mitwirken. In der Koinzidenz der Gegensätze, die Bernhard als Schau Gottes versteht, fallen dann Intellekt und Affekt ineins. Bernhard interpretiert die belehrte Unwissenheit ausschließlich als Aussage über die mystische Erfahrung. Die Verbindung von belehrter Unwissenheit und Gotteserkenntnis ermöglicht Bernhard, den für ihn wichtigen Aspekt zu vertiefen. Sein Interesse gilt der spekulativen Mystik und der daraus folgenden Praxis. Daher beschreibt er die belehrte Unwissenheit wie ein mystisches Erlebnis mit dem sensitiven Vokabular der Süße und des Schmeckens und kann sie auch als Zustand der Ruhe und vollkommener Freude umschreiben.47 Die docta ignorantia soll erfahren werden, wobei Bernhard, wie auch in den Schriften zur Seelsorge, ein elitäres Verständnis zeigt: »a multis desideratus, a paucis quesitus, a paucioribus et devotis inventus, a paucissimis et solum 44

Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 168). BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 168). 46 Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 163–165, hier: S. 165): »inter doctam ignoranciam et misticam theologiam coincidentia seu conveniencia clara videtur«. 47 Vgl. BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 164–167, hier: S. 164): »sit quoque affectus non tam per se amans, gustans et gaudens, quam cum intellectu suaviter cognoscens, sapiens et experimentaliter apprehendens.« Dieses sensitive Vokabular (nach Köpf, Art. Erfahrung III/1, in: TRE 10 (1982), S. 111, »Bilder der Nahrungsaufnahme und -verarbeitung«) ist typisch für die Beschreibung der eigentlich unanschaulichen religiösen Erfahrung. 45

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beatis nunc plene adeptus atque feliciter retentus.«48 Nur wenigen ist diese Erfahrung vergönnt. Doch empfiehlt Bernhard allen Lesern zumindest die Lektüre der cusanischen Schrift als Einführung in die mystische Theologie. War Bernhards Laudatorium primär eine unmittelbare persönliche Reaktion auf seine Lektüre der Schrift De docta ignorantia, so hatte diese Lobrede Folgen: Zum einen veranlasste sie Vinzenz von Aggsbach zu einer Gegenschrift und eröffnete damit die mehrjährige Kontroverse um die mystische Theologie. Zum zweiten steigerte Bernhards Schrift in Tegernsee das Interesse an den cusanischen Schriften und der theologia mystica. Dieses gemeinschaftliche Interesse drückt sich im Briefwechsel zwischen Cusanus und den Mönchen in Tegernsee aus, an dem Bernhard maßgeblich beteiligt ist.

4.2.5 Der Briefwechsel zwischen Cusanus und den Tegernseer Mönchen Bestanden bereits seit 1450 briefl iche Kontakte zwischen Tegernsee und Cusanus,49 führte der kurze persönliche Kontakt während der cusanischen Visitation in Tegernsee im Juni 1452 dazu, dass die Tegernseer Mönche die Schriften des Cusanus noch interessierter rezipierten und Tegernsee zur »Schaltstelle für die Vermittlung und Rezeption der cusanischen Philosophie« wurde.50 In Folge der persönlichen Begegnung traten die Mönche, vertreten durch Abt Kaspar und Prior Bernhard, in eine mehrjährige Korrespondenz mit Cusanus ein, in der es neben der Klosterreform und dem Austausch und der Beschaffung von Literatur um Fragen zur theologia mystica und docta ignorantia ging.51 War zuerst nur Kaspar Briefpartner des Cusanus, sandte Bernhard nach Ermutigung durch seinen Mitbruder Konrad von 48

BvW, Laudatorium (Vansteenberghe, Autour, S. 166). 1450 tritt der Tegernseer Mönch Johannes Keck briefl ich mit Cusanus in Kontakt und legt diesem seine Studie zum Klosterleben vor, vgl. Acta Cusana I/2, S. 631–633 (Nr. 905); vgl. Baum, Johannes Kecks Traktat, S. 444–448; Redlich, Tegernsee, S. 197 f. 50 Baum, Nikolaus Cusanus, S. 133. Vgl. die Schriften des Cusanus, die sich in der Tegernseer Bibliothek im 15. Jahrhundert nachweisen lassen: Neben einer Sammlung von Predigten fi nden sich De mathematicis complementis, De beryllo und in mehreren Abschriften De visione Dei (clm 18570, 18592; 19352). De visione Dei wurde in Tegernsee als wichtige Cusanus-Schrift betrachtet, und von Tegernsee aus wurden Abschriften nach Melk, Salzburg, Eichstätt, Magdeburg und Subiaco weitergegeben. Weitere Cusana in Tegernsee in clm 18239, 18551, 18570, 18592, 18621, 18711, 19712, 19608, 19697. Vgl. zu den Handschriften des Cusanus in Tegernsee Müller, Die Anfänge der Humanismus-Rezeption, S. 53–55; Redlich, Tegernsee, S. 99. 51 Zum Briefwechsel über die mystische Theologie vgl. Schmidt, Nikolaus von Kues im Gespräch, S. 25–49. Haubst, Nikolaus von Kues im Dialog, sieht in diesem Briefwechsel wie den Schriften, z. B. De visione Dei, ein dialogisches Strukturprinzip, das das ganze Denken des Cusanus prägt. Für die Schriften, die Cusanus auf Wunsch der Tegernseer und in Reaktion auf deren Fragen schrieb, kann dies in Form und Stil dieser Schriften bestätigt werden. 49

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Geisenfeld ab 1454 eigene Briefe an Cusanus.52 Bernhard wurde in den Jahren 1454 bis 1456 zu einem vertrauten Gesprächspartner des Cusanus, den er in der Reform der Konvente von St. Georgenberg und Sonnenburg in persona unterstützte und der umgekehrt seine Fragen zur mystischen Theologie zu beantworten suchte. Eine theologisch unterschiedliche Haltung Abt Kaspars und Bernhards ist in diesen Briefen nicht erkennbar. Wahrscheinlich verfassten beide die Briefe gemeinsam. Möglicherweise diente Kaspar auch als Sprachrohr für Bernhards Fragen.53 Denn Kaspar betont in einem Brief an Cusanus zweimal ausdrücklich, dass es einige Brüder seien, die ein so nachdrückliches Interesse an der cusanischen Lehre entwickelt haben, dass er deren Fragen hier weitergebe.54 Es war Bernhard, der durch seine Lektüre und die Abfassung des Laudatorium sein Interesse an der docta ignorantia am stärksten zum Ausdruck brachte. Spricht Kaspar von einigen Brüdern, so muss sicher auch Konrad von Geisenfeld dazu gezählt werden, der, 1445 von Melk nach Tegernsee gekommen, die Kontakte zu Melk und nach München zu Marquard Sprenger pflegte und Bernhards Schriften dorthin vermittelte. Das Interesse an der mystischen Theologie und der cusanischen Dionysius-Interpretation wurde daher wohl von mehreren Mitgliedern des Konvents geteilt. Der Briefwechsel gibt einen guten Einblick in die Aspekte, die die Brüder in Tegernsee beschäftigten. 4.2.5.1 Die Quaestio Kaspar Aindorffers und die Antwort des Cusanus Spielte in der Auseinandersetzung zwischen Cusanus und Wenck der mystische Aufstieg mit intellektualen und affektiven Kräften keine Rolle, war es gerade dieser, der seine Korrespondenzpartner in Tegernsee interessierte. Die Notwendigkeit des Affekts, der Liebe zu Gott, war für sie klar; unklar war die Rolle des Intellekts.55 Sie knüpften daher an die Tradition der Dio52 Vgl. zum Briefwechsel zwischen Nikolaus von Kues und Abt Kaspar Aindorffer sowie Bernhard von Waging zu Fragen der mystischen Theologie: Vansteenberghe, Autour, S. 107–162, der 36 Briefe edierte, sowie die lateinisch-deutsche Edition des Briefwechsels bei Baum/Senoner, Briefe 1, S. 86–187. 53 Für die gemeinsame Abfassung und Lektüre der Briefe spricht auch, dass sich Abt Kaspar im September 1454 bei Cusanus für die Zusendung von Schriften bedankt, die dieser in einem Brief an Bernhard vom August 1454 erwähnt hatte. Vgl. Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 45+46, S. 146–151. 54 Vgl. Brief von Abt Kaspar Aindorffer an Nikolaus von Kues, vor dem 22. September 1452 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 26, S. 88–91, hier: S. 90): »Impellit denique fratres quosdam curiositas an studiositas, ignoro, vestre paternitatis digne questionem offere«. 55 Die Begriffe affectus und intellectus werden als Fremdworte, Affekt und Intellekt, beibehalten, da dies die angemessene Wiedergabe der Begriffe zu sein scheint, die zugleich wiedergibt, dass die lateinischen Begriffe im Mystik-Streit nicht (nur) Gefühl und Vernunft bezeichnen, sondern in der theologischen Tradition als Seelenvermögen (potentiae animae) des Menschen verstanden werden. Mit Intellekt wird die Struktur des menschlichen Erkennens und das Vermögen des Verstehens bezeichnet (vgl. Aristoteles, De Anima III, c. 5,

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nysius-Interpretation an und fragten Cusanus, wie die mystische Theologie zu verstehen sei und ob die Erkenntnis oder nur der Affekt eine Rolle spiele beim Aufstieg des Geistes (mens) zu Gott. Der Briefwechsel hatte mehrere Diskussionspunkte, (1) die Frage des Verhältnisses von Affekt und Intellekt, wobei besonders die Bedeutung des intellectus für die Tegernseer wichtig war, (2) die Dionysius-Interpretation, insbesondere die Frage des unwissenden Aufsteigens (ignote ascende) und die dionysische Metapher vom Eintreten in die mystische Dunkelheit sowie (3) das umittelbare mystische Erleben im »raptus mentis« und im Schmecken und Sehen Gottes.56 Im Brief vom Frühherbst 1452 formulierte Kaspar die Frage, die fortan die Kontroverse bestimmen sollte: »Est autem hec quaestio, utrum anima devota sine intellectus cognicione vel etiam sine cogitacione previa vel concomitante, solo affectu seu per mentis apicem, quam vocant sinderesim, Deum attingere possit, et in ipsum immediate moveri aut ferri. Scribunt multa mistice theologizantes, signanter Hugo de Palmis De via triplici, et cancellarius novus in pluribus opusculis, sed non est satis.«57 Dass die Seele ohne intellektuale Erkenntnis oder auch ohne vorhergehendes oder begleitendes Denken, nur durch den Affekt zu Gott gelangen kann, verneinte Bernhard im Laudatorium unter Berufung auf Cusanus. In der Formulierung der Quaestio wird deutlich, dass die Tegernseer Mönche beide Richtungen der Dionysius-Interpretation kannten und sie durch Hugo von Balma und Gerson vertreten sahen. Von Hugo von Balma, der diese Frage bejahend beantwortete, übernahm Kaspar die Quaestio fast wörtlich.58 Vor dem Hintergrund der beiden Schulen interessierte die Tegernseer Brüder Cusanus’ Position. 430a 10–25). Während die Ratio das diskursive Vermögen des menschlichen Erkennens, das sich in logisch aufeinander folgenden Schritten vollzieht, beschreibt, bezeichnet intellectus ein darüber hinausgehendes Erkenntnisvermögen. Die mystische Erkenntnis Gottes in der visio facialis überbietet beide Vermögen. Hier wird die Liebe (amor Dei) als Triebkraft des Entrücktwerdens zur Schau Gottes gesehen; doch ist umstritten, welche Bedeutung der Intellekt hat. 56 Vgl. Schmidt, Nikolaus von Kues im Gespräch, S. 26, die den Briefwechsel aus Perspektive der cusanischen Aussagen und Antworten darstellt (S. 25–49). 57 Brief von Kaspar Aindorffer an Nikolaus von Kues, vor dem 22. September 1452 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 26, S. 88–91, hier: S. 90). Auch ediert bei Vansteenberghe, Autour, S. 109–111; deutsche Übersetzung bei Oehl, Deutsche Mystikerbriefe, S. 547 f. Im Folgenden werden nur die Seiten nach Baum/Senoner angegeben. Diese übernehmen die lateinische Textfassung von Vansteenberghe, wo diese vorlag, und nennen in den Anmerkungen die Seiten bei Vansteenberghe. 58 Vgl. »Et quaeritur utrum scilicet anima, secundum suum adfectum, possit aspirando vel desiderando moveri in Deum, sine aliqua cogitatione intellectus praevia vel concomitante«, Hugo von Balma, Theologia mystica, Quaestio difficilis (Hugues de Balma Théologie Mystique 2, S. 182).

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Cusanus antwortete auf die Frage in zwei Briefen, einer kurzen Reaktion im September 1452 und einem längeren Brief ein Jahr später.59 Im ersten Brief skizziert er, dass der Affekt im mystischen Aufstieg der Seele wichtig sei, dass aber Liebe und Erkenntnis im mystischen Erleben zusammenfallen.60 Seine Antwort im September 1453 zeigt inhaltlich bereits die Position, die Cusanus in seinen weiteren Briefen und Schriften vertritt. Cusanus sieht sich als rechtmäßiger Interpret des Pseudo-Dionys und formuliert das Verhältnis von Intellekt und Affekt im Bild eines Liebenden: »Necesse est enim omnem amantem ad unionem amati ignoti consurgentem premittere cognicionem qualemcumque, quia penitus ignotum nec amatur nec reperitur, eciamsi reperiretur, non apprehenderetur.« 61 Wie ein Liebender ein Wissen von dem haben muss, den er liebt, so muss der Gläubige ein Wissen von Gott haben, um ihn zu fi nden. Mystische Theologie ist für Cusanus damit das intellektuale Aufsteigen zur Schau Gottes in der Koinzidenz der Gegensätze. Der Affekt gehört als die Initiationskraft des Aufschwungs zum mystischen Aufstieg.62 Was Cusanus in diesem Brief vom September 1453 schrieb, führte er in der wenig später nach Tegernsee gesandten Schrift De visione Dei breiter aus. Brief wie Traktat geben aber nicht nur Antwort auf die Quaestio, sondern mit beidem reagierte Cusanus auch auf die Kritik des Vinzenz von Aggsbach.

59 Brief von Nikolaus von Kues an Kaspar Aindorffer, 22. September 1452 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 27, S. 92–95), und Nikolaus von Kues an Abt und Mönche in Tegernsee, 14. September 1453 (a.a.O., Nr. 28, S. 96–103). Vgl. zur Interpretation der beiden, für den Briefwechsel zentralen Briefe auch Flasch, Nikolaus von Kues, S. 439–443. 60 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Kaspar Aindorffer, 22. September 1452 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 27, S. 92): »quomodo scilicet in dilectione coincidit cognitio. Impossibile est enim affectum moveri nisi per dilectionem, et quicquid diligitur, non potest nisi sub racione boni diligi«. 61 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Abt und Mönche in Tegernsee, 14. September 1453 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 28, S. 98). A.a.O. (S. 98 f.): »Ignote enim consurgere non potest dici nisi de virtute intellectuali, affectus autem non consurgit ignote, quia nec scienter nisi scienciam habeat ex intellectu. Sciencia et ignorancia respiciunt intellectum, non voluntatem«. 62 Zur Mystik-Konzeption des Cusanus in De visione Dei vgl. Hopkins, Nicholas of Cusa’s Dialectical Mysticism. – Zur Mystik im Gesamtwerk des Cusanus vgl. Beierwaltes, Mystische Elemente, S. 425–448; Führer, Purgation, S. 169–189; Haubst, Streifzüge, S. 325–354; Haas, Deum mistice videre, S. 9–79; Hoye, Die Vereinigung, S. 477–504; Kandler, Theologia mystica, S. 467–476; Senger, Mystik als Theorie, S. 119–123. Bernhart, Die philosophische Mystik, S. 222–232, interpretiert die Lehre des Cusanus »in mystischer Richtung« (S. 222), betont aber die Schwierigkeit, »die Cusanische Mystik in ein organisches System zu bringen« (ebd.).

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4.2.5.2 Kritik und Gegenposition des Vinzenz von Aggsbach Durch seine Kontakte zu Johannes Schlitpacher in Melk erfuhr Vinzenz (1389/90–1464) aus der niederösterreichischen Kartause Aggsbach von der positiven Rezeption des Cusanus in Bernhards Laudatorium.63 Seine Gegenschrift, der Tractatus cuiusdam Cartusiensis de Mystica Theologia vom Juni des Jahres 1453, richtete sich primär gegen Gerson.64 Doch sah er Cusanus und ebenso Johannes Keck aus Tegernsee, der sich in seinem Regelkommentar (1446–1448) zur mystischen Theologie äußerte, als Vertreter der Lehre Gersons und griff daher auch sie an. Im Tractatus wirft Vinzenz seinen Kontrahenten vor, Pseudo-Dionys falsch verstanden zu haben, da sie Kontemplation, die ein intellektuales Moment habe, und theologia mystica verwechselten. So unterscheidet Vinzenz zwischen Kontemplation und Mystik: Kontemplation ist für ihn die Erhebung der Seele zu Gott mit Hilfe von Verstand und Vernunft (ratio, intellectus), während mystische Theologie sich allein in der Liebe zu Gott vollziehe. Vinzenz versteht in der Tradition Hugos von Balma mystische Theologie nur als den kurzen aspirativen Aufschwung der Seele zur Vereinigung mit Gott. Daher kann er behaupten, dass der Weg zu Gott kein Wissen kenne, sondern nur die Liebe, wenn mystische Theologie recht verstanden werde.65 Vinzenz führt in diesem Traktat noch nicht aus, was er in weiteren Briefen und der Replicatio (1459) expliziert: Sein Verständnis von theologia mystica ist mit Hugo ein engeres als das seiner Kontrahenten. Während diese den Aufstieg der Seele zu Gott unter dem Begriff mystische Theologie fassen, bezeichnet Vinzenz diesen als »contemplatio« und kann ihn auch mit »meditatio« gleichsetzen. Die Kontemplation aber hat ein intellektuales Moment, während der eigentliche Aufschwung der Seele, bei Vinzenz die theologia mystica, ohne Erkenntnis und Denken geschieht.66 63 Zu Vinzenz von Aggsbach vgl. Roßmann, Leben und Schriften des Kartäusers Vinzenz, S. 1–20; Ders., Die Stellungnahme, S. 5–30; Martin, Die Wege nach Sion, S. 41–59. Zum Verhältnis zwischen Vinzenz und Johannes Schlitpacher vgl. Ellegast, Reformtätigkeit, S. 40–49; zur Kartause Aggsbach im 15. Jahrhundert vgl. Roßmann, Die Geschichte, S. 182–223. 64 Bei Vansteenberghe, Autour, S. 189–201, daher unter dem Titel Traité contre Gerson ediert. Vgl. Ders., Un écrit, S. 357–364. Zur Debatte gehören auch die beiden Begleitbriefe von Vinzenz an Johannes Schlitpacher vom 12. Juni 1453 (Vansteenberghe, Autour, S. 201– 203) und vom 12. Oktober 1453 (Pez/Hueber, Codex Diplomatico, Ep. 4, S. 328–330). 65 Vgl. Vinzenz von Aggsbach, Traité (Vansteenberghe, Autour, S. 200): »Mistica vero theologia est occulta consurrectio mentis in Deum sine omni cogitacione previa vel comite.« 66 Vgl. Martin, Wege nach Sion, S. 42, zu Vinzenz’ Haltung: »Dass Erkenntnis und Denken in der breiteren Sicht miteingeschlossen waren, verleugnete er nie.« Zum Verständnis Hugos von Balma in Viae Sion vgl. Martin, Wege nach Sion, S. 47–58, hier: S. 55: »Man

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Diese begriffl iche Differenzierung des Vinzenz wurde von seinen Kontrahenten, insbesondere Bernhard von Waging und Marquard Sprenger, ignoriert. Für sie war Vinzenz nur der Vertreter einer anti-intellektualistischen Dionysius-Interpretation und einer Theologie der Mystik, die Hugo von Balma lehrte. Die Kritik des Kartäusers richtete sich sowohl gegen die Lehre von der Koinzidenz und der docta ignorantia als auch gegen die Dionysius-Interpretation des Cusanus.67 Beide führte er zurück auf Schriften des Johannes Gerson, was auch auf eine irrtümliche Zuschreibung seiner Quellen zurückzuführen ist. Denn Vinzenz argumentiert hier mit der Schrift De theologia mystica des Hugo von Balma, die er positiv aufnimmt und zitiert. Seine zweite Quelle ist die Kompilation De septem itineribus ad aeternitatem, aus der er die Dionysius-Kommentatoren Thomas Gallus und Robert Grosseteste zitiert. Diese Schrift (des Rudolf von Biberach) schreibt er jedoch fälschlicherweise der Autorschaft Gersons zu, dessen Lehren er verwirft.68 Mit der ausdrücklichen Kritik an Gerson brachte Vinzenz einen Autor in die Diskussion ein, den auch Kaspar Aindorffer in seiner Quaestio bereits erwähnt hatte. Die Dionysius-Interpretation wird nun polarisiert zwischen Hugo von Balma und Johannes Gerson als Repräsentanten der beiden Schulrichtungen. Cusanus’ Argumentation, die Bernhard im Laudatorium als neuen Weg zu rezipieren schien, wird von Vinzenz in den traditionellen Richtungsstreit eingeordnet. Gerson als Vertreter einer intellektualen DionysiusAuslegung zu verstehen, ist allerdings im historischen Rückblick nicht gerechtfertigt. Vinzenz gegen Johannes Gerson Johannes Gerson, der sich aus politischen Gründen 1418/19 ins Kloster Melk und anschließend ins Kloster der Coelestiner in Lyon zurückzog, hatte als Weltgeistlicher gute Kenntnis des monastischen Lebens.69 Er behandelte auch in seinen Schriften Themen, die von besonderem Interesse für das Mönchtum waren, darunter die theologia mystica. In

könnte den Auf bau des Traktats als ein Schema von cogitatio, consurrectio, cognitio [. . .] bezeichnen.« Vgl. Martin, Carthusian Spirituality, S. 19–34. 67 Vinzenz zeigt in seinen Schriften eine insgesamt universitäts- und wissenschaftskritische Haltung, die seine Gegnerschaft zu Cusanus und Gerson verstärkte. Vgl. zum Verhältnis von Kartäusern und Wissenschaft im Mittelalter Mertens, Kartäuser-Professoren, S. 75– 87; Martin, The Via moderna, S. 179–197; Ders., Trahere in affectum, S. 604–617; Aris, Grübelnde Mönche, S. 173–183. 68 Zum Verhältnis von Vinzenz zu Gerson vgl. Roßmann, Die Stellungnahme, S. 17– 30. 69 Zur Biographie vgl. Kleber, Art. Johannes Gerson, in: BBKL 3 (1992), Sp. 366–369; Kraume, Art. Gerson, Johannes, in: VerLex 2 2 (1979), Sp. 1266–1274. Zur Rezeption Gersons im 15. Jahrhundert vgl. Schreiner, Benediktinische Klosterreform, S. 154–164; auch: Pascoe, Religious Orders, S. 503–512; Roth, Richter, Ratgeber und Reformer, S. 321– 339.

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seiner Mystischen Theologie (1408) untersuchte er das Verhältnis von Intellekt und Affekt im mystischen Aufstieg. Nach Gerson führen die intellektualen Kräfte allein nicht zu Gott, aber er bestätigt ein intellektuales Moment. Denn der Suchende muss erkennen, dass alle endlichen Attribute Gott nicht angemessen sind und er Gott mit dem Verstand nicht erfassen kann. Erkenntnis und Affekt müssen sich verbinden, auch wenn die Einigung selbst in der Liebe geschieht.70 Gerson betont aber zugleich, dass für die »rudes« und »illiterati«, die nicht akademisch Gebildeten, die Liebe allein ausreiche, um zur mystischen Erfahrung Gottes zu kommen. Problematisch ist, dass Gerson in dieser Schrift in harmonisierender Absicht Defi nitionen der theologia mystica von verschiedenen Autoren zusammenstellte, aber keine systematische Sicht seines eigenen Verständnisses bot. In der Mystik-Kontroverse des 15. Jahrhunderts wurde Gerson sowohl von Vinzenz als auch von Bernhard als Vertreter einer intellektualen Richtung rezipiert, vermutlich auch, da er von Cusanus in De docta ignorantia so verstanden wurde.

4.2.5.3 Die Antwort des Cusanus in De Visione Dei (1453) Cusanus setzte sich mit den Thesen Vinzenz’ in seiner Schrift De visione Dei (1453) sowie im Briefwechsel mit den Tegernseer Mönchen auseinander, wobei er nicht direkt auf Vinzenz, sondern auf die Fragen aus Tegernsee reagierte.71 In den Briefen wie in De visione Dei spitzte Cusanus seine bisherigen Gedanken zu und vertrat nun eine zumindest »partielle Identität von docta ignorantia und mystischer Theologie.«72 Die Grundaussage, dass Wissen und Nicht-Wissen in der docta ignorantia zusammenfallen, formulierte Cusanus bereits im Brief vom 22. September 1453 an Abt Kaspar Aindorffer. Mit der Schrift De visione Dei, die er am 8. November 1453 beendete und nach Tegernsee sandte, beabsichtigte er, den Mönchen einen leicht verständlichen Zugang zur mystischen Theologie zu bieten.73

70 Vgl. Gerson, De theologia mystica speculativa, cons. 28 (Œuvres Complètes 3, hg. v. Glorieux, S. 274): »Theologia mystica est cognitio experimentalis habita de Deo per amoris unitivi complexum.« 71 Vgl. zum Inhalt der Schrift Flasch, Nikolaus von Kues, S. 383–443; Euler, Die beiden Schriften, S. 187–203; Wohlfart, Mutmaßungen über das Sehen Gottes, S. 151–164; Watts, Nicolaus Cusanus, S. 158–171. – Zu den cusanischen Gedanken zu einer Theologie der Mystik in De visione Dei vgl. Führer, The Consolation of Contemplation, S. 205–231; Stachel, Schweigen vor Gott, S. 167–18; Reinhardt, Christus, die ›absolute Mitte‹, S. 196–220; Miller, Nicholas of Cusa’s The Vision of God, S. 293–312; Haubst, Die erkenntnistheoretische und mystische Bedeutung der Mauer, S. 167–195; Haug, Die Mauer des Paradieses, S. 216–230; Beierwaltes, Visio facialis, S. 91–124, sowie die monographischen Studien von Helander, Die visio intellectualis; Hopkins, Nicholas of Cusa’s Dialectical Mysticism. 72 Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen, S. 25, vgl. S. 35.342–347. 73 Vgl. Nikolaus von Kues, De visione Dei (Nikolaus von Kues, Philosophisch-theologische Schriften 3, S. 94): »Pandam nunc, quae vobis dilectissimis fratribus ante promiseram circa facilitatem mysticae theologiae.«

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Cusanus wählte dafür das Bild des Allsehenden, das, aus welchem Winkel es auch betrachtet wird, stets den Betrachter anzusehen scheint.74 Mit dieser sinnlichen Erfahrung führt Cusanus in den 25 Kapiteln der Schrift in die intellektuelle Denkbewegung ein, die er bereits in De docta ignorantia vorgestellt hat. Mit einer Reihe von spirituellen Übungen möchte er die Adressaten in Tegernsee zum intellektualen Aufstieg in die Dunkelheit (caligo) der docta ignorantia führen. So ist gemäß der coincidentia oppositorum Gottes Blick stets zugleich überall, fallen Sehen und Gesehenwerden zusammen.75 Fallen in Gott die Gegensätze von Ruhe und Bewegung, Sehen und Gesehenwerden zusammen, so kann Gott hinter diesem Zusammenfall, für den er das Bild der Mauer des Paradieses fi ndet, in seiner Dreieinigkeit gesehen werden.76 Cusanus entfaltet die Trinitätslehre in De visione Dei ausführlich und erläutert sie auch am augustinisch geprägten Bild vom Liebenden, Geliebten und von der Liebe.77 Mit Jesus-Meditationen führt er den Weg zur Schau Gottes bildlich vor Augen.78 Cusanus kam damit dem Wunsch der Tegernseer Mönche nach, die spekulativen Aussagen seiner bisherigen Schriften praxisbezogen zu erläutern, und geht in den Formulierungen und Übungen auf den Horizont der monastischen Leser ein. De visione Dei wurde daher in Tegernsee dankbar empfangen. Das Verhältnis von Affekt und Intellekt bestimmt Cusanus in De visione Dei wie bereits in seinen früheren Schriften: Ein intellektuales Moment begleitet den mystischen Aufstieg. Das dionysische »Steige unwissend auf!« bedeutet nicht einen rein affektiven Aufstieg; der Affekt gehört aber zum mystischen Akt. Die Liebe ist die Initiationskraft des Aufschwungs zu Gott, aber geliebt werden kann nur, was bekannt ist. Der Intellekt führt dorthin, wo Erkenntnis nicht mehr möglich ist und das Nicht-Wissen beginnt. 74 Vgl. Nikolaus von Kues, De visione Dei, Praefatio (a.a.O., S. 96): »mitto tabellam figuram cuncta videntis tenentem, quam iconam Dei appello. [. . .] et quisque vestrum experietur ex quocumque loco eandem inspexerit se quasi solum per eam videri.« Vgl. Stock, Die Rolle der ›icona Dei‹, S. 50–68; zur Symbolsprache in De visone Dei vgl. Platzer, Symbolica venatio, S. 180–194. 75 Vgl. Nikolaus von Kues, De visione Dei, c. 5 (a.a.O., S. 108): »Quid aliud, Domine, est videre tuum, quando me pietatis oculo respicis quam [te] a me videri? Videndo me, das te a me videri, qui es Deus absconditus.« Vgl. c. 9 (a.a.O., S. 128): »quomodo coincidat in virtute tua visiva universale cum singulari.« 76 Vgl. Nikolaus von Kues, De visione Dei, c. 10 (a.a.O., S. 132–139, hier: S. 136): »Ita quia tu es Deus omnipotens es intra murum in paradiso. Murus autem est coincidentia illa, ubi posterius coincidit cum priore, ubi fi nis coincidit cum principio, ubi alpha et omega sunt idem«. Vgl. c. 17–18 (a.a.O., S. 168–179). 77 Vgl. Nikolaus von Kues, De visione Dei, c. 17 (a.a.O., S. 170): »Illa igitur, quae occurrunt mihi tria esse, scilicet amans, amabilis et nexus, sunt ipsa simplicissima essentia absoluta. Non sunt igitur tria, sed unum.« 78 Vgl. Nikolaus von Kues, De visione Dei, c. 19–25 (a.a.O., S. 178–219).

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4.2.5.4 Die Entfaltung der Kontroverse Mit Vinzenz’ Tractatus und Cusanus’ De visione Dei entfaltete sich ab 1453 die Kontroverse zwischen Cusanus, Vinzenz von Aggsbach, Marquard Sprenger und Bernhard als ein Austausch von Schriften, wobei Cusanus nur mit den Tegernseern direkt korrespondiert und Vinzenz nur über Johannes Schlitpacher in Melk. Erschwert wurde eine begriffl ich präzise Auseinandersetzung nicht nur durch den fehlenden direkten Kontakt, sondern auch dadurch, dass den Autoren nicht immer die Schriften der Kontrahenten im Wortlaut vorlagen. So kannte Vinzenz die cusanische Lehre von der docta ignorantia ausschließlich durch Bernhards Laudatorium und Schlitpachers Briefe.79 Vinzenz sandte 1453 den Tractatus an Johannes Schlitpacher und bat diesen zugleich, ihm die in Aggsbach nicht vorhandenen Dionysius-Kommentare des Hugo von St. Victor und des Robert Grosseteste zugänglich zu machen. Schlitpacher gab Bitte und Traktat nach Tegernsee weiter, wo Bernhard von Waging wiederum beides an Nikolaus Cusanus weiterleitete. War eine zeitnahe und auf Quellenkenntnis basierende Argumentation auch schwierig, hinderte das die Kontrahenten im Mystik-Streit nicht daran, entschieden Position zu beziehen. Die Fronten waren bereits 1453 vorgegeben, nicht allein durch die unterschiedliche Dionysius-Interpretation, sondern auch durch die konträre Bewertung der Rechtmäßigkeit des Basler Konzils. Die Haltung zum Konzil von Basel als Hintergrund der Kontroverse War Vinzenz von Aggsbach zeitlebens überzeugter Vertreter des Konziliarismus, der seinen Höhepunkt auf dem Konzil von Basel hatte, so wurde Cusanus aus Enttäuschung über den Konziliarismus bereits 1436 zum Papstanhänger und zog mit Papst Eugen IV. 1437 nach Ferrara zum Gegenkonzil.80 Unter diesem Vorzeichen der unterschiedlichen Haltungen zu Papst und Konzil stand auch die Debatte um die Theologie der Mystik, deren Pole fast zwangsläufig Cusanus und Vinzenz bildeten.81 Die Haltung der Tegernseer zum Konziliarismus war geprägt durch Prior Johannes Keck.82 Dieser hatte zuerst auf Drängen von Abt Kaspar Aindorffer die Absetzung Papst Eugens IV. durch das Basler Konzil 1439 gerechtfertigt, sich nach dem Amtsantritt von Papst Nikolaus V. im Jahr 1447 vom Basler Konzil abgewandt und war, stellvertretend für den Tegernseer Konvent, für die Beilegung des Schismas eingetreten. Damit wandten sich die Tegernseer wie zuvor Cusanus vom Konziliarismus ab und hatten mit dieser Haltung auch in der bayerischen Kirchenpolitik eine Minderheitsposition.83 Die Te79 Vgl. noch 1459 Vinzenz’ Aussage in der Replicatio (Pez/Hueber, Codex diplomatico, Ep. 10, S. 344): »Docta ignorantia, quam numquam legi nec vidi.« 80 Vgl. Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 66–68. 81 Vgl. die abfälligen Äußerungen über Cusanus in Briefen des Vinzenz von Aggsbach zwischen 1452 und 1459 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 68; 70–74, S. 216–265). 82 Vgl. Roßmann, Der Tegernseer Benediktiner Johannes Keck, S. 330–352. Zur Übersicht über die Schriften Johannes Kecks zur Kontroverse um das Konzil von Basel vgl. Roßmann, Art. Keck, Johannes, in: VerLex 2 4, Sp. 1093 f. 83 Vgl. zur Haltung Bayerns zum Konzil von Basel: Bauerreiss, Kirchengeschichte Bay-

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gernseer Haltung stieß auf heftige Kritik bei den Melkern, vertreten durch Johannes Schlitpacher, bei dem Kartäuser Vinzenz von Aggsbach und beim Münchener Weltpriester Marquard Sprenger, alle drei Anhänger des Konziliarismus. Hatten Johannes Keck, Johannes Schlitpacher und Marquard Sprenger bereits 1448 Streitschriften zum Konziliarismus ausgetauscht, wird nun im Mystik-Streit erneut zwischen Tegernsee, Melk und München kontrovers über die Dionysius- und Cusanus-Interpretation diskutiert.

4.2.5.5 Bernhards Briefwechsel mit Cusanus Bernhard war im Streitschriften-Wechsel bis 1459 vor allem Rezipient. Er verfolgte wie die Tegernseer Brüder die Diskussion, trat aber persönlich erst 1454 in briefl ichen Kontakt mit Cusanus. Sein erster Brief im Februar 1454 spricht die theologia mystica noch nicht an. Bernhard übersendet Cusanus Schriften, darunter die Schrift De gradibus contemplationis, die er Bonaventura zuschrieb, und äußert sich zur Reform in Sonnenburg und St. Georgenberg.84 Doch bereits in seinem zweiten Brief im Frühjahr 1454 kommt Bernhard auf die mystische Theologie zu sprechen.85 Hier stellt er erstmals seine eigenen Gedanken zur Dionysius-Rezeption und dem Verhältnis von Affekt und Intellekt vor. Er stimmt mit Cusanus überein, dass es keinen mystischen Aufstieg ohne Erkenntnis gibt, entwickelt aber den Gedanken, dass im eigentlichen mystischen Erleben der Affekt ohne aktuale Erkenntnis wirkt. Bernhard betont die Rolle des Affekts stärker als Cusanus, wenn er meint, dass die Liebe leichter und wahrer zu Gott führe.86 Er geht jedoch wie Cusanus von einer Rolle des Intellekts in der Vorbereitung auf das mystische Erleben aus, spricht zugleich aber dem unwissenden Lieben große Bedeutung zu. Denn auch ein blinder Hund kann, so Bernhard, seine Beute riechen, ohne sie zu kennen oder zu sehen. »Credo proinde cum expertis fidelis apicem mentis per affectum amoris in Deum superferri sine previa vel comite actuali cognicione, valet siquidem canis cecus suam odorare predam eciam non cognitam nec visam. Nichilominus credo amorem hunc misticum in hominis mente stare non posse sine Dei qualicumque cognicione, cum eciam amor naturalis nec maneat nec fiat absque omni cognicione coniuncta vel separata.« 87 erns 2, S. 35–41; Handbuch der bayerischen Geschichte 2, S. 222–227, S. 226: »Der bayerische Episkopat bewies auch in diesem letzten Schisma seine überwiegend konziliare Gesinnung, wenngleich von einmütiger Haltung nicht mehr die Rede sein konnte.« 84 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, 12. Februar 1454 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 33, S. 112–119). 85 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, zwischen 12. Februar und 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 126–135). 86 Vgl. a.a.O. (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 130): »Credo iterum [. . .] per amoris oculum videri Deum sive cognosci facilius ac verius, quia intimius quam cognicione aut visione sola speculari«. 87 Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, zwischen 12. Februar und 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 130).

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Bernhard beruft sich in seinem Brief auf die cusanischen Schriften De docta ignorantia und De visione Dei sowie auf Cusanus’ Briefe. Doch drückt er zugleich seine Unsicherheit in Fragen der mystischen Theologie aus und bittet Cusanus, wie dies die Tegernseer noch mehrfach tun werden, um eine »Brille« zum rechten Verständnis.88 Aus diesem Brief wird nicht nur deutlich, wie intensiv Bernhard sich mit den cusanischen Gedanken auseinandersetzte, sondern auch, dass er bereits im Jahr 1454 Schriften zur mystischen Theologie in Tegernsee zusammentrug, die er 1459 in seiner Schrift De cognoscendo Deum detailliert behandelte und kompilierte. Im Antwortschreiben vom März 1454 stimmt Cusanus Bernhard zwar zu, dass die Liebe zu Gott eine große Rolle spiele, doch geht er auf Bernhards Vorschlag einer aktualen Unwissenheit im mystischen Erleben nicht ein. Vielmehr formuliert er erneut, dass im mystischen Erleben das Erkennen und Lieben und Lieben und Erkennen zusammenfallen.89 Darüber hinaus kommt Cusanus auf Fragen der Reform in Sonnenburg und St. Georgenberg zu sprechen, was auch Thema der folgenden Briefe vom April bis August 1454 ist.90 4.2.5.6 Das unterschiedliche Verständnis von Cusanus und Bernhard Die beiden Briefe aus dem Jahr 1454 zeigen exemplarisch, dass Bernhard – und mit ihm die monastischen Autoren im Mystik-Streit – und Cusanus dieselben Begriffe verwenden, aber unterschiedlich verstehen. So ist für Bernhard und die Tegernseer der Affekt ein Seelenvermögen. Inhaltlich verbinden sie mit dem Begriff affectus die Liebe zu Gott (amor Dei), die Impetus des Aufstiegs zur mystischen Unio mit Gott ist. Cusanus kann bestätigen, dass die Liebe der »kürzeste und sicherste Weg« zu Gott ist.91 Doch sieht er die Liebe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erkennen. Denn Liebe ohne Kenntnis des Geliebten ist nicht möglich. Mit Liebe bezeichnet Cusanus in platonischer Tradition das Streben zum Guten. Diesem Streben muss eine wenigstens ungefähre Kenntnis des Guten vorausgehen, d. h. die Liebe und ein Erkenntnismoment sind bei ihm

88

Die von Cusanus angekündigte Schrift, das Beryllum, stellt er erst 1458 fertig. Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Bernhard von Waging, 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 39, S. 134–139): »cum hoc est cognoscere Deum, quin, ubi est felicitas, cognoscere sit amare, et amare cognoscere.« 90 Vgl. Briefwechsel zwischen Bernhard von Waging und Nikolaus von Kues (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 40–42, S. 138–143). 91 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Bernhard von Waging, 12. Februar 1454 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 32, S. 110): »brevissima autem via et securissima est dilectio [. . .]. ›Qui enim diligit Deum, hic cognitus est ab eo.‹ Qui a Deo cognitus est, hic Deum cognoscit, nichil enim incognitum amatur.« 89

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia

161

immer verbunden.92 Für Cusanus ist Liebe aber vor allem als ein Nichtwissen bestimmt im Gegensatz zum Denken und Wissen des intellectus. Für Bernhard ist die Liebe eine Gnadengabe Gottes, und Liebe als Affekt und der Intellekt sind zwei unterschiedliche Vermögen, deren Zusammengehörigkeit er im Briefwechsel mit Cusanus zu klären versucht.93 Bernhard geht von einer vorausgehenden und begleitenden Erkenntnis im Aufstieg der Seele aus, lehnt aber die aktuale Vernunfttätigkeit im mystischen Erleben ab. In der unio mystica wird das intellektuale Vermögen überschritten; hier wirken affektive Kräfte, nach Bernhard die Liebe zu Gott. Dieser Höhepunkt im mystischen Erleben ist für Bernhard und die monastischen Autoren das, worauf ihr Interesse sich richtet. Cusanus dagegen geht es um die Denkbewegung des Aufstiegs der Vernunft (intellectus) zur Koinzidenz der Gegensätze. In dieser Koinzidenz fallen Affekt als Nichtwissen und Intellekt als Wissen zusammen, und die Liebe (caritas) umfasst beide. Sie steht daher über der Koinzidenz der Widersprüche.94 Für Bernhard enden im mystischen Erleben das intellektuale und affektive Vermögen, für Cusanus vollenden sie sich darin.95 Für das Verhältnis von Affekt und Intellekt ist für Bernhard daher, der Tradition entsprechend, das affektive Moment grundlegend, während er das intellektuale Moment auch als notwendig erachtet. Für Cusanus ist das intellektuale Moment konstitutiv; er schließt aber den Affekt nicht aus.96 Dieses unterschiedliche Verständnis von Affekt und Intellekt wird im Briefwechsel zwischen Cusanus und Bernhard nicht thematisiert und geklärt. Es ist Bernhard wohl bereits im Brief vom Frühjahr 1454 klar, dass sein Vorschlag eines aktual-affektiven Verständnisses nicht ganz mit dem Verständnis der cusanischen docta ignorantia übereinstimmt.97 »Man darf vielmehr annehmen, dass ihm die konzeptionellen Unterschiede schon von Anfang an bewußt waren, er diese aber nicht als unvereinbar und gegensätzlich, sondern als ›sympathisierend‹ begriff und als willkommenen Anstoß zur Konzipierung eigener Gedanken begrüßte.«98 92 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Kaspar Aindorffer, 22. September 1452 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 27, S. 92): »Impossibile est enim affectum moveri nisi per dilectionem, et quicquid diligitur, non potest nisi sub racione boni diligi«. 93 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, Februar/März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 130). 94 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Bernhard von Waging, 12. Februar 1454 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 32, S. 110): »Perfecta igitur caritas est super coincidentiam contradictoriorum«. 95 Mit Vansteenberghe, Autour, S. 48. 96 Zu dieser Beurteilung vgl. auch Riemann, De cognoscendo Deum, S. 122–127. 97 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, zwischen 12. Februar und 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 126–135). 98 Riemann, De cognoscendo Deum, S. 124.

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Vielleicht ist in dieser Divergenz der Gedanken auch ein Grund zu suchen, warum sich der Briefwechsel zwischen Cusanus und Bernhard bald anderen Fragen zuwandte. 4.2.5.7 Der Abschluss des Briefwechsels 1456 Im Brief vom August 1454 bedankt Cusanus sich für die Übersendung von Bernhards Laudatorium, und Bernhard kündigt in Reaktion darauf an, das Laudatorium erweitern und verbessern zu wollen, so dass bereits hier seine Intention einer weiteren, umfassenden Schrift offenkundig wird.99 Doch sprechen beide in den folgenden Briefen bis Juli 1455 die mystische Theologie nicht mehr an.100 In seinem Brief vom Juli 1455 erwähnt Cusanus den Austausch von Schriften und bedankt sich für die Zusendung von Sprengers Elucidatorium. In diesem Zusammenhang kommt er noch kurz auf den Zusammenfall von Intellekt und Affekt zu sprechen, doch verweist er auf seine Predigten desselben Jahres, die er gerade für die Tegernseer abschreiben lasse.101 Mit einem Brief vom Januar 1456102 bricht der noch erhaltene Briefwechsel zwischen Cusanus und den Tegernseer Benediktinern ab. Cusanus verspricht hier die Zusendung der Schrift Beryllum, die er 1458 auch nach Tegernsee sandte. In De Beryllo nimmt Cusanus das Thema der Koinzidenz und der Gotteserkenntnis noch einmal auf und möchte es den Mönchen erneut experimentell, nun als Blick durch die Brille (beryllum), erläutern. Cusanus gibt den Mönchen einen Spiegel und ein Rätselbild als Hilfsmittel an die Hand,103 um damit zur vernunfthaften Schau (visio intellectualis) zu führen.104 Abgesehen vom erfahrungsbezogenen Zugang durch den Beryll bleibt die Schrift theoretischer als De visione Dei. Cusanus setzt sich mit aristotelischen und platonischen Erkenntnistheorien auseinander und greift die geometrischen 99 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Bernhard von Waging, 16. August 1454 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 45, S. 145–149). Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, vor dem 9. September 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 47, S. 150–161). 100 Vgl. Briefwechsel Nikolaus von Kues und Bernhard von Waging, September 1454 bis Juli 1455 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 49; 50; 52; 53; 54; 56, S. 162–181). 101 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Bernhard von Waging, 28. Juli 1455 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 57, S. 180–185). 102 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Kaspar Aindorffer, 9. Januar 1456 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 59, S. 186 f.). 103 Vgl. Nikolaus von Kues, De beryllo (Opera omnia, h 2XI/1 n. 1,6–7): »speculum et aenigma subiciam, quo se infi rmus cuiusque intellectus in ultimo scibilium iuvet et dirigat [. . .].« Vgl. zu symbolum und aenigma als zentrale Erkenntniszugänge zur Wahrheit in De visione Dei Platzer, Symbolica venatio, S. 180–213. 104 Vgl. Nikolaus von Kues, De beryllo (Opera omnia, h §XI/1 n. 1,9). Zur visio intellectualis vgl. die Interpretation Helanders, Die visio intellectualis. Zum Verhältnis von De visione Dei und De Beryllo unter dem Aspekt von Menschen- und Gottesbild vgl. Watts, Nicolaus Cusanus, S. 182–187.

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia

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Beispiele aus De docta ignorantia wieder auf. Dabei geht Cusanus auch im Beryll kurz auf die Dionysius-Interpretation und die negative Theologie ein105 und beendet die Schrift mit dem Hinweis, dass derjenige, der würdig sei, das Dargelegte zu verstehen, gläubig (fidelis) und Gott ergeben (deo devotus) sein müsse.106 Doch tritt die Frage nach der mystischen Erfahrung hier zurück gegenüber der erneuten Darlegung der coincidentia oppositorum. Bereits die Briefe ab dem Sommer 1454 zeigen, dass Cusanus nicht mehr aktiv an der Debatte um die Theologie der Mystik beteiligt war. Fortgesetzt wird die Diskussion nun zwischen Vinzenz und Bernhard.

4.2.6 Die Fortsetzung des Mystik-Streits 1454–1459 Über Johannes Schlitpacher erhielt Vinzenz das Laudatorium Bernhards, Sprengers Elucidatorium sowie die Cusanus-Schrift De visione Dei und wahrscheinlich Kopien des Briefwechsels zwischen Cusanus und Kaspar bzw. Bernhard. In Reaktion schrieb Vinzenz 1454 eine briefl iche Abhandlung, die Bernhard im Defensorium als Impugnatorium laudatorii doctae ignorantiae bezeichnet.107 Hier attackierte er die Trias Gerson, Cusanus und Marquard Sprenger unter dem Spottnamen ›Gerchumar‹ und verteidigte seine Position mit Thomas Gallus und Robert Grosseteste.108 Auch im Impugnatorium lehnt Vinzenz das intellektuale Vermögen nicht völlig ab. Er unterscheidet zwischen einer »sapientia«, in der der Intellekt dem Affekt vorausgehe, und der »Mystik«, in der der Affekt dem Intellekt folge. Außerdem unterscheidet er zwischen denen, die das geistliche Leben beginnen, und den darin Vollkommenen. Erstere erfahren den Aufstieg der Seele mit intellektualen und affektiven Seelenkräften. Vollkommener aber ist die Liebe, die allein zum Geliebten führt. Obwohl Vinzenz seine Abhandlung nur an Johannes Schlitpacher in Melk schickte, erfuhren sowohl Bernhard als auch Marquard Sprenger durch den Briefwechsel mit diesem von den Vorwürfen des Vinzenz. Beide reagierten mit Gegenschriften, so dass die Debatte nun zweisträngig zwischen Vinzenz

105 Vgl. Nikolaus von Kues, De beryllo (Opera omnia, h 2XI/1 n. 12,12–13; vgl. auch n. 32,1–4; n. 46,1–4). 106 Vgl. Nikolaus von Kues, De beryllo (Opera omnia, h 2XI/1 n. 72,6–9). 107 Vgl. Vinzenz von Aggsbach, Impugnatorium laudatorii doctae ignorantiae. Von Bernhard als Impugnatorium bezeichnet, ist diese Abhandlung ein langer Brief vom 19. Dezember 1454 an Johannes Schlitpacher (ediert: Vansteenberghe, Autour, S. 204–212). Hinweise zum Inhalt bietet Vansteenberghe, Autour, S. 60–63. 108 Vinzenz formulierte seine Kritik auch in einem Brief an Konrad von Geisenfeld vom 27. September 1455 (ediert: Vansteenberghe, Autour, S. 212–216) und in der Nota [gegen Marquard Sprenger] an Johannes Schlitpacher aus dem Jahr 1455 (Vansteenberghe, Autour, S. 217 f.).

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

und Marquard Sprenger sowie Vinzenz und Bernhard ihre Fortsetzung nahm. Sprenger antwortete mit einer Apologia (1455) und dem Complementum apologiae (1456).109 Inhaltlich trat er wie bereits im Elucidatorium für ein Erkenntnismoment im affektiven Aufstieg ein, und seine Schriften bieten keine neuen Thesen, sondern neben Polemik gegen Vinzenz lange Zitate aus cusanischen Schriften, was ihm Vinzenz in einer weiteren Schmähschrift auch vorwarf.110 Gegen Vinzenz’ Impugnatorium schrieb Bernhard erst 1459, als er dieses zufällig in einem Codex aus Melk sah, sein Defensorium laudatorii doctae ignorantiae.

4.2.7 Bernhards Defensorium laudatorii doctae ignorantiae Mit Verspätung trat Bernhard mit einer größeren Schrift in die Kontroverse ein. Denn erst 1459 nach der Lektüre von Vinzenz’ Impugnatorium verfasste er die Verteidigungsschrift Defensorium laudatorii doctae ignorantiae. 4.2.7.1 Bernhards Argumentation im Defensorium Gegenüber dem Laudatorium fällt das Defensorium deutlich umfangreicher aus. Inhaltlich bietet Bernhard nichts Neues, sondern er nimmt Vinzenz’ Argumente nacheinander auf und widerlegt sie.111 Die Widerlegung und dadurch die Bestätigung der Kernaussagen aus dem Laudatorium bestimmt den Auf bau der Schrift, die nur durch die Thesen Vinzenz’ gegliedert ist. Bernhard beginnt das Defensorium mit einem persönlichen Rückblick und berichtet von seiner begeisterten Lektüre der Bücher De docta ignorantia im Jahr 1451, von der Abfassung des Laudatorium und der Reaktion »eines gewissen Kartäusers«.112 Bernhard nennt seinen Kontrahenten nicht mit Namen und kannte Vinzenz auch tatsächlich nicht persönlich. Doch spricht er ihn in der zweiten Person Singular an und charakterisiert ihn durch den Zuruf: »Erras, erras, quicumque es ille.«113 Den Irrenden will Bernhard aus 109 Vgl. zu Leben und Werk Marquard Sprengers: Roßmann, Der Magister Marquard Sprenger, S. 350–411. Vermutlich kannten sich Bernhard und Marquard Sprenger persönlich, da Bernhard eine von Cusanus gewünschte Bonaventura-Handschrift durch Sprengers Vermittlung in München besorgte, vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, Februar/März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 126 ). 110 Vgl. Vinzenz von Aggsbach, Refutatio [gg. Marquard Sprenger] in einem Brief an Johannes Schlitpacher vom 25. Mai 1460 (Pez/Hueber, Codex Diplomatico, Ep. 16, S. 353– 356). 111 Edition nach clm 18600, f. 192r–199r, bei Vansteenberghe, Autour, S. 169–188. Zum Defensorium a.a.O., S. 78–83. 112 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 169). 113 BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 170).

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia

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seinen Irrtümern retten und ermahnt ihn zum Glauben.114 Denn der Glaube, so Bernhard, ist die Voraussetzung der Gotteserkenntnis, »nam omne quod in motu nos ponit, ipsa fides est.«115 Bernhard setzt den Glauben als Prämisse der mystischen Erfahrung, was bisher in der Mystik-Debatte nicht explizit thematisiert, sondern von allen Autoren vorausgesetzt wurde. Die Aufforderung zu glauben ist aber zugleich ein scharfer Angriff auf Vinzenz, dem er diesen Glauben abspricht. Bereits in diesen einleitenden Worten zeigt sich der Charakter der ganzen Schrift: Sie »ist die Replik eines tief gekränkten Autors und hat im Grunde nur einen Adressaten, den Kartäuser Vinzenz von Aggsbach.«116 Vinzenz wird in ebenso scharfem Ton seine Replicatio verfassen. Nach dieser langen Vorrede wendet sich Bernhard der Widerlegung von Vinzenz zu, indem er These für These aus dem Impugnatorium zitiert und deren Richtigkeit bestätigt. Wirft Vinzenz Bernhard vor, dass das Laudatorium nichts als ein Exzerpt aus den Büchern De docta ignorantia sei, so zitiert Bernhard Vinzenz’ Vorwurf und bekräftigt ihn: »Sequitur: Et puto ipsum Laudatorium omnino esse excerptum, saltem pro maiori parte, ex libris Docte Ignorancie. – Hoc verum videtur, nam si laudator voluit recte laudare, debuit quod laudaret non penitus ignorare«.117 Inhaltlich widerlegt Bernhard auf diese Weise weniger die Aussagen des Vinzenz, sondern wiederholt seine eigenen Aussagen des Laudatorium. Denn er hält gegen Vinzenz daran fest: Docta ignorantia und mystische Theologie koinzidieren, haben dieselbe Ursache und dasselbe Ziel.118 Die docta ignorantia übersteigt aber alle Wissenschaften und schließt diese in sich ein. Sie umfasst Theologie, Metaphysik und Mathematik, wobei die Mathematik mit ihren Symbolen in besonderer Weise der docta ignorantia dient.119 Der Erläuterung dieser Aussage gibt Bernhard viel Raum, um seinem Gegenüber die Größe der belehrten Unwissenheit zu beweisen.120

114 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 170): »Volo igitur non ut intelligas, sed ne errando pereas.« 115 BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 170). Vgl. ebd. (S. 170): »Per fidem accedit intellectum ad Deum, per dilectionem unitur eidem«. 116 Riemann, De cognoscendo Deum, S. 139. 117 BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 172). 118 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 172): »et sic optime coincidenter conveniunt, quia effectualiter in re idem existunt, nam eciam consimili operacione et praxi fi nem eundem pariformiter attingunt.«. 119 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 174 f.). Vgl. Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen, S. 27: »Die docta ignorantia erhält hierdurch die auch bei Cusanus feststellbare Ambiguität ihrer Bestimmung, da sie einerseits den höchsten Modus humaner Gotteserkenntnis markiert, andererseits jedoch als universelle, alle Seinsbereiche betreffende Disziplin aufgefaßt wird.« 120 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 172–179).

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Bernhard rühmt die belehrte Unwissenheit als die allem überlegene Lehre des Aufstiegs zu Gott, und er beweist zugleich, dass nicht der Gedanke der docta ignorantia neu sei, sondern nur deren »explanacio«.121 Mit Zitaten von Pseudo-Dionys und dessen Kommentatoren Robert Grosseteste und Thomas Gallus sowie kirchlichen Autoren belegt er, dass auch diese Autoren die belehrte Unwissenheit der Sache nach kannten.122 Damit hat Bernhard die Kernaussagen des Laudatorium bestätigt und seine Meinung mit Autoritätszitaten bewiesen. Er schließt mit einer Aufforderung an den »impugnator«,123 mit ihm zusammen die Bücher von der belehrten Unwissenheit zu lesen, zu verstehen und dann zu loben. 4.2.7.2 Bernhards Arbeitsweise im Defensorium Bleibt Bernhard im Defensorium den Aussagen des Laudatorium treu, so zeigt er hier seinen persönlichen Stil und ihm wichtige Motive deutlicher als in der Lobrede auf Cusanus. Dabei begegnen Motive, die Bernhard auch im Speculum und Defensorium speculi pastorum verwendet. Spielt der Autoritätsbeweis dort eine zentrale Rolle, so kennzeichnet dies auch das Defensorium. Zu erwarten sind Zitate von Pseudo-Dionys und dessen Kommentatoren, da Vinzenz diese im Impugnatorium gegen Bernhard anführte. Bernhard zitiert diese Autoren mehrfach.124 Er beruft sich aber auch auf Richard von St. Victor, Bonaventura, Beda Venerabilis, Gregor den Großen, Bernhard von Clairvaux und auf Augustinus, um zu beweisen, dass diese bereits mit dem Gedanken der docta ignorantia bekannt waren.125 In diesen Zitaten zeigt er nicht nur eine breite Kenntnis der Schriften zur mystischen Theologie, sondern er zitiert im Defensorium die Autoren und ihre Werke, die er wenig später in De cognoscendo Deum noch ausführlicher heranziehen wird. Ein Beweis nach Vernunftgründen fi ndet sich nicht. Stellte Bernhard im Laudatorium die cusanische docta ignorantia vor und rühmte sie, so ist auch das Defensorium eine Überzeugungs- und Werbeschrift für die belehrte Unwissenheit. Dabei hat Bernhard zuerst Vinzenz im Blick. Den »impugnator« möchte er widerlegen und überzeugen. Aber Bernhard wendet sich darüber hinaus an einen breiteren Leserkreis, wenn er 121 BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 184): »Ex istis claret quod docta ignorancia ipsa, scilicet de divinis experimentalis sciencia seu supermentalis noticia, que eciam dicitur ignorancionis sciencia, nequaquam est nova; sed talis eiusdem explanacio [. . .] est nusquam inventa.« 122 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 184 f.). 123 Vgl. die Anrede »impugnator«, BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 179.181.187). 124 Vgl. BvW, Defensorium, zu Pseudo-Dionys (Vansteenberghe, Autour, S. 171–187), Thomas Gallus und Robert Grosseteste (S. 181). 125 Vgl. BvW, Defensorium, zu Augustinus (Vansteenberghe, Autour, S. 171.173.175.184), Beda Venerabilis (S. 185), Bernhard von Clairvaux (S. 186), Bonaventura (S. 177.181 f.), Gregor dem Großen (S. 177.184), Richard von St. Victor (S. 182).

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia

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jeden »docte cultor et amator ignorancie sacre« anspricht.126 Seine Leser bezieht Bernhard in der Wir-Rede (1. Person Plural) mit ein und fordert sowohl Vinzenz als auch den unbekannten Leser in Imperativen auf, die docta ignorantia zu erkennen und zu studieren.127 Bernhard bedient sich dabei wiederholt Metaphern, um das Gesagte zu illustrieren. So vergleicht er z. B. den Glauben als Voraussetzung für die Erkenntnis Gottes mit einem Bauern und einem Weingärtner. Wie beide den Glauben haben müssen, dass aus Säen und Pflanzen Frucht werde, so muss auch der, der Gott sucht, daran glauben, dass seine Suche Frucht bringen wird.128 Auch der für Bernhards Schriften typische Schluss mit »Amen« zeigt die Abkehr von einer streng wissenschaftlichen Widerlegung der Vorwürfe Vinzenz’. Dass er an diesen ersten Schluss eine nochmalige kurze Erläuterung der docta ignorantia anfügt und einen zweiten Schlussabsatz mit »Deo gracias« beschließt, spiegelt seine Leidenschaft für die Sache und seinen Willen, diese dem Leser zu vermitteln, wider.129 So erwähnt er gleich zu Beginn, dass er bereits bei der Lektüre der Cusanus-Schrift in Liebe zur docta ignorantia entbrannt sei.130 Er verteidigt seine Überschwänglichkeit im Laudatorium als gesunde und wahre, nicht exzessive Gefühle.131 Auch die OhRufe, die auch in den Schriften zur Seelsorge typisch für Bernhard sind, zeigen seinen Eifer.132 Dabei beschreibt er die belehrte Unwissenheit terminologisch wie ein mystisches Erlebnis: Die docta ignorantia erfüllt ihn mit Freude.133 Er fordert den Leser dazu auf, die belehrte Unwissenheit zu umarmen.134 Setzt Bernhard inhaltlich mystische Theologie und docta ignorantia gleich, so zeigt sich

126

BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 171). Vgl. BvW, Defensorium: »Inclina aurem et audi« (Vansteenberghe, Autour, S. 173); »intellige nunc« (S. 174); »Leva sursum cor tuum« (S. 179). 128 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 170), vgl. das Bild vom Schatz im Acker (S. 188). 129 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 187 f.). Unter dem Aspekt des Überzeugens und der Leidenschaft muss Vansteenberghes Urteil über das Defensorium gemildert werden, vgl. Vansteenberghe, Autour, S. 82 f.: »Bernard revient à plusieurs reprises sur les mêmes idées; on se lasse de le voir reprendre des questions que l’on croyait épuisées. D’autre part, rien de bien original ne pique la curiosité et ne soutient l’intérêt«. 130 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 169): »affectu quam maximo in eiusdem amorem et laudem mirabiliter cepi fl ammescere«. 131 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 173). 132 Vgl. zu den Oh-Rufen: BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 181.188). 133 Vgl. BvW, Defensorium: »tanto delectacio sequeretur vehemencior« (Vansteenberghe, Autour, S. 169). 134 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 171): »amplectere res ipsas«, »toto corde amorosius amplectere«. 127

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

dies sprachlich darin, dass er letztere mit Metaphern der Berührung, des Essens und Schmeckens beschreibt.135 Um zu solcher Erfahrung zu gelangen, ruft er den Leser mehrmals dazu auf, die Schriften zur docta ignorantia zu studieren. Wie er selbst soll auch der Leser durch wiederholtes Studium der Schriften die Wahrheit erkennen und Freude erfahren.136 Bernhard fordert damit nicht nur eine intellektuelle Aneignung dieser Gedanken, sondern auch die gefühlsmäßige Hinwendung und Durchdringung der belehrten Unwissenheit. Seine Aufforderung, die Schriften mehrfach zu lesen, erhebt diese fast zur lectio continua und schreibt ihnen damit eine kaum zu überbietende Bedeutung für das geistliche Leben zu. 4.2.7.3 Die belehrte Unwissenheit als Heilsweg Über die cusanischen Schriften hinaus geht Bernhard in der Verknüpfung von belehrter Unwissenheit und dem Heil des Einzelnen. In den SeelsorgeSchriften argumentiert Bernhard stets unter dem Aspekt der Heilssicherung im kontemplativen Leben. Diesen Aspekt greift er im Defensorium auf, wenn er die docta ignorantia mehrfach als den sichereren, leichteren, schnelleren und besten Weg zu Gott beschreibt. »Hec sacra docta ignorancia cicius et cercius provehit, elevat et transmittat«.137 Die belehrte Unwissenheit ist für ihn Synonym für die mystische Theologie, und diese führt zur Schau Gottes.138 In der unio mystica wird sie erfahren,139 und die aktuale Unwissenheit kann Bernhard auch mit den aus der Tradition übernommenen Motiven von Licht und Dunkelheit sowie vom Schlafen als Zustandsbeschreibung schildern.140 Mit der mystischen Erfahrung verbindet Bernhard zwei Motive: das der gesunden Lehre und das der Exklusivität dieser Lehre. In Polemik gegen Vinzenz bezeichnet er dessen Verständnis als krank, seine eigene Lehre als 135 Vgl. zum Sehen und Schmecken Gottes BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 177): »faciem Dei ad cuius visionem et gustum docta provehit ignorancia«. 136 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 169, vgl. S. 171.187): »factumque est ut quanto lectio fieret attencior, tanto delectacio sequeretur vehemencior«. 137 BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 179). Vgl. a.a.O. (S. 170): »quia per doctam ignoranciam, que est altissima et secretissima sciencia, cicius et cercius ad Deum acceditur«; »securius itur et verius ac facilius« (S. 171); »non autem quereretur secure aut recte nisi docta ignorancia dirigente« (S. 171); »sic liberius tuciusque scienter indocte in superiora et mistica se transferre« (S. 175). 138 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 177): »Igitur faciem Dei ad cuius visionem et gustum docta provehit ignorancia«; vgl. »experimentaliter [. . .] ad faciem Dei supermentaliter videndum suum cultorem dirigat et introducat« (S. 177). 139 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 180): »Perfecta vero ignorancia [. . .] habetur solum in unione anime supra mentem cum Deo; et hic est docte ignorancie fi nis et fructus.« 140 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 181 f.).

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia

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gesund, für Gesunde einsichtig und als eine Lehre des gesunden Intellekts.141 Die leitmotivische Verwendung dieses Gegensatzpaars (non sanus – sanus) dient nicht nur der Polemik, sondern unterstützt den Wahrheitsanspruch der docta ignorantia. Gesunde und wahre Lehre sind im Defensorium gleichbedeutend. Dennoch hat Bernhard ein exklusives Verständnis: Kognitiv mag die Lehre von der belehrten Unwissenheit durch Lektüre nachvollzogen werden, und die Anlage für das mystische Erleben hat Bernhard zufolge jeder Gläubige. Doch widerfahre solche Erfahrung nur sehr wenigen Menschen.142 Die Disposition zur mystischen Erfahrung und die belehrte Unwissenheit als schneller und sicherer Weg zu Gott sind zwei Aspekte, die Bernhard in seiner Schrift De cognoscendo Deum erneut aufgreift und vertieft.

4.2.8 Der Abschluss der Kontroverse 1459–1460 Auf Bernhards Defensorium reagierte Vinzenz im gleichen Jahr, 1459, mit einer Replicatio, in der er mit Bonaventura an der affektiven DionysiusInterpretation festhielt und Mystik und Kontemplation streng trennte. Sein Vorwurf an Bernhard war folglich die Vermischung von docta ignorantia, Kontemplation und Mystik.143 Bernhard kommentierte die Schrift nur kurz und versöhnlich in einem Brief an Schlitpacher.144 Vinzenz attackierte das Defensorium wohl auch in einer weiteren kleinen Schrift, der Invektive, die Bernhard ebenfalls 1459 zufällig las und zum Anlass nahm, seine Schrift De cognoscendo Deum zu veröffentlichen.145 141 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 172): »intellectui sano sana esse«; vgl. »sanis intellectibus« (S. 173); »qui sano est delectabilis« (S. 173); »cordi sereno et sano« (S. 174), »qui sanius intelligunt« (S. 188) etc. versus »non sanam affectionem habuisse« (S. 174); »quamvis non sane« (S. 176). 142 Vgl. BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 185): »quin et eiusdem cum experimento noticiam qui nunc attingant heu paucissimi habentur«. 143 Vinzenz von Aggsbach, Replicatio contra defensorium laudatorii doctae ignorantiae (ediert bei Pez/Hueber, Codex Diplomatico, Ep. 10, S. 343–346). Der Titel stammt von Pez. 144 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Johannes Schlitpacher (Pez/Hueber, Codex Diplomatico, Ep. 11, S. 346 f.). Vgl. den ebenfalls versöhnlich gehaltenen Brief des Vinzenz an Schlitpacher vom 1. Dezember 1459, in dem Vinzenz um die Zusendung von Bernhards De cognoscendo Deum bittet (Pez/Hueber, Codex Diplomatico, Ep. 14, S. 348). 145 Vgl. Vinzenz von Aggsbach, Scriptum invectivum. Bernhard erwähnt in Prolog und c. 1 von De cognoscendo Deum einen »casus« (Riemann, De cognoscendo Deum, S. 140) und eine »invectiva« als Anlass (vgl. clm 18591, nicht in der Edition bei Riemann nach clm 18600, S. 149), De cognoscendo deum zu schreiben. Vgl. »invectivam ad oppositum ausus est componere, cuius dum copia seu rescriptum casu in mei notitiam devenisset«, clm 18591, f. 8v; clm 4493, f. 181r. Auch aufgrund einer Notiz im MS 458, f. 232v ( John Rylands Univ. Library, Manchester), sieht Riemann, a.a.O., S. 139, hier »ein weiteres Schriftzeugnis des Kartäusers«, das im

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Auf deren Lektüre reagierte Vinzenz im Dezember 1459 mit einer Refutatio.146 Der Schriftwechsel konzentrierte sich auf wenige Streitpunkte: Zum einen wird die Gleichsetzung von docta ignorantia, theologia mystica und contemplatio zwischen Bernhard und Vinzenz diskutiert. Damit verbunden ist die Frage, ob der Aufstieg zur Schau Gottes nur im Affekt oder unter Mithilfe des Intellekts geschieht. Ein Nebenaspekt der Diskussion ist die hermeneutische Frage, ob es der eigenen Erfahrung des mystischen Erlebens bedarf, um wahrheitsgemäß über diese zu schreiben. Das eigene mystische Erleben Im Briefwechsel zwischen Cusanus und Bernhard, aber auch zwischen Vinzenz und Schlitpacher wird immer wieder das eigene mystische Erleben thematisiert. Obwohl die Diskussionspartner in der Kontroverse unabhängig von ihrer eigenen Erfahrung diskutieren wollen, wird diese doch immer wieder angesprochen. So bittet Kaspar Aindorffer um die Meinung des Cusanus zur theologia mystica mit dem Argument, dass sowohl Hugo von Balma als auch Johannes Gerson die unio mystica erfahren haben, aber diese nicht theoretisch zu behandeln vermögen. Kaspar hält damit diejenigen, die mystische Erlebnisse haben, nur begrenzt der Reflexion darüber fähig.147 Bernhard hält sich hinsichtlich eigener mystischer Erfahrung im Briefwechsel der Jahre 1454 bis 1456 bedeckt.148 Er kommt in seinen größeren Schriften darauf zu sprechen. Cusanus betont dagegen, dass er sich nur theoretisch äußere, ohne solche Erfahrung bereits gemacht zu haben.149 Die fehlende eigene Erfahrung verleiht seinen Aussagen einen tentativen Charakter. Im weiteren Briefwechsel werfen sich jedoch Cusanus und Vinzenz gegenseitig das Fehlen eigener mystischer Erfahrung vor, um damit die Aussagen des Kontrahenten in Frage zu stellen.150 Mystische Erfahrung und das Erleben der Vereinigung der Seele mit ehemals Melker Codex, heute MS 458, f. 233r–235v ( John Rylands Univ. Library, Manchester) überliefert sei. Verwirrend ist die Bezeichnung Invektive bei Pez: In der Annotation des Leopold Wydmann bei Pez/Hueber, Codex Diplomatico, S. 342, ist eine Invektive erwähnt als »Vincentij Epistolam invectiuam contra praedictum Tractatum [i.e. De cognoscendo Deum], quae incipit: Viam veritatis cognoscere et amare.« So beginnt aber die bei Pez abgedruckte Refutatio gegen Bernhard von Waging (Pez/Hueber, Codex Diplomatico, Ep. 15, S. 349–353). Von dieser Refutatio zu unterscheiden ist das von Riemann erwähnte Scriptum invectivum. 146 Vgl. Refutatio [gg. Bernhard von Waging] in einem Brief an Johannes Schlitpacher vom 19. Dezember 1459; Incipit: »Viam veritatis cognoscere et amare« (Pez/Hueber, Codex Diplomatico, Ep. 15, S. 349–353). 147 Vgl. Brief von Kaspar Aindorffer an Nikolaus von Kues, vor dem 22. September 1452 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 26, S. 90): »quin et ipsimet in ea mistica theologia experimentaliter edocti dignum quid nesciunt effari«. 148 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, Februar/März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 128): »Fide percipio, sed nequaquam experimento«. 149 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Kaspar Aindorffer, 22. September 1452 (Baum/ Senoner, Briefe 1, Nr. 27, S. 94): »Ego, si quid scripsero aut dixero, incertius erit; nondum enim gustavi, quoniam suavis est dominus.« 150 Vgl. Brief von Nikolaus von Kues an Abt und Mönche von Tegernsee, 14. September 1453 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 28, S. 98): »Modus autem [. . .] non potest nec tradi nec sciri neque ipse eum, ut scribit, expertus est.« Vgl. Brief von Vinzenz von Aggsbach an Jo-

4.2 Der Mystik-Streit um die cusanische docta ignorantia

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Gott wird von den Autoren mit den Begriffen der Erfahrung wie »experientia«, »experimentum« oder adverbial »experimentaliter« beschrieben. Cusanus versteht unter Erfahrung nicht spezifi sch die mystische Erfahrung, sondern »experientia« gewinnt in seinen Briefen und Schriften die Bedeutung des ErfahrbarMachens im Experiment. Sowohl in De visione Dei als auch im Beryll will er die Tegernseer Mönche durch Erfahrung (experimentum) zur mystischen Theologie führen und wählt dafür ein Bildnis bzw. eine Brille als Medium. Bei Vinzenz und Bernhard wird dagegen trotz gegenteiliger Behauptung die eigene mystische Erfahrung zum Wahrheitsbeweis der jeweiligen Aussagen. Dies impliziert zugleich, dass die (eigene) mystische Erfahrung die Perspektive ist, in der die spekulativen Schriften verfasst werden.151 Solche Verbindung zwischen theoretischer Reflexion über die mystische Erfahrung und Anleitung zur Praxis zeigt sich besonders in Bernhards später Schrift De spiritualibus sentimentis.

Der sich über Jahre hinziehende Streitschriften-Wechsel verläuft sich nach kleineren Briefwechseln im Jahr 1460. Hatte Cusanus sich bereits seit der Abfassung von De visione Dei (1454) nicht mehr an der Auseinandersetzung beteiligt, zog sich auch Vinzenz von Aggsbach zurück und bat Schlitpacher, ihm seine Kritik an der cusanischen Apologie und am Complementum Sprengers zurückzusenden.152 Der Wechsel von Schrift und Gegenschrift endete mit einer kurzen Schrift Tegernseer Provenienz. Das Strictilogium, vermutlich um 1460 von Konrad von Geisenfeld geschrieben, fasst die wichtigsten Positionen und Punkte des Mystik-Streits zusammen und bildet den Schlusspunkt der Debatte.153 Das Strictilogium bestätigt eine Erkenntnis im Aufstieg der Seele zu Gott, weist aber zugleich die gegenteilige Ansicht eines rein affektiven Aufstiegs nicht zurück.154 hannes Schlitpacher, 25. Juli 1459 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 74, S. 260): »De hac doctrina doctae ignorantiae ipsa Chusa non experientiam, sed imaginationem suam sequens scripsit.« 151 Vgl. Haas, Schulen spätmittelalterlicher Mystik, S. 186: »Im Grunde zeigt diese Kontroverse zwischen engagierten Kirchenmännern einen Zug, der sich auch in der volkstümlichen aszetischen Literatur immer stärker bemerkbar macht: Weg von der intellektuell geprägten Mystik [. . .] und hin zu einer durch Gefühle und Liebesaufschwünge geprägten, immer stärker psychologisch, auf Seelenereignisse und experimentum (Erfahrung) ausgerichteten Mystik«. 152 Vgl. Brief von Vinzenz von Aggsbach an Johannes Schlitpacher von Melk, 6. Oktober 1460 (Pez, Codex diplomatico, Ep. 17, S. 356). Riemann, De cognoscendo Deum, S. 160, fand zum Abschluss des Streitschriftenwechsels zwischen Vinzenz und Bernhard eine anrührende Notiz, die der Textfassung im Codex MS 458, f. 232v ( John Rylands Univ. Library, Manchester), folgt: »At postquam [Bernhardus et Vincencius] se facietenus nouerunt et viderunt optimi amici facti sunt.« 153 Vgl. zur Verfasserschaft des Strictilogium Wilpert, Bernhard von Waging, S. 273 f., Edition: S. 274–276. Wilpert widerlegt die bis dahin angenommene Verfasserschaft des Cusanus und vermutet Bernhard von Waging als Verfasser. Roßmann, Der Magister Marquard Sprenger, S. 406 f., argumentiert jedoch überzeugend für die Autorschaft Konrads von Geisenfeld. 154 Vgl. »Si cui autem probatio via videtur quod theologia mystica sit actus voluntatis sive

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Diese Schrift wie auch Johannes Kecks Regelkommentar aus den Jahren 1446 bis 1448 zeigen, dass Bernhard um die Mitte des 15. Jahrhunderts nicht der einzige in Tegernsee war, der sich mit Fragen der mystischen Theologie und den Schriften des Pseudo-Dionys auseinandersetzte. Vielmehr kann auch aus dem Briefwechsel zwischen Cusanus und den Tegernseer Brüdern geschlossen werden, dass es ein gemeinschaftliches Interesse an praktischer wie spekulativer Mystik in Tegernsee gab. Mystische Theologie bei Johannes Keck In seinem Regelkommentar widmet Johannes Keck einen der 19 längeren Exkurse Fragen der theologia mystica.155 Es fällt auf, dass Keck hier die Autoritäten zitiert, die später Bernhard in De cognoscendo Deum zitieren wird. Diese Schriften waren daher wohl in der Tegernseer Bibliothek vorhanden, denn ein direkter Einfluss des Regelkommentars auf Bernhards Schriften, besonders De cognoscendo Deum, ist nicht erkennbar.156 Auch inhaltlich vertreten Bernhard und Keck ein unterschiedliches Verständnis von theologia mystica: Zwar kennt Keck ebenfalls eine vorausgehende oder begleitende Erkenntnis in der mystischen Erfahrung. Doch versteht er theologia mystica enger als Cusanus und Bernhard und bezieht sie, wie später Vinzenz, fast nur auf den affektiven Aufschwung der Seele zur Vereinigung mit Gott.157 Schließlich rezipiert Keck Cusanus noch nicht, während für Bernhard die Cusanus-Schriften den Ausgangspunkt seiner Argumentation zur mystischen Theologie bilden.

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum Im Jahr 1459 verfasste Bernhard auch die umfangreiche Schrift De cognoscendo Deum. Die Entstehung der Schrift wurde noch durch den Mystik-Streit, der sich seinem Ende näherte, ausgelöst; der Traktat führt aber inhaltlich bereits über den Streit hinaus und soll daher in einem eigenen Abschnitt betrachtet werden. amor exstaticus, non est pertinaciter repugnandum.« Strictilogium (Wilpert, Bernhard von Waging, S. 276). 155 Vgl. Johannes Keck, Expositio super regulam s. Benedicti, clm 18150 (BSB München), Autograph; darin: Tractatus de mystica theologia, clm 18150, f. 146r–153r. Vgl. zu den mystischen Schriften Kecks Roßmann, Der Tegernseer Benediktiner Johannes Keck, S. 346–352. 156 Eine direkte Abhängigkeit Bernhards von Johannes Keck, wie sie Roßmann, Der Tegernseer Benediktiner Johannes Keck, S. 333, vermutet, kann aus den Schriften Bernhards nicht bestätigt werden. Roßmanns Gesamturteil »Johannes Keck war wohl der bedeutendste unter den Tegernseer Theologen und Predigern, sogar noch vor Bernhard von Waging« (S. 333) kann erst nach weiteren Studien zu Kecks Gesamtwerk verifi ziert oder falsifi ziert werden. Diese Studien sind ebenso wie eine Edition seiner Schriften ein Forschungsdesiderat. 157 Vgl. Johannes Keck, Expositio, c. 12 (clm 18150, f. 151v): »Mystica theologia nostra, quae est amor, ut diximus, rapiens ad Deum amatum et cum illo uniens, ut in illo consequenter quietet, satiet et stabiliat, necesse est.«

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

173

Hat Bernhard im Defensorium die cusanische Schrift De docta ignorantia gegen die Angriffe Vinzenz’ verteidigt, so verteidigte er in De cognoscendo Deum Cusanus erneut. Doch antwortete er nicht direkt auf Vinzenz’ Gegenschrift, die Replicatio, die er in De cognoscendo Deum nicht erwähnt. Vinzenz sollte nach 1460 keine Schriften mehr verfassen, und auch Cusanus, seit 1459 als apostolischer Legat in Rom, nahm vermutlich bereits das Defensorium Bernhards nicht mehr zur Kenntnis. In De cognoscendo Deum klärt Bernhard Fragen der spekulativen Mystik, die bereits Gegenstand der Kontroverse waren. Thema der Schrift ist, dem Titel entsprechend, die Frage nach der Erkenntnis Gottes. Bernhard stellt keine neuen Thesen auf. »Es sind die gleichen Fragen der Cusanus-Kontroverse, nur schärfer und klarer gefaßt.«158 Doch nun macht Bernhard sich daran, systematisch die ihm zugängliche Literatur zu den einzelnen diskutierten Aspekten zusammenzustellen, so dass die Schrift durch lange Zitate geprägt ist. Er stellt zu Beginn sowohl die affektive als auch die intellektualistische Richtung vor, vertreten durch Vinzenz und Cusanus, und entwickelt zwischen diesen beiden Positionen seine eigenen Gedanken zur mystischen Theologie.159 Seine wichtigsten Aussagen in dieser nur teilweise edierten Schrift werden vorgestellt, um daran anschließend Argumentation, Stil und Motivik im Vergleich mit Bernhards anderen Schriften zur Mystik zu betrachten.

4.3.1 Bernhards Argumentation in De cognoscendo Deum Praefatio und Kapitelübersicht zeigen Anlass, Intention und Kernthesen Bernhards. Bernhard verweist darauf, dass sich unlängst ein Anlass geboten habe, das offenzulegen, was er schon lange im Herzen getragen habe.160

158 Redlich, Tegernsee, S. 100. Grabmann, Bayerische Benediktinermystik, S. 200, sieht die Schrift als Erörterung »theoretische[r] Prinzipienfragen der Mystik«. 159 Knappe Hinweise zum Inhalt von De cognoscendo Deum bei Grabmann, Bernhard von Waging, S. 89–91, und Vansteenberghe, Autour, S. 92–95. Riemann, De cognoscendo Deum, S. 140–159, edierte Prolog, Prospectus capitulorum und Kapitel 1–3 nach clm 18600 (BSB München), ergänzt durch clm 4403 (BSB München). Kapitel 9 ist bei Grabmann, Die Erklärung des Bernhard von Waging, S. 129–135, nach clm 18600 (BSB München) ediert. Sowohl die Textfassungen in clm 18600, f. 127r–188v, als auch in clm 18591, f. 2r–79r, sind Korrekturhandschriften Bernhards, wobei Bernhard wohl zuerst die vorläufi ge Reinschrift in clm 18600 korrigieren, diese Korrekturen dann in clm 18591 übertragen ließ und anschließend den Text in clm 18600 nochmals überarbeitete (vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, VerLex 2 1 (1978), Sp. 782). Der Vergleich beider Textfassungen bestätigte Grabmanns Urteil, dass in beiden Codices fast identische Texte vorliegen. Zitiert wird, sofern nicht ausdrücklich anders angegeben, nach clm 18591, der sich durch ein einheitlicheres Schriftbild und insgesamt bessere Lesbarkeit auszeichnet. 160 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, Praefatio (clm 18591, f. 2r–3v).

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Damit bezieht er sich auf die Invektive Vinzenz’ von Aggsbach, die ihm erst zu dieser Zeit bekannt wurde. Bernhard geht es, dem Vorwort zufolge, nicht mehr primär um die Widerlegung einer gegensätzlichen Meinung, sondern zuerst um das Vorstellen des Konzepts der cognitio Dei und der Anleitung dazu.161 Daher betont Bernhard dreimal im Prolog, dass der Leser den Inhalt, nicht den »ungepflegten und schlichten« Stil beachten möge.162 Auch die vorangestellte Übersicht und die Gliederung in Kapitel lassen seine didaktische Absicht erkennen. Methodisch will Bernhard Autoritäten, die er als hilfreich für die Erkenntnis Gottes empfi ndet, zusammenstellen. In 17 Kapiteln entfaltet Bernhard sein Konzept, wobei nicht jedes Kapitel einen Gedankenfortschritt darstellt. Einzelne Kapitel dienen nur dazu, mit Zitaten das bereits thetisch Gesagte zu belegen. 4.3.1.1 Die christologische Prämisse Die Quaestio, die Bernhard im ersten Kapitel formuliert, fragt danach, wie Gott am schnellsten und auf welche Weise er mit intellektualen und affektiven Kräften erreicht werden kann.163 Doch beginnt Bernhard die Schrift nicht mit der Quaestio, sondern im Predigtstil, indem er aus Mt 2,2 als der Lesung für die Oktav 1459, in der er die Arbeit an De cognoscendo Deum begann, seine Gedanken entwickelt. Wie das Matthäusevangelium hier einen Prozess des Suchens und Findens des Kindes in der Krippe beschreibt (Mt 2,2–11), steht das erste Kapitel unter dem Leitmotiv vom Suchen (quaerere) und Finden (invenire).164 Bernhard schließt sich selbst in diesen Prozess mit ein, wenn er von »wir« in der ersten Person Plural schreibt. Mit Autoritätszitaten erläutert er den Weg des Suchens, der über das geläuterte Gewissen und das Zurücklassen aller sinnlich erfahrbaren Dinge in die göttliche Gegenwart und zur Ruhe führt.165 Bernhard beschreibt hier nichts anderes als die drei Stufen des Aufstiegs zu Gott, wobei er die Stufe 161 Vgl. auch BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 4r): »quod est praesentis opusculi praecipua intentio, in quo forma traditur, quo modo vel qualiter in vita praesenti ad deum incognoscibilem et superamabilitem cognitione mystica simul et amore mystico a puris et sanctis mentibus perveniatur.« Die lateinische Schreibung wird der besseren Lesbarkeit wegen interpunktiert und behutsam normalisiert in Angleichung an die von Riemann und Grabmann edierten Kapitel. Insbesondere wird die Schreibweise von c/t und i/y (mistica/ mystica) vereinheitlicht. 162 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, Praefatio (clm 18591, f. 2r): »stilo incompto et rudi«. 163 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 4r): »de modo deum quaerendi et ubi citius possit inveniri necnon quomodo simul per cognitionem et amorem possit facilius attingi«. 164 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 4r–9r). 165 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 4v): »serena et pura conscientia«.

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

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der Reinigung (purgatio) besonders betont und aufl istet, welche Haltung es zu erwerben gilt: »virtuositas vitae, humilitas, pietas, imitatio Christi, amor proximi, oboedientia, patientia, cordis munditia, mandatorum observantia, mortificatio carnis, devotio sensibilis, contemptus mundi, aspernatio sui, desiderium pro Christo mori, pro amore virtutis quaelibet molesta perpeti.«166 In dieser Haltung kann Gott gefunden werden, und ihn, als Ziel der Suche, beschreibt Bernhard hymnisch und übernimmt den Lobpreis Gottes im Schlussteil des Defensorium fast wörtlich, den er wiederum teilweise aus Cusanus’ De docta ignorantia entlehnt hat.167 Bernhard führt exemplarisch den Weg der Gotteserkenntnis von der Suche zum Finden im mystischen Erleben vor. Jesus aber ist Mittler der Gotteserfahrung, und auch ihn beschreibt Bernhard lobpreisend mit Attributen unter Verwendung der johanneischen Ich-bin-Worte.168 Die Jesus-Betrachtung des ersten Kapitels fi ndet im letzten Kapitel eine Entsprechung. Sie bildet die christologische Inclusio des im Folgenden Erörterten. 4.3.1.2 Die Quaestio: Die Rolle des Intellekts Erst unter dieser christologischen Prämisse formuliert Bernhard die Quaestio: »utrum anima disposita et devota sine intellectus cognitione previa vel concomitante solo affectu amoroso Deum attingere potest et in ipsu immediate moveri ac ferri.«169 Die Frage, ob der Aufstieg der Seele zu Gott ohne vorausgehende oder begleitende Erkenntnis allein im liebenden Affekt möglich ist, ist nicht neu, sondern ist seit dem Briefwechsel mit Cusanus eine der immer wieder diskutierten Fragen der Mystik-Kontroverse. Bernhard greift die Quaestio als entscheidenden Streitpunkt zwischen Vinzenz von Aggsbach und Cusanus auf und stellt sowohl die negative Antwort des Cusanus als auch die affirmative des Kartäusers Vinzenz knapp vor. Das erste Kapitel beschließend, zitiert Bernhard den Satz, in dem Vinzenz seine Kritik an Cusanus zusammenfasst: »Ea, quae dicis, o Cusa, quod non movetur affectus nisi per dilectionem, et quidquid diligitur non potest diligi nisi sub ratione boni etc., de communi lege vera sunt. Debuisses autem addidisse postquam quam in practica mysticae theologiae, in qua necesse est omne officium intellectus vacare.«170 Bernhard hat in nuce beide Positionen vorgestellt, die den Rahmen für seine folgenden Überlegungen bilden. 166

BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 7v–8r). Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 6r) mit dem Schluss des Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 187). 168 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 7r–v). 169 BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 8v). 170 BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 8v). 167

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

4.3.1.3 Eine über-intellektuale Erkenntnis Im zweiten Kapitel widerlegt Bernhard Vinzenz’ Kritik und beweist die Notwendigkeit von vorausgehender und begleitender Erkenntnis im mystischen Aufstieg mit Cusanus, Pseudo-Dionys und anderen Autoren.171 Dabei nennt Bernhard eine dritte Form der Erkenntnis, die über den Intellekt hinausgeht und die die ekstatische Erfahrung und Entrückung begleitet.172 Mit dieser über-intellektualen Erkenntnis (cognitio superintellectualis) verteidigt Bernhard gegen Vinzenz ein intellektuales Moment in der mystischen Erfahrung.173 Inhaltlich beschreibt er mit dieser dritten Form der Erkenntnis, was er in den vorausgehenden Schriften mit dem Begriff der docta ignorantia ausdrückte, den er in dieser Schrift nicht mehr verwendet. Die über-intellektuale Erkenntnis in der mystischen Dunkelheit erläutert Bernhard im dritten Kapitel näher, indem er den von Pseudo-Dionys entlehnten Begriff mit den Kommentaren von Thomas Gallus und Robert Grosseteste, aber auch mit Zitaten von Bonaventura und Rudolf von Biberach entfaltet und beweist.174 Die göttliche Dunkelheit (caligo), in die der Mensch eintritt, ist für Bernhard die theologia mystica, die er auch als Schmecken und Sehen Gottes (vgl. Ps. 39,9) beschreibt.175 In der göttlichen Dunkelheit wird die Vereinigung mit Gott in der über-intellektualen Erkenntnis erfahren. Theologia mystica und sapientia identifiziert Bernhard im vierten Kapitel und kann mit dieser Gleichsetzung nun auf die Aussagen der Theologen zur Sapientia zurückgreifen als Beleg für seine Ausführungen. Gegenüber den Autoritätszitaten tritt Bernhards Anteil am Text daher im Folgenden ganz zurück. Seine Argumentation ist nur in der Auswahl der Autoren und der Zitate sowie in überleitenden und zusammenfassenden Sätzen erkennbar. Bernhard behält diesen kompilatorischen Stil, wie im Prolog angekündigt, in den folgenden Kapiteln bei. Durch die Identifizierung von mystischer Theologie, Weisheit und über-intellektualem Verstehen harmo-

171 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 2 (clm 18591, f. 9r–12r), ebd. (f. 10r–v): »ut aliqua cognitionum intellectualium, qualiscumque sit, ista ipsum affectum aut praeveniat aut comitetur, et sine quibus ipse affectus in deum amatum ut sic minime fertur aut movetur«. 172 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 2 (clm 18591, f. 10v): »Est alia intellectus cognitio superintellectualis, quae coincidit cum cognitione affectus experimentalis.« 173 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 4 (clm 18591, f. 15r–18r), ebd. (f. 16r): »Ex praedictis patere potest quod cognitio superintellectualis non fit per intellectualem cognitionem, sed per ardentissimam, immo per superfervidam dilectionis notitiam experimentalem.« 174 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 3 (clm 18591, f. 12r–15r). 175 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 4 (clm 18591, f. 16v): »Gustate [. . .] et videte quam suavis est deus. Et haec in re non est aliud quam ipsa praxis mysticae theologiae«; vgl. (f. 16v): »caligo divina quae est mystica theologia«.

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

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nisiert er dabei die unterschiedlich akzentuierten Aussagen der Autoritäten. 4.3.1.4 Die Bestimmung der mystischen Theologie Im fünften Kapitel bestimmt Bernhard das Wesen der theologia mystica als »non solum [. . .] dulciter amativa, sed et supermentaliter contemplativa«.176 Damit betont er erneut das Moment der Erkenntnis in der mystischen Theologie. Diese verbindet affektive und intellektuale Kräfte, und Bernhard beschreibt die Kontemplation mit Zitaten als einen Akt der Vernunft, der aber auch die Liebe zu Gott miteinschließe. Gegen den Vorwurf des Vinzenz im Impugnatorium, dass seine Kontrahenten mystische Theologie und Kontemplation verwechselten, beweist Bernhard die Gleichsetzung von theologia mystica und theologia contemplativa.177 Die Bestimmung der mystischen Theologie führt Bernhard im sechsten Kapitel zur Beschreibung des mystischen Aufstiegs.178 Das mystische Erleben selbst defi niert er mit Pseudo-Dionys und der Tradition als »notitia dei experimentalis«.179 Der Aufstieg zu Gott erfolge durch das Zurücklassen von allen äußeren und mit Sinnen und Verstand erfassbaren Dingen und wird als Eintreten in die göttliche Dunkelheit erfahren. In die göttliche Dunkelheit führe nicht allein der Affekt, die Liebe zu Gott, sondern der Aufstieg wird begleitet von den intellektualen Kräften des Menschen, womit Bernhard wieder zu seiner Kernthese zurückkehrt. Bernhard wird nicht müde, die These der vorausgehenden und begleitenden Erkennntis noch einmal und in fast wörtlicher Übernahme seiner bisherigen Aussagen in De cognoscendo Deum wie im Defensorium zu erläutern. »Hinc patet luceclarius, quod consurgere ignote per mysticam theologiam et eius practicam videtur proprie et principaliter esse officium seu intellectus magis quam ipsius affectus exercitium«.180 Verworfen wird wiederum die Position des Vinzenz, die Bernhard als eine Lehre vom Aufstieg ohne Erkenntnis und als gefährlich und irreführend charakterisiert.181 176

BvW, De cognoscendo Deum, c. 5 (clm 18591, f. 18v–21r, hier f. 18v). Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 5 (clm 18591, f. 21r): »Ex hiis itaque habetur manifeste, quod ipsa mystica theologia etiam contemplatio seu contemplativa existit, quia experiendo supermentaliter cognoscit«. 178 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 6 (clm 18591, f. 21r–23v). 179 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 6 (clm 18591, f. 21r): »ad praxim mysticae theologiae necnon ad dei experimentalem notitiam, hoc est contemplationem misticam et supermentaliter perceptivam«; vgl. a.a.O., c. 4 (f. 16r–v): »notitia experimentalis« und »cognitio experimentalis«. 180 BvW, De cognoscendo Deum, c. 6 (clm 18591, f. 21v). Vgl. »anima devota per solum affectum amorosum in practica mysticae theologiae sine intellectus vel prius vel comite in deum moveri aut fieri non potest.«. 181 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 6 (clm 18591, f. 22v–23r): »[via] periculosa et ideo non est imitanda, sed potius refutanda, immo est via sine via« (f. 22v); »solo affectu vago 177

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Mit dem Angriff auf Vinzenz wendet Bernhard sich der Rede von Gott in Affi rmationen und Negationen zu, die Vinzenz, so Bernhard, einfach ignoriere.182 Mit Zitaten von Pseudo-Dionys und dessen Kommentatoren erläutert er die Rede von Gott in Negationen als eine Hinführung in die mystische Dunkelheit und die Vereinigung mit Gott.183 Unter dieser Perspektive greift er wiederum das Verhältnis von Affekt und Intellekt im mystischen Aufstieg auf.184 Er beendet das Kapitel mit einer praktischen Demonstration, wie die Rede von Gott in Negationen aussehen kann: »Deus non est lapis, deus non est lignum, deus non est planta, deus non est arbor, deus non est flos, deus non est lilium, deus non est leo« etc.185 Nach den theoretischen Erörterungen in den ersten Kapiteln rücken nun Praxis und Anleitung zur mystischen Erfahrung ins Zentrum. So schildert Bernhard im achten Kapitel das mystische Erleben als Ekstase, als göttliche Dunkelheit und als Zusammenfallen von affektiven und intellektualen Kräften in der Vereinigung mit Gott und belegt dies mit Zitaten aus Bonaventuras Collationes.186 Auch im neunten Kapitel bleibt Bonaventura entscheidende Autorität für Bernhard.187 Mit langen Zitaten aus dem Schlusskapitel der Schrift Itinerarium mentis in Deum, ergänzt um eigene Anmerkungen, skizziert Bernhard das mystische Erleben, das auf den sechsstufigen Aufstieg der Seele folgt. Er beweist die Übereinstimmung von Bonaventura und Thomas Gallus hinsichtlich der Rolle von Affekt und Intellekt in der unio mystica.188 Spricht Bernhard am Ende des neunten Kapitels Pseudo-Dionys, den Kommentaet caeco sine omni cognitione consurgere velle« (f. 23r); »quod dilectio seu amorosa affectio errat sine scientiae seu sapientiae eruditione« (f. 23r). 182 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 7 (clm 18591, f. 23v–27v). 183 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 7 (clm 18591, f. 24r–v): »et sic tandem post omnium abnegationem pervenitur ad caliginem ignorantiae, ubi omnia actualiter ignorantur et mens deo per extaticum amorem unitur, et hic est fi nis mysticae theologiae.« 184 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 7 (clm 18591, f. 25v): »quod non potest per amativas, vagas, caecas et incertas affectiones, sed etiam per cognitivas veras et certas intellectiones, negationes et affi rmationes ad caliginem mysticae theologiae pervenitur«. 185 BvW, De cognoscendo Deum, c. 7 (clm 18591, f. 26v). 186 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 8 (clm 18591, f. 27v–32v): »Bonaventura [. . .] in suis collationibus de mystica visione mysticae sapientiae tractando collatione secunda. . .« (f. 28r–v). 187 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 9 (clm 18591, f. 32v–37r). Bernhard hat sich die Collationes des Bonaventura vermutlich über Marquard Sprenger aus der Franziskanerbibliothek in München beschafft und eine Abschrift fertigen lassen. Grabmann, Bernhard von Waging, S. 90, identifi ziert clm 19653 als diese Abschrift. Vgl. Zur Bonaventura-Rezeption im 8. und 9. Kapitel Grabmann, Bernhard von Waging, S. 89 f.; Ders., Die Erklärung des Bernhard von Waging, S. 125–129. 188 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 9 (clm 18591, f. 36v): »et hoc est verum, quia intellectus simplex tunc cadit et intellectualiter nihil intelligit, sed una cum affectu sursum actus et supra se in deum translatus superintellectualiter cum ipso affectu videndo et amando in deo dulciter conquiescit.«

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

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toren Thomas Gallus und Robert Grosseteste sowie Bonaventura sein Vertrauen aus, ergänzt er im zehnten Kapitel Richard von St. Victor als Autorität. Richards Lehre zur Mystik fasst Bernhard knapp zusammen und beweist, dass Richard und Pseudo-Dionys hinsichtlich der negativen Rede von Gott und der über-intellektualen Kenntnis übereinstimmen.189 Im elften Kapitel kehrt Bernhard zur Rede in Affirmation und Negation zurück und zitiert für beide Formen des Redens von Gott Robert Grosseteste als Zeugen.190 Neben der erneuten Wiederholung der Kernthese kommt er zu dem Schluss, dass sowohl affi rmative als auch negative Rede in die mystische Dunkelheit hineinführen können. Diese beschreibt er als Zusammenfallen der Gegensätze und greift damit erstmals wieder einen cusanischen Gedanken auf. Durch die Dunkelheit aber führt der Weg zur Schau Gottes im Licht.191 Immer wieder ringt Bernhard damit, das mystische Erleben in eigenen Worten und Zitaten sprachlich zu erfassen, und wie bereits im Defensorium führt ihn das Versagen der Sprache in den Modus der Anbetung. Mit einer hymnischen Beschreibung der göttlichen Weisheit und ihres Wirkens beendet Bernhard diesen Abschnitt.192 4.3.1.5 Zeugen der mystischen Erfahrung Im zwölften Kapitel listet Bernhard die Zeugen namentlich auf, die mystische Erfahrung hatten. Deren mystisches Erleben, wie z. B. das des Apostels Paulus, ist für Bernhard der Beweis seiner Kernthese, dass es beim mystischen Aufstieg einer gewissen intellektualen Beteiligung bedarf.193 Den Beweis mit Autoritäten führt Bernhard im 13. Kapitel fort und zeigt hier, dass in der mystischen Ekstase Affekt und Intellekt zusammenfallen in einer unwissenden Kenntnis, die er mit Pseudo-Dionys als »notitia per ignorantiam« beschreibt.194 Das Zusammenfallen von Intellekt und Affekt in der unio mystica stellt er am Beispiel Benedikts von Nursia dar, dessen Ent189

Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 10 (clm 18591, f. 37v–42r). Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 11 (clm 18591, f. 42r–45v). 191 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 11 (clm 18591, f. 44v–45r). 192 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 11 (clm 18591, f. 45r–v), »divina sapientia est [. . .] sine principio et sine fi ne, est quoque principium sine principio et fi nis sine fi ne, est sine principio et sine fi ne, est principium sine fi ne et fi nis sine principio, et est ita principium quod fi nis et ita fi nis quod principium et est neque principium neque fi nis, sed supra« etc. Vgl. dazu BvW, Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 188). 193 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 12 (clm 18591, f. 45v–49v), vgl. c. 12 (f. 46v): »Nam qui deus per intellectum comprehensibiliter comprehendere et per affectum gustabiliter gustare quaerit, ille sine intellectu et sine gustu totaliter inanis et vacuus remanebit.« 194 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 13 (clm 18591, f. 49v–52v), vgl. c. 13 (f. 51r): »Ex istis itaque [. . .] clare elicitur, quod affectus et intellectus in mysticae theologiae suprema practica deo coniuncti simul mystice gustant et vident [. . .] et vocatur huiusmodi cognitio secundum Dionysium notitia per ignorantiam habita«. 190

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

rückung und Ekstase er mit Cusanus interpretiert.195 Bernhard möchte dem Leser in den Kapiteln 14 und 15 den Weg zur eigenen mystischen Erfahrung weisen. Er beschreibt diese noch einmal in eigenen Worten, skizziert die Erfahrung der Vereinigung mit Gott als Ziel des Aufstiegs und listet wie in Kapitel 12 Personen auf, die solche Erfahrung bereits gemacht haben.196 Im Gebetsruf an Jesus als den Mittler (mediator) nimmt er den Leser mit in die Meditation über den Gekreuzigten, was er stilistisch und inhaltlich im 15. Kapitel fortsetzt.197 Daher führt Bernhard ausführlich in die Betrachtung der menschlichen Natur Christi ein, die dem Meditierenden das Geheimnis der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur Christi sowie der göttlichen Trinität erschließen und zur mystischen Erfahrung führen soll. 4.3.1.6 Nachtrag zur Rede von Gott nach Pseudo-Dionys Die beiden letzten Kapitel versteht Bernhard selbst als Epilog, in dem er nachtragen möchte, was zuvor noch nicht ausführlich genug behandelt wurde.198 Er kehrt in diesen Kapiteln zurück zur pseudo-dionysischen Rede von Gott in Affi rmationen und Negationen. Hatte Bernhard in Kapitel 7 die negative Redeweise betont, rät er nun dem Leser, mit dem positiv-affi rmativen Lobpreis Gottes zu beginnen und so ein Verständnis von Gott zu entwickeln.199 Solchen Lobpreis demonstriert Bernhard abschließend, indem er Gott als den, der alles in allem ist, mit Zitaten vor Augen stellt.200 Im letzten Kapitel erläutert er in einem Exkurs die Disposition mancher Menschen zur mystischen Ekstase und den Nutzen der Schriftmeditation. Er beendet die Schrift mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen des Pseudo-Dionys in De mystica theologia. Dessen Lehre befiehlt Bernhard dem »sehr geliebten Bruder« an. Nahm Bernhard zu Beginn des ersten Kapitels ein Zitat des Vinzenz zum Ausgangspunkt seiner Argumentation, wendet er sich abschließend an den Kartäuser und zeigt damit, wen er als ersten Leser von De cognoscendo Deum vor Augen hat. Wie er die Abhandlung im Predigtstil begann, beschließt er sie mit einem christlichen Schlussvotum: »Ora pro me, ut et ego quandoque, quod avide 195

Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 14 (clm 18591, f. 52v–56v). Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 14 (clm 18591, f. 54r). 197 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 14 (clm 18591, f. 55r–v): »Esto tu ergo, Jesu Crucifi xe, mea contemplatio mystica et speculativa, qui es totius theologiae complementum et summa, quae es via veritas et vita, in quo solo est salus, gaudium et beatitudo eterna« etc. Zur Mittlerschaft Christi vgl. c. 15 (clm 18591, f. 56v–62r): »vehiculum« (f. 56v), »mediator« (f. 57r). 198 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 16 (clm 18591, f. 62r–70v), c. 17 (f. 70v–79r). 199 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 16 (clm 18591, f. 62r–65v), vgl. c. 16 (f. 64r): »principior modus investigandi deum sit per omnium abnegationem, quia tamen non omnino nihil est deus, oportet primo laudare ipsum per omnium in eo positionem ut per hoc formetur in nobis conceptus quidam positivus«. 200 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 16 (clm 18591, f. 66r). 196

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

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quaero, una tecum feliciter attingam. [. . .] Ihesu Christo domino nostro [. . .], qui vivit et regnat cum patre et spirito sancto, deus unus benedictus in saecula saeculorum. Amen.« 201

4.3.2 Die Verteidigung von Pseudo-Dionys und Cusanus in De cognoscendo Deum In vielen Wiederholungen nimmt Bernhard in dieser Schrift die Kernthese von der bereits im Laudatorium und Defensorium postulierten Mitwirkung des Intellekts am mystischen Aufstieg der Seele auf und verteidigt sie erneut gegenüber Vinzenz. Inhaltlich bietet De cognoscendo keine neuen Aussagen. Bernhard hält hier an seinem ›Kompromissvorschlag‹, den er Cusanus brieflich gemacht hat,202 fest, wenn er von einer aktualen Unwissenheit (ignorantia actualis) in der mystischen Dunkelheit spricht, wo Cusanus von der belehrten Unwissenheit (docta ignorantia) sprach. Den Begriff der docta ignorantia nimmt Bernhard nicht mehr auf; er spricht von theologia mystica und sapientia. Bernhard harmonisiert durch diese begriffl iche Indifferenz die Aussagen von Pseudo-Dionys, seinen Kommentatoren sowie der Kirchenväter und der monastischen Autoren des Mittelalters zur Mystik, und Vinzenz wirft Bernhard in der Replicatio nicht ganz zu Unrecht das Fehlen begriffl icher Distinktion vor. Trotz der apologetischen Intention der Schrift interessiert Bernhard weniger die sachgemäße Beantwortung der Quaestio. Sein Interesse, das in der zweiten Hälfte von De cognoscendo Deum immer deutlicher wird, richtet sich auf den praktischen Vollzug des mystischen Aufstiegs und die Erfahrung der unio mystica. Die theoretischen Erörterungen in der ersten Hälfte der Schrift dienen ihm dazu, über die Praxis mehr zu wissen und zu vermitteln. Mit der praktischen Zielsetzung korreliert die Aufnahme von Gebeten und Lobpreiselementen in die Schrift; denn die theoretische Erörterung von Fragen mystischer Theologie führt Bernhard zur Anbetung. Diesen Übergang von der Lehre über die theologia mystica zum Gebet vollzog Bernhard bereits im Defensorium sprachlich. Doch fällt er in der umfangreicheren Schrift De cognoscendo Deum noch stärker auf. Bernhard setzt damit zwei Akzente: Einerseits verteidigt er die cusanische Lehre von der mystischen Theologie gegen Vinzenz. Andererseits soll die Schrift zur Praxis der theologia mystica anleiten und diese vor Augen führen. Für Bernhard gehören beide Momente zusammen; doch wirkt die Schrift für den Leser durch den stilistischen Wechsel und die nur lose Verbindung der einzelnen Abschnitte auf den ersten Blick disparat. 201

BvW, De cognoscendo Deum, c. 17 (clm 18591, f. 79r). Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, zwischen 12. Februar und 18. März 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 126–135). 202

182

4 Die Kontroverse um die theologia mystica

4.3.3 Zu Sprache und Stil in De cognoscendo Deum Bernhard beendet die Schrift mit einer letzten Anrede an seinen Kontrahenten Vinzenz und mit einem Schlussvotum. Beides ist charakteristisch für Bernhard, der De cognoscendo Deum wie eine Predigt beginnt und beendet. In den 17 Kapiteln dazwischen wendet er sich sowohl an den Leser als auch an Vinzenz und schließlich in Gebet und Ausrufen an Gott und Jesus Christus.203 Dadurch zeigt Bernhard sprachlich, was er inhaltlich behandelt: Wie die mystische Theologie zur Gotteserfahrung und -erkenntnis führt, kann auch die Rede über diese Erfahrung nur zu Gebet und hymnischem Lobpreis führen. In der Absicht, den Leser von seinem Verständnis der theologia mystica zu überzeugen, wendet sich Bernhard zugleich immer wieder direkt an diesen und bezieht ihn auch sprachlich durch Kohortative ein.204 Beschränkt sich sein eigener Textanteil durch das von ihm gewählte Prinzip der Kompilation in den meisten Kapiteln auf einzelne Absätze und zusammenfassende Bemerkungen, so fallen die Kapitel 14 und 15 auf, die Bernhard fast durchweg selbst formuliert: Die Kapitel bieten inhaltlich keine neuen Gedanken; Bernhard fasst die Aussagen der von ihm zitierten Autoritäten zusammen in einfachen und redundanten Formulierungen. Die Wiederholungen aber sind für ihn ein didaktisches Mittel, um dem Leser die entscheidenen Aussagen einzuschärfen. Daher kann Bernhard auch Passagen aus dem Defensorium zitieren.205 Seltener allerdings als im Defensorium verwendet Bernhard anschauliche Beispiele, die er den zitierten Werken entlehnt oder selbst ergänzt.206 Die didaktische Intention zeigt sich auch in der bewussten Gliederung, der vorangestellten Kapitelübersicht und zusammenfassenden Sätzen zwischen den Zitaten. Schließlich sind auch die kurzen Demonstrationen positiver und negativer Theologie Zeichen seiner Absicht der Belehrung und Anleitung des Lesers.207 203 Vgl. zum Ausruf des Staunens: BvW, De cognoscendo Deum, c. 15 (clm 18591, f. 58r); c. 17 (f. 75r). 204 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (clm 18591, f. 4r): »quaerentes autem nequaquam deficiamus«, »quaeramus« etc. Vgl. die imperativische Rede Bernhards, c. 9 (f. 34r): »intellige«, »attende«. 205 Den Eintritt Moses in die Dunkelheit beschreibt Richard von St. Victor, De archa mystica. Bernhard hatte diese Passage bereits im Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 183) zitiert und nimmt sie erneut in De cognoscendo Deum, c. 10 (clm 18591, f. 38v-39r), auf. Vgl. ebenso das Motiv des Schlafs: Defensorium (Vansteenberghe, Autour, S. 183) und De cognoscendo Deum, c. 10 (f. 39v). 206 Vgl. das Beispiel von Wasser und Vase nach Robert Grosseteste, BvW, De cognoscendo Deum, c. 16 (f. 66r–v; f. 68v). Bernhard selbst ergänzt das Bild, dass der Kopf wichtiger ist als der Arm, vgl. c. 16 (f. 69r). 207 Zur Illustration negativer Rede vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 7 (clm 18591, f. 26v); c. 17 (f. 78r-v).

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

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4.3.4 Bernhards Kompilation von Autoritätszitaten Gemäß seiner Erklärung im Prolog trägt Bernhard Aussagen von Autoritäten zur theologia mystica zusammen, darunter Zitate von Pseudo-Dionys, Robert Grosseteste und Thomas Gallus.208 Bernhards Anliegen ist es zu zeigen, dass die Aussagen dieser drei Autoritäten und die cusanische DionysiusInterpretation übereinstimmen. Dafür interpretiert er deren Aussagen nicht nur nach dem Litteralsinn, sondern auch nach der Intention.209 Die Schriften von Cusanus und Vinzenz erwähnt Bernhard kaum noch. Stattdessen nimmt er breit die Aussagen zur sapientia von Bonaventura sowie Hugo und Richard von St. Victor auf.210 Mehrfach zitiert er aus Schriften von Augustinus, Gregor dem Großen und Bernhard von Clairvaux. 211 Diese Autoren nennt er in einer kurzen Liste seiner Zeugen im zwölften Kapitel.212 Er hatte sie und ihre Schriften bereits im Defensorium zitiert. In einzelnen Zitaten oder als Verweis nennt Bernhard auch Thomas von Aquin, Origenes, Johannes Chrysostomos, den Kartäuser Heinricus de Hollandia, Haymo von Halberstadt und Jordanus.213 Meist nennt Bernhard bei direkten 208 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, zu Robert Grosseteste (Linconiensis), Super mystica theologia, c. 2 (f. 9r), c. 11 (f. 42r); Sermo ad pastorem, c. 2 (f. 11r), c. 5 (f. 20r); Thomas Gallus, Expositio super mystica theologia, c. 2 (f. 10v.12r), c. 3 (f. 13v.14r), c. 4 (f. 15r); Super cantica canticorum, c. 3 (f. 13r), c. 4 (f. 15v), c. 5 (f. 19r–v.20v), c. 10 (f. 41v), c. 12 (f. 47v), c. 13 (f. 50v); Expositio super de divinis nominibus, c. 7 (f. 23v). Die Dionysius-Kommentare von Thomas Gallus und Robert Grosseteste wurden Bernhard vermutlich 1453 durch Cusanus zugänglich gemacht. Im Brief vom 14. September 1453 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 28, S. 99–103) erwähnt Cusanus, dass er die beiden Kommentare demnächst nach Tegernsee senden werde. Mit dem Brief vom 12. Februar 1454 an Kaspar Aindorffer (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 32, S. 110–113) sandte er die Dionysius-Übersetzung des Ambrogio Traversari nach Tegernsee (Liber de mystica theologia, De divinis nominibus, De coelesti et ecclesiastica hierarchia). Auch eine Abschrift der Collationes des Bonaventura sandte Cusanus nach Tegernsee (vgl. Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 38, S. 126– 135). 209 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 10 (f. 39v): »nihil expresse dixerit [. . .] intendit«. 210 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum: Bonaventura, Collationes in Hexaemeron, in c. 2 (f. 12r) und c. 9 (f. 36v); Sententiae, c. 13 (f. 51v); De gradibus contemplationis, c. 2 (f. 11r), c. 9 (f. 36v). Vgl. Hugo von St. Victor, Super coelesti hierarchia, c. 4 (f. 16r); Super ecclesiasticis, c. 2 (f. 11r), c. 13 (f. 50r); Expositio seu tractatus super Magnificat, c. 2 (f. 11r) u. a. Vgl. Richard von St. Victor, De archa mystica [De gratia contemplationis], c. 1 (f. 4v), c. 5 (f. 19v.20r), c. 10 (f. 37v.40r–v), c. 12 (f. 47v); De mystico somno Nabuchadonosor [De eruditione hominis interioris], c. 1 (f. 4v), c. 10 (f. 39v); De exterminatione mali, c. 10 (f. 40r). 211 Vgl. Augustinus, Sermones de scripturis, c. 1 (f. 6r); De moribus ecclesiae, c. 2 (f. 11r); De sancta trinitate, c. 16 (f. 67r–v) u. a.; Gregor der Große, Homilien, c. 2 (f. 10r); Dialoge, c. 3 (f. 12v) u. a.; Bernhard von Clairvaux, Sermones in cantica, c. 1 (f. 6v), c. 9 (f. 35r); Epistula ad Carthusienses, c. 1 (f. 6v); Liber de amore Dei [De deum diligendo], c. 17 (f. 73v); vgl. ohne Nennung der Schrift c. 4 (f. 18r), c. 5 (f. 19v), c. 6 (f. 23r), c. 15 (f. 62r). 212 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 12 (clm 18591, f. 46v). 213 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, c. 2 (f. 11r), c. 7 (f. 27r); Origenes, De spiritu et anima, c. 5 (f. 20v), vgl. c. 3 (f. 14r); Chrysostomos, c. 1 (f. 4v); Heinricus de Hol-

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Zitaten neben dem Autornamen auch die Schrift und oft das Kapitel, auf das er sich bezieht. Er kann aber auch nur darauf verweisen, dass in dieser Frage die erwähnten Autoren übereinstimmen. Biblische Zitate fi nden sich nur wenige.214 Fast alle zitierten Schriften sind im Tegernseer Bibliothekskatalog (1483) nachweisbar und lagen vermutlich bereits Bernhard vor, als er 1459 die Schrift verfasste.215 In der Kompilation beweist Bernhard sowohl große literarische Kenntnis als auch den Fleiß, diese Schriftstellen zusammenzustellen. Die Argumentation nach Autoritäten, in den Schriften zur Seelsorge typisch für Bernhard, ist auch ein zentrales Moment der Argumentation in De cognoscendo Deum. Nur im zwölften Kapitel erwähnt er, dass er auch mit Vernunftgründen argumentieren wolle, doch fällt der Vernunft- gegenüber dem Autoritätsbeweis schmal aus. Als Autoritäten gelten für Bernhard auch hier alle, die bereits mystische Erfahrungen gemacht haben: »Nam de quibusdam sanctissimis et doctissimis viris puta Augustino, Ieronimo, Gregorio, Bernardo, Origine, Hugone magno, Richardo etc., qui de mystica theologia literaliter nihil aut modicum tradiderunt, eius tamen praxi expertes minime fuerunt.«216

4.3.5 Die Rolle der Erfahrung Bernhard ist es ein Anliegen, in De cognoscendo Deum zur mystischen Erfahrung anzuleiten. Daher spielen die Begriffe »praxis« und »experimentum« eine wichtige Rolle: Als »praxis theologiae mysticae« bezeichnet er den Vollzug, das unmittelbare Erleben von Entrückung und Vereinigung mit Gott.217 Dies ist für Bernhard das Ziel des Aufstiegs in Stufen, und so sind z. B. die Kapitel 8 und 9 deren Beschreibung gewidmet. Zeuge und Autorität ist hier Bonaventura, den er als in der Mystik erfahren, als »practicus« charakterisiert.218 Ebenso gelten ihm alle Personen als Autoritäten, die bereits Erfahrung (experientia, experimentum) mit der mystischen Schau Gottes haben. Ihre Erfahrungen machen diese Autoren für Bernhard zu landia, Sermo de beatae Mariae purificatione, c. 12 (f. 49v), vgl. c. 2 (f. 11r); Haymo von Halberstadt, Apokalypse, c. 2 (f. 10r); Jordanus [von Quedlinburg], c. 12 (f. 47r–v). Ohne Namensnennung zitiert Bernhard auch die Libri septem itinerum aeternitatis, c. 3 (f. 13v), die er wie Vinzenz noch nicht der Autorschaft Rudolfs von Biberach zuschreibt. 214 Bernhard erwähnt die Gotteserfahrung von Elia (c. 17), Jesaja (c. 16), Hosea (c. 17) und Paulus (c. 16 und 17). 215 Vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 751–849. 216 BvW, De cognoscendo Deum, c. 12 (clm 18591, f. 45v). 217 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 4 (clm 18591, f. 16v), c. 8 (f. 27v–28r) u. a. 218 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 8 (clm 18591, f. 28r): »practicus magnus«, vgl. c. 9 (f. 32v): »practicus quidam«.

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

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Garanten wahrer Aussagen über die theologia mystica.219 So ist die Entrückung und Verzückung Benedikts, wie sie bei Gregor dem Großen überliefert ist, für Bernhard ein Beispiel der Wahrheit (exemplum veritatis).220 Zeugen für die mystische Vereinigung mit Gott sind für ihn neben Paulus und Benedikt auch die Märtyrer Stephanus, Laurentius u. a.221 Bernhard vertritt damit auch in De cognoscendo Deum das hermeneutische Prinzip, das in den Seelsorge-Schriften bereits begegnet ist. Die eigene Erfahrung erlaubt das Urteil über die Sache und gibt der Lehre dieser Personen größeres Gewicht und anerkannten Wahrheitsanspruch. Kritisierte Kaspar Aindorffer im Briefwechsel mit Cusanus Hugo von Balma und Johannes Gerson, die selbst mystische Erlebnisse hatten, als Autoren zur mystischen Theologie, zieht Bernhard gerade die Personen mit mystischen Erfahrungen als Zeugen heran. So preist er die glücklich, die solche Erfahrung bereits gemacht und das rechte Verständnis davon haben.222 Liegt ein Schwerpunkt seiner Ausführungen auf dem Beweis des Erkenntnismoments in der mystischen Ekstase, das er auch als über-intellektuale Erkenntnis formuliert, setzt er einen zweiten Schwerpunkt in der Beschreibung dieser Gotteserfahrung.223

4.3.6 Eine Disposition für mystische Erfahrung Bernhard entwickelt eine Typologie derer, die für mystisches Erleben in besonderer Weise disponiert sind. Denn er vertritt die Ansicht, dass einige Menschen nicht allein durch ihre Bemühungen (studium) und durch Kontemplation, sondern aufgrund einer natürlichen seelischen und körperlichen Disposition fähiger sind zur mystischen Ekstase als andere. Solche Personen beschreibt er als von Natur aus weich (dulcis, mollis).224 Sie werden von der 219 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 9 (clm 18591, f. 33r): »qui id etiam experimento noverunt«; vgl. c. 12 (f. 46r): »De [. . .] experientiis sanctorum«, »praxi expertes minime fuerunt«; c. 12 (f. 49v) über Heinricus de Hollandia: »spiritualium ac mysticorum non inexpertus«; c. 17 (f. 73v) über Bernhard von Clairvaux: »expertus«. 220 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 14 (clm 18591, f. 53r–v). 221 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 14 (clm 18591, f. 54r). 222 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 9 (clm 18591, f. 37r): »Felix qui ea [. . .] experitur in se [. . .] felicior autem, cui fuerit utrumque donatum cum experientia videlicet intelligentia sana.« – Bernhard lässt allerdings in seinen Schriften offen, ob er selbst mystische Erlebnisse hatte. Damit relativiert er, bewusst oder unbewusst, seine Berufung auf die Erfahrung, d. h. er unterläuft die hermeneutische Voraussetzung eigener Erfahrung. 223 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 4 (f. 17v): »Sic itaque in ista divina caligine, ubi deus se unit amorose animae et ipsa anima per amoris complexum suavissimum in se gustando experitur divinam dulcedinem«; vgl. c. 12 (f. 49r): »ubi saporose gustatur simul et amorose cognoscitur quam suavis est deus, [. . .] quod excellentius fit non alibi quam in ipsius mysticae theologiae experimento et praxi.« 224 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 17 (f. 73r): »sed etiam ex naturali quadam dispositione tam animae quam corporis, quorum enim complexio tenera et habens dulce sive

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

Liebe zu Gott leichter bezwungen. Durch Fasten und andere dazu geeignete Arbeiten werden, so Bernhard, deren Lebens- und Seelenkräfte so »gelähmt« (debilitare), dass sie um so leichter in mystische Ekstase geraten. Starken (fortis) Personen ist diese mystische Erfahrung nicht leicht zugänglich, allenfalls wenn sie sich an ihre Sünden erinnern. Die seelische und köperliche Schwachheit wird von Bernhard als Disposition für mystisches Erleben ausdrücklich positiv qualifiziert. Darin zeigen sich Parallelen zu seinen Aussagen im Defensorium speculi pastorum. Kritisierte Johann von Eych, dass sich die Mönche nicht wie Männer dem aktiven Leben stellten, so nahm Bernhard dort den Gedanken auf und bestätigte, dass Mönche in der Tat wie Frauen weich und zerbrechlich seien und im Haus wirkten.225 In diesem Kontext wird deutlich, dass Bernhard die für das mystische Erleben disponierten Menschen im kontemplativen Leben im Kloster sieht. Bernhard führt diese Gedanken hier nur knapp aus, aber er stellt einen Zusammenhang zwischen mystischer Erfahrung und Lebensführung her, wenn er davon ausgeht, dass durch Verlassen aller äußeren Dinge und Ausrichtung auf die inneren Tugenden der Mensch einen Habitus erreichen kann, in dem er schneller und häufiger mystische Verzückung erfährt.226 Diese Lebensform ist für ihn die monastisch-asketische im Kloster. Bernhard führt dies nicht explizit aus, doch auch in den Schriften zur Seelsorge bestimmt er das kontemplative Leben als die Lebensform, in der die mystische Erfahrung Gottes am besten ermöglicht wird. So betont Bernhard an einigen Stellen die Bedeutung der Askese für die mystische Erfahrung. Vom Stufenschema des Aufstiegs ausgehend, spricht er die via purgativa wiederholt an. Mystische Erfahrung ist nach Bernhard nur dem möglich, der nicht in Sünde verharrt, sich durch christliche Tugenden, aber auch durch die Abtötung des Fleisches und Verachtung der Welt auszeichnet.227 Als Weg zur mystischen Erfahrung empfiehlt er die Kontemplation des gekreuzigten Christus und sieht diese als Hauptaufgabe der Mönche.228 Die Schriftmeditation schließlich ist, wie er im letzten Kapitel ausführt, der Anfang der Kontemplation und führt zur mystischen unio.229 molle concupiscibile quod amor faciliter liquescit, horum si ieiunio vel labore aliquo ad hoc idoneo virtutes vitales et animales debilitentur citius per actum [. . .] resolvuntur atque ut sic facilius rapiuntur.« 225 Vgl. BvW, Defensorium speculi pastorum, c. 9 (Riemann, S. 285,15–288,11). 226 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 17 (clm 18591, f. 73r–v). 227 Vgl. die Aufzählung der Tugenden, BvW, De cognoscendo Deum, c. 15 (clm 18591, f. 7v–8r). Vgl. c. 1 (f. 4r): »a puris et sanctis membris«, c. 1 (f. 4v) »serena et pura conscientia«. 228 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 14 (clm 18591, f. 55r): »cuius omnis theologia et contemplatio certa Christum crucifi xum [. . .]«. 229 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 17 (clm 18591, f. 75r).

4.3 Die Schrift De cognoscendo Deum

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Bernhard beschreibt das eigentliche mystische Erleben in dieser Schrift mehrfach. Er akzentuiert aber auch, wie der Gläubige mit einer entsprechenden Lebensführung und spirituellen Übungen dorthin gelangen kann.

4.3.7 Schneller, leichter, sicher und gesund zur Gotteserfahrung gelangen Stehen Bernhards wenig später verfasste Schriften Speculum und Defensorium speculi pastorum ganz unter dem Vorzeichen der Sorge für das eigene Heil, so ist dies in De cognoscendo Deum ein Motiv, das er weniger ausführt als vielmehr voraussetzt. »Schneller« und »sicherer« zu Gott gelangen, ist auch hier ein Leitmotiv. So fragt die Quaestio, wie der Gläubige schneller und sicherer Gott suchen und in der mystischen Vereinigung fi nden kann.230 Diese Frage beantwortet Bernhard mit seiner These, dass der Aufstieg zu Gott nur sicher mit affektiven und intellektualen Kräften erfolge, während allein im Affekt der Aufstieg gefährlich und unsicher sei. Jesus Christus ist für ihn der Mittler dieses direkten, schnellen und sicheren Zugangs zu Gott.231 Die Gotteserkenntnis, der Titel der Schrift, ist für Bernhard daher nichts anderes als die Gotteserfahrung, und diese geschieht schnell, leicht und sicher im mystischen Erleben. Das im Defensorium wiederholt verwendete Motiv des gesunden Verstehens und Denkens greift Bernhard nur noch vereinzelt auf, wenn er argumentiert, dass seine hier vorgetragenen Gedanken dem gesunden Intellekt selbst einsichtig sind.232 Der Verzicht auf das Motiv zeigt, dass Bernhard sich in De cognoscendo Deum nicht mehr primär gegenüber der Lehre des Vinzenz verteidigt. Er beschreibt vielmehr mystische Erfahrung und versucht, den Weg dorthin zu erläutern. Das ist auch Thema von Bernhards letzter Schrift zur Mystik, De spiritualibus sentimentis.

4.3.8 Eine mittelbairische Übersetzung De cognoscendo Deum gehört zeitlich in die Schlussphase des Mystik-Streits. Die Schrift wurde wahrscheinlich nur von denen rezipiert, die bisher schon am Mystik-Streit teilhatten.233 Möglicherweise stieß die Schrift auch bei den 230 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, Überschrift zu c. 1 (clm 18591, f. 4r): »ubi citius possit inveniri [. . .] possit facilius attingi«, vgl. c. 1 (f. 5v): »ut quaesitum concite et salubriter inveniamus«; c. 6 (f. 22v): »citius« etc. 231 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, c. 1 (f. 7r): »citius inveniatur? – Per Jesum, inquam, et in Jesu eidem proprius acceditur et tutius et citius invenitur«. 232 Vgl. BvW, De cognoscendo Deum, Praefatio (clm 18591, f. 2v): »ad sanum [. . .] intellectum«. 233 Die Schrift ist heute noch in sechs Handschriften Tegernseer bzw. bayerischer Provenienz überliefert, vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 782.

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lateinunkundigen Brüdern in Tegernsee auf Interesse, so dass es zu einer Übersetzung des lateinischen Textes ins Deutsche (Mittelbairische) kam. Eine Teilübersetzung von De cognoscendo Deum mit Abschnitten aus den Kapiteln 1 und 15 fi ndet sich in einem Tegernseer Codex aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.234 Schreiber dieses Textauszugs war Oswald Nott; wer Übersetzer war, muss offenbleiben.235 Der kurze Traktat folgt zu Beginn dem ersten Kapitel von De cognoscendo Deum und bietet damit in der Übersetzung die Einleitung im Predigtstil: Gott muss gesucht und gefunden werden; Gott ist aber nicht mit dem Verstand begreif bar. Jesus Christus ist daher Mittler zu Gott. Auf die Zitate, mit denen Bernhard im ersten Kapitel von De cognoscendo Deum diese Aussagen belegt, verzichtet der deutsche Text fast ganz. Nur Bernhard von Clairvaux und Augustinus werden erwähnt und kurz zitiert.236 Breit ausgeführt wird dagegen die Mittlerschaft Jesu: »Fragest du villeicht ob icht ein besondrer weg und wegfürer sey pald und gewisleich zefinden den der da so begirleich und mit grözztem fleysse wil und sol gesucht werden, Antwurt ich durch Jhesum und in Jhesu mag er schnelliklich und warleich gefunden werden. Wann Jhesus ist allain der recht weg, handfürer, tür, lyecht, warhait, hayl und leben [. . .] und also durch Jhesum und in Jhesu werden wir gezogen und handtgefürt zebekhennen den unbekhanten got.« 237 Der Textauszug ist im Wesentlichen die Darstellung und Anleitung zur Jesusmeditation. Dabei erwähnt der Übersetzer kurz die affi rmative und negative Rede von Gott nach Pseudo-Dionys,238 doch tut er diese als für seine Leser zu schwer verständlich ab. »Von disen zwayrlay götlich bekhantnüssen, haben vil geschriben sanctus dyonisius und ander geübt lerer, mir ist aber nicht zeit noch vermügen dir davon hye genugsamlich zeschreiben. Auch pist du yn deiner synnreychait vernunft und verstantnüss sollicher wort und geschrift unvermügend zebegreyffen, und darumb solt du haben ein benügen, und nach gepot des heyligen geists nicht zevil ervorschen [. . .]. Aber alles, das dir got gepoten hat solt du mit emsigen fleysse behütten«.239 Inhalt und Duktus der Schrift deuten an, dass diese für geistlich interessierte Laien(brüder) geschrieben wurde. De cognoscendo Deum wird in dieser Übersetzung von der Reflexion über die mystische Theologie zu einer Erbauungsschrift mit Anleitung zur Jesusmeditation modifiziert.240 234 Vgl. cgm 743, f. 141v–151r (BSB München), Incipit: »Got bekhennen und liebhaben, suechen und fi nden«. Die Textwiedergabe erfolgt diplomatisch. 235 Vgl. cgm 743, f. 151r: »Skribhat von me frater Oswaldus Nott Stuttmaning«. 236 Vgl. Bernhard von Clairvaux (cgm 743, f. 141v.143r); Augustinus (cgm 743, f. 142v.143r). 237 Cgm 743, f. 143r–v. 238 Vgl. cgm 743, f. 150r–v. 239 Cgm 743, f. 151r. 240 Möglicherweise ebenfalls die Übernahme von Bernhards Schriften zur Mystik und

4.4 De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali

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4.4 De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali In den Jahren 1463/64, rund vier Jahre nach De cognoscendo Deum, verfasste Bernhard die noch umfangreichere Schrift De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali, die den Abschluss von Bernhards Schriften zur Mystik bildet.241 Die Schrift gehört nicht mehr in den Kontext des Mystik-Streits, und Bernhard thematisiert diesen in der Schrift auch nicht; doch knüpft er inhaltlich an die Streitfragen der Kontroverse an. Gegenüber De cognoscendo Deum bietet De spiritualibus sentimentis keine neuen Aussagen zur mystischen Theologie. Doch wo erstere von den theoretischen Erörterungen auf die Praxis der theologia mystica drängt, wendet sich Bernhard nun ganz dieser Praxis zu.242 De spiritualibus sentimentis ist eine Schrift vom Schmecken und Sehen Gottes im mystischen Erleben.243 So beschreibt Bernhard den Weg zur mystischen Erfahrung und schildert das mystische Erleben. Dabei betont er im Vergleich zu De cognoscendo Deum stärker das affektive Moment. Die Schrift ist in zwei Teile gegliedert, deren erster Teil mit 16 Kapiteln deutlich kürzer ausfällt als der zweite Teil mit 32 Kapiteln, der weitgehend eventuell ein Auszug aus De cognoscendo Deum ist eine kurze deutschsprachige Schrift in der Hs. Salzburg St. Peter b VI 15, f. 363r–371r, mit dem Incipit: »Nach deiner begerung«, auf die Hamm, Die ›nahe Gnade‹, S. 547–551, hinweist. Hamm, a.a.O., S. 547 f., schreibt diese Schrift an Beginen, die um 1450 in Tegernsee entstanden sei, »vermutlich« Bernhard zu. Es handelt sich um eine Schrift des Tegernseer Anonymus. In der Schrift wird mit Metaphern der Brautmystik und sensitivem Vokabular der affektive Weg zur Gotteserfahrung beschrieben. »Aus einer Mystik außergewöhnlicher geistlicher Erlebnisse, Entrückungen und Visionen und hochspekulativer Aussagen über das geschaute Wesen Gottes wird eine völlig unelitäre Buß- und Liebesfrömmigkeit des alltäglichen, gewöhnlichen Lebens mit deutlicher Kritik an intellektuell-spekulativen und kontemplativen Aufstiegsidealen.« Das aber ist nicht charakteristisch für Bernhards lateinische Schriften, sondern für die Übertragungen des Tegernseer Anonymus, dessen Identifi kation mit Bernhard umstritten ist. 241 Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 784 f. Die Datierung ist nur eine ungefähre. Sicher ist, dass De spiritualibus sentimentis nach De cognoscendo Deum (1459) entstanden ist, da Bernhard diese Schrift im ersten Kapitel (vgl. clm 18600, f. 4r) bereits als bekannt voraussetzt. Da Bernhard in den Jahren 1461–1463 in intensivem Schriftwechsel zur Frage der Seelsorge mit Johann von Eych steht, ist zu vermuten, dass die umfangreiche Schrift De sentimentis spiritualibus erst nach dieser Auseinandersetzung verfasst wurde. 242 Die Schrift ist in der Bearbeitung des Kartäusers Anton Volmar von 1617 unter dem Titel De spirituali perfectione bei Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 1–404 ediert. Allerdings verfälscht diese Bearbeitung den Charakter der Schrift Bernhards durch stilistische Glättungen, Zusammenfassungen und Kürzungen von Kapiteln sowie eine neue Kapitelgliederung. Der Prolog sowie die Kapitel 1, 7, 8 und 9 sowie 16 des ersten Teils und Kapitel 10 des zweiten Teils fehlen in der Edition. Im Folgenden wird nach clm 18600, f. 3r–126r (BSB München), zitiert. Diese Textfassung ist von Bernhard korrigiert. Knappe Hinweise zum Inhalt bei Grabmann, Bayerische Benediktinermystik, S. 198–200. 243 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 1 (clm 18600, f. 4r): »Quemadmodum alter de cognoscendo deum quid ad intellectivam viam pertinet, ita et iste pariformiter de gustando deum quid est proprie virtutis affectivae non inepte titulari«.

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die lateinische Übersetzung des Buchs von der geistlichen Armut ist.244 Ob Bernhard diese Übersetzung selbst angefertigt hat oder ob sie ihm bereits vorlag, ist nicht zu klären. Im Folgenden wird der erste Teil der Schrift im Vergleich zu De cognoscendo Deum näher betrachtet, da sich hier in Inhalt, Sprache und Stil viele Elemente fi nden, die als charakteristisch für Bernhards Denken bezeichnet werden können.

4.4.1 Bernhards Argumentation in De spiritualibus sentimentis Bereits der Prolog und das erste Kapitel zeigen Ähnlichkeiten und Unterschiede zu De cognoscendo Deum. Begann und endete De cognoscendo Deum im Predigtstil, so beginnt Bernhard auch diese Schrift mit hymnischen, an Gott gerichteten Worten.245 Rahmen für beide Schriften ist damit das Gebet und die Hinwendung zu Gott, innerhalb derer die Erläuterung der mystischen Theologie erfolgt. Einen konkreten Anlass zur Abfassung erwähnt Bernhard nicht. Er erklärt im ersten Kapitel seine Absicht, mit dieser Schrift zu belehren und zu trösten.246 Die Belehrung über den Weg zu eigenem mystischen Erleben fasst den Inhalt der Schrift zusammen. Die Tröstung derer, die wegen ihrer mystischen Erlebnisse verachtet werden, ist ein Motiv, das Bernhard in den folgenden Kapiteln wiederholt aufgreift. Ihm ist es ein Anliegen, dass Zeitgenossen, die solche Erfahrungen machen, in der Richtigkeit ihrer Eindrücke und Gefühle bestätigt werden.247 Die Schrift hat damit einen weiten Adressatenkreis in all denen, die mystische Erfahrungen erstreben, und einen engeren in denen, die diese bereits gemacht haben. Methodisch wählt Bernhard erneut das Zusammenstellen von Aussagen aus ihm bekannten Schriften zum Thema. Er bezieht sich ausdrücklich auf seine Schrift De cognoscendo Deum, setzt diese voraus und betont zugleich, dass sich De spiritualibus sentimentis in Inhalt und Vokabular davon unterscheide.248 Die folgenden Kapitel bestätigen dies: Die inhaltlichen Aussagen 244 Johann Tauler [zugeschrieben], Nachfolgung des armen Lebens Christi = Buch von geistlicher Armut. Eine 1455 geschriebene Abschrift des Texts war in Tegernsee vorhanden, vgl. cgm 781 (BSB München). Vgl. Sudbrack, Die geistliche Theologie 2, S. 3.208. 245 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, Prolog (clm 18600, f. 3r–3v). 246 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 1 (clm 18600, f. 3v): »De titulo huius libri et intentione autoris cum apologia et quod cognitio est non solum in intellectum, sed etiam in affectu et quid sit visio mystica et qualiter valeat obtineri«; vgl. »instructio et consolatio« (f. 3v). 247 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 1 (clm 18600, f. 3v): »demonstrare suavitatis eiusmodi sentimentam non erroneam nec falsam«. 248 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 1 (clm 18600, f. 4r): »ad hanc rem apte pertinentia quam plura scripsisse me recolo, ad praesens eadem tamquam non ignorata praesuppono [. . .] in materiis ita et in vocabulis discrepantia [. . .].«

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von De cognoscendo Deum fi nden sich, so z. B. die Mitwirkung von Affekt und Intellekt im Aufstieg zur mystischen Ekstase, doch spricht er in De spiritualibus sentimentis ausschließlich vom Sehen und Schmecken Gottes. Im zweiten Kapitel erläutert Bernhard so die »visio mystica« als geheime und verborgene Schau Gottes, die nur in der Dunkelheit des Nichtwissens erfolgt.249 Das entspricht seiner Bestimmung der mystischen Dunkelheit in De cognoscendo Deum, aber Bernhard führt das Thema hier aus, indem er die vier Arten des Sehens mit den körperlichen, geistlichen, intellektualen und über-intellektualen Augen beschreibt. Nur mit letzteren kann Gott gesehen werden. Das Sehen mit den geistlichen Augen bestimmt Bernhard im dritten Kapitel als Sehen mit Intellekt und Affekt und führt diesen Aspekt mit Bernhard von Clairvaux breit aus: 250 Gott kann von den einen in Gestalt des Kindes, von anderen in Gestalt des Gekreuzigten, in der Betrachtung des Lebens Jesu, seiner Wunder oder durch Visionen gesehen werden. Bernhard ergänzt seinen Namensvetter aber darin, dass es nur wenigen gegenwärtig vergönnt sei, wie Paulus Gott in der mystischen Entrückung (raptus) und Ekstase zu schauen. »Sic vidit eum Paulum in raptu ad tertium coelum. Et hic modus visionis paucissimis datur in hac vita, sed in futura vita omnibus conferetur«.251

4.4.2 Mystisches Erleben in Vergangenheit und Gegenwart In den folgenden drei Kapiteln thematisiert Bernhard die mystische Ekstase und stellt dazu Aussagen von Autoren zusammen, die ihm durch eigenes mystisches Erleben als Autoritäten gelten.252 Zu diesen zählen die Kirchenväter Augustinus, Ambrosius, Hieronymus und Gregor der Große, aber auch Bernhard von Clairvaux, Hugo und Richard von St. Victor sowie Bonaventura, also Autoren und Werke, die er bereits in den vorausgehenden Schriften zur Mystik zitierte. Bernhard zitiert aber als Autoritäten nicht nur Männer, sondern nennt in Kapitel 7 auch Monica, die Mutter des Augustinus, sowie Katharina von 249 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 2 (clm 18600, f. 4r–5v). Gekürzt als 1. Kapitel in der Edition von Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 13–18. 250 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 3 (clm 18600, f. 5v–7r, hier: f. 5v): »De oculis spiritualibus qui sint et quid videant et quibus modis videant«; »oculi igitur mentis sunt intellectus et affectus, quibus intelligendo et diligendo spiritus ad aeterna extendit et ad ea aliqualiter attingit.« Kapitel 3 bei Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 19–23, gekürzt und als Kapitel 2 bezeichnet. 251 BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 3 (clm 18600, f. 7r). 252 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 4 (clm 18600, f. 7r–8r), vgl. »De gustus spiritualis dulcedinis preciositate, excellentia et utilitate ex dictis et experientia patrum sanctorum« (f. 7r); c. 5 (f. 8r–9r); c. 6 (f. 9r–10v). Pez, Bibliotheca ascetica 5, fasst die Kapitel 4–6 zusammen als c. 3 (S. 23–26) und c. 4 (S. 27–34).

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Siena, Mechthild von Magdeburg und Dorothea von Preußen als Beispiele für das mystische Erleben.253 Die Frauenmystik hat Bernhard in seinen Schriften bisher noch nicht erwähnt. Der Name der Dorothea »de Prussia« fällt auch im Briefwechsel zwischen Vinzenz von Aggsbach und Johannes Schlitpacher.254 Der bereits kurz nach ihrem Tod eingeleitete Heiligsprechungsprozess, der 1404 scheiterte, sorgte vermutlich dafür, dass Dorotheas Visionen und mystische Erfahrungen Bernhard und den Autoren der Reformbewegung bekannt waren und als Beispiel dienen konnten.255 Entscheidend ist für Bernhard, dass nicht nur die Alten (veteres) solche Erfahrungen hatten, sondern dass es auch noch »gegenwärtig« (hodie) Menschen gibt, die mystische Erlebnisse haben, aber dies meist im Verborgenen. Auch um sie zu unterstützen, verfasste er die Schrift: »Vidi ego et expertus didici ante annos duodecim in quibusdam paucis et audivi experientias non paucas, et hoc quidem mihi erga tales tunc facere licebat, quia cura in foro conscientiae de eisdem mihi incumbebat.« 256 Bernhard beschreibt den Weg zur mystischen Erfahrung und das mystische Erleben detailliert am Beispiel einer unbekannten Religiosen und analysiert im achten Kapitel dieses Lebensbeispiel in allen Einzelheiten.257 Da253 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 7 (clm 18600, f. 10v–11v, hier: f. 10v): »qui hoc ipsum dulcedinis experimentum pro tempore patiuntur aut sentiuntur«. – Zu Dorothea von Montau (von Preußen, de Prussia; 1347–1394) vgl. Grabmann, Bernhard von Waging, S. 92. 254 Vgl. Brief von Vinzenz an Johann Schlitpacher, 25. Juli 1459 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 74, S. 238–265). Vinzenz tauscht sich mit Johann über die Heiligsprechung der Dorothea von Preußen aus und nennt die von dieser in Aggsbach vorhandenen Schriften. Er nennt als Zeitgenossinnen Birgitta von Schweden (die Bernhard nicht erwähnt) und Katharina von Siena. 255 Parallelen zu der Aufzählung der Mystikerinnen bei Bernhard und Vinzenz fi nden sich auch in der Theologia Mystica (1451) des Kartäusers Jakob von Jüterbog. Ob Bernhard diese Schrift kannte, ist nicht sicher. Im Bibliothekskatalog von Tegernsee (1483) fi nden sich mehrere Schriften Jakobs; die Theologia Mystica wird unter diesem Titel nicht aufgelistet (vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 797). Vgl. Auer, Die Theologia Mystica, S. 19–53, hier: S. 43: »Die Reformbewegung der Zeit war wohl an den praktisch-geschichtlichen Beispielen vor allem interessiert, darum hat sie diese Neuhinzufügungen gebracht, die in den früheren Versuchen über mystische Theologie noch fehlen.« 256 BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 7 (clm 18600, f. 11r). Worauf Bernhard anspielt, ist unklar: Bei einer vermuteten Abfassungszeit im Jahr 1463/64 führt die Angabe »12 Jahre zuvor« zum Jahr 1451. In diesem Jahr hat Bernhard das Laudatorium doctae ignorantiae verfasst, das aber inhaltlich nicht von mystischen Erlebnissen berichtet. Bezieht Bernhard sich auf eine Schrift, dann vielleicht auf die thematisch verwandte Epistola de quadam visione cuiusdam virginis, die, anonym überliefert, Bernhard zugeschrieben wird und ein visionäres Ereignis beschreibt. 257 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 8 (clm 18600, f. 11v–13r): »De quadam persona singulari eiusque sentimentis et exercitiis devotis in generali« (f. 11v); BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 9 (clm 18600, f. 13r–15v): »De sentimentis et raptibus personae supradictae magis in speciali« (f. 13r). Bernhard zitiert eine noch unbekannte Quelle, wahrscheinlich eine Predigt. Denn er

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durch illustriert er für den Leser, wie mystische Erfahrung aussieht. Auch möchte er mit diesem Beispiel, wie bereits mehrfach von ihm betont, denen Trost bieten, die Ähnliches erfahren.258 Am Ende seiner begeisterten und farbigen Schilderung mystischen Erlebens im neunten Kapitel unterstreicht er erneut, dass diejenigen, die gegenwärtig solche Erfahrungen machen, nicht für krank erklärt und verachtet werden sollten.259

4.4.3 Purgatio und Meditation In den Kapiteln 10 bis 12 kommt Bernhard auf die Vorbereitung für solche Erfahrung zu sprechen. Er belegt zuerst noch einmal die Wirklichkeit mystischen Erlebens mit Zitaten aus der Heiligen Schrift und fordert zur Meditation über Leben und Leiden Christi und zur Askese auf.260 Denn für die zu erwartende Freude in der Gegenwart Gottes entsage der Gläubige, so Bernhard, gerne den Freuden der Welt.261 Bernhard erläutert hier die via purgativa mit Blick auf die monastische Lebensweise. So führt er aus, dass die Disposition zum mystischen Erleben zum einen die Abtötung aller fleischlichen Begierden, zum anderen die Verachtung und das Vergessen der Welt voraussetze. Für ersteres empfiehlt er nachdrücklich asketische Übungen, darunter Fasten, grobe Kleidung, harte Betten und die Abstinenz von Speisen und Getränken.262 Auch die tägliche Eucharistiefeier bereite auf das mystische Erleben vor und führe zu diesem hin.263 Dieser Gedanke ist neu in Bernhards Schriften zur Mystik, und er führt ihn im zwölften Kapitel breit aus.264 Im rechten spricht sowohl zu Beginn als auch am Ende dieser Schilderung von »sermo«, vgl. ebd. (f. 11v): »Erat autem persona de qua sermo religiosa sexus feminei mundi contemptrix et sui deo devota [. . .].« Diesem Einleitungssatz mit den weiblichen Formulierungen zufolge handelt es sich bei der Person, deren mystisches Erleben Bernhard wiedergibt, um eine weibliche Religiose. Grabmann, Bernhard von Waging, S. 92, spricht von einer »nach Heiligkeit strebenden Ordensperson, die sich der Leitung des Priors von Tegernsee anvertraut hat«. Die Vermutung, dass Bernhard Seelsorger dieser Person war, geht über den Text hinaus. 258 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 8 (clm 18600, f. 11v): »pro eorum qualicumque consolatione, qui in suis devotionibus quandoque similia patiuntur.« 259 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 9 (clm 18600, f. 15v). 260 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 10 (clm 18600, f. 15v–17v); gekürzt als Kapitel 5 ediert bei Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 34–40. 261 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 10 (clm 18600, f. 17r): »Haec omnia saecularia gaudia sub pedibus conculare fecit, vigilias, ieiunia, asperitates vestimentorum, noctium psalmodias in risum et gaudium convertit.« 262 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 11 (clm 18600, f. 17v–19r); als 6. Kapitel ediert bei Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 40–45. 263 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 12 (clm 18600, f. 19r–21v); gekürzt als 7. Kapitel ediert bei Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 44–51. 264 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 12 (clm 18600, f. 19v): »Nam ad huiusmodi unitionem et suae iocundissimae deitatis dulcissimam degustationem, nil potuit efficacius nec maius incentivum aut immediatius attractivum reperire«.

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Verständnis der Eucharistie als geistliches Essen und Trinken von Leib und Blut Christi wird jedoch bereits die Vereinigung mit dem mystischen Körper Christi erfahren.265 Bernhard setzt den Gedanken der Vorbereitung fort, wenn er im 13. Kapitel die Meditation des Passalamms einführt.266 Er empfiehlt die ununterbrochene Meditation, da sie die geistliche Freude bewirke und fördere und zum mystischen Erleben führe. Doch er betont auch, dass Gott nicht immer mystische Erfahrung schenke, und nennt zwölf Gründe, warum er dies möglicherweise nicht tut. Diese reichen von der Sünde des Menschen bis zur erzieherischen Funktion des vorläufigen Verweigerns mystischer Erfahrung.267 Stärker als in den vorangehenden Schriften bindet Bernhard hier die mystische Erfahrung an das tägliche monastische Leben in Messfeier, Meditation und Lesung.

4.4.4 Die göttliche Einwohnung in der menschlichen Seele Hat Bernhard sich in den Kapiteln 10 bis 13 mit der Hinführung zum mystischen Erleben befasst, nimmt er im 14. und 15. Kapitel etwas unvermittelt den Gedanken der Einwohnung des dreieinigen Gottes in der menschlichen Seele auf.268 Mit Autoritätszitaten nennt er die Kennzeichen, die Gottes Gegenwart in der Seele zeigen, und erläutert, in welchem Teil der Seele Gott wohnt und welche zwölf Stufen die Seele zum Thron Gottes emporsteigen muss. Hier nimmt Bernhard aus der Tradition den Gedanken des Seelenfünkleins auf: »Ad primum dicendum, quod thronus dei in anima est illa animae porcio deiformis in qua deus concipitur et gignitur [. . .] quaedam scintilla deiformis luminis.« 269 Den ersten Teil beschließt Bernhard im 16. Kapitel mit der Frage, ob es möglich ist, Gott in der Kontemplation bereits in diesem Leben zu sehen und zu schmecken.270 Dazu stellt er Aussagen von Autoritäten zusammen und kommt zu dem Schluss, dass Gott in diesem Leben in Bildern, Denkfiguren und wie in einem Spiegel geschaut werden kann, aber »nude« nur, 265 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 12 (clm 18600, f. 20v): »Ille igitur manducat spiritualiter qui Christo coniungitur per fidem et caritatem. Fides enim pertinet ad cognitionem, caritas ad refectionem, ideo etiam unitur corpori Christi mystico.« 266 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 13 (clm 18600, f. 21v–25r); gekürzt als 8. Kapitel bei Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 51–59. 267 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 13 (clm 18600, f. 24v–25r). 268 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 14 (clm 18600, f. 25r–26v), c. 15 (f. 26v– 28r); ediert als 9. und 10. Kapitel bei Pez, Bibliotheca ascetica 5, S. 60–67.67–72. 269 BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 15 (f. 26v). 270 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 16 (f. 28r–30v). Vgl. c. 16 (f. 28r): »Utrum in hac vita mortali sit possibile deum ab homine devoto in contemplatione videri et mente per gustum suavitatis attingi.«

4.4 De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali

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wenn Gott selbst den Menschen in mystische Ekstase und Verzückung entführe.271 Damit hat Bernhard im ersten Teil der Schrift den Weg zur mystischen Erfahrung und das mystische Erleben beschrieben. Im zweiten Teil führt er nun die Vollkommenheit (perfectio spiritualis) in der geistlichen Armut aus. Er zitiert hier das Buch von der geistlichen Armut, und sein eigener Anteil an der Schrift tritt noch weiter zurück. Doch der erste Teil zeigt bereits die Charakteristika der Schrift.

4.4.5 Nachweis mit Autoritätszitaten und Beispielen Wie bereits in De cognoscendo Deum bedient sich Bernhard auch in De spiritualibus sentimentis der Methode der Kompilation von Autoritäten. Die Autoren und Werke, die er hier zitiert, sind bereits aus De cognoscendo Deum bekannt, darunter die Kirchenväter, Thomas Gallus, Robert Grosseteste, Richard und Hugo von St. Victor, Bernhard von Clairvaux und Bonaventura. Erst im letzten Kapitel, das noch einmal eine Quaestio formuliert und beantwortet, die auch der Mystik-Kontroverse entstammen könnte, zitiert Bernhard wieder verstärkt Pseudo-Dionys.272 Cusanus zitiert Bernhard auch in dieser Schrift nicht mehr. Mit dem fast völligen Verzicht auf Zitate von Pseudo-Dionys und Cusanus zeigt Bernhard deutlich, dass es ihm in De spiritualibus sentimentis nicht mehr um die theoretische Erörterung des rechten Verständnisses der theologia mystica geht. Er defi niert diese nicht mehr, sondern beschreibt einerseits deren Ziel, das mystische Erleben, andererseits den stufenförmigen Aufstieg dorthin. Dafür kann er, wie z. B. in Kapitel 4 und 5, lange Passagen aus den Werken der oben genannten Personen zitieren oder auch nur knapp auf deren Aussagen hinweisen. Eine Besonderheit ist, dass Bernhard die von ihm zitierten Autoren lobpreisend anspricht, bevor er aus ihren Schriften zitiert: »Adesto nunc et tu, o sanctissime Ieronime, et quid de huiusmodi expertus sis mystico intuitu et gustu nobis edissere«.273 Zeigt dies seine Verehrung der Autoritäten, so sind für Bernhard wie in De cognoscendo Deum auch hier diejenigen Zeugen der Wahrheit, die selbst mystische Erlebnisse hatten. Aufgrund ihrer Erfahrung misst er ihnen Auto-

271

Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 16 (f. 30r–v). Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben 2, S. 375, nennt auch Albertus Magnus: »Auch in den Schriften des Tegernseer Benediktinerpriors Bernhard von Waging, besonders in seiner mystischen Hauptschrift De spiritualibus sentimentis et de perfectione spirituali fi nden sich Zitate aus Albert dem Großen.« Diese sind bei Bernhard in De spiritualibus sentimentis jedoch nicht gekennzeichnet. 273 BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 4 (clm 18600, f. 7v, vgl. f. 7v–8r). 272

196

4 Die Kontroverse um die theologia mystica

rität zu, und er kann so die Mystikerinnen und Einzelpersonen, die sich durch mystisches Erleben auszeichneten, als Autoritäten aufnehmen.

4.4.6 Mystische Erfahrung in der Praxis Die eigene mystische Erfahrung ist Leitmotiv der Schrift.274 Personen, die Erfahrung im mystischen Erleben haben, und solche, die zu dieser geführt werden, sind Adressaten der Schrift. Erstere zitiert Bernhard auch als Autoritäten, um letzteren ebenfalls mystische Erfahrung zu ermöglichen. Bernhard argumentiert nicht mehr mit den Schlagwörtern der Mystik-Kontroverse, Affekt und Intellekt, und deren Verhältnis zueinander. Er spricht vom Schmecken und, etwas weniger häufig, vom Sehen Gottes als Termini für das mystische Erleben, in dem er die affektiven Vermögen des Menschen wirken sieht. Ist das mystische Erleben Ziel der Schrift, geht Bernhard doch wie im Defensorium und in De cognoscendo Deum davon aus, dass nur wenigen diese Erfahrung zuteil wird. Stärker noch als in diesen Schriften wendet er sich hier der Bedeutung von Meditation und Gottesdienstfeier zu als Vorbereitung auf die unio mystica, aber auch als eigenständigen geistlichen Formen, in denen Gott täglich erfahren wird. Der praktischen Anleitung und Illustration entspricht auch der einfache und redundante Stil und die Methodik der Kompilation, deren sich Bernhard bedient. Die Aussagen zur mystischen Erfahrung und Lebensbeispiele sind durch das Leitmotiv der Erfahrung miteinander verbunden und zeigen keinen Gedankenfortschritt. Als Leser sieht Bernhard Religiosen, da er konkret von der körperlichen Askese und Nahrungsabstinenz und dem Rückzug aus der Welt als Voraussetzung des mystischen Erlebens spricht. Hat Bernhard De spiritualibus sentimentis primär für monastische Leser geschrieben, entspricht dies der Überlieferung der Schrift: Nur in Tegernsee und Melk wurde sie nachweislich rezipiert.275 Bernhard spricht in De spiritualibus sentimentis als Seelsorger und Spiritual. Die Auseinandersetzungen um die Pseudo-Dionysius- und Cusanus-Rezeption hat er hinter sich gelassen. Seine vier Schriften zur Mystik, vom Laudatorium 1451 bis zu dieser Spätschrift, zeigen aber, welche Bedeutung Reflexion und Praxis der Mystik in seinem theologischen Denken haben.

274 Vgl. BvW, De spiritualibus sentimentis, c. 4 (clm 18600, f. 7r): »experientia«, »experti«, über Augustinus: »quid in se ipse expertus sit«; über Gregor »quidve in hac re experimento didiceris«, c. 5 (f. 8r) etc. 275 Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 785 f.

4.5 Die Bedeutung der theologia mystica für Bernhard

197

4.5 Die Bedeutung der theologia mystica für Bernhard Betrachtet man Bernhards Schriften zur Mystik vom Briefwechsel mit Cusanus über seine Schriften Laudatorium, Defensorium doctae ignorantiae und De cognoscendo Deum bis zu De spiritualibus sentimentis, lassen sich die Relevanz dieses Themas für Bernhard und die Entwicklung seiner Gedanken zur theologia mystica erkennen. Im Kontext des Mystik-Streits und der Auseinandersetzung mit Vinzenz von Aggsbach interpretierte er die cusanische docta ignorantia und die Koinzidenz der Gegensätze konsequent als Theologie der Mystik. War für Cusanus die belehrte Unwissenheit 1440 in De docta ignorantia eine erkenntnistheoretische Überlegung, rezipierte Bernhard – und mit ihm die an der Diskussion Beteiligten in Tegernsee, Melk und Aggsbach – diese Denkfigur als Aussage zur theologia mystica nach Pseudo-Dionys. Bernhards Laudatorium und Defensorium doctae ignorantiae sind Zeugen seiner Cusanus-Rezeption und Dionysius-Interpretation im Kontext der Kontroverse um die mystische Theologie. Doch Bernhard blieb bei den Streitfragen um die Rolle des Intellekts, die Dionysius-Auslegung und die Defi nition von theologia mystica nicht stehen, sondern richtete sein Interesse in den späteren Schriften immer stärker auf die praktischen Fragen, die ihn und seine Brüder in Tegernsee bewegten: Wie sieht das mystische Erleben in der göttlichen Dunkelheit und der Schau Gottes aus? Wie kann der Gläubige mystische Erfahrungen machen? In De cognoscendo Deum entwickelte Bernhard die von Cusanus übernommenen Gedanken weiter zur These einer aktualen Unwissenheit im mystischen Erleben. Er befasst sich noch theoretisch und reflektierend mit dem Vollzug des mystischen Erlebens, lässt aber in dieser Schrift bereits erkennen, wie sehr ihn die praxis theologiae mysticae interessiert. Dieser Praxis wendet er sich in De spiritualibus sentimentis zu, indem er sowohl das mystische Erleben als auch den Weg dorthin beschreibt. In dieser späten, außerhalb des Streitkontexts verfassten Schrift schreibt Bernhard als Seelenführer, und diese Schrift unterscheidet sich von seinen vorausgehenden Schriften. Für diese letzte Schrift zur Mystik kann daher gelten, was Wilpert formuliert hat, »daß ihm die Theorie ohne die Praxis nichts ist.«276 In dieser Perspektive ist die Kompilation von Autoren mystischer Schriften, von traditionellen mystischen Topoi und Termini Ausdruck einer Rückwendung zur Tradition und zugleich der Selektion dessen, was für die eigene mystische Erfahrung nützlich erscheint.277 276

Wilpert, Bernhard von Waging, S. 273. Nur in De spiritualibus sentimentis zeigen sich Parallelen zu dem, was Hamm, Die ›nahe Gnade‹, S. 550, zusammenfassend zu einer kleinen Schrift zur Mystik vom Tegernseer Anonymus formuliert: »Wenn man will, kann man in dem Tegernseer Traktat einen Flickentep277

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4 Die Kontroverse um die theologia mystica

In seinen Schriften zur Mystik verbindet Bernhard mystische Erfahrung mit der kontemplativen Lebensform. Betont Bernhard in der Auseinandersetzung mit Johann von Eych, dass Ziel und Kennzeichen des beschaulichen Lebens im Kloster die Erfahrung der Nähe Gottes, insbesondere die mystische Erfahrung, sei, so reflektieren seine Schriften zur Mystik, wie diese Erfahrung aussehen und erlangt werden kann. Das Bemühen um die mystische Erfahrung und deren Vollzug ist für Bernhard die innere Bestimmung des beschaulichen Lebens, das nach außen bestimmt ist durch den Rückzug aus der Welt und die Ablehnung von Seelsorgetätigkeit im kirchlichen Amt. Kontemplative Lebensform und Vorbereitung auf die mystische Erfahrung sowie deren Vollzug sind für Bernhard die beiden Seiten einer Münze. Die Frage, wie der Gläubige zur mystischen Erfahrung gelangen kann, beantwortet er am deutlichsten in De spiritualibus sentimentis. Hier leitet er an zur Meditation und Kontemplation, erläutert aber auch die Askese als Voraussetzung mystischer Erfahrung. Was er hier nur knapp skizziert, ist Thema einer dritten Schriftengruppe zur monastischen Askese.

pich aus traditionellen mystischen Topoi und Termini sehen. Man kann seine Gesamtkomposition und die pointierten Zentralaussagen aber auch als typisches Zeugnis der Veränderung mystischer Theologie im Einflussbereich Gersons und des Nikolaus von Kues sehen.«

5 Bernhards Schriften zur Askese In seinen Schriften zur vita contemplativa und zur Mystik bestimmt Bernhard das monastische Leben nach außen und innen. Die Ablehnung der Seelsorgetätigkeit von Mönchen ermöglicht erst das kontemplative Leben, dessen Kern die mystische Erfahrung Gottes ist. Bernhards Schriften zur Askese, die dritte thematische Schriftengruppe in seinem Werk, verbinden Innen und Außen. Denn die Askese, insbesondere die Nahrungsaskese, ist für Bernhard nicht nur Teil der observantia regularis des Mönches im Kloster. Die Askese nach der Benediktsregel wird nach außen im Kontext der zeitgenössischen Diskussion zum Kennzeichen eines reformierten Klosters. In den Schriften zur Askese des 15. Jahrhunderts, für die Bernhards Schriften zur Fleischabstinenz exemplarisch stehen, wird die geübte bzw. geforderte asketische Praxis theologisch diskutiert, reflektiert und begründet. Auch hier argumentiert Bernhard in eine zeitgenössische Kontroverse hinein, und seine Abstinenzschriften sind Gelegenheitsschriften. So verfasste er im Anschluss an eine Diskussion im Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg und auf Bitten eines Bruders aus dem Konvent in Wiblingen 1456 eine Schrift gegen den Fleischgenuss der Benediktiner, die Epistola contra esum carnium.1 Im Dialogus de esu carnium, dessen Entstehungssituation nicht bekannt ist, wird die Fleischabstinenz in Form eines fi ktiven Dialogs zwischen einem Schüler und einem Lehrer erörtert.2 Mit einer Responsio, die jedoch nicht erhalten ist, antwortete Bernhard auf die kritische Reaktion des Johannes Schlitpacher auf die Epistola.3 1 Bernhard von Waging, Epistola seu tractatus contra illicitum carnium esum monachorum ordinis S. Benedicti (1456). 2 Bernhard von Waging, Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae S. Benedicti fortium et sanorum. Das Entstehungsdatum des Dialogus ist nicht bekannt. 3 Bernhard von Waging, Responsio ad quaedam argumenta contra aliqua dicta in quaestione de esu carnium monachorum O. S. B., vgl. Pez, Bibliotheca ascetica 8, Praefatio, Nr. 2. Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 780 f. – Im 1484 zusammengestellten Codex clm 18866, f. 67r–75v (BSB München), fi ndet sich allerdings unter dem Titel »Responsio cuiusdam docti viri super quadam argumenta contra aliqua dicta in una quaestione de esu carnium« die Verteidigung einer zuvor vom Verfasser (?) geschriebenen Schrift, adressiert an einen »honorabilis religiosus pater«. Möglicherweise handelt es sich hier um die gesuchte Responsio Bernhards auf Johannes Schlitpachers Rezension

200

5 Bernhards Schriften zur Askese

Die beiden großen Schriften Bernhards zeigen, dass für ihn Askese, zumindest deren umstrittener Teil, die Enthaltsamkeit der Mönche vom Fleisch bedeutete. Auch in seinen Briefen behandelte er als asketische Fragen fast nur die Fleischabstinenz, die für ihn biographisch, als Prior und Visitator große Bedeutung gewann. Bernhards Betonung der Fleischabstinenz entsprach jedoch der zeitgenössischen Debatte, die die Abstinenz vom Fleisch pars pro toto zur Kernfrage der Askese, der Reform und der rechten Interpretation der Benediktsregel machte. Im Folgenden werden daher die Reformdiskussion, die aus dieser hervorgehende Gattung der De-esu-carnium-Schriften und deren Quellen vorgestellt, um in diesem Kontext Bernhards Epistola und den Dialogus zu interpretieren.

5.1 Asketische Fragen in der Reformdiskussion des 15. Jahrhunderts Die spätmittelalterlichen Bemühungen zur Klosterreform hatten das Ziel, zur Observanz der Regel zurückzuführen. Die angestrebte innere, geistliche Erneuerung konkretisierte sich in der Befolgung der asketischen Vorschriften der Benediktsregel und war darin am leichtesten überprüf bar. Die Wiedereinführung der Abstinenz vom Fleisch nach der Regel war Teil jeder Visitation seit dem Konstanzer Konzil. Mit den Beschlüssen von Petershausen wurde die Nahrungs- und Kleidungsaskese zu einem Kriterium erfolgter Reform eines Konvents, wobei konkret die Fleischabstinenz und das Tragen von Unterbekleidung aus Leinen entscheidend und umstritten waren. Denn in den visitierten Klöstern stieß die rigorose Askeseforderung auf Widerstand, denen die Reformer mit Schriften zur Askese begegneten. Die theologische Bedeutung dieser Schriften, wie z. B. Bernhards Epistola, liegt weniger in ihrer inhaltlichen Aussage zur Abstinenz und Kleidungsaskese als in deren theologischer Begründung, deren Kern die Interpretation der Benediktsregel war. Daher ist zu verstehen, dass Autoren solcher Schriften neben Visitatoren oft die Prioren von Klöstern waren, zu deren Aufgaben es gehörte, die Benediktsregel für die Brüder zu erläutern und ihre verbindliche Einhaltung zu überwachen. Leinenbekleidung als umstrittene Frage Das Tragen von Leinenbekleidung wurde bereits im 12. Jahrhundert zur Streitfrage, galt doch sowohl die Fleischabstinenz als auch die Leinenkleidung als Unterscheidungskriterium zwischen vita monastica und vita canonica.4 der Epistola, aber Autor, Adressat und Datierung fehlen und aus dem Inhalt lässt sich dies nicht zwingend beweisen. 4 Vgl. zur Geschichte des Habits: Engelbert, Grundlinien, S. 277–302; zur Frage der

5.1 Asketische Fragen in der Reformdiskussion des 15. Jahrhunderts

201

In seiner Regel nennt Benedikt als Kleidungsstücke u. a. eine Tunika (tunica) und ein Übergewand (cuculla), macht aber über deren Material und Farbe keine Angaben. Vielmehr sollten die Kleidungsstücke landesüblich und billig, nicht zu kurz geschnitten und dem jeweiligen Träger angepasst sein.5 Mit den Reformstatuten des Benedikt von Aniane begannen im Frankenreich des 9. Jahrhunderts Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Habits. Doch erst mit dem Auf kommen der aus dem benediktinischen Mönchtum hervorgehenden Reformrichtungen im 11. und 12. Jahrhundert setzte sich die schwarze Farbe für die Ordenstracht der Benediktiner im 13. Jahrhundert endgültig durch. Form und Zuschnitt folgten aber der Tradition des jeweiligen Konvents bzw. der Reformgruppe, während das Material von Ober- und Unterkleid in der Regel aus Schafwolle unterschiedlicher Feinheit und Webart war. So forderten Zisterzienser und Kartäuser grobe Wolle als Material, andere benediktinische Gemeinschaften erlaubten feingesponnene, weiche Wolle.6 Im 15. Jahrhundert wurde das Unterkleid, nun als »camisia« (Hemd) bezeichnet, zum Streitpunkt. Die Hemden wurden auch nachts beim Schlafen getragen und waren in der Regel aus Wolle. Leinenunterbekleidung, wie sie bei den Laien seit dem Hochmittelalter üblich war, galt als Luxus und Verweichlichung und wurde deshalb ebenso wie Bettwäsche aus Leinen abgelehnt. Wie der Streit um die Nahrungsaskese hat auch der um die Kleidung die Auslegung der Benediktsregel als Streitpunkt. »Angelpunkt der monastischen Diskussion über die Bekleidung ist die Frage, ob eine strenge Askese verlangt werden sollte, oder ob Milderungen gestattet seien, und wo diesen Milderungen eine Grenze zu setzen sei.«7 Besondere Bedeutung gewann der Streit um das Tragen von Leinenhemden bei den Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Melker Observanz.8 Neben den Beschlüssen, z. B. des Provinzialkapitels von Petershausen9 und des Basler Konzils10 entstanden zur Kleidung der Mönche auch Schriften in den benediktinischen Reformkreisen. Deren Autoren beriefen sich auf die in der Regel genannten Kriterien der Mäßigung (discretio) und der Notwendigkeit (necessitas).11 Kälteschutz, Ortsangemessenheit oder Anstand waren ebenfalls Argumente pro oder contra Leinenhemden.12 Die Ablehnung von Leinenunterbekleidung wurde zu einer theologischen Aussage über die Regeltreue.13 Darin sind der Streit um die Leinenbekleidung und der um die Fleischabstinenz parallel. Kleidung als Teil der cura corporis im Mönchtum Zimmermann, Ordensleben und Lebensstandard, S. 88–115. Vgl. zur Abstinenz vom Fleisch in Antike und Alter Kirche die Monographien von Grimm, From Feasting, Haußleiter, Der Vegetarismus, und Montanari, Der Hunger, S. 96–100. 5 Vgl. Regula Benedicti [= RB] 55,1–8. 6 Vgl. Zimmermann, Ordensleben und Lebensstandard, S. 92 f.101 f. 7 Zimmermann, Ordensleben und Lebensstandard, S. 113. 8 Vgl. zusammenfassend Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 188–192. Groiß beobachtete, dass die Kontroverse um die Leinenkleidung in den Brauchtexten von Subiaco und Melk keinen Eingang fand (S. 189). 9 Vgl. Zeller, Provinzialkapitel, S. 31 f. 10 Vgl. Hisch, Die liturgischen Bestimmungen, S. 87–91, der die Vorschriften des Provinzialkapitels von Petershausen, die Tuitiones Martins von Senging und die Basler Statuten vergleicht. 11 Vgl. RB 55, 18–20, auch: RB 55, 4.10: suffi cere (genügen). 12 Dieselben Argumente erkennt Zimmermann, Ordensleben und Lebensstandard, S. 116, bereits in der Diskussion im 12. und 13. Jahrhundert. 13 Vgl. zur kartäusisch-zisterziensischen Position in der Kleidungsfrage im Hochmittelalter Zimmermann, Ordensleben und Lebensstandard, S. 113–117.

202

5 Bernhards Schriften zur Askese

Zu einem mit dem Tragen von Leinenhemden verwandten Streitpunkt, ob das Ordenskleid jemals abgelegt werden darf, hat sich Bernhard offensichtlich geäußert und dies unter Androhung kirchlicher Exkommunikation verneint, was Hieronymus von Mondsee in seinem Brief an Bernhard vom 10. November 1461 aufgreift.14 Im Gegensatz zu Bernhard ist die Haltung des Hieronymus gemäßigt: Zwar sollen die Mönche stets das Ordenskleid tragen, doch sündigten sie nicht, wenn sie bei schwerer Erkrankung ohne Habit im Bett lägen.15 Bereits in diesem kleinen Briefwechsel zeigt sich Bernhard als Vertreter strenger Askese.

5.2 Die Abstinenz vom Fleisch in Bernhards Briefen Für Bernhard hatte die Fleischabstinenz nicht nur theologische, sondern auch biographische Relevanz. Denn im Rückblick begründete er seinen Übertritt von den Augustinerchorherren zu den Benediktinern mit der unterschiedlichen Praxis der Fleischabstinenz. Die fehlende Strenge der Nahrungsakese sah er als Missstand im Chorherrenstift Indersdorf und als Charakteristikum des benediktinischen Lebens in Tegernsee.16 Dabei praktizierten die Chorherren von Indersdorf eine durchaus strenge Abstinenz. Gemäß der Bulle Papst Benedikts XII. für die Regularkanoniker (1333), die Fleischabstinenz an Samstagen und in der ganzen Adventszeit gebot,17 schrieben auch die Indersdorfer Reformstatuten des 15. Jahrhunderts Fleischabstinenz an allen Samstagen vor und ordneten Milchspeisen für andere Fastenzeiten des Jahres an.18 Die Indersdorfer Chorherren lebten damit ihrer Regel entsprechend die Abstinenz der vita canonica, während Bernhard kritisierte, dass dort keine 14

Vgl. clm 18565, f. 1r–3r (BSB München). Vgl. Glückert, Hieronymus, S. 166 f. 16 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, zwischen dem 18. und 21. April 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 41, S. 140): »Fugi ego ordinem canonicorum regularium propter ipsum esum et eciam propter alias causas etc. Verumtamen sanior fui semper et magis valens in ordine isto sancto Sancti Benedicti quam, dum eram degens sub regula sancti Augustini.« 17 Vgl. Constitutio Benedicti XII., § 48 Esus carnium quando prohibitus (Vetus Disciplina Canonicorum Regularium, S. 453–491, hier: S. 486): »quod universi Canonici religionis praefatae, ab esu carnium diebus [. . .] Sabbati et per totum Adventum Domini studeant abstinere«. 18 Vgl. Statuta Undensia, anno 1459, § 12 De jejuniis et abstinentiis (Vetus Disciplina Canonicorum Regularium, S. 731–740). Die Edition lässt die Abschnitte aus, in denen die Indersdorfer Statuten mit denen der Statuten für die Regularkanoniker in der Diözese Freising übereinstimmen, dazu gehört auch das Kapitel zur Abstinenz, vgl. daher Statuta et Caeremoniale Canonicorum Regularium per Dioecesim Frisingensem, Liber officiorum, a.a.O., S. 679–729, hier: S. 722: »Abstinentiae sic sunt servandae, ut omnes fratres Monasterii professi et Novitii, debilibus et infirmis exceptis, singulis sextis feriis per totum annum [. . .] jejunent cum quadragesimalibus cibis«. Die Statuten wurden erst 1459 von Papst Pius II. bestätigt, doch lebten die Chorherren dem Vorwort zufolge bereits 40 Jahre vor der päpstlichen Approbation nach diesen Statuten. 15

5.2 Die Abstinenz vom Fleisch in Bernhards Briefen

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völlige Fleischabstinenz gemäß der vita monastica in Tegernsee praktiziert wurde. Für Bernhard war der völlige Verzicht auf Fleisch in Tegernsee Kennzeichen der Regelobservanz und für ihn als ehemaligen Chorherren identitätsstiftend. Deshalb klagt er in seinen Briefen darüber, dass er aufgrund auswärtiger Verpfl ichtungen gegen das Abstinenzgebot verstoßen müsse.19 Als Visitator der Klöster Sonnenburg und St. Georgenberg forderte Bernhard auch dort die strikte Abstinenz. Im Brief vom 12. Februar 1454 an Cusanus lehnt er eine generelle Dispens der Nonnen von Sonnenburg an bestimmten Tagen ab.20 »Esum carnium sic passim indulgere certis diebus iuxta meam fatuitatem non videtur expediens«.21 Bernhard schlägt vor, dass eine gottesfürchtige Äbtissin oder ein Prior nach Ermessen den Fleischgenuss einzelnen oder allen Nonnen gelegentlich erlauben möge. Wegen des Geschlechts der Nonnen will er Milde und Güte (pietas et misericordia) walten lassen, statt auf strenger Abstinenz zu bestehen, wie er sie in St. Georgenberg durchzusetzen versuchte. Die Bitte des Abts von St. Georgenberg, an bestimmten Tagen von der Fleischabstinenz dispensiert zu werden, lehnt Bernhard in einem weiteren Brief an Cusanus ab und begründet dies mit der in Tegernsee praktizierten Abstinenz.22 Zudem ruft er seinem Adressaten Cusanus ins Gedächtnis, dass die Abstinenz einer der Gründe seines Übertritts zu den Benediktinern war. Für Bernhard ist die Fleischabstinenz Kennzeichen des Gehorsams gegenüber der Benediktsregel. Deshalb thematisiert er diese in seinen Professpredigten aus den Jahren 1451 bis 1457 auch nicht mehr ausdrücklich, sondern setzt sie bei den Tegernseer Neuprofessen voraus.23 Ob aber die Benediktsregel die völlige Fleischabstinenz gesunder Mönche verlangte, war Streitund Diskussionspunkt der zeitgenössischen De-esu-carnium-Schriften.

19 Vgl. Brief von Bernhard von Waging in Augsburg an Abt Konrad in Tegernsee, 22. März 1463 (Redlich, Tegernsee, S. 203–205, hier: S. 204): »Item dico meam culpam quod non bene vixi et nihilominus sepe de cibis prohibitis commedi, quamvis non voluntarie.« 20 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, vor dem 12. Februar 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 33, S. 112–119). 21 A.a.O. (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 33, S. 116 f.). 22 Vgl. Brief von Bernhard von Waging an Nikolaus von Kues, zwischen dem 18. und 21. April 1454 (Baum/Senoner, Briefe 1, Nr. 41, S. 140–143, hier: S. 140): »Sperat eciam [. . .] dominus abbas montis sancti Georgii super esum carnium certis diebus obtinere indultum«. 23 Vgl. zu den Professpredigten die Edition von Öhm, Bernhard von Waging. Profeßpredigten.

204

5 Bernhards Schriften zur Askese

5.3 Die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts In der Diskussion um den Genuss von Fleisch äußerten sich neben Autoren aus dem Mönchtum auch Kirchenrechtler und Universitätslehrer. Zwischen 1400 und ca. 1470 führte die Interpretation der Abstinenzaussagen der Benediktsregel zu einer Reihe von Schriften zum Thema De esu carnium, zu denen auch Bernhards Epistola contra esum carnium zählt, so dass von einer eigenen, inhaltlich bestimmten Gattung der De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts gesprochen werden kann.

5.3.1 Die Gattung der De-esu-carnium-Schriften Diese Schriften, die die Bezeichnung Epistola, Tractatus, Sermo oder einfach De esu carnium tragen, sind inhaltlich bestimmt durch die Konzentration auf ein Thema, die Nahrungsaskese, wie sie exemplarisch im Genuss von oder Verzicht auf Fleisch sichtbar wird. Der Genuss von Fleisch wird in diesen Schriften mehr oder weniger ausführlich behandelt auf der Basis der Aussagen der Benediktsregel und deren Interpretation in Kommentaren, theologischen Schriften und normativen Texten. Die Werkübersichten des 20. Jahrhunderts, wie sie Monographien zu einzelnen Autoren oder die einführenden Artikel des Verfasserlexikons bieten, ordnen diese Schriften unterschiedlich ins jeweilige Gesamtwerk des Autors ein. Die durchweg lateinischen Schriften De esu carnium gelten in der Forschung als Reformschriften zur »Mönchsaszese«,24 als Schriften zu Zeitfragen und zur Ordensreform,25 als Schriften zur allgemeinen Seelsorge26 oder einfach als monastische Schriften,27 wobei die Zuordnung derselben Schrift im Werk eines Autors variieren kann,28 was auf eine gewisse Ratlosigkeit 24 So Klapper, Der Erfurter Kartäuser. Bd. 1, S. 41, zur Abstinenzschrift des Kartäusers Johannes Hagen. 25 So die Einordnung des Traktats De esu carnium von Nikolaus von Dinkelsbühl bei Madre, Nikolaus von Dinkelsbühl, S. 269.274 f.; vgl. auch Machilek, Art. Maiselstein, Kaspar, in: VerLex 2 5 (1985), Sp. 1188. 26 So ordnet Hillenbrand, Art. Nider, Johannes, in: VerLex 2 6 (1987), Sp. 974 f., die Abstinenzschrift Niders ein und ergänzt, dass sich diese Schrift auf »den Bereich der Kirchengebote« beschränke. 27 Vgl. die Einordnung des Brieftraktats De non esu carnium von Vinzenz von Aggsbach unter »Schriften zum monastischen Leben« bei Martin, Art. Vinzenz von Aggsbach, in: VerLex 2 10 (1999), Sp. 363 f. So auch Worstbrock, Art. Johannes de Werdea, in: VerLex 2 4 (1983), Sp. 804 f., zur Schrift des Hieronymus von Mondsee. 28 Der Traktat De abstinentia esus carnium des Johannes Nider wird z. B. als Seelsorgeschrift (vgl. Hillenbrand, Art. Nider, Johannes, in: VerLex 2 6 (1987), Sp. 974 f.) oder als Reformschrift (vgl. Brand, Studien, S. 34), aber auch in engerem Verständnis als Schrift zu einem »umstrittenen Aspekt der dominikanischen Ordensreform« behandelt (vgl. Tschacher, Der Formicarius, S. 225) oder als Schrift, in der sich Elemente der Reform und des Konziliarismus verbinden (vgl. Bailey, Abstinence and Reform, S. 242 f.).

5.3 Die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts

205

angesichts dieser Schriften mit einer komplexen Argumentation, aber zu einem doch speziellen inhaltlichen Problem schließen lässt. Denn in diesen Traktaten verbinden sich grundsätzliche theologische und kirchenrechtliche Erwägungen. Aspekte der Kloster- wie der Kirchenreform kommen zur Sprache. Die asketische Praxis der Wüstenväter wird ebenso rezipiert wie philologisch-textkritische Ansätze der Regelauslegung, so dass diese Texte weder nur asketisch noch rein kirchenrechtlich sind. Im Gesamtwerk eines Autors wurden sie oft als Schriften, die nur der praktischen Umsetzung der Reform gelten, abgewertet. Selten wurde betont, dass das Thema Abstinenz für die Diskussionen um die benediktinische Klosterreform 29 oder für die Unionsgespräche eine wichtige Rolle spielte.30 Der theologische Charakter dieser Schriften wurde nicht thematisiert. Die Existenz einer eigenen Gattung von De-esu-carnium-Schriften im 15. Jahrhundert wurde bisher nur einmal, in einem Aufsatz von Paulus Volk, angesprochen. Volk bezeichnete sie als Kontroversschriften und bestimmte damit den Sitz im Leben dieser Schriften.31 Denn zwischen 1400 und 1470 entstanden aus der unmittelbaren Reform eines Klosters und aus der zeitgenössischen Reformdebatte heraus eine Fülle von Traktaten De esu carnium zur Abstinenz bei den Benediktinern, aber auch – seltener – bei den Kartäusern. Die Autoren kommen häufig aus einer der benediktinischen Reformbewegungen und aus dem Mönchtum, doch ist die Zugehörigkeit zum Mönchtum nicht Voraussetzung für das Verfassen einer De-esu-carniumSchrift, was der Überblick über die bisher bekannten Schriften nach der Herkunft der Autoren beweist.32

29 Vgl. Bailey, Abstinence and Reform, S. 225: »The issue of monastic abstinence from meat may seem a minor one, but to the reformers at Basel it was a critical question, and an especially divisive issue within the Benedictine Order.« 30 Vgl. Madre, Nikolaus von Dinkelsbühl, S. 275; Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 75–79. 31 Volk, Das Abstinenzindult von 1523, S. 333–363; S. 46–49. Vgl. Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns 5, S. 63: »[. . .] auffallend viele Traktate ›De esu carnium‹ wurden damals verfaßt.« 32 Dieser Überblick ist das Ergebnis der Recherche in den der Verf. zugänglichen Handschriften- und Bibliothekskatalogen. Da weder die spätmittelalterlichen Kataloge noch die Sachregister der Handschriftenkataloge des 19. und 20. Jahrhunderts die Stichworte »caro« oder »abstinentia« führen, ging die Recherche von den Namen der mit der Melker Bewegung verbundenen Autoren (vgl. Volk, Das Abstinenzindult von 1523, S. 342) aus. Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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5 Bernhards Schriften zur Askese

5.3.2 Die De-esu-carnium-Schriften von Autoren der Melker Observanz Unter den Autoren der Melker Observanz ist an chronologisch erster Stelle Petrus von Rosenheim (um 1370–1433) zu nennen. Petrus, der sowohl in Melk als auch in Tegernsee die Observanz von Subiaco-Melk einführte, äußerte sich mehrmals zum Fleischgenuss. Erhalten sind eine kurze Abhandlung De abstinentia ab esu carnium sowie Exzerpte aus einer Schrift über das Verbot des Fleischessens nach der Benediktsregel, die vermutlich im Rahmen seiner Visitationstätigkeit in den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts entstanden.33 Auch der Melker Johannes Schlitpacher (1403–1482) verfasste einen Tractatus de esu carnium.34 Seine besondere Leistung waren neben einer textkritischen Ausgabe der Benediktsregel drei Regelkommentare in den Jahren 1437 bis 1446, in denen er die Fleischabstinenz beim entsprechenden Abschnitt der Regel behandelte.35 Doch war vermutlich seine Visitationstätigkeit in den 40er Jahren Anlass, eine De-esu-carnium-Schrift zu verfassen. Schlitpacher ist es auch, der 1458 auf Bernhards Epistola mit zwei Rezensionen reagierte. Sein Mitbruder Johannes de Spira († nach 1458) verfasste unter den Autoren der Melker Reform die meisten Schriften zur Auslegung der Regel und zur Fleischabstinenz.36 Johannes lebte strikt abstinent; seine Abstinenz führte zum Konfl ikt mit Abt Leonhard von Straubing, als dieser ihm aufgrund seiner chronischen Krankheit den Fleischgenuss befahl. Der Überlieferung nach trat er, um weiterhin abstinent leben zu dürfen, nach Kleinmariazell über. In seinen Schriften vertrat er allerdings eine mildere Haltung und beurteilte die Missachtung der Gesundheit als größeres Vergehen als die Missachtung des Abstinenzgebots.37 33 Petrus von Rosenheim, De abstinentia ab esu carnium, Cod. Mell. 1605, f. 20r (SB Melk); Excerpta ex notatis Petri de Rosenheim de esu carnium in regula S. Benedicti prohibito, Cod. Mell. 959, f. 207r–v (SB Melk), beides sind Abschriften von der Hand des Johannes Schlitpacher. Vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 88; Niederkorn-Bruck, Reform, S. 62. 34 Johannes Schlitpacher, Tractatus de esu carnium, nicht datiert. Die Überlieferung ist noch nicht systematisch erfasst, vgl. Volk, Das Abstinenzindult von 1523, S. 342 Anm. 3; Bruck, Profeßbuch, S. 167. 35 Zu den Kommentaren und Kommentarfragmenten vgl. Ellegast, Die Anfänge, S. 20– 59. 36 Auch: Johann von Speyer. Eine Zusammenstellung der Abstinenztraktate des Johannes de Spira bietet Bruck, Profeßbuch, S. 99, darunter auch zwei Codices Tegernseer Provenienz, clm 18790, f. 340v–363v; clm 18153, f. 340r–360r (BSB München), ohne Datierung. Vgl. auch Volk, Das Abstinenzindult von 1523, S. 342 Anm. 5. 37 Johannes de Spira, Tractatus utrum monachus, qui contra preceptum sui prelati comedit carnes, peccet mortaliter (clm 18135, f. 340v–362v). Bruck, Profeßbuch, S. 113 f., erwähnt, dass Johannes de Spira als Visitator von Kleinmariazell 1431 die vom Kleinmariazeller Abt Johannes Rormayr angeordnete strenge Abstinenz sogar milderte, so dass Johannes

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Konrad von Geisenfeld († 1460), 1434/35 Prior in Melk und in Tegernsee Vorgänger Bernhards als Prior, visitierte zusammen mit Johannes Schlitpacher 1441 den Konvent St. Ulrich und Afra in Augsburg und anschließend das Kloster Ettal. Während der Visitation in Ettal verfasste er seine Schrift De esu carnium.38 Ab den 50er Jahren wurden auch in Tegernsee und Mondsee De-esu-carnium-Schriften geschrieben von Bernhard von Waging und Hieronymus von Mondsee. Aus Tegernsee verfasste nur Bernhard mit der Epistola contra esum carnium 1456 eine Abstinenzschrift, während Johannes Keck (1400– 1450) und Christian Tesenpacher († 1502) die Abstinenz in ihren Kommentaren zur Benediktsregel behandelten. Hieronymus von Mondsee (1420– 1475),39 der sich im bereits erwähnten Briefwechsel mit Bernhard zur Kleidungsaskese austauschte, verfasste auf Anfrage eines Mönchs aus Rott einen Tractatus zu den Vorschriften der Regel, in dem er auch auf die Fleischabstinenz eingeht.40 Doch wurden in den bayerisch-schwäbischen Klöstern der Melker Observanz kaum Schriften zur Fleischabstinenz verfasst. Das Verfassen von Deesu-carnium-Schriften war offensichtlich Proprium der Reformer aus den Reformzentren Melk und Tegernsee, die meist das Amt des Priors innehatten, selbst mit der Visitation von Klöstern beauftragt waren und oft auch mit anderen Schriften an der zeitgenössischen Reformdebatte teilnahmen.41 So ist äußerer Entstehungsanlass der Schriften oft die Visitation eines Klosters. Denn bei dieser galt es, den visitierten Konvent zur Observanz zurückzuführen und dabei die Nahrungs- und Kleidungsaskese wiedereinzuführen. Für die späteren De-esu-carnium-Schriften wie Bernhards Epistola spielen zudem die Bemühungen um die Vereinheitlichung der Melker Observanz und die Unionsgespräche eine Rolle.

Rormayr resignierte und nach Tegernsee übertrat, was die Bedeutung der Abstinenz in der Reform zeigt. 38 Konrad von Geisenfeld, De esu carnium, überliefert in: clm 18551b, f. 48r–55v (BSB München; Tegernseer Provenienz). 39 Zur Biographie und Werk vgl. Glückert, Hieronymus von Mondsee, S. 98–201; Worstbrock, Art. Johannes de Werdea, in: VerLex 2 4 (1983), Sp. 799–813. 40 Hieronymus von Mondsee, Tractatus pro edificacione spiritualium (ediert unter dem Titel Tractatus de profectu religiosorum bei Pez, Bibliotheca ascetica 2, S. 171–226). Vgl. auch Hieronymus’ Schrift Responsio super consultacione, utrum quilibet Regulam S. Benedicti profitens [. . .] peccet mortaliter in omni transgressione (vor 1460; Autograph clm 15631). Vgl. Glückert, Hieronymus, S. 168 f. 41 Die Zahl der außerhalb Melks in Klöstern der Melker Observanz verfassten Traktate ist bisher nicht systematisch erfasst. Neben den Schriften Bernhards von Waging, die wohl nur zum Teil erhalten sind, fi nden sich keine weiteren Hinweise auf Schriften Tegernseer Autoren zur Abstinenz.

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5.3.3 Schriften von Autoren außerhalb der Melker Observanz Für die Reform der Benediktiner, selten auch für die Kartäuser, verfassten auch Autoren, die nicht zum Melker Reformkreis gehörten, De-esu-carnium-Schriften, wobei die Autoren sowohl aus dem Mönchtum kamen als auch als Universitätslehrer die Fleischabstinenz disputierten. Für die Reform der Benediktiner schrieb Johannes Gerson (1363–1429) im August 1428 die Schrift Propositiones super esu carnium apud religiosos S. Benedicti, in der er die Argumente pro und contra Fleischabstinenz zusammenstellte mit dem Ziel, eine Spaltung der Benediktiner in dieser Frage zu verhindern.42 Um der Einheit willen trat er für eine Milderung der Abstinenz ein, kritisierte die strikt abstinent lebenden Benediktiner scharf und warf ihnen mangelndes Unterscheidungs- und Urteilsvermögen vor.43 Waren Gersons Propositiones kirchenpolitisch vernünftig, verfehlte er doch das Selbstverständnis der observanten Benediktiner, und die Schrift wurde in den Kreisen der Melker Reformbewegung kaum rezipiert. Ebenfalls im Kontext der Reform verfasste Nikolaus von Dinkelsbühl (1360–1433) um 1430 seine Disputacio zur benediktinischen Fleischabstinenz, in der er sich mit der Schrift De esu carnium (1428) seines juristischen Kollegen an der Universität Wien, Kaspar von Maiselstein († 1432), auseinandersetzte.44 Kaspars kurzer Traktat interpretierte die Aussagen der päpstlichen Bulle Benedictina (1336) zur Fleischabstinenz der Benediktiner.45 Während Kaspar sich juristisch um die Auslegung der Bulle bemühte, inter42 Johannes Gerson, Propositiones super esu carnium apud religiosos S. Benedicti, datiert vom 20. August 1428, Lyon; ediert bei Du Pin, Johannes Gerson. Opera Omnia 2, Sp. 739 f.; Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 9, Nr. 475, S. 660 f. Im Untertitel der Ausgabe von Du Pin wird darauf verwiesen, dass Gerson »tres breviter propositiones« biete; doch nimmt der Text diese Zählung nicht auf und bietet auch keine drei Vorschläge (vgl. Glorieux, Johannes Gerson. Opera Omnia 2, Sp. 739). Die Dreizahl erklärt sich vermutlich durch den Hinweis Gersons auf seine Schrift von 1401 an die Kartäuser, in der er drei Conclusiones vorstellt. 43 Vgl. »aut ex pharisaica singularitate, aut ex conscientiae contra scientiam nimia scrupulositate, aut fortassis in dubium de papae vel superiorum potestate, vel imprudenti et indevotione.« (Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 9, Nr. 475, S. 660); »sic asserentes temerarii sunt, [. . .]; sunt insuper inciviles, nescientes cum prudentia distinguere tempora, aetates, mores et loca cum ceteris circumstantiis.« (a.a.O., S. 661). 44 Nikolaus von Dinkelsbühl, Disputacio et reprobacio de esu carnium contra alium doctorem, zwischen 1428 und 1433, handschriftlich überliefert z. B. in M.ch.q. 129, f. 116r– 131r (UB Würzburg). Zur Datierung und handschriftlichen Überlieferung vgl. Madre, Nikolaus von Dinkelsbühl, S. 274 f. Eine weitere Abschrift aus dem 15. Jahrhundert aus Süddeutschland, fol. Cod. 198, f. 146r–152v (Staats- und Stadtbibliothek Augsburg), ist zu Madre noch zu ergänzen. 45 Kaspar von Maiselstein, De esu carnium, auch: Super constitutione de esu carnium c. 26 Benedicti XII. circa esum carnium, 1428. Zur Biographie vgl. Frenken, Art. Maiselstein, Kaspar (von), in: BBKL 5 (1993), Sp. 585–587; Machilek, Art. Maiselstein, Kaspar (von), in: VerLex 2 5 (1985), Sp. 1183–1191.

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pretierte Nikolaus sie theologisch und machte die Abstinenzfrage zu einem entscheidenden Kriterium der benediktinischen Reform. Der spanische Theologe und Jurist Johannes von Palomar46 schrieb für das Konzil von Basel vor 1437 eine De-esu-carnium-Schrift auf Bitte des Abts des Wiener Schottenklosters Johannes von Ochsenhausen.47 Johannes von Palomar argumentierte sowohl mit dem Kirchenrecht als auch mit monastischen Autoritäten und plädierte für eine strenge Enthaltsamkeit vom Fleisch, weswegen die Schrift in der Melker Reformbewegung auch positiv rezipiert wurde. Das gilt auch für die Schrift des Dominikaners Johannes Nider (1380– 1438),48 der De abstinentia esus carnium49 zwischen 1434 und 1436 als Positionspapier für die Klosterreform auf dem Konzil von Basel verfasste.50 Nider verband in den 14 Kapiteln der Schrift, singulär für die De-esu-carnium-Traktate, die strenge Abstinenzforderung mit der Kritik der päpstlichen Autorität und der Unterstützung des Konziliarismus.51

46 Die genauen Lebensdaten des Johannes de Palomar sind nicht bekannt; vgl. zur Person Reinhardt, Art. Johannes von Palomar, in: BBKL 3 (1992), Sp. 507 f. 47 Johannes von Palomar, Tractatulus de esu carnium monachorum, vor 1437, überliefert u. a. M.ch.q. 129, f. 98r–108v (UB Würzburg), vgl. f. 98r: »Amantissimo patri domino Johanni abbati monasterii sancte Marie ordinis Benedicti Wyenne Scotorum.« Die Handschrift mit Provenienz aus dem Benediktinerkloster St. Stephan zu Würzburg ist Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden (vgl. Thurn, Handschriften aus benediktinischen Provenienzen. Hälfte 2, S. 151). Vier Codices aus dem Raum der Melker Reform (Melk, Wien, München) nennt Volk, Das Abstinenzindult von 1523, S. 342 Anm. 6; Abschriften aus dem 15. Jahrhundert fi nden sich zudem in Cim I 53, f. 27r–36r (Landesbibliothek Oldenburg), Provenienz unbekannt, und HB I 83, f. 133r–142v (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart). Der in clm 9726, f. 84 (BSB München; Provenienz Oberaltaich), überlieferte Traktat De abstinentia ab esu carnium eines »Johannes de Polonia« ist nach Textvergleich eine weitere Abschrift des Tractatulus von Johannes von Palomar. 48 Vgl. zu Biographie und Werk Niders Hillenbrand, Art. Nider, Johannes OP, in: VerLex 2 6 (1987), Sp. 971–977; Brand, Studien, S. 11–31, und Tschacher, Der Formicarius, S. 29–80. Werkübersicht auch bei Kaeppeli, Scriptores, S. 500–515. 49 Johannes Nider, De abstinentia esus carnium, um 1434–1436. Vgl. zur Datierung Bailey, Abstinence and Reform, S. 228 f. Die Schrift ist nicht vollständig ediert. Eine Teiledition der Kapitel 5 bis 7 (nach der Handschrift B III 15, f. 249r–264v, Universitätsbibliothek Basel, 15. Jahrhundert) bietet Bailey, a.a.O., S. 246–260. 50 Vgl. Bailey, Abstinence and Reform, S. 234: »Nider wrote his tract essentially as a ›position paper‹ in the debate over abstinence and reform taking place at the Council of Basel.« 51 Vgl. Bailey, Abstinence and Reform, S. 225: »In writing on this single point of reform, however, Nider implicitly adressed some of the most important and sweeping issues of his day: the plenitude of papal authority over the Church and the role of the general council in directing Church reform in both head and members.« Die These Baileys, S. 226, dass Nider die päpstliche Autorität Benedikts XII. und damit die Gültigkeit der Bulle Summi magistri bestritt, ist m. E. nicht haltbar. Die Auseinandersetzung mit den päpstlichen Bullen zur Fleischabstinenz ist vielmehr Topos der De-esu-carnium-Schriften.

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5 Bernhards Schriften zur Askese

Als späte Schrift verfasste unter dem Einfluss der Bursfelder Reform noch Godefroid de Godinne († nach 1500), Prior des Klosters Hasnon (Belgien), eine Schrift De esu carnium (1495) über die benediktinische Abstinenz.52

5.3.4 Schriften zur kartäusischen Abstinenz Zeitlich parallel zu den De-esu-carnium-Schriften für die Benediktiner entstanden Schriften zur kartäusischen Abstinenz, wobei die Positionen, völlige oder gemilderte Abstinenz, bereits in der Auseinandersetzung von Johannes Gerson mit Arnald von Villanova vorgegeben war. Hatte Gerson in der Auseinandersetzung um die theologia mystica eine Vorläuferrolle, verfasste er auch bereits im Dezember 1401 einen Tractatus de non esu carnium53 zur kartäusischen Fleischabstinenz.54 Sein Tractatus setzt sich vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskussionen mit der De-esu-carniumSchrift des spanischen Arztes Arnald de Villanova auseinander, die Gerson als Bedrohung religiös motivierter Abstinenz beurteilte.55 Dabei begründete Arnald von Villanova († 1311) 56 in seiner Schrift De abstinentia carnium perpetua die rigorose Fleischabstinenz der Kartäuser nicht nur medizinisch, son52 Vgl. Berlière, Deux Écrivains, S. 494–502. Eine weitere De-esu-carnium-Schrift zur benediktinischen Abstinenz oder ein Auszug daraus scheint die Schrift Johannis abbatis S. Bavonis [S. Bavo, ehem. Kloster in Ostfl andern?] tractatus de esu carnium zu sein, die undatiert in einem Codex des 15. Jahrhunderts aus St. Ulrich und Afra in Augsburg überliefert ist, vgl. clm 4396, f. 63r (BSB München). 53 Johannes Gerson, Tractatus de non esu carnium carthusiensium contra eos qui eosdem ex hoc Statuto tamquam indiscretos et inhumanos judicant, rationibus approbans indispensabilem apud eos servari solitam carnium abstinentiam, Dezember 1401, ediert: Opera Omnia 2, hg. v. Du Pin, Sp. 715–739; Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 2, Nr. 8, S. 44 (Widmung), und Bd. 3, Nr. 93, S. 77–95 (Text). Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. Bloomfi eld, Incipits of Latin Works, Nr. 2239. Der Tractatus de non esu carnium, der im Codex 13904 (Wien, vgl. Tabulae codicum, Bd. 7, S. 281) überliefert ist, ist vermutlich mit Gersons Text identisch. Der Codex wird entweder Johannes Gerson oder einem Johannes de Gormant zugeschrieben (»Johannes Gerson, Tractatus de non esu carnium, qui ab aliis Johanni de Gormant attribuitur«, S. 281). Zu Gersons Beziehungen zu den Kartäusern vgl. McGuire, Jean Gerson, S. 61–86. 54 Zur Datierung: Gerson erwähnt mehrfach im Text die aktuelle Lesung, die von Johannes dem Täufer handle: »Nunc tandem occasione sumpta ex contextu praesentis lectionis quae de abstinentia loquitur beati Joannis Baptistae [. . .]« (Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 3, Nr. 93, S. 78); »secundum praesentem lectionis nostrae textum« (a.a.O., S. 93). Der Dezember kennt jedoch weder ein Fest noch einen Gedenktag für Johannes; möglicherweise bezieht Gerson sich auf die Evangeliumslesung am zweiten Advent. 55 »Nunc ad medicos conversus obsecro et obtestor [. . .]; sciant et observent quoniam sicut animae corpus ita medicinam theologiae et morali scientiae sicut architectonicae subjici aequum est, servire et ancillari.« (Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 3, Nr. 93, S. 93 f.). 56 Zu Biographie und Werk vgl. Gerwing, Vom Ende der Zeit, S. 26–75; Lohr, Art. Arnald von Villanova, in: LThK 3 1 (1993), Sp. 1015 f.; Keil, Art. Arnald von Villanova, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 455–458.

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dern auch theologisch mit dem notwendigen Gehorsam gegenüber der Regel.57 Gerson argumentierte ebenfalls für eine strikte Abstinenz der Kartäuser.58 Doch gestattete er im Fall lebensbedrohlicher Erkrankung das Essen von Fleisch,59 während Arnald in diesem Fall das Essen von Eidotter empfahl.60 Auch Gersons Lehrer Pierre d’Ailly (1350–1420) 61 verfasste eine Schrift über die Abstinenz der Kartäuser,62 die einem Kartäuser Johann gewidmet war und vermutlich rund um das Konzil von Konstanz entstand.63 Denn für das Konzil schrieb er im Oktober 1416 auch die Schrift De reformacione ecclesiae, in der er wie Gerson zur Mäßigung der Abstinenz aufrief.64 57 Arnald von Villanova, De esu carnium, ediert in: Opera medica omnia 11, hg. v. D. Bazell. Bazell edierte die Schrift bereits in ihrer Dissertation 1991 unter dem Titel Tractatus de esu carnium pro sustentatione ordinis Carthusiensis contra Jacobitas (Bazell, Christian Diet, S. 190–213). Vgl. zur Interpretation des Traktats Paniagua, Abstinencia de carnes, S. 323– 346. 58 Vgl. »Prima conclusio: potest rationabiliter in ordine Carthusiensium esse lex generalis vel statutum ut nullus frater illius ordinis comedat unquam carnes; immo et si petat, quod non ministrentur sibi. Et ad hujusmodi observationem fas est disciplinam gravem contra transgressores institui.« (Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 3, Nr. 93, S. 78; vgl. S. 78–80). 59 Vgl. »Secunda conclusio: non obstat rationabilitati praefatae legis vel statuti quod dabilis est casus in quo frater Carthusiensis etiam professus, obligaretur vesci carnibus et alius sibi ministrare teneretur.« (Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 3, Nr. 93, S. 78; vgl. S. 80–84). 60 Vgl. »Ait [Arnaldus de Villanova] enim quod in aegritudine qualibet curabili humidum radicale sufficienter restaurari potest per vitella ovorum absque esu carnium requisito.« (Glorieux, Jean Gerson. Œuvres Complètes 3, Nr. 93, S. 80). 61 Vgl. zu Person und Werk Frenken, Art. Petrus von Ailly, in: BBKL 7 (1994), Sp. 320– 324; Schneider, Art. Petrus de Alliaco, in: VerLex 2 7 (1989), Sp. 495–499. 62 Petrus de Yliaco, Tractatus de racionabilitate statuti inviolabilis abstinencie perpetue ab esu carnium in ordine Carthusiensi (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 828). Die hier im Tegernseer Bibliothekskatalog (1483) genannte Schrift ist vermutlich identisch mit dem Traktat in clm 18381, f. 153–160 (BSB München), unter dem Titel Tractatus Petri Camerac.[ensi] de abstinentia carnium, von dem Tschackert, Peter von Ailli, App. 25–28, Auszüge bietet. Werküberblicke, vgl. Glorieux, L’œuvre littéraire de Pierre d’Ailly (1965), S. 61–78; Repertorium Fontium Historiae Medii Aevi 2 (1967), S. 153–156, erwähnen die Schrift jedoch nicht. Die handschriftliche Überlieferung ist noch nicht systematisch erforscht. Aus Kartäuserklöstern des 15. Jahrhunderts sind mehrere Abschriften überliefert: Codex GB oct. 144, f. 54r–57v (Stadtarchiv Köln), bietet einen Auszug aus dem Traktat (vgl. Vennebusch, Die theologischen Handschriften, Teil 3, S. 132). Auch Codex Hs I 170, f. 63r–68v (Stadtbibliothek Mainz), gibt nur einen Auszug wieder. Den vollständigen Traktat bietet ein weiterer Mainzer Codex, Hs I 228, f. 185r–204r (Stadtbibliothek Mainz) (vgl. List, Die Handschriften der Stadtbibliothek, Bd. 2, S. 282). 63 Vgl. Hs I 228, f. 185r (Stadtbibliothek Mainz): »religioso viro fratri Iohanni de Gouhenans ordinis Carthusiensis« (vgl. List, Die Handschriften der Stadtbibliothek, Bd. 2, S. 282). 64 Pierre d’Ailly, De reformacione ecclesiae, gedruckt: Miethke, Quellen zur Kirchenreform 1, S. 338–377.

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Henricus de Piro (1403–1473) 65 verfasste zuerst 1427 aus kirchenrechtlicher Sicht den Traktat Contra esum carnium quorundam monachorum, der von Abt Johannes Rode aus Trier, dem Mitbegründer der Bursfelder Reformbewegung, positiv begutachtet wurde.66 Nach seinem Eintritt in die Kölner Kartause im Jahr 1435 schrieb er um 1444 eine weitere De-esu-carniumSchrift für den Prior der niederländischen Kartause Roermond, in der er die völlige Abstinenz vom Fleisch forderte.67 Auch der Erfurter Kartäuser Jakob von Paradies (1381–1465) 68 schrieb noch vor seinem Übertritt zu den Kartäusern den Tractatus super esum carnium (1434) als Reformschrift für die Zisterzienser,69 die stark von der Bursfelder Reformbewegung rezipiert wurde.70 Darin behandelt er u. a. die Frage, ob der Fleischgenuss gegen das Gebot der Benediktsregel eine Todsünde ist,71 was er – wie Bernhard in der Epistola – unter bestimmten Umständen bejaht.72 Der Erfurter Kartäuser Johannes Hagen (1415–1475/76) thematisierte wohl in mehreren Schriften die Abstinenz der Kartäuser.73 In De confirmacione ordinis Carthusiensis (nach 1456) warb er für den Eintritt bei den Kar65 Vgl. zu Henricus de Piro (auch: Heinrich von Birnbaum) Frenken, Art. Piro, Henricus Brunonis de Piro, in: BBKL 7 (1994), Sp. 637–639; Richermoz, Art. Henri de Piro, in: DSp 7 (1969), Sp. 230–232. 66 Vgl. Becker, Das monastische Reformprogramm, S. 58 f. 67 Henricus de Piro, De esu carnium; auch unter dem Titel De confirmatione ordinis Carthusiensis überliefert, vgl. MS. theol. lat. qu. 324/4 (Staatsbibliothek Berlin, Preußischer Kulturbesitz). 68 Auch: Jakob von Jüterbog; Iacobus Carthusiensis, Jacob de Claratumba. Zur Biographie vgl. Meier, Die Werke des Erfurter Kartäusers, S. 1–8. Meier, S. 12–88, bietet einen Überblick über die Schriften Jakobs; ergänzt und korrigiert bei Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 276–285. 69 Eine Ermahnung zur Abstinenz bei den Zisterziensern ist im Kontext der De-esu-carnium-Traktate des 15. Jahrhunderts nach gegenwärtigem Forschungsstand singulär (vgl. zur Reform der Zisterzienser im 15. Jahrhundert: Schreiner, Spätmittelalterliches Zisterziensertum, S. 43–77; Schimmelpfennig, Das Papsttum und die Reform, S. 399–410). Vgl. zur Überlieferung Meier, Die Werke des Erfurter Kartäusers, S. 14 f.; Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 276. Die Schrift ist unter dem Titel Tractatus super esum carnium editus a venerabili magistro Jacobo de Claratumba ordinis nostri sacre theologiae professore eximio in Auszügen bei Fijalek, Mistrz Jakób, S. 116–134, abgedruckt. Fijalek, S. 112 f., nennt als Grundlage seines Abdrucks den Münchener Codex clm 1968, f. 66–94v (BSB München); diese Angabe ist vermutlich ein Druckfehler. Vielmehr bildete die Abschrift aus dem Tegernseer Codex clm 19648, f. 66–94v, die Textgrundlage für den Abdruck. Fijalek behandelt den Traktat als gesondertes Werk. Dafür spricht auch die selbständige Überlieferung. Sekundär wurde die Schrift als 16. quaestio in Jakobs Liber quaestionum de diversis materiis (um 1434) aufgenommen. 70 Vgl. zur Rezeption Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 96–108. 71 Vgl. Tractatus, clm 19648, f. 67v (BSB München) (Fijalek, Mistrz Jakób, S. 120): »Utrum esus carnium in religioso sano, secundum regulam sancti Benedicti professo, precipue tamen Cisterciensi, in aliquo casu possit esse mortale?« 72 Vgl. Tractatus, clm 19648, f. 77v (BSB München) (Fijalek, Mistrz Jakób, S. 129). 73 Auch: Johannes de Indagine; vgl. zu Leben und Werk Mertens, Art. Hagen, Johannes,

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täusern u. a. mit deren strenger Abstinenz vom Fleisch.74 Auch in seinen Briefen äußerte er sich mehrfach zur Abstinenz,75 und speziell für die Bursfelder Reform verfasste er die Schrift De esu carnium.76 Schließlich behandelte der Kartäuser Vinzenz von Aggsbach das Thema in seinem an Johannes Schlitpacher adressierten Brieftraktat De non esu carnium.77 Seine Äußerungen sind Beweis dafür, dass die Personen, die sich bereits mit Schriften zum Konziliarismus und zur Mystik an der zeitgenössischen Reformdebatte beteiligten, auch an der Diskussion über die Fleischabstinenz teilnahmen. Die »Benediktiner sind den Kartäusern durch den gleichen finis particularis verbunden und verwenden zu seiner Erreichung verwandte Themen (instrumenta), unter denen [. . .] das Verbot des Fleischgenusses [. . .] keineswegs die unwichtigste ist«.78 Ziel ist die Reform der Klöster durch Rückkehr zur (wörtlichen) Befolgung der Benediktsregel. Die Strenge der Enthaltsamkeit vom Fleisch betonten daher sowohl kartäusische Autoren als auch die Autoren der Melker Reformbewegung, während die strikte Fleischlosigkeit bei Autoren außerhalb des Melker Reformkreises durchaus umstritten war.

in: VerLex 2 3 (1981), Sp. 388–398. Der Autor darf nicht verwechselt werden mit dem gleichnamigen Benediktiner Johannes (von) Hagen († 1468), Abt von Bursfelde. 74 Johannes Hagen, De confi rmacione ordinis Carthusiensis et de statuto de non esu carnium, überliefert in Cod. Hist. 1 (Bistumsarchiv Erfurt), f. 259v. Vgl. Klapper, Der Erfurter Kartäuser, Bd. 1, S. 41; Bd. 2, S. 134. Dieser Codex ist aus dem Nachlass Hagens zusammengestellt und enthält v. a. Schriften, die zwischen 1456 und 1474 geschrieben wurden, als Johannes Hagen aus Frankfurt/Oder und Stettin in die Kartause Erfurt zurückgekehrt war. Rüthing, Art. Jean Hagen, in: DSp 8 (1974), Sp. 543–552, meint wohl diese Schrift mit dem Titel De confirmatione, approbatione et commendatione sacri ordinis cartusiensis. Die Autorschaft ist nicht völlig gesichert. Denn eine Schrift unter dem Titel De confirmacione ordinis Carthusiensis wird auch Henricus de Piro zugeschrieben, vgl. MS. theol. lat. qu. 324/4, f. 116v–118v (Staatsbibliothek Berlin, Preußischer Kulturbesitz) (vgl. Achten, Die theologischen lateinischen Handschriften, S. 128). Den Titel De approbatione et confirmatione statutorum ordinis Carthusiensis hat auch eine Schrift Jakobs von Paradies (vgl. Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 40; Meier, Die Werke des Erfurter Kartäusers, Nr. 17). Das Problem der Autorzuweisung liegt auch in der Ähnlichkeit des Inhalts. 75 Klapper, Der Erfurter Kartäuser, Bd. 2, S. 55, nennt einen Brief an den Abt in Huysburg zur Frage, ob Äbte von der Fleischabstinenz dispensieren dürfen (Cod. Hist. 1, f. 71v (Bistumsarchiv Erfurt)). Auch die Notiz Notandum de esu carnium in regula sancti Benedicti. Determinatio de esu carnium apud monachos (Qu. cod. 134, f. 12v, Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt) wird Johannes Hagen zugeschrieben. 76 Johannes Hagen, De voto abstinendi a piscibus, a carnibus etc. – De esu carnium in ordine S. Benedicti, überliefert in der Handschrift H 61 (Bistumsarchiv Erfurt), vgl. Klapper, Der Erfurter Kartäuser, Bd. 2, S. 27; Mertens, Art. Hagen, Johannes, in: VerLex 2 3 (1981), Sp. 395. Die von Mertens genannte Überlieferung dieser Quaestio in der Handschrift A 56 = cod. Hist. 1 im Bistumsarchiv Erfurt ist nicht zu verifi zieren. 77 Vinzenz von Aggsbach, De non esu carnium, um 1459/60?, vgl. Cod. Mell. 662, f. 189v (SB Melk) (Pez, Thesaurus anecdotorum 6/3, S. 357). 78 Mertens, Iacobus Carthusiensis, S. 130.

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5 Bernhards Schriften zur Askese

5.3.5 Überblick über die De-esu-carnium-Schriften Schriften von Autoren der Melker Observanz

Schriften von Autoren, die Schriften zur kartäusischen nicht der Melker Observanz Abstinenz angehören, zur benediktinischen Abstinenz

Von 1400 bis einschließlich des Konzils von Konstanz (1414–1418) Johannes Gerson: Tractatus de non esu carnium (1401) vs. Arnald von Villanova: De perpetua abstinentia carnium (vor 1311) Pierre d’Ailly: Tractatus de abstinentia carnium (ca. 1414–1418) Von 1418 bis einschließlich des Konzils in Basel (1433–1438) Petrus von Rosenheim: De abstinentia ab esu carnium; De esu carnium in regula S. Benedicti prohibito (vor 1433)

Johannes Gerson: Propositiones (1428) Kaspar von Maiselstein: De esu carnium (1428) Nikolaus von Dinkelsbühl: Tractatus (um 1430) Johannes Nider: De abstinentia esus carnium (1434–1436) Johannes von Palomar: Tractatus (vor 1437)

Henricus de Piro: Contra esum carnium (1427) Jakob von Paradies: Tractatus super esum carnium (1434)

Nach 1438 Johannes Schlitpacher: Tractatus de esu carnium (40er Jahre?) Johannes de Spira: De illicito esu carnium monachorum sanorum et fortium; weitere Traktate zur Fleischabstinenz (vor 1458) Konrad von Geisenfeld: De esu carnium (vor 1445) Bernhard von Waging: Epistola contra illicitum esum carnium (1456); Dialogus (?) Johannes de Werdea: Responsio super consultacione (vor 1460)

Henricus de Piro: De esu carnium epistola (1444) Johannes Hagen: De confi rmacione (nach 1456)

Johannes Hagen: De esu carnium (vor 1475) Godefroid de Godinne: De esu carnium (1495)

5.3 Die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts

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Der Überblick nach Verfassern der De-esu-carnium-Schriften zeigt, dass die meisten Schriften zur benediktinischen Abstinenz verfasst wurden, viele davon von Autoren aus der Melker Reform und für diese Reform. Zahlenmäßig weniger Schriften entstanden für Adressaten der Bursfelder Reform oder zur kartäusischen Abstinenz. Alle Schriften gehen unmittelbar aus den Bemühungen um die Ordensreform im 15. Jahrhundert hervor, deren Vollzug und Diskussion auf dem Konzil von Basel ihren Höhepunkt erreichte. Dem entspricht, dass chronologisch betrachtet die meisten bisher bekannten De-esu-carnium-Schriften rund um das Konzil verfasst wurden. Auf dem Konzil von Basel wurde mit der Reform der Orden gerade die Frage der Nahrungsaskese verknüpft, und an dieser Diskussion beteiligten sich sowohl Autoren, die der Melker Observanz angehörten, als auch andere an der Reform interessierte Personen mit theologischen und juristischen Kenntnissen. Nach dem Konzil entstanden noch einige Abstinenzschriften, fast alle von Autoren der Melker Reform verfasst, wie z. B. Bernhards Epistola. Mit dem Scheitern der Unionsverhandlungen in den 70er Jahren fi nden sich nur noch vereinzelt Schriften.79 Das Konzil von Basel, gemeinsame Visitationen sowie die Gespräche über die Union in den 50er und 60er Jahren waren Anlass für die Entstehung von De-esu-carnium-Schriften und Gelegenheiten des Austauschs dieser Schriften. Charakteristisch für die Autoren war jedoch, dass sie nie explizit andere De-esu-carnium-Traktate zitierten, was die Bestimmung von Abhängigkeit und Eigenständigkeit erschwert. Aus der Reaktion des Johannes Schlitpacher auf Bernhards Epistola kann für den Melker Reformkreis als erwiesen gelten, dass die Schriften zur Abstinenz ausgetauscht wurden. Bernhard kannte mit Sicherheit bereits vor Abfassung seiner Epistola (1456) einige der zeitgenössischen Traktate, die er möglicherweise sogar wie Schriften zur Mystik für die Tegernseer Bibliothek sammelte.

79 Ihren Abschluss fand die Diskussion der Fleischabstinenz 1523, als der Papst den Benediktinern der Kirchenprovinz Mainz-Bamberg den Fleischgenuss an zwei oder drei Tagen pro Woche erlaubte (vgl. Volk, Das Abstinenzindult von 1523, S. 333–363; S. 46–49). Begründet wurde die Erlaubnis, Fleisch zu essen, nun gerade mit dem Reformgedanken: Gebildete und intelligente Personen würden sich vom Eintritt ins Kloster durch zu strenge Askese abschrecken lassen. »Fleischgenuss [. . .] verwandelte sich in eine unverzichtbare Voraussetzung klösterlicher Reform.« (Schreiner, Benediktinische Klosterreform, S. 194).

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5 Bernhards Schriften zur Askese

5.3.6 Bernhards Kenntnis der De-esu-carnium-Schriften Im Tegernseer Bibliothekskatalog von 1483 sind De-esu-carnium-Schriften von Johannes de Spira,80 Nikolaus von Dinkelsbühl,81 Johannes Nider 82 und Johannes von Palomar 83 zur benediktinischen Abstinenz genannt. Von den Schriften für die kartäusische Abstinenz lassen sich zu dieser Zeit in Tegernsee die Traktate von Arnald von Villanova,84 Johannes Gerson85 und Pierre d’Ailly86 nachweisen, nicht aber die De-esu-carnium-Schriften des Kartäusers Henricus de Piro,87 von Johannes Hagen88 und Jakob von Paradies.89 Der Traktat des Jakob von Paradies wurde aber wohl in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch abgeschrieben oder erworben, da eine Handschrift des 15. Jahrhunderts mit Provenienz aus Tegernsee diese Schrift unter dem Titel Tractatus super esum carnium enthält.90 Über die Titel im Bibliothekskatalog hinaus fi nden sich noch kleine Deesu-carnium-Schriften in den Tegernseer Codices aus dem 15. Jahrhundert: So bietet die Sammelhandschrift clm 18551 Aussagen des Stephan von Paris zur Abstinenz und eine anonyme Schrift De esu carnium.91 Der Codex 18600,

80 Vgl. Johannes de Spira, Questio utrum monachus contra preceptum abbatis sui comedens carnes peccet mortaliter (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 807). 81 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, Determinatio questionis an esus carnium licitus sit (a.a.O., S. 821). Unter diesem Titel wird der De-esu-carnium-Traktat sonst nicht überliefert; doch möglich ist, dass Nikolaus sich mehrfach zum Thema geäußert hat. 82 Vgl. Johannes Nider, Tractatus de abstinentia ab esu carnium (a.a.O., S. 799). Die hier genannte Schrift entspricht dem heutigen Codex clm 18381, f. 4–26v (BSB München), Tegernsee, 15. Jahrhundert. 83 Vgl. Johannes von Palomar, Tractatus de esu carnium (a.a.O., S. 806). Martin von Senging fertigte am 12. Januar 1448 von diesem Traktat eine Abschrift an, überliefert in Cod. Mell. 1100, p. 160–166 (SB Melk), die vielleicht Vorlage für eine Tegernseer Abschrift war. 84 Vgl. Arnald von Villanova, Tractatus contra illos, qui detrahunt Cartusiensibus propter statutum eorum immobile de abstinentia carnium perpetua (a.a.O., S. 765). 85 Vgl. Johannes Gerson, Tractatus pro Carthusiensis de non esu carnium (a.a.O., S. 800). Überliefert mit Tegernseer Provenienz ist Gersons Traktat u. a. im auf das Jahr 1450 datierten Codex clm 18566 (BSB München), so dass Bernhard diesen wahrscheinlich vor Abfassung der Epistola kannte. 86 Vgl. Petrus de Yliaco, Tractatus de racionabilitate statuti inviolabilis abstinencie perpetue ab esu carnium in ordine Carthusiensi (a.a.O., S. 828). 87 Im Bibliothekskatalog von 1483 sind Autor und Titel nicht nachweisbar, ebensowenig in den Codices des 15. Jahrhunderts aus Tegernsee. 88 Der Tegernseer Katalog von 1483 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 812) kennt nur »Iohannis de Idagine [. . .] Soliloquium hominis devoti«. 89 Vgl. a.a.O., S. 797. 90 Vgl. Jakob von Paradies, Tractatus super esum carnium, clm 19648, f. 66–94v (BSB München). 91 Vgl. clm 18551 (BSB München): De esu carnium (f. 33v–38v); Stephanus Paris (f. 38v40r).

5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern

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in dem mehrere Schriften Bernhards zusammengestellt sind, enthält ebenfalls einen anonymen Tractatus de esu carnium.92 Die zahlreichen De-esu-carnium-Schriften in der Tegernseer Bibliothek bezeugen das Interesse der Tegernseer Benediktiner, allen voran Bernhards, an der Diskussion um die Fleischabstinenz. Alle genannten Schriften versuchen, die Abstinenz theologisch und kirchenrechtlich zu begründen. Dabei beruhen die in den Traktaten vertretenen inhaltlichen Positionen auf einem festen Kanon normativer Texte.

5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern Kern aller De-esu-carnium-Schriften sind die Abstinenzaussagen in den Kapiteln 36 und 39 der Benediktsregel. Doch für deren Interpretation zitieren alle diese Traktate aus einem Kanon normativer oder als normativ verstandener Texte, angefangen von den Regelkommentaren des 9. Jahrhunderts bis zu den Reformdekreten der Konzile des 15. Jahrhunderts. Diese Texte zeigen das Ideal der geforderten Observanz und führen zugleich die Entwicklung des Streits um die Regelauslegung, die inhaltlich umstrittenen Punkte und die häufig verwendeten Argumente vor Augen. Wie die Autoren der De-esu-carnium-Traktate des 15. Jahrhunderts rezipiert auch Bernhard in der Epistola diese Texte, die hier knapp vorgestellt werden.

5.4.1 Die Aussagen der Benediktsregel Streitpunkt der De-esu-carnium-Schriften wurden zwei Aussagen der Benediktsregel in den Kapiteln 36 und 39, in denen Benedikt von caro im Zusammenhang mit dem Essen bzw. der Enthaltsamkeit (abstinentia) vom Fleisch spricht.93 In Kapitel 39,11 verbietet er gesunden Mönchen den Genuss von Fleisch vierfüßiger Tiere ausdrücklich. »Carnium vero quadripedum omnimodo ab omnibus abstineatur comestio praeter omnino debiles aegrotos.«94 Er gestattet aber in Kapitel 36,9 den Kranken und Schwachen im Krankensaal, zur Wiederherstellung der Gesundheit (reparatio) Fleisch zu 92 Vgl. clm 18600 (BSB München), f. 414r–415v. Dieser kurze Traktat könnte inhaltlich ein Auszug aus der Epistola sein, denn vertreten wird eine strikte Abstinenz und die Dispens des Abts wird abgelehnt. 93 An anderen Stellen spricht die Regel vom Fleisch (caro) negativ konnotiert als den zu bekämpfenden fleischlichen Gelüsten der Mönche, vgl. »vitia carnis« (RB 1,5), »desideria carnis« (RB 4,59; 7,12; 7,23) oder »in interitum carnis« (RB 25,4). 94 RB 39,11. Unter dem Begriff »caro quadrupedum« (auch: »caro quadripedum«) werden vierfüßige Landtiere ohne Flügel verstanden im Unterschied zur Magisterregel, die als »quadrupedes« auch geflügelte Landtiere (pinnatus) versteht, vgl. dazu Gindele, Der Genuß von Fleisch, S. 507.

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5 Bernhards Schriften zur Askese

essen. Bessert sich der Gesundheitszustand, sollen sie nach allgemeinem Brauch (more solito) wieder auf Fleisch verzichten.95 Beide Aussagen stehen in den Kapiteln zur täglichen Versorgung (c. 35– 41) und folgen der geistlichen Bestimmung des monastischen Lebens in den Anfangskapiteln der Regel (c. 1–20) und den Vorschriften zur Organisation des Gesamtklosters (c. 21–34). Bereits aus der Stellung der Aussagen zur Abstinenz kommt diesen daher nicht die zentrale Bedeutung zu, die sie in der monastischen Diskussion des 9. bis 15. Jahrhunderts erlangten. Doch einzelne Aspekte waren bald strittig: Erlaubte Benedikt durch das Verbot des Verzehrs vierfüßiger Tiere implizit den Genuss von Geflügel? 96 Wer sind die »debiles aegroti«, und kann vom Abstinenzgebot dispensiert werden? Damit verbunden ist die Frage, ob die Abstinenzaussagen zu den Geboten (praecepta) oder den Empfehlungen (consilia, monita) der Regel gehören, was die Schwere der Schuld und die Strafe beim Verstoß gegen die Abstinenz bestimmte. Letzteres wird für Bernhard die Ausgangsfrage in seiner Epistola. Grundlegend für die Beantwortung dieser Fragen ist schließlich das Verständnis der Benediktsregel: Darf die Regel nur nach dem Wortlaut oder auch nach Kontext und Intention interpretiert und damit aktualisiert werden, wie dies durch die Consuetudines eines Klosters oder durch die Dispens geschah? Denn trotz des normativen Charakters der Regel hat das in ihr vertretene Recht dynamische Elemente, wenn der Abt nach den Kriterien der discretio und der Mäßigung im Einzelfall dispensiert97 oder Consuetudines als »Ausführungsbestimmungen« 98 der Regel die Abstinenz mildern. In diesen Fragen zeigen sich die Grundlinien des Streits um die Aussagen der Regel, dessen Anfänge die Regelkommentare des 9. Jahrhunderts widerspiegeln.

95 »Sed et carnium esus infi rmis omnino debilibus pro reparatione concedatur; adubi meliorati fuerunt, a carnibus more solito omnes abstineant.« (RB 36,9) Die Ausnahme für Kranke in 39,11 ist ohne Parallele in der Magisterregel. Diese gestattete aber in der Osterund Weihnachtszeit allen Mönchen den Genuss von Geflügel (Regula Magistri 53,26–27), was Benedikt nicht ausdrücklich erlaubt. Vgl. zur Abhängigkeit von RB 36,9–11 von früheren Regeln Vogüé, La Règle, S. 1091–1094. 1137–1141. 96 So das Verständnis der weniger strengen Richtungen im Mittelalter; diese ›laxe‹ Interpretation setzte sich durch, vgl. Vogüé, La Règle, S. 1140. 97 Vgl. Jacobs, Die Regula Benedicti als Rechtsbuch, S. 125: »Die Dispensregeln lassen exemplarisch deutlich werden, dass sich in concreto benediktinisches Recht nicht in Positivität erschöpfen muß; vielfach beschränkt sich die Regula auf eine Rahmengesetzgebung.« 98 Angerer, Zur Problematik, S. 312–323, hier: S. 319.

5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern

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5.4.2 Die Kommentierung der Benediktsregel vom 9. bis 14. Jahrhundert Mit der Verbindlichkeit der Benediktsregel für das Mönchtum im Frankenreich seit 816 wurde auch die Interpretation der asketischen Vorschriften der Regel diskutiert. Denn die Abstinenzforderung hatte nördlich der Alpen nicht nur spirituelle, sondern auch wirtschaftliche Bedeutung. Der Verzicht auf Fleisch zugunsten von Fisch war im europäischen Binnenraum nicht nur schwierig und kostspielig zu realisieren; auch die Pacht aus der Grundherrschaft der Klöster wurde in der Regel in Naturalien, darunter Geflügel, bezahlt.99 Während unter dem Einfluss Benedikts von Aniane 816 auf der in Aachen tagenden Äbteversammlung das Fleischverbot für gesunde Mönche beschlossen wurde, gestattete bereits 817 eine zweite Äbteversammlung den Benediktinern den Genuss von Geflügel zu Ostern und Weihnachten, was sich nach 819 in der Anianischen Reform im Frankenreich durchsetzte.100 5.4.2.1 Die Kommentare des 9. Jahrhunderts von Smaragdus und Hildemar Im Kontext der Anianischen Reform entstanden im 9. Jahrhundert die lateinischen Kommentare von Smaragdus und Hildemar mit den Redaktionen durch Basilius und Paulus Diaconus. Smaragdus († um 830), Abt von St. Mihiel in Lothringen,101 verfasste um 816/17 seinen umfangreichen Regelkommentar, die Expositio regulae S. Benedicti (816/17), in dem die Aussagen zur Abstinenz knapp behandelt werden.102 Smaragdus kommentiert noch nicht Wort für Wort, sondern fügt an den jeweiligen Satz der Regel eine kurze Erläuterung an. Sein Kommentar zu RB 36,9 fordert den Abt zur Prüfung auf, ob der Mönch die Krankheit nicht der besseren Verpflegung wegen vortäusche.103 Die Fleischabstinenz gesunder Mönche setzt Smaragdus voraus und bestätigt sie im Kommentar zu RB 39,11 mit Zitaten aus älteren Mönchsregeln. Er betont, dass die »debiles aegroti« nicht zwei Gruppen, sondern eine Gruppe von »schwachen Kranken« sind.104 In der knappen Kommentierung zeigt sich bereits die For99

Vgl. Volk, Das Abstinenzindult von 1523, S. 336. Die Zahl der Tage, an denen der Geflügelverzehr erlaubt war, variiert in den Handschriften zwischen drei und sechs Tagen. Vgl. zur Interpretation der Abstinenz in karolingischer Zeit Semmler, Volatilia, S. 165–167. 101 Vgl. zu Person und Werk die Einleitung zur kritischen Edition: Smaragdi Abbatis Expositio in Regulam S. Benedicti, hg. v. A. Spannagel, S. XXII–XXXIV; vgl. Rädle, Studien zu Smaragd, S. 13–21 zur Biographie, S. 22–39.51–78 zur Zuweisung der Schriften an Smaragdus; Bischoff, Die ältesten Handschriften, S. 7–16. Der Regelkommentator Smaragdus ist nicht zu verwechseln mit Ardo Smaragdus, vgl. Rädle, Studien zu Smaragd, S. 79–96. 102 Vgl. Smaragdi Abbatis Expositio, zur Abstinenz: S. 248–251. 255–257. 103 Vgl. Smaragdi Abbatis Expositio, S. 250 f. 104 Vgl. Smaragdi Abbatis Expositio, S. 257. Die historisch-kritische Ausgabe der RB von Hanslik liest hier: »omnino debiles aegrotos«, während viele Autoren des Mittelalters »om100

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5 Bernhards Schriften zur Askese

derung rigoroser Abstinenz für gesunde Mönche im litteralen Verständnis der Benediktsregel. Auch der Kommentar des Hildemar († um 850), erhalten in den Redaktionen seiner Schüler, schließt sich der strengen Abstinenzforderung an.105 Hildemar stimmt mit den Aachener Beschlüssen von 816 überein, die er durch seinen Kommentar begründen will. Er argumentiert mit der Tradition der Abstinenz im Mönchtum, die er consuetudo nennt, und mit den Gepflogenheiten (mores) in der Alten Kirche (primitiva ecclesia), die er als Vorbild sieht. Aus dieser Tradition folgert er, dass der Genuss von Fleisch sowohl vierfüßiger als auch geflügelter Tiere verboten sei, und er dehnt damit das Fleischverbot explizit auf die volatilia aus.106 Hildemar nennt inhaltliche Argumente, die noch die Autoren des 15. Jahrhunderts übernehmen, wie z. B. den größeren Wohlgeschmack von Geflügelfleisch, so dass im Schluss vom Kleineren auf das Größere mit dem Verbot des weniger schmackhaften Fleischs vierfüßiger Tiere auch Geflügelfleisch verboten wird.107 Die Redaktion des Paulus Diaconus (725/730– 799) in Dialogform folgt inhaltlich der Ablehnung des Geflügelverzehrs, ergänzt aber das Verbot tierischer Fette.108

nino debiles et aegrotos« lesen und damit Schwache und Kranke als zwei Personengruppen verstehen, was den Personenkreis derer, die Fleisch essen durften, erweiterte. 105 Vgl. Hildemar, Expositio regulae ab Hildemaro tradita et nunc primum typis mandata, hg. v. R. Mittermüller. Die ältere Forschung ging davon aus, dass der Kommentar des Langobarden Paulus Diaconus, möglicherweise in Montecassino entstanden, von Hildemar benutzt und erweitert wurde, und dieser wiederum den Basilius-Kommentar, von einem Hildemar-Schüler verfasst, beeinflusste. Dagegen legte Hafner, Der Basiliuskommentar, 1959 überzeugend dar, dass sowohl der Kommentar des Paulus Diaconus als auch der des Basilius nur Redaktionen des Hildemar-Kommentars sind, die auf Notizen zur Regelerklärung und dem mündlichen Vortrag Hildemars beruhen. Hafner zufolge entstand der Hildemar-Kommentar nach 800; der Kommentar des Paulus Diaconus kann als die süditalienische Überlieferung der Regelerklärung Hildemars verstanden werden, vgl. Hafner, Der Basiliuskommentar, S. 347–358, zur Basilius-Redaktion: S. 112–143. Vgl. Zelzer, Von Benedikt zu Hildemar, S. 112–130. 106 Vgl. Hildemar, Expositio regulae, c. 36, S. 413: »Consuetudo erat monachis a carnibus abstinere non tantum quadrupedum, sed etiam volatilium, sicut faciebat primitiva ecclesia, cujus morem monachi omnimodo sequi debent.« 107 Vgl. Hildemar, Expositio, c. 39, S. 441 f. 108 Vgl. Paulus Diaconus, Commentarium, c. 36 (S. 122 f.); c. 39 (S. 128). Migne (PL 95) nimmt unter die Werke des Paulus Diaconus dessen Opera Historica, Ascetica und die Epistolae et Carmina auf, nicht aber den Regelkommentar. Dieser wurde 1880 nach einer Handschrift aus Montecassino diplomatisch abgedruckt (Commentarium Pauli Warnefridi Diaconi Casinensis in Regulam S. P. N. Benedicti, in: Bibliotheca Casinensis 4, Monte Cassino 1880, S. 12–173).

5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern

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5.4.2.2 Die Rezeption der Regel-Kommentare in den De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts Sowohl die Regelauslegung des Smaragdus als auch der Hildemar-Kommentar wurden von den Autoren der De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts als Autoritäten zitiert. Da aber Smaragdus fast nur mit Zitaten arbeitete, wurden Kommentar und Argumente des Hildemar stärker rezipiert. Obwohl im Tegernseer Bibliothekskatalog (1483) nur die Dyadema monachorum und die Metra eius egregia de excellentia regule sancti Benedicti als Werke des Smaragdus genannt werden,109 kannte Bernhard vermutlich dessen Regelkommentar, zumindest über den Kommentar des Bernhard von Montecassino vermittelt, der den Smaragdus-Kommentar ausdrücklich als Quelle nennt.110 Der Hildemar-Kommentar war in der Basilius-Redaktion in Melk und Tegernsee im 15. Jahrhundert vorhanden und wird in Bernhards Epistola wie im Dialogus zitiert.111 Spätere Regelkommentare rezipierten die Autoren der De-esu-carniumSchriften des 15. Jahrhunderts nur selektiv. So wurden Schriften wie die des Hrabanus Maurus, die für eine Milderung der Abstinenz eintreten, in der Regel nicht zitiert.112 Zitiert wurden aber die Kommentare von Bernhard von Montecassino und Petrus Boërius, und in diesen Kommentaren verbindet sich bereits die Kommentierung der Benediktsregel mit der der päpstlichen Reformerlasse. 5.4.2.3 Der Kommentar des Bernhard von Montecassino Zur Erneuerung des geistlichen Lebens im Kloster Montecassino schrieb Abt Bernhard von Montecassino (1200–1282) 1272 das Speculum monachorum und wenig später einen Kommentar zur Regel.113 In der Expositio in 109 Vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 839. Da die Metra, Lobverse auf die Benediktsregel, meist als Praefatio des Regelkommentars, der Expositio, des Smaragdus überliefert wurden, ist anzunehmen, dass in Tegernsee auch diese bekannt waren, vgl. Praefatio metrice dicta, in: Smaragdi Abbatis Expositio, S. 3–5. Der Smaragdus-Kommentar ist in Abschriften des 15. Jahrhunderts im bayerischen Raum überliefert, vgl. zur handschriftlichen Überlieferung, Smaragdi Abbatis Expositio, S. XV–XXI. 110 Diesen Überlieferungsweg vermutet Ellegast, Die Anfänge einer Textkritik, S. 53: »Für Schlitpacher waren die Kommentare des Petrus Boerius und des Cassinenser-Abtes Bernhard Hauptquellen in seiner Arbeit. Smaragdus wird von ihm zitiert, wahrscheinlich aber nicht direkt, sondern auf dem Umweg über Petrus Boerius. Den Melker HildemarKommentar dürfte er für seine Begriffe als überholt betrachtet haben.« 111 Die Tegernseer Abschrift stammt aus dem Besitz des Petrus von Rosenheim, der sie bereits 1427 als Visitator nach Tegernsee mitbrachte, vgl. clm 18103 (BSB München; »Exposicio Hildemari abbatis super regulam monachorum«). Vgl. Hafner, Der Basiliuskommentar, S. 27–30; Bruck, Profeßbuch, S. 89. 112 Vgl. Hrabanus Maurus, De institutione clericorum. 113 Auch: Bernhard Ayglier. Vgl. Bernhard von Montecassino, Speculum monachorum (ediert 1901 von Walter) und Bernhardi I Abbatis Casinensis in Regulam S. Benedic-

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Regulam nimmt die Kommentierung des 36. Kapitels breiten Raum ein.114 Im Kontext der vorausgehenden Kapitel sieht Bernhard die Aussagen im 36. Kapitel als Sonderregelungen. So dürfen Kranke ausnahmsweise Fleisch (Geflügel) essen, sofern der Fleischverzehr ihrer Gesundung und Stärkung dient.115 In der Auslegung von Kapitel 39 betont er, dass das Fleisch vierfüßiger Tiere gänzlich und allen Mönchen (omnimodo et ab omnibus) verboten sei.116 Weder weite Reisen der Mönche noch das Essen mit dem Abt in dessen Räumen lässt er als Grund für eine Dispens gelten. Denn die Abstinenz ist seiner Meinung nach »utilis et apta fratribus«.117 Trotz dieser strengen Haltung nennt Bernhard Situationen, in denen ein Benediktiner Fleisch essen darf, z. B. wenn er vom Landesherrn oder Bischof zu Tisch geladen wird. Außerdem ist für Bernhard das Fleischverbot zwar wichtig, aber der Verstoß dagegen keine Todsünde. Bernhard kennt bereits die päpstliche Bulle Cum ad monasterium, betont aber kritisch, dass er in den Grenzen der Regel argumentieren wolle.118 Doch beeinflussen sich ab dem 13. Jahrhundert die Kommentare zur Regel und die päpstlichen Erlasse für die Benediktiner gegenseitig. Im Speculum monachorum erläutert Bernhard u. a. die Frage, ob die Regel in allen Einzelaussagen verbindlich sei. Er unterscheidet zwischen Gelübden (stabilitas, conversatio morum, oboedientia), deren Übertretung Todsünde ist, und Empfehlungen der Regel (monita, consilia), wobei er die Abstinenz als Beispiel diskutiert, aber offen lässt, ob er sie zu den Geboten oder Empfehlungen der Regel zählt.119 In Kommentar und Speculum monachorum Bernhards fi nden sich am Ende des 13. Jahrhunderts bereits alle Argumente, die in den Traktaten zur Abstinenz des 15. Jahrhunderts aufgenommen werden, von der Argumentation nach Wortlaut, Intention oder im Kontext über Argumentationsfiguren wie den Schluss a minore ad maius bis zu inhaltlichen Argumenten wie dem Wohlgeschmack des Fleisches, der Defi nition von Kranksein und der Unterscheidung von praecepta und consilia in der Regel. Was bei Bernhard beti expositio (ediert 1894 von Caplet). Zu Leben und Werk Bernhards vgl. Walter, Das Speculum, S. 411–423; S. 32–48. 114 Vgl. Bernhard von Montecassino, Bernhardi I Abbatis Casinensis in Regulam S. Benedicti expositio, S. 266–268. 115 Vgl. a.a.O., S. 270: »duas hominum condiciones ponit, quibus licet commedere carnes, videlicet infi rmos et debiles. set non dixit infi rmis omnino set debilibus adiuncxit omnino, et non forsitan sine causa. Quod vero dicit pro reparatione, ad utrumque potest referri [. . .].« 116 Vgl. a.a.O., S. 285 f. 117 A.a.O., S. 286. 118 Vgl. a.a.O., S. 285: »placet tamen michi si sic dominus papa sentit. Unde magis volo in fi nibus regule subsistere quam aliquid expresse contra regulam temere diffi nire.« 119 Im Speculum monachorum erörtert Bernhard ebenfalls die Abstinenz vom Fleisch und vertritt dieselbe Meinung wie im Regelkommentar; hier wie dort betont er aber, dass allein der Papst die Vollmacht der Interpretation habe.

5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern

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ginnt, die kirchenrechtliche Auseinandersetzung und Interpretation von päpstlichen Erlassen, nimmt in den späteren Kommentaren und den Deesu-carnium-Schriften breiten Raum ein. 5.4.2.4 Der Kommentar des Petrus Boërius So verfasste Petrus Boërius († 1388) zwei Regelkommentare, einen zur kirchenrechtlichen (1362) und einen zur monastischen Interpretation der Abstinenz (nach 1373). Der spätere Kommentar, in dem Petrus bereits die Bullen Gregors IX. und Benedikts XII. berücksichtigt, gewinnt für die Autoren der De-esu-carnium-Schriften besondere Bedeutung, da Petrus hier mit der Mönchs- und Kirchenvätertradition argumentiert.120 Auch Petrus gestattet den Fleischgenuss nur den Kranken »pro reparatione«.121 Er verbindet die Abstinenz mit dem Gelübde der Keuschheit, das er durch den Fleischgenuss gefährdet sieht, und ermahnt daher auch die Kranken zu zurückhaltendem Fleischverzehr: »quantum sufficere ad vivendi usum, temperantiae discretio rigida iudicaverit, non quantum desiderii appetitus exposcit.«122 In der Kommentierung des 39. Kapitels der Regel begründet er die Abstinenz der Mönche mit der der Apostel, Kirchenväter und Ordensgründer und sieht sie als Charakteristikum der mit Christus beginnenden Heilszeit.123 Petrus lehnt das fränkische Konzil von 817 als eine Fehlinterpretation der Regel ab, ebenso den Verzehr von Geflügel, Fett und sogar von Milch, Eiern und Käse als tierischen Produkten.124 Diese rigorose Abstinenzforderung ist in seiner durchweg negativen Konnotierung von Fleisch begründet: »Comedant igitur carnes qui carnibus serviunt.«125 Dennoch ist für Petrus der Fleischgenuss keine Todsünde, solange nicht aus Verachtung der Regel (contemptus), sondern mit Erlaubnis des Abts und innerhalb der päpstlich erlaubten Zeiten Fleisch verzehrt wird.126 Sein Ideal 120 Auch: Bohier, Petrus Boherius. Vgl. Petri Boherii in Regulam Sancti Benedicti Commentarium, ediert 1908 von L. Allodi, Subiaco. Vgl. Ellegast, Die Anfänge einer Textkritik, S. 50 f. 121 Vgl. Petrus Boërius, Petri Boherii Commentarium, S. 479: »parce tamen, non luxuriose«. 122 Petrus Boërius, a.a.O., S. 480. 123 Vgl. Petrus Boërius, a.a.O., S. 507–511, hier: S. 508: »Puto tres priores regulas abstinentiam praesupponere carnium, cum eorum tempore fideles Christicolae, religiosi potissime, Apostolorum vestigia ad litteram imitantes minime carnibus vescerentur«. 124 Vgl. Petrus Boërius, a.a.O., S. 509: »non enim haec pedum numero, sed suavitate gustus iudicantur«; ebd.: »puto quod regulari honestate valentes corpore coenobitate uti non possint adipe, lacte, ovis et caseo.« 125 Petrus Boërius, ebd. 126 Vgl. Petrus Boërius, ebd. Die Bulle Benedikts XII. schärfte die Abstinenz mittwochs und samstags, im Advent sowie in der Fastenzeit ein, gestattete aber zu anderen Zeiten den Fleischverzehr.

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bleibt die vollkommene Abstinenz der Väter, deren Verfall er nur beklagen kann.127 Einen wichtigen Gedanken trägt Petrus zum Stichwort debiles noch nach, dass nämlich Kranke gegen ihren Willen zum Fleischessen für ihre Gesundung gezwungen werden können.128 Diesen Gedanken greift der Melker Autor Johannes de Spira, der selbst als Kranker zum Fleischgenuss genötigt wurde, in seinen Schriften auf, wie die Verfallsklage des Petrus in Bernhards langer Klage im dritten Teil der Epistola eine unmittelbare Entsprechung fi ndet. Bernhard von Waging kannte die Schriften des Petrus Boërius und zitiert auch Expositio und Speculum des Bernhard von Montecassino in der Epistola.129 5.4.2.5 Die Regelkommentare und die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts Die Kommentare von Smaragdus, Hildemar, Bernhard von Montecassino und Petrus Boërius wurden von Autoren aus dem benediktinischen Mönchtum geschrieben und vertraten die strenge Abstinenz im wörtlichen Verständnis der Benediktsregel. Alle Kommentare entstanden im Kontext von Reformen, von der Anianischen Reform bis zu den päpstlichen Reformerlassen des 14. Jahrhunderts, die Boërius kommentierte. So ist es folgerichtig, dass auch in den Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts Regelkommentare verfasst wurden, z. B. von Johannes Keck, Christian Tesenpacher oder Johannes Schlitpacher, die allerdings in den De-esu-carnium-Schriften nicht zitiert wurden. Die Kommentare von Smaragdus bis Boërius boten dagegen die Argumente für die De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts. Deren Argumentation erfolgte zugleich in Auseinandersetzung mit den päpstlichen Reformerlassen des 13. bis 15. Jahrhunderts.

5.4.3 Päpstliche und konziliare Erlasse des 13. bis 15. Jahrhunderts Infolge andauernder Streitigkeiten über die Interpretation der Regel im benediktinischen Mönchtum und durch das Entstehen neuer, zentralistisch organisierter Orden begannen im 13. Jahrhundert die Päpste, auch für die 127 Vgl. Petrus Boërius, a.a.O., S. 511: »Quantum etiam declinaverint a primordiis Christianitatis fideles laici et clerici, proh dolor!« 128 Vgl. Petrus Boërius, a.a.O., S. 511. 129 Sowohl die zwei Regelkommentare als auch Petrus’ Kommentare zu den Bullen Pastor bonus und Summi magistri des Papstes Benedikt XII., zu Dudum pro bono und Cum pro reformatione sind in Melk handschriftlich überliefert. Im Tegernseer Katalog von 1483 wird nur ein Regelkommentar des Petrus genannt: »Opus eius egregium super regulam sancti Benedicti abbatis concordans cum canonibus« (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 827). Bernhard zitiert Petrus Boërius auch im Defensorium speculi pastorum, c. 4 (Riemann, S. 192).

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Benediktiner organisatorische Reformen zu fordern und die Interpretation der Benediktsregel zu normieren.130 Die päpstlichen Reformdekrete forderten stets die Abhaltung von Ordenskapiteln sowie Visitationen zur Observanzkontrolle, sprachen aber als Teil der Observanz auch die Fleischabstinenz an.131 Im Gegensatz zu den Regelkommentaren begründeten diese Erlasse die Abstinenz nicht inhaltlich, sondern legten sie normativ fest, wobei vor allem die Grenzen der Dispensierung festgeschrieben wurden. Zu den wichtigsten normativen Texten des 13. und 14. Jahrhunderts, die in den De-esu-carnium-Schriften rezipiert wurden, gehören die Dekretale Papst Innozenz III., Cum ad monasterium (1215), die Reformforderungen von Papst Honorius III. im Schreiben Ea quae pro religionis honestate (1225), die von Papst Gregor IX. bestätigten Statuten von Narbonne (1237), das Dekret Ne in agro dominico des Konzils von Vienne (1311/12), die Bulle Papst Benedikts XII. Summi magistri dignatio (1336) und das Dekret Dudum pro bono (1340), die alle auch in Tegernsee bekannt und in Abschriften vorhanden waren.132 5.4.3.1 Papst Innozenz III.: Cum ad monasterium Sublacense (1215) Papst Innozenz III. (1160–1216) forderte in seinem ursprünglich an die Benediktiner von Subiaco gerichteten Dekret Cum ad monasterium Sublacense (1202) strenge Fleischabstinenz.133 1215 durch das vierte Laterankonzil bestätigt und in die Dekretalen Papst Gregors IX. aufgenommen, wurde Cum ad monasterium für alle Benediktiner verbindlich. Die Dekretale schränkt die Möglichkeiten für gesunde Mönche, Fleisch zu essen, systematisch ein, indem sie den Fleischgenuss im Refektorium grundsätzlich verbietet und auch das Verlassen des Refektoriums von Abt und Teilen des Konvents an Festtagen, um außerhalb Fleisch zu essen, untersagt. Fleischgenuss ist nur noch den Kranken im Infi rmitorium erlaubt.134

130 Da diese Quellen verstreut und z. T. schwer zugänglich sind, werden die entscheidenden Passagen in den Fußnoten zitiert. 131 Vgl. zur kirchlichen Reformgesetzgebung des 13. bis 15. Jahrhunderts im Überblick: Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 3–9; ebenso Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 32–36. 132 Vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 773.780.784.812. 133 Innozenz III., Cum ad monasterium, in: Decretalen Gregors XI. Lib. III. Tit. XXXV. De Statu Monachorum, c. 6–7 (Corpus Iuris Canonici 2, Sp. 599–601). 134 In den Bullen werden immer wieder drei Lokalitäten erwähnt, der Speiseraum/-saal (refectorium), die Abtsräume oder der Abtsflügel (camera abbatis) sowie die Krankenstube (infi rmitorium). Je nach Größe des Klosters kann es sich bei letzteren um einzelne Zimmer, mehrere zusammenhängende Räume oder um ein separates Gebäude handeln. Im Folgenden wird daher meist der Terminus Infi rmitorium beibehalten und von Abtsräumen gesprochen.

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Doch gesteht die Dekretale dem Abt das Recht zu, einige Mönche zu sich zu bitten, um diesen dort zusätzliche Kost (melius et plenius) anzubieten.135 Von Innozenz als Abschaffung von Missbräuchen gedacht, wurde die Interpretation von Cum ad monasterium im 14. und 15. Jahrhundert zum Streitpunkt, und alle De-esu-carnium-Schriften zitieren die Dekretale ablehnend oder zustimmend.136 5.4.3.2 Papst Honorius III.: Ea quae pro religionis honestate (1225) In der Bulle Ea quae pro religionis honestate (1225) forderte Papst Honorius III. (1216–1227) zur Abhaltung von Provinzialkapiteln und Visitationen zur Überprüfung der Observanz auf.137 Zur Abstinenz wird hier nichts explizit gesagt, doch bestätigt die Bulle die Erlasse der päpstlichen Vorgänger, also auch Innozenz’ Reformbulle.138 5.4.3.3 Die Reformerlasse unter Papst Gregor IX. Die Reformerlasse unter Papst Gregor IX. (1227–1241) knüpften dagegen bewusst an die Reformbeschlüsse von Innozenz III. an, und wie dieser forderte Gregor die strenge Abstinenz gesunder Benediktiner.139 Nachdem das benediktinische Kapitel der französischen Provinz Narbonne im Dezember 135 Vgl. Innozenz III., Cum ad monasterium, in: Decretalen Gregors XI. Lib. III. Tit. XXXV. De Statu Monachorum, c. 6–7 (Corpus Iuris Canonici 2, Sp. 599 f., hier: Sp. 599): »In refectorio vero nullus omnino carne vescatur. Nec in quibusdam solennitatibus, sicut aliquando fieri consuevit, conventus exeat cum abbate, paucis ibi relictis, ut extra refectorium edant carnes; quum in illis diebus praecipue regularis disciplina sit studiosius observanda. Sed nec extra refectorium, nisi tantum in infi rmitorio, esum carnium credant sibi licere, quanqum ex indulgentia possit abbas interdum aliquos fratrum, nunc hos, nunc illos, prout necessitas postulaverit, advocare, ipsosque secum in camera sua melius et plenius exhibere. Porro debiles et infi rmi, qui minutione indigent vel aliqua medicina, non seorsum in cameris, sed omnes in infi rmitorio quae necessaria fuerint sibi tam in carnibus quam in aliis recipiant competenter.« 136 Bernhard rezipiert die Bulle Cum ad monasterium auch im Defensorium speculi pastorum, vgl. c. 4 (Riemann, S. 194). 137 Honorius III., Ea quae, 13. September 1225; Auszug in: Decretalen Gregors XI. Lib. III. Tit. XXXV. De Statu Monachorum, c. 8 (Corpus Iuris Canonici, Sp. 601 f.). Auch in: Conciliorum oecumenicorum decreta, S. 240. Vgl. zur Reform der Benediktiner unter Honorius III.: Berlière, Honorius III, S. 237–265.461–484. Honorius verwendet in der Bulle Ea quae den Begriff Generalkapitel (capitulum generale) und entlehnt den Begriff aus dem zentralistisch organisierten Ordenswesen der Zisterzienser. Die Benediktiner kennen jedoch strenggenommen nur Provinzialkapitel (capitulum provinciale) der Ordensprovinzen in Parallele zu den bischöfl ichen Diözesansynoden; die Terminologie ist in den Quellen uneinheitlich. 138 In einer Bulle vom Juni 1226 an den Patriarchen von Jerusalem bestätigte Honorius jedoch die im Kloster auf dem Karmel eingeführte völlige Abstinenz vom Fleisch außer im Krankheitsfall (»ab esu carnium semper abstineatis nisi pro infi rmitatis [. . .] remedio«), vgl. Magnum Bullarium Romanum, S. 70 f. 139 Vgl. Ballweg, Konziliare und päpstliche Ordensreform, S. 319: »Die Reformmaxime von Päpsten wie Innozenz III. und Gregor IX. hieß secundum morem cisterciensem.«

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1226 Reformbeschlüsse gefasst hatte, bestätigte Gregor diese am 1. Juli 1228 in der Bulle Cum pro reformatione. 140 Die Statuten von Narbonne vertreten den Grundsatz der Abstinenz gesunder Mönche. Kranke dürfen mit Erlaubnis des Abts zur Besserung des Gesundheitszustands Fleisch essen. Doch folgen einige Ausnahmeregelungen: Verboten wird das Fleischessen gesunder Mönche im Infi rmitorium. Dem Abt wird zugestanden, aus Gründen der Gebrechlichkeit oder Krankheit in seinen Räumen Fleisch zu essen, jedoch mit Diskretion (secretius et honestius). Ebenso darf der Abt Kranke und Schwache aus dem Konvent in seine Räume zum gemeinsamen Essen bitten. Auch auf Reisen, wo keine Möglichkeit zur Einkehr in ein Kloster mit fleischloser Kost besteht, wird das Essen von Fleisch erlaubt. 141 Die Statuten formulieren damit einen Kompromiss zwischen der von der Regel gebotenen Abstinenz, dem Recht des Abtes, von dieser zu dispensieren, und der Anpassung an besondere Situationen. Ausdrücklich werden als Sanktionen aber auch Strafe bei Wasser und Brot bei einmaliger Verfehlung genannt mit der Option härterer Bestrafung bei Uneinsichtigkeit und mehrfachem Fleischgenuss. Die Statuten von Narbonne bildeten die Grundlage der von Papst Gregor 1235 und 1237 für alle Benediktiner für verbindlich erklärten Statuta Ordinis Nigris.142 In der letzten Überarbeitung (1237) fallen die Sanktionen bei Ver140 Gregor IX., Statutum Capituli Narbonensis. Der Abschnitt zur Nahrungsaskese ist nach einer Kleinmariazeller Handschrift im Anhang zum Tractatus de esu carnium des Johannes de Spira bei Pez ediert, Thesaurus anecdotorum 2/2, Sp. 607 f.; die Beschlüsse von Narbonne (Bulle Cum pro reformatione) sind vollständig ediert in: Bullarum Taurinensis Editio 3, S. 434a-438b. Im Abschnitt zur Fleischabstinenz fi nden sich jedoch einige signifi kante Variationen zwischen Pez und der Editio Taurinensis, wobei die Fassung von Pez dem entspricht, wie die Statuten von Narbonne von den Autoren des 15. Jahrhunderts zitiert werden. Pez gibt als Datum der Bulle Cum pro reformatione den 7. Dezember 1226 an; dies ist jedoch das Datum der Beschlüsse von Narbonne. Zum Datum der Bestätigung der Statuten in der genannten Bulle am 1. Juli 1228 fi ndet sich allerdings in den Registern Gregors nichts, vgl. Registres de Grégoire IX., t. 1, Sp. 130. 141 Vgl. Statuten von Narbonne (Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, Sp. 607): »Statuimus, ut omnes Monachi ab esu carnium abstineant, nisi fuerint debiles, et aegroti, et hoc de licentia Abbatis, vel Prioris, si Abbas defuerit. At ubi meliorati fuerint, a carnibus abstineant. Illas vero carnium refectiones, quae sanis in quibusdam temporibus anni in infi rmariis exhiberi consueverunt, penitus amputamus, mandantes, ut reditus, qui ad hoc fuerunt deputati, in necessitatibus fratrum infi rmorum, atque debilium misericorditer expendantur. Abbates vero infi rmitatis causa vel debilitatis causa in suis cameris ut secretius possunt, et honestius, carnibus uti poterunt, advocatis secum aliquibus de conventu debilibus aut infi rmis. Sane Abbas vel Monachus in itinere constitutus ad vicina divertat Monasteria, si debilitate vel infi rmitate fuerit occupatus; si vero non poterit, ut secretius et honestius poterit, carnibus utatur. [. . .] Transgressores vero hujus constitutionis tam favorabilis pro qualibet comestione carnium in pane, et aqua abstineant uno die; si autem correcti noluerint emendare, secundum qualitatem, et quantitatem transgressionis gravius puniantur [. . .].« 142 Gregor IX., De statutis monachorum et monialium nigri ordinis; Ordinationes monachorum nigrorum. Die Statuten von 1235 werden als Fassung A (Narbonne), die über-

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stoß gegen das Abstinenzgebot milder aus. Neu ist aber, dass auch für den Abt ein Strafmaß festgelegt wird. Doch räumen die Statuta auch gesunden Benediktinern die Möglichkeit ein, innerhalb der Vorschriften der Regel Fleisch zu verzehren. Sie sind damit ein Kompromisspapier, und die Formulierungen erlaubten eine Milderung der Abstinenz vom Fleisch. In den De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts wird nicht unterschieden zwischen den verschiedenen Reformerlassen Papst Gregors. Diese werden immer als Statuten von Narbonne zitiert und gelten, gemäß ihrer ursprünglichen Form, als Forderung strenger Abstinenz. 5.4.3.4 Papst Clemens V. und das Konzil von Vienne Das auf dem unter Papst Clemens V. (1305–1314) tagenden Konzil von Vienne verabschiedete Dekret Ne in agro dominico (1311/12) für die Benediktiner bestätigte im Schlussteil erneut die Bulle Cum ad monasterium.143 5.4.3.5 Papst Benedikt XII.: Summi magistri dignatio (1336) Wurden Cum ad monasterium und die Statuten von Narbonne in den Deesu-carnium-Schriften als strenge Abstinenzforderungen verstanden, war die ebenfalls sehr häufig zitierte Bulle Summi magistri dignatio (Benedictina) Papst Benedikts XII. (1334–1342) mit diesen Erlassen kaum in Einklang zu bringen.144 arbeitete Form von 1237 (Rouen) als Fassung B bezeichnet. Beide Fassungen weichen in den Aussagen zur Abstinenz kaum voneinander ab; parallel ediert in: Registres de Grégoire IX., t. 2, Sp. 318–332. Vgl. In der letztgültigen Fassung von 1237 (Registres de Grégoire IX., t. 2, Sp. 323 f.): »18. In infi rmitorio autem nullus carnes comedat, nisi monachus vel conversus qui infi rmus fuerit, aut propter debilitatem corporis ad infi rmitorium missus. 19. Nullus monachus, in quocumque loco, sive in domo sit Ordinis, sive extra, carnes comedat, nisi secundum quod in Regula continetur. Illas autem carnium refectiones, que sanis in quibusdam monasteriis certis temporibus consueverit hactenus exhiberi, penitus inhibemus; et, sicut interdicimus usum carnium, ita farsaturas de tritis carnibus denegamus.« [In der Fassung von 1235 wird noch ergänzt: »Sane abbas vel monachus in itinere constitutus, si debilitatis vel infi rmitatis necessitas compellat ipsum ad esum carnium, divertat ad domum religiosam, si vicinam invenerit; alioquin sic sue infi rmitati consulat, quod in cibo suo non offendatur vel scandalizetur proximus, pro quo mortuus est Dominus Jhesus Christus.«] »20. Si quis comedere carnes contra predicta presumpserit, semel vel etiam secundo, regulari subjaceat discipline; si tertio, quarta et sexta feria proximis in pane et aqua jejunet; quod si in consuetudinem duxerit, subjaceat gravi culpe. Abbas vero, si in hoc deliquerit, secunda, quarta et sexta feria sit pane et aqua contentus; si autem in consuetudinem duxerit, nec, monitus a diocesano vel visitatoribus, corrigere se voluerit, amministratione sit privatus.« 143 Clemens V., Ne in agro dominico, Dekret 14 des Konzils von Vienne, gedruckt in: Conciliorum oecumenicorum decreta, S. 370–373. Ne in agro wurde unter den Clementinen ebenfalls ins Corpus Iuris Canonici aufgenommen (Clem Lib. III, Tit. X, c. 1). Eine Zusammenfassung der Reformerlasse des Konzils für die Benediktiner bietet Müller, Das Konzil von Vienne, S. 564–573. 144 Vgl. an neueren Arbeiten zu Benedikt XII. als Ordensreformer Ballweg, Konziliare

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Papst Benedikt erließ neben Reformkonstitutionen für die Zisterzienser, die Bettelorden und die Regularkanoniker145 die Bulle Summi magistri für die Benediktiner.146 Mit Blick auf die Biographie Bernhards, der von den Augustinerchorherren zu den Benediktinern übertrat, ist wichtig, dass sich die Reformforderungen Benedikts für die Benediktiner und die Regularkanoniker gerade in der Strenge der Fleischabstinenz unterschieden.147 Kapitel 26 der 39 Kapitel umfassenden Bulle Summi magistri thematisiert die Fleischabstinenz. Im Wunsch nach der einheitlichen Observanz aller Benediktiner bestätigte Benedikt formal die Bullen seiner Vorgänger, forderte aber in der Bulle selbst nur den Fleischverzicht gesunder Mönche an Mittwochen, Samstagen und in der Advents- und vorösterlichen Fastenzeit. Diese milde Regelung wird ergänzt durch nähere Bestimmungen: Die Bulle verbietet das Fleischessen gesunder Mönche im Infi rmitorium oder den Abtsräumen nicht mehr, sondern macht nur zur Bedingung, dass mindestens die Hälfte der Konventualen im Refektorium bei fleischloser Kost zurückbleibt.148 Versuchte Benedikt durch seine milde Abstinenzforderung eine einheitliche benediktinische Observanz zu erlangen, scheiterte dieses Bemühen und päpstliche Ordensreform, S. 227–256; Böhm, Papst Benedikt XII., S. 281–310; MarettCrosby, The Monastic Response, S. 1–9. 145 Benedikt XII., Ad decorem ecclesiae, 15. Mai 1339 (ediert in: Magnum Bullarium Romanum 1, S. 237–253). 146 Benedikt XII., Summi magistri, 20. Juni 1336 (Magnum Bullarium Romanum 1, S. 218–237; Bullarum Taurinensis Editio 4, S. 347b-387a). Vgl. zur Gliederung der Bulle Schimmelpfennig, Zisterzienserideal, S. 32 f. – Die Bulle wird in der Forschung meist nur Benedictina genannt; dies ist missverständlich, da diese Bezeichnung auch für die Bulle Benedikts an die Franziskaner und für die an die Regularkanoniker verwendet wird. 147 Die Bulle Ad decorem an die Regularkanoniker verbietet den Fleischgenuss zwar wie für die Benediktiner im Advent und der vorösterlichen Fastenzeit sowie an einzelnen Tagen, unterscheidet aber zwischen dem ordo antiquus und novus; für letzteren galten strengere Abstinenzvorschriften. Zum Thema des Fleischgenusses in den Reformen Benedikts XII. als Verknüpfung von »normativer Tradition und persönlichen Vorzügen des Papstes« (S. 251) vgl. Ballweg, Konziliare und päpstliche Ordensreform, S. 250–255. Zu beiden Bullen im Vergleich Böhm, Papst Benedikt XII., S. 281–310. 148 Vgl. Benedikt XII., Summi magistri dignatio, cap. 26: De Esu et abstinentia carnium et de dormitorio modoque cubandi (Magnum Bullarium Romanum 1, S. 234): »Statuimus et ordinamus quod per totum annum Feria Quarta, et die Sabbati, et a prima Dominica de Adventu usque ad diem Natalis Domini, et a Dominica Septuagesimae usque ad diem Paschae omnes regulares ejusdem Ordinis, seu Religionis ab esu carnium ubique abstineant, nisi necessitas infi rmitatis non fictae, per Abbatem, vel alium Praelatum proprium forte suadet cum aliquo dispensandum. Diebus autem quibus Monachi in infi rmitorio carnes edent, sic provideatur omnino quod in refectorio remaneat ad minus medietas Monachorum Capituli, vel conventus, et idem fi at ubi Abbas seu alius Praelatus principalis, aliquos ad domum seu ad cameram suam vocabit ad melius, et plenius exhibendum. Quotiens vero plures simul carnes in infi rmitorio comedent, versus et oratione in principio mensae, ac post refectionem hymnus, et versus dicatur, et continuum discumbendo silentium observetur. Ibique legatur sicut in refectorio continue aliquid quod aedificet audientes, nullaque persona saecularis ad comedendum inibi aliquatenus invitetur [. . .].«

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nicht nur, sondern die Autoren der Melker Reform versuchten auch, Summi magistri, Cum ad monasterium und die Statuten zu Narbonne in den Aussagen zur Abstinenz zu harmonisieren. Papst Benedikt nahm nach Protesten bereits 1340 in der Bulle Dudum pro bono149 seine Reformvorschläge weitgehend zurück, und Papst Clemens VI. (1342–1352) hob 1342 in der Bulle Sacrosancta Romana ecclesia die Kirchenstrafen, die bei Nichtbeachten der Vorschriften von Summi magistri drohten, auf.150 Für die an einer Reform interessierten Benediktiner hatte die Bulle Summi magistri als Diskussions- und Konsenspapier allerdings große Bedeutung. Die Beschlüsse des Kapitels von Petershausen und des Basler Konzils beriefen sich auf diese Bulle, die zeitgenössisch immer nur als Benedictina zitiert wurde.

5.4.4 Beschlüsse zur Fleischabstinenz in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Die Beschlüsse zur Abstinenz auf den Konzilien von Konstanz und Basel wurden von den Autoren der De-esu-carnium-Schriften, die rund um diese Konzile entstanden, nicht zitiert. Sie bildeten aber den aktuellen Hintergrund und oft Entstehungsanlass für die De-esu-carnium-Schriften. 5.4.4.1 Das Petershausener Kapitel auf dem Konstanzer Konzil (1417) Das Provinzialkapitel der benediktinischen Ordensprovinz Mainz-Bamberg in Petershausen konnte sich inhaltlich in der Frage der Abstinenz nur auf die mildere Abstinenz nach der Benedictina (1336) verständigen.151 Das Verbot, im Refektorium Fleisch zu essen, wurde erneuert, aber »von der Forderung der Abstinenz am Mittwoch [. . .] wurde stillschweigend abgesehen.«152 So wird im vom Provinzialkapitel verabschiedeten Fragenkatalog mit 105 Fragen für die Visitatoren in Frage 7 zwar Auskunft darüber gefordert, ob 149 Benedikt XII., Dudum pro bono, 5. Dezember 1340 (Bullarum Taurinensis Editio 4, S. 462b-467a; Sacrorum Conciliorum Collectio, Bd. 25, hg. v. Mansi, Sp. 1032–1038). Zur Bulle vgl. Ballweg, Konziliare und päpstliche Ordensreform, S. 239 f. 150 Clemens VI., Sacrosancta Romana ecclesia, nur handschriftlich erhalten, vgl. Ballweg, Konziliare und päpstliche Ordensreform, S. 242 Anm. 85. 151 Vgl. den Processus capituli provincialis (Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 51–63, hier: S. 59): »Cap. 16: Item quod fratres communiter vivant et comedant in refectorio, in quo nullus omnino carne vescatur, et diligentes sint visitatores quod constitutionem Benedicti [papae XII.] De esu et abstinentia carnium etc[.] faciant inviolabiliter observari. Menseque eorum non desit lectio et qui lecturus fuerit tota ebdomada, dominica ingrediatur post benedictionem prout in regula capitulo XXXIII. de ebdomario lectore continetur.« 152 Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 31; vgl. a.a.O. die Beschlüsse: S. 51–63, zur Fleischabstinenz: S. 59, § 16.

5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern

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im Speisesaal Fleisch verzehrt wird.153 Doch ist die Fleischabstinenz nur ein Punkt im Reformprogramm von Petershausen, und die Beschlüsse stellen einen Kompromiss dar.154 Dieser erwies sich, zumindest für die Melker Reformbewegung, als nicht ausreichend, da die Sublacenser-Melker Gewohnheiten die völlige Abstinenz vom Fleischverzehr von allen gesunden Mönchen forderten. 5.4.4.2 Die Abstinenz auf dem Konzil von Basel (1431–1449) Das Konzil von Basel war daher auch für die Abstinenz der Benediktiner Diskussionsforum. Für das Konzil, während und nach dem Konzil entstanden die meisten De-esu-carnium-Schriften. Für die Diskussion in Basel waren aber nicht nur die offiziellen Beschlüsse zur benediktinischen Reform wichtig, sondern auch die Tuitiones des Martin von Senging als deren Programmschrift, die im Gegensatz zu den Konzilsdekreten in den De-esucarnium-Traktaten zitiert wurden. 5.4.4.2.1 Die Abstinenz in den Konzilsbeschlüssen zur benediktinischen Reform Die beiden Reformatorien in den Jahren 1432 und 1435 diskutierten zwar die Nahrungsaskese, doch machen die erhaltenen Protokolle keine genaueren Angaben zur Abstinenz.155 Nachdem 1433 noch Alexander von Vezelay mit dem Vorsitz über die Diskussion »super reformacione ordinis monachorum nigrorum« beauftragt wurde,156 scheiterte Anfang 1434 eine benediktinische Gesamtreform an der Unvereinbarkeit der bereits bestehenden Reformbewegungen, insbesondere der von Melk und Bursfelde, und u. a. an der Frage der Abstinenz.157 So schilderte der Tegernseer Mönch Ulrich Stöckl, der 1432 bis 1437 in Vertretung von Abt Kaspar als Prokurator der Benediktinerklöster der Diözese Freising am Konzil von Basel teilnahm, im Brief vom 8. Mai 1434 153 Interrogatoria visitatorum super singulis defectibus monasterii ex officio pertinencia (Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 63–68, hier: S. 64): Frage 7: »Item an in refectorio carnes comeduntur et quo tempore.« Vgl. Frage 88 (S. 67): »Item si statuta facta per Benedictum duodecimum publicentur bis in anno in capitulis monasteriorum.« 154 Vgl. zur Nachwirkung des Kapitels von Petershausen Zeller, Das Provinzialkapitel, S. 44–46. Martin von Senging bezeichnet in seinen Tuitiones die Petershausener Beschlüsse zu Recht als nicht vom Konzil beschlossen (»quamquam non conclusa, in concilio Constantiensi«; Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 533). Doch anerkannte das Konzil in Basel die Beschlüsse der deutschen Provinzialkapitel nachträglich, vgl. Schmitz, Geschichte des Benediktinerordens 3, S. 178 f. 155 Vgl. das Protokoll des ersten Reformatoriums vom 6. Oktober 1432, in: Concilium Basiliense 2, S. 236 f., hier: S. 236: »ut in mensa teneant omnem sobrietatem et vitent pluralitatem ciborum.« Zur Ordensreform auf dem Konzil von Basel vgl. Mertens, Reformkonzilien und Ordensreform, S. 446–455. 156 Vgl. Concilium Basiliense 2, S. 371.470. 157 Vgl. Concilium Basiliense 1, S. 76.85.

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5 Bernhards Schriften zur Askese

die Diskussion um die Abstinenz auf dem Konzil: Zwei Artikel seien fortgesetzt umstritten, die Fleischabstinenz und die Frage nach der einheitlichen Kleidung.158 Im Juli 1434 berichtet er, dass das Konzil in seinen Avisamenta für die Benediktinerreform die drei umstrittenen Artikel Fleischabstinenz, einheitliche Kleidung und Liturgie, ausgespart habe, da sich hier keine Einigung erzielen ließ.159 Ulrich Stöckl erwähnt zwei Parteien, die italienischen und die französischen Benediktiner, die an den Milderungen der Bulle Benedikts XII. festhalten wollten und an wenigstens drei Tagen pro Woche Fleisch forderten, sowie die an einer Reform interessierten deutschen Benediktiner, die an der Abstinenz nach der Regel festhielten.160 Seine Briefe bezeugen das Scheitern der gesamtbenediktinischen Union auch an der Frage der Nahrungsaskese. Die vom Konzil beschlossenen Dekrete, Inter curas innumeras (1436) und Inter curas multiplices (1439), sowie die Statuta concilii Basiliensis ad fratres ordinis s. Benedicti (1436) forderten schließlich unter dem Einfluss der reformierten Benediktiner die Rückkehr zur Regelobservanz und damit die Abstinenz gesunder Mönche.161 Doch blieb nach dem Bruch des Konzils mit Papst Eugen IV. 1436/37 die Verbindlichkeit der in Basel verabschiedeten Dekrete umstritten, und in den Abstinenzschriften, die nach dem Konzil von Basel entstanden, wurden diese Dekrete nicht zitiert. 5.4.4.2.2 Die Programmschrift Martins von Senging Verwiesen wird in den nach dem Konzil von Basel verfassten De-esu-carnium-Traktaten gelegentlich auf die Tuitiones des Melker Priors Martin von Senging, die dieser vor 1431 als Programmschrift für die benediktinische 158 Vgl. »Continue litigamus pro esu et abstinencia carnium et pro habitu, quia diversi utuntur diversis habitibus, et in illis duobus articulis est maxima difficultas. Spero tamen, quod concilium generale faciet unam declaracionem, ita quod abstinencia carnium servetur secundum regulam, et quod fi at uniformitas in habitibus. Spero eciam, quod modus noster inhibitibus [sic] remanebit.« (Concilium Basiliense 1, S. 82). 159 Vgl. Brief von Ulrich Stöckl an den Tegernseer Abt, 20. Juli 1434 (Concilium Basiliense 1, S. 85 f.). 160 »Item omnes Francigene et omnes Ytalici, paucissimis exceptis, volunt stare cum Benedictina [= Summi magistri] de esu carnium, ita quod ad minus tribus diebus in septimana commedant carnes. Sed certi de partibus Alamanie opponunt se valde et volunt omnino stare cum regula in hac parte, et quamvis sint pauci, credo tamen, quod ipsi prevalebunt contra eos. Puto eciam, quod sacrum concilium nullo modo approbabit opinionem illorum, qui volunt commedere carnes secundum tenorem Benedictine.« (Concilium Basiliense 1, S. 85 f.). 161 Vgl. Helmrath, Capitula, S. 94–99. Die Statuta Concilii Basiliensis sind bei Hisch, Die liturgischen Bestimmungen, ediert, vgl. S. 131 f.: »Sed et esum carnium et pulmentorum cum carnibus aut saegimine carnium conditorum, omnibus personis regularibus sanis et fortibus prohibemus. secundum regulam tenorem. Et innocentium tercium capitulo.«

5.4 Normative Texte zum Fleischgenuss bei den Benediktinern

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Reform auf dem Konzil verfasste und in denen er die völlige Abstinenz gesunder Mönche forderte.162 In den Tuitiones wehrt sich Martin gegen eine Reduzierung der Reform auf das Einhalten der drei Gelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam als substantialia. Er erläutert, dass gerade die Akzidentalien wie die Enthaltsamkeit vom Fleisch heilsnotwendig sind, da sie exemplarisch für das, was die Regel unter Gehorsam (oboedientia regularis) versteht, stehen.163 Für Martin beweist die strenge Abstinenz den Regelgehorsam, und Reform bedeutet das vollständige Einhalten der Benediktsregel. Die Tuitiones stehen auf dem Konzil von Basel für die Position der Reformer aus Melk-Tegernsee. Für sie ist die Fleischabstinenz Teil der Regelobservanz, und die Abstinenz wurde daher zum unaufgebbaren Kriterium in den Gesprächen um eine gemeinsame benediktinische Observanz. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie die Abstinenz in Tegernsee zur Zeit der Entstehung der Epistola (1456) praktiziert wurde.

5.4.5 Die in Tegernsee und Melk um 1450 praktizierte Abstinenz Nikolaus von Kues, der für die Visitationen in der Ordensprovinz Salzburg mit den Reformern der Melker Observanz zusammenarbeitete, betont in seinem Schreiben vom 3. März 1451, dass die Visitatoren nicht nur die drei Gelübde, sondern auch die Enthaltsamkeit vom Fleisch einschärfen sollten.164 »Esus carnium nequaquam, nec Abbati aut Abbatissae, nec monachis, seu monialibus indulgeatur, nisi eo modo, quo regula S. Benedicti per eos professa ipsis permittit eundem.«165 Damit wurde in den visitierten Klöstern die strenge Enthaltsamkeit gemäß der Melker Observanz gefordert, wovon exemplarisch die Visitation im Kloster Niederaltaich zeugt. Laut Visitationsbericht wurde »ex speciali commissione« des Nikolaus Cusanus die strikte Fleischabstinenz für alle Mönche mit Ausnahme der Schwerkranken (omnino debilis) eingeführt, jegliche Dispens für unrecht erklärt und auch der Genuss von tierischen Fetten verboten.166 162 Vgl. Martin von Senging, Tuitiones pro observantia sanctae regulae (Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 503–550). Martins Tuitiones werden im Bibliothekskatalog von Tegernsee (1483) nicht genannt (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 817 f.), waren aber mit Sicherheit bekannt. Zeitgenössische Schriften, Briefe und kürzere Traktate sind im Katalog nicht immer aufgenommen. Vgl. zur Biographie Martins von Senging Bruck, Profeßbuch, S. 123–128. 163 Vgl. Martin von Senging, Tuitiones (a.a.O., S. 506–508). In zwei weiteren Abschnitten fordert Martin die Einheitlichkeit des Habits (uniformitas in habitu) und in der gottesdienstlichen Liturgie (divinum officium) (vgl. S. 531–541.542–550). 164 Vgl. Hansiz, Germania Sacra 2, S. 485 f. 165 Hansiz, Germania Sacra 2, S. 486. 166 Vgl. Aktenstücke, Wilheringer Handschrift Nr. 14, f. 50–61 (ediert: Grillnberger, Zur Reformgeschichte, S. 2–17, hier: S. 8): »De abstinentia carnis. Item esum carnium et

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5 Bernhards Schriften zur Askese

Verpfl ichtete die Cusanus-Visitation die visitierten Klöster der Provinz Salzburg auf die Abstinenz nach Melker Vorbild, spiegelt sich diese auch in den Consuetudines von Melk und Tegernsee wider.167 Die mit der Reform in Melk 1418 übernommenen Consuetudines von Subiaco (1379/80) verwiesen nur auf die abstinentia carnis nach Kapitel 36 der Benediktsregel168 und betonten, dass auch Gäste im Refektorium kein Fleisch essen dürfen.169 Die Abstinenz gesunder Mönche war in Subiaco offensichtlich die Regel und musste nicht näher erläutert werden, obwohl die Mönche 1401 feierlich ihre Fleischabstinenz erklärten.170 Mit der Reform von Melk (1418) und Tegernsee (1427) übernahmen beide Konvente die Sublacenser Gewohnheiten.171 Die Hausstatuten von Melk, die Johannes Schlitpacher 1451 niederschrieb, bestätigen die Abstinenz außer für Kranke im Infi rmitorium.172 Auch der Tegernseer Liber caeremoniarium (1450/1452) hält an den Sublacenser Gewohnheiten fest und erwähnt nur einmal die Abstinenz von Kranken. Diese erhalten nach Prüfung des Einzelfalls und mit Erlaubnis des Abts zur Wiederherstellung der Gesundheit auch Fleisch als Speise.173 Die Fleischabstinenz gesunder Mönche wurde damit in Melk und Tegernsee in den 50er Jahren selbstverständlich prakticiborum cum carnibus uel pinguedine carnium conditorum omnibus personis huius monasterii regularibus sanis et fortibus iuxta tradicionem regule et ex speciali commissione supra nominati reuerendissimi in Christo patris domini legati omnino prohibemus. qui omnes dispensaciones in contrarium factas tamquam regule contrarias literarum suarum tenore irritas esse decernit [.] Infi rmis tamen et omnino debilibus, qui pro suarum virium reparacione esu carnium indiguerint, in infi rmaria concedatur.« 167 Im Folgenden wird consuetudo (Brauch, Gewohnheit) als Oberbegriff verwendet, unter den auch die Caeremoniae mit der Betonung des Liturgischen und ohne disziplinäre Komponente, statuta oder ein Liber ordinarius fallen. Vgl. zur Unterscheidung von consuetudo und caeremoniae die Einleitung von Angerer, in: Caeremoniae Regularis Observantiae (CCMon 11,1), S. CXXIV–CXXV. 168 Vgl. Caeremoniae in monasterio Sublacensi, Buch 1, c. 36 (in: Caeremoniae Regularis Observantiae, S. 96). 169 Vgl. Caeremoniae in monasterio Sublacensi, Buch 2, c. 45 (in: Caeremoniae Regularis Observantiae, S. 108): »Carnes tamen eis in monasterio non dentur, quia nullus sanus debet manducare carnes in monasterio neque extra infi rmarium.« 170 Vgl. Caeremoniae Regularis Observantiae, S. CLIX–CLXI. Ein Brief eines Sublacenser Anonymus bezeugt diese frühe Abstinenzbekundung in Subiaco ebenfalls, vgl. Pez, Bibliotheca ascetica 8, S. 493–502. 171 Vgl. Caeremoniae Regularis Observantiae, S. CLXX–CLXXIII; S. C-CI. 172 Vgl. Johannes Schlitpacher, Hausstatuten von Melk, 1451 (ediert: Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 306–356, hier: S. 335): »Esus carnium tantummodo in infi rmatione iuxta ordinacionem Regule fratribus infi rmis aut omnino debilibus pro reparacione cum licencia superioris ministratur.« Die Melker Caeremoniae (1460) folgen in der Abstinenz den Sublacenser Gewohnheiten wörtlich, vgl. Breviarium caeremoniarum monasterii Mellicensis, CCMon 11,2, c. 30, S. 69. 173 Vgl. Angerer, Die Bräuche, S. 49–54. Angerer, Die Bräuche, S. 236: »Si indiget esu carnium, dentur sibi utiles pri virium reparatione. Hoc ipsum tamen fi at de licentia et commissione abbatis in speciali.«

5.5 Bernhards Epistola contra illicitum carnium esum

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ziert und war Kennzeichen der gemeinsamen Observanz.174 Daher kann sich Bernhard in der Epistola, was er bereits in der Einleitung tut, auf eine langjährige Praxis der Fleischlosigkeit in Tegernsee berufen.

5.5 Bernhards Epistola contra illicitum carnium esum Bernhards Epistola seu tractatus contra illicitum carnium esum monachorum ordinis S. Benedicti (1456) ist eine der umfangreichsten Schriften dieser Gattung des 15. Jahrhunderts und Kernstück der Argumentation Bernhards zur Fleischabstinenz. Doch die Schrift zeigt nicht nur exemplarisch Bernhards Haltung zum umstrittenen Fleischverzehr und seine Interpretation der Benediktsregel, sondern Bernhard bietet hier eine Theologie des monastischen Lebens nach den drei Gelübden Armut, Keuschheit und Gehorsam. Verfassten die Tegernseer Prioren Johannes Keck und Christian Tesenpacher einen Kommentar zur Benediktsregel, so kommentiert Bernhard, ausgehend von der Frage der Askese, diese wichtigen Themen der Benediktsregel in der Epistola. Vielleicht auch deshalb ist die Epistola die fast am häufigsten überlieferte Schrift Bernhards. Erhalten ist sie heute noch in 13 Codices des 15. Jahrhunderts mit einer Provenienz aus Klöstern der Melker Reformbewegung im schwäbisch-bayerischen Raum.175 In diesen Reformkreisen war Bernhards 174 Vgl. dazu die Consuetudines der Bursfelder Reform, wie sie erstmals Johannes Rode für sein Kloster St. Matthias in Trier 1435 promulgierte: In den Rodeschen Consuetudines dürfen gesunde Mönche, soweit dies die Regel gestattet, Fleisch essen. (Vgl. Consuetudines sancti Mathiae, CCMon 5, S. 240). »Die Frage des Fleischgenusses galt ihm jedoch nicht für wesentlich, und er gestand gewisse Gründe und Gelegenheiten zu, aus denen es auch gesunden Mönchen erlaubt sei, Fleisch zu essen, nie jedoch im regulären Refektorium.« (Becker, Das monastische Reformprogramm, S. 129). Rodes Reformstatuten wurden 1434/35 in Bursfelde übernommen, doch die nach mehreren Überarbeitungen 1474/1475 gedruckten Statuten von Bursfelde, die Caeremoniae, erwähnen den Fleischgenuss nicht mehr ausdrücklich: Es galt wohl das generelle Verbot des Fleischgenusses mit Ausnahme der Donaten (vgl. Caeremoniae Bursfeldenses, CCMon 13, S. 367). Erwähnt werden Zeiten, in denen Laktizinien und Fisch erlaubt waren (a.a.O., S. 317–319). Vgl. zum Bursfelder Liber ordinarius auch Mertens, Der Streit, S. 728–760; Albert, Das erste Kapitel, S. 293–331. 175 Überliefert ist die Epistola in Codices aus Andechs, St. Ulrich und Afra, Ebersberg, Melk, mehrfach mit Tegernseer Provenienz, vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 780. Unter den erhaltenen Handschriften Tegernseer Provenienz fi ndet sich auch eine Korrekturhandschrift Bernhards (clm 19608, f. 74r–100v (BSB München)). Im Folgenden wird im Vergleich mit clm 19608 nach der sehr guten Abschrift clm 18600, f. 260r–310v (BSB München), zitiert, die der Lesbarkeit wegen behutsam interpunktiert und in der Schreibweise (c/t; i/y) vereinheitlicht wurde. Dieser Tegernseer Codex überliefert fast ausschließlich Schriften Bernhards und enthält, eingebunden in die Epistola, eine kurze Stellungnahme des Johannes Schlitpacher aus Melk zum ersten Teil der Schrift (f. 261r–v). Der Text der Epistola ist in diesem Codex von zwei Schreibern, denen Bernhard den Text vermutlich diktierte, geschrieben, wobei der Schreiberwechsel unvermittelt im

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5 Bernhards Schriften zur Askese

Schrift offensichtlich von großer Bedeutung, und die erste Abschrift fi ndet sich schon 1458 im Kloster Ebersberg.176 Da die Epistola nicht ediert ist, soll sie im Folgenden zuerst inhaltlich vorgestellt werden. Anschließend werden in systematischem Überblick Theologumena, Sprache und Stil sowie Quellen dargestellt, um abschließend die Epistola in den Kontext der De-esu-carnium-Traktate einzuordnen.

5.5.1 Zur Entstehung: Eine Anfrage Wie fast alle Schriften Bernhards entstand auch die Epistola als Gelegenheitsschrift. Ein Gespräch im Augsburger Konvent St. Ulrich und Afra und Fragen des Wiblinger Bruders Martin Imler führten im Jahr 1456 zur Abfassung des Brieftraktats, dessen Titel bereits die Position Bernhards zeigt: »contra illicitum esum carnium«. Der Einleitung zufolge war Bernhard vor Abfassung der Epistola im Augsburger Konvent St. Ulrich und Afra zu Gast. 1457 visitierte er im Auftrag des Augsburger Bischofs offiziell das Kloster, das im Februar 1458 einen Visitator zur Festigung der Observanz erbat.177 Mit dem neu eingesetzten Abt Melchior von Stamheim (1458–1474) arbeitete Bernhard in den kommenden Jahren für die Union in der Mainzer Provinz eng zusammen. Melchior, ursprünglich Professe aus Melk und vor seinem Ruf nach Augsburg ab 1455 in Wiblingen lebend, bezeugt in seiner Person die Kontakte zwischen dem Wiblinger und dem Augsburger Konvent. In Augsburg hatte Bernhard vor dem oder im Jahr 1456 mit einigen Mönchen eine Diskussion über das Verbot des Fleischverzehrs nach der Benediktsregel geführt. An dieser war auch Martin Imler aus Wiblingen beteiligt, dessen Fragen Bernhard zum Anlass nahm, in der Epistola die Fleischabstinenz grundlegend zu erörtern. An Martin, den »cultor religionis, amator veritatis exquisitor«, adressiert er die Epistola auch.178 Über den Adressaten ist nur wenig bekannt. In der Liste der Schreiber der Klosterbibliothek Wiblingen fi ndet sich zum Jahr 1456 ein kurzer Vermerk, ersten Teil (concl. 5, f. 265r) erfolgt. Der Epistola vorangestellt ist eine Bulle von Papst Pius II. vom 6. Mai 1459 zur Fleischabstinenz (f. 259v), nachgestellt ist ein Brief (f. 311r) von Johannes Schlitpacher an Bernhard. 176 Die Ebersberger Abschrift in clm 5951, f. 64r–143v (BSB München), ist auf 1458 datiert. Die fragmentarische Abschrift in clm 4789, f. 167r–212v (BSB München), entstand wohl 1462/63. 177 Vgl. zur Reform von St. Ulrich und Afra Zeller, Beiträge zur Geschichte der Melker Reform, S. 176–179; Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform, S. 210 f. Vgl. die Briefe Melchiors mit der Bitte, einen Visitator zur Festigung der Reform zu senden: clm 19697, f. 97v (Nr. 245), Februar 1458 an Nikolaus von Kues; f. 97v–98r (Nr. 246), Februar 1458. Die folgenden Briefe der Handschrift bis Nr. 269, f. 106v–107r, erwähnen immer wieder die Visitation in Augsburg. 178 BvW, Epistola (clm 18600, f. 260r).

5.5 Bernhards Epistola contra illicitum carnium esum

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dass Prior Bernhard aus Tegernsee einen Tractatus de esu carnium für Martin Imler geschrieben habe.179 Ein Eintrag zum Jahr 1459, vermutlich seinem Todesjahr, erläutert, dass der aus Geislingen stammende Mönch zwar körperlich der kleinste unter den Brüdern war, rühmt ihn aber als Liebhaber der monastischen Observanz und als Wahrheitssuchenden, beides Attribute, die der Verfasser dieser Zeilen Bernhards Epistola entnahm.180 Diesem Ruhm folgt eine Aufzählung der Handschriften, die Martin zwischen 1443 und 1459 für die Klosterbibliothek abgeschrieben hatte.181 Das Benediktinerkloster Hl. Kreuz in Wiblingen (heute Ulm-Wiblingen) gehörte ab etwa 1434 zum Melker Reformkreis.182 Abt Ulrich Hablüzel (1432–1473) 183 förderte im Sinne der Melker Reform die Schreibtätigkeit der Mönche und erweiterte die Bibliothek des Klosters, so dass diese um 1450 rund 200 Bände umfasst haben soll.184 Von Cusanus beauftragt, visi179 Vgl. »Anno 1456. Bernardus prior in Tegernsee, composuit hunc tractatum de esu carnium; fratre Martinus Ymler, monacho Wiblingensi, vivit feliciter, est vero hoc anno tractatus hic descriptus.« (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 1, S. 440). 180 Als Sterbedatum Martin Imlers wird bei Lindner, Album Wiblingense, in: DASchw 19 (1901), S. 38, der 7. September 1459 genannt; vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 1, S. 423. Vgl. a.a.O., S. 439: »Frater Martinus Ymler de Gyssling, monachus sancti Martini monasterii Wiblingensis, statura pusillus, minimus e fratribus, ille ipse ad quem Christi cultorem religionis monasticae et observantiae amatorem et veritatis exquisitorem, frater Bernardus de Tegernsee prior tractatum contra illicitum esum carnium monachorum nigrorum ordinis sancti Benedicti conscripsit. Is igitur sub Udalrico reformatore, quando disciplina laudabiliter florebat, plures libros ex iniuncta sibi obedientia ad honorem Dei et suae matris virginis conscripsit [. . .].« Sein Professdatum und sein Alter sind unbekannt. Bernhard vermittelt in der Epistola das Bild eines jüngeren, zu belehrenden Bruders. 181 Vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge 1, S. 239. Dabei hat seine Schreibtätigkeit wohl bereits vor seinem Eintritt ins Kloster begonnen, denn auf die erste genannte Abschrift von 1443 folgt eine Bemerkung, dass Martin zu dieser Zeit noch nicht Mönch gewesen sei: »Tunc nondum monachus, sed adhuc frequentans Ravenspurgi« (ebd.). 182 Zu den Visitatoren gehörte u. a. Johannes de Spira aus Melk. Am 27. Februar 1435 wies Kardinal Julian Branda den Abt des Wiener Schottenklosters, Johannes von Ochsenhausen, an, zwei Mitglieder seines Konvents nach Wiblingen zu senden, was dieser jedoch ablehnte. Vgl. Bruck, Profeßbuch, S. 98.118 f. Machilek, Die Klöster, S. 269, sieht die Zugehörigkeit Wiblingens zum Melker Reformkreis erst um 1455 mit dem Eintritt von Melchior von Stamheim gegeben. Zu Wiblingen vgl. Eberl: Art. Wiblingen, in: GermBen 5, S. 652–667, dort umfassende Bibliographie; Braig, Wiblingen, S. 66–83; Machilek, Die Klöster, S. 255–279. Vgl. das Urteil von Schmitz, Geschichte des Benediktinerordens 3, S. 176: »Die Abtei Wiblingen spielte im Reformwerk Schwabens eine herausragende Rolle.« 183 Quellen und Forschungsliteratur bezeichnen ihn sowohl als Ulrich III. als auch als Ulrich IV.; gemeint ist im Zusammenhang der Reform immer Ulrich Hablüzel. Zu seinem Wirken vgl. Machilek, Die Klöster, S. 268 f. 184 Vgl. den vor 1632 entstandenen Bibliothekskatalog des Dominicus Fischer: »maxima pars librorum a monachis suis conscripta est et biblioteca tam feliciter aucta, ut iam anno 1450 pene ducenti manuscripti codices numerati sunt« (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 1, S. 435). Vom Bücherbestand in Wiblingen im 15. Jahrhundert zeugt die zwischen 1432 und 1438 entstandene Bücherliste »teils ausgeliehener teils als Zuwachs für die Klosterbibliothek zu erwartender Bücher« (a.a.O., S. 430), die rund 28 Titel nennt. Der Bibliothekskatalog, der

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5 Bernhards Schriften zur Askese

tierte der Abt von Wiblingen 1451/52 das Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg, so dass die Klöster in Augsburg, Wiblingen und Tegernsee bereits seit Anfang der 50er Jahre in Kontakt standen. Weil Bernhard, so die Einleitung der Epistola, bei diesem Gespräch in Augsburg die Fragen des Bruders nicht zufriedenstellend beantworten konnte, möchte er das in dieser Schrift nachholen, um seinen Adressaten zur rechten Regelobservanz anzuleiten.185 Obwohl Bernhard in der Epistola Martin in der zweiten Person Singular anspricht, lassen Inhalt und Verbreitung darauf schließen, dass er auch diese Schrift für einen weiteren Adressatenkreis schrieb.

5.5.2 Die Epistola als Forderung strenger Fleischabstinenz Die Epistola lässt sich in drei Teile gliedern, die dadurch verbunden sind, dass Bernhard den Adressaten immer wieder als »frater« anspricht. Im ersten Teil beantwortet Bernhard die Quaestio Martin Imlers schulmäßig in zwölf Thesen. Unmittelbar daran schließt ein zweiter Teil an, in dem Bernhard die Erläuterung von Aspekten der Fleischabstinenz mit den »substantialia« Armut und Keuschheit verknüpft. Den letzten Teil der Schrift bildet eine Klage über den Verfall des monastischen Lebens, die wohl später ergänzt wurde.186 5.5.2.1 Die zwölf Conclusiones Ein breiterer Adressatenkreis ist in der Intention der Schrift erkennbar: Bernhard will den Sinn der Abstinenz erläutern, damit der Adressat sein Gelübde erfüllen kann. Er will den Mönchen helfen, in Streitigkeiten kompetent zu antworten, damit zum Frieden beitragen und schließlich einige Unwissende zur Observanz zurückführen (ad observantiam legis reducere).187 Bernhard möchte also Kenntnisse vermitteln und Martins Frage bedie zwischen 1308 und 1499 in Wiblingen entstandenen Abschriften und ihre Schreiber nennt, ist nur noch in Auszügen erhalten (a.a.O., S. 431–450). Beide Listen zeigen ein Interesse an zeitgenössischen Traktaten zum Leben im Kloster. In diesen Kontext gehört auch Bernhards Epistola. Zum Wiblinger Bibliotheksbestand vgl. auch Hummel, Die Bücherverzeichnisse, S. 87–121; Urban, Ex Bibliotheca, S. 221–238. 185 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 260r): »verbo non novi nec potui sufficienter respondere. Itaque [. . .] ex tuis verbis occasionem sumens libros consului de ea, quae est in me fide et religionem, rationem redditurus, tuo quoque voto proposse satisfacturus, quinimmo monachis ipsis, de quibus tunc quaeritabat industria super esu huiusmodi, varie disputantibus occursus atque prout valeo competenter responsurus eos ad pacem pro meo modulo componere huiusque inscissime ad observantiam legis reducere satagens nonnullas.« 186 Der dritte Teil wurde vermutlich auch selbständig überliefert. Unter dem Titel Lamentationes et threni super excidio ac desolatione conversationis et vitae monasticae führt Lindner, Familia, S. 89, diesen Teil als selbständiges Werk an. 187 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 260r).

5.5 Bernhards Epistola contra illicitum carnium esum

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antworten, die er als »unerhört« und erschreckend bezeichnet: »Utrum monachus sanus et fortis per esum carnium seu carnes manducans semper mortaliter peccaret, quae quidem quaestio mihi prius inaudita, in nostro Tegernseense monasterio numquam disputatur, sed ipsa ab esu carnium abstinentia tam a sanis quam infi rmis ab abbate et monachis prout regula et sacri canones statuunt, quinimmo et ultra deo laus semper strictissime servatur.«188 Mit dem Verweis auf die Tegernseer Praxis, die Benediktsregel und die kanonischen Vorschriften hat Bernhard die Anfrage fast beantwortet. Doch in zwölf Conclusiones erörtert er die Quaestio schulmäßig nach dem Schema von These, Beweis der These durch Vernunft (ratio) und Autorität (auctoritas) sowie Zurückweisung von Einwänden. Formuliert er die beiden ersten Thesen noch knapp, argumentiert er in den folgenden Conclusiones ausführlicher. 5.5.2.1.1 Das Verbot des Fleischgenusses Bernhards erste These formuliert knapp, was die Überschrift bereits benennt: Der Fleischgenuss ist allen Benediktinern nach Regel und Recht verboten, wozu Bernhard auf das 39. Kapitel der Benediktsregel und das kanonische Recht verweist.189 Denn die Abstinenz sei nützlich (utilis) und notwendig (necessarius).190 Daher, so Bernhards zweiter Schluss, handelt ein Mönch, der Fleisch isst, gegen die Regel (sanctio regulae) und sündigt. Bernhards Vorgehen ist typisch auch für die folgenden Schlüsse: Auf die Benediktsregel verweist er nur, da er die Kenntnis des Wortlauts bei seinen Adressaten voraussetzt. Ebenso setzt er deren Kenntnis der einschlägigen päpstlichen Bullen voraus, die er oft nur erwähnt. In den ersten beiden Conclusiones hält Bernhard fest, was Konsens zwischen ihm und seinem Adressaten ist. Streitpunkt ist jedoch die Schwere der Schuld, die Bernhard in der dritten Conclusio diskutiert. Er vertritt die These, dass der Fleischgenuss »non inter mediocres sed graves culpas numeranda est«.191 Den Fleischverzehr als schwere Sünde beweist er ausführlich mit Autoritäten. Mit Alexander von Hales, Bernhard von Clairvaux und Thomas von Aquin ist der Verstoß gegen die Gelübde (vota) immer eine schwere Sünde. Die Abstinenz aber gehöre, so Bernhard, nicht zu den evangelischen Räten (consilia), sondern zu den Geboten (praecepta) der Regel. Gelobt der Mönch in der Profess die »conversatio morum« nach der Bene188

BvW, Epistola (clm 18600, f. 260r–v). Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 260v): »Conclusio prima: Carnium esus regulae et iuris auctoritate monachis prohibetur [. . .].« 190 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 260v): »non quod creaturam dei iudicemus indignam, sed carnium abstinentia utilis et necessaria monachis aestimetur«. 191 BvW, Epistola, concl. 3 (clm 18600, f. 260v–263v, hier: f. 260v). 189

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diktsregel, so ist die Fleischabstinenz wie das Schweigen Bestandteil der Regelobservanz und des Professgelübdes. Wichtig ist für Bernhard, dass der Fleischverzehr nicht nur die Verachtung (contemptus) der Regel ausdrückt, sondern dass der Mönch im Verzicht auf die Abstinenz auch auf den sicheren Heilsweg verzichtet.192 Da Bernhard die Abstinenz als Teil des Professgelübdes sieht, betont er auch, dass eine Dispens durch den Abt nur in begründeten Fällen (ex iusta ratione) erlaubt sei. Bernhard argumentiert hier, dass der Fleischverzehr eine schwere Sünde (gravis) ist, lässt aber offen, ob dieser immer eine Todsünde (peccatum mortale) oder noch eine lässliche Sünde (veniale) ist.193 Die dritte These zeigt exemplarisch Bernhards Haltung und Argumentationsweise: Er tritt, wie zu erwarten, für eine rigorose Abstinenz ein, die er mit den ihm bekannten Autoritäten zu beweisen sucht. Ohne dies kenntlich zu machen, folgt Bernhard hier der Argumentation des De-esu-carniumTraktats von Nikolaus von Dinkelsbühl und übernimmt dessen Text fast wörtlich.194 5.5.2.1.2 Die Interpretation der Regel und der Bulle Cum ad monasterium Nachdem Bernhard in den ersten drei Thesen die Fleischabstinenz grundlegend begründet hat, geht er in den folgenden Thesen auf die Interpretation der Aussagen der Benediktsregel in Kapitel 39 ein. Bernhards vierte These ist, dass jede Interpretation von Kapitel 39,11, die gesunden Mönchen das Essen von Geflügel erlaube, falsch und töricht (stultus) sei.195 Mit mehreren Beispielen lehnt er sowohl den Schluss vom Kleineren auf das Größere (in minore comprehendere maius) als auch die Argumentation ex negativo ab. Verbietet die Regel den Genuss von vierfüßigen Tieren, so schließt das Verbot für Bernhard alle zweifüßigen und geflügelten Tiere mit ein. In dieser Argumentation erläutert Bernhard erstmals die theologische Bedeutung der Abstinenz als einer Züchtigung des Körpers (castigatio) mit dem Ziel des vollkommenen geistlichen Lebens (perfectio). Doch wendet 192 Vgl. BvW, Epistola, concl. 3 (clm 18600, f. 263r): »quod in dubiis, maxime quae concernunt salutem animae, tenetur se homo ponere ad partem securiorem.« Vgl. ebd. (f. 263v): »Cum ergo monachus ordinis sancti Benedicti sanus et fortis certus sit et securus quod bene facit si ab esu carnium abstinet [. . .].« 193 Vgl. BvW, Epistola, concl. 3 (clm 18600, f. 263r): »Igitur [. . .] abstinentia carnium [. . .] ad minus est culpa venialis et per consequens semper illicita. Peccata autem venialia [. . .] disponunt ad mortale.« 194 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu et abstinentia carnium (vor 1431), clm 18551, f. 1r–11r (BSB München). 195 Vgl. BvW, Epistola, concl. 4 (clm 18600, f. 263v–264v, hier: f. 263v): »Stultum est sentire solas quadrupedum carnes monachis esse regulariter interdictas et carnes bipedum concessas«.

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sich Bernhard in den folgenden Thesen nur noch der kirchenrechtlichen Interpretation zu. Er analysiert die Bulle Cum ad monasterium detailliert und kommentiert sie Aussage für Aussage.196 So kommt er zu dem Schluss, dass (1) kein Mönch im Refektorium, in dem der ganze Konvent zusammen die Mahlzeiten einnimmt, Fleisch essen darf, und (2) an keinem anderen Ort als dem Krankensaal von den Kranken Fleisch gegessen werden darf.197 Der Akzent von Bernhards Ausführungen liegt auf den Möglichkeiten (ex indulgentia) und Orten (loci), an denen in der zeitgenössischen Interpretation der Bulle der Fleischgenuss erlaubt war. Bernhard versteht wie Nikolaus von Dinkelsbühl diese Bulle nicht als Milderung der Abstinenz, sondern als deren Verschärfung, da Papst Innozenz III. hier Missbräuche abwehren wollte. Positiver als die Bulle bewertet er zudem die Beschlüsse des Kapitels von Narbonne, da diese von in der vita religiosa erfahrenen Äbten gefasst worden seien.198 Hat Bernhard in der vierten These jede mildernde Interpretation des Abstinenzgebots der Regel verächtlich den Laien (laici) zugeschrieben, rezipiert er hier positiv die Autorität der im monastischen Leben Erfahrenen. Die kurze sechste These ergänzt die Interpretation der Bulle um das ausdrückliche Verbot des Fleischverzehrs für gesunde Mönche im Infirmitorium, was Bernhard u. a. mit Johannes Gerson und Bernhard von Clairvaux belegt.199 5.5.2.1.3 Die Interpretation der Bulle Summi Magistri Hat Bernhard die Bulle Cum ad monasterium als Verschärfung des Abstinenzgebots interpretiert, beweist er in den folgenden Conclusiones deren Übereinstimmung mit der Bulle Summi Magistri (Benedictina) Papst Benedikts XII. In redundanter Ausführlichkeit legt er dar, dass seine sechs Thesen mit der Benedictina übereinstimmen.200 Er beweist in akribischer Interpretation des Wortlauts, dass altes Recht, die Bulle Cum ad monasterium, und neues Recht der Benedictina übereinstimmen.201 Aus der philologischen Analyse zieht er 196

Vgl. BvW, Epistola, concl. 5 (clm 18600, f. 264v–268r). Vgl. BvW, Epistola, concl. 5 (clm 18600, f. 267v): »Pro hac autem clausula papa prohibuit esum carnium generaliter omnibus monachis nigris in quocumque alio loco ab infi rmitorio.« 198 Vgl. BvW, Epistola, concl. 5 (clm 18600, f. 267r): »hoc etiam in religiosa vita per practica expertis plus videtur [. . .]«. 199 Vgl. BvW, Epistola, concl. 6 (clm 18600, f. 268r–v, hier: f. 268r): »Scandalum est et illicitum habensque verisimilitudinem evidentem criminalis culpae, si monachus etc. in infi rmitorio non infi rmitatis vel debilitatis causa, sed pro sola voluptatis expletione carnibus vescatur.« 200 Vgl. BvW, Epistola, concl. 7 (clm 18600, f. 268v–272v). Vgl. f. 268v: »Praedictis sex conclusionibus non repugnat, quinimmo favet constitutio benedictina.« 201 Vgl. BvW, Epistola, concl. 7 (clm 18600, f. 269r): »iura iuribus concordare conformiter«. 197

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drei Schlussfolgerungen: (1) Die traditio regularis verbiete den Fleischgenuss. (2) Weder Papst Innozenz III. noch Papst Benedikt XII. wollten diese Tradition mildern. So gebieten (3) nach Bernhard sowohl Cum ad monasterium als auch die Benedictina strenge Fleischabstinenz, was er an einzelnen Aussagen beweist: Die in der Benedictina genannten Zeiten (Donnerstage, Samstage, Advents- und Passionszeit) bedeuten nur, dass an diesen Tagen auch für kranke Mönche (mediocriter infi rmi) die Abstinenz besonders einzuschärfen sei.202 Aus dem Verbot des Fleischverzehrs an diesen Tagen, so seine achte These, dürfe nicht geschlossen werden, dass dieser an den übrigen Wochentagen erlaubt sei.203 Auch hier zeigt die inhaltliche Argumentation Parallelen zur Interpretation der Benedictina bei Nikolaus von Dinkelsbühl. Doch während dieser sich mit den Thesen des Kaspar von Maiselstein auseinandersetzt, ist für Bernhard die Übereinstimmung von Tradition und päpstlichen Erlassen das Ziel seiner Beweisführung. In conclusio 9 interpretiert Bernhard weitere Aussagen der Benedictina.204 Deren Aussage, dass die Hälfte (medietas) der Konventualen im Refektorium speisen müsse, bedeutet nach Bernhard nicht, dass die andere Hälfte in dieser Zeit im Krankensaal Fleisch essen dürfe. Bernhard nimmt hier immer wieder einzelne ihm wichtige Aspekte auf, so dass die Argumentation nicht stringent verläuft: Er betont zum einen erneut, dass altes und neues Recht übereinstimmen müssen. Um diese Übereinstimmung zu beweisen, bestimmt er als Adressaten der Benedictina weder gesunde noch schwerkranke, sondern mittelschwer (mediocriter) erkrankte Mönche, die an den in der Bulle nicht genannten Tagen unter Umständen Fleisch essen dürfen. In Berufung auf den Regelkommentar des Petrus Boërius polemisiert er aber auch gegen schlechte Glossen und Interpreten, bevor er unter der Prämisse der Übereinstimmung von altem und neuem Recht den Visitationserlass des Nikolaus von Kues von 1451 und den Hildemar-Regelkommentar als Beweis für die strenge Abstinenzforderung anführt. 5.5.2.1.4 Die Beantwortung von Martins Quaestio In den drei letzten Thesen beantwortet Bernhard die Quaestio Martin Imlers nach der Schwere der Schuld bei Fleischverzehr. Denn für Bernhard gibt 202 Vgl. BvW, Epistola, concl. 7 (clm 18600, f. 270v–271r). Vgl. f. 270v: »Ex quibus verbis luceclarius patet quod praedictis monachis esum carnium non concessit [. . .]. Secundo sequitur quod nec papa Innocentius capitulo Cum ad monasterium abstinentia carnium huiusmodi monachis relaxat. [. . .] Tertio quod textus dictae constitutionis benedictinae [. . .] loquitur infi rmis et debilibus quibus secundum regulam S. Benedicti licitum est carnibus vesci.« 203 Vgl. BvW, Epistola, concl. 8 (clm 18600, f. 272v–273r, hier: f. 272v): »Constitutio benedictina [. . .] non intelligendam est propterea esum carnium monachis pro temporibus aliis indulsisse«. 204 Vgl. BvW, Epistola, concl. 9 (clm 18600, f. 273r–276v).

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es keine Entschuldigung für Mönche, die Fleisch essen.205 Häufigen Fleischgenuss kann er nur als Todsünde bezeichnen: »Crimen autem intelligo culpam esse mortalem.«206 Dabei verknüpft Bernhard den Fleischgenuss nicht nur mit dem Ungehorsam gegenüber der Regel, sondern auch mit dem Brechen der Gelübde von Armut und Keuschheit. Denn wahre Keuschheit kann bei dem, der als Mönch Fleisch verzehrt, nicht gefunden werden, und das Essen von Fleisch verstößt laut Bernhard auch gegen das Gebot der Besitzlosigkeit.207 Deshalb fordert er mit Autoritätsbeweis strenge Abstinenz auch für die Laienbrüder.208 Abschließend beantwortet Bernhard die Quaestio in drei Sätzen: »1. Monachus fortis et sanis comedens carnes ex sola libidine gulae peccat mortaliter totiens quotiens. 2. Monachus sanus et fortis ex contemptu comedens carnes peccat mortaliter totiens quotiens. 3. Monachus sanus et fortis qui nullum habet respectum ad regulam [. . .] peccat mortaliter totiens quotiens.« 209 Wer aus persönlicher Gier oder Verachtung der Regel Fleisch isst, begeht eine Todsünde. Bernhard beweist diese Sätze ausführlich, wobei ihm wichtig ist, dass die Autoritäten von Bernhard von Clairvaux über Thomas von Aquin bis zu Johannes Gerson und Nikolaus Cusanus in der Bestimmung von Todsünde übereinstimmen. Mit diesen zwölf Thesen ist die von einem De-esu-carnium-Traktat zu erwartende Erörterung abgeschlossen, und Bernhard vertritt erwartungsgemäß die völlige Abstinenz vom Fleisch für gesunde Mönche. Doch stellten Martin und die Augsburger Mönche im Gespräch wohl weitere Fragen, die Bernhard im zweiten Teil der Epistola beantwortet. 5.5.2.2 Weitere Aspekte der Abstinenz und die Gelübde In diesem zweiten Teil nimmt er Einwände und Fragen zur Abstinenz auf; vor allem aber verknüpft er, was er in Conclusio 11 bereits skizzierte, die Fleischabstinenz mit den Gelübden der Armut und Keuschheit, die er in langen Exkursen behandelt.210 Bernhard betont hier, dass die Fleischabstinenz zentrale Bedeutung für das observante Leben hat und Gelübde (vota substantialia) und Regelobservanz aufs engste verbunden sind.211 Daher be205 Vgl. BvW, Epistola, concl. 10 (clm 18600, f. 276v–277v, hier: f. 276v): »Non excusatur monachus contra superioris sui praeceptum carnibus vescens [. . .].« 206 BvW, Epistola, concl. 11 (clm 18600, f. 277v–280r, hier: f. 277v). 207 Vgl. BvW, Epistola, concl. 11 (clm 18600, f. 278r–v). Dieses Blatt ist nachträglich eingefügt in die Schrift, so dass es sich wohl um eine Ergänzung handelt, die überleitet zur Erläuterung der Gelübde im zweiten Teil der Epistola. 208 Vgl. BvW, Epistola, concl. 11 (clm 18600, f. 279r–280r). 209 BvW, Epistola, concl. 12 (clm 18600, f. 280v–287v, hier: f. 280v). 210 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 287v–300r). 211 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 288r): »Nempe si sunt parva et levia ergo ad obser-

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handelt er nach einer kurzen Erwähnung der Keuschheit 212 das Gelübde der Besitzlosigkeit ausführlich in schulmäßiger Diktion: So gibt es laut Bernhard zwei Arten von Besitzlosigkeit, die persönliche und jene, die auch auf den überflüssigen Gebrauch gemeinschaftlicher Dinge verzichtet. Bereits der Wille zum Besitz aber bricht nach Bernhard das Gelübde des Gehorsams.213 Das Brechen der Gelübde aber führe dazu, dass der Religiose Gott nicht erreichen kann, »numquam in religione crescere neque finem suae professionis attingere nec deo poterit placere.« 214 Hat Bernhard die Gelübde und deren Bedeutung skizziert, kehrt er zur Fleischabstinenz zurück und führt unterschiedliche Aspekte aus, die zu ergänzen ihm wichtig ist und die er ohne erkennbare logische Verbindung, allenfalls in Stichwortanknüpfung, aneinanderreiht. So stellt er das tägliche Essen des Fleisches Christi in der Eucharistiefeier vor.215 Er beweist mit Autoritäten, dass die Abstinenz vom Fleisch, wie sie auch Jesus praktiziert habe, besser und gesünder ist als Fleischgenuss.216 Den Fleischverzehr sieht er als »radix toxica«, aus der zwölf schlechte Früchte hervorgehen, vom Brechen der Regel über den Verlust des Bußcharakters des monastischen Lebens bis zur körperlichen Erkrankung.217 Die körperlichen Folgen des Fleischverzehrs führt Bernhard anschließend aus und folgt dabei der Argumentation Arnalds von Villanova.218 Er kommt zu dem Schluss, dass Fleischgenuss nicht einmal für Kranke notwendig sei, und verweist erneut auf die in Tegernsee praktizierte Abstinenz: »quod in nostro

vandum facilia eo ipso, tamen sunt valde magna, quia eorundem diligens observantia ad gaudia et praemia perducit aeterna«; »quin etiam haec ipsa substantialia sine [. . .] observantia veraciter stare non possunt.« Bernhard bezeichnet in der Epistola Armut, Keuschheit und Gehorsam als »substantialia«, eigentlich die evangelischen Räte. Die in der Profess gelobte conversatio morum, stabilitas und oboedientia (vgl. RB 58,17) unterscheidet er davon nicht, sondern fasst in den drei Räten die benediktinische vita monastica zusammen. 212 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 289r). 213 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 289r–291r). 214 BvW, Epistola (clm 18600, f. 290v). 215 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 291r). Bernhard führt den Gedanken hier nicht aus, doch erörtert er in Parallele dazu die mystische Erfahrung in der täglichen Eucharistiefeier in seiner Schrift De spiritualibus sentimentis (1463/64). 216 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 290r–292r, hier: f. 291v): »Christum exemplar nostrum vivendum abstinuisse a carnibus, [. . .] ob id Christus piscatores non carnifices in discipulos videtur elegisse«. 217 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 292r–293v, hier: f. 292r): »feruntur mala quam plurima scilicet gulae maior actuatio, [. . ..] ieiunii regularis cassatio, salubris poenitentiae frustratio, animae ad carnem incorporatio, saecularis vitae imitatio, a patrum vestigiis deviatio, meriti magna diminutio, silentii claustralis annihilatio, religionis magna deformatio, corporalis quietis diminutio et membrorum multiplex aegrotatio«. 218 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 293v–295r).

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monasterio de esu carnium memoria nulla habeatur neque graviter infi rmi, qui rarissimi sunt, [. . .] nullatenus admittatur.« 219 Die Frage, ob ein Abt auf Einladung des Bischofs oder Landesherrn Fleisch essen darf, verneint Bernhard mit dem Hinweis auf die größere Gehorsamspfl icht gegenüber der Regel. Er thematisiert den Verzehr von Fisch anstelle von Fleisch und äußert sich ausführlich mit Autoritätsbeweis zur Dispens vom Fastengebot durch den Abt.220 In einem Schlussabschnitt bestätigt Bernhard in direkter Anrede an den »frater«, dass er hier aus Schriften zusammengestellt habe, was ihm zur Beantwortung der Fragen nützlich zu sein schien. Mit der bei Bernhard typischen Schlussformel »ora pro me« beendete er vermutlich ursprünglich den Traktat und ergänzte später den dritten Teil, die Verfallsklage.221 5.5.2.3 Die Klage über den Verfall monastischen Lebens Seine Verfallsklage beginnt er in lyrischem Stil, indem er den biblischen Klageliedern Jeremias (1,1–5) folgt und diese tropologisch auf den zeitgenössischen Zustand der Religiosen interpretiert.222 In seinen eigenen Worten (in simplici stilo et forma) und mit Zitaten von Bonaventura, Humbert und Gregor dem Großen setzt er die Klage fort.223 In diese Klage fügt er je einen Exkurs zum Gelübde der Besitzlosigkeit (paupertas), zur Keuschheit (castitas) und zur Liebe (caritas) ein. Ersterer ergänzt mit Autoritätsbeweis

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BvW, Epistola (clm 18600, f. 295r–296v, hier: f. 296v). Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 297r–300r, hier: f. 300r): »Ubi necessitas urget excusabilis dispensatio est, ubi utilitas provocat laudabilis est.« 221 Die Korrekturhandschrift clm 19608, f. 97v (BSB München), endet hier, während die Abschrift in clm 18600, f. 300r, einen Absatz setzt, aber den Text mit der Verfallsklage fortsetzt. Clm 5951 (f. 122v), die auf 1458 datierte Abschrift aus Ebersberg, lässt keine Zäsur mehr erkennen. Daher ist anzunehmen, dass Bernhard eine erste Fassung (clm 19608, f. 74r–100v) entwarf und selbst korrigierte. Diese Korrekturen sind in der Abschrift in clm 18600, f. 260r–310v, aufgenommen. In dieser Abschrift, die nicht von Bernhards Hand geschrieben ist, sind weitere Einschübe und Korrekturen sowie der dritte Teil, die Verfallsklage (clm 18600, f. 300r–310v), ergänzt worden, die Bernhard wohl einem Schreiber diktierte. Bereits 1458 wird die Epistola, vgl. clm 5951, f. 64r–143v, mit allen Korrekturen und der Verfallsklage als einheitlicher Text überliefert. So ist z. B. das in clm 18600 eingelegte Blatt (f. 306r–v) als Ergänzung (zu f. 307r) in clm 5951, f. 132r–134v, bereits in den fortlaufenden Text aufgenommen. Ein mehrstufiger Entstehungsprozess ist nicht untypisch für Bernhards Schriften: Auer, Johannes von Dambach, S. 312 f., weist diesen für das Consolatorium Bernhards nach; auch dort fehlt in der Endfassung des ursprünglichen Briefes an Johann von Eych jeglicher persönlich gehaltene Schluss. 222 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 300r–302r, hier: f. 302r): »Haec ex lamentis Ieremiae prophetae sub sensu tropologico et mystico super [. . .] statu monastico a primo rigore nunc quasi totaliter collapso«. 223 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 302r–305r). 220

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das im zweiten Teil der Epistola bereits Gesagte.224 Mit Autoritätsbeweis schärft er auch die Notwendigkeit der Keuschheit ein 225 und erläutet abschließend als verbindendes Element aller monastisch-asketischen Gelübde die Liebe zu Gott.226 Thematisiert Bernhard im zweiten und dritten Teil ausführlich die Gelübde der Armut und der Keuschheit und bereits im ersten Teil im Kontext der Regelobservanz den Gehorsam, kehrt er zum Schluss der Epistola zur Verfallsklage zurück und beendet die Schrift unvermittelt ohne abschließenden Gruß und Anrede an den Adressaten.227

5.5.3 Bernhards Argumentation 5.5.3.1 Die inhaltliche Aussage: Rigorose Abstinenz Die zentrale Forderung der Epistola ist, wie aus Bernhards Biographie und briefl ichen Äußerungen zu erwarten, die völlige Fleischabstinenz gesunder Mönche nach der Benediktsregel. Bernhards Empfehlung ist jedoch die Abstinenz nach Tegernseer Vorbild, wo auch kranke Mönche auf Fleisch verzichten. Unter dieser inhaltlichen Prämisse rigoroser Abstinenz beurteilt er das Fleischessen als schwere Sünde oder sogar Todsünde und beantwortet damit Martin Imlers Frage.228 Wie in seinen anderen Schriften hat Bernhard auch hier das Heil des einzelnen Mönches vor Augen, der nur in der strengen Askese das vollkommene geistliche Leben führen und darin Gott näherkommen kann. Nur durch die »via ardua, valde arta et alta via« der Askese kann der Religiose zum Schmecken und Sehen Gottes gelangen.229 Daher ist die Abstinenz

224 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 305r–307r, hier: f. 305r): »De paupertate autem voluntaria quae nutrix [. . .] est totius religionis«. 225 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 307r–308v). 226 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 308v–309v, hier: f. 308v): »Porro de caritate, quae connexio est totius spiritualis structurae ac conservatrix verae monasticae et religiosae vitae«. 227 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 309v-310r, hier: f. 310r): »hoc autem scriptum fi nitum in vigilia S. andree apostoli [= 29. November] J. C. d. n. anno nativitatis eius 1456. Deo gratias.« In clm 5951, f. 143r, leitet der Schreiber Martin Mergetheym mit Verweis auf »scripta et collecta cuiusdam moderni non doctoris sed dictatoris contra esum carnium monachis nigris prohibitum« über zu dem ebenfalls von seiner Hand geschriebenen Brief Bernhards an die Brüder von St. Ulrich und Afra in Augsburg über Fragen zur Eucharistie (f. 144r–155r). Im Anschluss an den Brief datiert der Schreiber (f. 155r) die Abschrift auf das Jahr 1458 und gibt sich als Martinus Mergetheym aus dem Kloster Ebersberg zu erkennen. 228 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 263r): »ad minus est culpa venialis«; vgl. »graves culpas« (f. 260v). 229 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 288v): »ubi in solitudine deus animam religiosam

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nützlich und notwendig.230 Sie ist der sichere Weg zum Heil,231 und Bernhard verfasst zur »salva maiorum correctio« die Epistola.232 Die Heilsrelevanz der Abstinenz führt Bernhard in der Epistola zwar nur in wenigen Sätzen aus.233 Doch sie begründet seine langen Ausführungen, in denen er nicht nur die Abstinenz, sondern auch Besitzlosigkeit, Keuschheit sowie die Liebe zu Gott einschärft. Die Abstinenz gehört für ihn zum Gehorsam gegenüber der Regel.234 Zwar kennt Bernhard die Unterscheidung zwischen Geboten und Empfehlungen der Regel, doch fallen für ihn beide unter die in der Profess gelobte »conversatio morum«, so dass die Abstinenz für ihn pars pro toto Kennzeichen der Regelobservanz ist.235 Um dies darzulegen, bedient sich Bernhard in der Epistola sprachlicher Mittel und inhaltlicher Topoi, die auch seine Schriften zur vita contemplativa und zur Mystik kennzeichnen. 5.5.3.2 Der Autoritätsbeweis und die Harmonisierung von altem und neuem Recht So kommt dem Autoritätsbeweis auch in der Epistola entscheidende Bedeutung zu. Als Autoritäten versteht Bernhard die »veneranda traditio«, die er in klarer Hierarchisierung in der Heiligen Schrift und deren approbierter Interpretation, der Lehre der heiligen Väter, der Lehre der päpstlichen Erlasse, aber auch den Lebensbeispielen von Religiosen beiderlei Geschlechts und sogar in Aussagen heidnischer Philosophen gegeben sieht.236 Die Benediktsregel ist für Bernhard grundlegende Autorität, doch geht er nicht quellen- oder textkritisch auf sie ein. Er lehnt ihre Interpretation ex negativo ausdrücklich ab und erlaubt auch den Schluss a minore ad maius nur, wenn damit die strenge Abstinenz bestätigt wird, z. B. wenn im Verbot des dulciter alloquitur. Insuper ab anima eiusmodi auditur, conspicitur, gustatur, amplexatur, quin etiam [. . .] videtur«. 230 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 260v): »sed carnium abstinentia utilis et necessaria monachis«. 231 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 263v): »certus sit et securus quod bene facit si ab esu carnium abstinet«; vgl. »Item est apud theologos et iuristas regula magistralis quod in dubiis, maxime quae concernunt salutem animae, tenetur se homo ponere ad partem securiorem.« (f. 262v). 232 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 260v). 233 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 286v): »quod religiosus servans divina praecepta [. . .] transgrediens etiam vero minima corporalia statuta ex contemptu suae regulae [. . .] debet timere periculum damnationis, patet quia talis peccat ex contemptu.« Vgl. »ad perfectionem [. . .] per carnis castigationem« (f. 264v); »humiliter oboediamus ut sic semper securi feliciter vivere valeamus« (f. 291r). 234 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 278v): »ab esu carnium qui est eis omnino illicitus tamque multipliciter prohibitus amore castitatis, oboedientiae ac voluntariae paupertatis«. 235 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 262v). 236 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 292r): »1. scriptura sacra sub lege triplici et eius ordinaria glossa, 2. doctrina sanctorum plurimorum [. . .], 3. canonistarum et canonum summorum pontificum quam plurima decreta, 4. sanctorum utriusque sexus multa salubria exempla, 5. paganorum et gentilium philosophorum plura moralia scripta« etc.

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Verzehrs vierfüßiger Tiere auch das von Geflügel und im Verbot der Leinenhemden auch Seidenhemden inbegriffen sind, beides Beispiele, die er von Nikolaus von Dinkelsbühl übernimmt.237 Entscheidend sind für ihn Wortlaut und »intentio« eines Textes, die er sowohl in der Benediktsregel als auch in den päpstlichen Bullen untersucht.238 Denn im Zentrum seiner Argumentation steht die Interpretation der Aussagen zur Abstinenz in Cum ad monasterium und Summi magistri. Charakteristisch für Bernhard ist, dass er die in zeitgenössischer Interpretation als Milderung der Abstinenz verstandene Benedictina als deren Verschärfung versteht. Zwar argumentiert er, dass er sich dem Urteil der Mehrheit beuge, interpretiert aber die päpstlichen Bullen durchweg gegen die zeitgenössische Mehrheitsmeinung.239 Dazu harmonisiert er nicht nur die beiden päpstlichen Erlasse, sondern seine Argumentation hat das Ziel, alle Regelinterpretationen als einheitliche Aussage zur strengen Fleischabstinenz zu beweisen.240 Deshalb wirft er Interpreten, die die Benedictina als Milderung verstehen, oder Kommentatoren der Regel, die anders argumentieren, pauschal Rechtsverdrehung (calumnia) und ein nur menschliches Bemühen (humana industria) vor.241 Das von ihm postulierte rechte Verständnis (verus intellectus) zeigt sich da, wo altes und neues Recht in Übereinstimmung gebracht werden und die traditio regularis gewahrt bleibt.242 In Analogie sieht er die Aussagen der Kirchenväter und Lehrer übereinstimmend als Forderung strenger Abstinenz. Er zitiert sowohl Kirchenväter, wie z. B. Augustinus und Hieronymus,243 als auch die großen mittelalter237 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 264r): »quia prohibito minori etiam prohibitum censetur quod maius est«. 238 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 271v): »in quo textu intentio«; »secundum intentionem regulae« (f. 298v). 239 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 300r): »maiorum iudicio me semper humilem subdo«. 240 Vgl. die Zitate aus den Kommentaren und den Dekretalen, BvW, Epistola: Regeln des Basilius, Augustinus und Benedikts (clm 18600, f. 263v, 276v); Hildemar-Kommentar (f. 264v, 275v, 298r); Kommentar des Petrus Boërius (f. 274r); Hostiensis, Summa de statu monachorum (f. 279r), als Glossator (f. 266r, 268r); vgl. Bernhard von Montecassino, Glossa (f. 268r, 279r), Speculum monachorum (f. 282v); Glossator decretalium (f. 267r, 298v); Gratian (f. 297v); Isidor (f. 291r). 241 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 265v): »quae intellectum pervertere«; »quod aliqui ex sequenti verso extorquere« (f. 266r); »extortos sensus et glossulas ineptas« (f. 270r); »per ineptas glossulas et extortas violenter extorquetur« (f. 273r). 242 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 271v): »verus intellectus«; vgl. »iura iuribus concordare conformiter« (f. 269r), »antiqua iura et regula« (f. 271r); »debemus ergo iura iuribus ut dixi superius concordare« (f. 273v). 243 Vgl. Augustinus, De civitate dei (clm 18600, f. 263v, 276v), Sermones (f. 293r), Confessiones (f. 307v–308r), Regula (f. 307r, 308v), vgl. f. 279v. Hieronymus, Epistola ad Galenus (f. 264r), Contra Iovinianum (f. 279v, 292r–v, 293r), Epistola ad Salvinam (f. 292v); vgl. f. 294r, 307v.

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lichen Theologen, wie z. B. Bernhard von Clairvaux, Albertus Magnus, Bonaventura, Hugo und Richard von St. Victor.244 Viele der zitierten Autoren gehören zum Autoritätenkanon, den er auch, einige Jahre später, in den Schriften zum kontemplativen Leben zitiert. Nur hier zitiert er aber z. B. Johannes von Neapel, Matthäus von Krakau, Nikolaus von Lyra und Petrus Comestor. Aus der Gattung der De-esu-carnium-Traktate zitiert er nur die Schrift des Arnald von Villanova explizit.245 Er nennt in der Epistola Johannes Gerson ausdrücklich, ebenso seinen Zeitgenossen Nikolaus Cusanus, während er in seinen Schriften zur Mystik und zum kontemplativen Leben die Zeitgenossen oder als solche verstandene »moderni« meist nicht namentlich zitiert.246 Bernhard unterscheidet dabei mit Nikolaus von Dinkelsbühl zwischen der größeren Autorität Bernhards von Clairvaux und der kleineren des Thomas von Aquin.247 Er begründet diese Hierarchisierung an dieser Stelle nicht, aber aus der Epistola geht hervor, dass Bernhard von Clairvaux als nach der Benediktsregel lebender Mönch größere Autorität in Fragen der Benediktsregel zukommt. Die persönliche Erfahrung befähigt damit zu einem gesunden Urteil über die Abstinenz. Daher zitiert Bernhard neben einzelnen Versen aus dem Alten und Neuen Testament vor allem biblische Personen. Die Erfahrung von Isaak, Saul, Amalech und Hagar, die das göttliche Gebot verachteten, dient ihm als Beispiel für die Verachtung (contemptus) der Regel.248 Ähnlich ist das Lebensbeispiel von langlebigen Kartäusern für Bernhard Beweis für die Enthaltsamkeit vom Fleisch.249 244 Vgl. Albertus Magnus, De sacramento eucharistiae (clm 18600, f. 295r–v), vgl. f. 306r; Alexander von Hales (f. 262r); Bernhard von Clairvaux, De praecepto et dispensatione (f. 262v, 263r, 263v, 281v, 282r, 286v, 287r–v, 298v, 299v–300r), Apologia (f. 268v), Brief an Papst Eugen (f. 299r), vgl. f. 285v, 306r, 306v; Bonaventura (f. 295r, 303r–v, 306r); Hugo von St. Victor (f. 280r, 307r, 308v, 309r); Gottfried de Fontibus (f. 290r); Humbert, Super regula sancti Augustini (f. 299r, 304r–305r, 305v); Johannes von Neapel (f. 290r); (abbas) Johannes, De professione monachorum (f. 282r); Matthäus von Krakau, De pura conscientia (f. 308r); Prosper, De vita contemplativa (f. 264r, 308v); Richard von St. Victor, De statu interioris hominis (f. 308r); Thomas von Aquin, Summa theologiae (f. 262v, 263r, 281r–v, 282r, 283v, 285v, 287r, 295v, 299r); Guilhelmus, Speculum monachorum (f. 299v); Wilhelmus presbyterus, Super passionem domini (f. 299v); vgl. auch Boethius, Liber consolationis (f. 296v); Cesarius, Admonitio (f. 276v); Nikolaus von Lyra (f. 309v–310r); Petrus Comestor [Historia Scholastica] (f. 291v). 245 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 294v–295r). 246 Vgl. Johannes Gerson (clm 18600, f. 268v, 283r, 285v, 308r), Brief an Aegidius Romanus (f. 280v), De vita spirituali (f. 282v, 283v, 284v); Nikolaus von Kues, Visitationsauftrag (f. 274r–275v, vgl. f. 284r). 247 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 263r): »Maior est beati Bernardi in De praecepto et dispensatione et minor S. Tomae ubi dicens.« 248 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 285v–286r). 249 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 295r): »inducit experientiam, quia videmus in ordine ipso Cartusiense octogenarios et centenarios [. . .]«.

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5.5.3.3 Die Erfahrung als Voraussetzung des rechten Verstehens Was Bernhard in seinen anderen Schriften immer wieder postuliert, ist auch hermeneutische Prämisse der Epistola. Für ihn ist die Erfahrung im observanten Leben Voraussetzung für die rechte Interpretation der Regel.250 Nur wer nach der Regel lebt, also die Abstinenz praktiziert, kann die Regel verstehen. Entsprechend kann er den Erlassen des Provinzialkapitels von Narbonne einen höheren Rang als einem päpstlichen Erlass zuschreiben, da die Äbte aus der von ihnen praktizierten Observanz das rechte Verständnis der Regel besaßen.251 Er zitiert auch seine eigene Erfahrung mit der Fleischabstinenz in Tegernsee und beweist sich durch die eigene Praxis als kompetenter Interpret der Benediktsregel.252 Doch ist Erfahrung bei Bernhard immer auch die Erfahrung monastischer Väter, weswegen der Autoritätsbeweis auch in der Epistola breiten Raum einnimmt. Allen, die eine andere Interpretation der Regel oder der Bullen vertreten, spricht Bernhard solche Erfahrung pauschal ab, und bezeichnet sie als »laici«,253 während er nur die Auslegung der tatsächlichen »imitatores« der Regel anerkennt.254 5.5.3.4 Quaestio, Brief und Sermo Dem Titel gemäß beginnt Bernhard den Brief mit einer Briefeinleitung. Doch fehlt ein Briefschluss am Ende des dritten Teils, was für einen mehrstufigen Entstehungsprozess spricht. Die Form als Brief ist nur daran zu erkennen, dass Bernhard den Adressaten einleitend anspricht. Er kann die Epistola im zweiten Teil auch als »sermo« bezeichnen.255 Behandelt er im ersten Teil formal die Quaestio, löst er sich von dieser Form im zweiten Teil. Im dritten Teil, den er nachträglich anfügt, ordnet er in die Verfallsklage inhaltliche Exkurse zu den Gelübden ein. Formal ist die Schrift daher nur durch die wiederholte Anrede an den »frater«, den Adressaten Martin, den Bernhard nach der Einleitung nicht mehr namentlich nennt, verbunden.256 Zusammen mit Bernhards Aussagen in der ersten Person Singular gewinnt die Epistola in den ersten beiden Teilen den Charakter eines Gesprächs und setzt damit das Gespräch in Augsburg, das Entstehungsanlass der Schrift war, fort. 250

Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 307v): »probatum est per multas experientias«. Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 267r): »in religiosa vita per practicam expertis«. 252 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 296v). 253 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 264r). 254 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 277r): »Cur siquidem nulli erant sanctae regulae studiosi glossatores, sed benevoli imitatores, nulli sacrarum institutionum curiosi interpretatores, sed singuli fideles earundem observatores«. 255 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 288r, 299r): »sermo«. 256 Vgl. BvW, Epistola, Einleitung zu Teil 2: »nunc arguis me, frater« (clm 18600, f. 287v), »sed dices mihi fortasse, o frater« (f. 291v; vgl. f. 298r, 300r, 309v). 251

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5.5.3.5 Sprache und Motive Typische Motive Bernhards fi nden sich auch in der Epistola, so z. B. das Motiv der blinden Augen, mit dem er den Gegensatz von richtiger und falscher Regelinterpretation in der neunten These beschreibt. Er verwirft die Auslegungen blinder Interpreten und fordert eine differenzierte Auslegung mit den Augen des Verstandes.257 Beispielerzählungen, wie sie in seinen Schriften zur Mystik und zur vita contemplativa typisch sind, finden sich in der Epistola dagegen kaum.258 Sie ist, vor allem im ersten Teil, die schulmäßige Abhandlung einer Quaestio und hat nichts von der Lebensnähe, die die Beispiele in seinen anderen Schriften zeigen. Bernhards typische Klagerufe über die gegenwärtigen Zustände fi nden sich jedoch sowohl in den ersten beiden Teilen der Schrift als auch im letzten Teil, der ganz der Verfallsklage gewidmet ist.259 Bernhards Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit, wie sie sich auch im Defensorium speculi pastorum fi ndet, und die Klage über die zeitgenössischen Zustände, die Parallelen im Klagelied über St. Georgenberg haben, zeigen sein Verständnis von monastischer Gegenwart und Vergangenheit. Die frühe Zeit des Christentums gilt ihm als Idealzeit,260 ebenso aber die biblische Zeit vor der Sintflut (prima aetas), in der die Menschen kein Fleisch aßen und länger lebten.261 Dagegen kann er die Gegenwart (nunc temporis) nur als Verfall der vita religiosa beschreiben.262 Begegnen auch Motive aus anderen Schriften Bernhards wieder, so steht im Zentrum der Epistola doch die Interpretation von Cum ad monasterium und der Benedictina und damit die kirchenrechtliche Diskussion. Er interpretiert die Texte, deren Auslegung in der zeitgenössischen Reformdiskussion seit dem Konzil von Konstanz diskutiert wird. Aus diesem Diskussionskontext ist auch die Reaktion Schlitpachers zu verstehen. 257 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 274r): »mentales oculi excaecantes«; »intellectuales oculi subtilium distinctionum et resolutionum«. Vgl. das Motiv der Augen auch in der 7. conclusio (f. 270r, f. 272r). 258 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 288v): »Nam qui voluntatem habet adulterandi vel fornicandi, coram deo adulter et fornicator est, etiam si voluntatem opere numquam perficiat. Ita et religiosus sola voluntate votum violat castitatis.« Vorbild (exemplar) für die Abstinenz ist das Leben Christi, vgl. »Iesus, cuius omnis actio est nostra instructio« (f. 296r, vgl. f. 291v, 295v). 259 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 277r): »o felicia patrum tempora priscorum«; »o talium tempora beata« (f. 277v). 260 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 309v): »fuerunt pro certo tunc aurea tempora«. 261 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 296r–v). Diesen Gedanken kennt schon Hieronymus, Contra Iovinianum (vgl. PL 23, Sp. 302 f.). Zur Fleischabstinenz bei Hieronymus als »Instrument zur Vergegenwärtigung des paradiesischen Urzustandes« vgl. Lutterbach, Was das christliche Mönchtum, S. 1–14. 262 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 277v): »Non ergo imitandi sed contemnendi sunt nunc temporis monachi literati«. Vgl. den Kontrast von »olim« und »nunc« in der Verfallsklage (f. 300v–310r).

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5.5.4 Die Reaktion des Johannes Schlitpacher Johannes Schlitpacher aus Melk las spätestens 1458 Bernhards Epistola und reagierte mit zwei kurzen Kommentaren. In einer wohl 1458 entstandenen Notiz, der Brevis confirmatio conclusionum in tractatu contra illicitum carnium esum,263 fasst er die Conclusiones, die den ersten Teil der Epistola bilden, zusammen und äußert seine Zustimmung. Sein Brief vom 27. August 1458 an Bernhard ist die ausführliche Fassung dieser kurzen Notiz.264 Bernhards Responsio ad quaedam argumenta contra aliqua dicta in quaestione de esu carnium monachorum O. S. B., die er vermutlich in Reaktion auf Schlitpachers Kritik schrieb, ist nicht erhalten.265 5.5.4.1 Brevis confirmatio In der Brevis confirmatio kommentiert Schlitpacher die zwölf Thesen Bernhards und fasst anschließend Auf bau und Inhalt der Epistola knapp zusammen.266 Er zitiert jede These Bernhards kurz mit den ersten Wörtern und stimmt allen Thesen zu, kommentiert aber die dritte und fünfte These. Die dritte These Bernhards thematisiert die »praevaricatio« von gesunden Mönchen, die Fleisch essen, entweder gegen das Verbot des Vorgesetzten oder aus Verachtung der Tradition der Regel oder heimlich ohne Erlaubnis. In allen drei Fällen ist Bernhard der Meinung, dass die Mönche eine Todsünde begehen. Schlitpacher zitiert die Aussage des Alexander von Hales, dass die Abstinenz nur zu den »statuta« gehöre und deren Übertretung damit nur lässliche Sünde sei. Er widerspricht Bernhard nicht ausdrücklich, aber er ergänzt eine mildere Beurteilung der Schuld. In seinem Kommentar zur fünften These Bernhards ergänzt Schlitpacher inhaltlich nichts, aber er polemisiert gegen jene Interpretation der päpstlichen Erlasse, die den Fleischgenuss in den Räumen des Abtes für erlaubt hält. Er bestätigt damit die strenge Abstinenzforderung Bernhards.267

263 Der Titel ist sekundär, wird hier aber beibehalten. Die Notiz ist überliefert: Cod. Mell. 960, p. 404 (SB Melk); clm 18600, f. 261r–v (BSB München), als einzelnes Blatt eingebunden. 264 Der Brief fi ndet sich im Cod. Mell. 960, p. 405–406 (SB Melk), aber auch clm 18600, f. 311r–v (BSB München), im Anschluss an die Abschrift der Epistola. 265 Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio, Nr. 2, kennt diese Schrift noch; sie ist nicht mehr auffi ndbar. 266 Vgl. Johannes Schlitpacher, Brevis confi rmatio (Cod. Mell 960, p. 404): »et facta logica disgressione de tribus substantialibus religionis cum permixtione de esu carnium tandem cum lamento monastici status et defectus essentialium sanctae religionis [. . .].« 267 Vgl. Schlitpachers abschließenden Wunsch: »Utinam monachi diligentius curarent beati Benedicti regulam practicare, quam de contentis in ipsa curiosius disputare. Amen.« (Cod. Mell. 960, p. 404).

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5.5.4.2 Johannes Schlitpachers briefliche Kritik Auch in seinem Brief vom August 1458 rezensiert er Bernhards Epistola positiv, lobt sie und stimmt ihr inhaltlich weitgehend zu. Kritisch sieht er allerdings, wie bereits in der Brevis confirmatio angedeutet, Bernhards Beurteilung des Verstoßes gegen das Abstinenzgebot als Todsünde. Er konstatiert, dass, wenn die Abstinenz ein Gebot der Regel, der Fleischverzehr eine Todsünde sei, wenn die Abstinenz jedoch nur »ut statutum«, eine lässliche Sünde sei.268 Schlitpacher betont, dass es schwierig sei, zwischen Todsünde und lässlicher Sünde zu unterscheiden, und zitiert für die Bestimmung der Todsünde Augustinus und Thomas von Aquin.269 Er wendet sich damit gegen Bernhards letzte, zwölfte These, die den Fleischgenuss in drei Sätzen als Todsünde qualifizierte. Schlitpacher neigt in seiner Notiz wie in seinem Brief dazu, das Übertreten des Abstinenzgebots nicht als Todsünde zu sehen und zeigt damit eine mildere Haltung als Bernhard. In der grundsätzlichen Forderung der Abstinenz gesunder Mönche sind sich beide einig.270 Die Kritik Schlitpachers zeigt möglicherweise kleine Unterschiede im Observanzverständnis von Melk und Tegernsee: In beiden Konventen wird die strenge Fleischabstinenz gesunder Mönche nach der Regel praktiziert. In Tegernsee verzichten darüber hinaus aber auch die Kranken auf Fleisch. In Melk wird der Verstoß gegen die Abstinenz milder beurteilt, während Prior Bernhard von Tegernsee diesen als Todsünde sieht. Bernhard und mit ihm die Tegernseer Mönche vertreten damit eine rigorose Nahrungsaskese.271

5.5.5 Die Epistola im Kontext der De-esu-carnium-Traktate Ausdrücklich zitiert Bernhard den medizinischen Traktat des Arnald von Villanova zur Fleischabstinenz der Kartäuser, den er offensichtlich gut kennt. Denn er zitiert nicht nur aus der Schrift, sondern fasst auch deren Argumentation zusammen.272 Seine Argumentation im ersten Teil sowie Abschnitte der Nachträge im zweiten Teil aber folgen dem Traktat De esu et abstinentia carnium des Wiener Theologen Nikolaus von Dinkelsbühl. Bernhard nennt dessen Namen und Schrift nicht und macht weder Zitate noch Paraphrasen in der Epistola 268

Vgl. Johannes Schlitpacher, Brevis confi rmatio, Cod. Mell 960, p. 404. Vgl. Augustinus, De civitate Dei, 23; Thomas von Aquin, S. th. II/I q. 186. 270 Im Codex 18600, f. 260r, wird wohl aufgrund der übereinstimmenden Forderung der Abstinenz von Bernhard und Johannes Schlitpacher, letzterem zuerst die Epistola zugeschrieben, dann von derselben Hand zu »Bernhardi prioris« korrigiert. 271 Die Notiz des Schreibers Martin im Ebersberger Codex bezeichnet Bernhard vielleicht aus diesem Grund als »dictator contra esum carnium« (clm 5951, f. 143r). 272 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 294v-295r). 269

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kenntlich. Doch beruht seine Argumentation besonders im ersten Teil fast gänzlich auf Nikolaus’ Traktat.273 5.5.5.1 Der De-esu-carnium-Traktat des Nikolaus von Dinkelsbühl Nikolaus’ Traktat De esu et abstinentia carnium entstand zwischen 1428 und 1433, »also etwa vor Beginn des Konzils von Basel (1431)« 274, als Gegenschrift zur Abhandlung des Wiener Juristen Kaspar von Maiselstein († 1456), der in seiner Schrift die päpstliche Bulle Benedictina interpretierte.275 Konkreter Anlass für die Abfassung war zudem die Reform der Benediktinerklöster im Bistum Passau, denn De esu ist eine von drei Reformschriften für den Passauer Bischof Leonhard von Layming,276 den Nikolaus zur Fortsetzung der Reformen aufforderte.277 Nikolaus’ Traktat ist damit sowohl eine Reformschrift als auch eine akademische Disputation, was sich in der Zweiteilung der Schrift spiegelt.278 Im ersten Teil behandelt er die Quaestio, »utrum liceat nigris monachis sanis et fortibus comedere carnes«.279 Im zweiten Teil widerlegt er die Argumente Kaspars und interpretiert die päpstliche Bulle.280 5.5.5.2 Nikolaus’ Traktat im Vergleich mit Bernhards Epistola Inhaltlich vertritt Nikolaus in De esu die strenge Abstinenz des Reformmönchtums des 15. Jahrhunderts. So beweist er im ersten Teil in zwölf Rationes, dass gesunde Benediktinermönche kein Fleisch essen dürfen. 273 Im Folgenden wird nach der in Tegernsee im 15. Jahrhundert entstandenen Abschrift clm 18551, f. 1r–11r (BSB München) zitiert, die ausdrücklich Nikolaus von Dinkelsbühl zugeschrieben wird. Incipit und Explicit stimmen mit dem von Madre, Nikolaus von Dinkelsbühl, S. 274, beschriebenen St. Emmeraner Codex clm 14820, f. 121r–143v (BSB München) überein. 274 Madre, Nikolaus von Dinkelsbühl, S. 275. Zur Fleischabstinenz in der Fastenzeit hielt Nikolaus bereits eine Jahrespredigt »Quarto quaeritur: Utrum per usum carnium solvatur ieiunium«, vgl. a.a.O., S. 139. 275 Der Traktat des Kaspar von Maiselstein, Circa esum, ist nur handschriftlich überliefert in Würzburg, M. ch. q. 129, f. 89r-91r. Im Explicit wird Kaspar als Ordinarius der juristischen Fakultät der Wiener Universität genannt und seine Schrift als Abhandlung zu Kapitel 26 der Benedictina charakterisiert. Nikolaus spricht von ihm als »adversarius« ohne Namensnennung. 276 So der Codex aus St. Emmeran im Incipit: »Inter tres articulos per aliquos praelatos reverendo in Christo patri ac domino, domino Leonhardo, Pataviensi episcopo, oblatos, principalis fuit de esu carnium«, vgl. Madre, Nikolaus von Dinkelsbühl, S. 274 f. 277 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 5r): »ut reformatio dictae religionis dudum in sua diocesi tam laudabiliter inchoata non deficiat nec [. . .] aliqualiter laxetur.« 278 In der Handschrift clm 18551, f. 1r–11r, sind beide Teile durch einen Strich abgesetzt; der Text ist jedoch fortlaufend geschrieben. 279 Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 1r); der erste Teil umfasst f. 1r– 5v. 280 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 5v–11r).

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Der Textvergleich zeigt, dass Bernhard diese Rationes im ersten Teil der Epistola über weite Strecken wörtlich übernimmt. So zitiert Bernhard als Beweis seiner dritten Conclusio die Rationes 1–7 des Nikolaus mit einigen Auslassungen.281 In seiner fünften These zitiert er Ratio 12 des Nikolaus. 282 Bernhard nimmt aber auch aus dem zweiten Teil von De esu Abschnitte in seine Conclusiones auf.283 Zitiert Bernhard hier zusammenhängende Abschnitte aus Nikolaus’ Traktat, übernimmt er im zweiten Teil der Epistola auch nur Teilsätze oder Stichworte. Bernhard integriert damit die inhaltlichen Aussagen von Nikolaus’ Schrift De esu in die Epistola und zitiert diese ausführlich. Allerdings übernimmt er die kirchenrechtliche Argumentation, in der Nikolaus im zweiten Teil die Glossen zur Regel und zu den päpstlichen Erlassen analysiert, nicht. Ebenso lässt Bernhard jeden Bezug auf die Kontroverse zwischen Nikolaus und Kaspar sowie zur Passauer Klosterreform aus. Bernhard bietet dafür einen umfangreichen Autoritätsbeweis und eine Verfallsklage, die Nikolaus nicht kennt. Mit den Zitaten aus De esu übernimmt Bernhard auch inhaltliche Thesen von Nikolaus. Beide Autoren sehen die Abstinenz als Teil der Regelobservanz an, indem sie diese als praeceptum und Teil der conversatio morum bestimmen.284 Deshalb sehen sie das Nicht-Einhalten der Abstinenz vom Fleisch als eine Sünde, die Todsünde ist oder dazu führen kann.285 Für beide ist die Abstinenz des Mönchs heilsrelevant als der sichere Weg zu Gott,286 und Dispens darf nur mit »iusta ratio« gewährt werden.287 Wie Bernhard verbindet Nikolaus die Erfahrung im observanten Leben mit der Fähigkeit, darüber zu urteilen, wenn Nikolaus auch nur skizziert, was Bernhard in seinen Schriften immer wieder und breiter ausführt.288 Auch die Verknüpfung der Abstinenz mit den Gelübden des Schweigens und der Besitzlosigkeit übernimmt Bernhard von Nikolaus.289 281 Der Vergleich kann an dieser Stelle nur im Ergebnis skizziert werden. Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 262v–263v) mit Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu, Ratio 1–7 (clm 18551, f. 1v–3r). 282 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 267r), mit Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu, Ratio 12 (clm 18551, f. 4v–5r). 283 Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 267r–v), mit Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 5v). Vgl. BvW, Epistola (clm 18600, f. 268r), mit Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 6r.7v). 284 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu, Ratio 2 (clm 18551, f. 1v–2r, hier: f. 2r): »sed abstinentia carnium est unum de positis in regula et non minimum, igitur transgressio cuius ad minus est culpa venialis, et per consequens semper illicita«. 285 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu, Ratio 3+4 (clm 18551, f. 2r). 286 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu, Ratio 6 (clm 18551, f. 2v–3r). 287 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu, Ratio 7 (clm 18551, f. 3r–v). 288 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 10v). 289 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 10r–v).

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Beide betonen die Übereinstimmung von altem und neuem Recht, von Cum ad monasterium mit den vorausgehenden päpstlichen Erlassen.290 Mit dieser Interpretation vertreten sie eine Minderheitsposition in der kirchenrechtlichen Diskussion des 15. Jahrhunderts. Sie verstehen die Bulle Cum ad monasterium als Verschärfung des Abstinenzgebots und die Abstinenz als Kriterium eines reformierten Klosters. Damit vertreten beide die Position des Reformmönchtums, Nikolaus als Initiator der Reformen auf dem Konstanzer Konzil, Bernhard als Vertreter der Melker Reform in Tegernsee. 5.5.5.3 Eine schriftliche Vorlage Da Bernhard längere Passagen von Nikolaus wörtlich übernimmt, ist davon auszugehen, dass er eine schriftliche Vorlage hatte. Nikolaus’ Traktat De esu et abstinentia fi ndet sich sowohl in Tegernsee als auch in Melk in Abschriften des 15. Jahrhunderts, die Nikolaus von Dinkelsbühl ausdrücklich als Verfasser nennen.291 Daher ist auffallend, dass nicht nur Bernhard dessen Namen nicht nennt, sondern auch sein Rezensent Johannes Schlitpacher die Übereinstimmung mit der Argumentation des Nikolaus nicht anspricht oder erkennt. Zwar zitiert Bernhard in seinen Schriften zeitgenössische Autoren meist nicht namentlich, ebensowenig kennzeichnet er die Übernahme eigener Passagen aus anderen Werken.292 Doch in der Epistola nennt er zweimal seinen Zeitgenossen Nikolaus von Kues namentlich. Da Bernhard von Nikolaus von Dinkelsbühl die inhaltliche Argumentation übernimmt, aber nicht erkennen lässt, dass er den Streitkontext kennt, könnte es sein, dass diese Argumente innerhalb der Reform von Melk-Tegernsee als Allgemeingut galten, deren Verfasser nicht mehr genannt wurde, deren Position aber als exemplarisch für die Reformbewegung verstanden wurde. Diese Hypothese gewinnt darin Plausibilität, dass Nikolaus’ Traktat im ersten Teil der Argumentation, ebenfalls ohne dies kenntlich zu machen, argumentativ stark dem Regelkommentar Hildemars folgt. Im weiteren Sinne sind damit sowohl Nikolaus’ De esu et abstinentia als auch Bernhards Epistola Teil der Hildemar-Rezeption. 290 Vgl. Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu (clm 18551, f. 4v): »Et ille papae intellectus praevalet omnibus opinionibus quorundam doctorum dictum capitulum aliter intelligentium.« 291 Vgl. Cod. Mell. 761, f. 223r–232v, und 793, f. 337r–346r (SB Melk); zur handschriftlichen Überlieferung vgl. Madre, Nikolaus von Dinkelsbühl, S. 275. 292 Ein langer Abschnitt aus der Epistola wird wörtlich in die Professpredigt Bernhards vom 18. März 1456 aufgenommen, vgl. Professpredigt 7 (Öhm, Profeßpredigten, S. 184,3– 192,14) mit BvW, Epistola (clm 18600, f. 288r–290v). »Der Einschub traktatartiger Texte in eine Predigt hatte offenbar für den Autor nichts Befremdliches an sich.« (a.a.O., S. 365). Das Datum der Professpredigt markiert entweder den Terminus ante quo der Abfassung der Epistola oder aber Bernhard zitiert seine Predigt nachträglich in der wenig später entstandenen Epistola.

5.6 Der Dialogus

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5.5.6 Bernhards Epistola als Positionspapier der Melker Observanz Bernhards Epistola gehört zu den späten De-esu-carnium-Schriften und rezipiert, was auch am Umfang der Schrift erkennbar ist, die Diskussionen zur Abstinenz in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Sie vertritt eine positionelle Theologie: Im Kontext der Reformbemühungen und vor dem Hintergrund der Gespräche zur Vereinheitlichung der Melker Observanz und zur benediktinischen Union formuliert Bernhard exemplarisch die strenge Abstinenzforderung der Melker Observanz, wie sie in Tegernsee praktiziert wurde und wie diese auch Johannes Schlitpacher aus Melk briefl ich bestätigte. Theologisch hat die Epistola das gleiche Anliegen wie Bernhards Schriften zur Mystik und zur vita contemplativa, die Sicherung des Heils des Einzelnen. Ermöglicht die kontemplative Lebensform erst Meditation und Kontemplation und darin die Erfahrung Gottes, so ist die Abstinenz vom Fleisch pars pro toto der Regelobservanz, und nur im Gehorsam gegenüber der Regel kann das vollkommene geistliche Leben gelingen. Diese Verknüpfung von Abstinenz und Heil ist auch charakteristisch für den Dialogus de esu et abstinentia carnium.

5.6 Der Dialogus Der Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae S. Benedicti fortium et sanorum wird in der Forschung als zweite Schrift Bernhards zur Fleischabstinenz genannt. Dieser Dialog zwischen einem Lehrer und seinem Schüler über die Frage des Fleischgenusses gesunder Benediktiner wird seit dem späten 15. Jahrhundert Bernhard von Waging zugeschrieben, und im Dialogus fi nden sich auch Motive und Argumente, die bereits aus der Epistola bekannt sind. Hypothese dieser Arbeit ist jedoch, dass der Dialogus kein Werk Bernhards ist, sondern ihm nachträglich zugeschrieben wurde, nicht zuletzt aus inhaltlichen Gründen. So soll zuerst die Frage von Verfasser und Entstehungszeit betrachtet werden, um anschließend den Inhalt der Schrift vor dem Hintergrund der Zuschreibung an Bernhard vorzustellen.

5.6.1 Zu Autorschaft und Entstehungszeit des Dialogus Im Tegernseer Bibliothekskatalog von 1483 werden sowohl die Epistola als auch der Dialogus als Werke Bernhards genannt, und diese Zuschreibung hält sich bis in die neuere Forschung.293 293 Dyalogus inter discipulum et magistrum, an liceat monacho forti et sano carnes edere, clm 1925, f. 20v (BSB München) (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 773).

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5 Bernhards Schriften zur Askese

Ein 1986 von Marie-Odile Garrigues veröffentlichter Aufsatz weckt allerdings Zweifel an Bernhards Verfasserschaft. Denn Garrigues stellte durch Textvergleich die Identität einer Melker Schrift mit dem von Bernhard Pez 1721 herausgegebenen Traktat De esu volatilium eines Anonymus fest.294 Dies führte Garrigues zur These, der Text sei im 12. Jahrhundert von Honorius Augustodunensis verfasst worden.295 Diese Melker Schrift ist jedoch eine der vier erhaltenen Abschriften des Bernhard zugeschriebenen Dialogus, was Garrigues nicht erkannte. Pez edierte also den Dialogus unter dem Titel De esu volatilium, ohne Bernhard von Waging als Verfasser zu nennen. Da Pez unter den Schriften Bernhards einen Dialogus de esu et abstinentia carnium nennt, sich aber bei der Nennung dieses Werks auf Auskünfte des Alphons Hueber aus Tegernsee beruft, vermochte er die Identität beider Texte nicht zu erkennen.296 Garrigues konnte die Verbindung zu Bernhard ebenfalls nicht herstellen, da die Abschrift im Melker Codex Bernhards Namen nicht nennt.297 Leider wurde die Arbeit von Garrigues in der Forschung bislang auch nicht rezipiert.298 Doch stellt sich mit ihren Thesen die Frage der Autorschaft und der Datierung des Dialogus neu. Da Überlieferung und Datierung des Dialogus von entscheidender Bedeutung für die Zuschreibung an Bernhard von Waging sind, werden im Folgenden die handschriftliche Überlieferung vorgestellt und Abfassungs- und Entstehungszeit diskutiert.

Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 781. Vgl. die Zuschreibung des Dialogus an Bernhard: Pez (1724), Bibliotheca ascetica, Praefatio, Nr. 29; Fabricius (1858) in der Bibliotheca Latina, S. 203: »Dialogus et scripta alia de esu et abstinentia Carnium«. Auch Lindner (1897), Familia, S. 87, nennt den Dialogus mit Nennung der beiden Codices clm 7008 und clm 18458b als Schrift Bernhards. Grabmann (1946), Bernhard von Waging, S. 96, beruft sich auf Lindner und führt den Dialogus ebenfalls als Schrift Bernhards an. 294 Vgl. Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, S. 543–566. 295 Vgl. Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu volatilium, in: Studia Monastica 28 (1986), S. 75–97. 296 Vgl. Pez, Bibliotheca ascetica 7, Praefatio, Nr. 29. 297 Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 91.94, betont ausdrücklich, dass sie in ihrer vierjährigen Forschung zu diesem Traktat neben der Edition von Pez nur noch den Melker Codex 990 als handschriftliche Überlieferung ausfi ndig machen konnte. 298 Weder in der v. a. kanadischen Forschungsliteratur zu Honorius noch in den wenigen neueren Aufsätzen zu Bernhard von Waging wird die Neuzuschreibung und Datierung des Dialogus rezipiert. In der Zeitschrift Studia Monastica fi nden sich bis 1989 drei weitere Aufsätze von Garrigues zu Honorius Augustodunensis, in denen die Autorin diesem weitere Werke zuweist (vgl. StMon 29 (1987), S. 19–62; S. 251–264; StMon 31 (1989), S. 7–48). In diesen setzt sich Garrigues mit der aktuellen Forschung zu Honorius auseinander, aber die Diskussion über die Autorschaft des Dialogus wird von ihr nicht fortgesetzt.

5.6 Der Dialogus

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5.6.1.1 Die handschriftliche Überlieferung des Dialogus Der Dialogus ist nach gegenwärtigem Forschungsstand in vier Handschriften überliefert, in clm 4403, 7008 und 18548b sowie im Codex 990 aus Melk.299 Bei den drei Münchener Codices handelt es sich um Sammelhandschriften aus dem 15. Jahrhundert von monastischer Provenienz. Keiner der darin enthaltenen Texte des Dialogus ist Autograph Bernhards, und nicht alle Codices schreiben den Dialogus ausdrücklich Bernhard von Waging zu. 5.6.1.1.1 Clm 4403 (St. Ulrich und Afra, Augsburg) Die Abschrift des Dialogus in Codex 4403 stammt aus dem Besitz des Klosters St. Ulrich und Afra in Augsburg.300 Datiert ist die Abschrift im Explicit auf 1465; der Schreiber gibt sich nicht zu erkennen.301 Der noch im 15. Jahrhundert gebundene Codex stellt asketisch-monastische Texte zusammen, darunter überwiegend Schriften Bernhards von Waging, zwei Schriften Johanns von Eych sowie einzelne Texte von Vinzenz von Aggsbach, Johannes Gerson und Heinrich von Hessen neben einer Schrift zu den Wundern des Klosters St. Ulrich. Im Codex ist der Dialogus der Epistola cuiusdam virginis de quadam visione nachgestellt und geht Bernhards Laudatorium und Defensorium doctae ignorantiae voran. Die Stellung des Dialogus zwischen Schriften Bernhards weist darauf hin, dass bei der Zusammenstellung des Codex Bernhard als Autor des Dialogus betrachtet wurde. Dafür spricht vielleicht auch, dass dieselbe Hand, die die Werke Bernhards auf den ersten 200 Blättern schrieb, auch die Abschrift des Dialogus erstellte. Doch wird die Autorschaft weder in Überschrift, Text noch Marginalie expliziert.302 Allerdings verfasste Bernhard bereits 1456 die Epistola als Folge eines Gesprächs im Augsburger Konvent, so dass aufgrund des Themas, der Abstinenz, möglicherweise auch der Dialogus Bernhard zugeschrieben wurde.

299

Vgl. Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 781. Vgl. clm 4403, f. 136r–144r (alte Zählung: f. 130r–138r, hier: f. 130r): »Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinencia carnium professorum regulae S. Benedicti fortium et sanorum. Et primo hunc modum fi ngitur querere a magistro discipulus.« Der Langtitel ist rubriziert, ebenso sind die Gesprächspartner M[agister] und D[iscipulus] rot hervorgehoben. 301 Vgl. clm 4403, f. 138r: »Explicit proxima die ante scolastice virginis 1465«; von den Benediktinern wurde der Jungfrau Scholastica am 10. Februar gedacht, so dass vermutlich der 9. Februar 1465 das Datum der Abschrift ist. 302 Auch im Inhaltsüberblick, clm 4403, f. 2r, wird Bernhards Name nicht genannt. Dieser Überblick ist wohl die nachträgliche Abschrift der Inhaltsangabe auf dem linken Einband-Innenblatt, bei dem der Titel Dialogus heute durch den Besitzvermerk verdeckt ist. 300

260

5 Bernhards Schriften zur Askese

5.6.1.1.2 Clm 7008 (Zisterzienserkloster Fürstenfeld) Eine weitere Abschrift des Dialogus fi ndet sich im Codex 7008 mit Provenienz aus Fürstenfeld.303 Auch clm 7008 ist eine Sammelhandschrift des 15. Jahrhunderts, die mehrere Schriften Bernhards enthält, darunter eine Abschrift der Epistola, die dem Dialogus unmittelbar vorausgeht.304 Nur in diesem Codex sind Dialogus und Epistola zusammen überliefert, und beide Abschriften stammen von derselben Hand. Da die Abschrift der Epistola auf Juli 1463 oder 1464 datiert ist und auch die weiteren Abschriften im Codex auf diese Jahre zu datieren sind, könnte die Abschrift des Dialogus in zeitlicher Nähe dazu entstanden sein.305 Während im Incipit der Epistola »frater Bernardus« ausdrücklich als Verfasser genannt wird, fi ndet sich für den Dialogus keine Verfasser- oder Datumsangabe. Das Explicit zur Epistola beschließt sogar ausdrücklich die Schriften Bernhards zur Abstinenz.306 Der Dialogus wurde wohl aufgrund der thematischen Verwandtschaft zur Epistola an diese angeschlossen. Über die Beziehungen zwischen Tegernsee und Fürstenfeld ist nichts bekannt, so dass offen bleiben muss, ob die Abschrift in Fürstenfeld einen konkreten Anlass hatte.307 5.6.1.1.3 Clm 18548b (Tegernsee) Während die beiden Abschriften aus Augsburg und Fürstenfeld Bernhard nicht ausdrücklich als Autor des Dialogus nennen, ergänzt der Tegernseer Codex, clm 18548b, Bernhards Namen sowohl im Inhaltsverzeichnis als auch in der Abschrift des Dialogus. Eine genaue Datierung der Sammelhandschrift des 15. Jahrhunderts ist schwierig. Der Codex, der fast ausschließlich Werke Bernhards sowie die Reaktionen seiner Gesprächspartner Johannes Schlitpacher und Johann von 303 Vgl. clm 7008, f. 186ra-191va (alte Zählung: f. 185r–190v), vgl. f. 186r, rubrizierte Überschrift: »Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinencia carnium professorum regule Sancti Benedicti fortium et sanorum. Et primo in hunc modum fi ngitur querere a magistro discipulus.« Der Text ist zweispaltig geschrieben mit ausgeschmückter Initiale; die beiden Gesprächspartner Magister und Discipulus werden oft ausgeschrieben und stets rot hervorgehoben. 304 Epistola seu tractatus contra illicitum carnium esum, clm 7008, f. 160r–185r (alt: f. 149r–184r). 305 clm 7008, f. 185r (rubriziert) nennt als Monat den Juli, als Jahresangabe 1463 oder 1464; die durch Überschreibung korrigierte Angabe des Tages ist nicht mehr zu lesen. 306 Vgl. clm 7008, f. 185r (rubriziert): »Expliciunt scripta et collecta cuiusdam moderni non doctoris, sed dictatoris contra esum carnium monachis nigris prohibitum [. . .].« Dieses Explicit stimmt wörtlich überein mit der Abschrift der Epistola im Ebersberger Codex von 1456 (clm 5951, f. 143r). 307 Über das Zisterzienserkloster Fürstenfeld im 15. Jahrhundert ist insgesamt wenig bekannt. Die Arbeiten zu Fürstenfeld nennen Kirchenschenkungen, Inkorporationen und politische Aktivität des Klosters, vgl. In Tal und Einsamkeit. 725 Jahre Kloster Fürstenfeld, Bd. 2.

5.6 Der Dialogus

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Eych enthält, ist vermutlich nach Bernhards Tod (1472) zusammengestellt worden.308 Der Dialogus ist die letzte Schrift im Codex, die in der Inhaltsübersicht auf dem Vorsatzblatt Bernhard zugeschrieben wird.309 In der Abschrift des Dialogus wird als Marginalie neben dem Titel die Autorschaft »Bernhardi prioris nostri monasterii« mit späterer, zweiter Hand ergänzt.310 Marginalzuschreibungen fi nden sich im Codex auch zu Bernhards Formula und Ordinarium missae, dem Speculum pastorum und dem Consolatorium seu remediarium tribulatorum, für die die Autorschaft Bernhards gesichert ist. Die Tegernseer Abschrift weist den Dialogus damit explizit Bernhard zu, während die vierte und früheste Abschrift im Melker Codex 990 Bernhard nicht als Autor nennt.311 5.6.1.1.4 Codex 990 (Melk) Der im 15. Jahrhundert zusammengestellte Codex enthält neun Texte, von denen die ersten acht, wie das Explicit jeweils vermerkt, vom Melker Professen Martin von Senging im Jahr 1458, zum Teil während seines Aufenthalts im Kloster Bursfelde, abgeschrieben wurden.312 Es handelt sich um Abschriften von sieben Traktaten zu asketischen Themen des Kartäusers Jakob von Jüterbog sowie eines Briefes an den Papst. Die letzte Schrift im Codex ist der Dialogus, der jedoch sicher zum Originalbestand der Handschrift gehört. Die Abschrift stammt vermutlich ebenfalls von der Hand 308 Vgl. Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis 6/3, Nr. 1485, S. 177. Nur schwach lesbar wird auf dem Vorsatzblatt mit zweiter Hand ein Nachruf auf Bernhard, »autor huius libri, prior olim«, ergänzt, in dem Bernhard als Verfasser von asketischen Schriften in 90 Werken genannt wird, vgl. clm 18548b, Vorsatzblatt: »scripta ascetica in 90 opuscula«. Dieser Nachruf ist auf den 2. August 1474 datiert: »4. Nonas Augusti anno 1474«. Vermutlich soll dieses Datum Bernhards Todestag sein; Bernhards Tod wird nach anderen Handschriften auf den 2. August 1472 datiert, so dass es sich bei dieser Angabe in clm 18548b möglicherweise um einen Schreibfehler handelt. Da dieser Nachruf zudem von zweiter Hand ergänzt wurde, trägt er wenig zur Datierung von clm 18548b bei. 309 Vgl. clm 18548b, Vorsatzblatt: »Dyalogus de esu et abstinencia carnium professorum regulae S. Benedicti fortium et sanorum Bernhardi prioris«. 310 Vgl. clm 18548b, f. 240r–246v: »Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regule s. Benedicti fortium et sanorum«, Marginalie: f. 240r. 311 Vgl. Cod. Mell. 990, f. 109r–115v, hier: f. 109r: »Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae S. Benedicti fortium et sanorum. Et primo in hunc modum fi ngitur querere a magistro.« Diese Melker Abschrift des Dialogus erwähnt erstmals Höver, Art. Bernhard von Waging, in: VerLex 2 1 (1978), Sp. 781. 312 Vgl. den handschriftlichen Melker Bibliothekskatalog von 1889 (Catalogus codicum manu scriptorum, qui in Bibliotheca monasterii Mellicensis, Bd. 3, Codices 708–1822, S. 1154 f.).

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5 Bernhards Schriften zur Askese

Martins von Senging und wurde daher wohl in zeitlicher Nähe zu den anderen Texten abgeschrieben.313 Allerdings nennt Martin sich beim Dialogus nicht wie bei den vorausgehenden Texten im Explicit als Schreiber. Schrieb Martin, der mit Bernhard persönlich bekannt war, den Dialogus ab und kannte er diesen als Werk Bernhards, wäre zu erwarten gewesen, dass er dessen Namen als Autor ergänzte. Wahrscheinlich ist daher, dass er den Verfasser des Dialogus nicht kannte. 5.6.1.1.5 Zuschreibung und Abhängigkeit der vier Codices Die vier überlieferten Abschriften des Dialogus vermitteln kein eindeutiges Bild: Die wohl früheste Abschrift im Melker Codex 990 (um 1458) nennt Bernhard nicht als Autor. Die Abschriften in clm 4403 (1465) und 7008 (1464/65) deuten durch die Zuordnung zu Bernhards Schriften möglicherweise dessen Autorschaft an, während die wohl späteste Tegernseer Abschrift (nach 1472) den Dialogus ausdrücklich dem einstigen Prior Bernhard zuschreibt. Insgesamt betrachtet sind daher Zweifel an der Autorschaft Bernhards angebracht. Dass die frühe Melker Abschrift Bernhard nicht als Autor nennt, wiegt schwer, da der Melker Text vermutlich Vorlage für die bayerischen Abschriften war.314 Deren Datierung um 1458 ist Terminus ante quo für die Entstehung des Dialogus. 5.6.1.2 Neudatierung und Neuzuschreibung des Dialogus Pez (1721) datierte den Traktat De esu volatilium ins 12. Jahrhundert und nahm Honorius Augustodunensis als Verfasser an.315 Er nannte für den Druck drei Handschriften, von denen ihm nur noch zwei, eine aus der Kartause Gaming und ein Melker Codex, für seine Edition vorlagen, während

313 Mit freundlicher Bestätigung von Prof. Dr. P. Gottfried Glaßner OSB, Stiftsbibliothek Melk, Schreiben vom 18. Januar 2005 an die Verfasserin. Im 1483 begonnenen Katalog der Stiftsbibliothek Melk (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs 1, S. 156–261) kann der so zusammengestellte Codex nicht ermittelt werden, während er im Melker Katalog des Stephanus Burkhard von 1517 unter der Signatur I 46 aufgenommen ist und von da in allen späteren Katalogen der Bibliothek tradiert wird. 314 Die Abhängigkeit der vier Abschriften ist noch nicht geklärt. Der Textvergleich zeigt Varianten, die keine eindeutige Stemmatisierung erlauben. Doch weisen alle drei Fassungen nur geringe, stilistische Abweichungen auf, was der kurze Vergleich der Überschrift und des ersten Redewechsels zwischen Magister und Discipulus im Anhang dieser Arbeit exemplarisch zeigt. 315 De esu volatilium, ediert bei Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, Sp. 543–566 (vgl. PL 223, 929–948). Vgl. Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, Praefatio, S. XXXIII–XXXIV, hier: S. XXXIV: »Suscipati sumus aliquamdiu Honorium Augustodunensem esse, ut cui familiare fuit«.

5.6 Der Dialogus

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die dritte, ältere Abschrift aus dem Stift Göttweig ihm nicht mehr zugänglich war.316 Heute ist nur noch der Melker Codex erhalten. Die Identifizierung von De esu volatilium mit der Abschrift des Dialogus im Melker Codex führte Garrigues in ihren 1986 bis 1988 publizierten Artikeln zu einer Neudatierung des Melker Codex, der Zuschreibung an Honorius Augustodunensis und zur Neuedition.317 Unter dem Titel De esu volatilium edierte sie den Text auf Basis des Melker Codex 990.318 Sie datierte die Melker Abschrift in diesem Codex auf Ende des 14. Jahrhunderts und vertrat die These, dass hier ein Manuskript aus dem 12. Jahrhundert abgeschrieben worden sei, als deren Autor sie Honorius Augustodunensis identifizierte.319 Pez dagegen datierte die Melker Abschrift ins 15. Jahrhundert,320 was zutreffend ist.321 5.6.1.3 Der Dialogus als Schrift des 12. Jahrhunderts Doch spricht einiges für eine Entstehungszeit des Dialogus (De esu volatilium) im 12. Jahrhundert. Pez beruft sich für die Datierung auf die nicht mehr erhaltene Göttweiger Handschrift, die ihm aber bereits nicht mehr vorlag.322 Doch auch die inhaltliche und stilistische Analyse spricht für die 316 Vgl. Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, Praefatio, S. XXXIV: »Eum ex Codicibus MSS. bibliothecae Gemnicensis et Mellicensis trecentorum annorum damus. Alius insignis membraneus Codex, ducentis circiter annis antiquior extat in bibliotheca Gottvvicensi, cum quo tamen ob triste incendium, quo totum Monasterium confl agravit, et communem inde rerum perturbationem, nostram editionem conferre non licuit.« 317 Die Zuschreibung des Traktats De esu volatilium an Honorius und die Neudatierung fi ndet sich erstmals 1986 bei Garrigues, Honorius Augustodunensis. De Esu, S. 80–84, sowie 1988 in Dies., L’Œuvre, S. 143–154. Die Studie L’Œuvre hat Garrigues jedoch nach eigenen Angaben (L’Œuvre, S. 188, Note bibliographique) bereits 1978 verfasst. 318 Vgl. zur Edition Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 98–130. Garrigues rekonstruiert im Vergleich von Cod. Mell. 990 und dem Abdruck bei Pez (nach einem Gaminger und dem Melker Codex) auch den Wortlaut des nicht mehr erhaltenen Codex aus Gaming. Diese Rekonstruktion ist problematisch, da nicht zu klären ist, inwieweit Pez selbst beim Abdruck in den überlieferten Text eingriff. Denn bereits in den Anfangssätzen notiert Pez in der Randglosse eine Abweichung des Melker Textes (Einfügung von »quadrupedum carnium«), die die Handschrift im Melker Codex 990 nicht aufweist, während er Wortumstellungen i.d.R. nicht ausweist. Die Edition von Garrigues liest hier einen Melker Text aus Codex 990, dessen Lesarten auf der Basis der Melker Handschrift nicht immer nachzuvollziehen sind. 319 Vgl. Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 91 f., hier: S. 92: »c’est un manuscrit composite de la fi n du XIVème siècle. [. . .] Ce manuscript remonte bien probablement à un exemplaire du XIIème siècle de Melk même, nous l’attestent l’orthographe, fort archaïsante, et la ponctuation, aberrante pour le XIVème siècle.« 320 Vgl. Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, Praefatio, S. XXXIV. 321 So meine Prüfung des Dialogus-Textes in Cod. Mell. 990 und mit freundlicher Bestätigung meiner Vermutungen durch Prof. Dr. P. Gottfried Glaßner OSB, Stiftsbibliothek Melk, im Schreiben vom 18. Januar 2005 an die Verfasserin. 322 Vgl. Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, Praefatio, S. XXXIII–XXXIV; Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 91.

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5 Bernhards Schriften zur Askese

Frühdatierung. Bereits Pez merkte an, dass der Traktat zwar die Statuten Gregors VII. zitiere, nicht aber die Reformdekrete ab dem 13. Jahrhundert, und datiert die Schrift daher in die Zeit vor Innozenz III. (1118–1198).323 Garrigues nennt als weiteres Argument Stil und Sprache des Dialogus: Dialogform, Stil sowie Vokabular und zitierte Quellen führen sie zur These, dass auch De esu volatilium ein Werk des Honorius Augustodunensis ist und zu dessen Opera polemica gehört,324 wobei sie die Abfassung in zeitlicher Nähe zu dessen Schrift De vita vere apostolica um 1126/27 ansetzt.325 Zu Person und Werk des Honorius Augustodunensis Trotz der zum Teil intensiven Forschungen im 20. Jahrhundert zur Person des Honorius Augustodunensis 326 sind die Bemühungen um die Identifi kation dieses Autors zu keinem anderen Ergebnis gekommen als dem Resümee von J. Endres in seiner 1906 erschienenen Monographie: »Äusserst gering ist dasjenige, was wir mit völliger Sicherheit über die Person des Honorius zu sagen vermögen.«327 Honorius lebte etwa in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. In der Überlieferung wird er sowohl als »presbyter et scholasticus« als auch als »solitarius« bezeichnet, so dass über seine religiöse Lebensform keine sichere Kenntnis gewonnen werden kann.328 Vermutlich hatte er Verbindungen zu Süddeutschland, besonders zu Regensburg und der Schottenabtei St. Jakob. Sicher ist, dass er eine große Zahl von thematisch breit gestreuten Schriften verfasste, von denen er selbst 22 Titel im Schlusskapitel der Schrift De luminaribus ecclesiae nannte. Zu den dort genannten Schriften gehören auch eine Schrift über die Fleischabstinenz von Priestern (Utrum sit peccatum nubere vel carnes comedere) sowie Schriften zu Fragen des monastischen Lebens, wie z. B. dem Predigen von Mönchen (Utrum monachis liceat praedicare). Thematisch schließt sich der Dialogus daran an.

323

Vgl. Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, Praefatio, S. XXXIV. Vgl. Garrigues, L’Œuvre, S. 145–150: »La mise en scène, le dialogue, la prose rimée et rhythmée, quantités d’expressions tout rappellait irréstiblement Honorius.« (S. 145); »Le vocabulaire est celui d’Honorius, diminutifs, mots de préférence rares, bibliques [. . .]« (S. 150), wörtlich übernommen in Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 81–84. Vgl. zur Einordnung unter die Opera polemica Dies., L’Œuvre, S. 129. 325 Vgl. Garrigues, L’Œuvre, S. 152 f.; Dies., Honorius Augustodunensis. De esu, S. 91. Garrigues, Quelques recherches, S. 388 f., gibt einen Überblick über die bis 1975 erschienene Literatur zu Honorius. In weiteren Beiträgen interpretiert sie Schriften des Honorius bzw. weist ihm weitere Schriften zu (vgl. Garrigues, Honorius Augustodunensis. De anima et de Deo, in: RechAug 12 (1977), S. 212–278; Dies.: L’anonymat d’Honorius Augustodunensis, in: StMon 25 (1983), S. 31–71; Dies.: L’auteur de la ›Visio Tnugdali‹, in: StMon 29 (1987), S. 19–62; Dies.: Du Nouveau à propos du ›De vita vere apostolica‹, in: StMon 29 (1987), S. 251–264; Dies.: Une Œuvre retrouvée d’Honorius Augustodunensis?, in: StMon 31 (1989), S. 7–48). 326 Zu Biographie und Werk vgl. neben der Monographie von Endres, Honorius Augustodunensis, auch Freytag, Art. Honorius, in: VerLex 2 4 (1983), Sp. 122–132; mit umfangreichen Literaturhinweisen Bautz, Art. Honorius, in: BBKL 2 (1990), Sp. 1024–1026. 327 Endres, Honorius Augustodunensis, S. 15. Zur Diskussion der Person vgl. Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 75–80. 328 Vgl. die Belege bei Migne, PL 172, Sp. 232. 324

5.6 Der Dialogus

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Garrigues erkannte in der Analyse von Sprache und Stil im Dialogus typisches Vokabular und charakteristische Stilmerkmale des Honorius.329 Zudem weist der Dialogus Parallelen auf zur Schrift De vita vere apostolica des Honorius.330 Der Verfasser kannte offensichtlich Schriften des Honorius, die er im Dialogus zitiert, wie er auch den Regelkommentar des Hildemar ausführlich zitiert. Die Analyse von Sprache und Quellen lassen eine Autorschaft des Honorius daher möglich erscheinen.331 Doch werden im von Honorius selbst angelegten Werkverzeichnis im Schlussteil seiner Schrift De luminaribus ecclesiae und in einer weiteren Liste, der Donatio Gottwicensis, aus der Mitte des 12. Jahrhunderts kein Dialogus und keine De-esu-carniumSchrift genannt.332 Kann die Verfasserschaft des Honorius nicht zwingend bewiesen werden, so ist doch eine Frühdatierung des Dialogus ins 12. Jahrhundert wahrscheinlich und die Autorschaft Bernhards kaum zu halten.333 Im Folgenden werden die inhaltlichen Aussagen und die Argumentation des Dialogus betrachtet, um zu einer Erklärung zu kommen, wie es zur Zuschreibung an Bernhard von Waging kam.334 329 Vgl. Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 83 f.: »Le vocabulaire est celui d’Honorius, diminutifs, mots de préférence d’origine grecque ou biblique qui habillent tout le discours d’une couleur un peu précieuse, tics comme un porro, un amplius, un aliter entre deux ponctuations fortes«. 330 Vgl. Garrigues, L’Œuvre, S. 145–150. Dies., Honorius Augustodunensis. De esu, S. 83 f. 331 Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 82.89.92, liest zudem im Incipit der Abschrift in Cod. Mell. 990 »per quemdam solitarium editus« und deutet dies als Hinweis auf Honorius, der oft als »solitarius« bezeichnet wird. Doch handelt es sich hier vermutlich um einen Lesefehler: Sowohl im Melker Codex als auch in den drei bayerischen Abschriften ist nur zu lesen »per quendam editus« (Vgl. Cod. Mell. 990, f. 109r; clm 18548b, f. 240r; clm 4403, f. 136r; clm 7008, f. 186ra. Vgl. Pez, Thesaurus anecdotorum 2/2, S. 545 f.). 332 Vgl. De luminaribus ecclesiae 4,17 (PL 172, S. 232–234); die Donatio Gottwicensis ist ediert in: Pez, Thesaurus anecdotorum, 2/2, Praefatio, S. XI. Diesen Listen folgend, zählt Pez, a.a.O., S. IV–XI, den Traktat nicht unter die Werke des Honorius. Zu den Zuweisungen von Schriften an Honorius und zur Forschungsgeschichte vgl. Garrigues, L’Œuvre, S. 14– 26. 333 Auch eine Notiz aus dem Melker Bibliothekskatalog von 1483 unterstützt die Frühdatierung. Hier wird ein Codex aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts genannt, in dem der Regelkommentar des Hildemar und in diesem ein Dialog eines Magisters zum Genuss von Geflügel enthalten sei, vgl. »Hildemarus super regulam S. Benedicti. Item in principio eiusdem libri continentur dyalogus quidam cuiusdam magistri de esu volatilium.« (Codex C 70 im Bibliothekskatalog von 1483, heute Cod. Mell. 1809, vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs 1, S. 181). Handelt es sich hier nicht um die ebenfalls in Dialogform geschriebene Paulus-Diaconus-Redaktion des Hildemar-Kommentars, könnte dies ein Hinweis auf eine frühe Abschrift des Dialogus sein. Allerdings ist der Dialogus im heute überlieferten Codex nicht enthalten, vgl. Glaßner, Inventar der Handschriften. Teil 1, S. 475 f. 334 Diplomatisch bleibt die Ausweisung des Codex 990, f. 109r–115v, in der Datenbank »Autorenregister der Stiftsbibliothek Melk«, die von der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters der Österreichischen Akademie der Wissenschaften verantwortet wird: Hier wird der Dialogus sowohl als Werk des Honorius Augustodunensis OSB als auch

266

5 Bernhards Schriften zur Askese

5.6.2 Der Dialogus als Programm strenger Abstinenz Unter der Voraussetzung einer strikten Abstinenz vom Fleisch vierfüßiger Tiere nach der Benediktsregel greift der Dialogus einen speziellen Punkt aus der Abstinenzdebatte auf, den Genuss von Geflügel, und vertieft diesen, wobei eine Vielzahl von Themen angesprochen wird.335 5.6.2.1 Zu Aufbau und Inhalt des Dialogus Dem Titel entsprechend, handelt es sich beim Dialogus um ein Gespräch zwischen einem Lehrer (magister) und einem Schüler (discipulus).336 Das Lehrgespräch bildet den formalen Rahmen, innerhalb dessen mit Rationes und Autoritätsbeweis argumentiert wird. In den 61 kurzen Wortwechseln stehen sich der Magister als Verfechter strenger Abstinenz gesunder Mönche und sein Schüler gegenüber. Dieser vertritt anfangs eine Position, die den Fleischgenuss unter bestimmten Umständen erlaubt. Im Verlauf des Gesprächs wird er zur Position des Magisters bekehrt und führt die Gegenargumente nicht mehr als eigene Meinung, sondern als Argumente fleischessender Mönche an, von denen er sich zunehmend distanziert. Zu Gesprächsende vertreten Lehrer und Schüler beide die Position strenger Abstinenz mit Metaphern des Kampfes, die zeigen, dass der Dialogus nicht nur eine Disputation, sondern eine Überzeugungs- und Verteidigungsschrift sein will. Die Entwicklung des Discipulus vom Vertreter gemäßigter Abstinenz zum Vertreter strikter Abstinenz von Geflügel und tierischen Fetten verleiht dem Traktat seine Dynamik. Doch folgt das Gespräch nicht strenger, schulmäßiger Logik, sondern kreist um einzelne Aspekte monastischer Abstinenz, wobei die Abfolge durch Stichwortanknüpfung bestimmt ist.337 Inhaltlich sind zwei Teile zu erkennen: Beweist der Magister im ersten Teil des Dialogus, dass der Verzehr des Bernhardus de Waging OSB ausgewiesen (www.oeaw.ac.at/ksbm/melk/ [letzte Abfrage: 15.9.2009]). 335 Im Folgenden wird der in den Handschriften genannte Titel Dialogus verwendet; zitiert wird mit den Seitenzahlen der Edition von Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 97–130, deren Text mit der Abschrift in Cod. Mell. 990 (SB Melk) überprüft und mit der Edition von Pez verglichen wurde. 336 Vgl. die Bezeichnung als »disputatio generalis de vitio« (Dialogus, S. 130). 337 Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 85, sieht zehn thematische Abschnitte: »Le traité s’articule en dix paragraphes, ou, après l’introduction du problème, on s’interroge sur le sens de mots ›more solito‹, sur les intentions de saint Benoît [. . .], puis est abordé la question des produits dérivés des animaux, l’exception des dispenses, le sens moral et théologique du jeûne et de l’abstinence, le problème du bien, la valeur des voeux, le but de la vie monastique, vient enfi n la conclusion.« Die zehn Paragraphen waren laut Garrigues, L’Œuvre, S. 151; Honorius Augustodunensis. De esu, S. 94, in der Göttweiger Handschrift indiziert durch Majuskeln und Marginalnotizen. Da die Göttweiger Handschrift jedoch schon für die Edition von Pez nicht mehr vorlag und nicht erhalten ist, bleiben m. E. Aussagen über die Göttweiger Textfassung hypothetisch.

5.6 Der Dialogus

267

von Geflügel (volatilia) für gesunde Mönche verboten ist,338 argumentiert er im zweiten Teil, dass auch tierische Fette (sagina) nicht erlaubt seien.339 Der zweite Teil befasst sich mit den Konsequenzen aus dem Verbot von Geflügel und geht auch auf die Dispens, die Bedeutung der Abstinenz und der monastischen Gelübde ein. Daneben werden hier auch die hermeneutische Frage des rechten Verstehens der Regel und die Rolle von Verstand und Erfahrung angesprochen. Der Traktat geht damit weit über das Thema der Abstinenz hinaus und entwickelt eine Verstehens- und Erkenntnislehre, wie sie vergleichbar Bernhard in der Epistola bietet. Für die Abstinenz argumentiert der Verfasser u. a. mit den von Hildemar übernommenen Argumenten der Süße von Geflügelfleisch, der Tradition und der Sitten (mores). 5.6.2.2 Die Streitfrage Der Schüler eröffnet das Gespräch mit der zu diskutierenden Mehrheitsmeinung, dass gesunden Mönchen nach der Benediktsregel der Verzehr von Geflügel erlaubt sei. »Videtur enim mihi et multis aliis mecum in idipsum sentientibus quod praefatus institutor permisit nobis volatilia comedere, dum nos nominatim ab esu quadrupedum tantum curavit suspendere.«340 Er bittet den Magister, ihm sein Wissen in dieser heilsrelevanten Frage (saluti viciniora) mitzuteilen, wozu sich dieser bereiterklärt unter dem Vorbehalt, dass der Schüler die rechte Lehre nicht nur höre, sondern auch annehme.341 Damit ist das zweifache Ziel des Dialogus genannt: die Erkenntnis der rechten Lehre und deren Befolgung in praktizierter Abstinenz. Der Schüler bittet den Lehrer, ihn aus der Dunkelheit fleischlichen Verstehens (carnalis intelligentia) ins Licht geistlichen Erkennens (lumen spiritualis) zu führen.342 Mit den Topoi von der Dunkelheit des Nicht-Wissens und der lichtvollen Erkenntnis werden die Gesprächspartner charakterisiert: Der Magister tritt dank seines offenbarten Wissens mit göttlicher Autorität auf gegenüber dem unwissenden Schüler.343 Diese Polarität bestimmt den Gesprächsverlauf und in ihr ist die Frage des Schülers schon beantwortet: Der Genuss von volatilia ist gesunden Mönchen verboten. Die Begründung für dieses Verbot und dessen Erläuterung erfolgt ausführlich im ersten Teil des Dialogus.344

338

Vgl. Dialogus, S. 98–109. Vgl. Dialogus, S. 109–129. 340 Dialogus, S. 98. 341 Vgl. Dialogus, S. 98 f. 342 Vgl. Dialogus, S. 99. 343 Vgl. Dialogus, S. 98 f.; vgl. auch den Gegensatz von fleischlichem Verstehen (intelligentia carnalis) und der positiv konnotierten »scientia« (S. 99). 344 Vgl. Dialogus, S. 98–103. 339

268

5 Bernhards Schriften zur Askese

5.6.2.2.1 Das Verbot von Geflügel Das Verbot von Geflügel wird formal sowohl nach Vernunftgründen als auch mit Autoritätsbeweis erläutert, wobei letzterer viel kürzer ausfällt.345 Der Schüler stellt die These auf, dass der umstrittene Vers der Benediktsregel (RB 39,11) das Essen von Fleisch vierfüßiger Tiere für gesunde Mönche verbietet und damit den Verzehr von Geflügel erlaubt.346 Diese Auslegung weist der Magister zurück im Vernunftbeweis, in dem er als Argumente die Sitte (more solito) und den Wohlgeschmack des Fleisches nennt. Mit Zitaten aus Cassiodors Historia Tripartita erläutert er, dass in der frühen Kirche (primitiva ecclesia) die Mönche abstinent lebten und zudem nach Cassiodor und Hieronymus Geflügel süßer als das Fleisch vierfüßiger Tiere schmecke. Daher sei es nicht sinnvoll, das wohlschmeckende Geflügel zu erlauben, das weniger wohlschmeckende Fleisch vierfüßiger Tiere zu verbieten. In Berufung auf die Erfahrung (experientia) der heiligen Väter fordert der Magister nach Tradition (mos), Verstand (ratio) und Autorität der frühen Mönche (auctoritas) die strenge Abstinenz vom Fleischgenuss. Der zweimaligen Gegenrede des Schülers347 begegnet er schließlich mit dem Zitat des Anselm von Canterbury: »nisi credideris non intelligeris. Ego autem credo et intelligo [. . .]«.348 Unter dieser hermeneutischen Prämisse wiederholt er, dass er sicher wisse, dass Benedikt den Verzehr des süßen Geflügelfleischs nicht erlaubt habe. In diesem wie den folgenden Redebeiträgen legt der Verfasser des Dialogus dem Magister lange Zitate aus dem Regelkommentar des Hildemar in den Mund, ohne diese im Text zu kennzeichnen oder Hildemar im Dialogus namentlich zu nennen. Mit der Rückfrage des Schülers, warum Benedikt niemals ausdrücklich den Genuss der volatilia verboten habe,349 beginnt ein neuer Wortwechsel über das rechte Verstehen der Benediktsregel, der zum Autoritätsbeweis führt.350 Der Magister führt erneut das Argument der Süße des Fleisches breit aus und kommt wiederum zum Schluss, dass im Verbot des weniger süßen Fleisches auch das süßere Fleisch von Geflügel inkludiert ist.351 Mit dem Autoritätsbeweis wird die Gültigkeit des Schlusses vom Kleineren auf

345

Vgl. Dialogus, S. 99–107 zum Vernunftbeweis; zum Autoritätsbeweis vgl. S. 108 f. Vgl. Dialogus, S. 99: »Prudens enim lector [. . .] hic valet intelligere quod carnes volatilium in cibus sanis monachis a beato Benedicto concedantur, dum eis tam expresse carnes quadrupedum denegantur.« 347 Vgl. Dialogus, S. 104 f. 348 Dialogus, S. 105. 349 Vgl. Dialogus, S. 105: »quare nusquam nominatim interdixit carnes volatilium quemadmodum quadrupedum?« 350 Vgl. Dialogus, S. 105–108. 351 Vgl. Dialogus, S. 106–107. 346

5.6 Der Dialogus

269

das Größere (in minori re comprehendere maiorem) bewiesen, wobei die Rede des Magisters dem Hildemar-Kommentar fast wörtlich folgt.352 Mit der Augustinus zugeschriebenen, hier nach Hildemar zitierten Aufforderung »tene ergo certum et dimitte incertum«353 endet der erste Teil in der Forderung strikter Abstinenz um des eigenen Heils willen.354 5.6.2.2.2 Die Konsequenzen aus dem Verbot von Geflügel Im zweiten Teil wendet sich der Dialog den Folgen des Geflügelverbots zu. Denn der Schüler fragt nach dem Verbot tierischer Fette.355 In ausführlicher Darlegung verbietet der Magister auch den Genuss von tierischen Fetten (sagina), da diese Saft des Fleisches (succus carnis) seien, gestattet jedoch den Verzehr von Käse, Milch, Wein und Öl und belegt dies mit Augustinus-Zitaten.356 Nach der Klärung der grundlegenden Fragen zur Fleischabstinenz werden im zweiten Teil der Vorbildcharakter der vita monastica und Fragen der Dispens diskutiert.357 Dabei erhebt der Lehrer – und mit ihm der Verfasser des Dialogus – stets den Anspruch, nicht nur das rechte Wissen (sapientia), sondern auch Tradition und Normen der monastischen Väter zu vertreten. Aus dieser Autoritätsposition heraus kann der Lehrer die Beschlüsse des Aachener Konzils unter einer »saecularis persona« (Ludwig dem Frommen) im Jahr 816, die den Genuss von tierischen Fetten erlaubten, verwerfen und mit dem Verkauf des Erstgeburtsrechts an Esau vergleichen.358 Darin zeigt sich erneut die im Dialogus vom Magister vertretene Hermeneutik: Wer außerhalb monastischer Observanz lebt, kann kein Urteil über die recht geübte Abstinenz fällen. Daher sieht der Lehrer in den Aachener Beschlüssen eine unrechtmäßige Milderung der Abstinenz.359 Parallel zu diesem Gegensatz von altem Recht der Regel und neuem Recht der Beschlüsse von Aachen steht der Gegensatz von Antiqui und Moderni im Dialogus.360 Schüler wie Lehrer verstehen als Moderni sowohl die Mönche, die die Beschlüsse von Aachen fassten, als auch die eigenen Zeitgenossen, die diesen Beschlüssen folgen und deren Lehre daher abzulehnen 352 353 354

Vgl. Dialogus, S. 108 f. Dialogus, S. 108. Vgl. Dialogus, S. 109: »si vero non manducaverimus omnino non esse peccatum sci-

mus«. 355 Vgl. Dialogus, S. 109: »si sagina quadrupedum quae non caro sed succus carnis esse videtur sani utuntur?« Der Schüler fragt hier nach sagina (vgl. sagenum: Fette, Schmalz), pinguedo (tierisches Fett) und flos (hier gleichbedeutend mit pinguedo verwendet) im Gegensatz zu pfl anzlichem Fett, wie z. B. oleum (Öl). 356 Vgl. Dialogus, S. 109–111. 357 Vgl. Dialogus, S. 111–130. 358 Vgl. Dialogus, S. 113–116. 359 Vgl. Dialogus, S. 114: »contra generale votum monachorum admissa est dispensatio«. 360 Vgl. Dialogus, S. 116, »modernorum et antiquorum instituta monachorum«.

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5 Bernhards Schriften zur Askese

ist. Denn, so der Magister, sie änderten, was das Alter heiligte, die consuetudo bewahrte und die »auctoritas sacra« festigte.361 Die Tradition und Sitte der Väter ist das Kriterium rechter Regelauslegung im Dialogus.362 Dieser These folgt die Diskussion einzelner Aspekte der Abstinenz in redundanter Argumentation. So ist Argument für die Enthaltsamkeit vom Fleisch nicht nur die Unreinheit des Fleisches, sondern auch die Übereinstimmung von Benedikts- und Augustinus-Regel in dieser Frage.363 Hauptargument für die Notwendigkeit monastischer Abstinenz (status necessarius) ist das Vermeiden von anstößigem Verhalten der Mönche. Mit Verweis auf das Essen von Götzenopferfleisch wird das Essen von Fleisch als Anstoßerregen interpretiert, wenn der Mönch damit in aller Öffentlichkeit sein Gelübde verletzt und Gott entehrt.364 Denn der Mönch sei durch das Gelübde (votum) und das gemeinsame Gesetz (communis lex) zur Abstinenz verpfl ichtet.365 Mit der Profess werde das vorher Freiwillige (voluntaria) verpfl ichtend (necessaria).366 Die Abstinenz sei daher nicht nur eine Empfehlung der Regel (consilium), sondern ein Gebot (praeceptum), dessen Übertretung Schuld (culpa) und Strafe (poena) nach sich ziehe. In diesem Schlussvotum fasst der Magister die Diskussion zusammen. Im Schlussabschnitt wird in großer Synthese und mit Autoritätsbeweis noch einmal der Gegensatz von verderbter, fleischlicher, unrechter Gewohnheit weniger Zeitgenossen und der allgemeinen, unveränderlichen, rechtmäßigen consuetudo der ältesten Koinobiten vor Augen geführt.367 5.6.2.3 Die Argumentation des Dialogus 5.6.2.3.1 Die inhaltliche Position Das rechte Verständnis der Abstinenz nach der Benediktsregel ist nach Meinung des Verfassers des Dialogus die strikte Enthaltsamkeit von Geflügelfleisch und tierischen Fetten. Die Abstinenz zählt zu den Geboten, die mit 361 Vgl. Dialogus, S. 116: »quae antiquitas sanxit, consuetudo servavit, [. . ..] auctoritas fi rmavit.« 362 Vgl. Dialogus, S. 117: »vetustas tantorum temporum et numerositas sanctorum patrum«. Vgl. ebd.: »consulendum est monachis praesentis temporis ut tandem ad cor redeuntes secundum exemplaria praecedentium patrum cursum suum studeant dirigere.« 363 Vgl. Dialogus, S. 118–120. 364 Vgl. Dialogus, S. 120–126. 365 Vgl. Dialogus, S. 123–126. 366 Vgl. Dialogus, S. 125: »Res quaelibet quae ante votum singulis hominibus est licita, post votum fit illicita«; »Quae ergo prius voluntaria voventur, post votum necessaria requiruntur et debentur.« 367 Vgl. zum Autoritätsbeweis: Dialogus, S. 126–130. Zitiert werden Euseb, Augustinus, Cyprian, Isidor, Gregor der Große, Papst Nikolaus sowie ein Dekret Gratians. Diese Zitate sind dem Hildemar-Kommentar entnommen, der wiederum Yvo Carnotensis zitiert. Vgl. »emendanda, prava, carnalis, misera consuetudo paucorum modernorum« vs. »honesta consuetudo antiquissorum coenobiorum«, »generalis et immutata«.

5.6 Der Dialogus

271

den Gelübden (vota) verbindliche Norm sind. Denn für den Mönch ist die Abstinenz notwendig (necessarius), nützlich (utilis) angesichts seiner Unvollkommenheit und heilsrelevant. Zentrale Argumente dafür sind das Alter (vetustas, antiquitas), die consuetudo und Sitte (mos) der Abstinenz im Mönchtum, also die Tradition und die Autorität der monastischen Väter, was jedoch laut Magister nur die überzeugen kann, die geistlich verstehen. »Spiritualiter intelligere« ist das Ziel des Dialogs für den Discipulus und den Leser, dem die gelebte Abstinenz folgen soll.368 Die praktizierte Observanz ist zugleich Voraussetzung für das rechte Verstehen der Aussagen der Benediktsregel. 5.6.2.3.2 Eine Lehre von Erkenntnis, Erfahrung und Verstehen Im Dialogus fi nden sich immer wieder Aussagen zum Verstehen, Erkennen und Glauben, die das hermeneutische Anliegen des Verfassers zeigen. Im Dialogus werden in der Rede des Magisters zwei Erkenntnisweisen unterschieden, ein bloßes Wissen (scientia) und eine von Gott gegebene Weisheit (sapientia).369 Das menschliche Verstehen (intelligentia, intelligere) kann sowohl ein positives, geistliches Verstehen, das das Ziel des Dialogs ist, als auch ein falsches, fleischliches Verstehen sein.370 Doch kommt dem vernünftigen Denken und dem Verstand eine untergeordnete Rolle zu gegenüber der göttlich gegebenen Sapientia.371 Zum geistlichen Verstehen (spiritualis intelligentia) will der Autor des Dialogus den Leser führen, wie auf Erzählebene der Magister den Schüler zur Erkenntnis der Wahrheit führt. Für diese Erkenntnis bedarf es aber der Voraussetzung des Glaubens und der praktizierten Observanz.372 »Credere« bedeutet im Dialogus das Für-Wahr-Halten der Aussagen der Regel.373 Der Glaube zeigt sich aber darin, im Gehorsam gegenüber der Regel zu leben. Erst die praktizierte Observanz, d. h. die strenge Abstinenz, ermöglicht das vollkommene geistliche Verstehen. 5.6.2.3.3 Die Heilsrelevanz der Abstinenz Erst in der praktizierten Regelobservanz kann auch deren theologische Bedeutung erkannt werden. Die Heilsrelevanz der Abstinenz wird im Dialogus nur vereinzelt angesprochen, etwa wenn gefragt wird, ob die Abstinenz nach dem Vorbild der Väter für das Heil nicht wichtiger sei als die Meinung 368

Vgl. Dialogus, S. 100.117: »spiritualiter intelligere«. Vgl. Dialogus, S. 100: »probabilis scientia«; vgl. S. 98: »sapientia«; vgl. S. 112. 370 Vgl. Dialogus, S. 100: »intelligentia«; »sanior intellectus«; »spiritualis intelligentia«. Negativ konnotiert: »carnalis intelligentia« (S. 99); »carnaliter intelligere« (S. 101). 371 Vgl. Dialogus, S. 126: »humanis quidem rationibus armata«. 372 Vgl. Dialogus, S. 105. 373 Vgl. Dialogus, S. 117. 369

272

5 Bernhards Schriften zur Askese

weniger Moderni.374 Doch wird sie implizit vorausgesetzt. Der Verlust des Heils als Folge gemilderter Abstinenz und Sanktionen bei Nichtbefolgung werden jedoch anders als in vielen De-esu-carnium-Schriften des 15. Jahrhunderts, darunter Bernhards Epistola, im Dialogus nicht ausgeführt. Ist die Praxis der Abstinenz Kriterium der rechten Interpretation der Regel, so sind die Parallelen zu Bernhards Epistola evident. 5.6.2.3.4 Die Erfahrung der Väter Wie in der Epistola sind auch im Dialogus die monastischen Väter Garant und Beispiel der richtigen Regelauslegung. Denn wo dem Schüler, und mit ihm dem Leser, die Erfahrung fehlt, wird ihm die Abstinenz der Väter als Exempel vor Augen geführt.375 So werden im Dialogus neben vielen biblischen Beispielen auch Lebensbeispiele für die Abstinenz genannt, die vor allem der Historia Tripartita Cassiodors aus dem 6. Jahrhundert entnommen sind.376 Besonders häufig werden die Kirchenväter Augustinus und Hieronymus als Autoritäten zitiert. Die altkirchlichen Autoren und Schriften gelten damit als Autorität, während als »nova lex« nur die Aachener Synode erwähnt und verworfen wird. Mehrere der Autoritätszitate sind dem Regelkommentar des Hildemar entnommen, von dem der Verfasser des Dialogus größtenteils auch die Argumentation des Magisters übernimmt. Es fällt auf, dass neben den ausführlichen Zitaten des Hildemar-Kommentars nur altkirchliche Autoren sowie frühe päpstliche Erlasse zitiert werden. Mehrfach werden die Beschlüsse der karolingischen Synode in Aachen zitiert, während päpstliche Erlasse ab dem 13. Jahrhundert nicht mehr aufgenommen sind. 5.6.2.3.5 Der Gegensatz von Antiqui und Moderni Ist der Hildemar-Kommentar Folie für den Dialogus, spricht dies für seine frühe Entstehungszeit. Auch der Gegensatz von Antiqui und Moderni könnte auf die Situation des 12. Jahrhunderts verweisen. Obwohl beide Termini bereits vor dem 12. Jahrhundert in unterschiedlichen Bedeutungen vorkommen, stehen sie in dieser Zeit für die Auseinandersetzung zwischen der vita monastica der Benediktiner und der neuen Lebensform der Augustinerchorherren (moderni).377 Die Abstinenz letzterer war nicht so streng wie die der Benediktiner, und in der Folge traten auch viele Benediktiner für 374

Vgl. Dialogus, S. 116. Vgl. Dialogus, S. 106: »de noto multis experimento«; S. 127: »exemplar antiquissimae abstinentiae«; S. 106.117.122 f. etc.: »exempla«. 376 Vgl. Dialogus, S. 105 f.121–124. 377 Vgl. zur Bedeutung der beiden Termini im 12. Jahrhundert Gössmann, Antiqui und Moderni, S. 40–57. Auch Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 87 f., vermutet die Unterschiede zwischen Regularkanonikern und Benediktinern hinsichtlich der Strenge der Abstinenz als Entstehungshintergrund. 375

5.6 Der Dialogus

273

eine gemäßigtere Abstinenz ein, die der Verfasser des Dialogus strikt ablehnt. Dieser betont an einer Stelle unvermittelt, dass Benedikts- und AugustinusRegel im Gebot strenger Abstinenz übereinstimmen,378 so dass möglicherweise die hochmittelalterliche Diskussion der Lebensformen von vita monastica und vita canonica den Hintergrund für den Dialogus bildete. 379 5.6.2.4 Die Parallelen zwischen Dialogus und Epistola Bereits der kurze Überblick über die Argumentation des Dialogus zeigt die Parallelen zu Bernhards Epistola, die auch die Zuschreibung des Dialogus an diesen begründen. Bernhards Haltung in der Frage der Abstinenz vom Fleisch, wie sie in der Epistola und in seinen Briefen zum Ausdruck kommt, entspricht der Strenge, die auch der Dialogus vertritt. Für den Verfasser des Dialogus wie für Bernhard gehört die Abstinenz zu den Geboten, nicht zu den Räten der Regel. Auch Bernhard sieht in der Frage der Abstinenz eine heilsentscheidende Frage. Die Argumente des Dialogus gegen den Verzehr von volatilia, die größere Süße des Fleisches, der Gehorsam gegenüber der Regel, das Argument der Tradition, des Alters und der vorbildhaften Askese in der Alten Kirche sowie des Einhaltens der Gelübde und der Intention der Benediktsregel fi nden sich ebenso bei Bernhard. Auch die im Dialogus entwickelte Erkenntnislehre und die Verbindung von Glauben, Observanz und rechter geistlicher Erkenntnis kennt Bernhard, wenn er seine Hermeneutik auch nicht so expliziert und reflektiert wie der Autor des Dialogus. Stilistisch finden sich in Parallele zum Dialogus auch in der Epistola und Bernhards anderen Schriften dialogische Elemente. 5.6.2.5 Überlieferungsgeschichtliche Hypothese für die Zuschreibung an Bernhard Bernhard vertritt in der Epistola inhaltlich ähnliche Gedanken wie der Dialogus, und aus dieser inhaltlichen Kongruenz ist wohl die Zuschreibung an Bernhard im 15. Jahrhundert zu erklären.380 Doch folgt Bernhard in der Epistola stark der De-esu-carnium-Schrift des Nikolaus von Dinkelsbühl, der wiederum, ohne ihn zu nennen, den Hildemar-Kommentar rezipiert. Auch der Dialogus nimmt seine Argumentation aus dem Hildemar-Regelkommentar. In diesem Kommentar liegt wohl das 378

Vgl. Dialogus, S. 116. Garrigues, Honorius Augustodunensis. De esu, S. 87–90, konstatiert, dass sich das Motiv der Überlegenheit der Benediktsregel durch das Werk des Honorius zieht. 380 Eine bewusste Falschzuschreibung in clm 15548b kann ausgeschlossen werden. Wären Autor, wie z. B. Honorius Augustodunensis, und Alter der Schrift bekannt gewesen, hätte dies dem Text eine größere Autorität verliehen als die Autorschaft Bernhards. In Tegernsee waren zudem mehrere Werke des Honorius Augustodunensis vorhanden, aber ein De-esucarnium-Traktat wird nicht genannt (Mittelalterliche Bibliothekskataloge 4/2, S. 792). 379

274

5 Bernhards Schriften zur Askese

Bindeglied beider Schriften. Die inhaltlichen Parallelen sind damit u. a. in der gemeinsamen Hildemar-Rezeption begründet.381 Da Bernhard den Dialogus in seinen Schriften nicht zitiert, ist seine Kenntnis dieser Schrift nicht zu beweisen. Möglicherweise lernte Bernhard nach Abfassung der Epistola (1456) bei seinen Besuchen in Melk im Kontext der Unionsgespräche die Abschrift des Dialogus im Melker Codex 990 kennen. Dann fände sich auch ein Wahrheitskern in der Zuschreibung an Bernhard: Hat Martin von Senging um 1458 den Dialogus, möglicherweise in Bursfelde, abgeschrieben und mit nach Melk gebracht, könnte Bernhard die Schrift dort kennengelernt und als Abschrift oder für eine Abschrift mit nach Tegernsee gebracht haben. Im kollektiven Gedächtnis des Konvents wäre damit der Dialogus mit Bernhard verbunden gewesen und die Zuschreibung des Dialogus wenige Jahre nach seinem Tod 1472 dadurch zu begründen. Durch die Visitationstätigkeit Bernhards könnte der Text auch nach St. Ulrich und Afra in Augsburg gelangt sein. Denn 1465, das Jahr der Augsburger Abschrift, fällt in die Zeit, in der Bernhard wiederholt in Augsburg weilte in seinen Bemühungen um die Union der Provinz Mainz-Bamberg. Hatte Bernhard bereits in Folge eines Gesprächs in Augsburg die Epistola verfasst und wenige Jahre später den Dialogus mit nach Augsburg gebracht, lässt sich das Einreihen des Dialogus in clm 4403 unter die Werke Bernhards damit erklären. Doch bleiben diese überlieferungsgeschichtlichen Überlegungen hypothetisch. Die Parallelen in der Argumentation und der Hildemar-Rezeption in Dialogus und Epistola zeigen Bernhard aber als einen Autor, der sich bewusst in die jahrhundertealte Tradition der Regelauslegung stellte und diese rezipierte.

5.7 Die Nahrungsaskese im Werk Bernhards Auch wenn der Dialogus nicht als Schrift Bernhards gelten kann, geben doch die Zuschreibung an Bernhard sowie Bernhards Epistola und seine brieflichen Äußerungen ein klares Bild seines Abstinenzverständnisses. In Übereinstimmung mit der Melker Observanz ist die Abstinenz vom Fleisch für ihn Kennzeichen der observantia regularis, auf die sich ein Mönch durch das Professgelübde verpfl ichtet. Wie die Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam ist die Abstinenz für ihn ein Gebot der Regel. Um des Heils des 381 Möglicherweise wurde im Dialogus der Hildemar-Kommentar in der Paulus-Diaconus-Redaktion rezipiert, die ebenfalls dialogisch angelegt ist und die Frage nach dem Verzehr von Geflügel mit der von tierischen Fetten verbindet. Vgl. Commentarium Pauli Diaconi, S. 12–173.

5.7 Die Nahrungsaskese im Werk Bernhards

275

Einzelnen willen und für das vollkommene geistliche Leben schärft Bernhard die Enthaltsamkeit vom Fleischgenuss daher immer wieder ein. Persönlich hat die Fleischlosigkeit für ihn die zusätzliche Bedeutung der Abgrenzung von der bei den Regularkanonikern praktizierten, weniger strengen Askese. Die völlige Fleischabstinenz in Tegernsee, auch für kranke Mönche, die Bernhard in der Epistola nachdrücklich vertritt, ist sogar noch strenger als die in Melk praktizierte Nahrungsaskese. Bernhards Schriften zur Fleischabstinenz zeigen daher im Kontext der De-esu-carnium-Schriften den Eifer, die Rigorosität und das Streben nach größter Strenge geistlichen Lebens, die Bernhards Person und Werk charakterisieren.

6 Bernhards theologisches Denken – ein Fazit Der Überblick über Bernhards Leben und seine Schriften zur kontemplativen Lebensweise, zur Mystik und Askese zeigen ein deutliches Profi l von Bernhard als Theologen und Autor.

6.1 Bernhard als Theologe des monastischen Lebens und der Benediktsregel Seine lateinischen Schriften haben fast immer das monastische Leben zum Thema, wie er es als Benediktiner in Tegernsee lebte und in seiner Visitationstätigkeit weitergab. Das monastische Leben in der Kontemplation ist für ihn die via perfectionis und Garant des Seelenheils. Die vita contemplativa bildet den Rahmen für die besondere Erfahrung der Gottesnähe im mystischen Erleben. Die Askese ist deren Bedingung und steht pars pro toto für den Gehorsam gegenüber der Benediktsregel als Normierung dieser Lebensform. Die Benediktsregel, auf die sich der Mönch in der Profess verpfl ichtet, gilt es daher möglichst ›ursprünglich‹ auszulegen, was für Bernhard in Befolgung des Wortlauts und in Übereinstimmung mit der Tradition bedeutet. Versteht man Bernhard als Theologen der Benediktsregel, erklären sich die Charakteristika seiner Schriften: Für Bernhard garantiert nur der Regelgehorsam das Heil des Einzelnen; die Observanz ist für ihn die via securior und certior. Bernhard rezipiert die Zwei-Wege-Lehre, die die vita contemplativa als verdienstvollere und vollkommenere geistliche Lebensform gegenüber der der Saeculares, Weltkleriker oder auch der vita canonica versteht. Er wirbt für die kontemplative Lebensform und sieht diese zugleich elitär als einen Weg, der nur von wenigen gegangen werden kann, nicht zuletzt aufgrund der asketischen Strenge. Diese Strenge ist für ihn stets Kennzeichen des Heilswegs, sei es in der rigorosen Abstinenz vom Fleisch oder in der strikten Ablehnung der Seelsorgetätigkeit von Mönchen. Verbunden mit der Interpretation der Regel ist bei Bernhard die Rückwendung zur monastischen und kirchlichen Tradition. Nicht Originalität, sondern Traditionsbewahrung ist Kriterium seines theologischen Denkens. Deshalb sammelt er die Schriften der Mönchs- und Kirchenväter sowie mo-

6.1 Bernhard als Theologe des monastischen Lebens und der Benediktsregel

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nastischer Theologen des Mittelalters und stellt sie in seinen Schriften zusammen. Die Kompilation ist für ihn ein Mittel, sich des rechten Wegs aus der Tradition heraus zu versichern. Dass er dabei philologisch exakt ältere und neuere Autoren zitiert, aber nur die älteren namentlich nennt, zeigt, dass für Bernhard Autorität und Autorschaft zweierlei sind. Autorität durch Alter und Tradition anerkennt er, während die Autorschaft zeitgenössischer Autoren, wie z. B. Nikolaus von Dinkelsbühl, von ihm übergangen wird. In den Autoritätszitaten ist Bernhards theologisches Denken rückwärtsgewandt, was sich auch in seinem Geschichtsverständnis zeigt. Für ihn ist Geschichte Verfallsgeschichte, und die Klage über die zeitgenössischen Zustände von Kirche und Gesellschaft, die seine Schriften kennzeichnen, stehen im Kontrast zu der von ihm geschilderten idealen Anfangszeit von Kirche und Mönchtum. Aus den Erfahrungen dieser Idealzeit schöpft Bernhard in Zitaten und den Lebensbeispielen monastischer Väter. Reform ist für Bernhard daher eine Erneuerung aus der monastischen Tradition. Die ursprüngliche perfectio soll wiederhergestellt werden durch die Rezeption und persönliche Wiederaneignung der Lehren der Väter.1 Deshalb rekurriert Bernhard in seinen Schriften auf die Quellen der monastischen Literatur, die Bibel, die Benediktsregel und Autoritäten, aber auch auf die Geschichte der benediktinischen Lebensform. Aus dieser Rückkehr zur Tradition gewinnt er Maßstäbe und Kriterien für die zeitgenössische Erneuerung der Observanz, die er mit seinen Schriften zu unterstützen sucht.2 Doch möchte Bernhard nicht nur die Erneuerung der Regelobservanz erreichen, sondern er strebt nach einer persönlichen Erneuerung des einzelnen Menschen und, aus dieser hervorgehend, nach einer theologischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Erneuerung. 1 Bernhard vertritt damit exemplarisch das Reformverständnis der Melker Reform. Vgl. Schreiner, Benediktinische Klosterreform, S. 106 f.: »Reform erstrebten sie als zeitgebundene Auslegung und Verwirklichung der Regel.« Doch dieses Reformverständnis fi ndet sich nicht singulär in der Melker Reform, sondern ist charakteristisch für viele Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts. So kommt Staubach, Reform aus der Tradition, S. 201, aus seiner Untersuchung Gert Grotes zum gleichen Ergebnis: »Erneuerung der pristina perfectio ist damit kein revolutionärer Akt der Befreiung von der Tradition, sondern der dauernde Prozeß ihrer Rezeption, Prüfung und Durchdringung bis zu ihrem übergeschichtlichen Ausgangspunkt.« Vgl. Helmrath, Reform als Thema der Konzilien, S. 91: »Reform bedeutet zwar Erneuerung, aber Erneuerung des Alten, das zugleich das Bessere ist, und demzufolge eine ›correctio‹ des desolaten Zustands der Gegenwart.« Vgl. zum Begriff der Reform im Spätmittelalter Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 41–70. 2 Vgl. Helmrath, Theorie und Praxis der Kirchenreform, S. 57: »Reduziert man das Motiv der Ordensreformen auf seinen Kern, so ging es um die Wieder-Befolgung (›Observanz‹) der alten Ordensregeln.« Ergänzend dazu für die Reformer aus Melk Schreiner, Benediktinische Klosterreform, S. 131: »Den Melkern ging es nicht allein um Wiederherstellung eines durch Geschichte und Tradition vorgezeichneten Ordensideals. Klosterreform war für sie gleichbedeutend mit theologischer Erneuerung [. . .].«

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6 Bernhards theologisches Denken – ein Fazit

Ziel seiner Schriften ist es daher, zur persönlichen Gotteserfahrung zu führen. Dafür thematisiert er immer wieder die religiöse Erfahrung, als »experientia« und »experimentum«, als eigene und fremde, äußere und innere Erfahrung, wobei er nie ausdrücklich über den Erfahrungsbegriff reflektiert. So ermutigt er in den Schriften an Johann von Eych dazu, die äußere Erfahrung des Lebens im Kloster zu machen, in dem die innere religiöse Erfahrung möglich wird. Diese Erfahrung beschreibt er in seinen Schriften zur Mystik in Metaphern der Nahrungsaufnahme und Nahrungsverarbeitung als mystische Erfahrung Gottes, die er nach den Stufen des Aufstiegs zu Gott letztlich als eine passive Erfahrung im Affekt versteht. In den Schriften zur Askese ist die persönliche Erfahrung und Praxis für ihn die Quelle der rechten Erkenntnis. Die fremde Erfahrung, die er in Form des Autoritätszitats, der Exempelerzählung oder seiner biographischen Erfahrungen schildert, sollen den Leser seiner Schriften immer zu eigener Erfahrung im kontemplativen Leben und in der Observanz anregen. Insofern ist Bernhard Erfahrungstheologe, und er steht hier in der Tradition eines Bernhard von Clairvaux und eines Johannes Gerson.3 Damit verbunden ist sein hermeneutischer Ansatz: Nur wer selbst Erfahrung im monastischen, kontemplativen, asketischen Leben hat, kann über diese Lebensform urteilen und die Benediktsregel recht verstehen. Mit dieser hermeneutischen Prämisse steht Bernhard nicht allein. In der Reformdiskussion des 15. Jahrhunderts und in der Melker Reformbewegung wird diese Hermeneutik implizit und explizit geteilt. Doch zeigt sich in der Hermeneutik wie auch im Stil seiner Schriften formal eine Abkehr von der sachlich-wissenschaftlichen, scholastischen Theologie. Bernhard ist von dieser geprägt: Er hat seinen Baccalaureus an der Wiener Artes-Fakultät erworben, schrieb vermutlich fast ausschließlich in der Wissenschaftssprache Latein und rezipiert die Form der Quaestio. Doch folgt er in seinen Schriften dieser Form nie streng, sondern nimmt fremde Gattungselemente, wie z. B. Gebete, auf und bedient sich eines metaphorisch geprägten, einfachen Stils im Dienst des Lesers.4 Seine Schriften wollen den Leser, sei dieser bereits Religiose oder am kontemplativen Leben 3 Vgl. Köpf, Experientia contra experientiam, S. 207–211; Art. Erfahrung III/1, in: TRE 10 (1982), S. 111–113. 4 Auf den einfachen, anschaulichen Stil wurde mehrfach in Studien zu Autoren des 15. Jahrhunderts verwiesen, vgl. exemplarisch Hamm, Frömmigkeitstheologie, S. 175–182, zum Modus loquendi bei Johann von Paltz. Frank, Das lateinische theologische Schrifttum, S. 291, sieht für das österreichische Schrifttum des 15. Jahrhunderts zwei typische Sprachmuster: »zum einen hat man es mit einer Steigerung des modus quaestionis bzw. ratiocinandi zu tun, [. . .] zum anderen mit einer Rückkehr zum modus expositionis, der sich mit Wortund Sinnerklärung des Textes begnügte und diesen wieder zum Sprechen zu bringen und seinen Sachgehalt mit Beispielen zu erläutern und einzuprägen versuchte.« In Analogie zu letzterem kann auch Bernhards Sprache und Stil verstanden werden.

6.1 Bernhard als Theologe des monastischen Lebens und der Benediktsregel

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interessierter Reformer, überzeugen und für das monastische Leben im strengen Gehorsam gegenüber der Benediktsregel werben. Mit dialogischen Elementen, die an die fi ktive Mündlichkeit der frühen monastischen Literatur anknüpfen,5 tritt Bernhard ins Gespräch mit dem Adressaten und dem weiteren Leserkreis. Seine Theologie ist daher auch eine Theologie des Gesprächs und der Diskussion. Denn aus mündlichen und schriftlichen Diskussionen entstehen seine Schriften, und ohne den Hintergrund dieser Kontroversen über zeitgenössisch aktuelle Themen sind sie nicht zu verstehen. Bernhard ist damit ein »Gelegenheitsschriftsteller im besten Sinne des Wortes«.6 Seine Schriften gehen aus einer konkreten Situation hervor, der Reformdiskussion rund um das Konzil von Basel. In diesem Kontext werden zahlreiche Schriften zu Aspekten der monastischen Reform verfasst, und Bernhards Schriften gehören zu diesen. In der zeitgenössischen Diskussion ist Bernhard nie der erste, der sich äußert, sondern oft einer der letzten, der sich mit Schriften zu Wort meldet. »Immer aber ist ihm die Reform das Erste, die Literaturbewegung erst das Zweite.«7 Charakteristisch für Bernhard ist, dass er erst aus seiner Tätigkeit als Prior und Visitator heraus aktuelle Fragen aufgreift und nach intensivem Studium der zeitgenössischen Debatte wie der literarischen Tradition schriftlich Stellung zu diesen Fragen bezieht. Seine Briefe zeigen, dass oft er selbst es ist, der die ältere und neuere Literatur, z. B. zur Mystik, für die Bibliothek sammelt und abschreiben lässt. Der reiche Schriftenbestand der Bibliothek in Tegernsee zu den von Bernhard immer wieder bearbeiteten Themen Mystik, vita contemplativa und Askese spiegelt nicht nur das Interesse Bernhards und der Tegernseer Brüder wider, sondern wahrscheinlich war es auch Bernhard selbst, der, inspiriert von den zeitgenössischen Kontroversen, in Tegernsee das Interesse an diesen Themen geweckt und gefördert hat. Bernhard befasst sich zeitlebens mit den für ihn zentralen Themen des monastischen Lebens in seinen Briefen, Traktaten und Predigten. Eine Weiterentwicklung seines Denkens ist allenfalls in der profi lierten Formulierung seiner stets vertretenen Positionen zu erkennen. Darin ist Bernhard auch ein positioneller Theologe. Sein als Lebenswende erfahrener Übertritt von den Augustinerchorherren zu den Benediktinern 5 Vgl. Frank, Fiktive Mündlichkeit, S. 51–75, der eine fi ktive Mündlichkeit als charakteristisch für die monastische Literatur der Alten Kirche bewiesen hat; Schreiner, Lautes Lesen, S. 1–36, übernimmt diesen Gedanken (»Fiktive Mündlichkeit ist ein Stilmerkmal der frühen monastischen Literatur.« (S. 4)), sieht aber zu Recht die Schriftlichkeit, z. B. der Ordensregeln und Consuetudines, als notwendige Erscheinungsformen zunehmender Differenzierung und Institutionalisierung sowie als integrierendes und disziplinierendes Bindemittel. 6 Wilpert, Bernhard von Waging, S. 264. 7 Redlich, Tegernsee, S. 181.

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bildet nicht nur den Anfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit, sondern ist ein Ereignis, das für sein theologisches Denken konstitutiv wird. Entscheidet er sich biographisch für den Gehorsam gegenüber der Benediktsregel und die strengere Lebensform, führt ihn das dazu, diese Lebensform in seinen Schriften zu verteidigen. Ist der Übertritt für Bernhard identitätsstiftend, wird verständlich, warum er in seinen Schriften keine Kompromisse angesichts des von ihm als wahr Erkannten für möglich hält. Bezeichnet ihn sein Melker Mitbruder Johannes Schlitpacher einmal freundschaftlich als Eiferer (zelosus), so ist dies durchaus zutreffend. In seinen Schriften und in seinem Wirken als Prior in Tegernsee, Visitator und Gesprächsführer in den Unionsgesprächen ist der Eifer um die vita contemplativa als Heilsweg Bernhards Movens. Seine Theologie steht daher primär im Dienst der persönlichen Erneuerung des Einzelnen. Die individuelle Erneuerung und damit die Erfahrung der Gottesnähe und der Annahme durch Gott ist Anliegen seiner Schriften. Diese Gotteserfahrung sieht er in der apostolischen und altkirchlichen Zeit noch in vollkommener Weise gegeben, und sie fi ndet ihren Ausdruck in den Geboten der Benediktsregel, die sich durch jahrhundertelange Befolgung bewährt hat. Die gesellschaftlich-kirchliche Reform erwartet Bernhard nur als Folge der persönlichen Erneuerung, wenn fähige Männer wie Johann von Eych und Nikolaus von Kues ins Kloster eintreten und die vita contemplativa wählen. Denn von den Klöstern als Zentren geistlichen und – sekundär – auch geistigen Lebens erhofft er Reformen in Kirche und Gesellschaft. Bernhard greift auch in diesem Gedanken auf die geschichtliche Erfahrung zurück, in der vom Mönchtum immer wieder Impulse zur Erneuerung des geistlichen Lebens ausgingen. In seinen Schriften betont er fast ausschließlich den ersten Schritt, die individuelle Heilssicherung durch den Eintritt ins Kloster und die Trennung von der als verderbt beurteilten Welt. Damit ist sein theologisches Denken über einen elitären Kreis hinaus kaum vermittelbar. Nicht nur seine Gedanken zur monastischen Askese, sondern auch die zur mystischen Erfahrung, die potentiell auch Laien zugänglich ist, thematisiert Bernhard ausschließlich im Kontext des Klosterlebens.8 Zwar unterstützt Bernhard mit seinen Schriften zur Messfeier, zur 8 Schreiner, Laienfrömmigkeit, S. 42–56, weist darauf hin, dass gerade die mystische Erfahrung und mystisches Denken »Motiv und Antrieb zur Ausbildung einer neuen, ständeübergreifenden Frömmigkeit« (S. 42) im 15. Jahrhundert war. Das spiegeln Bernhards lateinische Schriften nicht wider, möglicherweise aber deutsche Auszüge aus seinen mystischen Schriften. Vgl. Hamm, Die nahe Gnade, S. 547–551, der einen anonym in einer Salzburger Handschrift überlieferten, deutschsprachigen Text zur mystischen Erfahrung Bernhard zuschreibt und darin eine solche Öffnung für die Laien sieht: »Es geschieht hier also eine Entgrenzung mystischer Theologie über die monastische und gelehrte Sphäre hinaus in neue Leserinnen-Bereiche. Dieser Art von Transfer entspricht eine inhaltliche Umformung mystischer Theologie, die für das 15. Jahrhundert charakteristisch ist.« (S. 548). Die Zuweisung

6.2 Bernhard als Theologe der Reform des 15. Jahrhunderts

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Eucharistie oder Beichte konkret die Reform des Klerus; doch im Zentrum stehen für ihn das Leben der Religiosen, die Reform des monastischen Lebens und die Einladung zu dieser Lebensform. Rezipiert wurden Bernhards Schriften daher im Wesentlichen im Melker Reformkreis, in Benediktinerklöstern und von an der Reform interessierten Personen. Wie alle in der Diskussion um die Klosterreform im 15. Jahrhundert entstandenen lateinischen Schriften wurden sie über den Reformkontext hinaus kaum tradiert, auch nicht in den frühen Drucken in Tegernsee, die erbauliche und katechetische, oft volkssprachliche Texte zum Gegenstand haben.9 Bernhard – Benediktiner und Theologe des monastischen Lebens, Melker Reformer und Reformautor, Diskussionspartner und Kontroversschriftsteller, mystische Erfahrung suchend und dazu in seinen Schriften anleitend, für die vita contemplativa nach dem Ideal der Maria werbend und doch selbst oft wie Martha im aktiven Dienst der Reform stehend, der Tradition verpfl ichtet und aus dieser Innovation erwartend – wie lassen sich Person und Werk im zeitgenössischen Kontext einordnen?

6.2 Bernhard als Theologe der Reform des 15. Jahrhunderts »Strenge Observanz, mystische Theologie und meditative Aneignung biblischer Schriften sollten den neuen Mönch hervorbringen, der seinem Beruf und seiner Berufung gerecht wird.«10 Können so die theologischen Schriften Johannes Gersons zusammengefasst werden, fügen sich die Schriften Bernhards und seiner Diskussionspartner in den Kontroversen um die Seelsorge, Mystik und Nahrungsaskese nahtlos ein. Denn Bernhards theologische Schriften stehen exemplarisch für die monastische Reformdiskussion in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Für die Tegernseer sind es in den 50er und 60er Jahren Bernhards Schriften, die exemplarisch die Tegernseer Theologie nach außen zeigen, wie dies zeitlich vorausgehend die Schriften des Johannes Keck taten. Als Vertreter des Reformzentrums Tegernsee wird Bernhard als Visitator berufen und werden von ihm, sei es von Bischof Johann oder dem Wiblinger Mönch Martin Imler, schriftliche Stellungnahmen zu aktuell diskutierten Themen erbeten. Als Visitator ist Bernhard Repräsentant der Melker Reformbewegung. Die Melker Observanz führt er in den von ihm visitierten Klöstern ein, sie dieses kurzen Texts an Bernhard ist jedoch nicht zu beweisen; vermutlich stammt auch diese Schrift, die inhaltliche Parallelen zu cgm 743 aufweist, vom Tegernseer Anonymus. 9 Vgl. Amann, Die Buchdruckerei der ehemaligen Abtei Tegernsee, S. 99–189. 10 Schreiner, Reformstreben, S. 47.

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6 Bernhards theologisches Denken – ein Fazit

will er durch Gespräche und seine Schriften vereinheitlichen und sie vertritt er in den Gesprächen um eine gesamtbenediktinische Union. Doch hätte sich Bernhard selbst vermutlich nicht als Theologe der Melker Reform bezeichnet. In seinen Schriften argumentiert er mit der Benediktsregel als Autorität und gelegentlich mit der vorbildlichen Tegernseer Praxis, z. B. hinsichtlich der Nahrungsaskese. Darin zeigt sich ein Selbstbewusstsein Bernhards und des Tegernseer Konvents gegenüber dem Mutterkloster der Reformbewegung. So kann Bernhard anders als der Melker Johannes Schlitpacher die Fleischabstinenz als Todsünde bezeichnen, und er vertritt damit innerhalb des Melker Reformkreises eine eigene, von Tegernsee unterstützte theologische Meinung. In der Melker Observanz sieht Bernhard die zeitgenössisch beste Befolgung der Regel, wenn auch sein Wunsch, vollkommene Mönche in wahrer Observanz kennenzulernen, zeigt, dass er diese auch in den Melker Reformklöstern nicht für erreicht hält. Das spiegelt sich auch in seinem Interesse an der ursprünglichen Observanz in Subiaco wider, über die er und die Tegernseer in Briefen von Subiaco Auskunft zu erlangen suchen. Bernhard kann in seinen Schriften als Vertreter der Reformgedanken von Melk und Tegernsee gelten. Doch hat er in seiner Korrespondenz wie in den Visitationen und Unionsgesprächen zugleich Kontakt mit Reformern unterschiedlicher Herkunft, seien dies Nikolaus von Kues als päpstlicher Legat, der Kartäuser Vinzenz von Aggsbach oder die Vertreter der Reform von Bursfelde in der Mainz-Bamberger Provinz. Der persönliche und schriftliche Austausch inspiriert sein theologisches Denken, wie dies in der Cusanus-Rezeption in seinen Schriften zur Mystik oder als Tendenz zur kartäusischen Strenge in den Schriften zur Seelsorge und zur Abstinenz zu erkennen ist.11 Bernhard und seine Gesprächspartner verbindet der Wille zur Kloster- und Kirchenreform. Für Bernhard ist Reform aber vor allem die Rückkehr zur Tradition. Vertritt er damit eine monastische Theologie, wie sie aus dem 12. Jahrhundert bekannt ist?

11 Vgl. für den Einfluss der Kartäuser auf die Reformer aus dem Kloster Melk Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 48–55, hier: S. 55: »Das Hervorheben der kontemplativen Seite des Mönchtums [. . .], das Unterstreichen der geistlichen Lesung, das Abschreiben von Büchern als Hauptarbeit der Mönche, das Wiederbeleben des Konverseninstituts, das strikte Einhalten des Stillschweigens, der Fasttage und der Fleischabstinenz und schließlich das Anlegen von Bibliotheken mit aktuellen aszetischen und reformatorischen Werken ist durch den Einfluß der Kartäuser auf das Reformzentrum Melk zu verstehen.«

6.3 Bernhard als Vertreter einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts?

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6.3 Bernhard als Vertreter einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts? 6.3.1 Zur Problematik theologiegeschichtlicher Einordnung Die theologiegeschichtliche Einordnung lateinischer theologischer Schriften des 15. Jahrhunderts ist nicht einfach. Die bisherige Forschung bietet dafür Kategorien wie Spätscholastik, Reformtheologie, mystische Theologie, Devotio moderna und Humanismus, aber auch Frömmigkeitstheologie und monastische Theologie, die diese Schriften sowohl inhaltlich als auch formal beschreiben sollen.12 Speziell für die theologischen Schriften der Melker Reform wird auch von einer Wiener Schule gesprochen. Diese Bezeichnungen haben alle ihre Berechtigung, doch für die theologiehistorische Einordnung der lateinischen Schriften Bernhards sind nicht alle hilfreich. So knüpft die Bezeichnung Spätscholastik an die das Mittelalter beherrschende universitäre Form der Theologie an und ordnet die Schriften formal in den Universitätskontext und oft in den Wegestreit der Artes-Fakultäten ein, was über den Inhalt der theologischen Schriften zu wenig aussagt.13 Die Bezeichnung als Reformtheologie14 dagegen beschreibt den charakteristischen Entstehungs- und Diskussionskontext der Schriften Bernhards, der Autoren der Melker Reform und der an der Klosterreform interessierten Autoren des 15. Jahrhunderts zutreffend, sagt aber ebenfalls wenig über die Inhalte und nichts über den Typus von Theologie dieser Schriften aus. Die Bezeichnung des Melker Reformschrifttums, und damit auch der von Melk beeinflussten Autoren, als Wiener Schule bestimmt die Herkunft der 12 Grundlegend setzt sich Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 117–135, mit diesen Kategorien theologiegeschichtlicher Einordnung auseinander; dort umfassende Literaturhinweise. Für die Reformer aus dem Mutterkloster Melk werden die Beziehungen zu den Kartäusern, der Devotio moderna, der Wiener Spätscholastik und zum Humanismus diskutiert, vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 48–63. Haberkern, Funken aus alter Glut, erarbeitet das Verhältnis der Indersdorfer Reform und des Johannes von Indersdorf zur Devotio Moderna (S. 31–76), zur Wiener Schule (S. 76–134) und zum Frühhumanismus (S. 134–188) unter gewissenhafter Aufarbeitung der Sekundärliteratur. 13 Vgl. zum Begriff Spätscholastik Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 118–120. Auch Groiß ordnet die Melker »Spiritualität« der Spätscholastik zu, vgl. Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 58: »Die Melker Spiritualität ist weitaus mehr von der zeitgenössischen Wiener Universitätstheologie, also der Spätscholastik, geprägt, die für die Praxis und den Alltag rezipiert wurde.« 14 Vgl. den Begriff bei Ritter, Romantische und revolutionäre Elemente, S. 342–380, der am Beispiel der niederländisch-mittelrheinischen Autoren von einer »Reformtheologie« spricht (S. 379). Deren Texte ediert Benrath unter dem Titel »Reformtheologen des 15. Jahrhunderts«. Hamm, Theologie und Frömmigkeit, S. 159–211, spricht von einer »Reformtheologie der Mönche Tegernsees«.

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theologischen Gedanken, versucht zugleich aber eine inhaltliche Bestimmung der Schriften.15 Der Einfluss der Wiener Universität auf den Melker Reformkreis und die Tegernseer Autoren ist unbestritten: Die Melker Reform hat ihren Anfang in den Reformvorschlägen des Wiener Universitätslehrers Nikolaus von Dinkelsbühl. Fast alle Reformer und Autoren der Melker Observanz studierten in Wien, zumindest wie Bernhard an der Artistenfakultät.16 Persönliche Kontakte zwischen den Reformern von MelkTegernsee und dem Wiener Universitätslehrer Nikolaus von Dinkelsbühl bestanden, dessen Schriften fi nden sich in der Melker und Tegernseer Bibliothek, und Bernhard rezipiert nachweislich den De-esu-carnium-Traktat des Nikolaus von Dinkelsbühl. Redlich kam daher bereits 1931 zum Urteil: »Tegernsee hat im 15. Jahrhundert eine klar geprägte und eigentümlich gleichartige Geisteskultur aufzuweisen. Diese gesonderte Prägung aber erhielt es von Wien.«17 Redlichs Urteil wurde oft unkritisch für die Beurteilung der Tegernseer Schriften übernommen.18 Doch ist die Bezeichnung Wiener Schule und deren Anwendung auf die in Tegernsee entstandenen Schriften nicht unproblematisch.19 Wird die Wiener Schule als eine »folgenreiche Umformung der scholastischen Theologie auf die Bedürfnisse der Seelsorge und einer lebensnahen Frömmigkeitsdidaktik« und als Ausdruck einer »frömmigkeitsbezogenen Katechetisierung und Popularisierung scholastischer Theologie in volkssprachliche Bereiche hinein« verstanden,20 so trifft diese Bezeichnung nicht das Anliegen der lateinischen Schriften, die Bernhard und die Autoren der Melker Reform verfassen, während sie für die volkssprachliche Übersetzungsliteratur, wie z. B. eines Tegernseer Anonymus, zutrifft.21 Werden un15 Vgl. die Diskussion des Begriffs Wiener Schule (S. 80–83), deren Inhalte (S. 88–96), Repräsentanten (S. 97–112) und der Einfluss der sog. Wiener Schule auf Süddeutschland (S. 112–118) bei Haberkern, Funken aus alter Glut; noch ausführlicher in Haberkerns neuer Monographie: Die ›Wiener Schule‹. 16 Vgl. Redlich, Tegernsee, S. 11: »Innerhalb des Benediktinerordens jedenfalls ist es erwiesen, dass alle Männer, die in der Geschichte der süddeutschen Reformen von Melk und in den Unionsbestrebungen Bedeutsames geleistet haben, mit der Wiener Hochschule in Verbindung standen: Petrus von Rosenheim, Abt Nikolaus Seyringer, [. . .] Johann Keck, [. . .] Bernhard von Waging, [. . .].« Redlich, S. 13–17, zählt ca. 250 Benediktiner-Studenten, die im 15. Jahrhundert, aus Österreich und Bayern kommend, in Wien studierten. 17 Redlich, Tegernsee, S. 34. 18 Vgl. z. B. Rudolf, Ars moriendi, S. 92–95, der Bernhards Tractatus de morte summarisch unter die volkssprachlichen Ars-moriendi-Schriften der ›Wiener Schule‹ einordnet. 19 Zur Problematik des Begriffs Wiener Schule vgl. Boch, Katechetische Literatur, S. 223–231, der mit überzeugenden Argumenten vorerst allenfalls von einem ›Wiener Kreis‹ sprechen möchte; vgl. dazu Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 22 Anm. 32. Die neuere englischsprachige Darstellung zur Universität Wien im 15. Jahrhundert von Shank (1988), Unless you believe, greift den Terminus ›Wiener Schule‹ nicht auf. 20 Hamm, Theologie und Frömmigkeit, S. 181; ähnlich Redlich, Tegernsee, S. 8–71; Rupprich, Das Wiener Schrifttum, S. 33.passim. 21 Die neueren Untersuchungen der volkssprachlichen (Übersetzungs-)Erbauungslitera-

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ter dem Begriff jedoch auch in einem weiteren Sinne aus dem Wiener Universitätskontext hervorgehende (pastoral-)theologische Schriften in lateinischer Sprache verstanden, können Bernhards Schriften einer solchen Wiener Schule zugeordnet werden. In seinem Selbstverständnis ist jedoch sein an der Universität Wien erworbener akademischer Grad, der in den Codices oft mit späterer Hand den Titeln seiner Schriften hinzugefügt wird, nicht wichtig. Wichtig ist für Bernhard aber das Thema der mystischen Erfahrung Gottes, so dass der Begriff Mystische Theologie zumindest seine Schriften zur Mystik beschreiben kann.22 Doch lassen seine lateinischen Schriften sich weder unter dem Thema Mystik subsumieren noch bezeichnet mystische Theologie einen eigenständigen Typus theologischen Denkens. Das Verhältnis von Bernhards Schriften zur Devotio moderna und zum Humanismus ist nur unter Vorbehalt zu bestimmen, denn beide Begriffe werden in der Forschung unterschiedlich defi niert und beide Bewegungen sind noch nicht abschließend erforscht. Als Teil der Theologiegeschichte ist gerade der spätmittelalterliche Humanismus noch kaum untersucht.23 Für Tegernsee ist festzustellen, dass vereinzelt humanistische Einflüsse in Form von personellen Kontakten, z. B. durch Petrus von Rosenheim als »Vorhumanist« und »Wegbereiter des Klosterhumanismus« 24 und Nikolaus von Kues,25 sowie durch Schriften aus Italien, Wien und Ingolstadt im 15. Jahrhundert nach Tegernsee gelangen.26 Allerdings sind diese persotur deuten an, dass hier die Wiener Universität und ihre Vertreter Heinrich von Langenstein und Nikolaus von Dinkelsbühl eine große Rolle spielten, so dass von Wiener Schule in Bezug auf diese volkssprachlichen Schriften gesprochen werden kann. Vgl. Hohmann, ›Die recht gelerten maister‹, S. 349–365; Rupprich, Das Wiener Schrifttum, S. 146–171 (zur religiösen Übersetzungsliteratur); Weidenhiller, Untersuchungen zur deutschsprachigen katechetischen Literatur, S. 204–210. 22 Vgl. z. B. Hödl, Art. Monastisch-mystische Theologie, in: LMA 6 (1993), Sp. 731 f. Die Bezeichnung als »mystische Theologie« ist inhaltlich problematisch, da die pseudo-dionysische theologia mystica die geheimnisvolle, mystische Rede von Gott bezeichnet; die Reflexion über den mystischen Weg zu Gott wird daher angemessener als »Theologie der Mystik« bezeichnet (vgl. dazu Kapitel 4 dieser Arbeit). 23 Vgl. Köpf, Bemerkungen zur theologiegeschichtlichen Einordnung, S. 247–266. 24 So Thoma, Petrus von Rosenheim, S. 116. Vgl. auch Redlich, Tegernsee, S. 115: »Sicher aber ist, daß in Tegernsee ein verhältnismäßig früher, wenn auch noch schwacher Einfluß des Humanismus festgestellt werden kann. Eine erste Berührung mit Vertretern des Frühhumanismus können wir in das für Tegernsee so entscheidende Jahr 1426 setzen. Es brachte die Visitation durch Grünwalder und Petrus von Rosenheim.« Vgl. Hubalek, Aus dem Briefwechsel, S. 29. Der Begriff ›Klosterhumanismus‹ wird häufig verwendet; Schmid, Klosterhumanismus, S. 79–108, spricht in seiner Untersuchung zu Polling zu Recht erst ab der Wende zum 16. Jahrhundert von einem Klosterhumanismus. 25 Vgl. Redlich, Tegernsee, S. 121: »Ungleich mächtiger und wirksamer traten die Ideen des werdenden Humanismus bestimmend in die Geistesgeschichte von Tegernsee ein [. . .], da nun Nikolaus von Cues selbst hier Freund und Anreger wurde.« 26 Das Verhältnis des Klosters Tegernsee zum Humanismus haben bisher v. a. Redlich,

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nellen Einflüsse nicht als spezifisch humanistisch zu klassifi zieren: Nikolaus von Kues ist für die Tegernseer nicht der Initiator humanistischer Studien. »Für Tegernsee hat sich mit Nikolaus von Kues in der Tat eine neue Geisteswelt aufgetan – allerdings weniger die humanistische als vielmehr die der theologia mystica.« 27 Wird der Humanismus als eine Geistesströmung verstanden, die sich in neuartiger Weise der antiken Literatur, Kultur, Kunst und den Ideen der Antike zuwandte und das Ziel der Studia humanitatis in der Vervollkommnung des Menschen sah, so findet sich diese Haltung bei Bernhard von Waging wie den Melker Autoren nicht. Für diese Autoren und ihre Schriften ist die Zuwendung zur antiken Literatur, das Verfassen von Geschichtswerken oder die textkritische Auseinandersetzung mit der Benediktsregel im Sinne einer »frühhumanistischen Phase«28 nicht charakteristisch. Das Schrifttum der Melker Reform ist kaum von humanistischen Gedanken geprägt, und von einer »produktiven Rezeption« 29 des Humanismus bei Bernhard von Waging ist mit Vorsicht zu sprechen. Für die Melker Reform ist insgesamt festzuhalten, dass sich die humanistischen Einflüsse stark auf Einzelpersönlichkeiten beschränkten, »die überwiegend in Italien studierten, sich dort zum Teil kennenlernten und auf Dauer in (briefl icher) Verbindung blieben.«30 Humanistische Schriften, z. B. die des Enea Silvio Piccolomini, fi nden ihren Weg in der Mehrzahl erst in den 60er und 70er Jahren nach Tegernsee, und auch humanistische Einflüsse der Universität Ingolstadt, die 1472 gegründet wurde, erreichen Tegernsee erst im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts. Auch an der Wiener UniverTegernsee, S. 114–130, und Müller, Die Anfänge der Humanismus-Rezeption, S. 28–90, untersucht. Redlich setzt Humanismus dabei begriffl ich mit Renaissance gleich; er sieht die Kenntnis und Pflege antiker Literatur, eine neue Sicht des Menschen und die Verwendung antikisierender Minuskeln in Tegernsee als Zeichen des Humanismus (S. 124), ebenso die Kontakte zur italienischen Buchkunst. Müller, a.a.O., folgt Redlich, bietet aber zusätzlich einen knappen Forschungsüberblick zum Verhältnis zwischen Humanismus und einzelnen Klöstern der Melker Reform (S. 28–34). Problematisch an seiner Studie ist, dass er den Terminus Humanismus nicht bestimmt, sondern nur voraussetzt. 27 Müller, Die Anfänge der Humanismus-Rezeption, S. 50. 28 So die These von Merz, Humanismus, S. 128. 29 Mit Müller, Die Anfänge der Humanismus-Rezeption, S. 90: »Was nun die produktive Rezeption, als deren Kennzeichen bereits das Herstellen eines Werkes als Frucht der Rezeption erwähnt wurde, betrifft, so wäre hierfür Bernhard von Waging ein gutes Beispiel, der sich unter dem Eindruck der Theologia mystica zur Niederschrift eigener Traktate und Streitschriften veranlaßt sah, doch er steht hauptsächlich mit den religiösen Strömungen der Zeit im Zusammenhang, für die Humanismusrezeption ist er kaum zu beanspruchen.« 30 Merz, Humanismus, S. 128. Zu diesem Personenkreis könnte aus Tegernsee vielleicht Prior Ulrich von Landau gezählt werden, der sich in seinen Schriften und der briefl ichen Debatte mit Johannes Pirckheimer kritisch mit humanistischen Bestrebungen auseinandersetzte. Vgl. zu Ulrich von Landau Worstbrock, Art. Ulrich von Landau, in: VerLex 2 9 (1995), Sp. 1271–1274.

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sität kann erst für die zweite Hälfte des Jahrhunderts von humanistischer Arbeit gesprochen werden.31 Zahlreiche Studien in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Devotio moderna eine vielschichtige spätmittelalterliche Erneuerungsbewegung ist.32 Insofern ist es schwierig, die Devotio moderna im Gesamten in ihrem Verhältnis zur Melker Reform und Bernhards Schriften zu beurteilen, hatte diese Reformbewegung doch Anliegen, die sich in vielen auf Reform drängenden Gruppen verwirklichten. Eine spezifische Affi nität zur Devotio moderna lässt sich in Bernhards Leben und Werk nicht nachweisen. Die Suche nach subjektiver Erfahrung Gottes, die Betonung der affektiven Kräfte, die Schriften zur Meditation und Kontemplation, die als Charakteristika dieser neuen Frömmigkeit gelten, sind ursprünglich monastische Elemente, die die Devotio moderna übernahm und die ebenso die benediktinischen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts wiederbelebten. Die Betonung der individuellen Frömmigkeit, wie sie typisch für die Devotio moderna ist, fi ndet sich bei Bernhard nur im Kontext des koinobitischen Mönchtums: Die Erneuerung des Einzelnen ist bei ihm an die vermittelnde Gemeinschaft, die klösterliche vita communis, gebunden. Zudem sind die meisten der Devotio 31 Vgl. Lhotsky, Die Wiener Artistenfakultät, S. 119–206, der für die Wiener Artistenfakultät eine erste, vorsichtige Berührung mit humanistischen Gedanken und Schriften zwischen 1440–1460 sieht, während sich der Humanismus seines Erachtens dort erst mit der Berufung des Konrad Celtes durchsetzt. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kann das Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg als Zentrum humanistischer Gedanken gelten, vgl. Bellot, Das Benediktinerstift St. Ulrich und Afra, S. 394–406; Machilek, Klosterhumanismus in Nürnberg, S. 10–44; Augustyn, Historisches Interesse, S. 329–388. Die These Elms (Monastische Reformen, S. 95–100), dass es um 1450 zum Durchbruch eines ›Klosterhumanismus‹ mit Zentren in Tegernsee und St. Ulrich und Afra in Augsburg komme, muss noch stärker an den Tegernseer Schriften belegt werden. 32 Vgl. Staubach, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 455: »Es ist nicht unproblematisch, über die ›Devotio moderna‹ im allgemeinen zu sprechen. Nachdem in der älteren Forschung oft nur wenige prominente Gestalten und Zeugnisse für eine Darstellung von Geist und Werk der ›Brüder vom gemeinsamen Leben‹ genügen mußten, scheint es gegenwärtig angesichts der Fülle und Differenziertheit des erschlossenen Materials kaum noch möglich, die nach Organisationsformen und örtlichen oder regionalen Gegebenheiten überaus breit variierenden Teilbereiche der devoten Bewegung zu einem idealtypischen Gesamtbild zu verbinden.« Vgl. Crusius, Gabriel Biel, S. 298–322, die gegenüber einer Beurteilung der Devotio moderna nach ihren Anfängen aus der Untersuchung der oberdeutschen Stifte die Weiterentwicklung der Devotio moderna, auch in Abweichung vom ursprünglichen Ideal, erarbeitet hat. Vgl. zur späteren Devotio moderna auch Schöntag, Die Kanoniker und Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 197–208. Die Aufmerksamkeit der jüngeren Forschung zur Devotio Moderna galt deren Schriftlichkeit, den Lektüreplänen und Bibliotheken (vgl. Kock, Lesen nach Vorschrift, S. 111–122; Staubach, Von Deventer nach Windesheim, S. 1– 22; Ders., Pragmatische Schriftlichkeit, S. 418–461; Ders., Von der persönlichen Erfahrung zur Gemeinschaftsliteratur, S. 200–228), aber auch dem Zusammenhang von Tradition und Erneuerung (vgl. Klinkenberg, Die Devotio moderna, S. 394–419; Staubach, Reform aus der Tradition, S. 171–201; Ders.: Memores Pristinae Perfectionis, S. 405–469).

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moderna zugeschriebenen Schriften bewusst als erbauliche Schriften in der Volkssprache verfasst und richten sich an ein breites Publikum, was vielleicht der größte Unterschied zu den in dieser Arbeit besprochenen Schriften Bernhards ist.33 Zwei Konzepte aber bieten sich für die Einordnung der theologischen Schriften Bernhards von Waging besonders an, und für beide wurde Bernhard bereits als Vertreter gesehen, für die Frömmigkeitstheologie und die monastische Theologie.

6.3.2 Bernhard als Vertreter einer Frömmigkeitstheologie? Der 1977 von Berndt Hamm eingeführte Terminus Frömmigkeitstheologie34 als »eine Art von Theologie, die reflektierend und anleitend vornehmlich der rechten Lebensgestaltung der Christen dienen will«,35 möchte ein Oberbegriff und »heuristischer Schlüsselbegriff«36 der inhaltlich bestimmten pastoralen, seelsorgerlichen, katechetischen, erbaulichen, aber auch mystischen Schriften und monastischer Theologie sein. Die Frömmigkeitstheologie ist in der Wahl der Adressaten, der Themen und Textsorten vielfältig,37 33 Eine grundsätzlich enge Verbindung zwischen Devotio moderna und den Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts konstatiert Elm, Reformbemühungen und Observanzbestrebungen, S. 16 f.: Elm sieht in allen monastischen Gemeinschaften der Zeit »einen Lebensstil«, der »gekennzeichnet ist durch den Willen zur Innerlichkeit, den Rückzug aus der Welt, die Revision des Verhältnisses zur Theologie und Wissenschaft, die Vorliebe für das individuelle Gebet und die Meditation: eine Frömmigkeit also, die man lange Zeit für die Devotio moderna in Anspruch genommen hat, die aber mehr war als eine regionale Erscheinung, nämlich der Tonus rectus des spätmittelalterlichen geistlichen Lebens.« Vgl. auch Ders., Vita regularis sine regula, S. 239–273. 34 Vgl. Hamm, Frömmigkeit als Gegenstand, S. 464–497. Zum Konzept der Frömmigkeitstheologie, vgl. auch die weiteren Arbeiten von Hamm: Frömmigkeitstheologie, S. 132– 216; Frömmigkeit als Gegenstand, S. 464–497; Das Gewicht von Religion, S. 163–196; Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation, S. 7–82; Normative Zentrierung, S. 163–202. Vgl. Burger, Aedificatio; Theologie und Laienfrömmigkeit, S. 400–420; Transformation theologischer Ergebnisse, S. 47–64; Grosse, Zum Verhältnis, S. 183–188; Existentielle Theologie, S. 80–111. 35 Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 11. Vgl. Hamm, Frömmigkeitstheologie, S. 479: »Bei ihnen [den Theologen des 15. Jahrhunderts] ist Theologie eine Art von Frömmigkeit und Frömmigkeit eine Art von Theologie, so daß man geradezu von einer Frömmigkeitstheologie sprechen kann.« Zur Defi nition von Frömmigkeit Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 11: »Konstitutiv für die Frömmigkeit (›pietas‹ oder ›devotio‹) ist immer das Moment des aneignenden Vollzugs von Religion durch eine formgebende Gestaltung des Lebens«. 36 Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 19. Vgl. S. 20: »Der von mir gewählte Oberbegriff soll auf die tatsächlich vorhandene programmatische und inhaltliche Kohärenz zwischen diesen unterschiedlichen Ansätzen zu einer eminent seelsorgerlichen und lebenspraktischen Theologie hinweisen. Die Übergänge sind auffallend fl ießend, die Grenzen schwer zu ziehen.« 37 Vgl. Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 11–16.

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zeichnet sich aber durch die Anknüpfung an Johannes Gerson, durch einen gemeinsamen »modus loquendi« und die gemeinsame Intention aus. »Mit ›modus loquendi‹ meine ich den gesamten erbaulichen, auf Predigt, Seelsorge und Selbstpastorat der Lesenden zugeschnittenen Sprach- und Denkstil«,38 der eine »lebens- und frömmigkeitsnahe, (mehr oder weniger) einfache und anschauliche, oft eher affektive als kognitiv-intellektuelle Theologie der Kanzel und des Beichtstuhls, der Bürgerstube und der Klosterzelle«39 zum Ausdruck bringt. Frömmigkeitstheologie ist dann ein »Typus von Theologie, der ganz und gar der Formgebung des christlichen Lebens gewidmet ist [. . .]. Zur Mitte der ›doctrina christiana‹ wird die rechte ›vita christiana‹.«40 Die Intention solcher frömmigkeitstheologischen Schriften ist daher immer die rechte geistliche Lebensführung; sie ist eine »lebenspraktische Theologie«, eine »theologia practica«.41 Die Frömmigkeitstheologie geht nach Hamm aus dem Einflussbereich der Universitäten hervor und will »die als bedrohlich empfundene Kluft zwischen Gelehrsamkeit und frommer Lebensgestaltung, zwischen intelligentia und devotio überbrücken«42 . Typische Vertreter dieser Frömmigkeitstheologie sind daher akademische Lehrer und Gebildete, die sich der monastischen Lebensform zuwenden.43 Charakteristisch für die Frömmigkeitstheologie ist zudem ein Prozess der Entgrenzung in die Laienwelt mit einer popularisierenden Dynamik. »Am Ende dieses theologischen Transformationsvorgangs [. . .] steht eine Populartheologie für Nicht-Litterati/ae, für Nicht-Lateinkundige, eine sich durch erbauliche Schriften in der Volkssprache adäquat artikulierende Theologie.«44 Trotz der Problematik des Begriffs45 wird das vielfältige theologische und erbauliche, lateinische wie volkssprachliche Schrifttum des 15. Jahrhunderts 38

Hamm, a.a.O., S. 16. Hamm, a.a.O., S. 16 f. 40 Hamm, a.a.O., S. 18. 41 Hamm, a.a.O., S. 20, in Aufnahme der Formulierung »theologia practica« von Dolfen (Die Stellung des Erasmus von Rotterdam zur scholastischen Methode, Osnabrück 1936, S. 22–50). 42 Hamm, Frömmigkeitstheologie, S. 136. 43 Vgl. Hamm, Frömmigkeitstheologie, S. 138. 44 Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 25–36, hier: S. 36. Vgl. Burgers Begriff der Transformation: Burger, Transformation theologischer Ergebnisse, S. 47–64; Ders.: Direkte Zuwendung, S. 85–109. 45 Vgl. zur Problematik des Begriffs Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 124: »Ich halte diesen Begriff für ganz unglücklich, weil er zwei grundsätzlich verschiedene Ebenen auf mißverständliche Weise miteinander verbindet. Jede Art von Theologie bezieht sich auf Frömmigkeit und strebt nach Umsetzung in Frömmigkeit.« Zu diskutieren ist auch, ob in der Vermittlung theologischer Lehre in pastoral-erbaulichen Schriften ein eigener Typus von Theologie vorliegt, vgl. Köpf, a.a.O., S. 124 f.: »Ein eigener Typus von Theologie liegt nur dann vor, wenn es sich nicht bloß um die Umsetzung theologischer Er39

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durch ein gemeinsames Merkmal, die Praxisorientierung der Schriften, charakterisiert, die jedoch formal und inhaltlich unterschiedliche Züge tragen kann, so dass die Schriften verschiedenen »Typen« der Frömmigkeitstheologie zuzuordnen sind.46 Für Hamm ist Bernhard von Waging ein Vertreter der Frömmigkeitstheologie.47 Doch zeigt sich gerade an Bernhards Werk auch eine gewisse Problematik der Frömmigkeitstheologie, wenn das Werk eines Autors verschiedenen Unterkategorien zugeordnet werden muss. Als Teil der »Reformtheologie der Mönche Tegernsees«48 versteht Hamm Bernhards Schriften zur Abstinenz und zur vita contemplativa als monastische Theologie, »eine ordensorientierte Theologie für Mönche und Nonnen«, als mystische Theologie dagegen die Schrift De spiritualibus sentimentis. Unter den seelsorgerlich-praktischen Typ der Frömmigkeitstheologie ordnet er Bernhards Confessionale sowie die volkssprachlichen Traktate über die Beichte des Tegernseer Anonymus, den er mit Bernhard identifi ziert, ein. Bernhards Ars-moriendi-Schrift ist eine »für das 15. Jahrhundert so typische katechetische Literatur«, während er »in den spätmittelalterlichen Trostkenntnisse aus dem Bereich der Wissenschaft in kleine Münze und pastorale Belehrung handelt, sondern wenn sich im Denken der betreffenden Autoren eine von ihrer Lebenssituation und den Zielen ihrer Arbeit bestimmte theologische Reflexion und Urteilsbildung nachweisen läßt. Andernfalls handelt es sich um eine Form der literarischen Vermittlung«. Dazu die Reaktion von Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 18. Vgl. die Kritik am Begriff Frömmigkeitstheologie bei Metz, Biel und die Mystik, S. 419–428; Schreiner, Frömmigkeit in politisch-sozialen Wirkungszusammenhängen, S. 194 Anm. 61. Staubach (2000), Cusani laudes, S. 259–337, kritisiert, dass der Begriff Frömmigkeitstheologie sich auf das »Wechselverhältnis zwischen theologischem Denken und religiöser Praxis« beziehe, aber »keinen Hinweis auf den Charakter des damit bezeichneten Frömmigkeitskonzepts« (S. 279) gebe. Staubach schlägt daher anstelle von »Frömmigkeitstheologie« den Begriff »Reformpastoral« vor, den er als Gegenbegriff zur Volksfrömmigkeit und in Abgrenzung zur »gleichfalls theologisch begründeten Propagierung ›populärer‹ Frömmigkeitshaltungen wie Bilder- und Hostienkult, Wunder- und Hexenglaube« (S. 279 Anm. 77) versteht. »Wie Johannes Gerson hat sich auch Nikolaus von Kues für eine Reformpastoral eingesetzt, die den religiösen Bedürfnissen des Laien durch elementare Bildungsmittel, würdige Gottesdienstgestaltung und Predigt entsprechen wollte.« (S. 315). 46 Zu fragen ist aber, ob Frömmigkeitstheologie damit nicht ein zu offener und zu weit gefasster Begriff ist. Denn durch die Unterkategorien (Typen) der Frömmigkeitstheologie werden alle im weitesten Sinne theologischen Schriften des 15. Jahrhunderts einbezogen und diese ›nur‹ durch das inhaltliche Merkmal der intendierten Umsetzung in geistliche Lebenspraxis verbunden gesehen. Doch entstehen diese Schriften auch im Kontext der Kirchenund Klosterreform, mit dem Ziel der geistlichen Erneuerung etc. und könnten in einem ebenso weiten Begriff auch ihrer Herkunft und Intenion nach als »Reformschriften« bezeichnet werden. Damit werden die von Hamm und auch Köpf (Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 117–135) beschriebenen Phänomene der theologischen Schriften des 15. Jahrhunderts nicht bestritten, sondern nur Angemessenheit und Notwendigkeit von »Frömmigkeitstheologie« als Oberbegriff bedacht. 47 Vgl. Hamm, Frömmigkeit als Gegenstand, S. 484; Ders.: Was ist Frömmigkeitstheologie, S. 21. 48 Vgl. Hamm, Theologie und Frömmigkeit, S. 169–175, hier: S. 169.

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schriften«, darunter Bernhards Consolatorium seu remediarium tribulatorum und Remediarius contra pusillanimes, eine »eigene Sorte der frömmigkeitstheologischen Literatur« sieht. Bernhards Ordinarium missae und sein Traktat De materia eucharistiae zählt er schließlich zu einer liturgiebezogenen Frömmigkeitstheologie.49 Wird jedoch nach einer Einheit im Werk Bernhards gefragt und dabei von den drei großen Themengebieten seiner Schriften, Mystik, vita contemplativa und Askese, sowie Bernhards Selbstverständnis als in der vita contemplativa lebender und diese verteidigender Mönch ausgegangen, ist zu fragen, ob nicht anstelle der Frömmigkeitstheologie Bernhards Schriften primär einer monastischen Theologie verpfl ichtet sind.

6.3.3 Monastische Theologie Die 1946 von Jean Leclercq eingeführte Bezeichnung »monastische Theologie«50 bezeichnet einen eigenständigen Theologietypus des 12. Jahrhunderts, wie er sich exemplarisch im Werk Bernhards von Clairvaux zeigt, dessen Wurzeln bis in das altchristliche Mönchtum reichen und der sich in der Auseinandersetzung mit der scholastischen Theologie entfaltet. Im Gegensatz zur universitären Schultheologie mit ihren literarischen Formen der Quaestio, Lectio und Disputatio hat die monastische Theologie des 12. Jahrhunderts ihren Sitz im Leben in den Klöstern des älteren benediktinischen Mönchtums als »Theologie von Mönchen für Mönche«.51 In Predigt und monographischer Darstellung behandelt sie für die Mönchsgemeinschaft wichtige theologische Fragen, um aus dieser Perspektive grundlegende theologische Themen zu erörtern. Charakteristisch ist im Kontrast zur scholastischen Theologie auch der ausgeprägte Erfahrungsbezug: Die monastische Theologie fasst »Heilige Schrift und Tradition als Ausdruck von Erfah49 Für deutsche Schriften Bernhards, die ihm nicht sicher zuzuschreiben sind, wäre die Bezeichnung Frömmigkeitstheologie daher m. E. zutreffend. Vgl. Bauer, Geistliche Prosa, S. 138 f., der davon ausgeht, dass Bernhard als Tegernseer Anonymus mehrere mystische und asketische Texte vom Lateinischen ins Deutsche übersetzte, und diese Texte zur Frömmigkeitstheologie zählt. 50 Vgl. Leclercq, Pierre la Vénérable, S. 366: »theologie monastique«. Vgl. die weiteren Arbeiten von Leclercq und Köpf: Leclercq, Médiévisme et Unionisme, S. 6–23; S. Bernard, S. 7–23; Wissenschaft und Gottverlangen (L’amour des lettres et le désir de Dieu); Monastic and Scholastic Theologie, S. 128–201, u a.; Köpf, Die Anfänge der theologischen Wissenschaftstheorie; Religiöse Erfahrung in der Theologie Bernhards von Clairvaux; Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, S. 5–58; Die Rolle der Erfahrung, S. 305–319; Zwei große monastische Theologen, S. 354–361; Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 117–135; Art. Monastische Theologie, in: LThK 3 7 (1998), Sp. 389 f., etc. Vgl. den Forschungsbericht bei Köpf, Monastische und scholastische Theologie, S. 96–135, und Simón, Teología Monástica, S. 313–371; S. 189–233; Ders.: Teología Monástica. Historia, S. 773–783. 51 Vgl. Köpf, Art. Monastische Theologie, in: LThK 3 7 (1998), Sp. 389 f.

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rung«52 auf, ist auf die innere, religiöse Erfahrung bezogen und führt zu dieser hin. Deshalb steht im Zentrum der monastischen Theologie das religiöse Subjekt und dessen Heilsweg, was sich inhaltlich in der Thematisierung von asketischen Fragen, aber auch der mystischen Gotteserfahrung zeigen kann. Während die Arbeiten von Jean Leclercq und Ulrich Köpf die monastische Theologie im 12. Jahrhundert überzeugend darlegten, ist die weitere Entwicklung dieser Theologie noch nicht geklärt.53 Denn im 13. und 14. Jahrhundert verbinden sich scholastische und monastische Theologie. Mit dem Entstehen der Bettelorden und dem Bedeutungsverlust der Klöster als Bildungsstätten gegenüber der Universität, die nun auch die Mönche des benediktinischen Mönchtums besuchen, tritt eine selbständige monastische Theologie zurück. Sie bringt aber in die scholastische Theologie den Erfahrungsbezug und einen Praxisbezug ein. 6.3.3.1 Monastische Theologie im 15. Jahrhundert Eine These von Köpf (1992) ist, dass die monastische Theologie im 15. Jahrhundert wiederauflebte: »Es gibt im 15. Jahrhundert eine ausgedehnte theologische Literatur von Religiosen, die nicht einfach die Linie der mit Elementen der monastischen Theologie angereicherten scholastischen Theologie fortführt, sondern selbständige Reflexionen auf monastische Existenz und auf monastische Spiritualität anstellt.«54 Köpf vermutet eine genuin monastische Theologie in den Reformbewegungen von Melk, Kastl und Burs52

Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 127. Vgl. Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 127–129, S. 129: »Die Geschichte einer genuin monastischen Theologie im 13. und 14. Jahrhundert liegt noch ganz im Dunkel, während das Fortleben der monastischen in der scholastischen Theologie dieser Zeit wenigstens punktuell erhellt ist«. Begriff und Konzept der »monastischen Theologie« wurden in Forschungsbeiträgen zum 12. Jahrhundert und in Mittelalter-Studien übernommen, vgl. z. B. Renna, The Idea of Jerusalem, S. 96–109; Ehlers, Monastische Theologie, S. 59–79; Fichtenau, Monastisches und scholastisches Lesen, S. 317–337. Für die abendländische Kirche des 5. bis 12. Jahrhunderts weist Härdelin, Monastische Theologie, S. 108–120, diese nach, wobei er stark die praktische Zielsetzung betont und die monastische Theologie als eine »Theologie des Weges« (S. 120) versteht. Von monastischer Theologie im 14. bis 16. Jahrhundert spricht Leclercq, Monastic and Scholastic Theology, S. 178–201. – In jüngster Zeit griff Berger, Protestanten, S. 35, und Ders., Fatale Gutmütigkeiten, S. 31, den Begriff der monastischen Theologie wieder auf, versteht darunter allerdings die Versöhnung von monastischer Spiritualität und rationaler Theologie in »einer Ergänzung von rationaler durch monastische Theologie« (Protestanten, S. 35). 54 Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 130. Vgl. Weinbrenner, Klosterreform, S. 4–6, zu einer monastischen Theologie am Beispiel des Augustinereremiten Andreas Proles: »Die Frage nach den Entstehungsbedingungen einer möglichen monastischen Theologie des Spätmittelalters konkretisiert sich damit zur Frage der Observanz.« (S. 5). Williams-Krapp, Observanzbewegungen, S. 1–15, postuliert eine »monastische Spirituali53

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felde.55 Bernhards Schriften zur Mystik könnten so »auch unter der Frage nach einer monastischen Theologie gelesen werden«.56 Hat sich die monastische Theologie aber seit dem 13. Jahrhundert vom unmittelbaren Klosterbezug gelöst, so ist zu fragen, wie sie unter den Voraussetzungen des 15. Jahrhunderts und der im 13. und 14. Jahrhundert erfolgten Synthese von monastischer und scholastischer Theologie aussehen kann. Als einer Theologie von Mönchen für Mönche sind Autoren, die aus dem Mönchtum kommen und in ihren Schriften vor allem für das zeitgenössische Mönchtum relevante theologische Themen erarbeiten, Voraussetzung. Auch die Hinwendung zum religiösen Subjekt, das soteriologische Interesse und der Erfahrungsbezug sind konstitutive Elemente für die monastische Theologie des 15. Jahrhunderts, verbunden mit einer Hermeneutik, die Auslegen und eigene Erfahrung verbindet und darin die scholastische Autoritätsgebundenheit unterläuft.57 Bereits in dieser Skizze einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts fallen Parallelen zu Bernhards Schriften auf. 6.3.3.2 Monastische Theologie Bernhards? Denn Bernhards lateinische Schriften zur Frage der Seelsorgetätigkeit von Mönchen und der vita contemplativa, zur Mystik und Nahrungsaskese greifen Themen auf, die für das zeitgenössische Mönchtum wichtig waren. Die Schriften reflektieren nicht nur über das monastische Leben, sondern bieten dessen theologische Begründung und Erörterung, und Bernhard kommt von der Darstellung des Einzelproblems auf übergreifende Fragen der theologischen Lehre, z. B. der Zwei-Wege- und Drei-Stände-Lehre im Schriftwechsel mit Johann von Eych, und des geistlichen Lebens, z. B. der Verbindlichkeit von Gelübden, zu sprechen. Formal kennt Bernhard in seinen monographischen Abhandlungen zwar noch die Form der scholastischen tät« für die für Laien verfasste volkssprachliche geistliche Literatur des 15. Jahrhunderts, allerdings defi niert er diese nicht. 55 Vgl. Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 132 f. Vgl. auch Leclercq, Monastic and Scholastic Theology, S. 188, der im 15. Jahrhundert u. a. Johannes Keck aus Tegernsee, Johannes Gerson und Nikolaus von Kues als Vertreter einer monastischen Theologie sieht. 56 Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 133, bezieht sich hier auf die von Grabmann, Bernhard von Waging, S. 93, als Blüten katholischer Mystik besprochenen Schriften Laudatorium doctae ignorantiae, dessen Defensorium sowie De cognoscendo deum und De spiritualibus sentimentis. 57 So kann auch Luther als monastischer Theologe verstanden werden, vgl. Köpf: Martin Luthers Lebensgang als Mönch, S. 187–208; Zwei große monastische Theologen S. 354–361; vgl. Schwarz, Luthers unveräußerte Erbschaft, S. 209–231. In diese Richtung argumentiert auch Lohse, Mönchtum und Reformation, passim, ohne den Begriff monastische Theologie zu verwenden. Vgl. die Kritik an dieser Zuordnung bei Junghans, Das Melanchthonjubiläum, S. 144.

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Quaestio, doch löst er sie immer wieder auf zugunsten einer subjektiven Darstellung und der Aufnahme gattungsfremder Elemente wie Gebet und Klagerufe.58 Bernhards Schriften kennzeichnet ein soteriologisches Interesse: Das Heil des Einzelnen ist Grundlage und Ziel seiner Argumentation. Für diese ist aber der Erfahrungsbezug konstitutiv. Denn die Erfahrung der monastischen Väter, die er im Autoritätsbeweis und in Exempla anführt, ist für ihn Wegweiser für das vollkommene geistliche Leben und die Gotteserfahrung. Seine späten Schriften zur Mystik wollen ausdrücklich zu dieser Erfahrung Gottes in der unio mystica führen und anleiten, während er in seinen Schriften zur Askese und kontemplativen Lebensform die Voraussetzungen für die Gotteserfahrung bestimmt. Damit verbindet sich Bernhards hermeneutischer Zugang, dass nur die eigene Erfahrung die theologische Erkenntnis der wahren Lehre und des richtigen Handelns ermöglicht. Schließlich schreibt Bernhard als monastischer Autor und Benediktiner im Rückgriff auf die monastische Tradition und im Streben nach der ursprünglichen und vollkommenen observantia regularis. In diesen Aspekten kann Bernhards theologisches Denken – und mit ihm, so kann postuliert werden, das Melker Reformschrifttum – als monastische Theologie des 15. Jahrhunderts verstanden werden.59 58 Vgl. Härdelin, Monastische Theologie, S. 115: »So kann man an die Eigenart dieses Denkens nicht anders herankommen als durch eine genaue philologische Analyse der Sprache, der Worte und der Formgebung. Die Struktur des Denkens ist m. E. in der monastischen Theologie mehr als in anderen Theologien eins mit dem sprachlichen Ausdruck und der literarischen Form.« 59 Nicht nur Bernhard von Waging kann so als Vertreter einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts verstanden werden. Mehrere Studien zu Autoren des 15. Jahrhunderts verweisen ausdrücklich oder inhaltlich auf ein Wiederaufleben der monastischen Theologie: Zschoch, Klosterreform und monastische Spiritualität, schlägt für die theologiehistorische Einordnung der Schriften des Augustinereremiten Conrad von Zenn vor: Es »würde sich versuchsweise der Begriff einer ›spätmonastischen Theologie‹ anbieten« (S. 96 f.). »Die Argumentationsweise Conrad von Zenns steht [. . .] in der Tradition der monastischen Theologie« (ebd.). Ganzer, Zur monastischen Theologie, S. 334–421, bezeichnet die Theologie des Johannes Trithemius als monastische Theologie, führt dies inhaltlich aber nicht aus. Sudbrack, Die geistliche Theologie, subsumiert die Schriften des Johannes von Kastl unter dem Begriff »geistliche Theologie«; inhaltlich aber weist die Theologie des Johannes von Kastl durchaus Züge einer monastischen Theologie auf in Quellen, Traditionsbewusstsein und theologischen Themen. Mertens, Iacobus Carthusiensis, verwendet zwar in der Untersuchung der Rezeption der Werke Jakobs nicht den Terminus ›monastische Theologie‹, scheint diese aber inhaltlich zu beschreiben (S. 133–136, hier: S. 135): »Jakobs Schriften sind weder einer Wissenschaft allein oder einer Sparte der Theologie allein [. . .] verpfl ichtet; daß sich in ihnen die Tradition der asketisch-monastischen Literatur wie auch die Erfahrung einer langen asketischen Praxis niederschlagen, war für die Rezipienten von gleicher Bedeutung.« Frank, Das lateinische theologische Schrifttum, S. 261–293, sieht die lateinischen theologischen Schriften von österreichischen Autoren des 15. Jahrhunderts, also auch das Melker Schrifttum, als von der Schultheologie beeinflusste monastische Theologie mit dem Fokus auf Erfahrung und Nachfolge in der Rezeption von Johannes Gerson (S. 278–280).

6.3 Bernhard als Vertreter einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts?

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Allerdings dürfen die Unterschiede zwischen der monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts und der des 12. Jahrhunderts nicht übersehen werden. Denn aufgrund der meist universitären Ausbildung der monastischen Autoren des 15. Jahrhunderts kann die monastische Theologie »nicht die Geschlossenheit ihrer Vorgängerin im 12. Jahrhundert erreichen« 60 und hat unter den Autoren auch keinen singulär herausragenden Vertreter, wie dies Bernhard von Clairvaux war. Darüber hinaus beschränkt sich Bernhards Werk nicht auf monastische Themen, sondern er verfasst auch für die Klerusreform sein Ordinarium missae practicum, seine Trostbücher oder eine Ars-moriendi-Schrift. Auch seine Schriften zur Mystik betonen nur begrenzt den für die monastische Theologie zu erwartenden affektiven Zugang zur Gotteserfahrung. Zudem ist seine Theologie zwar von der Erfahrung der monastischen Väter geprägt und soll zu eigener geistlichen Erfahrung führen, doch sind seine theologischen Schriften zugleich stark autoritätsbezogen. Die für die monastische Theologie des 12. Jahrhunderts charakteristische Verbindung von Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis wird von ihm kaum thematisiert. Wendet sich zudem die monastische Theologie des 12. Jahrhunderts wie die scholastische Theologie nicht nur an Mönche, sondern an alle gebildeten Christen, so hat Bernhard diesen Adressatenkreis zwar im Blick, erreicht ihn aber nicht, wo er eine partikulare Lebensform, die des kontemplativen Mönchtums, mit dem Anspruch auf deren Vollkommenheit thematisiert und verteidigt. Schließlich beruft sich Bernhard zwar stets auf die monastische Tradition, doch ist er in Vielem nur deren Kompilator. Als Kompilator rezipiert er Johannes Gerson und Nikolaus von Dinkelsbühl, die beide keine Vertreter des Mönchtums sind, aber zu denselben Themen wie Bernhard, seien dies die Seelsorgetätigkeit von Mönchen, die mystische Erfahrung oder die Abstinenz vom Fleisch, Schriften verfassen und wie Bernhard dabei von der scholastischen Form der Quaestio ausgehen, sich von dieser aber lösen.61 In dieser formalen und inhaltlichen Übereinstimmung mit Autoren aus den Reformkreisen des 15. Jahrhunderts, die nicht aus dem Mönchtum kommen, liegt eine Schwierigkeit, die monastische Theologie des 15. Jahrhunderts als eigenständigen Theologietypus abzugrenzen. Denn weisen Werke wie die von Johannes Gerson, Nikolaus von Dinkelsbühl u. a. diesel60

Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 135. Die Rezeption des Johannes Gerson im Tegernseer Schrifttum wurde von Redlich, Tegernsee, S. 8–71, konstatiert. Die Gerson-Rezeption fi ndet sich in Bernhards Schriften, und sie kann als charakteristisch für die Schriften der Autoren der Melker Reformbewegung postuliert werden. Vgl. zur Gerson-Rezeption in den benediktinischen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts Schreiner, Benediktinische Klosterreform, S. 154–164; vgl. mit Literaturhinweisen auch Grosse, Heilsungewißheit und Scrupulositas; Burger, Direkte Zuwendung, S. 96–102. 61

296

6 Bernhards theologisches Denken – ein Fazit

ben Charakteristika auf wie die Schriften Bernhards und der Melker Reformautoren, so ist diese Theologie nicht nur eine monastische. Äußerlich verbindet diese Autoren das gemeinsame Interesse an der Kloster- und Kirchenreform. »Erst wenn die wichtigsten monastischen Texte des Jahrhunderts vollständig erfaßt und sachlich wie traditionsgeschichtlich erschlossen sind, wird man aus ihrer Vielfalt wieder Gemeinsamkeiten und große Linien herausarbeiten können. Bevor sich das Thema ›monastische Theologie im 15. Jahrhundert‹ zusammenfassend darstellen läßt, ist noch ein weites Feld zu bearbeiten.« 62 Die vorliegende Studie versuchte, einen Teil dieses Feldes zu bearbeiten.

6.4 Ausblick Damit bleiben am Ende dieser Arbeit noch zahlreiche Forschungsdesiderate. An erster Stelle muss die Edition des Gesamtwerks Bernhards von Waging genannt werden, die ebenso wünschenswert ist wie Editionen der Tegernseer Autoren, z. B. Johannes Keck, und der Autoren der Melker Reform. Denn erst auf Basis dieser Editionen ist die grundlegende Erarbeitung des theologischen Schrifttums, einschließlich dessen Abhängigkeiten und Korrespondenzen zu Autoren wie Johannes Gerson oder Nikolaus von Dinkelsbühl, und damit die theologische Einordnung der benediktinischen Reformbewegung von Melk-Tegernsee möglich. Textliche und theologische Erschließung ist ebenso für die Reform von Kastl und Bursfelde ein Desiderat wie für die ›Reformschriften‹ nicht-monastischer Autoren des 15. Jahrhunderts. Erst dann kann endgültig Bernhards Werk in Eigenständigkeit und Abhängigkeit beurteilt und die Frage nach einer monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts abschließend beantwortet werden. Bis dahin soll für weitere Forschungen gelten, was Beginn von Bernhards Tätigkeit als Reformer und Autor war und ihm sein Mitbruder Wilhelm 1446 zurief: »Seque me!« 63

62 Köpf, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, S. 135. Insofern ist die summarische Kategorisierung des Melker Schrifttums als monastische Theologie bei Groiß, Spätmittelalterliche Lebensformen, S. 153–156, vorerst kritisch zu sehen, zumal Groiß in der Einordnung der Melker Schriften die Konzepte der monastischen Theologie (mit Leclercq und Köpf ), Reformtheologie und Frömmigkeitstheologie (mit Hamm) verbindet und diese mit einer praktischen Theologie (mit Härdelin) gleichsetzt. Vgl. Härdelin, Monastische Theologie, S. 111: »Sie ist eine Theologie aus der Praxis für die Praxis; sie ist aus dem praktischen geistlichen Leben der Klöster hervorgegangen; sie nährt sich daraus, aber fi ndet auch ihren Zweck und ihr Ziel in eben diesem Leben.« 63 Clm 19697, f. 33r.

Anhänge 7.1 Verzeichnisse der lateinischen Schriften Bernhards im Vergleich nach dem Tegernseer Bibliothekskatalog von 1483/84

Signaturbereich:

nach B. Pez, Bibliotheca Ascetica Forschungsstand mit 7 (1724), Praefatio Höver (1978)

H Liber egregius de sentimentis spiritualibus et perfectione spirituali

(Nr. 6) Opus de Sentimentis Spiritualibus (o.J.)

De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali (ca. 1463/64)

Confessionale utile pro religiosis

H

(Nr. 12) Confessionale seu tractatus de confessione (o.J.)

Confessionale seu tractatus de confessione (o.J.)

Speculum mortis divisum in quattuor partes multum devotum

H

(Nr. 5) Speculum mortis quadripartitum (1458)

Tractatus de morte necnon de praeparatione ad mortem seu speculum mortis (1458)

Tractatus seu liber de cognoscendo Deum

H, J

(Nr. 7) Tractatus de cognoscendo Deum (1459)

De cognoscendo Deum (1459)

Laudatorium docte ignorantie

H, J

(Nr. 19) Laudatorium Doctae Ignorantiae, quae est mystica theologia (o.J.)

Laudatorium doctae ignorantiae (1451/52)

Defensorium laudatorii docte ignorantie

H, J

Defensorium (Nr. 20) Defensorium Laudatorii Doctae Ignorantiae laudatorii doctae ignorantiae (1459) contra Impugnatorium ejusdem Laudatorii (1459)

Tractatus contra illicitum esum carnium monachorum sancti Benedicti

H, K

Epistola seu tractatus (Nr. 1) Tractatus contra contra illicitum esum illicitum esum carnium monachorum sancti Benedicti carnium (1456) (1456) (Nr. 2) Responsio ad quaedam nicht auffindbar argumenta contra aliqua dicta in Quaestione de esu carnium monachorum O. S. Benedicti

298

7 Anhänge

Speculum pastorum et rectorum animarum

J

(Nr. 15) Speculum Pastorum et animarum Rectorum (o.J.)

Speculum seu monitorium pastorum et animarum rectorum (1462)

Defensorium speculi pastorum

J

(Nr. 16) Defensorium Speculi Pastorum ad Johannem Ep. Eystettens.

Defensorium speculi pastorum (1463)

J Ordinarium practicum misse valde egregium ad dominum episcopum Eystetensem

s. Nr. 13

Ordinarium missae practicum (1561/62)

J Dyalogus inter discipulum et magistrum, an liceat monacho forti et sano carnes edere

(Nr. 29) Dialogus de esu et abstinentia carnium (o.J.)

Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae S. Benedicti fortium et sanorum (o.J.) [Treusch: Autorschaft Bernhards fraglich]

Consolatorium tribulatorum

H

H Remediarium pusillanimorum et scrupulosorum ad dominum Franciscum Schlick doctorem et canonicum Ratisponensis ecclesie Remediarium seu consolatorium tribulatorum

J

J Tractatus de consecratione et velatione sanctimonialium

Formula confessionis generalis

H

(Nr. 9) Consolatorium tribulatorum (o.J.)

Consolatorium seu remediarium tribulatorum (1461)

(Nr 8) Remediarius Pusillani- Remediarius contra mium et scrupulosorum (o.J.) pusillanimes et scrupuloses (1464/64)

s. Nr. 9

siehe Consolatorium seu remediarium tribulatorum (1461)

(Nr. 10) Epistola de Virginitate ad B. Abbatissem Pergensem / De consecratione monialium

Exhortatio commendatoria simul quod ad bonum initiatoria eius, cui ista scripta specialiter sunt facta = Tractatus de consecratione monialium (1461) = Teil des Confessionale (?)

7.1 Verzeichnisse der lateinischen Schriften Bernhards im Vergleich

299

(Nr. 14) Formula communis pro simplicibus ad celebrandum vel communicandum se disponendi (o.J.)

= Teil des Ordinarium missae practicum

Epistole eius alique ad D dominum episcopum Eystetensem

(Nr. 36) Epistolae

s. Briefüberlieferung

Epistola ad monachos H sancti Udalrici de vera materia divinissimi sacramenti altaris

(Nr. 4) Tractatus epistolaris ad Monachos S. Udalrici August. Vind. de debita materia Sacramenti Eucharistiae etc.

De materia eucharistiae sacramenti tractatus epistolaris (1456)

Sermones eius capitulares

G

Sermones eius capitulares aliqui XXII de Christo, beata virgine, de dedicatione et sancto Benedicto atque omnibus sanctis

J

(Nr. 17) Solemnis Collatio seu Sermo admodum prolixus de Passione Domini (Nr. 18) Volumen Collationum seu Sermonum de tempore et Sanctis (Nr. 32) Collationes seu Sermones in Professione Fratrum (Nr. 34) Sermones aliquot Capitulares

Sermones (vgl. clm 18572, BSB München) 22 Sermones de tempore (vgl. clm 18591, f. 113r-163r, BSB München)

Excerpta ex libro sentimentorum spiritualium devotissima

H



siehe De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali

(Nr. 13) Praeparatorium seu Tractatus de Praeparatione ad Missam devote celebrandam et suscipiendam Eucharistiam ad Johannem Ep. Eystettensem

= Teil des Ordinarium missae practicum

(Nr. 31) Declaratio passus Regulae S. Benedicti ›In omnibus magistram sequantur Regulam‹

Declaratio huius passus regulae S. Benedicti ›In omnibus omnes magistram sequatur regulam‹ (nach 1461)

(Nr. 12) Acta visitationis et reformationis Parthenonis S. Mariae Suneburgensis anno 1455

Acta visitationis et reformationis S. Mariae Suneburgensis (1455)

Formula communis pro simplicibus se disponendi ad celebrandum seu communicandum

J

Preparatoria plura per J ipsum collecta cum devotis oracionibus ante missam et post, et est quasi unus prolixus tractatus Scriptum eius notabile de isto passu regule ›In omnibus omnes magistram sequantur regulam‹. Ibi ponit multa, in quibus abbas habet dispensare.

E

300

7 Anhänge

(Nr. 3) De forma servanda in excommunicando et qualiter sententia excommunicationis in subditos ferenda sit (o.J.)

De forma servanda in excommunicando et qualiter sententia excommunicationis in subditos ferenda sit (o.J.)

(Nr. 11) Tractatus de Poenis infernalibus (laut Pez sekundär in einem Andechser Codex Bernhard zugeschrieben) (Nr. 22) Tractatus varii de Paupertate, Obedientia, Patientia aliisque virtutibus (Nr. 23) Tractatus, utrum in hac vita mortali possibile sit Deum ab homine in contemplatione videri et mente attingi (Nr. 24) Qualiter in gratia et virtutibus pauperem fieri oporteat, qui veram spiritualem perfectionem assequi cupit (Nr. 25) De exercitio interiori cum Deo (Nr. 26) De extremi judicii dei terrore (Nr. 27) De modis ignem et poenas Purgatorii evadendi (Nr. 28) De modo unionis spiritualis cum Deo (Nr. 30) Scripta et collecta varia contra illicitum esum carnium Ord. S. Ben. (Nr. 33) Tractatus contra damnatum vitium proprietatis Religiosorum (Nr. 35) De raptu et extasi S. P. Benedicti quid sentiendum

[Ein Auszug aus De spiritualibus sentimentis?]

301

7.2 Der Dialogus: Die Handschriften im Vergleich

7.2 Der Dialogus: Die Handschriften im Vergleich Überschrift und erster Redewechsel: Cod. Mell. 990, f. 109r clm 18548b, f. 240r (Melk) (Tegernsee)

clm 4403, f. 136r (Augsburg)

clm 7008, f. 186r (Fürstenfeld)

Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae Sancti Benedicti fortium et sanorum et primo in hunc modum fi ngitur querere a magistro

Dialogus more didascalico per quendam – RB: Bernardum priorem nostri monasterii – editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae Sancti Benedicti fortium et sanorum et primo in hunc modum fi ngitur queri a magistro

Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae Sancti Benedicti fortium et sanorum et primo in hunc modum fi ngitur querere a magistro discipulus

Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae Sancti Benedicti fortium et sanorum et primo in hunc modum fi ngitur querere a magistro discipulus et primo sit

Discipulus: Velim scire si ex Regula sancti Benedicti eximii praeceptoris monachorum, esus volatilium indultus sit sanis monachis. Videtur enim mihi et multis aliis mecum in idipsum consentientibus quod praefatus institutor permiserit nobis volatilia comedere, dum nos nominatim ab esu quadrupedum curavit tantum suspendere.

Discipulus: Velim scire si ex Regula sancti Benedicti eximii praeceptoris monachorum, esus volatilium indultus sit sanis monachis. Videtur enim mihi et multis aliis mecum in idipsum consentientibus quod praefatus institutor permiserit nobis volatilia comedere, dum nos nominatim ab esu quadrupedum curavit tantum suspendere.

Discipulus: Velim scire si ex Regula sancti Benedicti eximii praeceptoris monachorum, esus volatilium indultus sit sanis monachis. Videtur enim mihi et multis aliis mecum in idipsum consentientibus quod praefatus institutor permiserit nobis volatilia comedere, dum nos nominatim ab esu quadrupedum curavit tantum suspendere.

Discipulus: Velim scire si ex Regula sancti Benedicti eximii praeceptoris monachorum, esus volatilium indultus sit sanis monachis. Videtur enim mihi et multis aliis mecum in idipsum consentientibus quod praefatus institutor permiserit nobis volatilia comedere, dum nos nominatim ab esu quadrupedum curavit tantum suspendere.

Magister: Ita multi intellexerunt et docuerunt. Verum ut utar verbis Apostoli scribentis Philippensibus: si qui aliter sapimus, idipsum revelavit »Deus« nobis.

Magister: Ita multi intellexerunt et docuerunt. Verum ut utar verbis Apostoli scribentis Philippensibus: si qui aliter sapimus, idipsum revelavit nobis Deus.

Magister: Ita multi intellexerunt et docuerunt. Verum ut utar verbis Apostoli scribentis Philippensibus: si qui aliter sapimus, idipsum revelavit nobis Deus.

Magister: Ita multi intellexerunt et docuerunt. Verum ut utar verbis Apostoli scribentis Philippensibus: si quid aliter sapimus, idipsum revelat nobis Deus.

302

7 Anhänge

Bei den inhaltlich nicht bedeutenden Abweichungen im ersten Redewechsel fällt auf, dass im Zitat aus Phil. 3,15 sowohl die Melker als auch die Tegernseer und Augsburger Abschrift grammatisch nicht korrekt »qui« lesen (Vgl. Phil. 3,15b Vulgata: »si quid aliter sapitis, et hoc vobis Deus revelabit«). Nur die Fürstenfelder Abschrift korrigiert nach dem Wortlaut der Vulgata zu »quid«.

Quellen- und Literaturverzeichnis Die Abkürzungen theologischer und historischer Reihen sowie biblischer Eigennamen und Bücher folgen Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin/ New York 21992.

Schriften Bernhards von Waging In der Arbeit zitierte handschriftliche Überlieferung Consolatorium seu remediarium tribulatorum (1461) – clm 18600, f. 201r–219r (BSB München) – clm 18548b, f. 125r–162r (BSB München) De Cognoscendo Deum (1459) – clm 18591, f. 2r–79r (BSB München) – clm 18600, f. 127r–188r (BSB München) [vgl. Druck: cap. 9 bei Grabmann, Die Erklärung des Bernhard von Waging, S. 129–135; cap. 1–3 bei Riemann, De cognoscendo Deum, S. 140–158] Defensorium laudatorii doctae ignorantiae per patrem Bernardum in Tegernsee priorem compilatum (1459) – clm 18600, f. 192r–199r (BSB München) Defensorium speculi pastorum et animarum rectorum (1463) – clm 18548b, f. 192r–219v (BSB München) De sentimentis spiritualibus et perfectione spirituali (1463/64) – clm 18600, f. 3r–126r (BSB München) Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium – clm 4403, f. 136r–144r (BSB München) – clm 7008, f. 186ra-191va (BSB München) – clm 18548b, f. 240r–246v (BSB München) – Cod. Mell. 990, f. 109r–115v (SB Melk) Epistola seu tractatus contra illicitum carnium esum monachorum ordinis S. Benedicti (1456) – clm 5951, f. 64r–143v (BSB München) – clm 18600, f. 260r–310v (BSB München) – clm 19608, f. 74r–100v (BSB München) Laudatorium doctae ignorantiae, necnon invitatorium ad amorem eiusdem, editum per Bernardum priorem in Tegernsee (1451/52) – clm 18600, f. 189r–191v (BSB München)

304

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ordinarium Missae Practicum (1461/62) – clm 18548b, f. 2r–100r (BSB München) Remediarius contra pusillanimes et scrupulosos (1464/65) – clm 18600, f. 189r–191v (BSB München) Speculum pastorum et animarum rectorum (1462) – clm 18548b, f. 111v-124v (BSB München) Tractatus de consecratione monialium (1462) – clm 18548b, f. 173–182 (BSB München) Traktat von der Erkenntnis Gottes nach Bernhard von Waging – cgm 743, f. 141v-151r (BSB München) Aus Bernhard von Waging: Consolatorium tribulatorum c.1–3 – cgm 746, f. 77r–82r (BSB München) Aus Bernhard von Waging: Consolatorium tribulatorum c.1–3 – cgm 801, f. 60v-67r (BSB München)

In der Arbeit verwendete (Teil-)Drucke von Schriften Bernhards De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituali, in: Pez, Bernhard: Bibliotheca ascetica 5, Regensburg 1725, S. 1–404. Defensorium laudatorij docte ignorancie per patrem Bernardum in Tegernsee priorem compilatum (1459), nach clm 18600 in: Vansteenberghe, E[dmond]: Autour de la docte ignorance. Une controverse sur la théologie mystique au XVe siècle (= BGPhMA 14), Münster 1915, S. 169–188. Epistola de quadam visione cuiusdam virginis, in: Schmidt, Paul Gerhard: Amor transformat amantem in amatum. Bernhard von Waging an Nicolaus Cusanus über die Vision einer reformunwilligen Nonne, in: Poetry and Philosophy in the Middle Ages. FS Peter Dronke, hg. v. John Marenbon (= MLST 29), Leiden 2001, S. 201–215. Laudatorium doctae ignorantiae, necnon invitatorium ad amorem eiusdem, editum per Bernardum priorem in Tegernsee (1451), nach clm 18600 in: Vansteenberghe, E[dmond]: Autour de la docte ignorance. Une controverse sur la théologie mystique au XVe siècle (= BGPhMA 14), Münster 1915, S. 163–167. Profeßpredigten (clm 18572, f. 317r–341v), in: Öhm, Christiane: Bernhard von Waging. Profeßpredigten (clm 18572, f. 317r–341v), Diss. [masch.] Wien 1987, S. 109– 219. Remediarius contra pusillanimes et scrupulosos, in: Pez, Bernhard: Bibliotheca ascetica 7, Regensburg 1724, S. 445–525. Speculum pastorum et animarum rectorum, Defensorium speculi pastorum et animarum rectorum, in: Riemann, Heide Dorothea: Der Briefwechsel Bernhards von Waging und Johannes’ von Eych (1461–1463). Speculum pastorum et animarum rectorum, Epistula impugnatoria, Defensorium speculi pastorum et animarum rectorum. Zur Kontroverse über Rang und Verdienst des aktiven und des kontemplativen Lebens, Köln 1985, S. 1–313.

Ungedruckte Quellen Die folgenden Handschriften werden in der Arbeit erwähnt. Von den Münchener Handschriften konnten viele vor Ort eingesehen werden. Von den Handschriften anderer Bibliotheken lagen z. T. die entsprechenden Auszüge in Papierkopie oder als Mikrofi lm vor; hier wird in Klammern kurz auf die darin enthaltenen Texte verwiesen.

Ungedruckte Quellen

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Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek 4o Cod. 3 ( Johannes von Palomar, De esu carnium) fol. Cod. 198 (Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu carnium) Bamberg, Staatsbibliothek Bamberg Msc. Theol. 48 ( Johannes Gerson, De non esu carnium) Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz MS. theol. lat. fol. 712 ( Johannes Gerson, De non esu carnium) MS. theol. lat. qu. 324/4 (Henricus de Piro, De confi rmatione ordinis Carthusiensis) Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Hs 779 ( Johannes Gerson, De esu carnium) Köln, Stadtarchiv GB oct. 144 (Petrus von Ailly, De non esu carnium) W16 (Arnaldus de Villanova, De esu carnium) Mainz, Stadtbibliothek Hs I 170 (Petrus von Ailly, De non esu carnium) Hs I 228 (Petrus von Ailly, De non esu carnium) Manchester, John Rylands University Library MS 458 (Bernhard von Waging, Laudatorium doctae ignorantiae, Defensorium laudatorii, De cognoscendo Deum; Vinzenz von Aggsbach, Invective) MS 459 (Bernhard von Waging, Defensorium laudatorii) Melk, Stiftsbibliothek Cod. Mell. 662 (Vinzenz von Aggsbach, De non esu carnium) Cod. Mell. 761 (Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu) Cod. Mell. 773 (Bernhard von Waging, De cognoscendo Deum) Cod. Mell. 778 (Briefwechsel Melk-Tegernsee) Cod. Mell. 793 (Nikolaus von Dinkelsbühl, De esu) Cod. Mell. 959 (Excerpta ex notatis Petri de Rosenheim de esu carnium) Cod. Mell. 960 ( Johannes Schlitpacher, Brevis confi rmatio) Cod. Mell. 990 (Dialogus de esu carnium) Cod. Mell. 1100 ( Johannes von Palomar, Tractatus de esu carnium) Cod. Mell. 1605 (Petrus von Rosenheim, De abstinentia ab esu carnium) München, Bayerische Staatsbibliothek cgm 743 clm 4396 clm 18149 cgm 746 clm 4403 clm 18150 cgm 774 clm 4404 clm 18152 cgm 776 clm 4789 clm 18381 cgm 801 clm 4790 clm 18548b cgm 1586 clm 5951 clm 18551 clm 1008 clm 6977 clm 18565 clm 1470 clm 7008 clm 18566 clm 1925 clm 14213 clm 18572 clm 3025 clm 16167 clm 18591 clm 3033 clm 18103 clm 18598

clm 18599 clm 18600 clm 18610 clm 18987 clm 19114 clm 19608 clm 19648 clm 19697 clm 19857 clm 21640 clm 28256

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Quellen- und Literaturverzeichnis

München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv Klosterliteralie Indersdorf 1 (Chronik von Indersdorf ) Oldenburg, Landesbibliothek Cim I 53 ( Johannes de Palomar, De esu carnium) Quedlinburg, Stifts- und Gymnasialbibliothek Qu. Cod. 134 ( Johannes Hagen, De esu carnium) Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek HB I 82 ( Johannes Palomar, De esu carnium) Wien, Österreichische Nationalbibliothek cod. 3710 ( Johannes Gerson, De non esu carnium) cod. 3772 ( Johannes de Spira, De esu carnium) cod. 3588 (Bernhard von Waging, Defensorium laudatorii doctae ignorantiae) cod. 4259 (Arnaldus de Villanova, De esu carnium) cod. 4502 ( Johannes de Palomar, De esu carnium) cod. 4912 ( Johannes de Spira, De esu carnium) cod. 4970 ( Johannes de Spira, De esu carnium) cod. 13904 ( Johannes Gerson, De non esu carnium) Würzburg, Universitätsbibliothek M. ch. q. 129 ( Jakob von Paradies, De esu carnium; Caspar de Maiselstein, de eodem; Johannes von Palomar, de eodem; Nikolaus von Dinkelsbühl, de eodem)

Gedruckte Quellen Die Namen mittelalterlicher Autoren werden in der Form wiedergegeben, wie sie auch in der Arbeit verwendet werden; in der Regel werden Autoren bis ca. 1500 nach dem Vornamen angeführt. Acta Concilii Constanciensis. Bd. 1–4, hg. v. Heinrich Finke, Münster 1896–1928. Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hg. v. Erich Meuthen/Hermann Hallauer. Bd. I/1–4, Hamburg 1976/1983/1996/2000. Acta Facultatis artium Universitatis Vindobonensis 1385–1416 nach der Originalhandschrift, hg. v. Paul Uiblein (= Publikationen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 6. Reihe, Quellen zur Geschichte der Universität Wien, 2. Abteilung), Graz 1968. Arnald von Villanova: Arnaldi de Villanova Opera medica omnia. Bd. 11: De esu carnium, hg. v. Dianne M. Bazell (= Publicaciones de la Universidad de Barcelona, Barcelona 1999. Austria ex archivis Mellicensibus illustrata [. . .]. Libri III, hg. v. R. D. P. Philibert Hueber, Leipzig 1722. Bayerische Bibliothek. Texte aus zwölf Jahrhunderten, Bd. 1: Mittelalter und Humanismus, hg. v. Hans Pörnbacher/Benno Hubensteiner, München 1978. Benedicti Regula editio altera emendata (= CSEL 75), hg. v. Rudolf Hanslik, Wien 2 1977.

Gedruckte Quellen

307

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Ortsregister Aachen 219, 269 Aggsbach 146, 158, 197 Andechs 14, 53 Augsburg – Diözese 7, 10 f., 13, 61 – St. Ulrich und Afra 13, 53 f., 56–60, 63, 67, 78, 199, 207, 236, 238, 243, 250, 259 f., 274 Basel siehe auch Konzil von Basel 12 f. Benediktbeuern 14, 21, 43 Bergen 52, 54 f., 60, 64, 77 f., 81, 137 Beyharting 43 Boppard, St. Marienberg 81, 84 Brixen, Bistum 17, 51, 53, 61, 75 Bursfelde siehe auch Reform von Bursfelde 3, 12, 56–58, 60, 261, 274 Dießen 13 Ebersberg 13, 236 Eichstätt – Diözese 10, 52, 57, 65, 71, 77, 79 – Domkapitel 77, 80–82 – Neues Stift 83 – St. Walburg 81, 84 – St. Willibald 83 – Stadt 80–82 Elchingen 60 Erfurt, Kartause 85, 212 Ettal 13, 43, 207 Freising, Diözese 7 f., 10 f., 19, 40, 47, 61, 77, 231 Fürstenfeld 260 Gaming 262 Garsten 7 Geislingen 237 Giengen a.d. Brenz 21

Gleink 7 Göttweig 7, 263 Hasnon 210 Heidelberg 146 Heiligenberg 54 Indersdorf, Stift 22, 38, 40–49, 53 f., 71 f., 134, 202 Ingolstadt 43, 285 f. Kastl 3, 81 Kleinmariazell 7, 16, 206 Köln – Kartause 212 – Köln-Trier, Ordensprovinz 13, 18 – Universität 143 Konstanz – Diözese 11, 13, 61 – Stadt 4 f. Kühbach 54 Krems 58 Kremsmünster 7 Lambach 7, 61 Lyon 155 Magdeburg-Bremen, Ordensprovinz 18 Mainz – St. Jakob 60 – Mainz-Bamberg, Ordensprovinz 5, 13, 18, 51, 55 f., 59 f., 230, 236, 274, 282 Melk 3 f., 6–18, 20 f., 23 f., 26, 28–31, 35, 41, 43, 56–60, 63, 77, 81, 86, 139, 146 f., 151, 154 f., 158 f., 163 f., 196 f., 206 f., 221, 233 f., 236, 252 f., 256 f., 261, 274 f., 280, 282 f., 286, 292 Metten 14 Mondsee 21 f., 29, 78, 202, 207

350

Ortsregister

Montecassino 221 München 21, 31, 37, 49, 67, 146, 151, 159, 259 Narbonne 226, 250 Neuburg a.d. Donau 54 Niederaltaich 233 Nürnberg 56 f., 60 Oberaltaich 14 Padua 77 Passau – Diözese 11, 61, 254 f. – Stadt 61 Petershausen 5 f., 20, 200 f., 230 f. Polling 13 Raudnitz 12, 46 Rebdorf 81 Regensburg – Diözese 7, 65 – St. Jakob 264 Reichenbach 43 Roermond 212 Rohr 13, 48 Rom 21, 35, 173 Rott 207 Rottenbuch 13 Salzburg – Kirchen- u. Ordensprovinz 6, 11, 15 f., 18, 51, 53, 55, 58–61, 233 f.

– Nonnberg 51, 54 – Stadt 22, 38, 51, 61, 67 – St. Peter 51 St. Georgenberg 45, 51–53, 63, 72, 151, 159 f., 203, 251 St. Mihiel 219 Scheyern 13 f., 19, 53 Seeon 14 Seitenstetten 7 Sonnenburg 45, 51–53, 62 f., 72, 75, 151, 159 f., 203 Stams 51 Subiaco 6, 17 f., 48, 225, 234, 282 Tegernsee 1, 3, 7–11, 13–24, 26, 29–34, 36–39, 41–45, 47–51, 53–56, 58–61, 66–68, 71 f., 75, 77 f., 86, 127, 134 f., 138 f., 145 f., 150–154, 156–160, 162, 171 f., 184, 188, 196 f., 202 f., 206 f., 215–217, 221, 225, 231, 233–235, 237– 239, 244, 246, 250, 253, 256–258, 260 f., 274–276, 279–282, 284–286, 290, 296 Trier, St. Matthias 11, 13, 212 Waging 38 Wessobrunn 14 Wiblingen 56, 60, 63, 199, 236–238, 281 Wien – Schottenkloster 7, 16, 209 – Universität 4 f., 21 f., 26, 38–40, 48, 76 f., 208, 253 f., 278, 284–286 Würzburg 58

Personenregister Albertus Magnus 79, 123, 249 Albrecht III., Herzog von BayernMünchen 8, 13, 53, 75 Albrecht V., Herzog von Österreich 4, 13, 26, 77 Albrecht VI., Herzog von Österreich 77 Alexander von Hales 239, 252 Alexander von Vezelay 231 Ambrosius, Kirchenvater 89, 99, 132, 191 f. Ambrosius Schwerzenbeck 38, 61 f. Anselm von Canterbury 79, 268 Antonius, Heiliger 76, 99 f. Arnald von Villanova 210 f., 214, 216, 244, 249, 253 Augustinus, Kirchenvater 89, 91, 99, 111, 116, 125 f., 132, 166, 183 f., 188, 191, 248, 253, 269, 272 Barbara Ekkerin 54, 64 Basilius, Redaktor 219, 221 Beda Venerabilis 166 Benedikt XII., Papst 5, 18, 202, 223, 225, 228–230, 232, 241 f. Benedikt von Aniane 201, 219 Benedikt von Nursia 6, 17, 89, 100, 111, 126, 179, 185, 201, 268 Bernhard von Clairvaux 1, 33, 74, 89, 91, 100, 111, 125 f., 133, 136, 166, 183 f., 188, 191, 195, 241, 243, 249, 278, 291, 295 Bernhard von Kraiburg 55 Bernhard von Montecassino 221–224 Boethius 126 Bonaventura 79, 159, 166, 169, 176, 178 f., 184, 191, 195, 245, 249 Burkhard, Erzbischof v. Salzburg 58 Cassiodor 91, 268, 272 Cenomanensis (Hildebert von Lavardin) 132

Christian Eibensteiner 7, 16, 43 Christian Tesenpacher 9, 21–23, 207, 224, 235 Clemens V., Papst 228 Clemens VI., Papst 230 Diepold Westendorffer 43 Dionysius Areopagita (Pseudo-Dionys) 138, 141, 143, 145, 151–159, 163, 166, 169, 172, 176–181, 183, 188, 195–197 Dominicus, Ordensgründer 76, 124 Dorothea von Preußen 192 Eberhard Stöcklin 51 Elisabeth Steurer 54 Erhard Prunner 46–48 Eugen IV., Papst 158, 232 Garrigues, Marie-Odile 258, 263, 265 Giuliano Cesarini 12, 143 Godefroid de Godinne 210, 214 Grabmann, Martin 32, 140 Gregor I., der Große, Papst 89, 91, 99, 111, 116, 125, 166, 183–185, 191 Gregor VII., Papst 264 Gregor IX., Papst 223, 225–228, 245 Groiß, Albert 35 f. Hamm, Berndt 288–291 Haymo von Halberstadt 183 Heinrich Seuse 79 Heinrich von Hessen 259 Heinricus de Hollandia 183 Henricus de Piro 212, 214, 216 Hieronymus, Kirchenvater 89, 99, 111, 126, 184, 191, 248, 268, 272 Hieronymus von Mondsee ( Johannes de Werdea) 21 f., 29, 78, 202, 207, 214 Hilarius 89, 99 Hildemar 219–221, 224, 242, 256, 265– 269, 272–274

352

Personenregister

Honorius III., Papst 225 f. Honorius Augustodunensis 258, 262–265 Hrabanus Maurus 221 Hugo von Balma 142, 152, 154 f., 170, 185 Hugo von St. Victor 92, 158, 183 f., 191, 195, 249 Humbert (von Silva Candida) 245 Innozenz III., Papst 225 f., 241 f., 264 Jakob von Jüterbog, von Paradies 85, 157, 212, 214, 216, 261 Jakob von Tückelhausen 84 f., 127 Johann von Eych 32 f., 54, 57, 64 f., 68 f., 71, 76–87, 106–118, 121–124, 126, 128–132, 135–137, 186, 198, 259–261, 278, 280 f., 293 Johannes Chrysostomos 126, 183 Johannes de Spira 11, 13, 21, 35, 206, 214, 216, 224 Johannes Gerson 44, 101, 104, 120, 126, 152, 154–156, 163, 170, 185, 208, 210 f., 214, 216, 241, 243, 249, 259, 278, 281, 289, 295 f. Johannes Goldner 65 Johannes Grünwalder 8, 47 Johannes Hagen 212, 214, 216 Johannes Hausheimer 56 Johannes Hausmann 43 Johannes Höhensteiner 53 Johannes Keck 9, 11, 21–23, 41 f., 50, 127, 134 f., 154, 158 f., 172, 207, 224, 235, 281, 296 Johannes Khistler 43 Johannes Nider 76, 91, 101, 126, 209, 214, 216 Johannes Rode 11, 13, 212 Johannes Schlitpacher 16, 20, 23, 29, 63, 66, 78, 146 f., 154, 158 f., 163, 169–171, 192, 199, 206 f., 213–215, 224, 234, 251–253, 256 f., 260, 280, 282 Johannes Tauler 132 Johannes von Auerbach 80 Johannes von Indersdorf 8, 13, 22, 41– 43, 47 f., 53, 134 f. Johannes von Neapel 249 Johannes von Ochsenhausen 8, 11, 209 Johannes von Palomar 209, 214, 216 Johannes Wenck 146, 151

Jordanus von Quedlinburg 183 Kaspar Aindorffer 8–10, 13, 16, 31, 41– 43, 50 f., 53, 55 f., 75, 138, 150–152, 155 f., 163, 170, 185 Kaspar von Maiselstein 208, 214, 242, 254 f. Katharina von Siena 191 f. Konrad Airimschmalz 9, 49 f., 57–59, 64, 77 Konrad von Geisenfeld 43, 50, 52, 65, 146, 150 f., 171, 207, 214 Köpf, Ulrich 1, 292 f. Leclercq, Jean 1, 291 f. Leonhard Egerer 49 Leonhard Layminger 11, 254 Leonhard von Straubing 7, 206 Ludolf von Sachsen 116, 132 Ludwig der Fromme 269 Marquard Sprenger 140, 146, 151, 155, 158 f., 162–164 Martin V., Papst 6 f. Martin Imler 63, 236–238, 242 f., 246, 250, 281 Martin von Senging 11 f., 14, 21, 35, 56, 231–233, 261 f., 274 Matthäus von Krakau 249 Mechthild von Magdeburg 192 Meister Eckhart 132 Melchior von Stamheim 53, 56–59, 236 Michael Saxl 43 Niederkorn-Bruck, Meta 35 f. Nikodemus della Scala 8 Nikolaus V., Papst 15, 158 Nikolaus Seyringer 6–8 Nikolaus von Dinkelsbühl 4, 29, 208, 214, 216, 240–242, 248 f., 253–256, 273, 277, 284, 295 f. Nikolaus von Kues (Cusanus, cusanisch) 1, 15, 17, 26 f., 31 f., 45, 47 f., 50–53, 62, 66 f., 69, 71 f., 75 f., 82, 91, 137– 140, 142–163, 166 f., 170–173, 175 f., 179–181, 183, 185, 195–197, 203, 233 f., 237, 242 f., 249, 256, 280, 282, 285 f. Nikolaus von Lyra 249

Personenregister

Origenes 131, 183 f. Oswald Nott 43, 188 Paulus Diaconus 219 f. Peter von Indersdorf 11 f. Peter von Schaumberg 53 Petrus Boërius 221 f., 224, 242 Petrus Comestor 249 Petrus Fries 13, 47 Petrus von Rosenheim 8, 11, 21, 29, 35, 206, 214, 285 Pez, Bernhard 24, 33–36, 62, 258, 262– 264 Pierre d’Ailly 211, 214, 216 Pius II., Papst (Enea Silvio Piccolomini) 57, 286 Richard von St. Victor 166, 179, 183 f., 191, 195, 249 Robert Grosseteste 155, 158, 163, 166, 176, 179, 183, 195 Rudolf von Biberach 141, 155, 176 Sigismund, Herzog von Österreich 51 Smaragdus 219, 221, 224 Stephan von Paris 216

353

Stephan von Spanberg 16 Tegernseer Anonymus 33, 67, 284, 290 Thomas Gallus 155, 163, 166, 176, 178 f., 183, 195 Thomas von Aquin 98, 101, 116, 123, 125 f., 183, 239, 243, 249, 253 Thomas von Brabant 120 Ulrich Hablüzel 237 Ulrich Stöckl 11, 231 f. Ulrich von Landau 9 Vansteenberghe, Edmond 32, 139 Verena von Stuben 51 Vinzenz von Aggsbach 64, 69, 139 f., 142, 146–150, 153–156, 158 f., 163– 178, 180–183, 187, 192, 197, 213, 259, 282 Volk, Paulus 205 Wilhelm III., Herzog von Bayern 8, 11 Wilhelm Kienberger 41, 43–45, 53, 296 Wilhelm von Reichenau 83 Wolfgang Kydrer 9 Wolfgang von Steyr 20

Sachregister abstinentia/Abstinenz vom Fleisch 15 f., 35, 44 f., 54, 63, 69 f., 193, 196, 199– 213, 215–250, 252–260, 264, 266–276, 282, 290, 295 Adelsprivileg 6, 9 Amt, kirchliches/Bischofs- 89–99, 102– 107, 109–113, 115, 118–122, 124 f., 129 f., 135 f., 198 Antiqui vs. moderni 101, 127, 249, 269, 272 f. Armut (Gelübde) 45, 73, 95, 133, 233, 235, 238, 243–247, 255, 274 Ars moriendi 33, 63, 290, 295 Askese s. auch Abstinenz, Nahrungsaskese 1, 14, 37, 44, 49, 68 f., 186, 193, 196–202, 235, 246, 261, 273, 275 f., 278 f., 291 f., 294 Augustiner-Chorherren 6–8, 12 f., 15, 38, 40–49, 71 f., 81, 202 f., 229, 272, 279 Augustinus-Regel 45 f., 270, 273 Benediktsregel 3–6, 9, 16, 18–23, 28, 49–52, 55, 64–67, 69 f., 72–74, 84, 86, 101, 105, 127 f., 135, 154, 172, 199– 207, 211–213, 217–225, 228, 232–236, 239 f., 242–253, 255–257, 265–274, 276–280, 282, 286 Bibliothek – in Indersdorf 47 – in Melk 284 – in Tegernsee 9, 33, 38, 50 f., 61, 127, 134, 172, 184, 215–217, 221, 237, 257, 279, 284 – in Wiblingen 236 f. Brevier 12, 80 Consuetudines (Bräuche, Caeremoniae) 19, 35, 50, 55 f., 58, 61, 218, 220, 270 f. – von Bursfelde 55

– von Melk 6, 14, 17, 20, 34 f., 55 f., 61, 86, 231, 234 – von Subiaco 6, 14, 17, 20, 231, 234 – von Tegernsee 9 f., 14, 17, 31, 34, 50, 86, 234 De-esu-carnium-Schriften 71, 200, 203– 217, 221, 223–226, 228, 230–232, 236, 240, 243, 249, 253 f., 257, 265, 272 f., 275, 284 Devotio moderna 27, 35, 283, 285, 287 f. docta ignorantia (belehrte Unwissenheit) 139, 143–161, 163–170, 173, 175 f., 181, 197 Drei-Stufen-Aufstieg 134, 141, 174 f., 184, 186, 193 f. Erleben, mystisches 74, 104, 110, 128 f., 137 f., 140–142, 145, 149, 152 f., 159– 161, 167, 169 f., 175, 177–179, 184–187, 189–197, 276 Eucharistie 74, 78, 131, 193 f., 244, 281 experientia/Erfahrung (religiöse) 45, 70, 72, 100–102, 109, 112 f., 124, 126, 130 f., 136, 171, 175, 184, 187, 249 f., 257, 267 f., 276–281, 287, 291–295 – mystische 65 f., 70, 74, 104, 121, 127– 129, 134, 137 f., 140 f., 145, 149 f., 156, 163, 165, 168–172, 176, 178–182, 184– 187, 189 f., 192–199, 278, 280 f., 285, 295 Gebetsverbrüderung 10, 18, 54 Gehorsam (Gelübde) 46, 73 f., 203, 211, 233, 235, 243–247, 257, 271, 273 f., 276, 279 f. Gelübde, monastische 5, 45, 73 f., 222, 233, 235, 238–240, 243–246, 250, 255, 267, 270 f., 273 f., 293 Generalkapitel 18 f., 58, 225

Sachregister

355

Gleichnis vom barmherzigen Samariter 93, 100, 112

Mystik-Streit 15, 65, 69, 114, 137–173, 175, 187, 189, 195–197

Habit 12, 201 f. Humanismus 27, 31, 283, 285 f.

Nahrungsaskese 10, 12, 14, 45, 53, 199– 202, 204, 215, 231 f., 253, 274 f., 281 f., 293

Intellekt vs. Affekt 142, 145, 148 f., 151– 157, 159–164, 170, 172–179, 181–187, 189, 191, 196 f., 278 Kartäuser 14, 26, 49, 84 f., 110, 127, 138, 142, 146, 149, 155, 159, 164 f., 175, 180, 183, 201, 205, 208, 210–213, 215 f., 249, 253, 261 f., 282 Keuschheit 73, 223, 233, 235, 238, 243– 247, 274 Koinzidenz (Zusammenfall der Gegensätze) 143–146, 149, 153, 155, 157, 160–163, 179, 197 Kompilation 23, 99, 123, 155, 176, 182– 184, 195, 196 f., 277, 295 Kontemplation/contemplatio s. auch vita contemplativa 1, 14, 44 f., 49, 71 f., 74, 84, 95, 108, 111, 116–118, 120, 122, 125, 128 f., 132, 134, 137, 154, 159, 169 f., 177, 185 f., 194, 198, 257, 276, 287 Konversen 14, 27 f., 33 Konzil – von Basel 10–15, 20 f., 25, 48, 55, 77, 80, 86, 158 f., 201, 209, 214 f., 230– 233, 254, 279 – von Konstanz 4–6, 25, 200, 211, 230, 251, 256 – von Vienne 225, 228 Konziliarismus 15, 20, 158 f., 209, 213 Leinenbekleidung 200–202, 248 Liturgie 14, 27, 35, 56 f., 82, 232, 291 – Mess- 33, 64, 78, 80, 280 Maria-Martha-Erzählung 103, 108, 113, 116–118, 121 f., 131–135, 281 Mystik s. auch Theologie, mystische 1, 32 f., 37 f., 68 f., 74, 129, 138–142, 149, 154, 163, 169, 172 f., 179, 181, 184, 187, 189, 191–193, 196–199, 213, 215, 247, 249, 251, 257, 276, 278 f., 281 f., 285, 291, 293–295

Observanz/regularis observantia 6 f., 15, 17, 19–21, 35, 44, 48, 52, 56 f., 61, 69, 72, 81, 175, 199 f., 203, 207 f., 217, 225 f., 229, 232 f., 236–238, 240, 243, 246 f., 250, 255, 269, 271, 273 f., 276–278, 281 f., 294 – von Bursfelde 55–60 – von Indersdorf 48 – von Kastl 55, 57, 59 – von Melk 4, 6–19, 22 f., 36 f., 55, 57– 61, 201, 206–208, 214 f., 233–235, 253, 257, 274, 281 f., 284 – von Raudnitz 12 – von Subiaco 4, 6 f., 11, 14, 17 f., 49, 206, 282 – von Tegernsee 7, 14, 17 f., 23, 48, 66, 203, 206, 235, 253 perfectio/via perfectionis 71, 84, 90, 103, 107, 240, 276 f. Provinzialkapitel 5 f., 13, 18, 20, 55–58, 60 f., 226, 230, 250 Reform – benediktinische 3, 5, 10–12, 16, 41, 205, 208 f., 225, 229–232, 287 – der Kirche 3, 5, 20, 26, 65, 76, 79, 83, 85 f., 93, 205, 282, 296 – der Klöster/Orden 3, 5, 8, 11 f., 15, 19, 21, 26, 29, 38, 45, 55, 75 f., 79, 81, 150, 200, 204 f., 209, 213, 215, 255, 279, 281–283, 296 – des Klerus 8, 15, 65, 77, 79–83, 281, 295 Reform(bewegung) – von Bursfelde 3 f., 11, 13, 19, 23 f., 26, 49, 55, 57–60, 77, 86, 138, 210, 212, 215, 231, 282, 292 f., 296 – von Kastl 3, 10 f., 19, 23 f., 26, 57, 77, 81, 86, 138, 292, 296 – von Melk 1–4, 6–11, 13–39, 43, 48, 51, 53–56, 58–60, 62, 66, 70, 77 f., 86, 94, 127, 138, 200, 206, 208 f., 213, 215,

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Sachregister

231, 233–235, 237, 256, 278, 281–284, 286 f., 292, 294, 296 – von Tegernsee 233, 256, 284, 296 Reformerlasse (päpstliche, konziliare) – Cum ad monasterium 222, 225 f., 228, 230, 240–242, 248, 251, 256 – Cum pro reformatione 227 – Dudum pro bono 225, 230 – Ea, quae pro religionis honestate 225 f. – Inter curas innumeras 12, 232 – Inter curas multiplices 12, 232 – Ne in agro dominico 225, 228 – Sacrosancta Romana ecclesia 230 – Statuta Concilii Basiliensis 12 f., 232 – Statuta Ordinis Nigris (Statuten von Narbonne) 225, 227 f., 230, 241, 250 – Summi magistri (Benedictina) 5, 12, 202, 208, 225, 228–230, 232, 241 f., 248, 251, 254 Reformverband – von Bursfelde 13 – von Windesheim 81 Reformzentrum Tegernsee 1, 11, 13, 16– 19, 23 f., 36, 49 Schweigen 44, 240, 255 Seelsorge 1, 10, 16, 22, 41, 54, 65, 68, 71, 75, 80, 84, 88, 90, 93–95, 98 f., 102, 105–107, 109–111, 113, 116–119, 121 f., 124, 132, 136–138, 149, 167 f., 184– 186, 196, 198 f., 204, 276, 281 f., 284, 288–290, 293, 295 Spiegel (lit. Gattung) 92, 94, 99, 114, 120, 124 Theologie – Frömmigkeits- 283, 288–291 – monastische 1 f., 35–37, 70, 282 f., 288, 290–296 – mystische/theologia mystica 22, 44, 63, 65 f., 104, 117, 138 f., 140–142, 145 f.,

148–170, 172–177, 180–185, 188–190, 197, 210, 281, 283, 285 f., 290 Todsünde 92, 212, 222 f., 240, 242, 246, 252 f., 255, 282 Übersetzungsliteratur 28, 33, 66–68, 187 f. Unio mystica (Vereinigung mit Gott) 74, 96, 104, 117 f., 128, 134, 138, 140 f., 153 f., 160 f., 168, 170–172, 176, 178– 181, 184, 187, 194, 196, 294 Union, benediktinische 18–20, 49, 55– 61, 77, 136, 205, 207, 215, 232, 236, 257, 274, 280, 282 Verfallsgeschichte 94, 130, 277 Verfallsklage 129 f., 224, 245 f., 250 f., 255 Visitation, visitieren 5–8, 11–13, 15–20, 35 f., 47, 51–55, 58, 62–64, 67 f., 77, 79–81, 83, 92, 94, 136, 138, 150, 200, 206 f., 215, 225 f., 233 f., 236–238, 242, 274, 276, 280–282 vita activa 44, 68, 71, 74–76, 84–86, 88– 90, 95 f., 103, 105, 107–110, 112–118, 121 f., 126 f., 129–132, 135–137, 186, 281 vita canonica 44 f., 71 f., 200, 202, 273, 276 vita communis 46, 81, 287 vita contemplativa 22, 32 f., 37, 44, 48 f., 64, 68 f., 71–76, 83–122, 124, 127–138, 140, 186, 198 f., 247, 249, 251, 257, 276, 278–281, 290 f., 293–295 vita mixta 111, 116, 118, 122, 135 vita monastica 45, 72, 200, 203, 269, 272 f. Waldenser 96 Wiener Schule 283–285 Zwei-Wege-Lehre 98, 107–109, 111, 114, 134 f., 276, 293

Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von Albrecht Beutel Alphabetische Übersicht

Albrecht, Christian: Historische Kulturwissenschaft neuzeitlicher Christentumspraxis. 2000. Band 114. Alkier, Stefan: Urchristentum. 1993. Band 83. Appold, Kenneth G.: Abraham Calov’s Doctrine of Vocatio in Its Systematic Context. 1998. Band 103. – Orthodoxie als Konsensbildung. 2004. Band 127. Axt-Piscalar, Christine: Der Grund des Glaubens. 1990. Band 79. – Ohnmächtige Freiheit. 1996. Band 94. Barth, Friederike: Die Wirklichkeit des Guten. 2011. Band 156. Bauer,Walter: Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum. 21964. Band 10. Bayer, Oswald / Knudsen, Christian: Kreuz und Kritik. 1983. Band 66. Betz, Hans Dieter: Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament. 1967. Band 37. – Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition. 1972. Band 45. Beutel, Albrecht: Lichtenberg und die Religion. 1996. Band 93. Beyschlag, Karlmann: Clemens Romanus und der Frühkatholizismus. 1966. Band 35. Bonhoeffer,Thomas: Die Gotteslehre des Thomas von Aquin als Sprachproblem. 1961. Band 32. Bornkamm, Karin: Christus – König und Priester. 1998. Band 106. Brandy, Hans Christian: Die späte Christologie des Johannes Brenz. 1991. Band 80. Brecht, Martin: Die frühe Theologie des Johannes Brenz. 1966. Band 36. Brennecke, Hanns Christof: Studien zur Geschichte der Homöer. 1988. Band 73. Bultmann, Christoph: Die biblische Urgeschichte in der Aufklärung. 1999. Band 110. Burger, Christoph: Aedificatio, Fructus, Utilitas. 1986. Band 70. Burrows, Mark Stephen: Jean Gerson and ‘De Consolatione Theologiae’ (1418). 1991. Band 78. Butterweck, Christel: ,Martyriumssucht‘ in der Alten Kirche? 1995. Band 87. Campenhausen, Hans von: Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten. 21963. Band 14. – Die Entstehung der christlichen Bibel. 1968 (unveränd. Nachdruck 2003). Band 39. Christophersen, Alf: Kairos. 2008. Band 143. Claussen, Johann Hinrich: Die Jesus-Deutung von Ernst Troeltsch im Kontext der liberalen Theologie. 1997. Band 99. Conzelmann, Hans: Die Mitte der Zeit. 71993. Band 17. – Heiden – Juden – Christen. 1981. Band 62. Cordemann, Claas: Herders christlicher Monismus. 2010. Band 154. Dahlke, Benjamin: Die katholische Rezeption Karl Barths. 2010. Band 152. Deppermann, Andreas: Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus. 2002. Band 119. Deuschle, Matthias A.: Brenz als Kontroverstheologe. 2006. Band 138. Dierken, Jörg: Glaube und Lehre im modernen Protestantismus. 1996. Band 92. Dietz,Thorsten: Der Begriff der Furcht bei Luther. 2009. Band 147.

Beiträge zur historischen Theologie

Drecoll,Volker Henning: Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins. 1999. Band 109. Elliger, Karl: Studien zum Habakuk-Kommentar vom Toten Meer. 1953. Band 15. Esch,Tabea M.: „Freie Kirche im freien Staat“. 2011. Band 157. Evang, Martin: Rudolf Bultmann in seiner Frühzeit. 1988. Band 74. Friedrich, Martin: Zwischen Abwehr und Bekehrung. 1988. Band 72. Gestrich, Christof: Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie. 1977. Band 52. Gräßer, Erich: Albert Schweitzer als Theologe. 1979. Band 60. Graumann,Thomas: Die Kirche der Väter. 2002. Band 118. Grosse, Sven: Heilsungewißheit und Scrupulositas im späten Mittelalter. 1994. Band 85. Gülzow, Henneke: Cyprian und Novatian. 1975. Band 48. Hamm, Berndt: Promissio, Pactum, Ordinatio. 1977. Band 54. – Frömmigkeitstheologie am Anfang des 16. Jahrhunderts. 1982. Band 65. Hammann, Konrad: Universitätsgottesdienst und Aufklärungspredigt. 2000. Band 116. Hoffmann, Manfred: Erkenntnis und Verwirklichung der wahren Theologie nach Erasmus von Rotterdam. 1972. Band 44. Holfelder, Hans H.: Solus Christus. 1981. Band 63. Hübner, Jürgen: Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft. 1975. Band 50. Hyperius, Andreas G.: Briefe 1530–1563. Hrsg., übers. und komment. von G. Krause. 1981. Band 64. Jacobi,Thorsten: „Christen heißen Freie“: Luthers Freiheitsaussagen in den Jahren 1515–1519. 1997. Band 101. Jetter,Werner: Die Taufe beim jungen Luther. 1954. Band 18. Jørgensen,Theodor H.: Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späteren Schleiermacher. 1977. Band 53. Jung, Martin H.: Frömmigkeit und Theologie bei Philipp Melanchthon. 1998. Band 102. Käfer, Anne: „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“. 2006. Band 136. Kasch,Wilhelm F.: Die Sozialphilosophie von Ernst Troeltsch. 1963. Band 34. Kaufmann,Thomas: Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528. 1992. Band 81. – Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. 1998. Band 104. – Das Ende der Reformation. 2003. Band 123. Kleffmann,Tom: Die Erbsündenlehre in sprachtheologischem Horizont. 1994. Band 86. – Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie. 2003. Band 120. Klein, Dietrich: Hermann Samuel Reimarus (1694–1768). 2009. Band 145. Klein, Michael: Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien. 2005. Band 129. Koch, Dietrich-Alex: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. 1986. Band 69. Koch, Gerhard: Die Auferstehung Jesu Christi. 21965. Band 27. Koch,Traugott: Johann Habermanns „Betbüchlein“ im Zusammenhang seiner Theologie. 2001. Band 117. Köpf, Ulrich: Die Anfänge der theologischen Wissenschaftstheorie im 13. Jahrhundert. 1974. Band 49. – Religiöse Erfahrung in der Theologie Bernhards von Clairvaux. 1980. Band 61. Korsch, Dietrich: Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein. 1989. Band 76. Korthaus, Michael: Kreuzestheologie. 2007. Band 142. Kraft, Heinrich: Kaiser Konstantins religiöse Entwicklung. 1955. Band 20. Krarup, Martin: Ordination in Wittenberg. 2007. Band 141. Krause, Gerhard: Andreas Gerhard Hyperius. 1977. Band 56. – Studien zu Luthers Auslegung der Kleinen Propheten. 1962. Band 33.

Beiträge zur historischen Theologie

– siehe Hyperius, Andreas G. Krauter-Dierolf, Heike: Die Eschatologie Philipp Jakob Speners. 2005. Band 131. Krüger, Friedhelm: Humanistische Evangelienauslegung. 1986. Band 68. Kubik, Andreas: Die Symboltheorie bei Novalis. 2006. Band 135. Kuhn,Thomas K.: Der junge Alois Emanuel Biedermann. 1997. Band 98. – Religion und neuzeitliche Gesellschaft. 2003. Band 122. Laube, Martin: Theologie und neuzeitliches Christentum. 2006. Band 139. Lindemann, Andreas: Paulus im ältesten Christentum. 1979. Band 58. Mädler, Inken: Kirche und bildende Kunst der Moderne. 1997. Band 100. Marga, Amy: Karl Barth’s Dialogue with Catholicism in Göttingen and Münster. 2010. Band 149. Markschies, Christoph: Ambrosius von Mailand und die Trinitätstheologie. 1995. Band 90. Mauser, Ulrich: Gottesbild und Menschwerdung. 1971. Band 43. Mooney, Hilary Anne-Marie: Theophany. 2009. Band 146. Mostert,Walter: Menschwerdung. 1978. Band 57. Negrov, Alexander: Biblical Interpretation in the Russian Orthodox Church. 2008. Band 130. Nottmeier, Christian: Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 bis 1930. 2004. Band 124. Ohst, Martin: Schleiermacher und die Bekenntnisschriften. 1989. Band 77. – Pflichtbeichte. 1995. Band 89. Osborn, Eric F.: Justin Martyr. 1973. Band 47. Osthövener, Claus-Dieter: Erlösung. 2004. Band 128. Pfleiderer, Georg: Theologie als Wirklichkeitswissenschaft. 1992. Band 82. – Karl Barths praktische Theologie. 2000. Band 115. Raeder, Siegfried: Das Hebräische bei Luther, untersucht bis zum Ende der ersten Psalmenvorlesung. 1961. Band 31. – Die Benutzung des masoretischen Textes bei Luther in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Psalmenvorlesung (1515–1518). 1967. Band 38. – Grammatica Theologica. 1977. Band 51. Rieger, Reinhold: Contradictio. 2005. Band 133. Sallmann, Martin: Zwischen Gott und Mensch. 1999. Band 108. Schaede, Stephan: Stellvertretung. 2004. Band 126. Schäfer, Rolf: Christologie und Sittlichkeit in Melanchthons frühen Loci. 1961. Band 29. – Ritschl. 1968. Band 41. Schröder, Markus: Die kritische Identität des neuzeitlichen Christentums. 1996. Band 96. Schröder, Richard: Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik. 1983. Band 67. Schwarz, Reinhard: Die apokalyptische Theologie Thomas Müntzers und der Taboriten. 1977. Band 55. Slenczka, Björn: Das Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557. 2010. Band 155. Sockness, Brent W.: Against False Apologetics: Wilhelm Herrmann and Ernst Troeltsch in Conflict. 1998. Band 105. Spehr, Christopher: Aufklärung und Ökumene. 2005. Band 132. -: Luther und das Konzil. 2010. Band 153. Stegmann, Andreas: Johann Friedrich König. Seine Theologia positiva acroamatica (1664) im Rahmen des frühneuzeitlichen Theologiestudiums. 2006. Band 137. Sträter, Udo: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. 1987. Band 71.

Beiträge zur historischen Theologie

– Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. 1995. Band 91. Straßberger, Andres: Johann Christoph Gottsched und die „philosophische“ Predigt. 2010. Band 151. Strom, Jonathan: Orthodoxy and Reform. 1999. Band 111. Tietz-Steiding, Christiane: Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft. 1999. Band 112. Thumser,Wolfgang: Kirche im Sozialismus. 1996. Band 95. Trelenberg, Jörg: Augustins Schrift De ordine. 2009. Band 144. – Das Prinzip „Einheit“ beim frühen Augustinus. 2004. Band 125. Treusch, Ulrike: Bernhard von Waging († 1472), ein Theologe der Melker Reformbewegung. 2011. Band 158. Voigt, Christopher: Der englische Deismus in Deutschland. 2003. Band 121. Voigt, Friedemann: Vermittlung im Streit. 2006. Band 140. Wallmann, Johannes: Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt. 1961. Band 30. – Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus. 21986. Band 42. Waubke, Hans-Günther: Die Pharisäer in der protestantischen Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts. 1998. Band 107. Weinhardt, Joachim: Wilhelm Hermanns Stellung in der Ritschlschen Schule. 1996. Band 97. Wendebourg, Dorothea: Essen zum Gedächtnis. 2009. Band 148. Werbeck,Wilfrid: Jakobus Perez von Valencia. 1959. Band 28. Weyel, Birgit: Praktische Bildung zum Pfarrberuf. 2006. Band 134. Wiggermann, Uta: Woellner und das Religionsedikt. 2010. Band 150. Wittekind, Folkart: Geschichtliche Offenbarung und die Wahrheit des Glaubens. 2000. Band 113. Ziebritzki, Henning: Heiliger Geist und Weltseele. 1994. Band 84. Zschoch, Hellmut: Klosterreform und monastische Spiritualität im 15. Jahrhundert. 1988. Band 75. – Reformatorische Existenz und konfessionelle Identität. 1995. Band 88. ZurMühlen, Karl H.: Nos extra nos. 1972. Band 46. – Reformatorische Vernunftkritik und neuzeitliches Denken. 1980. Band 59.

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