172 40 5MB
German Pages 252 [256] Year 1996
Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen
Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen
Herausgegeben von den Mitgliedern der Gerichte
w G DE
1996
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen LVerfGE
1. Band bis 31.12. 1993
w DE
G 1996
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Zitierweise Für die Zitierung dieser Sammlung wird die Abkürzung LVerfGE empfohlen, 2. B. LVerfGE 1,70 (= Band 1 Seite 70)
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen = LVerfGE / hrsg. von den Mitgliedern der Gerichte. — Berlin ; New York : de Gruyter. NE: LVerfGE Bd. 1. Bis 31. 12. 1993. - 1996 ISBN 3-11-014431-X
© Copyright 1996 by Walter de Gruyter Sc Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Satz-Rechenzentrum Berlin. Druck: H. Heenemann GmbH & Co, Berlin. Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin.
Vorwort Sechs Landesverfassungsgerichte sind durch die Herstellung der deutschen Einheit entstanden: in den neuen Bundesländern und in Berlin, das wegen seiner besonderen Situation 40 Jahre lang gehindert war, ein Verfassungsgericht zu errichten. Organstreit, Normenkontrolle und Wahlprüfung gehören als klassisches Hausgut der Verfassungsgerichtsbarkeit naturgemäß auch zur Zuständigkeit der neuen Verfassungsgerichte. Da die Verfassungen der neuen Bundesländer und die Verfassung von Berlin, anders als einige Verfassungen der alten Bundesländer, eigene Grundrechtskataloge besitzen, nimmt es nicht wunder, daß die Zuständigkeit der neuen Verfassungsgerichte auch die Verfassungsbeschwerde umfaßt, die teils alle Akte der öffentlichen Gewalt des Landes, teils nur Landesgesetze zum Gegenstand hat. Diese weitgefächerte Zuständigkeit hat von Anfang an zu einer regen Inanspruchnahme der neuen Verfassungsgerichte geführt. Sie hat ihren Niederschlag in einer Vielzahl von Entscheidungen gefunden. Auch wenn die Landesverfassungen teilweise erhebliche Unterschiede aufweisen, gibt es doch zahlreiche gleichartige verfassungsrechtliche Aspekte, die die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte prägen. Im Hinblick auf die besondere Stellung der Landesverfassungsgerichte als Verfassungsorgane und wegen der spezifischen Inhalte ihrer Rechtsprechung haben sich die Verfassungsgerichte der Länder Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und MecklenburgVorpommern entschlossen, die wichtigsten ihrer zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidungen in einer gemeinsamen Sammlung zusammenzufassen, deren erster Band hiermit vorgelegt wird. Es wäre wünschenswert, wenn künftig auch die Entscheidungen anderer Landesverfassungsgerichte Eingang in diese Sammlung fänden. Wir meinen, daß eine ausschließlich für die Landesverfassungsgerichte bestimmte Entscheidungssammlung der gestiegenen Bedeutung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit entspricht. Die Herausgeber
Inhalt Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Nr.
1
Seite
30. 6. 92 VerfGH 1/92
Erschöpfung des Rechtswegs; Versäumung einer Rechtsmittelfrist
3
Nr. 2
30. 6. 92 VerfGH 4/92
Rechtskräftige Entscheidung vor Inkrafttreten des V e r f G H G
6
Nr. 3
30.6.92 VerfGH 9/92
Prüfungsmaßstab der Fachgerichte
7
Nr. 4
19. 10. 92 VerfGH 24/92
Wahl der Mitglieder des Bezirksamtes; Verfassungsbeschwerde einer Fraktion; Erschöpfung des Rechtswegs; Erledigung; Feststellungsinteresse; Recht auf Chancengleichheit
9
gegenüber
Entscheidungen
Nr. 5
19.10.92 VerfGH 36/92
Grundsatz der Einheitsgemeinde; kein Recht der Bezirke auf bezirkliche Selbstverwaltung
33
Nr. 6
19. 10.92 VerfGH 39/92
Beteiligtenfähigkeit im Organstreitverfahren; Wahlmodus für die Wahlen der Mitglieder des Bezirksamtes
40
23.12.92 VerfGH 38/92
Uberprüfung einer auf Bundesrecht beruhenden fachgerichtlichen Entscheidung; Dauer der Untersuchungshaft
44
8
12.1.93 VerfGH 55/92
Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde; Uberprüfung einer auf Bundesrecht beruhenden fachgerichtlichen Entscheidung; Strafverfahren gegen unheilbar erkrankten Angeklagten
56
Nr. 9
17.2.93 VerfGH 53/92
Gleichbehandlungsgrundsatz; Willkürverbot; Überprüfung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung am Maßstab des Willkürverbots .
65
Nr. 10
23. 2. 93 VerfGH 43/92
Begründungserfordernis bei der Verfassungsbeschwerde; Gleichbehandlungsgrundsatz; Willkürverbot
68
Nr. 11
18.3.93 VerfGH 54/92
Erschöpfung des Rechtswegs vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde
74
Nr. 12
15. 6. 93 VerfGH 18/92
Rechtsstaatsprinzip; Rechtsstaatliches Gerichtsverfahren; Anspruch auf rechtliches Gehör; Verweigerung der Akteneinsicht
81
Nr.
Nr.
7
Inhalt
Vili N r . 13 N r . 14
N r . 15
N r . 16
N r . 17
16. 6. 93 V e r f G H 19/93
Pressefreiheit; Meinungs- und Unterrichtungsfreiheit
99
17. 6. 93 V e r f G H 21/92
Organstreitverfahren; politische Partei; Recht auf Chancengleichheit; Wahlkampfkostenerstattung
105
29. 7. 93 Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen; V e r f G H 65 A/93 Prüfungsmaßstab bei einstweiliger Anordnung; Beteiligtenfähigkeit einer Fraktion im Organstreit
124
6. 12. 94 V e r f G H 65/93
Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen; Hauptsache; Parlamentsvorbehalt; Richtlinien der Regierungspolitik; Budgetrecht
131
Recht auf freie Meinungsäußerung; Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit; Schmähung; Persönlichkeitsrecht des Betroffenen
145
Bindung der Organe des Landes Berlin an die Grundrechte; Rüge der Verletzung subjektiver Bundesrechte vor dem V e r f G H unzulässig . . . .
149
13. 10. 93 V e r f G H 90/93
parallele Verfassungsbeschwerdeverfahren vor B V e r f G und V e r f G H ; absolutes Zulässigkeitshindernis; Subsidiaritätsklausel
152
22. 11.93 V e r f G H 22/92
Organstreitverfahren zwischen Fraktionen; Veränderung einer einem Parlamentsausschuß überwiesenen Gesetzesvorlage
155
22. 11. 93 V e r f G H 18/93
Organstreitverfahren; Antragsbefugnis einer Fraktion; Gesetz als „Maßnahme"; Prozeßstandschaft; Recht der Opposition auf politische Chancengleichheit; Budgetrecht; pauschale Minderausgaben
160
8. 9. 93 V e r f G H 54/93
N r . 18
N r . 19
N r . 20
N r . 21
8. 9. 93 V e r f G H 59/93
N r . 22
2. 12. 93 V e r f G H 89/93
Prüfungsbefugnis des V e r f G H gegenüber auf Bundesrecht beruhenden fachgerichtlichen Entscheidungen; nach Bundes- und Landesrecht inhaltsgleiche Grundrechte; Entscheidung über Fortdauer der Untersuchungshaft; hohes Lebensalter des Beschuldigten; strafrechtliche Verantwortlichkeit
169
N r . 23
16. 12.93 V e r f G H 51/93
Institutionelle Garantie der Verwaltungsgerichtsbarkeit; Rechtsweg zum V G als Landesgrundrecht; keine allgemeine Rechtsweggarantie; Versagung der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren; rechtliches Gehör
195
Inhalt N r . 24
16. 12. 93 V e r f G H 104/93
Erschöpfung des Rechtswegs im Eilverfahren; Verweisung auf den Rechtsweg der Hauptsache zumutbar; Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde
IX
199
Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Nr.
1
30.11.93 VfGBbg 3/93 EA
Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die begehrte Aussetzung von Kreistagswahlen
205
Nr. 2
30. 11. 93 VfGBbg 7/93
Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtsweges
213
Nr. 3
22. 12. 93 VfGBbg 9/93
Begriff des Gesetzes als Gegenstand einer kommunalen Verfassungsbeschwerde; Inhalt der Abwägung im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
214
Sachregister
219
Gesetzesregister
233
Abkürzungsverzeichnis AH-Drs. AK AKB AmtsO AöR AS AU AuslG BayVBl. BayVerfGH/BayVfGH BbglngkamG BbgKWahlG BbgNatschG BbgWBG BezVerwG/BezVG BFH BFHE BGBl. BNatSchG BRAGO BRAO BSchG BSchHLG BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BW BWaldG BW-GO DDR-GBl. DemGO DemOrgG-LSA DGO DJT DÖV
Abgeordnetenhaus-Drucksachen Alternativ-Kommentar Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung Amtsordnung Archiv des öffentlichen Rechts Amtliche Sammlung Amtlicher Umdruck Ausländergesetz Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Brandenburgisches Ingenieurkammergesetz Brandenburgisches Kommunalwahlgesetz Brandenburgisches Naturschutzgesetz Brandenburgisches Weiterbildungsgesetz Bezirksverwaltungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundesgesetzblatt Bundesnaturschutzgesetz Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Brandschutzgesetz Brandschutz- und Hilfeleistungsgesetz Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bezirksverordnetenversammlung Bundeswaldgesetz Gemeindeordnung für Baden-Württemberg Gesetzblatt der D D R Demokratische Gemeindeordnung Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe Sachsen-Anhalt 1952 Deutsche Gemeindeordnung Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung
XII Drs. DVBl. EA EGGVG ElbElstG ESVGH
EuGRZ EWGV FraktG GBl. D D R GemVerfG-33 GerOrgG-ProvSAn GerZustV GewG GewO GG GK-AuslR GKG GKG-LSA GOAvB GOBVerfG GO-LSA GO-NW GVB1. GVAB1. Hdb HdbStR HessStAnz HRG Hs. InfAuslR JöR JR JurBüro JZ KG KGNGBbg KNGBbg KK KommVerf
Abkürzungsverzeichnis Drucksache(n) Deutsches Verwaltungsblatt Einstweilige Anordnung Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Elbe-Elster-Gesetz Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg Europäische Grundrechte-Zeitschrift Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Fraktionsgesetz; Gesetz über die Rechtsstellung der Fraktionen des Abgeordnetenhauses von Berlin Gesetzblatt der DDR, s. a. DDR-GB1. Gemeindeverfassungsgesetz 1933 Gerichtsorganisationsgesetz in der Provinz Sachsen-Anhalt Gerichtszuständigkeits-Verordnung Gewerbegesetz Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht Gerichtskostengesetz Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit SachsenAnhalt Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz-, Verordnungs- und Amtsblatt Handbuch Handbuch des Staatsrechts Hessischer Staatsanzeiger Hochschulrahmengesetz Halbsatz Informationsbrief Ausländerrecht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Das Juristische Büro Juristenzeitung Kammergericht Kreis- und Gerichtsneugliederungsgesetz Brandenburg Kreisneugliederungsgesetz Brandenburg Karlsruher Kommentar zur StPO Kommunalverfassung D D R
Abkürzungsverzeichnis KostO KostRÄndG KrsGebRefG-LSA LAbgG LdEinfG LdTgDrs LdTg-StenBer LHO LKO-LSA LSA-GAB1. LSA-GVB1. LT LV LVerf-LSA LVerfGG-LSA LVfG-LSA LWahlG, LWG LWahlO LWaldG MDR MinBl. MRK MüKo NdsGVBl. NdsStGH NdsStGHE NGO NJ NJW NRW NStZ NVR NVwZ NVwZ-RR NW NW-GO OLG OLG-NL OVG OVGE
XIII
Kostenordnung Kostenrechtsänderungsgesetz Gesetz zur Kreisgebietsreform Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin Ländereinführungsgesetz DDR Landtagsdrucksache Landtag, Stenografische Berichte Landeshaushaltsordnung Landkreisordnung Sachsen-Anhalt Gesetz- und Amtsblatt Sachsen-Anhalt Gesetz- und Verordnungsblatt Sachsen-Anhalt Landtag Landesverfassung Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Landesverfassungsgerichtsgesetz Sachsen-Anhalt Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Landeswahlgesetz Landeswahlordnung Waldgesetz des Landes Brandenburg Monatsschrift für Deutsches Recht Ministerialblatt Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Niedersächsischer Staatsgerichtshof Entscheidungen des Nds. Staatsgerichtshofes Niedersächsische Gemeindeordnung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Nationaler Verteidigungsrat Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder
XIV
ParteiG PreußVerf Pr-GS Prot. ProvSAn-GABl. PrVG RefEntw RegVorl RettGBbg revDGO revStO RGBl. ROLVG-LSA RPfleger RWahlG Sachs VBL SchlHA SH-GO SH-GVOB1. SpkAV SRG StGB StGH StPO StrRehaG st. Rspr. StV UWG WKKG VAGBbg VerfGBbg VerfGGBbg VerfGH VerfGHG VerfGrdsG Verf-ProvSAn VfGBbg VfGH VG VGH VvB
Abkürzungsverzeichnis Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg (1. 1950 ff.) Gesetz über die politischen Parteien Verfassung des Freistaates Preußen Preußische Gesetzessammlung Protokoll Gesetz- und Verordnungsblatt Sachsen-Anhalt Gesetz über die Anerkennung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus vom 20.3.1950 Referentenentwurf Regierungsvorlage Brandenburgisches Rettungsdienstgesetz revidierte Deutsche Gemeindeordnung revidierte Städte-Ordnung für die preußische Monarchie Reichsgesetzblatt Vorschaltgesetz zur Raumordnung und Landesplanung Sachsen-Anhalt Der Deutsche Rechtspfleger Reichswahlgesetz Sächsische Verwaltungsblätter Schleswig-Holsteinische Anzeigen Gemeindeordnung Schleswig-Holstein Gesetz und Verordnungsblatt Schleswig-Holstein Sparkassenanpassungsverordnung Schulreformgesetz Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Strafprozeßordnung Strafrechtliches Rehabilitationsgesetz ständige Rechtsprechung Strafverteidiger Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Wahlkampfkostenerstattungsgesetz Volksabstimmungsgesetz Brandenburg Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Verfassungsgrundsätzegesetz Verfassung der Provinz Sachsen-Anhalt Verfassungsgericht Brandenburg Verfassungsgerichtshof Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Verfassung von Berlin
Abkürzungsverzeichnis WDStRL VwGO VwVfG VwVfGBbg VwVfG-LSA WahlDG WV ZfP ZGB ZPO
XV
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staats rechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Bundesverwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Brandenburg Verwaltungsverfahrensgesetz Sachsen-Anhalt Wahldurchführungsgesetz Weimarer Verfassung Zeitschrift für Politik Zivilgesetzbuch der DDR Zivilprozeßordnung
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin
Die amtierenden Richter des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Prof. Dr. Klaus Finkelnburg, Dr. Ehrhart Körting,
Präsident
Vizepräsident
Veronika Arendt-Rojahn Renate Citron-Piorkowski Hans Dittrich Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus Klaus Eschen Dr. Cornelia Hoene Prof. Dr. Philip Kunig
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
3
Nr. 1 Der Rechtsweg ist nicht im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG erschöpft, wenn der Beschwerdeführer von einem zulässigen Rechtsmittel nicht oder nicht rechtzeitig Gebrauch macht und die angegriffene Entscheidung deshalb Rechtskraft erlangt. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 49 Abs. 2 Beschluß vom 30. Juni 1992 - VerfGH 1/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn R. N. gegen 1. den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 26. August 1991 - 307 DS 102/88 - 2. den Beschluß des Landgerichts vom 30. September 1991 - 501 Qs 502/91 - 3. den Beschluß des Kammergerichts vom 28. November 1 9 9 1 - 1 AR 1327/91 - 3 Ws 245/91.
Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe: I. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. August 1988 - 307 Ds 102/88 - wegen fortgesetzten Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von der Anordnung einer Fahrerlaubnissperrfrist gemäß § 69 a StGB wurde abgesehen, um dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, die Fahrerlaubnis zu erwerben.
4
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
Am 17. September 1990 und 28. Februar 1991 wurden gegen den Beschwerdeführer wegen diverser Delikte, u. a. aber auch jeweils wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zwei weitere Anklagen erhoben, die vor dem erweiterten Schöffengericht des Amtsgerichts Tiergarten in dem Verfahren 2 1 4 - 109/90 eröffnet wurden. Am 3., 7. und 14. Mai 1991 fand in dieser Sache die Hauptverhandlung statt. Danach erkrankte der Beschwerdeführer, so daß das Verfahren auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde. Aufgrund eines Antrages der Staatsanwaltschaft widerrief das Amtsgericht Tiergarten durch Beschluß vom 26. August 1991 die Strafaussetzung zur Bewährung unter Hinweis auf die in der Hauptverhandlung vom 3. und 7. Mai 1991 gewonnenen Beweisergebnisse in dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren 214 - 109/90. Das Gericht sah es nach Auswertung der Strafakten dieses Verfahrens als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer am 30. April 1990 und 28. November 1990 erneut ein Kraftfahrzeug geführt hatte, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Gegen den dem Verteidiger am 3. September 1991 zugestellten Beschluß erhob der Beschwerdeführer am 12. September 1991 Beschwerde, welche durch Beschluß des Landgerichts vom 30. September 1991 wegen Verspätung als unzulässig verworfen wurde. Der Beschwerdeführer erhob auch hiergegen Beschwerde und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, allerdings ohne weitere Begründung. Das Kammergericht verwarf die weitere Beschwerde durch Beschluß vom 28. November 1991 unter Hinweis auf § 310 Abs. 2 StPO ebenfalls als unzulässig. Der Beschwerdeführer, der sich zur Zeit wegen dieser Sache in Strafhaft befindet, hat am 31. März 1992 Verfassungsbeschwerde erhoben und am 2. Juni 1992 den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der er anstrebt, daß seine Haft bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in der Hauptsache aufgeschoben wird. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäß eine Verletzung von Art. 65 Abs. 2 der Verfassung von Berlin. Er ist der Auffassung, daß ein Beschuldigter erst dann als Verurteilter gelten könne, wenn ein Gericht ihn tatsächlich für schuldig befunden habe, und daß ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht allein auf die Ermittlungsakten gestützt werden dürfe. II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jeder mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde erheben. Nach § 49 Abs. 2 V e r f G H G kann die Verfassungsbeschwerde, soweit ge-
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
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gen die behauptete Verletzung der Rechtsweg zulässig ist, jedoch nur nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden. Gegen den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten stand dem Beschwerdeführer gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO die sofortige Beschwerde zum Landgericht offen. Der Beschwerdeführer hat zwar Beschwerde erhoben, jedoch nach dem Beschluß des Landgerichts die einwöchige Beschwerdefrist des §311 Abs. 2 StPO versäumt. Die Beschwerde wurde deshalb als unzulässig verworfen. Von der in den §§ 44, 45 StPO vorgesehenen Möglichkeit, wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, hat der Beschwerdeführer nicht in der in § 45 StPO vorgesehenen Form Gebrauch gemacht. Zwar hat er gegen den Beschluß des Landgerichts Beschwerde beim Kammergericht eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, jedoch keinerlei Gründe vorgetragen, die hätten erkennen lassen, daß ihn an der Versäumung der Frist kein Verschulden traf. Eine Erschöpfung des Rechtsweges liegt nicht vor, wenn der Rechtsweg sei es auch aus Unkenntnis - nicht beschritten wurde oder mangels rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels die Entscheidung Rechtskraft erhielt. Es entspricht den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Prozeßrechts, daß derjenige sein Recht verliert, der es verabsäumt, die ihm vom Gesetzgeber gestellten Fristen zu beachten (ebenso zur Verfassungsbeschwerde nach Bundesrecht BVerfGE 1,12 ff.; 5, 17 ff.; 14, 54, 55; 16, 1, 3; 17, 86, 91). Da der Beschwerdeführer es versäumt hat, die Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen Frist einzulegen, hat er den Rechtsweg nicht erschöpft. Die Verfassungsbeschwerde wird daher gemäß § 23 Satz 1 VerfGHG als unzulässig verworfen. Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß nach einhelliger Rechtsprechung der Strafgerichte der Widerruf der Bewährung nach § 56 f StGB eine rechtskräftige Verurteilung wegen der neuen Straftat nicht voraussetzt. Vielmehr reicht es nach dieser Rechtsprechung aus, wenn das Gericht aufgrund zweifelsfreier Tatsachen die feste Uberzeugung erlangt hat und erlangen durfte, daß der Verurteilte die neue Tat begangen hat (s. OLG Stuttgart, N J W 1976,200 ff.; OLG Celle N J W 1971,1665; OLG Hamm N J W 1973,911; OLG Karlsruhe MDR 1972, 245; BGH Beschluß vom 05.10. 1973, 4 StE 1/67). Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
6
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
Nr. 2 Eine Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin gegen die Entscheidung eines Gerichts ist unzulässig, wenn die Entscheidung vor dem 2. Dezember 1990 rechtskräftig geworden ist. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 58 Abs. 1 Satz 2 Beschluß vom 30. Juni 1992 - VerfGH 4/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn W. W. gegen l a ) das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Mai 1960 - 71 S 121/59 - , b) das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 17. Februar 1959 10 C 126/58 - , 2a) das Urteil des Kammergerichts vom 7. April 1978 3 U 4393/77 - , b) das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 10. Oktober 1 9 7 7 - 8 / 9 C 669/76 - . Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig; sie wird gemäß § 23 Satz 1 VerfGHG verworfen. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 6. April 1992 gegen die Urteile des Landgerichts Berlin vom 2. Mai 1960 (71 S 121/59) und des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 17. Februar 1959 (10 C 126/58) einerseits sowie die Urteile des Kammergerichts vom 7. April 1978 (3 U 4393/77) und des Amtsgerichts Schöneberg vom 10. Oktober 1977 (8/9 C 669/76) andererseits. Durch Schreiben des Gerichts vom 27. April 1992 ist er auf Bedenken gegen die Zulässigkeit seiner Beschwerde hingewiesen worden. Aus diesem Grunde bedarf dieser Beschluß insoweit gemäß § 23 Satz 2 VerfGHG keiner weiteren Begründung. Unabhängig davon aber ist die Verfassungsbeschwerde auch deshalb unzulässig, weil die Urteile, gegen die sie sich richtet, bereits rechtskräftig geworden waren, bevor das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 8. November 1990 (GVB1. S. 2246/GVABl. S. 510) am 2. Dezember 1990 in Kraft getreten ist (§ 58 Abs. 1 Satz 2 VerfGHG).
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
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Nach allgemeinen Grundsätzen des Verfahrensrechts gelten neue Verfahrensvorschriften auch für anhängige Verfahren. Verfahren hingegen, die beim Inkrafttreten eines neuen Gesetzes nach den bisher geltenden Verfahrensvorschriften bereits rechtskräftig abgeschlossen waren, werden von neuen Vorschriften nicht mehr berührt, es sei denn, daß besondere Ubergangsvorschriften dies anordnen. Diese Grundsätze sind maßgebend auch für Verfassungsbeschwerden des Bundesrechts (vgl. dazu BVerfG, u. a. Beschlüsse vom 27. September 1951 - 1 BvR 61/51 - BVerfGE 1, 4 f. und vom 18. September 1952 - 1 BvR 49/51 - BVerfGE 1, 433,435) und des Berliner Landrechts. Die Möglichkeit, eine landesrechtliche Verfassungsbeschwerde gegen rechtskräftige Urteile von Berliner Gerichten zu erheben, ist erst durch das Inkrafttreten des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof vom 8. November 1990 eröffnet worden. Von der Aufnahme einer Ubergangsregelung, die anordnet, selbst vor Inkrafttreten dieses Gesetzes wirksam gewordene gerichtliche Entscheidungen könnten mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, hat der Gesetzgeber abgesehen. Um eine solche Ubergangsregelung handelt es sich auch nicht bei Art. II Abs. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof vom 11. Dezember 1991 (GVB1. S. 280). Diese Vorschrift läßt zwar die zur Geltendmachung von Rechten aufgrund des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof einzuhaltenden Fristen erst einen Monat nach der Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes beginnen, setzt aber eine der Uberprüfung durch den Verfassungsgerichtshof unterliegende gerichtliche Entscheidung voraus, betrifft mithin keine Entscheidungen, die vor dem 2. Dezember 1990 rechtskräftig geworden sind. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 33 f. VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Nr. 3 Der Verfassungsgerichtshof ist keine zusätzliche gerichtliche Instanz, sondern gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte in seinem Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 49 Abs. 1, 50
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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
Beschluß vom 30. Juni 1992 - V e r f G H 9/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn K.-D. K. gegen den Beschluß des Kammergerichts vom 2. März 1992 - Zs 19/92 - 4 Ws 25/92 - . Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluß des Kammergerichts, mit dem sein Antrag auf die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Bescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht vom 10. Januar 1992 als unzulässig verworfen worden ist. Er begehrt ferner die Unterstützung durch einen Rechtsanwalt in dem vorliegenden Verfahren. Mit dem Bescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht war die Beschwerde des Antragstellers gegen einen Bescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin vom 27. November 1991 zurückgewiesen worden. Mit diesem Bescheid hatte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht dem Antragsteller mitgeteilt, daß sie ein Ermittlungsverfahren gegen Bedienstete der Justiz wegen Strafvereitelung im Amt eingestellt habe, das aufgrund einer Strafanzeige des Antragstellers eingeleitet worden war. Der Antragsteller hatte hierin verschiedene Vorwürfe gegen Bedienstete der Verwaltungsgerichtsbarkeit erhoben. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Der Beschwerdeführer bezeichnet zwar Rechte, die durch die angegriffene Gerichtsentscheidung verletzt sein sollen (vgl. § 50 V e r f G H G ) , doch ergibt sich aus seinem Sachvortrag auch unter Berücksichtigung der Akte des bezeichneten Verfahrens nicht hinreichend deutlich die Möglichkeit der Verletzung eines in der Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechts - hier: durch die Entscheidung des Kammergerichts - , wie es § 49 Abs. 1 V e r f G H G für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde voraussetzt. Der Verfassungsgerichtshof ist auch keine zusätzliche gerichtliche Instanz, sondern gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte in seinem Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands,
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
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die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen. Der Anregung auf Aufklärung bezüglich einer ergänzenden Darlegung durch den Beschwerdeführer war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dem Verfassungsgerichtshof die vollständigen Akten der Ermittlungssache vorgelegen haben. Ein weiterer Aufklärungsbedarf ist nicht ersichtlich. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 52 VerfGHG kann schon deshalb nicht entsprochen werden, weil die Rechtsverfolgung, wie dargelegt, keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 114 Satz 1 ZPO). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Nr. 4 1) „Jedermann" im Sinne des § 49 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG ist jedenfalls derjenige, der Träger von in der Verfassung von Berlin verbürgten Grundrechten sein kann. In diesem Sinne grundrechtsfähig kann auch eine Fraktion in einer Bezirksverordnetenversammlung sein. 2) Ein von einer Fraktion in einer Bezirksverordnetenversammlung zulässigerweise eingeleitetes Verfassungsbeschwerdeverfahren kann dann, wenn diese Fraktion wegen Ablaufs der entsprechenden Wahlperiode ihre Parteifähigkeit eingebüßt hat, unter bestimmten Voraussetzungen von ihrer „Rechtsnachfolgerin" in der neu gewählten Bezirksverordnetenversammlung fortgesetzt werden. 3) Das Gebot der vorrangigen Erschöpfung des Rechtswegs in § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG wird eingeschränkt durch den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Erhebung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einer verwaltungsgerichtlichen Berufungsentscheidung ist dem Beschwerdeführer in diesem Sinne unzumutbar, wenn die Aussicht, dadurch die Eröffnung einer weiteren Instanz zu erreichen, offenbar unbegründet ist. 4) Erledigt sich das mit einer Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren im Laufe des Verfahrens in der Hauptsache, kann der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Verfassungsgerichtshofs haben, daß eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt des Landes Berlin
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ihn in einem seiner von der Verfassung von Berlin verbürgten Rechte verletzt hat. 5) Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit ergibt sich aus dem G r u n d s a t z der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (Art. 26 Abs. 1 VvB), ist wie dieser ein Anwendungsfall des in Art. 6 Abs. 1 V v B enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatzes und hat seinerseits G r u n d rechtscharakter. 6) Eine Auslegung des § 35 Abs. 2 BezVerwG dahin, die Ermittlung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen in der Bezirksverordnetenvers a m m l u n g zur A u s ü b u n g des Yorschlagsrechts bei der Bildung des Bezirksamts habe nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren zu erfolgen, ist aus der Sicht der Verfassung von Berlin nicht zu beanstanden. Falls sich nach dem Höchstzahlverfahren eine Pattsituation ergibt, verlangt die Verfassung von Berlin, das Vorschlagsrecht durch Los zu bestimmen. Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1, 26 Abs. 1, 53 Abs. 2, 54 Abs. 1, 87 a Abs. 2 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 49 Abs. 1 und 2 Bezirksverwaltungsgesetz § 35 Abs. 2 Urteil vom 19. Oktober 1992 - V e r f G H 24/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Fraktion der Christlich-Demokratischen Union in der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 1992 - 8 Β 31/91 Entscheidungsformel: Es wird festgestellt, daß das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 1 9 9 2 - 8 Β 31/91 - die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 der Verfassung von Berlin verletzt. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Die der Beschwerdeführerin erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse Berlin auferlegt.
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Gründe: I. Die Fraktion der Christlich-Demokratischen Union (CDU) in der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf, die aus der Wahl vom 29. Januar 1989 hervorgegangen ist, begehrte von dieser Bezirksverordnetenversammlung ohne Erfolg, das Nominierungsrecht für das 7. Mitglied des Bezirksamts Wilmersdorf von Berlin zur Auflösung einer durch die Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens bei der Wahl der Mitglieder des Bezirksamtes nach § 35 Abs. 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes eingetretenen Pattsituation durch Losentscheid zu ermitteln. § 35 des Bezirksverwaltungsgesetzes in der (insoweit unverändert gebliebenen) Fassung vom 5. Juli 1971 (GVBl. S. 1170) - BezVerwG - lautet: »S 3 5
(1) Die Bezirksverordnetenversammlung wählt die Mitglieder des Bezirksamts f ü r die Dauer der Wahlperiode (§ 5). (2) Das Bezirksamt soll aufgrund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem Stärkeverhältnis in der Bezirksverordnetenversammlung gebildet werden.
(3)··." Gegen das die Ablehnung ihres Begehrens bestätigende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 1992 richtet sich die Verfassungsbeschwerde. l a ) Aufgrund der am 29. Januar 1989 durchgeführten Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin entfielen in der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf 20 Sitze auf die CDU, 15 Sitze auf die SPD, 8 Sitze auf die AL und 2 Sitze auf die Republikaner. Unter Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens bei der Wahl der Mitglieder des Bezirksamtes nach § 35 Abs. 2 BezVerwG standen nach der übereinstimmenden Ansicht aller Fraktionen der C D U das Vorschlagsrecht für drei Bezirksamtsmitglieder, der SPD das Vorschlagsrecht für zwei Bezirksamtsmitglieder und der AL das Vorschlagsrecht für ein Bezirksratsmitglied zu. Mit Blick auf das 7. Bezirksamtsmitglied ergab sich bei Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens für die Fraktionen der C D U und der SPD dieselbe Höchstzahl, nämlich jeweils die Höchstzahl 5. Die Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf beschloß daraufhin in ihrer Sitzung vom 20. April 1989 mit den Stimmen der SPD- und der AL-Fraktion und gegen die Stimmen der Beschwerdeführerin, das Vorschlagsrecht für das 7. Bezirksamtsmitglied nach dem Verfahren der mathematischen Proportion (Hare-Niemeyer) - im folgenden: Hare-Niemeyer-Verfahren - zu ermitteln. Nach diesem Verfahren fiel das Vorschlagsrecht der SPD-Fraktion zu. Die Wahl der von dieser Fraktion
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daraufhin vorgeschlagenen drei Bezirksamtsmitglieder wurde anschließend durchgeführt. b) Das gegen die Nominierung und die Wahl des 7. Mitglieds des Bezirksamts Wilmersdorf von Berlin von der Beschwerdeführerin eingeleitete vorläufige Rechtsschutzverfahren blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Berlin hat durch Beschluß vom 11. April 1989 (VG 1 A 79/89) den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, das Oberverwaltungsgericht Berlin hat durch Beschluß vom 18. April 1989 ( O V G 8 S 98/89) die dagegen erhobene Beschwerde der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Auch im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren hatte die Beschwerdeführerin keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 27. Januar 1991 ( V G 1 A 80/89) das Begehren der Beschwerdeführerin abgewiesen, die Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf zu verurteilen, das Nominierungsrecht für die Wahl des 7. Mitglieds des Bezirksamts Wilmersdorf von Berlin für die aufgrund der Wahl vom 29. Januar 1989 laufende Wahlperiode durch Losentscheid erneut zu ermitteln und für den Fall, daß danach das Nominierungsrecht der Beschwerdeführerin zusteht, die Wahl aufgrund eines entsprechenden Vorschlags erneut durchzuführen. Durch Urteil vom 17. März 1992 ( O V G 8 Β 31/91) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin die Berufung der Beschwerdeführerin mit im wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen: Es entspreche gefestigter Rechtsprechung der Berliner Verwaltungsgerichte, daß die Ermittlung des Vorschlagsrechts der Fraktionen gemäß § 35 Abs. 2 B e z V e r w G nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren zu erfolgen habe. Ferner stehe nach dieser Rechtsprechung fest, daß sich die Bezirksverordnetenversammlung zur Auflösung einer bei Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens ergebenden Pattsituation eines anderen anerkannten Wahlsystems wie ζ. B. des Hare-Niemeyer-Verfahrens bedienen könne, dies jedoch nicht tun müsse. Der Versuch der Beschwerdeführerin, das Losverfahren zum allein gesetzmäßigen Verfahrensmodus zur Auflösung einer sich nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren ergebenden Pattsituation aufzuwerten, überzeuge nicht. Es könne keine Rede davon sein, daß nur die Anwendung des Losverfahrens dem verfassungsrechtlich garantierten Prinzip der formalen Gleichbehandlung der Parteien entspräche. 2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des ihrer Ansicht nach verfassungsrechtlich durch Art. 6 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) verbürgten Rechts der Chancengleichheit. Zur Begründung macht sie im wesentlichen geltend: a) Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig.
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Sie - die Beschwerdeführerin - sei aktivlegitimiert. Ihr könnten als Fraktion einer Bezirksverordnetenversammlung gemäß §§ 5 Abs. 3, 9 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 35 Abs. 2 BezVerwG eigene Rechte zustehen; insoweit könne sie auch Träger von in der Verfassung von Berlin verbürgten Grundrechten sein. D a s begründe ihre Aktivlegitimation für die vorliegende Verfassungsbeschwerde gemäß § 49 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof vom 8. November 1990 (GVBl. S. 2246), in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 11. Dezember 1991 (GVBl. S. 280) - V e r f G H G - . Mit Blick auf ihre Parteifähigkeit sei im übrigen ohne Belang, daß die Wahlperiode 1989, um die es hier geht, mit dem Zusammentritt der aus der Wahl vom 24. Mai 1992 hervorgegangenen Bezirksverordnetenversammlung beendet sei. Zwar sei es richtig, daß sie - die Beschwerdeführerin - nunmehr nicht mehr in der gleichen personellen Zusammensetzung wie vor dem Zusammentritt der bezeichneten Bezirksverordnetenversammlung existiere. D o c h komme dem schon deshalb keine zur Unzulässigkeit ihrer Beschwerde führende Bedeutung zu, weil ihr anderenfalls mit Rücksicht auf das Erfordernis der Erschöpfung des verwaltungsgerichtlichen Rechtswegs und die Dauer der verwaltungsgerichtlichen Verfahren faktisch die verfassungsrechtlich garantierte Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde verschlossen bliebe. Vorsorglich habe die aufgrund der Wahlen vom 24. Mai 1992 neu gewählte Fraktion der C D U in der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf beschlossen, das Verfassungsbeschwerdeverfahren fortzusetzen. Die Verfassungsbeschwerde sei fristgemäß ( § 5 1 Abs. 1 V e r f G H G ) eingelegt worden. Ihrer Zulässigkeit stehe nicht entgegen, daß sie - die Beschwerdeführerin - keine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin erhoben habe. D a im vorliegenden Fall eine Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet gewesen wäre, sei es ihr nicht zumutbar gewesen, sie überhaupt einzulegen. Schließlich bestehe auch ein Rechtsschutzinteresse für die Durchführung des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens. D a s von ihr im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren verfolgte Klagebegehren, die Korrektur der nach ihrer Ansicht rechtswidrigen Nominierung und Wahl des 7. Mitglieds des Bezirksamts Wilmersdorf durch die Bezirksverordnetenversammlung, habe sich zwischenzeitlich erledigt. Es gehe hier deshalb nicht mehr u m die Korrektur einer Rechtsverletzung zu ihren Lasten, sondern nur noch darum, verfassungsgerichtlich festzustellen, daß entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Berlin Nominierung und Wahl des 7. Mitglieds des Bezirksamts Wilmersdorf durch die Bezirksverordnetenversammlung in der vergangenen Wahlperiode rechtswidrig gewesen seien und sie dadurch in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 VvB verletzt worden sei. Das Bundesverfassungsgericht habe ein entscheidendes Kriterium für das Fortbestehen eines
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Rechtsschutzbedürfnisses trotz Erledigung des mit einer Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens darin gesehen, daß anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbleiben würde und der gerügte Eingriff ein besonders bedeutsames Grundrecht betreffe. Bei Anlegung dieses teils spezifisch für das Verfassungsbeschwerdeverfahren geltenden, teils an das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach § 113 Abs. 1 Satz 4 V w G O angelehnten Maßstabs könne das Rechtsschutzinteresse im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein. b) Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin verletze sie - die Beschwerdeführerin - in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 VvB. Das Gericht habe bei Auslegung und Anwendung der entscheidungserheblichen Vorschrift des § 35 Abs. 2 B e z V e r w G Inhalt, Bedeutung und Tragweite des Verfassungsprinzips der Chancengleichheit der politischen Parteien verkannt. Art. 6 Abs. 1 VvB enthalte - landesverfassungsrechtlich - den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien sei eine spezielle Ausprägung dieses allgemeinen Gleichheitssatzes; es gelte nicht nur für das Vorfeld der Wahlen (Wahlrecht im engeren Sinne, Wahlvorbereitungen, Wahlsendungen in Rundfunk und Fernsehen usw.), sondern auch für den Bereich der Wahlauswirkungen. Das aus der demokratisch-egalitären Grundlage der Verfassung von Berlin folgende Gebot einer formalen Gleichbehandlung aller Parteien gestatte eine unterschiedliche Behandlung nur ausnahmsweise dort, wo dies aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen gerechtfertigt sei. Der Gesetzgeber des § 35 Abs. 2 BezVerwG habe den Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien im Bereich der Wahlausübung verwirklicht. Alleiniger und demokratisch-egalitären Grundsätzen entsprechender Maßstab für die Bildung des Bezirksamts sei das Stärkeverhältnis der Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung. Zwar beantworte § 35 Abs. 2 BezVerwG nicht ausdrücklich die Frage, auf welche Weise eine Pattsituation zwischen zwei Fraktionen hinsichtlich des Nominierungsrechts für das 7. Bezirksamtsmitglied aufzulösen ist. Doch komme dafür aus verfassungsrechtlichen Gründen nur ein Verfahren in Betracht, das dem Grundsatz der Chancengleichheit Rechnung trägt. Ausgehend von der Tatsache, daß zwei Parteien bei einer Pattsituation die gleiche Ausgangsposition haben, sei mithin jeder Beschluß einer Bezirksverordnetenversammlung zur Pattauflösung und jede gerichtliche Billigung eines solchen Beschlusses verfassungswidrig, die die formale Gleichheit der beiden in Pattsituation stehenden Parteien ignorierten. Eine gleiche Ausgangsposition müsse zwingend die gleiche Chance beim Nominierungsrecht zur Folge haben. Dies sei allein beim Losentscheid der Fall, nicht je-
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doch bei dem von der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf beschlossenen und vom Oberverwaltungsgericht Berlin gebilligten Verfahren, das die 50 %ige Nominierungschance der SPD auf 100 % erhöhe und damit zugleich ihre - der Beschwerdeführerin - Nominierungschance auf Null reduziere. 3. Dem Senat von Berlin, der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf und der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. a) Die Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf äußert Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Sie meint, der Gesichtspunkt, daß nach dem Ende der Parteifähigkeit einer Fraktion mit Zusammentritt der neuen Vertretungskörperschaft die Nachfolgerin dieser Fraktion den Rechtsstreit fortsetzen kann, gelte nur für eine verfassungsrechtliche Organklage, nicht aber auch für eine Verfassungsbeschwerde. Im übrigen sei sie vor dem Berufungsgericht nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen. Dies habe die Beschwerdeführerin durch eine Nichtzulassungsbeschwerde rügen können. Da sie das unterlassen habe, sei der Rechtsweg noch nicht im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG ausgeschöpft. In der Sache teile sie die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Berlin in dem angegriffenen Urteil. b) Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf hat davon abgesehen, eine Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abzugeben.
II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. a) Die Beschwerde genügt den Anforderungen des § 21 Abs. 1 VerfGHG sowie dem Bezeichnungsgebot des § 50 VerfGHG. Mit ihr wird geltend gemacht, das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 1992 verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Chancengleichheit bei der Nominierung des 7. Bezirksamtsmitglieds für die Bildung des Bezirksamts, die die aus der Wahl vom 29. Januar 1989 hervorgegangene Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf - im folgenden: B W 1989 - vorzunehmen hatte. Der Ausschlußgrund des § 49 Abs. 1 letzter Halbsatz VerfGHG greift nicht ein. Die Frist des § 51 Abs. 1 Satz 1 VerGHG ist eingehalten. b) Die Beschwerdeführerin, die Fraktion der C D U in der B W 1989, war im Zeitpunkt des Eingangs ihrer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof am
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9. Juni 1992 parteifähig; sie war im Sinne des § 49 Abs. 1 VerfGHG beschwerdebefugt. Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein; zu diesen Rechten zählt das nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin von der Verfassung von Berlin verbürgte Grundrecht der politischen Parteien auf Chancengleichheit als Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 6 Abs. 1 VvB). Jedermann im Sinne des § 49 Abs. 1 VerfGHG ist jedenfalls derjenige, der Träger von in der Verfassung von Berlin verbürgten Grundrechten sein kann, also grundrechtsfähig ist; im Rahmen einer - wie hier - auf die Verletzung von Grundrechten gerichteten Verfassungsbeschwerde hängt die Parteifähigkeit von der Grundrechtsfähigkeit ab. Die Beschwerdeführerin ist grundrechtsfähig, sie erfüllt die Anforderungen des Merkmals jedermann in § 49 Abs. 1 VerfGHG. Grundrechtsfähig sind zweifelsfrei natürliche Personen. Dazu, wer im übrigen grundrechtsfähig sein kann, äußert sich die Verfassung von Berlin nicht ausdrücklich. Das mag jedoch im einzelnen auf sich beruhen. Denn als grundrechtsfähig sind jedenfalls solche juristischen Personen und nicht rechtsfähigen Gebilde anzusehen, die sich nach dem in der Verfassung von Berlin zum Ausdruck kommenden Willen des Landesverfassungsgebers auf die Einhaltung von Individualrechten, wie etwa dem Grundrecht auf Gleichbehandlung im Rahmen der Ausübung eines ihnen vom Landesrecht eingeräumten Rechts, sollen berufen können. Das trifft unter anderem zu auf die Beschwerdeführerin, eine Zusammenfassung der Vertreter der Partei CDU, die kraft der Anordnung in § 5 Abs. 3 BezVerWG in der Bezirksverordnetenversammlung unter der Bezeichnung „Fraktion" der C D U firmiert. Gemäß Art. 53 Abs. 2 und 3 VvB wählt die Bezirksverordnetenversammlung die Mitglieder des Bezirksamts nach Maßgabe der Regelungen eines einfachen Gesetzes. § 35 Abs. 2 BezVerwG räumt den Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung das Recht ein, entsprechend ihrem Stärkeverhältnis Vorschläge für die Wahl der Mitglieder des Bezirksamts zu unterbreiten. Der Zusammenhang dieser sowie der sonstigen die Bezirksverordnetenversammlung betreffenden Vorschriften in der Verfassung von Berlin (vgl. Art. 53 ff. VvB) und im Bezirksverwaltungsgesetz (§ 35 BezVerwG) drängt die Annahme auf, es entspreche dem Willen des Berliner Verfassungsgebers, daß die Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung als Erscheinungsform politischer Parteien im Rahmen der Ausübung von ihnen eingeräumten Rechten zumindest mit Blick auf ein etwaiges Grundrecht auf Chancengleichheit grundrechtsfähig sein sollen. Dieser Annahme steht nicht entgegen, daß die unter anderem der Beschwerdeführerin vom Bezirksverwaltungsgesetz und namentlich der Ge-
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schäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung eingeräumten Rechte und übertragenen Aufgaben auf dem öffentlichen Recht angehörenden Vorschriften beruhen und die etwa von der Beschwerdeführerin ausgeübten Tätigkeiten ganz überwiegend dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzuordnen sind. Zwar ist es richtig, daß die Grundrechte im Grundsatz Abwehr-, Leistungs- und Teilhaberechte der Bürger und ihrer Zusammenschlüsse gegen den Staat darstellen und deshalb grundsätzlich dem Staat und seinen Untereinheiten eine Grundrechtsfähigkeit dort zu versagen ist, wo sie öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllen (vgl. zum Bundesrecht unter anderem BVerfGE 21, 362, 369 ff.; 35,263, 271 f.; 38,175, 184). Richtig ist auch, daß politischen Parteien und ihren Untergliederungen mangels Grundrechtsfähigkeit der Weg in eine Verfassungsbeschwerde versperrt ist, wenn sie um ihre Teilhabe am Verfassungsleben, d. h. um die Mitwirkung bei der Staatswillensbildung, streiten (vgl. zum Bundesrecht etwa BVerfGE 6, 371 ff., 372). Darum aber geht es hier offensichtlich nicht. Zum einen ist die Beschwerdeführerin nicht dem Staat oder einer seiner Untereinheiten zuzuordnen, sondern besteht unabhängig von ihm als von Bürgern eines bestimmten Bezirks gewählte Gruppierung, der vom einfachen Gesetz für die Bildung des Bezirksamts ein Nominierungsrecht verliehen worden ist. Und zum anderen macht die Beschwerdeführerin nicht die Verletzung eines verfassungsrechtlichen Status geltend, sie rügt nicht die Verletzung eines Mitwirkungsrechts an der Staatswillensbildung, sondern eine Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit auf einer gleichsam niedrigeren Stufe, nämlich der Bildung eines Verwaltungsorgans. Das Berufungsgericht hat den vorstehenden Überlegungen entsprechend erkannt, es habe sich bei dem dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren vorangegangenen, seinerzeit von ihm zu beurteilenden Verfahren zwischen der Beschwerdeführerin und der B W 1989 um ein verwaltungsrechtliches Organstreitverfahren, um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 VwGO gehandelt. Dem ist beizupflichten. Das schließt zugleich die Annahme aus, die Verfassungsbeschwerde könnte hier deshalb unzulässig sein, weil das Begehren der Beschwerdeführerin im Wege eines verfassungsrechtlichen Organstreitverfahrens nach §§14 Nr. 1, 36 ff. VerfGHG hätte verfolgt werden können (vgl. in diesem Zusammenhang im einzelnen Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 39/92 -*). c) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß die Beschwerdeführerin, die Fraktion der C D U in der B W 1989, mit Ablauf der Wahlperiode der B W 1989, d. h. nach Maßgabe des Art. 87a Abs. 2 VvB spätestens am 30. Juni 1989, rechtlich weggefallen ist und damit zugleich *
Siehe Seite 40.
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ihre Parteifähigkeit eingebüßt hat. Denn die Fraktion der C D U in der aus den Wahlen vom 24. Mai 1992 hervorgegangenen Bezirksverordnetenversammlung hat ausdrücklich die Fortsetzung des Verfahrens erklärt. Das reicht unter den hier obwaltenden Umständen aus, um annehmen zu können, das unter dem Blickwinkel der Parteifähigkeit ursprünglich zulässige Beschwerdeverfahren dürfe zulässigerweise weitergeführt werden. Fachgerichtliche und verfassungsgerichtliche Verfahren nehmen typischerweise einige Zeit in Anspruch, so daß insbesondere die Verfahrensbeteiligten, deren Lebensdauer von der Dauer einer Wahlperiode abhängig ist, faktisch deshalb weitgehend gehindert wären, die Klärung einer klärungsbedürftigen verfassungsrechtlichen Rechtsfrage zu betreiben, weil sie Gefahr laufen, vor Beendigung dieser Auseinandersetzung ihre Parteifähigkeit einzubüßen. Aus diesem Grunde ist ζ. B. für eine von einer Bundestagsfraktion angestrengte bundesverfassungsrechtliche Organstreitigkeit anerkannt, daß dieses Verfahren dann, wenn es bis zum Ende der Legislaturperiode des betreffenden Bundestages nicht abgeschlossen worden ist, von der entsprechenden Fraktion des neuen Bundestages fortgesetzt werden kann (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Kommentar zum BVerfGG, § 63 Rdn. 11). Nichts anderes gilt für verfassungsrechtliche Organstreitigkeiten nach §§ 36 ff. VerfGHG und darüber hinaus für sich - wie hier - als Verfassungsbeschwerdeverfahren fortsetzende verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten. Insbesondere in letzteren Fällen, in denen ein in seiner Parteifähigkeit von der Dauer seiner Wahlperiode abhängiger Träger von Grundrechten eine verfassungsrechtliche Uberprüfung erst nach Erschöpfung des Verwaltungsrechtswegs betreiben kann (vgl. § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG), bestünde anderenfalls stets die Gefahr, daß das Verfassungsbeschwerdeverfahren wegen eines Verlustes der Parteifähigkeit vorzeitig endet. Vor diesem Hintergrund ist bei Verfahren der in Rede stehenden Art unter der Voraussetzung, daß eine Klärung verfassungsrechtlich bedeutsamer Fragen zu erwarten ist, ein dringendes Bedürfnis daran anzuerkennen, daß (weitläufig angelehnt an den Gedanken des § 239 ZPO) der „Rechtsnachfolger" des jeweiligen Verfahrensbeteiligten den durch den Verlust von dessen Parteifähigkeit gleichsam „unterbrochenen" Rechtsstreit fortführen kann. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Klärung der Frage, ob die Auslegung, die § 35 Abs. 2 BezVerwG mit Blick auf die Auflösung einer Pattsituation bei der Nominierung und Wahl eines 7. Bezirksamtsmitglieds durch das Oberverwaltungsgericht Berlin erfahren hat, mit der Verfassung von Berlin vereinbar ist, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Das bedarf im Hinblick auf die Vielzahl der in der Vergangenheit geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren und die Unsicherheiten, die sich insoweit in der Folge der Bezirksverordnetenwahlen vom 24. Mai 1992 ergeben haben, keiner Vertiefung.
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d) Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde scheitert auch nicht daran, daß die Beschwerdeführerin davon abgesehen hat, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 17. Mai 1992 einzulegen. Der Rechtsweg ist nämlich im vorliegenden Fall gleichwohl erschöpft im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 V e r f G H G . Zwar trifft es zu, daß der Rechtsweg grundsätzlich so lange nicht erschöpft ist, als der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, im Verfahren vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweigs die Beseitigung des Hoheitsaktes zu erreichen, dessen Grundrechtswidrigkeit er geltend macht (ebenso zu § 90 Abs. 2 Satz 1 B V e r f G G unter anderem B V e r f G E 8, 222). Zutreffend ist ferner, daß die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eine Möglichkeit ist, eine angeblich durch ein Berufungsurteil bewirkte Grundrechtsverletzung zu beseitigen. Allerdings wird das Gebot der vorrangigen Erschöpfung des Rechtswegs durch den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit eingeschränkt und ist die Erhebung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem verwaltungsgerichtlichen Berufungsurteil dem Beschwerdeführer unzumutbar, wenn die Aussicht, dadurch die Eröffnung einer weiteren Instanz zu erreichen, offenbar unbegründet ist (vgl. ebenso zum Bundesrecht unter anderem B V e r f G E 16, 1, 3). So liegen die Dinge hier. Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens ist gemäß § 137 Abs. 1 V w G O revisibles Recht. Deshalb ist eine Nichtzulassungsbeschwerde in der Regel offenbar unbegründet, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts ausschließlich auf die Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts gestützt ist. Eine Ausnahme davon gilt dann, wenn Anlaß für die Annahme besteht, das Berufungsurteil könne auf einem Verfahrensmangel beruhen und deshalb könne eine Zulassung der Revision nach § 1 3 2 Abs. 2 N r . 3 V w G O in Betracht kommen. D a s Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin verhält sich im vorliegenden Fall ausschließlich zu irrevisiblem Landesrecht, so daß eine insoweit erhobene Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Bezirksverordnetenversammlung Wilmersdorf besteht hier auch kein Anlaß zu der Annahme, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin könnte gemäß § 132 Abs. 2 N r . 3 V w G O deshalb erfolgreich gewesen sein, weil sie - die Bezirksverordnetenversammlung - nach ihrem Vorbringen vor dem Berufungsgericht nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen ist. Denn der Mangel einer gesetzeswidrigen Vertretung kann nur von der nicht vorschriftsmäßig vertretenen Partei, nicht aber auch vom Gegner mit Erfolg geltend gemacht werden, weil das Erfordernis der ordnungsgemäßen Vertretung nur dem Schutz der zu vertretenden Partei dient (vgl. unter anderem B F H E 96, 385, 387; B G H Z 63, 78, 79 und BVerwG, Beschluß vom 21. August 1992 B V e r w G 8 B 118.92-).
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e) Schließlich besteht weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis an der von der Beschwerdeführerin erstrebten verfassungsgerichtlichen Entscheidung. Zwar hat sich das ursprünglich mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren, unter Aufhebung des angegriffenen Berufungsurteils (vgl. § 54 Abs. 3 VerfGHG) eine Verurteilung der B W 1989 zu erreichen, das Nominierungsrecht für die Wahl des 7. Mitglieds des Bezirksamts Wilmersdorf für die durch die Wahl vom 29. Januar 1989 begründete Wahlperiode durch Losentscheidung neu zu ermitteln und für den Fall, daß danach ihr - der Beschwerdeführerin - das Nominierungsrecht zusteht, die Wahl aufgrund eines entsprechenden Vorschlags erneut durchzuführen, durch Zeitablauf in der Hauptsache erledigt. Denn nach Ablauf der Wahlperiode der B W 1989 nach Maßgabe des Art. 87a Abs. 2 Satz 1 VvB hat diese Bezirksverordnetenversammlung ihre Existenz mit der Folge eingebüßt, daß kein Raum mehr für die erstrebte Verurteilung ist. Das Interesse der Beschwerdeführerin hat sich nunmehr auf das Begehren beschränkt festzustellen, daß das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin sie in dem von ihr reklamierten Grundrecht auf Chancengleichheit verletzt, weil es zu Unrecht das von der B W 1989 bestimmte Verfahren zur Nominierung und Wahl des 7. Bezirksamtsmitglieds gebilligt hat. Dafür ist ein Rechtsschutzbedürfnis anzuerkennen. Ebenso wie bei der Verfassungsbeschwerde des Bundes (vgl. dazu Maunz/Schmidt-Bleib treu/Klein/Ulsamer, aaO, § 9 Rdn. 184 mit weiteren Nachweisen) ist auch bei der Verfassungsbeschwerde nach §§ 49 ff. VerfGHG das Fortbestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses anzunehmen, wenn trotz Erledigung der Hauptsache ein besonderes Bedürfnis für eine Entscheidung des Verfassungsgerichts besteht. Das trifft unter anderem zu, wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbleiben würde und der gerügte Eingriff ein besonders bedeutsames Grundrecht betrifft (vgl. ebenso zum Bundesrecht BVerfGE 33, 247, 257 f. mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Denn bei der in diesem Verfahren zu beantwortenden Frage geht es - wie bereits gesagt - um eine klärungsbedürftige verfassungsrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Überdies handelt es sich bei dem von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Grundrecht auf Chancengleichheit - sofern ein solches Recht in der Verfassung von Berlin verbürgt ist - um ein im demokratischen Rechtsstaat besonders bedeutsames Grundrecht. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet; die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 1992 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Chancengleichheit. a) Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. unter anderem Beschlüsse vom 2. Juli 1 9 8 5 - 8 S 208/85-und vom 22. Juni
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1988 - 8 Β 27/87-) entschieden, die Ermittlung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung zur Ausübung des Vorschlagsrechts bei der Bildung des Bezirksamts habe nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren zu erfolgen. Dieses in Auslegung und Anwendung des § 35 Abs. 2 BezVerwG vom Oberverwaltungsgericht Berlin gefundene Ergebnis ist aus der Sicht des Berliner Landesverfassungsrechts nicht zu beanstanden (vgl. dazu im einzelnen Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 39/92 - * ) . b) Das Oberverwaltungsgericht Berlin ist - in Ubereinstimmung unter anderem mit der B W 1989 - davon ausgegangen, § 35 Abs. 2 BezVerwG räume einer Bezirksverordnetenversammlung für den Fall, daß die Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens bei der Ermittlung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen mit Blick auf ζ. B. das 7. Bezirksamtsmitglied zu einer Pattsituation führt, d. h. auf (mindestens) zwei Fraktionen die gleiche Höchstzahl entfällt, die Befugnis, ad hoc ein Verfahren zur Auflösung dieser Pattsituation zu bestimmen. Diese Auffassung ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, sie verletzt das von der Verfassung von Berlin verbürgte, bei der Bildung des Bezirksamts auch zugunsten der Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung wirkende Grundrecht auf Chancengleichheit der politischen Parteien. Der Verfassung von Berlin wird nur eine Auslegung des § 35 Abs. 2 BezVerwG dahin gerecht, daß diese einfachgesetzliche Vorschrift selbst das Verfahren zur Auflösung einer etwaigen Pattsituation abschließend festlegt, und zwar ein Verfahren, das seinerseits den Anforderungen des Grundrechts auf Chancengleichheit genügt. Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit ist zwar in der Verfassung von Berlin nicht ausdrücklich statuiert. Es ergibt sich aber aus dem Grundsatz der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (Art. 26 Abs. 1 VvB), ist wie dieser ein Anwendungsfall des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatzes und hat seinerseits Grundrechtscharakter (vgl. ebenso zum Bundesrecht unter anderem BVerfGE 24, 300, 340 und zum bayerischen Landesrecht BayVerfGH in BayVBl. 1977, 271, 273). Der in Art. 26 Abs. 1 VvB verankerte Grundsatz der formalen Wahlgleichheit gebietet, daß alle Wahlberechtigten das aktive und passive Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben und die Stimmen grundsätzlich den gleichen Erfolgswert haben. Er beansprucht ebenso wie der mit ihm auf das engste zusammenhängende Grundsatz der Chancengleichheit nach der Verfassung von Berlin nicht nur Geltung bei der Wahl des Abgeordnetenhauses, sondern gemäß Art. 54 Abs. 1 VvB auch bei der Wahl der Bezirksverordnetenversammlung. Uber diese Wahlen hinaus gelten diese Grundsätze als ungeschriebenes Versiehe Seite 40.
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fassungsrecht auch für politische Abstimmungen in den von Wahlberechtigten gewählten Parlamenten, ζ. B. für Abstimmungen über die Zuteilung von Sitzen in Ausschüssen und sonstigen Gremien (vgl. in diesem Zusammenhang zum Bundesrecht unter anderem BVerfGE 51, 222, 234 mit weiteren Nachweisen und zum bayerischen Landesrecht BayVerfGH in BayVBl. 1977, 271, 273). Als eine solche Abstimmung ist kraft Berliner Verfassungsrechts (vgl. Art. 53 Satz 2 VvB) die Wahl des Bezirksamts zu verstehen. Da diese Abstimmung von den Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung vorzunehmen ist, wirkt namentlich der Grundsatz der Chancengleichheit in diesem Rahmen auch zu ihren Gunsten. Der verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz der Chancengleichheit gebietet im Zusammenhang mit der Bildung des Bezirksamts, daß ein Verfahren zur Auflösung einer sich bei Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens (oder auch des Hare-Niemeyer-Verfahrens) ergebenden Pattsituation schon vor der Wahl der betreffenden Bezirksverordnetenversammlung festgelegt sein muß. Denn nur auf diese Weise ist sichergestellt, daß die Bestimmung eines solchen Verfahrens einer Entscheidung nach Maßgabe der jeweiligen Mehrheitsverhältnisse in der Bezirksverordnetenversammlung entzogen ist. Es entspricht nämlich der Lebenserfahrung, daß sich die Mehrheit typischerweise für ein Verfahren zur Auflösung einer Pattsituation entscheidet, durch das gewährleistet ist, daß das umstrittene Vorschlagsrecht für die Wahl eines Bezirksamtsmitglieds unabhängig von dem Stärkeverhältnis der einzelnen Fraktionen untereinander auf eine der Mehrheit angehörende Fraktion entfällt. Das aber ist mangels eines dies rechtfertigenden Grundes nicht mit dem Grundsatz der Chancengleichheit vereinbar. Im übrigen hat der Berliner Verfassungsgeber in Art. 53 Satz 3 VvB angeordnet, daß das Nähere der Wahl der Mitglieder des Bezirksamts durch Gesetz zu regeln ist. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, daß für diese Wahl in allen Bezirken Berlins einheitliche Regeln maßgeblich sein sollen. Von dem Begriff „Nähere" ist umfaßt nicht nur sozusagen das Grundverfahren der Wahl, sondern auch die im Einzelfall erforderliche Methode zur Auflösung einer etwaigen Pattsituation. Der eine wie der andere Gesichtspunkt schließt die Annahme aus, eine Bezirksverordnetenversammlung sei befugt, selbst über ein Verfahren zur Auflösung einer etwaigen Pattsituation zu befinden. Vielmehr ist ein solches Verfahren durch Auslegung des § 35 Abs. 2 BezVerwG unter Berücksichtigung namentlich der Anforderungen des Rechts der Fraktionen auf Chancengleichheit zu ermitteln. c) Die Verfassungsbeschwerde wäre im Ergebnis gleichwohl unbegründet, wenn die Beschwerdeführerin durch das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin deshalb nicht in ihrem Recht auf Chancengleichheit
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verletzt sein sollte, weil das von der B W 1989 zur Auflösung der in Rede stehenden Pattsituation gewählte Hare-Niemeyer-Verfahren den Anforderungen des als ungeschriebenes Verfassungsrecht geltenden Grundsatzes der Chancengleichheit der Fraktionen genügte. Das ist indes nicht der Fall. Vielmehr wird diesen Anforderungen einzig das Losverfahren gerecht. D e r Landesgesetzgeber hat nach der - wie bereits gesagt - verfassungsrechtlich unbedenklichen Auslegung des § 35 Abs. 2 B e z V e r w G durch das Oberverwaltungsgericht Berlin in dieser Vorschrift angeordnet, die Ermittlung des Stärkeverhältnisses zur Bestimmung des Vorschlagsrechts der Fraktionen für die Bildung des Bezirksamts habe durch das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren zu erfolgen. Ergibt die Anwendung dieses Maßstabs mit Blick auf - wie hier - das 7. Bezirksamtsmitglied für zwei Fraktionen die gleiche Höchstzahl (Pattsituation), sind die beiden betreffenden Parteien insoweit kraft der bindenden Bewertung durch das Gesetz ungeachtet des Umstands gleich stark, daß die eine oder andere von ihnen tatsächlich mehr Wähler oder gar mehr Mitglieder in der Bezirksverordnetenversammlung hat. Von dieser und nur von dieser Basis ist für die Beantwortung der Frage auszugehen, welches Verfahren zur Auflösung der Pattsituation den Anforderungen des Grundrechts auf Chancengleichheit der beiden betroffenen Fraktionen entspricht. Das kann ausschließlich ein Verfahren sein, das den beiden kraft der gesetzlichen Bewertung gleich starken Fraktionen rechnerisch gleich hohe E r folgschancen vermittelt, das streitige Nominierungsrecht für das 7. Bezirksamtsmitglied zu erhalten. Dazu ist lediglich das Losverfahren geeignet. Denn bei jedem anderen Verfahren - sei es das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren, sei es das Hare-Niemeyer-Verfahren - steht mit der Entscheidung für dieses Verfahren im Einzelfall das bei dessen Anwendung sich ergebende Ergebnis fest. Die Entscheidung für ein solches Verfahren beinhaltet zugleich die Entscheidung für ein bestimmtes Ergebnis im Einzelfall, sie eröffnet einem Beteiligten eine Erfolgschance von 100 v. H., also eine Gewißheit, und beläßt dem anderen folglich nicht die geringste Chance. Es fehlt an einem Grund, der eine derartige Ungleichbehandlung zweier nach der Bewertung des Gesetzes gleich starker Fraktionen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen vermag. Das Oberverwaltungsgericht Berlin räumt zwar ebenfalls ein, daß das von der B W 1989 für die Auflösung der Pattsituation gewählte Hare-NiemeyerVerfahren zu einer unverhältnismäßigen Begünstigung der SPD-Fraktion und folglich zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung der Beschwerdeführerin geführt hat. Es meint allerdings, diese Ungleichbehandlung sei gerechtfertigt, weil das Hare-Niemeyer-Verfahren ein rationales Prinzip zur Auflösung der Pattsituation sei, d. h., weil sachlich einleuchtende Gründe für die Entscheidung zugunsten dieses Verfahrens sprächen. Diese am allgemeinen Gleichheitssatz und dem Willkürverbot orientierte Betrachtungsweise hält
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einer Überprüfung am Maßstab des Grundrechts der politischen Parteien auf Chancengleichheit nicht stand. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB verbietet dem Gesetzgeber lediglich eine willkürliche Gleichbehandlung (im wesentlichen) ungleicher und eine willkürliche Ungleichbehandlung (im wesentlichen) gleicher Sachverhalte; er verlangt - verkürzt ausgedrückt - nicht mehr und nicht weniger als die Abwesenheit von Willkür. Die sich daraus ergebende Grenze wird deshalb erst dort überschritten, wo ein sachlich einleuchtender, rechtfertigender Grund für eine Differenzierung bzw. Gleichbehandlung fehlt (ebenso zum Bundesrecht unter anderem BVerfGE 17, 319, 330). Nur die Einhaltung dieser äußersten Grenze ist unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes zu prüfen, nicht aber auch, ob im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gewählt worden ist. Etwas anderes gilt indes für den Grundsatz der Gleichheit der Wahl (vgl. Art. 26 Abs. 1 und 54 Abs. 1 VvB) und den damit auf das engste im Zusammenhang stehenden Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien. Zwar handelt es sich bei diesen beiden Grundsätzen - wie dargelegt - um Anwendungsfälle des allgemeinen Gleichheitssatzes. Doch unterscheiden sie sich von dem allgemeinen Gleichheitssatz durch ihren formalen Charakter. Dieser Unterschied zwingt mit Blick auf alle mit Wahlen zusammenhängenden Fragen grundsätzlich zu einer schematischen Gleichheit. Deshalb bedürfen in diesem Bereich zu Ungleichbehandlungen führende Bestimmungen stets eines besonderen, rechtfertigenden, zwingenden Grundes (vgl. zum Bundesrecht unter anderem BVerfGE 51, 222,235 mit weiteren Nachweisen). Der Gesetzgeber muß - mit anderen Worten - bei einschlägigen Regelungen beachten, daß ihm insoweit enge Grenzen gezogen sind und ihm jede unterschiedliche Behandlung von Parteien verfassungskräftig versagt ist, die sich nicht durch einen zwingenden Grund rechtfertigen läßt (ebenso zum bayerischen Landesrecht BayVerfGH in BayVBl. 1977, 271, 273). An einem derartigen, ausnahmsweise eine Durchbrechung des Grundsatzes der Chancengleichheit erlaubenden Grund fehlt es hier. Mit dem Losverfahren steht ein verfassungsrechtlich zulässiges, geeignetes und einfach handhabbares Verfahren zur Verfügung, das den - im vorliegenden Fall - zwei betroffenen Fraktionen bei der Auflösung der Pattsituation rechnerisch gleich hohe Erfolgschancen zur Erlangung des Nominierungsrechts für das 7. Bezirksamtsmitglied vermittelt. Zwingende Gründe, die die Anwendung des Losverfahrens ausschließen und deshalb die Anwendung des Hare-NiemeyerVerfahrens zulassen könnten, sind nicht ersichtlich. Daß das Losverfahren ein verfassungsrechtlich unbedenkliches und überdies geeignetes Verfahren zur Auflösung einer Pattsituation ist, wird auch vom Oberverwaltungsgericht Berlin anerkannt. Dies Verfahren stellt - wie namentlich § 73 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 LWahlO deutlich macht - ein im Ber-
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liner Wahlrecht übliches Verfahren zur Auflösung einer weder bei Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens noch bei Anwendung des Hare-Niemeyer-Verfahrens auszuschließenden Pattsituation für die Verteilung von Mandaten auf verschiedene Bewerber dar; entsprechendes gilt für das Bundeswahlrecht (vgl. § 5 Satz 3 BWG). Auch nach § 32 Abs. 4 H R G kann für die Entscheidung zwischen ranggleichen Studienbewerbern die Auswahl durch das Los vorgesehen werden. Überdies hat es etwa das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 84, 9, 24) erst jüngst beim Streit um den Namen von Kindern aus Ehen, in denen sich die Eheleute nicht auf einen gemeinsamen Ehenamen einigen konnten, für sachgerecht gehalten, den Kindern vorläufig einen Doppelnamen zu geben, und den Standesbeamten hierfür die Reihenfolge der Namen durch Los ermitteln lassen. Mit diesem Verfahren werde kein Elternteil benachteiligt, wie es etwa bei einer alphabetischen Reihenfolge der Fall wäre. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 33 V e r f G H G , die über die Auslagen der Beschwerdeführerin auf § 34 Abs. 1 V e r G H G . Dieses Urteil ist unanfechtbar.
Abweichende Meinung des Richters Kunig 1. Die Verfassungsbeschwerde ist nach meiner Auffassung unzulässig, weil die Beschwerdeführerin im Verfahren der Verfassungsbeschwerde nicht beteiligtenfähig ist. Dem Verfassungsgerichtshof war daher die von ihm getroffene stattgebende Sachentscheidung verwehrt. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin richtet sich nach den §§ 49 bis 51 V e r f G H G . § 49 Abs. 1 V e r f G H G bestimmt, daß jeder mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde erheben kann. Diese Vorschrift regelt die Beteiligtenfähigkeit für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde, bezeichnet den Beschwerdegegenstand sowie die Prüfungsmaßstäbe und bestimmt darüber hinaus die Anforderungen an die Beschwerdebefugnis. Der Beschwerdeführerin des vorliegenden Verfahrens fehlt die Beteiligtenfähigkeit. 2. Die Fähigkeit, im Verfahren der Verfassungsbeschwerde Rechte geltend zu machen, hat nur, wer selbst Träger dieser Rechte ist (vgl. für das Bundesrecht Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991, Rdn. 361 f. m. w. Nachw.). Insofern prägt der Prüfungsmaßstab die Anforderungen
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an die Beteiligtenfähigkeit (vgl. für das Bundesrecht Pestalozza, prozeßrecht, 3. Aufl., 1991, § 12, Rdn. 18).
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a) Die Wendung „seine Rechte" in § 49 Abs. 1 VerfGHG meint die Grundrechte, die in der Verfassung von Berlin enthalten sind - dies unzweifelhaft in einem weiten, also auch sogenannte grundrechtsgleiche Rechte umfassenden Sinne. Einbezogen sind also nicht nur Rechte, die im II. Abschnitt (Die Grundrechte) der Verfassung von Berlin angesiedelt sind, sondern - beispielsweise - auch die Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 26 Abs. 1 VvB oder das Recht auf einen Strafverteidiger aus Art. 65 Abs. 1 VvB. Die Rechtslage ist damit derjenigen nach dem Bundesrecht vergleichbar. Zwar verzichten Art. 72 Abs. 2 Nr. 4 VvB und § 49 Abs. 1 VerfGHG auf die enumerative Regelungstechnik, die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 G G bzw. § 90 Abs. 1 BVerfGG gewählt worden ist. Die Berliner Vorschriften zählen die rügefähigen Rechte nicht im einzelnen auf, sondern lassen es bei der Formulierung (seine) „Rechte" bewenden. Dies geschieht allerdings unter Verwendung der Verfahrensbezeichnung „Verfassungsbeschwerde" und in im übrigen offenkundiger Anlehnung an den Wortlaut des Bundesrechts. Damit reiht sich der Berliner Gesetzgeber erkennbar in die deutsche Prozeßrechtstradition ein. „Jedermann" im Sinne von § 49 Abs. 1 VerfGHG ist dementsprechend - der Verfassungsgerichtshof hat dies bisher der Sache nach offengelassen (vgl. das Urteil vom gleichen Tage - VerfGH 36/ 92 - ) nach meiner Auffassung (nur) jeder Grundrechtsträger und jeder Träger als grundrechtsgleich zu qualifizierender Rechte. Diese Sichtweise wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Anhaltspunkte dafür, daß der Berliner Gesetzgeber andere Wege hätte beschreiten wollen, sind mir nicht ersichtlich. So hatte ein von der Fraktion der C D U dem Abgeordnetenhaus vorgelegter Entwurf eines VerfGHG (AH-Drs. 11/ 1066) ausdrücklich von „Grundrechten" gesprochen und jedermann für berechtigt erklärt, insoweit Verfassungsbeschwerde zu erheben (§18 des Entwurfs). Dem war die Mehrheit des Abgeordnetenhauses zwar nicht gefolgt. Der derzeit geltende § 49 Abs. 1 VerfGHG geht vielmehr auf einen Entwurf zurück, den die Fraktionen der SPD und der Grünen/AL gemeinsam eingebracht hatten (AH-Drs. 11/1113, § 50 Abs. 1 des Entwurfs). Es ist aber nirgends zu erkennen, daß die Entscheidung der Ausschüsse und des Plenums des Abgeordnetenhauses für den letztgenannten Entwurf auf irgendwelche im vorliegenden Zusammenhang bedeutsame Differenzen zurückgingen. Vielmehr wurde die Übereinstimmung in der Sache betont und von der Mehrheit darauf verwiesen, der CDU-Entwurf sei „umständlich", wohingegen der Entwurf der den seinerzeit amtierenden Senat stützenden Fraktionen die Qualität aufweise, für den Bürger leichter verständlich zu sein (so etwa die Äußerung der Abgeordneten Künast auf der 31. Sitzung des Rechtsausschusses vom
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18. 10. 1990). Auch in den Beratungen zu Art. 72 VvB in der derzeit geltenden Fassung ist, soweit ersichtlich, nicht erwogen worden, mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbare Rechte sollten andere Rechte sein als Grundrechte. Laut dem Wortprotokoll des Ausschusses für die Vorbereitung der Einheit Berlins (West), 6. Sitzung vom 13. Juli 1990, benannte etwa der Abgeordnete Dr. Körting einzelne Meinungsunterschiede, wobei es aber darum ging, ob überhaupt eine Individualverfassungsbeschwerde eingeführt und in welches Verhältnis sie zur bundesrechtlich eröffneten Verfassungsbeschwerde gebracht werden solle. Auf das Bestehen eines Konsenses zu der Frage, welche Rechte mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden können und wer demzufolge in diesem Verfahren beteiligtenfähig ist, deutet schließlich wohl auch die Bemerkung des Abgeordneten Dr. Finkelnburg in der Plenardebatte des Abgeordnetenhauses vom 30. August 1990 (Prot. S. 1972), wonach in Berlin die Verfassungsbeschwerde „der Bürger" ermöglicht werden solle. Die Entstehungsgeschichte bestätigt also, worauf bereits der Wortlaut der Vorschriften in seiner Gesamtheit deutet: Rügefähig im Verfahren nach Art. 72 Abs. 2 Nr. 4 VvB und gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG sind ausschließlich Grundrechte und ihnen vergleichbare Rechte. b) Die Beschwerdeführerin rügt allerdings durchaus die Verletzung eines Grundrechts, nämlich des in Art. 6 Abs. 1 VvB enthaltenen Gleichheitssatzes, und beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf den Grundsatz der „Chancengleichheit der politischen Parteien". Sie hält sich für grundrechtsfähig, wobei sie sich zur Begründung auf Vorschriften des einfachen Rechts beruft. Die Mehrheit des Verfassungsgerichtshofes leitet die Grundrechtsfähigkeit der beschwerdeführenden Fraktion vor allem daraus ab, daß diese sich als „Zusammenfassung der Vertreter" der C D U in der Bezirksverordnetenversammlung darstelle; die C D U „firmiere" dort als Fraktion. Diese Sichtweisen sind nicht tragfähig. Träger von Grundrechten sind natürliche Personen und, soweit das Wesen einzelner Grundrechte dies zuläßt (vgl. für das Bundesrecht Art. 19 Abs. 3 GG), auch jedenfalls inländische juristische Personen des Privatrechts sowie auch nicht oder nur teilweise rechtsfähige Gebilde. Juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann nur höchst ausnahmsweise die Grundrechtsfähigkeit zustehen, ihren Teilen jedenfalls nur dann, wenn das Gesamtgebilde selbst über eine - dann immer partielle - Grundrechtsfähigkeit verfügt (vgl. etwa BVerfGE 15, 256, 261 f.). Das mag hier in den Einzelheiten auf sich beruhen. Von der Bezirksverordnetenversammlung oder dem Bezirk selbst kann die Beschwerdeführerin jedenfalls eine zur Grundrechtswahrnehmung befähigende Rechtsstellung schon nach dem oben Gesagten nicht herleiten, denn diese verfügen nicht über Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte.
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Eine Fraktion ist ein Zusammenschluß von Mandatsträgern innerhalb eines gewählten (hier: Verwaltungs-)Organs, wobei diese Mandatsträger grundsätzlich derselben politischen Partei angehören. Fraktionen haben innerhalb von Parlamenten oder - hier - der Bezirksverordnetenversammlung eigene organschaftliche Rechte inne. Die Fraktionen innerhalb von Verfassungsorganen sind deshalb parteifähig im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren. Die Fraktionen innerhalb anderer öffentlich-rechtlich geordneter gewählter Organe können ihre organschaftlichen Rechte gegebenenfalls im verwaltungsrechtlichen Organstreit zur Geltung bringen. Dabei wird um Kompetenzen und um solche subjektiven Positionen gestritten, die sich zwar verwaltungsprozessual als zur Klage befugende Rechte (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) darstellen können, aber weder Grundrechte noch auch subjektive Rechte im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG sind (vgl. Scbmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: 1991, Art. 19 IV, Rdn. 42 bis 44, 148). Wird ein derartiger Streit - wie hier - verwaltungsgerichtlich ausgetragen, so ändert dies das Rechtsverhältnis zwischen den streitenden Parteien - hier: der Fraktion und der Bezirksverordnetenversammlung - nicht etwa derart, daß nunmehr der Fraktion eine Berufung auf Grundrechte gegenüber der Bezirksverordnetenversammlung möglich wäre. Allenfalls käme in Betracht, daß die angerufenen Verwaltungsgerichte ihrerseits auf das gerichtliche Verfahren bezogene Grundrechte verletzt hätten, wie sie jedem zustehen, „der von dem Verfahren eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar betroffen wird" (so BVerfGE 12, 6, 8; vgl. im übrigen Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/l, 1988, S. 1147, 1155). Dafür ist hier nichts vorgetragen oder ersichtlich. c) Die Fraktionen sind auch nicht etwa deshalb Grundrechtsträger (und damit beteiligtenfähig im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde), weil sie grundsätzlich in Anknüpfung an die Parteizugehörigkeit der Mandatsträger gebildet werden. Es ist zwar richtig, daß die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien nicht ohne Konsequenzen für die Stellung der Fraktionen innerhalb des Organs ist, in dem sie wirken (vgl. ζ. B. für die Fraktionen im Deutschen Bundestag BVerfGE 10, 4, 14; 80, 188, 223). Daß politische Parteien sich gegenüber dem Staat auf einzelne Grundrechte berufen können (dazu etwa Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl., 1972, S. 229 ff.), bedeutet jedoch nicht, daß aufgrund der Parteizugehörigkeit gebildete Fraktionen als Teile eines Verwaltungsorgans Grundrechte geltend machen könnten. Die Mehrheit des Verfassungsgerichtshofes verkennt m. E. das Verhältnis von politischen Parteien und gemäß § 5 Abs. 3 BezVerwG gebildeten Fraktionen, worauf jedenfalls die Wendung deutet, erstere firmierten in Bezirksverordnetenversammlungen als die letzteren. Das mag man im Sinne des
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allgemeinen Sprachgebrauchs so ausdrücken können, und es mag auch dem Selbstverständnis von Fraktionen und von politischen Parteien teilweise oder überwiegend entsprechen. Rechtlich ist die Wendung jedoch unergiebig und auch irreführend, wie die sodann gezogenen Schlußfolgerungen erweisen. Denn die Fraktionen sind nicht ein organisatorischer Teil der politischen Parteien, sondern deren funktionale Erscheinungsformen in den gewählten Vertretungskörperschaften (etwa Schmidt-]ortzig, Kommunalrecht, 1982, Rdn. 76 m. w. Nachw.), ohne aber dort deren Grundrechte geltend machen zu können. Die Parteien ihrerseits sind gewiß gesellschaftliche, nicht staatliche Erscheinungen, ungeachtet ihres auch öffentlich-rechtlichen Status (s. dazu grundlegend Hesse, W D S t R L 1 7 , 1 9 5 9 , 1 1 , 3 5 , 4 4 f.; vgl. auch Kunig, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 1987, § 33, Rdn. 50 ff. m. w. Nachw.); ihr Wirken bestimmt das Handeln der von ihnen zur Wahl gestellten Mandatsträger und folglich auch dasjenige der von diesen Mandatsträgern gebildeten Fraktionen mit. Daraus folgt jedoch nicht, daß einzelne Abgeordnete oder Fraktionen innerhalb gewählter Organe die Rechtsstellung der Parteien als eine derjenigen des Bürgers unter Umständen vergleichbare Rechtsstellung einnähmen. 3. Da die vorliegende Verfassungsbeschwerde bereits mangels Beteiligtenfähigkeit unzulässig ist, kommt es auf weitere Bedenken gegenüber der Zulässigkeit, insbesondere auf die Frage, ob die in einer nicht mehr amtierenden Bezirksversammlung früher gebildete Fraktion noch Rechte vor dem Verfassungsgerichtshof geltend machen kann bzw. ob - wie die Mehrheit es ausdrückt - eine in einer später gewählten Bezirksverordnetenversammlung gebildete Fraktion Rechtsnachfolgerin der Fraktion einer früher amtierenden Bezirksverordnetenversammlung sein kann, nicht an. Dahinstehen soll hier auch, ob die Anforderungen richtig bemessen sind, die die Mehrheit des Verfassungsgerichtshofes in diesem Verfahren an das Vorliegen einer - für den Erfolg einer Urteilsverfassungsbeschwerde vorausgesetzten - spezifischen Verfassungsrechtsverletzung stellt. 4. Eine Sachentscheidung war dem Verfassungsgerichtshof danach verwehrt. Man mag das rechtspolitisch bedauern, denn es ist nicht zu verkennen, daß sowohl § 35 Abs. 2 BezVerwG wie auch der (in dem vorliegenden Verfahren allerdings nicht entscheidungserhebliche) Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB in der Praxis Schwierigkeiten bei der Wahl der Mitglieder der Bezirksämter nicht verhütet haben. Aber auch die Wahrung der Zuständigkeitsgrenzen, die dem Verfassungsgerichtshof gezogen sind, ist von erheblichem rechtspolitischen Gewicht. Dessenungeachtet: Sie ist gesetzlich gefordert (Art. 64 VvB). Der Gesetzgeber, nicht ein Verfassungsgericht, verantwortet das materielle und das Prozeßrecht (treffend Pestalozza, aaO., § 1 Rdn. 2; s. auch etwa BVerfGE
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2, 143, 181). Über die materielle Rechtslage darf nur befunden werden, wenn das Prozeßrecht dies zuläßt. Abweichende Meinung des Richters Dittrich Ich halte die Verfassungsbeschwerde nicht für zulässig, sie wäre im übrigen auch nicht begründet. Die in § 49 Abs. 1 VerfGHG für „jedermann" eingeräumte Verfassungsbeschwerde entspricht, wie auch die erkennende Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs annimmt, dem herkömmlichen Begriff, wie er auch der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zugrunde liegt, und setzt damit die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten voraus. Der Beschwerdeführerin als Fraktion einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung fehlt jedoch hinsichtlich der als verletzt behaupteten Rechte die Grundrechtsfähigkeit. Die gemäß § 61 Ziff. 2 VwGO bestehende Beteiligungsfähigkeit der Beschwerdeführerin in dem vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren macht die Beschwerdeführerin wie jede andere Partei eines gerichtlichen Verfahrens zum Träger spezifischer Verfahrensgrundrechte, wie sie für den Bundesbereich in Art. 101, 103 und 104 GG niedergelegt sind. Es kann hier unerörtert bleiben, ob und inwieweit auch die Verfassung von Berlin entsprechende Verbürgungen enthält, da die Beschwerdeführerin nicht geltend macht, ihre Rechtsbeeinträchtigung beruhe auf der Verletzung solcher verfahrensrechtlicher Gewährleistungen der Verfassung. Außerhalb dieses Bereichs ist dem Staat und seinen Untereinheiten aber ein Grundrechtsschutz grundsätzlich versagt. Wie das Bundesverfassungsgericht für die Grundrechte nach dem Grundgesetz in ständiger Rechtsprechung überzeugend angenommen hat, kann der Staat nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter der Grundrechte sein und sind die Kompetenzkonflikte innerhalb des staatlichen Organisationsbereichs nicht als grundrechtsrelevant anzusehen (vgl. etwa BVerfGE 21, 362, 370 f.). Entgegen der Auffassung der Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs ist auch die Beschwerdeführerin als Fraktion einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung dem Bereich organisierter Staatlichkeit zugeordnet und eingegliedert. Es handelt sich gerade nicht um den notwendigerweise staatsfernen Bereich politischer Willensbildung der Bürger als einzelne oder in Gruppierungen, insbesondere in politischen Parteien. Die Fraktionen in den Bezirksverordnetenversammlungen von Berlin sind keine Parteiuntergliederungen, sondern der im Interesse der Arbeitsfähigkeit des Gremiums vorgesehene Zusammenschluß von weisungsfreien Inhabern des öffentlichen Mandats eines Bezirksverordneten. Zur Rechtsstellung der Fraktionen des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten bei
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der Wahrnehmung ihrer Funktionen hat das Bundesverfassungsgericht überzeugend angenommen, daß insoweit nicht die für den Wahlkampf anerkannten Bürgerrechte auf Chancengleichheit als grundrechtliche Sicherung aus Art. 3 und 21 G G maßgebend sind, sondern die Regelungen über den Abgeordnetenstatus nach Art. 38 Abs. 1 G G (vgl. BVerfGE 70, 324, 362 f.). Diese Grundsätze gelten über das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 G G unmittelbar auch in den Ländern, und zwar nicht nur für die Landesparlamente, sondern auch für Gemeindevertretungen, die als demokratisch gewählte Beschlußorgane insoweit dem Bereich der Legislative zuzuordnen sind (vgl. BVerfGE 32, 346, 361). Auch wenn die Berliner Verwaltungsbezirke als rechtlich unselbständige Gliederungen einer Einheitsgemeinde nicht unter die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 G G fallen (vgl. BVerfGE 83, 60 für die Hamburgischen Bezirksversammlungen) und der Funktionsbereich der Bezirksverordnetenversammlungen nach der Verfassung von Berlin enger abgegrenzt ist, üben deren Mitglieder als demokratisch legitimierte Repräsentanten Staatsgewalt aus. Ihr Funktionsbereich kann ebensowenig wie derjenige der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin dem grundrechtlich geschützten Rechtsbereich des Bürgers zugeordnet werden. Daß der Gesetzgeber die Fähigkeit, Antragsteller oder Antragsgegner eines verfassungsgerichtlichen Organstreits um verfassungsmäßige Rechte und Pflichten zu sein, nur den in § 14 Nr. 1 VerfGHG genannten Beteiligten und damit nicht auch den Mandatsträgern auf der Ebene der Verwaltungsbezirke zugemessen hat, vermag einen mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbaren Grundrechtsschutz für innerstaatliche Kompetenzkonflikte auf dieser Ebene nicht zu eröffnen. Nicht zu überzeugen vermag auch die von der Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs vertretene Auffassung, daß die aus den Wahlen 1992 hervorgegangene jetzige CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung das Verfassungsbeschwerdeverfahren der mit dem Ende der vorigen Amtsperiode untergegangenen ursprünglichen Beschwerdeführerin zulässigerweise fortführen könne. Die entsprechende Praxis in verfassungsgerichtlichen Organstreitigkeiten ist auf die Fortführung identischer öffentlicher Aufgaben gestützt, was die analoge Übertragung auf die Verteidigung eines angeblich grundrechtlich geschützten Individualrechts ausschließt. Zumindest sollte bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde dann stets berücksichtigt werden, ob auch das für das Ausgangsverfahren maßgebliche Verfahrensrecht eine solche gewillkürte Nachfolge in die Rechtsstellung eines weggefallenen Beteiligten zuläßt. Ferner vermag ich mich auch nicht der Meinung anzuschließen, daß das Oberverwaltungsgericht Berlin in dem angegriffenen Urteil mit der Billigung des Vorgehens, eine nach dem Zählverfahren nach d'Hondt bestehende Patt-
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situation beim Recht zur Benennung des 7. Stadtrats durch Anwendung des Hare-Niemeyer-Verfahrens zu lösen, nicht lediglich ein einfaches Gesetz unzutreffend ausgelegt, sondern gegen spezifisches Berliner Verfassungsrecht verstoßen habe. Für die im Jahre 1989 durchgeführten Wahlen zu den Bezirksvertretungen in Berlin war noch nicht durch die Verfassung vorgeschrieben (wie später mit Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB für die im Jahre 1992 durchgeführten Wahlen), daß das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Stadtratsposten nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung ausgeübt werden sollte. Eine diesbezügliche Regelung, die die Bildung eines „politischen Bezirksamts" durch Koalitionsabsprachen einzelner Fraktionen ausschließen sollte, war allein durch einfaches Gesetz in § 35 Abs. 2 BezVerwG getroffen. Der Gesetzgeber wäre durch die Verfassung nicht gehindert gewesen, diese Regelung grundlegend zu verändern. Erst recht stand ihm die Befugnis zu, die Einzelheiten des anzuwendenden Berechnungsverfahrens über die Zuordnung rechnerischer Stimmenbruchteile festzulegen und die Methoden zur Auflösung von Pattsituationen zu bestimmen. Die vom Oberverwaltungsgericht Berlin im Wege der Auslegung und richterlichen Lückenfüllung vertretene Auffassung, daß jedenfalls zur Behebung einer Pattsituation das Hare-Niemeyer-Verfahren angewandt werden dürfe, liegt also nicht außerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber zur Verfügung stand. Sie liegt aber auch nicht außerhalb des Bereichs, der den nach Art. 64 VvB an die Gesetze gebundenen Richtern von der Verfassung für die Auslegung von Gesetzen übertragen ist. Daß der Gesetzgeber weder in § 35 Abs. 2 BezVerwG noch an anderer Stelle eine ausdrückliche Regelung darüber getroffen hat, nach welcher Berechnungsmethode die Vorschlagsrechte der Fraktionen zu ermitteln sind und wie bei einem Pattverhältnis zu verfahren ist, führt nicht etwa schon von Verfassungs wegen zum Eingreifen vorgegebener fester Regeln, etwa einem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Verlosung bestimmter Vorschlagsrechte. Die Auslegungsbedürftigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nimmt ihr noch nicht die nach dem Rechtsstaatsprinzip zur Wirksamkeit erforderliche hinreichende Bestimmtheit (vgl. BVerfGE 78, 205, 212 f.). Daß die Betroffenen die Rechtslage hier unter Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden erkennen und ihr Verhalten danach einrichten konnten, ergibt schon die bisherige Praxis der Verwaltungsgerichte. Wie mit Recht allgemein anerkannt ist (vgl. etwa BVerfGE 34, 269, 286 ff.), sind die Gerichte nach der Verfassungsordnung nicht lediglich auf die Umsetzung gesetzgeberischer Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns verwiesen, sondern auch zur Lückenfüllung unter Übertragung anderweitig niedergelegter gesetzgeberischer Wertungen oder notfalls auch zu rechtsfortbildender Gestaltung nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Ge-
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rechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft berufen. Mit Recht hält es auch die die Entscheidung tragende Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs hier für eine legitime richterliche Auslegung, daß das Oberverwaltungsgericht Berlin angenommen hat, die Berechnungsprobleme seien in erster Linie nach der früher in verschiedenen Wahlgesetzen ausdrücklich vorgesehenen und auch sonst verbreitet praktizierten d'Hondt-Methode zu lösen. Ob diese Anwendung einfachen Rechts auch weiterhin zu überzeugen vermag, obwohl die ursprünglich zur Gesetzesanalogie herangezogenen Vorschriften zwischenzeitlich überwiegend zugunsten des Hare-Niemeyer-Verfahrens geändert worden sind, unterliegt nicht der verfassungsgerichtlichen Beurteilung. Dann kann jedoch entgegen der Mehrheitsmeinung des Verfassungsgerichtshofs auch das Auslegungsergebnis des Oberverwaltungsgerichts Berlin hinsichtlich des Verfahrens zur Pattauflösung nicht von Verfassungs wegen beanstandet werden, es handelt sich insoweit in gleicher Weise um die verfassungsrechtlich unangreifbare Anwendung einfachen Rechts.
Nr. 5 1) Der Grundsatz der Einheitsgemeinde, der in Art. 1 Abs. 1 VvB verfassungsrechtlich verankert ist, gehört zu den tragenden Wesensmerkmalen der Verfassung von Berlin. 2) Die Bezirke besitzen kein in der Verfassung von Berlin verbrieftes Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung. Sie sind keine selbständigen Gemeinden. Der Grundsatz der Einheitsgemeinde schließt dies aus. 3) Die Bezirke sind Organe der Verwaltung Berlins, an der sie nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen sind. Art. 50 Abs. 2 VvB, der dies bestimmt, begründet ein für den Gesetzgeber verbindliches Organisationsprinzip der Berliner Verwaltung. Verfassung von Berlin Art. 1 Abs. 1, 50 Abs. 2, 87a Abs. 2 Satz 4 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 49 Bezirksverwaltungsgesetz § 35 Abs. 2 Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 36/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Zehlendorf von Berlin gegen den Be-
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schluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 24. Juni 1992 - OVG 8 S 195/92 Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob ein Recht der Bezirksverordnetenversammlung auf bezirkliche Selbstverwaltung verletzt wird, wenn ihr durch gerichtliche Entscheidung untersagt wird, bei der Wahl der Mitglieder des Bezirksamts das Nominierungsrecht für die Wahl sämtlicher Bezirksamtsmitglieder nach dem Verfahren Hare-Niemeyer zu ermitteln. Aufgrund der Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 24. Mai 1992 ergab sich für die Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Zehlendorf von Berlin folgende Sitzverteilung: C D U 20 Sitze SPD 9 Sitze W U B 9 Sitze Grüne/AL 4 Sitze F.D.P. 3 Sitze. Nach Art. 87a Abs. 2 Satz 4 der Verfassung von Berlin (VvB) soll das von der Bezirksverordnetenversammlung gem. Art. 53 Satz 2 VvB zu wählende Bezirksamt, das nach § 34 des Bezirksverwaltungsgesetzes (BezVerwG) aus dem Bezirksbürgermeister und sechs Bezirksstadträten besteht, aufgrund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem Stärkeverhältnis in der Bezirksverordnetenversammlung gebildet werden. Legt man zur Bestimmung des Stärkeverhältnisses das Verfahren d'Hondt (sog. Höchstzahlverfahren) zugrunde, entfallen auf die C D U vier und auf SPD und W U B je ein Wahlvorschlag, während das Vorschlagsrecht für das siebente Bezirksamtsmitglied sowohl der SPD wie der W U B (Pattsituation) zusteht. Bestimmt man das Stärkeverhältnis nach dem Verfahren Hare-Niemeyer (sog. Verfahren der mathematischen Proportion), entfallen auf die C D U wiederum drei Wahlvorschläge und auf SPD, WUB, Grüne/AL und F.D.P. je ein Wahlvorschlag. Am 18. Juni 1992 beschloß die Bezirksverordnetenversammlung mehrheitlich, zur Ermittlung der Zahl der auf die Fraktionen entfallenden Wahlvor-
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schlage insgesamt das Verfahren Hare-Niemeyer anzuwenden. Gegen diesen Beschluß rief die CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung das Verwaltungsgericht Berlin mit dem Antrag an, der Bezirksverordnetenversammlung im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, bei der bevorstehenden Wahl der Mitglieder des Bezirksamts das Nominierungsrecht für die Wahl sämtlicher Bezirksamtsmitglieder nach dem Verfahren Hare-Niemeyer zu ermitteln. Das Verwaltungsgericht Berlin wies den Antrag der CDU-Fraktion durch Beschluß vom 23. Juni 1991 - V G 1 A 185.92-zurück. Zur Begründung führte es aus, der Verfassungsgeber habe in Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB ein bestimmtes Verfahren zur Ermittlung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen nicht vorgesehen. Er habe damit der Bezirksverordnetenversammlung das Recht eingeräumt, selbst das zur Ermittlung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen anzuwendende Verfahren zu bestimmen. Die Bezirksverordnetenversammlung sei daher berechtigt gewesen, die Anwendung des Verfahrens HareNiemeyer zu beschließen. Auf die Beschwerde der CDU-Fraktion änderte das Oberverwaltungsgericht Berlin durch Beschluß vom 24. Juni 1992 - OVG 8 S 195/92 - die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und untersagte der Bezirksverordnetenversammlung, „bei der bevorstehenden Wahl der Mitglieder des Bezirksamts Zehlendorf von Berlin das Nominierungsrecht für die Wahl sämtlicher Bezirksamtsmitglieder nach dem Verfahren Hare-Niemeyer zu ermitteln". Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung wie folgt begründet: Nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin sei der bei früheren Wahlen und auch künftig wieder maßgebende § 35 Abs. 2 BezVerwG dahin auszulegen, daß das für die Wahl des Bezirksamts maßgebende Stärkeverhältnis der Fraktionen nach den Verfahren d'Hondt zu bestimmen sei. Der ausschließlich für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen des Jahres 1992 geltende Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB, der mit § 35 Abs. 2 BezVerwG wortgleich sei, müsse im gleichen Sinne ausgelegt werden, da der Verfassungsgeber mit Aufnahme der Regelung des § 35 Abs. 2 BezVerwG in die Verfassung von Berlin Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht habe ändern wollen. Auch nach Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB sei deshalb das Stärkeverhältnis der Fraktionen nach dem Verfahren d'Hondt zu ermitteln. Das Oberverwaltungsgericht wies im übrigen darauf hin, daß, falls es bei Anwendung des Verfahrens d'Hondt zu einer Pattsituation hinsichtlich des Vorschlagsrechts für das siebente Bezirksamtsmitglied komme, die Bezirksverordnetenversammlung berechtigt sei, zur Auflösung der Pattsituation „ein sonstiges rationales Prinzip" zur Bestimmung des Nominierungsrechts für das siebente Bezirksamtsmitglied festzulegen, beispielsweise das Losverfahren oder das
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Verfahren Hare-Niemeyer. Die Verteilung der ersten sechs Wahlvorschläge müsse jedoch stets nach dem Verfahren d'Hondt erfolgen. Gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 24. Juni 1992, der ihr am 26. Juli 1992 zugestellt worden ist, wendet sich die Bezirksverordnetenversammlung mit der am 26. August 1992 bei dem Verfassungsgerichtshof eingegangenen Verfassungsbeschwerde. Sie ist der Meinung, die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts verletze sie in ihrem Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung. Die Bezirksverordnetenversammlung beantragt, 1. festzustellen, daß der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 24. Juni 1992 - O V G 8 S 195.92 - sie in ihrem Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung aus Art. 51 Abs. 2, 56 und 87a VvB i. V. m. Art. 6 VvB verletzt, 2. den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 24. Juni 1992 aufzuheben. Die CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Zehlendorf sowie der Senat von Berlin haben sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert. II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde bereits mangels Zulässigkeit erfolglos bleiben muß. Das wäre jedenfalls der Fall, wenn das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte, ihrer Ansicht nach in der Verfassung von Berlin verbürgte Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung nicht zu den Rechten zählte, deren Verletzung gem. § 49 Abs. 1 V e r f G H G mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kann eine Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erhoben werden, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner „in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein". Anders als § 90 Abs. 1 BVerfGG, der die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde des Bundesrechts von der Behauptung des Beschwerdeführers abhängig macht, „in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101,103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein", beschränkt der Wortlaut des § 49 Abs. 1 VerfGHG mithin die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde des Berliner Landesrechts nicht auf das Geltendmachen der Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten; § 49 Abs. 1 VerfGHG ist vielmehr insoweit anders gefaßt. O b dieser Wortfassung entsprechend mit einer Verfassungsbeschwerde auch die Verletzung eines von der Beschwerdeführerin für sich reklamierten Rechts auf bezirkliche
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Selbstverwaltung gerügt werden kann oder ob § 49 Abs. 1 VerfGHG in dem Sinne zu verstehen ist, daß er den Weg ausschließlich für eine auf die Rüge der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten gestützte Verfassungsbeschwerde eröffnet, bedarf indes aus Anlaß des vorliegenden Falles keiner Entscheidung. Darauf kommt es hier nicht an, weil die Verfassung von Berlin entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin den Bezirken kein Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung verbürgt und ihre Verfassungsbeschwerde jedenfalls aus diesem Grunde keinen Erfolg haben kann. Nach Art. 1 Abs. 1 VvB ist Berlin ein Land und zugleich eine Stadt. Der Grundsatz der Einheitsgemeinde ist damit verfassungsrechtlich verankert. Die Bezirke sind nach der Verfassung von Berlin keine selbständigen Gemeinden. Deshalb ist auch nur die Einheitsgemeinde Berlin und sind nicht seine 23 Bezirke Träger des in Art. 28 des Grundgesetzes enthaltenen Rechts auf kommunale Selbstverwaltung. In Art. 3 Abs. 2 VvB, der bestimmt, daß Volksvertretung, Regierung und Verwaltung die Aufgaben Berlins als Gemeinde, Gemeindeverband und Land wahrnehmen, werden die Bezirke nicht erwähnt. Auch Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift, in dem es heißt, die vollziehende Gewalt liege in den Händen der Regierung und der ihr nachgeordneten Verwaltung, erwähnt die Bezirke nicht. Dies zwingt zu dem Schluß, daß die Bezirke nach diesen grundlegenden Bestimmungen im ersten Abschnitt der Verfassung von Berlin, der die Uberschrift „Grundlagen" trägt, Teil der der Regierung nachgeordneten Verwaltung sind, nicht aber eigenständige Träger eines verfassungskräftigen Rechts auf bezirkliche Selbstverwaltung. Sieht man von Art. 4 VvB ab, der die Bezirke aufzählt, um auf diese Weise das Landesgebiet zu bestimmen, finden die Bezirke erst im VI. Abschnitt der Verfassung von Berlin nähere Erwähnung. Sie sind deshalb Organe der Verwaltung Berlins, an der sie gem. Art. 50 Abs. 2 nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen sind. Die Verfassung von Berlin stellt mit der Bezugnahme auf die Grundsätze der Selbstverwaltung ein für den Gesetzgeber verbindliches Organisationsprinzip der Berliner Verwaltung auf, gewährt den Bezirken aber kein eigenständiges Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung. Vergegenwärtigt man sich überdies, daß die Bezirke Berlins keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, daher nicht Träger eigenen Vermögens sein können und ihnen weder Satzungsrecht noch Einnahmenhoheit eigen sind, kann es nicht zweifelhaft sein, daß die Bezirke kein in der Verfassung von Berlin verbrieftes Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung besitzen. Der Grundsatz der Einheitsgemeinde, der zu den tragenden Wesensmerkmalen der Verfassung von Berlin gehört, schließt dies aus. Besitzen die Bezirke kein verfassungsmäßiges Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung, kann auch der Bezirksverordnetenversammlung als ihrem Organ ein solches Recht nicht zustehen. Art. 56 VvB, der die Bezirksverordnetenversammlung als Organ der bezirklichen Selbstverwaltung bezeichnet,
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die die Kontrolle über die Verwaltung des Bezirks ausübt, bestimmt lediglich die Stellung der Bezirksverordnetenversammlung innerhalb des Bezirks. Ein darüber hinausgehendes eigenständiges Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung wird ihr dadurch nicht eingeräumt. Die Verfassungsbeschwerde der Bezirksverordnetenversammlung war deshalb zurückzuweisen. Ergänzend sei auf folgendes hingewiesen: Der angefochtene Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin billigt der Bezirksverordnetenversammlung das Recht zu, im Falle einer bei Anwendung des Verfahrens d'Hondt hinsichtlich des siebenten Vorschlagsrechts entstehenden Pattsituation ein sonstiges rationales Verfahren zu dessen Auflösung zu bestimmen, beispielsweise das Losverfahren oder das Verfahren HareNiemeyer. Diese Auffassung ist unvereinbar mit dem verfassungskräftigen Grundsatz der Chancengleichheit. Die Einräumung eines Rechts, durch Mehrheitsbeschluß das Verfahren zur Auflösung einer Pattsituation zu bestimmen, führt zwangsläufig dazu, daß die Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung unter mehreren in Frage kommenden Verfahren dasjenige auswählt, das ihr von seinem Ergebnis her am günstigsten erscheint. An die Stelle von Chancengleichheit tritt in Wirklichkeit ein Verfahren bestmöglicher Chancenwahrung zum Nutzen derjenigen, die die Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung besitzen. Deshalb wird, wie der Verfassungsgerichtshof im Urteil vom 19. Oktober 1992 (VerfGH 24/92*) entschieden hat, der Verfassung von Berlin nur eine Auslegung des Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB wie des § 35 Abs. 2 BezVerwG dahin gerecht, daß diese Bestimmungen selbst das Verfahren zur Auflösung einer etwaigen Pattsituation abschließend festlegen, und zwar das Losverfahren. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieses Urteil ist unanfechtbar. Abweichende Meinung der Richterin Citron-Piorkowski Die Verfassungsbeschwerde der Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Zehlendorf von Berlin scheitert meines Erachtens nicht bereits daran, daß der Beschwerdeführerin nach der Verfassung von Berlin kein subjektives Recht auf „bezirkliche Selbstverwaltung" zusteht. Zwar ist nach Artikel 1 Abs. 1 VvB Berlin ein Land und zugleich eine Stadt, so daß nur die Einheitsgemeinde Berlin als Trägerin des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung im Sinne von Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes in Betracht kommt. Dies steht jedoch der Annahme einer diesen Grundsatz der Einheitsgemeinde respektieSiehe Seite 9.
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renden und damit relativierten subjektiven Rechtsposition der Bezirke nicht entgegen. Die Verfassung von Berlin trägt hinsichtlich des Status der Bezirke deutlich Kompromißcharakter. Einerseits sind sie Teil der Verwaltung, an der sie gemäß Artikel 50 Abs. 2 VvB nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen sind. Andererseits ist in Artikel 56 VvB ausdrücklich von der „bezirklichen Selbstverwaltung" die Rede, für die mit der Bezirksverordnetenversammlung ein besonderes Organ geschaffen wird, das gemäß Artikel 54 Abs. 1 VvB in allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl von den Wahlberechtigten des Bezirks gewählt wird. Den Bezirken bleibt damit eine gewisse Eigenständigkeit erhalten, die die gewachsenen Strukturen innerhalb der Stadt Berlin widerspiegelt, bei deren Entstehung durch das Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin vom 27. April 1920 (Preußische Gesetzessammlung S. 123) die verschiedenen Stadt- und Landgemeinden ihre kommunale Selbständigkeit verloren hatten. Um diese historisch bedingte Zwitterstellung der Bezirke zwischen gemeindeähnlichem Gebilde und Teil der nachgeordneten Verwaltung ging es auch bei den verschiedenen Debatten im Rahmen der Entstehung der Verfassung von Berlin (vgl. z. B. die Debatte über „dezentralisierte Selbstverwaltung" in der 24. Sitzung des Verfassungsausschusses am 22. Oktober 1947, Dokument 106 in der Dokumentation „Die Entstehung der Verfassung von Berlin", herausgegeben von H.-J. Reichhardt, 1990, Bd. I S. 925 ff.; siehe auch stenographischen Bericht der 62. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 24. März 1948 - Auszug - , Dokument 148, a. a. O. Bd. II S. 1701, insbes. S. 1707 ff.). Die Annahme, bereits der Grundsatz der Einheitsgemeinde schließe es aus, daß den Bezirken in der Verfassung von Berlin ein Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung verbrieft sei, trägt dieser Zwitterstellung nicht hinreichend Rechnung. Das Prinzip der Einheitsgemeinde erfordert keineswegs ein vollständiges, sondern nur ein „verhältnismäßiges" Zurücktreten der bezirklichen Eigenständigkeit. Im Lichte der in Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährleisteten institutionellen Garantie einer gemeindlichen Ebene ist der Auslegung der Vorzug zu geben, nach der die gegenüber der „klassischen" kommunalen Selbstverwaltung mit Rücksicht auf das Prinzip der Einheitsgemeinde deutlich reduzierte - bezirkliche Selbstverwaltung nicht als bloßes Ordnungsprinzip, sondern als subjektive Rechtsposition der Bezirke gewährleistet ist. Diese landesverfassungsrechtliche Rechtsposition bezieht sich jedoch nur auf einen Grundbestand an Eigenverantwortlichkeit bei der Erledigung örtlicher Angelegenheiten (vom Gesetzgeber mit der Zuständigkeit für bezirkseigene Angelegenheiten gemäß § 3 Abs. 2 des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes anerkannt, vgl. auch §§ 7, 25, 27 Abs. 1 d des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes). Hierzu gehört nicht die Frage, ob bei der Vergabe der Nominierungsrechte für die Wahl der Bezirksamtmitglieder nach dem Verfahren d'Hondt oder nach dem Verfahren Hare-Niemeyer
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zu verfahren ist: Es ist Sache des Gesetzgebers, eine für alle Bezirke verbindliche Entscheidung hinsichtlich des Wahlverfahrens zu treffen. Diese Materie kann auch nicht dadurch zur „örtlichen" Angelegenheit werden, daß sich der Gesetzgeber insoweit selbst nur „undeutlich" geäußert hat (vgl. dazu Urteil vom 19. Oktober 1992, VerfGH 39.92). Das Ergebnis der vorliegend getroffenen Entscheidung wird deshalb auch von mir mitgetragen.
Nr. 6 1) Die Fraktion einer Bezirksverordnetenversammlung von Berlin ist kein oberstes Landesorgan. Es fehlt ihr deshalb die Beteiligtenfähigkeit für ein Organstreitverfahren. 2) Die Verfassung von Berlin schreibt nicht vor, daß ein Bezirksamt nach dem Zählverfahren Hare-Niemeyer gewählt wird. Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1, 87a Abs. 2 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Nr. 1, 36 Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 39/92 in dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung der Fraktion der Grünen/Alternative Liste in der Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Zehlendorf von Berlin gegen die Bezirksverordnetenversammlung Zehlendorf von Berlin. Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Im Bezirk Zehlendorf von Berlin hatten die Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung vom 24. Mai 1992 folgende Sitzverteilung zur Folge: Auf die C D U entfielen 20 Sitze, auf die SPD neun Sitze, auf die W U B neun Sitze, auf
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die Grünen/Alternative Liste vier Sitze und auf die F D P drei Sitze. Es bestanden in der Bezirksverordnetenversammlung unterschiedliche Auffassungen darüber, nach welchem Wahlmodus die Vorschlagsrechte für die Wahl der Mitglieder des Bezirksamts zu vergeben seien. So ergäbe sich nach dem Höchstzahlverfahren (d'Hondtsches Verfahren) folgende Verteilung: Auf die C D U entfielen vier Sitze im Bezirksamt, auf die SPD und die WUB je ein Sitz; für den siebenten Sitz bestünde eine Pattsituation. Nach der sog. Standardform des Verfahrens der mathematischen Proportionen nach Hare-Niemeyer ergäben sich hingegen für die C D U drei Sitze, für die SPD, die WUB, die Grünen/ Alternative Liste und die F D P je ein Sitz. Die Bezirksverordnetenversammlung beschloß am 18. Juni 1992 mehrheitlich, die Bezirksamtswahl nach dem letztgenannten Verfahren durchzuführen. Daraufhin beantragte die Fraktion der C D U in der Bezirksverordnetenversammlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin im Wege der einstweiligen Anordnung, der Bezirksverordnetenversammlung die Wahlen nach dem Verfahren Hare-Niemeyer zu untersagen. Das Verwaltungsgericht Berlin wies den Antrag mit Beschluß vom 23. Juni 1992 - V G 1 A 185/92 - zurück. Auf die hiergegen von der Fraktion der C D U eingelegte Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Berlin der Bezirksverordnetenversammlung untersagt, bei der bevorstehenden Wahl der Mitglieder des Bezirks das Vorschlagsrecht nach dem Verfahren Hare-Niemeyer zu ermitteln (Beschluß vom 24. Juni 1992 O V G 8 S 195/92-). Am 19. August 1992 wählte die Bezirksverordnetenversammlung vier Bezirksamtsmitglieder auf Vorschlag der CDU-Fraktion, eines auf Vorschlag der SPD-Fraktion und ein weiteres auf Vorschlag der WUB-Fraktion. Die Wahl des siebenten Mitglieds des Bezirksamts wurde zurückgestellt; die gewählten Bezirksamtsmitglieder blieben unvereidigt. Am 26. August 1992 erhob die Bezirksverordnetenversammlung Verfassungsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluß des Oberverwaltüngsgerichts Berlin bei dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ( - VerfGH 36/92 -). Für die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 2. September 1992 wurde die Wahl des siebenten Mitglieds des Bezirksamts sowie die Vereidigung der bisher gewählten Mitglieder angekündigt. Dagegen wandte sich in dem vorliegenden Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung die Fraktion der Grünen/Alternative Liste. Sie beantragte mit der am 1. September 1992 bei dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin eingegangenen Antragsschrift, der Bezirksverordnetenversammlung von Zehlendorf im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, am 2. September 1992 die Wahl einer Bezirksstadträtin/eines Bezirksstadtrates sowie die Vereidigung der Bezirksamtsmitglieder vorzunehmen. Daraufhin regte der Präsident des Verfassungsgerichtshofs am 1. September 1992 bei dem Vorsteher der Bezirksver-
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ordnetenversammlung an, die beabsichtigte Wahl und die Vereidigung nicht vornehmen zu lassen. Dieser Anregung wurde entsprochen. Die Antragstellerin erklärte sich damit einverstanden, daß bei dieser Sachlage über den Eilantrag nicht sogleich entschieden werde. In der mündlichen Verhandlung vom 28. September 1992 hat die Antragstellerin beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung der Bezirksverordnetenversammlung zu untersagen, die Wahl des siebenten Mitglieds des Bezirksamts und die Vereidigung der bereits gewählten Mitglieder vorzunehmen. Sie mache im Organstreitverfahren Rechte der Bezirksverordnetenversammlung als der Antragsgegnerin dieses Verfahrens „in Prozeßstandschaft" geltend. Sie rege vorsorglich an, den Antrag auch unter dem Gesichtspunkt einer Verfassungsbeschwerde zu prüfen. Insbesondere aus Art. 87a Abs. 2 Satz 3 VvB ergebe sich, daß das gesamte Bezirksamt von Zehlendorf jedenfalls für diese Wahl nach dem oben genannten Verfahren Hare-Niemeyer zu wählen sei.
II. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat im Ergebnis keinen Erfolg. 1. Bezogen auf ein Organstreitverfahren nach Art. 72 Abs. 2 N r . 1 VvB kann die Antragstellerin ihr Begehren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht verfolgen. Antragsteller (und Antragsgegner) eines solchen Verfahrens können gemäß § 36 V e r f G H G nur die in § 14 N r . 1 V e r f G H G genannten Beteiligten sein. Die Antragstellerin ist als Fraktion einer Bezirksverordnetenversammlung kein oberstes Landesorgan von Berlin. Sie ist auch weder durch die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses noch - was allein in Betracht käme - durch die Verfassung von Berlin mit eigenen Rechten, die im Organstreitverfahren geltend gemacht werden könnten, ausgestattet. Es fehlt ihr deshalb an der Beteiligtenfähigkeit für ein Organstreitverfahren. Das Verfahren nach Art. 72 Abs. 2 N r . 1 VvB ist für Beteiligte vorgesehen, die sich in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis befinden und über bestimmte Fragen aus diesem Rechtsverhältnis streiten. Ein derartiges Rechtsverhältnis kann nur „zwischen Faktoren bestehen, die am Verfassungsleben beteiligt sind" (so für das Bundesrecht B V e r f G E 1, 208, 221; s. auch B V e r f G E 2, 143, 155; 27, 240, 246; vgl. schon Thoma, A Ö R 4 3 , 1922, 283: „Nicht jeder Streit über den Sinn eines Verfassungsartikels ist ein Verfassungsstreit. Es kommt auf die streitenden Subjekte an."). Insbesondere „andere Beteiligte" i. S. von Art. 72 Abs. 2 N r . 1 VvB kommen als Parteien eines O r ganstreitverfahrens von vornherein nur in Betracht, wenn sie den obersten
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Verfassungsorganen Berlins in Rang und Funktion dadurch gleichkommen, daß sie materiell Träger vergleichbarer Rechte (und Pflichten) und damit im „Verfassungsrechtskreis" (vgl. Friesenhahn, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. 3,1932,524) angesiedelt sind (s. auch C. Arndt, AöR 87, 1962, 197, 229). Diese Grundsätze sind heute in der deutschen Verfassungsrechtsprechung und im Schrifttum unumstritten (vgl. - für das Bundesrecht - statt aller Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991, Rdn. 926 ff.). Dem entspricht auch die Rechtslage in der Verfassungsgerichtsbarkeit weiterer Bundesländer. Ihnen ist gemeinsam - ungeachtet von Unterschieden im Detail - , daß es um Organe geht, die nach ihrem Status und ihrer Kompetenz unmittelbar von der jeweiligen Verfassung eingerichtet und insbesondere einem anderen Organ nicht untergeordnet sind (vgl. dazu Bethge, in: Starck/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Bd. II, 1983, 17, 24 f.). Anhaltspunkte dafür, daß das Organstreitverfahren nach dem Berliner Verfassungsrecht den Kreis der möglichen Antragsteller bzw. Antragsgegner abweichend geregelt hat, sind nicht ersichtlich. Die Frage war etwa von der von dem Abgeordnetenhaus eingesetzten Enquête-Kommission zur Errichtung eines Verfassungsgerichtshofes unter dem Gesichtspunkt einer Einbeziehung gerade bezirklicher Organe in das Organstreitverfahren berührt worden (vgl. den Bericht der Kommission vom 4. Januar 1989, AH-Drs. 10/2767, 8); der Gesetzgeber hat das nicht aufgegriffen. Vielmehr sind Art. 72 Abs. 2 Nr. 1 VvB und die diese Vorschrift konkretisierenden Bestimmungen des VerfGHG inhaltlich entsprechend dem bundesverfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren ausgestaltet. Die Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlungen sind allerdings in Art. 87a Abs. 2 Satz 3 VvB erwähnt, die Bezirksverordnetenversammlungen selbst in den Art. 53 ff. VvB. Diese Vorschriften verschaffen jedoch weder den Bezirksverordnetenversammlungen noch den in ihnen sich bildenden Fraktionen die Möglichkeit zu verfassungsrechtlichem und verfassungsgerichtlichem Streit im Sinne der vorgenannten Grundsätze. Die Bezirksverordnetenversammlung ist ein Organ der bezirklichen Selbstverwaltung (Art. 56 VvB), der Bezirk ein verselbständigter Teil der nachgeordneten Verwaltung; sie stehen den zum Organstreitverfahren befähigten obersten Landesorganen in Rang und Funktion fern. Eine Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung kann als deren Teil jedenfalls im Organstreitverfahren keine andere Rechtsstellung einnehmen als diese selbst. Es bedarf danach hier keiner Auseinandersetzung mit dem Umstand, daß die Antragstellerin Rechte ihrer Antragsgegnerin gegen diese geltend machen möchte. Dies kann ihr eine (im übrigen, wie dargelegt, auch der Antragsgegnerin nicht zukommende) Beteiligtenfähigkeit im Organstreitverfahren nicht verschaffen, sondern beträfe die Antragsbefugnis nach § 37 Abs. 1 VerfGHG.
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2. Auch wenn man das Anliegen der Antragstellerin unter dem Gesichtspunkt einer Verfassungsbeschwerde als Hauptsacheverfahren prüft, kann ihr Begehren keinen Erfolg haben. Die Antragstellerin möchte in der Sache erreichen, daß das gesamte Bezirksamt nach dem Verfahren Hare-Niemeyer gewählt wird. Die Verfassung von Berlin enthält jedoch kein Recht, aus dem sich ein derartiger Anspruch ergäbe. Weder Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB noch auch Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB schreiben für die Wahl der Mitglieder des Bezirksamts das Verfahren Hare-Niemeyer zwingend vor. Zu Unrecht meint die Antragstellerin, nur das Verfahren Hare-Niemeyer entspreche dem Grundsatz der Chancengleichheit. Zwar wird das Hare-Niemeyer-Verfahren dem Erfolgswert der für die kleineren Parteien abgegebenen Stimmen besser gerecht als das hier praktizierte Verfahren d'Hondt und bewirkt ferner, daß der Anteil der Sitze, welche die erfolgreichste Partei erhält, annähernd genau dem Anteil der auf sie entfallenen Stimmen entspricht. Es können sich jedoch hier ebenfalls Unstimmigkeiten, nämlich zwischen dem Verhältnis der für die einzelnen Wahlvorschläge abgegebenen Stimmen und dem Verhältnis der auf diese Vorschläge entfallenden Sitze ergeben. Unter diesen Umständen hat der Gesetzgeber zu entscheiden, welchem Verfahren er den Vorrang gibt. Der Verfassungsgerichtshof empfindet es als unbefriedigend, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Verankerung des Hare-Niemeyer-Verfahrens in den § § 1 7 Abs. 2 Satz 1 und 22 Abs. 1 Satz 1 des Landeswahlgesetzes im Jahre 1990 keine ausdrückliche Entscheidung der Frage getroffen hat, ob dies auch für § 35 BezVerwG/Art. 87a Abs. 2 Satz 4 VvB gelten soll. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33, 34 VerfGHG. Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 31 Abs. 3 VerfGHG).
Nr. 7 Die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind in den Grenzen der Art. 142, 31 GG, nämlich soweit sie in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Grundrechten des Grundgesetzes stehen, auch dann von der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu beachten, wenn Bundesrecht angewandt wird. Dementsprechend kann der Verfassungsgerichtshof auch überprüfen, ob die Gerichte des Landes Berlin bei der Anwendung von Bundesrecht die Grundrechte der Verfassung von Berlin beachtet haben. Verfassung von Berlin Art. 9 Abs. 1, 23 Abs. 1 und Abs. 2
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Grundgesetz Art.
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Beschluß vom
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Abs.
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Satz
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Abs.
- VerfGH
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38/92 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau A. d. R., zur Zeit in Untersuchungshaft, gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 1. Juli 1 9 9 2 - Geschäftsnummer ( 5 2 5 ) 6 9 Js 8 9 Kls ( 5 4 / 9 0 ) - und den Beschluß des Kammergerichts vom 1 7 . August 1 9 9 2 - Geschäftsnummer 1 AR 1 5 9 9 / 8 8 4 W s 136 u n d 137/92 - .
Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I.
Die Beschwerdeführerin befindet sich seit dem 12. Juli 1989 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 31. Oktober 1988 in Untersuchungshaft. Sie wird darin beschuldigt, in Peru, der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien von etwa September 1987 bis Ende August 1988 mit Kokain Handel getrieben zu haben, und zwar als Mitglied einer Bande. Die Staatsanwaltschaft hat mit Anklageschrift vom 15. November 1990 gegen die Beschwerdeführerin Anklage erhoben. Nach der Anklageschrift soll die Beschwerdeführerin ab 1987 mit anderen Beteiligten mehr als 100 Kilogramm Kokain von Peru nach Berlin und teilweise weiter nach England geschmuggelt haben. Mit Beschluß vom 23. April 1991 ließ das Landgericht Berlin die Anklage unter Eröffnung des Hauptverfahrens zu. Die Untersuchungshaft hinsichtlich der Beschwerdeführerin wurde mit der Maßgabe für fortdauernd erklärt, „daß diese der aus dem Anklagesatz und dem vorliegenden Eröffnungsbeschluß ersichtlichen Taten dringend verdächtig" sei und „Fluchtgefahr wegen der Höhe der zu erwartenden Strafe" bestehe. Seit dem 9. September 1991 wird gegen die Beschwerdeführerin vor dem Landgericht Berlin verhandelt. Das Verfahren gegen einen Beteiligten, der seinen Tatbeitrag gestand und die Beschwerdeführerin belastete, wurde am
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6. Januar 1992 abgetrennt. Dieser geständige Beteiligte wurde mit Urteil vom 8. Januar 1992 zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. Das Verfahren gegen die Beschwerdeführerin und einen weiteren Beteiligten wurde fortgesetzt. In der Sitzung vom 1. Juli 1992 legte die Beschwerdeführerin Haftbeschwerde ein, der mit Beschluß des Landgerichts Berlin nicht abgeholfen wurde, weil weiterhin dringender Tatverdacht bestehe, der - nach vorläufiger Bewertung - durch das Ergebnis der bisher durchgeführten Beweisaufnahme noch verstärkt worden sei. Die Beschwerdeführerin hatte mit ihrer Haftbeschwerde vorgetragen, daß das Landgericht ein förmliches Rechtshilfeersuchen auf Uberstellung der in Peru inhaftierten mutmaßlichen Bandenmitglieder G., M. und J. B. nach Berlin zum Zwecke ihrer Vernehmung bisher nicht gestellt habe. Die in Peru lebenden Zeugen würden insbesondere bezeugen, daß die Beschwerdeführerin in der Tatzeit ausdrücklich abgelehnt hätte, sich an der Abwicklung von Kokaingeschäften zu beteiligen. Die Zeugen würden die Aussage des inzwischen verurteilten Beteiligten widerlegen. Bereits seit Beginn der Hauptverhandlung sei bekannt, daß förmliche Ladungsersuchen an Peru 5 bis 6 Monate dauern würden. Aus einem Schreiben der Deutschen Botschaft in Lima vom 8. Januar 1992 ergebe sich ebenfalls, daß auch dort von einer Dauer von mindestens 6 Monaten für formelle Ersuchen auszugehen sei und daß für eine vorübergehende Uberstellung das Hauptproblem die Frage der Finanzierung bilde. Das Schreiben der Deutschen Botschaft sei erst im Juni 1992 von Bonn nach Berlin weitergeleitet und bis zum 1. Juli 1992 nicht beantwortet worden, Kostenübernahmeerklärungen lägen offensichtlich bis zum 1. Juli 1992 weder der Deutschen Botschaft noch den zuständigen peruanischen Behörden vor. Das Kammergericht hat mit Beschluß vom 17. August 1992 die Haftbeschwerde der Beschwerdeführerin verworfen. Unter Hinweis auf den Nichtabhilfebeschluß des Landgerichts Berlin vom 1. Juli 1992 hat das Kammergericht das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und seine weitere Erhärtung im Verlaufe der Hauptverhandlung angenommen. Wegen der außerordentlichen Höhe der zu erwartenden Strafe sei auch nach über drei Jahren Haftdauer die Fluchtgefahr immer noch so hoch, daß der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO erreicht werden könne. Gegen das Beschleunigungsgebot sei nicht dadurch verstoßen worden, daß das Landgericht ein förmliches Rechtshilfeersuchen auf Uberstellung der Zeugen in Peru erst am 20. Juli 1992 nach langwieriger Vorabklärung der Bedingungen gestellt habe sowie daß die Übermittlung eines Fernschreibens der Deutschen Botschaft in Lima vom Auswärtigen Amt in Bonn aus ungeklärten Gründen etwa ein halbes Jahr gedauert habe.
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Das Kammergericht hat unter Bezugnahme auf eine Erklärung des Vorsitzenden der zuständigen Strafkammer vom 8. Juli 1992 dargelegt, daß die Strafkammer sich durch einen Berichterstatter bereits am 27. Juni 1991 fernmündlich und schriftlich an die Senatsverwaltung für Justiz gewandt habe und um Mitteilung gebeten habe, unter Beachtung welcher Formalitäten u. a. Peru um eine kurzzeitige Uberstellung der Zeugen ersucht werden könne. Die Bemühungen seien in den folgenden Monaten fortgesetzt worden und hätten schließlich zu einer Anfrage des Auswärtigen Amtes an die Deutsche Botschaft in Peru geführt, ob auf ein entsprechendes Ersuchen mit einer Uberstellung - der in Peru lebenden Zeugen - zu rechnen sei. Am 8. Januar 1992 habe die Deutsche Botschaft geantwortet, daß eine klare Antwort bisher nicht zu erhalten gewesen sei. Das Hauptproblem scheine die Frage der Finanzierung zu bilden. Ein Fernschreiben der Staatsanwaltschaft beim Kammergericht zur Kosten- und Transportfrage liege der Botschaft nicht vor. Das Schreiben der Botschaft sei im Durchdruck am 15. Januar 1992 an den Bundesminister der Justiz geleitet worden, wo es den Eingangsstempel vom 1. Juni 1992 erhalten habe und von dort über die Staatsanwaltschaft am 12. Juni 1992 an die Strafkammer weitergeleitet worden sei. Am 19. März-1992 habe die Deutsche Botschaft in Peru direkt der Senatsverwaltung für Justiz berichtet, daß bis zu diesem Tage keine endgültige Entscheidung der peruanischen Behörden über die Möglichkeit der Überstellung zu erhalten gewesen sei. Die grundsätzliche Note an das Außenministerium sowie mündliche und schriftliche Erinnerungen und Anfragen direkt bei Polizei und Justiz seien ohne Reaktion geblieben. Selbst eine weitere Note, daß Deutschland dringend auf eine Entscheidung warte und auch mit einer Ablehnung des Gesuchs zufrieden wäre, habe nicht zum Erfolg geführt. Die Sachbearbeiterin im peruanischen Außenministerium habe lediglich mitgeteilt, daß das Ersuchen am 17. Januar 1992 an den Obersten Peruanischen Gerichtshof weitergegeben worden sei und eine Entscheidung sich noch über Monate hinziehen könne. Nach der zwischenzeitlich erfolgten Umwälzung in Peru habe sich die Strafkammer am 15. April 1992 abermals an die Staatsanwaltschaft gewandt, die sich ihrerseits über das Auswärtige Amt an die Botschaft in Lima gewandt habe. Das Auswärtige Amt übermittelte der Senatsverwaltung für Justiz die Antwort der Deutschen Botschaft, in der es hieß, daß mit einer Überstellung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Zur Zeit sei die Rechtspflege für 10 Tage per Dekret ausgesetzt. Die Justiz solle reformiert werden. Eine merkliche Beschleunigung der Verfahren könne nach Wiederaufnahme der Geschäfte realistischerweise nicht erwartet werden. Mit Schreiben vom 13. Juli 1992 habe das Landgericht die peruanischen Behörden nochmals wissen lassen, daß alle notwendigen Kosten von hier
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übernommen würden und allen peruanischen Zeugen freies Geleit zugesichert würde. Das Kammergericht hat aus diesem Ablauf eine vermeidbare Verzögerung des Verfahrens nicht festgestellt. Zwischen Peru und der Bundesrepublik Deutschland bestehe kein Rechtshilfeabkommen. Uber Uberstellungsersuchen entschieden nicht die deutschen Gerichte, sondern der Bundesjustizminister im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt. Das Landgericht Berlin könne nur die Stellung eines Ersuchens anregen, über das Ob, Wann und Wie entschieden die genannten Behörden. Es könne dahinstehen, ob verfahrensverzögernde Versäumnisse dieser Behörden zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft führen könnten. Die informellen Anfragen bei den peruanischen Behörden hätten der Klärung gedient und seien zweckmäßig gewesen. Eine Verzögerung des Verfahrens sei auch nicht durch die verspätete Weitergabe der Antwort der Deutschen Botschaft in Lima an das Auswärtige Amt vom 8. Januar 1992 entstanden. In Peru habe es am 5. April 1992 einen Staatsstreich gegeben, der ohnehin zu einem vorübergehenden Stillstand der Rechtspflege geführt habe. Die Dauer des Ubermittlungsweges zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium der Justiz sei demzufolge für eine Verzögerung nicht ursächlich geworden. Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 31. August 1992 gegen den Nichtabhilfebeschluß des Landgerichts Berlin und den Verwerfungsbeschluß des Kammergerichts Verfassungsbeschwerde eingelegt. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt sie die Verletzung der Art. 2 Abs. 1 und 2 GG, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 9 Abs. 1, Art. 23 Abs. 2 der Verfassung von Berlin. In der Fortdauer der Untersuchungshaft seit nunmehr mehr als drei Jahren sieht sie eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit. Soweit das Kammergericht die Fortdauer der Untersuchungshaft noch als verhältnismäßig ansehe, sei diese Rechtsanwendung willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Das Ermittlungsverfahren sei, obwohl die Beschwerdeführerin sich am 12. Juli 1989 den Ermittlungsbehörden gestellt habe und vorher seitens der Staatsanwaltschaft erklärt worden sei, daß nach zwei Monaten über die Erhebung der Anklage entschieden werde, bis zum November 1990 hingezogen worden. Das Landgericht habe die Anklage erst am 23. April 1991 zugelassen. Der zuständige Vorsitzende der Kammer habe schon am 5. November 1990 gegenüber dem Präsidenten des Landgerichts angezeigt, daß es nicht möglich sei, alle Haftsachen innerhalb der durch das Gesetz vorgegebenen Frist zu verhandeln. Eine Entlastung der Kammer sei nicht bzw. nicht im erforderlichen Umfang erfolgt. Tatsächlich sei dann mit der Hauptverhandlung auch erst am 8. Sep-
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tember 1991 begonnen worden. Die Berliner Justiz sei infolge des Einigungsvertrages überlastet. Aus der vorläufigen Zeugenliste (Stand Juli 1991) ergebe sich die beabsichtigte Vernehmung des Zeugen G. für den 4. November 1991 und der Zeugin M. B. für den 13. November 1991. Von einem weiteren Beteiligten sei zudem mit Beweisantrag vom 6. Januar 1992 die Ladung des Zeugen G. beantragt worden. Seit der Anklageerhebung sei also davon auszugehen gewesen, daß die Zeugen G. und M. B. gehört werden müßten. Die Zeugen seien jedoch erst mit Schreiben vom 20. Juli 1992 geladen worden. Ab Ladung würden mindestens weitere 6 Monate bis zur Uberstellung der Zeugen vergehen. Seit dem März 1992 bestehe die Hauptverhandlung nur noch aus „Schiebeterminen", in denen jeweils einzelne Kontoauszüge verlesen würden. Die Bemühungen des Gerichts, die Zeugen zu laden und zeitnah zur Hauptverhandlung zur Einvernahme heranzuschaffen, seien unzulänglich gewesen. Die Ladung sei auch nicht zügig vorbereitet worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoße der weitere Vollzug von Untersuchungshaft gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn die Strafverfolgungsbehörden nicht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätten, um die notwendigen Ermittlungen mit der erforderlichen Schnelligkeit abzuschließen. Diese Maßstäbe würden auch für Art. 9 Abs. 1 VvB gelten. Schon der Zeitaufwand von neun Monaten zwischen Anklageerhebung und erstem Verhandlungstag sei nicht gerechtfertigt. Die Nichtladung der wichtigsten Tatzeugen sei schon gar nicht gerechtfertigt. Aus den vom Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin beigezogenen Haftbänden ergibt sich, daß die Anberaumung weiterer Verhandlungstage vor der Strafkammer erforderlich war „wegen der noch immer ausstehenden Antwort der peruanischen Behörden auf die hiesige Anfrage, ob mit einer Uberstellung der dort Verfolgten zur zeugenschaftlichen Vernehmung gerechnet werden könne" (Vermerk des Vorsitzenden der Strafkammer vom 19. März 1992) und „infolge der schleppenden Kommunikation mit den peruanischen Behörden" (Vermerk des Vorsitzenden der Strafkammer vom 27. April 1992). Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat die Senatsverwaltung für Justiz beteiligt. Diese hält unter Hinweis auf die Entscheidungen des BayVerfGH 2, 9; 11, 90/96 und 14, 49/53 f. die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, weil die Aufhebung einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung durch ein Landesverfassungsgericht nicht begehrt werden könne. Zumindest sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Bei der hier in Frage stehenden Auslegung von Bundesrecht, insbesondere § 121 Abs. 1 StPO, komme dem Landesverfassungsrecht keine unmittelbare Bedeutung zu.
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II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 VvB rügt. Nicht statthaft ist allerdings die selbständige Rüge einer Verletzung der bundesrechtlichen - Vorschrift des Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie des Art. 20 Abs. 3 GG, der im übrigen kein Grundrecht gewährleistet. Denn mit der Verfassungsbeschwerde nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann nur die Verletzung von Rechten gerügt werden, die in der Verfassung von Berlin enthalten sind. Auch Art. 23 Abs. 2 VvB - eine dem Art. 19 Abs. 2 GG vergleichbare Vorschrift, die für Grundrechtsbeschränkungen eine Grenze zieht - ist nicht geeignet, gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG für sich genommen gerügt zu werden. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, weil es nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht von vornherein ausgeschlossen ist, daß die angegriffenen Entscheidungen sie in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 9 Abs. 1 VvB) verletzen. Auch die sonstigen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde liegen vor. Das genannte Grundrecht steht in Ubereinstimmung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und ist deshalb ungeachtet der bundesrechtlichen Verbürgung in Kraft (vgl. Art. 142 GG). Der Regelungsgehalt des Art. 9 Abs. 1 VvB ist mit demjenigen des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG identisch (vgl. Schwan, in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 2. Aufl., 1987, Rdn. 1 zu Art. 9). Das belegt zunächst der Wortlaut der Vorschriften. Es wird ferner aus dem Umstand deutlich, daß die weiteren Aussagen des Art. 9 VvB sämtlich Garantien im Zusammenhang mit Beschränkungen gerade der körperlichen Bewegungsfreiheit enthalten. Anhaltspunkte dafür, daß Art. 9 Abs. 1 VvB i. S. der früher vereinzelt zur Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vertretenen Ansicht zu verstehen sei, es handele sich um die Freiheit vor jeglichem staatlichen Zwang (vgl. dazu Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, Hrsg., Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 1989, § 130 Rdn. 1, 4 f. m. Nachw.), sind nicht ersichtlich. Solche Anhaltspunkte vermittelt auch die Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 1 VvB nicht (Die Vorschrift war wortwörtlich schon in den Entwürfen von C D U und SED 1947 enthalten, vgl. die bei Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, 1990, dokumentierten Verfassungsentwürfe - Dokument 98 - . Bei der beabsichtigten, aber später nicht vollzogenen Angleichung an das Grundgesetz ließ der Verfassungsausschuß der Stadtverordnetenversammlung in der Sitzung vom 9. November 1949 die jetzige Fassung ausdrücklich bestehen, ging also erkennbar von einer Übereinstimmung mit dem Grundgesetz aus, vgl. Reichhardt, aaO - Dokument 184 - S. 2147.)
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Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insbesondere nicht entgegen, daß die angegriffenen Entscheidungen auf Vorschriften der Strafprozeßordnung und damit auf Bundesrecht beruhen. Entscheidend ist, daß es sich um Akte des Landes Berlin (vgl. § 49 Abs. 1 V e r f G H G ) handelt. Die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind für die rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin verbindlich (Art. 23 Abs. 1 VvB) und in den Grenzen der Art. 142, 31 G G auch dann beachtlich, wenn diese Bundesrecht anwendet. Folglich kann der Verfassungsgerichtshof auch bei solchen Fallgestaltungen überprüfen, ob die Grundrechte der Verfassung von Berlin eingehalten worden sind. Dabei stellt sich allerdings nicht die Frage, ob solches Bundesrecht mit der Verfassung von Berlin vereinbar ist. Bundesrecht und Landesrecht bestehen in zunächst voneinander unabhängigen „Verfassungsräumen" (vgl. B V e r f G E 4, 178, 189). Landesgrundrechte richten sich nicht an den Bundesgesetzgeber. Eine Vorschrift des Bundesrechts kann nicht - wie umgekehrt (vgl. Art. 31 G G ) - eine solche des Landesrechts verletzen. Allerdings kann die Unvereinbarkeit einer Vorschrift des einfachen Bundesrechts mit dem Bundesverfassungsrecht gegebenenfalls ein Berliner Gericht, auch den Verfassungsgerichtshof, zur Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 G G an das Bundesverfassungsgericht verpflichten. Vorliegend geht es jedoch nicht um die etwaige Verfassungswidrigkeit von Vorschriften des einfachen Rechts, sondern allein um die Verfassungsmäßigkeit ihrer Anwendung. Es ist nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht von vornherein auszuschließen, daß die angegriffenen Entscheidungen die Tragweite des Grundrechtsschutzes verkannt haben, dies im Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G wie auf Art. 9 Abs. 1 VvB. Die landesrechtliche N o r m bildet dabei den (einzigen) Maßstab für die Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof, doch hat er die Vereinbarkeit der gerichtlichen Entscheidungen auch mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G als Vorfrage zu prüfen (vgl. v. Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde und Bundesrecht, 1980, S. 142; siehe auch Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 2. Aufl., 1988, Rdn. 229, sowie Schmitt Glaeser/Horn in BayVBl. 1992, 673, 685). Die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G würde die Annahme eines Verstoßes auch gegen Art. 9 Abs. 1 VvB implizieren, da hier nach dem materiellen Gehalt ein und dasselbe Grundrecht vorliegt (vgl. B V e r f G E 22, 267, 271). Die Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 3 G G gewährleistet in Fällen der vorliegenden Art, daß die Auslegung von Landesgrundrechten, die mit Grundrechten des Grundgesetzes inhaltsgleich sind, in Ubereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bleibt. Der von der Senatsverwaltung für Justiz angeführte Umstand, daß die Beschwerdeführerin offenbar meint, der Verfassungsgerichtshof sei befugt, ihre Entlassung aus der Haft unmittelbar zu verfügen, steht der Zulässigkeit der
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Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, sondern betrifft eine Frage des Entscheidungsausspruchs, der nur nachzugehen ist, wenn sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet erweist. Gleiches gilt für die von der Senatsverwaltung für Justiz aufgeworfene und unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes verneinte Frage, ob der Verfassungsgerichtshof bei Verfassungsbeschwerden gegenüber gerichtlichen Entscheidungen zu deren Aufhebung befugt sei. Die von der Senatsverwaltung für Justiz herangezogene Rechtsprechung ist - abgesehen davon, daß sie auf Berliner Landesrecht nicht ohne weiteres übertragbar ist - vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 16. November 1973 (NJW1973, S. 301) und vom 22. März 1974 (NJW 1975, S. 302), also seit fast zwanzig Jahren, aufgegeben worden. Seitdem hält sich in ständiger Rechtsprechung auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof für befugt, landes gerichtliche Entscheidungen, die auf Bundesverfahrensrecht beruhen, bei festgestelltem Verfassungsverstoß aufzuheben (u. a. Entscheidung vom 23. November 1990 - BayVerfGHE 43,170). Im übrigen ist der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nicht etwa nur auf die Uberprüfung der Einhaltung - landesverfassungsrechtlich gewährter - Verfahrensgrundsätze und des Willkürverbots beschränkt. Seine Prüfungsbefugnis ist nicht deshalb eingeschränkt, weil Bundesrecht allgemein höheren Rang habe als Landesrecht und deshalb von dem letzteren nicht beeinflußt werden könne (so im vorliegenden Zusammenhang BayVerfGH N J W 1973, S. 1644). Denn es geht nicht um die Prüfung eines Verfassungsverstoßes durch Normerzeugung, sondern um die Kontrolle eines Akts der Normanwendung (durch ein Organ des Landes). Grenzen der Entscheidungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs folgen deshalb insoweit nicht aus dem Verhältnis von Bundesrecht und Landesrecht, sondern ergeben sich aus dem Verhältnis der Verfassungsgerichtsbarkeit zur sonstigen Gerichtsbarkeit. Diese Grenzen sind hier nicht überschritten, denn inhaltlich scheidet vorliegend eine Verletzung des Grundrechts auf die Freiheit der Person, auf das sich die Beschwerdeführerin unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit berufen kann, nicht von vornherein aus. Eine Dauer der Untersuchungshaft von etwas mehr als drei Jahren kann - wie auch das Kammergericht einräumt - nur ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Auch der unstreitige Umstand, daß für die Übermittlung eines Schreibens zwischen zwei Ministerien ein Zeitraum von einem halben Jahr benötigt wurde, deutet auf rechtswidrige Verzögerungen zumindest hin. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. a) Art. 9 Abs. 1 VvB garantiert die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum inhaltsgleichen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG folgt daraus j edoch keine schrankenlose
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und durch nichts einschränkbare Garantie der Freiheit der Person. Die Freiheit der Person nimmt als Basis der allgemeinen Rechtsstellung und Entfaltungsmöglichkeit der Bürger einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Daher darf die Einschließung eines Beschuldigten in einer Justizvollzugsanstalt nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten. Zu den Belangen des Gemeinwohls, gegenüber denen der Freiheitsanspruch eines Beschuldigten unter Umständen zurückzutreten hat, gehören die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung. Diese wäre vielfach nicht möglich, bliebe es den Strafverfolgungsbehörden ausnahmslos verwehrt, einen mutmaßlichen Täter schon vor der Verurteilung festzunehmen und bis zum Abschluß des Strafverfahrens in Haft zu halten. Ein vertretbarer Ausgleich des Widerstreits dieser für den Rechtsstaat wichtigen Grundsätze läßt sich indes nur erreichen, wenn den Freiheitsbeschränkungen, die vom Standpunkt der Strafverfolgung aus nötig und zweckmäßig sind, ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten wird. Dies bedeutet, daß zwischen beiden Rechtsgütern abzuwägen ist, wobei zu berücksichtigen bleibt, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe - der Haftdauer Grenzen setzt. Bei der Abwägung fordert der Umstand Beachtung, daß sich mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft das Gewicht des Freiheitsanspruches gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung vergrößern kann (so Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 1973 - BVerfGE 36, 264, 269 f.). Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zum Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG betont, daß in diesem Freiheitsgrundrecht das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot angesiedelt ist. Der Eingriff in die Freiheit ist nur hinzunehmen, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann als durch vorläufige Inhaftierung eines Verdächtigen. Dem trägt die Bestimmung des §121 Abs. 1 StPO Rechnung, wonach der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Bei dieser Beurteilung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entscheidend darauf abzustellen, ob die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ihrerseits alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1992 - N J W 1992, 1750 m. w. N.). Dem folgt der Verfassungsgerichtshof.
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Vor diesem Hintergrund prüfen die angefochtenen Entscheidungen zutreffend, ob im Lichte des Rechts auf Unverletzlichkeit der Freiheit der Person ein wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO dafür vorliegt, daß es bisher noch nicht zu einer durch Urteil abgeschlossenen Überprüfung der gegenüber der Beschwerdeführerin erhobenen Tatvorwürfe gekommen ist. Ein Urteil ist wegen der noch nicht erfolgten Vernehmung der drei Zeugen aus Peru bisher nicht ergangen. Diese standen bisher nicht zur Verfügung. Die mit der Verfassungsbeschwerde gerügten Entscheidungen gehen davon aus, daß in dem Nichtzurverfügungstehen der Zeugen ein wichtiger Grund liegen kann. Diese Auslegung des Begriffs „wichtiger Grund" aus § 121 Abs. 1 StPO ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und verkennt Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der persönlichen Freiheit nicht. b) Der Annahme eines wichtigen Grundes steht auch nicht entgegen, daß die noch zu vernehmenden Zeugen bisher aus Gründen nicht zur Verfügung standen, die etwa „in den Verantwortungsbereich der staatlich verfaßten Gemeinschaft" fallen würden (vgl. hierzu Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 1983 - BVerfGE 36, 264, 275). Prüfungsgegenstand ist in diesem Zusammenhang nicht der gesamte Ablauf des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens. Die Beschwerdeführerin trägt selbst vor, daß vor dem hier gerügten Beschluß des Kammergerichts vom 17. August 1992 Haftfortdauerbeschlüsse des Kammergerichts gegen die Beschwerdeführerin am 17. Mai 1991 und am 22. August 1991 ergangen seien. Über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft bis einschließlich 22. August 1991 ist demgemäß rechtskräftig abschließend entschieden. Ein erneuter Beschluß über die Fortdauer der Untersuchungshaft, hier der Beschluß des Kammergerichts vom 17. August 1992, führt nicht dazu, daß denkbare frühere Verzögerungen des Verfahrens neu überprüft und damit neu zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werden können. Das Kammergericht hat deshalb in dem Beschluß vom 17. August 1992 zu Recht mögliche Verzögerungen für die Zeit bis zum Beginn der Hauptverhandlung nicht geprüft, sondern insoweit Bezug auf seine bisherigen Haftprüfungsentscheidungen genommen. Die zur Entscheidung stehende Verfassungsbeschwerde kann auch nicht in eine gleichzeitige Verfassungsbeschwerde gegen die vor dem Beschluß vom 17. August 1992 liegenden Beschlüsse des Kammergerichts vom 17. Mai 1991 und vom 22. August 1991 umgedeutet werden. Denn auch unter Berücksichtigung der Fristhemmung durch Art. II Abs. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof vom 11. Dezember 1991 (GVB1. S. 280) waren die Fristen des § 51 V e r f G H G zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse vom 17. Mai 1991 und vom 22. Au-
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gust 1991 bei Erhebung der hier zur Entscheidung stehenden Verfassungsbeschwerde vom 30. August 1992 abgelaufen. Prüfungsgegenstand ist demnach nur, ob das Landgericht Berlin seit dem 22. August 1991 alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ein Urteil herbeizuführen. aa) Hierbei dürfte in den Verantwortungsbereich der staatlich verfaßten Gemeinschaft wohl eine Verzögerung durch Nichtbearbeitung und Nichtweiterleitung des Schreibens der Deutschen Botschaft in Lima vom 8. Januar 1992 fallen, das spätestens am 15. Januar 1992 beim Bundesminister der Justiz registriert wurde. Die nicht zügige Weiterleitung des Schreibens der Deutschen Botschaft hat jedoch auf den Verfahrensablauf keinen erkennbar verzögernden Einfluß gehabt. Wie die Deutsche Botschaft in Peru mit Schreiben vom 19. März 1992 der Senats verwaltung für Justiz mitgeteilt hat, ist ungeachtet des Schreibens vom 8. Januar 1992 ein Ersuchen gestellt und am 17. Januar 1992 an den Peruanischen Obersten Gerichtshof weitergeleitet worden, über das nach Mitteilung der Botschaft in Peru bis zum 19. März 1992 noch nicht entschieden worden war. Eine Entscheidung könne sich nach Auskunft der Sachbearbeiterin im peruanischen Außenministerium noch über Monate hinziehen. Die Nichtweiterleitung des Schreibens vom 8. Januar 1992 hat offensichtlich das Nichtzurverfügungstehen der drei peruanischen Zeugen nicht verursacht und kann deshalb außer Betracht bleiben. Auf die Frage, ob wegen veränderter politischer Verhältnisse in Peru ohnehin weitere Verzögerungen eingetreten wären und wie sich eine derartige „überholende Kausalität" auf die Bejahung oder Verneinung eines „wichtigen Grundes" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO auswirken würde, braucht deshalb nicht näher eingegangen zu werden. bb) Die vom Landgericht Berlin gewählte Form der vorherigen Klärung der Uberstellungsmöglichkeiten anstelle einer Anregung eines sofortigen förmlichen Rechtshilfeersuchens ist unter dem auch verfassungsrechtlich gegebenen Beschleunigungsgebot nicht zu beanstanden. Die Prognose des Landgerichts und die ihr folgende Entscheidung des Kammergerichts, daß zur zügigen Durchführung des Verfahrens vor Anregung eines förmlichen Rechtshilfeersuchens eine Vorabklärung durch die deutschen Stellen mit den peruanischen Stellen sinnvoll war, kann nicht in der Sache im einzelnen vom Verfassungsgerichtshof geprüft werden, der keine zusätzliche Rechtsmittelinstanz ist. Die Prognose kann nur überprüft werden, ob der vom Landgericht eingeschlagene Weg auf einer Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der persönlichen Freiheit beruht. Eine derartige verfassungsrechtlich relevante Verkennung läge nur vor, wenn von vornherein und für
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einen unbefangenen Betrachter offensichtlich festgestanden hätte, daß das vom Landgericht gewählte Verfahren länger dauern würde als die sofortige Anregung eines Rechtshilfeersuchens ohne Vorabklärung. Hierfür sind hinreichende Anhaltspunkte nicht ersichtlich. c) Auch die absolute Dauer der an der Beschwerdeführerin vollzogenen Untersuchungshaft ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführerin befindet sich seit dem 12. Juli 1989 in Untersuchungshaft, bis zum Zeitpunkt des mit der Verfassungsbeschwerde gerügten Beschlusses des Kammergerichts vom 17. August 1992 also seit rund drei Jahren und einem Monat. Der Fall gibt keine Veranlassung, über eine absolute zeitliche Grenze der Untersuchungshaft zu befinden. Schon in Anbetracht des schwerwiegenden Tatvorwurfs erscheint die andauernde Untersuchungshaft noch als verhältnismäßig. Hierbei kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß bei der festzustellenden Internationalisierung der Kriminalität Verzögerungen in den Ermittlungen und im Ablauf des Strafverfahrens durch einen langwierigen Verkehr mit Justizinstitutionen anderer Staaten und durch Schwierigkeiten bei der Gestellung im Ausland wohnender Zeugen auftreten können. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Nr. 8 1) Die Verfassung von Berlin enthält als ungeschriebenen Verfassungssatz ein Grundrecht des einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde durch die staatliche Gewalt. 2) Die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind für die rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin in den Grenzen der Art. 142, 31 GG auch bei der Anwendung von Bundesrecht beachtlich. Enthalten das Grundgesetz und die Verfassung von Berlin inhaltsgleiche Grundrechtsgarantien, so hat der Verfassungsgerichtshof auf die Rüge der Verletzung des entsprechenden Landesgrundrechts durch die auf Bundesrecht beruhende Entscheidung eines Berliner Gerichts als Vorfrage die Vereinbarung dieser Entscheidung mit dem identischen Bundesgrundrecht zu prüfen. 3) Auf das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde kann sich auch berufen, wer schwerer Straftaten beschuldigt ist, die in unerträglicher Weise gegen die Wertordnung der Verfassung verstoßen.
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4) Es verletzt das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde, wenn ein Strafverfahren fortgesetzt wird, obwohl nach den tatrichterlichen Feststellungen davon auszugehen ist, daß der Angeklagte infolge schwerer und unheilbarer Erkrankung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende des Strafverfahrens in erster Instanz nicht mehr erleben wird. 5) Stellt der Verfassungsgerichtshof fest, daß eine gerichtliche Entscheidung Grundrechte verletzt, und hebt er sie infolgedessen gemäß § 54 Abs. 3 VerfGHG auf, hat er in entsprechender Anwendung von § 95 Abs. 2 BVerfGG die Sache an ein zuständiges Gericht zurückzuverweisen. Verfassung von Berlin Art. 6, 8, 9, 20, 21, 62, 69 Grundgesetz Art. 1 Abs. 1, 31,142 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 54 Abs. 3 Beschluß vom 12. Januar 1993 - VerfGH 55/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn H., zur Zeit in Untersuchungshaft - Haftkrankenhaus - , gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 1992 - Gesch.-Nr. 527-10/92 und den Beschluß des Kammergerichts vom 28. Dezember 1992 - Gesch.-Nr. 4 Ws 217, 218 und 248/92 - .
Entscheidungsformel: Der Beschluß des Kammergerichts vom 28. Dezember 1992 - Gesch.Nr. 4 Ws 217, 218 und 248/92 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde, soweit die Haftbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen wird. Insoweit wird der Beschluß aufgehoben. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluß zurückgewiesen. Der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 1992 - Gesch.Nr. 527-10/92 - , mit dem die Einstellung des Verfahrens und die Aufhebung des Haftbefehls gegen den Beschwerdeführer abgelehnt worden ist, verletzt ebenfalls das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde. Der Beschluß wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
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Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe: I. Der im 81. Lebensjahr stehende Beschwerdeführer wendet sich im Ausgangsverfahren gegen den Bestand des Haftbefehls des Landgerichts Berlin vom 19. Oktober 1992 - 527-10/92 - und mit seiner Verfassungsbeschwerde sinngemäß gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 1992 und die diesen Beschluß im Ergebnis bestätigende Beschwerdeentscheidung des Kammergerichts vom 28. Dezember 1992 - 4 Ws 217, 218 und 248/ 92 - , mit welchen der Antrag des Beschwerdeführers auf Abtrennung und Einstellung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens sowie die Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt worden sind. Außerdem begehrt er den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Juli 1992 in Untersuchungshaft im Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten in Berlin-Moabit. Die Schwurgerichtsanklage der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht vom 12. Mai 1992 wirft ihm vor, als Vorsitzender des Staatsrats und des Nationalen Verteidigungsrates (NVR) der ehemaligen D D R gemeinsam mit vier Mitangeklagten in der Zeit vom 12. August 1961 bis zum 5. Februar 1989 durch 68 selbständige Handlungen Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein, bzw. eine solche Tat versucht zu haben, indem er insbesondere als Mitglied des N V R angeordnet habe, die Grenzanlagen um Berlin (West) und die Sperranlagen zur Bundesrepublik Deutschland auszubauen, um ein Passieren unmöglich zu machen, insbesondere nach dem 13. August 1961 zwischen 1962 und 1980 mehrfach Maßnahmen und Festlegungen zum weiteren pioniertechnischen Ausbau der Grenze durch Errichtung von Streckmetallzäunen zur Anbringung der richtungsgebundenen Splittermine und der Schaffung von Sicht- und Schußfeld entlang der Grenzsicherungsanlagen getroffen zu haben, um „Grenzdurchbrüche" zu verhindern. Außerdem habe der Beschwerdeführer im Mai 1974 in einer Sitzung des N V R dargelegt, der pioniermäßige Ausbau der Staatsgrenze müsse weiter fortgesetzt werden, überall müsse ein einwandfreies Schußfeld gewährleistet werden und nach wie vor müsse bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schußwaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden und „die Genossen, die die Schußwaffe erfolgreich angewandt haben", seien „zu belobigen".
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Diese Anklage ist durch Beschluß der Strafkammer 27 des Landgerichts Berlin - 527-10/92 - vom 19. Oktober 1992 unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung zugelassen worden. Mit Beschluß vom gleichen Tage ist das Verfahren hinsichtlich 56 der angeklagten Fälle abgetrennt worden, deren Verhandlung zurückgestellt wurde. Die verbliebenen 12 Fälle sind Gegenstand der seit dem 12. November 1992 stattfindenden Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin. Ebenfalls am 19. Oktober 1992 erließ die Strafkammer einen Haftbefehl, der hinsichtlich der verbliebenen zwölf Fälle noch Bestand hat. Die hiergegen erhobenen und insbesondere mit seiner weit fortgeschrittenen Krebserkrankung begründeten Haftbeschwerden blieben erfolglos. Zuletzt lehnte die Strafkammer mit Beschluß vom 21. Dezember 1992 den Antrag des Beschwerdeführers ab, das Verfahren, soweit es sich gegen ihn richtet, abzutrennen, einzustellen und den genannten Haftbefehl aufzuheben. Das Landgericht führte in seiner Begründung aus, daß kein Verfahrenshindernis bestehe. Zwar habe sich die Einschätzung der voraussichtlich eintretenden Verhandlungsunfähigkeit aufgrund der aktualisierten schriftlichen Gutachten zeitlich verdichtet. Die Prognose des Eintritts der Verhandlungsunfähigkeit sei jedoch im Hinblick auf die Schwere und Bedeutung des Tatvorwurfs und des sich daraus ergebenden Gewichts der verfassungsrechtlich gebotenen Pflicht zur Strafverfolgung noch immer zu ungewiß, als daß eine sofortige Einstellung des Verfahrens zwingend geboten erscheine. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Kammergericht durch Beschluß vom 28. Dezember 1992 verworfen. Das Kammergericht kommt zu dem Ergebnis, es bestehe weiterhin dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr, eine Haftverschonung komme nicht in Betracht. Zwar sei aufgrund der überzeugenden Stellungnahmen und Gutachten der medizinischen Sachverständigen davon auszugehen, daß infolge eines bösartigen Tumors im rechten Leberlappen des Beschwerdeführers eine Verhandlungsfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr lange bestehen werde. Das Kammergericht hält es für unwahrscheinlich, daß das Verfahren bis zum April 1993 im ersten Rechtszuge abgeschlossen sein könne. Vielmehr werde es sich wohl mindestens bis zum Jahresende hinziehen. So lange werde der Beschwerdeführer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr leben, so daß er den Abschluß des Verfahrens nicht überleben werde. Das Kammergericht sah sich rechtlich daran gehindert, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses der dauernden Verhandlungsunfähigkeit selbst einzustellen, weil gemäß § 260 Abs. 3 StPO nach Beginn der Hauptverhandlung eine solche Entscheidung nur noch von dem erkennenden Gericht durch Urteil ausgesprochen werden könne. Dementsprechend könne es auch den Haftbefehl gegen den Beschwer-
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defiihrer nicht aufheben, bevor das Schwurgericht über das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses entschieden habe. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Grundrechts der Menschenwürde und führt aus, durch die angegriffenen Entscheidungen hierin verletzt zu sein. Die Gewährleistung dieses Grundrechts ergebe sich auch aus der Verfassung von Berlin. Die Menschenwürde gelte als tragendes Prinzip der Verfassung auch gegenüber dem staatlichen Strafvollzug und der Strafjustiz uneingeschränkt. Die Fortführung eines Strafverfahrens und einer Hauptverhandlung gegen einen Angeklagten, von dem mit Sicherheit zu erwarten sei, daß er vor Abschluß der Hauptverhandlung und mithin vor einer Entscheidung über seine Schuld oder Unschuld sterben werde, verletze die Menschenwürde des Betroffenen. Die Menschenwürde umfasse insbesondere das Recht eines Menschen, in Würde sterben zu dürfen. Der 4. Strafsenat des Kammergerichts, die Strafkammern 14 und 27 des Landgerichts Berlin, der Senat von Berlin, die Senatsverwaltung für Justiz, die Generalstaatsanwälte bei dem Landgericht und dem Kammergericht sowie die Nebenkläger hatten gem. § 53 V e r f G H G Gelegenheit zur Stellungnahme.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet. Die angefochtenen Beschlüsse des Landgerichts und des Kammergerichts verletzen, soweit sie aufgehoben worden sind, das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde. 1. Die Verfassung von Berlin enthält ein Grundrecht auf Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Zwar findet sich in dem geschriebenen Text der Verfassung von Berlin keine Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes entsprechende Gewährleistung der Menschenwürde und keine ausdrückliche Verpflichtung der staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Die Verfassung des Gliedstaates eines Bundesstaates ist jedoch, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt ausgesprochen hat, nicht in der Verfassungsurkunde, dem geschriebenen Verfassungstext, allein enthalten. In sie hinein wirken vielmehr auch Bestimmungen der Bundesverfassung. Erst beide Elemente zusammen, die Verfassungsurkunde und die in sie hineinwirkenden Bestimmungen der Bundesverfassung, machen die Verfassung des Gliedstaates aus ( B V e r f G E 1, 208, 232; 27, 44, 55; 6 6 , 1 0 7 , 1 1 4 ) . Zu den grundlegenden, die Bundesrepublik Deutschland konstituierenden Bestimmungen des Grundgesetzes gehört Art. 1 Abs. 1. Indem er die
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Würde des Menschen für unantastbar erklärt und die staatliche Gewalt dazu verpflichtet, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, stellt er die Menschenwürde in den Mittelpunkt der grundrechtlichen Wertordnung (BVerfGE 36, 174, 188), erhebt er sie zum obersten Wert im System der Grundrechte (BVerfGE 35, 366, 376). Dem entspricht es, daß Art. 79 Abs. 3 GG auch Art. 1 GG für unabänderbar erklärt. Art. 1 Abs. 1 GG gehört deshalb zu den Bestimmungen des Grundgesetzes, die in die Landesverfassungen hineinwirken und so zu einem konstitutiven Element der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern werden. Dieser Erwägungen bedarf es allerdings nicht, wenn eine Landesverfassung, wie die Verfassungen von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Brandenburg sowie der Vorspruch der Verfassung von Rheinland-Pfalz, das Bekenntnis zur Menschenwürde ausdrücklich in den Wortlaut der Verfassungsurkunde aufgenommen hat. Fehlt es hingegen, wie in der Verfassung von Berlin, an einer ausdrücklichen Aufnahme in den Wortlaut der Verfassungsurkunde - die nach dem Fall der Mauer von der Stadtverordnetenversammlung der elf Bezirke Ost-Berlins verabschiedete Verfassung von Berlin vom 23. Juli 1990 (GVABl. S. 1 ), die bis zum 11. Januar 1991 in Kraft war, verpflichtete hingegen in ihrem Art. 6 zum Schutz der Menschenwürde - , ist die Gewährleistung der Menschenwürde ein ungeschriebener Verfassungsgrundsatz und die Pflicht der staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, eine ungeschriebene Verfassungspflicht, die die Landesverfassung der staatlichen Gewalt des Landes Berlin auferlegt. Da diese Pflicht auf dem Hineinwirken des Grundgesetzes in die verfassungsrechtliche Ordnung des Landes Berlin beruht (vgl. BVerfGE 1, 208, 233), hat sie den gleichen Inhalt wie die Pflicht, die Art. 1 Abs. 1 GG der staatlichen Gewalt kraft Bundesverfassungsrechts auferlegt. Im übrigen lassen sich der Verfassung von Berlin gewichtige Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß sie, wenn auch ohne ausdrückliche Erwähnung, die Würde des Menschen als obersten Wert im System der Grundrechte ansieht. Die Verfassung von Berlin gewährt u. a. die Freiheit der Person (Art. 9), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 6), das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 8), der Freizügigkeit (Art. 11) und die Glaubensfreiheit (Art. 20 Abs. 1). Die diesen Grundrechten entsprechenden Grundrechte des Grundgesetzes werden vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Menschenwürde gesehen (vgl. etwa BVerfGE 27, 1, 6; 71, 81; 32, 98, 108; 39,1, 41; 46,160,164). Das Menschenbild, das den vorgenannten Grundrechten der Verfassung von Berlin zugrunde liegt, ist das eines Menschen, dessen Würde unantastbar ist und dessen persönliche Freiheit, dessen Freiheit der Meinungsäußerung, des Glaubens, dessen Freizügigkeit und dessen Recht auf Gleichbehandlung deshalb unter den Schutz der Verfassung gestellt sind. Kurt Landsberg (Landsberg/Goetz, Verfassung von Berlin, 1951, Allgemeine Er-
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läuterung vor Art. 7), der an der Entstehung der Verfassung von Berlin maßgebend beteiligt war, weist darauf hin, daß die von der Verfassung von Berlin gewährten Menschen- und Freiheitsrechte „von der Würde und der Unverletzlichkeit des Individuums" ausgehen. Otto Suhr, ebenfalls einer der „Väter der Verfassung von Berlin", betonte anläßlich der Zweiten Beratung der Verfassung in der 60. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 22. März 1948, die Grundrechte in der Berliner Verfassung hätten die Aufgabe, zur Achtung vor der Würde des Menschen zu erziehen (abgedruckt in Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, 1990, Bd. II, S. 1521). Nicht ohne Grund spricht deshalb die Verfassung von Berlin wiederholt von dem „Geist der Verfassung" (u. a. in Art. 20, 21, 62, 69) und meint damit ersichtlich mehr als die Summe ihres Wortlauts. Rassenhetze und Bekundung nationalen oder religiösen Hasses widersprechen dem Geist der Verfassung, heißt es in Art. 20 Abs. 2 VvB. Sie widersprechen ihm, weil sie unvereinbar sind mit einem Menschenbild, das von dem Bekenntnis zur Menschenwürde geprägt ist. Die Verfassung von Berlin enthält mithin, abgeleitet einerseits aus dem in die Verfassung hineinwirkenden grundgesetzlichen Bekenntnis zur Achtung der Menschenwürde, abgeleitet andererseits aber aus dem den Grundrechten der Verfassung von Berlin zugrunde liegenden Menschenbild, als ungeschriebenen Verfassungssatz das Bekenntnis zur Menschenwürde und die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. 2. Das danach zum Verfassungsrecht des Landes Berlin gehörende Gebot, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, ist nicht nur Ausdruck einer objektiven, von dem Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde geprägten verfassungsrechtlichen Wertordnung. Es soll darüber hinaus den Menschen wirksam vor staatlichen Eingriffen in seine Menschenwürde schützen. Dieser Schutz wäre unvollkommen, wenn die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Menschenwürde nicht zugleich ein individuelles Grundrecht begründen würde. Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Menschenwürde und der Pflicht der staatlichen Gewalt des Landes Berlin, also auch seiner Gerichte, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, folgt deshalb ein Recht des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt auf Wahrung seiner Menschenwürde. Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann die Verletzung auch dieses Rechts mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden. 3. Der Verfassungsgerichtshof ist berechtigt, die angefochtenen Beschlüsse von Landgericht und Kammergericht am Maßstab des inhaltlich mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 G G übereinstimmenden landesverfassungsrechtlichen Grundrechts des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde zu messen. Dem steht nicht entgegen, daß diese Beschlüsse auf Bundesrecht,
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vornehmlich auf der Strafprozeßordnung, beruhen. Die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind nach Art. 23 Abs. 1 VvB für die rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin verbindlich. Wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Beschluß vom 23. Dezember 1992 VerfGH 38/92* - im einzelnen dargelegt hat, sind diese Grundrechte in den Grenzen der Art. 142, 31 GG, nämlich soweit sie in inhaltlicher Ubereinstimmung mit den Grundrechten des Grundgesetzes stehen, auch dann von der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu beachten, wenn Bundesrecht angewandt wird. Dementsprechend kann der Verfassungsgerichtshof gemäß § 49 VerfGHG auch überprüfen, ob die Gerichte des Landes Berlin bei der Anwendung von Bundesrecht die Grundrechte der Verfassung von Berlin, hier also das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde, eingehalten haben. 4. Die Uberprüfung der angefochtenen Beschlüsse von Landgericht und Kammergericht ergibt, daß diese in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde verletzen. a) Das Kammergericht ist in Auswertung der bereits vom Landgericht eingeholten Gutachten und sonstigen Erhebungen der medizinischen Sachverständigen, die es für überzeugend hält, zu dem Schluß gekommen, daß der Beschwerdeführer aufgrund seiner weit fortgeschrittenen Krebserkrankung den Abschluß des Verfahrens vor der Strafkammer, der nach Auffassung des Kammergerichts frühestens für das Jahresende 1993 zu erwarten ist, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erleben wird. Diese Tatsachenwürdigung ist den weiteren Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs zugrunde zu legen. Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, daß das gegen den Beschwerdeführer anhängige Strafverfahren seinen gesetzlichen Zweck nicht mehr erreichen kann, der darin besteht, den legitimen Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der dem Beschwerdeführer in der Anklage zur Last gelegten Taten und gegebenenfalls auf Verurteilung und Bestrafung zu erfüllen (vgl. dazu BVerfGE 20, 45, 49). Das Strafverfahren wird damit zum Selbstzweck; für die weitere Durchführung eines solchen Strafverfahrens gibt es keinen rechtfertigenden Grund. Auch der eine Untersuchungshaft anordnende Haftbefehl ist nicht Selbstzweck, sondern hat die ausschließliche Funktion, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen.
Siehe Seite 44.
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Die Aufrechterhaltung des Haftbefehls verletzt unter den gegebenen Umständen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 72,105,118), der der Verfassungsgerichtshof folgt, widerspricht es der Würde des Menschen, ihn zum bloßen Objekt von Strafverfahren und Untersuchungshaft zu machen. Dies gilt, wie das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang hervorgehoben hat (aaO, S. 115), selbst gegenüber einem verurteilten Straftäter, der sich in schwerer und unerträglicher Weise gegen alles vergangen hat, was die Wertordnung der Verfassung unter ihren Schutz stellt. Ungeachtet der besonderen Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten greift deshalb auch zu seinen Gunsten das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde ein. Im übrigen versteht es sich von selbst, daß dem nicht entgegengehalten werden kann, daß die DDR den Angeklagten und Untersuchungsgefangenen einen auch nur annähernd gleichen Schutz der Menschenwürde nicht gewährt hat. Der Mensch wird zum bloßen Objekt staatlicher Maßnahmen insbesondere dann, wenn sein Tod derart nahe ist, daß die Durchführung eines Strafverfahrens ihren Sinn verloren hat. Der Verfassungsgerichtshof folgt der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch darin, daß es mit dem Gebot der Achtung der Würde des Menschen unvereinbar ist, einen Menschen, der von schwerer und unheilbarer Krankheit und von Todesnähe gekennzeichnet ist, weiter in Haft zu halten (vgl. BVerfGE 72,105,116). Ein solcher Zustand, den der Beschwerdeführer nach den tatrichterlichen Feststellungen des Kammergerichts erreicht hat, begründet einen absoluten Aufhebungsgrund für die Untersuchungshaft. Das Kammergericht hat dies in seinem Beschluß nicht beachtet. Dieser Beschluß läßt nicht einmal erkennen, daß das Kammergericht die Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers überhaupt in Erwägung gezogen hat. Daher verletzt er, soweit er die Beschwerde gegen die die Aufhebung des Haftbefehls ablehnende Entscheidung der Strafkammer als unbegründet zurückweist, das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde. Dagegen ist der Beschluß verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, soweit er die Beschwerde gegen die Weigerung der Strafkammer, das Strafverfahren einzustellen, mangels Zuständigkeit des Kammergerichts (§ 260 Abs. 3 StPO) als unzulässig verworfen hat. Insoweit ist Verfassungsrecht nicht berührt. b) Der Beschluß der Strafkammer war insgesamt aufzuheben. Zwar lassen die äußerst knappen Ausführungen der Strafkammer nicht verläßlich erkennen, von welcher Lebenserwartung für den Beschwerdeführer die Strafkammer ausgeht, insbesondere ob sie mit einem Ableben des Beschwerdeführers vor Abschluß des Strafverfahrens rechnet. Hierauf kommt es jedoch für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht an. Der Strafkammer la-
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gen nämlich dieselben medizinischen Gutachten und Stellungnahmen vor wie dem Kammergericht. Auf dieser Grundlage hätte es sich der Strafkammer aufdrängen müssen, bei der Entscheidung über die Anträge des Beschwerdeführers auf Einstellung des Strafverfahrens und Aufhebung des Haftbefehls auch der Frage nachzugehen, ob das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde bei einer Fortdauer der Haft und einer Fortführung der Hauptverhandlung verletzt wird. Diese Prüfung hat die Strafkammer offenbar unterlassen. Ihre Ausführungen legen den Schluß nahe, daß sie grundrechtliche Gesichtspunkte überhaupt nicht in Erwägung gezogen, sondern ihre verfassungsrechtlichen Überlegungen auf die von ihr ausdrücklich erwähnte verfassungsrechtlich gebotene Pflicht zur Strafverfolgung beschränkt hat. Das zwingt zu einer Aufhebung ihres Beschlusses (vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 72,105, 115). III. Erweist sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung als begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof gemäß § 54 Abs. 3 VerfGHG die Entscheidung auf. Er ist nicht berechtigt, anstelle der Strafkammer oder des Kammergerichts in der Sache zu entscheiden. Die Sache wird in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Die Strafkammer wird nunmehr unter Beachtung der vorstehend dargestellten verfassungsrechtlichen Rechtslage unverzüglich erneut über die Anträge des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Haftbefehls und Einstellung des Strafverfahrens zu entscheiden haben. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar. Mit dieser Entscheidung ist der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos geworden.
Nr. 9 1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB stellt nicht lediglich eine der Regelung des Art. 3 Abs. 2 GG vergleichbare Vorschrift zur Gleichbehandlung der Geschlechter dar. Vielmehr liegt darin nach dem sachlichen Regelungsgehalt die umfassende Gleichheitsgarantie für alle Menschen mit demselben Umfang wie der Verbürgung in Art. 3 Abs. 1 GG und damit auch in der materiellen Ausprägung als Willkürverbot.
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2. Das verfassungsrechtliche Willkürverbot wird durch eine gerichtliche Entscheidung verletzt, wenn sie bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden E r w ä g u n g e n beruht. Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Beschluß vom 17. Februar 1993 - V e r f G H 53/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn O . R., Berlin, gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Oktober 1992 V G 28 A 362/92 - und des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 29. Oktober 1992 - O V G 4 S 113/92 - . Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde dagegen, daß sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gerichteten verwaltungsgerichtlichen Klage erfolglos geblieben ist. Er hat die auf seinen Antrag durch Bescheid des Bezirksamts Wilmersdorf vom 28. Juni 1990 mit Wirkung zum 31. Juli 1990 ausgesprochene Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe als Stadtassistenten-Anwärter mit der am 28. Juni 1991 beim Verwaltungsgericht Berlin - V G 28 A 325/92 - eingereichten Klage angefochten. Dieses Verfahren ist noch in erster Instanz anhängig. Im Verfahren der einstweiligen Anordnung hat das Verwaltungsgericht Berlin durch Beschluß vom 15. September 1992 - V G 28 A 350/92 - festgestellt, daß die anhängige Klage gegen die Entlassungsverfügung aufschiebende Wirkung habe. Einer hiergegen gerichteten Beschwerde des Landes Berlin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 14. Oktober 1992 insoweit teilweise abgeholfen, daß die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage auf die Zeit bis zum 16. September 1992 begrenzt wird, nachdem der Senator für
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Inneres mit Bescheid vom 14. September 1992, zugestellt am 17. September 1992, die sofortige Vollziehung der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis angeordnet hatte. Mit Antrag vom 17. September 1992 hat der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht Berlin - VG 28 A 362/92 - die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 V w G O beantragt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 14. Oktober 1992 als unbegründet abgelehnt, da die Klage gegen die Entlassungsverfügung keinen Erfolg haben könne. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluß vom 29. Oktober 1992 - O V G 4 S 113/92 - als unbegründet zurückgewiesen. Mit der am 10. Dezember 1992 eingelegten Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung seines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage und rügt die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 6 VvB. II. Die Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten (§ 51 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG) nach Bekanntgabe der letztinstanzlichen Entscheidung im vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG) eingelegt worden und entspricht auch in der Begründung mit Darlegung der Möglichkeit einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes den gesetzlichen Erfordernissen (§49 Abs. 1, § 50 VerfGHG). Der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB stellt nicht lediglich eine der Regelung des Art. 3 Abs. 2 G G vergleichbare Vorschrift zur Gleichbehandlung der Geschlechter dar. Vielmehr liegt darin nach dem sachlichen Regelungsgehalt die umfassende Gleichheitsgarantie für alle Menschen mit demselben Umfang wie die Verbürgung in Art. 3 Abs. 1 G G und damit auch in der materiellen Ausprägung als Willkürverbot (so auch Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92 -*). Denn der von Art. 6 Abs. 1 S. 1 VvB verwandte Begriff „alle Männer und Frauen" ist gleichbedeutend mit der in dem im übrigen wortgleichen Art. 3 Abs. 1 G G verwandten Bezeichnung „alle Menschen" (so auch V e r f G H 24/92). Gemäß Art. 142 G G ist diese zusätzliche Verbürgung durch die Landesverfassung wirksam und in der Rechtsanwendung zu beachten sowie im Verfassungsbeschwerdeverfahren rügefähig, auch wenn die angegriffene Entscheidung in Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung und damit von Bundesrecht ergangen ist (vgl. den Beschluß VerfGH 38/92 vom 23. Dezember 1992**). * **
Siehe Seite 9. Siehe Seite 44.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Das verfassungsrechtliche Willkürverbot wird durch eine gerichtliche Entscheidung verletzt, wenn sie bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. etwa BVerfGE 4, 1, 7; 42, 64, 74; 62, 189, 192). Einen Verstoß dieser Art lassen die angegriffenen Entscheidungen nicht erkennen. In den Gründen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, denen sich das Oberverwaltungsgericht angeschlossen hat, wird in umfassender Abwägung dargelegt, aus welchen Gründen die Klage gegen die antragsgemäß ergangene Entlassungsverfügung als aussichtslos anzusehen und dem fiskalischen Interesse an der Einbehaltung der Dienstbezüge für die Zeit ab 17. September 1992 der Vorrang einzuräumen sei. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht dazu berufen, wie ein Rechtsmittelgericht die Entscheidung der Fachgerichte umfassend nachzuprüfen. Die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall ist grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Nr. 10 1) Die Begründung einer Verfassungsbeschwerde entspricht den gesetzlichen Erfordernissen gemäß § 49 Abs. 1 und § 50 VerfGHG nur bei konkreter Darlegung der Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer durch die beanstandete Maßnahme der öffentlichen Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt sein könnte. 2) Das Grundrecht des Art. 7 VvB betrifft allein die Sicherung der Teilnahme des Bürgers an der Ausübung der staatlichen Macht und kann daher von einer gerichtlichen Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren nicht berührt sein. Verfassung von Berlin Art. 6 Abs. 1,7, 16 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 49, 50, 51
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Beschluß vom 23. Februar 1993 - VerfGH 43/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Κ. A. gegen den Beschluß der Zivilkammer 82 des Landgerichts Berlin vom 27. Juli 1992 82 Τ 396/92 - und den Beschluß der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 2. Juni 1992 - 302/202 C 615/89 - . Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde dagegen, daß in einem gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren ihm erwachsene Anwaltskosten nicht als notwendig und erstattungsfähig anerkannt worden sind. Er war als Fahrer des Personenkraftwagens Bam 9. Oktober 1989 an einem Verkehrsunfall beteiligt und erstattete im Einvernehmen mit der Halterin des Fahrzeugs, Frau Ε. Α., den Schadensbericht an den Haftpflichtversicherer D. Der Eigentümer und Halter des bei dem Unfall beschädigten VWBusses B, Herr S. Sp., erhob beim Amtsgericht Charlottenburg Klage gegen die D. (Beklagte zu 1) und den Beschwerdeführer (Beklagter zu 2) auf gesamtschuldnerische Zahlung von 3.041,34 DM nebst Verzugszinsen, die jeweils am 23. Januar 1990 zugestellt wurde. Der Haftpflichtversicherer D. beauftragte am 29. Januar 1990 die Rechtsanwälte K. und L. mit der Rechtsverteidigung, und zwar zugleich auch im Namen des Beklagten zu 2. Diese meldeten sich mit einem undatierten, beim Amtsgericht am 5. Februar 1990 eingegangenen Schriftsatz für die beiden Beklagten. Der Beschwerdeführer (Beklagter zu 2) erteilte am 8. Februar 1990 an Rechtsanwalt P. ein Mandat zur Rechtsverteidigung, und dieser meldete sich in dem Verfahren am 13. Februar 1990 mit Schriftsatz vom gleichen Tage als Prozeßbevollmächtigter des Beklagten zu 2. Bei der mündlichen Verhandlung und im Beweisaufnahmeverfahren vor dem Amtsgericht Charlottenburg sind aufgrund dieser Mandatserteilungen jeweils zwei Rechtsanwälte namens des Beschwerdeführers (Beklagter zu 2) tätig geworden. Der Rechtsstreit wurde durch das rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 10. Juli 1990 - 202 C 615/89 - abgeschlos-
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sen, dessen Kostenentscheidung unter anderem vorsieht, daß die außergerichtlichen Kosten dem Kläger zu 5/6 und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 1/6 zur Last fallen. Auf der Grundlage dieses Urteils haben die Rechtsanwälte K. und L. in dem anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren namens der beiden Beklagten Anwaltskosten in Höhe von 691,18 DM (einschließlich Mehrvertretungszuschlag gem. § 6 Abs. 1 BRAGO) zur Ausgleichung angemeldet und einen entsprechenden Beschluß vom 19. Oktober 1990 erwirkt. Mit einem weiteren Antrag vom 4. November 1990 beantragte Rechtsanwalt P. namens des Beschwerdeführers (Beklagten zu 2) beim Amtsgericht Charlottenburg, auch noch die durch seine Einschaltung erwachsenen Kosten in Höhe von insgesamt 605,34 DM zur Ausgleichung zu bringen. Die beauftragte Rechtspflegerin des Amtsgerichts wies diesen Antrag mit Beschluß vom 2. Juni 1992 - 302/202 C 615/89 - als unbegründet zurück, da die Beauftragung eines weiteren Rechtsanwalts durch den Beklagten zu 2 nicht als notwendig im Sinne von § 91 ZPO anerkannt werden könne. Gegen diesen am 9. Juni 1992 zugestellten Beschluß legte der Beschwerdeführer (Beklagter zu 2) am 23. Juni 1992 beim Amtsgericht Erinnerung ein, die nach Nichtabhilfe dem Landgericht Berlin zur Entscheidung vorgelegt wurde. Durch Beschluß der Zivilkammer 82 des Landgerichts vom 27. Juli 1992 - 82 Τ 396/92 - wurde das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen, da der Haftpflichtversicherer das Mandat zur Rechtsverteidigung auch für den Beschwerdeführer als mitversicherten Fahrer wirksam erteilt habe und die anschließende Beauftragung eines weiteren Prozeßbevollmächtigten in solchen Fällen nach ständiger Rechtsprechung der Kostenfestsetzungsinstanzen (etwa KG, JurBüro 1977, 853) nicht notwendig sei. Gegen diese am 21. August 1992 zugestellte Beschwerdeentscheidung des Landgerichts und den zugrundeliegenden Beschluß des Amtsgerichts wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner unter dem 23. September 1992 eingelegten, beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin am 25. September 1992 eingegangenen Verfassungsbeschwerde. Er macht zur Begründung im wesentlichen geltend: Durch die angegriffenen Entscheidungen werde sein Grundrecht aus Art. 7 der Verfassung von Berlin (VvB) verletzt, das im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die Freiheit der Anwaltswahl umfasse. Mit der Versagung der Kostenerstattung für einen nur für ihn tätigen Prozeßbevollmächtigten werde der mitversicherte Fahrer bevormundet und zum Spielball der Haftpflichtversicherung. Ferner liege eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 16 Satz 1 VvB vor, weil der Kfz-Haftpflichtversicherer mit der Gestaltung der Versicherungsbedingungen jedem Fahrzeughalter und -fahrer seine Befugnis zur Bestellung eines gemeinsamen Anwalts und damit sein Prozeßführungsrecht aufzwinge. Schließlich sei auch der Gleichberechtigungsgrund-
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satz nach Art. 6 VvB verletzt. Es liege eine willkürliche Ungleichbehandlung vor, wenn für die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten des Versicherten darauf abgestellt werde, ob sich sein Anwalt vor oder nach dem Anwalt der Versicherung bei Gericht gemeldet habe. Jedenfalls müsse auch derjenige, der in Unkenntnis von der Wahrnehmung des Prozeßführungsrechts der Versicherung einen eigenen Rechtsanwalt beauftrage, Anspruch auf Erstattung dieser Kosten im Falle des Obsiegens haben. Das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sei ebenfalls verletzt, weil die Haftpflichtversicherung (Beklagte zu 1) das Anwaltsmandat zur gemeinsamen Vertretung erteilt habe, ohne ihn davon zu unterrichten. II. A. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. 1. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg im Kostenfestsetzungsverfahren erschöpft (§ 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG) und die Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Berlin innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten (§51 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG) schriftlich beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. 2. Die Begründung entspricht den gesetzlichen Erfordernissen (§ 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG) mit der konkreten Darlegung der Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer durch die beanstandete Versagung der Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten in einem seiner in der Verfassung von Berlin (VvB) enthaltenen Rechte verletzt sein könnte. a) Neben der Sache liegt allerdings die Rüge einer Verletzung von Art. 7 VvB, denn dieses Grundrecht betrifft allein die Sicherung der Teilnahme des Bürgers an der Ausübung der staatlichen Macht (vgl. Schwan in: Pfennig/Neumann, VvB, 2. Aufl., Art. 7 Rdn. 1, 3). Ebensowenig kann der in Art. 16 VvB niedergelegte Grundsatz, wonach jeder Mißbrauch wirtschaftlicher Macht als widerrechtlich anzusehen ist, auch nur im entferntesten mit der Entscheidung des hier anhängig gewesenen Kostenerstattungsstreits in Bezug gesetzt werden. b) Dagegen ist die Rüge einer Verletzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes nach Art. 6 Abs. 1 VvB in zulässiger Weise erhoben worden. Daß nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB „alle Männer und Frauen ... vor dem Gesetz gleich" sind, bedeutet nicht lediglich eine dem Art. 3 Abs. 2 G G vergleichbare Vorschrift zur Gleichbehandlung der Geschlechter. Vielmehr liegt darin nach dem sachlichen Regelungsgehalt die umfassende Gleichheitsgarantie für alle Menschen mit demselben Umfang wie die Verbürgung in Art. 3 Abs. 1 G G (vgl.
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Beschluß VerfGH 53/92 vom 17. Februar 1993""; Schwan in: Pfennig/Neumann, VvB, Art. 6 Rdn. 5 ff.). Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung der Verbürgung in Art. 3 Abs. 1 GG auch die materielle Ausprägung als Willkürverbot entnommen. Eine gerichtliche Entscheidung verletzt diesen Grundsatz, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. etwa BVerfGE 4,1, 7 = N J W 1954,1153; BVerfGE 42,64, 74 = N J W 1976, 1391; BVerfGE 62, 189, 192 = N J W 1983, 809). Dem folgt der Verfassungsgerichtshof. 3. Gemäß Art. 142 GG ist diese zusätzliche Verbürgung durch die Landesverfassung wirksam und in der Rechtsanwendung zu beachten sowie im Verfassungsbeschwerdeverfahren rügefähig. Falls das Landgericht in dem Ausgangsverfahren das zugleich landesrechtlich verbürgte objektive Willkürverbot verletzt haben sollte, würde seine Entscheidung auf die Verfassungsbeschwerde vom Verfassungsgerichtshof aufzuheben sein (§ 54 Abs. 3 VerfGHG). Einer solchen wirksamen Kontrolle durch die Landesverfassungsgerichtsbarkeit steht nicht entgegen, daß die angegriffene Entscheidung über den Kostenerstattungsstreit in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen ist und auch die materiellen Erstattungsvoraussetzungen aus Bundesrecht folgen. Der Verfassungsgerichtshof ist berechtigt, die angefochtenen Beschlüsse am Maßstab des inhaltlich mit Art. 3 Abs. 1 GG übereinstimmenden landesverfassungsrechtlichen Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB zu messen. Die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind nach Art. 23 Abs. 1 VvB für die rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin verbindlich. Wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinen Beschlüssen vom 23. Dezember 1992 - VerfGH 38/92** - und vom 12. Januar 1993 - VerfGH 55/92*** - dargelegt hat, sind diese Grundrechte in den Grenzen der Art. 142, 31 GG, nämlich soweit sie in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Grundrechten des Grundgesetzes stehen, auch dann von der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu beachten, wenn Bundesrecht angewandt wird. Dementsprechend kann der Verfassungsgerichtshof gemäß § 49 Verf-GHG auch überprüfen, ob die Gerichte des Landes Berlin bei der Anwendung von Bundesrecht die Grundrechte der Verfassung von Berlin eingehalten haben. * ** ***
Siehe Seite 65. Siehe Seite 44. Siehe Seite 56.
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B. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die Versagung einer Erstattungs- bzw. Ausgleichungsfähigkeit der in Rede stehenden Anwaltskosten ist nicht objektiv willkürlich im Sinne der genannten Verfassungsvorschriften. 1. Das Landgericht hat in verfassungsrechtlich unangreifbarer Weise angenommen, daß der Beschwerdeführer in dem vorangegangenen Streitverfahren vor dem Amtsgericht Charlottenburg bereits durch die Rechtsanwälte K. und L. als Prozeßbevollmächtigte wirksam vertreten wurde und daß mit der weiteren Mandatserteilung an Rechtsanwalt P. für den Beschwerdeführer Kosten mehrerer Rechtsanwälte im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO angefallen sind. Die Mandatserteilung namens des Beschwerdeführers an die Rechtsanwälte K. und L. erfolgte allerdings durch den Haftpflichtversicherer D. ohne ausdrückliche Einverständniserklärung des Beschwerdeführers lediglich im Rahmen der in § 10 Nr. 5 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) enthaltenen Vollmachtsklausel. Danach gilt der Versicherer als bevollmächtigt, alle ihm zur Befriedigung oder Abwehr der Ansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen abzugeben. Es entspricht gefestigter Praxis und wird insbesondere auch vom Bundesgerichtshof anerkannt (BGHZ 101,276,285 = N J W 1987,2586; für die frühere Fassung bereits BGHZ 28,244,249 f. = N J W 1959, 39), daß sich diese Vollmacht auch auf die Abwehr von Ansprüchen gegen den mitversicherten Fahrer des Kraftfahrzeugs erstreckt, weil schon mit dem vom Halter abgeschlossenen Versicherungsvertrag eine entsprechende Obliegenheit mitversicherter Personen wirksam begründet wurde. Diese Auslegung hält sich zweifelsfrei innerhalb der verfassungsrechtlich, insbesondere durch das Willkürverbot, vorgegebenen Grenzen, so daß es nicht einmal entscheidend darauf ankommt, daß sich der Beschwerdeführer nach dem Unfall schon mit der Erstattung eines Schadensberichts unmittelbar an den Haftpflichtversicherer gewandt hatte. 2. Es verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot, wenn das Landgericht in der angegriffenen Beschwerdeentscheidung angenommen hat, daß der zunächst durch einen gemeinsamen Prozeßbevollmächtigten mitvertretene Streitgenosse nur bei Vorliegen besonderer Gründe nachträglich einen ausschließlich für ihn tätigen weiteren Rechtsanwalt beauftragen darf, sofern er keine erstattungsrechtlichen Nachteile im späteren Kostenfestsetzungsverfahren in Kauf nehmen will. Diese Auslegung der erstattungsrechtlichen Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO entspricht der in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. Hartmann in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 51. Aufl., § 9 1 Rdn. 137; Beiz in:
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MüKo ZPO, § 91 Rdn. 88; von Eicken in: Hdb. Die Kostenfestsetzung, vorm. Willenbücher, 17. Aufl., Abschn. Β 554, jeweils mit Nachw.). Der Verfassungsgerichtshof ist im Rahmen seiner Prüfungskompetenz nicht dazu berufen, zur Frage der materiellen Richtigkeit dieser Auslegung Stellung zu nehmen. Jedenfalls ist die Rechtsauffassung des Landgerichts nicht etwa sachfremd und unvertretbar. 3. Entsprechendes gilt auch für die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegende Auffassung, daß im konkreten Falle keine besonderen Gründe gegeben seien, die die Erteilung eines weiteren Anwaltsmandats aus der Interessenlage des Beschwerdeführers sachlich geboten erscheinen lassen könnten. Der Beschwerdeführer macht selbst nicht geltend, daß ein Interessenkonflikt zwischen ihm und dem mitverklagten Haftpflichtversicherer die getrennte Anwaltsbestellung erfordert hätte, insbesondere daß mit etwaigen Rückgriffsansprüchen des Versicherers zu rechnen gewesen wäre. Die Auffassung des Landgerichts, daß die mögliche Unkenntnis des Beschwerdeführers von dem schon im Rahmen der Versicherungsbedingungen erteilten gemeinsamen Anwaltsmandat keinen erheblichen Grund für die Gewährung einer zusätzlichen Kostenerstattung darstelle und daß sich der Beschwerdeführer insoweit die vor Mandatserteilung gebotene Belehrung seitens seines Anwalts zurechnen lassen müsse, läßt ebenfalls keinen Verfassungsverstoß erkennen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33 f. VerfGHG. Der Beschluß ist unanfechtbar.
Nr. 11 Zur Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde vor Erschöpfung des Rechtswegs. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 49 Abs. 2 Satz 2 Beschluß vom 18. März 1993 - VerfGH 54/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Fraktion der Partei des Demokratischen Sozialismus in der Bezirksverordnetenversammlung Hohenschönhausen von Berlin, gegen 1. den Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. September 1992 - VG 1 A 305/92 - , 2. den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 30. Oktober 1992 - OVG 8 S 282/92 - und 3. die
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Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters durch die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Hohenschönhausen am 9. September 1992.
Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe: I. Die Beschwerdeführerin ist eine der Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung ( B W ) Hohenschönhausen von Berlin. Nach den am 24. Mai 1992 durchgeführten Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin entfielen in der B W Hohenschönhausen auf die Beschwerdeführerin 18, die SPD-Fraktion 13, die CDU-Fraktion 6, die Fraktion Bündnis 90 5 und die Fraktion der Republikaner 3 Sitze. Unter Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens erhielten die Beschwerdeführerin für die Wahl der Mitglieder des Bezirksamtes das Vorschlagsrecht für 3, die SPD-Fraktion das Vorschlagsrecht für 2 sowie die CDU-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90 das Vorschlagsrecht für je 1 Bezirksamtsmitglied. Dementsprechend wurden die insgesamt 7 Bezirksamtsmitglieder durch die B W gewählt. Für die Wahl des Bezirksbürgermeisters bildete sich nach Maßgabe des Art. 87 a Abs. 5 der Verfassung von Berlin (VvB) eine aus den Fraktionen der SPD, C D U und des Bündnis 90 bestehende „Zählgemeinschaft", die einen gemeinsamen Kandidaten nominierte. Dieser wurde später von der B W zum Bezirksbürgermeister gewählt. Die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters wurde auf die Tagesordnung für die Sitzung der B W am 9. September 1992 gesetzt. Nunmehr entstand Streit darüber, welcher Fraktion für diese Wahl ein Nominierungsrecht zusteht. Die Beschwerdeführerin als nach Sitzen stärkste Fraktion in der B W beanspruchte für sich das alleinige Nominierungsrecht. Nachdem für sie erkennbar geworden war, daß die Vorsteherin der B W ihrem Begehren nicht entsprechen werde, beantragte sie mit Schriftsatz vom 8. September 1992 einstweiligen Rechtsschutz. Dieser Antrag wurde vom Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluß vom 9. September 1992 - V G 1 A 305/92 - als unbegründet zurückgewiesen. Am gleichen Tage wurde das von der SPD-Fraktion vorge-
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schlagene Bezirksamtsmitglied von der B V V zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister gewählt. Die von der Beschwerdeführerin am 14. September 1992 gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde mit dem Begehren, die Ungültigkeit der Wahl sowie die Verpflichtung der B W festzustellen, die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters auf der Grundlage eines von ihr vorzulegenden Vorschlags durchzuführen, hat das Oberverwaltungsgericht durch Beschluß vom 30. Oktober 1992 - O V G 8 S 282/92 - zurückgewiesen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts sowie - letztendlich - gegen die von der B W Hohenschönhausen durchgeführte Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters. Sie rügt eine Verletzung ihres Grundrechts auf Chancengleichheit, das ihrer Ansicht nach als Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes durch Art. 6 Abs. 1 VvB verbürgt ist. Sie meint, ihre Verfassungsbeschwerde sei zulässig, und trägt zu deren Begründung im wesentlichen vor: Aus § 34 Abs. 1 des Bezirksverwaltungsgesetzes (BezVerwG) ergebe sich in Verbindung mit § 35 Abs. 2 BezVerwG, daß im Regelfall die stärkste Fraktion das Recht zur Nominierung des Bezirksbürgermeisters und die zweitstärkste Fraktion das Recht zur Nominierung seines Stellvertreters habe. Dieser Grundsatz werde hinsichtlich des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters durch die Neuregelung des Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB nicht durchbrochen, weil sie sich ausschließlich auf die Wahl des Bezirksbürgermeisters beziehe. Da jedoch nach dieser Vorschrift ein gemeinsamer Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen wie ein Vorschlag einer Fraktion zu werten sei, die Zählgemeinschaft in der B W Hohenschönhausen mithin als stärkste Fraktion zu verstehen sei, sei sie - die Beschwerdeführerin - insoweit als zweitstärkste Fraktion mit der Folge zu behandeln, daß ihr das Nominierungsrecht für den stellvertretenden Bezirksbürgermeister zustehe. Im vorliegenden Fall habe sich die SPD-Fraktion im Rahmen der Zählgemeinschaft an dem gemeinsamen Wahlvorschlag für den Bezirksbürgermeister beteiligt. Wenn dieser Fraktion auch noch ein Nominierungsrecht für den stellvertretenden Bezirksbürgermeister eingeräumt werde, trete eine vom Verfassungsgeber nicht gewollte Politisierung des Bezirksamtes ein. Überdies führe eine solche Verfahrensweise dazu, daß die SPD-Fraktion bei der Vergabe des Nominierungsrechts ohne rechtfertigenden Grund doppelt bevorzugt werde und gleichzeitig ihre - der Beschwerdeführerin - rechtlichen Ansprüche beschnitten würden. Die Durchführung der Wahl am 9. September 1992 sei mithin rechtswidrig gewesen und die erfolgte Wahl des Kandidaten der SPD-Fraktion zum
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stellvertretenden Bezirksbürgermeister sei unwirksam; seine anschließende Ernennung sei aus diesem Grunde nichtig. Die gekennzeichnete Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit sei durch die gerichtlichen Entscheidungen nicht beseitigt, sondern verfestigt worden. Deshalb müsse unter Aufhebung dieser Entscheidungen die Unwirksamkeit der Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters durch die B W Hohenschönhausen am 9. September 1992 festgestellt werden. Die B W Hohenschönhausen, der gewählte stellvertretende Bezirksbürgermeister, die Fraktion der SPD in der B W Hohenschönhausen und die Senatsverwaltung für Inneres haben gemäß § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwerdeführerin muß ihre Anträge auf Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl und der Ernennung des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters vom 9. September 1992 sowie auf Verpflichtung der B W , ihr das Nominierungsrecht für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters einzuräumen, zunächst im Verfahren der Hauptsache im Verwaltungsrechtsweg verfolgen. Solange sie dies nicht getan hat, muß ihre Verfassungsbeschwerde an § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG scheitern. Die Beschwerdeführerin kann auch nicht gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG geltend machen, ihr entstehe durch die Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und unabwendbarer Nachteil oder ihre Verfassungsbeschwerde sei von allgemeiner Bedeutung. Da gemäß Art. 58 VvB nur ein gleichzeitig oder zuvor gewählter und ernannter Stadtrat zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister gewählt werden kann und diesem Amt in der Regel keine eigenen rechtlichen oder politischen Kompetenzen zufallen, ist es der Beschwerdeführerin zuzumuten, den gegenwärtigen Zustand bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit hinzunehmen. Die Sache ist auch ersichtlich nicht von allgemeiner Bedeutung, zumal Art. 87 a VvB nur für die gegenwärtige Legislaturperiode der Bezirksverordnetenversammlung gilt. Aus den dargelegten Gründen fehlt der Beschwerdeführerin auch das Rechtsschutzbedürfnis dafür, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Entscheidungen des Verwaltungs- und des Oberverwaltungsgerichts mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33 f. VerfGHG. Die Entscheidung ist unanfechtbar.
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Sondervotum des Richters Driehaus gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG zum Beschluß des VerfGH in der Sache 54/92 Die Verfassungsbeschwerde ist - soweit sie sich gegen die durchgeführte Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters richtet - meiner Auffassung nach nicht mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig. Im vorliegenden Fall ist der Tatbestand der „allgemeinen Bedeutung" i. S. des § 49 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG erfüllt; das wird durch die Mehrzahl der zur Frage des Nominierungsrechts für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren belegt. Im übrigen wird das Gebot der vorrangigen Erschöpfung des Rechtswegs durch den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit beschränkt und ist der Beschwerdeführerin aus den im Urteil vom 19. Oktober 1992 (VerfGH 24/92*) im einzelnen dargelegten Gründen eine Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar. Doch mag das letztlich auf sich beruhen. Darauf kommt es für die Entscheidung in dieser Sache nicht ausschlaggebend an. Denn die Verfassungsbeschwerde kann im Ergebnis jedenfalls deshalb keinen Erfolg haben, weil sie unbegründet ist. Durch die am 9. September 1992 erfolgte Wahl des von der SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung ( B W ) Hohenschönhausen vorgeschlagenen Kandidaten zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister wird entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kein ihr von der Verfassung von Berlin verbürgtes Recht verletzt. Die Beschwerdeführerin geht bei ihrer Argumentation davon aus, ihr stehe ein alleiniger Anspruch auf das Vorschlagsrecht für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters in der B W Hohenschönhausen zu, weil sie - erstens - zwar zahlenmäßig die stärkste Fraktion sei, mit Blick auf die von Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB für die Wahl des Bezirksbürgermeisters zugelassene und von den Fraktionen der SPD, C D U und Bündnis 90 gebildete sogenannte Zählgemeinschaft jedoch als lediglich zweitstärkste Fraktion zu behandeln sei und - zweitens - jeweils der zweitstärksten Fraktion in der B W das alleinige Nominierungsrecht für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters zustehe. Diese Auffassung findet im geltenden Landesverfassungsrecht keine Stütze. Richtig ist, daß die Verfassung von Berlin in Art. 87 a Abs. 2 VvB Regelungen für die aus der Wahl im Jahre 1992 hervorgegangenen Bezirksverordnetenversammlungen sowie die von ihr vorzunehmenden Wahlen trifft. Richtig ist ferner, daß gemäß Art. 87 a Abs. 2 Satz 4 VvB das Bezirksamt aufgrund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem Stärkeverhältnis in der B W gebildet werden soll und daß nach Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB ge"" Siehe Seite 9.
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meinsame Wahlvorschläge von mehreren Fraktionen bei der Wahl des Bezirksbürgermeisters wie Wahlvorschläge einer Fraktion angesehen werden. Während die Verfassung mithin Regelungen für die Wahl des Bezirksamts und des Bezirksbürgermeisters enthält, fehlt es an einer entsprechenden Bestimmung für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters. Der Verfassungsgeber hat zwar in Art. 58 Abs. 2 VvB die Wahl eines stellvertretenden Bezirksbürgermeisters angeordnet, er hat aber darauf verzichtet, Vorgaben für die Durchführung dieser Wahl zu machen. Das drängt die Annahme auf, er habe die Beantwortung von Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung der Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Regelungen niedrigen Ranges überlassen, d. h. Regelungen, denen selbst kein Verfassungsrang zukommt und die deshalb nicht als Maßstab für eine Uberprüfung durch den Verfassungsgerichtshof in Betracht kommen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin läßt sich etwas anderes nicht aus Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB herleiten. Diese Bestimmung bezieht sich ihrem eindeutigen Wortlaut nach ausschließlich auf die Wahl des Bezirksbürgermeisters. Sie ist schon deshalb ungeeignet, etwas herzugeben für die Beurteilung, ob einer bestimmten Fraktion allein oder neben anderen ein Nominierungsrecht für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters zusteht. Fehl geht deshalb auch die Auffassung der Beschwerdeführerin, eine für die Wahl des Bezirksbürgermeisters gebildete Zählgemeinschaft müsse sich von Verfassungs wegen auch im Zusammenhang mit der Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters als Zählgemeinschaft und als solche mit der Folge wie eine Fraktion behandeln lassen, daß sie - die Beschwerdeführerin - ungeachtet ihrer wahren zahlenmäßigen Stärke bei der Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters als zweitstärkste Fraktion zu werten sei. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob - wie die Beschwerdeführerin offenbar meint - das Berliner Landesrecht eine Regel des Inhalts begründet, daß der zahlenmäßig stärksten Fraktion in der B W das alleinige Nominierungsrecht für den Bezirksbürgermeister und der zweitstärksten Fraktion das alleinige Nominierungsrecht für den stellvertretenden Bezirksbürgermeister zusteht. Jedenfalls hinsichtlich der aus den Wahlen 1992 hervorgegangenen Bezirksverordnetenversammlungen dürfte diese Frage zu verneinen sein. Einzuräumen ist, daß auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts eine derartige Verfahrensweise der bis zu den Bezirksverordnetenwahlen 1992 geübten Praxis entsprach. Auch ist zuzugestehen, daß eine solche Praxis gute Gründe für sich hat und überdies durch den in § 35 Abs. 2 BezVerwG sowie - für die aus den Wahlen im Jahre 1992 hervorgegangenen Bezirksverordnetenversammlungen - in Art. 87 a Abs. 2 Satz 4 VvB zum Ausdruck gebrachten Gedanken einer Berücksichtigung der Fraktionen nach ihrem Stärkeverhältnis gedeckt ist. Die
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seinerzeitige, bis zum Inkrafttreten des Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB zur Ergänzung der einschlägigen Vorschriften des Bezirksverwaltungsgesetzes bestimmte Übung mag deshalb gewohnheitsrechtliche Bindungen ausgelöst haben, die ihrer Natur nach nicht von verfassungs-, aber immerhin von einfachrechtlicher Qualität gewesen sein mögen. Mit der Regelung des Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB jedoch hat sich der Verfassungsgeber mit Blick auf das Nominierungsrecht für die Wahl des Bezirksbürgermeisters ausdrücklich für eine von einer Regel des vorbezeichneten Inhalts abweichende Lösung entschieden. Denn dadurch hat er den Weg eröffnet, daß u. a. auch ein Kandidat der zweitstärksten Fraktion in der B W als Kandidat gleichzeitig der Zählgemeinschaft zum Bezirksbürgermeister gewählt werden kann. Angesichts dessen liegt der Schluß nahe, der Verfassungsgeber habe damit eine entsprechende landesrechtliche Regel zugleich auch für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters aufgehoben. Denn es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die es erlauben könnten anzunehmen, der Verfassungsgeber habe etwa in einem Fall der gekennzeichneten Art der zweitstärksten Fraktion zusätzlich ein alleiniges Nominierungsrecht für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters belassen oder gar einräumen wollen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Chancengleichheit dadurch verletzt worden, daß die Vorsteherin der B W außer ihren Kandidaten auch einen Kandidaten der SPD-Fraktion für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters am 9. September 1992 zugelassen, ihr also insoweit ein alleiniges Nominierungsrecht versagt habe, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Zwar trifft es zu, daß die Verfassung von Berlin das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verbürgt und dieses Recht auch zugunsten der Fraktionen in der B W wirken kann (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92*). Doch ist eine Verletzung dieses Grundrechts hier nicht gegeben. Die vom Verfassungsgeber in Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB getroffene Entscheidung kann - wie bereits gesagt - dazu führen, daß als Kandidat der Zählgemeinschaft ein Bezirksamtsmitglied zum Bezirksbürgermeister gewählt wird, das nicht der stärksten, sondern der zweit- oder gar der drittstärksten Fraktion in der BVV angehört. Das mindert indes von Rechts wegen nicht die Chancen eines Bezirksamtsmitglieds, als Kandidat der stärksten oder einer anderen Fraktion zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister gewählt zu werden. Der Verfassungsgeber hat davon abgesehen, die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters zu reglementieren, er hat diese Wahl in dem Sinne „freigegeben", daß nicht nur jede im Bezirksamt durch ein Mitglied vertretene Fraktion die Möglichkeit hat, einen Kandidaten für die Wahl zum stellvertre*
Siehe Seite 9.
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tenden Bezirksbürgermeister vorzuschlagen, sondern der jeweils vorgeschlagene Kandidat jedenfalls vom rechtlichen Ansatz her die gleichen Chancen hat, gewählt zu werden. Wenn tatsächlich nur der Kandidat gewählt wird, der eine Mehrheit der Stimmen in der B W auf sich vereinigt, ist das nicht die Folge einer gleichheitswidrigen Behandlung der Fraktionen, sondern ergibt sich aus den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen in der B W . Durch seine „Freigabe" der Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters - ebenso wie im übrigen durch die Regelung des Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB - mag der Verfassungsgeber einen Schritt in Richtung auf ein sogenanntes politisches Bezirksamt getan haben. Doch wird dadurch und in der Folge durch die Zulassung mehrerer rechtlich gleichberechtigter Wahlvorschläge der verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz der Chancengleichheit nicht berührt. Nr. 12 1) Das Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich die Verfassung von Berlin sinngemäß im Vorspruch und nach ihrer Gesamtkonzeption bekennt, ist kein mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar rügefähiges individuelles Recht, sondern entfaltet Rechtsansprüche des einzelnen nur im Zusammenhang mit anderen, subjektiven Rechten. 2) Für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren und damit für eine Ausübung der Rechtspflege nach Maßgabe von Art. 62 VvB ist das rechtliche Gehör konstituierend und grundsätzlich unabdingbar. Das Grundrecht des rechtlichen Gehörs wird deshalb durch Art. 62 VvB mit gewährleistet. 3) Das Recht auf Akteneinsicht und die Regelungen über die Stellung eines Verteidigers zu deren Durchführung sind Ausprägungen des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs. Verfassung von Berlin Art. 62 Grundgesetz Art. 103 Abs. 1 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 49 Abs. 1 und 2 Satz 1 Strafprozeßordnung § 147 Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn K.-D. K., Berlin, gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 15. Januar 1992 - Geschäftsnummer 506 Kass 467/91 - .
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Entscheidungsformel: D e r Beschluß des Landgerichts Berlin vom 15. Januar 1992 - 506 Kass 467/91 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe: I. D e r Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung der Kassation des Urteils eines Gerichts der ehemaligen D D R . Mit Beschluß des Landgerichts Berlin - 506 Kass 467/91 - vom 15. Januar 1992 wurde sein Kassationsantrag gegen das Urteil des Stadtgerichts Berlin vom 25. Januar 1979 - rechtskräftig seit dem 2. Februar 1979 - gemäß § 349 Abs. 2 S t P O als offensichtlich unbegründet verworfen. Mit dem im Kassationsverfahren angegriffenen Urteil des Stadtgerichts Berlin vom 25. Januar 1979 war der Beschwerdeführer wegen mehrfacher, teils allein, teils gemeinschaftlich begangener planmäßiger staatsfeindlicher Hetze Verbrechen gemäß §§ 106 I 1 und 3, II, 1 0 8 , 2 2 II 2 S t G B - D D R - z u einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. In dem Urteil war festgestellt worden, der Beschwerdeführer habe behauptet, in der D D R herrsche eine Partei- und Staatsbürokratie, die Partei der Arbeiterklasse habe sich verselbständigt, sich zu einer ideologischen Minderheit entwickelt und sich über das Volk gestellt. D e r Beschwerdeführer habe in diesem Sinne grafische Darstellungen als Künstler hergestellt. So habe er einen Wandkalender mit der Überschrift „Nur die Machtlosen haben die M a c h t " gefertigt. E r habe Ölbilder gemalt, auf denen er sich künstlerisch mit Gesellschaftsproblemen, u. a. der Sportpolitik der D D R , auseinandergesetzt habe. Schließlich habe er einen Kalender mitgestaltet, in dem er auf einem Blatt eine einseitig zugunsten der Sowjetunion beherrschte Außenhandelspolitik der D D R symbolisch dargestellt habe. Nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 10. Dezember 1991, den Kassationsantrag als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, hatte der Beschwerdeführer am 18. Dezember 1991 beantragt, ihm Akteneinsicht zu gewähren und die Frist für seine Gegenerklärung zu verlängern. Dies hatte der Vorsitzende des Kassationsgerichts mit Schreiben vom 3. Januar 1992, das am 7. Januar 1992 zur Post gegeben wurde, zurückgewiesen. D e r Beschwerdeführer wurde dahingehend beschieden, daß ein Recht zur Akteneinsicht nur ei-
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nem zum Verteidiger gewählten oder bestellten Rechtsanwalt eingeräumt sei. Bereits im Juli 1990 hätten die Akten seinem damaligen Verteidiger zur Einsicht vorgelegen. Es bestehe kein Grund zur Einräumung weiterer Fristen. Mit Schreiben vom 11. Januar 1992 bat der Beschwerdeführer, ihm wegen seiner Bedürftigkeit - er sei Sozialhilfeempfänger - einen Anwalt für die Akteneinsicht zu stellen. Die von ihm früher beauftragten Rechtsanwälte hätten ihm gegenüber keine relevanten Akteneinsichten offenbart. Am Tage des Eingangs dieses Schreibens bei Gericht, dem 15. Januar 1992, erging der angefochtene Beschluß. Der Beschluß ist damit begründet, daß das Kassationsverfahren nur eine beschränkte Uberprüfung ermögliche. Diese habe keine Gesetzesverletzungen ergeben. Die erkannte Strafe sei zwar empfindlich, aber weder unangemessen hart noch mit rechtsstaatlichen Maßstäben unvereinbar. Die tragenden Strafzumessungserwägungen seien im angefochtenen Urteil ausreichend dargetan. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sei im Kassationsverfahren aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Einen Antrag auf Rehabilitierung habe der Beschwerdeführer trotz mehrfacher Hinweise nicht gestellt. Der Antrag des Beschwerdeführers vom 11. Januar 1992 blieb unbeschieden. Von dem Beschluß des Landgerichts Berlin vom 15. Januar 1992 wurden auf Verfügung vom 28. Januar 1992 die notwendigen Abschriften am 30. Januar 1992 gefertigt und u. a. an den Beschwerdeführer zur Post gegeben. Mit seiner am 15. Mai 1992 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 15. Januar 1992 trägt der Beschwerdeführer vor, daß der Beschluß auf „unerträgliche Weise allen rechtsstaatlichen Maßstäben" zuwiderlaufe. Er rügt, daß ihm kein Rechtsbeistand gestellt und keine „Rechtshilfe" gewährt worden sei. II. 1. Die frist- und formgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde erfüllt die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 49 Abs. 1 VerfGHG, soweit der Beschwerdeführer die Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör im Kassationsverfahren rügt. Diese Rüge ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, der sich gegen die Versagung der Akteneinsicht und gegen die Nichtbescheidung seines Antrags auf Stellung eines Verteidigers wendet. Dagegen ist sein Vorbringen, daß die angefochtene Entscheidung „rechtsstaatlichen Maßstäben" zuwiderlaufe, keine Rüge eines in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechts (§ 49 Abs. 1 VerfGHG). Das Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich die Verfassung von Berlin sinngemäß schon im Vorspruch sowie nach ihrer Gesamtkonzeption bekennt (vgl. Pfennig in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 2. Aufl., 1987, Rdn. 1 zum Vorspruch; zur Herleitung
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des Rechtsstaatsprinzips auf der Ebene des Grundgesetzes vgl. BVerfGE 2, 3 80,403; 52,131,144), ist kein mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar rügefähiges individuelles Recht (ebenso die ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zum in der Verfassung des Freistaates Bayern enthaltenen Rechtsstaatsprinzip, vgl. ζ. B. Entscheidung vom 23. November 1980, BayVerfGH 43,170,177), sondern entfaltet Rechtsansprüche des einzelnen nur im Zusammenhang mit anderen subjektiven Rechten. Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der durch § 33 a StPO eröffneten Möglichkeit, sich bei einem unanfechtbaren Beschluß nachträglich das rechtliche Gehör zu verschaffen (vgl. insoweit BVerfGE 33, 192, 194; 42, 243, 247 f.). Denn der Beschwerdeführer hatte sich bereits wenige Tage nach dem Erhalt des angefochtenen Beschlusses mit Schreiben vom 5. Februar 1992 an das Kassationsgericht gewandt und auf sein Schreiben vom 11. Januar 1992 Bezug genommen, in dem er um „Rechtsbeihilfe wegen Bedürftigkeit" nachgesucht habe. Er führte aus, sowohl der erbetene Aufschub als auch die Beantragung eines Rechtsbeistandes seien unbedingte Voraussetzung für die Kassationsentscheidung, und schlug vor, „so zu tun", als ob er „den Beschluß nicht erhalten habe". Die Strafkammer müsse noch einmal darüber nachdenken, ob bei der im Kassationsverfahren angegriffenen Entscheidung nicht doch das Gesetz gebeugt worden sei, ob man seinerzeit ζ. B. nicht doch zu sehr den „offensichtlich erpreßten Aussagen" vertraut habe. Dieses Schreiben ist der Sache nach als Antrag im Sinne von § 33 a StPO anzusehen, für den das Gesetz eine besondere Form nicht vorgeschrieben hat (vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, 40. Aufl., 1991, § 33 a Rdn. 3), da es dem Beschwerdeführer nach wie vor darum ging, die begehrte Akteneinsicht zu erlangen, um mit ihrer Hilfe substantiiert zum Antrag der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen zu können. Daß auch dieser Antrag nicht beschieden worden ist, kann der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rechtswegerschöpfung schon deswegen nicht entgegenstehen, weil das Kassationsgericht, dem die Verfassungsbeschwerde zur Kenntnis gegeben worden ist, eine derartige Bescheidung offensichtlich nicht beabsichtigt. Unter diesen Umständen ist es dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten, sich auf das Verfahren nach § 33 a StPO, das anders als ein normales Rechtsmittel den Eintritt der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung nicht hemmt, verweisen zu lassen und damit auf die Möglichkeit, die Entscheidung des Kassationsgerichts mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, endgültig zu verzichten. Im übrigen ist zwischenzeitlich - am 4. November 1992 - das Erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vom 29. Oktober 1992 (BGBl. IS. 1814) in Kraft getreten, dessen Art. 1 das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) enthält. § 27 Nr. 5 StrRehaG setzt die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Re-
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geln über das Kassationsverfahren außer Kraft, wodurch eine nachträgliche Entscheidung gemäß § 33 a StPO auch rechtlich zweifelhaft geworden ist. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde scheitert auch nicht daran, daß der Beschwerdeführer nicht versucht hat, ein Rehabilitierungsverfahren nach dem noch von der Volkskammer der D D R erlassenen Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 (GBl. I S . 1459) durchzuführen. Zwar wäre dieses Verfahren im vorliegenden Fall in Frage gekommen. Es war jedoch lediglich auf eine Aufhebung des Strafurteils (ohne Freispruch, vgl. Amelung u. a., Rehabilitierung und Kassation, 1991, S. 77) im Sinne einer politisch-moralisch begründeten Rehabilitierung (vgl. § 2 Abs. 1 des Rehabilitierungsgesetzes vom 6. September 1990), der Kassationsantrag hingegen auf einen rechtlich begründeten Freispruch wegen einer von Anfang an rechtswidrigen Verurteilung und damit auf eine volle Genugtuung ausgerichtet. Im Hinblick gerade auf diese Genugtuungsfunktion hat der Einigungsvertrag in Art. 18 Abs. 2 das Recht des Verurteilten, eine gerichtliche Kassation zu beantragen, besonders hervorgehoben und selbständig neben der Möglichkeit der Rehabilitierung (Art. 17 des Einigungsvertrages) gewährleistet. Diese im Einigungsvertrag vorgenommene Differenzierung zwischen Kassation und Rehabilitierung ist zu respektieren, so daß es an einer Rechtfertigung dafür fehlt, dem Beschwerdeführer das Rechtsschutzinteresse für eine verfassungsgerichtliche Uberprüfung des von ihm gewählten Kassationsverfahrens zu versagen. Im übrigen ist auch das Rehabilitierungsgesetz der Volkskammer inzwischen durch § 27 Nr. 2 StrRehaG aufgehoben worden. Dem Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers steht schließlich auch das neue Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz nicht entgegen. Zwar kommt nach § 1 Abs. 1 Nr. l c StrRehaG ein Antrag auf Aufhebung des Urteils des Stadtgerichts Berlin in Betracht. § 1 Abs. 6 StrRehaG läßt jedoch bei einer rechtskräftigen Entscheidung über einen früheren Kassationsantrag einen neuen Antrag nur zu, wenn dargelegt wird, daß der frühere Antrag nach dem neuen Gesetz Erfolg gehabt hätte. Nach den Motiven des Gesetzgebers sollte eine erneute Antragstellung nur möglich sein, wenn das neue Recht den Antragsteller gegenüber der vorherigen Rechtslage besserstellt (vgl. Begründung zu § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG im Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrs. 12/1608). Eine gefestigte Rechtsprechung zu § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG liegt noch nicht vor. Es geht aber nicht an, den Beschwerdeführer auf diesen von der Auslegung der genannten Vorschrift abhängigen und infolgedessen bisher noch unsicheren Weg zu verweisen (vgl. ebenso im Zusammenhang mit dem Wiederaufnahmeverfahren BVerfGE 11,61,63; 16,211,212 f.; 22,42,47). Angesichts dessen genügt es für das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers, daß seine Antragsberechtigung nach dem neuen Gesetz jedenfalls nicht völlig zweifelsfrei ist.
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2. Die Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe seinen nicht nur durch das Grundgesetz, sondern auch durch die Verfassung von Berlin verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist begründet. a) Das Grundrecht des rechtlichen Gehörs ist durch die Verfassung von Berlin gewährleistet. Nach Art. 62 VvB ist die Rechtspflege im Geist dieser Verfassung und des sozialen Verständnisses auszuüben. Die Verfassung von Berlin garantiert damit - neben der in den Art. 63, 67 und 69 VvB enthaltenen organisatorischen Fundierung einer unabhängigen Justiz, wie sie von Art. 3 Abs. 1 VvB gefordert wird - eine bestimmte Art der Ausübung von Gerichtsbarkeit. Diese soll - über die bereits in Art. 23 Abs. 1 VvB angeordnete Bindung an die Grundrechte der Verfassung von Berlin hinaus - der Gesamtkonzeption der Verfassung einschließlich ihres Vorspruchs als rechtsstaatlicher Grundordnung entsprechen. Für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren und damit für eine Ausübung der Rechtspflege nach Maßgabe von Art. 62 VvB ist aber das rechtliche Gehör konstituierend und grundsätzlich unabdingbar vom Bundesverfassungsgericht als „das prozessuale Urrecht des Menschen" bezeichnet (vgl. BVerfGE 55, 1, 6). Es wird deshalb durch Art. 62 VvB mit gewährleistet. Diese Garantie des rechtlichen Gehörs erschöpft sich nicht etwa in ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt der im Interesse der Allgemeinheit liegenden Gewährleistung von Gerechtigkeit. Sie impliziert vielmehr - in Ausfüllung des im Vorspruch der Verfassung von Berlin enthaltenen Auftrags, Freiheit und Recht jedes einzelnen zu schützen (vgl. zum Vorspruch als Auslegungsrichtlinie: Landsberg/Goetz, Verfassung von Berlin, 1951, Erläuterung 2 zum Vorspruch) - ein entsprechendes subjektives Recht, ein Justizgrundrecht des von der Rechtspflege Betroffenen, das mit dem in Art. 103 Abs. 1 GG ausdrücklich hervorgehobenen Justizgrundrecht des rechtlichen Gehörs identisch ist. Mit der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs in Art. 62 VvB entspricht die Verfassung von Berlin im übrigen neben dem Rechtsstaatsprinzip dem Grundrecht auf Unantastbarkeit der Würde des Menschen, das seinerseits, wie der Verfassungsgerichtshof im Beschluß vom 12. Januar 1993 VerfGH 55.92 - * (NJW 1993, S. 515) dargelegt hat, von der Verfassung von Berlin verbürgt wird (zu den Grundlagen des rechtlichen Gehörs im Rechtsstaatsprinzip und in der Gewährleistung der Menschenwürde vgl. BVerfGE 9, 89, 95; 55, 1, 6; vgl. auch Rüping, Bonner Kommentar, Art. 103 Abs. 1 Rdn. 1 ff., 12). Gerade auf diese beiden Grundlagen bezieht sich auch der Staatsgerichtshof des Landes Hessen (Beschluß vom 13. Januar 1988, Hess StAnz, 1988, S. 1873, 1874), der das objektive Gebot des rechtlichen Gehörs aus dem - ungeschriebenen - Rechtsstaatsprinzip der Hessischen Verfassung Siehe Seite 56.
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herleitet und der Garantie der Menschenwürde die Gewährleistung dieses Gebots als Grundrecht entnimmt. b) Das Grundrecht auf rechtliches Gehör vor Gericht verlangt, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen den Beteiligten Gelegenheit gegeben war (vgl. zu Art. 103 Abs. 1 G G : BVerfGE 7 , 2 7 5 , 2 7 9 f.; 18, 399, 404; 19, 32,36; 55,95,98). Dabei ist dieses Recht als solches von der Ausgestaltung des Verfahrens durch die verschiedenen Verfahrensordnungen unabhängig, gilt also auch in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz (BVerfGE 7, 53, 57; 7, 275, 281), während seine nähere Ausgestaltung den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen ist (BVerfGE 9, 89, 95, 96). Das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Recht auf Akteneinsicht (§ 147 StPO) und die Regelungen über die Stellung eines Verteidigers zu deren Durchführung (§ 140 StPO, vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, 40. Aufl., 1991, § 140 Rdn. 27; vgl. auch § 364 a StPO) sind vom Gesetzgeber im Rahmen des Strafprozesses vorgesehene Ausprägungen des verfassungsgerichtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (zu § 147 StPO vgl. BVerfGE 18, 399, 405; vgl. auch Rüping, Bonner Kommentar, Art. 103 Abs. 1 Rdn. 29). Daß weder das eine noch das andere dem Beschwerdeführer gewährt wurde, beruht allerdings auf der Auslegung und Anwendung von Bundesrecht. Dennoch kann die unter diesen Bedingungen zustande gekommene Entscheidung des Landgerichts Berlin insoweit vom Verfassungsgerichtshof am Maßstab des von der Verfassung von Berlin übereinstimmend mit dem Grundgesetz verbürgten Gebots des rechtlichen Gehörs überprüft werden (vgl. in diesem Zusammenhang den Beschluß des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 23. Dezember 1992 - VerfGH 38/92 - * N J W 1993, S. 513; bei Verfahrensgrundrechten ebenso die ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, ζ. B. Entscheidung vom 14. Februar 1992 - BayVBl. 1992, S. 700). Denn vorliegend geht es nicht um den Vorwurf, Bundesrecht verstoße als solches gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs, sondern um die Rüge, daß bei der Anwendung der maßgeblichen Vorschriften der Strafprozeßordnung dagegen verstoßen worden ist. c) Das Landgericht hat bei dem von ihm gewählten Verfahrensgang die Bedeutung des rechtlichen Gehörs verkannt und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer effektiven Stellungnahme zum Verfahren - insbesondere zum Antrag der Staatsanwaltschaft - vorenthalten, obwohl es ihm diese nach der Strafprozeßordnung auf verschiedene Weise hätte gewähren können. Eine Verletzung dieses Gebots ist nicht etwa deswegen zu verneinen, weil der An*
Siehe Seite 44.
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trag des Beschwerdeführers auf Stellung eines Rechtsanwalts erst am 15. Januar 1992 bei Gericht eingegangen ist. Zwar ist aus den Akten nicht ersichtlich, ob der Beschluß des Landgerichts vom selben Tage zeitlich vor oder nach dem Eingang des Schreibens des Beschwerdeführers unterschrieben worden ist. Darauf kommt es jedoch auch nicht an, da erst am 30. Januar 1992 auf Verfügung vom 28. Januar 1992 hin die notwendigen Abschriften gefertigt und u. a. an den Beschwerdeführer zur Post gegeben worden sind. Bis zu diesem Zeitpunkt eingehende Schriftsätze hätten im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs noch berücksichtigt werden müssen, da der im schriftlichen Verfahren erlassene Beschluß noch nicht wirksam geworden war (vgl. in diesem Zusammenhang auch Beschluß des BVerfG vom 4. August 1992, N J W 1993, S. 51). Auf ein Verschulden des Gerichts kommt es hierbei nicht an (siehe dazu u. a. BVerfGE 46, 185,188; 48, 394, 395, 396; 53, 219, 223). Der Antrag des Beschwerdeführers vom 11. Januar 1992 war im Hinblick auf dessen rechtliches Gehör erheblich und hätte beschieden werden müssen. Zwar hatte sein früherer Prozeßbevollmächtigter im Juli 1990 - d. h. noch vor dem Einigungsvertrag - Gelegenheit gehabt, die Akten einzusehen. Der Beschwerdeführer machte aber geltend, sein früherer Anwalt, zu dem er das Vertrauen verloren und von dem er sich bereits Ende 1990 getrennt hatte, habe ihm gegenüber keine „relevante Akteneinsicht" offenbart. Mit der in der Verfügung des Vorsitzenden des Kassationsgerichts vom 3. Januar 1992 angeführten Gelegenheit zur Akteneinsicht durch seinen früheren Verteidiger im Juli 1990 konnte dem Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör deshalb nicht genügt werden. Im übrigen erschöpft sich das Grundrecht auf rechtliches Gehör nicht darin, dem Betroffenen die Gelegenheit zu gewährleisten, daß er im Verfahren überhaupt gehört wird, sondern gewährleistet die Gelegenheit, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern, also grundsätzlich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite; der Hinweis auf eine in einem früheren Stadium des Verfahrens gewährte Akteneinsicht geht deshalb fehl (vgl. BVerfGE 19, 33, 36). Denn zwischenzeitlich lag der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 10. Dezember 1991 vor, den Kassationsantrag durch Beschluß entsprechend § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, zu dessen Begründung u. a. angeführt worden war, die Uberprüfung des Strafverfahrens habe keinen den Verurteilten beschwerenden schwerwiegenden Rechtsfehler im Hinblick auf das Zustandekommen des Schuldspruchs erbracht, insbesondere seien Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei dem Schuldspruch um reine, unter Verletzung grundlegender Verfahrensvorschriften zustande gekommene Willkürentscheidungen handeln könnte, nicht ersichtlich. Hierdurch entstand für den Beschwerdeführer erneut Veranlassung, sich mit dem Akteninhalt auseinanderzusetzen, zumal es nachvollziehbar ist, daß er zunächst davon
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ausging, sein Kassationsantrag werde aus materiellen Gründen Erfolg haben, weil er rechtsstaatswidrig wegen politischer Meinungsäußerungen und zudem unverhältnismäßig hart bestraft worden sei. Dem Begehren des Beschwerdeführers hätte das Landgericht auch ungeachtet der Zwei-Wochen-Frist des § 349 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen können, da es sich dabei nicht um eine Ausschlußfrist handelt (vgl. Kleinknecht/Meyer, Strafprozeßordnung, 40. Aufl., 1991, § 349 Rdn. 17) und im übrigen auch keine rechtliche Notwendigkeit bestand, ohne mündliche Verhandlung über den Kassationsantrag in Anwendung von § 349 StPO zu entscheiden. Die Unterlassung des Landgerichts war also nicht etwa durch Regeln des Prozeßrechts geboten. Im Hinblick auf das Grundrecht des rechtlichen Gehörs hätte das Landgericht dem Beschwerdeführer ermöglichen müssen, die Ermittlungsakten kennenzulernen. Der Beschwerdeführer hatte zur Erläuterung seines Kassationsantrages lediglich Kopien der Anklageschrift und des Urteils des Stadtgerichts Berlin, jedoch nicht einmal die von ihm gefertigten Originalkunstwerke zur Verfügung, die sich aufgrund der nach wie vor rechtskräftigen Verurteilung und Einziehung aus dem Jahre 1979 in den 20 Beiakten des Verfahrens befinden. Insbesondere zur Wahrnehmung des Rechts auf Beseitigung von DDR-Unrecht kann es sich im Einzelfall als erforderlich erweisen, dem seinerzeit Verurteilten eine Kenntnis von allen Unterlagen zu geben, die zu der Anklageerhebung geführt haben. Eine Einsichtnahme in die Strafverfahrensakten der DDR erscheint dabei dann in besonderem Maße notwendig, wenn es sich wie hier - um eine eindeutige und ausschließliche Verurteilung nach dem politischen Strafrecht handelt: Solche Verfahren wurden vom Ministerium für Staatssicherheit vorbereitet, dessen Untersuchungsorgane gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 2 StPO/DDR zu den staatlichen Untersuchungsorganen für das Ermittlungsverfahren gehörten. In solchen Fällen wurden den Verurteilten nicht einmal die Urteile zugestellt, sondern mündlich zur Kenntnis gebracht (vgl. die entsprechende Möglichkeit nach § 184 Abs. 5 in Verbindung mit § 211 Abs. 3 StPO/DDR). Unter diesem Blickwinkel verstößt die Nichtinformation des Beschwerdeführers - sei es durch Überlassung von Kopien wesentlicher Teile der Akten, sei es durch Stellung eines Rechtsanwalts entsprechend § 140 Abs. 2 StPO oder § 364 a StPO (vgl. Amelung u. a., Rehabilitierung und Kassation, 1991, S. 179 ff.), sei es durch Gewährung direkter Akteneinsicht im Hinblick darauf, daß es sich nicht um Ermittlungsakten aus einem aktuellen rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren, sondern um ein von DDR-Behörden geführtes, längst abgeschlossenes Verfahren handelt, so daß das Schutzgut der Unversehrtheit der Akten und Beweismittel (vgl. OLG Zweibrücken, N J W 1977, S. 1699 zur Akteneinsicht im Beisein eines Verteidigers) dadurch relativiert wird - gegen das verfassungsrechtliche Gebot des rechtlichen Gehörs aus
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Art. 103 Abs. 1 G G und - für den Verfassungsgerichtshof maßgeblich - aus Art. 62 VvB. d) Die Entscheidung des Landgerichts beruht auch auf der Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Entscheidung über den Kassationsantrag zugunsten des Beschwerdeführers ergangen wäre, wenn er mit Hilfe von Akteneinsicht zu dem seinerzeit gegen ihn gerichteten Verfahren hätte Stellung nehmen können. In seinem Schreiben vom 5. Februar 1992, das das Landgericht nach § 33 a S t P O hätte bescheiden müssen, hat der Beschwerdeführer von offensichtlich erpreßten Aussagen gesprochen, die seiner Verurteilung zugrunde gelegt worden seien. Einen derartigen Vorwurf hätte er möglicherweise mit Hilfe der Akteneinsicht konkretisieren können, was gegebenenfalls zur Folge gehabt hätte, daß das Kassationsgericht eine schwerwiegende Verletzung des Gesetzes im Sinne von § 3 1 1 Abs. 2 N r . 1 S t P O / D D R angenommen hätte (vgl. dazu Amelung u. a., aaO, S. 185). Da die Verfassungsbeschwerde mit Rücksicht auf das Gebot des rechtlichen Gehörs Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung, ob mit der Wertung des Landgerichts Berlin, die gegen den Beschwerdeführer verhängte Strafe sei „weder unangemessen hart noch mit rechtsstaatlichen Maßstäben unvereinbar", weitere Rechte des Beschwerdeführers aus der Verfassung von Berlin verletzt sein können und ob insoweit eine den gesetzlichen Anforderungen des § 50 V e r f G H G genügende Rüge vorliegt. III. Erweist sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung als begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof sie gemäß § 54 Abs. 3 V e r f G G auf. Die Sache wird in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 B V e r f G G an das Landgericht Berlin zurückverwiesen, das nach dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht in eigener Zuständigkeit zu prüfen hat, nach welchen Verfahrensvorschriften über das sachliche Begehren des Beschwerdeführers auf A u f h e b u n g des seinerzeitigen Urteils nunmehr zu entscheiden ist. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus §§ 33, 34 V e r f G H G . Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Sondervotum der Richter Dittrich und Kunig Wir halten die Verfassungsbeschwerde f ü r unzulässig, weil es - 1. - am Rechtsschutzinteresse fehlt und - 2. - die Verfassung von Berlin das von der
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Mehrheit als verletzt angesehene Grundrecht auf rechtliches Gehör in Entsprechung zu Art. 103 Abs. 1 GG nicht verbürgt. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist nach unserer Meinung unzulässig, ihr fehlt das Rechtsschutzinteresse. Schon zur Zeit der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts im Januar 1992 und der Einlegung der Verfassungsbeschwerde im Mai 1992 stand dem Beschwerdeführer mit dem noch von der Volkskammer der DDR erlassenen Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 (GBl. I S. 1459) ein geeigneter und zumutbarer anderer Weg zur Verfügung, um das Verfahrensziel der Aufhebung des rechtskräftigen Urteils des Stadtgerichts Berlin vom 25. Januar 1979 und damit der Beseitigung seiner rechtlichen Wirkungen und zur Freimachung des Weges für soziale Ausgleichsleistungen zu erreichen. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 dieses Gesetzes fielen darunter insbesondere auch Verurteilungen nach Strafbestimmungen des 2. Kapitels des Besonderen Teils des DDR-Strafgesetzbuchs, die wie im Falle des Beschwerdeführers darauf beruhten, daß der Betroffene in Wahrnehmung verfassungsmäßiger politischer Grundrechte politischen Widerspruch in Wort und Schrift oder durch friedliche Demonstrationen oder Zusammenschlüsse erhoben hatte. In dem angegriffenen Beschluß des Kassationsgerichts vom 15. Januar 1992 wird der Beschwerdeführer auf den Weg verwiesen, im Wege der Rehabilitierung eine Aufhebung der Urteile und einen Freispruch zu erwirken. Die Antragsfrist nach dem früheren Rehabilitierungsgesetz war noch nicht abgelaufen, und die ablehnende Entscheidung des Kassationsgerichts bildete auch kein rechtliches Hindernis für die Erfolgsaussicht eines Rehabilitierungsantrags. Diese Situation besteht im übrigen bis heute unverändert fort, da das Rehabilitierungsgesetz der Volkskammer vom 6. September 1990 ebenso wie die alte Kassationsregelung nunmehr durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG - vom 29. Oktober 1992 unter Einführung einer neuen Antragsfrist bis zum 31. Dezember 1994 abgelöst worden ist. Auf einen entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers wäre die wegen sog. staatsfeindlicher Hetze nach § 106 Abs. 1 Nr. 1 und 3 und Abs. 2 DDR-StGB erfolgte Verurteilung nunmehr von der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Berlin für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben (§ 1 Nr. l c StrRehaG). Die verwerfende Entscheidung vom 15. Januar 1992 in dem vorangegangenen Kassationsverfahren bildet kein Zulässigkeitshindernis im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 StrRehaG, weil der Beschwerdeführer dort gerade auf den Weg der Rehabilitierung verwiesen worden war. Im übrigen liegt zweifelsfrei die in § 1 Abs. 3 Satz 2 StrRehaG bezeichnete Fallgestaltung vor, daß der frühere Antrag nach den Vorschriften dieses Gesetzes Erfolg gehabt hätte. Damit steht fest, daß das Rechtsschutzbedürfnis selbst dann, wenn es ursprünglich bestanden
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hätte, jedenfalls mit Inkrafttreten des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes entfallen wäre. Möglicherweise ist der Entschluß des Beschwerdeführers zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofs dadurch mit veranlaßt worden, daß in den Gründen des angegriffenen Beschlusses die unglückliche Formulierung enthalten ist, die erkannte Strafe sei „weder unangemessen hart noch mit rechtsstaatlichen Maßstäben unvereinbar". Eine die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde eröffnende Rechtsverletzung im Sinne von § 49 Abs. 1 VerfGHG kann durch den Inhalt der Gründe nur dann in Betracht kommen, wenn eine evidente und schwere Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten vorliegt und insbesondere jeder funktionale Bezug der betreffenden verbalen Kundgebung mit den dem Gericht im konkreten Fall obliegenden Aufgaben fehlt (vgl. Jakobs, J Z 1971, 279 ff., 283 mit Nachw.). Ein solcher Eingriff durch die Art der Begründung steht hier nicht in Rede. Nach dem Zusammenhang der Gründe hat das Kassationsgericht nicht etwa die Billigung von S E D - U n rechtsmaßnahmen zu Lasten des Beschwerdeführers aussprechen wollen. Mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Erfolgsaussicht eines Rehabilitierungsantrags hat das Landgericht vielmehr erkennen lassen, daß es die der Verurteilung zugrundeliegenden Handlungen als Wahrnehmung verfassungsmäßiger politischer Grundrechte im Sinne des § 3 Abs. 1 D D R - R e h a G ansehe. 2. Die Auffassung der Mehrheit, die Verfassung von Berlin beinhalte ein dem Art. 103 Abs. 1 G G entsprechendes Grundrecht, halten wir für unzutreffend. Ein derartiges Grundrecht ist weder dem Abschnitt II (Die Grundrechte) noch dem Abschnitt VII (Die Rechtspflege) der Verfassung von Berlin zu entnehmen. Dabei ist vorab zu betonen, daß ein durch die Auslegung der Verfassung von Berlin ermittelter Befund, ein bestimmtes bundesrechtlich verbürgtes Grundrecht finde hier keine Entsprechung, nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden könnte, ein derartiger Befund führe zu rechtsstaatlich nicht hinnehmbaren Ergebnissen bzw. attestiere der Verfassung von Berlin einen gegenüber dem Grundgesetz oder auch anderen Landesverfassungen zurückbleibenden Grad an Rechtsstaatlichkeit - was wiederum der Berliner Verfassungsgeber nicht gewollt haben könne. Solche Überlegungen sind nicht tragfähig. Die Auffindung eines im Grundgesetz enthaltenen Grundrechts auch in der Verfassung von Berlin bedeutet nicht eine Ausweitung des materiellen Grundrechtsschutzes, sondern hat lediglich zur Konsequenz, dem Bürger zusätzlichen, angesichts der Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde nach Bundesrecht ggf. alternativen Rechtsschutz (vgl. § 49 Abs. 1 VerfGHG) zu eröffnen (s. dazu Friesenhahn in: Starck, Hrsg., Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Erster Band, 1976,748,765; Bartlsperger, DVB1.1993,333, 348).
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a) Der Abschnitt VII der Verfassung von Berlin betrifft „Die Rechtspflege". Er beinhaltet objektiv-rechtliche Anordnungen (wie z. B. die Garantie einer unabhängigen Rechtspflege, Art. 63 Abs. 1 VvB), organisatorische Bestimmungen (wie diejenige über die Ernennung der Berufsrichter, Art. 69 VvB), aber auch subjektive, demzufolge mit der Verfassungsbeschwerde rügefähige Rechte. Zu den letzteren, welche vorliegend allein interessieren können, zählt ein Grundrecht auf rechtliches Gehör nicht. Die Verfassung von Berlin prägt das fundamentale Interesse des einzelnen, sich vor Gericht Gehör zu verschaffen, subjektiv-rechtlich lediglich als ein Recht aus, sich eines Strafverteidigers zu bedienen (Art. 65 Abs. 1 VvB), und erreicht damit eine den - zusätzlichen - landesverfassungsgerichtlichen Rechtsschutz ermöglichende Doppelverbürgung nur für einen Teilbereich der bundesrechtlichen Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 G G , mag über letztere insoweit möglicherweise sogar hinausgehen. Die ausdrückliche Beschränkung des Art. 65 Abs. 1 VvB in Gegenstand und Anspruchsinhalt schließt ein Verständnis dieser Bestimmung als Sitz eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör aber aus. Die Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs meint, auch Art. 62 VvB als subjektives Recht ansprechen zu können. Das ist nicht haltbar. Der Wortlaut der Vorschrift, die im Schrifttum als „Verhaltensregel" oder „Erinnerung" an den Richter bezeichnet worden ist (s. Pfennig in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 2. Aufl., 1987, Art. 62 Rdn. 2, 3), steht dem ebenso entgegen wie ihre systematische Stellung. Art. 62 VvB eröffnet den VII. Abschnitt von Berlin allgemeinen Sinnes und wird in den nachfolgenden Bestimmungen, wie an den oben bereits erwähnten Beispielen gezeigt, funktionell unterschiedlich konkretisiert. Keineswegs ist Art. 62 VvB geeignet, selbst als Grundlage „des" Individualrechts auf rechtliches Gehör zu dienen. Er mag zur Auslegung anderer Normen beitragen, kann aber über deren Fehlen nicht hinweghelfen, insbesondere auch nicht die Begrenzung des Art. 65 Abs. 1 VvB auf die Strafverteidigung überwinden. b) Aus dem II. Abschnitt der Verfassung von Berlin kommt ernsthaft nur Art. 6 Abs. 1 Satz 1 als Grundlage des Gehöranspruchs in Betracht, den die von der Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs beschlossenen Entscheidungsgründe nicht heranziehen, den allerdings der Richter Körting ausweislich seines Sondervotums vorliegend als verletzt ansieht. Auch dieser Auffassung folgen wir nicht. Die genannte Bestimmung trifft - wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat (vgl. z. B. den Beschluß vom 23. Februar 1993 - V e r f G H 43/92 - * ) - eine dem Art. 3 Abs. 1 G G vergleichbare Aussage, *
Siehe Seite 68.
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wobei hier dahinstehen kann, ob beide Grundrechte gänzlich identisch sind. Das Verhältnis zwischen dem Gehöranspruch und dem allgemeinen Gleichheitssatz ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 1 G G bzw. Art. 3 Abs. 1 G G nicht eindeutig bestimmt worden, insbesondere wurde offensichtlich teilweise das erstgenannte, teilweise das zweitgenannte Grundrecht als das jeweils speziellere Grundrecht betrachtet (vgl. zu den Schwankungen der Rechtsprechung und zu Divergenzen auch zwischen beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts eingehend Mauder, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, seine Stellung im System der Grundrechte und seine Auswirkung auf die Abgrenzungsproblematik zwischen Verfassungsund Fachgerichtsbarkeit, 1986, 45 ff. mit zahlr. Nachw.). Das rührt auch daher, daß der allgemeine Gleichheitssatz einerseits als Verbot willkürlicher Differenzierung, andererseits und darüber hinaus als ein Anspruch gegenüber allen staatlichen Gewalten auf an materieller Gerechtigkeit orientiertes Handeln verstanden wird (vgl. nur BVerfGE 42, 64, 73; s. auch BayVerfGH, NJW 1986,1096). Es besteht kein Anlaß, dem im einzelnen nachzugehen. Zwar läßt sich gewiß sagen, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem allgemeinen Gleichheitssatz Anwendungsfelder für die Überprüfung der Willkürfreiheit gerichtlicher Verfahren erschlossen hat, die außerhalb der Garantie des rechtlichen Gehörs liegen (vgl. Gubelt in: v. Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar, Bd. 1,4. Aufl., 1992, Art. 3 Rdn. 43 ff.), doch ist auch danach die letztere nicht etwa noch zusätzlich im Gleichheitssatz verankert (zutreffend etwa Kopp, AöR 106,1981, 604,611; s. dazu auch Dörr, Faires Verfahren, 1984, 127). Dafür besteht auch nach Berliner Verfassungsrecht, also für Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB, kein Anlaß, dies ungeachtet des Umstandes, daß Art. 65 Abs. 1 VvB inhaltlich - wie gezeigt - hinter Art. 103 Abs. 1 G G zurückbleibt. Denn die hierin zum Ausdruck kommende Entscheidung des Berliner Verfassungsgebers, das Gehörrecht nur in einem Teilbereich grundrechtlich zu verbürgen, darf nicht dadurch beiseite geschoben werden, daß eine aus dem Willkürverbot gewonnene und sich sodann verselbständigende Gerechtigkeitsformel entdifferenzierend zu einer vom Verfassungsgeber nicht vorgesehenen Ausweitung des Grundrechtsschutzes führt. c) Das bisher gefundene Ergebnis kann auch nicht dadurch modifiziert werden, daß aus einer Zusammenschau einzelner Grundrechte der Verfassung von Berlin der Rückschluß auf ein ungeschriebenes, gleichsam durch Gesamtanalogie getragenes Grundrecht auf rechtliches Gehör gewonnen würde, wie es die Mehrheit wohl anklingen läßt, wenn sie unter Ziff. II 2 a die von „Freiheit und Recht jedes einzelnen" handelnde Präambel der Verfassung von Berlin, „im übrigen" das (freilich rein objektiv-rechtliche) allgemeine Rechtsstaatsprinzip, dazu noch den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Menschen-
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
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würde (dazu u. d) anspricht. Die Auffindung ungeschriebener Grundrechte ist allerdings auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht fremd, wie insbesondere die Herausbildung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des auf diesem gründenden Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gezeigt hat, doch entbindet dies nicht von dem Erfordernis einer an geschriebenem Recht orientierten Ableitung. Insofern ist nicht bereits der Umstand ausreichend, daß (auch) die Verfassung von Berlin durch zahlreiche Grundrechte das Bestreben zeigt, Gerechtigkeit für den einzelnen durch Verbürgung subjektiver Rechte zu erreichen; als Ableitungsgesichtspunkte kommen vielmehr nur jeweils Einzelverbürgungen in Frage (wie auf Bundesebene bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. in diesem Zusammenhang/