Beredte Körper - bewegte Seelen: Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten [1. Aufl.] 9783839410660

Die Wahrnehmung von Tanz ist stets mit entsprechenden Diskursen gekoppelt. 'Äußere' Bewegung auf der Bühne und

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German Pages 232 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Einleitung
Prämissen/Quellen/Überblick
Forschungsbericht/Methode
1. Tanzdiskurs und -mythos
Zur Frage: Was ist Tanz?
Zur Wahrnehmung von Tanz
Tanz be-schreiben
Von der Un- zur Universal-Verständlichkeit des Tanzes
2. Die Etablierung einer Poetik der Tanzkunst
Die Bewegung vom ›Ballet de Cour‹ zum ›Ballet en Action‹
Eine Kunst unter Rechtfertigungszwang
(Wieder-)Entdeckung der Sprache aus Gesten und Bewegungen
Mimesis und ›movere‹
Diskursive Konstruktionen universaler Unmittelbarkeit
3. Entwürfe einer bewegt bewegenden ›Sprache des Herzens‹
Bewegung der Ballettreform
Aktion und Begriff
Anthropologisierung der Bewegung
Psychophysisches Bewegungskonzept
›Commercium mentis et corporis‹ für die Bühne
Bewegte Sprache, Sprache der Bewegung
Die Kunst des Ausdrucks von Empfi ndungen
Rezeption und Wirkung
Universalität versus Diff erenz
4. Der Diskurs der Emphase
Verschiebung der Textsortenrelevanz
Romantische Kritik
Poetisierung und Idealisierung
Imagination und Transposition
Erweiterter Autor und Emphase
Sprachlich bewegte Figuren
Ballerinenkult als Vergleichsdiskurs
Spiegeldiskurse zur Emphase
Die Perspektive der Tänzerin
Schluss
Literatur
Handbücher, Lexika, Wörterbücher
Namensregister
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Beredte Körper - bewegte Seelen: Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten [1. Aufl.]
 9783839410660

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Christina Thurner Beredte Körper – bewegte Seelen

T a n z S c r i p t e | hrsg. von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein | Band 16

2008-11-21 08-05-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01cc195153427704|(S.

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Christina Thurner (Prof. Dr.) ist Assistenzprofessorin mit Schwerpunkt Tanzwissenschaft am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern.

2008-11-21 08-05-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01cc195153427704|(S.

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Christina Thurner

Beredte Körper – bewegte Seelen Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten

2008-11-21 08-05-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01cc195153427704|(S.

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Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Claudia Gradinger in »Aufgeräumtes Herz«; Foto: Selina Willemse Korrektorat: Jennifer Niediek, Bielefeld Satz: Alexander Masch, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1066-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2008-11-21 08-05-26 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01cc195153427704|(S.

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Inhalt Vorbemerkung ................................................................................................................ 7 Einleitung ......................................................................................................................... 9 Prämissen/Quellen/Überblick .................................................................................. 17 Forschungsbericht/Methode ..................................................................................... 28 1. Tanzdiskurs und -mythos ....................................................................................... Zur Frage: Was ist Tanz? ............................................................................................ Zur Wahrnehmung von Tanz ................................................................................... Tanz be-schreiben ......................................................................................................... Von der Un- zur Universal-Verständlichkeit des Tanzes ....................................

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2. Die Etablierung einer Poetik der Tanzkunst ..................................................... Die Bewegung vom ›Ballet de Cour‹ zum ›Ballet en Action‹ ............................ Eine Kunst unter Rechtfertigungszwang .............................................................. (Wieder-)Entdeckung der Sprache aus Gesten und Bewegungen ................... Mimesis und ›movere‹ ................................................................................................ Diskursive Konstruktionen universaler Unmittelbarkeit ..................................

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3. Entwürfe einer bewegt bewegenden ›Sprache des Herzens‹ ......................... 81 Bewegung der Ballettreform ..................................................................................... 82 Aktion und Begriff ....................................................................................................... 90 Anthropologisierung der Bewegung ....................................................................... 97 Psychophysisches Bewegungskonzept .................................................................. 100 ›Commercium mentis et corporis‹ für die Bühne .............................................. 105 Bewegte Sprache, Sprache der Bewegung ............................................................ 112 Die Kunst des Ausdrucks von Empfindungen .................................................... 116 Rezeption und Wirkung ............................................................................................ 119 Universalität versus Differenz ................................................................................. 124 4. Der Diskurs der Emphase ................................................................................... Verschiebung der Textsortenrelevanz ................................................................... Romantische Kritik ............................................................................................................... Poetisierung und Idealisierung ...............................................................................

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Imagination und Transposition ............................................................................... Erweiterter Autor und Emphase .............................................................................. Sprachlich bewegte Figuren ..................................................................................... Ballerinenkult als Vergleichsdiskurs ..................................................................... Spiegeldiskurse zur Emphase .................................................................................. Die Perspektive der Tänzerin ...................................................................................

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Schluss ........................................................................................................................... 193 Literatur ........................................................................................................................ 203 Handbücher, Lexika, Wörterbücher ....................................................................... 223 Namensregister ............................................................................................................ 225

Vorbemerkung »The Mind is a Muscle.«1 »Move your Mind.«2

Die vorliegende Publikation wurde im Rahmen meiner Assistenzstelle am Deutschen Seminar der Universität Basel begonnen. Es folgten Forschungsaufenthalte als Post-doctoral Fellow am Dance Department der University of Surrey, Großbritannien, mit Quellenstudien in der British Library (Winter/Frühling 2003). Unterstützt wurde ich dabei mit einem Ausland-Forschungsstipendium des Fonds zur Förderung des akademischen Nachwuchses der Universität Basel. Für weitere Archivrecherchen weilte ich in Wien, Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (Sommer 2003), in Salzburg, Derra de Moroda Dance Archives (Sommer 2006), und in New York, The New York Public Library for the Performing Arts (Herbst 2006). Die beiden jüngsten Forschungsreisen sowie der Abschluss der Arbeit wurden ermöglicht durch die Projektförderung des Schweizerischen Nationalfonds im Bereich Freie Forschung Geisteswissenschaften. 2007 wurde die vorliegende Arbeit als Habilitationsschrift an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel eingereicht. Bedanken möchte ich mich ganz herzlich bei allen, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben – bei jenen Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden und Personen, die mich fachlich unterstützt, inspiriert, konstruktiv kritisch begleitet und motiviert haben, die mir den Zugang zu den Quellen in den Archiven ermöglicht haben, die Korrektur gelesen und die mich wissenschaftlich, institutionell sowie finanziell gefördert haben. Namentlich erwähnt seien insbesondere Gabriele Brandstetter, Balz Engler, Beate Fricke, Martin Gaier, Michael Gamper, Marianne Graf, Alexander Honold, Sabine Huschka, Christine Jüchter, Janet Lansdale, Jennifer Niediek, Gunhild OberzaucherSchüller, Juliane Vogel, Julia Wehren, Jörg Wiesel und Selina Willemse.

1 | Titel einer choreographischen Arbeit von Yvonne Rainer. 2 | Motto der Zürcher Street Parade 2006.

Einleitung »If I could tell you what I mean, there would be no point in dancing.« (Isadora Duncan)1

Das Thema der ›Bewegung‹ wird in den Kunst-Debatten des 18. Jahrhunderts zu einem ausführlich diskutierten Gegenstand. Es steht dabei jedoch nicht etwa die Kunst der körperlichen Bewegung, der Tanz, im Mittelpunkt des Interesses, vielmehr wird das Verb ›movere‹ zu einem Schlagwort, das vor allem den Diskurs über Kunst, über die Wirkung von Kunst allgemein, betriff t und prägt. Bereits die antike Tragödientheorie stellte sich die Frage, wie von der Bühne aus die Gefühle von Zuschauern erregt werden könnten.2 Zunächst verstand man unter ›movere‹ also nicht eine (äußere) Aktion, sondern eine (innere) Reaktion: das Bewegt-Sein. Im Zuge einer neu ausgerichteten Anthropologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist in Bezug auf Empfindungen, auf Gefühle, Affekte oder Leidenschaften, die Rede von der affi zierten, von der in Bewegung versetzten Seele.3 Ästhetiker sowie Literaten beteiligen sich aktiv an dieser erwachenden anthropologischen Debatte. 4 Doch nicht nur die Rezeptionsseite interessiert etwa Lessing, Nicolai, Mendelssohn oder Schiller, vielmehr befassen sie sich immer mehr auch mit psychophysischen Wechselwirkungen, mit dem sogenannten ›influxus physicus‹-System, d.h. mit dem Einfluss des bewegten Leibes auf die Seele und umgekehrt.5 In seiner Hamburgischen Dramaturgie 1 | Duncan zit. in: Hanna, The performer-audience connection, 7 (Hervorhebung im Original). 2 | Vgl. dazu auch Brandstetter, Fragments of a human project, 5. 3 | Vgl. Zeuch, Der Affekt, 75; außerdem Torra-Mattenklott, Metaphorologie der Rührung. Der Begriff der ›Rührung‹ bezieht sich, so Torra-Mattenklott, ebd. 13, mit Hinweis auf Adelung, »gleichermaßen auf Gemütsbewegungen wie auf Bewegungen in den Sinnen oder anderen Körperorganen«. Vgl. auch die neueren Forschungsbeiträge zum Thema ›Emotionen‹ in den Künsten, darunter u.a. Herding/Stumpf haus (Hg.), Pathos, Affekt, Gefühl; Kappelhoff, Matrix der Gefühle; Kolesch, Theater der Emotionen; Meyer-Sickendiek, Affektpoetik; außerdem allgemein philosophisch Hastedt, Gefühle. 4 | Vgl. Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 9. 5 | Vgl. dazu auch Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 11; außerdem von

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schreibt Lessing diesbezüglich, »dass eben die Modifi kationen der Seele, welche gewisse Veränderungen des Körpers hervorbringen, hinwiederum durch diese körperliche Veränderungen bewirket werden«.6 Das wechselseitige Verhältnis von Körper und Seele wird zunehmend Gegenstand der Forschung; man strebt nach dem ›commercium mentis et corporis‹ und distanziert sich vom metaphysischen Dualismus Descartes’ und den Hypothesen über den Zusammenhang von ›res extensa‹ und ›res cogitans‹.7 Dieser neue Fokus auf die Wechselwirkung ist im Zuge eines umfassenderen Paradigmenwechsels zu sehen, mit dem sich auch Auffassung und Bedeutung der Körpersprache wandelt. Die höfische Verstellungskunst wird abgelöst durch anti-rhetorische Konzepte der ›Natürlichkeit‹. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf nonverbale Zeichensysteme wie die Sprachen der Gestik, der Gebärden oder der Mimik.8 Sie gelten als ›natürlicher‹, ›unwillkürlicher‹ Ausdruck des Körpers, der unmittelbar auf die Empfindungen des Rezipienten, der Rezipientin wirke. In der Theatertheorie führte diese Auseinandersetzung mit der rhetorischen ›eloquentia corporis‹ zu neuen Schauspielkonzepten, die jener im Zeichengebrauch der Redekunst angelegten Distanz der Mittelbarkeit eine Absage erteilten.9 Die so verstandene ›natürliche‹ Sprache verweise auf ein Inneres, welches nun als für andere zugänglich gedacht ist. Kreiert wird die Figur des kommunikativ anschlussfähigen ›inneren‹ Menschen.10 Ebenfalls darüber reflektiert wird in philosophischen Abhandlungen über den Ursprung der Sprache oder über das Verhältnis von Sprache und Erkenntnisvermögen, etwa von Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Johann Georg Sulzer oder Johann Gottfried Herder, in Texten zur Mimik von Johann Jakob Engel oder zur

Herrmann/Siegert, Beseelte Statuen – zuckende Leichen, 70. Der Influxionismus ist neben dem Parallelismus, dem Occasionalismus und der prästabilierten Harmonie eine der klassischen Varianten der Leib-Seele-Lehre, die zunächst René Descartes auf der Grundlage einer scharfen Trennung von Materie und Geist entwickelt hat. 6 | Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 245. 7 | Vgl. ebenfalls Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 11f. In Zedlers Universal-Lexicon von 1740, 980ff., findet sich ein Eintrag zum Verhältnis von Leib und Seele unter dem Lemma »Natürlicher Einfluß«. 8 | Vgl. Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt, insbesondere 125; außerdem Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 24, der anmerkt, dass die Sprache der Gebärden seit der Antike ein Thema sei. Allerdings hält er fest, dass das »von Batteux oder Sulzer angeregte Interesse für die ›Abbildung des innern Zustandes der Menschen‹ […] aber ein gänzlich neues« sei. 9 | Vgl. Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst; außerdem Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt, 126. 10 | Vgl. Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 12. Es ergibt sich – so die Vorstellung im zeitgenössischen Diskurs – eine Kommunikation von Herz zu Herz. Vgl. dazu Geitner, Die Sprache der Verstellung, 189.

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Physiognomik und Pathognomik von Johann Caspar Lavater, Georg Christoph Lichtenberg oder Friedrich Schiller.11 Die verschiedenen Theoretiker beziehen sich somit in ihrer Auseinandersetzung mit bewegender Kunst und mit ästhetischer Wirkung zumeist metaphorisch auf etwas, das konkret wiederum die Basis einer eigenen Kunstform bildet. Auf dieses zweifache Definiertsein über menschliche ›Bewegung‹ nehmen zwar u.a. Lessing oder Sulzer explizit Bezug, indem sie den Tanz als »natürliches«, nichtsprachliches (Zeichen-)System schlechthin beschreiben, das über das Instrument Körper Empfindungen ausdrücke und so auf die Empfindungen der Rezipienten ziele.12 Sulzer wertet dieses Vermögen in der Hierarchie der Künste sogar sehr hoch und befindet, »dass an Stärke der ästhetischen Kraft keine Kunst die Tanzkunst übertreffen könne«.13 Er differenziert jedoch – wie auch seine Zeitgenossen – kaum genauer zwischen Gesellschaftstanz und Bühnentanz,14 zwischen choreographierter Bewegung und Auff ührung.15 11 | Vgl. dazu auch Egidi u.a., Riskante Gesten, 24. Da heißt es, diese klassischen Abhandlungen gehörten »mittlerweile zu den kanonischen Lektüren der historischen Anthropologie«. 12 | Vgl. Lessing, Aus dem Nachlass, 592: »Die Tanzkunst hat die Forme [sic!] in Bewegung zum Gegenstande. Ihre Zeichen sind natürlich, zugleichseiend und aufeinander folgend, wie ihr Gegenstand […], drücken Handlungen, Mienen, Gebärden und vermittelst dieser Neigungen und Leidenschaften aus.« Vgl. auch Sulzer unter dem Lemma »Tanz« in Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 419: »Es ist keine Gemüthslage, kein Gemüthscharakter, keine Leidenschaft, die nicht durch den Tanz auf das lebhafteste geschildert werden könne.« Außerdem ebd., Bd. 2, 244, unter dem Stichwort »Gebehrden«, die er als Teil der Tanzkunst begreift: »In gar vielen Fällen sind die Gebehrden eine so genaue und lebhafte Abbildung des innern Zustandes der Menschen, dass man ihre Empfindungen dadurch weit besser erkennet, als der beredteste Ausdruck der Worte sie zu erkennen geben würde. […] Also ist auch nichts, wodurch man schneller und kräftiger auf die Gemüther würken kann.« Batteux schreibt in Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz, Bd. 1, 391f.: »Eine Sprache, deren Ausdrücke der Menschheit selbst, als der Menschen, sind; was ist diese nicht für ein Reichthum für die Künste, deren Geschäff te es ist, die Seele in Bewegung zu setzen!« 13 | Sulzer unter dem Lemma »Tanzkunst« in Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 423. Im frühen 19. Jahrhundert heben auch August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schleiermacher die Bedeutung des Tanzes im System der Künste hervor. Vgl. dazu Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 175f. 14 | Schroedter hält in Wahre Tantz=Kunst, 91, fest, dass die deutschen Tanzbuchautoren des 17. und 18. Jahrhunderts im Gegensatz zu ihren französischen Kollegen nicht oder zumindest nicht wertend zwischen gesellschaftlichem und theatralischem Tanz unterschieden hätten. Erst im 19. Jahrhundert geht etwa Voß in Der Tanz und seine Geschichte, z.B. 8, 11ff., auf eine solche Differenzierung ein. 15 | Der Begriff ›Choreographie‹ und das Verb ›choreographieren‹ haben heute eine andere Bedeutung als im 18. und 19. Jahrhundert. Damals bezeichnete man mit

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Trotz apologetischer Voten war die Tanzkunst im 18. Jahrhundert noch keine eigenständige, allgemein bestimmte Kunstform.16 So kam ihr denn in einigen philosophischen Schriften des 18. und auch des frühen 19. Jahrhunderts zur Ästhetik eine untergeordnete Rolle zu, oder sie wurde gar gänzlich ausgelassen.17 Hegel beispielsweise widmet ihr in seinem »System der einzelnen Künste« im Rahmen seiner Vorlesungen über die Ästhetik kein eigenes Kapitel. Sie erscheint da vielmehr gleich mehrfach untergeordnet: Hegel erwähnt den Tanz nur ganz kurz als der Rede untergeordnetes Element im Abschnitt »Die Schauspielerkunst«, der ein Unterkapitel zu »Die äußere Execution des dramatischen Kunstwerks« innerhalb der »dramatische[n] Poesie« bildet, die wiederum eine Gattungsvariante der »Poesie« innerhalb der »romantischen Künste« sei.18 Neben den viel zitierten und heute ausführlich erforschten Philosophen und Kunsttheoretikern des 18. und 19. Jahrhunderts äußerten sich jedoch auch Ballettmeister, Tänzer und Tanztheoretiker der Zeit in dieser Diskussion. Es erstaunt, dass diese Voten, die Stimmen des Tanzes also, in der aktuellen Forschung nicht eingehender berücksichtigt wurden.19 Während in den philosophischen Schriften jener Zeit immer wieder auf damals offenbar kanonische Tanztraktate Bezug genommen wird, sind diese in der heutigen allgemein äseiner Choreographie eine Notation. Vgl. zum Bedeutungswandel des Begriffs ›Choreographie‹ auch Dahms, Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres, 67; außerdem Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 25; Dies., Regie und Choreographie; vgl. auch Derra de Moroda, Die Tanzschrift des 18. Jahrhunderts im Spiegel meiner Sammlung; Dies., Die Tanzschrift des 18. Jahrhunderts; und Jeschke, Tanzschriften; außerdem – aus dem 19. Jahrhundert – Klemm, Katechismus der Tanzkunst, 205ff. 16 | Bis zu jenem Zeitpunkt hatte der Tanz auf der Bühne lediglich eine untergeordnete, dekorative oder handlungsunterstützende Funktion inne. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zuge der Emanzipation der Bewegung gelang es dem dramatischen Ballett – wenn auch gegenüber der Oper und dem Schauspiel mit fast 100jähriger Verspätung –, sich als eigenständige Kunst zu etablieren. Vgl. Fischer-Lichte/Schönert, Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts; außerdem Woitas, Anmerkungen zum Wandel des Darstellungsstils im Tanztheater des ausgehenden 18. Jahrhunderts, 89. 17 | Vgl. dazu Sparshott, Why philosophy neglects the dance. 18 | Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 510ff. 19 | Vgl. etwa Egidi u.a., Gestik. Der Band gibt einen guten Überblick über »historische Gestik- (und damit auch Körper-)Konzepte innerhalb der kommunikativen Strukturen unterschiedlicher Epochen und Kulturen«; vgl. ebd., 16; es ist allerdings verwunderlich, dass in einem Band über Gestik sich kein Beitrag eingehender mit zentralen Fragen der Tanz-Kunst befasst. Vgl. außerdem Woitas’ Kritik an der einschlägigen theaterwissenschaftlichen Literatur, die bis heute »die theoretischen und ikonographischen Quellen aus dem Bereich des Tanztheaters« unberücksichtigt lässt, »obwohl doch gerade in der Ballettreform eine deutliche Annäherung an das Sprechtheater erfolgt und Parallelen geradezu ins Auge springen«, in: Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 275.

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thetischen oder kulturwissenschaftlichen Forschung nahezu vergessen und finden lediglich noch in spezifischen Untersuchungen der Tanzwissenschaft Erwähnung.20 Dabei bringen sie einen signifi kanten Aspekt in diese Debatte mit ein. Der Begriff der ›Bewegung‹21 spielt – wie bereits angedeutet – im Diskurs über die Tanzkunst eine doppelte Rolle: So bildet ›Bewegung‹, die als Aktion von Körpern im Raum und in der Zeit beschrieben wird, konkret physisch die Grundkonstituente dieser Kunstform. Zusätzlich kommt ›Bewegung‹ als ›movere‹ im ausgehenden 17. und dann besonders im 18. und 19. Jahrhundert auch in Bezug auf den ästhetischen Tanz jene Bedeutung zu, die als Konzept einer spezifischen Rezeptions- und Wirkungsweise von Kunst allgemein diskutiert wurde.22 Diese beiden Bedeutungsinhalte von ›Bewegung‹ und ihre Synthese werden in Tanztraktaten eingehend und auch kontrovers erörtert. So verbindet der Diskurs über den Tanz, beziehungsweise die Tanzauff ührung, die Produktions- und die Rezeptionsseite dieser Kunstform,23 indem er Tänzer und Zuschauer als – freilich unterschiedlich, aber gemeinsam – bewegt darstellt. Während in den letzten Jahren intensiv über das Thema ›Körper‹ geforscht worden ist, wurde der Bewegung bisher zu wenig Beachtung geschenkt.24 Gerade im Hinblick auf den Paradigmenwechsel im 18. Jahrhundert vom Dualismus zum ›commercium mentis et corporis‹ bietet es sich an, die neu in den Blick gerückte Verbindung von Körper und Geist/Seele als Bewegungskonzept zu denken. Körper und Geist werden auf der Bühne zu gleichwertigen Größen des Mediums Bewegung, indem Form und Inhalt von Bewegung neu so ineinander verschränkt sind, dass sich der äußere (körperliche) und der innere (seelische) Bewegungsverlauf im intendierten Ausdruck, einer emotiven Aussage, treffen.25 Jean Georges Noverre plädiert in seinen 1760 erstmals publizierten Lettres sur la Danse, et sur les Ballets26 für den pantomimischen Tanz als eine eigenstän20 | Vgl. dazu den Abschnitt Forschung des vorliegenden Kapitels. 21 | Vgl. zur Begriffsgeschichte von ›Bewegung‹ auch Müller Farguell, Tanz-

Figuren, 19ff.; außerdem Klein, Bewegung. 22 | Vgl. zu ›movere‹ im Sinne von Rührung als ästhetisches Wirkungsziel Torra-Mattenklott, Metaphorologie der Rührung. 23 | Darauf, dass der Begriff ›Tanz‹, wie er in der (historischen) Literatur erscheint, oft nicht explizit oder genau zwischen Gesellschafts- und Theatertanz unterscheidet, wurde bereits in der Fußnote 14 hingewiesen. Außerdem wird dabei oft nicht scharf zwischen Auff ührung und Erfindung sowie Komposition von Schritten beziehungsweise Figuren (was heute unter ›Choreographie‹ verstanden wird) getrennt. Solche Unterscheidungen sollen im Folgenden jeweils in Bezug auf die einzelnen Texte berücksichtigt werden. 24 | Moira Gatens etwa fordert in ihrem Aufsatz Through a spinozist lens, das Thema Körper als ein Bewegungskonzept zu behandeln. Vgl. dazu auch Brandstetter, Staging Gender, 27. 25 | Vgl. auch Jeschke, Noverre, Lessing, Engel, 109. 26 | Im Folgenden wird dieser Text in der zeitgenössischen deutschen Überset-

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dige Kunstform, die auf Imitation der Natur und nicht – wie der höfische Tanz – auf Repräsentation der gesellschaftlichen Ordnung beruhen sollte. Noverre und andere gingen dabei vom Tanz als einer bewegten Sprache des Körpers, einer Gesten-, Gebärden- und Mimiksprache, aus, die mittels ›natürlicher‹ Zeichen Empfindungen und Leidenschaften so auszudrücken vermöge, dass sie im Betrachter Rührung und innere Regungen auslöse: »Die Aktion beym Tanze ist die Kunst, durch den wahren Ausdruck unsrer Bewegungen, unsrer Gestus und der Physiognomie, dem Zuschauer unsre Empfindungen und Leidenschaften mitzutheilen.«27 Gerade auch durch die Kombination der verschiedenen mimetisch körperlichen Ausdrucksmittel, noch dazu begleitet von Musik, galt der Tanz seinen Verfechtern als wirkungskräftigste Kunstform.28 In der vorliegenden Untersuchung soll nun die Debatte um die ›Bewegung‹ ausdrücklich von der Seite der Kunstform ›Tanz‹ her beleuchtet werden. Dabei geht es einerseits darum, mit kulturwissenschaftlichem Interesse neue Erkenntnisse über die allgemeine Kunstdebatte des 18. Jahrhunderts zu gewinnen, die insbesondere für theaterwissenschaftliche, ästhetiktheoretische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen von großer Bedeutung sind. Andererseits ergeben sich wichtige Problemstellungen der Spezialdisziplin Tanzwissenschaft, die vor dem 18. Jahrhundert ansetzen und über dieses hinausreichen. Um die Frage nach der Relation zwischen den Texten, der künstlerischen Praxis und deren Rezeption beantworten zu können, bedarf es methodisch einer Verbindung der Disziplinen Theater-/Tanz- und Literaturwissenschaft. Während die Auseinandersetzung zur Vorstellung von expressiv-körperlichsprachlicher Unmittelbarkeit allgemein in der Kunst und ihrer Theorie nach dem 18. und frühen 19. Jahrhundert wieder an Bedeutung verlor und erst in der Literatur des ›Fin de Siècle‹ und zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zuge der sogenannten ›Sprachkrise‹ der Moderne erneut aufflammte, ging diese Diskussion in den diskursiven Beiträgen über Tanz (fast) ungebrochen weiter. Begriffe wie ›Unmittelbarkeit‹ und ›Authentizität‹ wurden zu Topoi im Diskurs über Tanz, die bis in unsere Zeit durchgängig wirksam sind. So diagnostizieren noch heute viele Tanztheoretiker, -kritikerinnen und -praktiker, die sich auf zung durch Gotthold Ephraim Lessing und Johann Joachim Christoph Bode von 1769 mit dem Titel Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette zitiert. 27 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 197. 28 | Vgl. dazu beispielsweise Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 423; außerdem weitere entsprechende Aussagen in Kapitel 3 der vorliegenden Untersuchung. Das theatralische Ballett wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum wortlosen Gesamtkunstwerk. Nach dramatischen Gesichtspunkten aufgebaut, sollten dessen einzelne Komponenten gemeinsam auf die Darstellung einer dramatischen Handlung abgestimmt sein. Das Ziel war eine Integration von Libretto, Musik, Choreographie und Dekor im Dienste der mit tänzerisch-pantomimischen Mitteln zu erzählenden Geschichte. Vgl. dazu auch Fischer-Lichte/Schönert, Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts.

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Schriften und anders tradierte Erfahrungen vom ausgehenden 17. bis zum 20. Jahrhundert beziehen, beharrlich eine sensorische Unmittelbarkeit 29 oder eine subliminale (auch: kinästhetische) Korrespondenz30 zwischen den Tanzenden, die Bewegungen erzeugen, und den Zuschauenden, die diese wahrnehmen. Bis in die jüngste Zeit existiert die Vorstellung, dass der Tanz direkt zum Herzen ›spricht‹, dass er eine ›natürliche‹, ›universelle‹ Sprache sei. Diese Formel wird affirmativ fort- und fortgeschrieben, wobei auch – allerdings weitgehend undifferenziert – auf historische Quellen rekurriert wird. So hat beispielsweise das Tanz-Komitee des Internationalen Theater Institutes der UNESCO zu Ehren von Noverre an dessen 255. Geburtstag, am 29. April 1982, den ersten »Welttanztag« ausgerufen, um fortan jährlich »die Universalität des Tanzes zu feiern, um alle politischen, kulturellen und ethnischen Grenzen zu überschreiten und Menschen zusammenzubringen in Frieden und Freundschaft, mit einer gemeinsamen Sprache – Tanz«.31 Die Annahme einer unmittelbaren und deshalb universellen Wirkungskraft des Tanzes mythisiert diesen.32 Tanz als Bühnenkunst basiert wie jede Äußerung auf einer spezifischen Diskurspraxis und ist ein Produkt einer historischen und kulturellen Ordnung. Das Etikett des ›Natürlichen‹ allerdings überdeckt offenbar gerade im Hinblick auf den Tanz die jeweilige Diskurspraxis nachhaltig und effektiv.33 Dies macht ihn außerdem resistent gegen theoretische Betrachtungen und schließt ihn aus von der intellektuellen Diskussion, wie andere Künste sie erfahren.34 Eine frühe Warnung in diese Richtung stammt vom Danziger Tanzlehrer Albert Czerwinski, der 1862 in seiner Geschichte der Tanzkunst schreibt: »Man hat der Tanzkunst niemals ihre Stelle unter den schönen Künsten streitig gemacht, aber man hat sich auch niemals die Mühe gegeben, diese Stelle einigermaßen näher zu bestimmen, ihre Bedeutung theoretisch und historisch zu begründen.«35 Die Folge ist bis heute eine Marginalisierung des Tanzes innerhalb der Künste, was sich schließlich aber auch auf seine Stellung in gesellschaftlichen Bereichen wie Bildung, Medien und in künstlerischen Institutionen niederschlägt. 29 | Kritisch gegenüber einer solchen Annahme äußert sich etwa Copeland, Dance criticism and the descriptive bias, 27ff. 30 | Vgl. dazu etwa Smyth, Kinesthetic communication in dance, 19ff. 31 | Pressemitteilung des Organisationskomitees Welttanztag Schweiz vom 12.4.2000. Vgl. dazu auch das Programmheft, What do you see?, von Steps #7, dem internationalen Tanzfestival des Migros-Kulturprozentes, Zürich 2000, 6. Es gibt jedoch auch zahlreiche Gegenstimmen, die die Vorstellung der unmittelbaren Verständlichkeit als Mythos entlarven. Vgl. beispielsweise – etwas polemisch – Wesemann, Um den Verstand getanzt, 5. 32 | Vgl. zum Begriff des Mythos hier Barthes, Mythen des Alltags, insbesondere 85ff. 33 | Vgl. zum ›Natürlichen‹ als Erfi ndung des kollektiven Imaginären im 18. Jahrhundert auch Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt, insbesondere 445. 34 | Vgl. dazu auch Copeland/Cohen, What is dance?, viii. 35 | Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, V.

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Ich möchte im Folgenden – wie bereits erwähnt – nicht vom Tanz selbst ausgehen und auch nicht das Geschehen auf der Bühne anhand von Tanzaufführungen beziehungsweise -aufzeichnungen untersuchen. Der Fokus dieser Untersuchung liegt vielmehr auf dem Diskurs über Tanz und über die Wirkung von Tanz,36 einerseits weil der historische Tanz freilich nicht mehr als Bühnenereignis, sondern nur noch, wenn überhaupt, in medialer Auf bereitung vorhanden ist und andererseits, weil gerade das paradoxe Verhältnis von sprachlicher (schriftlicher) Erörterung eines betont nicht-sprachlichen Ereignisses allgemeinere kulturwissenschaftliche Erkenntnisse über die ästhetische Debatte bringen soll. In Anlehnung an Albrecht Koschorke interessiert dabei insbesondere die symbiotische Verknüpfung des Wandels der Gefühlskultur »mit der Durchsetzung einer bis dahin unerreichten Wirkungstiefe schriftkultureller Standards«,37 die auch für die Etablierung und Verbreitung der nonverbalen Kunstform Tanz von entscheidender Bedeutung war.38 Anhand dieser schriftlichen Erzeugnisse39 soll die Generierung und Aufrechterhaltung des Mythos von der ›unmittelbaren‹, ›natürlichen‹, bewegenden Wirkungskraft des Tanzes untersucht werden. In den historischen Quellen aus verschiedenen Epochen, den Tanztraktaten und -schriften zeigt sich nämlich, dass darin weit differenzierter und widersprüchlicher argumentiert wird als gemeinhin wiedergegeben. Mit Berücksichtigung der je eigenen Argumentation und des jeweiligen historischen und philosophischen Kontexts werde ich die Texte über Tanz(rezeption) und zur doppelten Bewegung auf die Fragen hin untersuchen, inwiefern sich ein Diskurs erkennen lässt, den man ästhetisch als »tanzspezifisch« bezeichnen kann, und wie dieser im Verhältnis zu anderen ästhetischen Diskursen steht. Eine Leitfrage soll sein, wo und wie sich in oder zwischen den Texten argumentative Widersprüche zeigen beziehungsweise Verschränkungen ergeben. Neben einer kulturwissenschaftlichen Kontextulisierung der Texte über Tanz in einem Feld von philosophischen, ästhetischen, theatertheoretischen, literarischen und anderen Texten ist vor allem nach den Spezifi ka des Diskurses über Tanz zu fragen, wie auch nach seinen Paradoxa. Schließlich soll die 36 | Dass sich der Diskurs über Tanz jeweils nicht mit der konkreten Bühnenpraxis decken muss, hat Sibylle Dahms am Beispiel von Noverre und Angiolini gezeigt; vgl. Dahms, Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres, 73. 37 | Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 12. 38 | Vgl. dazu auch Schroedter, Schriften zum Tanz als Quellen zum Tanz, 212: »Hierbei bot das ›Medium Buch‹ den deutschen Tanzmeistern, die nicht nur an den Höfen, sondern auch im städtischen Milieu wirkten, eine willkommene Möglichkeit, ihren Wirkungsradius zu vergrößern und auch unter den Angehörigen des gehobenen Bürgertums bzw. Kaufmannsstandes, die sie jedoch zunächst von der Ehrenhaftigkeit ihrer Profession überzeugen mussten, Liebhaber der Tanzkunst zu gewinnen.« 39 | Es soll dazu u.a. eine – von der Literaturwissenschaft bisher kaum beachtete – Form von spezifischer Traktatliteratur in den Blick gerückt werden, deren diskursprägende Bedeutung m.E. unterschätzt ist.

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Untersuchung, die interdisziplinär, nämlich literatur-, kultur- und tanzwissenschaftlich, angelegt ist, nochmals auf aktuelle kulturwissenschaftliche Fragen zurückgeführt werden, die vom Diskurs über den Tanz ausgehen, aber wiederum über diesen hinausweisen.

Prämissen/Quellen/Überblick Im Rekurs auf die Antike, die immer wieder als frühe Blütezeit des Tanzes Erwähnung findet, werden in Tanztraktaten vor allem zwei Referenztexte angegeben: Die Poetik von Aristoteles und Lukians Peri Orcheseos, ein Dialog über Tanz. In seiner Poetik definiert Aristoteles den Tanz als eine Kunst, die Charakter, Emotionen und Aktionen mittels rhythmischer Bewegungen imitiert. 40 Bereits Tanztheoretiker des 17. Jahrhunderts wie Claude François Ménestrier verweisen in Bezug auf Ursprung und Geschichte des Balletts auf Aristoteles. 41 Vor allem im 18. und frühen 19. Jahrhundert berufen sich dann Autoren von Tanzschriften auf das aristotelische Prinzip der Nachahmung. 42 Lukians Peri Orcheseos wird im 18. Jahrhundert von Wieland übersetzt und ist von da an im deutschen Sprachraum unter dem Titel Von der Tanzkunst präsent. Wieland fügte der »Lobrede auf die Tanzkunst, über das was sie leistet und was zu ihr erfordert wird«, wie es im Untertitel heißt, eigene kritische Kommentare an. Die Schrift galt vielen Tanzhistorikern als Referenz, wiewohl auf ihren Status zwischen fi ktiv literarischem Text und ernsthaftem ästhetischem Traktat nicht immer eingegangen wird. 43 40 | Aristoteles, Poetik, 5: »[D]enn auch die Tänzer ahmen mit Hilfe der Rhythmen, die die Tanzfiguren durchdringen, Charaktere, Leiden und Handlungen nach.« 41 | Ménestrier, Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre, iiij. 42 | Vgl. etwa Weaver, An essay towards an history of dancing. Auch Carlo Blasis leitete in seiner 1844 erschienenen Schrift Studi sulle arti imitatrici die Gestensprache des pantomimischen Balletts von der Antike her. Aristoteles’ Textstelle über den Tanz habe jedoch, so 1927 der Tanzpublizist André Levinson, zu einer fatalen Verwechslung zwischen »saltatory motion and expressive or descriptive gesture« geführt. Vgl. dazu Levinson, The idea of the dance, 48. 43 | Ob allerdings, wie Richard Ralph feststellt, die Theoretiker des 18. Jahrhunderts im Gegensatz zu späteren Wissenschaftlern tatsächlich weder die Literarizität des Zwiegesprächs (an-)erkannten – den einen Dialogpartner nennt Lukian Lucius – noch an der Ernsthaftigkeit dieses Dialogs zweifelten, kann nicht eindeutig geklärt werden. Vgl. dazu Ralph, The life and works of John Weaver, 131; Ralph nennt ebd., 159, Thomas Francklin als einen der ersten, der – in seiner Schrift The Work of Lucian von 1780 – die Authentizität und Ernsthaftigkeit des Lukian’schen Dialogs angezweifelt habe. Cornelius von Ayrenhoff, Über die theatralischen Tänze, 12, schreibt 1794 diesbezüglich: »Das Wunderbare, so uns Lucian davon erzählet, dürfte wohl ein wenig übertrieben seyn, allein es ist hier nicht meine Sache, Lucians Erzählun-

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Einige Quellen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts können gewissermaßen als Vorläufer der breit geführten Diskussion über den Tanz als ›natürliche‹, ›universelle‹ Sprache der Gefühle, als bewegte und gleichzeitig unmittelbar bewegende Kunstform betrachtet werden. Ich beziehe mich dabei auf Texte, die die Literatur- und Kulturwissenschaft bisher ignoriert hat, während sie in der Tanzwissenschaft weitgehend bekannt sind. 44 Ich möchte diese Schriften jedoch mit meiner spezifischen Fragestellung einer Re-Lektüre unterziehen und ihnen so neue Tonarten ablauschen. Der herrschende Diskurs über Tanz beschäftigte sich um 1700 zwar noch vor allem mit formalen Aspekten, mit der Reglementierung von Schrittfolgen oder der grundsätzlichen Apologie des Tanzes als Kunstform. 45 Zu jener Zeit führten akademisch gebildete deutsche Tanzmeister wie Johann Pasch einen »heftigen Kampf« gegen Pietisten, die den Tanz moralisch verdammten und auch gegen dilettantische Tanzlehrer, die zum schlechten Ruf des Tanzes beitrugen. 46 Dieser ethisch-moralischen Ausrichtung der Tanztheorie in Deutschland stand in Frankreich eine eher ästhetisch motivierte Diskussion gegenüber. 47 Im Zuge der ›Querelles des Anciens et Modernes‹ gab es dort verschiedene tanzhistorische Bemühungen, die idealisierte Antike in Gegenüberstellung mit der im ›Verfall‹ begriffenen Moderne zu thematisieren. Der bereits erwähnte jesuitische Tanzmeister Claude François Ménestrier vergleicht in seiner 1682 publizierten Schrift Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre »modernen« mit »antikem« Tanz, er unterscheidet zwischen »Dance«, also kultischem oder religiösem Tanz, und der Kunstform »Ballet«, die sich allerdings erst mit

gen zu prüfen, die ohnehin zuweilen so beschaffen sind, dass man nicht gewiss weiß, ob es ihm Scherz oder Ernst damit war. Vielleicht würde man nicht sehr irren, wenn man sein Gespräch vom Tanze, für eine zweyfache Spötterey, sowohl über die zu enthusiastischen Verehrer, als über die zu hastigen Widersacher des Tanzes, betrachtete.« 44 | Dieser Sachverhalt zur Materiallage bezieht sich auch auf die Textauswahl zum späteren 18. und zum 19. Jahrhundert. Es ist dabei allerdings hervorzuheben, dass sich von den historischen Texten insbesondere jene im (Spezial-)Kanon gehalten haben, die gerade für meine Fragestellung relevant sind, weil sie sprachliche, rhetorische oder literarische Qualitäten aufweisen, die sie für eine diskursive Analyse prädestinieren. Diese Schriften sollen denn auch fokussiert und exemplarisch behandelt werden. 45 | Johann Pasch etwa hält in seiner Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, 48, fest, »dass eine tantzende Repræsentation nicht nur ein unvernünff tiges Herumhüpffen ist/sondern in Philosophia viel wolgegründete Regulirungen vonnöthen hat«. 46 | Vgl. dazu ebd.; insbesondere darin auch das Nachwort von Kurt Petermann. 47 | Vgl. zur Länderspezifi k der Themen und Fokussierungen in den Tanztraktaten Schroedter, Schriften zum Tanz als Quellen zum Tanz, 212f.; außerdem Dies., Wahre Tantz=Kunst, 82ff.

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der Zeit perfektioniert habe. 48 Ménestrier spricht jedoch bereits in Bezug auf die Antike von der Universalität des Balletts. 49 Er behauptet außerdem, dass mittels äußerer Bewegungen des Körpers innere Gefühle so dargestellt werden könnten, wie dies anders gar nicht möglich sei.50 Er führt diesbezüglich den Topos von der Einzigartigkeit der Tanzkunst auch in den modernen Tanzdiskurs ein. Nicht auf die Tanzkunst, wohl aber auf die Körpersprache und die »speaking motions« geht der Physiker John Bulwer in seiner 1644 veröffentlichten Abhandlung Chirologia: or the naturall language of the hand ein. Er bezeichnet darin die Gestensprache als ein natürliches, universelles Zeichensystem, als »the only speech and generall language of Humane Nature«.51 Solche Gesten gelten dann verschiedenen nachfolgenden Tanztheoretikern als Grundelemente des Tanzes. Dieser sei aus unmittelbaren Gesten komponiert, erklärt beispielsweise der Librettist, Tanzhistoriker und -theoretiker Louis de Cahusac: »Les différentes affections de l’ame sont donc l’origine des gestes & la Danse qui en est composée.«52 Louis de Cahusac bezeichnet die Geste als Instrument des Tanzes, der dann jedoch geformte Natur, also Kunst sei. In seiner Schrift La danse ancienne et moderne ou traité historique de la danse von 1754 untersucht auch er die Geschichte dieser Kunstform seit der Antike. Dabei geht er u.a. auf das Verhältnis von wörtlicher und gestischer Sprache ein. Tanz sei, so stellt er fest, »une espece de langage trouvé & convenu parmi les hommes, pour peindre ces deux sentimens [d.s. joie et reconnaissance, C.T.]«.53 Auch im 1746 erschienenen Buch Les beaux arts réduits à un même principe von Charles Batteux gilt die Geste als unmittelbarer, natürlicher Ausdruck des Menschen, wobei dem Tanz jedoch im Gegensatz zum alltäglichen Umgang mit Gesten eine andere Rolle zugeteilt wird. Er baue zwar auf den Gesten auf, sei aber Kunst und deshalb nicht Natur, auch wenn er die Natur nachahme. All diese und weitere Quellen des 18. Jahrhunderts nehmen – implizit oder explizit – Bezug auf Zeitdiskurse, die sich dichotomischer Ordnungsmuster bedienen wie Gefühl/Verstand, Authentizität/Verstellung, Sein/Schein, Natur/Kultur.54 Der englische Tänzer, Tanzpädagoge, -theoretiker und Pionier des Handlungsballetts John Weaver wirbt bereits 1712 in An essay towards an history of dancing für die Nachahmung der Natur ohne Worte: für Mime und Pantomime also, seit der Antike verloren gegangene Künste, die der neue Tanz wieder ver48 | Ménestrier, Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre, 35. 49 | Vgl. ebd., i: »De tous les Spectacles de divertissement que les Grecs ont in-

ventez, ou perfectionnez, il n’en est guere de plus universel que les Ballets: parce qu’outre que tous les peuples & toutes les Nations de la terre ont eu des danses fi gurées, & propres à exprimer diverses choses, les Ballets entrent generalement dans toutes les representations.« 50 | Vgl. dazu auch Cohen, Dance as a theatre art, 38. 51 | Bulwer, Chirologia, o.S. 52 | Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 1, 16. 53 | Ebd., Bd. 1, 59. 54 | Vgl. dazu auch Egidi u.a., Riskante Gesten, 11.

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mehrt aufnehmen solle.55 Weaver geht in diesem Zusammenhang auch auf die wortlose Kommunikation zwischen dem Tänzer und dem Zuschauer ein: »the Spectator might perfectly understand the Performer by these his Motions, tho’ he say not a Word.«56 Wegen dieses stummen Einverständnisses sei Tanz »a more Sublime Employment, and agreeable to Philosopers [sic!], and Friends to Speculation«.57 Trotz des festgestellten spekulativen Interpretations-Freiraumes räumt Weaver in seiner 1717 publizierten Beschreibung des Tanzdramas The loves of Mars and Venus dennoch ein, dass für das gegenseitige Verständnis von Tänzer und Zuschauer genaue Instruktionen betreffend »Rules and Expressions of Gesticulation« nötig seien.58 Er vertraut also keineswegs ganz auf die naturgegebene Ausdruckskraft von Gesten. So fügt er denn in der Szenenfolge eine detaillierte Beschreibung der Gesten und Bewegungen der darzustellenden Passionen wie Bewunderung, Erstaunen, Eifersucht usw. an.59 Diese Instruktionen kamen allerdings zu jenem Zeitpunkt nicht mehr einfach als technische Anweisungen daher. Es ist vielmehr zu beobachten, dass sie einen neuen ästhetisch-theoretischen Überbau zum Bewegungsthema mit sich brachten und diesbezüglich diskursprägend wurden. Die Innovationen, die Weaver für den Tanz forderte, beschrieb und auf der Bühne auch zu realisieren versuchte, setzten sich allerdings erst später durch. Auch wurde dabei sein Name kaum mehr erwähnt. Vielmehr wird bis heute im Zusammenhang mit der Ballettreform meist Jean Georges Noverre genannt.60 Der Ballettmeister und -theoretiker Jean Georges Noverre war zwar nicht der alleinige Schöpfer des pantomimisch-dramatischen Balletts, im historischen Rückblick erscheint er allerdings als der erfolgreichste Theoretiker desselben.61 Er verstand den Tanz als ›Seelenzeichenkunst‹ und als reinsten Ausdruck der Natur. Im Vergleich der Künste obsiegt bei ihm immer der Tanz – so zunächst in der Gegenüberstellung mit der Malerei: »Ein schönes Gemählde ist nur eine Kopie der Natur; ein schönes Ballet ist die Natur selbst, durch alle Reitze der Kunst verschönert. Wenn mich bloße Bilder bis zur Illusion hinreissen; wenn mich die Zauberkunst der Mahlerey entzückt; wenn der Anblick eines Gemähldes mitleidige Empfindungen in mir erregen kann; wenn Farben und Pinsel, in den Händen eines geschickten Mahlers meine Sinne so zu täuschen wissen, daß ich die Natur selbst zu sehen glaube, sie reden höre, sie verstehe und ihr antworte: wie sehr wird meine Empfindlichkeit zunehmen, wie ungleich stärker 55 | Weaver, An essay towards an history of dancing, 586. 56 | Ebd., 652. 57 | Ebd., 441. 58 | Weaver, The loves of Mars and Venus, 743. 59 | Ebd., 754ff. 60 | Vgl. dazu die amerikanische Tanzhistorikerin Selma Jeanne Cohen, Dance as

a theatre art, 51: »[P]erhaps he [d.i. Weaver, C.T.] lacked the aggressiveness of Noverre, who later proposed similar reforms, or perhaps the time was not yet ripe.« 61 | Vgl. auch Brandstetter, »Die Bilderschrift der Empfindungen«, 78.

E INLEITUNG | 21 werde ich durch den Anblick einer Vorstellung gerührt werden, die sich der Wahrheit noch mehr nähert, durch eine Handlung, die durch meines Gleichen nachgeahmt wird!«62

Nach Ansicht des Ballettmeisters steigt also die Qualität einer Kunst, je näher die Mittel der Nachahmung beim nachzuahmenden Gegenstand, der ›Natur‹, liegen und je weniger offensichtlich die Vermitteltheit, die Medialität der Kunst erscheint. Auch Noverres Vergleich der wörtlichen mit der gestischen Sprache fällt zugunsten Letzterer, jener des Tanzes, aus, weil sie unmittelbarer wirke: »Einen Gedanken durch Worte vorzustellen, dazu gehört gewisse Zeit, die Gebehrden zeigen ihn auf einmal mit Nachdruck; es ist ein Blitz, der aus dem Herzen fährt, in den Augen flammt, alle Gesichtszüge hell macht, den Knall der Leidenschaften verkündigt, und uns gleichsam die Seele nackend sehen lässt.«63 Noverre führte diesen Diskurs über die unmittelbare Wirkungskraft des Tanzes unter seinen Zeitgenossen am eloquentesten. Seine frühen Schriften werden denn auch diesbezüglich bis heute am häufigsten rezipiert.64 Ein Zeitgenosse und Berufskollege Noverres war Gasparo Angiolini. Obwohl er ähnliche Vorstellungen vom Ballett vertrat und dieses ebenfalls als eigenständige Kunstform zu etablieren versuchte, verstand er sich in gewissen Fragen als Gegner Noverres.65 Er plädierte etwa für die Einfachheit und Reduktion der dargestellten Handlung, um geschriebene Programme, die den Plot erklären, zu vermeiden; die Gesten sollten für sich selbst sprechen. Er entgegnete so den Bedenken einiger Zeitgenossen, die der Ausdruckskraft des rein pantomimischen Tanzes gegenüber Bedenken äußerten und die Zuverlässigkeit der körpersprachlichen Verständigung anzweifelten. Skeptisch war z.B. Johann Jakob Engel: »[W]as für Gegenstände können das seyn, sobald es nicht mehr jene gemeinen und alltäglichen Handlungen seyn sollen?«, fragt er mit Referenz auf Noverre und antwortet gleich selbst: »[D]er Pantomime muss die bekanntesten Werke der Dichtkunst zum Grunde legen, und 62 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 42f. 63 | Ebd., 147f. 64 | Im Spätwerk hat Noverre gewisse programmatische Äußerungen relativiert

oder gar verworfen. Diese Schriften – so etwa Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, 1803/1804 in St. Petersburg publiziert – werden im Gegensatz zu den bekannten und in mehrere Sprachen übersetzten Lettres sur la danse, et sur les ballets von 1760 selten rezipiert. Darauf wird im Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit noch genauer eingegangen. Vgl. zu den Ausgaben und Übersetzungen auch Petermann, Verzeichnis der literarischen Arbeiten von Jean Georges Noverre, in Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 49ff. 65 | Vgl. dazu Angiolini, Lettere di Gasparo Angiolini a monsieur Noverre sopra i balli pantomimi. Auf diese Entgegnung hin entspann sich eine wechselseitige Polemik zwischen Noverre und Angiolini. Die Kontroverse wurde in diversen Streitschriften ausgetragen und erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit zwischen 1773 und 1775. Vgl. dazu auch Dahms, Jean Georges Noverre, 479f.

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wegen der Exposition sich größtentheils auf das Gedächtniss seiner Zuschauer verlassen.«66 Die Theoretiker beschäftigten sich also auch mit der Frage, welche intendierte Wirkung des Tanzes, körpersprachlich sowie dramaturgisch, wie realisiert werden könne. In den theoretischen Schriften und Tanztraktaten wird nämlich – so eine zentrale These der vorliegenden Untersuchung – nicht etwa nachträglich eine Bühnen-›Wirklichkeit‹ abgebildet, sondern diskursiv eine neue Ästhetik – samt intendierter Realisierung und Wirkung – geschaffen, die freilich von der Praxis und ihren Möglichkeiten beeinflusst ist, diese aber wiederum entscheidend mitprägt. Im Diskurs der doppelten Bewegung geht es – wie insbesondere anhand der Ballettreform der Mitte des 18. Jahrhunderts gezeigt werden soll – nicht einfach darum, Bewegung auf der Bühne zu be-schreiben. Vielmehr wird eine wechselseitige Bewegung zwischen Darstellenden und Zuschauenden ebenfalls er-schrieben, indem Art und Weise des Zeichengebrauchs, Handlungsvollzugs und dessen angestrebte Wahrnehmung gewissermaßen vor-geschrieben werden. Der prozesshafte Status dieser Vor-Schriften soll vor allem an dafür besonders fruchtbaren diskursiven Paradoxa und Widersprüchen gezeigt werden. Die performative Leistung der Sprache in den theoretischen Schriften bleibt indes im ausgehenden 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert noch weitgehend auf die Umdefinition und Etablierung einer eigenständigen Kunstsparte, dem ›Ballet en Action‹, beschränkt. Im 19. Jahrhundert wirkte sich die technische und stilistische Ausdifferenzierung der Tanzkunst dann auch deutlicher auf den Diskurs über Tanz aus. Der italienische Tänzer, Choreograph und Pädagoge Carlo Blasis, der die Balletttechnik nachhaltig kodifiziert hat, unterscheidet bezüglich der Körpersprache der Pantomime bereits zwischen drei Kategorien von Gesten, zwischen »natural gestures«, »artificial ones« und den »gestures of convention«.67 Die natürlichen Gesten lägen – so Blasis in seiner 1828 erstmals erschienenen Abhandlung The code of Terpsichore – in der Natur des Menschen und seien von Geburt an in ihm angelegt.68 Die künstlichen Gesten würden durch Nachahmung kreiert. Auch die »gestures of convention« habe die Kunst geschaffen, Bräuche und Sitten hätten sie etabliert. Zu ihnen gehörten beispielsweise die Darstellung von bestimmten Festen wie eine Krönung oder eine Hochzeit. Sie könnten jedoch nur in einem Ensemble von Figuren repräsentiert werden und würden lediglich mit kulturellem Wissen und Imagination verstanden. Dass die Gestensprache also keineswegs ausschließlich ›natürlich‹ und ›universell‹ und die Wirkung des Tanzes eine Frage der Technik sei, hat Blasis erkannt und beschrieben. Allein ein sehr geübter Mime, der sich geschickt eines Sujets annehme, um es in Gesten auszudrücken, erreiche im Gemüt des 66 | Engel, Ideen zu einer Mimik, Bd. 2, 40. 67 | Blasis, The code of Terpsichore, 114 (Hervorhebung im Original). Vgl. dazu

Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. 68 | Vgl. dazu und zum Folgenden ebd., 114f.

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Zuschauers einen außerordentlichen Effekt,69 räumt er ein. Tanz basiere zwar auf einer stummen Sprache, die über die Seele, die Gefühle erfahrbar sei. Der Vorstellung von der Universalität des Balletts hält Blasis jedoch die Verschiedenheit der Geschmäcke entgegen, die je nach kulturellem Umfeld und Zeitalter variierten: »All the civilized nations of Europe admire beautiful imitations of nature, and unanimously reject whatever is grossly at variance with her; nevertheless, the genius, the characters, and the manners of different nations, give each of them a particular idea of taste on certain matters. […] [T]hey [d.s. Künstler verschiedener Länder, C.T.], nevertheless, have other merits which are not, and indeed cannot be, sufficiently felt and appreciated by readers of a different age or nation.«70

Der Autor macht damit ein Wechselverhältnis zwischen der Kunst und ihrer Rezeption beziehungsweise zwischen den Künstlern und ihren »readers« geltend; dieses ist offenbar abhängig von kulturellen und zeitlich sich wandelnden Konventionen. Anhand von Blasis’ Argumentation lässt sich zeigen, dass der Diskurs über Tanz in dessen Geschichte reflektierter und differenzierter geführt wurde als heute vielfach wiedergegeben. Zu einer regelrechten Verklärung der Rede über Tanz hat dann jedoch – ebenfalls im 19. Jahrhundert – die romantische Tanzkritik beigetragen. Dabei wurde im Gegenzug zur immer stärkeren Reglementierung der Ballettcodes eine betont subjektive Wirkungsweise der Tanzkunst hervorgehoben. Diese galt deren Verfechtern als umso intensiver und lebendiger.71 Vor allem Jules Janins und Théophile Gautiers Texte über das Ballett können als Diskurs der Emphase bezeichnet werden, d.h. als der Versuch, optisch-atmosphärisch Wahrgenommenes sprachlich wiederum sichtbar zu machen.72 Gautier beschreibt den Tanz als eine visuelle Symphonie, deren Zeichen individuell interpretiert werden sollten.73 Besonders im Hinblick auf den von Gautier und seinen Zeitgenossen 69 | Vgl. Blasis, Notes upon dancing, i. 70 | Blasis, The code of Terpsichore, 539. 71 | Vgl. etwa Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, 5. 72 | Vgl. dazu Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit. 73 | Gautier, Écrits sur la danse, 210: »Un ballet est une symphonie visible; les

gestes, ainsi que les notes de musique, n’ont pas un sens bien précis, et chacun, sauf une signification générale, peut les interpréter à sa manière.« Vgl. außerdem ebd., 223: »[C]’est [d.i. der Tanz, C.T.] comme une espèce de symphonie de formes, de couleurs et de mouvement dont le sens général est indiqué, mais dont on peut interprêter les détails à sa guise, suivant sa pensée, son amour ou son caprice.« Die Zitate von Gautier werden im Folgenden – mit Ausnahme der Erzählung Jettatura – in französischer Originalsprache zitiert, obwohl einige der Stellen auch in deutscher Übersetzung greif bar wären. Dadurch sollen die für die Argumentation wichtigen sprachlich-poetischen Eigenheiten deutlich werden.

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mitgeprägten Ballerinenkult wird die romantische Tendenz zu einer mythisierenden Betrachtungsweise deutlich. Diesbezüglich gehen der Bühnentanz jener Zeit und dessen Beschreibungen eine diskursprägende Synthese ein. Es interessiert im Zusammenhang mit dem Thema der vorliegenden Untersuchung wiederum nicht der romantische Tanz selbst, sondern vielmehr die Praktiken der Texte über den Tanz und ihre Funktion im Prozess der Mythisierung des Balletts. Der Theater- und Tanzforscher Roger Copeland etwa befi ndet denn auch insbesondere über den romantischen Kritiker Théophile Gautier, dieser vermittle lediglich die Bilder, die der Tanz in seiner Vorstellung hervorgerufen, aber wenig darüber, wie der Tanz tatsächlich ausgesehen habe.74 Der Vorgang der Über- und Umsetzung, den Gautier in einem großen Teil seiner Kunst- und Ballettkritiken praktiziert, und der als ›transposition d’art‹ einer durchaus gängigen romantischen Kunstpraxis entspricht,75 ist in der Tanzforschung vielfach vermerkt, gelobt, aber auch bemängelt worden. Copeland berücksichtigt in seiner Kritik allerdings gerade nicht, dass die romantische Poetik der Künste darauf angelegt war, eine Kunst in eine andere zu übersetzen. Er stellt nur fest, dass die Folge dieser Haltung, eher den bewegenden Effekt als die bewegte Kunst selbst zu beschreiben, sich nachhaltig auf den Diskurs über Tanz auswirkte. Damit ist jedoch wiederum die Wechselwirkung zwischen den Texten über Tanz und dessen Tradierung benannt, um die es in der vorliegenden Untersuchung – unter der besonderen Berücksichtigung der Bewegung – gehen soll. Wie die flüchtige Bewegung, insbesondere im Tanz, zu denken und wahrzunehmen ist, davon zeugen jeweils die Texte. Die romantischen Tanzkritiken und -essays innerhalb der neu sich etablierenden Textgattung des Feuilletons reizen dabei die bewegte Imagination am weitesten aus, die mit dem Tanz der damaligen Zeit, dem romantischen Handlungsballett, korrespondiert, aber auch – und das wurde bisher zu wenig untersucht – unser heutiges Bild dieser historischen Tanzform nachhaltig prägt. Einen zeitgenössischen Spiegeldiskurs zu den feuilletonistischen Texten bilden außerdem die Aussagen von Tänzerinnen. Anhand dieser Voten in Briefen oder nachträglich in Memoiren wird deutlich, wie dominant der romantische Blick auf den Tanz war. Die Ballerinen schreiben einerseits eigenhändig an der Verklärung ihrer Profession und Kunst mit, allerdings lassen sich in ihren Schriften andererseits auch eine gewisse Skepsis oder gar der Versuch einer Kritik nachweisen. Gewissermaßen als Ausblick beziehungsweise als angedeutete Ergänzung sei an dieser Stelle schließlich noch auf Texte verwiesen, die eigentlich über die in der vorliegenden Untersuchung fokussierte historische Zeitspanne hinausreichen, die jedoch gewisse Aspekte der Fragestellung unterstreichen. Im aus74 | Copeland, Dance criticism and the descriptive bias, 28. 75 | Vgl. zu diesem Prinzip der ›transposition d’art‹ insbesondere Cenerelli,

Dichtung und Kunst.

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gehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde insbesondere der moderne Tanz zum neuen Inbegriff einer expressiven Kunstform, die mittels nonverbaler Sprache direkt die Gefühle anspreche. Im Zuge der sogenannten ›Sprachkrise‹ beriefen sich auch Literaten wie Hugo von Hofmannsthal, Robert Walser oder Stéphane Mallarmé auf den Tanz, weil sie darin ein gewisses utopisches Potential zu erkennen glaubten, das ihnen ihre eigene Kunst verwehrte.76 Dennoch geht es auch in jenen Texten weniger um die Beschreibung von Tanz, dieser wird vielmehr – vergleichbar mit der Konstellation im Zuge der Rhetorikkritik des 18. Jahrhunderts – wieder zur Metapher für die Reflexion von Literatur und Kunst allgemein. Allerdings finden sich auch im fachspezifischen Diskurs über den modernen Tanz vergleichbare mythisierende Argumentationen. So hebt der New York Times-Kritiker John Martin 1933 in seinem Buch The Modern Dance den Begriff der »Metakinesis« hervor, der eine Übertragung von Bewegung meint. Bewegung selbst sei »a medium for the transference of an aesthetic and emotional concept from the consciousness of one individual to that of another«.77 Metakinesis, erklärt Martin weiter, sei keine Erfindung der Neuzeit, »it has always been true«. Die Griechen hätten es verstanden, mit Metakinesis umzugehen, dann sei sie jedoch lange nicht mehr bewusst angewendet worden, »until the modern dance arose«.78 Indem Martin erstens den Modern Dance mit dem Tanz der Antike vergleicht, indem er zweitens in diesem Zusammenhang die Wahrnehmung mit Intuition gleichsetzt und drittens wiederholt den Begriff der Wahrheit (»true«, »truth«) verwendet, kreiert er um den Tanz einen Mythos, der auf allgemeingültigen Vorstellungen basiert, jedoch mit der Ratio nicht erfasst werden kann oder soll. In diesem Sinne definiert Martin denn auch den Zweck von Tanz folgendermaßen: »This is the prime purpose of the modern dance; it is not interested in spectacle, but in the communication of emotional experiences – intuitive perceptions, elusive truths – which cannot be communicated in reasoned terms or reduced to mere statement of fact.« 79 Mit diesem Votum entzieht Martin dem Tanz jegliche Diskursivierbarkeit, die über eine Beschreibung der emotionalen Erfahrungen hinausgeht. In dieser Tradition, die Tanzrezeption als einen intuitiven Vorgang zu begreifen, steht u.a. auch die New York School of Criticism, zu der bekannte Tanzkritikerinnen wie Arlene Croce, Deborah Jowitt und Marcia B. Siegel gehören. Sie verstehen die Tanzkunst als »self-expression« oder als reine »expression of emotions«,80 auf die die Betrachtenden mit dem Wunsch nach emotionaler Teilhabe und nicht nach Analyse reagierten.81 Marcia Siegel hält in diesem Sinne Folgendes über ihr Schreiben fest: »Dance is a physical art, and I think the over-intellectualized 76 | Vgl. Brandstetter, Tanz-Lektüren. 77 | Martin, Metakinesis, 23. 78 | Ebd., 23f. 79 | Martin, Dance as a means of communication, 22. 80 | Vgl. Copeland/Cohen, What is dance?, 3. 81 | Vgl. Copeland, Dance criticism and the descriptive bias, 29.

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kind of writing where the writer detaches himself from all sensory ephemeral qualities and emotional connotations is just about worthless. The one inescapable fact about dance criticism is that you have to be in contact with the real live thing as it is performed.«82 Das Resultat einer solchen Auffassung sind Texte, die phänomenologisch Beobachtungen, Erfahrungen in – oft betont subjektiv gehaltenen – Beschreibungen wiedergeben. Dieser anti-intellektuelle Diskurs einer unmittelbaren, emotionalen Wahrnehmung von Tanz hat seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer kontroversen Debatte geführt. Einerseits findet die Betrachtung der Tanzrezeption als eines subliminalen oder kinästhetischen Vorgangs gerade in neueren Diskussionen wieder vermehrt Anhänger/-innen. Lesley-Anne Sayers etwa führt in ihrem Aufsatz The interpretation of movement: Changing ways to interpret the meaning of dance das Verständnis von Tanz auf einen komplexen interpretatorischen Prozess zurück. Sie vergleicht dabei Tanz mit Musik. Diese könne ebenfalls nicht gedeutet oder übersetzt werden, weil der »Inhalt« eines Stücks im Medium selbst aufgehoben und deshalb nicht von diesem zu trennen sei. Tänzer wie Publikum seien interaktiv an der »Sinngebung« beteiligt.83 Der amerikanische Tanzkritiker Jack Anderson greift 1974 in seinem Buch Dance auf das Konzept von ›movere‹ zurück, indem er in Bezug auf den Tanz eine Bewegungs-Kommunikation feststellt: »[D]ance communicates because it prompts responses within us. Dance is not simply a visual art, it is kinesthetic as well; it appeals to our inherent sense of motion.«84 Auch der Künstler Cary Rick beschreibt im Hinblick auf seine Tanzwerke, dass sich während einer Vorführung eine kommunikative Relation zwischen der Bewegung des Performers und der Bewegung des Zuschauers einstelle, dass sich also eine Beziehung zwischen Tänzer und Zuschauer über den Körper ergebe.85 Und die Journalistin und Tanzforscherin Gabriele Wittmann fragte jüngst in ihrem Aufsatz Dancing is not writing nach einer Sprache, die »das kinästhetische Momentum des Tanzes ausdrücken oder nachbilden kann«.86 Sie geht davon aus, dass alle Menschen mit einem Bewegungssinn ausgestattet seien, der jenseits der Sprache liege und der angesichts von Tanzauff ührungen Bewegungsempfindungen wachrufe.87 Dieser Diskurs im 20. Jahrhundert steht zwar unter anderen Vorzeichen, er verweist jedoch bezüglich der Sprachkritik zugunsten einer Aufwertung der sinnlichen und insbesondere der kinästhetischen Wahrnehmung auf die Diskussion im 18. Jahrhundert. Insofern können diese Voten zurückübersetzt werden auf die Debatte in der Tanztheorie jener Zeit – über die Kommunikation von Herz zu Herz, über die durch die Bewegung der Tänzer in Bewegung versetzte 82 | Siegel zit. in: ebd., 29f. 83 | Sayers, The interpretation of movement, 12. 84 | Anderson, Dance, 9; zit in: Smyth, Kinesthetic communication in dance, 19. 85 | Vgl. Rick, The eye of the beholder. 86 | Wittmann, Dancing is not writing, 585. 87 | Ebd., 589.

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Seele der Zuschauenden –, die Noverre und seine Zeitgenossen, nicht nur in Bezug auf den Tanz, geführt haben. Auch im 20. Jahrhundert beschränkt sich der einschlägige Diskurs zur wechselseitigen Bewegung nicht auf die Tanztheorie. Eine wieder neu ins Interesse gerückte Phänomenologie befasst sich in Anlehnung an Edmund Husserl und Maurice Merleau-Ponty ebenfalls mit ästhetischer Wahrnehmung und diagnostiziert eine auf Erfahrung beruhende, – je nach Autor – materielle, energetische oder atmosphärische interaktive Korrespondenz zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter.88 Andererseits kommt jedoch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch vermehrt Kritik an einer Auffassung von Tanz(rezeption) auf, die sich einer reflexiven Interpretation verweigere und deshalb als anti-intellektuell bezeichnet wird.89 Copeland beispielsweise sieht in dieser Abneigung gegen Theorie einen Wunsch nach ritueller Partizipation.90 Diese Theorieresistenz nimmt er bei einer Mehrzahl von Tänzern, Choreographinnen, Tanzkritikern und sogar -historikerinnen wahr.91 Susanne K. Langer, die den verbreiteten Mythos von der unmittelbar bewegend wirkenden Tanzkunst bereits 1953 kritisiert, gibt als dessen Ursache das Trauma der westlichen Zivilisation, die Säkularisierung, an; dabei werde der Tanz auf seine rituellen Ursprünge zurückgeführt und irrational verklärt.92 Die Folge davon sei ein »magisches« Einverständnis einer esoterisch eingeweihten Gruppe, das es jedoch – so Mary Smyth in ihrem kritischen Aufsatz über kinästhetische Kommunikation im Tanz – zu entmythologisieren gelte: »Investigation of the process involved in perception does not take the magic from the experience itself, but the magic should always be part of the experience, not part of the explanation.«93 In der jüngeren Tanzwissenschaft wird diese Forderung von Smyth zumindest teilweise eingelöst und rückblickend auch historisch angewandt. Die amerikanische Tanzwissenschaftlerin Susan Leigh Foster beispielsweise kritisiert in ihrem Buch Choreography & narrative von 1996 die bisherige Perspektive der Tanzgeschichtsforschung, die meist jener eines begeisterten Betrachters im Publikum entspreche, während

88 | Vgl. etwa Böhme, Aisthetik; Fischer-Lichte, Ästhetische Erfahrung; vgl. außerdem den Band Dimensionen ästhetischer Erfahrung, hg. v. Küpper/Menke. Versuche, die Phänomenologie als Methode in der Tanzwissenschaft zu etablieren, unternimmt Sheets in The phenomenology of dance oder in Phenomenology as a way of illuminating dance. 89 | Copeland, Dance criticism and the descriptive bias, 29ff.; vgl. auch die Kritik von Smyth, Kinesthetic communication in dance, die sich u.a. auf die Wahrnehmungsforschung beruft; außerdem die Kritik von Langer, From feeling and form, die auf den illusionären Charakter von Tanzbewegungen hinweist. 90 | Copeland, Dance criticism and the descriptive bias, 29. 91 | Copeland/Cohen, What is dance?, viii. 92 | Vgl. Langer, From feeling and form, 42ff. 93 | Smyth, Kinesthetic communication in dance, 22.

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soziale und kulturelle Kontexte oft wenig berücksichtigt würden.94 Sie sieht in den Tanzstücken jeweils »particular stagings of the body’s participation in the larger performance of the body politic«.95 In Anlehnung an Foster, die sich wiederum auf Michel Foucault beruft, soll denn auch im Folgenden die ›universelle‹ Sprache des Tanzes und die Synthese von äußerer und innerer Bewegung nicht als Faktum oder als Ereignis verstanden, sondern als Produkt des Diskurses über Tanz reflektiert werden, das sich aus der jeweiligen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Konstellation heraus ergeben hat und immer weiter tradiert wurde; dazu werde ich diskursanalytische Perspektiven um ästhetiktheoretische Fragestellungen erweitern. Eine ›universelle‹ Sprache über den Tanz gibt es so wenig wie eine universelle Bewegungs- oder Körpersprache, denn »[a] blank stare does not mean the same thing for all bodies in all contexts«.96

Forschungsbericht/Methode Die vorliegende Arbeit untersucht den Diskurs über die spezifische Wirkung von Tanz anhand von Texten über Tanz (und nicht im Hinblick auf den Tanz selbst). Dadurch verfolgt sie einen eigenen Fokus, der so in der Forschung bisher nicht vorhanden ist. Sie stützt sich dabei auf verschiedene Felder von Quellen und wissenschaftlichen Beiträgen, die direkt oder indirekt mit dem Diskurs über Tanz in Zusammenhang stehen. Es sind dies Traktate von Tanzmeistern, -apologeten und Ballettreformern, historische Tanzgeschichtsbücher, Vorreden zu Libretti, Berichte und Reflexionen zu Tanzauff ührungen, aber auch allgemeine Abhandlungen aus dem weiteren Bereich der Ästhetik. Berücksichtigt werden zunächst die wissenschaftlichen, ästhetischen, sprach- und theatertheoretischen Texte des 18. Jahrhunderts, die das Verhältnis von Empfi ndung und ihrem physiognomischen und pathognomischen Ausdruck zu einem zentralen Thema erhoben. Im Hinblick auf die spezifische Fragestellung der vorliegenden Untersuchung wird Bezug genommen auf Primärtexte u.a. von Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Johann Georg Sulzer, Johann Gottfried Herder, Johann Jakob Engel, Johann Caspar Lavater, Georg Christoph Lichtenberg, Friedrich Schiller, Gotthold Ephraim Lessing, Jean-Baptiste Du Bos oder Charles Batteux. In der anthropologisch interessierten ästhetischen Forschung der letzten Jahre sind einige Untersuchungen zur (Wieder-)Entdeckung des Körpers, zum Sensualismus, zur Wirkungsästhetik oder zur Gestensprache erschienen, die sich insbesondere mit diesem Paradigmenwechsel im 18. Jahrhundert auseinan-

94 | Foster, Choreography & narrative, xv. 95 | Ebd., xvi. 96 | Foster, Choreographing history, 5.

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dersetzen. Es sind dies literaturwissenschaftliche,97 theatertheoretische98 und musikwissenschaftliche99 Arbeiten, die sich dem Thema entweder ästhetisch, ideengeschichtlich, diskurs- oder medientheoretisch nähern. Mein Hauptaugenmerk liegt jedoch nicht auf den bereits viel und ausführlich zitierten Philosophen, Literaten, Kunst- und Theatertheoretikern des 18. und 19. Jahrhunderts und der breiten Forschung dazu, sondern vielmehr auf ausgewählten Texten aus dem Bereich Tanz, Tanzkritik und Tanzforschung des ausgehenden 17. bis 20. Jahrhunderts, die ich im Abschnitt Quellen dargestellt habe. Diese oder zumindest die meisten davon werden in der heutigen allgemeinen kulturwissenschaftlichen Forschung (noch) wenig berücksichtigt. Der Auf bau der vorliegenden Untersuchung ist – ausgehend von aktuellen Fragestellungen und Bezugnahmen – weitgehend historisch. Mit ›historisch‹ meine ich jedoch weder linear chronologisch noch umfassend. Vielmehr werden punktuell einschlägige Texte herausgegriffen und nach thematischen Schwerpunkten beziehungsweise Dispositiven behandelt. Die sich konstituierenden Diskurse über die Tanzkunst sind dabei einerseits im Zusammenhang mit Veränderungen in der zeitgenössischen Bühnenpraxis und -theorie, andererseits auch im allgemeinen Kontext von gesellschaftlichen Umbrüchen sowie anthropologischen, philosophischen und ästhetischen Paradigmenwechseln zu sehen. Das diskursive Feld, in dem sich der je neue Diskurs über Tanz als einer gleichzeitig bewegten und bewegenden Kunst bildete und verbreiten konnte, soll befragt werden im Hinblick darauf, welche Funktion jeweils die Schriften über den Tanz dabei übernahmen und wie, mit welchen textuellen Verfahren, mit welchen Zielen und Konsequenzen sie dies taten. Einige Argumente der zu untersuchenden historischen Betrachtungen tauchen jüngst in allgemeinen ästhetischen Debatten, insbesondere im Zusammenhang mit phänomenologischen Theorien,100 wieder auf und lehnen sich somit an den spezifischen Diskurs über Tanz beziehungsweise über Tanzrezeption an. Auch solche diskursiven Interferenzen möchte ich einbeziehen und analysieren. Die möglichen Konsequenzen dieser philosophischen, ästheti-

97 | Vgl. u.a. Torra-Mattenklott, Metaphorologie der Rührung; Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne; Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr; Geitner, Die Sprache der Verstellung; Egidi u.a., Riskante Gesten. Vgl. außerdem die Studie von Roger Müller Farguell, Tanz-Figuren, die sich mit der metaphorischen Konstitution von Bewegung in Texten von Schiller, Kleist, Heine und Nietzsche auseinandersetzt; diese Untersuchung, ebd., 8 beziehungsweise 12, fokussiert – im Unterschied zur vorliegenden – »innerliterarische[] Darstellungsprozesse« und versteht »Bewegung des Textes« als »eine Funktion der Lektüre seiner Figuren«. 98 | Vgl. u.a. Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst; Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt. 99 | Vgl. u.a. Danuser, Das musikalische Kunstwerk, darin insbesondere Forchert, Vom »Ausdruck der Empfindung« in der Musik. 100 | Vgl. dazu S. 27 des vorliegenden Kapitels.

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schen Theorien auf die Diskussion über Tanz und umgekehrt sollen untersucht werden. In der Tanzforschung schließlich ist die Bewegung genuin Thema, weil sich ihr Gegenstand über die Bewegung – wenn auch immer wieder anders – definiert. Die neuere historische Tanzforschung 101 sowie die kulturwissenschaftlich102 beziehungsweise diskursanalytisch103 ausgerichtete Tanzwissenschaft nehmen sich gerade in jüngerer Zeit den historischen Texten über Tanz wieder vermehrt an. So sind in den vergangenen Jahren einige grundlegende Publikationen erschienen, die sich vor allem mit der Darbietung der einschlägigen Quellen104 und ihrer historischen, ästhetischen oder diskursiven Kontextualisierung befasst und dabei die Reflexion über Funktionen und Vermögen der Kunstform Tanz neu in Gang gebracht haben. Es liegen zur Zeit zwei Überblicksarbeiten vor, je zu einer historisch wichtigen Epoche: Stephanie Schroedters Vom »Affect« zur »Action« sowie Monika Woitas’ Habilitationsschrift Im Zeichen des Tanzes.105 Schroedters Studie ist übergreifend systematisch, sie beleuchtet eine Schlüsselära des Tanzes, die Zeit um 1700, in der einerseits erste Versuche stattfanden, die Geschichte der Kunstform wissenschaftlich aufzuarbeiten, und in der sich andererseits ein wegweisender Paradigmenwechsel vollzog von der höfischen, strengen Regelpoetik zur bürgerlichen, dramatisierten Wirkungsästhetik. Sie bereitet akribisch die grundlegenden französischen, deutschen und englischen 101 | Vgl. dazu u.a. die fundierten Untersuchungen von Claudia Jeschke, Noverre, Lessing, Engel; außerdem Dies., Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action; das handbuchartige Werk von Sibylle Dahms (Hg.): Tanz; Dies., Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres und zu deren Gattungsspezifik; vgl. außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«; sowie Woitas, Im Zeichen des Tanzes. 102 | Vgl. dazu die Arbeiten von Gabriele Brandstetter, insbesondere Tanz-Lektüren; außerdem Dies., Figura; Dies., »Die Bilderschrift der Empfindungen«; vgl. auch Huschka, Der Tanz als Medium von Gefühlen, sowie die Untersuchungen der amerikanischen Anthropologin und Tanzforscherin Judith Lynne Hanna, The performeraudience connection; Dies., To dance is human. 103 | Vgl. etwa die Arbeiten von Susan Leigh Foster, insbesondere Choreography & narrative. 104 | Es sind in diesem Zusammenhang auch im deutschsprachigen Raum wieder wichtige Neuausgaben/Nachdrucke von historischen Tanztraktaten erschienen, etwa Bonin, Louis: Die Neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz=Kunst. Wie die heute nur noch schwer (käuflich) erhältlichen älteren Titel der Leipziger Reihe Documenta Choreologica, die Kurt Petermann herausgegeben hatte – darunter deutschsprachige Traktate und Schriften von Samuel Rudolph Behr, Albert Czerwinski, Johann Pasch, Gottfried Taubert sowie die Übersetzung von Noverres Briefen –, stammen viele französisch- und englischsprachige Reprints aus den 1970er und 1980er Jahren, etwa Ménestrier, Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre; de Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux; oder die Schriften von John Weaver in Ralph, The life and works of John Weaver. 105 | Vgl. Fußnote 101 des vorliegenden Kapitels.

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Quellen definitorisch, systematisch beziehungsweise typologisch auf, setzt sie miteinander in Verbindung und stellt sie in historische und größere ästhetische Zusammenhänge. Der reiche Fundus, auf den Schroedter zurückgreift, stammt größtenteils aus dem Tanzarchiv von Derra de Moroda in Salzburg. Schroedters Studie ist ein materialreiches Basiswerk, auf dem weitere Forschung nun mit klar fokussierten Fragestellungen auf bauen kann und muss. Monika Woitas’ Buch schließt chronologisch an den von Schroedter bearbeiteten Zeitraum an. Sie fragt »im Zeichen des Tanzes«, also mit einem Fokus auf die Tanzkunst, nach dem Paradigmenwechsel in den Künsten ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Damit füllt sie eine Lücke der einschlägigen theaterwissenschaftlichen Forschung, die die theoretischen und ikonographischen Quellen aus dem Bereich des Tanztheaters weitgehend unberücksichtigt lässt. Im Zentrum von Woitas’ Untersuchung steht der Zeitraum von 1760 bis 1830. Sie zeigt, wie sich die Verschiebung von einer erzählenden Spielweise in der Tradition der Rhetorik zur verkörpernden Darstellung auswirkte und sich dabei nicht nur das Verhältnis des Darstellers zu seiner Rolle wandelte, sondern auch das Rezeptionsverhalten der Zuschauenden, und vor allem der Darstellungsstil, in dem sich der Bewegungscode als gleichberechtigtes Zeichensystem neben der Sprache etablierte. Auch diese Studie versammelt einen reichen Materialfundus, auf den weitere, noch spezifischer fragende Studien zurückgreifen können. In Abgrenzung zu Schroedters und Woitas’ Arbeiten behandelt meine Untersuchung, ausgehend von Frage- und Problemstellungen der Gegenwart, historisch weiter den Zeitraum von 1700 bis ca. 1880; ich befasse mich dabei aber enger und fokussierter mit dem Diskurs über Tanz beziehungsweise der doppelten Bewegung. Damit verfolge ich die Absicht, historisch übergreifende Zusammenhänge aufzuzeigen und diese kulturwissenschaftlich in einen allgemeineren ästhetischen Kontext zu stellen. Die Frage, inwiefern die Rede über den Tanz die Vorstellung von Bewegung im Allgemeinen und von der bewegt bewegenden Kunstform im Speziellen geprägt hat, steht dabei im Vordergrund. Dazu bedarf es einer eingehenden, literatur- und tanzwissenschaftlich fundierten Textanalyse, die so noch nicht vorliegt. Um diese Untersuchung leisten zu können, muss auch theoretisch Neuland betreten und die Diskursfrage neu gestellt werden. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung möchte ich dazu eine Methode erarbeiten, die Diskursanalyse, Ästhetiktheorie und Textlektüre kombiniert. Generell soll es darum gehen, Muster zu finden, mit denen die Texte bestimmte Begriffe prägen und theoretische Einheiten bilden, es soll nach den Funktions- und Existenzbedingungen dieser diskursiven Praktiken gefragt werden,106 aber auch nach Paradoxa und Widersprüchen.

106 | Vgl. dazu auch Foucault, Was ist ein Autor?, 9, außerdem 31.

1. Tanzdiskurs und -my thos »What is dance? If you answer that, you are not trustworthy. But let me try, anyway: dance is thinking with your body. […] There are so many thoughts that only the body can think.« (Mats Ek)1

Eine akademische beziehungsweise wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Kunstform Tanz hat sich im deutschen Sprachraum erst in jüngerer Zeit (wieder) etabliert und institutionalisiert.2 Der Diskurs über Tanz wird und wurde in den letzten Jahren vor allem von den Medien, von den Künstlerinnen und Künstlern selbst und von Institutionen geprägt, die Tanzauff ührungen veranstalten. Die Rede über Tanz vergleicht diesen dabei auff ällig häufig mit der wörtlichen Sprache. So heißt es etwa exemplarisch in einem Programmheftvorwort des schweizerischen Tanzfestivals Steps, Tanz sei »eine geheimnisvolle Weltsprache mit eigenem Vokabular und unzähligen Dialekten«.3 Aufgrund dieser spezifischen Sprachlichkeit wird dem Tanz gegenüber dem Wort affirmativ der Vorzug der universellen Verständlichkeit zugeschrieben: »An keine Wor1 | Ek, in: International Theatre Institute (ITI)/UNESCO: International dance day

2003. 2 | Knapp 200 Jahre nach Eröff nung der Académie royale de danse in Paris (1661) wurde 1873 in Berlin die Deutsche Akademie der Tanzlehrkunst mit einer eigenen Bibliothek eingerichtet. Bereits vorher gibt es auch in deutscher Sprache Studien zum Tanz; vgl. dazu die folgenden Kapitel der vorliegenden Arbeit. Zur universitären Disziplin wurde der Tanz im deutschen Sprachraum jedoch erst gegen Ende des 20. beziehungsweise Anfang des 21. Jahrhunderts, indem zunächst die Universitäten Leipzig, Berlin, Salzburg und Bern Lehrstühle und Studiengänge der Tanzwissenschaft geschaffen haben. Vgl. zur Etablierung der Tanzwissenschaft im deutschen Sprachraum auch Klein/Zipprich (Hg.), Tanz Theorie Text. Im angloamerikanischen und im britischen Raum blickt die universitäre Tanzwissenschaft auf eine etwas ältere Tradition zurück, die jedoch bisher im gesamten Wissenschaftsbetrieb ebenfalls marginal geblieben ist. Vgl. dazu Adshead, The study of dance. Vgl. zur Situation in Frankreich u.a. La place de la danse à l’université eines nicht namentlich genannten Autorenkollektivs oder Rousier, L’histoire de la danse. 3 | Steps #7, Programmheft, 6.

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te gebunden, besitzt der Tanz die Fähigkeit, das Leben in seiner ganzen Vielfalt aufzunehmen, es künstlerisch umzusetzen und über kulturelle Grenzen hinweg verstanden zu werden.« 4 Dieses Editorial ist nur ein Beispiel für einen breit geführten Diskurs, der dem Tanz die einzigartige Kompetenz zuspricht, die babylonische Sprachverwirrung überwinden zu können.5 Von weltumspannender Stelle, dem Tanz-Komitee des Internationalen Theater Institutes der UNESCO, wird der nonverbal bewegten Kunstform sogar noch mehr Ehre angetan, indem man ihr gar die Macht zur verbindenden Verständigung der Menschheit zuschreibt: Anlässlich des ›Welttanztages‹ zu Ehren von Jean Georges Noverre fordert das Komitee dazu auf, jährlich die Völker verbindende Wirkung des Tanzes zu feiern: »Every year a message from a well-known dance personality is circulated throughout the world. The intention of International Dance Day and the Message is to bring all Dance together on this occasion, to celebrate this art form and revel in its universality, to cross all political, cultural and ethnic barriers and bring people together in peace and friendship with a common language – DANCE.«6

Dass die Universalität und die unmittelbare Verständlichkeit des Tanzes allerdings mehr Wunschdenken oder Programm als empirische Realität ist, darauf verweisen gleichzeitig einige Voten von Tanzschaffenden, -kritikern und -wissenschaftlerinnen. Sabine Huschka etwa entgegnet der Kunstauffassung, die dem Tanz unterlegt werde und »wonach sein Medium unmittelbar verständlich« sei, mit der auf ihrer Erfahrung als Tanzbeobachterin beruhenden Aussage: »Diese Auffassung widerlegt beileibe ein jeder Besuch vor allem zeitgenössischer Tanzauff ührungen.«7 Gerade auch wegen solcher Beobachtungen, insbesondere im Zuge einer intellektualisierten Strömung im zeitgenössischen Tanz, hat in jüngerer Zeit eine Differenzierung im aktuellen Diskurs über Tanz stattgefunden. Wie sich 4 | Ebd., 6. 5 | Vgl. auch Stephen Pages Botschaft zum Welttanztag 2004, in: International

Theatre Institute (ITI)/UNESCO: »Dance is the universal language. It represents human identity and a celebration of the human spirit. Dance is the artistic heart of kinship. It is a sacred universal remedy.« 6 | Originalbotschaft des International Dance Committee, in: International Theatre Institute (ITI)/UNESCO, o.S. (Hervorhebung im Original). Vgl. auch die entsprechende Stelle in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung. 7 | Huschka, Moderner Tanz, 21. In weiten Bereichen der Kultur und Gesellschaft stößt der Tanz zwar auf eine gewisse Faszination, jedoch auch oder vor allem auf Unwissen und Unverständnis. Vgl. dazu auch die Polemik des Berliner Tanzpublizisten Arnd Wesemann, Um den Verstand getanzt, 5: »Wie oft hören wir von gutwilligen Menschen, dass sie von Physik, auch vom Klavierspielen, sogar vom Kochen was verstehen, aber vom Tanz verstünden sie nun wirklich nichts. Will heißen: Ein König, wer vom Tanz nur irgendwas versteht.« Vgl. außerdem Hüster, Was soll das bedeuten?.

1. TANZDISKURS

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die zunehmende (wissenschaftliche) Reflexion über Tanz auswirkt, zeigt außerdem folgendes Beispiel: Hieß der Titel eines Vorworts zur Broschüre des Nachdiplomstudiengangs TanzKultur an der Universität Bern zu Beginn, 2001, noch »Tanz ist universal verständlich«, so wurde dieser für das Programmheft des zweiten Durchgangs, 2004, in »Tanz spricht verschiedene Sprachen« geändert.8 Darüber, was Tanz ist, wie er wirkt und wie er wahrgenommen beziehungsweise verstanden wird, ist in letzter Zeit also sehr Unterschiedliches geschrieben oder gesagt worden. Es haben sich widersprüchliche diskursive Konstruktionen etabliert, die zusammen den aktuellen Diskurs über Tanz bilden. Um die herrschenden Missverständnisse und damit die Problemstellung der vorliegenden Arbeit deutlich zu machen, soll der aktuelle Diskurs über Tanz im Folgenden unter jeweils spezifischen Gesichtspunkten betrachtet werden, bevor er dann davon ausgehend – in den Kapiteln 2 bis 4 – nach seinen historischen Wurzeln und nach seiner Fort-, Um- und Weiterschreibung befragt wird.

Zur Frage: Was ist Tanz? Im gegenwärtigen Diskurs stehen sich zwei Defi nitionsmodelle zum künstlerischen Tanz gegenüber, ein semiotisches und ein essentialistisches beziehungsweise phänomenologisches. Während das eine die semiotisch lesbare Aussage fokussiert, zielt das andere auf die emphatisch wahrnehmbare Wirkung.9 Im semiotischen Modell wird Tanz als Sprache des Körpers verstanden und erklärt, wobei – so die Vorstellung – wie bei der wörtlichen Sprache Zeichen und Codes ausgesendet beziehungsweise gelesen würden.10 Die phänomenologische Betrachtung schreibt dem Tanz eigene, zur verbalen Sprache alternative Kommunikationsmuster zu. Tänzerisches Geschehen auf der Bühne wird da verstanden als tatsächliches, pragmatisches Handeln, an dem die Zuschauenden unmittelbar teilhaben, weil sie sich in demselben Raum-Zeit-Verhältnis befinden. Über ihren Bewegungssinn werden sie – gemäß essentialistischer Auffassung – von den auf der Bühne getanzten Bewegungen direkt angesprochen und können diese so im eigenen Körper erfahren. Dabei wird betont, dass die Rezipienten mit dem realen Bewegungserleben nichts anderes verknüpfen als das Erlebnis beziehungsweise die empathische Erfahrung von Bewegung.11 Gewissermaßen zwischen diesen beiden Polen – der essentialistisch phä8 | TanzKultur, Programmheft, jeweils 3. 9 | Vgl. auch Jeschke, Körper/Bühne/Bewegung, 1. 10 | Vgl. etwa Boenisch, körPERformance 1.0; vgl. außerdem zum Zusammen-

hang von Schrift und symbolischer Kodierung des Körpers Klein, Electronic Vibration, insbesondere 270. 11 | Jeschke, Körper/Bühne/Bewegung, 1.

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nomenologischen Betrachtungsweise, die die unmittelbare emphatische Erfahrung hervorhebt, und der semiotischen, die Tanz sprachanalog begreift – tut sich im aktuellen Diskurs über Tanz ein Bereich von Auffassungen auf, der sich zwar am Modell der sprachlichen Kommunikation orientiert, dieses jedoch erweitert beziehungsweise auf seinen Gegenstand hin anpasst. Dabei werden vor allem die Mehrdimensionalität des körperlichen Ausdrucks in der Choreographie betont sowie die gleichzeitige (physische) Präsenz von und der Austausch zwischen Produzenten und Rezipienten. So schreibt etwa Susanne Traub in der von Sibylle Dahms herausgegebenen Anthologie Tanz: »Im zeitgenössischen Tanz wird das Verständnis von Tanz und Bewegung als bloßes instrumentalisiertes Repräsentations- und Ausdrucksmittel aufgegeben. Tanzen versteht sich selbst als Prozess unmittelbarer physischer Kommunikation. In der Bewegung formuliert der ›denkende‹ Körper seine Erkenntnis und sein physisches Wissen. Tanz vermittelt die prozesshafte Verflechtung somatischer Erfahrung und kultureller Repräsentation. Im zeitgenössischen Tanz erscheint Bewegung als mehrdimensionale und universale Sprache. […] Choreographien stellen Denkweisen und Organisationsmodelle vor, die komplexen ›Logikkonzepten‹ und nicht linearen Verläufen folgen.« 12

Der (zeitgenössische) Tanz erscheint in dieser Stelle zwar ausdrücklich als »Sprache« – allerdings als eine Sprache mit besonderen Eigenschaften, die auf einer vorbegrifflichen, auf der körperlichen, Ebene lokalisiert werden. Der Körper wird hier offenbar nicht als Medium verstanden, vielmehr wird behauptet, dass sich die Kommunikation von Tanzenden und Zuschauenden als ›unmittelbarer‹ physischer Prozess abspiele, der intuitiv, ohne Umwege über den Logos, funktioniere.13 Über eine solche physische Kommunikation wird der Tanz in der aktuellen Debatte topisch definiert,14 wobei die Theoretiker/-innen ihren Fokus unterschiedlich legen. Mit Blick auf den Zuschauer sieht die Anthropologin Anya Peterson Royce das Ziel des Tanzes darin, eine »kinesthetic response« hervor12 | Susanne Traub in Dahms, Der Tanz, 182f.; vgl. außerdem Judith Lynne Hanna, die in ihrer Studie The performer-audience connection, 12, ebenfalls auf die Komplexität der tänzerischen nonverbalen Kommunikation hinweist: »Dance is a multiple cue phenomenon.« Anya Peterson Royce hebt in Movement and meaning, x, bezüglich des Tanzes als performativer Kunst im Vergleich mit den anderen Künsten auch das Moment der Interaktion hervor: »The visual arts and literature are created by artists working in their own time and space, more or less independently of their audience. The performing arts exist only in performance. What happens in that arena is a unique occurrence created by the interaction of performers and spectators.« 13 | Vgl. diesbezüglich auch die Analyse von Stamer, Umkehrungen, 14. 14 | Vgl. dazu kritisch auch den Schwerpunkt »Tanz (minus) Konzept« in tanzjournal 2/2004.

1. TANZDISKURS

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zurufen.15 Sie räumt jedoch ein, dass diese sich durch ihren künstlerischen Kontext von einer herkömmlichen körperlichen Reaktion unterscheide: »The empathetic sensory response to dance movement is both qualitatively and quantitatively different from any response to ordinary movement because dance movement is stylized, elaborated, repetitive, and, above all, rhythmical […]. Our bodies are caught up in the rhythm and the repetition whether we are performers or merely spectators.« 16

Royce stellt also eine körperliche/leibliche Verbindung zwischen Tanzenden und Zuschauenden fest, die sie aus dem spezifischen Kunstcharakter des Tanzes herleitet. Der Tänzer, Choreograph, Tanztherapeut und Bewegungsanalytiker Cary Rick beobachtet, indem er den Fokus auf den Tänzerkörper legt, wie sich »in the motion and emotion of the dancer’s body« gar »a mobile visualization of human existence« materialisiere.17 Er bedient damit emphatisch den Topos vom tanzenden Körper als Ausdruck des menschlichen Selbst. Danach fi ndet die Kommunikation zwischen innerer und äußerer Bewegung im und am Tänzer selbst statt. Gegen die verbreitete Meinung, dass der Tanzende authentisch sich selbst und seine eigenen Gefühle ausdrücke,18 wendet sich die amerikanische Philosophin Susanne K. Langer, indem sie festhält: »It is imagined feeling that governs the dance, not real emotional conditions. […] Dance gesture is not real gesture, but virtual. The bodily movement, of course, is real enough; but what makes it emotive gesture […], is illusory […]. It is actual movement, but virtual selfexpression.« 19 Langer unterscheidet also – im Gegensatz zu vielen ihrer Zeitgenossen und 15 | Royce, Movement and meaning, 59. 16 | Ebd., 47. 17 | Rick, The eye of the beholder, 43. 18 | Vgl. dazu Langer, From feeling and form, 30. Der Text stammt aus dem Jahr

1953, wird aber heute noch rezipiert; vgl. Copeland/Cohen, What is dance? Vgl. zum Thema außerdem Karoß u.a. (Hg.), Tanz Politik Identität, 2f.: »Es ist ein Paradigma des modernen Tanzes, dass Tanz unabdingbar an die Körperlichkeit der ihn ausführenden Person gebunden ist. Diese enge Verknüpfung von tänzerischer Leistung und Persönlichkeit führt dazu, dass die individuellen Besonderheiten und Eigenarten zur Grundlage des Tanzes stilisiert […] werden.« 19 | Langer, From feeling and form, 31 (Hervorhebung im Original). Vgl. dazu auch Huschka, Moderner Tanz, 25f., die darauf hinweist, dass der Tänzer Objekt und Subjekt zugleich sei und »Quelle als auch Material von Bewegungen, ausführendes wie initiierendes Organ […]«; außerdem ebd., 24: »Tanzende Körper zeigen indessen immer auch zweierlei, den physisch-individuellen sowie gesellschaftlich codierten Körper des Tänzers und den Körper ihrer Bewegungschoreographie.« Auf die gesellschaftliche Kodierung wird weiter unten noch genauer eingegangen.

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nachfolgenden Tanztheoretiker/-n/-innen – zwischen ›realem‹ körperlichem Ausdruck, der faktischen Bewegung, und ›virtueller‹ Expression, die sie dem Bereich der Illusion oder auch der Interpretation zuordnet. Damit widerspricht sie der Vorstellung von der Authentizität des Tanzes.20 Dennoch ist die Behauptung, die die Tanzwissenschaftlerin Sabine Huschka fast 50 Jahre nach Langer aufstellt und wonach authentische, sich über ein Gefühl vermittelnde Körperlichkeit »längst (oder so doch meist) – auch in der Tanzkunst – als Mythos entlarvt«21 sei, nicht ganz zutreffend. Vielmehr hält sich dieser Mythos bis heute. Noch immer kursieren diff use Wahrnehmungs- und Sprachhaltungen gegenüber dem Tanz.22 Die Tanzjournalistin und -theoretikerin Gabriele Wittmann, die eine kinästhetische, das heißt eine sich rein über Bewegung vollziehende, Wechselbeziehung zwischen Tanzenden und Publikum konsequent vertritt, hat es sich gerade wegen dieser Diff usität zum Ziel gesetzt, »diese Vorgänge ihrer mystifizierenden Aura zu entziehen«23. Sie schreibt dazu: »Meine Vermutung lautet, dass die präzise im Körperinneren wiedergerufenen Prozesse in ihrer Reflektion durch Sprache bis heute verklärt werden, und damit einer Mythologisierung anheimfallen. Fälschlicherweise richten sich viele Kritiker dann nicht nur gegen die Mythologisierung, sondern gegen deren Gegenstand, und bringen ihn diskursiv zum Verschwinden.«24

Was allerdings »im Körperinnern«, also in der nichtsprachlichen Rezeption, vor sich geht, sei eine Frage der Wahrnehmung. »Was also nehme ich wahr, wenn ich Tanz wahrnehme?«, fragt Wittmann scheinbar lapidar.25 Darüber jedoch, wie und was in Anbetracht von Tanz auf der Bühne wahrgenommen wird, existieren sehr unterschiedliche Auffassungen, das heißt der aktuelle Diskurs über die Wahrnehmung von Tanz speist sich aus verschiedenen Diskursen. Bevor es in den folgenden Kapiteln darum geht, deren historische Traditionen herzuleiten, sollen diese Diskurse hier kurz dargelegt werden.

Zur Wahrnehmung von Tanz Der Regisseur, Schauspieler und Dramaturg Tim Etchells schreibt 2001 in Bezug auf Meg Stuarts Tanzstück ALIBI:

20 | Langer, From feeling and form, 33, weist vielmehr darauf hin, dass sich im Tanz »the actual and virtual aspects of gesture« auf komplexe Weise vermischten. 21 | Huschka, Moderner Tanz, 63. 22 | Vgl. auch dazu Ebd., 21. 23 | Wittmann, Dancing is not writing, 592. 24 | Ebd., 592. Vgl. dazu auch Smyth, Kinesthetic communication in dance, 22. 25 | Wittmann, Dancing is not writing, 585.

1. TANZDISKURS

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»Vielleicht ist das, was Meg hier auf der Bühne erreichen will, genau diese Anrufung, dieses Verstehen der Ereignisse von innen, noch während sie sich abspielen, noch bevor ein Überblick wirklich möglich ist, und während die erklärenden Prozesse des Narrativen gerade erst einsetzen. Unmittelbarkeit. Die Zeit des Präsens. Ereignisse im Moment ihres Geschehens. Körperwissen, Instinkt, Schmerz.«26

Der Rezeptionsvorgang, um den es Etchells hier geht, scheint also von der Tanzkünstlerin intendiert und vollzieht sich zeitlich unverzögert. Das Wahrnehmen von Tanz ist, folgt man Etchells, eine besondere Art des Verstehens. Er spricht dabei Erkenntnisvermögen an, die – seiner Aussage nach – im Körper liegen und vor der geistigen Reflexion wirksam werden. Etchells geht offenbar davon aus, dass der Körper der Zuschauerin, des Zuschauers mit einer sinnlichen Intelligenz ausgestattet ist, die sie oder ihn zu einer instinktiven Verstehensleistung befähigt. Diese ist wiederum nicht auf ein überblickshaftes, objektives sowie reflexives Wissen angelegt, sondern auf die Jetztzeit, die instinktive Unmittelbarkeit. Etchells schreibt sich damit in den Diskurs ein, der zwischen Tänzer und Zuschauer eine Übertragung behauptet, die sich ganz im nicht-sprachlichen Bereich vollziehen soll.27 Etchells Beobachtung stützen auch die Ergebnisse der Anthropologin und Tanzforscherin Judith Lynne Hanna, wonach Tanz über nonverbale Assoziationsvorgänge multisensorische Emotionen auslöse: »Dancing arouses feelings via its associations with basic life functions, pleasures, pain, and guilt.«28 Auch Hanna geht von einer Wechselwirkung aus zwischen »people sending messages of feeling and those receiving them«.29 Während sie jedoch annimmt, dass auf nonverbale Konversation dann zurückgegriffen werde, wenn ein Mangel an sprachlicher Kodierung bestehe,30 hebt Gabriele Wittmann genereller die Existenz von Erkenntnisvermögen hervor, die »Bewegung wahrnehmen und denken können. Und zwar präzise denken – jenseits der Sprache«.31 Im Unterschied zu Modellen, die also die nonverbale Kommunikation als Möglichkeit der Verständigung betrachten, nachdem die sprachliche Auseinan26 | Etchells, Unfertige Wahrheiten, o.S. 27 | Dieser Diskurs geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Darauf wird im Kapitel

3 der vorliegenden Arbeit noch eingegangen. 28 | Hanna, The performer-audience connection, 4. 29 | Ebd., 7. 30 | Vgl. Hanna, To dance is human, 25: »Nonverbal communication is used where there is a lack of verbal coding, for example, in the case of shapes, emotions, and interpersonal attitudes.« 31 | Wittmann, Dancing is not writing, 591 (Hervorhebung im Original). Auch Wittmann schreibt sich hier in einen Diskurs ein, der sich im 18. Jahrhundert etablierte und unter anderen Vorzeichen im Kontext des Modern Dance, um Rudolf von Laban und John Martin, im frühen 20. Jahrhundert mit dem Konzept der Metakinesis wiederum in den Fokus rückte.

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dersetzung nicht mehr greift, geht Wittmann von einer eigenen, völlig gleichwertigen Art der Verständigung aus. Sie stützt dies auf die Existenz eines Bewegungssinns jenseits der Sprache, mit dem die Menschen, zusätzlich zu den anderen Sinnen, ausgestattet seien.32 Dessen Empfindungen bezeichnet sie als »sehr konkret und präzise«, außerdem könnten diese Empfindungen genau erinnert werden, indem beim Betrachten von Bewegungen, z.B. während einer Tanzauff ührung, der Bewegungssinn im Zuschauer angesprochen und dessen eigene, erinnerte Bewegungsempfindungen wachgerufen würden.33 Wittmann versteht diesen Übertragungsprozess zudem als mimetische Aneignung. Demzufolge könne eine Bewegungsempfindung vom Betrachter nachvollzogen werden, und zwar nicht als Nachahmung einer äußeren Form, sondern indem der Rezipient der Bewegungsinformation gewissermaßen in die Haut des Senders schlüpfe.34 Es kommt also – gemäß dieser Vorstellung – zu einer körperlichen Übertragung, zu einer Art Einverleibung des Rezipierten. Außen und Innen der Bewegung fallen dabei zusammen. Ob man nun mit Etchells die Rezeption von Tanz eher im Sinne einer Resonanz begreift oder mit Wittmann als mimetische Aneignung, gemeinsam ist beiden Wahrnehmungskonzepten, dass sie die ästhetische Erfahrung als einen körperlich emphatischen Mitvollzug beschreiben. Diese Auffassung wird vor allem von Seiten der dekonstruktivistischen beziehungsweise diskursanalytischen Theorie kritisiert. Susan Leigh Foster etwa richtet den Fokus auf die Bedingungen, die im Betrachter den Eindruck des Bewegt-Werdens erwecken. Sie fordert auf, aus einer Position heraus über Tanz zu schreiben, die außerhalb jener des Teilnehmenden stehe. Nur so könnten die Mechanismen der Interaktion untersucht werden. Denn, so Foster: »Rather than contemplating the performance as a sublime coordination of strokes of genius, it examines each moment’s action as the embodiment of representational strategies implemented by choreographer and dancers.«35 Der Tanz wie auch die Wahrnehmung desselben ist gemäß (de-)konstruktivistischer Auffassung eine repräsentative Verkörperung sozialer und kultureller Praktiken. Dieser Aspekt kommt bei der auf das reine Körperempfinden konzentrierten Betrachtung der Tänzer-ZuschauerInteraktion zu kurz oder wird gar nicht in Betracht gezogen.36 Besonders in Be32 | Vgl. auch ebd., 589: »Wir nehmen Tanz also nicht nur mit dem Auge wahr, sondern – möglicherweise durch das Auge hindurch – auch mit anderen Sinnen, wie beispielsweise dem Bewegungssinn.« 33 | Ebd., 589. 34 | Vgl. ebd., 589f. Sie bezieht sich dabei auf den Mimesis-Begriff von Gebauer/ Wulf in deren Buch Mimesis. 35 | Foster, Choreography & narrative, xv. 36 | Vgl. dazu auch Huschka, Moderner Tanz, 22: »Tatsächlich ist ein solcher Versuch, die Wahrnehmung des eigenen Körperempfi ndens als Grundlage für eine Tanzbetrachtung zu wählen und darüber Tanz zu begreifen und zu beschreiben, historisch durchaus unternommen worden und dabei in die eigenen interpretatorischen Fallen der sprachlich konstituierten Körpererfahrung getappt.«

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zug auf den zeitgenössischen Konzept-Tanz ist auch der Repräsentationsthese allerdings entgegenzuhalten, dass Tanz durchaus in der Lage ist, gängige Repräsentationsmuster zu unterlaufen, wobei die Rezeption sich freilich nie ganz aus den Zeitdiskursen herauslösen kann. Eine grundlegende Modifi kation der phänomenologischen Wahrnehmungsmodelle bezüglich der Vorstellung gemeinsamer physischer Bewegtheit von Tanzenden und Rezipierenden im Sinne einer kinästhetischen Kommunikation kommt auch von Seiten der neurowissenschaftlichen Forschung. Ihr zufolge aktiviert das Vor-Augen-Stellen von Bewegung, die »motorische Einbildung«, zwar motorische Systeme im Gehirn, ein eigentlicher Bewegungsimpuls wird jedoch unterdrückt.37 Im Dance Research Journal äußert sich entsprechend etwa Mary Smyth skeptisch gegenüber Hypothesen, die von der Annahme eines Bewegungssinnes ausgehend einen direkten Zusammenhang zwischen der Beobachtung von Bewegung und Muskelstimulationen beim Betrachter behaupten. Smyth kommt in ihrer Untersuchung zur vermeintlich subliminalen Wahrnehmung dagegen zum Ergebnis: »The kinesthetic memory account, with its weaknesses, does not claim that the neuro-muscular system is accessed or that movements are stimulated in the observer’s body, but rather than kinesthetic imagery is involved.«38 Smyths Position negiert zwar nicht, dass es eine nonverbale Korrespondenz zwischen Tanzenden und Zuschauenden gibt, sie schließt allerdings eine physische Interaktion aus, stattdessen lokalisiert sie das kinästhetische Moment in der Imagination. Diese Position triff t sich wiederum mit jener von Gabriele Wittmann insofern, als Wittmann zwar die physiologische Bewegungsinduktion im Beobachter von Tanz nicht ausschließt,39 sich jedoch ebenfalls vor allem auf intuitive Vorgänge konzentriert. Damit stößt allerdings die Tanzforschung unweigerlich auf ein Problem: Wie soll nicht-sprachliches, intuitives Erleben versprachlicht werden, um Gegenstand von Reflexion und Theorie sein zu können?

37 | Vgl. Hagendoorn, Hypothesen über das Wesen und die Praxis des Tanzes, 433, der Forschungsergebnisse aus den Neurowissenschaften referiert, wonach die Unterdrückung der eigentlichen Bewegungsimpulse bei gleichzeitiger autonomer Aktivierung motorischer Systeme im Gehirn »vermutlich von dem pre-frontalen Kortex kontrolliert« werden: »Eine Untersuchung zeigte, dass Patienten mit Gehirnschaden in einer spezifischen Region des pre-frontalen Kortex zwangsweise die vor ihnen ausgeführten Bewegungen nachahmen. Dies suggeriert, dass in diesen Patienten der Mechanismus, der normalerweise die Bewegungsimpulse unterdrückt, nicht funktioniert, weswegen motorische Bilder gleich in Bewegung übersetzt werden. Diese Hypothese wird auch von den neuesten Untersuchungen mit funktioneller Kernspintomographie unterstützt.« Vgl. zu den Effekten von motorischer Vorstellung auch Jola, »I cannot do this – but I can imagine it!«. 38 | Smyth, Kinesthetic communication in dance, 22. 39 | Wittmann, Dancing is not writing, 588.

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Tanz be-schreiben Die Kunstform Tanz hat bis heute in der Gesellschaft, in den Institutionen und in der Wissenschaft mit Statusproblemen zu kämpfen. 40 Den Hauptgrund dafür sieht der Tanzjournalist und -theoretiker Franz Anton Cramer wesentlich in der Begrifflosigkeit des Tanzes: »Begrifflosigkeit bei gleichzeitiger Verstehbarkeit; Deutlichkeit, die ihre eigenen Verfahren hat, sich darzubieten […]. Diese Dimension der Aussagefähigkeit ohne feste Begriffe, diese andauernde und wesenhafte Selbstaussage über das Schicksal der Begrifflosigkeit, wird dem Tanz immer wieder als Begriffsstutzigkeit unterstellt.«41 Mit Begriffen, das heißt mit der Sprache beziehungsweise den darstellenden Diskursen, sind jedoch sowohl Entwicklung als auch Ästhetik der verschiedenen künstlerischen Tanzformen untrennbar verbunden. 42 Tanz wurde und wird bis heute jenseits der Auff ührungen vor allem sprachlich vermittelt – etwa in Programmheften, in den rezensierenden Medien oder in wissenschaftlichen Publikationen. Und dennoch ist die Unmöglichkeit, über Tanz zu schreiben, seit dem 18. Jahrhundert ein Topos in den Schriften über Tanz. 43 Aus diesem Paradox heraus hat sich ein kontroverser Diskursstrang entwickelt, der sich mit der Sprachlichkeit respektive mit der Versprachlichung der nicht-sprachlichen Kunstform Tanz auseinandersetzt. Dabei reichen die Vorstellungen von einer generellen Unübersetzbarkeit bis hin zu jener von einer eigenen neuen Sprache, die gefunden werden müsste, um Bewegung verbal erfassen zu können. Strukturell für unübersetzbar hält Lesley-Anne Sayers den Tanz. Sie schreibt ihm eine alternative Definition von Sprachlichkeit zu, der zufolge – Marshall McLuhan umgedeutet – das Medium sich mit der Aussage verbindet: »If dance

40 | Vgl. dazu etwa Alicia Alonsos Botschaft zum Welttanztag 2000, zit. in ITI, International dance day, o.S.: »[…] However, in many respects dance has not been given the place it deserves among the significant cultural events of the times. I believe that now dancers, choreographers, professors, critics, and other professionals in this field must strive for the universal recognition that dance deserves. […] In the new century dance must strengthen its presence in the cultural life of the community, establish academic credentials at university level, and obtain greater recognition at institutional and state levels.« Vgl. außerdem Brandstetter, Intensive Suche nach einem neuen Denken, 25. 41 | Cramer, Körper, Erkenntnis, 9. Vgl. dazu auch Stamer, Umkehrungen, 15: »Das, was nicht ausgesagt werden kann über die Kunst (der Auff ührung), wird umgekehrt als Mangel an Sagbarem der Kunst gutgeschrieben.« 42 | Vgl. auch Huschka, Moderner Tanz, 65. 43 | Vgl. etwa ebd., 17: »Denn es begegnet einem ein Phänomenbereich, der – mit dem Sinnenbereich des eigenen Körpers verwoben – dem eigenen Sprachvermögen fremd ist. Das Tanzen droht dem Schreiben immer wieder zu entgleiten, die Wahrnehmung im Schreiben zu verfl ießen.« Vgl. außerdem Wortelkamp, Sehen mit dem Stift in der Hand.

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is a language, then it is in the sense that music or mathematics are languages; it cannot be translated because its medium is integral to its meaning.« 44 Geringe Möglichkeiten der Übersetzung beziehungsweise der wörtlichen Versprachlichung von Tanz lässt dagegen die Phänomenologin Maxine SheetsJohnstone gelten. Sie nennt den Vorgang der Beschreibung einer Auff ührung »re-languaging the phenomenon«, 45 kritisiert aber gleichzeitig die logozentrischen Ansätze, die nicht-sprachliche Phänomene wie die tänzerische Bewegung stets an sprachlichen Strukturen messen und auf solche reduzieren würden: »[L]anguage is taken as the measure of all things, and verbal language as the standard of that measure. Movement in dance is thus prejudged to function as, or to be reducible to, a language that mirrors verbal language.«46 Aber welche vermittelbare Rezeptionsform, müsste man darauf hin fragen, läge denn jenseits der gebräuchlichen wörtlichen Sprache? Eine Bestrebung in der neueren deutschsprachigen Tanzforschung ist es, eine die Kinästhetik einbeziehende Verbindung zwischen »der Wahrnehmung des Tanzes, seinen Bewegungen und körperlichen Artikulationen sowie der intellektuellen Logik der Schrift zu finden«47. Dazu stellt Gabriele Wittman die Frage »Gibt es eine Sprache, die das kinästhetische Momentum des Tanzes ausdrücken oder nachbilden kann?« und sie präzisiert weiter: »Nicht den Rhythmus, nicht den Puls, nicht das Symbolische, nicht das Semantische, nicht das Visuelle, nicht das Bewegungsanalytische, sondern das Bewegungsmomentum?« 48 Auf der Suche nach einer adäquaten Sprache für die Bewegung kommt sie u.a. auf die Dichtkunst zu sprechen; diese befasse sich zwar mit Tanz, gebe oft Atmosphäre oder Rhythmus wieder, »nicht aber unbedingt das kinästhetische Moment«. 49 Wittmann zieht daraufhin den Schluss, dass das von ihr herausgehobene Bewegungsmomentum sich gar nicht oder nur unzulänglich wieder an Orten finden lasse, die mit Sprache und Tanz umgehen: Tanzkritik, Dichtkunst, Diskurse über Tanz.50 Sie lässt zwar gelten: »Tanzen ist nicht Schreiben«, begnügt sich aber offenbar nicht mit der Separation der beiden medialen Vorgänge, vielmehr fragt sie weiter: »Oder könnte Sprache dem Tanzen näher kommen als vermutet?«51 Mit ihrem Projekt, eine solche Sprache zu finden, die nicht nur Bewegung aufnehme, sondern auch das körperliche Empfinden von Bewegung auslöse,52 44 | Sayers, The interpretation of movement, 12. 45 | Sheets, Phenomenology as a way of illuminating dance, 132: »In describing the

thing as it appears, we end up re-languaging the phenomenon: we search out the phrase which captures precisely the quality of the thing as it is experienced.« (Hervorhebung im Original) 46 | Ebd., 128 (Hervorhebung im Original). 47 | Vgl. Huschka, Moderner Tanz, 17. 48 | Wittmann, Dancing is not writing, 585. 49 | Ebd., 587. 50 | Ebd., 586. 51 | Ebd., 585. 52 | Vgl. auch ebd., 593.

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nähert sich Wittmann dem romantischen Diskurs der Emphase an, der über das Schreiben beziehungsweise Lesen eine bewegte Teilhabe an der bewegten Kunst behauptet.53 Dieser Diskurs basiert auf Verfahren, die nicht auf Übersetzung, sondern auf eine Gleichsetzung oder zumindest auf eine Annäherung von produktionsästhetischen und rezeptionsästhetischen Bewegungsprozessen hinauslaufen.54 Solche Annahmen negieren oder vernachlässigen allerdings, dass Tanz und Schrift auf unterschiedliche mediale Paradigmen zurückgehen, wobei eine gegenseitige Bezugnahme durchaus möglich, der Versuch einer exakten Überführung des einen Mediums in das andere jedoch paradox ist. Erreicht wird damit lediglich eine Vernebelung der medialen Grenzen und Unterschiede sowie ein prekärer Ausschluss des Gegenstandes Tanz aus dem Bereich des diskursiv Zugänglichen.55 Es muss bei der Diskursivierung von Tanz freilich berücksichtigt werden, dass dieser – wie Cramer schreibt – ein »Bedeutungssystem ist, das sich um den Körper herum anlagert«, und dass sich »Funktion und der Nutzen dieses tänzerischen immanenten Bedeutungssystems nicht immer und nicht immer so geradlinig oder zumindest vertraut« erschließen, wie es etwa im Bereich der Sprache der Fall sei.56 Das Erfassen und Verstehen eines jeden Bedeutungssystems setzt jeweils bestimmte, historisch wie kulturell geprägte (hermeneutische) Konventionen und (Vor-)Kenntnisse voraus.57 Auch an den Tanz werden so diskursive Verstehens-Paradigmen herangetragen.

53 | Vgl. dazu das Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit. 54 | Vgl. dazu auch Stamer, Umkehrungen, 14. 55 | Vgl. dazu auch ebd., 14: »Diese Analogisierung [produktionsästhetischer und

rezeptionsästhetischer Bewegungsprozesse, C.T.] bindet zudem das Unübersetzbare von Bewegung und Tanz an die Diskursfigur der Metakinesis, die die Sinnhaftigkeit von Tanz weiter verdunkelt, weil sie sie in das Körperinnere des Betrachters verlagert. Das unerfassbare Mehr von Tanz wird diskursiv damit gewissermaßen unsichtbar gemacht und darüber festgeschrieben.« 56 | Cramer, Wie darf ich Tanz verstehen?, 29. 57 | Vgl. ebenfalls ebd., 31: »Hermeneutik, die Kunst des Verstehens, halte ich für alle Formen der Vermittlung zwischen Bedeutungssystemen und Auffassungsgabe nach wie vor für grundlegend.« Cramer präzisiert, ebd., 29, die Funktionselemente im Tanz seien »auf den ersten Blick weniger übersichtlich als etwa die der Sprache mit ihren Systemen der Phonetik, dem Alphabet, der linearen Syntax usf. Im Übrigen gilt auch bei der Sprache: Nicht jeder gesprochene Satz ist verständlich. Und manche Rede richtet sich nur an Eingeweihte. Verstehen setzt eben Wissen schon voraus. Und Neugier sowieso.«

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Von der Un- zur Universal-Verständlichkeit des Tanzes Nach den bisherigen Ausführungen lassen sich drei Verstehensmodelle oder rezeptionsästhetische Varianten in Bezug auf Tanz unterscheiden: Eine erste Variante könnte man demnach jene der Verweigerung nennen, die prinzipiell vom Nicht-Verstehen-Können ausgeht; ein zweites Modell schreibt das unmittelbare, nicht diskursivierbare Verstehen fest; während ein drittes schließlich die Komplexität des Bedeutungsprozesses hervorhebt.58 Noch um eine weitere Variante muss man diese Reihe ergänzen: um jene Vorstellung von der universalen Verständlichkeit. Diese Position schließt zwar gewissermaßen an das an zweiter Stelle genannte Modell der unmittelbaren Rezeption an, geht aber in Bezug auf die Sprachlichkeit darüber hinaus, indem sie das Axiom vertritt, Tanz sei eine oder sogar die universale Sprache: »Dance is the universal language.«59 Dabei wird – wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt – davon ausgegangen, dass Tanz eine physische beziehungsweise kinästhetische oder gestische Sprache sei, die über verbale Sprachgrenzen hinweg verstanden werde.60 Diese Vorstellung setzt eine überhistorische und überkulturelle, eine ontologisch gegebene oder in der ›Natur‹ der Menschen begründete Beschaffenheit gewisser Bewegungen und Gebärden voraus. Foster macht außerdem historisch geltend, dass ein solcher universeller Anspruch auch auf eine Klassifizierung und eine daraus resultierende Standardisierung eines bestimmten grundlegenden Repertoires von Gesten zurückgeht:61 »[T]he universal language of movement manifested potential as a medium through which to communicate directly, globally, and in an orderly fashion. Far from a congeries of incoherent, erratic impulses, this language consisted of a standard rep58 | Vgl. dazu auch Huschka, Moderner Tanz, 21, die implizit diese verschiedenen Verstehensmodelle noch einmal in einen Zusammenhang bringt: »Der Tanz wird als begrifflose kulturelle Praktik festgeschrieben, womit jegliches Bemühen, seine ästhetisierenden Körper- und Bewegungskonzepte zu beschreiben, überflüssig wird, da es einem Verstehen von Tanz im Prinzip im Wege steht. Philosophisch wird dem Tanz eine Kunstauffassung unterlegt, wonach sein Medium unmittelbar verständlich ist. Diese Auffassung widerlegt beileibe ein jeder Besuch vor allem zeitgenössischer Tanzauff ührungen.« Vgl. insbesondere zum dritten Modell auch Sayers, The interpretation of movement, 11: »In understanding dance on whatever level, we all go through a complex interpretative process.« 59 | Vgl. etwa die offizielle Botschaft Stephen Pages zum Welttanztag 2004, zit. in ITI, International dance day, o.S., ausführlich zit. in Fußnote 5 des vorliegenden Kapitels. Vgl. dazu wiederum die allgemeine Botschaft des International Dance Commitee zum Welttanztag, zit. S. 34 der vorliegenden Arbeit. 60 | Einen kommentierten Überblick über die Kommunikationsforschung in Bezug auf die universale nonverbale Gestik gibt Hanna, To dance is human, 69f. 61 | Auf diese konkreten historischen Implikationen und Zusammenhänge wird im Kapitel 2 und 3 der vorliegenden Arbeit noch ausführlicher eingegangen.

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ertoire of gestures which could be studied and classified. The study of the visual representation of the passions had already established that such a classification was possible.«62

Foster weist dabei mit Recht auf die komplexe Verschränkung zwischen dem Prozess der Standardisierung und der Annahme beziehungsweise der Anwendung von Standards, zwischen Verallgemeinerung und Allgemeingültigkeit hin. Und obwohl die universale Tanzsprache jüngst zum Welttanztag 200463 und 200564 erneut gepriesen wurde, zeigt sich auch der zeitgenössische Tanzdiskurs zunehmend skeptischer gegenüber Paradigmen der Unmittelbarkeit sowie der Universalität. Dies hängt damit zusammen, dass sich insbesondere der Tanz der Postmoderne nicht mehr auf ein standardisiertes Bewegungsvokabular beruft, sondern vielmehr ein solches kritisch reflektiert beziehungsweise systematisch unterläuft. So gilt denn auch die Annahme, »Tanz kommuniziere direkt und unmittelbar von Mensch zu Mensch, […] vielen zeitgenössischen Choreographen nicht mehr als gesichert«, schreibt Katja Schneider im Editorial der Zeitschrift tanz-journal zum Schwerpunktthema »Tanz (minus) Konzept?«; Choreographinnen und Choreographen überprüften und befragten heute vermehrt dieses »Konzept voraussetzungsloser universaler Verständlichkeit«.65 Auch in der Tanzwissenschaft wird heute zunehmend kritisch auf historische und kulturelle Variationen der Sprache des Körpers hingewiesen. Dies geschieht mit unterschiedlichem theoretischem und methodischem Überbau, etwa ausgehend von der nonverbalen Kommunikationforschung.66 Oder aus soziohistorischer Perspektive gilt der Körper generell als soziales Konstrukt und ist demzufolge »immer ein Produkt einer kulturellen Ordnung, die die Deutungsmuster für das individuelle Verständnis erst vorgibt«.67 Und mit soziologischem Blick auf den Tanz stellt außerdem Gabriele Klein fest: »Tanz ist immer auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Ästhetik in einem bestimmten kulturellen Raum und in einer bestimmten historischen Zeit. Tanzformen erlauben von daher Rückschlüsse sowohl auf die habituellen Strukturen der

62 | Foster, Choreography & narrative, 16. 63 | Vgl. Fußnote 5 des vorliegenden Kapitels. 64 | Vgl. die Botschaft zum Internationalen Tag des Tanzes 2005 von der Tänze-

rin Miyako Yoshida, www.iti-worldwide.org/pages/idd/05idd.htm#A.2, 10.9.2006: »Dance is exclusive to no one. […] The language of dance knows no boundaries.« 65 | Schneider, Editorial, 3. 66 | Vgl. etwa Hanna, The performer-audience connection, 9: »However, there is cultural variation in nonverbal communication, as some scholars have documented. […] Consequently, some performers in dance and other activities who assume a universally understood language of movement may not be communicating effectively.« 67 | Karoß/ Welzin, Tanzen im eigenen Saft, 3.

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Tanzenden als auch auf die ästhetische Verfasstheit des jeweiligen sozialen Feldes.«68 Historische Rückschlüsse lassen sich also einerseits auf die jeweilige ästhetische Verfasstheit sozialer und kultureller Felder ziehen, andererseits aber auch auf die Genealogie der in diesem Kapitel dargelegten Stränge des aktuellen Diskurses über Tanz. Diese diskursgeschichtlichen Bezüge sollen in den folgenden Kapiteln hergestellt werden.

68 | Klein, Electronic Vibration, 255. Vgl. zu den ästhetischen Parametern im Tanz im Unterschied zu nicht-menschlichen Formen nonverbaler Kommunikation auch Hanna, To dance is human, 75f.

2. Die Etablierung einer Poetik der Tanzkunst »Venus ganz verwirret, und Mars erschrocken, bitten mit solcher Kunst, dass der Philosophus Demetrius überlaut zu schreyen anfieng: Mein Mensch! ich sehe die Sache selbst, und nicht nur die Kunst. Denn, dein Leib, Hände und Füsse reden an deines Mundes Stelle.« (Gottfried Taubert)1

Den ersten Band seiner Abhandlung La danse ancienne et moderne schließt Louis de Cahusac mit der Feststellung: »Sur nos Théâtres nous avons de même des pieds excellens, des jambes brillantes, des bras admirables. Quel dommage, que l’Art de la Danse nous manque.«2 Dies schreibt der französische Dramatiker und Tanztheoretiker 1754. Er bringt mit dieser Zuspitzung eine Diskussion auf den Punkt, die Ende des 17. Jahrhunderts begonnen hatte und sich über das gesamte 18. Jahrhundert hinweg erstreckte. Dabei ging es darum, diskursiv sowie praktisch eine theatrale Tanzkunst zu etablieren, die jenseits von technischem Virtuosentum und regulierter Form vor allem eine eigenständige Dramatik anstrebte. Im Zuge dieser Bemühungen formierte sich ein Diskurs über Tanz, der sich vor allem mit grundlegenden ästhetischen Fragen auseinandersetzte und tanztechnische Aspekte zurückstellte oder sogar weitgehend unberücksichtigt ließ.3 Diese sich neu konstituierende »Poetik« 4 der Tanzkunst ist einerseits im 1 | Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 934. 2 | Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 1, 168. 3 | Nach der Gründung der Académie Royale de Danse 1661 waren gegen Ende

des 17. Jahrhunderts, ausgehend von Pierre Beauchamps, Raoul Auger Feuillet und André Lorin, zunächst einige Abhandlungen entstanden, die sich für ein einheitlich kodifiziertes System sowie die Notation der Tanzschritte, -formen und -figuren einsetzten. Die Debatte, um die es im Folgenden gehen soll, knüpft zwar implizit oder explizit an die tanztechnischen Kenntnisse an, setzt sich jedoch davon ab oder fokussiert andere Aspekte der Tanzkunst. 4 | Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 9, unterscheidet die zeitgenössische »›Theorie‹ der Tanzpraxis«, die sich mit Tanztechnik auseinandersetzt, von einer »Tanzpoetik«, die sich mit »kunsttheoretische[n] Ausführungen im Vor- bzw. Umfeld einer Tanzinszenierung« befasse.

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Zusammenhang mit Veränderungen in der zeitgenössischen Bühnenpraxis und -theorie, andererseits auch im allgemeinen Kontext von gesellschaftlichen Umbrüchen sowie anthropologischen, philosophischen und ästhetischen Paradigmenwechseln zu sehen. Das diskursive Feld, in dem sich der neue Diskurs über Tanz als einer gleichzeitig bewegten und bewegenden Kunst bildete und verbreiten konnte, soll im Folgenden dargelegt und untersucht werden.

Die Bewegung vom ›Ballet de Cour‹ zum ›Ballet en Action‹ 5 »Dans le grand Ballet, il y a beaucoup de mouvement, & point d’action«, schreibt Cahusac und erwähnt als Gegenpol die »Danse théâtrale«.6 Diese Kritik bringt einen allgemeinen Wandel in der ästhetischen Bestimmung der Tanzkunst zum Ausdruck. Während der höfische Tanz, der ›Ballet de Cour‹, sich über Bewegungsformen und geometrische Raummuster definierte, bildeten sich um 1700 vor allem im bürgerlichen Umfeld der Tanzmeister Vorstellungen einer bewegten Kunstform heraus, die – in Anlehnung an die Oper und gleichzeitig in Abgrenzung zu ihr – eine eigenständige Dramatik des Balletts forderten, das heißt eine theatrale Handlung, die über Bewegung erzählt werden sollte. Repräsentierte der ›Ballet de Cour‹ die höfische Adelsgesellschaft,7 so wird in der

5 | Es geht im Folgenden nicht darum, diese Entwicklung beziehungsweise diesen Paradigmenwechsel möglichst umfassend nachzuzeichnen. Diesbezüglich sei vor allem auf den einschlägigen Aufsatz von Claudia Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, verwiesen sowie auf die grundlegende, sehr ausführliche und fundierte Studie Vom »Affect« zur »Action« von Stephanie Schroedter; auf beide Texte wird im vorliegenden Kapitel auch immer wieder Bezug genommen. Vielmehr möchte ich aus diesen weitläufigen, komplexen Zusammenhängen jene Aspekte herausgreifen, die für meine spezifische Fragestellung nach dem Diskurs der doppelten Bewegung aufschlussreich sind. 6 | Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 3, 47. 7 | Vgl. dazu zur Lippe, Das profane Ritual; außerdem Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 188f.: Diesen Darstellungen zufolge ist das Hof ballett »als profanes Ritual zu verstehen, das formal die Magie der Geometrie und inhaltlich die in aktuelle Mythen verwandelte antike Mythologie verwendet, nicht um bereits gelungene politische Wirklichkeit abzubilden, sondern um die Konzeption des idealen Staates zu entwerfen, seinen möglichen Zustand beschwörend zu dokumentieren. […] Der König versteht sich als Vorkämpfer der erst zu gewinnenden Ordnung; […] die geometrische Anlage der Hof ballette ist der Versuch, die Himmelsgeometrie auf dem Boden seines französischen Territoriums zu realisieren. […] Die Hof ballette haben zunächst eine primär rituelle Funktion, die sich durch den realen, konkreten irdischen Machtzuwachs des Königs, der die Beschwörung einer zukünftigen Potenz immer weniger benötigt, zum Zeremoniell veräußerlicht.« Vgl. zum ›Ballet de

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Forschung die Etablierung des neuen ›Ballet d’Action‹ oder ›Ballet en Action‹8 als eine Spiegelung der Emanzipationsbestrebungen des aufstrebenden aufgeklärten Bürgertums gesehen.9 Stephanie Schroedter macht diesen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Umwälzungen und den Neuerungen im Tanz(diskurs) am Beispiel des Verhältnisses von der deutschen zur französischen Tanzkunst deutlich. Sie führt aus, dass Vertreter des wirtschaftlich aufstrebenden, bildungs- und kunstinteressierten Bürgertums in Deutschland paradoxerweise gerade auf die Grundprinzipien der Tanzpraxis des französischen Adels zurückgriffen, um ihren Status zu heben und dadurch ein wachsendes Selbstbewusstsein gegenüber dem Adel und gleichzeitig auch ein neues nationales Selbstverständnis zu demonstrieren.10 Für den Bühnentanz bedeutete der Übergang vom ›Ballet de Cour‹ zum ›Ballet en Action‹ eine Entscheidung für einen »Theatertanz, der sich aus seiner Funktion als Einlage innerhalb großangelegter Spektakel, Musiktheater- oder Schauspielproduktionen verselbständigte, um sich allmählich [sic!, als, C.T.] unabhängige Darbietung aus diesem Kontext herauszulösen und an ein vergleichsweise breites, aufgeklärt-bürgerliches Publikum zu wenden«.11 Während die ›Erfindung‹ des Handlungsballetts meist Jean Georges Noverre zugeschrieben und auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts datiert wird,12 weist Schroedter zu Recht darauf hin, dass der ›Ballet en Action‹ nicht eine »›geniale Erfindung‹ eines einzelnen Künstlers«, sondern Resultat eines »langandauernden Entwicklungsprozess[es]« gewesen sei.13 Dabei müsste wohl genauer Cour‹ auch die weiterführenden Literaturhinweise in Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 35. 8 | Im Dictionnaire de la danse, 684, ist erwähnt, dass der Ausdruck ›Danse en Action‹ 1754 von Louis de Cahusac aufgebracht worden sei. Jean Georges Noverre habe dann die Begriffe ›Ballet d’Action‹, ›Ballet en Action‹ oder ›Ballet-Pantomime‹ benutzt. Stephanie Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 10, findet in ihren Quellenuntersuchungen zur Poetik der Tanzkunst allerdings bereits um 1700 Hinweise auf die Begriffe ›Ballet en Action‹ und ›Danse en Action‹ und nicht auf den – in der heutigen Forschungsliteratur geläufigeren – Terminus ›Ballet d’Action‹. Weil das vorliegende Kapitel auch bei den Quellen vor Noverre ansetzt, der verschiedene Begriffe synonym gebraucht, wird im Folgenden in Bezug auf den zeitgenössischen Theatertanz ebenfalls der Terminus ›Ballet en Action‹ verwendet, der ferner nicht gleichzusetzen ist mit dem heute geläufigen Begriff vom ›Ballett‹. 9 | Vgl. etwa Petermann im Nachwort zu Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, insbesondere VIf.; Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, mit entsprechenden Literaturhinweisen, 209; außerdem Schroedter, Pionierwerke deutscher Tanzliteratur, 605ff.; Dies., Vom »Affect« zur »Action«, insbesondere 60. 10 | Schroedter, Pionierwerke deutscher Tanzliteratur, 609. 11 | Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 10. 12 | Vgl. etwa Petermann in Behr, Die Kunst wohl zu tantzen, XXXIX; außerdem Koegler/Kieser, Kleines Wörterbuch des Tanzes, 17. 13 | Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 87.

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statt von einer Entwicklung, die stets Kontinuität impliziert, von kontingenten Konstellationen gesprochen werden, die erst im Nachhinein sich als Herausbildung einer neuen – mehrere heterogene Varianten umfassenden – Tanzkunstform, derjenigen des Handlungsballetts, darstellen lassen. Neue Musiktheaterformen, in denen dem Tanz eine erweiterte dramatische Funktion zugewiesen wurde, begannen in Frankreich bereits unter Jean-Baptiste Lully die traditionellen ›Ballets de Cour‹ abzulösen.14 Aus dem Jahr 1714 ist dann erstmals ein pantomimischer Versuch im modernen Theater überliefert; es handelt sich dabei um die Umsetzung des vierten Aktes aus Corneilles Horace, die im Rahmen der ›Grandes Nuits‹ am Hof der Duchesse du Maine à Sceaux, Anne-Louise-Bénédicte de Bourbon, stattgefunden hat und bei der die damals sehr bekannten Tänzer Claude Ballon und Françoise Prévost ohne Worte die Szene der Verwünschung von Camille darstellten.15 Als weitere Faktoren, die zum Paradigmenwechsel im Theatertanz beigetragen haben, sind auch die Wanderschauspieler und Jahrmarktskünstler aus der Tradition der Commedia dell’Arte zu nennen, die mit ihrer dramatischen Gebärdenkunst insbesondere in bürgerlichen Kreisen wachsende Popularität genossen.16 Besonders in England trug die pantomimische Theatertradition wesentlich zur Herausbildung des ›Ballet en Action‹ bei.17 Vor allem die Theorieund Bühnenwerke von John Weaver, der sich wiederum auf die antike Kunst der Pantomime berief, gelten als Wegbereiter beziehungsweise Vorläufer des späteren Handlungsballetts.18 Sein 1717 in London uraufgeführtes Stück The love of Mars and Venus trug den Untertitel A dramatick entertainment of dancing, attempted in imitations of the pantomimes of the ancient greeks and romans und gilt als erste öffentliche Vorstellung des Genres; diese datiert also gut 40 Jahre vor Noverres am Stuttgarter Hof aufgeführten dramatischen Bühnentanzwerken Amor et Psyché, Medée et Jason oder Orphée et Eurydice.19 14 | Ebd., 37. 15 | Vgl. Dictionnaire de la danse, 684; außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur

»Action«, 187. 16 | Vgl. etwa Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 11, 87. Claudia Jeschke bezweifelt zwar in Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 219f., die Behauptung, das ›Ballet d’Action‹ habe sich aus der Komödie, vor allem aus der Commedia dell’Arte, entwickelt; den Einfluss der Darstellungsweise des komischen Theaters auf den Tanz um 1700 lässt sie jedoch unbestritten. 17 | Auch Noverre verweist insbesondere in Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 71ff., auf den englischen Schauspieler David Garrick. 18 | Weaver wurde verschiedentlich als »Father of the English Pantomime« oder gar als Begründer des ›Ballet en Action‹ bezeichnet; vgl. dazu etwa Ralph, The life and works of John Weaver, ix, 84; Dahms, John Weaver; außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 187. Vgl. zu weiteren frühen sowie wichtigen ›Ballets en Action‹ beziehungsweise ›Ballets-Pantomimes‹ den Dictionnaire de la danse, 684. 19 | Franz Anton Christoph Hilverding van Wewen hat bereits in den 1740er und 1750er Jahren in Wien ›Ballets en Action‹ kreiert und aufgeführt und sei – laut

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Begleitend zu den Bühnenwerken, beziehungsweise antizipierend oder dann auf ihnen auf bauend, bildete sich um 1700 in Frankreich, England und Deutschland eine Poetik des Tanzes heraus, deren Fokus sich von der Beschreibung strenger Regelpoetiken auf einen Diskurs über tänzerische ›action‹ oder ›imitation‹ sowie über Wirkungsästhetik verschob. Es ist da aber nicht mehr in erster Linie von ›Figuren‹ die Rede, das heißt von der räumlichen Zuordnung der Tanzenden zueinander, sondern von ›expressions‹, von ›verkörpernden‹ Bewegungen, und von narrativen, (panto-)mimischen Gesten.20 Das Ballett bestehe nicht nur aus »subtils mouvements des pieds, ou aux diverses agitations du corps«, schreibt Michel de Pure 1668, die erste und wichtigste Regel sei vielmehr, »de rendre le pas expressif, que la teste, les espaules, les bras, les mains facent entendre ce que le danceur ne dit point«.21 Statt über das virtuose Spektakel lediglich zu staunen und daran Gefallen zu finden, sollten die Zuschauenden von der nonverbal dargebotenen Handlung ergriffen, d.h. bewegt werden.

Eine Kunst unter Rechtfer tigungsz wang Gerade wegen der ihm als signifi kant zugeschriebenen Verbindung von innerer und äußerer Bewegung war der Tanz allerdings schon früh, bereits in der Antike und dann insbesondere wieder in der frühen Neuzeit, in Verruf geraten.22 seinem Schüler Gasparo Angiolini – »il vero ristauratore dell’ arte pantomima«; vgl. Angiolini, Lettere di Gasparo Angiolini a monsieur Noverre sopra i balli pantomimi, 9. Vgl. dazu außerdem Poesio, The language of gesture, 24f. Auch Angiolini hat gleichzeitig wie sein berühmterer Kontrahent Noverre zunächst in Wien, dann in St. Petersburg und in verschiedenen italienischen Städten frühe Handlungsballette geschaffen. Darauf wird im Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit jedoch noch genauer eingegangen. 20 | Vgl. Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 199f.; außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 413. Ebd., 107, wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kontroverse der Anhänger einer Regelpoetik versus die Vertreter einer dramatisierten Wirkungsästhetik nicht mehr allein auf die ›Querelle des Anciens et des Modernes‹ zurückzuführen sei, die im weiteren Bereich des Bühnentanzes u.a. von Claude François Ménestrier und Michel de Pure beziehungsweise von Louis de Cahusac und Jean-Baptiste Abbé Du Bos ausgetragen wurden. 21 | De Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux, 248f. Vgl. auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 32, die festhält, dass im Zusammenhang mit dem Wandel vom ›Ballet de Cour‹ zum ›Ballet en Action‹ der Tänzer von einer typisierten »figure« mit starren Affektzuordnungen zu einem von seinen Emotionen und deren Wandlungen bestimmten, leidenschaftlichen »acteur« umdefiniert werde. 22 | Als antike Vorbilder für die tanzfeindlichen Polemiken seit der Renaissance nennt Kurt Petermann im Nachwort zu Daul, Tantzteuffel, 4, insbesondere die Kirchenväter Aurelius, Ambrosius von Mailand sowie Johannes Chrysostemos. Ihre ablehnenden Äußerungen bildeten die Basis für »alle späteren Bedenken gegen

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Die Polemiken gegen den Tanz standen vorwiegend in religiösen Kontexten und kritisierten mit moralisch-ethischem Duktus jeweils eine unkontrollierte beziehungsweise unkontrollierbare Vereinnahmung der Tanzenden oder sogar der Tanz Rezipierenden.23 Bei allen historischen und kulturellen Unterschieden die jeweilige Motivation und Argumentation der Kritik betreffend, sind einer Vielzahl der Streitschriften die Bedenken gemein, individuell physisch und emotiv Bewegte könnten sich einem äußeren kollektiven Einfluss entziehen. Interessant sind im Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Untersuchung aber weniger diese Streitschriften oder Anti-Tanztraktate als vielmehr die Antworten darauf. Die sich über weite Teile der Tanzgeschichte hinziehende Kritik hat den Diskurs über Tanz nämlich insofern geprägt, als der apologetische Gestus einer – wenn auch immer wieder anders formierten – Rechtfertigung vor allem in den hier fokussierten Umbruchzeiten der Tanztheorie (um 1700, um den Tanz«. Petermann nennt ebd., 1f., eine Reihe von Traktaten, die in deutscher Sprache – und nicht etwa in der sonst gebräuchlichen Schriftsprache Latein oder Griechisch – ab 1525 veröffentlicht wurden. Während Caspar Gruner (1525), Heinrich Cornelius Agrippa und Johann Böschenstein (1533) bezüglich des Umfangs noch eher bescheidene Druckwerke vorgelegt hätten, erscheinen innerhalb dieses Genres in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts umfassendere Pamphlete u.a. von Geiler von Kaiserberg (1574) und Johann Münster (1594). Im 17. und 18. Jahrhundert sei dann die Zahl dieser Streitschriften – so Petermann im Nachwort zu Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, XVf. – »wesentlich größer als die der Tanzliteratur«. Vgl. dazu außerdem Petermann im Nachwort zu Pasch, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, IIIf.: »Allein zwischen 1693 und 1720 sind 15 Streitschriften gegen das weltübliche Tanzen und den Kunsttanz in deutscher Sprache erschienen.« Er nennt u.a. Stanisl. Reinhard Acxtelmeier, Georg Albrecht, Siegmund Beerensprung, August Hermann Francke, M. Jac. Ernst, Alethophilus Eusebius, Günther Aeg. Hellmund, Johann Daniel Hernschmidt, J.C. Hercker, Kellner von Zinnendorf sowie Christoph Matthäus Seidel als deren Autoren. In dieser Zeit waren es im deutschsprachigen Raum vor allem die Pietisten, die nicht etwa durch Verordnungen, sondern mit Rhetorik gegen den Tanz agierten. Vertreter wie Philipp Jakob Spener oder August Hermann Frankke lehnten jegliches Tanzen als Sünde ab.; vgl. dazu ebd., IIf. Weitere Literaturangaben zu »Anti-Tanztraktate[n]« gibt auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 12. 23 | Vgl. dazu Petermann in Daul, Tantzteuffel, 4: »Besonders aktiv wurden Bischöfe und Prediger mit kritischen Einwänden gegen den Tanz, nachdem sich das Christentum zur Staatsreligion entwickelt hatte.« Ebd., 6, stellt Petermann fest, dass die Polemik gegen den Tanz, die zunächst zur Durchsetzung und Festigung christlicher Verhaltensweisen eröffnet worden war, nach 1000 Jahren aus derselben Motivation heraus wieder ausgebrochen sei, wobei sich religiöse Eiferer in ihren Streitschriften ab der Renaissance vordergründig gegen die Tanzlust der dörflichen und städtischen Bevölkerung wandten, aber etwa anhand von Beispielen des verderblichen Tanzes am Hofe des Herodias (Tanz der Salome) auch die höfischen Formen des sich entwickelnden Schautanzes – nicht direkt, aber dennoch deutlich – ansprachen; vgl. ebd., 8.

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1760 und ab 1830) jeweils paradigmatisch mit eingeschrieben ist. Während in Frankreich etwa François de Lauze 1623 die bewegte Kunst in seiner Apologie de la danse als Mittel verteidigt, sittliches, in diesem Falle höfisches, Verhalten zu inkorporieren,24 erscheinen bei den deutschsprachigen Tanzbuchautoren um 1700 die Ausführungen über die Geschichte und Poetik der choreographierten Bewegung unter den Vorzeichen der moralischen Apologie. Einigen dieser Bücher liegen explizit defensive Bemühungen zugrunde, die Tanzkultur als sittlich unbedenklich sowie mit den christlichen Glaubensgrundsätzen vereinbar zu propagieren und von volkstümlich ausgelassenen Tänzen abzugrenzen.25 Die 1707 erschienene Schrift Beschreibung wahrer Tanz-Kunst des wichtigsten, dienstältesten Tanzmeisters in Leipzig,26 Johann Pasch, etwa ist eine direkte Reaktion auf eine Anti-Tanz-Polemik des pietistischen Theologen und Moralisten Johann Christian Lange aus Gießen. Die Apologie von Pasch ist angelegt als Beweisführung dafür, dass die »wahre Tantz-Kunst 1. Natürlich/2. Vernünff tig/ […] 3. Und nützlich ist«.27 Pasch reagiert also auf die Vorwürfe der Tanzgegner, die in der tänzerischen Bewegung etwas Teuflisches, nicht in der von Gott geschaffenen »Natur« des Menschen Liegendes, erkannten, die außerdem ein Außerkraftsetzen von Ordnungen und Ratio in der Ekstase beklagten und jegliche Zweckhaftigkeit des Tanzes widerlegten. Pasch bestreitet nicht, dass die Kritik gewissen Formen der tänzerischen Bewegung gegenüber durchaus berechtigt sei und führt gleich zu Beginn an, dass seine Schrift deshalb »endlich auch von dem Abusu handeln« soll.28 Er 24 | Lauze, Apologie de la danse. Vgl. dazu auch Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 190f. 25 | Vgl. Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 131. 26 | Vgl. Petermann in seinem Nachwort zu Pasch, Beschreibung wahrer TanzKunst, IX. Es ist zwar – wie Petermann im Nachwort zu Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, XVI, schreibt – nicht richtig, dass Pasch der erste Autor eines deutschsprachigen Tanzlehrbuches gewesen sei; Behrs erste, lange ignorierte und als verschollen geltende Schriften sind früher publiziert. Allerdings stellt Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 52, fest, dass auch die Behauptung, Behrs früheste Schrift sei ein Pionierwerk in deutscher Sprache, falsch sei; bereits 32 Jahre vorher erschien ein deutsches Tanztraktat von J.F.S. mit dem Titel Der von dem Mercurius neu-gebaute Schau-platz der Dantzenden, Nürnberg 1671. Im Unterschied zu Behr, auf den weiter unten noch eingegangen wird, klammert J.F.S., dessen voller Name bis heute nicht ermittelt werden konnte, Aspekte der Tanzpraxis beziehungsweise Inszenierungsfragen zugunsten einer Behandlung gesellschaftlich-soziokultureller Themen generell aus. 27 | Pasch, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, 3. Als erste ausführliche Apologie für Tanz auf Englisch gilt Weavers Essay towards an history of dancing von 1712. Weaver schreibt darin gegen traditionelle Vorurteile an und rechtfertigt den Tanz ebenfalls, indem er dessen praktischen beziehungsweise sozialen Nutzen auflistet; vgl. Ralph, The life and works of John Weaver, 116. 28 | Pasch, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, 3.

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argumentiert mit dem Gegensatz von missbräuchlicher und ›wahrer‹ TanzKunst, wobei er die »Artis Saltatoriæ«, wie er Letztere nennt, folgendermaßen definiert: »Wahre Tanz-Kunst ist in Theoria eine Wissenschaff t/welche dem Triebe der Natur zu mehr als höchst-nöthiger/oder auch freudiger Bewegung (per disciplinas Philosophicas) solche Regeln setzet oder giebet/damit diese Bewegung in Praxi (in specie per disciplinas Matemathicas) vernünff tig/und also recht natürlich und menschlich verrichtet/und zu einem und andern nützlichen Gebrauche angewendet werden können.«29

In der Beschreibung wahrer Tanz-Kunst geht der Autor somit im christlichen Kontext der »gefallenen Natur« nach dem Sündenfall davon aus, dass die triebhaften Anlagen des Menschen reguliert werden müssten beziehungsweise sogar zweckgebunden reguliert werden könnten, »ohne sie [d.i. die Natur, C.T.] in vielen Stücken zu hemmen/oder gar übern Hauffen zu werffen«.30 Mit diesem Anspruch legt Pasch in seinem apologetischen Kompendium nicht nur eine Definition von Tanz im Spannungsfeld von ›Natur‹ und ›Vernunft‹ beziehungsweise ›Kunst‹ dar,31 der Tanzmeister definiert dabei vielmehr auch die Funktionen des Tanzes in der aufstrebenden bürgerlichen Gesellschaft und festigt seine Position als jene Instanz, die befugt und befähigt ist,32 regulierend in die ›Natur‹ einzugreifen, um das Resultat dieses Eingriffs wieder ›natürlich‹ erscheinen zu lassen. Die von Pasch beschriebenen Aufgaben und Kompetenzen des akademisch gebildeten Tanzmeisters lehnen sich somit an den Rhetorik-Diskurs beziehungsweise an die ›actio‹- und ›pronuntatio‹-Lehren an, die zu jener Zeit nicht nur die Theorie der Tanzkunst, sondern auch jene des Schauspiels, der Musik, der Literatur und der bildenden Kunst prägten,33 bevor sie dann im Laufe des 18. Jahrhunderts im Kontext der Ausdrucksästhetik als ›Sprache der Verstellung‹ 29 | Ebd., 16. (Im Original in Frakturschrift sind die lateinischen Ausdrücke Antiqua gesetzt. Diese typographische Unterscheidung wird hier und im Folgenden nicht übernommen, sofern es sich nicht um inhaltliche Hervorhebungen handelt.) Vgl. außerdem ebd., 47f., wonach »eine tantzende Repræsentation nicht nur ein unvernünff tiges Herumhüpffen ist/sondern in Philosophia viel wolgegründete Regulirungen vonnöthen hat«. 30 | Ebd., 14. 31 | »Vernünff tig« soll – so Pasch, ebd., 3 – die wahre Tanz-Kunst insofern sein, als sie »gegen den Missbrauch in der Natur künstlich« sei. 32 | Vgl. dazu Petermann in ebd., XVIf. beziehungsweise XIX, wonach es Pasch nicht nur um die Verteidigung der Tanzkunst gehe, sondern auch darum, den »Aufgabenbereich des wirtschaftlich unabhängigen städtischen Tanzmeisters« zu definieren sowie »gewerbliche und kommerzielle Anliegen seiner Zeit« zu verteidigen. 33 | Vgl. zum Zusammenhang von Schauspielkunst und Rhetorik auch Geitner, Die Sprache der Verstellung, 82ff.; außerdem Kapp, Die Sprache der Zeichen und Bilder;

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immer mehr in die Kritik gerieten.34 Die Tanzbuchautoren um 170035 orientierten sich jedoch – im Zuge einer Verteidigung ihrer Kunst gegen religiöse, moralisch-sittliche Bedenken – in ihrer Argumentation noch an der neuzeitlich-voraufklärerischen ›actio‹-Lehre. Diese stützt sich wiederum auf die antike Rhetorik und setzt auf Manipulation und Disziplinierung des ›motus animi‹, der Bewegung im Sinne von Gefühlserregung, um größtmögliche ästhetische Prägnanz zu erreichen. Wenn Pasch also von »Natürlich[keit]« spricht, so meint er etwas anderes als Tanztheoretiker wie Noverre oder Angiolini ein halbes Jahrhundert später, die der rhetorischen ›eloquentia corporis‹ Ausdruckskonzeptionen expressiv körpersprachlicher Unmittelbarkeit entgegensetzten.36 Pasch jedoch argumentiert noch mit der auf Aristoteles zurückgehenden Vorstellung von der ›dissimulatio artis‹, wonach die Kunst in der Auff ührung nicht als solche erscheinen sollte.37 ›Natur‹ und ›Kunst‹ stehen sich (noch) nicht inkompatibel dichotomisch gegenüber, sondern werden vielmehr als sich gegenseitig bedingend betrachtet. ›Natur‹ beziehungsweise ›Natürlichkeit‹ ist dabei als Resultat raffinierter Kunstanstrengung konzipiert. Das Tanzen wird also in den Traktaten über Tanz um 1700 als ein Vorgang beschrieben, der aus der ›Natur‹ hervorgehe, der jedoch der Regulierung bedürfe, um zu ›Kunst‹ und damit gesellschaftlich akzeptierbar zu werden. Auch Louis Bonin definiert dieses Verhältnis im Hinblick auf die spezifische Aufgabe seiner Profession. Er zitiert dabei aus den Antiquitatum Convivialium Libri des Theologen und Philologen Johann Wilhelm Stucki aus dem Jahr 1582, »welcher […] schreibet/wie die Natur selbsten/die Lehr=Meisterin/des Tanzens wäre/welches er so ausfüret; dass nemlich die Menschen durch Antrieb der Natur/in guten und bösen Zufällen/des Leibes und Gemütes/zu mancherley Bewegungen/ anreitzet würden/dass sie bald diese/bald jene Geberden/an sich vermerken liesen/ woraus dann nachgehends eine Kunst entstanden/da man dergleichen natürliche

Barner, Der literarische Barockbegriff ; zum Zusammenhang von Musik und Rhetorik u.a. Dahlhaus, Gefühlsästhetik und musikalische Formenlehre, 507f. 34 | Vgl. dazu Geitner, Die Sprache der Verstellung, insbesondere 5, 88f. 35 | Neben Johann Pasch sind dies im deutschen Sprachraum: Samuel Rudolph Behr, Louis Bonin und Gottfried Taubert; in Frankreich: Michel de Pure, Claude François Ménestrier, Jean-Baptiste Abbé Du Bos und Louis de Cahusac; in England vor allem John Weaver. Vgl. dazu auch die Übersicht zu den einschlägigen Tanztraktaten des späten 17. beziehungsweise frühen 18. Jahrhunderts in Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 13f. 36 | Darauf wird in Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit noch genauer eingegangen. 37 | Vgl. zum ›dissimulatio-artis‹-Gebot auch Geitner, Die Sprache der Verstellung, 51ff.

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Bewegungen und Geberden des Leibes/in ordentliche Figuren gebracht/und nach einer gewiesen Harmonie eingerichtet«.38

Zwischen dem Bewegungsdrang des Menschen und der harmonisch geregelten Tanzkunst wird hier ein logischer Zusammenhang hergestellt, wobei Zweitere als eine Folge und Weiterentwicklung des Ersten betrachtet wird. Wie Bonin und Stucki sieht auch Michel de Pure eine Beziehung zwischen dem ›natürlichen‹ Bewegen und der Bewegungskunst. Er vergleicht den Theatertanz mit einem Organismus, dem der Künstler lediglich zur Geburt verhelfe,39 während der Tanzmeister Pasch wiederum den Menschen generell »von denen Schlacken der Unwissenheit/Bestialitè, Brutalitè, unanständiger Sitten/lasterhaff ten Mimen und Gestalten aufs allersauberste« abgesondert wissen will. 40 So stellt Pasch den Zusammenhang von ›Kunst‹ und ›Natur‹ denn auch zunächst allgemein auf die Künste bezogen folgendermaßen dar: »Alle Künste/wann wir sie recht genau betrachten/sind an und vor sich selbst nichts anders/als die eigene natürliche Geschicklichkeit des Menschen/sein Gemüth und Nachsinnen/nebst dem Verstande in Regeln gebracht/und kommen also die Künste denenjenigen zu Hülffe/welche nicht mit einem so glücklichen Naturel lebhaff ten und dringenden Geiste/und einem versichernden judicio gebohren werden/als wie diejenigen/welche durch eine lange Erfahrung und vieler reflexion das vollkommene in der Natur sind gewahr worden: Dieses weiset klar/daß die Künste nicht nur in einer confusen Phantasie bestehen/sondern aus der Vernunff t fliessen.« 41

Reflexion und Vernunft sollen also gemäß Pasch ›Natur‹ in ›Kunst‹ überführen. Es geht in dieser Vorstellung von Kunst nicht darum, etwas »confuse[s]« Neues zu erschaffen, sondern vielmehr mit den Regeln der ›Natur‹ aus derselben das bereits vorhandene »Vollkommene« herauszuarbeiten. Pasch beruft sich dabei explizit auf die »alten Philosophi« sowie auf seinen Zeitgenossen Claude François Ménestrier, der in der Schrift Des ballets anciens et modernes von 1682 die Tanzkunst auf ästhetische Paradigmen der Antike zurückgeführt hatte. 42 Dabei bezieht er sich u.a. auf Quintilian. 38 | Bonin, Die Neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz=Kunst, 3. 39 | De Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux, 236. Vgl. auch Schroedter,

Vom »Affect« zur »Action«, 217. 40 | Pasch, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, Vorrede, o.S. 41 | Ebd., 11. 42 | Vgl. ebd., 11: »Die alten Philosophi haben Artem imitatricem naturæ genannt/und zu unsern Zeiten saget unter andern der berühmte Jesuit Menestrier in seinem Tractat des Ballets Anciens & Modernes pag. 3. Tous les arts à les bien prendre ne sont que le naturel, l’esprit, & le bon sens mis en preceptes.« Bei Ménestrier, Des ballets anciens et modernes, 3, geht der Satz, den Pasch offenbar frei übersetzt hat, folgendermaßen weiter: »[M]ais tous ne naissent pas avec un naturel heureux, un esprit vif & penetrant, & un jugement assuré, qui ne peut estre que le fruit d’une lon-

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Dieser wendete sich vehement dagegen, die Körpersprache sich selbst zu überlassen. In Anlehnung an Cicero ging er davon aus, dass das, was sich im ›Innern‹ des Vortragenden abspiele, durch disziplinierten Gebrauch von prägnanten Zeichen so kodiert werden müsse, dass die Betrachter es dekodieren könnten. Denn das ›Innere‹ äußert sich – so die Vorstellung – in für die Zuschauer wahrnehmbarer Form nicht von selbst, sondern bedarf der Kunst, um den ›motus animi‹ oder die »passions, & mouvemens de l’Ame«, wie Ménestrier übersetzt, 43 beziehungsweise die »agitations de l’ame« 44 nach de Pure wirkungsgerecht darzustellen. Als Voraussetzung dafür erwähnen Ménestrier und de Pure eine Korrespondenz zwischen ›innerer‹ und ›äußerer‹ Bewegung. Dies begründen sie einerseits dahingehend, dass die Darstellung von äußeren Handlungen im Tanz auf inneren seelischen Impulsen beruhe; andererseits betont insbesondere Ménestrier auch in Anlehnung an Aristoteles, dass nicht nur Handlungen, sondern auch Leidenschaften und Sitten durch das Ballett dargestellt würden: »Le Ballet n’imite pas seulement les actions, il imite encore selon Aristote les passions & les mœurs, ce qui est plus difficile que l’expression des actions. Cette imitation des mœurs & des affections de l’ame est fondée sur les impressions que l’ame fait naturellement sur le corps, & sur le jugement que nous faisons des mœurs & des inclinations des personnes sur ces mouvemens exterieurs.« 45

Die Seele – so die Vorstellung – gelangt über die Bewegung an die äußere Oberfläche des Körpers, von dort springt der ›motus‹ auf die Zuschauer über und wirkt wiederum auf deren Innenleben, das heißt auf deren Passionen und Sitten. 46 Diese Überlegungen in den Traktaten über die Ballets sind – wie erwähnt – keine Erfindung der Tanzmeister, sondern Effekte der dem Zeitgeist entsprechenden Theoriestudien der Rhetorik und Mimesis und deren Adaptation auf die vor Neuerungen stehende Tanzkunst.

gue experience, & de plusieurs reflexions.« Vgl. dazu auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 32, wonach das Postulat der »Imitatio naturae« zu jener Zeit sämtliche Künste beherrscht, wobei der pantomimische Tanz als Vollendung dieses Gebots gegolten habe. Auf den Zusammenhang zwischen ›imitatio‹ und ›mimesis‹ wird weiter unten noch genauer eingegangen. 43 | Ménestrier, Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre, 42. 44 | De Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux, 250. 45 | Ménestrier, Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre, 160. 46 | Vgl. zum Verhältnis von ›Innen‹ und ›Außen‹ in diesem Zusammenhang auch Gebauer/ Wulf, Mimesis, 221: »Das Innere hat noch keinen eigenen Weltcharakter; es wird von den Theoretikern des 17./18. Jahrhunderts zunächst noch als Reflex der äußeren Welt und nur in Korrespondenz zu dieser gedacht.«

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(Wieder-)Entdeckung der Sprache aus Gesten und Bewegungen Was für den Redner und den Schauspieler galt, sollte nun also auch für den Tänzer in der Ausübung seiner Kunst bestimmend sein. Die Aneignung und Anwendung von gewissen kanonischen Regeln beziehungsweise Techniken wurde von den Tanzbuchautoren gefordert. Sie verfolgten damit zwei Ziele in einem: Einerseits sollten sich die ›natürlichen‹ Anlagen der Ausführenden vervollkommnen und andererseits ging es darum, über den so reglementierten Tanz auf das Publikum eine kalkuliert-antizipierte Wirkung auszuüben. Damit schreiben sich die Tanzbuchautoren um 1700 in den allgemeinen ästhetischen Zeitdiskurs ein. Im Zuge der Re-Rhetorisierung der ›actio‹, die im 17. Jahrhundert begonnen hat und bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts hineinreichte, 47 und der Auseinandersetzung mit der ›eloquentia corporis‹ hatten Gestentheorien Konjunktur, und die Sprache des Körpers wurde in verschiedenen Disziplinen – keineswegs vornehmlich im Tanz – untersucht. Insbesondere innerhalb der jesuitischen Pädagogik wurde die rhetorische ›actio‹-Lehre reflektiert. Der Physiker John Bulwer etwa berief sich auf jesuitische Redner und befasste sich in den 1640er Jahren mit somatischer Signifikation, das heißt mit der Frage, wie der Körper im Zusammenspiel von Geist und Muskeln Bedeutung erzeugte. 48 Er vertrat die Ansicht: »[T]he lineaments of the Body doe disclose the disposition and inclination of the minde in generall; but the motions doe not only so, but doe further disclose the present humour and state of the minde and will; for as the Tongue speaketh to the Eare, so Gesture speaketh to the Eye, and therefore a number of such persons whose Eyes doe dwell upon the Faces and fashions of men, do well know the advantage of this observation, as being most part of their ability.« 49

Bulwer plädierte dafür, diese durch visuelle Beobachtung gewonnenen Kenntnisse über die Gestensprache kommunikativ einzusetzen: »In all the declarative conceits of Gesture, whereby the Body, instructed by Nature, can emphatically vent, and communicate a thought, and in the propriety of its utterance expresse the silent agitations of the minde.«50 Die Gestik galt Bulwer als »the only speech and generall language of Humane Nature«.51 Die Frage nach der Körpersprache 47 | Vgl. Campe, Affekt und Ausdruck, 192. 48 | Vgl. Bulwers Chirologia: or the naturall language of the hand von 1644, Philoco-

phus: Or, the Deafe and Dumbe Mans Friend, ein erstes Handalphabet für Gehörlose von 1648 und Pathomyotomia, or a Dissection of the Signigicative Muscles of the Affections of the Minde von 1649; vgl. dazu auch Greenblatt, Toward a universal language of motion, 25. 49 | Bulwers Chirologia, Vorwort, o.S. 50 | Ebd., 1. 51 | Ebd., Vorwort, o.S.

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als einer Universalsprache, die dann im Verlauf des 18. Jahrhunderts noch wichtiger werden sollte,52 bildete also bereits im 17. Jahrhundert einen diskursiven Ausgangspunkt zur Emanzipation der physischen Gebärde auf der Bühne und in der Theorie. Die Aufwertung der ›actio‹ und die ins Zentrum des Interesses gerückte ›eloquentia corporis‹ brachten um 1700 zunächst ein neues Körperund Bewegungsverständnis hervor, das sich von der Rhetorik auf die zeitgenössischen Gesten-, Schauspiel- und eben auch Tanztheorien übertrug.53 1668 stellte Michel de Pure in seiner Abhandlung Idée des spectacles anciens et nouveaux, ausgehend vom Tanz, die Sprache der Bewegung jener der Worte als gleichwertig an die Seite: »Pourveu qu’il [d.i. le Balet, C.T.] se puisse passer de toute sorte de paroles: qu’il rende intelligible son silence […] Qu’il ne parle que des pieds & des mains; Que ses gestes & ses mouvemens dechiffrent & developent tous les mysteres du dessein, il a satisfait à tous ses devoirs: Car le Balet n’est, apres tout, qu’une Fable müette, où les Anciens estoient si bien versez, que sans aucun besoin de Truchement ils faisoient lire dans leurs actions & dans leur danse, leurs desseins & leurs pensées, comme s’ils eussent usé de la voix & des paroles.«54

Mit Referenz auf die Antike plädiert de Pure für eine Aufwertung des »Balet« im Reigen der Künste. Was im obigen Zitat als Hypothese vorgebracht ist, belegt de Pure im Laufe seiner Argumentation u.a. mit Zitaten aus Texten antiker Philosophen. Insbesondere im Kapitel Du Nom, & de l’Essence du Balet arbeitet er jeweils spezifische Vorzüge gegenüber anderen Künsten heraus,55 wobei er u.a. die Geschwindigkeit und die Evidenz betont, mit welcher der ›Balet‹ seinen Gegenstand dem Publikum vor Augen stellt.56 52 | Vgl. dazu Fischer-Lichte in ihrer Einleitung zu Fischer-Lichte/Schönert, Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts, insbesondere 17. Vgl. auch das Kapitel 3 der vorliegenden Untersuchung. 53 | Vgl. dazu auch Herrmann/Siegert, Beseelte Statuen – zuckende Leichen, 66f.; Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 203ff. Dieser Fokus auf den bewegten Körper bereitete in der einsetzenden Debatte die Grundlage für eine Entwicklung, im Zuge derer die physische Bewegung schließlich gar als unwillkürliche, ›natürliche‹ Sprache, als subjektiver Ausdruck der Empfindungen hervorgehoben und die Mittelbarkeit der Rhetorik, aus der sie hervorgegangen war, in Frage gestellt wurde; vgl. dazu auch Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt, 125f. Auf diese Entwicklung wird weiter unten noch genauer eingegangen. 54 | De Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux, 214f. Vgl. außerdem ebd., 210: »La definition [des balets, d.s. »ces dances reglées & mysterieuses«, C.T.] peut estre ainsi conceüe. C’est une representation muette, où les gestes & les mouvemens signifient ce qu’on pourroit exprimer par des paroles.« 55 | Vgl. dazu ebd., 209ff. 56 | Vgl. ebd., 212 beziehungsweise 282. Vgl. zum Vorgang der Hypotypose auch Campe, Vor Augen Stellen.

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Die Ebenbürtigkeit der Tanzkunst mit der Musik, der Malerei und der Poesie, ihren »trois admirables Sœurs«, unterstreicht ebenfalls der Jesuitenpater und Zeitgenosse de Pures, Claude François Ménestrier, in seiner Schrift Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre; bezüglich ästhetischer Merkmale verweist er nachdrücklich auf die Anciennität des Tanzes gegenüber den anderen Künsten und kritisiert, dass dies lange Zeit nicht erkannt worden sei: »Le Ballet est leur frere aîné, mais quoi qu’il ait toutes leurs graces, & toutes leurs perfections, il a tellement été negligé, que plusieurs encore aujourd’huy, croyent qu’il n’est qu’une invention de pur caprice, où l’on peut faire entrer ce que l’on veut.«57 Ménestrier gesteht und beklagt aber auch einen Dilettantismus im Tanz seiner Zeit, dem er mit wiederum aus der Antike abgeleiteten Regeln begegnen will, indem er fordert, »il les [d.s. ces Representations, C.T.] faut regler sur la Pratique du Theatre, & faire des Comedies à dancer, & des Tragedies muettes pour faire de justes Ballets.«58 Im Vergleich zu de Pure, dem nach der Veröffentlichung seines Traktates die königliche Pension gestrichen wurde, weil er sich gegen die höfischen Praktiken ausgesprochen und Ideen für neuartige, auf ›unmittelbare‹ Sinneseindrücke hin angelegte Ballet-Inszenierungen entworfen hatte – Ideen, die in späteren Traktaten, etwa bei Du Bos, wieder auftauchen –, gilt Ménestrier mit seiner »Regelpoetik nach antikem Muster« eher als rückwärts gewandter Dogmatiker.59 Dennoch sind sowohl de Pures wie auch Ménestriers allgemeine ästhetische Aussagen über den Tanz von entscheidender Bedeutung für die Etablierung der Poetik des Tanzes um 1700, mit der die Autoren einer – von beiden beklagten – bisherigen Nichtexistenz der Theoriebildung im Tanz begegneten.60 Auch wenn ihre Abhandlungen nicht die frühesten Schriften zu der am französischen Hof des 17. Jahrhunderts gepflegten Tanzkunst waren,61 begründeten sie vielmehr einen neuen ästhetischen Diskurs, der von Frankreich aus auf andere europäische Länder und vom höfischen Kontext bald auch auf bürgerliche Kreise übergriff. Spiegelte sich in italienischen und spanischen Schriften der höfische französische Einfluss weitgehend unverzerrt, so bildeten sich vor allem in England und Deutschland je kulturell spezifische Antworten auf die französische Poetik des Tanzes heraus.62 Während die Argumentation in Frankreich vor allem ästhetisch geprägt war, lag den Traktaten in Deutschland – wie bereits

57 | Ménestrier, Des ballets anciens et modernes selon les règles du théâtre, 1. 58 | Ebd., 1f. 59 | Vgl. Schroedter, Wahre Tantz=Kunst, 82. 60 | Vgl. auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 171. 61 | Vgl. ebd., 35f. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang die früheren Schriften

von de Lauze, Arbeau, Feuillet und Saint-Hubert. Vgl. zu den frühen Tanzbüchern, insbesondere zu jenen von de Lauze und Saint-Hubert auch Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet en Action, 190ff. 62 | Vgl. Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 11ff.

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erwähnt – eine ethisch-moralische Intention zugrunde;63 in England richtete Weaver den Fokus auf die römische Pantomime und entwickelte daraus eine neue theatralische Ästhetik des Tanzes.64 Der englische Tänzer, Choreograph, Tanzhistoriker und -theoretiker Weaver definiert die Pantomime als wortlose narrative Sprache der Bewegung, die auf der Organisation der verschiedenen Körperpartien beruht: »It will be necessary that I let my Reader know, that these Mimes and Pantomimes were Dancers that represented a Story or Fable in Motion and Measure: They were Imitatiors of all things, as the Name of Pantomime im-

63 | Vgl. Petermann, der in seinem Nachwort zu Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, V, darlegt, dass sich die deutschen Tanzbuchautoren, insbesondere Samuel Rudolph Behr, Johann Pasch und Louis Bonin, zu Beginn des 18. Jahrhunderts gegen die Vormachtstellung der französischen Vertreter gewehrt hätten: »Sie weisen in Wort und Tat nach, dass sie den ›welschen Maîtres‹ nicht nur ebenbürtig, sondern durch ihre ›Rechtschaffenheit‹ und ›Gründlichkeit‹ in ihrer Unterrichtspraxis diesen sogar überlegen sind, wobei sie niemals den großen schöpferischen Beitrag der französischen Tanzlehrerakademie in Paris in Frage stellen.« Vgl. auch Meletaon im Vorbericht zu Bonin, Die Neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz=Kunst, o.S., über die deutschen Tugenden seines aus Frankreich nach Deutschland eingewanderten Lehrers: »dass er [d.i. Bonin, C.T.] sein Vaterlande/mit dem Rücken ansiehet und dagegen die teutsche Redlichkeit an sich genommen. Mit einem Worte: er ist ein guter Teutscher«. Vgl. außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 82, und zusammenfassend Dies., Wahre Tantz=Kunst, 86: »Zu den Besonderheiten der deutschsprachigen Tanztraktate zählt der Umstand, daß sie gleichermaßen tanztechnische wie tanzpoetische, d.h. inhaltlich formale Sachverhalte ansprechen, während man sich in Frankreich oder England entweder dem einen oder anderen Themenkomplex widmet und konsequenterweise auch tiefgehender bespricht.« 64 | Vgl. Ralph, The life and works of John Weaver, ixf.: »When Weaver turned his attention to theatrical reform (1717-1733) he therefore based his experiments upon ancient practise seeking to restore pantomimic art and re-established the esteem that his classical counterparts had once enjoyed.« Vgl. dazu auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 90: »Das von ihm [d.i. Weaver, C.T.] propagierte moderne Tanzdrama betrachtet er als Rekonstruktion und gleichzeitig Fortsetzung einer (vermeintlich) antiken Tanztradition, insbesondere der römischen Pantomimenkunst.« Giannandrea Poesio schreibt in seiner unveröffentlichten Dissertation, The language of gesture, 23, dass das Ballett nicht die einzige Theaterform gewesen sei, die die (Panto-)Mime wiederentdeckt habe. Er nennt Isaac Vossius’ Schrift De poematum cantu et viribus rhytmi von 1673 als Anfang des Prozesses der »rediscovery of mime«. In der Folge seien viele Studien erschienen »to the analysis of different modes of expressing feelings and emotions, conceived either as an accessory to pre-existing languages, such as declamation, singing, acting or dancing, or as an independent art«. Poesio bezeichnet die Entstehung des Handlungsballetts als eine Konsequenz dieser Tendenz.

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ports, and perform’d all by Gesture and the Action of the Hands, Fingers, Legs and Feet, without making use of the Tongue.«65 Weaver richtet seine Ausführungen zur Kunst der Mimen und Pantomimen vorrangig auf deren (angestrebten) Einfluss auf den Bühnentanz aus.66 Die gesellschaftlichen Formen der bewegten Kunst interessieren ihn kaum – im Gegensatz zu den zeitgenössischen Tanzbuchautoren in Frankreich und vor allem in Deutschland. Die starke Fokussierung Weavers zu jener Zeit war entscheidend für die Etablierung der narrativen Theatertanzkunst und ihres Diskurses, sie ist dabei aber keine Selbstverständlichkeit, findet doch um 1700 erst langsam eine Differenzierung zwischen Gesellschafts- und Theatertanz statt.67 In vielen, vor allem in den deutschen Tanzbüchern jener Zeit wird der Fokus noch primär auf Gesellschaftstanzformen gerichtet oder werden – in Anlehnung an die französischen Vordenker – Unterscheidungen erst begriffl ich entwickelt. Diese differenzierenden Definitionsversuche geben Auskunft über die neue Ausrichtung und das spezifische (Selbst-)Verständnis der Kunstform Tanz, um das es im Folgenden noch genauer gehen soll. Claude François Ménestrier unterscheidet zwischen ›Belle Danse‹ und ›Danse Haute‹ beziehungsweise ›Ballet‹. Während er bezüglich des gesellschaftlichen Tanzens verschiedene Versionen aufzählt, die sich in der antiken Literatur zu dessen Ursprung finden – vom Kult, dem religiösen Akt über den natürlichen Bewegungsdrang des Körpers bis zu vorzivilisatorischen Gestirnskonstellationen –,68 ist für ihn der hohe Tanz, ›le Ballet‹, ein Produkt der Kunst, das sich erst mit der Zeit perfektioniert habe: 65 | Weaver, The loves of Mars and Venus, 739f. (Hervorhebungen im Original). Vgl. dazu auch eine ähnliche Stelle bei Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 928, die besagt, »[d]ass sich die Materie dieser tantzenden Schau=Spiele auf die Repræsentation aller, so wol vernünff tig= als unvernünff tigen Handlungen fundiret: Dass dabey, nebst denen Schritten und Figuren, das meiste durch die Gesticulation, als Bewegung derer Hände, Füsse, und anderer Leibes=Geberden mehr expliciret werde«. 66 | Im gleichen Jahr beschreibt Gottfried Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 928 und 931, die Pantomime als eine nonverbale Sprache, die als »Tanz=Art« auch bei den Ägyptern, Griechen und Römern »sehr in Gebrauch gewesen« sei und einen gesellschaftlichen Ursprung habe. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Anekdote, wonach der Syrakuser König den Sizilianern den Gebrauch des Redens verboten habe, so dass sie gezwungen gewesen seien, »ihrer Gedancken und Hertzens Meynungen einander durch mancherley Bewegungen, Minen und Geberden des Leibes, der Augen, Hände und Füsse zu erkennen zu geben. Daher sie auch den Nahmen Pantomimorum, Nachahmende, oder Handweisen, bekommen hätten.« 67 | Vgl. zur Differenzierung zwischen Gesellschafts- und Theatertanz auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 12; außerdem Dies., Schriften zum Tanz als Quellen zum Tanz, 212f.; Weickmann, Der dressierte Leib, 67. 68 | Vgl. Ménestrier, Des ballets anciens et modernes, 29: »A ces raisons tirées des Mysteres de l’ancienne Theologie qui fit de la Dance une espece de Culte & d’acte de

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»Les Ballets n’ont pas la méme Origine que la Dance, car je ne veux pas avec Lucien les faire aussi anciens que le Monde, ny remontrer comme lui au Bal mesuré des Astres, & aux diverses conjonctions des Estoiles fi xes & errantes, pour dire que c’est du branle des Cieux, & de leur Harmonie qu’a pris son origine, cét art qui s’est perfectionné avec le temps.«69

Im Vergleich mit den anderen Künsten kommt Ménestrier auf jene Eigenheit des Theatertanzes zu sprechen, die den Diskurs über die doppelte Bewegung entscheidend prägen sollte. Ménestrier zufolge unterscheidet sich das Ballett nämlich insofern von den anderen mimetischen Künsten, als es nicht allein Äußerlichkeiten abbilde, sondern über den Körper den inneren Bewegungen der Seele Ausdruck verleihe: »Le Ballet est une imitation comme les autres Arts, & c’est ce qu’il a de commun avec eux. La difference est, qu’aulieu que les autres Arts n’imitent que certaines choses, comme la Peinture n’exprime que la figure, les couleurs, l’arrangement ou la disposition des choses, le Ballet exprime les mouvemens que la Peinture, & la Sculpture ne sçauroient exprimer, & par ces mouvemens il va jusqu’à exprimer la Nature des choses, & les habitudes de l’ame, qui ne peuvent tomber sous les sens que par ces mouvemens. Cette imitation se fait donc par les mouvemens du corps, qui sont les Interpretes des Passions, & des sentimens interieurs. Et comme le corps a des parties differentes, qui composent un tout, & font une belle harmonie, on se sert du son des instrumens & de leurs accords pour regler ces mouvemens, qui expriment les effets des Passions de l’ame.« 70

Religion, joignons d’autres raisons tirées des dispositions de la Nature qui demande que le corps s’agite pour se conserver, & se delasser quelquefois de ses fatigues, & de ses travaux continuels, aussi bien que l’esprit qui ne peut pas toûjours étre appliqué à des choses serieuses.« 69 | Ebd., 35. Vgl. auch Pasch, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, 49: »Dieses ist eine Art Tantzens/so man Ballet nennet/in welcher das Naturel, Actiones, Mores, und Passiones vornemlich der Menschen/und denn auf Erfordern der andern unvernünff tigen/ja so wohl leblosen/beweglichen und unbeweglichen Creaturen (so viel sie von diesen Dingen/dem Menschen nach/zuweilen auch analogicè an sich haben) durch harmonische Cadencen und symmetrisch-regulirte Bewegungen der Gestuum, Actionum & Figurarum exprimiret werden.« Auch in de Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux, Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, Bonin, Die Neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz=Kunst, und Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, finden sich differenzierende Definitionen von Gesellschafts- und Theatertanz beziehungsweise ›gemeinem‹ und ›gehobenem‹ Tanz oder ›Danse Simple‹ und ›Ballet‹. Die verwendeten Begriffe variieren leicht von Autor zu Autor. Vgl. dazu auch Schroedter, Wahre Tantz=Kunst, 87ff.; außerdem Dies., Pionierwerke deutscher Tanzliteratur, 624ff. 70 | Ménestrier, Des ballets anciens et modernes, 40f.

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Der Körper wird also zum Instrument und gleichzeitig zum Medium der Bewegung.71 Mit dieser Aussage reiht Ménestrier das Ballett nicht nur in das Ensemble der mimetischen Künste ein, vielmehr hebt er den Tanz dabei in Bezug auf seine spezifische Verbindung von mimetischen und wirkungsästhetischen Vermögen besonders hervor. Auch die anderen Tanzbuchautoren um 1700 schließen ihren Diskurs an die antike Mimesislehre an und arbeiten diesbezüglich Paradigmen für den – historischen wie auch zeitgenössischen – Bühnentanz heraus. Neben Claude François Ménestrier beziehen sich außerdem Michel de Pure, John Weaver, Louis de Cahusac, Gottfried Taubert und Jean-Baptiste Abbé Du Bos auf Aristoteles’ Poetik, insbesondere auf die Stelle, die davon handelt, dass dem Menschen die Fähigkeit zur Nachahmung angeboren sei, die also das mimetische Vermögen als eine anthropologische Konstante definiert. Bei Aristoteles heißt es: »Denn sowohl das Nachahmen selbst ist den Menschen angeboren – es zeigt sich von Kindheit an, und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den übrigen Lebewesen, dass er in besonderem Maße zur Nachahmung befähigt ist und seine ersten Kenntnisse durch Nachahmung erwirbt – als auch die Freude, die jedermann an Nachahmungen hat.«72

John Weaver referiert wörtlich auf diese Aussage von Aristoteles in seinem Essay towards an history of dancing73 und kommt zum Schluss, dass diese Neigung der Menschheit zur Imitation neben der Dichtkunst den Tanz hervor- und zu künstlerischer Perfektion gebracht habe – »furnish’d them with their greatest Excellence and Beauty«.74 Die spezifische Qualität des dramatischen Balletts, sich nicht auf die Imitation äußerer Handlungen zu beschränken, sondern die »Bewegungen des Herzens« und die »Affektionen der Seele« von innen nach außen zu kehren, leitet bereits Ménestrier von Aristoteles ab. Dabei beruft sich der Tanztheoretiker insbesondere auf das 26. Kapitel der Poetik, worin es u.a. um die Wirkung der bewegten Darstellung im Theater geht. Aristoteles kritisiert übertriebene Bewegungen auf der Bühne, die gewisse Schauspieler vollführten, weil sie annähmen, »das Publikum könne nicht folgen, wenn sie nicht von sich aus etwas hinzutun«; er fügt aber gleich hinzu, dass man nicht »jede Art von 71 | Vgl. dazu auch de Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux, 282: »Ainsi le Balet est necessairement entendu par ce mot de demonstration, puisque non-seulement il consiste dans une action externe & toute évidente, mais que de plus il exprime, il peint & met devant les yeux les choses qu’il dance.« 72 | Aristoteles, Poetik, 11. 73 | Vgl. Weaver, An essay towards an history of dancing, 614f.: »IMITATION, as Aristotle has observ’d in his Poetics, is a native Quality of Mankind, it is implanted in his very Nature« (Hervorhebungen im Original). 74 | Vgl. ebd., 616; der vollständige Satz lautet da: »Which natural Propensity of Imitation in Mankind gave Rise to Poetry and Dancing, and furnish’d them with their greatest Excellence and Beauty« (Hervorhebungen im Original).

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bewegter Darstellung für verwerflich halten« dürfe, »da ja auch der Tanz nicht verwerflich ist, sondern nur die von schlechten Darstellern ausgeführte« bewegte Darstellung.75 Ménestrier schließt daraus in Bezug auf die ›Ballets‹: »Il faut donc exprimer dans les Ballets les mouvemens du cœur & les affections de l’ame, & c’est le chef-d’œuvre de l’art, parce qu’il en faut parfaitement connoître la nature pour les bien exprimer.«76 Ménestrier führt in seinem Anspruch an die ›Ballets‹ die ›natürliche‹, scheinbar unmittelbare Wirkung des körperlichen Ausdrucks und das mimetische Vermögen der Kunst zusammen, das wiederum auf genauer Kenntnis der Gesten und Bewegungen sowie ihrer Effekte beruht. Die Koinzidenz von innerer und äußerer Bewegung im Theatertanz ist bei Ménestrier also keineswegs ein ›natürlicher‹, unmittelbar sich einstellender Vorgang, sondern das Resultat eines durchaus mittelbaren, kalkuliert-antizipierten Zugriffs auf die ›Natur‹, der auf einem mimetischen Akt beruht. Dabei versteht Ménestrier aber – in Anlehnung an Aristoteles – Mimesis ebenfalls keineswegs als bloße Kopie von ›Wirklichkeit‹, sondern als ein Spiel mit der Möglichkeit, das heißt, wie es in der Poetik formuliert ist, mit dem »nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche[n]«.77 Den Zusammenhang zwischen Natur, Mimesis, Kunst und Möglichkeiten der Bewegung gilt es im Folgenden noch genauer zu untersuchen. Betrachtet man nämlich die Mimesisfrage einmal vom Tanz her auf das Paradigma ›movere‹ bezogen – was in der allgemeinen Mimesisforschung bisher kaum getan wurde –, so ergeben sich nicht nur neue Einsichten in den Theatertanz, sondern auch ein neuer Blick und neue Fragestellungen für die Mimesistheorie.

Mimesis und ›movere‹ In der Tanztheorie um 1700 wird der Zusammenhang zwischen nachahmender Darstellung von seelischen Vorgängen und ihrer Rezeption als Wechselverhältnis beschrieben.78 Das ›Außen‹ und ›Innen‹ verbindende Glied dieser Vorgänge ist dabei – wie erwähnt – die Bewegung des Körpers, und die Reflexion dieser Verbindung geht auf die Rhetoriktheorie, insbesondere auf die ›actio‹-Lehre zurück. In den Texten über Tanz wird die Zuordnung spezifischer seelischer Zustände zu entsprechenden Körperhaltungen und -gesten jedoch neu thematisiert.79 Der Aspekt der Gestaltung von Körperbewegungen im Hinblick auf die 75 | Aristoteles, Poetik, 95ff. 76 | Ménestrier, Des ballets anciens et modernes, 161. 77 | Aristoteles, Poetik, 29. 78 | Vgl. auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 172. 79 | Vgl. dazu auch Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 194f. Vgl.

außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 33, die die Herausbildung pantomimischer Bewegungen im Tanz auf zwei Tendenzen zurückführt, einerseits auf

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mimetischen Möglichkeiten sowohl der Produktion als auch der Rezeption wird im Tanzdiskurs erstmals, u.a. und zunächst bei Ménestrier, Gegenstand der Beschreibung. Dabei berufen sich die Tanzbuchautoren auf Quellen der Antike,80 oft jedoch mit deutlichem Blick auf die Gegenwart und die Zukunft des Tanzes. John Weaver etwa lobt die Wiederentdeckung der antiken mimetischen Tanzkunst, weil sie Handlungen oder Fabeln »in Motion and Measure« zur Darstellung bringe, was er auch im Theatertanz seiner Zeit sehen möchte.81 In der Interpretation der antiken Texte im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Tanzkunst waren sich die Theoretiker um 1700 zwar keineswegs einig,82 dennoch hat die spezifische Rezeption der Antike, insbesondere der Mimesistheorie, wesentlich zum Paradigmenwechsel im Tanz, vor allem aber zunächst im Diskurs über Tanz beigetragen. In den tanztheoretischen Abhandlungen wird der Begriff der Mimesis in seiner ganzen Breite reflektiert. In der Adaptation der antiken Lehren auf die Poetik des Tanzes lassen sich jene Merkmale erkennen, die Gunter Gebauer und Christoph Wulf in ihrem Buch Mimesis als wichtigste Charakteristika der Mimesisgeschichte allgemein aufzählen. Außer in einem kurzen Exkurs über den in der Forschung festgestellten, aber auch bereits widerlegten Zusammenhang zwischen der Wortfamilie von ›Mimesis‹ und Tanz,83 die im Zuge der Antikenrezeption übernommenen Prinzipien der Rhetorik und andererseits – wie bereits erwähnt – auf die Impulse von den Jahrmarktstänzern. Vgl. dazu auch Fußnote 16 des vorliegenden Kapitels. 80 | Vgl. etwa Ménestrier, Des ballets anciens et modernes, iij: »[L]es Ballets sont des Comedies muettes. […] On y examine la nature des Ballets sur les regles d’Aristote, sur les remarques de Lucien, & sur les exemples des siecles les plus éclairez.« 81 | Vgl. Weaver, The loves of Mars and Venus, 740f. 82 | Vgl. dazu etwa Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, die eine »Querelle des Anciens et Modernes« auch unter Tanzbuchautoren feststellt, so etwa widersprüchliche Ansichten bezüglich Tradition und Innovation zwischen Ménestrier und de Pure, ebd., 36ff., beziehungsweise zwischen Cahusac und Du Bos, ebd., 98ff., wobei Schroedter feststellt, dass die Fronten nicht immer scharf gezogen werden könnten. Zur Rezeption der verschiedenen Kulturen der Antike schreibt Schroedter, ebd., 119, außerdem: »Die für die Humanisten der Renaissance bzw. für die Entstehung des Ballet de Cour so vorbildliche altgriechische Theatertanzpraxis verliert im späten 17. Jahrhundert an Bedeutung, um idealisierende Schilderungen der antiken römischen Pantomime in den Vordergrund treten zu lassen (wobei es nicht selten zu Konfusionen zwischen der antiken griechischen und römischen Tanzkunst kommt). Hiermit zusammenhängend richtet sich der Blickwinkel von Aspekten der stoffl ichdramaturgischen Konzeption eines Ballet nun verstärkt auf die Entwicklung einer ausdrucksstarken, narrative Züge annehmenden Sprache des Tanzes, die man gerade in jener römischen Pantomime idealtypisch verwirklicht sieht.« 83 | Gebauer/ Wulf gehen in ihrem Buch Mimesis, 44f., zwar auf die von Hermann Koller in dessen Studie Die Mimesis in der Antike geäußerte These ein, wonach ein enger Zusammenhang zwischen Mimesis und Tanz bestehe. Koller erklärt mit

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gehen Gebauer/ Wulf jedoch weder auf die Tanzkunst noch auf ihren Diskurs ein. Dies erstaunt insofern, als sie sich in ihrer Untersuchung insbesondere auf die performativen physischen Aspekte von ›Mimesis‹ konzentrieren. Als erstes Merkmal von ›Mimesis‹ nennen die beiden Autoren die Identifi kation einer Person mit einer anderen. Dabei heben sie eben insbesondere den körperlichen Anteil dieses Vorgangs hervor: »Jemand identifiziert sich mit Hilfe seiner mimetischen Fähigkeiten, wenn er im Anderen sich selbst sieht, eine Gleichheit zwischen sich und einem Anderen wahrnimmt. […] Komplementäres Sehen stellt eine Übereinstimmung zwischen Menschen her. Körperliche Vorformen der Komplementarität bestehen in einem Anschmiegen an einen Anderen; dieses ist ein sinnlicher, körperlicher Akt, aber er ist bereits von Ordnung durchzogen; der Andere wird an die Welt desjenigen angeglichen, der sich ihm anschmiegt.«84

Die »körperliche[n] Vorformen«, die Gebauer/ Wulf in ihrer Beschreibung der mimetischen Identifikation erwähnen und mit der Metapher des »Anschmiegen[s]« veranschaulichen, erfuhren in der Etablierung der theatralen Tanzkunst um 1700 freilich konkrete Weiterentwicklungen. Die Anpassung des »Andere[n]« an die Welt des sich Anschmiegenden äußert sich da etwa in der zunehmend wichtiger werdenden Kanonisierung der Gesten, Gebärden und Mimiken. Die auf der Bühne zu verkörpernden Affekte wurden beschrieben, illustriert und systematisiert.85 Dadurch bekamen auch jeweils bestimmte Bewegungen

Verweis auf Pindar und Aischylos, dass Mimesis ursprünglich bedeute, etwas durch Tanz zur Darstellung zu bringen. Gebauer/ Wulf teilen jedoch die vor allem von Gerald F. Else in »Imitation« in the fifth century geübte Kritik an dieser Interpretation der antiken Mimesistexte. Vgl. dazu Gebauer/ Wulf, Mimesis, 45: »Selbst wenn die von Koller untersuchte Wortfamilie häufig im Zusammenhang mit Musik und Tanz vorkommt, kann man daraus nicht ohne weiteres schließen, dass sie ›Darstellung‹ bzw. ›Ausdruck‹ mit Hilfe von Musik und Tanz meint.« Eine Affirmation von Kollers These in Bezug auf das griechisch-antike Mimesiskonzept liefert Bierl, Der Chor in der Alten Komödie, insbesondere 88; er weist einen Zusammenhang zwischen Mimesis, Kunst und Ritual nach und hält fest, dass man sich in »einer performativen Kultur […] in diesen markierten Ausdrucksformen mit dem Anderen einlassen, es reinszenieren und reaktualisieren« könne. 84 | Gebauer/ Wulf, Mimesis, 13f. 85 | Vgl. dazu in Bezug auf Ménestrier auch Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 200ff. Auch Weaver gibt in The loves of Mars and Venus, 754ff. detaillierte Beschreibungen ab, wie gewisse Passionen, »Admiration«, »Astonishment«, »Jealousy« usw. dargestellt werden müssten. Allgemein auf die Praxis und die Grundsätze der Gestenkunst des 18. Jahrhunderts geht Dene Barnett in The art of gesture ein.

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und Haltungen erst Bedeutungen verliehen beziehungsweise zugeschrieben, die fortan kanonisiert als ›natürlich‹ galten.86 Die verschiedenen Aspekte des körperlichen mimetischen Aktes wurden in der Poetik des Tanzes zum zentralen Moment erhoben. So beschreibt etwa Samuel Rudolph Behr in seiner Schrift Die Kunst wohl zu Tantzen die Anpassung des Imitators an den zu Imitierenden als einen künstlerischen Vorgang, der sich ganz auf die darzustellende Sache beziehungsweise Person zu konzentrieren habe: »Die Perfection dieser Kunst ist dasjenige, so man vorstellet, dermaßen zu imitiren, dass man keine Gestus noch Positur mache, die sich nicht auf die Sache, so man vorstellet, hauptsächlich schicke, und vor allen Dingen, dass man den Character der Person, so man præsentiret, behalte.«87 Was Behr hier vom Tänzer fordert, kommt dem Akt des ›Anschmiegens‹, den Gebauer/ Wulf erwähnen, nahe, indem sich der tanzende Imitator physisch auf die darzustellende Sache oder Person ausrichten und sich ihr so bis zur Deckung annähern soll. Damit eine solche Annäherung über eine derartige mimetische Darstellung überhaupt als möglich erschien – sowohl für die Darsteller als auch für die Betrachter –, waren bestimmte Voraussetzungen und Kompetenzen erforderlich. Diese entsprechen in der Weise, wie sie der Tanztheoretiker beschreibt, den Handlungs- und Wissenskomponenten, die Gebauer/ Wulf als zweites wichtiges Merkmal der Mimesis nennen.88 Behr zufolge muss der Tänzer nämlich genau wissen, welche Körpergesten und -haltungen zur imitierten Figur gehören und welche nicht. Diese Auffassung von Tanz lässt also – in Abgrenzung zum ›Ballet de Cour‹ – keine rein schmückenden Bewegungen mehr zu. Die perfekte Imitation im theatralen Tanz bleibt ganz auf die zu imitierende Körper-Handlung und deren neu berechenbare Wirkung beschränkt. Dabei kommt Mimesis im Tanztraktat schließlich auch in jener Bedeutung vor, die Gebauer/ Wulf als »körperliche Handlung« beschreiben, und die über das Gestische »den Charakter des Zeigens« hat.89 Die daraus abgeleitete Bestimmung, der Rezipient nehme das Zeigen so wahr, »dass er aufgefordert wird, bestimmte Dinge oder Vorgänge als etwas zu sehen«,90 wird in den Tanzschriften insofern expliziert, als etwa Behr eine Darstellung fordert, die für den Zuschauer verständlich sein sollte: »Also müssen solche Täntzer auch in denen Täntzen, Figuren und Bewegungen dergestalt vorgestellet werden, dass sie ein verständiger Zuschauer alsobald erkennen kan.«91 Mimesis wird damit zur Vermittlungspraktik zwischen einer inneren Bewegtheit, deren äußerem Ausdruck in Bewegung und Öffentlich86 | Vgl. zur Normierung und Festschreibung der tradierten Bühnenhaltungen und -bewegungen insbesondere in der Affektdarstellung auch Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 207. 87 | Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, 44. 88 | Gebauer/ Wulf, Mimesis, 14. 89 | Ebd., 14. 90 | Ebd., 14. 91 | Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, 48; vgl. auch ebd., 42.

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keit.92 Glückt eine solche mimetische Vermittlung, die Weaver als »copying all the Force of the Passions meerly by the Motions of the Body« beschreibt, so wird ihr eine bewegende Wirkung zugesprochen, die wiederum laut Weaver so stark sein kann »as to draw Tears from the Audience at their [d.s. die Tänzer, C.T.] Representations«.93 Die Wirkung, die der Tanz auf die Zuschauer haben soll, verbinden die Tanzbuchautoren dabei mit jenem Charakteristikum von Mimesis, das Gebauer/ Wulf als viertes Merkmal aufzählen: »Mit dem Körperlichen der Mimesis hängt das Performative zusammen, als eine Aktualisierung, eine Auff ührung des mimetisch Gezeigten.«94 Die spezifische Vor-Führung – buchstäblich physisch verstanden – des Imitierten im Ballett werten die Autoren der Tanztraktate als besonderen Vorzug ihrer Kunst gegenüber den anderen Künsten. Gottfried Taubert etwa beschreibt dieses Verhältnis zunächst in Bezug auf die bildenden Künste folgendermaßen: »Es hat diese Tantz=Art eine nicht geringe Gleichheit mit der Mahlerey und Bildhauer=Kunst. Denn, gleichwie ein Mahler mit seinem Pinsel eine gantze Historie, zwar beym ersten Anblick todtfärbig, aber doch im ferneren Nachsinnen vollkömmlich vorzustellen pfleget; Also kan man auch durch diese Tantz=Art eine lebendige Action und Historie, so, wie sie entweder wahrhaff tig geschehen, oder auch erdichtet ist, ja die Passiones, Mouvements der Seelen, und die Conceptus animi ohne einiges Reden, durch gewisse Schritte, Figuren, Mimen und Bewegungen gleichsam vivis coloribus, und dergestalt erkäntlich vorstellen, als wenn sie mit der Feder, oder Zunge ausgedrucket worden wäre.«95

Die lebendige Aktion des Körpers wird dabei gegen die durch Instrumente vermittelte und dadurch gewissermaßen ›abgetötete‹ hervorgehoben. Auch in Bezug auf die szenischen Künste wird der Vorzug des Balletts immer wieder ähnlich über den Effekt begründet, den die tänzerische Vorstellung auf das Publikum habe. Der Leipziger Tanzmeister Johann Pasch beispielsweise sieht mit Bezug auf Lucians Apologie der Tanzkunst moralisch-ethische Vorzüge darin, »dass repræsentatio durch Tantzen eine Imitation sey dessen/so man saget und singet/oder auch ipsa actio ist/so durch Singen und Sage einem andern vorgestellet oder referiret wird/in summa, was in vielerley Begebenheiten mit würcklichen Actionen verrichtet wird/damit der Spectator durch solche vorgestellte Exempla könne 92 | Vgl. dazu auch Gebauer/ Wulf, Mimesis, 217. 93 | Weaver, Essay towards an history of dancing, 590 (Hervorhebung im Original).

Weaver bezieht sich dabei wohl auf Lucian, Von der Tanzkunst, 437, der ebenfalls von den »Thränen« schreibt, »die ihnen [d.s. die Zuschauer, C.T.] so oft in die Augen kommen, wenn etwas trauriges und Herzrührendes« durch »die Gebehrden und Minensprache der Tänzer« verständlich dargestellt werde. 94 | Gebauer/ Wulf, Mimesis, 14 (Hervorhebung im Original). 95 | Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 930f.

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bloß durchs Auge instruiret/seine Passiones reguliret/und zu vielen guten Actionibus geleitet werden«.96

Mit fast denselben Worten stellt zehn Jahre später auch Gottfried Taubert die mimetische Handlung dar: »In Summa: Alles was man in den Opern singend, und in den Comödien redend vorbringet, das wird auch in den Ballets mit würcklichen Actionen repræsentiret, damit der Zuschauer durch solche vorgestelte Exempla bloß durchs Auge kan instruiret, seine Passiones reguliret, und zu viel guten Actionibus geleitet werden.«97 Pasch wie auch Taubert begründen also die Wirkung des Tanzes mit dem performativen Vollzug einer mimetischen Handlung auf der Bühne, die wiederum von den Zuschauern visuell rezipiert, ihrerseits mimetisch nachvollzogen und verinnerlicht wird. Taubert nennt zur Veranschaulichung ein pädagogisches Beispiel, das neben dem in den deutschen Tanzbüchern so zentralen apologetischen Diktus auch das neu erwachte Vertrauen in die Wirkungskraft der physischen mimetischen Darstellung gegenüber etwa der sprachlichen Vermittlung verdeutlicht. So schreibt Taubert – mit erzieherischer Absicht polemisch: »Wenn man einem Säuffer gleich die Abscheulichkeit der Trunckenheit noch so lange mit allerhand Umständen erzehlet; so wird es ihm doch bey weiten nicht so tieff zu Hertzen gehen, als wenn ihm ein solcher Trunckenbold und volle Sau, welche allerhand ungereimte Dinge vornimmet, auf einem Theatro gezeiget wird.«98 Die Beschränkung der ›Ballets‹ auf die nichtsprachlich bewegte mimetische Handlung wurde in den Traktaten zunehmend bestimmter und selbstbewusster propagiert, je differenzierter die Ausdrucksmöglichkeiten des Bühnentanzes ihren Niederschlag in den Poetiken der Tanzkunst fanden. So bildeten sich zunächst über den Diskurs – durch die Rezeption der Mimesistheorien – Anfänge einer neuen Form des Theatertanzes, die sich auf der Bühne erst allmählich adäquat realisierte und schließlich durchsetzte. Diente der Tanz auf der Bühne bisher und noch eine Weile zur unterhaltenden Verschönerung und als Zwischenspiel, so kam ihm in den Schriften eine weit umfassendere und eigenständigere Kompetenz und Bedeutung zu. Die Autoren vertraten die Ansicht, dass in den Ballets »[a]lle Gebräuche, Affecten und Verrichtungen […] durch die Gesticulation und Geberden ausgedrucket«99 werden könnten. Dieser Anspruch, die menschlichen Handlungen umfassend 96 | Pasch, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, 48. 97 | Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 930. 98 | Ebd., 940. Auf das Verhältnis Repräsentation/Rezeption wird weiter unten

noch genauer eingegangen. Den erzieherischen Nutzen der ›Ballets‹ macht Taubert an anderer Stelle, ebd., 928, explizit: »aus diesen Ballets entspringende Nutz, so wol auf Seiten der Danseurs, als Spectateurs […]: dass der Verstand der Tantzenden dadurch acuiret, die Gliedmassen wol disponiret, und die Sitten moderiret, wie auch die Zuschauer tacite in allerhand nützlichen Sachen informiret, und zur Tugend encouragiret werden.« 99 | Vgl. ebd., 930.

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durch Tanz darstellen zu können, hängt eng mit der Einführung der Narration im Ballett zusammen. Sobald die Tanzenden nicht nur geometrische Figuren und Formen auf die Bühne brachten, sondern Handlungen und Emotionen mimten, verlangte ihre Darstellung zunehmend nach Charakterisierungen der agierenden Personen. Und während zunächst noch einzelne emotionale Zustände als typisierte Verkörperungen aneinandergereiht wurden, lösten allmählich Synthesen mehrerer emotionaler Qualitäten innerhalb eines immer komplexeren Handlungsverlaufs die additiven Abfolgen ab.100 Durch die Narrationen sollte sich das Individuum auf der Bühne in einer Weise präsentieren, als sei es jeweils von seinem ›Inneren‹, also von seiner inneren Bewegung bestimmt, wobei sich ein neues Verhältnis von ›Innen‹ und ›Außen‹ – sowohl für die Darsteller als auch für die Zuschauenden – konstituierte.101 In Bezug auf Erstere, die Tanzenden, fand eine zunehmende Verdichtung der von ›Innen‹ nach ›Außen‹ getragenen Handlungen statt. Diese beschreibt etwa Behr als eine Vielschichtigkeit, die mit einer zeitlichen Komprimierung einhergeht: »Die Sitten und Passiones zu exprimiren, und nachzuahmen bald den Lustigen, bald den Traurigen/bald den Sanff tmüthigen, bald den Zornigen, und diese beyden Contraria müssen zuweilen fast in einem Augenblick expediret werden.«102 Die verdichtete mimetische Darstellung sowie die Wandelbarkeit 100 | Vgl. dazu auch Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 221. Ebd., 202f., stellt Jeschke am Beispiel von Ménestrier dar, wie in den Tanztraktaten um 1700 nicht mehr bloße Schrittanweisungen im Zentrum standen, sondern die Beschreibung eines Balletts, in dem bewegte Bilder zu bestimmten Themen aneinandergereiht werden sollten; erstmals wurde also das gestalterische Moment in der Körperbewegung thematisiert. In Bezug auf Ménestrier hält Jeschke dabei fest: »Bewegung und Tanz im Sinne Menestriers ist letztendlich sicher in der Tradition der Hof ballette zu verstehen, sie bedeutet die Erfüllung vor allem inhaltlicher und dadurch auch ästhetischer Normen. Durch die Thematisierung der Ausdrucksbewegungen sind aber Ansätze zur Überwindung dieser Normen festzustellen. Auch wenn Menestrier den reformerischen Neubeginn noch nicht problematisiert und reflektiert, so weist er doch in eine neue Richtung, die der Autonomie von Bewegung in Aussage und Technik.« Vgl. außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 150, die auf Weaver verweist, der zu seiner Zeit die konkretesten Vorstellungen von einer Synthese der Affektdarstellungen formuliert hat. 101 | Vgl. dazu auch Gebauer/ Wulf, Mimesis, 243; in Anlehnung an Norbert Elias und Michel Foucault legen sie dar: Die Macht übt »Kontrolle nicht mehr von außen, von einem zentralen Punkt aus, sondern verlagert sich in das Innere des Individuums selbst; sie wird zu einer Selbstkontrolle. […] An der Verinnerlichung sozialer Kontrolle wirken wesentlich mimetische Prozesse mit. Die Psyche als innere Kontrollinstanz kann nur auf indirektem Wege geformt werden. Dies geschieht zum Beispiel mit Hilfe von Erzählungen, die beeinflussen, überreden, erläutern, loben, verurteilen, erschüttern. Exemplarische Narrationen und innere Bilder vermitteln Paradigmen der aufzubauenden Psyche.« 102 | Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, 44. Behrs Abhandlung stammt aus dem

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der Darsteller sind keine Erfindungen der Tanztheoretiker um 1700. Diese beziehen sich vielmehr wiederum auf antike Quellen. Insbesondere Lucian von Samosatas fi ktiver Dialog Von der Tanzkunst zwischen Lucinus und Kraton dient den neuzeitlichen Autoren der Tanztraktate fast durchgehend als Referenz.103 Den geschickten Tänzer als Verwandlungskünstler, der »alles was er wollte, nachahmen konnte«,104 stellt da bereits der Verteidiger der Tanzkunst, Lucinus, dar. Unter den »Erfordernissen zu einem (Mimischen) Tänzer« nennt dieser Bildung, insbesondere in den schönen Wissenschaften, Übung, Geschicklichkeit und ein gutes Gedächtnis beziehungsweise Erinnerungsvermögen.105 Dies alles sei notwendig zur »Kunst in Nachahmung und deutlicher Darstellung selbst der unsichtbaresten Dinge«, heißt es also schon bei Lucian,106 wobei der seinen Tanz-Apologeten weiter ausführen lässt: »Das Hauptgeschäff te und der Zweck der Tanzkunst ist also, wie gesagt, die Darstellung einer Empfindung, Leiden-

Jahr 1713 und ist eine Überarbeitung seiner Schrift Anleitung zu einer wohlgegründeten Tantz-Kunst von 1703. 1707, also fast gleichzeitig, legt auch Pasch in seiner Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, 58, den Zusammenhang beinahe mit den selben Worten dar: »[D]iese Kunst macht Profession, die Sitten und Passiones zu exprimiren und nachzuahmen/bald den Lustigen/bald den Traurigen/bald den Sanff tmüthigen/bald den Zornigen/und diese beyden Contraria zuweilen fast in einem Augenblicke.« Sinngemäße bis wörtliche Übereinstimmungen fi nden sich zu jener Zeit immer wieder in den verschiedenen Traktaten. Ob es sich dabei um Übersetzungen handelt, oder ob die Tanzbuchautoren sich gegenseitig abgeschrieben haben – für beide Varianten gibt es Beispiele –, ist nur in Einzelfällen nachzuweisen, wegen fehlender Quellenangaben allerdings oft am Text nicht eindeutig überprüf bar. 103 | Lucians Schrift Peri Orcheseos lag den Autoren um 1700 bereits in verschiedenen Übertragungen vor. Weaver etwa stützte sich laut Ralph, The life and works of John Weaver, 131, auf eine lateinische Version von Lucian und frei auf die Übersetzung von Jasper Mayne. Die aus heutiger Sicht auf die Poetik der Tanzkunst wichtigste deutsche Übersetzung stammt von Christoph Martin Wieland aus dem Jahr 1788/89 und war demnach erst für jene Generation von Tanzbuchautoren, die auf die hier zitierten folgte, von Bedeutung. Darauf wird in Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit noch genauer eingegangen. Vgl. zur Lucian-Rezeption um 1700 auch die Auflistung der Referenzen in den Tanztraktaten in Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, Anhang: Ausgewählte Recherchebeispiele aus der »Datenbank zum Tanz um 1700«, 4; außerdem Ralph, The life and works of John Weaver, 131: »Lucian’s Greek dialogue on the dance, Peri Orcheseos, was, and still is, the most widely known and copied classical work on dancing; [...] neither Weaver nor his contemporaries doubted the authenticity or sincerity of the dialogue as modern scholars do.« (Hervorhebung im Original) 104 | Lucian, Von der Tanzkunst, 389f. 105 | Ebd., 401f. 106 | Ebd., 402.

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schaft oder Handlung durch Gebehrden […]. Denn was man am meisten daran lobt, ist, wenn sie die Personen, die sie uns schildern wollen, genau treffen.«107 Dieses Gebot der deutlichen Darstellung respektive der genau treffenden Imitation greifen die Autoren der Tanztraktate um 1700 wieder auf. Samuel Rudolph Behr etwa fordert dazu auf, dass »nicht alleine unterschiedene vernünfftige und unvernünff tige Handlungen, sondern auch Gemüths=Neigungen und allerhand andere Dinge so deutlich dargestellet werden, dass der Zuschauer ohne Mühe errathen kan, was man meyne«.108 Auch John Weaver verlangt vom Bühnentänzer, dass er mittels Gesten und Bewegungen des Körpers Handlungen, Sitten und Passionen in einer Weise darstelle, »so that the Spectator might perfectly understand the Performer by these his Motions, tho’ he say not a Word«.109 In der Poetik der Tanzkunst um 1700 verdeutlicht sich demnach eine Differenzierung zwischen nonverbaler, visuell wahrnehmbarer Darbietung und sprachlichen Erzeugnissen. Dabei wird im Zuge der Aufwertung der Tanzkunst der tänzerische Ausdruck, der fortan als performativ und direkt zugänglich gilt, dem sprachlichen vorgezogen, der als mittelbar und deshalb zu Missverständnissen tendierend abgelehnt wird. Pasch etwa hebt diesbezüglich die Vorzüge der Tanzkunst gegenüber der Dichtung folgendermaßen hervor: »Wie denn endlich der Nutzen der Theatralischen repræsentationen im Tantzen ist […] daß der Mensch von allem was er lieset/aus denen blossen Worten keinen Verstand haben kan/wo er sich nicht zugleich eine Ideam von denen rebus machet/darvon die Worte bloß nur zeigen können/und also leicht wiederum vergessen werden/ und auch diese Ideen off t so falsch formiret werden/daß off t das Wenigste von der Warheit behalten wird/hingegen alle Historien und actiones, welche man mit Augen siehet/die Warheit selbsten sind/und also sehr leichte können behalten werden/als haben diese Informatores ihren jungen Herren dasjenige/was sie in denen Büchern gelesen/auch auf dem Theatro vorstellen lassen/damit sie die rechtmässigen Ideen davon bekämen/und sich dererselben bey Wiederlesung derer Bücher leicht wiederum erinnern könten.« 110

Pasch beschreibt in dieser Würdigung der Tanzkunst – diesmal in Abgrenzung zur Dichtung, aber durchaus ähnlich, wie dies oben in Abgrenzung zu den bildenden und zu den anderen szenischen Künsten gezeigt wurde – die spezifischen Möglichkeiten der kalkuliert-antizipierten Wirkung des neuen Theatertanzes. Er unterscheidet dabei jedoch nicht wie Lucian und noch nicht wie 107 | Ebd., 426. 108 | Behr, Die Kunst wohl zu Tantzen, 41f. 109 | Weaver, Essay towards an history of dancing, 652 (Hervorhebung im Origi-

nal). 110 | Pasch, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, 108f. Auch de Pure und Du Bos erachten visuelle Eindrücke als wirkungsvoller im Vergleich zu jenen Botschaften, die durch Worte vermittelt werden. Vgl. dazu außerdem Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 96f.

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gut zehn Jahre später Du Bos in Frankreich explizit zwischen ›willkürlichen‹ beziehungsweise ›künstlichen‹ und ›natürlichen‹ Zeichen.111 Für den Leipziger Tanzmeister kommt vielmehr allein den Worten die Funktion des Zeigens zu, sie sind also flüchtige Zeichen, während die theatralischen »repræsentationen im Tantzen« – Pasch zufolge – nichts Geringeres als »die Warheit selbsten« vor Augen führen und sich förmlich einprägen. Auch de Pure zieht der aufwändigeren und zeitraubenderen medialen Vermittlung durch die Schrift jene Rezeption vor, die ohne Zwischenschritte der Abstraktion konkret und direkt über die Sinnesorgane erfolgt; er bezeichnet in diesem Zusammenhang die Augen und Ohren als Eingänge des Geistes.112 Dabei bezieht er sich auf Lucian, der – wiederum mit Verweis auf Herodot – differenziert: »Herodot hält das Zeugniss der Augen für glaubwürdiger als was wir durch die Ohren erfahren: im pantomimischen Tanze vereinigen sich beyde Sinne, und ihre Wirkung ist also desto vollkommner.«113 Lucian lässt seinen Apologeten allerdings ironisch zwei Beispiele anführen, in denen die äußere ›Wirklichkeit‹ der Welt von der mimetischen ›Wirklichkeit‹ im Theater überdeckt wird: »Sie [d.i. die Wirkung, C.T.] ist so zauberisch, dass ein Verliebter, der ein solches Schauspiel besucht, auf einmal wieder zu Verstande kommen muss [...]; wenn ihm alle das Elend, das die Liebe nach sich zieht, so lebendig vor die Augen gestellt wird: und der traurigste Mensch geht so fröhlich wieder hinweg, als ob er irgend ein lethaisches Tränkchen verschluckt.«114

Der antike Tanzapologet macht mit diesen Exempeln indirekt deutlich, dass Mimesis offenbar so plausibel fi ktive Welten schaff t, dass der Bezug zur ›Wirklichkeit‹ sekundär erscheint. Dieser Gedanke taucht in den Poetiken zur Tanzkunst um 1700 insofern wieder auf, als die Autoren die »Warheit«, wie etwa Pasch 111 | Vgl. Lucian, Von der Tanzkunst, 426, der im Zusammenhang mit den mimetischen Gebärden von »natürliche[n] Zeichen« spricht, worauf Du Bos in seiner Schrift Réfl exions critiques, 350f. (o.P. 239ff.) mit Referenz auf Quintilian wieder Bezug nimmt. Darauf wird weiter unten noch genauer eingegangen. 112 | Vgl. de Pure, Idée des spectacles anciens et nouveaux, 212: »Les oreilles & les yeux sont des entrées de l’esprit, favorables aux objets, qui en abregent & facilitent les approches, & qui ne coûtent à l’intelligence, pour ainsi dire, que des civilitez & que des soins de bien recevoir ce qu’ils luy presentent au lieu que la lecture & l’estude dépensent beaucoup de travail & de temps, & ne sont que de lents progrez parmy des reflexions tres chagrines.« 113 | Lucian, Von der Tanzkunst, 437. Auch Gottfried Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 940, führt den Merksatz an: »Was die Augen sehen, das gläubet auch das menschliche Hertz«, wobei er Herodot zitiert, »Hominibus magis incredulæ sunt aures, quam oculi«, sowie Seneca, »Homines plus oculis, quam auribus credunt«. 114 | Lucian, Von der Tanzkunst, 437.

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schreibt, nicht in der ›Welt‹, sondern auf der Bühne lokalisieren. Von dieser soll sie dann über die Bewegung auf die Zuschauenden überspringen, wobei jene zum Teil des mimetischen Prozesses werden. Taubert führt dazu aus: »Denn, indem sie [d.s. »die Spectateures«, C.T.] die erbaulichen Sachen durch bewegliche […] Præsentirung mit Augen sehen, werden ihre Affecten und Gemüther dadurch öff ters dergestalt moviret, dass sie anheben die Qualitäten zu imitiren.«115 Diese Übertragung von Bewegung ergibt sich zwar buchstäblich augenblicklich, jedoch – und das ist der zentrale Punkt – nicht völlig unmittelbar. Der Eindruck, den der Darsteller auf das Publikum macht, vollzieht sich vielmehr über ein gemeinsames mimetisches Ereignis116 und unterliegt bestimmten Konventionen, die allerdings durch die als ›wahrhaft‹ erscheinende Wirkung überdeckt werden. Dessen waren sich die Theoretiker um 1700 zumindest ansatzweise bewusst – im Gegensatz zu vielen Tanzexperten und -liebhabern, die bis heute den Diskurs über die Unmittelbarkeit der Wirkung der bewegten Kunst führen.117 Weaver jedenfalls erkennt klar, dass Tänzer wie auch Zuschauende in die Regeln und Ausdrucksweisen der Gestik eingeführt sein müssten, damit die nonverbale Kommunikation überhaupt funktioniere.118 Er wendet sich dagegen, den Tanz als eine irrationale, unmittelbar zugängliche Kunstform zu betrachten: »Now, tho’ Dancing be far from an Irrational Art, as we may find by the Use of it, as a Qualification, and as an Exercise; yet it is not that which immediately deals with the Rationative Faculty, which is a more Sublime Employment.«119 Die französischen Tanzbuchautoren wie Ménestrier und später Cahusac sprechen zwar von der Universalität der ›Ballets‹, die sie mit der anthropologischen Konstante des Bewegungsdranges begründen,120 Taubert jedoch macht deutlich, dass hinter der Tatsache, »dass nunmehr an allen Orten und Enden 115 | Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 940. 116 | Vgl. dazu auch Gebauer/ Wulf, Mimesis, 72, die von »zeigende[m] Handeln

und emotionale[m] Nachahmen« sprechen, welche zusammen »den doppelseitigen mimetischen Prozess auf der Ereignisebene« bilden. 117 | Vgl. dazu Kapitel 1 der vorliegenden Untersuchung. 118 | Vgl. Weaver, The loves of Mars and Venus, 743. 119 | Weaver, Essay towards an history of dancing, 441 (Hervorhebung im Original). 120 | Vgl. beispielsweise Ménestrier, Des ballets anciens et modernes, i; Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 1,14, geht sogar so weit, zu behaupten: »C’est-là ce langage universel entendu par toutes les Nations & par les animaux même; parce qu’il est antérieur à toutes les conventions, & naturel à tous les êtres qui respirent sur la terre.« Er räumt jedoch ebd., 17, ein: »Les différentes affections de l’ame sont donc l’origine des gestes & la Danse qui en est composée, est par conséquent l’Art de les faire avec grace & mesure relativement aux affections qu’ils doivent exprimer. Aussi a-t-elle été définé par les Philosophes qui l’ont le mieux connue, l’Art des gestes. Quoi-qu’ils soient tous naturels à l’homme, on a cependant trouvé des moyens, pour donner aux mouvemens du corps les agrémens dont ils étoient susceptibles. La Nature a fourni les positions: l’expérience a donné les régles.«

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der Welt dergleichen Ballets repræsentiret werden«, Künstler als Dolmetscher stünden, durch die sich ihre Kunst von einem Volk zum anderen verbreitet habe.121

Diskursive Konstruk tionen universaler Unmittelbarkeit Vor allem Du Bos, der in seinen Réfl exions critiques sur la poësie et sur la peinture auch auf den Tanz, insbesondere auf die Gestenkunst der Pantomime eingeht,122 reflektiert die Bedingungen der Kommunikation mittels der stummen Ausdruckssprache des Körpers. Dabei betont er, dass diese keineswegs universell gegeben sei, sondern erlernt werden müsse. Er vergleicht diesen Vorgang mit der Aneignung einer Fremdsprache: »Mais l’usage apprenoit à entendre le langage muet des Pantomimes à ceux qui ne l’avoient pas étudié par méthode, à peu près comme il apprend la signification de tous les mots d’une langue étrangere, dont on sçait déja plusieurs termes, quand on vit au milieu d’un peuple qui parle cette langue-là. Le mot qu’on sçait, fait deviner le mot qu’on ne sçait pas, & celui-là fait à son tour deviner un autre mot. Quand on avoit une fois l’intelligence de ce langage, les gestes qu’on connoissoit, faisoient deviner les nouveaux gestes que les Pantomimes inventoient, suivant les apparences, des tems en tems, & ces gestes servoient dans la suite pour en deviner encore de plus nouveaux.« 123

Die Rezeption der Gesten ist also – gemäß Du Bos – nicht anthropologisch gegeben. Vielmehr betrachtet er die Gesten als ›willkürliche‹ Zeichen, in deren Codes die Zuschauenden eingeweiht sein müssen, damit ihnen nichts entgeht. Diesbezüglich schreibt Du Bos: »Comme les Pantomimes employoient plusieurs gestes d’institution dont la signification étoit arbitraire, il falloit du moins être habitué à les entendre, pour ne rien perdre de tout ce qu’ils vouloient dire.« 124 Was sich zwischen Darstellenden und Publikum gemäß den Poetiken über Tanz immer mehr zu einem selbstverständlichen, ›natürlichen‹ Verhältnis entwickeln sollte, geht auf ein beidseitiges Einüben von Bewegungscodes zurück. Cahusac etwa beschreibt diesen Vorgang als einen Prozess der Verinnerlichung: »Le Chant & la Danse une fois connus, il étoit la nature qu’on les fît d’abord ser-

121 | Taubert, Rechtschaffener Tantzmeister, 934. 122 | Du Bos’ Auseinandersetzung mit Malerei und Dichtung im Vorfeld seiner

Erörterungen zum Theatertanz prägte maßgeblich seine Defi nition des ›Ballet‹. Vgl. dazu auch Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 96f. 123 | Du Bos, Réfl exions critiques, Bd. 3, 363 (o.P. 290f.). 124 | Ebd., 363 (o.P. 289).

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vir à la démonstration d’un sentiment qu’elle a profondément gravé dans le cœur de tous les hommes.«125 Diese Vorstellung der Verinnerlichung geht mit den Paradigmenwechseln im allgemeinen ästhetischen Diskurs einher. Dienten die höfischen Künste und innerhalb derer der ›Ballet de Cour‹ einer Versicherung der absolutistischen Herrschaftsverhältnisse, so definierte sich das aufstrebende Bürgertum über die individualisierte Handlung und über neue Werte wie ›Innerlichkeit‹, ›Menschlichkeit‹ und ›Mitleid‹, Qualitäten, die im ›Ballet en Action‹ im Speziellen und in den mimetischen Bühnenkünsten im Allgemeinen ihren Ausdruck fanden. Damit hat bereits begonnen, was Gebauer/ Wulf dann vor allem in Bezug auf das 18. Jahrhundert feststellen, nämlich dass die Bühne zu dem herausragenden Ort wurde, an dem sich die Gefühlskultur des Bürgertums entfalten konnte. »Emotionalisierung« sei das Merkmal einer neuen Klasse, schreiben sie, und weiter: »Dieses wird theatralisch gezeigt und wertvoll gemacht, indem ihm ethische Züge verliehen und universale Geltung […] zugesprochen wird. Aber die scheinbar allgemein menschlichen Gefühle haben einen politischen Sinn. […] Die Empfindungsfähigkeit wird auf der Szene als Merkmal des Bürgertums dargestellt. Die theatralische Mimesis wirkt dabei mit, dem Gefühlsausdruck eine allgemein erkennbare szenische Gestaltung zu geben und über die Kodifizierung der öffentlichen Äußerungsweise das Innenleben selbst zu modellieren. Zum zweiten leistet sie, da sie das soziale Darstellungsverhalten der Emotionen mitgestaltet, einen Beitrag zur symbolischen Präsentation des Bürgertums.«126

Die symbolische Präsentation des Bürgertums sollte – gemäß den Tanztheoretikern um 1700 – gerade auch in ihrer Kunstform über ein System von Kodes funktionieren, das jedoch nicht (mehr) als solches erkennbar sein durfte, weil es eben nicht mehr auf äußeren Regeln, sondern auf der Vorstellung einer ›inneren‹, sinnlichen Verständigung – etwa über die Bewegung – basierte. Daher rührt der Anspruch eines universalen oder gar anthropologischen Charakters der Zeichen dieser Verständigung, der in den Schriften über Tanz paradoxerweise gleichzeitig konstituiert, aber auch reflektiert wird. Vor allem die in bürgerlichen Kreisen tätigen deutschen Tanzmeister wie Pasch, Taubert oder Behr sowie der englische Tanzkünstler und -theoretiker Weaver bestätigen in 125 | Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 1, 13. Entgegen Du Bos betont Louis de Cahusac, dass Gestik zu den elementarsten Ausdrucksformen menschlichen Lebens gehöre, die eine übernational verständliche »Universalsprache« darstellten. Cahusac unterscheidet zwischen instinktivem, ›natürlichem‹ Ausdruck und einer daraus entstandenen, verfeinerten, ›künstlichen‹ Ausdruckssprache, wobei in beiden Fällen »Affections« den zentralen Impuls und Gegenstand dieser »Ursprache« beziehungsweise späteren »Kunstsprache« darstellten. Vgl. dazu Schroedter, Vom »Affect« zur »Action«, 162. 126 | Gebauer/ Wulf, Mimesis, 216.

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ihren Schriften, dass sie sich durchaus der Konstruiertheit des ›universalen‹ Charakters ihrer mimetischen Kunstform bewusst waren. Zu diesem wiederum bemerken Gebauer/ Wulf: »Zwar haben die neuen Begriffsprägungen des Bürgertums universalen Charakter, aber sie sind für dessen eigenen Gebrauch entworfen. Die Fähigkeiten, die sie bezeichnen, und das Handeln, in dem sie verwirklicht werden, sind dem Bürgertum vorbehalten.«127 Die Tanzmeister und -theoretiker erkannten in der Bewegung beziehungsweise im Bewegt-Werden eine wichtige Form eines solchen unterschwellig verbindenden Handelns. Den Darstellern wird die Funktion der bewegt Agierenden zugeschrieben, während die Zuschauer zu bewegt Re-Agierenden werden. Diese Konstellation nutzten die Tanzbuchautoren zur Etablierung ihrer Kunst. Dabei nahmen sie also teilweise allgemeine Tendenzen des Diskurses über Bewegung vorweg, oder sie beanspruchten diesen für ihre spezifischen Bestrebungen. Rüdiger Campe stellt für die Zeit nach dem 17. Jahrhundert eine unausgesetzte Vergegenwärtigung affektiver Bewegungen und damit einhergehend eine Disposition zur Bewegung fest, aus der sich dann »jene scheinbare Entlastung der Theorie« ergab: »[D]ie unbelastete Rede über Affektivität, die das Thema von den Bewegungen und den Repräsentationen aus dem Bereich der Theorie ausgeschieden sieht«.128 Betrachtet man die Theorie über Tanz um 1700, so zeichnet sich diese Tendenz zwar ab, gleichzeitig etabliert sie sich jedoch gerade durch ihre Hinwendung zu Themen und Paradigmen, die andere Disziplinen im Laufe des 18. Jahrhunderts aus ihren Theorien ausgeschlossen und auf die Erfahrungsebene verlagert haben. Beim Tanz bleibt jedoch – dies soll im folgenden Kapitel gezeigt werden – die Erfahrung am Leib immer, sogar immer mehr, ein Teil der Theorie.

127 | Ebd., 234. Vgl. auch ebd., 427. 128 | Campe, Affekt und Ausdruck, 364.

3. Entwür fe einer bewegt bewegenden ›Sprache des Herzens‹ »Mich dünket, mein Herr, daß diese Kunst nur darum in ihrer Kindheit geblieben, weil man ihr nicht viel größere Wirkungen zugemuthet, als ungefehr die Feuerwerkskunst haben kann; die bloßen Augen auf eine kurze Zeit zu belustigen.« (Jean Georges Noverre)1

Der Tanzkunst sei stets zu wenig zugetraut worden, schreibt Jean Georges Noverre in seinen Lettres sur la danse, et sur les ballets im Jahr 1760. Dies sei so, stellt er fest, obwohl sie »mit den besten Schauspielen das Vermögen zu interessiren, zu bewegen, und den Zuschauer durch die Reitze der vollkommensten Illusion zu fesseln, gemein« habe.2 Noverre nennt in diesem Zitat drei Qualitäten des neuen Balletts, die als paradigmatisch betrachtet werden können – nicht nur für den Tanz selbst, sondern auch für den Diskurs der Zeit über die bewegten Bühnenkünste. Die »Vermögen zu interessieren, zu bewegen, und […] zu fesseln«3 werden dem sich etablierenden ›Ballet en action‹ zu-geschrieben, um dieses vom höfischen Ballett abzugrenzen. Gegen die Repräsentations- beziehungsweise Darstellungskunst stellen die Ballettreformer durch diese diskursiven Zuschreibungen eine Ausdrucks- und Wirkungsästhetik. Diese zielt auf ein neu konzipiertes Individuum, das als koginitiv-emotionale Einheit affiziert (gefesselt) werden soll, dessen Geist es zu interessieren und das Herz in Bewegung zu versetzen gilt. Noverre ist der Meinung, dass die Tanzkunst »für den Geist arbeiten, und sich dem Herze verständlich machen könne«. 4 Dem Tanz wird dabei im Kontext der darstellenden Künste also das Potential beigemessen, Ratio und Emp1 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 5. Die Stellen werden im Folgenden aus der ersten deutschen Übersetzung von Gotthold Ephraim Lessing und Johann Joachim Christoph Bode aus dem Jahr 1769 zitiert. 2 | Ebd., 5f. 3 | Ebd., 5 (Hervorhebung C.T.). 4 | Ebd., 6.

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findungen gleichermaßen zu erreichen – und zwar unter den Vorzeichen des Verstehens sowie des einnehmenden Bewegens im Sinne von ›movere‹. Die Wechselwirkung zwischen dem Angebot der Künstler und der Rezeption der Zuschauenden wird somit – über Schlagworte wie ›Interesse‹, ›Bewegung‹ oder ›fesselnde Illusion‹ – als affizierend dargestellt und erhält eine hermeneutische Dimension. Inwiefern diese Zuschreibungen, sprachlichen Entwürfe und Interpretationen im allgemeinen ästhetischen und wissenschaftlichen Kontext stehen, wie sie diesen Diskurs durch eine affektive, bewegungs- und damit auch tanzspezifische Metaphorik (mit-)prägen und dabei gar noch weiter, bis zum Programm einer nonverbalen emotionalen Kommunikation zwischen Bühne und Publikum führen, soll im Folgenden untersucht werden.

Bewegung der Ballettreform Dieses Programm für die bewegt bewegende Kunst ist das Resultat der sogenannten Ballettreform. Diese wird retrospektiv auf die Mitte des 18. Jahrhunderts datiert und fand – abgesehen von verschiedenen antizipierenden Versuchen etwa von John Weaver,5 Marie Sallé6 und Franz Anton Christoph von Hilverding7 – zunächst vor allem in den Schriften einiger weniger Ballettmeister statt und wurde erst später in den Bühnenwerken realisiert.8 5 | Vgl. Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit. 6 | Vgl. zu den Arbeiten von Marie Sallé im Kontext der Gattung des dramati-

schen Balletts insbesondere die entsprechenden Kapitel in Foster, Choreography & narrative. Über Sallés Einfluss auf Noverre schreibt Foster, ebd., 12, er habe aufgeschrieben, was Sallé vor ihm praktiziert habe, wobei sein Werk erhalten blieb im Gegensatz zu ihrem. 7 | Hilverdings Schüler Gasparo Angiolini und auch Johann Georg Sulzer bezeichnen den österreichischen Ballettmeister als Wegbereiter des theatralischen Tanzes; vgl. Angiolini, Lettere di Gasparo Angiolini a monsieur Noverre sopra i balli pantomimi, 9; Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 425. Vgl. zu den Verdiensten Hilverdings um das Handlungsballett u.a. auch Dahms, Franz Hilverding, 56ff.; außerdem Gugitz, Die Familie Hilverding, 95. Von Hilverding sind meines Wissens weder Libretti noch Choreographien erhalten. 8 | Vgl. dazu Dahms, Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres, 73; vgl. auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 57, 66 beziehungsweise 291, die einen Widerspruch zwischen dem Ideal und den »Gegebenheiten eines weiterhin an traditionellen Verhaltensmustern orientierten Ballettbetriebs« feststellt; vgl. außerdem ebd., 71: »Da die konsequente Abkehr von formal-ästhetischen Positionen jedoch auf massive Widerstände stößt, erklären sich selbst die Protagonisten der Ballettreform zu gewissen Konzessionen bereit, die sie in ihren Theorien – zumindest anfangs – nicht dulden wollten und auch weiterhin als eher bizarr empfinden.« Auf Monika Woitas’ Habilitationsschrift wird im Folgenden immer wieder Bezug genommen, da es sich dabei um die bisher umfassendste veröffentlichte Untersuchung zum Tanz-

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Neben dem Experimentierfeld Bühne war es also vor allem der theoretische Diskurs jener Zeit, der einerseits zur Etablierung des Balletts und zu dessen Emanzipation als eigenständige Kunstform beigetragen hat, andererseits auch zur Positionierung des Tanzes im Kontext der anderen Künste und der theoretischen Ästhetik. Die Rede vom Tanz war in den ästhetischen Debatten der Zeit durchaus Kanon im Zuge eines neu aufkommenden Körper- und Bewegungsbewusstseins. Monika Woitas stellt in ihrer Studie Im Zeichen des Tanzes denn auch fest: »Die im Verlauf des 18. Jahrhunderts kontinuierlich steigende Aufwertung der Bewegung, die den Körper in einem Spannungsfeld zwischen Ausdruck und Form situiert, tritt im Tanztheater nicht nur besonders ausgeprägt in Erscheinung, sie wird von Überlegungen zur Ästhetik und Theorie des Tanzes vielmehr wesentlich mitbestimmt.«9 Der Tanz rückte im Zuge der (Wieder-)Entdeckung der menschlichen Gestalt von der Peripherie oder von dem Zwischendasein der Divertissements ins Zentrum des ästhetischen Interesses. Von ihm, dem künstlerisch arrangierten Ausdruck des Körpers, versprach man sich für die Bühne eine neue Wirkungskraft, die über die »Belustigung der Augen« hinausgehen und stattdessen »die Herrschaft über die Gemüther« erlangen sollte.10 »Nichts interessiret die Menschheit mehr, als die Menschheit selbst«, erklärt Noverre, und er folgert daraus: »[E]s ist schimpfl ich, daß der Tanz der Gewalt, welche er über unsere Seele haben kann, entsagt, und sich nur den Augen zu gefallen begnüget.«11 In dieser Verschiebung von einer optisch geprägten Darstellungs- zu einer sensualistischen Wirkungsästhetik erkannten nicht nur die Ballettmeister des 18. Jahrhunderts ein immenses, bisher aber ungenutztes Potential der Bewegungskünste. Darüber herrschte vielmehr über die Disziplinengrenzen hinweg weitgehend Konsens, auch im allgemeinen ästhetischen und im philosophischen Diskurs der Zeit, in dem die Rede vom Tanz zum Kanon gehörte. So schreibt denn auch der Philosoph Johann Georg Sulzer in seiner Allgemeine[n] Theorie der Schönen Künste aus den Jahren 1771-74 unter dem Eintrag ›Tanzkunst‹: »Daß diese Kunst eben so viel Recht habe, ihren Rang unter den schönen Künsten zu behaupten, als irgend eine der andern, die durchgehends hochgeschätzt werden, ist […] klar genug. Wer auf die ersten Gründe der Sache zurükgehen, und überlegen will, was für erstaunliche Kraft in der Form der menschlichen Gestalt liegt […], wird leicht begreifen, was diese Form, mit veränderten Stellungen und mit Bewegung theater des späten 18. Jahrhunderts und zum ästhetischen Diskurs der darstellenden Künste zwischen 1760 und 1830 handelt. 9 | Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 47. 10 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 423, unter Berufung auf Noverre. 11 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 43. Vgl. dazu auch Angiolini, Dissertation sur les ballets pantomimes des anciens, 198f., der ähnlich wie Noverre schreibt, beim Tanz komme es darauf an, Affekte zu erregen und nicht bloß die Augen zu belustigen.

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verbunden, auszudrüken vermag; daraus wird er den Schluß ziehen, daß an Stärke der ästhetischen Kraft keine Kunst die Tanzkunst übertreffen könne.« 12

Diese bestimmte und gleichzeitig apologetische Feier der Tanzkunst verweist einerseits wiederum auf deren bisherige tiefe Stellung in der Hierarchie der Künste, andererseits jedoch ebenfalls auf einen grundlegenden Umbruch sowohl in der Definition als auch in der Realisation und schließlich in der intendierten Rezeption von Tanz. Sulzer kritisiert den Ist-Zustand, den es zu ändern gelte: »Wir betrachten sie [d.i. die Tanzkunst, C.T.] aber nicht in dem zufälligen schlechten Zustand, in dem sie sich gemeiniglich auf der Schaubühne zeiget, sondern in der Würde und Hoheit, zu der sie erhoben werden könnte. Wir sind gar nicht in Abrede, daß sie fast durchgehends sich in einer Gestalt zeige, in der sie wenig Achtung verdienet; aber eben deswegen ist es wichtig, Männer von Genie zu ermuntern, sie aus der Erniedrigung empor zu heben.«13

Zur ästhetischen Erhöhung des Status quo erklären die Reformer die Vermittlung von narrativen und emotiven Inhalten anstelle von formaler Technik und Virtuosität zur Grundlage der Tanzkunst. Sulzer sieht in dieser Umdefinition eine »beträchtliche Reinigung der Kunst von allen blos zierlichen, und besonders von den übertrieben künstlichen Stellungen und Bewegungen«.14 Die Bewegungen der Menschen auf der Bühne sollten nach dem neuen Verständnis der Tanzkunst ›natürlich‹ sein und die Betrachter wiederum in deren ›natürlichem‹, emotionalem Menschsein erreichen.15 Doch wie stellte man sich das vor, beziehungsweise wie stellte man einen solchen Anspruch dar? Das oberste Gebot der Ballettreformer war die »Rührung des Herzens«.16 Carlo Blasis etwa spricht von einem »sentimental discourse that moves the heart«.17 Das Herz wird zur Metapher und zum Zentrum des sinnlich bewegten Austauschs erklärt, für 12 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 423. 13 | Ebd. 14 | Ebd. 15 | Vgl. dazu auch Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 44:

»Weg mit den Kabriolen, den Entrechats und den allzu verwickelten Schritten! Weg mit den liebäugelnden Grimassen, um euch ganz den Empfindungen, den ungekünstelten Reitzen und dem Ausdrucke zu überlassen!« 16 | Vgl. Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 283. Bereits Rousseau, Brief an d’Alembert, 350, hat »[d]ie Bühne allgemein« als ein »Gemälde der menschlichen Leidenschaften« bezeichnet, »dessen Urbild in allen Herzen ist«. 17 | Blasis, The code of Terpsichore, 113. Vgl. dazu im theatralen Kontext auch Fischer-Lichte, Der Körper als Zeichen und als Erfahrung, 61, wobei sie insbesondere Bezug auf Diderots Brief über die Taubstummen nimmt; vgl. außerdem zur »Herzrührung« auch Geitner, Die Sprache der Verstellung, 189, sowie Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne, 109, 118.

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den die neue Tanzkunst zwischen Bühnendarstellern und ihren Zuschauenden einstehen soll. Das Moment der ›Rührung‹ meint ebenfalls ›Bewegung‹ und ›Bewegt werden‹;18 als Ausgangspunkt für und als Effekt von Bewegung bezieht sich ›Rührung‹ dabei sowohl auf Gemütsbewegungen als auch auf Bewegungen in den Sinnen oder anderen Körperorganen.19 So schreibt Gasparo Angiolini: »Wann sich das Publicum von den grösten Schönheiten unserer Kunst nicht berauben will, so muß sich selbes angewöhnen, bey unseren Tänzen sich zu erweichen, und zu weinen.«20 Und auch Noverre sieht in der Wirkung der Rührung, d.h. in der inneren Bewegung der Zuschauenden, die oberste Priorität seiner Bestrebungen, die Tanzkunst den anderen Künsten mindestens gleichzustellen: »[D]ie Ballette werden sodann die Ehre zu bewegen, zu rühren, und Thränen auszupressen, mit den besten dramatischen Stücken, und in den weniger ernsthaften Gattungen, den Vorzug angenehm zu beschäftigen, zu gefallen, zu reitzen, mit den beliebtesten Lustspielen theilen; bis endlich der Tanzkunst, auf diese Weise durch die Empfindung verschönert, und von dem Genie geleitet, nächst dem Beyfalle und den Lobsprüchen, welche ganz Europa der Mahlerey und der Poesie gewähret, auch die nehmlichen Belohnungen, mit welchen man jene Künste beehret, nicht entstehen werden.«21

Es sind demnach zwei Dinge, an denen es dem Tanz auf dem Weg zur bewegt bewegenden Kunst – folgt man Noverres Ausführung – noch fehlt, um die gleiche Anerkennung zu erhalten wie etwa die Malerei und die Poesie: Die ›Empfindung‹ und das ›Genie‹. Während Erstere als Verschönerung, also als ästhetisches Kriterium bezeichnet wird,22 soll dem ›Genie‹, verstanden als eine Art schöpferischer Geisteskraft, die Lenkung des gesamten ästhetischen Prozesses übertragen werden. Das ›Genie‹ ist die Instanz, die nicht nur eine dramatische Handlung entwerfen und zur Ausführung bringen muss, vielmehr kommt ihm innerhalb der nonverbalen Ausdrucksweise die Aufgabe zu, die jeweils adäquaten Mittel zu eruieren, um die Handlung als ineinandergreifende Kette aus menschlichen Aktionen und Reaktionen darzustellen und zur intendierten, bewegenden Wirkung zu bringen. Die Wirkung ist dabei entscheidend für das Reüssieren des ›Genies‹ und somit von diesem stets mitzubedenken. Allerdings ist diese Wirkung wiederum begriffl ich nicht exakt zu bestimmen; dies rührt daher, dass die dramatische Tanzform – stärker als der formale, anti-illusionisti18 | Vgl. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 3, 1206. 19 | Vgl. zur ›Rührung‹ im Diskurs des 18. Jahrhunderts auch Torra-Mattenklott, Metaphorologie der Rührung, hier insbesondere 13. 20 | Angiolini, Das steinerne Gastmahl, 179. 21 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 25. 22 | Auf die Rolle der Empfindungen wird weiter unten noch ausführlicher eingegangen.

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sche höfische Tanz – auf einem (noch) nicht kanonisierten semantischen Bewegungskodex beziehungsweise auf einem gestisch-mimischen Zeichenkomplex beruht und vorwiegend auf Erkenntnisvermögen des nicht-kognitiven Bereichs zielt. Der Diskurs spiegelt folglich begrifflich vage, bildlich beziehungsweise metaphorisch die Nicht-Rationalität des spezifischen Ausdrucks respektive der Wahrnehmung.23 Die Basis oder vielmehr die Referenz für diese neue emotionale, auch als ›natürlich‹ bezeichnete Ausdrucksweise und die entsprechende Rezeption bilden empirische Beobachtungen menschlichen Gebarens und Verhaltens. Diese rückten im Laufe des 18. Jahrhunderts – im Zuge des aufkommenden anthropologischen Interesses – immer mehr in den Fokus der Wissenschaften und der Künste und brachten mit der Zeit auch immer differenziertere und von den Praktikern – zum Teil kontrovers – diskutierte Ergebnisse.24 In Bezug auf das Ballett wurde aber zunächst noch an der rührenden Kraft des körperlichen Ausdrucks gezweifelt. Die zeitgenössischen Kritiker einer solchen Wirkungsästhetik,25 die dem Ballett eine tatsächlich ergreifende Wirkung auf die Zuschauer nicht zugestanden, haben jedoch, so schreibt Woitas, das »bereits vorhandene oder sich entwickelnde Imaginations- und Phantasiepotential ihres Publikums« erheblich unterschätzt, »das die Welt der Bühne durchaus als eigene Realität wahrnehmen und sich mit den Vorgängen in dieser Scheinwelt offensichtlich auch emotional identifizieren kann«.26 Der Mensch des zeitlich fortgeschritteneren 18. Jahrhunderts, sowohl jener auf der Bühne wie auch jener im Zuschauerraum, nahm sich als Individuum wahr, als sich und andere bewegender und zu bewegender Mensch, der imstande ist, Rührung bis zu Tränen zuzulassen respektive auszulösen. Die Ballettreform ist also nicht als plötzlicher Akt zu verstehen, der von Einzelpersonen ausgegangen ist und einen jähen Umschlag bewirkte, vielmehr ist sie komplexes Zeugnis und gleichzeitig ein Ergebnis der allgemeinen ästhetischen und anthropologischen Paradigmenwechsel.27 Dennoch – bereits die Zeitgenossen und dann auch die Forschenden nachfolgender Jahrzehnte und 23 | Vgl. zur Metaphorik auch Torra-Mattenklott, Metaphorologie der Rührung; außerdem Dies., Die Seele der Zuschauerin, insbesondere 108. 24 | Auf die konkreten Ergebnisse und Diskussionen wird weiter unten noch eingegangen. Vgl. die Kritik von Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt, darin insbesondere 445, zum Konzept des ›Natürlichen‹: »Das ›Natürliche‹, das wie keine andere Erfindung des kollektiven Imaginären das 18. Jahrhundert faszinierte, ist ein Phantom, das nicht dingfest zu machen ist, weil es immer wieder andere Gestalt annimmt.« 25 | Vgl. etwa Goudar, Le brigandage de la musique italienne, 135ff.; auch Pietro Verri schreibt in einem Brief von 1774: »Bisher hat es Noverre noch nicht verstanden, die Herzen zu bewegen«; zit. in Tugal, Jean-Georges Noverre, 112. Vgl. außerdem Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 175 beziehungsweise 290f. 26 | Ebd., 186. 27 | Auf diese allgemeinen ästhetischen und anthropologischen Paradigmenwechsel wird weiter unten noch ausführlicher eingegangen.

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Jahrhunderte haben freilich bestimmte Namen von Persönlichkeiten herausgegriffen, die in diesem Feld der Veränderungen durch besondere Leistungen hervorgetreten sind. Dies hat wiederum zu einer Personalisierung der Reformen geführt. So wird – wie bereits erwähnt – Jean Georges Noverre verschiedentlich als der Erfinder der Ballettreform bezeichnet,28 was andererseits ausführliche Widerlegungen dieser These nach sich gezogen hat.29 Diese reichen von Angiolinis Entgegnungen bis zu heutigen Einschätzungen über die Bedeutung von Noverre.30 Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung interessiert allerdings weniger, ob beziehungsweise wie der eloquente Theoretiker die kon28 | Auch Noverre selbst hat seine Briefe im Nachhinein durchaus als Auslöser einer Revolution im Tanz gesehen, vergleichbar mit jener, die Gluck in der Oper erwirkt habe; vgl. Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 1, IIIf.: »Si l’on réfléchit sur ce qu’étoit l’opéra en 1760, et sur ce qu’il est aujourd’hui, il sera difficile de ne pas reconnoître l’effet qu’on [sic!] produit mes lettres. Aussi ont-elles été traduites en Italien, en Allemand et en Anglois. La gloire de mon art, mon âge, et d’assez nombreux et brillans succès, me permettent de dire que j’ai fait dans la danse une révolution aussi frappante et aussi durable que celle que Gluck a operée depuis dans la musique.« 1760, also fast 40 Jahre vorher, hatte Noverre allerdings noch geschrieben, er wolle nicht »das Ansehen eines Reformators« erhalten, sondern dieses »auf alle Weise vermeiden«; vgl. Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 7. 29 | Vgl. den Überblick in Petermann, Nachwort, 29f., in Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette. 30 | Vgl. etwa Angiolini, Lettere di Gasparo Angiolini a monsieur Noverre sopra i balli pantomimi, zur Originalitätsfrage insbesondere 8f.: »Relativamente a quest’ epoca onorevole per l’arte nostra voi vi esprimete così: Je suis le prémier, qui ait osè ecrire, [] qui ait eu le courage de faire quitter les Sabots, les Guitares, les Rataus, e les Violes, pour faire chauffer le Cothurne à mes danseurs, [] leur faire répresenter des actions nobles, [] heroiques. Questo voi dite, scrivete, e stampate l’anno 1772. [] nella Città di Vienna, in quella Città stessa, ov’ è nato, vissuto, e morto il vero ristauratore dell’ arte pantomima, cioè Monsieur Hilverding, al quale è veramente dovuta la gloria d’avere il primo saputo scacciare i vergognosi, ed indecenti mimi dalla barbara scena; e che senza esempio e senza ajuto ha saputo portare il lume del buon gusto per entro le tenebre che avvolgevano le insulse produzioni de' Baladini.« (Hervorhebungen im Original) Vgl. auch Dahms, Jean Georges Noverre, 476, die über die Bedeutung Noverres in seiner Zeit festhält, dass dessen Neukonzeption des dramatischen Handlungsballetts zum sogenannten ›Ballet en action‹ sich parallel zur Reform des Sprechtheaters und der Oper etwa durch Denis Diderot, Gotthold Ephraim Lessing und Christoph Willibald Gluck vollzog. Vgl. außerdem Brandstetter, »Die Bilderschrift der Empfindungen«; Jeschke, Noverre, Lessing, Engel; Poesio, The language of gesture in italian dance from Commedia dell’Arte to Blasis. Zur Kontroverse zwischen Angiolini und Noverre vgl. insbesondere auch Petermann, Nachwort, 39, in Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette; Levinson, Jean-George Noverre und die Ästhetik des Balletts, 62ff.; Tugal, Jean-Georges Noverre, 91ff.

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krete Praxis des Balletts reformiert hat, sondern vielmehr, an welche ästhetischen Diskurse er in seinen Schriften anknüpft und wie er dabei in Bezug auf den Tanz einen spezifischen Diskurs der doppelten Bewegung führt. Noverres Schriften stießen bei den Zeitgenossen auf großes Interesse.31 Auch wenn sie bezüglich Funktion, Möglichkeiten und Ausführung der Tanzkunst verschiedentlich Kontroversen auslösten, gehörten sie zum ästhetischen Kanon der Zeit. Sulzer bezeichnet Noverre als »Balletmeister von wahrem Genie«32 und schreibt über dessen Bedeutung für die dramatischen Künste: »Hohe pantomimische Tänze sind erst seit wenig Jahren von Noverre bey Schauspielen eingeführt worden, nachdem er vorher in seinen über das Tanzen herausgegebenen Briefen […] die Theorie dieser Tänze mit vieler Gründlichkeit entworfen hatte. Man kann den Balletmeistern sowol diese Briefe, als die verschiedenen Entwürfe, die dieser geschikte Mann von seinen in Wien aufgeführten pantomimischen Balletten herausgegeben hat, nicht genug empfehlen.«33

Der berühmte englische Schauspieler und insbesondere Shakespeare-Darsteller David Garrick soll Noverre ehrfurchtsvoll den »Shakespeare des Tanzes« genannt haben,34 und Voltaire schrieb über Noverres Verdienste um die Künste in einem Brief an ihn: »Votre titre n’annonce que la danse, et vous donnez de grandes lumières sur tous les arts.«35 Der Tanztheoretiker hatte mit seinen Lettres sur la danse, et sur les ballets offenbar die Paradigmen der Zeit erfasst und – auf das Ballett bezogen – zu Papier gebracht. Auch wenn er in seinen späteren Schriften, die kaum mehr rezipiert wurden beziehungsweise werden, einige Ideen wieder revidierte,36 hat sein theoretisches Werk den Diskurs über Tanz nachhaltig geprägt.37 So empfiehlt denn auch der österreichische Kritiker und Dramatiker Cornelius Hermann von Ayrenhoff im Jahr 1794 in seiner Schrift Über die theatralischen Tänze, und die Balletmeister Noverre, Muzzarelli und Vigano die Briefe und Werke des »in seiner Art einzige[n] Noverre«,38 während er über die Tanztheoretiker aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sagt, sie hätten sich zwar bemüht, die »zerstreuten Nachrichten aus den Schriften der Alten zu sammlen«, gleichwohl hätten sie aber »am Ende ihrer Arbeit ihre Unvermögenheit be-

31 | Vgl. dazu u.a. Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 257. 32 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 423. 33 | Ebd., Bd. 4, 422. 34 | Vgl. u.a. Levinson, Jean-George Noverre und die Ästhetik des Balletts, 7. 35 | Voltaire zit. in: Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 8. 36 | Vgl. etwa Noverre, ebd., Bd. 2, 230, wo er Fehler und Täuschungen einge-

steht. 37 | Vgl. auch den Forschungsbericht von Petermann, Nachwort, 4ff., in Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette. 38 | Ayrenhoff, Über die theatralischen Tänze, 5 (Hervorhebung im Original).

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kannt[], etwas Zusammenhängendes, Etwas von einem theoretischen Werthe, aufzustellen«.39 Der theoretische Wert von Noverres Schriften liegt in einer breiten, an aktuelle ästhetische Paradigmen anschließenden und die verschiedensten Aspekte umfassenden Umdefinition des Balletts bei einer klaren Absage an die bisherige zeitgenössische Tanzpraxis. Noverre negiert im Vergleich mit anderen Künsten und ihren berühmten Vertretern eine äquivalente historische Traditionslinie im Ballett: »Warum können wir den Namen dieser großen Männer [d.s. Racine und Raphael, C.T.] nicht auch die Namen der Balletmeister, die zu ihrer Zeit die berühmtesten waren, beyfügen! Aber kaum kennt man sie; und gleichwohl liegt die Schuld nicht an der Kunst«, 40 schreibt Noverre und bezeichnet die existierenden Ballette als »weiter nichts als schwache Entwürfe von dem […], was sie einmal seyn können«. 41 Dabei unterscheidet er zwischen der »danse méchanique ou d’exécution«, die er als unvollständig bezeichnet, und der »danse pantomime ou en action«, die umfassend seinen Vorstellungen von Tanz entspricht. 42 Während der mechanische Tanz lediglich zu den Augen spreche und ihnen schmeichle durch die Symmetrie der Bewegungen sowie die brillanten Schritte, sagt Noverre über die zweite Art zu tanzen, das Handlungsballett oder die ›danse en action‹, diese sei, »si j’ose m’exprimer ainsi, l’âme de la première; elle lui donne la vie et l’expression, et en séduisant l’oeil elle captive le coeur, et l’entraine aux plus vives émotions; voilà ce qui constitue l’art«. 43 Damit definiert Noverre die ›Danse d’Éxecution‹ als Unterkategorie der ›Danse en Action‹; er beschreibt quasi Erstere als leeren, mechanischen Körper, dem mit der zweiteren, neuen Tanzart die Seele hinzugefügt wird. 44 Dabei 39 | Ebd., 7. Der Autor beklagt allerdings ebd., 5, dass in der Wiener Ballettpraxis die Lehren Noverres »hier mehr als anderswo vergessen zu seyn« schienen. 40 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 3. 41 | Ebd., 4. 42 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 106 (Hervorhebungen im Original). 43 | Ebd., Bd. 2, 106. An anderer Stelle, ebd., Bd. 3, 53f., beschreibt Noverre seine Vorstellung von dramatischer Ballettpantomime als aus drei Elementen bestehend: dem Tanz, dem Ballett und der Pantomime. Die jeweiligen Anteile definiert er da folgendermaßen: »La danse est l’art des pas, des mouvemens gracieux et des belles positions. Le ballet, qui emprunte de la danse une partie de ses charmes, est l’art du dessin, des formes et des figures. La pantomime est purement celui des sentimens et des affections de l’âme exprimés par les gestes […]; ces trois choses réunies et mises ensomble composent un ballet en action, ou un Drame-Ballet-Pantomime.« 44 | Claudia Jeschke unterscheidet in ihrer Körpertypologie in Körper/Bühne/ Bewegung, 3ff., den mechanistischen Körper des 17. Jahrhunderts, der formal fixierbare und technisch vermittelbare Elemente betone, und die Vorstellung vom instrumentalen Körper im 18. Jahrhundert, wobei neue technische Qualitäten neue Ausdrucksformen ermöglicht hätten. Zu Noverres Veränderung der Ansichten über Tanz schreibt Sibylle Dahms in Jean Georges Noverre, 476: »Noverres radikale Ab-

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greift er auf anthropologische und sensualistische Begriffe wie ›Leben‹, ›Herz‹, ›Seele‹ und ›Emotionen‹ zurück, die er mit seduktiven beziehungsweise kaptivativen Verben wie ›verführen‹, ›mitreißen‹ und ›fesseln‹ verbindet. Die Metaphorik, die Noverre in dieser und in anderen Passagen wählt, lehnt sich nahe an die geschilderten konkreten Vorgänge an. Durch die Beschreibung der Prozesse im Theater – beziehungsweise im Tänzer sowie im Zuschauer – wird sprachlich ein semantisches Feld kreiert, das nicht mehr zwischen Konkretem und Metaphorischem unterscheiden lässt. Sinnbildlich suggeriert Noverre nämlich in dieser Definition, dass der Körper im überholten Tanz gleichsam tot sei, jedoch im neuen Ballett durch eine Beseelung (re-)animiert werden könne. So steht denn metaphorisch in der Schrift wie auch konkret auf der Bühne der lebendige, beseelte Körper für den neuen Tanz.

Ak tion und Begrif f Dieser neue Tanz hat – so das Programm – die Technik der Virtuosität durch die Zeichen der Empfindsamkeit ersetzt: Er verfügt über den lebendigen Ausdruck, er verführt (und blendet nicht nur) die Augen, er fesselt das Herz und reißt es zu lebendigen Emotionen mit. Durch die Metaphorisierung beziehungsweise Metonymisierung physischer Vorgänge mittels einer psychophysischen Begrifflichkeit verschränkt Noverre die Praxis und die entsprechende Sprache dafür auf eine Weise, die die Grenzen zwischen beiden Bereichen verwischt, so dass diese nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Der Diskurs der Bewegung triff t beziehungsweise zielt auf die dingliche Bewegung und umgekehrt, d.h. mit dem bewegten Körper wird fortan ein Empfinden assoziiert und mit der Empfindung ein bewegter Körper oder zumindest bewegte Teile eines Körpers wie etwa das Herz. Dieses steht als organische Synekdoche für das pulsierende Leben, für den Umlauf lebendiger Substanzen wie auch für die lebendige Präsenz. Für eine solche – anthropologische – Verschränkung schien der Tanz als Kunst der Bewegung schlechthin den Ballettreformern geradezu prädestiniert zu sein. Aus diesem Bewusstsein heraus ordnet Noverre denn auch die Hierarchie der Künste neu, indem er bezüglich der ›neuen‹ Tanzkunst befindet, dieser stehe die erste Stelle in der Rangfolge zu. 45 Die Abhandlungen zum Tanz und die Traktate des 18. Jahrhunderts kreieren den Diskurs der doppelten Bewegung nicht allein zur Etablierung einer bisher untergeordneten Darstellungsform, sie arbeiten vielmehr mit aller sprachlichen Kraft an einer Vormachtstellung der bewegten Kunst innerhalb der Ästhetik. Nicht nur die einzelne Bewegung erfährt nämlich eine metaphorische Assoziierung, das Ballett wird gar zur herausrakehr vom barocken Regelkanon, d.h. von einem begrenzten Repertoire tänzerischer Bewegung sowie von streng symmetrisch strukturierten choreographischen Formen, begann nach eigenen Angaben um 1757 während seines zweiten Engagements als Ballettmeister an der Opéra Lyon.« 45 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 72.

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genden allegorischen Handlung erhoben. In diesem Sinne schreibt etwa Sulzer in seinem Eintrag über das Ballett: »[Es] [i]st die Nachahmung einer interessanten Handlung durch den Tanz. Einigermaßen ist es eine durch den Tanz hervorgebrachte allegorische Handlung. […] [D]urch das Ballet wird der Geist dieser Handlung und die Aeußerung der verschiedenen dabey vorkommenden Leidenschaften durch bloße Stellung, Gebehrden und Bewegung, von Musik begleitet, vorgestellt.«46

Die getanzte Handlung wird zur Allegorie der Leidenschaften. Die Aktion auf der Bühne ist damit, folgt man der Argumentation, immer auch die Darstellung einer Vorstellung, die nicht (nur) in der Handlung selbst zu verorten ist, d.h. einer über- beziehungsweise beigeordneten, nicht dinggebundenen Qualität, die Sulzer Leidenschaft nennt. Auch hierbei fällt die Verschränkung von Aktion und Begriff auf. Diese Engführung macht Noverre buchstäblich wörtlich vor, wenn er in einem Brief an Voltaire das Ballett mit einem sprachlichen Gebilde, dem Gedicht, gleichsetzt; in seiner retrospektiven Anleitung zum Ballett will er den Tanz zum Sprechen bringen, um Gefühle auszudrücken: »Depuis plus de six années que je me suis attaché à donner une nouvelle forme à la danse, j’ai senti qu’il étoit possible de faire des poëmes en ballets: j’ai abandonné les figures simétriques, j’ai associé aux mouvemens méchaniques des pieds et des bras, les mouvemens de l’âme, et les caractères variés et expressifs de la physionomie; j’ai proscrit les masques et me suis voué à un costume plus vrai, et plus exact. […] [L]a nature que j’ai pris pour guide et pour modèle, m’a fourni les moyens de faire parler la danse, de lui faire peindre toutes les passions, et de la placer au rang des arts imitateurs.« 47

Die Absage an die Symmetrie, 48 die ›Beseelung‹ der mechanischen Bein- und Armarbeit und die Aufwertung des expressiven ›natürlichen‹ Gesichts- und Körperausdrucks durch Abschaff ung der Masken sowie die Reform der Kostüme sind die konkreten Maßnahmen, die Noverre, wie er schreibt, unternommen hat, um – nach dem Modell der Natur – auf der Bühne den Eindruck zu erwecken, der Tanz spreche und male Leidenschaften wie ein Gedicht. 49 Im Text wird also deutlich, dass sich der Tanz sowohl ideell (»guide«, »modèle«) auf 46 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, 215. 47 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 1. 48 | Vgl. in Bezug auf die Symmetrie auch den ersten Brief in Noverre, Briefe

über die Tanzkunst und über die Ballette, 8: »[I]n allen Scenen, die Handlung haben, muß die Symmetrie nothwendig der Natur weichen.« 49 | Vgl. dazu auch Ayrenhoff, Über die theatralischen Tänze, 22f., der die Engführung von Tanz und Gedicht aufnimmt und in Bezug auf Noverre schreibt: Das Ballett sei ein »Poem, welches Materie, Form und Figur haben müsse«, wobei er unter ›Form‹ die »sinnreiche Anordnung des vorgestellten Sujets« versteht und unter

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die Natur beziehen soll, als auch konkret, indem verschiedene Arten der Formalisierung der Bewegung (»figures simétriques«, »mouvemens méchaniques«) und der Verstellung des ›natürlichen‹ Körpers (»masques«, »costume«) abgeschaff t werden zugunsten einer sichtbaren äußeren Physiognomie und einer ebenso wahrnehmbaren inneren Seelenbewegung.50 Die ›Naturalisierung‹ von Körperbewegung findet somit nicht nur in der physischen Aktion (Körper) auf der Bühne statt, sondern auch – und dies prominent – in Gedanken (Geist), wobei man sich diese Gedanken als explizite begriffliche (Text) sowie als implizite nonverbale (Vorstellungen der Rezipienten) zu denken hat. Körper und Geist gehen somit in Noverres Konzept des neuen Tanzes eine Verbindung ein, die den Dualismus von ›res extensa‹ und ›res cogitans‹ Descartes’scher Prägung hinter sich lässt. Solche Überlegungen Noverres zeigen, dass dieser nicht etwa als schreibender Tanzmeister und -choreograph zu vernachlässigen ist, wie dies außerhalb der Tanzwissenschaft bis heute oft geschieht –, er lässt sich vielmehr auch allgemein unter die Ästhetiker des 18. Jahrhunderts einreihen, was seine Zeitgenossen durchaus erkannt hatten. So schrieb etwa Sulzer, Noverre habe »seine Kunst mit dem Auge eines Philosophen beleuchtet«.51 Das Insistieren auf der Handlung hat nämlich nicht nur stilistische Bedeutung für den tänzerischen Ausdruck, vielmehr verweist es zurück auf das aristotelische Konzept, wonach die Tänzer »mit Hilfe von Rhythmen, die die Tanzfiguren durchdringen, Charaktere, Leiden und Handlungen« nachahmen.52 Jeder Tanz, der »nicht eine bestimmte Handlung, mit Verwiklungen und Auflösungen deutlich und ohne

›Figur‹ »die verschiedenen kleinern Theile, welche gemeinsam zur Vollendung des Ganzen beyzutragen haben«. 50 | Vgl. zu den Neuerungen auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 174: »Psychologische Schattierungen ersetzen hier das Affektschema, und individueller Ausdruck löst die Symmetrie als choreographisches Prinzip und den von der Académie de Danse diktierten Bewegungskanon ab.« Vgl. außerdem Dahms, Jean Georges Noverre, 476, wonach der gesamte menschliche Körper nach der Ballettreform »zu einem sensiblen, dynamisch höchst differenziert agierenden Instrument im Dienst eines lebendigen dramatischen Ausdrucks werden« sollte, »wobei gleichzeitig die Aufgabe symmetrischer Choreographien zugunsten ›malerischer Gruppierungen‹ gefordert wurde«. 51 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, 215. 52 | Aristoteles, Poetik, 5. Vgl. auch Woitas, Anmerkungen zum Wandel des Darstellungsstils im Tanztheater des ausgehenden 18. Jahrhunderts, 90; sie weist ebenfalls darauf hin, dass sich Noverre auf die aristotelischen Kategorien von ›Handlung‹ und ›Charakter‹ konzentrierte, »die jetzt allein durch das dem Tanz adäquate Medium der Bewegung dargestellt werden sollen«. M.E. tilgt allerdings in dieser Formulierung das Beiwort »allein« den vielfältigen neuen Bedeutungshorizont von Bewegung.

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Verwirrung vorstellt«, sei – so schreibt wiederum Sulzer – für Noverre »eine bloße Lustbarkeit«.53 In der ernsthaften Tanzkunst herrschen weiterhin strenge Gesetze, die allerdings – zumindest vom expressiven Anspruch her – diametral den Regeln und Kodes der Académie de Danse widersprechen. Es geht Noverre in seiner Anleitung nicht mehr technisch um regelmäßige Formen, sondern – ganz philosophisch – um ›Wahrheit‹ und um das Verhältnis von Natur und Kunst. In diesem Sinne definiert er die ›danse en action‹ folgendermaßen: »Hier muss der Tanz mit Feuer und Nachdruck sprechen. Hier lassen sich keine symmetrisch angemessene Figuren anbringen, ohne Wahrheit und Wahrscheinlichkeit zu beleidigen, ohne die Handlung und den Antheil, den die Zuschauer daran nehmen sollen, zu schwächen. Eine solche Scene muß nichts als eine schöne Unordnung zeigen, und die Kunst des Kompositeurs muß hier bloß die Natur zu verschönern suchen.«54

Um mit »Feuer und Nachdruck sprechen« zu können, muss der Tanz also imitierend auf die ›Natur‹ zurückgreifen und sich ihrer Ordnung, d.h. einer »schöne[n] Unordnung«, anpassen. Dabei darf der Schöpfer eines Balletts sich die ›Natur‹ nicht ordnend unterwerfen – wie es die absolutistisch geprägte Kunst vorsah –, er soll vielmehr innerhalb der Regeln der ›Natur‹ und ganz im Sinne der damaligen Kunstauffassung lediglich verschönern, was bereits in der ›Natur‹ angelegt ist. Was damit genau gemeint war und wie das Verhältnis von ›Natur‹ und ›Kunst‹ auszusehen hatte, bestimmte allerdings erneut der Diskurs. Der Diskurs der ›Natürlichkeit‹ im Tanz war eng gekoppelt an jenen von der ›Ursprünglichkeit‹ der tänzerischen Bewegung. Diesen wiederum prägte die im 18. Jahrhundert verbreitete (sowie verklärende) Antikenrezeption. Daran knüpft Ayrenhoff direkt an, indem er behauptet: »Alle kritische Betrachtungen über die schönen Künste ziehen natürlicher Weise unsern Blick nach dem entfernten Alterthume hin, von dem sie auf uns gekommen sind. Die Tanzkunst, die bey den Alten in so hohem Werthe stand, scheinet diese Hinsicht noch mehr als jede andre Kunst zu erheischen.«55 Mit dem Verweis auf das Altertum verband sich also eine, wenn auch diffuse, historische Fundierung und eine Rückbesinnung auf eine verloren gegangene Wertschätzung. Die Antike diente freilich nicht nur der Tanzkunst 53 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, 215. Vgl. auch Levinson, Jean-George Noverre und die Ästhetik des Balletts, 30f., der in Bezug auf Noverres Briefe festhält: »Das echte Ballett ist vor allen Dingen Tanz als Handlung (oder: Handlung als Tanz) […]. Doch muß die tragische Art in der hohen Ballettkunst obenan stehen; das Ballett muß, um sich zu wahrer sittlicher Höhe zu erheben, nicht etwa bäurische Derbheit darstellen, sondern differenzierte Gefühle edler Menschen.« (Hervorhebungen im Original) 54 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 9f. 55 | Ayrenhoff, Über die theatralischen Tänze, 6.

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als Referenz.56 Vor allem die von den Griechen und Römern entwickelte und gepflegte Pantomime interessierte aber insbesondere die Ballettreformer des 18. Jahrhunderts und beginnenden 19. Jahrhunderts, weil diese darin eine willkommene Erweiterung, ja sogar eine Basis für ihre Vorstellung von Tanz sahen.57 In der expressiven Kraft der nonverbalen pantomimischen Ausdrucksweise glaubten sie eine originäre ästhetische Rechtfertigung und ein Modell für ihre neu zu definierende Kunst zu erkennen.58 Carlo Blasis schreibt später in The code of Terpsichore von 1830: »Pantomime is, undoubtedly, the very soul and support of the Ballet. The art of gesture possesses powers capable of raising interest, unknown to the generality of artists.«59 Die Ausdruckskraft, die Blasis der Pantomime vor allem auch in Bezug auf das Ballett zuschreibt, ist also keine Neuentdeckung des 18. Jahrhunderts, vielmehr wird sie von Blasis und anderen Ballettreformern auf eine theatrale Tradition zurückgeführt, die unter dem metaphorischen Diktum der Verlebendigung der Kunstform wiederum ihrerseits wiederbelebt werden sollte. Nicht mehr die technische Virtuosität der Tänzer oder die möglichst komplexe Komposition von formalen Tanzfiguren galt ihnen als Qualitätsmerkmal des Balletts, sondern die bewegende Kraft des bewegten Ausdrucks und die Nachvollziehbarkeit beziehungsweise Glaubwürdigkeit der dramatischen Darstellung.60 Gewähren sollte dies fortan die nonverbal durch

56 | Vgl. zu den Bezügen zwischen Antike und Moderne etwa Jens u.a. (Hg.), Ferne und Nähe der Antike. 57 | Vgl. etwa Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 4, der von den Ballettkünstlern seiner Zeit fordert, dass sie »die Kunst der Gebehrden, die Pantomime, die zu den Zeiten des Augustus so bekannt war, wieder herstellen«. Zum Verhältnis von antiker Pantomime und dem Ballett des 18. Jahrhunderts vgl. auch Ayrenhoff, Über die theatralischen Tänze, 10, 12; außerdem Poesio, The language of gesture in italian dance from Commedia dell’Arte to Blasis, 23; Sträßner, Tanzmeister und Dichter, 7 beziehungsweise 91. 58 | Vgl. Foster, Choreography & narrative, 13. Vgl. aus der Zeit beispielsweise Ayrenhoff, Über die theatralischen Tänze, 11, der in der »hohe[n] Kraft des Ausdrucks« der Pantomime nicht etwa »eine Redner-Blume, sondern Wahrheit im strengsten Verstande« erkennen will. Dagegen hat Noverre in seinen späteren Schriften die Bedeutung der Pantomime für den Tanz stark relativiert, indem er u.a. in seinen Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 77, schreibt: »Les pantomimes n’étoient point des danseurs; mais simplement des gesticulateurs«; vgl. außerdem ebd., 105: »Nonobstant ces taches que le temps et la réfléxion éffaceront sans doute; je crois que cet art enchanteur qui fait les délices de nos spéctacles, n’éxistoit ni à Athènes, ni à Rome, et je lui accorde une préférence obsoluë sur ces mimes, qui n’avoient que des gestes de convention, et qui ignoroient parfaitement la danse.« Und ebd., Bd. 3, 53: »[L]a pantomime est de tous les arts imitateurs le plus borné.« 59 | Blasis, The code of Terpsichore, 111. 60 | Vgl. auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 71.

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Bewegung sprechende, pantomimische Geste als grundlegender Bestandteil des dramatischen Balletts.61 Die Ballettreform kann somit unter diesen Gesichtspunkten nicht eigentlich als eine vollständige Er-Neuerung der Kunstform Tanz gesehen werden, viel eher bietet sie sich als ein Umschwenken auf eine andere Traditionslinie der theatralen Künste dar. Diese setzte direkt dort wieder an – oder man glaubte zumindest, dort anzusetzen –, wo der Theatertanz nach der Antike stehen geblieben war. Ob die Reformer den formalen Tanz aus ihren Vorstellungen verbannten, wie dies Angiolini und anfangs Noverre forderten, oder als unterbeziehungsweise nebengeordneten Bestandteil weiterverfolgten, wie Blasis es tat, der Fokus lag nicht mehr auf der technischen Bewegung, sondern auf der bewegend wirkungsvollen, auf der dramatisch sprechenden.62 Die Sprache dieser Bewegungen beziehungsweise der Gesten etablierte sich neben der wörtlichen Sprache auf der Bühne als gleichwertiges Zeichensystem.63 Damit gingen Tanz und Schauspiel sowie deren Theorien einig.64 Laut Johann Jakob Engel 61 | Vgl. dazu Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 1, VII.: »Il y a sans doute une foule de choses que la pantomime ne peut qu’indiquer, mais dans les passions il est un dégré d’expression que les paroles ne peuvent atteindre, ou plutôt, pour le quel il n’est plus de paroles. C’est alors que la danse en action triomphe. Un pas, un geste, un mouvement et une attitude disent ce que rien ne peut exprimer: plus les sentimens que l’on a à peindre sont violens, moins il se trouve de mots pour les rendre. Les exclamations qui sont comme le dernier terme où le langage des passions puisse monter deviennent insuffisantes et alors elles sont remplacées par le geste.« Vgl. dazu außerdem Foster, Choreography & narrative, 8: »In order to accommodate the story ballet’s need to substitute gestures for words, choreographers drew from the rich vocabulary of pantomimed expressions of the hands and face that could be used to depict all the flirtations, arguments, schemes, and discoveries that propelled the action forward […], these semaphoric signals interrupted the virtuoso performance of dancing prowess at the same time that they clarified the story.« 62 | Vgl. dazu auch Anonymus, Versuch über die Pantomimische Tanzkunst, zit. in Woitas, »… und Vestris muss verstummen«, 326, in Bezug auf den Tanz: »Der redende, sprechende Tanz wird immer den Vorzug vor demjenigen haben, welcher nichts als ein Allegro oder Andante künstlicher Schritte ist, welche verbunden mit dem gewöhnlichen Balancement der Arme, nichts bedeuten, als eine fertige und geschickte Bewegung eines Tanzmeisters. Der schöne Tanz, der Tanz der göttlichen Terpsichore muss also Sprache enthalten und diese Sprache muss uns verständlich seyn.« 63 | Vgl. auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 255; außerdem Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters, 121ff., die insbesondere auf Diderots Schriften und deren Rezeption in Deutschland u.a. durch Lessing und Engel verweist. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang ebd., 454, auch Johann Friedrich Löwens 1755 in Hamburg erschienene Schrift Kurzgefaßte Grundsätze von der Beredsamkeit des Leibes. Vgl. dazu auch Sträßner, Tanzmeister und Dichter, 63. Engel zitiert Löwen in seinen Ideen zu einer Mimik, insbesondere Bd. 1, 72ff. 64 | Monika Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 5, spricht von einem bemerkenswer-

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verbinden sich die Künste Schauspiel und Tanz nämlich in der Pantomime. So hebt Engel in Bezug auf das Theater ausgerechnet Noverre als den eigentlichen Wiederentdecker der Pantomime hervor, indem er diese als »eigne mögliche Gattung von Schauspiel« definiert, als »eine Gattung, die gleich Anfangs bei ihrem Ursprunge, und noch unlängst bey ihrer Wiedererneuerung durch den berühmten Noverre, den ausgezeichnetsten Beyfall erhalten«.65 Von der Pantomime versprachen sich die Zeitgenossen, dass sie als konstitutives Paradigma im Tanz wie auch im Schauspiel neue Formen hervorbringen sollte,66 die sich durch die Orientierung an einem nicht zufällig in weiter Vergangenheit liegenden »Ursprung« legitimierten. Die vage Referenz ließ dabei viel Spielraum für Neuinterpretationen in diesem diff usen semantischen Feld der Körpersprache. Die Theoretiker und auch die Praktiker des Handlungsballetts mussten also keine neue Gestensprache erfinden, sie gaben vielmehr an, auf bestehende dramatische Formeln zurückgreifen zu können.67 Noverre etwa verweist auf das konventionalisierte Gestenrepertoire der antiken Pantomimen, die ganze »dictionnaires explicatifs de tous les gestes possibles« zur Verfügung gehabt hätten, macht dazu allerdings keine genaueren Angaben.68 Es fällt auf, dass kein konkreter solcher Diktionär aus der Antike sich als Kanon eines Gestenrepertoires, auf das alle zugegriffen hätten, durchsetzt.69 Vielmehr wird von Theoretikern des Tanzes und auch anderer schöner Künste verschiedentlich die Forderung nach einem neuen Kompendium der Gesten laut, das sich allerdings an die Antike anlehnen und damit wiederum auf einen – imaginären – »Ursprung« verweisen sollte. Lessing etwa versprach, ein solches Nachschlagewerk, ein »Werk, worin die Grundsätze der ganzen körten Schulterschluss zwischen Sprech- und Tanztheater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, »da in beiden Sparten nunmehr vermehrt theaterspezifische Probleme ins Blickfeld theoretischer Überlegungen rücken«. Vgl. außerdem ebd., 255. 65 | Engel, Ideen zu einer Mimik, Bd. 2, 18 (Hervorhebung im Original). Vgl. zur neuen Funktion der Bewegung in den Schauspieltheorien des ausgehenden 18. Jahrhunderts auch Jeschke, Noverre, Lessing, Engel, 96; außerdem Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 144. 66 | Vgl. etwa Blasis, The code of Terpsichore, 139f.: »Pantomime is now capable of explaining our feelings almost as perfectly as the voice; and, as we have already observed, it expresses the transports of passion even more energetically.« Vgl. auch Sträßner, Tanzmeister und Dichter, 10f. 67 | Vgl. dazu auch Poesio, The language of gesture in italian dance from Commedia dell’Arte to Blasis, 101; ebd., 23, nennt er etwa Isaac Vossius’ De Poematum cantu et viribus Rhytmi von 1673 als einen Referenztext bei der »rediscovery of mime«. 68 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 3, 53. 69 | Vgl. auch Barnett, The art of gesture, insbesondere 14f. Diderot, Batteux, Engel u.a. bezogen sich vielmehr auf den französischen Hofmaler Charles Le Brun und dessen in Bildern und Abhandlungen skizziertes und kategorisiertes Ausdrucksrepertoire. Vgl. Le Brun, L’expression des passions; vgl. dazu auch Foster, Choreography & narrative, 16, 33, 106ff.

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perlichen Beredsamkeit entwickelt werden«, zu schreiben, dieses blieb jedoch Fragment.70 Sulzer verlangte in seiner Allgemeine[n] Theorie der Schönen Künste unter dem Lemma »Gebehrden (Schöne Künste)« eine zeichnerische Sammlung von Gebärden, um den Weg zu bahnen, »dem Redner, dem Schauspieler, dem Mahler und dem Tänzer den wichtigsten Theil der Kunst zu erleichtern«.71 Er begründet dies wiederum mit der intendierten Wirkung der Kunst auf die Zuschauenden: »Für den Schauspieler und für den Tänzer ist nichts so wichtig, als die Kunst der Gebehrden. Besitzt er diese, so ist er Meister über die Empfindung der Zuschauer; sind seine Gebehrden unnatürlich, so wird sein ganzes Spiel unerträglich.«72 Die Beherrschung der Gebärden geht also einher mit der Herrschaft über das Publikum im Theater. Das Wechselspiel von Ausdruck und Wirkung funktioniert – so sieht es die Theorie vor – als doppelte ›natürliche‹ Aktion, in der sich die Schauspieler respektive Tänzer ›natürlich‹ – das heißt in diesem Fall: ihren Empfindungen folgend – geben und die Zuschauenden sich selbst ebenso wiedererkennen sollen.73 Das Interesse am ›natürlichen‹ – also weder formalisierten noch stilisierten – Ausdruck und seiner Wirkung sowie die Idee, diese überhaupt kennen und damit operieren zu können, rührt von einer neu in den Fokus der Theorie gerückten Anthropologie ab Mitte des 18. Jahrhunderts.

Anthropologisierung der Bewegung Sowohl bezüglich der Vereinigung von Leib und Seele, als auch in der Lehre von den Affektionen der menschlichen Sinne und im anti-rhetorischen Paradigma der ›Natürlichkeit‹ verbinden sich im 18. Jahrhundert Ästhetik und Anthropo-

70 | Vgl. Lessing, Der Schauspieler, 723ff., hier insbesondere 731. Lessing hat ein solches Werk bereits im ersten Stück seiner Theatralischen Bibliothek, am Ende des Auszugs aus dem »Schauspieler« von Rémond de Sainte Albine, 1754/55 angekündigt: »Ich hoffe ehestens Gelegenheit zu haben, mich weitläufiger hierüber zu erklären, wenn ich nämlich dem Publico ein kleines Werk ›Über die körperliche Beredsamkeit‹ vorlegen werde«; vgl. Lessing, Werke, Bd. 4, 912. Engels zwei Bände Ideen zu einer Mimik erschienen dann erst 1785/1786. Vgl. zu Gestenkompendien und -theorien des 18. Jahrhunderts Barnett, The art of gesture, außerdem Ballhausen, Der Wandel der Gebärde. 71 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, 245. 72 | Ebd., Bd. 2, 247. 73 | Vgl. auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 255, die festhält, dass sich dabei das Verhältnis des Darstellers zu seiner Rolle ebenso ändern musste wie das Rezeptionsverhalten des Zuschauers. Vgl. außerdem Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 24, der anmerkt, dass die Sprache der Gebärden seit der Antike als Ergänzung zur Poesie gesehen werde, dass aber das u.a. von Sulzer »angeregte Interesse für die ›Abbildung des innern Zustandes der Menschen‹ […] ein gänzlich neues« sei.

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logie.74 Der leibhaft präsente, bewegte Körper auf der Bühne wird zur Chiffre für anthropologische Betrachtungen.75 Seine Aktionen bilden nicht mehr vorrangig gesellschaftliche Strukturen, Konstitutionen und Codes ab, wie sie im höfischen Kontext noch im Vordergrund gestanden haben, sie sollen vielmehr Teil eines Wechselprozesses zwischen Individuen sein. Das Individuum als anthropologische Figur gilt nämlich als gleichermaßen mit einem ausdrückenden und einem aufnehmenden Körper ausgestattet, mit einem Außen- und einem damit korrespondierenden Innenleben.76 Man sucht – vor allem in der Tanz- und in der Schauspieltheorie – nach dem ›commercium mentis et corporis‹, nach einer (dynamischen) Verbindung von Körper und Geist beziehungsweise Seele.77 Die psychophysische Wechselwirkung wird unter der Bezeichnung ›Influxus physicus‹ systematisch untersucht. Dabei ist allgemein die Rede von einem wechselseitigen, »natürlichen Einfluß

74 | Vgl. dazu Menninghaus, Das Versprechen der Schönheit, 8; Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, insbesondere 10. 75 | Vgl. auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 253; außerdem Käuser, Körperzeichentheorie und Körperausdruckstheorie, 39, der insbesondere den Schauspieler als das »Medium« bezeichnet, »in dem anthropologische Veränderungen veranschaulicht werden, die theoretische Inkarnation, in der im 18. Jahrhundert besonders die Frage von Individualität und Person […] erörtert werden.« 76 | Vgl. dazu u.a. Blasis, The code of Terpsichore, 117: »The outward motions of the body are effected by the influence of the inward operations of the mind.« 77 | In Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 23, 981, von 1740 wird die Seele als ein Geist bezeichnet. Vgl. auch Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 9, 2853f., wonach »die seele als ein geist oder geistiges wesen gedacht« wird und es außerdem heißt: »am häufigsten werden indes seele und geist zusammen genannt, […] sie werden meist als identisch gedacht, […] dies hängt damit zusammen, dasz in dem inneren wesen des menschen mehrere theile unterschieden und zugleich der begriff seele in verschieden weitem umfange genommen wird, sodasz er bald alle fraglichen theile zusammenfaszt« (Hervorhebung im Original); ›Seele‹ bildet also einen Überbegriff für das innere Wesen des Menschen. In Campes Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 4, 368, aus dem Jahr 1810 wird die Seele als Synonym für »[d]as Leben, die Lebenskraft« bezeichnet. Diese Defi nition gibt Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 2, 512f., von 1796 für ›Geist‹, der auch als »[d]ie mit dem menschlichen Körper verbundene einfache Substanz, welche mit der Kraft zu denken und zu wollen begabet ist, die Seele« bestimmt wird; umgekehrt nennt Adelung, ebd., Bd. 4, 11f., die Seele als das »Wesen, welches in uns denkt, Verstand und Willen hat, ein mit einem organischen Körper verbundener Geist«, und schreibt dem mit einer »vernünftigen Seele begabte[n] Geschöpf« ein »Empfindungs- und Begehrungsvermögen[]« zu. Seele und Geist werden also in der Folge gemäß dem zeitgenössischen Begriffsverständnis (beinahe) synonym gebraucht, wenn die Rede vom ›inneren‹ Menschen ist.

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[…] von der Seelen in den Cörper und von dem Cörper in die Seele«, wie es etwa in Zedlers Universal-Lexicon von 1740 heißt.78 Demnach habe »die Seele eine Kraft in den Cörper […], so daß nach ihrem Belieben in ihm den Vorstellungen und Begierden gleichförmige Bewegungen erreget würden, dergleichen wieder von ihm vermittelst der Bewegungen in dem Beleben, den Geistergen in die Seele geschähe, und auf solche Art die Seele in den Cörper und der Cörper in die Seele einen Einfluss thäte.« 79

Die Wechselwirkung vollzieht sich somit – gemäß der Beschreibung – über die Bewegung, die für den dynamischen Prozess einer gegenseitigen Reizung beziehungsweise Belebung steht. Wie allerdings diese Belebung genau aussieht respektive zustande kommt, wird nicht erklärt, sondern vielmehr vorsätzlich ausgespart. In dem Eintrag wird die ›hypothesis influxus physici‹ auf Aristoteles zurückgeführt und gegen Einwände wie etwa jene von Christian Wolff verteidigt, der den wechselseitigen Einfluss nicht gelten lassen will, weil er empirisch nicht beweisbar sei.80 Entgegen dem u.a. von René Descartes beeinflussten Denken, dass »die Welt, dazu auch die Seele gehöret, eine Maschine sey«,81 die gemessen und begriffen werden kann und in der der einzelne Mensch nur ein Teil unter vielen ist, werden nun Erklärungen für dynamische Vorgänge gesucht, die sich auf den Menschen als Individuum beziehen. Mit der neuen Anthropologie und dem Konzept eines Individuums, bei dem Außen- und Innenleben, Körper und Seele, in Einklang sind, bildet sich ein neues Verständnis von Körper und Bewegung heraus. Dieses bringt für die Bühnenkünste konkret einen neuen Darstellungs- beziehungsweise Ausdrucksstil,82 aber auch in der Theorie eine veränderte Ästhetik mit sich.83 Die Vorstellung von der ›Natürlichkeit‹ erfasst diese als »Körperwahrheit«; der Zusammenhang zwischen Empfindung und physio- sowie pathognomischem Ausdruck wird zu einem »Kernthema wissenschaftlicher, ästhetischer, sprach- und theatertheoretischer Texte der Zeit«.84 Diderot, Lessing, Sulzer, Engel, Herder oder Schiller 78 | Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 23, 980. 79 | Ebd., 980. 80 | Ebd., 983ff. Vgl. zum Leib-Seele-Verhältnis auch den Eintrag in Historisches

Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, S. 185ff., hier insbes. 186f. 81 | Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 23, 986. 82 | Vgl. zu den neuen Formen des Körperausdrucks auch Käuser, Körperzeichentheorie und Körperausdruckstheorie, 41, der mit Referenz auf Richard Sennett von einer Differenz von der Theatralität zur Intimität spricht und eine Entwicklung von der Darstellung zur Verkörperung, vom Körper als Zeichen zum Körper als Ausdruck und von der »Presentation« zur »Representation« feststellt. 83 | Vgl. auch Jeschke, Noverre, Lessing, Engel, 109; Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 17. 84 | Vgl. dazu Brandstetter, Figura, 37f. Vgl. außerdem Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 279.

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interessieren sich für die Ausdrucks- und Wahrnehmungsmöglichkeiten des ›natürlichen‹ Körpers, weil sie zur Überzeugung gekommen sind, dass sich daran die Zustände der Seele unmittelbar abbilden respektive ablesen ließen. Schauspiel sowie Ballett, beide definiert über die körperliche Präsenz auf der Bühne, rücken in den Fokus auch anderer ästhetischer Disziplinen und umgekehrt greifen Schauspiel- und Tanztheoretiker auf die neuen Paradigmen zu, um ihre praktischen Reformen zu fundieren und zu legitimieren. Diese Fundierung respektive Legitimierung geschieht im Zuge einer allgemeinen Fokussierung auf das Individuum und auf dessen Emotionen, von denen man annimmt, dass sie in der Bewegung, in den Gesten und der Mimik, an die Körperoberfläche treten. Die Folge dieser Annahme ist die Vorstellung einer Kommunikation zwischen den Menschen, die sich ohne Worte über die Gefühle beziehungsweise die Affekte vollziehen sollte. Die Distanz der Mittelbarkeit will man fortan über die doppelte Bewegung überwunden wissen. Darsteller und Zuschauer sollten gleichermaßen, wenn auch unterschiedlich, körperliche Regung zeigen beziehungsweise empfinden. Mit der Aufwertung des ›natürlichen‹, authentischen Körperausdrucks respektive -empfindens geht ein neues Interesse an anatomischen Bewegungsanalysen einher, die von der Theater- und Tanztheorie weiterentwickelt werden,85 aber auch in anderen ästhetischen Bereichen – in der Literatur, der Poesie oder der ästhetischen Philosophie – eine zunehmend wichtigere Rolle spielen.

Psychophysisches Bewegungskonzept Am frühen Werk von Friedrich Schiller lässt sich exemplarisch das Ineinandergreifen von wissenschaftlich anthropologischen und ästhetischen Interessen an der bewegten Verbindung von Leib und Seele nachweisen.86 Seine Schriften aus der Zeit der Karlsschule stehen im medizinischen Kontext, wobei es dem damals noch die Arztlauf bahn anstrebenden Schiller bereits um eine Verschränkung von Arzneiwissenschaft und philosophischen Fragen geht. In seiner ersten – von der Akademie abgelehnten – Dissertation Philosophie der Physiologie von 1779 und ein Jahr später im zweiten Anlauf, dem Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen, setzt Schiller sich u.a. mit der Relation von Materie und Geist auseinander, d.h. mit deren wechselseitiger Wirkung. Dabei verabschiedet er sich sowohl vom Descartes’schen Dualismus von Körper und Geist als auch vom Modell des Körpers

85 | Vgl. Woitas, Anmerkungen zum Wandel des Darstellungsstils im Tanztheater des ausgehenden 18. Jahrhunderts, 90. 86 | Im Folgenden kann Schillers Werk freilich nur ausschnitthaft und auf das Thema der vorliegenden Untersuchung bezogen behandelt werden. Bezüglich Schillers Ästhetik vgl. ausführlicher Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne, der selbst, ebd., 13, auf die »nahezu unüberschaubar[e]« Forschung zu Schiller hinweist.

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als Maschine. Unter diesen Prämissen versteht er die medizinische Tätigkeit stets auch als philosophische Reflexion: »Ein Arzt, dessen Horizont sich einzig und allein um die historische Kenntnis der Maschine dreht, die die gröbern Räder des seelenvollsten Uhrwerks nur terminologisch und örtlich weißt, kann vielleicht vor dem Krankenbette Wunder tun und vom Pöbel vergöttert werden; – aber Eure Herzogliche Durchlaucht haben die Hippokratische Kunst aus der engen Sphäre einer mechanischen Brotwissenschaft in den höhern Rang einer philosophischen Lehre erhoben. Philosophie und Arzneiwissenschaft stehen unter sich in der vollkommensten Harmonie.«87

Wer sich mit dem Körper befasst, muss sich demnach – so die der Abhandlung zugrunde liegende Vorstellung – auch mit dem Geist beschäftigen, und zwar weil beide Instanzen nicht (mehr) getrennt zu betrachten sind. Schiller geht davon aus, dass »wirklich eine Kraft zwischen der Materie […] und dem Geiste vorhanden« sei.88 Dies lässt den Autor verschiedene Überlegungen zur Beschaffenheit und zum Ort dieser Kraft und zu ihrer Wirkung anstellen. Interessant ist dabei, dass diese Dynamisierung und schließlich Aufhebung eines Dualismus auf der Ebene der Untersuchungsgegenstände sich auch diskursiv auf die Untersuchung selbst auswirkt. Wenn also Körper und Geist nicht mehr zwei voneinander losgelöste Bereiche sind, können auch deren Wissenschaften – jene vom Körper, die Medizin, und jene vom Geist, die Philosophie, – nicht mehr zwei unabhängige Systeme sein. Diese neue Auffassung vom Menschen, die zeitgenössische Anthropologie, lässt verschiedene Disziplinen mit verändertem Verständnis auf ihren Gegenstand blicken und so nicht nur Medizin und Philosophie, sondern auch ästhetische Theorien vom beseelten Körper im Bereich Theater, Tanz, Pantomime in jener Zeit näher zusammenrücken und sich gegenseitig beeinflussen. So greift Schiller in seinen Dissertationen auf verschiedene Erklärungsmodelle aus der Wissenschaft und aus den Künsten zurück und verbindet diese. In Philosophie der Physiologie erklärt er jene Kraft zwischen Materie und Geist, die »Mittelkraft«, zunächst noch physikalisch: »Die Mittelkraft wohnet im Nerven. Dann wann ich diesen verletze, so ist das Band zwischen Welt und Seele dahin. Ob aber dieser Nerve eine elastische Saite sei und durch Schwingungen wirke; oder ob er Kanal eines äußerst feinen geistigen Wesens ist, und dies allein in ihm wirke; oder ob er ein Aggregat von Kügelchen sei, und ich weiß nicht wie? wirke – das ist eben die Frage.«89

Um die vorläufige Unentscheidbarkeit der Frage, nach welchem Modell die Mit87 | Schiller, Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen, 288 (Hervorhebung im Original). 88 | Schiller, Philosophie der Physiologie, 253. 89 | Ebd., 255.

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telkraft nun zu erklären sei, zu versinnbildlichen, vergleicht Schiller sich und die anderen in diesem Gebiet Forschenden mit einer literarischen Figur: »Ich bin in einem Feld, wo schon mancher medizinische und metaphysische Don Quichotte sich gewaltig herumgetummelt hat und noch itzo herumtummelt.«90 Cervantes’ Romanheld, der sich an seiner Imagination und nicht an den real vorgefundenen Gegebenheiten orientiert, wird zum Bild für den Theoretiker, der sich ebenfalls über das Konkrete, ›Handfeste‹ erhebt, auch wenn er dabei die empirische Gewissheit einbüßt. Schiller gelangt denn auch, wie er angibt, erst über »tausend Zweifel […] zu der festen Überzeugung«, dass die Mittelkraft als »Nervengeist« betrachtet werden müsse, der allerdings »nicht elementarisches Feuer, nicht Licht oder Äther, nicht elektrische oder magnetische Materie« sei, vielmehr kämen dessen Veränderungen »Zeichen der veränderten Kräfte« gleich.91 Die Begründung für die Verbindung von Materie und Geist liegt also in dynamischen Zeichen und nicht im Materiellen oder Elementaren. Schillers Erklärung ist somit keine herkömmlich physiologische, sondern eine philosophische oder eben philosophisch-physiologische. Auch aus dem ästhetischen Metaphernfundus bezieht Schiller seine Erkenntnismodelle. Ein Vergleich aus der Musik dient ihm in seiner zweiten medizinischen Dissertation wiederum zur Begründung der Verbindung von Körper und Geist/Seele: »Man kann in diesen verschiedenen Rücksichten Seele und Körper nicht gar unrecht zweien gleichgestimmten Saiteninstrumenten vergleichen, die nebeneinandergestellt sind. Wenn man eine Saite auf dem einen rühret und einen gewissen Ton angibt, so wird auf dem andern eben diese Saite freiwillig angeschlagen und eben diesen Ton, nur etwas schwächer, angeben. So weckt, vergleichungsweise zu reden, die fröhliche Saite des Körpers die fröhliche in der Seele, so der traurige Ton des ersten den traurigen in der zweiten.«92

Schiller nennt diese über Schwingung begründete,93 harmonische Relation zwischen Körper und Seele eine »wunderbare und merkwürdige Sympathie, die die heterogenen Prinzipien des Menschen gleichsam zu einem Wesen macht«; der Mensch sei »nicht Seele und Körper«, schreibt er weiter, »der Mensch ist die innigste Vermischung dieser beiden Substanzen.«94 Dieses Konzept vom Menschen als Einheit aus Körper und Geist bezie90 | Ebd. 91 | Ebd., 256. 92 | Schiller, Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen

mit seiner geistigen, 312. 93 | Mit der »Schwingung saitenartig gespannter Fibern« hat sich Schiller zuvor bereits im Zusammenhang mit dem »materielle[n] Denken« in Philosophie der Physiologie, 258ff., insbesondere 261f., auseinandergesetzt. 94 | Schiller, Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen, 312 (Hervorhebung im Original).

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hungsweise Seele führt auch zu einem veränderten Verständnis von äußerer und innerer Welt. In seiner Philosophie der Physiologie beschreibt Schiller in Bezug auf die geistige Leistung der »Vorstellung« das Verhältnis von Außen und Innen noch als ein gegenseitig gespiegeltes, in dem den Sinnesorganen die Funktion des Brennpunktes beziehungsweise des Übergangs zwischen den zwei Bereichen Außenwelt und Seele zukommt: »Vermittelst dieser fünf Organe hat die ganze materielle Natur freien, offenen Zugang zu der geistigen Kraft. Die äußeren Veränderungen werden durch sie zu innern. Durch sie wirft die äußere Welt ihr Bild in der Seele zurück.«95 Während Schiller hier den Eindruck des Äußeren der Welt auf das Innere des Menschen als Reflexion beschreibt, wählt er umgekehrt für den Ausdruck des Innern eine Oberflächenmetapher. Die »geheimsten Rührungen der Seele« offenbarten sich, so Schiller im Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen, »auf der Außenseite des Körpers«.96 Dieses Hervortreten der Empfindungen wird mit verschiedenen Vergleichen weiter präzisiert.97 Relevanter als diese Ein- und Ausdrucks-Erklärungen ist im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung die Bewegungsmetaphorik, die ebenfalls in beiden Dissertationen zur Begründung der Wechselwirkung zwischen Außen- und Innenwelt sowie zwischen Körper und Geist/Seele zur Anwendung kommt. »Die Wirkungen, so außerhalb meinem Selbst vorgehen, sind Bewegungen der Materie«, hält Schiller in der Philosophie der Physiologie noch auf das Außen konzentriert fest. In der zweiten Dissertation richtet er dann den Blick auf das Individuum und dabei vom Körperaußen nach innen, indem er die Empfindung als den gesamten Menschen ergreifenden Vorgang der Bewegung beschreibt: »Also eine Empfindung, die das ganze Seelenwesen einnimmt, erschüttert in eben dem Grade den ganzen Bau des organischen Körpers. Herz, Adern und Blut, Muskelfasern und Nerven, von jenen mächtigen wichtigen, die dem Herzen den lebendigen Schwung der Bewegung geben, bis hinaus zu jenen unbedeutenden geringen, die die Härchen der Haut spannen, nehmen daran teil. Alles gerät in heftigere Bewegung.«98 95 | Schiller, Philosophie der Physiologie, 258. 96 | Schiller, Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen

mit seiner geistigen, 317. 97 | Da ist etwa sprachanalog die Rede davon, dass jeder Affekt seine spezifische Äußerungsweise habe, »sozusagen, seinen eigentümlichen Dialekt, an dem man ihn kennt«; vgl. ebd., 317. Auf die verschiedenen Beispiele soll und kann hier nicht weiter eingegangen werden. 98 | Ebd., 306. Bereits René Descartes vertritt in seinen Passions de l’ame die Ansicht, dass die Seele den Körper bewegt. Verbunden sind die beiden Instanzen seiner Ansicht nach allerdings durch ein Organ, die ›glande‹ oder Zirbeldrüse des Gehirns; die Bewegungen selbst verdanken sich dem Impuls sogenannter »Lebensgeister«, d.h. von der ›glande‹ animierter sowie diese animierende körperliche Ele-

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In der Bewegung beziehungsweise im Bewegtsein vollzieht sich damit – nach Schiller – die oben erwähnte »innigste Vermischung« der »beiden Substanzen« Seele und Körper am umfassendsten. Diese Bewegung lässt sich denn auch nicht mehr als linear gerichtetes Abbildverhältnis fassen, sondern erhält eine zirkuläre Dynamik zugeschrieben. Der so durch die Empfindung mit »Herz, Adern und Blut, Muskelfasern und Nerven« in Bewegung versetzte Körper wirkt wiederum auf die Seele zurück. Dadurch verstärken sich »die geistigen Empfindungen« weiter, beschrieben wird ein offener Steigerungsprozess: »[S]o wie die geistigen Empfindungen wachsen, müssen auch die Bewegungen im Nervensystem zunehmen. Dies ist nicht minder deutlich. […] [D]ie verstärkte Empfindungen des Geists vermehren und verstärken wiederum die Bewegungen der Nerven. Also ist hier ein Zirkel, und die Empfindung muß stets […] gemeiner und heftiger werden.«99

Die zirkuläre Dynamik, wie sie hier geschildert wird, hat in ihrer Unaufhaltsamkeit allerdings auch etwas Bedrohliches. Schiller schließt denn auch Überlegungen zu den Folgen des sich stetig steigernden Prozesses an. Dieser führt seines Erachtens entweder in die Krankheit oder in die »größte Seelenlust«, strebt aber in beiden Fällen »einem unvermeidlichen Tod entgegen, wenn nicht etwas vorhanden ist, das ihr Wachstum [d.i. jenes von Schmerz und Vergnügen, C.T.] beschränket«.100 Diese Stelle weist bereits voraus auf spätere Schriften Schillers wie etwa Über Anmut und Würde, in denen es u.a. auch um geistige Kontrollmechanismen sowie um anmutige, willkürliche Bewegungen einer schönen Seele und falsche »Tanzmeistergrazie« geht.101 Mit Letzterer wird eine Intentionalität der »gelernten Anmut«102 als »Ziererei« kritisiert und damit von der ›wissenschaftlichen‹ Anschauung auf stärker philosophische und ästhetische Paradigmen geschwenkt.103 Was Schiller jedoch in seinen psychophysischen Überlegungen ausführt, bringt den Zeitdiskurs zum Leib-Seele-Verhältnis auf den Punkt. Dieser zeugt einerseits noch immer von der Suche nach empirischen Erklärungen für das ›commercium mentis et corporis‹, andererseits werden philosophische und mente. Vgl. Descartes, Die Leidenschaften der Seele, insbesondere 25ff., 51ff., 67ff.; vgl. dazu auch Geitner, Die Sprache der Verstellung, insbesondere 184; außerdem Schneider, Geschichte der Ästhetik, 61. 99 | Schiller, Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen, 321. 100 | Ebd., 321f., 101 | Schiller, Über Anmut und Würde, insbesondere 449ff. Vgl. dazu auch Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne, 158f.; außerdem Brandstetter, »Die Bilderschrift der Empfindungen«, insbesondere 85f.; Menninghaus, Das Versprechen der Schönheit, 59. 102 | Schiller, Über Anmut und Würde, 450 (Hervorhebung im Original). 103 | Vgl. dazu Brandstetter, »Die Bilderschrift der Empfindungen«, 85.

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metaphorisch-ästhetische Begründungen herangezogen, um der neuen Vorstellung vom ganzheitlichen Menschen, von der innigsten Vermischung der beiden Substanzen Körper und Seele ein diskursives Fundament zu verleihen. Schillers frühe Schriften sind für diese psychophysische Verbindung exemplarisch, indem sie auf den anthropologischen Paradigmenwechsel rekurrieren und außerdem auch in engem Zusammenhang mit den Reformen der Bühnenkünste oder zumindest ihrer Theorie zu sehen sind, in deren Zentrum die Empfi ndungen und die damit verbundenen äußeren und inneren Bewegungen standen.104 Es ist davon auszugehen, dass Schiller auch Noverres Werk gekannt hat.105 So gilt sein Jugenddrama Die Räuber, erstmals erschienen 1781, seit der Studie von Peter Michelsen in der Forschung als stark beeinflusst von Noverres Tanzdramatik.106 Anhand von intertextuellen Bezügen zwischen Schillers Räubern und Noverres Balletten wie La mort d’Hercule legt Michelsen dar, dass insbesondere »[d]as Höchstmaß an pathetischen Wirkungen, das Schillers Jugendwerk aufweist«, auf Noverres ästhetische Paradigmen hindeute und die »pantomimischchoreographische Schulung des Autors« verrate.107 Die Dichtung liefert also nicht nur Stoffe für die Bühne, vielmehr wirkt die (physische) Tanzkunst auch paradigmatisch auf das (geistige) dramatische Schreiben, indem sie nachhaltig die Wahrnehmung beeinflusst und damit die Komposition der Werke prägt.

›Commercium mentis et corporis‹ für die Bühne Noverre selbst geht zwar in seinen Briefen nicht vertieft auf das Leib-Seele-Verhältnis ein, er fordert lediglich eine geistvolle Ausführung der Schritte und eine Entsprechung von äußerer und innerer Bewegung der Tanzenden: »Ich verlange ferner, daß die Pas mit eben so viel Verstande als Kunst angeordnet seyn, und der Aktion und den Bewegungen, die in der Seele des Tänzers vorgehen, entsprechen mögen.«108 Er gibt in der Folge hinreichende Anweisungen, wobei der 104 | 1782 äußert sich Schiller in seiner Schrift Über das gegenwärtige teutsche Theater, 816, abschätzig über die zeitgenössische Bühnenpraxis: »Gewöhnlich haben unsere Spieler für jedes Genus von Leidenschaft eine aparte Leibesbewegung einstudiert, die sie mit einer Fertigkeit, die zuweilen gar – dem Affekte vorspringt, an den Mann zu bringen wissen.« 105 | Vgl. dazu Michelsen, Der Bruch mit der Vater-Welt, 27f.; außerdem Alt, Schiller, 48. 106 | Michelsen weist ebd. die Wirkung der Ballette Noverres und seines Nachfolgers Dauvigny auf den jungen Schiller, damals Eleve der Karlsschule und Schüler des Schauspielers, Theaterdirektors und Ballettchronisten Joseph Uriot, nach. Vgl. außerdem Sträßner, Tanzmeister und Dichter, 183, wonach »bei Schiller eine direkte poetische Aneignung von Werken Noverres belegbar« sei; vgl. auch Brandstetter, »Die Bilderschrift der Empfindungen«. 107 | Michelsen, Der Bruch mit der Vater-Welt, 31, 43. 108 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 208. Vgl. dazu auch

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äußere Bewegungsausdruck, Noverres Ansicht nach, nicht allein die Schritte, sondern auch und zuweilen ausschließlich die Mimik umfassen soll: »[I]ch fordre, daß man in einem lebhaften Ausdrucke, keine langsame, und in ernsthaften Scenen keine schnelle Schritte anbringe; daß man in den Bewegungen des Unwillens alle die leichten Schritte vermeide, welche in den Augenblicken der Unbeständigkeit an ihrem rechten Orte stehen; ich möchte endlich, daß man in den Augenblicken der äußersten Verwirrung und der Verzweiflung gar auf hörte, welche zu machen: hier darf nur das Gesicht mahlen, nur die Augen reden, selbst die Arme müssen unbeweglich seyn, und in dergleichen Scenen wird der Tänzer niemals so vortreffl ich seyn, als wenn er gar nicht tanzt.«109

Claudia Jeschke stellt zu Recht fest, dass Noverre sich in Bezug auf das LeibSeele-Verhältnis sehr vage äußert, indem er »die analoge Verbindung von Seele, Körper, Geist« zwar nenne, dabei »aber weder den Vorgang der Vermittlung zwischen innen und außen« untersuche, noch »Tanzbewegung und Ausdrucksbewegung« explizit miteinander konfrontiere und so deren »Verhältnis, ihr Zusammenwirken auf der Bühne« ungeklärt lasse.110 Dass Noverre in seinen Briefen nicht näher auf die genaue Beschaffenheit einer solchen Verbindung von Körper und Seele eingeht, muss allerdings nicht heißen, dass ihn diese nicht interessiert hätte. Vielmehr lässt sich aus der oben zitierten Stelle ableiten, dass sein Anliegen eher darin besteht, das Ballett von den formalisierten Schrittmustern des ›Danse d’École‹ abzusetzen, um die äußeren Bewegungen auf innere Regungen abzustimmen. Von einer direkten Verbindung von Körper und Seele geht Noverre also aus, sie scheint ihm offenbar so selbstverständlich, dass er sie nicht weiter erklärt. Dabei kann sich der Tanztheoretiker implizit auf den diesbezüglichen allgemeinen Diskurs der Zeit berufen, auch wenn wichtige Schriften dazu, etwa von Lessing, Sulzer und Engel, erst später erschienen sind. Der von Noverre und vielen seiner Zeitgenossen rezipierte Lucian von Samosata hat jedoch bereits darauf hingewiesen, dass in einem »vollkommnen Tänzer« Leib und Seele »zusammentreffen« müssten,111 und dass in der dramatischen Tanzkunst die innere Schönheit der Seele mit der äußerlichen des Körpers zusammenfließe.112 Lucian beschreibt den gelungenen Bewegungsausdruck des Tänzers als eine ineinander übergehende Wechselwirkung von Körper und Seele, was Noverre dann voraussetzt. Der Figur Lucinus, dem Verfechter der Tanzkunst, legt Lucian dazu Folgendes in den Mund: »[I]m Tanz fließt gleichsam die Wirkung von beyden [d.s. Körper und Seele, C.T.] in einander, jeder Gedanke ist Gebehrde, jede Gebehrde ist Gedanke; ein durch die Jeschke, Noverre, Lessing, Engel, 99. 109 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 208. 110 | Jeschke, Noverre, Lessing, Engel, 93. 111 | Lucian, Von der Tanzkunst, 432f. 112 | Ebd., 380.

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größte Uebung ausgebildeter Körper strengt alle seine Geschicklichkeit an, das was in der Seele vorgeht, auszudrücken, und (was das vornehmste ist) nicht die geringste Bewegung wird hier dem Zufall überlassen, sondern alles ist gedacht, alles zweckmäßig und mit Weisheit gethan.« 113

Bei Lucian erscheint die wechselseitige Verschränkung von Gedanken und Gebärde, von Körper und Seele demnach als eingeübte Leistung des Tänzers. Diesen Anspruch teilen – wie erwähnt – auch Noverre und seine Zeitgenossen. Die psychophysische Wechselwirkung wird im 18. Jahrhundert erneut als dramatisches Mittel erkannt. Dabei wird sie jedoch als ›allgemeinmenschlicher‹ Vorgang beschrieben, der sich unwillkürlich, also spontan und unmittelbar, einstellen sollte. Statt mit dem rationalen Gedanken werden die physischen Vorgänge mit dem seelischen Empfinden in Verbindung gebracht, das sich aber – so die Vorstellung – einer bewussten Apperzeption entzieht. Allerdings: In der schriftlichen Darlegung der intendierten Perzeption fließen Begriff und Aktion ineinander, indem dem jeweiligen Empfinden die dazugehörigen physischen Reaktionen anschaulich benennend zugeschrieben werden. Sulzer etwa bezeichnet die emotiven Vorgänge im Menschen denn auch als »Idee von uns selbst«, obwohl oder gerade weil sie sich im Körper abspielen, wofür dann wiederum in der Beschreibung physische Metaphern kreiert werden. In seinen Anmerkungen über den Verschiedenen Zustand, worinn sich die Seele bey Ausübung ihrer Hauptvermögen, nämlich des Vermögens, sich etwas vorzustellen und des Vermögens zu empfinden, befindet unterscheidet Sulzer zwischen dem denkenden und dem empfindenden Menschen, wobei er lediglich Letzterem seelisch-körperliche Bewegung zugesteht und diese folgendermaßen begriffl ich festschreibt: »Während des Nachdenkens geht in dem Körper nichts vor, das die Idee von uns selbst in uns erwecken könnte; alles ist da vollkommen stille und ruhig; da hingegen der Zustand des Empfindens allemal mit irgend einer sinnlichen Empfindung vergesellschaftet ist. Der Schmerz zieht die Brust zusammen, das Vergnügen hingegen erweitert dieselbe. Es gehen merkliche Veränderungen in dem Kreislaufe des Blutes und in den Nerven der Gedärme vor, wenn die Seele eine nur einigermaßen starke Empfindung hat. Bey dem Nachdenken scheinen nur sehr wenige Nerven schwach erschüttert zu werden; bey der Gemüthsbewegung ist die Erschütterung der Nerven zuweilen so groß, daß sie sich dem ganzen Systeme mittheilet.« 114

Die Empfindung der Seele löst der Beschreibung zufolge in erster Linie willkürliche körperliche, bewegte Reaktionen aus. »Alle Handlungen der Seele führen 113 | Ebd., 429f. Die Übersetzung von Wieland aus dem Jahr 1788/89, auf die hier zurückgegriffen wird, ist freilich nach Noverres ersten Briefen erschienen, die in der vorliegenden Untersuchung ebenfalls in Übersetzung zitiert werden; vgl. dazu Fußnote 1 dieses Kapitels. Vgl. zu früheren Übersetzungen von Lucians Text auch Ralph, The life and works of John Weaver, 131, 159. 114 | Sulzer, Vermischte philosophische Schriften, 232f.

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den Begriff der Bewegung mit sich«, expliziert Sulzer an anderer Stelle, demnach sei die körperliche Bewegung »Zeichen oder Ausdruk dessen […], was in der Seele vorgeht«.115 Dieser Ansicht ist auch Lessing, der in seiner Hamburgische[n] Dramaturgie die »Modifi kationen der Seele, welche gewisse Veränderungen des Körpers hervorbringen, hinwiederum durch diese körperliche Veränderungen bewirket werden«, als »Gesetze« der psychophysischen Wechselbeziehung beschreibt.116 Die Glieder des Körpers stünden dabei der Seele »unmittelbar zu Gebote«.117 Die Seele wird also von Lessing als Steuerinstanz der äußerlich wahrnehmbaren Bewegungen dargestellt. Auch Engel geht in seinen Ideen zu einer Mimik 1785 davon aus, dass der »Sitz des Gebehrdenspiels […] nicht dieses und jenes Glied, dieser oder jener Theil des Körpers insonderheit« sei, vielmehr habe die Seele »über alle Muskeln desselben Gewalt, und wirkt, bey vielen ihrer Bewegungen und Leidenschaften, in alle«.118 Während diese Prozesse im Hinblick auf das alltägliche Leben als willkürliche Vorgänge betrachtet werden, stellt die Bühne für die erwähnten Theoretiker – zumindest graduell – eine Sondersituation dar. Für die dramatischen Künste gilt das Gebot, durch die re-präsentierten Aktionen jeweils bestimmte Wirkungen zu erzielen. Wer also die Regungen der Zuschauenden kontrollieren wollte, musste zunächst – so die Folgerung für das ›commercium mentis et corporis‹ im Theater – die äußeren Gesten der Bühnenakteure und demzufolge auch deren innere Motivation bestimmen. Wie Engel dem Schauspieler zugesteht, dass dieser die »körperlichen Veränderungen« dem »wirklichen Leben« nachbilden könne,119 unterscheidet sich auch gemäß Sulzer der Künstler von »andern Menschen« durch die Einbildungskraft, die es ihm erlaube, Bewegungen der Seele und damit des Körpers auf der Bühne herbeizurufen.120 Eine solche Überzeugung, dass der Körper Bewegungen der Seele nicht nur ausdrücken, sondern auch herstellen und damit für andere, die Zuschauenden, erfahrbar machen kann, liegt ebenfalls Lessings – bereits erwähntem – Entwurf Der Schauspieler zugrunde. Dieser beruht nämlich auf der Annahme, die Bewegungen der »körperliche[n] Beredsamkeit« aufzeichnen und einüben zu können, damit die Bewegungen des Schauspielers auf

115 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, 279. 116 | Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 245. Vgl. dazu auch Košenina, Anthro-

pologie und Schauspielkunst, 4f. 117 | Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 248. 118 | Engel, Ideen zu einer Mimik, Bd. 1, 61; ebd., 65, bezieht sich Engel auch auf Äußerungen von Leibniz und Descartes, wonach die Seele Gewalt über die Muskeln habe. 119 | Ebd., Bd. 1, 46. 120 | Vgl. Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, 10. Vgl. dazu ebd.: »Sie [d.i. die Einbildungskraft, C.T.] ist eigentlich die Mutter aller schönen Künste, und durch sie unterscheidet sich der Künstler vorzüglich vor andern Menschen, so wie der Philosoph sich durch den Verstand unterscheidet.«

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der Bühne dann wiederum »in des andern Sinne fallen«,121 also ihre Wirkung auf den Rezipienten tun.122 Auch für den Tänzer fordert Noverre eine entsprechende Schulung, die über die Perfektion der Schritttechnik hinausgeht und stattdessen neben dem Körper auch den Geist und die Seele bilde. So kritisiert Noverre in seinen späteren Briefen die noch immer gängige Bühnenpraxis, welche die dramatische Aktion mit unbeseelter Körperbewegung verwechsle; allein durch die oben beschriebene Verbindung von Seele und Körper wird jedoch – seiner Ansicht nach – der Tänzer erst zum Künstler: »Lorsqu’un danseur parvient à réunir la partie brillante du métier, à l’esprit et à l’expression, il mérite légitimement le titre d’artiste: il est tout à la fois bon danseur et excellent acteur. J’avouerai, avec regret, que cette réunion si précieuse est bien rare à rencontrer, parceque les danseurs mettent toute leur étude dans le mouvement des pieds et des jambes, que loin d’exercer leur esprit et leur âme, […] en confondant l’action avec le mouvement, ils se trompent, et s’égarent sans cesse.« 123

Die Verirrungen der Tänzer führt Noverre also in erster Linie auf eine mangelhafte Synthese von virtuoser Körperarbeit und Gefühlsausdruck zurück. Seine Vorstellung vom Ballett zielt allerdings nicht allein auf eine individuelle Verbindung von Körper und Seele beim Tänzer/Akteur, es geht Noverre vielmehr auch um die Wirkung der Kunst, um ein Zusammenspiel von Empfindung und Be121 | Lessing, Der Schauspieler, 724 beziehungsweise 732. 122 | In Bezug auf das Schauspiel fand im 18. Jahrhundert bekanntlich eine

Auseinandersetzung statt über die Darstellungsmethode. Lessing wandte sich – wie auch Francesco Riccoboni und Denis Diderot – gegen die Ansicht von u.a. Rémond de Sainte-Albine, der die totale Identifi kation des Darstellers mit der Rolle gefordert hatte und davon ausging, dass nur ›echte‹ Gefühle zu echt wirkenden Aktionen auf der Bühne führen konnten. Vgl. etwa Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 244f.: »Denn die Empfindung ist etwas Inneres, von dem wir nur nach seinen äußern Merkmalen urteilen können. Nun ist es möglich, daß gewisse Dinge in dem Baue des Körpers diese Merkmale entweder gar nicht verstatten, oder doch schwächen und zweideutig machen. Der Akteur kann eine gewisse Bildung des Gesichts, gewisse Mienen, einen gewissen Ton haben, mit denen wir ganz andere Fähigkeiten, ganz andere Leidenschaften, ganz andere Gesinnungen zu verbinden gewohnt sind, als er gegenwärtig äußern und ausdrücken soll. Ist dieses, so mag er noch so viel empfinden, wir glauben ihm nicht […]. Gegenteils kann ein anderer so glücklich gebauet sein […], daß er uns in denjenigen Rollen, die er nicht ursprünglich, sondern nach irgend einem guten Vorbilde spielet, von der innigsten Empfi ndung beseelet scheinen wird, da doch alles, was er sagt und tut, nichts als mechanische Nachäffung ist.« Vgl. zu dieser Diskussion auch Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters, 126ff.; außerdem Käuser, Körperzeichentheorie und Körperausdruckstheorie; Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt. 123 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 106.

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wegung bei allen Beteiligten – Bühnenkünstlern und Rezipienten. Auf dieses Ideal zielt er, wenn er folgendes Szenario entwirft: »Wenn unsere Kunst, so unvollkommen sie noch ist, gleichwohl die Zuschauer täuschet und fesselt, wenn der Tanz, auch ohne die Zauberey des Ausdrucks, uns manchmal rühret und in unserer Seele einen angenehmen Tumult erreget: welche Gewalt, welche Herrschaft müßte er nicht über unsere Sinnen haben, wenn alle seine Bewegungen durch den Verstand gelenket, alle seine itzt kaum entworfnen Gemählde durch die Empfindung ausgeführet würden!«124

Täuschung und Zauberei sollen demnach abgelöst werden durch eine Kunst, die einerseits als durch den Verstand gelenkt, also (noch immer) als kalkuliert respektive kalkulierbar, beschrieben wird. Andererseits aber – und dies ist entscheidend – soll sie jegliche rationale Regelung verbergen, d.h. authentisch erscheinen. Im Zentrum dieser Kunst-»Gemählde« soll nämlich der verständig empfindende Mensch stehen. Die Bühne wird nun nicht mehr gesehen als Ort der Präsentation und Repräsentation von souveräner Macht, 125 die täuscht und zaubert, sondern als Ausgangspunkt für eine Seelenkommunikation, für den Austausch von menschlichen Empfi ndungen über Bewegung. Nur »Gemählde der Menschheit können zur Seele reden, sie in Bewegung setzen, erschüttern und hinreißen«, schreibt Noverre in Absetzung zum mythischen und symbolischen ›Ballet de Cour‹.126 Anders als dieser, der soziale Ordnungen repräsentierte und spielerisch reflektierte, orientiert sich der ›Ballet en Action‹ mimetisch an der ›Natur‹ im aristotelischen Sinne.127 Es »empfehlen alle Kunstrichter vom Aristoteles an bis auf diesen Tag, dem Künstler die Nachahmung der Natur«, schreibt Sulzer in seiner Allgemeine[n] Theorie der Schönen Künste, und er fährt fort: »Sie haben auch recht, aber man muß sie [d.i. die Natur, C.T.] nur recht verstehen.« 128 Das Nachahmen der Natur setzt also ein ›Verstehen‹ voraus. Dieses meint – gemäß Sulzer – eine genaue »Beobachtung der sittlichen

124 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 42. 125 | Vgl. dazu auch Herrmann/Siegert, Beseelte Statuen – zuckende Leichen, 67. 126 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 146. 127 | Vgl. dazu auch ebd., 95: »[A]lles wird entzücken und täuschen, weil alles

wahr ist, weil die Nachahmung aus der Natur selbst geschöpft ist.« Auch Diderot hat sich – noch vor Noverre und Angiolini – mit dem nachahmenden Tanz beschäftigt; vgl. dazu Dahms, Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres, 70. 128 | Vgl. dazu Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 3, 388. Auch Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 6, äußert sich – wiederum kritisch gegenüber der gängigen Bühnenpraxis – deutlich dazu: »Wenn fast alle Ballette ohne Kraft, einförmig und langweilig sind; wenn sie gar nichts von dem Ausdrucke haben, der sie beseelen muß: so ist es […] nicht der Fehler der Kunst, sondern des Künstlers. Wußte er denn nicht, daß die Tanzkunst zu den nachahmenden Künsten gehöre?«

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Absichten, die man in der Natur entdeket, und der Mittel, wodurch sie erreicht werden.« 129 Über die Mittel waren sich allerdings insbesondere die Tanztheoretiker nicht einig.130 Angiolini etwa fordert, die »imitazione della bella, e semplice natura«131 allein über die Aktionen auf der Bühne zu vollführen; dazu begrüßt er zwar die emotive Untermalung durch Musik, er wehrt sich jedoch vehement gegen die sogenannten Programmhefte,132 die Noverre als unerlässliches Hilfsmittel auf dem Weg zu einer neuen Tanzkunst ansah.133 Es tut sich in den theoretischen Abhandlungen also eine Schere auf zwischen zweckdienlicher Mittelbarkeit und intendierter Unmittelbarkeit, zwischen Vermittlung und Authentizität. Die Hauptfragen, die die Zeitgenossen umtrieben, lauten denn auch: Wie ansprechend beziehungsweise wie sprechend sind die Bewegungen der Tanzenden auf der Bühne, und wieviel respektive was sagen sie aus? Noverre legt den Tänzern das Bestreben nahe, sich »mit eben so viel Reitz als Wahrheit zu bewegen lernen«.134 Dann erst, »wenn sie [d.s. die Tänzer, C.T.] Geist und Genie mit ihrer Kunst verbinden werden«, schreibt Noverre, »werden 129 | Vgl. dazu Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 3, 389. Vgl. auch Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 45f., zu einer verständigen Nachahmung der Natur: »Enthaltet euch der knechtischen Nachahmung, welche die Kunst unmerklich wiederum zu ihrer Kindheit zurück bringt; […] sucht euch nach euern eignen besten Einsichten eine neue Gattung zu machen; kopieret, aber kopieret nichts als die Natur; die Natur ist das beste Muster, das keinen, der ihm genau folgt, irre leitet.« 130 | Vgl. dazu Dahms, Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres, 69f. 131 | Angiolini, Lettere di Gasparo Angiolini a monsieur Noverre sopra i balli pantomimi, 12. 132 | Das waren Szenarien mit dramaturgischen Informationen zum Handlungsablauf und zur Akt- und Szenengliederung. Vgl. zum Streit zwischen Noverre und Angiolini über Nutzen/Schaden von Programmheften beziehungsweise darüber, was oder wie viel drinstehen sollte, auch Dahms, Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres, 71. 133 | Vgl. Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 3, 34, 53; vgl. zur Diskussion, die offenbar noch einige Jahrzehnte aktuell blieb, außerdem Blasis, The code of Terpsichore, 241f.: »Several professors have averred that a good Ballet needs no programme, provided the plot is well and clearly displayed; and the Pantomime so executed as to give a perfect idea of the passions and sentiments meant to be expressed. This opinion is just, and I am persuaded that the composer should be understood by means of the art itself, rather than by the reading of a written plot or programme. […] I must, however, observe, that programmes are necessary to explain certain mythological and allegorical subjects; and also where some circumstance or event has preceded the principal action, and on which the progress and catastrophe of the piece depend.« 134 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 94f.

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sie in einem ganz andern Glanze erscheinen; alle Auslegungen werden unnütz werden«.135 Gelingt es also, die dargebotene Handlung allein über den bewegten Ausdruck verständlich und nachvollziehbar zu machen, dann erst ersetzt – nach Noverres Auffassung – der dramatische Tanz voll und ganz die wörtlich mittelbare Sprache. Interessant ist nun, wie man sich diese Ersetzung vorstellen soll. Die idealen Aktionen auf der Bühne werden nämlich von Noverre als sprachanaloge mimetische Bewegungen beschrieben: »[A]lles wird sprechen; jede Bewegung wird eine Redensart seyn; jede Stellung wird eine Situation schildern; jede Gebehrde wird einen Gedanken enthüllen.«136 Auch in den späteren Briefen spricht Noverre von der »langage des passions«, die es zu beherrschen gälte, und von der »action animée et parlante« der Geste.137 Innere Regungen und äußere Bewegungen werden also nicht nur als sprachähnlich, sondern sogar als eine eigene Sprache beschrieben. Dies kann einerseits als Versuch verstanden werden, den Tanz neben respektive unabhängig von der wörtlichen Sprache als gleichwertig zu etablieren, andererseits aber auch, um die bewegten Vorgänge überhaupt beschreiben und verständlich machen zu können. Für beides gibt es Hinweise in den Quellen. Im Folgenden soll diese wörtlich sprachliche Etablierung – gewissermaßen als Be-Handlung beziehungsweise Er-Schreibung – einer nonverbalen Sprache der Bewegung untersucht werden.

Beweg te Sprache, Sprache der Bewegung Noverre vergleicht den »schönen Tanz [mit, C.T.] einer Hauptsprache«,138 und schreibt an anderer Stelle, der Tanz enthalte »alles, was zu einer schönen Sprache nöthig ist; man muss aber nur mehr, als das Alphabet, davon wissen.«139 Dieses ›Mehr-Wissen‹ bezieht sich auf ein anderes Wissen, ein Körperwissen nämlich, das im Kontext der Anthropologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts buchstäblich ins Bewusstsein gerückt ist. In diesem Zusammenhang ist auch die damals verbreitete Vorstellung zu sehen, dass die Sprache des Kör-

135 | Ebd., 95. 136 | Ebd. (Hervorhebungen C.T.) 137 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 106 (Hervorhe-

bungen C.T.). 138 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 71. Die Stelle steht im Zusammenhang mit einer Kritik an den »vermischten und verdorbnen Gattungen, die daraus [d.i. aus dem schönen Tanz, C.T.] herkommen«, die dann, ebd., wiederum mit »Dialekten« verglichen werden, »die man kaum versteht, und die immer verschiedner werden, je weiter man sich von der Residenz entfernet, wo die gereinigte Sprache herrschet«. 139 | Ebd., 24. Die reine Sprache des »schönen Tanz[es]« wird außerdem, ebd. 89f., auch als Abgrenzung zu früheren Formen des Tanzes verstanden, der – Noverre zufolge – lediglich »stammelte«.

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pers und der Gesten eine Ursprache beziehungsweise Natursprache darstelle.140 In der Tanztheorie hat sich insbesondere Carlo Blasis mit solchen Überlegungen befasst; in seiner Schrift The code of Terpsichore hält er fest: »Gesture is the earliest sort of language which man acquires from nature.«141 Um die ›Natürlichkeit‹, das heißt in diesem Fall den vorzivilisatorischen Status dieser Sprache zu unterstreichen, nennt er Kinder und ›Wilde‹ als deren Benutzer und als Gewährsinstanzen für ihre ›Ursprünglichkeit‹.142 Mitteilung ohne Worte hält Blasis dabei ebenso für möglich wie Kommunikation über verbale Sprachgrenzen und -behinderungen hinweg: »It is a means of communicating the ideas and the sentiments of those who talk different languages, and is, in fact, a resource for such unfortunate beings as are deprived of the faculties of hearing and speaking. What a subject then, for exciting an interest in this imitative art, and for its cultivation!«143 Das Interesse an einem solchen mimetischen künstlerischen Ausdruck, das Blasis hier bekundet, bringt im Vergleich mit der systematischen wörtlichen Sprache Vorteile. Einer durch die Kunst kultivierten Bewegungssprache wird von Blasis eine rasche, direkte, geradezu einschlagende (»striking«) Wirkung zugeschrieben.144 Schon seine Vorgänger haben die pantomimische Ausdrucksweise als emotional ansprechender und insofern als direkter auf das Innerste des Menschen einwirkend dargestellt. Sulzer definiert in seiner Allgemeine[n] Theorie der Schönen Künste – gemäß dem Titel des Werkes – generell in Bezug auf die Schönen Künste die »Gebehrden« als »Aeußerungen dessen […], was in der Seele vorgeht«.145 Er betont bezüglich dieses nonverbalen Körperausdrucks die charakteristisch emotionale Wirkungskraft, die er aus einer mimetischen Korrespondenz zwischen innerer und äußerer Bewegung herleitet: »In gar viel Fällen sind die Gebehrden eine so genaue und lebhafte Abbildung des innern Zustandes der Menschen, daß man ihre Empfindungen dadurch weit besser erkennet, als der beredteste Ausdruk der Worte sie zu erkennen geben würde. Keine Worte können weder Lust noch Verdruß, weder Verachtung noch Liebe so bestimmt, so lebhaft, vielweniger so schnell ausdrüken, als die Gebehrden. Also 140 | Vgl. dazu auch Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters, 122, 140, die auf Condillac verweist; vgl. mit Referenz auf Batteux auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 360; vgl. außerdem Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt, 71. 141 | Blasis, The code of Terpsichore, 112. 142 | Ebd., 112: »Children and savages make use of it, for the purpose of supplying their wants.« 143 | Ebd., 112. 144 | Ebd., 112f. 145 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, 244: »Die verschiedenen Bewegungen und Stellungen des Körpers und einzeler Gliedmaßen desselben, in so fern sie etwas Charakteristisches haben, oder Aeußerungen dessen sind, was in der Seele vorgeht«.

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ist auch nichts, wodurch man schneller und kräftiger auf die Gemüther würken kann.« 146

Schnelligkeit und Vehemenz werden also der Sprache der Gebärden als spezifische Wirkungsmerkmale zugeschrieben. In der Theorie der Bewegung im engeren, ästhetischen Sinne, der Tanztheorie, hält Noverre dementsprechend über den Unterschied von wörtlicher und gestischer Sprache fest, Letztere sei »plus bref et plus concis que le discours«,147 und er führt an anderer Stelle das Bild des Blitzes an, das Plötzlichkeit und Heftigkeit des nonverbalen Kommunikationsvorgangs veranschaulichen soll: »Einen Gedanken durch Worte vorzustellen, dazu gehört gewisse Zeit, die Gebehrden zeigen ihn auf einmal mit Nachdruck; es ist ein Blitz, der aus dem Herzen fährt, in den Augen flammt, alle Gesichtszüge hell macht, den Knall der Leidenschaften verkündigt, und uns gleichsam die Seele nackend sehen läßt.«148 Neben der Blitz-Metapher zur Verdeutlichung der schlagartigen Vermittlung steht hier als Effekt wiederum das Attribut der ›Nacktheit‹ für das ›Authentische‹, ›Natürliche‹ und ›Ursprüngliche‹, das mit diesem Vorgang in Verbindung gebracht wurde. Die nackte Seele erinnert an die später auch von Blasis angeführten Kinder und ›Wilden‹, die eine solche ursprüngliche ›Natürlichkeit‹ in der Gesellschaft seit Rousseau idealisch verkörpern.149 Über das Postulat einer blitzartig sich vermittelnden, ›unverfälschten‹ Bewegungssprache wollten die Tanztheoretiker an solche Ideen anknüpfen. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf die Wirkung einer Sprache des Körpers, die sie als einzigartig hervorhoben, indem sie ihr zugestanden, über den Ausdruck von Empfindungen, d.h. über die Bewegung, die Seele des Rezipienten in Bewegung versetzen und dadurch dort wiederum Empfindungen auslösen zu können. Noverre legt diesbezüglich dar: »[J]e dois le répéter, que le devoir d’un acteur pantomime est de faire passer dans l’âme du spéctateur par l’expréssion vraie de ses mouvemens, de ses gestes, et de sa physionomie, les sentimens, les passions dont il est agité. Cet acteur n’a d’autre 146 | Ebd., Bd. 2, 244. 147 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 107. 148 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 147f. An anderer

Stelle, ebd., 215, vergleicht Noverre die Wirkung der gestischen Sprache des Tänzers mit einem »elektrischen Funken[]«: »[E]s ist ein Feuer, daß sich höchst schnell mittheilt, die Imagination der Zuschauer plötzlich entflammt, ihre Seelen erschüttert, und ihre Herzen zwingt, zu fühlen.« Vgl. außerdem ebd., 147, in Bezug auf die Mimik: »Auf dem Gesichte ist es, wie Sie wissen, mein Herr, wo der Mensch sehen läßt, was in seiner Seele vorgeht, wo man seine Affecten und Leidenschaften lesen, und wechselweise Ruhe, Unruhe, Vergnügen, Schmerz, Furcht und Hoff nung abgebildet finden kann. Sein Ausdruck ist hundertmal wärmer, lebhafter und bestimmter, als das Resultat der feurigen Rede.« 149 | Vgl. dazu Rousseau, Emil oder über die Erziehung, etwa 172.

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langue que ses gestes, d’autres phrases que les traits animés de sa physionomie, d’autre énergie, que ses yeux. Tous ces agens des passions lorsqu’ils sont mûs par la puissance de l’âme, sont assurés de produire le plus grand éffet, et les plus vives émotions; mais on ne peut espérer d’intéresser, d’attendir, et de porter le public à l’illusion par des phrases exprimées sans langue; il faut qu’elles aient, toute la force des parole [sic!] et l’expression de la nature, car la pantomime a ses accens et son sublime, ainsi que l’éloquence.«150

Die Kraft der ausschließlich gestisch-mimischen Sprache liegt – Noverres Ausführungen zufolge – in der spezifischen Wirkung, im bewegenden, emotionalen Effekt, der ohne den Umweg über den Intellekt die Seele der Zuschauenden erfassen soll. Engel wiederum verwendet für diesen Vorgang die Metapher der ›Verschmelzung‹; er schildert die Kommunikation zwischen Bühnendarsteller und Zuschauer als ein Ineinanderfallen der Zeichen, als eine Vereinigung von Zeichenproduktion und -rezeption. Die Darstellung Engels liest sich sinnbildlich wie jene eines Akts der Befruchtung zwischen Bühne und Publikum, zwischen Aktion und Perzeption, indem es da heißt, »daß in der Seele die Vorstellung des Objects und die der Rührung, welche das Object hervorbringt, so ganz unzertrennt, so innig verschmolzen, so Eins sind«.151 Er fordert eine Einigkeit der Zeichen, denn der Mensch wolle die »Vorstellungen, auch in ihrer Bezeichnung, gleich innig […] verschmelzt, gleich genau […] vereinigt wissen«.152 Was Engel in seinen Ideen zu einer Mimik als Verschmelzung der Zeichen beschreibt, meint ebenfalls die von Noverre und Blasis geschilderte Schnelligkeit und Vehemenz des nonverbalen Ausdrucks. Interessant ist allerdings, dass es Engel offenbar darauf ankommt, die Syntax, d.h. die Reihung von Zeichen in der wörtlichen Sprache, beim nonverbalen Ausdruck durch eine nicht mehr chronologisch organisierte Ordnung ersetzt zu wissen: durch einen quasi räumlich gegenwärtigen, als Einheit erfahrenen organischen Zeichenaustausch.153 Auch Engel erwähnt in diesem Zusammenhang »die große Schnelligkeit in der Folge der Empfindungen und die große Feinheit in ihrer Mischung«.154 Er geht zwar noch von einer Sukzession aus, durch die behauptete Schnelligkeit wird diese jedoch in ihrer Wahrnehmbarkeit aufgehoben und durch das Bild der komplexen Mischung ersetzt, die schließlich nicht mehr eindimensional chronologisch beziehungsweise syntagmatisch zu denken ist. Man kann vielmehr 150 | Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 107. 151 | Engel, Ideen zu einer Mimik, Bd. 2, 59. 152 | Ebd., Bd. 2, 59. 153 | Vgl. auch ebd., Bd. 2, 59: »Ein einziges Zeichen, welches in einem Nu bey-

den Zwecken [d.s. Vorstellung des Objekts und Rührung dadurch, C.T.] und gleich vollkommen Genüge thut, muß ihm [d.i. der Mensch, C.T.] daher ohne alle Vergleichung lieber seyn, als mehrere abgesetzte Zeichen, die dasjenige zerreißen und vereinzeln, was er in seiner Seele selbst so gar nicht zu sondern, so gar nicht aus einander zu finden weiß.« 154 | Ebd., Bd. 2, 284.

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aufgrund dieser Aussagen von einem Paradigma der Verräumlichung im nonverbalen Kommunikationsmodell sprechen. Die expressive Körpersprache wird also als Zeichensystem gedeutet, das – losgelöst von syntagmatischer Struktur, von zeitlicher Anordnung und von der Arbitrarität der Sprache – eine ›natürliche‹, direkte Übermittlung ermöglichen sollte.155 Deshalb bezeichnet Noverre die pantomimische Tanzkunst auch als eine Kunst der Gegenwart, des jeweiligen Hier und Jetzt.156 Wie die Theorie diese räumlich-gegenwärtige Ko-Präsenz als Korrespondenz zwischen Bühne und Publikum realisiert sehen wollte und welche Konsequenzen diese Vorstellungen für den Tanz respektive für den Diskurs über Tanz hatten, soll im Folgenden behandelt werden.

Die Kunst des Ausdrucks von Empfindungen »Der Zwek aller schönen Künste«, schreibt Sulzer, »ist die Erwekung gewisser Vorstellungen und Empfindungen.«157 Er fordert deshalb: »Das Studium des vollkommenen Ausdruks hat sowol der Schauspieler als der Tänzer mit dem zeichnenden und bildenden Künstler gemein. Gewissermaaßen ist es jenen noch nothwendiger, weil ihre ganze Kunst darin besteht. Ein Tänzer ohne Ausdruk ist ein bloßer Luftspringer; und ein Schauspieler, dem er fehlt, ist gar nichts.«158 Man müsse aus jeder Bewegung des Tänzers erkennen, »was für eine Empfindung ihn treibt«, meint Sulzer, und er folgert daraus in Bezug auf die sinnliche Sprache des Tanzes: »Seine [d.s. des Tänzers, C.T.] Schritte sind die Worte, welche uns sagen, was in seinem Herzen vorgeht. […] Nicht nur jede Hauptleidenschaft, sondern beynahe jede Schattirung derselben Leidenschaft, hat ihren eigenen Ausdruk in der Stellung und Bewegung des Körpers. Diese sind die wahren Elemente, das Alphabet des ächten Tanzens, oder diese Kunst beruhet auf gar keinen Grundsätzen.« 159

155 | Vgl. dazu auch Geitner, Die Sprache der Verstellung, 5. 156 | Vgl. Noverre, Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 75: »La pan-

tomime ne peut exprimer que l’instant présent; la passé, et le futur ne peuvent se peindre par des gestes.« (Hervorhebungen im Original). Vgl. außerdem Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 289, die festhält, diese programmatische Festlegung, dass der Tanz sich nur zur Darstellung von Gegenwärtigem und nicht von Zukünftigem oder Vergangenem als tauglich erweise, bringe wiederum einschneidende Konsequenzen für die Sujetwahl und die dramaturgische Anlage mit sich. 157 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, 183. 158 | Ebd., Bd. 1, 194. 159 | Ebd., Bd. 1, 196. Bezüglich der Schauspielkunst fordert Sulzer, ebd., Bd. 1, 194, hier – im Widerspruch zu Francesco Riccoboni u.a. – eine Identifizierung mit der Rolle, d.h. ein Sich-Hineinversetzen in die Empfindungen der darzustellenden Figur. Vgl. außerdem Blasis, The code of Terpsichore, 126: »Every thing must be well

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Damit diese »wahren Elemente« jedoch ihre Wirkung tun, muss der Bühnendarsteller die Sprache der Empfindungen vollends beherrschen. Implizit wird der Tänzer mit einem Schulkind verglichen, das zuerst die sprachliche Grundlage, das Alphabet, lernen muss. Unter allen Künstlern habe der Tänzer »das schwerste Studium, zum vollkommenen Ausdruk zu gelangen«,160 konstatiert Sulzer, er müsse nämlich die Bewegungen »nach den Anzeigungen, die er in der Natur findet, nachahmen, und in einer ganz andern Art wieder darstellen«.161 Mit dieser Engführung von Mimesis und (individueller) Darstellung wird ein komplexer Sachverhalt angesprochen, der nicht nur bei Sulzer, 162 sondern bereits bei Tanztheoretikern wie Noverre und Angiolini und später auch bei Blasis zuweilen paradox behandelt wird: der Widerspruch zwischen ›natürlich‹ Gegebenem und künstlerisch Hervorgebrachtem.163 Einerseits soll der Tänzer sich von seinen ›natürlichen‹ Empfindungen, von den Bewegungen seiner Seele, führen lassen, weil nur diese ihn richtig, »wahr«, leiten könne,164 andererseits wird betont, dass zum gelingenden Ausdruck Fleiß und Studium vonnöten seien, damit Empfindungen präzise und mit dem jeweils intendierten Effekt hervorgebracht werden könnten.165 Noverre findet diesbezüglich eine Lösung, die den Widerspruch zwischen Empfindung und Ausdruck aufhebt:

understood, every thing deeply felt, if we wish to represent it correctly.« Vgl. dazu auch die Fußnote 122 des vorliegenden Kapitels. 160 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, 196. 161 | Ebd., Bd. 1, 196. 162 | Vgl. auch ebd. Bd. 1, 196: »Er [d.i. der Tänzer, C.T.] kann sich nicht an die Natur halten; denn die Bewegungen, die er machen muß, fi ndet er darin nicht. […] Alle seine Schritte und Bewegungen sind künstlich, sie kommen in der Natur niemals vor, und dennoch müssen sie den Charakter der Natur an sich haben. Man muß aus jeder Bewegung des Tänzers erkennen, was für eine Empfindung ihn treibt.« 163 | Vgl. auch Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 17, der den Widerspruch zwischen Natürlichkeit und Verstellung als »Grundparadoxie« bezeichnet, die die Theorien der Bühnenkünste im 18. Jahrhundert geprägt habe. 164 | Vgl. dazu Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 199f.: »[S]ie [d.i. die Seele, C.T.] kann uns nicht mißleiten, wenn sie lebhaft empfindet; und wenn sie in dergleichen Augenblicken den Arm zu diesem oder jenem Gestus fortreißt, so ist er gewiß allemal richtig und treffend gezeichnet, und seine Wirkung ist sicher. Die Leidenschaften sind die Triebfedern, welche die Maschiene in Bewegung setzen: die Bewegungen, die daher entstehen, mögen beschaffen seyn wie sie wollen, so können sie nicht anders als wahr seyn.« 165 | In seinen Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Bd. 2, 106, kritisiert Noverre, dass die Tänzer die Schulung des Geistes und der Seele vernachlässigten. Angiolini dagegen stellt in den Lettere di Gasparo Angiolini a monsieur Noverre sopra i balli pantomimi, 12, fest, dass der feinste Künstler derjenige sei, der sich besser als die anderen auf die Nachahmung verstehe.

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»Gleichwohl ist dieses die Hauptsache: wir müssen unsere Seele die Leidenschaften zu empfinden gewöhnen, und die Schwierigkeit, sie auszudrücken, wird verschwinden; das Gesicht wird von selbst seine Minen nach dem, was in dem Herzen vorgeht, bequemen, und seinen Ausdruck auf tausend verschiedne Art abändern; es wird den äußern Bewegungen Kraft ertheilen, und mit feurigen Zügen die Verwirrung der Sinne und den innern Tumult unserer Seelenkräfte schildern.« 166

Demzufolge müssten nicht die Schritte und Gesten, sondern die Leidenschaften, das Empfinden, studiert werden.167 Ein Tänzer soll also nicht eine bestimmte Darstellungsweise einüben, sondern vielmehr am eigenen Leib das Spektrum der Gefühle so genau kennen, dass er fähig ist, innere Regungen überzeugend nach Außen zu übertragen. Die Bühnenfigur wird damit im Diskurs über den Tanz zu einem intentional fühlenden Menschen stilisiert, indem vorausgesetzt wird, dass Empfindungen grundsätzlich bestimmbar, zielgerichtet kommunizierbar und buchstäblich mit-teilbar sind. Dementsprechend schreibt Noverre über die Kunst des Ausdrucks von Empfindungen: »Die Aktion beym Tanze ist die Kunst, durch den wahren Ausdruck unsrer Bewegungen, unsrer Gestus und der Physiognomie, dem Zuschauer unsre Empfindungen und Leidenschaften mitzutheilen. […] An dem Tänzer muß alles mahlen, alles reden; jeder Gestus, jede Stellung, jeder Port de Bras muß einen unterschiedenen Ausdruck haben.«168 Der Möglichkeit, den bewegten Ausdruck des Tänzers so zu differenzieren, geht ein anthropologischer Paradigmenwechsel voraus, der sich im Diskurs über die Sprache der Gesten, über die dramatischen Künste und insbesondere über den Tanz niederschlägt. Zusammenfassend kann man darüber sagen, dass sich in der entsprechenden Theorie des 18. Jahrhunderts ein Konsens herausgebildet hat, der festschrieb, dass die Kommunikation zwischen Bühne und Publikum auf einer neu hervorgehobenen, möglichst umfassenden Kenntnis der Empfi ndungen beruhe; außerdem wurde vertreten, dass Empfindungen auf Bewegung basierten und sich über physische Bewegung vermitteln ließen.169 Welche Rolle die andere Seite dieses Vermittlungsvorgangs – das Publikum – spielte, gilt es im Folgenden zu untersuchen.

166 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 44. 167 | Ebd., 43f., kritisiert die gängige Praxis, die sich auf Schritte statt auf das

Studium der Leidenschaften konzentriere. Bereits 1754 fordert Louis de Cahusac in seiner Schrift La danse ancienne et moderne ou traité historique de la danse, Bd. 3, 168: »Habituez votre ame à sentir, vos gestes seront bientôt d’accord avec elle pour exprimer.« 168 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 197. 169 | Vgl. dazu auch Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters, 126f., die mit Referenz u.a. auf Lessing von den gestischen Zeichen als »Resultat eines komplizierten Beobachtungs-, Registrier-, Auswahl- und Synthetisierungsprozesses« spricht.

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Rezeption und Wirkung Mit den neu in den Blick gerückten Möglichkeiten einer Vermittlung von Empfindungen über die Bewegung hängt eine jeweils intendierte Wirkung zusammen. Nicht nur über den Ausdruck von Schauspielern und Tänzern wird in den ästhetischen Schriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachgedacht, sondern – damit eng verbunden – auch über die Rezeption. Diskutiert wird einerseits – wie bereits erwähnt – die gewünschte Art der Wirkung, andererseits die Frage, wer wie wahrnimmt. Die Annahme, dass Kunst buchstäblich Eindruck mache,170 schlägt sich in verschiedenen Metaphern für die Darsteller-Zuschauer-Beziehung nieder. Als eine Reflexion im Sinne einer Spiegelung hat bereits Lucian die Rezeption von dramatischem Tanz beschrieben: Der Zuschauer sehe »in dem Tänzer, wie in einem Spiegel sich selbst, und wie er zu empfinden und zu handeln pflegt«.171 Das Bild der Spiegelung wird dann von Noverre und seinen Zeitgenossen durch Metaphern der Bewegung abgelöst und – je nach Blickrichtung – zu einer emotionalen Identifi kation des Zuschauers mit dem Darsteller, zu einer Übertragung vom Bühnenakteur auf das Publikum oder zur Zuschauer-Affizierung umgedeutet.172 Noverre etwa spricht an einer Stelle davon, dass der Betrachter so zu täuschen sei, »daß er sich in einem Augenblicke an den wirklichen Ort der Scene versetzt zu seyn glaubet«,173 an anderer Stelle beschreibt er die Wirkung, die der Schauspieler Garrick auf das Publikum habe, als beispielhaft für eine gelungene Übertragung vorgeführter Leidenschaften auf die Empfindungen der Zuschauenden, wobei die Übertragung in der Schilderung als geradezu physische Einwirkung erscheint: »Er [d.i. Garrick, C.T.] rührt im Pathetischen; im Tragischen erregt er die auf einander folgenden Bewegungen der heftigsten Leidenschaften, er wühlt, wenn ich so sagen darf, im Eingeweide des Zuschauers, zerreißt ihm das Herz, durchbohrt ihm die Seele, und preßt ihm blutige Thränen aus.«174 170 | Vgl. Du Bos, Réfl exions critiques sur la poësie et sur la peinture, 367 (Originalpaginierung 306). 171 | Lucian, Von der Tanzkunst, 440. 172 | Vgl. dazu auch Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 66. Fischer-Lichte, Der Körper als Zeichen und als Erfahrung, 63, deutet diese Vorstellung der Rezeption als »Ansteckung«: »Die Wahrnehmung der Modifi kationen des Körpers, die als Zeichen für einen Affekt hervorgebracht werden, bewirkt eine körperliche Veränderung des Wahrnehmenden, so wie es bei einer Ansteckung der Fall ist.« 173 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 16f. 174 | Ebd., 158. Vgl. auch Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, 279, der in moderaterer Weise über die Affizierung, einerseits vom Zuschauer her betrachtet, schreibt, durch Anschauen von Bewegung könnten »Lust und Unlust, Empfindungen und Leidenschaften« hervorgebracht werden; andererseits ebd., Bd. 3, 185, aus der Perspektive der Bühnenakteure: »Es gehöret unmittelbar zum Zwek des Künstlers, daß er Leidenschaften erweke, oder besänftige.« Auch Blasis spricht in seiner Schrift Traité élémentaire, théorique et pratique de l'art de la danse, 24, davon,

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Die Bewegung auf der Bühne soll also einerseits auf die Vorstellungskraft wirken und den Zuschauer dazu bewegen, sich in das vorgeführte Geschehen hineinzuversetzen (Identifi kation), andererseits soll sie aber auch direkt auf den Körper des Zuschauers eine spürbare physische Kraft ausüben (Übertragung beziehungsweise Affizierung). Diese Kraft erscheint in verschiedenen Beschreibungen als doppelte Kraft der Bewegung – als bewegt und bewegend. Sulzer bezeichnet sie auch als »ästhetische Kraft« der Tanzkunst, die an Stärke keine Kunst übertreffen könne.175 In den Quellen ist die Rede von Zuschauern, die angesichts von dramatischen Tanzauff ührungen – insbesondere von Noverres Medea und Jason – tatsächlich in Tränen ausgebrochen oder in Ohnmacht gefallen seien.176 Für den Zusammenhang dieser Untersuchung ist jedoch vorrangig von Interesse, wie solche Reaktionen geschildert und begründet werden. Im Tanzdiskurs kommt der eigentlich unbeschreiblichen, unwillkürlichen, den gesamten Menschen ergreifenden Bewegung nämlich eine größere Bedeutung zu als der rationalen Reflexion. Die Tanzrezeption wird dabei über die Sprache zu einem nicht-verbalen, auch mit einem noch so aufgeklärten Verstand allein nicht zu erfassenden Ereignis stilisiert. So schreibt etwa bereits Cahusac über dieses Phänomen: »Tant il est vrai que la Danse en action cause une émotion si vive, lorsqu’elle est habilement exécuté, que le Spectateur le plus éclairé n’est plus en état d’examiner, & ne peut s’occuper que du plaisir de sentir.«177 Glaubt man also den Schriften der Zeit, so entzieht sich die Rezeption von gelungener dramatischer Tanzkunst – wie auch der Tanz selbst – einer bestimmten beziehungsweise bestimmenden Beschreibung.178 Und dennoch ist es gerade dieser unbestimmte, jegliches verbindliche Prüfen (»examiner«) und exakte Definieren ausschließende Diskurs, der dazu führte, dass die Figur des Zuschauers als individuell erlebendendes Wesen sich etablieren konnte und dadurch wiederum zurück auf das Verständnis von Sinn und Zweck der Tanzkunst wirkte.179 Noverre schreibt diesbezüglich, das Ballett werde »denjenigen immer sehr lebhaft rühren, der Augen und ein Herz hat«, dies allerdings, räumt dass es das Ziel der tänzerischen Darbietung sei, das Interesse des Betrachters zu wecken, dadurch seine Seele zu bewegen und ihn Emotionen wie Freude und Vergnügen empfinden zu lassen. 175 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 423. 176 | Vgl. dazu Dahms, Jean Georges Noverre, 477; außerdem Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 120. 177 | Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 3, 160f. 178 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, 244, spricht von den Schwierigkeiten, »die Gebehrden bestimmt zu beschreiben«. Zum Zweifel an der Lesbarkeit der »Bilderschrift der Empfindungen« im stummen Drama der Gebärden auch beim späteren Noverre vgl. Brandstetter, »Die Bilderschrift der Empfindungen«, 91. 179 | Vgl. dazu auch Jeschke, Vom Ballet de Cour zum Ballet d’Action, 190, die festhält, dass das Eigenerlebnis des Zuschauers beziehungsweise aller Zuschauer

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er ein, »wenn nur die, welche es ausführen, Seelen haben, und Empfindung mit gehörigem Nachdruck und Leben vorstellen können«.180 Nichts Geringeres als das ›Leben‹ verbindet also Darbieter und Rezipienten. Der eine wird als Lebewesen lebhaft gerührt, der andere stellt Leben dar beziehungsweise aus. In Bezug auf den zu rührenden Rezipienten wird dabei jedoch eines der signifi kantesten Paradoxa des zeitgenössischen Diskurses über Tanz deutlich: Obwohl eine ›allgemeinmenschliche‹, weil lebendige, Zugänglichkeit und Verstehbarkeit der Sprache der Bewegung propagiert wird, gelten offenbar dennoch gewisse Einschränkungen im Hinblick auf die Tanzrezeption. Das Leben stellt sich auf der Bühne nämlich nicht (oder nur teilweise) selbst, sondern durch Zeichen und Gesten vermittelt dar. Auch hier ergibt sich wiederum eine Diskrepanz zwischen mutmaßlich ›natürlichem‹, ›unmittelbarem‹ Ausdruck und der Mittelbarkeit von Dar-Stellung. Dieser Widerspruch findet sich in den namhaften Schriften über Tanz. Cahusac unterscheidet 1754 bereits relativ genau zwischen Tanz als Gestenkunst (»l’Art des gestes«181) und den Gesten des alltäglichen Lebens, von denen er schreibt: »C’est-là ce langage universel entendu par toutes les Nations & par les animaux même; parce qu’il est antérieur à toutes les conventions, & naturel à tous les êtres qui respirent sur la terre.«182 Cahusac trennt also zwischen einer universellen natürlichen Sprache der Bewegung und dem künstlerischen Ausdruck im Tanz.183 Bereits für Noverre ist diese Unterscheidung jedoch – gemäß seiner Forderungen nach einem ›natürlichen‹ Ballett – so eigentlich nicht mehr aufrecht zu den idealen Betrachter ersetze, was wiederum die Voraussetzung für die Theatralisierung des Tanzes gewesen sei. 180 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 135. Vgl. auch Blasis, Traité élémentaire, théorique et pratique de l' art de la danse, 12; er schreibt demgemäß, »un véritable danseur«, der nach den Regeln tanze, müsse dem Ausdruck seiner Bewegungen mit Gefühl und Intelligenz Seele verleihen. 181 | Vgl. Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 1, 17 (Hervorhebung im Original). Vgl. außerdem Cahusac in Diderots Encyclopédie, Bd. 7, 651: »[L]a Danse est l’art des gestes.« 182 | Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 1, 14. Bereits Bodmer/Breitinger hatten in ihrer Schrift aus dem Jahr 1721-1723, Die Discourse der Mahlern, 4. Teil (1723), 46f., die durch »Gebehrden« ausgedrückten »Passionen« als »Universal-Sprache« bezeichnet, die vor der Wortsprache vom Menschen durch die Natur erlernt werde. Vgl. dazu auch Košenina, Anthropologie und Schauspielkunst, 47. 183 | Vgl. dazu auch Cahusac, La danse ancienne et moderne, Bd. 1, 17: »Les différentes affections de l’ame sont donc l’origine des gestes & la Danse qui en est composée, est par conséquent l’Art de les faire avec grace & mesure relativement aux affections qu’ils doivent exprimer. Aussi a-t-elle été définé par les Philosophes qui l’ont le mieux connue, l’Art des gestes. Quoi-qu’ils soient tous naturels à l’homme, on a cependant trouvé des moyens, pour donner aux mouvemens du corps les agrémens dont ils étoient susceptibles. La Nature a fourni les positions: l’expérience a donné les régles.« (Hervorhebung im Original)

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halten. Er stellt denn auch fest: »Die Künste gehören allenthalben zu Hause; laß sie nur ihre natürliche Sprache reden, so werden sie keines Dollmetschers bedürfen, und sie werden jedermann rühren, er mag Kenner seyn oder nicht.« 184 In diesem Votum geht Noverre davon aus, dass es auch eine überkulturelle ›natürliche‹ Sprache der Künste gebe, die ohne Vorkenntnisse und über alle Sprachgrenzen hinweg unmittelbar verstanden werden könne. Durch die Eigenschaft, zu rühren, ist dem Theoretiker Noverre insbesondere der Tanz Beleg dafür, dass dessen Sprache, »die Sprache der Empfindungen […] überall Eindruck« mache, »weil sie überall, von allen Nationen verstanden wird«.185 Diese Ansicht wird bis heute regelmäßig etwa zur Feier des Welttanztages oder in Festivalprogrammen – mit oder ohne expliziten Rekurs auf den Ballettreformer – fortgeschrieben.186 Dabei hat sich Noverre durchaus auch differenzierter und sogar im Widerspruch zur obigen Feststellung geäußert. So konstatiert er zwar, dass die ›natürlichen‹ Leidenschaften, die den Ausdruck der Künstler, insbesondere der Tänzer, leiten, »bey allen Menschen die nehmlichen« seien;187 er räumt allerdings ein, dass sie sich »nach den Graden ihrer Empfindlichkeit« unterscheiden.188 An anderer Stelle benennt er kulturelle Unterschiede zwischen den Völkern und formuliert daraus auch Konsequenzen für die Künste: »Jedes Volk hat seine eigne Gesetze, Gebräuche, Gewohnheiten, Herkommen, Moden und Ceremonien; jede Nation hat ihren besondern Geschmack in ihren Lustbarkeiten, in ihrer Bauart, in ihrer Art, die Künste zu pflegen; ein geschickter Mahler muß uns diese Verschiedenheit bemerken lassen; sein Pinsel muß getreu seyn; wofern er nicht allenthalben zu Hause ist, hört er auf wahr zu seyn, und darf nicht mehr verlangen zu gefallen.«189

Ein guter Künstler im Sinne Noverres muss also nicht etwa ein ›Allgemeinmenschliches‹ abbilden, sondern durchaus auch kulturelle Unterschiede für die Rezipienten erfahrbar machen. Mit der Metapher des Zu-Hause-Seins grenzt Noverre das ›Eigene‹, das er als das ›Wahre‹ bezeichnet, von einem ›Fremden‹ 184 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 204f. 185 | Ebd., 204. Noverre rekurriert dabei auf Cahusac – siehe Fußnote 177 – und

auf den Eintrag in Diderots Encyclopédie, Bd. 7, 651, worin es heißt, der Tanz sei die Sprache der Gesten, und diese wiederum könnten folgendermaßen als universales Ausdrucksmittel definiert werden: »[L]e geste est & sera toûjours le langage de toutes les nations: on l’entend dans tous les climats.« (Hervorhebung im Original) 186 | Vgl. dazu auch Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit. 187 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 11. Vgl. auch die entsprechende Aussage von Ayrenhoff, Über die theatralischen Tänze, 5: »Die schöne Kunst, wovon hier die Rede ist [d.i. der Tanz, C.T.], hat so wie jede andere, ihre festgesetzten Regeln, die aus der Natur selbst genommen sind, und deshalb zu allen Zeiten Gültigkeit behaupten werden.« 188 | Noverre, Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, 11. 189 | Ebd., 113f. Vgl. auch Noverres 10. Brief, ebd., insbesondere 204ff.

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ab. Das gilt sowohl im Hinblick auf den (Kunst-)Produzenten, der ›wahr‹ sein soll, als auch auf den Rezipienten, dem offenbar nur das ›Wahre‹, also das, was er kennt, gefallen kann. Damit widerspricht Noverre in Bezug auf die Kunst im Allgemeinen der Auffassung von einer universellen Ästhetik. Diese ist auch im allgemeinen ästhetischen Diskurs der Zeit keinesfalls unbestritten. Bereits Jean-Jacques Rousseau hebt in seinem Brief an d’Alembert von 1758 den »verschiedenen Geschmack der Nationen« hervor, der sich auch in den Kunstprodukten, insbesondere im Theater, zeige.190 Auf diesen Text Rousseaus könnte sich Noverre in der oben zitierten Stelle berufen haben; die auffallend ähnliche Argumentation, wenn auch mit anderer Stoßrichtung, legt dies nahe. Bei Rousseau ist ebenfalls vom Künstler die Rede, der den Leidenschaften der Menschen »schmeicheln« müsse, damit die Betrachter nicht »abgeschreckt« würden und »sich nicht mehr in einem Bild erkennen wollen«; er folgert: »Man schreibe also dem Theater nicht die Macht zu, die Meinungen und die Sitten zu ändern, welche es nur befolgen und ausschmücken kann. Ein Schriftsteller, der gegen den allgemeinen Geschmack verstieße, würde bald für sich allein schreiben.«191 Rousseau nennt also die – bereits erwähnten – sich gegenseitig bedingenden Vorgänge im Theater: Nachahmung, Verschönerung und Veränderung der Gefühle/Sitten. Im Gegensatz zu Noverre glaubt Rousseau jedoch nicht an Veränderung durch Nachahmung und Verschönerung; er kritisiert vielmehr in seinem Brief die dem Theater zugeschriebene Wirkung über die Empfindungen.192 Er interpretiert dabei insbesondere das Verhältnis von ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ anders als der Tanztheoretiker. Anstatt, wie dieser, das ›Authentische‹ im Bekannten hervorzuheben und zu loben, unterstellt Rousseau dem Theaterkünstler eine Anbiederung an den Publikumsgeschmack: »Wir teilen nicht die Gefühle aller Personen, das ist wahr, denn da ihre Interessen einander entgegengesetzt sind, muß der Schriftsteller schon dafür sorgen, daß wir einer von ihnen den Vorzug geben, weil wir andernfalls gar nichts mitbekommen;

190 | Rousseau, Brief an d’Alembert, 350. Ebd., 351, stellt Rousseau außerdem einen direkten Zusammenhang zwischen »Geschmack«, d.h. ästhetischem Empfinden, und den »Sitten«, also dem kulturellen Kontext, her. Er weist explizit darauf hin, dass er beide Begriffe »gleichwertig« gebrauche und führt dazu aus: »[D]enn obgleich das eine nicht das andere ist, haben sie doch einen gemeinsamen Ursprung und unterliegen denselben Umwälzungen. Das heißt nicht, daß guter Geschmack und gute Sitten immer zur selben Zeit herrschen, eine Feststellung, die erhellt und diskutiert werden müßte, aber es ist unbestreitbar, daß einem bestimmten Stand der Sitten immer auch ein bestimmter Stand des Geschmacks entspricht.« 191 | Ebd., 351. 192 | Ebd., 353, hält er dagegen fest: »Das einzige Mittel, die Leidenschaften zu läutern, ist die Vernunft, und ich habe schon gesagt, daß die Vernunft auf dem Theater gar keine Wirkung hat.«

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anstatt aber hierfür diejenigen Leidenschaften zu wählen, die er uns lieben lehren möchte, muß er die nehmen, die wir ohnehin lieben.« 193

Die Kritik von Rousseau bezieht sich auf die zeitgenössische Theatersituation, die seinen Vorstellungen von einer vernunftgeleiteten Läuterung der Leidenschaften oder aber einer Volkstheateridee widersprach. Was seine Argumentation allerdings mit jener der Theaterbefürworter und -reformer verbindet, ist die Annahme, dass die Kommunikation zwischen Künstler und Publikum ganz so unmittelbar, wie immer wieder angegeben, nicht sein kann, weil sich beide Instanzen vielmehr gegenseitig in der Wahl der Mittel beeinflussen: Der Künstler wirkt bei richtiger Wahl positiv auf die Empfindungen des Publikums, jenes wiederum entscheidet aber offenbar, zu welchen Mitteln der Künstler greifen muss, um überhaupt – je nach Anspruch – anzukommen, zu gefallen oder verstanden zu werden. In der Kernaussage, dass die Kommunikation zwischen Kunstproduzenten und -konsumenten kulturell sowie historisch bestimmt ist, gehen also der Kritiker Rousseau und Verfechter wie Noverre oder Sulzer einig, wenn auch ihre daraus formulierten Konsequenzen für die Kunst jeweils andere sind.

Universalität versus Dif ferenz Johann Georg Sulzer reflektiert in seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste darüber, wie »Empfindungen […] recht wirksam« eingesetzt werden können. Dabei kommt er ebenfalls auf die vermeintliche Universalität derselben zu sprechen und differenziert folgendermaßen: »Es giebt freylich allgemeine Empfindungen der Menschlichkeit, die in allen Ländern, in allen Zeiten und unter allen Völkern gleich gut sind. Aber auch diese müssen bey jedem Menschen ihre besondere, seinem Stand und den nähern Verhältnissen, darin er ist, angemessene Bestimmung haben.« 194 Sulzer räumt also kulturelle Divergenzen bezüglich der menschlichen Gefühlsdispositionen ein. Da er und seine Zeitgenossen den Menschen als Individuum begreifen, das sowohl durch seine jeweilige emotionale Verfasstheit bestimmt als auch – dadurch – kommunikativ anschlussfähig ist,195 soll und kann die Kunst auf dieses Individuum ihre spezifische Wirkung vollbringen. Deshalb gilt für den Künstler: »Wir rathen keinem Künstler für alle Völker und so gar für alle nachfolgende Zeiten zu arbeiten; dies wäre der Weg bey keinem Volk und in keiner Zeit nützlich zu seyn. 193 | Ebd., 353. 194 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, 48. 195 | Vgl. dazu auch Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 12, der von

empfindsamen Kulturtechniken und in diesem Zusammenhang von der »Figur des kommunikativ anschlussfähigen ›inneren‹ Menschen« als gemeinsamem Nenner spricht.

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[…] Je mehr der Künstler die besondern Verhältnisse seiner Zeit und seines Orts vor Augen hat, je gewisser wird er die Sayten treffen, die er berühren will. […] Der Künstler trift am gewissesten den Weg zum Herzen, der einheimische Gegenstände schildert, und der das Allgemeine der Empfindung durch Localumstände fühlbarer und reizender macht.« 196

In dieser Beschreibung findet sich wieder die oben – im Zusammenhang mit Schillers psychophysischen Reflexionen – bereits diskutierte Metapher vom inneren Menschen als Saiteninstrument,197 das der Künstler durch immaterielle Berührung in Schwingung versetzt.198 Nach Sulzer ist dieses Instrument allerdings den jeweiligen Verhältnissen entsprechend gestimmt. Um es in Schwingung, also den Menschen in Bewegung zu versetzen, muss der Künstler – dies lässt sich zusammenfassend festhalten – die stratifikatorischen, die kulturellen (sogar die lokalen) sowie die historischen Gegebenheiten aufs präziseste treffen. Sulzer rät deshalb dem Künstler, sich »einen ganz nahen und völlig bestimmten Gegenstand« vorzunehmen.199 Die Kunst triff t gemäß dieser Bestimmung keineswegs auf eine ›allgemeinmenschliche‹ Verfasstheit der Rezipientenschaft, wie im Zuge des Universalitäts- beziehungsweise des Unmittelbarkeitsdiskurses angenommen. Sie muss vielmehr – liest man u.a. Sulzer genau – sowohl ihre Mittel als auch ihre Adressaten genau kennen, um ihre intendierte Wirkung zu tun. Interessant ist dabei, dass Sulzer diese künstlerische Intention nicht auf eine anthropologisch universelle emotionale Disposition treffen lässt, sondern umgekehrt die nationalen, standesmäßigen und historischen Differenzen durch die Kunst ausgeglichen haben will. Dazu geht er vom sozial definierten Menschen aus, der aber nachträglich noch ästhetisch geformt werden kann. Dies reflektiert Sulzer unter dem Aspekt der »Leidenschaften«: »Es ist eine sehr wichtige Frage, wie durch die schönen Künste die Gemüther für gewisse Gegenstände fühlbar, und für andre weniger empfi ndsam gemacht werden können. Wenn man bedenkt, wie allgemein es ist, daß die Menschen die Neigungen und Leidenschaften ihrer Nation und ihres Standes annehmen; daß derselbe Mensch, der unter einer sanftmüthigen, oder ehrsüchtigen, oder rachgierigen Nation erzogen ist, eben so wird, wie die andern sind; unter einer andern Nation aber wild, ohne Empfindung der Ehre, oder sanftmüthig worden wäre: so scheinet es entschieden zu seyn, daß jede Leidenschaft jedem Gemüth könne eingepflanzt, und daß jedes von jeder Leidenschaft, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, könne gereiniget werden. Nur müßte hieben, wenn die Frage aufgeworfen wird, wie eben 196 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, 48f. 197 | Vgl. 102ff. der vorliegenden Arbeit. 198 | Vgl. zur Schwingungs- beziehungsweise Resonanztheorie im Tanz auch

Foster, Choreography & narrative, 33; zum Affiziert- und In-Bewegung-Versetztsein in der Schauspielkunst außerdem Zeuch, Der Affekt, 75. 199 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, 48.

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diese Würkung durch die schönen Künste zu erhalten sey, dasjenige, was von der mechanischen Würkung des Clima abhängt, von den andern Ursachen abgesondert werden. Man siehet, ohne sich in schwere Untersuchungen einzulassen, wie die Gemüther der Menschen zu gewissen leidenschaftlichen Empfindungen allmählig gestimmt, und geneigt gemacht werden.«200

Die obigen Ausführungen Sulzers zielen nicht etwa darauf ab, den Menschen als universell und unmittelbar fühlend darzustellen;201 vielmehr legen sie argumentativ dar, dass es möglich und wünschbar sei, die durch soziale Umstände erfolgten Prägungen des Menschen durch ästhetische zu korrigieren. Dies soll physisch und geradezu zupackend geschehen, indem Leidenschaften und Anlagen – wie es heißt – ein- und umgepflanzt werden. Bezeichnenderweise taucht an dieser Stelle neben der Pflanzmetapher, die einen aktiv eingreifenden Vorgang benennt, aber auch wieder die Schwingungsmetapher auf, die Vorstellung vom gestimmten Menschen, vom Individuum, dessen Inneres einem Saiteninstrument gleich auf bestimmbare äußere Einwirkungen eingestellt wird, die es, wenn es richtig gestimmt ist, in Schwingung, also in Bewegung versetzen.202 Aus diesen Äußerungen lässt sich zusammenfassend ableiten, dass eine überkulturelle Kommunikation qua Anklang, Schwingung oder Bewegung zwar angenommen wird, allerdings nur als ein jeweils wohlkalkuliertes Ergebnis eines dynamischen künstlerischen Prozesses. Die schönen Künste, schreibt Sulzer, seien dazu da, »die Gemüther in Bewegung zu sezen, oder zu besänftigen«, und weiter: »Diese Dienste müssen alle schönen Künste leisten; und deswegen muß jeder gute Künstler die Mittel dieses auszurichten in seiner Gewalt haben.«203 Er fordert deshalb von jedem Künstler, »daß er die Leidenschaften nicht nur nach ihrer wahren Natur und ihren verschiedenen Aeußerungen, sondern auch nach ihren guten und bösen Würkungen, zu schildern wisse«.204 Der Künstler wird als Ver-Mittler gesehen, der seine Mittel und deren Wirkung genau zu kennen hat. So hält Sulzer denn auch fest: »Es ist keine Gemüthslage, kein Gemüthscharakter, keine Leidenschaft, die nicht durch den Tanz auf das lebhafteste geschildert werden könne.«205 Ein geglückter Vermittlungsvorgang 200 | Ebd., Bd. 3, 191f. 201 | An anderer Stelle, im Abschnitt »Ausdruk. (Schöne Künste.)« betont Sul-

zer, ebd., Bd. 1, 183ff., auch die Differenzen im Ausdruck der Empfindungen. Er führt dies wiederum auf die Verschiedenheit der menschlichen Seelen zurück; vgl. ebd., 195: »Ungeachtet aber in der Natur gleiche Ursachen auch gleiche Würkungen haben, so sind diese doch, in Absicht auf die Aeußerungen der Leidenschaften, bey verschiedenen Menschen verschieden. Eine große Seele äußert jede Empfindung größer und edler, als eine kleine.« 202 | Vgl. auch die Fußnote 198 des vorliegenden Kapitels. 203 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 3, 185. 204 | Ebd., Bd. 3, 193. Ebd., 199, hält Sulzer fest, das Drama gebe dazu die »beste Gelegenheit«. 205 | Ebd., Bd. 4, 419. Dabei hebt Sulzer den Tanz vor den anderen Künsten

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rührt demzufolge von einer Beherrschung der Mittel und ihrem effektiven Einsatz her. Andererseits wird aber ebenso die Bedeutung der Rezipierenden in dieser ästhetischen Kommunikation reflektiert. Insbesondere im Tanz soll dabei der mediale Charakter für die Rezipierenden hinter das lebhafte Mit-Empfi nden zurücktreten. Georg Wilhelm Friedrich Hegel hält etwa in seinen Vorlesungen über die Ästhetik, im Abschnitt ›Die Äußerlichkeit des idealen Kunstwerks im Verhältnis zum Publikum‹, fest, dass »das Kunstwerk selbst doch als wirkliches, vereinzeltes Objekt nicht für sich, sondern für uns, für ein Publikum, welches das Kunstwerk anschaut und es genießt«, bestimmt sei.206 Neben der Ver-Mittlung der Bühnendarsteller wird somit in Bezug auf die Wirkung auch so etwas wie das Sich-Einlassen der Adressaten in die Überlegungen mit einbezogen. Diese Haltung der Adressaten erscheint in den Texten auch als Bereitschaft im doppelten Sinne von Bereitwilligkeit, also von Annehmenwollen des Gebotenen, und Bereitsein, d.h. Annehmenkönnen. Diese Unterscheidung macht wiederum deutlich, dass die spezifische Wirkungskraft der Künste differenziert betrachtet werden muss, was von den Zeitgenossen im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert durchaus auch zu Kontroversen geführt hat.207 Hegel konstatiert allgemein in Bezug auf das (ideale) Kunstwerk, dass dieses nicht »für einen kleinen abgeschlossenen Kreis weniger vorzugsweise Gebildeter, sondern für die Nation im großen und ganzen da« sei.208 Er hält fest, dass die »echten, unsterblichen Kunstwerke […] allen Zeiten und Nationen genießbar« bleiben, allerdings räumt er auch ein, dass es zum Verständnis zeitlich oder örtlich fremder Kunst eine bestimmte Informiertheit, also WissensVoraussetzungen oder (Vor-)Bildung, brauche. Entsprechend gesteht er trotz vorheriger Ablehnung einer esoterischen Kunst nur für Gebildete ein, dass zum »durchgängigen Verständnis für fremde Völker und Jahrhunderte ein breiter Apparat geographischer, historischer, ja selbst philosophischer Notizen, Kenntnisse und Erkenntnisse« gehöre.209 Im spezifischen Kontext des Bühnentanzes verneint auch Carlo Blasis die allgemeine Zugänglichkeit der Kunst grundsätzlich. Zwar geht er ebenfalls von einem universell verständlichen gestischen Bewegungsausdruck aus, er schränkt die Universalitätsthese an anderer Stelle in Bezug auf den künstlerischen Tanz jedoch ein. Er zieht also eine Differenz zwischen lebensweltlichem und künstlerischem Einsatz der nonverbalen Kommunikation. Wie vor ihm Cahusac oder Noverre sieht er zwar im emotiven Diskurs der Gesten eine weltumspannende Alternative zur jeweils gesprochenen Sprache: »By gesture heraus, indem er ihm zugesteht, »daß er nicht blos durch die lebhafte Schilderung würket, sondern überdem durch die Ausübung eine weit größere Kraft erhält, als irgend ein anderes Werk der Kunst, das wir blos durch das Anschauen, oder Anhören genießen«. 206 | Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, 341 (Hervorhebungen im Original). 207 | Vgl. dazu etwa Woitas, Im Zeichen des Tanzes, 96. 208 | Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, 353. 209 | Ebd., 343.

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we present to the eyes all that we cannot express to the ears; it is a universal interpreter that follows us to the very extremities of the globe, and makes us intelligible to the most uncivilized hords.«210 Von der ›primitiven‹ (im Sinne von basal entwickelten) nonverbalen Kommunikation des Alltagslebens, der universale Qualitäten beigemessen werden, hebt auch Blasis allerdings die Ausdrucksund Wirkungsweise des ästhetischen Tanzes dezidiert ab. Dieser nämlich, so schreibt er, »ne produit de vives sensations que sur les gens de goût, les seuls (en trop petit nombre malheureusement) qui puissent bien sentir tout ce qu’il vaut«.211 Im Bühnentanzkontext müssen also – gemäß Blasis – Darsteller und Rezipienten bestimmte Vermögen mitbringen respektive sich aneignen, damit die nonverbale Kommunikation zwischen Bühne und Publikum funktioniert. Sulzer nennt es auch eine Frage des Geschmacks, wodurch sich der kultivierte Mensch von ›triebhaften‹ Kreaturen abhebe.212 Hegel kritisiert an einer solchen ›elitären‹ Haltung, wenn auch nicht in Bezug auf den Tanz, sondern auf das historische Stoffe verarbeitende Theater: »Die Kritiker und Kenner […] schimpfen dann über den schlechten, verdorbenen Geschmack des Publikums, wenn es bei solchen Dingen seine Langeweile zu erkennen gibt; das Kunstwerk aber und sein unmittelbarer Genuß ist nicht für die Kenner und Gelehrten, sondern für das Publikum, und die Kritiker brauchen nicht so vornehm zu tun, denn auch sie gehören zu demselben Publikum.«213

In Bezug auf den Tanz stellt sich dieser Sachverhalt allerdings anders dar, wenn gilt, was die Ballettreformer gefordert hatten. Danach muss diese Kunstform sich nämlich allein auf die Wirkung des bewegten Ausdrucks verlassen können. Durchaus im Sinne von Hegels Feststellung zum idealen Anschaulichwerden der Kunst und »jedes ihrer Gebilde« definiert sich der Tanz über »die leibliche Gestalt, die Miene des Gesichts, die Gebärde und Stellung, […] auch die Handlungen und Begebnisse«. Dies geschieht jedoch im Unterschied zu Hegels Annahme nicht durch »Reden und Töne«, abgesehen von den musikalischen Tönen, die die bewegte Handlung begleiten.214 Diese Differenz ist allerdings entscheidend für die Reflexion der ästhetischen Wirkung von Tanz. Um diese präzise herleiten zu können, untersucht Blasis zunächst die verschiedenen Gattungen von Gesten beziehungsweise von pantomimischen Akzenten. Blasis führt drei Kategorien an: erstens »Natural gestures«, das sind äußere 210 | Blasis, The code of Terpsichore, 113. 211 | Blasis, Traité élémentaire, théorique et pratique de l' art de la danse, 12. 212 | Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 4, 418, beschreibt dies

als evolutionären Fortschritt: »Der Tanz ist, wie jedes andre Werk des Geschmaks, erst aus unüberlegtem Trieb der Natur entstanden, durch Geschmak und Genie aber allmählig zu einem Werke der Kunst erhoben worden.« 213 | Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, 357. Vgl. zum Verhältnis der Kritiker zum Publikum auch Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit. 214 | Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, 203.

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Zeichen für innere Vorgänge, über die der Mensch seit seiner Geburt verfügt (»physical signs of our sentiments«); zweitens »artificial ones« für ›höhere‹ Gefühle wie Liebe, Trauer, Wut, Hass, Freude, Furcht, Vergnügen, Verzweiflung usw. (er nennt diese Gesten »the mechanical effects of our intellectual over our physical being«).215 Die dritte Kategorie schließlich, die »gestures of convention«, liegen nun – nach Blasis – nicht mehr eigentlich in der Natur des Menschen, sondern sind von den Künsten, insbesondere von der Pantomime, hervorgebracht worden, um komplexere Begebenheiten wie festliche Rituale nachvollziehbar ausdrücken zu können: »There is another class of gestures, termed, in Pantomime, gestures of convention, which are often necessary to cast a light on some obscure parts of its performance. These gestures of convention, which art has created and custom established, paint those things that we cannot perfectly understand but with the assistance of our imagination; and all events, of which the extent and multiplicity cannot be represented by one person only.«216

Für diese dritte Gattung der Zeichen sind allerdings, darauf verweist bereits der Name, Konventionen die Voraussetzung für eine gelingende Kommunikation zwischen Bühnendarstellern und Publikum. In einer Empfehlung an Ballettmeister, die darauf zielt, die jeweiligen Konventionen zu berücksichtigen, schreibt Blasis der Mimesis denn auch ihren universalen Wirkungsanspruch ab. Dabei stellt er historische und kulturelle Interpretations- und Geschmacksvarianten über eine ›natürliche‹ Darstellung beziehungsweise Rezeption: »The composer of Ballets […] ought to consult the taste of the public for whom he works. All the civilized nations of Europe admire beautiful imitations of nature, and unanimously reject whatever is grossly at variance with her; nevertheless, the genius, the characters, and the manners of different nations, give each of them a particular idea of taste on certain matters. […] [T]hey [d.s. Künstler verschiedener Länder, C.T.], nevertheless, have other merits which are not, and indeed cannot be, sufficiently felt and appreciated by readers of a different age or nation.«217

Es werden hier feine Variierungen im Empfindungsvermögen festgestellt,218 die allerdings sowohl für die ästhetische Produktion als auch für die Rezeption von entscheidender Bedeutung sein sollen. Blasis hebt die zeitlich und örtlich/kulturell bedingten Differenzen deshalb hervor, weil es ihm darum geht, für das Ballett die bestmögliche Wirkung zu erzielen. Damit ein Werk von seinem Publikum »felt and appreciated« wird, müssen also die künstlerischen und konven215 | Blasis, The code of Terpsichore, 114 (Hervorhebungen im Original). 216 | Ebd., 114f. (Hervorhebungen im Original) 217 | Ebd., 539. 218 | Vgl. dazu auch Du Bos, Réfl exions critiques sur la poësie et sur la peinture, 368

(Originalpaginierung 309).

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tionellen Bewegungszeichen den jeweiligen emotiven Dispositionen angepasst sein. Dies setzt jedoch zunächst ein Wissen um und ein Umgehen mit diesen Differenzen voraus. Deshalb wird das Thema wohl auch in verschiedenen Theorien der Zeit so grundsätzlich, wenn auch immer ähnlich, verhandelt. Bereits rund 40 Jahre vor Blasis geht Engel in seinen Ideen zu einer Mimik zwar von einem Zeichen aus, das »natürlich, wesentlich seyn muß, weil es allgemein ist«,219 er lässt allerdings den Briefadressaten gegen die Allgemeinheitsthese von nonverbalen Äußerungen die bereits bekannten Argumente einwerfen, »daß eine und dieselbige Veränderung der Seele von verschiedenen Menschen unendlich verschieden ausgedrukt werde, ohne daß darum der eine Ausdruck besser als der andere sey. Vielmehr komme es auf National- und persönlichen Charakter, auf Stand, Alter, Geschlecht, auf hundert andere Umstände an, welcher jedesmal der mehr bedeutende, mehr angemessene sey.«220

Als Antwort hält Engel fest, dass dieser Einwand wichtig sei, »weil er auf die Methode zu führen scheint, wie die Mimik vielleicht am besten könnte erfunden werden, und weil er mir die Grenzen bestimmen hilft, innerhalb welcher die Theorie sich einzig müßte halten wollen«.221 Die Erkenntnis und Akzeptanz der – zumindest teilweisen – kulturellen, geographischen, stratifi katorischen, demographischen, psychologischen und geschlechtsspezifischen Bestimmtheit der Rezeption hat also wiederum Konsequenzen, nicht nur für die künstlerische Praxis, sondern auch für die Theorie. Engel weist auf deren Grenzen hin. Er macht damit jedoch nicht nur die Grenzen deutlich, die ein Theoretiker im Rekurs auf die Beschränkung der praktischen Möglichkeiten in seinem Metier nicht überwinden kann. Vielmehr geht Engel sogar so weit, zu behaupten, dass die Begrenzungen der Theorie wiederum die Potentiale der künstlerischen Praxis sowie der Rezeption einschränke. Damit spricht Engel die Begrenztheit der wörtlichen Sprache an, die er einer unbegrenzten Offenheit der nonverbalen Eindrücke gegenüberstellt. So schreibt er: »Ich denke, es ist nur die Schuld der Sprache, die so wenig Ausdrücke für die endlose Mannichfaltigkeit unsrer Seelenbewegungen hat, daß oft auch der Scharfsichtigste seine Beobachtungen für etwas anders nimmt, als sie sind.«222 219 | Engel, Ideen zu einer Mimik, Bd. 1, 35. 220 | Ebd., Bd. 1, 31. Vgl. auch die Antwort darauf, ebd., 32f.: »Es ist wahr, daß

sich die Nationen im Ausdrucke ihrer Gesinnungen oft ungemein unterscheiden; ja daß die eine darinn der andern oft völlig entgegensteht«; vgl. außerdem ebd., 35, wobei er auch darauf hinweist, dass sich das Zeichen je nach Nation, Stand, Geschlecht und Charakter in »verschiedenen Abänderungen« präsentiere. Engel listet, ebd., 33ff., Beispiele von sprechenden Gesten verschiedener Völker auf – etwa das Entblößen beziehungsweise Bedecken von Kopf und Gesicht, diverse Formen von Lachen oder Berührungen –, die er kulturell und historisch begründet. 221 | Ebd., Bd. 1, 32. 222 | Ebd., Bd. 2, 284.

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Die Wortsprache wird auch hier für unzureichend für die Kommunikation der bewegten Seelen erklärt, die sich – wie oben bereits erläutert – einer neuen Vorstellung von Verständigung gemäß nicht zeitlich linear, sondern verdichtet und verwoben vollzieht. Im Kontext der Universalitätsthese ist dabei interessant, dass dieses räumlich definierte Kommunikationsmodell sich auch auf die räumlichen Voraussetzungen der Verständigung übertragen lässt. So hält wiederum Hegel fest: »Das allererste ist und bleibt die unmittelbare Verständlichkeit, und wirklich haben auch alle Nationen sich in dem geltend gemacht, was ihnen als Kunstwerk zusagen sollte, denn sie wollten einheimisch, lebendig und gegenwärtig darin sein.«223 Die sogenannte »unmittelbare Verständlichkeit« führt also auch Hegel nicht auf ein universales Einvernehmen zurück, sondern auf einen – um es in heutiger Terminologie auszudrücken – örtlich und kulturell definierten (»einheimisch«), performativen Akt der Vergegenwärtigung (»lebendig und gegenwärtig«). Als das Performative dieser nonverbalen, räumlichen Kommunikation zwischen Bühne und Publikum kann bei Hegel die Metapher der Lebendigkeit und der gleichzeitigen Gegenwart beider Kommunikationsinstanzen gelesen werden.224 Auch Engel spricht – wie erwähnt – von Zeichen, betont aber dabei das ›Stattfinden‹, also den performativen Charakter dieser Zeichen.225 Neben der Annahme einer raumzeitlichen Ko-Präsenz von Darstellern und Zuschauenden wird also eine emotive Korrespondenz zwischen dem Vollzug ästhetischer Handlung und deren Rezeption behauptet. Performativ ist dabei nicht nur die ›Realität‹ der Bühne, sondern auch die sprachliche Auseinandersetzung in den Texten. In den behandelten Schriften und Tanztraktaten wird nämlich nicht etwa nachträglich eine Bühnen-›Wirklichkeit‹ abgebildet, sondern diskursiv eine neue Ästhetik – samt intendierter Realisierung und Wirkung – geschaffen, die freilich von der Praxis und ihren Möglichkeiten beeinflusst ist, diese aber wiederum entscheidend mitprägt. Im Diskurs der doppelten Bewegung geht es – wie anhand der Theater- und insbesondere der Ballettreform in der Mitte des 18. Jahrhunderts gezeigt werden sollte – nicht einfach darum, Bewegung auf der Bühne zu be-schreiben. Vielmehr wird ein wechselseitiges Bewegen zwischen Darstellenden und Zuschauenden auch er-schrieben, indem Art und Weise des Zeichengebrauchs, Handlungsvollzugs und dessen angestrebte Wahrnehmung gewissermaßen vor-geschrieben werden. Der prozesshafte Status dieser Vor-schriften lässt sich, wie im vorliegenden Kapitel untersucht, vor allem an diskursiven Paradoxa und Widersprüchen zeigen. Die performative Leistung der Sprache in den theoretischen 223 | Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, 355. 224 | Auch an anderer Stelle verweist Hegel in Bezug auf den Zuschauer auf die

Übereinkunft, das gegenwärtig und lebendig Präsentierte willentlich als »unmittelbar« anzunehmen; vgl. ebd., 357, wo Hegel über Theaterauff ührungen sagt, dass da »alles unmittelbar zu uns gesprochen wird oder lebendig an unsere sinnliche Anschauung kommt, so daß wir ebenso unmittelbar uns darin bekannt und vertraut finden wollen«. 225 | Vgl. Engel, Ideen zu einer Mimik, Bd. 1, 35.

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Schriften bleibt indes im ausgehenden 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert noch weitgehend auf die Umdefinition und Etablierung einer eigenständigen Kunstsparte, dem ›Ballet en action‹, beschränkt. Erst die romantische Tanzkritik führt – ausgehend von der psychophysischen Metaphorisierung, wie sie die Ballettreform geprägt hat – den Diskurs der doppelten Bewegung geradezu emphatisch weiter und entwickelt dabei eine Praktik der idealisierenden Poetisierung, die im nächsten Kapitel Thema sein soll.

4. Der Diskurs der Emphase »Nous faisons des renommées en veux-tu, en voilà, à la première qui passe et dont le caprice public s’accommode; la renommée faite par nous, nous l’adorons avec passion.« (Jules Janin)1

Die Tanzkunst sei unter ihren Schwestern die subjektivste, und sie nehme »mehr als Poesie, Musik und Plastik die Mitthätigkeit in Anspruch«, meint Albert Czerwinski 1862 in seiner Geschichte der Tanzkunst.2 Damit schreibt sich der Danziger Tanzlehrer und -theoretiker in den Diskurs seiner Zeit ein,3 der die Wechselwirkung zwischen Tanz Ausübenden und Rezipierenden – mehr als je zuvor – als ein dynamisches, reziprokes Verhältnis etablierte und im Gegenzug zur immer stärkeren Reglementierung der Ballettcodes eine betont subjektive Wirkungsweise der Tanzkunst installierte. »Kann ich dir in irdische Worte bannen das himmlische Aethergebild?«, heißt es denn auch im Konversationslexikon von 1834 im Eintrag Tanz, und weiter: »Frage dein eigenes Herz hierüber, dein eigen Gefühl.« 4 Diese subjektive Wirkungsweise der Tanzkunst galt deren Verfechtern als umso bewegender, anregender und insbesondere lebendiger. Czerwinski hält diesbezüglich fest, die Tanzkunst wirke »durch die Bewegung auf die Phantasie«5 und trete »wie keine der Künste, selbst nicht die Poesie, in das Leben ein, befähigt dazu durch den Umstand, dass sie in der bequemsten Vermittlung (der selbstthätigen, anspruchslosen Bewegung) ihren Zauber wirken lassen kann«.6 Gerade durch ihre spezifische Wirkung sei die Tanzkunst, so Czerwins1 | Janin in Journal des débats, 30.6.1841, 1. 2 | Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, 5. Dieses Werk erfuhr 1879 eine »nach

populärwissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommene[] überarbeitete[] Auflage« unter den Titel Brevier der Tanzkunst; vgl. dazu Petermann in Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, 269. 3 | Vgl. auch Petermann in ebd., 267: »Albert Czerwinski ist dem progressiven Zeitgeist seiner Epoche tief verbunden.« 4 | Herloßsohn (Hg.), Damen Conversations Lexikon, Bd. 10, 19. 5 | Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, 3; Ders., Brevier der Tanzkunst, 4. 6 | Czerwinski, Brevier der Tanzkunst, 5.

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ki, »für unsere Kultur eine Nothwendigkeit, sie ward einer ihrer Träger und Stützen«.7 Über solche Zuschreibungen, rückgreifend auf die ›Phantasie‹ und den ›Zauber‹ öffnet sich der theoretische Text begrifflich nicht exakt fassbaren Bereichen. Es wird, zumindest in der Einleitung, auf einen Wirkungsraum rekurriert, der vom objektivierten Gegenstand der Traktatliteratur vorsätzlich abweicht. Dieser Umstand lässt sich einerseits als folgerichtige Reaktion auf eine gegenüber dem 18. Jahrhundert veränderte – romantische – Bühnenrealität im Ballett erklären. Andererseits ist im Diskurs über den Tanz seit den 1830er Jahren generell eine Neigung zur ›Verzauberung‹, zur bewegten Phantasie und eine Tendenz zur Verklärung zu beobachten. Damit einher geht eine Verschiebung der Perspektive und der Textsorte. Waren es im 18. Jahrhundert vor allem die Traktate, in denen eine Autorität das Publikum über den Tanz aufklären und unterrichten sollte, so bewegt sich der Autorgestus im 19. Jahrhundert immer mehr hin zu jenem eines teilhabenden Beobachters, eines subjektiv bewegten »Mitthäters« eben.

Verschiebung der Textsor tenrelevanz Ein Gefäß für diese veränderte Perspektive bot – neben der Literatur – das sich im 19. Jahrhundert neu formierende Feuilleton. Insbesondere die Ballettkritiken stehen in der zeitgenössischen Tradition der romantischen Praxis der Imagination, die sich von mimetischen Abbildkonzepten des 18. Jahrhunderts abhebt, aber auch eine Weiterführung einer spezifischen Wirkungsästhetik ist. Ohne den Bezug zu einer vorgegebenen, wenn auch scheinhaften Wirklichkeit – dem Bühnengeschehen – zu verlieren, gibt sich der Tanzkritiker seiner eigenen subjektiven Optik hin und erzeugt so vor den Augen der Lesenden eine andere Welt, die wiederum auf die Rezeption des Publikums zurückwirkt. Bevor jedoch auf die Gattung der feuilletonistischen Texte ausführlich eingegangen wird, soll die Verschiebung der Relevanz noch genauer im Hinblick auf die (für die hier untersuchte Fragestellung an Bedeutung verlierende) Textsorte, das Traktat, dargelegt werden. Denn auch im sogenannten ›sachlichen‹ Genre der Fachliteratur ist ein signifi kant veränderter Gestus zu beobachten, der eine Neuorientierung in Bezug auf die Textsorte erklärbar macht oder zumindest im gleichen paradigmatischen Zusammenhang zu sehen ist. 1830 heißt es etwa in einem anonym verfassten und an die Schriften von Carlo Blasis angelehnten Lehrbuch zum »gesellschaftlichen und theatralischen Tanze«: »Es wird Jedem, der nur den geringsten Begriff von dem theatralischen Tanze hat, einleuchten, daß es schwer hält, ja, daß es fast unmöglich ist, auf rein theoretischem 7 | Ebd., 5. In Stellen wie diesen hebt der Autor explizit die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser Kunstform hervor, weshalb Petermann in seinem Nachwort zu Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, 269, auch schreibt, dieser habe den »Grundstein zu einer neuen kulturgeschichtlichen Disziplin gelegt«.

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Wege sich mit dieser wahrhaft erhabenen Kunst vertraut zu machen. Es können hier weder blose Worte, noch Versinnlichungen mit Hilfe der Zeichenkunst namentlich dem nicht genügen, der gar keine Kenntniß vom Tanze hat.«8

Der Autor kreiert hier ein Paradox, indem er im theoretischen Text die Theoretisierung des Tanzes verwirft. Weder die verbal erläuternde noch die optisch abbildende Unterweisung lässt er als Ersatz für die subjektive Anschauung respektive Erfahrung gelten. Dennoch tut das Werk genau, was es in der obigen Stelle als Unmöglichkeit erklärt – es beschreibt und zeigt. Wie eine Rechtfertigung erscheint da der ausführliche Titel des Breviers: »Neue vollständige Tanzschule für die elegante Welt, oder faßliche und umfassende Anleitung zum gesellschaftlichen und theatralischen Tanze: zum Selbstunterrichte sowohl, wie auch zum Handbuch für Tanzlehrer bestimmt. Enthaltend die Geschichte des Tanzes, die Anfangsgründe desselben und eine allgemein verständliche Anweisung zu allen Arten des gesellschaftlichen Tanzes, allen Pas, Positionen und Gruppirungen des theatralischen oder des Ballets und zu den berühmtesten Nationaltänzen, wie dem Bolero, Fandango, Tarantella u.a. Nach den neu erschienenen vollständigen Werken eines Blasis, ersten Ballettänzers am CoventgardenTheater zu London […] u. A. bearbeitet.«9

Die Angabe von Referenzen, die in der Fachwelt als Autoritäten anerkannt waren (Carlo Blasis), die Aufzählung der genreüblichen Inhalte (Geschichte, Schritte/Positionen und Tänze) sowie die versprochene verständliche Sprache der Abhandlung sollten wohl eine solche Schrift legitimieren. Die eigentlichen Anweisungen unterscheiden sich nicht grundlegend von anderen, auch früheren, Lehrbüchern. Dass aber eine Legitimation überhaupt notwendig ist, hat einerseits nach wie vor mit dem übernommenen und weiter tradierten apologetischen Selbstverständnis der Kunstform zu tun,10 andererseits aber auch mit einer neuen Sensibilität für die Schwierigkeiten einer Reflexion über die Tanzkunst. So kritisiert denn auch Rudolph Voß in seiner 1869 erschienenen »kulturhistorisch-choreographische[n] Studie« 11 Der Tanz und seine Geschichte den Erklärungsnotstand in dieser Disziplin im Vergleich zu einem allgemein vorauszusetzenden Basiswissen in anderen Künsten: »Für die Thatsache, wie wenig unsere Zeit geneigt ist, über das Tanzen oder die einzelnen Tänze nachzudenken, kann als Beweis gelten, dass der Begriff des Tanzens insgemein sehr verworren ist, und dass die Frage: was ist Tanzen? gar nichts Auffallendes hat./Andere Fragen von ähnlichem Charakter fallen sofort auf und werden sogar beleidigend, weil man erwidern würde: das sind Fragen, welche gegen die 8 | Anonymus, Neue vollständige Tanzschule, 112. 9 | Ebd., Titelblatt. 10 | Vgl. dazu auch die Kapitel 2 und 3 der vorliegenden Untersuchung. 11 | Voß, Der Tanz und seine Geschichte, Titelblatt.

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herrschende Bildung verstoßen, z.B. Was ist Singen? Was ist Zeichnen?/Bei diesen Fragen wird Jeder sofort eine richtige Erklärung des Begriffs zu geben wissen, während auf die Frage: was ist Tanzen? gewiss nur Wenige im Stande sein werden, den Begriff desselben richtig zu erklären.« 12

Während Voß diesem von ihm als Zeitphänomen diagnostizierten Problem mit neuerlichen Orientierungen und Begriffsklärungen für ein breites Publikum begegnet,13 reagieren andere Autoren mit einem anders ausgerichteten Fokus. Carlo Blasis etwa integriert die Vagheiten bezüglich einer Erfassung und Vermittlung des Gegenstandes kurzerhand in seine Definition und Beschreibung der Tanzkunst. Liest man die theoretischen Kapitel in seinen Abhandlungen wie Traité élémentaire, théorique et pratique de l‘ art de la danse von 1820, The code of Terpsichore von 1828, Studi sulle arti imitatrici von 1844 oder Notes upon dancing, historical and practical von 1847,14 dann wird deutlich, dass der italienische Tänzer, Pädagoge, Choreograph und Theoretiker weit mehr zum Diskurs über Tanz beigetragen hat als nur noch »die technische, d.h. praxisbezogene Seite dieser Kunst weiter auszubauen«,15 wie Wienholz behauptet. Blasis nimmt vielmehr den bereits im 18. Jahrhundert etablierten Topos der unmittelbaren Wirkungskraft der bewegten Bühnenkunst und der damit zusammenhängenden Unsagbarkeit auf,16 indem er im Genre des Traktats einen Diskurs der Sinne be- beziehungsweise erschreibt: »By gesture we present to the eyes all that we cannot express to the ears […]. Speech is the language of reason: it convinces our minds; tones and gestures form a sentimental discourse that moves the heart.« 17 Er schildert die Wirkung des »sentimental discourse« einerseits, wie bereits Noverre,18 als Bewegung hin zum Herzen, andererseits auch als Wechselwirkung zwischen Produzenten und Rezipienten und leitet aus dieser Zuschreibung eine entsprechende Art des Tanze(n)s ab:

12 | Ebd., 3. 13 | Vgl. etwa Voß’ Kritik an den bisherigen als ungenügend bezeichneten Be-

griffsklärungen, ebd., 3, und seine im Vorwort, o.S., formulierte Intention: »Ich beabsichtige nicht so eigentlich, ein Werk für den Geschichtsforscher und den berufenen Jünger der Tanzkunst zu schaffen, vielmehr war es mein Bestreben, mit diesen Blättern in der Familie, bei der heranwachsenden Jugend, vor Allem bei unseren jungen Damen, nicht etwa nur ein lebhaftes Interesse für das Tanzen zu wecken – das wäre wohl unnöthig – sondern die Bekanntschaft mit dem Tanz und seine Geschichte, die in diesen Kreisen so gänzlich fehlt und doch so wichtig und interessant ist, einzuleiten und zu befestigen.« Es ist dabei zu beachten, dass sich Voß vor allem auf die Gesellschafts- und weniger auf die theatralischen Tänze bezieht. 14 | Vgl. zu Blasis’ Schriften auch Poesio, The language of gesture, 139ff. 15 | Wienholz, Französische Tanzkritik im 19. Jahrhundert, 27. 16 | Vgl. Blasis, The code of Terpsichore, 114. 17 | Ebd., 113. 18 | Vgl. Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit.

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»The true object of the Ballet appears to be the Beautiful in motion […]. This may be effected in two ways, by two classes of movements; the one is quick, vehement and joyous, and is no other than Dancing – but the other class of motions is a far different thing; it is no less than a mute expression of feelings, passions, ideas, intentions, or any other sensations belonging to a reasonable being […], it produces upon the mind and feelings of the spectator an extraordinary effect.« 19

Die Bewegung, die Blasis mit seiner – zeitgenössischen – Auffassung von Tanz erreichen will, zielt demnach auf emotionale Effekte beim Zuschauer, bei der Zuschauerin. Dazu gibt er noch genauere Anweisungen an den Tanzenden: »The gestures and countenance of the performer must express to the spectator all that passes in the soul, and minutely point out every variation in its emotions. The heart should feel all that is exhibited by the features and gestures, which cannot act perfectly without its consent.«20 Darbietung und Rezeption sollen sich – so die erklärte Absicht – in der Übereinstimmung der Emotionen treffen. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt der Pädagoge in seinen Werken nicht nur Instruktionen zu den Positionen, Figuren, Schritten und Tänzercharakteren, sondern schreibt eben auch die innere Einstellung des sich bewegenden Performers21 und damit ebenso jene des durch die Performance zu bewegenden Zuschauers vor.22 Während Blasis diese Möglichkeiten und Intentionen der Tanzkunst in 19 | Blasis, Notes upon dancing, i. 20 | Blasis, The code of Terpsichore, 128. 21 | Vgl. auch Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland, 2, der schreibt, dass

sich »durch Bewegung inneres Leben« kundtue. Anton Roller hält 1843 in seinem Systematische[n] Lehrbuch der bildenden Tanzkunst, 82, bezüglich des intendierten Effekts fest: »Der Tanz muß mit der angenehmsten Leichtigkeit ausgeführt werden, das Auge des Zusehenden darf keine Ermüdung oder Anstrengung sehen, weil sogleich der schöne Effect, welcher dabei hervorgebracht werden soll, zerstört wird; daher ist die früher erklärte Uebung der Kraft so nothwendig, um die Leichtigkeit zu erlangen.« 22 | Voß wiederum schreibt in Der Tanz und seine Geschichte, 259, über die gravierenden Folgen einer schlechten Darbietung und kritisiert dabei die spezifische, unreflektierte Einstellung des Publikums zur Tanzkunst als eine anfällige, denn es »wirkt keine andere Kunst in ihrer nur mittelmäßigen Ausführung so verderbend auf den Geschmack des Publikums, als die Tanzkunst. Während z.B. ein mittelmäßig ausgeführter Gesang bemitleidet und eine mittelmäßige Darstellung im Schauspiel belächelt wird, also das Mangelhafte der Ausführung dieser Künste auf den Zuhörer resp. Zuschauer ohne dauernden und schädlichen Einfluss bleibt, erregt eine nur mittelmäßige Ausführung des Tanzes, (Arrangement sowohl wie Tanz) im Publikum noch immer eine gewisse Theilnahme. Da nun eine solche Ausführung eines Tanzes zum Nachdenken keine Veranlassung giebt, so ist die erregte Theilnahme zumeist ohne Urtheil, und hinterlässt deshalb die schädlichsten Eindrücke, welche sich dann zum Schaden des Anstandes und der Anmuth in den weitesten Kreisen des Lebens bemerkbar machen.«

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sachlich erläuternder respektive anweisender Sprache darlegt, wirkt sich die angestrebte Wechselwirkung von Ausdruck und Effekt in anderen Traktaten der Zeit auch auf die Argumentationsweise aus. Dabei vermischen sich auf signifi kante Weise die Rede über den Tanz und jene über dessen Wirkung. So finden sich auch in Theodor Hentschkes Abhandlung Allgemeine Tanzkunst von 1836 im Kapitel Theorie der Tanzkunst, das der Beschreibung historischer und neuerer Tänze vorangestellt ist, Aussagen wie folgende: »Das Ballett ist die Darstellung poetischer Thatsachen, hauptsächlich den Mythen entlehnt, in idealischem Gewande; ein stets fortschreitendes wechselndes Gemälde durch Handlungen und starke Geberden statt der Sprache, gleichsam in weiter Ferne unvernehmbar; als schwebe Alles im magischen Flore der Geisterwelt; Sprache sey der Sphärenklang der begleitenden Töne und der Körper befreit von irdischer Schwere.«23

Die erwähnte Darbietung poetisch-mythischer Themen durch den Tanz wird im Zitat durch ein poetisch-bildhaftes Schreiben darüber gespiegelt. Auch im Text vermengen sich somit die Intentionen bezüglich Gegenstand und Rezeption. In das idealische »Gewande« kleidet den Tanz schließlich der Diskurs, indem das Dargebotene zum Ideal erklärt wird. Verbal vermittelte Bilder des Schwebens und der Leichtigkeit, der Magie und der Geisterwelt rekurrieren auf die romantische Ballettpraxis und liefern gleich eine Interpretation (oder zumindest einen Interpretationsansatz) mit. Signifi kant ist dabei auch die Konterkarierung von Gebärden und ›Sprache‹, die schließlich in eine interessante Umdefinition mündet, indem der akustisch-musikalischen Untermalung eine (vage) sprachliche Funktion zugeschrieben wird. Zu beobachten ist wiederum die paradoxe Figur: Mittels Beschreibung respektive Zuschreibung stellt der Autor der wörtlichen Sprache einen vielschichtigen nonverbalen Ausdrucks- und Bedeutungskomplex gegenüber. Die Kluft zwischen nonverbalem und verbalem Ausdruck zeigt sich auch in weiteren einschlägigen Tanztraktaten des 19. Jahrhunderts mit ähnlichen Argumentationsmustern, so wie dies bereits in den Schriften von Noverre und seinen Zeitgenossen zu beobachten war.24 Insbesondere Carlo Blasis führt – mit Verweis u.a. und nicht zufällig auf Diderot 25 – ebenfalls die schnelle und energetische Wirkungskraft des Tanzes beziehungsweise der Bewegungssprache, Gestenkunst oder Pantomime in Bezug auf emotive Inhalte und Handlungen

23 | Hentschke, Allgemeine Tanzkunst, 4. 24 | Vgl. Kapitel 3 der vorliegenden Untersuchung. 25 | Diderot wirkte diesbezüglich über das 18. Jahrhundert hinaus diskursprä-

gend, indem man sich immer wieder auf ihn berief. Vgl. dazu auch Fischer-Lichte, Der Körper als Zeichen und als Erfahrung, 61; außerdem Dies., Kurze Geschichte des deutschen Theaters, 121ff.; und in Bezug auf den Tanz Dahms, Anmerkungen zu den ›Tanzdramen‹ Angiolinis und Noverres, 70.

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an und spielt diese gegen die seines Erachtens schwerfällige, weil sukzessiv organisierte und mittelbare wörtliche Sprache an, wenn er etwa vermerkt: »›Pantomime‹, says a great master of the fine arts, ›expresses with rapidity the movements of the soul […]; it portrays, more perfectly even than speech itself, extreme grief, or excessive joy.‹ The ardent mind of Diderot knew how to appreciate this natural expression, and he lavished upon it all due eulogium. […] Independently of the natural gestures, it is known that the figurative and symbolical language of motions, composed of regulated signs, or signs of intelligence, is sometimes more striking than the slower and systematic language of words. It derives its origin from Pantomime.«26

Hinsichtlich dieser ›Vorzüge‹ der figurativen, symbolischen gegenüber der wörtlichen Sprache herrschte in Fachkreisen inzwischen weitgehend Konsens.27 Mit der Aufwertung des Nonverbalen einher ging auch eine Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Worte und damit der sprachlichen Vermittlung – insbesondere wiederum von nonverbalen Inhalten. Ein Beispiel dieser Vorbehalte ist folgende Äußerung von Philarète Chasles, mit der er seine Histoire de l’Opéra schließt;28 da schreibt er über die musikalischen und tänzerischen Darbietungen an der Pariser Oper: »Quant à l’histoire systématique de l’Opéra, elle serait 26 | Blasis, The code of Terpsichore, 112f.; vgl. außerdem ebd., 139f.: »Pantomime is now capable of explaining our feelings almost as perfectly as the voice; and, as we have already observed, it expresses the transports of passion even more energetically. Hence it may be concluded that this art of expressing ourselves by looks and gestures is sufficient to represent every species of action or historic exploit.« 27 | Benjamin Lumley, der langjährige Direktor von Her Majesty’s Theatre in London, erwähnt in seinen Erinnerungen, Reminiscences of the opera, 38f., zwar auch Stimmen von Kritikern, die bezüglich des Balletts bemängelt haben sollen, dieses sei »something that no fellow could understand« und deshalb »a bore«; er entgegnet allerdings folgendermaßen: »I will […] so far concede a point to the indolent patrons of choreographic art as to admit that even the ballet d’action ought to be much more easily intelligible than the generality of plays in which words are employed. The situations should tell their own tale, and that part of the action which merely belongs to the development of the plot, but is not striking to the eye, should be rendered as subordinate as possible. Hence I am rather inclined to the opinion that a known subject is better adapted for a ballet than one which has to be unravelled for the fi rst time, when presented in dumbshow.« (Hervorhebung im Original) Auch die Diskussion, ob ein Ballett eines begleitend erklärenden Programmheftes bedürfte, wurde in diesem Zusammenhang erneut diskutiert. Vgl. dazu etwa die Äußerungen von Blasis, The code of Terpsichore, 241ff.; außerdem die kritische Anmerkung von Gautier, Écrits sur la danse, 210. 28 | Dieser Text ist zugleich die Einleitung zum Band Les beautés de l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques, den Chasles gemeinsam mit den Ballettspezialisten Théophile Gautier und Jules Janin 1845 herausgegeben hat.

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absurde; ce sont des plaisirs vifs et charmants qu’il faut goûter, et non décrire.«29 Paradox an dieser Aussage ist einerseits, dass sie am Ende einer solchen systematischen Beschreibung steht und diese so rückwirkend verwirft – oder zumindest damit kokettiert, um das Augenmerk auf die, wie es heißt, lebendigen Freuden und Genüsse zu richten, die aber andererseits in den folgenden Kapiteln von Chasles, Théophile Gautier und Jules Janin über konkrete Opern- und Ballettwerke auch wieder ›lediglich‹ beschrieben werden. Wie auch immer man diesen Gestus interpretiert, ob als kokett, skeptisch oder gar devot, er macht einen sinnlichen Diskurs stark, ist aber dafür auf die begriffliche Sprache angewiesen, die er in der Argumentation herabstuft. Die Suche nach neuen Möglichkeiten einer sprachlichen Erfassung des Nichtsprachlichen ist die logische Konsequenz aus diesem – hausgemachten – Dilemma. Dem Traktat und der systematischen Beschreibung wurde nicht (mehr) getraut, beziehungsweise haftete ihnen fortan der Makel an, als Textgenre dem ins Auge gefassten Gegenstand nicht adäquat beikommen zu können. Eine Lösung fand eine Reihe von Autoren in einer veränderten, betont subjektiveren, auf der ›lebendigen‹ Anschauung beruhenden und dieser Ausdruck verleihenden Schreibweise. Das geeignete Genre dafür bot das zu Beginn des 19. Jahrhunderts sich etablierende Feuilleton.30 Sprache, Selbstverständnis und Anspruch der Kritiker wandelten sich in den ersten Jahrzehnten nach 1800 insbesondere in Frankreich, wo sich das Feuilleton an ein kulturinteressiertes, kultiviertes Publikum richtete und eine Mischung aus dokumentarischer und literarischer Vermittlung pflegte.31 Während die frühen Ballettbesprechungen etwa 29 | Chasles, Histoire de l’Opéra, 16, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques. 30 | Vgl. zur Entwicklung des Feuilletons u.a. Jakoby, Das Feuilleton des Journal des débats von 1814 bis 1830; Jakoby bemängelt darin, ebd., 1, zu Recht, dass es sich um ein »bisher für die Ideen- und Literaturgeschichtsschreibung nicht erschlossene[s] Textkorpus« handle. Die regelmäßige literarische Kritik und Theaterberichterstattung wurde um 1800 in Paris von Julien-Louis Geoff roy eingeführt; vgl. ebd., 8f. Geoff roys späterer Nachfolger, Jules Janin, schreibt über das frühe Feuilleton in Janin, Variétés littéraires, 67: Geoff roy »écrivit d’une main délibérée, un peu pédante encore, mais habile et féconde, le premier feuilleton du Journal des débats. Ce premier feuilleton représentait les deux premières colonnes au bas de la première page du journal, la troisième colonne étant abandonnée à l’annonce des huit ou dix théâtres dont s’amusait en ce temps-là le bon peuple de Paris. Le succès de ce premier feuilleton fut immense, incroyable; on s’arrachait le journal; et ce premier jour suffit pour fonder la renommée de maître Geoffroy, et la célébrité du Journal des débats, qui devint bientôt le Journal de l’Empire.« (Hervorhebung im Original) 31 | Vgl. dazu auch Matoré, Le vocabulaire de la prose littéraire de 1833 à 1845, 103, der feststellt: »Cette langue du journal moderne est très différente de celle des journaux du XVIIIe siècle: à cette époque, la gazette, qui s’adressait à un public cultivé et qui correspondait à peu près à ce que nous appelons aujourd’hui une revue, était généralement écrite d’une manière soignée, littéraire.« Vgl. auch Jakoby, Das Feuille-

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von Castil-Blaze und Hector Berlioz noch eher einem klassizistischen Kunstverständnis verpflichtet waren und meist im größeren Zusammenhang der Rezeption musikalisch-dramatischer Gattungen wie der Oper standen, etablierte sich in Paris ab den 1830er Jahren, nach einem journalistischen Generationswechsel, jener Feuilleton-Stil, um den es im Folgenden gehen soll.32 Vor allem zwei Kritiker haben den feuilletonistischen Diskurs im Hinblick auf den künstlerischen Tanz entscheidend geprägt: Jules Janin begann 1829 für die Zeitung Journal des débats zu schreiben, zunächst in verschiedenen Sparten des Feuilletons, bevor er sich, nach Pierre Duviquets Rücktritt als Theaterkritiker, zum »prince de la critique« entwickelte.33 Heute weit bekannter hingegen ist Janins Kollege Théophile Gautier – wohl vor allem wegen dessen Bedeutung als Literat (und nicht nur als Kritiker) und der damit zusammenhängenden besseren Quellenlage;34 er rezensierte ab 1832 für verschiedene Zeitungen, regelmäßig dann u.a. in La Presse (1836-1855) und Le Moniteur universel (1855-1868).35 Beide Kritiker waren von der einzigartigen Wirkung der romantischen Tanzkunst überzeugt und entwickelten eine spezifische Art der Vermittlung, die allerdings nicht aus der Luft gegriffen war, sondern durchaus im kulturhistorischen Kontext der Zeit zu sehen respektive zu analysieren ist.

ton des Journal des débats von 1814 bis 1830, 149, wonach das Feuilleton sich »in den letzten Jahren der Restauration den gewandelten Ansprüchen von Lesern, Theaterbesuchern und Autoren« angepasst habe. 32 | Vgl. zur romantischen Tanzkritik u.a. die grundlegende, inzwischen jedoch z.T. überholte Studie von Wienholz, Französische Tanzkritik im 19. Jahrhundert, und insbesondere, neueren Erkenntnissen folgend, Chapman, Jules Janin, 197ff. 33 | Vgl. dazu Jakoby, Das Feuilleton des Journal des débats von 1814 bis 1830, 149 und 233; außerdem Bailbé, Jules Janin, 7. Zum Werdegang von Janin und zu seinen Kritiken vgl. u.a. auch Landrin, Jules Janin; Garafola, Rethinking the Sylph, darin v.a. Chapman, Jules Janin; außerdem die entsprechenden Kapitel im Band Le livre du centenaire du Journal des débats, insbesondere 416ff., und Mergier-Bourdeix, Les amours de Jules Janin. 34 | Von Gautiers Texten existieren Werkausgaben (u.a. in der Reihe Textes de Littérature moderne et contemporaine im Verlag Honoré Champion) und Übersetzungen. Ivor Guest hat eine Auswahl der Tanzkritiken 1986 gesondert und in englischer Sprache kommentiert unter dem Titel Gautier on dance herausgegeben; 1995 erschien der Band in französischer Originalsprache: Gautier, Écrits sur la danse. Vgl. zu Gautier als (Tanz-)Kritiker u.a. Baudelaire, Théophile Gautier; Binney, Les ballets de Théophile Gautier; Cenerelli, Dichtung und Kunst; Guest, The ballet of the second empire; Ders., The romantic ballet in Paris; Levinson, Théophile Gautier und das Ballett; Matoré, Le vocabulaire de la prose littéraire de 1833 à 1845; Yon, Gautier feuilletoniste. 35 | Vgl. Binney, Les ballets de Théophile Gautier, 14, 22, 31; Matoré, Le vocabulaire de la prose littéraire de 1833 à 1845, 108.

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Romantische Kritik Bereits der frühe, noch weitgehend romantikkritische Feuilletonist Julien-Louis Geoffroy36 misst das Ballett an einer als charakteristisch betrachteten Ausdruckskraft und schreibt diesbezüglich 1804 im Journal des débats anlässlich Daubervals Ballett-Pantomime La Fille mal gardée: »[C]’est en effet la véritable danse; elle n’est un art qu’autant qu’elle imite par les movemens du corps, les pensées, les caractères et les passions des hommes: c’est à ce titre qu’elle fait partie de la poésie dramatique. Des sauts et des pirouettes ne sont point la danse.«37 Auch wenn sich die Forderung nach einer »poésie dramatique« in der zitierten Stelle auf das Ballett auf der Bühne bezieht, ist in dieser Aussage ein poetischer Anspruch zu erkennen, der sich fortan in den Texten über Tanz spiegelt.38 So stellt etwa Janin im Rückblick eine enge persönliche, durchaus poetische Korrelation zwischen dem Ballett seiner Zeit und seinem Schreiben her, indem er die ersten glorreichen Auftritte der Ballerina Marie Taglioni mit den Anfängen seiner feuilletonistischen Tätigkeit in Verbindung bringt: »Je commençais alors à écrire, lorsqu’elle [d.i. Taglioni, C.T.] commençait à danser; j’écrivais avec rien, sans motif et sans cause, uniquement pour le bonheur d’écrire et de parler, librement, à quiconque veut entendre incessamment raconter l’histoire éternelle du rein du tout! Alors, et naturellement, la voyant reluire, à la façon du ver luisant, dans les gazons de l’été, je m’attachai à cette gloire volage et volante; pendant dix ans, je l’ai portée à mon épingle, en guise d’améthiste et de rubis, ce papillon volage. Il a été, dix ans durant, le thème enchanté de mes frêles discours. Elle dansait, et j’écrivais, et rien qu’avec mes louanges à sa jeunesse inspirée, on ferait un beau tome!«39

Diese Stelle ist in mehrfacher Hinsicht signifi kant für das Selbstverständnis und die Intention des Kritikers. Dieser bindet sich, sein Sehen und Schreiben eng an die Kunst der Tänzerin an (»je m’attachai à cette gloire«), in deren Glanz und Ruhm er seinen Diskurs stellt. Demgegenüber überträgt er diesen Glanz aber auch auf sein eigenes Tun, indem er ihn als ihr Rezensent metonymisch in das Bild des leuchtenden Edelsteins fasst, den er sich anstecken und am eige36 | Vgl. dazu auch Jakoby, Das Feuilleton des Journal des débats von 1814 bis 1830, 160f. Geoff roy wird in Le livre du centenaire du Journal des débats, 417 und 423, als klarsichtiger, strenger, aber durchaus passionierter Schreiber charakterisiert. 37 | Geoff roy, Théatre de la Porte Saint-Martin, in: Journal des débats, 12. Mai 1804, 3. 38 | Vgl. zur Kritik der Frühromantiker, auf den deutschen Sprachraum bezogen, auch Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Vgl. zum neuen Sprachstil aus der Sicht eines zeitgenössischen Pädagogen und Theoretikers auch Klemm, Katechismus der Tanzkunst, V, der pejorativ von »poetischen Ergüssen in der blühendsten Sprache« spricht. 39 | Janin, Les symphonies de l’hiver, 278.

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nen Leib tragen kann (»je l’ai portée à mon épingle, en guise d’améthiste et de rubis«). Interessant ist auch, dass er scheinbar ohne Grund und Motiv schreiben will (»j’écrivais avec rien, sans motif et sans cause«), was – im Gegensatz zum Gestus in den Traktaten – die Notwendigkeit einer Legitimation des Schreibens dezidiert von der Hand weist. Dieses geschehe vielmehr aus purer Freude (»uniquement pour le bonheur d’écrire et de parler«), erklärt der Kritiker seinen Impuls. Obwohl er seine Rede an den gesehenen Tanz anlehnt, bezeichnet er diese als frei (»libre«), also als subjektiv, und den Gegenstand als einen, der zwar der ewigen Erzählung lohnt (»raconter l’histoire éternelle«) und Bände füllt (»on ferait un beau tome«), aber eigentlich ein Nichts sei (»rein du tout«), was freilich beim ersten Lesen erstaunt. Damit jedoch macht der Kritiker deutlich, dass er einerseits auf die von ihm vorher diagnostizierte Leichtigkeit und Flüchtigkeit der bewegten Kunst reagiert; andererseits verweist er – so die These – darauf, dass er nicht den Tanz selbst in seiner ›realen‹ Materialität erfasst, sondern in der immateriellen Anschauung. Die Tänzerin aus Fleisch und Blut und ihre konkreten Handlungen sind ihm ideelle Inspiration und Thema für sein eigenes Schaffen, das er – wiederum in bildhaft analoger Korrelation zum Gesehenen und Beschriebenen – als zarte Rede (»frêles discours«) bezeichnet. Bereits die Frühromantiker haben ein produktives rezeptives Verhältnis des Kritikers zur Kunst stark gemacht und diese Haltung »poetisches Gefühl« genannt, das einen subjektiven kreativen Akt auslöse. Friedrich Schlegel formuliert dies folgendermaßen: »Das Wesen des poetischen Gefühls liegt vielleicht darin, dass man sich ganz aus sich selbst affi[…]ciren, über Nichts in Affekt gerathen […] kann.« 40 Walter Benjamin nennt denn dieses »poetische Gefühl« in seiner Dissertation zur Kunstkritik der deutschen Frühromantik auch den »Indifferenzpunkt der Reflexion, an dem diese aus dem Nichts entspringt«. 41 Auch hier ist die Rede vom Nichts: Als Ausgangspunkt der Reflexion des Kritikers wird also nicht die Kunst selbst betrachtet, sondern das Gefühl, das diese bei ihm auslöst und das keinen konkreten Ort und keine ›reale‹ Substanz hat. Janin wiederum verwendet demgemäß in der zitierten Stelle das Bild der Spiegelung (»à la façon du ver luisant«), die ebenfalls nichts Greif bares, sondern Reflexion ist. Auch wenn Benjamin sich nicht auf die französischen Romantiker und schon gar nicht auf die Feuilletonisten im Bereich Ballett bezogen hat, so triff t seine Folgerung in Bezug auf ›den Kritiker‹ doch auch insbesondere auf Janin und Gautier zu: »Es ist klar: für den Romantiker ist Kritik viel weniger die Beurteilung eines Werkes als die Methode seiner Vollendung. In diesem Sinne haben sie poetische Kritik gefordert, den Unterschied zwischen Kritik und Poesie aufgehoben.« 42 Théophile Gautier betont entsprechend, er sei in der Funktion des Kritikers »un poëte et non un magister«. 43 Seine Ballettrezensio40 | Schlegel, Fragmente, 285. Vgl. auch Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, 58. 41 | Ebd., 58. 42 | Ebd., 63f. 43 | Gautier, Introduction, 4. Gautier widerspricht mit dieser Auffassung der

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nen versteht er demnach als Produkte eines Poeten, 44 und so zeugen sie von einer Praktik der Poetisierung, wie dieses Verfahren der romantischen Kritiker im Folgenden genannt und untersucht werden soll. 45

Poetisierung und Idealisierung Eine Manifestation dieser Poetisierung lässt sich insofern charakterisieren, als sie das Wahrgenommene mit dem Imaginierten verbindet und mit dichterischen Mitteln zu einem poetischen Ausdruck bringt. Ein solches Verfahren lässt sich an zahlreichen poetisierten Passagen in den romantischen Rezensionen darlegen, wie beispielsweise anhand jener, in der Gautier Marie Taglionis Erscheinung in folgende sprachliche Bilder überträgt: »Taglioni, c’était déjà pour nous comme Terpsichore pour les gens de l’Empire […]. Taglioni, la Sylphide! […] [U]ne vapeur d’opale dans une verte obscurité de forêt magique. Taglioni, […] le sourire aux lèvres, les bras harmonieusement étendus, la pointe auch in seiner Zeit durchaus noch vertretenen Unterscheidung von Kritiker und Künstler; vgl. diesbezüglich beispielsweise Herloßsohn (Hg.), Damen Conversations Lexikon, Bd. 1, unter dem Eintrag »Aesthetik«, 89: »Der Aesthetiker, welcher selbst Kunstwerke schaff t, ist der persönliche oder subjective; der, welcher nicht selbst schaff t, sondern nur das Geschaffene zu erkennen und zu beurtheilen weiß, ist der anwendende oder objective; dieser heißt Kritiker, jener Künstler oder Autor.« Gautiers beziehungsweise der romantische Anspruch galt freilich nicht generell für die gesamte Tanzkritik der Zeit, vielmehr existierten auch prosaischere Rezensionen im Stil einer nachträglichen, objektivierten Schilderung. Dies belegt etwa, wenn auch – übernommen aus Paris – durchaus mit einem Hang zur Idealisierung, folgendes Beispiel aus der Theaterzeitschrift Wiener Conversationsblatt, in der es in der Ausgabe vom 1. März 1855 über eine Tänzerin heißt: »Man schreibt uns aus Paris, 22. Febr. ›Gestern Abends trat eine junge Tänzerin aus Mailand, Namens Berretta, zum ersten Mal, und zwar in dem Ballet Le diable à quatre in der großen Oper auf. Berretta, erst fünfzehn Jahre alt, erregte eine ungeheure Begeisterung. Sie soll nie Dagewesenes geleistet und alle ihre Rivalen verdunkelt haben.« Vgl. Bäuerle (Hg.), Wiener Conversationsblatt, 207. 44 | Vgl. dazu auch Guest, The romantic ballet in Paris, 8. 45 | Vgl. zur Reflexion der entsprechenden Ausdrucksweise auch die Bemerkung des Kritikers Hippolyte Prévost in seiner Rezension vom 20. Juli 1840 in Le Moniteur über Marie Taglioni in La Sylphide: »Pour célébrer dignement cette exceptionnelle beauté de l’art, la langue manque de nuances; l’éloge de cette admirable danseuse ne pourrait se traduire que par des expressions nouvelles, uniques comme son talent.« In einem Vergleich der Kritiker Prévost, Janin und Gautier kommt Chapman, Jules Janin, 201, dann allerdings zum Schluss: »Prévost was no poet. Janin on the other hand, though not the poet Gautier was, could paint word pictures when it suited him.«

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du pied sur la pointe d’une fleur; […] [une] fée[] que nous invoquions pour nous inspirer.« 46

Die Tänzerin auf der Bühne in der romantischen Kulisse ist dem Kritiker Inspiration für seine poetische Schrift. 47 Er beschreibt nicht nur, was zu sehen ist, er sieht und schildert vielmehr auch, was bühnentechnisch gar nicht möglich ist und über den beschränkten Theatersaal hinausweist; er malt also den Bühnenraum mit Attributen aus und erweitert ihn um poetisch gezeichnete Landschaften, die er zudem in sein eigenes Licht rückt. So schreibt Gautier weiter, Mlle. Taglioni lasse einen an Täler denken, voller Schatten und Kühle. 48 Auch Janin sieht die Tänzerin im Schatten als einen Schatten, der – wie er sagt – aus dem Land des Morgentaus komme, was auf der Bühne so gar nicht darstellbar war. 49 Diese schattig-kühlen Täler oder Länder erscheinen dem rezensierenden Betrachter und damit auch dem Leser, der Leserin nicht als konkretes Bühnenbild, sondern als Bild gewordene Atmosphäre, die von der Tänzerin aus- und über ihren individuellen Körperausdruck hinausgeht. Die Schilderung einer Ballettszene aus der Feder des Dichters Heinrich Heine hebt sich diesbezüglich nicht wesentlich von Gautiers oder Janins Rezensionen ab; auch er beschreibt sagenumwobene Figuren in einer mythischen Kulisse, wenn er festhält: »[M]an schwebt mit ihr [d.i. Carlotta Grisi, C.T.] empor in hängenden Zaubergärten jenes Geisterreichs, worin sie als Königin waltet. Ja, sie hat ganz den Charakter jener Elementargeister, die wir uns immer tanzend denken, und von deren gewaltigen Tanzweisen das Volk so viel Wunderbares fabelt.«50 Zwischen den getanzten, gedachten und erzählten Fabeln besteht – so ist Heines Aussage zu lesen – ein Zusammenhang. Während der Dichter angesichts des Tanzes rückwirkend sein eigenes, auf Volksweisen rekurrierendes Schreiben begründet,51 bezieht der Kritiker umgekehrt aus dem Tanz die Inspiration für seine verbale Darstellung. Diese lehnt er einerseits explizit an poetische Werke der Literatur an, wenn er etwa über Taglioni sagt: »elle ressemblait à 46 | Gautier, Écrits sur la danse, 154. 47 | Vgl. dazu auch Binney, Les ballets de Théophile Gautier, 37: »Ce qu’il fallait à

Gautier pour lui inspirer une éloquence passionnée était d’avoir devant ses yeux le talent d’une danseuse de grande classe.« 48 | Vgl. Gautier, Écrits sur la danse, 78: »Mlle Taglioni vous faisait penser aux vallées pleines d’ombres et de fraîcheur.« 49 | Vgl. Janin, Les symphonies de l’hiver, 276: »Et soudain voyez-vous dans l’ombre réjouie accourir, souriante et légère, une fille de l’air, une Grâce, une Muse, une idéale, une charmante, une féerie? Ombre d’une ombre! Elle est pâle et fluette, elle arrive, frileuse, du pays des frimas; elle s’appelle, elle s’appelait, en ce temps-là, mademoiselle Taglioni.« 50 | Heine, Lutetia, 390f., Bericht vom 7. Februar 1842. 51 | Vgl. Heines Text Elementargeister. Von diesem Text wiederum hat sich Gautier für das Libretto zum Ballett Giselle inspirieren lassen, über das Heine hier schreibt.

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s’y méprendre à ces fées d’Ecosse, dont parle Walter Scott«; und so heißt es dann bei Gautier weiter über diese schottischen Feen: »[Elles, C.T.] vont errer au clair de lune, près de la fontaine mystérieuse, avec un collier de perles de rosée et un fi l d’or pour ceinture.«52 Diese bunten, detailreich geschilderten Bilder entwickelt der Kritiker nicht allein aus der Anschauung, sondern vielmehr (auch) aus der Reflexion. Darauf verweisen Ausdrücke wie »elle ressemblait à […]«, was auf einen Vergleich mit Erinnertem schließen lässt, und imaginäre Gedankenspiele, die explizit als solche eingeleitet werden wie »Taglioni vous faisait penser aux […]«53 oder »on pense à […]«.54 Ein besonders kreatives Beispiel für diese imaginär sich verselbständigenden Reflexionen und sprachlich eingefangenen Bilder findet sich in einer Besprechung Gautiers vom 24. September 1838 für La Presse anlässlich eines Auftritts von Fanny Elßler in der Wiederaufnahme der Sylphide an der Pariser Oper: »Quand Fanny danse, on pense à mille choses joyeuses, l’imagination erre dans des palais de marbre blanc inondés de soleil et se détachant sur un ciel bleu foncé, comme les frises du Parthénon; ils vous semble être accoudé sur la rampe d’une terrasse, des roses autour de la tête, une coupe pleine de vin de Syracuse à la main, une levrette blanche à vos pieds et près de vous une belle femme coiffée de plumes et en jupe de velours incarnadin; on entend bourdonner les tambours de basque et tinter les grelots au caquet argentin.«55

Der Bewegung der Tänzerin auf der Bühne folgt die bewegte Phantasie des Schriftstellers, der sich als Kritiker im Gestus kaum vom Dichter unterscheidet; in Gedanken geht ihm dabei eine Welt auf, die Elemente des Gesehenen aufnimmt und mit dazu Imaginiertem vermischt. In dieser Beschreibung ist so nicht mehr erkennbar, was sich auf der Bühne und was sich in der Imagination des Rezensenten abgespielt hat. Die Beschreibung lässt keine eindeutigen Rückschlüsse zu, entfernt sich aber in der Bildwahl auch nicht so weit, dass mit dem Text eine ganz neue, unabhängige Kreation vorläge. In Anlehnung an Walter Benjamin könnte man ein solches Verfahren als immanente Reflexion bezeichnen; dieser schreibt, wiederum über die deutsche (früh-)romantische Kunstkritik: »[D]as Experiment besteht nicht in der Reflexion über ein Gebilde, welche dieses nicht, wie es im Sinn der romantischen Kunstkritik liegt, wesent52 | Gautier, Écrits sur la danse, 78. Vgl. auch eine ähnliche Stelle in Janin, Les symphonies de l’hiver, 278, in der er den Tanz der Sylphide mit einer Ballade Shakespeares vergleicht: »Elle arrivait, souriante et légère à ravir! Elle était amoureuse et chaste, elle dansait, à la façon du clair de lune, dans une ballade de Shakspeare [sic!], et les yeux baissés, le maintien si calme, et la grâce, et le charme, et la folie à travers l’idéal!« 53 | Gautier, Écrits sur la danse, 78. 54 | Ebd., 78. 55 | Ebd., 78.

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lich alterieren könnte, sondern in der Entfaltung der Reflexion, d.h. für den Romantiker: des Geistes, in einem Gebilde.«56 Die poetische Kritik, die – wie bereits oben nach Benjamin zitiert – das Werk vollenden soll, wird offenbar sowohl von den deutschen Frühromantikern als auch von den französischen romantischen Ballettkritikern als ein ästhetisches Experiment verstanden, genauer: als ein literarisches.57 Gautier etwa sagt über das Experimentelle an seinem Schreiben, er werfe seine Sätze in die Luft und er wisse, dass sie, wie Katzen, auf ihren Füßen landeten.58 Auf diese Weise beansprucht er für seine eigene Sprache metaphorisch dieselbe Leichtigkeit, die er auf der Bühne an den Tänzerinnen bewundert.59 Die Sätze entspringen nämlich dem romantischen Kritiker zwar buchstäblich, sie sind dann aber – so kann die Stelle gelesen werden – selbst wiederum eigene Subjekte innerhalb eines ästhetischen Feldes.60 Der Schreibende bleibt also sogar in der Metareflexion, die von der Reflexion über den Tanz hier nicht mehr zu trennen ist, im »Kunstgebilde«, obwohl sein Gegenstand kein verbaler – wie vorwiegend bei den von Benjamin behandelten Frühromantikern –, sondern eben ein nonverbal bewegter ist. Diesem Gegenstand werden jedoch von den romantischen Tanzkritikern nicht nur bestimmte poetische Qualitäten zugeschrieben, er wird vielmehr von ihnen nachdrücklich als genuin poetisch charakterisiert. So bezeichnet etwa Janin am 14. Dezember 1835 die Sylphiden und Bajaderen als poetische Capricci innerhalb eines Capriccios: »[M]ais ces créations aériennes, mais les caprices poétiques d’un art qui n’est lui-même qu’un caprice«.61 Den Pas de deux von Carlotta Grisi und Marius Petipa in Giselle beschreibt Gautier mit poetologischen Begriffen: »[Ils, C.T.] ont fait de ce dernier acte un véritable poëme, une élégie chorégraphique pleine de charme et d’attendrissement.«62 Der Kritiker belegt die Erscheinung der Tänzerin mit Ausdrücken wie »poésie vivante«,63

56 | Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, 60 (Hervorhebung im Original). 57 | Vgl. dazu auch die Stelle von Friedrich Schlegel, Fragmente, 275: »Die ächte Recension sollte die Auflösung einer kritischen Gleichung, das Resultat und die Darstellung eines philologischen Experiments und einer litterarischen Recherche seyn.« Vgl. dazu auch Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, 60. 58 | Gautier zit. in: Guest, The ballet of the second empire, 25: »›I throw my phrases into the air,‹ he said, ›and, like cats, I know they will land on their feet.‹« 59 | Vgl. etwa Gautier, Écrits sur la danse, 27: »Taglioni a dansé, ou plutôt elle a erré quelque temps en l’air.« 60 | Vgl. dazu auch Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, 60: »Das Subjekt der Reflexion ist im Grunde das Kunstgebilde selbst.« 61 | Janin in Journal des débats, 14.12.1835, 2. 62 | Gautier, Notice sur Giselle, 23, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques. 63 | Gautier, Écrits sur la danse, 161.

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als »madrigal dans un mot«,64 oder erklärt, dass ihre ronds de jambes und ihre Ondulationen der Arme langen Gedichten gleichkämen.65 In solchen Äußerungen überträgt der Rezensent die Poesie auf die Tanzkunst, er setzt beide Genres in eins und versteht gar Letztere als die Verkörperung der Ersten, wenn er das Wirken der Tänzerin als personifizierte Dichtkunst beschreibt: »Taglioni, la Sylphide! tout cela commençait à devenir […] une personnification poétique«,66 oder sie als Dichterfigur schlechthin feiert: »Taglioni est un des plus grands poètes de notre époque.«67 Mit solchen Zuschreibungen suggeriert der Rezensent nicht nur, dass er es mit einem adäquaten Gegenstand zu tun hat, sondern dass seine Reflexion sich durchaus in ein und demselben Kunstgebilde bewegt: der Poesie. Interessanterweise ist aber eine Poetisierung nicht automatisch gegeben, wenn romantische Kritiker Tanz beschrieben. Von denselben Autoren finden sich nämlich in anderen Quellen wie etwa Briefen und Notizen auch Aufzeichnungen, in denen weit prosaischer über die jeweiligen Auftritte befunden wird. Jules Janin beispielsweise schildert die Ballettabende in seinen Briefen als eine immer wieder ähnliche Abfolge von leiblichem und Kunst-Genuss. So hält er am 6. Juni 1844 fest, er sei zuerst essen gegangen und habe dann nur den 3. Akt des Balletts gesehen, über das er sachlich kritisch befindet: »Mlle Taglioni dansait aussi lourde et aussi peu applaudie que le premier jour. Mais les femmes la soutiennent, et d’ailleurs elle y met tant de grâce et de bonne volonté qu’on ne peut pas lui être sévère.«68 Am 9. Mai 1845 schreibt er positiv genauso trocken, er habe allein gegessen, um dann in der Oper einen Akt von Diable à quatre zu schauen, »que Mlle Grisi […] a dansé à merveille«,69 und wiederum am 21. Oktober 1847 berichtet er über ein sehr angenehmes Essen, nach welchem er um zehn Uhr in der Oper eingetroffen sei und darüber sachlich beschreibend, mit einem ungewöhnlich dinghaften Vergleich die gängige Meinung referierend, festhält: getanzt habe »la nouvelle danseuse Fanny Cerrito […] et nous avons vu, en effet, une danseuse curieuse, nouvelle, mais qui ne vaut pas la Carlotta Grisi. La Cerrito a été, on le voit encore facilement, une assez jolie personne, elle a de jolis bras, une belle poi-

64 | Ebd., 153. 65 | Ebd., 28. Gautier verweist dabei auf Nicolas Boileau-Despéraux, der in seiner

Art poétique von 1674 geschrieben hat: »Un sonnet sans défaut vaut seul un long poème.« Vgl. dazu, ebd., den Kommentar von Ivor Guest. 66 | Ebd., 154. Vgl. dazu auch Janin, Notice sur La Sylphide, 4, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques: »[M]ademoiselle Taglioni, c’est la poésie.« 67 | Gautier, Écrits sur la danse, 27. 68 | Janin, 735 lettres à sa femme, 41 (Hervorhebung im Original). 69 | Ebd., 186 (Hervorhebung im Original).

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trine, et bref, elle a réussi, comme un ballon très léger qui saute, bondit et rebondit. – C’est l’opinion générale.« 70

Die Beispiele zeigen, dass die Kritiker in ihren Notizen und inoffiziellen Aufzeichnungen durchaus auch einen ganz profanen Blick auf ihr Tun und die Ereignisse haben konnten. In der Gegenüberstellung und angesichts des komplett anderen Tons und Fokus wird deutlich – so die These –, dass der spezifisch poetisierende Stil des Feuilletons mit der gewählten Textsorte zusammenhängt. Während die Notiz im Brief wie ein äußerlicher Rapport daherkommt, bewegt sich der Kritiker dann aber in der Feuilleton-Rezension innerhalb des Kunstgebildes. Da beschreibt er sein eigenes Verfahren der Poetisierung denn auch als einen Akt der Idealisierung, indem er feststellt, »Taglioni, la Sylphide! tout cela commençait à devenir une figure idéale.«71 Just zu dieser Idealisierung hat die romantische Tanzkritik ihrerseits beigetragen. Dies lässt sich an einer Stelle aus einer Kritik von Gautier anlässlich der Rückkehr von Taglioni als Sylphide an die Pariser Oper genauer darlegen; da heißt es: »[E]lle ne courait pas le risque de l’oubli, mais du trop de mémoire. L’éloignement a cela de particulier que, peu à peu, l’image de la personne absente se poétise, les linéaments de son visage se troublent dans l’esprit, prennent plus de régularité, et se rapprochent de plus en plus de l’idéal que chacun porte dans son cœur. Quand la personne revient, elle n’a pas changé, mais elle ne ressemble plus au type que vous vous étiez formé.«72

Erst in der Erinnerung, durch die Distanz, gleicht sich das Bild der Tänzerin dem Idealbild im Gedächtnis – oder im Herzen – des Rezipienten an und poetisiert sich das Gesehene. Gautier knüpft dabei an die platonische ›Idee‹ an, die als Ur- und Musterbild dem Ideal zugrunde liegt. Interessant ist allerdings, wie er diese Idealisierung wiederum als einen bewegten Akt beschreibt, in dem das 70 | Ebd., 352 (Hervorhebung im Original). 71 | Gautier, Écrits sur la danse, 154. Vgl. dazu auch Ders., Introduction, 4: »Nous

admettons chacun au point de vue de son idéal particulier.« 72 | Gautier, Écrits sur la danse, 153. Als Vergleich sei hier eine entsprechende Beschreibung aus der Feder von Benjamin Lumley angeführt. Dieser äußert sich nämlich in seinen Reminiscences of the opera, 114, ebenfalls lobend, jedoch die Wirkung prosaischer beschreibend und eben nicht poetisierend, über die Rückkehr Taglionis als Sylphide: »Taglioni did positively appear on the 26th of June, in the very ballet in which she had often won many hearts, viz., ›La Sylphide,‹ and was hailed with all the enthusiasm of old days. No one could be found to say that her former exquisite grace, her floating lightness of step, her bounding strength, had been in the least impaired by time; and whatever may have been the truth, Taglioni was received by general acclamation as the Déesse de la Danse. In this respect the expectations of the management, as well as those of the public, were fully answered.« (Hervorhebung im Original)

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Äußere der Tänzerin mit der inneren Vorstellung des Betrachters korrespondiert. Die Grundzüge des Gesichtes etwa, heißt es da, verwischen sich im Geist, nehmen aber dadurch erst eine Regularität an und nähern sich so dem Idealbild, das der Betrachter – quasi a priori – bereits in sich trägt.73 Gautier formuliert in dieser Stelle implizit sein romantisches poetisches Konzept in Bezug auf die Tanzkritik, in der der schreibende Betrachter nicht als Genie auftritt, das ganz aus sich heraus schöpft; dennoch distanziert er sich auch vehement vom Prinzip einer abbildgetreuen Mimesis. So wie die Tänzerin Taglioni sich in der Erinnerung zum Mythos wandelt, so poetisiert sich auch der Tanz in der Imagination des Schreibenden: Der Kritiker geht auf Distanz zum konkret Geschauten und gibt sich der bewegten Reflexion hin, indem er das Wahrgenommene aus der Erinnerung nachträglich in seinen eigenen Bildern, die er formt, wiederauferstehen lässt. Diese Bilder sind zwar poetisch lebendig, müssen aber nicht mit den ›ursprünglichen‹ Bildern übereinstimmen. Gautier sitzt im Zuschauerraum, um – wie er sagt – seine Träume und Gedanken verwirklicht zu sehen.74 Über die spezifisch bewegte Art und Weise dieser Traumgedanken reflektierend, entwirft er wiederum eine Phantasieszenerie, die er als bewegte Bildspuren vor dem geistigen Auge an sich vorbeiziehen lässt: »Rien ne ressemble plus à un rêve qu’un ballet, et c’est ce qui explique le plaisir singulier qu’on prend à ces sortes de représentations en apparence frivoles. On jouit, éveillé, des phénomènes que la fantaisie nocturne trace sur la toile du sommeil: tout un monde chimèrique se meut devant vous.«75 Für Gautier, Janin und ihre Zeitgenossen ist das Theater ein Ort der Phantasie, um der realen, prosaischen Welt zu entfliehen.76 Als Folge davon lässt sich in ihren Schriften erkennen, was 73 | Vgl. dazu auch Jules Lemaître, Impressions de théâtre, 320f., der die Idealisierung als Effekt der Bewegung beschreibt: »Avez-vous remarqué que, dans un ballet, toutes les danseuses semblent bien faites? D’où vient cela? Sans doute il est des artifices qui corrigent la nature, et ce n’est pas uniquement de chairs rebondissantes que les maillots sont pleins. Mais surtout dans cette fuite perpétuelle des jambes et des bras l’œil ne saisit que des contours changeants, et ne peut qu’avec la plus grande peine arrêter, parmi ce grouillement, une anatomie complète et isolée. Et quant le mouvement se ralentit ou s’arrête un instant, de cette rangée de corps féminins, dont les lignes se trouvent sensiblement parallèles (car leur déviations se compensent), une forme moyenne se dégage, la seule que l’on voie, une et multiple, et qui doit être à peu près parfaite. Le plaisir que donne un ballet ne consiste-il pas justement dans cette poursuite, à travers les lignes et les couleurs papillotantes, d’un corps féminin idéal, qui, toujours près d’être saisi et fi xé, toujours s’échappe et se dérobe? Tant qu’enfin cet éparpillement du regard, sollicité par des images trop nombreuses et trop fugitives, devient presque une souff rance.« 74 | Gautier, Écrits sur la danse, 161: »Voir quelqu’un réaliser un de vos rêves, une de vos pensées avec un éclat, un art auxquels vous ne pouvez espérer d’atteindre!« 75 | Ebd., 222. 76 | Vgl. dazu auch Yon, Gautier feuilletoniste, 116, 118, 125; Levinson, Théophile Gautier, 132; außerdem Bailbé, Jules Janin, 38.

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verschiedentlich in Bezug auf das 19. Jahrhundert als Übergang von einer Nachahmungs- zu einer Ausdrucksästhetik beschrieben wird und was eine Dichtung der Bilder mit sich bringt.77 Diese ist betont subjektiv und rekurriert – wie oben dargelegt – nicht mehr direkt auf die ›Wirklichkeit‹, sondern auf den Bereich des Gedankenspiels und somit der Imagination. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden noch präziser in den Blick genommen werden.

Imagination und Transposition Für Jules Janin fußt die Phantasiewelt, an der er als Zuschauer und Kritiker buchstäblich teilhat, zwar in der empirischen Realität, beide Bereiche verbinden sich seiner Ansicht nach jedoch in der Rezeption. Demgemäß stellt er einen expliziten Bezug zwischen einer (als) wahr-genommenen Realität und der Fiktion her und ordnet die ideale Vorstellung gleichermaßen dem Leben und die Protagonistinnen des Balletts der weltlichen Erde sowie einem imaginären Himmelreich zu, wenn er in seinen Notice sur La Sylphide schreibt: »Ce qui fait le charme de ce petit drame, c’est que la fiction est habilement mêlée à la vérité; l’idéal tient de très-près à la vie réelle; le héros appartient également à la fi lle de la terre et à la fille des nuages.«78 Janin setzt hier die ›Wahrheit‹ (»la vérité«) parallel zur ›Realität‹ (»vie réelle«) und die Fiktion analog zum Ideal, er greift also auf bestehende Dichotomien zurück, versucht sie gleichzeitig jedoch aufzuheben, indem er die beiden Bereiche übereinander schiebt beziehungsweise miteinander zu verbinden sucht. Verbindungsglied ist in dieser Denkfigur die Imagination, die im Bühnentanz angelegt sein und bei der Rezeption in Gang gesetzt werden soll. Dafür prägt Janin wiederum ein eigenwilliges Bewegungsbild; er vergleicht den Wahrnehmungsakt von Tanz mit einem Galoppritt, der sich jeglicher klaren Ordnung und Logik sowie einer allgemeingültigen Interpretation entziehe. Damit öff net er diskursiv für die Imagination einen dynamischen Rezeptions(spiel)raum, den er als wunderbares Privileg des Balletts beschreibt: »La logique est une bonne chose. […] Une fois que vous avez mis la bride sur le cou a la folle de logis, laissez-moi la mener ventre à terre, la jolie fi lle! Et puis, pourquoi ravir au ballet son plus beau privilége, le désordre, le rêve, l’absence du sens commun?«79 77 | Vgl. dazu Cenerelli, Dichtung und Kunst, 9f.; vgl. auch Chapman, Jules Janin, 200f.; außerdem Matoré, Le vocabulaire de la prose littéraire de 1833 à 1845, 208: »A toutes les époques, les écrivains ont pratiqué les transpositions de sensations, ou celle des arts qui leur correspondent, mais ce procédé a été particulièrement en honneur depuis le Romantisme, et notamment chez Hugo, qui exprime volontiers des sensations de divers ordres avec des images visuelles. Gautier développera le procédé en le systématisant et en lui retirant tout contenu psychologique et émotionnel.« 78 | Janin, Notice sur La Sylphide, 7, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques. 79 | Janin in Journal des débats, 27.6.1832, 1.

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Janin will die Imagination demnach als etwas begreifen, das sich in Bewegung setzt, sobald man sich darauf einlässt und, um bei seinem Bild zu bleiben, die Zügel in die Hand nimmt. An der Metapher und damit an der Vorstellung vom Verhältnis von Wahrnehmung und Imagination ist signifikant, dass der Rezipient zwar die Zügel hält, dass er aber Geschwindigkeit, Intensität, Richtung und Ziel der galoppierenden Imagination nicht (mehr) bestimmen kann oder will, sich also als ein Rezipient inszeniert, der sich seiner subjektiven Gedankenbewegung hingibt. Auch Gautier wehrt sich gegen jeglichen objektiven Anspruch, dem seine Kritiker-Vorgänger sich noch verpflichtet fühlten,80 und macht dagegen die individuelle Vorstellungskraft stark. Am 9. Oktober 1848 reflektiert er denn auch in einer Rezension über das Ballett La Fille de marbre und die Rückkehr der Tänzerin Fanny Cerrito an die Pariser Oper über das Verhältnis zwischen Gesehenem und sprachlich Wiedergegebenem. Er verweist dabei ganz auf die Imagination des Kritikers. Signifi kant ist wiederum, wie er dies tut. Ähnlich wie Janin, aber in einem ganz anderen, übertrageneren semantischen Feld sich bewegend, kreiert Gautier verbal ebenfalls ein – wiederum zunächst überraschendes – Bild, das sich aus der Dynamik von Bewegung speist und die Bewegung auf der Bühne mit jener der Interpretation engführt: »Dans ce fourmillement de kaléidoscope, chacun voit ce qu’il veut; c’est comme une espèce de symphonie de formes, de couleurs et de mouvement dont le sens général est indiqué, mais dont on peut interpréter les détails à sa guise, suivant sa pensée, son amour ou son caprice.«81 Als optisches Spielzeug, das durch mehrfache Spiegelung Gegenstände bei Bewegung in wechselnden Figuren zeigt, zeugt das Kaleidoskop an dieser Stelle, als Bild für das Gesehene, bereits von einer ersten reflexiven Dynamisierung durch den Rezipienten. Die Wahrnehmung eines Gewimmels (»fourmillement«), einer Symphonie von Formen und Farben verstärkt diesen Eindruck der sensuellen Bewegtheit noch. In diesem dynamischen Feld nimmt sich der Autor als subjektiver Betrachter wahr (»chacun voit ce qu’il veut«). Interessant ist, wie er dabei wiederum die Metapher des Kaleidoskops weiterspielt, indem er die Bewegung sogar noch genauer beschreibt als eine Drehung, deren generelle Richtung (»sens général«) vorgegeben ist, aber im Detail nach eigenem Belieben interpretiert werden könne. Zudem heißt »sens« ja nicht nur Richtung, sondern auch Bedeutung, Sinn und Empfinden. Mit dieser Wortspielerei baut Gautier somit sein eigenes verbales Kaleidsokop, an dem man drehen kann und das, je nach Position und Wendung, auch etwas darüber aussagt, wie die Interpretation der Interpretation zu fassen sei: Eine allgemeine Bedeutung, ein generelles Empfinden weist die Bewegung zwar aus (»de movement dont le sens général est indiqué)«, aber die Auslegung beziehungsweise Sinngebung 80 | Castil-Blaze beispielsweise führt den Effekt des Tanzes etwa von Marie Taglioni, der bei jedem Zuschauer einen starken Eindruck hinterlasse, noch auf die »inspirations de la nature« zurück; vgl. Castil-Blaze, La danse et les ballets, 310. 81 | Gautier, Écrits sur la danse, 223.

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erfolgt dann gemäß den individuellen Gedanken (»suivant sa pensée«) und Vorlieben.82 Der Kritiker dreht und schüttelt sich also seine eigenen Bilder und die Interpretationen gleich dazu. Diese Haltung spiegelt sich freilich wiederum in Gautiers Kritiken und auch in jenen seiner romantischen Zeitgenossen. Damit tat sich die Forschung lange Zeit schwer. So kritisiert etwa der Theater- und Tanzwissenschaftler Roger Copeland, dass Gautier lediglich die Bilder wiedergebe, die der Tanz in seiner Vorstellung hervorgerufen habe, aber wenig darüber aussage, wie der Tanz tatsächlich ausgesehen habe; der Tanzkritiker vermittle, heißt es bei Copeland, »the mental images or analogies that the dance evoked in his mind’s eye […] but alas, very little sense of what the dance itself actually looked like«.83 Die Verfahren der Poetisierung, der Idealisierung und der reflektierten Interpretation, die Gautier in weiten Teilen seiner Ballettkritiken praktiziert, beinhalten Vorgänge der Über- und Umsetzung, die als ›transposition d’art‹ durchaus der gängigen romantischen Kunstpraxis entsprechen.84 Bettina Cenerelli definiert ›transposition‹ als »eine Übertragung eines Kunstobjektes in ein anderes Medium, unter gleichzeitiger Zugabe eigener, individueller Vorstellungen«.85 Sie differenziert dabei zwar zwischen Gautiers Kunstkritiken und seinen literarischen Texten zur Kunst, in gewissen Passagen der Ballettkritiken ist diese gattungsorientierte Unterscheidung m.E. jedoch gerade als aufgehoben zu betrachten. Auch für dieses Genre gilt insbesondere: »Der Prozeß des transposer geht also mit Vermischung von Realem und Imaginärem und mit dem Infragestellen von Realität einher«, wie Cenerelli festhält.86 Diese Übertragungsprozesse sind auch in der Tanzforschung vielfach vermerkt, gelobt, aber auch bemängelt worden. Copeland berücksichtigt in seiner kritischen Bemerkung allerdings gerade nicht, dass die romantische Poetik der Künste darauf angelegt war, eine Kunst in eine andere zu übersetzen, wobei der Romantiker sich – so das Selbstverständnis – stets innerhalb eines großen »Kunstgebildes« bewegte. Copeland stellt nur fest, dass die Folge dieser Haltung, eher den bewegenden Effekt als die bewegte Kunst selbst zu beschreiben, sich nachhaltig auf den Diskurs über Tanz ausgewirkt habe. 82 | An anderer Stelle vergleicht Gautier die subjektive Interpretation des Balletts mit jener der Musik; auch hier spricht er von genereller Bedeutung und individueller Sichtweise und spielt dabei ebenfalls mit dem Wort »sens«, 210: »Un ballet est une symphonie visible; les gestes, ainsi que les notes de musique, n’ont pas un sens bien précis, et chacun, sauf une signification générale, peut les interpréter à sa manière.« 83 | Copeland, Dance criticism and the descriptive bias, 28. 84 | Vgl. zu diesem Prinzip der ›transposition d’art‹ und zu seiner Erforschung insbesondere Cenerelli, Dichtung und Kunst. 85 | Ebd., 43; vgl. auch ebd., 3: »Transposition d’art subsumiert erstens, daß überhaupt etwas übertragen wird; zweitens, transposition d’art, daß Kunst oder etwas aus der Kunst übertragen wird.« (Hervorhebungen im Original) 86 | Ebd., 37 (Hervorhebung im Original).

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Damit ist jedoch wiederum die Wechselwirkung zwischen den Texten über Tanz und dessen Tradierung benannt. Gautier und anderen Ballettkritikern seiner Zeit ging es nämlich – so die These – gar nicht um eine möglichst getreue und fachgemäße Überlieferung des Tanzes, sondern um eine mit sprachlichen Mitteln buchstäblich imaginierende, sichtbar machende, vor Augen stellende Transposition. In ihren Ballettkritiken steht demnach vorsätzlich mehr über die Wahrnehmung, über den Effekt des Tanzes als über die getanzten Figuren. Das heißt: Wie die flüchtige Bewegung, insbesondere im Tanz, zu denken und wahrzunehmen ist, davon zeugen jeweils die Texte. Die romantischen Tanzkritiken und -essays reizen dabei schöpferisch die bewegte Imagination aus. Diese steht in Korrelation zum Tanz der damaligen Zeit, dem romantischen Handlungsballett,87 verschaff t sich aber in den Texten auch einen eigenen (diskursiven) Raum, der wiederum die zeitgenössische Rezeption dieser Kunstform spiegelt und auch nachhaltig prägt.88 Das spezifische Interesse Gautiers an der Inszenierung, durch die er sich zur Imagination anregen ließ, hebt Edwin Binney – im Gegensatz zu Copeland – allerdings auch als Vorzug hervor; Gautier habe so in den Balletten viel mehr gesehen als seine zeitgenössischen Berufskollegen,89 auch wenn er keine Schritte und Tanzfiguren beschrieben habe: »Gautier […] ne parlait jamais des ›pirouettes‹ d’Elssler dans l’Ile des pirates, ou des ›jetés battus‹ de Taglioni dans sa variation de la Sylphide. […] On est bien obligé d’en conclure que le ballet en tant que Danse n’excitait pas l’imagination de Gautier. Mais le ballet comme Théâtre, comme spectacle, alors oui, cela l’intéressait vivement.«90 Die Imagination des Betrachters entfaltet sich – so die Feststellung – im weiteren theatralen Kontext des Spektakels,91 wobei dieses hier im etymologischen 87 | Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass insbesondere durch die romantischen Ballerinen, u.a. durch Marie Taglioni, nicht nur die Art, wie auf der Bühne getanzt wurde, sich änderte, sondern auch die Wahrnehmung beziehungsweise der Blick der Zuschauer und speziell der Kritiker. Vgl. dazu auch Garafola, Rethinking the Sylph, 5; vgl. außerdem Jeschke, Das Fremde als Imagination authentischen Verhaltens, 135, die darlegt, inwiefern v.a. die »Entwicklung des Körperumraums und die Differenzierung der Dynamik« eine entscheidende Rolle für die Wahrnehmung der Ballerinen spielten. 88 | Diese Prägung wirkt bis heute, d.h. die in weiten Zuschauerkreisen auch im 21. Jahrhundert noch immer verbreitete Vorstellung von dieser historischen Tanzform speist sich bis heute aus den im 19. Jahrhundert vermittelten Interpretationen u.a. durch Kritiker wie Gautier. Auch dieser Zusammenhang ist bisher zu wenig untersucht worden. 89 | Vgl. Binney, Les ballets de Théophile Gautier, 14. 90 | Ebd., 39 (Hervorhebungen im Original); vgl. auch ebd., 38: »[I]l reste un excellent critique de certains ballets plutôt que du ballet en soi, un critique d’un petit nombre de ballerines plutôt que du monde des danseurs.« 91 | In diesem Sinne ist auch eine Aussage von Jules Janin in Journal des débats, 22.9.1834, 1, zu verstehen: »Fanny Elssler ne danse pas, elle joue.«

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Wortsinn eines im Anblick affizierenden Ereignisses zu verstehen ist.92 Binney vermerkt dazu, dass Gautiers Beschreibungen reich an bewegten Bildern seien, aber keinerlei Hinweise gäben, die zur Rekonstruktion der Choreographien helfen könnten, weil der Kritiker nicht die Bewegungen übersetzt oder sich zumindest nicht eines technischen Vokabulars bedient habe.93 Ivor Guest bringt Gautiers charakteristisches Verfahren auf den Punkt, indem er behauptet, dass der Kritiker phantasievoll viel von Ballett verstanden, wenn er sich auch offensichtlich wenig für Balletttechnik interessiert habe: »He was a poet, and a Romantic poet at that, with an imagination that soared easily into realms of fantasy, but he was at the same time a journalist, who, through his experience as a dramatic critic, had acquired a profound understanding of ballet, if not, apparently, a very great knowledge of dance technique.«94 Der Poet Gautier setzt sich somit über die getreue Abbildung des Gesehenen hinweg. Im Gegenzug zum fehlenden Interesse an tanztechnischer Präzision in der Beschreibung ortet Guest die Reflexion des Kritikers in phantastischen Höhen und hält ihm dabei die Früchte der Imagination als Reichtum an vermittelten Bildern zugute, wenn er schreibt: »Gautier’s reviews were unique for the impeccability of their style and the wonderful imagery of their descriptions.«95 Andrei Levinson schließlich lobt ebenfalls die »Eigenschaften der Greif barkeit, der Geschmeidigkeit und Vollkommenheit des Stiles« sowie »den Glanz und die Grazie der Wortmaterie« in Gautiers Ballettkritiken, die auch dem Charakter von dessen dichterischen Konzeptionen entsprächen.96 Interessant ist hierbei, dass auch die Tanzforschung nachträglich offenbar die spezifisch romantische Tanzmetaphorik (»Geschmeidigkeit«, »Grazie« usw.) aufnimmt, wenn sie über die damaligen Kritiker spricht.97 Eine Fokussierung auf die spezifische szenische Ästhetik ist in den Texten der romantischen Ballettrezensenten angelegt. Statt auf den Tanzschritten liegt das Augenmerk auf dem theatralischen Zusammenhang und auf dem bildhaft bewegten Ausdruck. So verbindet etwa Gautier anlässlich Taglionis SylphideReprise das Gesehene mit seiner Imagination, wenn er schreibt:

92 | Vgl. dazu Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Bd. 2, 1319. 93 | Binney, Les ballets de Théophile Gautier, 39f.; vgl. dazu auch Guest, The ballet

of the second empire, 25. 94 | Guest, The romantic ballet in Paris, 8. Vgl. auch Ders., The ballet of the second empire, 14: »[H]e [d.i. Gautier, C.T.] may not have been so well versed in the technique of ballet as some of his fellows.« 95 | Ebd., 14. 96 | Levinson, Théophile Gautier und das Ballett, 130. Auf die spezifischen sprachlich-metaphorischen Qualitäten der romantischen Ballettkritik wird unten noch weiter eingegangen. 97 | Vom Charme der Rhetorik in Bezug auf Janins literarische Vermögen spricht außerdem Bailbé, Jules Janin, 10.

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»Heureuse femme! c’est toujours la même taille élégante et svelte, le même visage doux, spirituel et modeste; pas une plume n’est tombée de son aile; pas un cheveu n’a pâli sous sa couronne de fleurs! […] quelle légèreté, quel rythme de mouvement, quelle noblesse de geste, quelle poésie d’attitude et surtout quelle douce mélancolie, quel chast abandon! On ne peut rien imaginer de plus fi n et de plus coquet.«98

Von der Erwähnung des schlanken, eleganten Körpers richtet Gautier den Fokus gleich auf das Gesicht, dessen geistiger Ausdruck ihn zu einer Poetisierung jenseits des Körperlichen anregt. Er spricht in der Folge von Leichtigkeit, von Bewegungsrhythmus, nobler Geste, Poesie der Haltung, sanfter Melancholie und keuscher Entsagung. Dann kommt er gleich wieder auf die Imagination zurück, die nichts Feineres hervorzubringen habe. In der poetisierenden Betrachtung vermischen sich die Wahrnehmung der physischen Präsenz der Tänzerin und die romantische Imagination zu einem Idealbild, das körperlos einer anderen, einer poetisch-mythischen Welt angehört. Damit gehen Gautiers Ansichten freilich mit den Stoffen des romantischen Balletts einher, in denen überirdische, luftige Wesen u.a. mythische Welten bevölkern. Auch das Bühnengeschehen rekurrierte auf die Imagination der Theaterbesucher. Der Kritiker verlängert und steigert jedoch diesen Prozess der imaginären Entrückung, indem er ihn metaphorisch festschreibt. Janin stellt den Tanz jeweils durch bildhafte Interpretationen dar, die auf die spezifischen Ausdrucksqualitäten des romantischen Balletts verweisen; die Tänzerin schwebt in seinen Beschreibungen in einem »deuxième ciel« und geht auf in einer rosa Wolke.99 Indem die Protagonistin im Text in den Himmel gehoben wird, soll der Eindruck von Leichtigkeit festgeschrieben werden – und zwar von Leichtigkeit im doppelten Wortsinn der Überwindung einerseits des (Körper-)Gewichts und andererseits jener der Anstrengung.100 Um die Wirkung der Schwere- sowie der Mühelosigkeit bezüglich der Tanzdarbietung zu vermitteln, dienen den Kritikern auch andere Luftwesen wie Singvögel zum Vergleich; über Lucile Grahn vermerkt Janin beispielsweise am 15. Juli 1839, sie tanze so leicht, wie ein Vogel singe,101 und just mit derselben Metapher beschreibt er auch Taglioni als Sylphide: »C’était une danse toujours nouvelle, une grâce toujours nouvelle; nul effort, nulle gène, tout cela lui venait comme le chant vient à l’oiseau.«102 Er nennt sie eine »merveille de l’air […] cette adorable créature si légère que l’oiseau l’envie«.103 Gautier denkt offenbar ebenfalls an einen Vogel, wenn er am Rücken von Fanny 98 | Gautier, Écrits sur la danse, 154. 99 | Janin, Notice sur La Sylphide, 22, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de

l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques. 100 | Vgl. dazu auch Thurner, Wie eine Taubenfeder in der Luft. 101 | Janin in Journal des débats, 15.7.1839, 1. 102 | Janin, Notice sur La Sylphide, 22, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques. 103 | Janin zit. in: Bailbé, Jules Janin, 45 (Hervorhebung J.-M. B.).

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Elßler sogar zwei Knochenansätze von ausgerissenen Flügeln erkennen will,104 und über Carlotta Grisi als imaginär geflügeltes Wesen sagt wiederum Janin: »[E]lle vole comme elle danse; son vol ne ressemble en rien à tout ce que nous savions en fait d’ailes qui battent.« 105 Diese beschriebenen Impressionen und Vergleiche rekurrieren freilich auf die gängigen romantischen Kostüme, Bühnenbilder und Handlungen. Allerdings geht die Übertragung der Bilder auch hier über das konkret auf der Bühne Sichtbare hinaus.106 Gemäß eines etwas jüngeren Zeitgenossen von Gautier und Janin, Jules Lemaître, ergibt sich diese Wahrnehmung himmlischer Gestalten und idealer Formen hauptsächlich aus der Bewegung der Körper; diese Wahrnehmung vergleicht er mit (Traum-)Bildern, die auf der Körper-Oberfläche, u.a. materialisiert in den Kostümen, erscheinen und vor den Augen flüchtig vorbeiziehen: »[L]e plaisir que donne un ballet consiste essentiellement dans la poursuite d’une forme idéale à travers l’enchevêtrement des corps toujours mobiles, le caractère de cette forme rêvée et jamais atteinte se modifie lui-même, à mesure que des groupes de maillots et de costumes d’une expression différente nous passent sous les yeux.«107 Die Bewegung auf der Bühne wird somit als Auslöser verstanden für die spezifischen Bilder, die der Rezipient erfasst oder – umgekehrt – die ihn erfassen sollen. Auch Czerwinski ist überzeugt, dass die Tanzkunst »durch die Bewegung auf die Phantasie« wirke und deshalb die »anziehendste der Künste« sei, »da sie, ohne einen andern Vermittler als sich selbst, sich auf ihr Ziel, die Erregung des sinnlichen Vergnügens, wendet«.108 In diesem Votum wird wiederum das Postulat der Unmittelbarkeit deutlich, das dem Ballett bereits im Tanzdiskurs des 18. Jahrhunderts zugeschrieben wurde.109 Im Unterschied zu entsprechenden Aussagen, in denen eine ›unmittelbare‹ Verständlichkeit über das Diktum des ›Natürlichen‹ und Mimetischen installiert wurde, konstruieren die Feuilletonisten in ihren Texten ein neues 104 | Gautier, Écrits sur la danse, 49: »L’on ne voit pas non plus s’agiter sur son dos ces deux équerres osseuses qui ont l’air des racines d’une aile arrachée.« 105 | Janin in Journal des débats, 30.6.1841, 1. 106 | Nicht nur vom menschlichen zum Himmelswesen wandeln sich die Bühnenakteurinnen vor den Augen der Kritiker, sondern auch in ihrer Geschlechtlichkeit changieren sie in der bewegten Wahrnehmung. So erklärt Gautier die Tänzerin Elßler in Notice sur Le Diable Boiteux, 4f., in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques, kurzerhand und durchaus positiv zur schillernden Zwittergestalt: »Bien qu’elle soit femme dans toute l’acception du mot, l’élégante sveltesse de ses formes lui permet de revêtir le costume d’homme avec beaucoup de succès. – Tout à l’heure c’était la plus jolie fi lle, maintenant c’est le plus charmant garçon du monde; c’est Hermaphrodite, pouvant séparer à volonté les deux beautés fondues en lui.« 107 | Lemaître, Impressions de théâtre, 333f. Vgl. eine ähnliche Stelle auch in Fußnote 73 des vorliegenden Kapitels. 108 | Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, 3. 109 | Vgl. Kapitel 3 der vorliegenden Untersuchung.

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Verhältnis von Darstellung, Rezeption und Verbalisierung, das – wiederum charakteristisch für den romantischen Diskurs – von einer erweiterten Wahrnehmung ausgeht. Dabei wird die Metapher des ›Wachtraums‹ installiert, an dem Produzenten und Rezipienten über ihre jeweiligen Phantasien gemeinsam beteiligt und involviert sein sollen. In diesem Sinne denkt Gautier in einer Kritik vom 21. Februar 1848 über einen solchen Wahrnehmungsakt nach. Signifi kant ist, dass er auch auf der Metaebene der Reflexion die Worte der Beschreibung nicht als Produkte verstehen will, sondern als Subjekte, die einen bei diesem Träumen treffen: »Un ballet […] est un rêve muet qu’on fait tout éveillé et auquel on met des paroles. Le public travaille sur le thème fourni par l’auteur ou le chorégraphe, et le brode des mille variations de sa fantaisie.«110 Erschrieben wird hier somit nicht eine eigentliche Unmittelbarkeit, sondern – wie oben bereits eingeführt – ein homogenes Kunstgebilde, an dem sich Produzenten sowie betrachtende, reflektierende und in Worte fassende Rezipienten gleichermaßen beteiligen (sollen). Die Beschreibung wird in dieser Konstellation nicht als eine nachträgliche Vermittlung begriffen und dargestellt, sondern als ein Bestandteil des dynamischen ästhetischen Ganzen. Diese Auffassung erklärt denn auch den Gestus, der die oben dargelegten Verfahren der Poetisierung und Idealisierung bedingt, und der folgerichtig von einer starken Affizierung geprägt ist. Der Kritiker versteht sich dabei nicht als Instanz, die Distanziertes, Analytisches von Außen an den Gegenstand heranträgt, sondern als ein buchstäblich Involvierter, der selbst in die dynamischen Prozesse mit eingebunden und der affiziert ist – vom Geschehen auf der Bühne, von seiner Anschauung, Reflexion und schließlich von den Worten, die ihm zufallen. Das Resultat dieser Haltung ist ein enthusiastischer Diskurs, der in die feierliche Atmosphäre einstimmt und der die Lobpreisung über die Analyse stellt. Denn be-geistern lassen wollte sich nicht nur das Publikum, 111 sondern – als Teil davon – auch der Kritiker. Castil-Blaze argumentiert 1832 in den folgenden Ausführungen über Marie Taglioni in La Sylphide noch mit einer Haltung, die ihn deutlich als beob110 | Gautier, Écrits sur la danse, 210. 111 | Vgl. etwa zu den Reaktionen des Publikums in jener Zeit die Beschreibung

in Bäuerle (Hg.), Wiener Conversationsblatt, 79, beispielsweise über die Begeisterung der Zuschauer für die Tänzerin trotz kritischer Einstellung zum Stück: »Fräulein Just erfreut sich in der gegenwärtigen Saison in Genua, wo sie als erste Tänzerin engagirt ist, des lebhaftesten Beifalls. Obschon daß Ballet ›Adelaide di Francia‹ von Henry nicht angesprochen hat, gelang es der jungen Künstlerin, in den beiden Pas (mit Lorenzoni) die rauschendsten Auszeichnungen von Seiten des Publikums zu erhalten, und als sie noch an den folgenden Abenden die Sequidilla ausführte, diesen Erfolg bis zum Enthusiasmus zu steigern, der sich in oftmaligen Hervorruf und Tücherschwenken auf das stürmischste kund gab.« Über das Verhältnis des Publikums zur Tänzerin Pepita heißt es ebd., 376: »Sie wurde mit demselben Enthusiasmus aufgenommen wie früher; das Publikum hat sich nicht verändert, […] am Schlusse regnete es wieder Kränze und Blumen.«

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achtenden Zuschauer unter anderen kennzeichnet; er schildert die allgemeine Rezeption als eine Bezeugung von Bewunderung und Enthusiasmus: »[E]lle a ravi l’assemblée de ses admirateurs par la légèreté de sa danse, le charme de ses poses. […] Après la représentation de ce ballet, le public a voulu adresser de nouveaux complimens à la sylphide: Mlle. Taglioni a paru, et des bravos, des transports d’enthousiasme ont éclaté dans toute la salle.«112 Im Gegensatz zu dieser noch auf Objektivierung bedachten Darstellung klingen Janins Kommentare zur selben Tänzerin im gleichen Stück ganz anders. Er schildert nicht den Enthusiasmus des Publikums, sondern lässt sich selbst zu solchem hinreißen; er entspricht imaginär der Bewegung der Tänzerin, die auf Elevation gerichtet ist, und schwingt sich in diskursive Höhen einer regelrechten Huldigung auf. Von allen unschuldigen Freuden der Welt, schreibt der Kritiker 1836, kenne er keine größere, lebendigere als Taglioni tanzen zu sehen, ihr im Geist durch imaginäre Sphären zu folgen; er beschreibt dieses Gefühl denn in der Konsequenz auch als ein übersinnliches.113 Die Ballerina reflektiert er demgemäß als einzigartig, ideal und als überirdisches Wesen, das den Tanz nicht nur verkörpern, sondern repräsentieren soll: »Elle [d.i. Taglioni, C.T.] seule elle a touché à l’idéal de la passion, elle a fait de la danse un art chaste, même dans son emportement. […] En vérité, il n’y avait qu’elle au monde qui dansât ainsi. Elle était si pâle, elle était si chaste et si triste! En même temps on savait si bien qu’elle était à l’aise, là-haut, sur nos têtes, et qu’elle n’aurait pas de vertiges!« 114

Interessant an dieser und an ähnlichen Stellen ist die rhetorische Bewegung der Be-schreibung; diese setzt bei der Tänzerin an, der Fokus geht dann aber metonymisch gleich über sie hinaus, schwenkt auf den künstlerischen Tanz im Allgemeinen über und auf die diesen bewundernden Betrachter, zu denen sich der Kritiker selbst zählt. Diese Haltung ist in der Forschung etwas unspezifisch als Mode in den Feuilletons, als romantischer literarischer Stil der Epoche sowie als Konsequenz der großen Sympathie der – wohl vor allem männlichen – Zuschauer für die Tänzerinnen gesehen worden.115 Die Tendenz zur Heroisierung und zur Glorifi112 | Castil-Blaze, La danse et les ballets, 347. 113 | Janin zit. in: Chapman, Jules Janin, 202, außerdem 225. 114 | Janin, Notice sur La Sylphide, 22, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de

l’opéra ou chefs-d'oeuvres lyriques. Vgl. auch eine ähnliche Stelle über Taglioni in Janin, Les symphonies de l’hiver, 278f.: »En vérité, il n’y avait que cette femme au monde, pour danser comme elle dansait. Elle était si vraie et si calme, un si doux sourire, un si chaste regard! On voyait si bien, quand elle dansait, là-haut, sur nos têtes, qu’elle foulait l’air natal! Nulle gêne et nul effort […]!« 115 | Vgl. Le livret du centenaire du journal des débats, 424, in Bezug auf Janin: »Janin fut un propagateur d’admiration. Il garda jusqu’à la fin l’ivresse de 1830. La vogue de ses feuilletons fut prodigieuse; nul critique, depuis, ne l’a retrouvée. Cela

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zierung lässt sich auch in anderen zeitgenössischen Beschreibungen erkennen – nicht nur in den Feuilletons –;116 sie ist wiederum im Wechselverhältnis zwischen Bühnenwerken, Medien und dem Diskurs der Zeit zu sehen. Bisher in der Forschung zu wenig berücksichtigt wurde m.E., dass allerdings gerade der tient un peu, sans doute, au petit nombre des journaux d’alors; cela s’explique aussi, si je puis dire, par la température très élevée de l’atmosphère littéraire de ce tempslà: mais il est évident que cela tient surtout à la très grande puissance de sympathie dont ce généreux esprit était doué.« Vgl. auch Bailbé, Jules Janin, 45: »L’image de la danse a toujours séduit Janin; les danseuses qu’il a applaudies, célébrées avec chaleur dans ses feuilletons des Débats consacrés à l’Opéra, ou dans ses ouvrages, sont pour lui des créatures presque surnaturelles, à coup sûr des héroïnes, qui, dans leur rigoureux combat artistique, touchent aux limites des possibilités dans l’expression corporelle et se confondent avec ce fantastique qu’elles sont chargées d’illustrer.« (Hervorhebung im Original) Vgl. außerdem Guest, The ballet of the second empire, 49; Ders., The romantic ballet in Paris, 152. Als ein weiteres Argument – aus einem ganz anderen Feld – für diese gesteigerte Sinnlichkeit könnten auch die 1834 begonnenen naturwissenschaftlichen Untersuchungen über die Empfi ndungen, etwa von Ernst Heinrich Weber, angeführt werden, der eine Gesetzmäßigkeit zwischen dem Zuwachs an Reiz- und Empfindungsstärke feststellte; vgl. dazu Rieger, Die Ästhetik des Menschen, 9. 116 | Vgl. etwa auch folgende Passage über das zeitgenössische Ballett in Paris aus den Aufzeichnungen des Wiener Theaterdirektors und -dichters Castelli in Memoiren meines Lebens, 362: »Die Tanzkunst hat hier ihren Zenit erreicht, und man glaubt sich in einen Feentempel versetzt, wenn man die vielen lieblichen und zephirartigen Geschöpfe vor sich herumschweben sieht. Da sind keine schwerfälligen Figuranten, bei denen man alle Augenblicke befürchten muß, daß sie ein Brett des Podiums durchtreten, da tanzt nicht eine riesenmäßige Nymphe mitten unter schmächtigen Mädchen. Alles ist im Einklange: Größe, Gestalt, Kunst und Mimik. […] Was die Sinne nur immer reizen kann, scheint sich hier verschmolzen zu haben, und die Grazie waltet sichtbar über das Ganze.« Vgl. außerdem die Ausführungen u.a. auch über Fanny Elßler des Pariser Opernhausdirektors Louis Véron, Mémoires d’un bourgeois de Paris, 181. Neben solchen Aufzeichnungen finden sich ähnlich enthusiastische Aussagen auch in verschiedenen Briefen von Bewunderern – vgl. dazu u.a. Wienholz, Der dressierte Leib, insbesondere 160ff., 298ff. – oder in Gedichten wie beispielsweise folgendem über Fanny Elßler in Delarue, Fanny Elssler in America, 13: »Her step so light – her brow so fair,/She boundeth like a thing of air;–/Or fairy in her wanton play,–/Or naiad on the moonlit spray./Like gossamer on wings of light,/ She floats before our tranced sight. Let’s gaze no more – nor speak – nor stir –/Lest we fall down and worship her.« Vgl. außerdem die Abschiedsode von Grillparzer an Fanny Elßler in Linden, Fanny Elßler, 99f. Gleichzeitig wurden der Enthusiasmus im und angesichts des Tanzes von dessen Feinden mit ähnlichen Metaphern verdammt, wenn etwa ein anonymer Autor 1832 in Die Gefahren des Tanzes, 6f., davor warnt, dass das »Lust- und Wohlgefühl« eine »Lüge« sei und die Himmelsgabe Unschuld durch »der schnöden Leidenschaften Gier« bedroht sei.

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Tanzdiskurs von einem neuen Selbstverständnis des Kritikers zeugt, weil sich dieser – wie oben erläutert – neu innerhalb des Kunstgebildes wahrnahm und zu positionieren strebte. Damit einher geht nicht nur eine glorifizierende Verklärung der ihrerseits auf Verklärung bedachten Tanzkunst, sondern schließlich auch eine Selbst(v)erklärung des Kritikers; diese kann als autopoetologisch inszenierter diskursiver Gestus betrachtet werden. Ein solcher ist bei Gautier deutlich zu beobachten, wenn er beispielsweise in einer Kritik über eine Benefizveranstaltung mit Marie Taglioni schreibt: »Quant à nous, bien que critique de notre état, nous aimons mieux admirer que blâmer. Admirer est une si douce chose! […] L’admiration est douce surtout lorsqu’il s’agit […] d’un art gracieux et charmant comme la danse, d’une poésie vivante comme Mlle Taglioni; aussi, bien que nous soyons embarrassé pour trouver de nouveaux éloges, constaterons-nous avec plaisir ce triomphe.«117

Die Bewunderung wird in diesem Zitat als bevorzugter Habitus des Zuschauers und damit auch des Rezensenten durch mehrfache Wiederholung und mit Ausrufezeichen stark gemacht. Gautier bezeichnet sich im verallgemeinernden Plural als affiziert, ja gar als verwirrt (»embarrassé«), sein Schreiben nennt er eine Eloge, also eine Lobrede über einen Triumph. Mit weniger will sich der Kritiker nicht zufrieden geben. Die als ›süß‹ (»douce«) bestimmte Admiration versteht er dabei nicht etwa als passive Haltung, sondern als einen dynamischen, kreativen Prozess: »Admirer un grand artiste, c’est s’incarner avec lui, entrer dans le secret de son âme; c’est le comprendre, et comprendre c’est presque créer.«118 Indem der Kritiker sich also auf den bewunderten Künstler einlässt oder, wie Gautier sagt, auf das Geheimnis seiner Seele, begreift dieser das Bewunderte und kreiert um die Künstlerfigur eine Innen- und Außenwelt, die er gleichzeitig in einen von ihm erzeugten, für ein (Lese-)Publikum (neu) erfahrbaren Zusammenhang transponiert.

Er weiter ter Autor und Emphase Diese Transposition des Gesehenen in die wörtliche Sprache beschreibt Gautier zunächst durchaus analytisch als Übersetzung von einer Kunst in die andere; dabei ist er sich der Schwierigkeiten einer solchen Übertragung offenbar bewusst, wenn er einräumt, dass zuweilen die verfügbaren Mittel ausgereizt würden beziehungsweise man auf nicht exakt Entsprechendes ausweichen müsse: »Après avoir vu, notre plus grand plaisir a été de transporter dans notre art à 117 | Gautier, Écrits sur la danse, 161f. 118 | Ebd., 161. Vgl. dazu auch die Stelle in Ders., Introduction, 4.: »Etudier une

œuvre, la comprendre, l’exprimer avec les moyens de notre art, voilà quelle a été toujours notre but.« Zur Bewunderung hat sich in seinem Text über Gautier später auch Baudelaire, Théophile Gautier, 44, durchaus auch mit Vorbehalt, geäußert.

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nous, […] au risque souvent de forcer la langue et de changer le dictionnaire en palette.«119 Damit macht der Feuilletonist jedoch keineswegs ein Zugeständnis irgendeines Unvermögens seines Tuns, vielmehr hebt er die Freiheiten hervor, die er sich als schreibender Betrachter nimmt. Der Augenzeuge wird so gewissermaßen zum »erweiterte[n] Autor«, wie es Novalis – in Bezug auf den lesenden Rezipienten – in seinen Vermischten Bemerkungen formuliert hat.120 Als einen Kreations- respektive Kompositionsakt schildert denn auch der Kritiker Janin den Theaterbesuch: »[C]’est mon joie d’entrer dans votre salle d’Opéra pour composer mon petit drame tout à mon aise, pour bâtir, sur les plans que j’improvise, mon petit château en Espagne; pour donner un nom à tous ces personnages, un sens à tous ces gestes, pour faire mon petit poëme à la suite de ces danses, de ces jeux, de ces pas légers dans les royaumes de l’illusion, dans les jardins de la fantaisie! […] [J]e ne suis pas venu ici pour lire et pour refaire mes études, je suis venu d’un pas allègre pour voir, pour entendre, pour rêver, pour applaudir, en un mot pour m’amuser à ma guise.« 121

Gemäß seinem Selbstverständnis basiert die Rezeption des Kritikers nicht auf einer semiotischen Lektüre; er will sie vielmehr als kreative Bewegung (»pas légers«) in den Gefi lden der Imagination und Phantasie verstanden wissen, worauf er dann sein Tanzpoem auf baut. Der erweiterte Autor unterscheidet sich somit – gemäß eigener Zuschreibung – zwar in den Ausdrucksmitteln von dem ›ursprünglichen‹ Kunstwerk, aber nicht im kreativen Feld und in der – metaphorisch übertragenen – Bewegtheit. Seinem ›Gegenstand‹ begegnet der Ballettrezensent vorsätzlich mit Begeisterung und Begehren, ja sogar mit Begierde, die sich wiederum – wie Gautier nicht ohne Selbstironie festhält – im Text niederschlagen soll: »L’Écriture parle quelque part de la concupiscence des yeux, concupiscentia oculorum; – ce péché est notre péché, et nous espérons que Dieu nous le pardonnera.« 122 Indem er den ›auctor auctorialis‹ schlechthin, Gott, nennt, kokettiert Gautier in dieser Stelle damit, dass er selbst als Autor seiner Texte über das Ballett den (Über-)Blick von außen gar nicht etwa für sich in Anspruch nimmt, sondern sich seiner subjektiven Wahrnehmung lieber sinnlich teilhabend als objektivierend hingibt – auf die (durchaus in Kauf genommene) Gefahr hin freilich, sich zu ›versündigen‹, d.h. dem ›Gegenstand‹ im Gestus der Begierde einerseits zu nahe zu treten, ihn gewissermaßen zu vereinnahmen, und sich andererseits aber auch in der eigenen Anschauung, Reflexion und Übertragung von ihm zu entfernen. Der Kritiker kreiert schreibend seine

119 | Gautier, Introduction, 4. 120 | Novalis, Vermischte Bemerkungen und Blüthenstaub, 470: »Der wahre Leser

muß der erweiterte Autor seyn.« Vgl. dazu auch Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, 62. 121 | Janin in Journal des débats, 13.7.1846, 1. 122 | Gautier, Introduction, 4 (Hervorhebung im Original).

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Sichtweise, die wiederum für die Lesenden als Sichtbarmachung im Medium der Schrift rezipiert werden soll. Um diesen Vorgang zu bestimmen, scheint mir der Begriff der ›Emphase‹ hilfreich. Emphase, von griechisch émphasis, meint übersetzt »das Erscheinen«, das »Bild«, »der Schein«, die »Andeutung, Verdeutlichung« und erst dann »Nachdruck, Hervorhebung im Ausdruck«, aber auch »Darstellung, Bezeichnung einer Sache, Kraft des Ausdrucks, der mehr andeutet und ahnen lässt, als er ausspricht«; der Ausdruck beinhaltet etymologisch als Ableitung von emphaínein einen performativen Akt des Sichtbarmachens, des Zur-Anschauung-Bringens.123 Dieses Sichtbarmachen in emphatischen sprachlichen Bildern und Metaphern charakterisiert die romantischen Ballettkritiken. Die Rezensenten gehen in ihren feuilletonistischen Texten demnach von etwas aus, das für sie im Moment der Auff ührung sichtbar war; in deren mimetischer Beschreibung erschöpfen sich die Texte jedoch keineswegs. Vielmehr gelangt in ihnen jeweils zur Anschauung, kommt bildhaft zum Ausdruck, was über das konkrete Geschehen auf der Bühne hinausweist. Der Kritiker selbst wird dabei zum Schöpfer, indem er insbesondere Bewegung übernimmt, vermittelt und überträgt.

Sprachlich beweg te Figuren »Etwas Unausdrückbares gibt es nicht,« schreibt Charles Baudelaire in Referenz auf Gautier, der selbst – wie erwähnt – seine Sätze metaphorisch mit Leichtigkeit in die Luft zu werfen pflegte.124 Um insbesondere die geschauten und imaginierten Eindrücke einzufangen beziehungsweise wiederzugeben, bedient sich der Kritiker eines »vocabulaire des sensations«, wie Georges Matoré in einer linguistischen Untersuchung zum Vokabular von Gautiers Prosa feststellt.125 Er bemerkt dabei, dass sich die Sprache der Zeitungen im 19. Jahrhundert sehr von jener der Presseerzeugnisse des 18. Jahrhunderts unterscheide; um 1850 lasse sich eine Tendenz nachweisen zum Auf bauschen und zum Effekt, zum Pathetischen und zum hyperbolischen bis schwülstigen Vokabular.126 Diese Tendenz macht er auch in den Texten von Gautier aus, wobei er insbesondere

123 | Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Bd. 1, 281; vgl. auch Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 244. 124 | Baudelaire, Théophile Gautier, 64. Vgl. dazu auch S. 147 der vorliegenden Untersuchung. 125 | Matoré, Le vocabulaire de la prose littéraire de 1833 à 1845, 197. Vgl. zum Schreibstil Janins auch Landrin, Jules Janin, 363. 126 | Matoré, Le vocabulaire de la prose littéraire de 1833 à 1845, 103 beziehungsweise 107: »[N]ous avons déjà noté, au cours de cette étude, la tendance marquée de la langue de 1850 pour le grossissement et l’effet, le goût qu’elle éprouve pour le pathétique à tout prix, même s’il entraîne le vocabulaire à l’hyperbole et à l’enflure.«

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auf dessen reichen Wortschatz für Sinneseindrücke hinweist.127 Neben musikalischen Metaphern zur Bewegungsbeschreibung ist es – das erstaunt wenig – vor allem der Sehsinn, den der Ballettkritiker einsetzt, indem er optische Metaphern verwendet sowie sein Augenmerk auf Beschreibungen von Farben und Licht, Linien und Materialien legt.128 Es scheine, so Matoré, als seien die Texte Gautiers komponiert wie Bildwerke, in denen der Autor den Ton der Worte wie ein Maler die Farben mische, um eine sinnliche Harmonie in Bezug auf das Sujet zu suggerieren.129 Das Resultat bei Gautier ist – dies meine These – jedoch keineswegs ein statisches Bildwerk, vielmehr evoziert der Rezensent in der Beschreibung durchaus dynamische Bewegungen, die mit jenen korrespondieren, von denen ausgegangen wird. Dazu bedient sich der Kritiker wiederum des Diskurses der Emphase, der kraft des sprachlich metaphorischen Ausdrucks eine nachträgliche Sichtbarmachung erlaubt. Gemalt wird mit Metaphern der Bewegung, die den Eindruck des leichten Schwebens sowie des Irisierens vermitteln sollen. So heißt es etwa bei Gautier über Taglioni, sie schwebe wie ein Geist inmitten der Durchsichtigkeit ihres weißen Musselins, mit dem sie sich zu umgeben liebe, und sie sei einem seligen Schatten zu vergleichen, unter dessen rosigen Fingerspitzen sich die Gewinde der himmlischen Blumen kaum neigten.130 Edwin Binney charakterisiert Gautiers Sprache denn auch als »magnifique […], pleine d’évocation«.131 Allerdings bemerkt Jacques Landrin zur Recht, dass die romantischen Kritiker häufig analoge oder zumindest ähnliche Metaphern und Ausdrücke verwendet hätten.132 So bezeichnet Janin – um exemplarisch nur ein weiteres Beispiel zu nennen – Marie Taglioni als »fi lle des neiges, […] aérienne«,133 während auch Gautier Carlotta Grisi mit einer luftigen Schneeflocke vergleicht, wobei er deren Leichtigkeit emphatisch in Worte fasst und damit eine (fi ktive) Handlung, das In-der-Luft-Sein, beschreibt: »[O]n aurait dit qu’elle vo-

127 | Vgl. ebd., 197. 128 | Ebd., 201ff., insbesondere 202: »[L]es diverses sensations et l’abstraction

même, se concrétisent volontiers par des métaphores optiques.« Vgl. insbesondere zur Sensibilität für Farben ebd., 203ff. 129 | Ebd., 205: »Il semble que les œuvres de Gautier sont composées comme des œuvres picturales, et que l’écrivain emploie les couleurs comme un peintre, pour suggérer une certaine harmonie en rapport avec le sujet qu’il traite.« Vgl. außerdem ebd., 207, wo es heißt, Gautier suche den Farbton wie ein Maler »et il définit le ton qu’il voit de façon précise« (Hervorhebung im Original). 130 | Vgl. Gautier, Écrits sur la danse, 41; außerdem Levinson, Théophile Gautier und das Ballett, 142. 131 | Binney, Les ballets de Théophile Gautier, 38. 132 | Vgl. Landrin, Jules Janin, 363. 133 | Janin, Les symphonies de l’hiver, 286. Vgl. zu Janins Verwendung von Metaphern auch Le livret du centenaire du journal des débats, 424; außerdem Landrin, Jules Janin, 362.

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lait et qu’une main invisible la soutenait en l’air; le bout de son soulier de satin blanc descendait sur la terre sans faire plus de bruit qu’un flocon de neige.«134 Als bewegte Entkörperung stellt sich in der Beschreibung die konstatierte Schönheit der Tänzerin dar. In den Texten der Tanzkritiker wird die Ballerina zur ›Verkörperung‹ des körperlosen romantischen Wesens, das damit sprachlich charakterisiert und fi xiert ist, während es auf der Bühne gleich wieder entschwebt. Die Attribute, die Gautier und Janin den Tänzerinnen zuschreiben, evozieren den Eindruck der immateriellen, bewegten Leichtigkeit. Auch wenn die Kritiker von Körpern schreiben, schweift ihr Fokus gleich wieder von der Physis ab, so dass durch die Wahl der Adjektive und die bildlichen Vergleiche nicht der Eindruck entsteht, es handle sich um eine Frau aus Fleisch und Blut, die etwa dem Prozess des Alterns ausgesetzt ist.135 Durch die Anschauung der bewegten Tänzerin und in der Imagination des Feuilletonisten vervollkommnet sich deren Gestalt. Gautier und seine Zeitgenossen begegneten den Ballerinen aufgrund von deren »beauté féminine« 136 mit emphatischer Bewunderung: »L’admiration est douce surtout lorsqu’il s’agit d’une femme, d’un art gracieux et charmant comme la danse.« 137 Und so lässt Gautier seinen Ich-Erzähler im Roman Mademoiselle de Maupin sagen: »J’adore la beauté et je la sens.« 138 An obiger Stelle führt Gautier die Eigenschaften der ›Frau‹ mit jenen des Tanzes eng. Die Kritik müsse, führt Gautier denn auch aus, ein Kommentar der Schönheiten sein und nicht eine Fehlersuche.139 Für den Ballettkritiker hängen sinnliche Wahrnehmung, sinnlicher Ausdruck und ›Schönheit‹ untrennbar zusammen.140 In der als schön wahrgenommenen Bewegung und nicht etwa allein in einer schönen Gestalt oder in der »Schönheit des Baues« liegt der Reiz des Tanzes.141 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Definition von Ästhetik in einem Konversationslexikon von 1834, das diese im gängigen zeitgenössischen Sinne einerseits als Schönheitslehre betrachtet, andererseits im klassischen Wortsinn von ›aisthesis‹ als sinnliche Wahrnehmung, die überdies dezidiert als eine – und das ist in diesem

134 | Gautier, Correspondence Générale, 240. 135 | Gautier, Écrits sur la danse, 154. Vgl. dazu auch S. 156 der vorliegenden Ar-

beit. 136 | Um die »beauté féminine« trieb Gautier einen regelrechten Kult; vgl. dazu Binney, Les ballets de Théophile Gautier, 34; vgl. auch Guest, The ballet of the second empire, 49: »Gautier was enraptured both by the ballet and by its heroine.« 137 | Gautier, Écrits sur la danse, 162. Vgl. auch S. 161 der vorliegenden Arbeit. 138 | Gautier, Mademoiselle de Maupin, 310. 139 | Gautier, Introduction, 4: »Le critique, selon nous, doit être plutôt le commentaire des beautés que la recherche des fautes.« 140 | So genüge es nicht, schreibt Gautier, die ›pas‹ zu können und sehr hoch zu springen, schön müssten Tanz und Tänzerin sein. Vgl. Gautier zit. in: Levinson, Théophile Gautier und das Ballett, 138. 141 | Vgl. Herloßsohn (Hg.), Damen Conversations Lexikon, Bd. 10, 20.

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Zusammenhang wichtig – dynamische Aktion beschrieben wird. So führt der Text aus, »Aesthetik« heiße: »Empfindung, Wahrnehmung durch die Sinne, ferner Gefühl oder auch Anschauung durch das Gefühl. Aesthetik als Wissenschaft ist also die Gesammtheit der Gesetze, welche man dem Gefühle zur Hervorbringung oder Beurtheilung des Schönen entnommen hat; Aesthetik ist sonach die Wissenschaft, recht zu empfinden, schön zu fühlen und wahr anzuschauen. Ein ästhetischer Mensch ist der, welcher bei Anschauung der Außenwelt den inneren Sinn für Schönheit sogleich in Thätigkeit zu versetzen weiß.« 142

Ein äußerer schöner Reiz setzt somit bei einem für Ästhetik empfänglichen Menschen eine ›innere‹ Tätigkeit in Gang. Die Annahme, dass äußere und innere Bewegung im Tanz auf eine besonders signifi kante Weise korrespondierten, wurde seit dem 18. Jahrhundert zu einem apologetischen Hauptargument der Tanztheorie und hier bereits mehrfach zitiert. Unter ästhetischen Aspekten bemerkt nun Franz Magnus Böhme in seiner Geschichte des Tanzes in Deutschland von 1886 gar, dieser sei »Anfang aller schönen Künste« 143 und somit »Stütze und Träger aller das Schöne in der Bewegung darstellenden Künste«.144 Und Carlo Blasis erklärt das bewegte Schöne gar zum eigentlichen Gegenstand der Tanzkunst: »The true object of the Ballet appears to be the Beautiful in motion.«145 Die zeitgenössische Kritik wollte sich von dieser bewegten Schönheit wiederum bewegen lassen und praktizierte diesbezüglich einen regelrechten Schönheitskult.146 Vorrangiges Ziel der romantischen ›transposition‹ sei denn auch die Darstellung des Schönen, hält Bettina Cenerelli in ihrer Untersuchung zur ›transposition d’art‹ in Théophile Gautiers Bildkunstkritiken fest.147 Ich würde nun aber sagen, dass es Gautier nicht um die Darstellung des Schönen geht, sondern eben um die dynamische Emphase, um das Sichtbarmachen und damit auch um die Kreation dessen, was er unter Schönheit versteht. Diese muss – nach dem romantischen Kritiker – zwecklos sein: »Il n’y a de vraiment beau que ce qui ne peut servir à rien; tout ce qui est utile est laid.« 148 Das einzige Ziel des Schönen liegt somit in der Übertragung von dessen Effekten auf das Subjekt – das wäre in diesem Fall eine Übertragung von der Tänzerin auf den Kritiker und vom Kritiker auf die Lesenden. Die Tänzerin als Person musste nicht per se schön sein – es gab sogar Be142 | Ebd., Bd. 1, 88. 143 | Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland, 1. 144 | Ebd., V. 145 | Blasis, Notes upon dancing, i. 146 | Vgl. dazu auch Wienholz, Französische Tanzkritik im 19. Jahrhundert, 35.

Girard, Présentation, 29, spricht gar von einer »religion du beau«. Vgl. auch Fußnote 136 des vorliegenden Kapitels. 147 | Cenerelli, Dichtung und Kunst, 43. 148 | Gautier, Mademoiselle de Maupin, 102.

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schreibungen etwa von Marie Taglioni, die sie als regelrecht unschöne, schlecht gebaute, knöcherne Frau darstellten –;149 als bewegte Figur hingegen galt die Ballerina den Betrachtern als Schönheit schlechthin.150 Das Ballett diente damit als Vehikel, wie der Tanzhistoriker John Chapman schreibt, »for the creation of images of beautiful women«.151 Auf das Bild der Tänzerin projizierte der Kritiker seine sprachlich erzeugten Bilder und Figuren.152 Auch dieser Diskurs ist wiederum in spezifischer Weise als ein dynamischer zu bezeichnen. Auff ällig 149 | Vgl. etwa Boigne, Petites mémoires de l’opéra, 43: »[C]ette danseuse [d.i. Taglioni, C.T.], cette grande révolutionnaire ait été une femme mal faite, bossue même, sans beauté, sans aucun de ces avantages extérieurs et éclatants qui commandent le succès!« Vgl. dazu außerdem Weickmann, Der dressierte Leib, 160f. respektive 165, wo Taglioni aus ihren Memoiren zitiert wird: »[S]o war ich nicht hübsch, meine Körpergröße ließ zu wünschen übrig, ich war schlank ohne mager zu sein, meine Beine waren wohlgeformt, ein bißchen lang, […] aber ich hatte spirituelle Füße und Hände; ich habe es stets vermieden, Grimassen zu schneiden oder geziert zu wirken, meine Gestalt drückte das Glück aus, wenn ich tanzte.« Ausführlich über die Mängel der äußeren Gestalt Taglionis lässt sich außerdem Austin aus in The art of the dancer, 13f. 150 | Ein originelles Beispiel für diese Wahrnehmung gibt Alexander Puschkin in seinem Versroman Eugen Onegin, 27, in dem er über den Fuß der Terpsichore, der Muse des Tanzes, schreibt, dieser fange das Herz »mit ungeheurer Kraft« und ziehe »magisch mehr und mehr/geheime Wünsche nach sich her«. Vgl. dazu auch Baumann, Ästhetisches Urteil und russische Tanzkritik, 185. Ein Beispiel für einen negativen Effekt schöner Bewegung findet sich in einem Artikel über Pepita de Oliva im Wiener Conversationsblatt, hg. v. Bäuerle, 164; darin wehrt sich der Autor dagegen, der Tänzerin ihre Grazie der Bewegung als Unschicklichkeit vorzuwerfen: »Was man aber auch über die künstlerische Bedeutung dieser Tänze urtheilen mag, so ist gewiß doch der öfter gehörte Vorwurf ganz ungegründet, als ob Pepita in ihrem Tanze die Grenzlinie des Schicklichen und somit auch des Schönen überschreite. Wenn man überhaupt dem Kunsttanze einen Platz auf unserem Theater einräumt, so sind die Darstellungen Pepitas eben nicht weniger erlaubt, und wenn der Reiz der äußeren Erscheinung so wie die Grazie der Bewegungen bei ihr besonders effectvoll wirkt, so kann man dies doch nicht der Tänzerin zum Vorwurf machen.« 151 | Chapman, Jules Janin, 202. Vgl. dazu auch eine Aussage des Feuilletonisten Jules Lemaître in seinen Impressions de théâtre, 340, wonach »la beauté […] une idée toute relative« sei. 152 | Für die männlichen Tänzer interessierten sich die romantischen Kritiker hingegen wenig, wenn sie sich nicht sogar negativ gegen sie äußerten, wie beispielsweise Janin in Les symphonies de l’hiver, 283: »En ce temps-là le danseur, l’animaldanseur (genus homo), qui se hasardait à danser en public, était un animal très-poursuivi. Ce sera une des gloires de l’an 1830 et des années suivantes, d’avoir traqué et anéanti le danseur. Haro sur le danseur! On n’en voulait pas, on n’en voulait plus.« (Hervorhebung im Original) Vgl. auch ähnliche Stellen von Janin in Journal des debats, etwa vom 29.4.1833 über die Rückkehr von Mons. Perrot, oder vom 2.3.1840, wo

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ist nämlich, dass die Beschreibungen von Tänzerinnen oft nicht nur allein für sich stehen, sondern in einer Vergleichsbewegung, in einer verbal performativen Gegenüberstellung; d.h. der Text wird zur Bühne, auf der jeweils zwei Ballerinen gewissermaßen zum Duell aufgeboten werden.153 Den Ballerinenkult in den romantischen Kritiken möchte ich im Folgenden denn auch als einen Vergleichsdiskurs betrachten und in seiner Dynamik noch genauer untersuchen.

Ballerinenkult als Vergleichsdiskurs Die gängigste und berühmteste überlieferte Gegenüberstellung zweier Ballerinen im 19. Jahrhundert ist jene der beiden Stars der Pariser Oper, Marie Taglioni und Fanny Elßler, die von Gautier in einem dialektischen Vergleich folgendermaßen kontrastiert werden: »Mlle Taglioni est une danseuse chrétienne, si l’on peut employer une pareille expression à propos d’un art proscrit par le catholicisme: elle voltige comme un esprit au milieu des transparentes vapeurs des blanches mousselines dont elle aime à s’entourer, elle ressemble à une âme heureuse qui fait ployer à peine du bout de ses pieds roses la pointe des fleurs célestes. Fanny Elssler est une danseuse tout à fait païenne.« 154

Die eine, Taglioni, ist somit die überirdische, christliche Tänzerin, die andere, Elßler, die irdische, heidnische. Die Gegenüberstellung von ›femme fragile‹ und ›femme fatale‹, von Göttin und Heidin ist freilich ein gängiger Topos in der Rede über Frauen seit der Antike.155 Dass das Ballett als gesellschaftlicher Event für eine solche spannungsvolle Dichotomie ebenfalls empfänglich war, das belegt die Zahl und das Gewicht dieser und ähnlicher Textstellen im feuilletonistischen Diskurs über den Tanz jener Zeit. Mit der obigen Aussage beschreibt Gautier somit nicht nur den Eindruck, den die beiden Ballerinen auf der Bühne machten, er schreibt vielmehr seine Interpretation der beiden Darstellerinnen fest und prägt damit auch die über ihn als Einzelperson hinausgehende sowie künftige Rezeption dieser antagonistisch auftretenden, aber vor allem auch als solche inszenierten Konkurrentinnen. Gegenspielerinnen waren sie während ihrer aktiven Tänzerinnenkarriere tatsächlich, und als Konkurrentinnen nahm sie das Publikum auch wahr. Dieses – oder zumindest ein Teil davon – schrie beispielsweise auf, als Elßler die Sylphide tanzen sollte, die Paraderolle von Tager die männlichen Tänzer als langweilig und hässlich bezeichnet und lediglich als Stütze der Ballerina dulden will. Vgl. dazu auch Chapman, Jules Janin, 203. 153 | Auch in der Disziplin der Kunstgeschichte ist seit dem 19. Jahrhundert eine ausgeprägte Tendenz zu Vergleichen und insbesondere zum vergleichenden Sehen zu beobachten. Vgl. dazu u.a. Warnke, Warburg und Wölfflin, 84f. 154 | Gautiers, Écrits sur la danse, 41. 155 | Vgl. zu diesem Topos auch Frenzel, Motive der Weltliteratur, 774ff.

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lioni.156 Dazu trug gewiss auch der Umstand bei, dass Elßler über die Beschreibungen in den Feuilletons als irdische, sinnliche und nicht als ätherische Figur wahrgenommen wurde. Jules Janin schwelgt regelrecht in leidenschaftlichen Freuden, ja gar explizit im Rausch, wenn er angesichts von Elßler – im Vergleich zu Taglioni – schreibt: »Elle [d.i. Fanny Elßler, C.T.] est jolie autant que belle! C’est la flamme et le feu tout ensemble […], et le spasme enivrant de toute la personne enivrée à en mourir, vous poussent dans l’abîme, et vous font adorer même l’abîme. Ah! c’est vraiment, ce jourlà, que vous deviez crouler, murailles incendiées et incendiaires! C’est vraiment ce jour-là, que vous deviez brûler, loges haletantes, à ce spectacle étrange, et d’autant plus violent que la Fanny Elssler remplaçait la fi lle des neiges, cette calme et transparente aérienne Taglioni!«157

In dieser Passage, in der der Kritiker von willkommenen Abgründen spricht, verhehlt er nicht sein feuriges Begehren angesichts der als sinnlich beschriebenen Elßler im Gegensatz zu einer kühlen, noblen Distanz gegenüber der als ätherisch bezeichneten Taglioni. Die aus Gender-Perspektive nicht ganz unproblematische Konsequenz aus dieser Unterscheidung ist, dass Erstere als Tänzerin der Männer und Zweitere als jene der Frauen galt.158 Freilich spielten ›reale‹ körperliche, ausdrucks- und tanztechnische Unterschiede der beiden Tänzerinnen ebenso wie Kostüme und vorgegebene Handlung eine Rolle bei der Rezeption – diese sollen hier nicht etwa bestritten werden –, dennoch ist auff ällig, wie dominant der in Metaphern gefasste dialektische Vergleich der beiden Tänzerinnen erscheint. Er reicht auch über den feuilletonistischen Diskurs hinaus; so schreibt etwa Nérée Desarbres in seiner Chronik zur Oper: »Taglioni s’adressait à l’âme, Fanny Elssler parlait aux sens«,159 und weiter, über die einzelnen Tänzerinnen hinaus- und auf deren künstlerische Herkunft verweisend: »Deux écoles étaient en présence, l’école de la grande danse, chaste et aérienne, représentée par Taglioni, et l’école du fini dans l’exécution et de la grâce voluptueuse, ayant Fanny Elssler pour protagoniste.«160 Noch weiter über die einzelnen Ballerinen hinaus geht Louis Véron, wenn er in seinen Memoiren ebenfalls ganze Schulen einander gegenüberstellt. Indem er etwa die Wirkung von Auguste Vestris und Filippo Taglioni – beide u.a. Tanz156 | Vgl. dazu etwa Binney, Les ballets de Théophile Gautier, 46f. 157 | Janin, Les symphonies de l’hiver, 285f. 158 | Vgl. Gautier zit. in: Levinson, Théophile Gautier und das Ballett, 153; sowie

Ders., Notice sur Giselle, 4, in Gautier/Janin/Chasles: Les beautés de l’opéra ou chefsd'oeuvres lyriques: »Longtemps les femmes s’étaient dit: ›Que peut-il venir après la grâce nuageuse, l’abandon décent et voluptueux de Taglioni?‹ Longtemps les hommes s’étaient dit: ›Que peut-il venir après la verve provoquante, la pétulance hardie et cavalière, la fougue tout espagnole de Fanny Elssler?« 159 | Desarbres, Deux siècles a l’opéra, 138. 160 | Ebd., 138.

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lehrer an der Pariser Oper während Vérons Direktorenzeit – als gegensätzlich darstellt, greift er ausgerechnet auf die Wortwahl von Gautier zurück und befindet: »L’un [d.i. Vestris, C.T.] enseignait la danse païenne; on pourrait dire que l’autre [d.i. Taglioni, C. T.] professait la danse catholique.«161 Diese Unterschiede erklärt er dann anschaulich-szenisch noch genauer: »Vestris enseignait la grâce, la séduction; c’était un sensualiste; il exigeait des sourires provoquants, des poses, des attitudes presque sans décence et sans pudeur. Je l’ai souvent entendu dire à ses élèves dans un langage cynique: ›Mes bonnes amies, soyez charmantes, coquettes; montrez dans tous vos mouvements la plus entraînante liberté; il faut que, pendant et après votre pas, vous inspiriez de l’amour, et que le parterre et l’orchestre aient envie de coucher avec vous.‹ L’école, le style et le langage de M. Taglioni père disaient tout le contraire: il exigeait une gracieuse facilité de mouvements, de la légèreté, de l’élévation surtout, du ballon; mais il ne permettait pas à sa fi lle un geste, une attitude qui manquât de décence et de pudeur. Il lui disait: ›Il faut que les femmes et les jeunes fi lles puissent te voir danser sans rougir; que ta danse soit pleine d’austérité, de délicatesse et de goût.‹ Vestris voulait qu’on dansât comme à Athènes, en bacchantes et en courtisanes; M. Taglioni exigeait dans la danse une naïveté presque mystique et religieuse.«162

Auch hinsichtlich der Ballettlehrer als Repräsentanten je verschiedener Auffassungen von Tanz manifestiert sich somit ein Vergleichsdiskurs, der die Attribute ›sinnlich‹ versus ›keusch‹, ›bacchantisch‹ versus ›apollinisch‹ oder eben ›heidnisch‹ versus ›christlich‹ auf die Praxen beziehungsweise Auffassungen von Tanz anwendet. Dieses komparative Verfahren wurde im Diskurs über Tanz nach der konkreten Konkurrenzsituation an der Pariser Oper – und über diese hinaus – topisch fortgeschrieben.163 So vergleicht etwa Lemaître 1886 die beiden Tänzerinnen Elena Cornalba und Mlle Carmen in den Balletten Djemmah und La Folie parisienne in entsprechenden bildhaften Vergleichen. Er beginnt in seiner Beschreibung beim Äußeren, schwenkt dann aber sogleich auf metaphorisch gemeinte Dichotomien wie ›körperlich‹ versus ›gewichtslos‹, auf antagonistische Referenzen aus der Mythologie und aus der Bibel, und er verbindet die Wahrnehmung der beiden Tänzerinnen gar mit dem philosophischen Gegensatz zwischen materialistischen und idealistischen Weltanschauungen. Der Kritiker spielt die beiden Ballerinen, die auf der Bühne nicht einmal im 161 | Véron, Mémoires d’un bourgeois de Paris, 224 (Hervorhebung C.T.). 162 | Ebd., 224 (Hervorhebung im Original). 163 | Aus den dichotomen Gegensätzen wurden mit der Zeit offenbar ganze Ver-

gleichsreihen aufgestellt und festgeschrieben, in denen auch spätere Tänzerinnen komparativ ihren Platz zugeteilt bekamen; vgl. dazu beispielsweise Lumley, Reminiscences of the opera, 106, über Grahn: »[N]ot only was Mademoiselle Grahn received with enthusiasm, but critics declared that she combined the ›ideal‹ school of Taglioni with the ›realistic‹ school of Cerito [sic!], and the sprightliness of Carlotti [sic!] Grisi, adding something of the pantomimic art of Fanny Ellsler [sic!].«

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gleichen Stück auftraten, in seinem Text durch eine dramaturgisch komponierte Anordnung diskursiv gegeneinander aus: »Carmen est brune, la Cornalba est blonde. L’une est pétrie de plus de matière, mais que cette matière est heureusement façonnée! L’autre est une âme de papillon dans un corps svelte et allongé qui ne pèse pas une once. L’une a plus de vigueur et l’autre plus de grâce. L’une danse surtout avec ses reins et l’autre avec ses jambes. Celle-ci danse comme Psyché et celle-là comme Vénus. Les pas de Carmen plaisent davantage aux philosophe matérialistes; ceux de la Cornalba respirent l’idéalisme le plus pur et ont de quoi ravir les platoniciens. Tour à tour on croit voir bondir une bacchante ou voltiger un ange du paradis. L’une pourrait danser, comme Salomé, devant Hérode; l’autre devant l’Arche, comme le saint roi David. Ainsi, après que les bonds emportés de Carmen et l’élasticité de son enveloppe mortelle ont éveillé dans votre cœur un trouble délicieux et malfaisant, l’aile invisible de la Cornalba vous rafraîchit et vous apaise; et, comme c’est elle qui clôt le spectacle, vous vous sentez meilleur en sortant de l’Eden-Théâtre.« 164

Die Beschreibung führt dem (Lese-)Publikum die beiden Tänzerinnen in ihrer konträren Wirkung buchstäblich vor. Dies geschieht über eine Fülle von dichotomen Vergleichen, die verschiedenen Bildungs- und Wahrnehmungskontexten entnommen sind. Damit werden jedoch nicht einfach zwei unterschiedliche Charaktere präsentiert, vielmehr fächert sich in der Gegenüberstellung ein ganzes Spektrum von Eigenschaften auf, die der Betrachter jener Zeit im Tanz zu sehen wünschte. Er wollte innerlich in Aufruhr versetzt und ebenso erfrischt werden, Kraft und Grazie sehen, Körperlich- und Leichtigkeit. Indem der Kritiker die Ballerinen in ihrer Differenz auf seine (Text-)Bühne holt, kreiert er eine eigene spannungsvolle Szenerie. Mit entsprechendem vergleichenden Gestus werden in einem Artikel des Wiener Conversationsblatts vom 22. Februar 1855 die Tänzerinnen gar Dichtern zugeordnet, wobei die Analogiebildung konkret benennend in die Bereiche der Belletristik hineinreicht. So heißt es da zu Fanny Elßler gegenüber Isabella la Fleur: »Wenn sich Goethes Genius gefallen lassen mußte, von Fanni Elßler nach Theodor Mundt’s schwärmerischer Definition getanzt zu werden, so hat Frln. la Fleur Ansprüche auf den Charakter einer Uibersetzerin Heinescher Gedichte, deren Vortrag sie mit den heißen Augen des Südens commandirt.«165 Bestimmte, gegensätzliche tänzerische Ausdruckseigenschaften werden hier nicht nur mit dem Namen einer jeweiligen Ballerina belegt, sondern überdies literarischen Qualitäten zugeteilt, für die jeweils wiederum ein Name steht. Was genau unter einem Tanz von Goethes Genius nach Mundts Definition zu verstehen ist, oder wie Heines Gedichte in der physischen 164 | Lemaître, Impressions de théâtre, 327. 165 | Bäuerle (Hg.), Wiener Conversationsblatt, 180. Vgl. dazu auch Roséri, Kate-

chismus der Tanzkunst, 189f., die über Elßler schreibt: »In Deutschland sagte man von ihr, ›sie tanze Goethe‹, d.h. sie leiste mit ihren Füßen, was jener ungefähr mit seinem Geiste.«

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Übersetzung aussehen, das sich vorzustellen überlässt der Text wiederum der Kenntnis und der Phantasie des Lesers, der Leserin. Die Namen der Dichter stehen hier – wie oben jene mythologischer oder biblischer Figuren beziehungsweise konträrer Attribute – gleichsam als Etikett für gewisse Eigenschaften, die in der Gegenüberstellung eine implizite, aber dennoch deutliche Vorstellung evozieren sollten. Diente somit die Konfrontation von verschiedenen Ausdrucksqualitäten dazu, spannungsvoll und dynamisch ein Spektrum von Eigenschaften vorzuführen, so lassen sich in den zeitgenössischen Texten über Tanz noch weitere Manifestationen von Gegensätzen ausmachen, die ebenfalls einer Sichtbarmachung dienten beziehungsweise im Nachhinein als eine solche gedeutet werden können. Ich werde sie im Folgenden Spiegeldiskurse nennen, weil sie einerseits das Geschehen auf der Bühne und andererseits die bisher vorgestellten emphatischen Beschreibungen in jeweils leichter Verzerrung bis deutlicher (Seiten-) Verkehrung reflektieren. Sie tun dies aber dennoch stets so, dass ein je signifi kanter Zusammenhang er-schrieben wird, der durch die Verzerrung beziehungsweise die Verkehrung wiederum einen neuen, schillernden Blick auf das Verhältnis von Tanz und seiner Wahrnehmung beziehungsweise Vermittlung eröffnet.

Spiegeldiskurse zur Emphase Die transpositorische Relation zwischen Bühnengeschehen und poetisch imaginärer Vorstellung, die im vorliegenden Kapitel bisher an affi rmativen Beispielen untersucht wurde, ist allerdings offenbar fragil. Wenn sich das Kaleidoskop aufgrund irgendwelcher Konstruktionsfehler oder Defekte nicht drehen lässt, um ein Bild von Gautier wieder aufzugreifen, oder wenn der bewegte Lauf der Imagination, den Janin als Galoppritt beschreibt, durch Hindernisse gestört wird, oder aber wenn der romantische Kritiker aus dem Kunstgebilde, in das er sich involviert, durch äußere Pannen herauskatapultiert wird, dann kommt es folgerichtig nicht zur emphatischen Poetisierung. Gerade dieses ›Misslingen‹ ist im romantischen Diskurs über Tanz jedoch ebenfalls aufschlussreich. In den Kritiken werden nämlich nicht nur im bisher dargestellten Sinn bewegende Situationen beschrieben, sondern auch solche, in denen die Transposition, die Übertragung der bewegten Bühnenkunst in die kunstvolle Beschreibung, nicht möglich ist, weil die Imagination des Transpositeurs gestört wird. An diesen Störungen lässt sich einerseits im Negativ darlegen, wie Transposition in Bezug auf das Ballett überhaupt zustande kommt. Andererseits belegen die entsprechenden Textstellen, dass die Kritiker nicht nur – wie größtenteils überliefert – schwärmten, sondern auch der romantischen Ironie mächtig waren und anlässlich des auf der Bühne Rezipierten den Zwiespalt zwischen Ideal und ›Realität‹ durchaus reflektierten und die Illusionsstörungen effektvoll in ihren Diskurs zu integrieren wussten. Ein immer wiederkehrendes Motiv diesbezüglich sind die sogenannten

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›vols‹, in denen die Ballerinen an Seilen von der Bühnendecke hingen, um fl iegend den Anschein größtmöglicher Leichtigkeit zu erwecken. Diese Praktik galt insbesondere Gautier als eine überkommene Tradition der alten Oper.166 Er beschreibt da etwa, wie Fanny Elßler in jenem Moment, als sie als Sylphide durch den Kamin verschwinden sollte, zu schnell hochgezogen worden und heftig mit dem Fuß gegen das Holz der Kulisse gekracht sei. Dieser Unfall veranlasst Gautier, auf weitere peinliche Situationen im Zusammenhang mit dem mechanischen Fliegen hinzuweisen. So seien beispielsweise während einer Vorstellung einige Sylphiden in der Luft hängen geblieben; sie konnten weder heruntergelassen noch hochgezogen werden, und der ganze Saal habe geschrieen, bis schließlich der Maschinist an einem Seil von der Decke herabgeklettert sei und die verängstigten Mädchen befreit habe. Gautier kommentiert diese Praktik der ›vols‹ geradezu spöttisch: »Nous ne trouvons rien de bien gracieux à voir cinq ou six malheureuses fi lles qui se meurent de peur suspendues en l’air par des fi ls de fer qui peuvent fort bien se rompre; ces pauvres créatures agitent éperdument leurs bras et leurs jambes comme des crapauds depaysés et rappellent involontairement ces crocodiles empaillés que l’on pend au plafond.«167

Äußere Hilfsmittel, um den Schein vom Schweben herzustellen, lässt Gautier somit nicht (mehr) gelten. Der groteske Vergleich der Sylphiden mit – als widerlich konnotierten – zappelnden Kröten und ausgestopften Krokodilen macht dies deutlich. Leichtigkeit meint für den Kritiker offenbar mehr als die Auf hebung des Gewichts durch eine bloße Gegenkraft. Der Rezensent belässt es in der zitierten Textstelle jedoch nicht bei einer Kritik an einer, seiner Ansicht nach, ästhetisch überkommenen künstlerischen Praxis. Vielmehr macht er – diesmal ex negativo, mit ironischem Gestus – deutlich, worum es ihm als involviertem Betrachter geht: Auch die negative Kritik bewegt sich insofern im Diskurs der Emphase, als dabei mit sprachlichen Mitteln sichtbar gemacht wird, worauf der erweiterte Autor sein Augenmerk legt. In diesem Fall ist es das Prinzip der Leichtigkeit, das paradigmatisch ist für das romantische Ballett und das in der 166 | Vgl. Gautier, Écrits sur la danse, 79f. Auch der Pariser Opernhausdirektor Louis Véron äußert sich insofern negativ über die ›vols‹, als er ihretwegen schlaflose Nächte erlitten habe; dies erläutert er in seinen Mémoires d’un bourgeois de Paris, 165f., in Bezug auf die Auff ührung von La Sylphide: »Je ne dormis point de toute la nuit qui précéda cette représentation. Dans les vols aériens, tous les premiers sujets étaient remplacé par des figurantes, et bien que j’eusse visité moi-même tous les porte-mousquetons, les anneaux et les corsets à l’aide desquels les sylphides étaient suspendues à de nombreux fi ls de fer; bien que j’eusse assisté à toutes les répétitions préliminaires, faites avec des poids bien plus pesants que nos jeunes danseuses, je tremblais que quelque accident n’exposât à des dangers les douze ou quinze figurantes qui volaient dans les airs.« 167 | Gautier, Écrits sur la danse, 80.

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oben angeführten Stelle reflektiert wird. Diese kann gewissermaßen als eine Spiegelpassage zu den bisher zitierten Beschreibungen der luftig ätherischen Ballerinen betrachtet werden. Die zappelnden Kröten an den Seilen konterkarieren jene Figuren, die im Betrachter den Anschein von Unbeschwertheit durch bewegte szenische Inszenierung zu erwecken vermögen. So ist Leichtigkeit – dies evoziert Gautiers Textstelle – ein Eindruck, der allein in Verbindung von Wahrnehmung und Imagination entstehen soll. Die zweite Art von Störungen betriff t Aussagen in den Rezensionen, die die Grenzen der Poetisierung aufzeigen. Diese sind – nach Gautier – dann erreicht, wenn durch die Projektionsfläche Tänzerin hindurch plötzlich die Frau in ihrer Körperlich- und Menschlichkeit aufscheint. Dann ist die Imagination dahin. So stellt Gautier bei der müden Marie Taglioni Züge fest, die die Poetisierung nur noch als Negativbild erscheinen lassen. Er schreibt über die – diesmal angestrengte – Ballerina: »Mlle Taglioni, fatiguée par d’interminables voyages, n’est plus ce qu’elle a été; elle a perdu beaucoup de sa légèreté et de son élévation. Quand elle entre en scène, c’est toujours la blanche vapeur baignée de mousselines transparentes, la vision aérienne et pudique, la volupté divine que vous savez; mais, au bout de quelques mesures, la fatigue vient, l’haleine manque, la sueur perle sur le front, les muscles se tendent avec effort, les bras et la poitrine rougissent; tout à l’heure c’était une vraie sylphide, ce n’est plus qu’une danseuse, la première danseuse du monde, si vous voulez, mais rien de plus.« 168

Die poetischen Bilder werden an dieser Stelle abgelöst durch Beschreibungen der Körperlichkeit. Die Tänzerin ringt nach Atem, sie schwitzt, ihre Muskeln arbeiten, sie errötet. Damit ist die Ballerina am – vermeintlichen – Ende ihrer Lauf bahn wieder da angelangt, wo es ihr nicht mehr gelingt, die Anstrengung hinter der Leichtigkeit zu verbergen und der Effort, den sie leistet, sichtbar wird. In jenem Moment verpuff t die Illusion und die Tänzerin wird wieder zum Menschen, zur Berufsfrau Tänzerin. Erbarmungslos schildert Gautier diese Desillusionierung. Der Körper, und er kann noch so bei der Sache sein, als Körper steht er offenbar der Imagination im Wege. Die poetische Phantasie ist – nach Gautier – körperlos in Bewegung.169 Allerdings, wenn die Physis Schaden zu nehmen droht, ist eine Transposition wiederum ebenfalls nicht möglich. Eine dritte Störung nämlich betriff t schließlich die zu sehr entkörperlichte Tänzerin: Die Vorstellung der zum Ge168 | Ebd., 77. 169 | So schreibt denn auch Charles Baudelaire im Zusammenhang mit Gautier:

»Während der ungezügelten Epoche der Romantik, der Epoche des leidenschaftlichen Überschwanges, gebrauchte man häufi g nachstehende Formel: Die Poesie des Herzens. […] Das Herz birgt Leidenschaft in sich, das Herz birgt Hingebung, Verbrechen in sich; doch einzig und allein die Phantasie birgt Poesie in sich.« Baudelaire, Théophile Gautier, 59 (Hervorhebung im Original).

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dicht, zur Idee oder zumindest zum ätherisch überirdischen Wesen verflüchtigten Ballerina ist genauso fragil wie die Tänzerin selbst. Wie die Kehrseite dieser Stilisierung aussieht, zeigen wiederum Formulierungen von Gautier. So kritisiert er auch die übertriebene Leichtigkeit. Er spottet über Louise Fitzjames, die so mager sei, dass sie zwar keinen Grund habe, nicht leicht zu erscheinen, dabei jedoch eher wie eine magere Eidechse oder wie ein dürrer Seidenwurm als wie eine Luftgestalt aussehe.170 Wenn das Geschehen auf der Bühne Anlass dazu gibt, kann die Transposition also auch in einer Groteske statt im poetischen Text münden. Geradezu wie eine schwarze Groteske einer Entkörperlichung beschreibt Gautier den Tod der Tänzerin Clara Webster auf der Bühne. Ihre Kleider hatten Feuer gefangen, woraufhin Gautier am 23. Dezember 1844 in La Presse folgendenden Kommentar placiert: »[J]etons un regret à cette pauvre Clara Webster, qui vient d’être brûlée vive dans sa robe de gaze. C’était une charmante fi lle, et il nous semble encore la voir danser à Drury-Lane, dans La Péri; ses longues boucles blondes fouettaient ses blanches épaules quand elle achevait sa pirouette […]. On disait qu’elle guérirait; mais ses beaux cheveux avaient flambé le long de ses joues rouges; son menton si pur était entamé. Nous vous annonçons une bonne nouvelle… elle est morte!« 171

Die Stelle liest sich im Hinblick auf die reale Tragik geradezu makaber. Der Autor äußert zwar zunächst ein Bedauern, dann wird der Unfall im Text jedoch zu einem imaginären, dramatischen Akt der Auflösung umgewidmet. Der Kritiker sieht die Ballerina vor seinem geistigen Auge tanzen als Péri, d.i. ein orientalisches Elementarwesen. Dazu fügt sich die Beschreibung der bleichen Gestalt mit wehendem Haar, deren Hinscheiden in den zwei Teilsätzen Gautiers wie ein poetisches Entschwinden erscheint. Dieses jedoch führt er in der Zeitungsnotiz dann doch nicht weiter aus, sondern kontrastiert es mit der bitterböse in eine ›bonne nouvelle‹ gewendeten Sensationsmeldung: »[E]lle est morte!« Interessant ist im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung, dass Gautier dieses prekäre Ereignis in einem literarischen Text wieder aufnimmt und sich dort – im Gegensatz zur Berichterstattung im Feuilleton – eingehender damit befasst.172 In seiner 1853 in Fortsetzung im Le Moniteur universel unter dem Titel Paul d’Aspremont abgedruckten und 1857 als Buch erschienenen Novelle Jettatura lässt Gautier den Protagonisten Paul den Unfall in einem Londoner Theater beobachten. Liest man diese Stelle im Vergleich zum oben zitierten Zeitungstext, so wird deutlich, wo die Grenzen der emphatischen Sichtbarmachung in der Feuilleton-Kritik liegen. Dem Tod als realem Ereignis begegnet 170 | Gautier, Écrits sur la danse, 54f.: »[L]es bras de Mlle Louise Fitzjames sont en vérité trop spiritualistes, et ses jambes trop esthétiques; elle et maigre comme un lézard, comme un ver à soie.« 171 | Ebd., 174f. 172 | Vgl. dazu auch die entsprechende Fußnote von Guest in ebd., 174.

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der Rezensent, wenn auch nicht mit völliger Zurückhaltung, so doch mit der Zügelung seiner Imagination und Phantasie, während der Literat sich die tragische Begebenheit offenbar zu eigen machen und in eine fi ktive Narration einfließen lassen kann. Die Szene beginnt im 8. Kapitel der Novelle damit, dass die Figur Paul »von einer beispiellosen Traurigkeit ergriffen« wird: »Er war ein Ungeheuer!«173 Noch bevor in der Novelle auf den Unfall eingegangen wird, den der Protagonist gesehen hat, wird dessen Blick als unheilvoll beschrieben und damit die Ansichtigwerdung des Unglücks vorweggenommen: »Obgleich er über das größte Einfühlungsvermögen und den liebevollsten Charakter verfügte, brachte er Unheil mit sich –; sein Blick war, ohne daß er etwas dafür konnte, vergiftet, schädlich für jeden, auf den er ihn richtete, selbst wenn es in freundlicher Absicht geschah. […] Auf etliche Vorfälle in seinem Leben, die ihm bisher unerklärlich erschienen waren und für die er irgendwie den Zufall verantwortlich gemacht hatte, fiel jetzt ein fahles Licht: Er erinnerte sich an allerlei rätselhafte Mißgeschicke, ungeklärte Unfälle, grundlose Unglücke, zu denen er nun einen Schlüssel hatte.«174

Es soll hier nicht behauptet werden, dass Gautier in dieser Novellen-Passage sein eigenes (Zu-)Schauen in Bezug auf den Unfall von Webster als ein unheilvolles reflektieren würde. Dennoch ist diese Einleitung des literarisierten Ereignisses insofern signifikant, als sie den Blick problematisiert.175 Denn auch der Kritiker blickt auf Bühnenfiguren, die er als Wesen zwischen Leben und Tod – Elementargeister und Wiedergänger – wahrnimmt und allerlei fi ktive Unglücke erfahren sieht beziehungsweise in seinen Texten imaginär durchleiden lässt. Tritt allerdings der reale Tod ein, dann hat der Rezensent hinter die zynisch als »bonne nouvelle« bezeichnete Sensation zurückzutreten. Nicht so der Literat, dieser malt den Unfall in der Novelle aus, indem er zunächst ausführlich die bewunderte Tänzerin beschreibt 176 und dann den tödlichen Vorfall: 173 | Gautier, Jettatura, 93. Die Stellen werden im Folgenden aus der deutschen Neuübersetzung von Holger Fock aus dem Jahr 2006 zitiert. 174 | Ebd., 93. 175 | Vgl. auch den Kommentar der Figur Paul im Anschluss an den beobachteten Unfall in ebd., 96: »Jetzt war er [d.i. Paul, C.T.] freilich überzeugt davon, daß der Blick, mit dem er ihr [d.i. die verunfallte Tänzerin, C.T.] beharrlich gefolgt war, etwas mit dem Tod dieses bezaubernden Wesens zu tun hatte.« 176 | Vgl. ebd., 95: »In London besuchte er [d.i. Paul, C.T.] häufig das Queen’s Theatre, wo ihm die Anmut einer jungen englischen Tänzerin besonders aufgefallen war. Zwar war er von ihr nicht mehr hingerissen, als man es von einer anmutigen Gestalt eines Gemäldes oder eines Stichs sein kann, doch wenn sie mit ihren Gefährtinnen vom Corps de Ballet über die Bühne wirbelte, folgte sein Blick nur ihr; er liebte ihr sanftes und schwermütiges Gesicht, ihre zarte Blässe, die durch keinen Tanzschritt je gerötet wurde, ihr schönes, seidig schimmerndes blondes Haar, das je nach Rolle von einem Sternen- oder Blumenkranz gekrönt war, ihren in ferne

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»Eines Abends wurde die Tänzerin vom Schwung einer Walzerdrehung fortgetragen und streifte die flackernde Feuerlinie, die im Theater die ideelle von der realen Welt trennt. Ihr wehendes Sylphidengespinst flatterte wie Taubenflügel vor dem Aufsteigen. Eine weißblaue Flamme züngelte aus einer Gaslaterne und erfaßte den luftigen Stoff. Einen Augenblick später stand die junge Tänzerin in Flammen; sie tanzte einige Sekunden wie ein Irrlicht im roten Feuerschein, stürzte sich verzweifelt, wahnsinnig vor Entsetzen, in die Kulissen und wurde bei lebendigem Leib von ihrem brennenden Kleid verschlungen.« 177

Als schauriges optisches Spektakel erscheint der Unfall in dieser Stelle. Das Feuer ist hier nicht nur Grenze zwischen Bühne und Publikumsraum, sondern symbolisiert auch den Übergang zwischen dies- und jenseitiger Welt, zwischen Leben und Tod. Geschildert wird ein Bild der Bewegung, ein Tanz zunächst in Richtung der Flammen, dann mit ihnen beziehungsweise gegen sie. Schließlich verschluckt respektive löscht der Brand ein Leben aus. In der literarischen Übertragung wird aus dem Unfall ein Aufgehen einer anonymen Figur, der Tänzerin, im Feuer. Die Anonymisierung ist offenbar Voraussetzung für diese Transposition. So heißt es denn weiter: »Paul war zutiefst getroffen von diesem Unglück, über das damals alle Zeitungen berichteten, und wer aus Neugier wissen will, um wen es sich handelt, findet dort ihren Namen.«178 Die Zeitung – so lässt sich diese Stelle in Verbindung mit der oben zitierten Meldung Gautiers in La Presse interpretieren – berichtet somit im Falle des Todes von der Person, während der literarische Text den Hergang des Vorfalls in seiner bewegten und bewegenden Dramatik wiedergibt. Sylphiden, Wilis und Péris sterben beziehungsweise vergehen als fi ktive Figuren in den Texten immer wieder aufs Neue – das zeichnet das romantische Ballett und den dazugehörigen Diskurs aus. Der Tänzerin aus Fleisch und Blut darf allerdings nichts geschehen, weil ein Unfall nicht nur deren Leben, sondern – makaber gefolgert – den Eindruck der transzendenten Imagination zerstört. Als Stör- respektive Spiegeldiskurs zu einer solchen Idealisierung der tanzenden Feen und Zwischenwesen lesen sich dementsprechend die Beschreibungen von Unfällen aus der Feder der Tänzerin Margitta Roséri in deren Autobiographie Erinnerungen einer Künstlerin: Ein Buch über die Tanzkunst. Sie schildert darin ein entsprechendes Beispiel eines Brandunfalls, nämlich jenes ihrer Ballerinenkollegin und Zeitgenossin Emma Livry, deren Tutu 1862 während einer Probe Weiten versunkenen Blick, ihre jungfräulich keuschen Schultern, deren Beben er durch das Opernglas sah, ihre Beine, die nur ungern die Tüllschleier anhoben und die unter der Seide glänzten wie eine antike Marmorstatue. Jedesmal, wenn sie an der Rampe vorbeikam, grüßte er sie heimlich mit verstohlener Bewunderung oder schnappte sich sein Opernglas, um sie besser zu sehen.« Auch in dieser Stelle fällt auf, dass die Tänzerin nicht als Person, sondern erst in der Bewegung dem Betrachter als einzigartig erscheint. Vgl. auch S. 161 des vorliegenden Kapitels. 177 | Gautier, Jettatura, 95f. 178 | Ebd., 96.

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Feuer gefangen hatte und die ein Jahr später an den Folgen der Verbrennungen gestorben war.179 Roséri geht es unverkennbar um eine Entzauberung des Tänzerinnenberufes, wenn sie dieses Ereignis gleich in die Erzählung einer Kette von unglücklichen Vorfällen einbettet: »Im Ballet ›Die Sylphide‹ in welchem sie [d.i. Livry, C.T.] 4 Jahre früher das erste Mal die Bühne betrat, wäre sie beinahe schon um das Leben gekommen. In einer Scene dieses genannten Ballets, wo die Sylphide von einem Lehnstuhl, wo sie sich verborgen hat, verschwindet, vergaß sie, daß sie sich nicht anlehnen durfte, der Sitz von diesem Stuhle ging mit ihr in die Versenkung, die Lehne blieb zurück und so stürzte sie rückwärts hinunter, wobei sie sich natürlich sehr weh gethan hatte und von großem Glück sagen konnte sich nicht getödtet zu haben. Bei der ersten Aufführung des Ballets ›Le Papillon‹ konnte sie plötzlich in der Mitte des Ballets eines Krampfes im Fuße wegen, nicht mehr weiter tanzen und alle ihre Pas, welche sie seit Monaten mit so vieler Mühe studirt hatte, mußten wegbleiben.« 180

Kommentiert wird diese Reihe von Miseren Livrys denn auch mit dem Satz: »Wenn man ihr unglückliches Ende bedenkt, so kann man sie nur als einen Matyr der Kunst bezeichnen.«181 Gemäß den Aufzeichnungen von Roséri geht die Tänzerin somit nicht automatisch in der Bewegung auf der Bühne auf, vielmehr erscheint die Dynamik durch die Beschreibung verschiedener Störungen immer wieder als unterbrochene oder gar als stillgestellte. Die Tänzerin muss verletzungsbedingt innehalten, müht sich ab oder büßt gar ihr Leben ein. Diese Haltung ist insofern signifi kant, als sie die romantische Vorstellung der bewegten Teilhabe aller am Kunstwerk Beteiligten radikal unterläuft. Wenn die pragmatischsten Bedingungen nicht stimmen, dann wird offenbar der Bewegungsfluss – der äußere wie auch der ›innere‹ – aufgehalten und die Tänzerin fällt buchstäblich aus ihrer Rolle, die wiederum den Zuschauer bewegen sollte. Die Fragilität dieses Wechselverhältnisses erwähnt bereits Blasis in seiner Abhandlung Traité élémentaire, théorique et pratique de l’ art de la danse: Damit ein wahrhafter Tänzer (»un véritable danseur«) das Publikum affizieren könne, müsse dieser Gefühl, Seele und Ausdruck in die Bewegung hineingeben.182 Der Tänzer, die Tänzerin muss also eine bestimmte Disposition aufweisen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Eine solche basale Verfasstheit mitsamt deren entsprechender Anfälligkeit hebt auch die Tänzerin Claudine Cucchi in ihren Memoiren hervor und veran179 | Vgl. Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 10f. Der Unfall ist auch im Dictionnaire de la danse, 265, belegt. Vgl. zu Unfällen von Ballerinen auch Weickmann, Der dressierte Leib, 235f. 180 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 11f. 181 | Ebd., 12. Roséri beschreibt ebd., 116f., außerdem einen Vorfall, bei dem sie selbst beinahe ums Leben gekommen wäre, als der Boden unter ihren Füßen plötzlich weggeschoben worden sei und sie sich gerade noch festhalten habe können. 182 | Vgl. Blasis, Traité élémentaire, théorique et pratique de l' art de la danse, 12.

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schaulicht dies an einem Beispiel. Bei einer Probe zum Fenster hinausblickend, sieht sie einen Priester; sie wird sich dabei ihrer Eigenschaften als Künstlerin bewusst, was sie wiederum zum Anlass nimmt, die Phantasie- und Traumwelt der Kunst beziehungsweise des Künstlers der realen, prosaischen Welt entgegenzustellen: »Wir [d.s. die Tänzerin und der Priester, C.T.] waren Beide Künstler, die durch das heilige Feuer der Natur inspiriert worden waren, in voller Ausübung unserer Künste! Aber der Lärm eines Wagens unten auf der Straße genügte, um mich aus den Wolken fallen zu lassen, wohin mich die Phantasie getragen hatte, und ich sah wieder vor mir unsere armselige Erde. […] Es liegt in meinem Charakter, immer ein wenig in den Wolken zu leben. Vieles, was sich in meinem Leben zugetragen, gab Zeugnis dafür.« 183

Die Tänzerin nimmt sich in dieser Passage selbst als Privilegierte wahr, indem sie es ihrer Persönlichkeitsstruktur, ihrer Bestimmung respektive Inspiration und schließlich ihrer Tätigkeit zuschreibt, durch ihre eigene Vorstellungskraft auf eine höhere Ebene gehoben zu werden. Aber auch dieser Vorgang ist offenbar störungsanfällig. Bereits – signifi kanterweise – Straßenlärm reicht aus, um in das ›reelle Leben‹ zurückzufallen, abzustürzen. Im Augenblick des Wirklichkeitseinbruchs ist der Effekt der Erhabenheit somit auch aus der Perspektive der Tänzerin verflogen. Für diesen Fall des unfreiwilligen Sphärenwechsels von den Höhen der Kunst auf den Boden der Realität gibt auch Roséri zahlreiche Beispiele. Wichtig ist dabei in Bezug auf das Thema der vorliegenden Untersuchung, dass diese Störungen jeweils explizit den Tanz, die Bewegung behindern oder aber diese dahingehend verändern, dass die intendierte Wirkung beeinträchtigt wird. So berichtet die Ballerina mehrfach, die Theater seien schlecht oder gar nicht geheizt und so kalt gewesen, »daß mir während des Tanzens die Zähne klapperten«.184 Ebenfalls an der freien Ausübung ihrer Kunst gehindert wurde die Tänzerin immer wieder durch Kostüme und Requisiten. An einer – mit historischem Abstand durchaus grotesk zu lesenden – Stelle beklagt sich Roséri über diesbezügliche Zumutungen beim Bühnentanz: »Das letztere [d.i. das Stück Les Parisiens à Londres, C.T.] blieb mir während langer Zeit eines Costüms wegen, welches ich darin hatte, in Erinnerung, da dasselbe so unbequem war, daß es mir fast das Tanzen verleidete. Das Ballet in diesem Stück stellte die Industrien vor. Die Electricität, die Dampf kraft […] waren darin vertreten, 183 | Cucchi, Erinnerungen einer Tänzerin, 206. 184 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 117. Vgl. zur Kälte und gar zum Nebel

im Theater auch ebd., 28: »Manchmal war der Zuschauerraum, der dort ziemlich dunkel gehalten ist, so mit Nebel angefüllt, daß man das Publikum von der Bühne aus kaum sehen konnte, zudem ist das Covent Garden Theater ein so großes, fast ebenso groß, als die Scala in Mailand, daß man sich nur doppelt ungemüthlich in dieser Kälte und in diesem Nebel fühlte.«

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ich war die Letztere. Mein Costüm war so mit Schmuck überladen, zudem hatte ich eine Coiff üre, welche eine Locomotive vorstellte und eine solche Schwere hatte, daß ich nur mit der größten Anstrengung des Gewichtes halber auf meinem Kopfe und von meinem Costüm tanzen konnte. Ich habe überhaupt einen Luxus von Costümen in diesem Theater mitgemacht, der in das Unbegreifliche ging. Um die Farbe des Dampfes hervor zu bringen, hatte man mir wenigstens fünfzehn Röcke von sieben verschiedenen Farben von dem theuersten Seidentüll angefertigt. Da sie sich beim Tanzen überall anhingen und auf diese Weise zerrissen wurden, so mußten fast jeden Abend vier bis fünf davon erneuert werden und nach neunzig Vorstellungen hatte dieses Costüm eine ungeheure Summe gekostet.« 185

Die Ausstattung der Tänzerin wird von ihr hier als Einschränkung der Bewegungsfreiheit beschrieben. Gewicht und Volumen von Frisur und Kostüm hindern sie, wie sie feststellt, an der notwendigen Leichtigkeit ihres Tanzes. Diese Schilderung aus der Sicht der Ballerina unterscheidet sich deutlich von der Wahrnehmung Gautiers, der im Hinblick auf Marie Taglioni die »transparentes vapeurs des blanches mousselines« erwähnt, in denen sich die Tänzerin wie ein Geist bewegt habe.186 Während der Kritiker hier die Immaterialität hervorhebt, setzt Roséri ihre Kritik der Theaterpraxis beim Materiellen – im doppelten Sinn – an.187 Gautiers Beschreibung beinhaltet Bewegung, Roséris schließt diese aus, was einer Desillusionierung in Bezug auf den Tanz gleichkommt. 185 | Ebd., 21. Über mögliche Konsequenzen dieser umständlichen Kostüme schreibt sie, ebd., weiter: »Daß ich in diesem Stück nicht das Loos von Emma Livry hatte und verbrannte, ist ein wahres Wunder.« Vgl. auch jene Passage, ebd., 53, in der eine Requisite (eine lebendige Schlange) den Tanz der Ballerina gar verhindert, weil diese sich schließlich weigert: »Ich sollte eine Schlangenbezauberin vorstellen und hätte mit einer wirklichen Schlange, welcher man wohl den giftigen Stachel genommen hatte, zu tanzen gehabt […]. In Paris wurde dieses Ballet das Jahr vorher im Théâtre du Châtelet mit einer künstlichen Schlange getanzt, doch dachte man in Cairo, daß dieses keinen Effect machen würde, da es dort ganz etwas Gewöhnliches war, die Araber mit wirklichen Schlangen in den Händen an den Straßenecken stehen zu sehen.« 186 | Gautier, Écrits sur la danse, 41: »[E]lle voltige comme un esprit au milieu des transparentes vapeurs des blanches mousselines dont elle aime à s’entourer.« 187 | Als Konsequenz eines materiellen Missstandes interpretiert Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 22, auch die Reaktionen der Theaterbesucher in Frankreich. Entgegen den Schilderungen des begeisterten Publikums in romantischen Ballettrezensionen führt die Autorin den Applaus auf monetäre Praktiken zurück und kritisiert den Brauch der öffentlichen ›Claque‹: »[D]aß ich jedes [sic!] Monat dem Chef derselben, eine gewisse Summe wie eine Rente auszahlen mußte, kam mir höchst komisch vor. Bei einem neuen Stück, bekam er bei der ersten Vorstellung immer noch ein Extra=Honorar, so daß das Geschäft eines Chef de claque ein sehr gutes sein muß, wenn ihm ungefähr ein Dutzend von den ersteren Künstlern eines Theaters, eine fi xe Summe jährlich zahlen. Dieser Gebrauch wurde dort eingeführt,

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Die bewegte Vorstellung von Leichtigkeit respektive die diesbezügliche Desillusionierung haben in der obigen Gegenüberstellung freilich nicht nur mit der Vermittlungsweise des jeweiligen Autors, der Autorin zu tun, vielmehr rührt die unterschiedliche Perspektive auch von den Themen und Stoffen der Ballette her. Gautier denkt an die romantische Sylphide, während Roséri wohlgemerkt die Dampfkraft in einem Industrie-Ballett darzustellen hatte. Mit dem Stoff, der Handlung und der Rolle verändert sich jeweils auch die Art und Weise von Bewegung. Hervorzuheben ist dabei allerdings, dass die Wahrnehmung einer geglückten bewegten Darbietung offenbar eher mit naturmythischen Plots und Figuren korrespondiert, die bis heute als romantisch gelten, d.h. mit Feenlegenden in sagenumwobenen Wäldern oder mit Liebesgeschichten in Halbwelten. Der Einzug der sachlichen ›Realität‹ – sei dies nun über das Thema oder über konkrete Umständlichkeiten wie beschwerliche Kostüme – steht der poetischen Transposition entgegen. Diese Diskrepanz lässt sich auch an Janins Schilderung eines Militärballetts, La Révolte au Sérail, mit Marie Taglioni zeigen. An die Stelle der Poetisierung tritt hier die Ironisierung, indem der Autor ex negativo auf die Lachhaftigkeit der Szenerie zu sprechen kommt: »Taglioni, qui, sans rire, et avec toute la majesté du commandement militaire, faisait manœuvrer ces jeunes recrues en épaulettes blanches.«188 Er macht sich in der Folge lustig über das in die Bewegungssprache des ästhetischen Tanzes übersetzte Manöver, wobei über den ironischen Gestus indirekt deutlich wird, dass Ballett und Militär – im romantischen Verständnis – 189 zwei unvereinbare Bereiche sind. So heißt es bei Janin spöttisch: »Elles [d.s. die Rekruten respektive Rekrutinnen, C.T.] allaient au pas de charge, et par l’action même elles s’animaient à bien faire, et portez arme! En joue, et – Feu! que c’en etait une bénédiction. […] Bref, on ne vit jamais plus brillante et plus élégante armée, entrer en ligne, et passer le Pruth, en plus belle compagnie.«190 Der Gebrauch von in romantischen Rezensionen gängigen Attributen wie »élégante« und »brillante« wird hier ad absurdum geführt, indem der Autor diese auf ein Ballett anwendet, das – trotz der Beteiligung der Starbalum das Publikum zum Beifall zu animiren, welches zum Gegensatz anderer Nationen ohne Claque, keine Hand rühren würde, was jedenfalls nicht sehr aufmunternd für die Leistungen der Künstler wäre.« Auch Cucchi schreibt in ihren Erinnerungen einer Tänzerin, 52f., über die Claque: In der Pariser Oper sei »das Publikum im allgemeinen so zurückhaltend mit dem Beifall«, und folgert: »Ein Grund, weshalb man später die bezahlte Claque einführen mußte, die Plage der Künstler, aber unvermeidlich, um diese mit dem Trugbild des Erfolges anzueifern!« 188 | Janin, Les symphonies de l’hiver, 282. 189 | In den Traktaten des 17. und 18. Jahrhunderts wurden militärische und tänzerische Übungen – mit Verweis auf die Antike – noch ganz selbstverständlich in Zusammenhang gebracht. Vgl. dazu u.a. Bonin, Die Neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz=Kunst, 14ff.; außerdem Compan, Dictionnaire de danse, 173f.; vgl. auch Müller Farguell, Tanz, 2. 190 | Janin, Les symphonies de l’hiver, 282f.

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lerina Taglioni – 191 als inadäquat behandelt wird. Folgerichtig bezeichnet Janin denn auch seine Zeit als eine der Gegensätze: »Le bon siècle! On avait toujours quelque chose de bête à dire, et quelque chose de fou à raconter! La bêtise mêlée à l’ésprit! L’absurde ajouté au talent.«192 Das Talent eines Tänzers, einer Tänzerin allein macht somit, folgt man dem Kritiker, noch keine bewegte und bewegende Kunst. Dieser Ansicht ist auch die Ballerina Cucchi in ihren Memoiren, wenn sie festhält: »Man kann kein Künstler im wahren Sinn des Wortes werden, wenn die Intelligenz und die Bildung nicht die ganze Person, die Bewegungen und Geberden des Körpers verfeinern und veredeln.«193

Die Perspek tive der Tänzerin Die Voten der Tänzerinnen können ihrerseits als Spiegeldiskurs zur Emphase der romantischen Kritiken betrachtet werden, insofern als sie deren Blick oft entzerren oder aber andere subjektivierte Sichtweisen vermitteln. Auch diese Quellen sind – wie die idealisierenden Rezensionen – im diskursiven Kontext zu betrachten; jedenfalls dürfen die – oft nachträglich aus der Erinnerung geschriebenen – Darstellungen nicht einfach als Belege dafür genommen werden, ›wie es wirklich war‹.194 Auf die argumentativen Eigenheiten der autobiographischen Schriften soll im Folgenden in Gegenüberstellung zu den feuilletonistischen Texten noch genauer eingegangen werden. Insbesondere die Binnenwahrnehmung respektive -stilisierung der bewegt bewegenden Profession ist im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung von Interesse, weil sie sich einerseits in den gängigen zeitgenössischen Diskurs über die Tanzkunst, über deren Definition und Rezeptionsweisen, einschreibt, sich andererseits aber auch gegen diesen sperrt oder mit ihm spielt. So lässt sich etwa der Autorgestus von Roséri als Koketterie lesen, wenn sie ihren sprachlich und stilistisch durchaus gewandten Aufzeichnungen folgende Passage voranstellt: »Möge der freundliche Leser dieser Zeilen sich dabei erinnern, daß er keine geübte Schriftstellerin vor sich hat, die durch brillanten Styl sich auszeichnen wird, sondern eine Künstlerin, welche einfach ihre Künstlerlauf bahn erzählt, die sie mehr für sich selbst geschrieben hatte.« 195 Die Autorin bittet hier vorweg um Nachsicht für verbale Schwächen. Damit (re-)produziert 191 | Über die Motivation von Taglioni, in einem solchen Ballett überhaupt mitzuwirken, mutmaßt Janin, ebd., 281: »Or, toutes ces dames et demoiselles de l’Opéra, j’en veux faire un bataillon qui aura vu le feu… comme il a vu le loup, se disait M. Taglioni.« 192 | Ebd., 281. 193 | Cucchi, Erinnerungen einer Tänzerin, 13. 194 | Vgl. zur Autobiographie, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zur Fiktion auch Böning, Dichtung und Wahrheit; Holdenried, Autobiographie; WagnerEgelhaaf, Autobiographie. 195 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 1.

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sie einen – bis heute gängigen – Topos von Tanzenden, die sich mit ihrer nonverbalen Kunst derart identifizieren, dass sie sich selbst als nicht sprachmächtig wahrnehmen und geben.196 Die scheinbar bescheidene Angabe der Motivation von Roséri, ihre Lebenserinnerungen nur für sich zu Papier zu bringen, unterstellt den Aufzeichnungen überdies eine private, nicht für den öffentlichen Diskurs gedachte Legitimation. Diese stützt die Autorin noch durch die – schließlich nicht ganz richtige – Behauptung: »Es ist wohl das erste Mal, daß eine Künstlerin meiner Branche, eine frühere Tanzkünstlerin, die Feder ergreift, um ihre Memoiren zu schreiben.«197 Allerdings kontrastiert diesen Gestus des Zögerns die klar geäußerte Absicht und Notwendigkeit einer Öffentlichmachung: »Ich habe mich lange nicht dazu entschließen können, noch einmal in Gedanken meine Künstlercarriere zu durchleben, welche ich schon seit beinahe zehn Jahren mit Vergessenheit zu bedecken suchte. Doch war dieselbe eine so außergewöhnliche was Erlebnisse und Schwierigkeiten anbetreffen, namentlich für eine deutsche Künstlerin, daß ich mich endlich entschlossen habe, dieselben wahrheitsgetreu niederzuschreiben.« 198

Neben der privaten Legitimation steht also doch auch die Begründung des öffentlichen Interesses einer solchen Schrift. Die konstatierte Außergewöhnlichkeit ihrer Erlebnisse und insbesondere der Schwierigkeiten nimmt die Tänzerin dann gar zum Anlass, ihre eigentliche Intention kundzutun, nämlich Abschreckung. So beendet sie denn die Einleitung »An den Leser« mit dem Abschnitt: »Möge dieselbe [d.i. die Künstlerin, C.T.] durch ihre Erfahrungen und Irrthümer mancher jungen Künstlerin damit nützlich sein, doch was noch besser wäre, mögen dieselben Viele zurückhalten sich einer Kunst zu widmen, welche wohl als die schwierigste und undankbarste von allen Künsten zu betrachten ist. Wenn ich dieses damit erreichen würde, so hätte ich dann jedenfalls einen nützlichen Zweck mit 196 | Vgl. dazu auch Roséris Zeitgenossen, den Tanzpädagogen Bernhard Klemm, der in seinem Buch, Katechismus der Tanzkunst, VI, diesbezüglich feststellt, dass »die Meister [des Tanzes, C.T.] aller Zeiten sich besser mit den Füßen als mit der Feder verständlich zu machen wußten«, gleichzeitig aber schreibt, ebd., V, »die Literatur der Tanzkunst« sei »eine nicht unbedeutende«, und alle einschlägigen Werke zitiert. 197 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 1. Vor Roséri hat bereits Marie Taglioni ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Diese sind in der Pariser Bibliothèque de l’Opéra in verschiedenen Fassungen (handschriftlich und maschinentranskribiert) archiviert, allerdings bis heute nicht publiziert. Vgl. zu diesen Manuskripten auch Weickmann, Der dressierte Leib, 162. Ein Mikrofi lm der verschiedenen Fassungen von Taglionis Memoiren ist auch in der New York Public Library zugänglich. Von Fanny Elßler ist ein Tagebuch aus dem Jahr 1843 erhalten; vgl. dazu Ehrhard, Fanny Elßler, VII. 198 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 1.

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diesen Zeilen erfüllt. Dieselben enthalten nicht allein meine Erlebnisse, sondern geben im Allgemeinen einen Ueberblick über die Tanzkunst und ihre Schwierigkeiten, mit welchen das Publikum so wenig vertraut ist.« 199

Dieser kritische Ton gegenüber der Tanzkunst ist zunächst überraschend.200 Liest man doch sonst, nicht nur von Kritikern, Pädagogen und Theoretikern positive Bewertungen, sondern auch von Tänzerinnen immer wieder über das Glück, das sie bei der Ausübung ihres Berufes empfinden.201 Marie Taglioni etwa schreibt in ihren unveröffentlichten Lebenserinnerungen, dass sie glücklich gewesen sei, während sie tanzte.202 Im Gegensatz zu Roséri führt Taglioni an, 199 | Ebd., 1. 200 | Einen anderen, durchaus diskurskonformeren Ton schlägt dieselbe Auto-

rin in ihrem Buch Katechismus der Tanzkunst ein, das 1896 als »Führer und Ratgeber für Lehrer und Schüler des theatralischen und des gesellschaftlichen Tanzes« erschienen ist. Darin schreibt Roséri, VI: »Möge dieser Katechismus überzeugen, daß die Tanzkunst in Hinsicht ihrer pädagogischen Bedeutung, ihrer ästhetisch bildenden Kraft sich mit jeder anderen Kunst gleichstellen darf.« Warum sich ihre Einschätzung in den fünf Jahren so verändert hat, ist nicht eindeutig zu sagen. M.E. rührt diese Diskrepanz einerseits von der unterschiedlichen Textsorte – Memoiren versus Lehrbuch –, andererseits vom Fokus – künstlerischer versus schwerpunktmäßig gesellschaftlicher Tanz – her. 201 | Vgl. dazu Blasis, Notes upon dancing, 42: »The pleasure of dancing is shared both by the performer and the spectators, but those who do not practice it cannot clearly comprehend what peculiar delight the dancer feels.« Robert Walser äußert sich später in seinem Feuilletontext Der Tänzer, 101, ironisch über den Tänzerberuf, wobei er die dazugehörigen Klischees aufnimmt und bloßlegt: »Indem er tanzte, machte er den schönsten Eindruck, den ein junger Tänzer zu machen vermag, nämlich den, daß er glücklich sei im Tanze. Er war selig durch die Ausübung seines Berufes. Hier machte einmal die gewohnte tägliche Arbeit einen Menschen selig – aber es war ja nicht Arbeit, oder aber er bewältigte sie spielend, gleich, als scherze und tändele er mit den Schwierigkeiten, und so, als küsse er die Hindernisse, derart, daß sie ihn liebgewinnen und ihn wieder küssen mußten. Einem heiteren, über und über in Anmut getauchten Königssohne aus dem goldenen Zeitalter glich er, und alle Sorgen und Bekümmernisse, alle unschönen Gedanken schwanden denen dahin, die ihn anschauten.« 202 | Vgl. Taglioni zit. in: Weickmann, Der dressierte Leib, 165: »[W]enn ich tanzte, lächelte ich, ich lachte nicht, ich war glücklich.« Außerdem ebd., 184: »Manchmal fragte ich mich, bin ich wirklich glücklich gewesen? Oh ja, sehr glücklich, in allem, was mit meiner Kunst zu tun hat; ich denke, daß es keine Frau gibt, die mehr geliebt und mehr verwöhnt worden ist vom Publikum.« Vgl. dazu auch die Stelle über eine Begegnung von Taglioni und Roséri, in Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 120: »Im Laufe des Gespräches, wo wir auch über die Tanzkunst sprachen, sagte ich ihr, wie sehr ich bedauerte, jemals die Carrière einer Tänzerin erwählt zu haben. Sie im Gegentheil sagte mir, daß sie wieder Tänzerin werden würde, wenn sie nochmals die Wahl ihres

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in ihren Aufzeichnungen nur schildern zu wollen, »was zu dieser Kunst gehört, ich ziehe den Vorhang zu vor dem Rest und rufe nichts als meine lieben und schönen Erinnerungen wach«.203 Dass es die andere, schwierige Seite an ihrem Beruf auch gegeben hat, leugnet die berühmte Ballerina nicht,204 allerdings ist es ihr offenbar ein Anliegen, das positive Bild der Tänzerin aufrechtzuhalten. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung sind diese Selbsterklärungen der Tänzerinnen insofern aufschlussreich, als sie den Mythos um diese bewegte Kunst einerseits aus einer gewissermaßen legitimierten Perspektive stärken oder aber andererseits – im Fall der Reflexionen von Roséri zumindest ansatzweise – gerade aus dieser Perspektive heraus hinterfragen. Nicht als Beruf, sondern vielmehr als Berufung, die auf einer inneren Bewegtheit gründe, wird das Tänzer-Dasein bis heute immer wieder begriffen und vermittelt. Auch bereits Roséris Argumentation lässt eine ebensolche Haltung erkennen. Obwohl die Autorin in ihren Erinnerungen einer Künstlerin argumenBerufes hätte. Dieses mag wohl zeigen, welche ausnahmsweise glänzende Künstlerlaufbahn sie gehabt haben muß. Jedenfalls hatte sie die beste Zeit der Tanzkunst mitgemacht, alle Ehren, alle Befriedigung und Gewinn gehabt, welche eine Künstlerin nur wünschen kann und vor den Intriguen des Theaters durch ihren Vater geschützt wurde, der selbst früher Künstler war, das Theater und seine Schwierigkeiten folglich kannte und ihr durch Rath und That den dornigen Pfad des Künstlerlebens erleichterte. Sie war die einzige Tänzerin, welche ich jemals gekannt habe, oder von welcher ich sprechen hörte, die diese schwierige Kunst noch einmal ergreifen würde. Carlotta Grisi hatte sich bei Zeiten von der Bühne zurückgezogen und soll gesagt haben: ›Le public ne vous en sait pas gré de son travail‹ (Das Publikum dankt einem seine Mühe nicht.).« Fanny Elßler hingegen äußert sich in einem Brief an ihre Schwägerin vom November 1839 über die Freude, die ihr ihr Erfolg bereite; vgl. Elßler, The letters and journal, 3f. Auch Claudine Cucchi beglückte offenkundig die Anerkennung des (ungarischen) Publikums; vgl. Cucchi, Erinnerungen einer Tänzerin, 143. 203 | Taglioni zit. in: Weickmann, Der dressierte Leib, 184. Sie sei zum Schreiben aufgefordert worden, wollte aber nicht über die Kümmernisse berichten, heißt es außerdem ebd., 183. 204 | Vgl. etwa die Schilderungen über ihr hartes Training bei ihrem Vater in Taglionis unveröffentlichter, handgeschriebener Autobiographie in Fonds Taglioni, R17 (Microfilm): »Je travaillais six heures par jour, deux heures le matin, deux heures avant diner et deux heures avant de me coucher: celles-ci étaient horriblement pénibles. Après chacune de ces leçons, j’étais dans tel état de transpiration que le planchet en était mouillé. […] Je souff rais beaucoup de la soif, mais mon père ne me permettait pas de boire durant mes études.« Vgl. zu den Anstrengungen der erfolgreichen Tänzerin auch Véron, Mémoires d’un bourgeois de Paris, 223f.: »Mademoiselle Taglioni travaillait trois ou quatre heures par jour. Des sueurs abondantes, d’accablautes fatigues, des larmes, rien n’attendrissait le cœur de ce père, rêvant la gloire pour un talent qui portait son nom. Je ne connais personne d’aussi courageux qu’une grande danseuse; aucun travail, aucun danger, aucun voyage ne l’eff raye. Les brillants succès de mademoiselle Taglioni étaient mérités.«

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tiert, »[n]ur der Eingeweihte in diese Kunst kennt die Schwierigkeiten, welche die Studien einer Tänzerin umgeben«,205 kann sie ihre eigene Motivation, diesen anstrengenden Beruf zu ergreifen, im Nachhinein nicht mehr erklären: »[D]aß ich, welche von Niemand dazu gezwungen wurde, meine Glieder solcher Strapaze unterziehen mochte und nicht nach der ersten Woche davon gelaufen bin, kann ich jetzt, wo ich meine Carriere überblicke, nicht begreifen. Wenn man bedenkt, daß man stundenlang seinen Körper mit den anstrengendsten Uebungen quälen muß, daß man manchmal vor Gliederschmerzen kaum gehen kann, sich vorher erst in ein dazu passendes Costüm vom Kopfe bis zu den Füßen umgekleidet hat und diese in enge Schuhe gezwungen hat, so wird dadurch diese Kunst zu einer der schwierigsten und umständlichsten gemacht.«206

Roséri schildert hier unerbittlich die physischen Strapazen, andererseits reflektiert sie sehr wohl auch die Topoi, die der Mythos um die ›Berufung Tänzerin‹ reproduziert. So spricht sie beispielsweise davon, dass sie in jungen Jahren eine Auff ührung von Pepita de Oliva gesehen hatte und »diese Vorstellung einen solchen Eindruck auf meine Imagination gemacht« habe, »daß ich von diesem Tage an der Bestimmung meines Berufes zueilte […]. Von jetzt an träumte ich nur noch vom Tanzen, meine Spiele waren fortwährend Theater und Pepita.«207 205 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 5. 206 | Ebd., 5. Um ihre Argumente zu stützen, vergleicht die Autorin ihre Tän-

zerinnenprofession auch mit verwandten Berufen; vgl. ebd., 30: »Da haben Sängerinnen und Schauspielerinnen jedenfalls ein besseres Loos, diese sind nicht allen diesen Zufälligkeiten mit ihren Füßen ausgesetzt wie wir, haben auch nicht dieses fortwährende Umkleiden für die Proben nöthig und brauchen namentlich nicht ihre Kinderzeit, die schönste des Lebens, zu opfern, da sie gewöhnlich vor 16 oder 17 Jahren gar nicht anfangen zu studiren. Wie oft habe ich bereut, nicht den Beruf einer Schauspielerin, anstatt einer Tänzerin erwählt zu haben.« Außerdem ebd., 171: »Daß man eine Sängerin oder Schauspielerin wird, läßt sich noch begreifen, doch sich den Folterqualen einer Tänzerin zu unterwerfen, seine Kinderjahre zu opfern, mit 30 Jahren schon als alt zu gelten, während die eben genannten Künstlerinnen sich gewöhnlich in diesem Alter erst auf der Höhe ihres Talentes glauben, so sollte man Kinder zurückhalten, eine solche Kunst ergreifen zu lassen, welche eine so mühsame und unverstandene ist, und da das Interesse dafür schon so weit dafür erloschen, wäre fast zu wünschen, daß dieselbe sich nach und nach ganz verlieren möge.« Anders wiederum klingt es in Roséri, Katechismus der Tanzkunst, 3, worin die Autorin den (Gesellschafts-)Tanz als »hervorragende[s] Bildungsmittel« beschreibt und empfiehlt, man solle sich ihm »wieder mehr zuwenden, als es seit Jahren der Fall gewesen und die Kinder schon von ihrem zehnten Jahre an, an dem Tanzunterricht teilnehmen lassen, denselben überhaupt wie es in früheren Zeiten war, als einen zur Erziehung gehörigen Bildungszweig betrachten«. Vgl. zu dieser anderen Einschätzung auch Fußnote 200 des vorliegenden Kapitels. 207 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 4.

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Nicht etwa bloß bei der Anschauung, sondern in der Imagination ist demnach – so Roséri – signifi kanterweise der Wunsch entstanden, Tänzerin zu werden. Diese Aussage geht mit dem Diskurs der romantischen Feuilletonisten einher, die die Faszination für den Tanz ihrerseits – wie oben ausgeführt – der Imagination zuschreiben. Dass der Berufswunsch der angehenden Tänzerin sich dann ausdrücklich im Traum und im Spiel, jenen mit der Imagination und der Phantasie verwandten Bereiche, weiterentwickelt haben soll, bevor er sich konkretisierte, ist ebenfalls als durchaus kanonische Feststellung zu betrachten. Dagegen gehen die Folgerungen, die die Autorin in ihrer Autobiographie aus diesen Diagnosen zieht, in eine ganz andere Richtung als jene der emphatischen Feuilletonisten. So warnt Roséri einerseits vor dem ihrer Ansicht nach folgenschweren Einfluss, den »das Theatergehen von Kindern, manchmal auf dieselben haben kann«.208 Andererseits lässt sie ihre eigene Inspiration zur Tänzerin in eine ironische Anekdote münden, indem sie die erwähnten Spiele genauer ausführt: »Meine Geschwister mußten das Publikum bilden und ich tanzte ihnen etwas vor. Auch hatte ich mir gewöhnlich nach meiner Phantasie ein Costüm dazu zurecht gemacht, wo eine rothe Tischdecke meistens eine große Rolle dabei spielte, sowie schon im Voraus die Blumen, welche ich im Garten zu diesem Zwecke gepflückt hatte, meinen Geschwistern in die Hand gegeben, die sie mir in ihrem Enthusiasmus werfen mußten. Doch mit der Zeit wurden ihnen diese Spiele und zwar zu meinem Aerger, ein bischen zu viel und sie waren jedesmal verschwunden, wenn ich Pepita spielen wollte. Sie waren eben gar nicht künstlerisch gesinnt!«209

In diesem Abschnitt sind verschiedene Topoi zum Tänzer-Zuschauer-Verhältnis enthalten und karikiert. Es wird deutlich, dass die Bühnenakteurin (in diesem Fall das spielende Kind) die Reaktion des Publikums bereits antizipiert, indem sie vorgängig Blumen pflückt, die ihr dann wiederum enthusiastisch zugeworfen werden sollen. Tritt diese gewünschte Wirkung, die Begeisterung, nicht ein, d.h. vermag die Tänzerin ihr Publikum nicht zu fesseln und zu bewegen, reagiert sie umgehend mit dem Vorwurf der Kunstverachtung. Diese Reaktionen, die anlässlich der Kinderspielepisode in der zitierten Stelle ironisch erzählt werden, tauchen in den folgenden Schilderungen der Ballerina wieder auf, dann allerdings durchaus ernst gemeint die Bühnen-›Realität‹ widerspiegelnd. Roséri erwähnt in ihren Ausführungen etwa eine Künstlerin, die sich ihre Bouquets für den Applaus selbst besorgt hatte, was schließlich in aller Peinlichkeit aufflog.210 Wie sehr der eigene Erfolg am Beifall und an den materiellen Zuwendungen 208 | Ebd., 4. 209 | Ebd. Der Kommentar, den Roséri, ebd., ihrer Schilderung anschließt, ist

wiederum nicht ironisch, sondern in ihrer rückblickend kritischen Haltung wohl durchaus ernst gemeint: »Zu meinem jetzigen Bedauern, blieb es nun nicht mehr lange bei diesen Kinderspielen.« 210 | Vgl. ebd., 22f.

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des Publikums gemessen wird, belegen aber auch entsprechende Bekundungen anderer Ballerinen. So schreibt Cucchi gar von einem »Liebesfest«, als ihr »Blumen, Kränze, Hochrufe von allen Seiten« zuteil geworden seien.211 Gekrönt sieht sie ihren Erfolg schließlich durch eine besondere Zuschauerin: »Sogar Fanny Elßler, die Königin der Tänzerinnen, kam nach der Vorstellung mit Tränen der Rührung in meine Garderobe, um mich zu umarmen; sie gratulierte mir und schien sehr glücklich. Und sie hatte doch so oft und überall in der Welt das Publikum während ihrer Kunstherrschaft in Raserei versetzt!«212 Die berühmte, Massen bewegende Tänzerin durch ihren Tanz zu Tränen gerührt zu haben, bedeutet für Cucchi offenbar die größte Anerkennung.213 Sie erklärt damit Elßlers Bewegtheit gewissermaßen zum Expertenurteil. Ein solches tut sich – so lässt sich die Stelle lesen – seinerseits durch mehrfache Bewegung kund. Der Rührung folgen der Gang in die Garderobe und die Umarmung; diese wird von der dergleichen Geehrten wiederum mit Zeichen der Rührung quittiert, die sich im Text durch den Gestus der Interjektion widerspiegeln. Gelingt die Affizierung des Publikums dagegen nicht, reagiert die Tänzerin ihrerseits ähnlich wie das Kind in Roséris Anekdote mit einer Infragestellung der Zuschauerhaltung. Die Autorin äußert sich später kritisch über den Geschmack, das Kunstverständnis und »die Unwissenheit des Publikums«, als ihre Darbietungen in Amerika auf mangelnden Zuspruch stießen.214 Dabei lässt sie sich gar zum Vorwurf des Blendwerks hinreißen, indem sie konstatiert: »Diejenige, welche am besten versteht das Publikum zu betrügen, trägt den Sieg davon und was alles dazu angewendet wird, um diesen zu erlangen, ist für die europäischen Ansichten haarsträubend.«215 Gerichtet sind solche Vorwürfe im 19. Jahrhundert 211 | Cucchi, Erinnerungen einer Tänzerin, 90; sie kommentiert diese Anerkennung folgendermaßen: »Es war ein Liebesfest und unbeschreiblich schön für mich. Blumen, Kränze, Hochrufe von allen Seiten. Das Theater war gedrängt voll von Zuschauern, die nicht müde wurden, mir lärmend ihre Sympathie und ihr Wohlwollen zu bezeugen.« 212 | Ebd., 90. 213 | Elßler ihrerseits misst Erfolg ebenfalls an den Publikumsreaktionen: »My professional career has reached its zenith […]. I dance, and rapturous applause cheers me to loftiest efforts; I curtsey, and flowers and garlands cover me.« Vgl. Elßler, The letters and journal, 4. 214 | Vgl. Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 164ff. 215 | Ebd., 164. Roséri vermerkt außerdem zynisch, ebd., 165: »Schon die Thatsache, daß manchmal eine Künstlerin nur damit einen Erfolg erzielen kann, indem sie auf eine Musik tanzt, welche höchstens in einen Circus für Pferde paßt, worin alle Blechinstrumente vertreten sind, daß einem die Ohren dabei wehthun, […] zeigt wohl den amerikanischen Kunstgeschmack.« Vgl. außerdem ebd., 79, wo Roséri einen Wandel des Kunstverständnisses beklagt: »Der Geschmack des Publikums ist ein ganz anderer geworden und ich glaube kaum, daß wenn diese großen Künstlerinnen [d.s. Taglioni und Elßler, C.T.] jetzt kämen, sie denselben Enthusiasmus erregen würden, wie damals. Selbst bei den Wenigen, die noch Interesse für das

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vor allem gegen ein – u.a. am sogenannten italienischen Stil orientiertes – virtuoses Tanzgenre, das kunstfertig getanzte Schritte über den szenischen Ausdruck stellte.216 Interessant ist, dass die Ballerina dabei gar von Betrug spricht. Dies impliziert, dass es ›wahre‹ und ›unwahre‹ Künstler beziehungsweise einen ›falschen‹ und einen ›wahren‹ Effekt auf das Publikum geben soll.217 Das richtige Kunstverständnis setzt – gemäß ihren Aussagen – ein Wissen voraus, um überhaupt seine intendierte und für erstrebenswert erklärte Wirkung zu tun. Roséri stellt dabei kritisch eine neue Ökonomie gegen die Poesie der Kunst, die ihrer Ansicht nach im mechanischen Tanzen,218 das sich von der ›klassischen Schule‹ abwendet,219 verloren gehe: »Jedes künstlerische Gefühl muß […] bei Seite gesetzt werden. Da heißt es nur Geld verdienen und die Kunst wird zum Handwerk gemacht. […] Da hätte man wirklich ausrufen können: ›Kunst, wo ist deine Poesie Ballet haben, hat der Geschmack dafür eine ganz andere Wendung genommen und ich schreibe dieses nicht dem Mangel an einer Taglioni oder Fanny Elsler [sic!] zu, sondern mehr den Lehrern der Balletkunst und namentlich denjenigen in Paris.« 216 | Vgl. dazu auch Roséri, Katechismus der Tanzkunst, 191: »Italienische Künstlerinnen hatten es verstanden, durch gewisse Effektschritte dem pariser Publikum zu imponieren, so daß sich der Geschmack des Publikums mit der Zeit dem italienischen Tanzgenre zuwendete, der mit seiner energischen und kraftvollen, mit Effekthascherei verbundenen Ausführung, der Gegensatz der alten französischen Schule ist.« 217 | Vgl. dazu Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 164, wiederum in ihrer Kritik am amerikanischen Ballett: »Doch steht dort die Tanzkunst namentlich auf einer Stufe, daß es eine wahre Künstlerin anekeln muß, dieselbe ausführen zu müssen. Wenn man bedenkt, daß man da manchmal mit Leuten zu wetteifern hat, die in Europa höchstens im Corps de ballet waren, sich in Amerika als Solotänzerinnen ausgeben und wo möglich mehr Erfolg zu haben suchen, als man selbst hat, […] so ist dieses jedenfalls nicht sehr ermuthigend.« 218 | Vgl. zur zeitgenössischen Kritik an der Virtuosität auch Wiesel, Zwischen König und Konstitution, 154ff. In Bezug auf das Schauspiel unterstellt etwa Eduard Devrient, zit. in: ebd., 164, dem Virtuosen den »Effekt[] um jeden Preis«. Wiesel, ebd., 162ff., hebt hervor, dass der Virtuose dem Charakterdarsteller »den Geist streitig« mache; er bringt die Virtuosität mit der Kapitalisierung in Verbindung und deutet den Diskurs der Virtuosität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als einen, der die Orientierung an der künstlerischen Tradition ablehnt. Vgl. außerdem Brandstetter, Die Szene des Virtuosen; von Arburg u.a. (Hg.), Virtuosität. 219 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 80f., kritisiert diese Entwicklung in der Tanzkunst als geistlose »Effectsucherei«: »Wenn in früheren Zeiten Alles auf die Schule und Grazie ankam und Niemand zur Künstlerin gestempelt wurde, welche diese nicht besaßen. Konnte man es da mancher Künstlerin verdenken, daß sie sich mit der klassischen Schule keine Mühe mehr gab und nur suchte Effect zu erzielen und so kam es, daß die Schule von Marie Taglioni sich fast ganz verloren hat und die Wenigen, welche suchten sie beizubehalten, wurden als altmodisch und langweilig betrachtet.«

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geblieben!‹«220 Der poetische Schein wird – gemäß dieser Aussage – nicht durch das Handwerk, d.h. die Schritte und Figuren erzeugt, sondern durch kognitive und emotive Fähigkeiten und Voraussetzungen, die ›höher‹ eingestuft wurden. So schreibt denn wiederum Blasis, dass das Ausführen der Regeln allein nicht genüge, um das erklärte Ziel der Tanzkunst zu erreichen, nämlich eine lebendige Sinnesempfindung zu evozieren (»produi[re] de vives sensations«); vielmehr müsse der ›wahre‹ Tänzer mit Gefühl, Intelligenz und Grazie agieren.221 Auch Roséris Kollegin und Blasis’ Schülerin, Claudine Cucchi, hält dementsprechend über die Anforderungen an die Tanzenden fest, es genüge nicht, dass diese »die Pirouetten und die Entrechats gut ausführten«, vielmehr habe sie gelernt, »daß jeder Bewegung das charakteristische Gepräge der Anmut und Leichtigkeit gegeben werde. Und um dies zu erlangen, war eine ernste Bildung des Gemüts und des Geistes erforderlich.«222 Der Pariser Opernhausdirektor Louis Véron schließlich bringt die Rede um das Verhältnis von ›wahrem‹ und ›falschem‹ Kunstverständnis auf den Punkt, indem er neben Geist und Gefühl auch die Imagination als dritten fundamentalen Faktor der Tanzkunst nennt.223 Véron reagiert damit auf Kritik von der Publikumsseite am zeitgenössischen Ballett, die diesem vorwirft, dass es das Feuer der »passions« nicht mehr nähre, sondern vielmehr abkühle.224 Er hält dagegen mit einer Definition, wonach es dem ›wahren‹, pantomimischen Tanz gelinge, gerade über jene drei Grundkomponenten, die der ›falschen‹ oder ›dummen‹ – wie er es nennt – Kunstausübung fehlen, Emotionen und Passionen auszudrücken respektive auszulösen: »Dans tous les arts, même dans celui de la danse, le cœur, l’esprit et l’imagination sont des conditions indispensables de succès; il y a, il est vrai, des danseurs et des danseuses, des chanteurs et des chanteuses qui dansent bête et qui chantent bête, selon le langage du théâtre. Mais tous les arts exigent du goût, et la pantomime surtout veut que, pour exprimer, sans le secours de la parole, des émotions et des passions, on montre beaucoup de cœur, d’imagination et d’esprit.«225

Véron schließt in dieser Auseinandersetzung an den Diskurs über die emotiv bewegt bewegende nonverbale Kunst an. Das Fehlen von Emotionen und Passionen als Folge eines mangelnden Zusammenspiels von Gefühl, Geist und Imagination moniert auch Janin, indem er allerdings den Erfolg des virtuosen Genres vor allem als Wechselverhältnis zwischen – gleichermaßen kritisierten – Tanzenden und Zuschauern betrachtet. Beide stellt er in der folgenden Rezension

220 | Ebd., 166. 221 | Blasis, Traité élémentaire, théorique et pratique de l' art de la danse, 12. 222 | Cucchi, Erinnerungen einer Tänzerin, 13. 223 | Véron, Mémoires d’un bourgeois de Paris, 208. 224 | Ebd., 208. 225 | Ebd. (Hervorhebung im Original)

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ironisch als je unwissend, geist- und gefühllos, weil mechanisch agierend und nur von ›niederen‹ Instinkten und Automatismen gelenkt, dar: »Une, deux, trois! le saut est fait, rien ne va plus. Puis tout recommence: Une, deux, trois! – Comme c’est là un pantin qui saute bien! Et quels fi ls admirables! Qui donc tient le fi l de la machine? – Une, deux, trois! – […] L’observateur jette aux chiens sa lorgnette et ses yeux. […] [I]l lève les bras à gauche, et il pose les jambes à droite. Cela veut dire au parterre: – Applaudis-moi! Le parterre n’y manque pas: il applaudit avec transport.«226

Die Bewegung bleibt gemäß dieser Anschauung leer – sowohl auf der Bühne wie auch im Zuschauerraum. Der Ausdruck »rien ne va plus« erinnert an Glücksspiel im Kontrast zum ästhetischen Spiel; der Vergleich der Tanzenden mit Hunden lässt unwillkürlich an Dressur denken, die hier als Gegensatz zur Kunst angeführt wird. Beschrieben wird eine automatisierte Wechselwirkung. Statt bewegt im Sinne von ›movere‹ reagiert das Publikum auf die abgezählten und abgespulten Schritte folgerichtig mit Applaus, den Janin in seiner Rezension aber als leere Geste darstellt. Daraus lässt sich schließen, dass sogar in Bezug auf die Lobbekundungen zwischen ›wahren‹ und ›falschen‹ unterschieden wird. Selbsternannte Autorität ist in diesem Fall der Kritiker, der sich mit Kunstgebilden durchaus identifiziert, die ihn affizieren, der sich jedoch von – nach seinen Maßstäben – misslungenen deutlich abgrenzt. Im obigen Zitat scheint er denn auch, im Gegensatz zu seiner Selbstpositionierung in lobenden Rezensionen, gänzlich außen vor zu stehen: Das Parterre applaudiert, heißt es da, als ob der Rezensent nicht selbst auch im Parterre gesessen hätte. Er wechselt somit – je nach Bewertung des Kunstwerks – spielend den Betrachterstandpunkt. Damit gibt er sich flexibler als die schreibende Tänzerin, die explizit persönlich aus der Perspektive der Kunstausübenden und damit stets Involvierten referiert. Durch den Umstand, dass die im vorliegenden Kapitel zitierten Ballerinen nachträglich (in Erinnerungsschriften) argumentieren, lassen sich ihre Beobachtungen freilich nicht eins zu eins mit jenen der aktuell schreibenden Feuilletonisten vergleichen. Signifi kant ist aber dennoch, dass sich ihr Diskurs im Hinblick auf die Bewertung der Tanzkunst weitgehend deckt und sie zu ähnlichen Figuren der – positiven wie negativen – Sichtbarmachung gelangen.227 Daraus lässt sich wiederum folgern, dass der feuilletonistische Diskurs in Bezug 226 | Janin in Journal des débats, 24.8.1832, 1. Entsprechende Kritik – eher mit didaktischem Anspruch – an dieser Form des Balletts übt auch Hentschke, Allgemeine Tanzkunst, 9: »Aber so nützlich der Tanz ist, so schädlich kann er auch werden, wenn er durch Uebertreibung gemissbraucht, und das viele geistlose Herumkreisen nicht bald ganz verdrängt wird.« Er sieht darin gar kulturpessimistisch den Niedergang des Balletts, indem er ebd., 35, festhält, die »gesteigerte Kunstfertigkeit artete zuletzt in Künstelei aus und verdrängte mit der Einheit die Grazie. Und wie das Ballet in den neuesten Zeiten zu equilibristischen Sprüngen herabsank«. 227 | Einen Unterschied markiert die Rede über die Physis, die in den Beschrei-

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auf das Ballett jener Zeit prägend war – dies nicht nur in Bezug auf die Existenz der Künstler, zu der etwa Roséri in Anlehnung an einen nicht genannten Dichter schreibt: »Die Zeitungen machen den Ruhm und der Ruhm ist das Leben des Künstlers.«228 Dem Ruhm und dem Rühmen hatten sich Tanzkünstler wie auch -betrachter in der Romantik verschrieben – so effektiv wie nie zuvor und nie mehr danach. Dabei ging es ihnen, dies sei resümierend festgehalten, um den Akt der Emphase, die Sichtbar- und Erlebbarmachung der doppelten Bewegung, die im Moment der Auff ührung ihre flüchtige Wirkung tat, in den Texten allerdings performativ festgeschrieben wurde, auf dass die Dynamik der produktiven sowie der rezeptiven Bewegung einen nachhaltigen poetischen Ausdruck finde. Durch die Transposition, die Übertragung des Kunstobjektes Tanz in das Medium Text, unter gleichzeitiger Zugabe eigener, individueller Vorstellungen des erweiterten Autors, werden die Eindrücke und die Inspiration durch den Tanz in der Phantasie des Schreibenden bewegtes Bild beziehungsweise Metapher. Die geschilderten Störungen gehören dabei als Negativfolie ebenso zum Diskurs wie die euphorische Beschreibung der Vorstellung (im doppelten Wortsinn) sowie die daran angelehnte Imagination. Durch diese emphatischen, poetisierenden Praktiken hat der romantische Tanzdiskurs wesentlich zu einer Verklärung der Rede über Tanz beigetragen, die bis heute in diesbezüglichen Metaphern und Diskursfiguren reproduziert werden. So verkündet etwa – um zum Schluss den Bogen wiederum in die Jetztzeit zu schlagen – der Choreograph Jiří Kylián in der Botschaft zum Welttanztag 2000: »La danse est un jardin, pas grand peut-être, mais infiniment haut, et d’une profondeur sans fin. Chacun y trouve sa place. Imposez-vous des règles pour pouvoir les dépasser, afin de découvrir de nouvelles sensations, de nouvelles réalités et d’autres dimensions.«229 Der Tanz wird hier beschrieben als Garten, in dem neue Empfindungen und andere Dimensionen jenseits vorgegebener Regeln und Realitäten entdeckt werden sollen. Diese Aussage lässt sich direkt zurückführen auf den emphatischen Diskurs über den Tanz, der seinerseits Bilder von mysteriösen Gartenlandschaften evozierte, in denen jeder – Künstler wie teilhabender Beobachter – eskapistisch seinen Platz finden sollte. Die romantischen Gärten mit ihren schattigen Tälern sind zwar heute längst von den meisten Bühnen verschwunden, in der Rede über Tanz geistern sie aber offenbar als poetische Metaphern noch immer herum.

bungen der Tänzerinnen freilich konkreter ausfällt und buchstäblich mehr Gewicht erhält als in den diesbezüglichen Verklärungen der romantischen Feuilletonisten. 228 | Roséri, Erinnerungen einer Künstlerin, 133f. Durchaus scharfsichtig ironisch über die diesbezügliche Macht der Kritiker äußert sich auch Elßler in The letters and journal, 4f. 229 | Kylián, La danse est un jardin, 55.

Schluss »Akte, Gesten und Begehren erzeugen den Effekt eines inneren Kerns oder einer inneren Substanz; doch erzeugen sie ihn auf der Oberfl äche des Körpers.« (Judith Butler)1

Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet ein weit verbreitetes Missverständnis. Nur weil ›Tanz‹ meist nonverbal stattfindet, erschließt er sich keineswegs unmittelbar über eine – wie auch immer geartete – geheimnisvolle Kraft der Bewegung. Das heißt nicht, dass das Publikum durch die physischen Aktionen der Tanzenden auf der Bühne nicht bewegt oder gerührt werden könnte. Allerdings liegen diesem Wechselspiel der Bewegung, das ich in meiner Untersuchung das Phänomen der doppelten Bewegung genannt habe, sehr wohl Vermittlungs- respektive Rezeptionsleistungen zugrunde. Diese sind u.a. diskursiver Art, was ich in den vorangehenden Kapiteln versucht habe zu zeigen. Das Wissen, das wir über – historischen wie zeitgenössischen – Tanz haben, zeichnet sich vielfach durch eine begriffl iche Vagheit aus. Ein Grund hierfür ist, dass die Rede über diese Kunstform deren spezifische Mittelbarkeit vielfach verschleiert beziehungsweise argumentativ überdeckt. Der augenblickliche Effekt einer Tanzauff ührung auf die anwesenden Zuschauenden erscheint so als ›wahrhaft‹ oder eben ›unmittelbar‹, indem die verbale Rezeption die entsprechenden Konventionen, denen diese Wirkung stets unterliegt, in den Hintergrund drängt. Diesbezüglich lautete eine zentrale These meiner Studie, dass Texte über Tanz nicht etwa nachträglich eine Bühnen-›Wirklichkeit‹ abbilden, sondern die jeweilige Ästhetik (im Sinne von ›aisthesis‹) prägen, d.h. an der intendierten Wirkung wie auch an der Realisierung ihren Anteil haben. Die wechselseitige Bewegung zwischen Tanzenden und Publikum geht im Theater nicht einfach kontextlos über die Bühne, sie wird vielmehr in den Texten über Tanz mit- beziehungsweise oft sogar vor-geschrieben. Die Konsequenz aus dieser Annahme lautet, dass einerseits, wer Tanz rezipiert, sich nie von dem lösen kann, was er oder sie bereits weiß, und andererseits dass, wer über die doppelte Bewegung spricht beziehungsweise schriftlich reflektiert, weiter am Wissen über und an 1 | Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, 200 (Hervorhebung im Original).

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der Vorstellung von Tanz schreibt und damit auch die Bewegungsmöglichkeiten und -wirkungen auf der Bühne mitgestaltet oder zumindest beeinflusst. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit war es demnach, dieses Wechselverhältnis anhand historisch signifi kanter Texte zum Tanz in Bezug auf die jeweiligen Bühnentanzformen nachzuweisen und so das Missverständnis, das bis heute den Diskurs prägt, in seiner Paradoxie zu beleuchten, teilweise gar auszuräumen oder wenigstens zu entkräften. Den Ausgangspunkt der Fragestellung und des Erkenntnisinteresses bildet die Jetztzeit. So geht den historischen Kapiteln (2.-4.) in meiner Untersuchung ein Abschnitt (1.) über gegenwärtige Dispositive und Paradigmen des Diskurses über Tanz voraus. Und auch am Ende möchte ich hier wiederum auf das ›Heute‹ zurückkommen, um zentrale Überlegungen und Thesen nochmals auf den Punkt zu bringen und abschließend an aktuelle Debatten anzuknüpfen. Ein 2002 erschienenes Kompendium zur Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Band schließt mit dem Kapitel Stop Dance. Der Autor, der Journalist Jochen Schmidt, konstatiert darin, dass die »Möglichkeiten des Tanzes ausgereizt« scheinen und manche Choreographen gar »das Ende von Tanzkunst und Choreographie propagieren«.2 Auch da könnte man sagen, dass ein Missverständnis vorliegt; schließlich werden im 21. Jahrhundert nach wie vor neue künstlerische Produktionen unter der Spartenbezeichnung ›Tanz‹ uraufgeführt. Oder aber man nimmt Schmidts Aussage ernst und kommt zum Schluss, dass mit dem ausgehenden 20. Jahrhundert eine bestimmte Auffassung von Tanz nicht mehr mit einigen choreographischen Erzeugnissen auf der Bühne in Übereinstimmung zu bringen ist. Wenn Schmidt also feststellt, dass »[a]lles nur Denkbare […] tänzerisch gesagt und choreographisch probiert worden« sei, dass »nichts Neues […] mehr möglich« scheine und »[d]er Tanz« in jüngeren Produktionen »überwiegend zweitrangig und gelegentlich kaum existent« sei,3 dann stimmt diese Diagnose für (s)eine – weit verbreitete, aber offenbar nicht (mehr) generell gültige – Definition von Tanz. Diese rekurriert auf einem Verständnis von Choreographie als bewegt bewegendem Ausdruck, der seit Beginn des 18. Jahrhunderts bis heute diskursprägend wirkt, in der Bühnenpraxis jedoch nach verschiedenen Paradigmenwechseln in der westlichen Tanzkunst spätestens ab den 1980er/1990er Jahren nicht mehr im Vordergrund des Interesses oder gar ganz außerhalb des Fokus’ zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler steht. Constanze Klementz und Franz Anton Cramer begründen die Folgen dieser Wendung in ihren »[a]nalytische[n] Betrachtungen zu einem Streitfall« 4 folgendermaßen: »Ein bewegender Mehrwert soll Bewegung zu Tanz adeln, denn dieser bewegt den Betrachter emotional. […] Beim Zuschauer unmittelbar zünden kann aber nur, was von einem Körper ausgeht, den er sich als unmittelbar erleben sieht. Dummer-

2 | Schmidt, Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Band, 428. 3 | Ebd., 428f. 4 | Klementz; Cramer, Texturen oder Was im Tanz zur Sprache kommt, 10.

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weise war genau das von einem Tag auf den anderen nicht mehr der Fall.«5 Klementz/Cramer heben in dieser Passage hervor, dass die Vorstellung von der doppelten Bewegung, von der in der vorliegenden Untersuchung die Rede ist, die gegenwärtige Bühnenpraxis nicht mehr zu erfassen vermag. Der ›authentische‹ Körper, der durch seine choreographierten Bewegungen im Zuschauer, in der Zuschauerin eine bewegte Reaktion auslöst, ist offenbar in den heutigen Theatern nicht mehr präsent, was wiederum unterschiedliche Regungen auslöst. Die einen vermissen ihn schmerzlich, die anderen haben – rückblickend – sowieso nie recht an ihn geglaubt. Die bewegte (Tanz-)Kunstform ist somit nicht an ihrem Ende angelangt, würde ich Schmidt u.a. erwidern, vielmehr hat sie sich ausdifferenziert. Eine solche Ausdifferenzierung macht auch der Tanz- und Theaterwissenschaftler Gerald Siegmund stark, wenn er in seinem Buch Abwesenheit schreibt: »Tanz, wie er hier verstanden wird, geht nicht mehr davon aus, dass es ›den Tanz‹ gibt.«6 Demgegenüber ist – außerhalb von bestimmten, kleinen Kreisen der Tanzwissenschaft – gerade in allgemeinen ästhetischen und philosophischen Debatten der Gegenwart (wieder) ein Festhalten an ›dem Tanz‹ zu beobachten. Angeführt sei hier nur ein Beispiel, das allerdings – im Kontrast zur Tanzpraxis betrachtet – exemplarisch dafür stehen soll, wie hartnäckig sich jene signifi kante Auffassung von ›dem Tanz‹ im Diskurs hält. Der Text, auf den ich mich in der Folge beziehe, ist ein Essay von Susan Sontag. In Tänzer und Tanz lehnt sie sich an die historischen Diskurse und Phänomene (insbesondere aus dem 19. Jahrhundert) an und spricht der bewegten Kunstform dementsprechend eine überzeitlich gültige, einzigartige Transzendenz zu. So definiert sie etwa: »Der Tanz setzt das Völlig-im-Körper-Sein als auch die Transzendierung des Körpers in Szene. Er scheint von einer höheren Ordnung der Aufmerksamkeit zu sein, wo physische und geistige Aufmerksamkeit identisch werden.«7 Die als begrifflich nicht fassbar erklärte, weil »wesensmäßig« dem Tanz innewohnende Ausstrahlung und Wirkung dieser Kunstform8 führt Sontag einerseits auf die vollständige Identifikation des Tänzers mit seinem Part zurück,9 andererseits auf einen geradezu metaphysischen Anspruch, wie ihn keine andere Kunst kenne: »Doch obwohl der Tänzer tut, was alle Ausführenden eines Werks tun, unterscheidet sich auch hier der Tanz von den anderen darstellenden Künsten. Denn

5 | Ebd., 15. 6 | Siegmund, Abwesenheit, 452. 7 | Sontag, Tänzer und Tanz, 254. 8 | Ebd., 249f.: »Dennoch scheint dem Tanz wesensmäßig etwas innezuwohnen,

was die Art von ehrfürchtiger Aufmerksamkeit rechtfertigt, die in jeder Generation nur ganz wenigen Tänzern zuteil wird – etwas an dem, was sie tun, unterscheidet sich von den Leistungen überragend begabter, magnetischer Bühnenpersönlichkeiten in anderen Künsten, denen wir Verehrung zollen.« 9 | Vgl. ebd., 250.

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der Maßstab, an dem Tänzer ihre Auff ührungen messen, ist nicht einfach der des höchsten Leistungsniveaus […]. Der Maßstab ist die Vollkommenheit.« 10 Die Konsequenz aus dieser Ansicht ist ein Sprechen über Tanz, das jenen hyperbolisch verklärenden Diskursen über das Ballett gleichkommt, die in den vorangehenden Kapiteln der vorliegenden Arbeit vorgestellt wurden. Sontag nun erklärt sich selbst denn auch zur Ballettomanin,11 und es erstaunt nicht, dass sie ausgerechnet über den schwärmerischen Feuilletonisten Gautier sagt, er habe »so scharfsinnig wie kein anderer über den Tanz geschrieben«.12 Dabei macht die Autorin – im Unterschied zu Ballettverfechtern früherer Epochen – immerhin explizit, wie die entsprechende Sprache beschaffen ist, derer sie und Gleichgesinnte sich bedienen, um ihre Bewunderung auszudrücken: »Bei keiner Kunst erscheinen Metaphern, die dem spirituellen Leben entlehnt sind, so naheliegend wie beim Tanz.« 13 Die ›spirituell‹-metaphorische Sprache, die Sontag in Bezug auf den Tanz verwendet, ist wiederum eine emphatische und steht somit in der romantischen Tradition. Die Frage, die sich angesichts dieses Textes aus dem späten 20. Jahrhundert allerdings stellt, ist jene nach dem Gegenstand, auf den die Schrift sich bezieht. Im Unterschied zu Siegmunds Einwand, dass nicht mehr von ›dem Tanz‹ auszugehen sei, differenziert Sontag diesbezüglich kaum. Sie hält sogar fest, der von ihr verehrte George Balanchine habe »den Tanz für alle Zukunft« verändert;14 daraus ist die Annahme abzuleiten, es gebe ›den Tanz‹ früher, gegenwärtig und künftig. Dass allerdings zur Zeit der Entstehung des Textes Tänzer und Tanz, 1986, die Bühnenrealität in der Kunstsparte Tanz zumindest partiell bereits eine andere war als die von Sontag beschriebene, unterschlägt die Autorin durch ihren pauschalisierenden emphatischen Ansatz. Insbesondere gegen den Anspruch der Vollkommenheit, den Sontag stark macht, aber auch gegen die Identifi kation des Tänzers mit seiner Rolle sowie gegen den sich unmittelbar erlebenden und als solchen präsentierten Körper wehrten sich zeitgenössische Choreographinnen und Choreographen sowie Tänzerinnen und Tänzer in Amerika und in Europa. Der New Yorker William Forsythe beispielsweise war 1986 seit zwei Jahren Leiter des Ballett Frankfurt, mit dem er die klassische Ballettsprache, das Repertoire und die entsprechenden Bühnenkonventionen zu dekonstruieren begann; er erntete dafür international Aufmerksamkeit, die von Entsetzen bis zu höchster Anerkennung reichte.15 Auch Anne Teresa de Keersmaeker war in den frühen 1980er Jahren aus New York nach Brüssel zurückgekehrt, hatte ihre Kompa10 | Ebd., 251. 11 | Ebd., 252; die Autorin verteidigt ebd. auch den Fortschrittsgedanken in Be-

zug auf die Qualität des Tanzes: »Doch scheint es beim Tanz so etwas wie einen linearen Fortschritt zu geben – anders als bei den anderen […] darstellenden Künsten.« 12 | Ebd., 255. 13 | Ebd., 254. 14 | Ebd., 248. 15 | Vgl. dazu u.a. Siegmund, William Forsythe.

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nie Rosas gegründet und ihre eigene Tanzsprache entwickelt, die zwar auf der klassischen Technik auf baut, diese jedoch buchstäblich aus dem Gleichgewicht bringt. Mit ihren formal minimalistischen Anfangsstücken wie Fase tanzte die Choreographin außerdem gegen jegliche physische Virtuosität an. Als weitere Beispiele für die Ausdifferenzierung der Kunstform Tanz wären etwa noch Jan Fabre und Wim Vandekeybus zu nennen, die just zum Zeitpunkt der Entstehung von Sontags Essay über ›den Tanz‹ andere bis geradezu programmatisch entgegengesetzte, weil vorsätzlich unvollkommene Ästhetiken entwickelten. Es geht mir hier weder darum, zu behaupten, Susan Sontag hätte von diesen international tourenden Choreographinnen und Choreographen Kenntnis nehmen müssen, oder die von mir durchaus geschätzte Essayistin habe gar geirrt. Vielmehr wollte ich mit diesem Beispiel zeigen, wie pauschal Aussagen – noch dazu in einem Band mit dem Titel Worauf es ankommt – über einen Gegenstand wie ›den Tanz‹ auch von prominenten Denkern gegen Ende des 20. Jahrhunderts ausfallen konnten, indem sie historische Topoi reproduzierten und fortschrieben, während die entsprechende Kunstform auf der Bühne sich ihrerseits längst ausdifferenziert und ganz andere Wendungen genommen hatte. Diese Kluft mag daraus entstehen, dass der allgemeine Diskurs über den Gegenstand – wie bereits erwähnt – dem eingeweihten Spezialdiskurs und vor allem der per definitionem nonverbalen Praxis hinterherhinkt. Deshalb prallen in Bezug auf die Kunstgattung Tanz Auffassungen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten. So stellt denn auch Jochen Schmidt fest, um auf seine Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts zurückzukommen, dass es offenbar verschiedene Auffassungen von Tanz gebe, wobei jene Choreographinnen und Choreographen, Tänzerinnen und Tänzer, die eine andere als seine verkörpern, eben unter die erwähnte Kategorie »Stop Dance« fallen. Sie gehören demnach nicht mehr eigentlich zu ›dem Tanz‹. Schmidt schreibt diesbezüglich gar zu Beginn jenes Kapitels, dass »[z]wischen den Vorstellungen derer, die sich als neue Avantgarde verstehen, und dem klassischen Modern Dance […] eine größere Kluft, ein wahrer Abgrund« bestehe »als sie zwischen modernem Tanz und klassischem Ballett je bestanden hat«.16 Immerhin räumt er ein: »Auch wenn sie nicht unbedingt unsere Vorstellung von Tanz repräsentieren, so erscheinen uns die Amerikanerin Meg Stuart und der Franzose Jérôme Bel von allen jungen Choreographen, die dem Tanz im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ihre eigenen Vorstellungen hinzugefügt haben, am wichtigsten.« 17 Nun gelten gerade Stuart und Bel insbesondere in der aktuellen Tanzszene und in der jüngeren Tanzwissenschaft als jene Künstler/-innen, die entscheidend dazu beigetragen haben, der choreographischen Kunst gewissermaßen ›von innen heraus‹ neue Impulse zu verleihen, indem sie deren Parameter kritisch reflektieren, hinterfragen und auch subvertieren.18 Mit jenem Verständnis 16 | Schmidt, Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Band, 429. 17 | Ebd., 430. 18 | Vgl. die zahlreichen Publikationen u.a. zu diesen Choreographinnen und

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von Tanz, das Schmidt und auch Sontag mit Referenz auf choreographische Traditionen jedoch verfechten und das Klementz/Cramer sowie Siegmund wiederum (indirekt) als überholt, undifferenziert und unangemessen kritisieren, lässt sich das Potential der Arbeiten dieser Choreographen allerdings nicht (mehr) erfassen. Ein entsprechender, exemplarischer Widerspruch wird etwa angesichts Jérôme Bels Kreation The show must go on aus dem Jahr 2000 (also kurz vor der ersten, englischsprachigen Veröffentlichung von Susan Sontags Band Worauf es ankommt) deutlich, wenn man die Reaktionen von Jochen Schmidt und Gerald Siegmund auf diese Produktion vergleicht.19 Ein DJ legt in diesem Stück einen musikalischen Hit nach dem anderen auf, den die 18 Performer auf der Bühne eigentlich lediglich wörtlich nehmen. Indem sie ausführen, was die Songtexte vor-schreiben, holen sie Komik und Tragik, Banalitäten und Abgründe unserer (Pop-)Kultur über Auge und Ohr an die Oberfläche des Bewusstseins. Während der Tanz- und Theaterwissenschaftler Siegmund The show must go on als »Reflexion auf die Schauspiel- und Tanztraditionen« liest,20 bewertet der Kritiker Schmidt »[d]as 80-Minuten-Stück […], im Grunde eine illustrierte Schlagerparade mit den schönsten internationalen Ohrwürmern der letzten dreißig Jahre«, als »Tinnef«.21 Er schreibt darüber: »Offensichtlich versucht Bel sein Publikum nicht nur zu provozieren – was ihm in Hamburg gelang, bei den Gastspielen auf Festivals in aller Welt bereits nicht mehr –, sondern ihm auch einen Spiegel vorzuhalten. Indem er den Schwulst, der unsere Gefühle wohlig bündelt, mit kitschigen Posen wie ausgestreckten Armen oder sanften Umarmungen, immer hart an den Aussagen der Songs, unterlegt, macht er sich daran, ›dem Kitsch die Zunge zu lösen‹, wie das Theodor W. Adorno von Gustav Mahler gesagt hat. Doch an diesem Anspruch scheitert das Stück. Bel fängt sich selbst in der Falle, in die er das Publikum zu locken gehoff t hat. Das Katzengold des übersteigerten Kitsches verwandelt sich nicht in Edelmetall, sondern bleibt, was es ist: Tinnef.«22

Schmidt misst die Produktion an einer Ästhetik, die dem Stück nicht gerecht wird, gerade weil dieses vorsätzlich mit Repräsentationsweisen, mit Plattheiten und Untiefen der Unterhaltungskultur spielt und so die Funktionsmechanismen emotiver Wirkung reflektiert.23 Die kritische Referenz auf die Ausdrucksästhetik der darstellenden Künste macht denn auch Siegmund deutlich, indem er feststellt, dass in The show must go on das »Drama des Körpers auf der BühChoreographen, die in letzter Zeit erschienen sind, darunter insbesondere Siegmund, Abwesenheit; außerdem Ploebst, no wind no word. 19 | Ich selbst habe das Stück in einer späteren Version im Theaterhaus Gessnerallee in Zürich gesehen. 20 | Siegmund, Abwesenheit, 358. 21 | Schmidt, Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Band, 435f. 22 | Ebd., 436. 23 | Vgl. Thurner, Warme Herzen und kalte Füße, 31.

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ne, sein Ringen um Identität, wie es für Handlungsballett, Tanz und Theater seit dem 18. Jahrhundert charakteristisch ist«, eben nicht stattfi nde.24 Es agierten dort auf der Bühne nonverbal »eloquente Körper«, schreibt Siegmund und präzisiert: »[A]ber das, wovon sie sprechen, kommt weder aus ihrem tiefsten Inneren, noch ahmen sie Affekte ›naturgetreu‹ mit den korrekten Gesten, Haltungen und der entsprechenden Mimik nach. Es sind keine expressiven Körper, die ›natürliche‹ oder gar ›unwillkürliche‹ Zeichen der Leidenschaft produzieren.«25 In diesem Zitat negiert der Autor – angesichts von und in Auseinandersetzung mit dem Stück von Jérôme Bel – nahezu alle signifikanten Mythen, die die Kunstform Tanz sich im Laufe ihrer Emanzipation verbal auf die Fahnen geschrieben hat und weiter tradiert, auch wenn die Bühnenpraxis diesen Diskurs offenbar längst kritisch überholt hat. Parameter wie Authentizität beziehungsweise Innerlichkeit, ›Natürlichkeit‹ sowie ›unmittelbare‹ Expressivität allerdings interessieren viele zeitgenössische Choreographinnen und Choreographen heute nicht etwa gar nicht, vielmehr werden diese in den Kreationen reflektiert und hinterfragt – immerhin sind sie Bestandteile der eigenen künstlerischen Geschichte.26 Ausgehend von diesem Umstand und von der damit zusammenhängenden Diskrepanz zwischen Diskurs und (zumindest Teilen der) Tanzpraxis war es das Anliegen der vorliegenden Untersuchung, eine punktuelle Genealogie des Selbstverständnisses der Kunstform Tanz vom Zeitpunkt ihrer diskursiven Konstituierung an anhand paradigmatischer Texte zu formulieren. Dabei sollten die argumentativen Muster, die sprachlichen Figuren und die signifi kanten Paradigmen der Rede über künstlerischen Tanz herausgearbeitet werden und zwar mit Blick auf eine bestimmte, zentrale Frage, nämlich die nach der doppelten Bewegung, d.h. nach jener Wechselwirkung zwischen Akteuren und Rezipienten, die immer wieder und bis heute als konstitutiv für diese Kunstform betrachtet wird. Die Synthese von innerer und äußerer Bewegung – dies soll resümierend nochmals festgehalten werden – habe ich dabei nicht als Faktum oder als Ereignis begriffen, sondern als Produkt des Diskurses über Tanz, der sich aus den jeweiligen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Konstellationen heraus ergeben hat. Betrachtet und untersucht wurden so die Funktionen sowie die textuellen Verfahren einschlägiger Schriften über Tanz. 24 | Siegmund, Abwesenheit, 359. 25 | Ebd. 26 | Ich würde dabei auch Schmidt – zumindest in Bezug auf einen Teil der

zeitgenössischen Choreographinnen, Choreographen, Kritikerinnen und Kritiker – widersprechen, wenn er in seiner Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Band, 428, bemängelt, dass »viele jüngere Tänzer, wenn sie mit dem Choreographieren, und jüngere Kritiker, wenn sie mit dem Schreiben von Rezensionen beginnen, offensichtlich in einem Zustand der tanzhistorischen Ahnungslosigkeit« lebten und deshalb »mit großer, bedeutsamer Geste, von den Choreographen immer mal wieder das Rad neu erfunden« werde, »und ein Teil der Kritik […] unter lautem Hallo das Wunder« rühme, »dass sich die neue Erfindung tatsächlich dreht«.

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Einen ersten Fokus im historischen Rückblick habe ich um etwa 1700 angesetzt. Im Zuge der gerade aufkommenden dramatischen Tanzkunst begann sich damals eine spezifische Poetik derselben zu etablieren. Mit ihren Traktaten schrieben sich die Tanzbuchautoren in den allgemeinen ästhetischen Diskurs der Zeit ein. Die Frage nach der Körpersprache als einer Universalsprache, die dann im Verlauf des 18. Jahrhunderts noch wichtiger werden sollte, bildete bereits im 17. Jahrhundert einen diskursiven Ausgangspunkt zur Emanzipation der physischen Gebärde auf der Bühne sowie in der Theorie und brachte um 1700 zunächst ein neues Körper- und Bewegungsverständnis hervor, das sich von der Rhetorik auf die zeitgenössischen Gesten-, Schauspiel- und eben auch Tanztheorien übertrug. Mit der Forderung nach einem eigenständigen dramatischen Ballett wurde ab Mitte des 18. Jahrhunderts mit Referenz auf die anderen Künste ein eigentlicher Diskurs der doppelten Bewegung geführt. In der schriftlichen Darlegung der intendierten Perzeption fließen dabei Begriff und Aktion so ineinander, dass dem jeweiligen Empfinden die dazugehörigen physischen Reaktionen anschaulich benennend zugeschrieben werden. Es tut sich in den theoretischen Abhandlungen also eine Schere auf zwischen zweckdienlicher Mittelbarkeit und intendierter Unmittelbarkeit, zwischen Vermittlung und Authentizität. Innere Regungen und äußere Bewegungen werden dabei nicht nur als sprachähnlich, sondern sogar als eine eigene Sprache beschrieben. Dies wurde in der vorliegenden Untersuchung einerseits als Versuch analysiert, den Tanz neben respektive unabhängig von der wörtlichen Sprache als gleichwertig zu etablieren, andererseits sind diese Bemühungen aber auch insofern zu verstehen, als sie die bewegten Vorgänge überhaupt beschreibbar und verständlich machen sollten. Anhand der Quellen wurde diese wörtlich-sprachliche Etablierung der bewegten Kunstform als Be-Handlung beziehungsweise Er-Schreibung einer nonverbalen Sprache der Bewegung untersucht. Die performative Leistung der Sprache in den theoretischen Schriften bleibt indes im ausgehenden 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert noch weitgehend auf die Umdefinition und Etablierung einer eigenständigen Kunstsparte, dem ›Ballet en Action‹, beschränkt. Erst die romantische Tanzkritik führt den Diskurs der doppelten Bewegung geradezu emphatisch weiter und entwickelt dabei eine Praktik der idealisierenden Poetisierung. Es ging mir schließlich im vierten Kapitel darum, zu zeigen, wie insbesondere die Ballettkritiker des 19. Jahrhunderts, vor allem etwa um 1830, durch ihre bewegte Imagination eine Transposition von der Bühnenkunst auf die Kunst der poetischen Beschreibung kreierten. Ich habe dargelegt, wie diese Übertragung des Kunstobjektes Tanz in ein anderes Medium, den Text, unter gleichzeitiger Zugabe eigener, individueller Vorstellungen auch als Akt der dynamischen Emphase beschrieben werden kann, als ein nachträgliches Sichtbarmachen – nicht von dem, was tatsächlich auf der Bühne sich abgespielt hat, sondern davon, was über die Inspiration durch den Tanz in der Imagination des Schreibenden Bild beziehungsweise Metapher geworden ist. Insofern hat die romantische Tanzkritik des 19. Jahrhunderts signifi kant zu einem spezifischen Diskurs über Tanz beigetragen, dessen

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Entstehungsherd um 1700 bei der Etablierung einer Poetik der Tanzkunst zu verorten ist, der sich im späteren 18. Jahrhundert zu einem Diskurs der doppelten Bewegung geformt hat und auf dessen fortgeschriebene Imaginationen bis heute rekurriert wird. Zwischen den Reflexionen zum romantischen und zum gegenwärtigen Diskurs klaff t in der vorliegenden Studie freilich eine historische Lücke von über hundert Jahren. Die gesamte tanzgeschichtliche Moderne wurde ausgelassen beziehungsweise lediglich einleitend erwähnt. Dies rührt einerseits daher, dass zum Zeitraum des 20. Jahrhunderts bereits einschlägige Untersuchungen existieren.27 Andererseits ging es mir in meiner Arbeit nicht um die Entwicklung einer vollständigen chronologischen Genealogie, vielmehr sollten Dispositive aufgezeigt werden, die sich im ästhetischen Diskurs als paradigmatisch und prägend für das (Selbst-)Verständnis von Tanz herausstellten. Diese ließen sich an den drei signifi kanten punktuellen historischen Umbruchzeiten anhand (selbst-)reflexiv programmatischer Definitions-, Kontextualisierungs- und Abgrenzungsversuche ablesen und auswerten. Die Moderne ihrerseits schreibt dann bestimmte diskursive Muster und argumentativ-textuelle Verfahren fort, allerdings unter anderen choreographischen, bewegungsästhetischen beziehungsweise -technischen, kulturellen sowie anthropologischen Vorzeichen. Auf eine Beschreibung dieser vor allem die Tanzpraxis betreffenden Paradigmen wurde hier verzichtet, weil der Fokus meiner Analyse auf den Texten, auf dem Diskurs über Tanz und über die Wirkung von Tanz, und nicht auf der ›realen‹ Bühnenpraxis lag. Inwiefern diese insbesondere seit der Moderne auf die diskursiven Vor-Schriften und Vorstellungen reagiert, konnte hier im Schlusswort lediglich angetippt werden. Diese Frage wäre gewiss ein fruchtbarer Anlass für eine weiterführende Untersuchung.

27 | Vgl. insbesondere Brandstetter, Tanz-Lektüren, zu Körperbildern und Raumfiguren der Avantgarde der Zeit um 1900; außerdem zu den Strömungen und Fragestellungen im Tanz des 20. Jahrhunderts Huschka, Moderner Tanz.

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Abt. VII: Supplement Bd. 1: Libretti. Die originalen Textbücher der bis 1990 in der Gluck-Gesamtausgabe erschienenen Bühnenwerke. Textbücher verschollener Werke. Hg. v. Klaus Hortschansky. Kassel u.a. 1995. S. 181-183. Anonymus: Die Gefahren des Tanzes, dargestellt in einigen Erzählungen, und der Jugend zur Beherzigung und Warnung gewidmet von einem ihrer Freunde. 2. verb. Auflage. Augsburg 1832. Anonymus: Neue vollständige Tanzschule für die elegante Welt, oder faßliche und umfassende Anleitung zum gesellschaftlichen und theatralischen Tanze: zum Selbstunterricht sowohl, wie auch zum Handbuch für Tanzlehrer bestimmt. Enthaltend die Geschichte des Tanzes, die Anfangsgründe desselben und eine allgemein verständliche Anweisung zu allen Arten des gesellschaftlichen Tanzes, allen Pas, Positionen und Gruppirungen des theatralischen oder des Ballets und zu den berühmtesten Nationaltänzen, wie dem Bolero, Fandango, Tarantella u.a. Nach den neu erschienenen vollständigen Werken eines Blasis, ersten Ballettänzers am Coventgraden-Theater zu London, eines Blanchard u. A. bearbeitet. Ilmenau 1830. Arbeau, Thoinot: Orchésographie. Méthode et théorie en forme de discours et tablature pour apprendre a danser, battre le tambour. Langres 1596. Reprint mit einem Vorwort von François Lesure. Genf 1972. Arburg, Hans Georg von u.a. (Hg.): Virtuosität. Kult und Krise der Artistik in der Literatur und Kunst der Moderne. Göttingen 2006. Aristoteles: Poetik. Übers. und hg. v. Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1994. Arteaga, Stefano: Le rivoluzioni del teatro musicale italiano della sua origine fino al presente. 3 Bde. Venedig 1785. Austin, Richard: The art of the dancer. London u.a. 1982. Ayrenhoff, Cornelius von: Über die theatralischen Tänze, und die Balletmeister Noverre, Muzzarelli und Vigano. Wien 1794. Bailbé, Joseph-Marc: Jules Janin (1804-1874). Une sensibilité littéraire et artistique. Paris 1974. Ballhausen, Günter: Der Wandel der Gebärde auf dem deutschen Theater im 18. Jahrhundert dargestellt an den Gebärdenbüchern. Göttingen 1955. Balme, Christopher: Einführung in die Theaterwissenschaft. 2. überarb. Aufl. Berlin 2001. Banes, Sally: Writing dancing in the age of postmodernism. Hanover (N.H.), London 1994. Barner, Wilfried (Hg.): Der literarische Barockbegriff. Darmstadt 1975. Barnett, Dene: The art of gesture. The practices and principles of 18th century acting. Heidelberg 1987. Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt a.M. 1964. Batteux, Charles: Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz. Übers. und mit Abhandlungen begleitet von Johann Adolph Schlegel. 3., von neuem verbesserte und vermehrte Ausgabe. 2 Bde. Leipzig 1770. Baudelaire, Charles: »Théophile Gautier«. In: Ders.: Aufsätze. Übertr. v. Charles Andres. München 1960. S. 44-77.

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Namensregister Acxtelmeier, Stanisl. Reinhard 54 Adelung, Johann Christoph 9, 85, 98 Adorno, Theodor W. 198 Adshead(-Lansdale), Janet 33 Agrippa, Heinrich Cornelius 54 Aischylos 69 Albrecht, Georg 16, 54 Alembert, Jean Le Rond d’ 84, 123 Alonso, Alicia 42 Alt, Peter-André 105 Ambrosius von Mailand 53 Anderson, Jack 26 Angiolini, Gasparo 16, 21, 53, 57, 82f., 85, 87, 95, 110f., 117 Anonymus 95, 135 Arbeau, Thoinot 62 Arburg, Hans Georg von 189 Aristoteles 17, 57, 59, 66f., 92, 99, 110 Aurelius 53 Austin, Richard 167 Ayrenhoff, Cornelius Hermann von 17, 88, 91, 93f., 122 Bailbé, Joseph-Marc 141, 150, 155f., 160 Balanchine, George 196 Ballhausen, Günter 97 Ballon, Claude 52 Barner, Wilfried 57 Barnett, Dene 69, 96f. Barthes, Roland 15 Batteux, Charles 10f., 19, 28, 96, 113

Baudelaire, Charles 141, 161, 163, 174 Bäuerle, Adolf 144, 158, 167, 171 Baumann, Winfried 167 Beauchamps, Pierre 49 Beerensprung, Siegmund 54 Behr, Samuel Rudolph 30, 51, 55, 57, 63, 65, 70, 73, 75, 79 Bel, Jérôme 197ff. Benjamin, Walter 139, 142f., 146f., 149, 162 Berlioz, Hector 141 Bierl, Anton 69 Binney, Edwin 141, 145, 154f., 164f., 169 Blasis, Carlo 17, 22f., 84, 94ff., 98, 111, 113-117, 119, 121, 127-130, 134-139, 166, 178, 184, 190 Bode, Johann Joachim Christoph 14, 81 Bodmer, Johann Jacob 121 Boenisch, Peter M. 35 Böhme, Franz Magnus 137, 166 Böhme, Gernot 27 Boigne, Charles de 167 Boileau-Despéraux, Nicolas 148 Bonin, Louis 30, 57f., 63, 65, 181 Böning, Thomas 182 Böschenstein, Johann 54 Bourbon, Anne-LouiseBénédicte de 52 Brandstetter, Gabriele 7, 9, 13, 20, 25, 30, 42, 87, 99, 104f., 120, 189, 201 Breitinger, Johann Jakob 121

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S EELEN

Bulwer, John 19, 60 Butler, Judith 193 Cahusac, Louis de 19, 49ff., 53, 57, 66, 68, 77ff., 118, 120ff., 127 Campe, Joachim Heinrich 98 Campe, Rüdiger 60f., 80 Carmen 170f. Castelli, Ignaz Franz 160 Castil-Blaze 141, 152, 158f. Cenerelli, Bettina B. 24, 141, 151, 153, 166 Cerrito, Fanny 148, 152 Cervantes, Miguel de 102 Chapman, John V. 141, 144, 151, 159, 167f. Chasles, Philarète 139, 140, 147f., 151, 156f., 159, 169 Chrysostemos, Johannes 53 Cicero 59 Cohen, Marshall 15, 25, 27, 37 Cohen, Selma Jeanne 19f. Compan, Charles 181 Condillac, Étienne Bonnot de 113 Copeland, Roger 15, 24, 25, 27, 37, 153f. Cornalba, Elena 170f. Corneille, Pierre 52 Cramer, Franz Anton 42, 44, 194f., 198 Croce, Arlene 25 Cucchi, Claudine 178f., 181f., 185, 188, 190 Czerwinski, Albert 15, 23, 30, 133f., 157 Dahlhaus, Carl 57 Dahms, Sibylle 12, 16, 21, 30, 36, 52, 82, 87, 89, 92, 110f., 120, 138 Danuser, Hermannn 29 Dauberval, Jean 142 Daul von Fürstenberg, Florian 53f. Dauvigny, Louis-Aimé 105 Delarue, Allison 160 Derra de Moroda, Friderica 7, 12, 31

Desarbres, Nérée 169 Descartes, René 10, 92, 99f., 103f., 108 Devrient, Eduard 189 Diderot, Denis 10, 28, 87, 96, 99, 109f., 138f. Du Bos, Jean-Baptiste Abbé 28, 53, 57, 62, 66, 68, 75f. 78f., 119, 129 Duncan, Isadora 9 Duviquet, Pierre 141 Egidi, Margreth 11f., 19, 29 Ehrhard, August 183 Ek, Mats 33 Elias, Norbert 73 Else, Gerald F. 69 Elßler (Elssler), Fanny 146, 154, 157, 160, 168f., 171, 173, 183, 185, 188, 192 Engel, Johann Jakob 10, 21f., 28, 95f., 99, 106, 108, 115, 130f. Ernst, M. Jac. 18, 54, 160 Etchells, Tim 38, 39, 40 Eusebius, Alethophilus 54 Fabre, Jan 197 Feuillet, Raoul Auger 49, 62 Fischer-Lichte, Erika 12, 14, 27, 61, 84, 95, 109, 113, 118f., 138 Fitzjames, Louise 175 Fleur, Isabella la 171 Fock, Holger 176 Forchert, Arno 29 Forsythe, William 196 Foster, Susan Leigh 27f., 30, 40, 45f., 82, 94ff., 125 Foucault, Michel 28, 31, 73 Francke, August Hermann 54 Francklin, Thomas 17 Frenzel, Elisabeth 168 Garafola, Lynn 141, 154 Garrick, David 52, 88, 119 Gatens, Moira 13 Gautier, Théophile 23, 24, 139ff., 143ff., 161ff., 168ff., 172ff., 180f., 196

N AMENSREGISTER | 227

Gebauer, Gunter 40, 59, 68ff., 73, 77, 79f. Geiler von Kaiserberg 54 Geitner, Ursula 10, 29, 56f., 84, 104, 116 Geoffroy, Julien-Louis 140, 142 Girard, Marie-Hélène 166 Gluck, Christoph Willibald 87 Goethe, Johann Wolfgang 171 Goudar, Ange 86 Grahn, Lucile 156, 170 Greenblatt, Stephen 60 Grillparzer, Franz 160 Grimm, Jacob 98 Grisi, Carlotta 145, 147f., 157, 164, 170, 185 Gruner, Caspar 54 Guest, Ivor 141, 144, 147f., 155, 160, 165, 175 Gugitz, Gustav 82 Hagendoorn, Ivar 41 Hanna, Judith Lynne 9, 30, 36, 39, 45ff. Hastedt, Heiner 9 Heeg, Günther 10, 15, 29, 61, 86, 109, 113 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 12, 127f., 131 Heine, Heinrich 29, 145 Hellmund, Günther Aeg. 54 Hentschke, Theodor 138, 191 Hercker, J. C. 54 Herder, Johann Gottfried 10, 28, 99 Herding, Klaus 9 Herloßsohn, C. 133, 144, 165 Hernschmidt, Johann Daniel 54 Herodot 76 Herrmann, Hans-Christian von 10, 61, 110 Hilverding, Franz Anton Christoph van Wewen 52, 82, 87 Hofmannsthal, Hugo von 25 Holdenried, Michaela 182 Hugo, Victor 151

Huschka, Sabine 7, 30, 34, 37f., 40, 42f., 45, 201 Husserl, Edmund 27 Hüster, Wiebke 34 Jakoby, Ruth 140ff. Janin, Jules 23, 133, 139ff., 150ff., 154ff., 159f., 162ff., 167ff., 172, 181f., 190f. Jens, Walter 94 Jeschke, Claudia 12f., 30, 35, 50ff., 55, 61f., 67, 69f., 73, 87, 89, 96, 99, 106, 120, 154 Jola, Corinne 41 Jowitt, Deborah 25 Kapp, Volker 56 Kappelhoff, Hermann 9 Karoß, Sabine 37, 46 Käuser, Andreas 98, 99, 109 Keersmaeker, Anne Teresa de 196 Kieser, Klaus 51 Klein, Gabriele 13, 33, 35, 46, 47 Kleist, Heinrich von 29 Klementz, Constanze 194f., 198 Klemm, Bernhard 12, 142, 183 Kluge, Friedrich 163 Koegler, Horst 51 Kolesch, Doris 9 Koller, Hermann 68f. Koschorke, Albrecht 9, 10, 16, 29, 124 Košenina, Alexander 9ff., 29, 9699, 108, 117, 121 Kraton 74 Küpper, Joachim 27 Kylián, Jiří 192 Laban, Rudolf von 39 Landrin, Jacques 141, 163, 164 Lange, Johann Christian 55 Langer, Susanne K. 27, 37f. Lauze, François de 55, 62 Lavater, Johann Caspar 11, 28 Le Brun, Charles 96

228 | B EREDTE K ÖRPER –

BE WEGTE

S EELEN

Leibniz, Gottfried Wilhelm 108 Lemaître, Jules 150, 157, 167, 170f. Lessing, Gotthold Ephraim 9ff., 14, 28, 30, 81, 87, 95ff., 99, 106, 108f., 118 Levinson, Andrei (André) 17, 87f., 93, 141, 150, 155, 164f., 169 Lichtenberg, Georg Christoph 11, 28 Linden, Ilse 160 Lippe, Rudolf zur 50 Livry, Emma 177, 178, 180 Lorin, André 49 Löwen, Johann Friedrich 95 Lucian (Lukian) von Samosata 17, 71, 74ff., 106f., 119 Lully, Jean-Baptiste 52 Lumley, Benjamin 139, 149, 170 Mahler, Gustav 71, 97, 122, 198 Mallarmé Stéphane 25 Martin, John 25, 39 Matoré, Georges 140f., 151, 163f. Mayne, Jasper 74 McLuhan, Marshall 42 Meletaon 63 Mendelssohn, Moses 9 Ménestrier, Claude François 17ff., 30, 53, 57ff., 62, 64ff., 73, 77 Menke, Christoph 27 Menninghaus, Winfried 98, 104 Mergier-Bourdeix, Paul Louis 141 Merleau-Ponty, Maurice 27 Meyer-Sickendiek, Burkhard 9 Michelsen, Peter 105 Müller Farguell, Roger W. 13, 29, 181 Mundt, Theodor 171 Münster, Johann 54 Nicolai, Christoph Friedrich 9 Nietzsche, Friedrich 29 Novalis 162 Noverre, Jean Georges 13-16, 20f., 27, 30, 34, 51ff., 57, 81-96, 105ff., 109ff., 114ff., 127, 136, 138

Oberzaucher-Schüller, Gunhild 7 Page, Stephen 34, 45 Pasch, Johann 18, 30, 54ff., 63, 65, 71f., 74ff., 79 Pepita de Oliva 167, 186 Petermann, Kurt 18, 21, 30, 51, 53ff., 63, 87f., 133f. Petipa, Marius 147 Pfeifer, Wolfgang 155, 163 Pindar 69 Ploebst, Helmut 198 Poesio, Giannandrea 53, 63, 87, 94, 96, 136 Port, Ulrich 118 Prévost, Françoise 52 Prévost, Hippolyte 144 Pure, Michel de 30, 53, 57ff., 61f., 65f., 68, 75f. Puschkin, Alexander 167 Quintilian 58, 76 Rainer, Yvonne 7 Ralph, Richard 17, 30, 52, 55, 63, 74, 107 Riccoboni, Francesco 109, 116 Rick, Cary 26, 37 Rieger, Stefan 160 Roller, Anton 137 Roséri, Margitta 171, 177ff., 192 Rousier, Claire 33 Rousseau, Jean-Jacques 10, 28, 84, 114, 123f. Royce, Anya Peterson 36f. Sainte-Albine, Rémond de 97, 109 Saint-Hubert, Nicolas de 62 Sallé, Marie 82 Sayers, Lesley-Anne 26, 42f., 45 Schiller, Friedrich 9, 11, 28f., 99ff. Schlegel, August Wilhelm 11 Schlegel, Friedrich 143, 147 Schleiermacher, Friedrich 11 Schmidt, Jochen 194f., 197ff.

N AMENSREGISTER | 229

Schneider, Katja 46 Schneider, Norbert 104 Schönert, Jörg 12, 14, 61 Schroedter, Stephanie 11, 16, 18, 30f., 49-55, 57ff., 62ff., 67f. 73ff., 78f. Scott, Walter 146 Seidel, Christoph Matthäus 54 Sennett, Richard 99 Shakespeare, William 88 Sheets-Johnstone, Maxine 43 Siegel, Marcia B. 25f. Siegert, Bernhard 10, 61, 110 Siegmund, Gerald 195f., 198f. Smyth, Mary 15, 26f., 38, 41 Sontag, Susan 195ff. Sparshott, Francis 12 Spener, Philipp Jakob 54 Stamer, Peter 36, 42, 44 Sträßner, Matthias 94ff., 105 Stuart, Meg 197 Stucki, Johann Wilhelm 57f. Stumpfhaus, Bernhard 9 Sulzer, Johann Georg 10f., 14, 28, 82ff., 88, 91ff., 97, 99, 106ff., 110f., 113, 116f., 119f., 124ff., 128 Taglioni, Filippo 169 Taglioni, Marie 142, 144ff., 149f., 152, 154ff., 158f., 161, 164, 167ff., 174, 180185, 188f. Taubert, Gottfried 30, 49, 54, 57, 64ff., 71f., 76ff. Thurner, Christina 156, 198 Torra-Mattenklott, Caroline 9, 13, 29, 85f. Traub, Susanne 36 Tugal, Pierre 86f. Uriot, Joseph

105

Valéry, Paul 197 Véron, Louis 160, 169f., 173, 185, 190 Verri, Pietro 86 Vestris, Auguste 95, 169f. Voltaire 88, 91

Voß, Rudolph 11, 135ff. Vossius, Isaac 63, 96 Wagner-Egelhaaf, Martina Walser, Robert 25, 184

182

Warnke, Martin 168 Weaver, John 17, 19f., 30, 52, 55, 57, 63f., 66, 68f., 71, 73f., 77, 79, 82, 107 Weber, Ernst Heinrich 160 Webster, Clara 175f. Weickmann, Dorion 64, 167, 178, 183ff. Welzin, Leonore 46 Wesemann, Arnd 15, 34 Wieland, Christoph Martin 17, 74, 107 Wienholz, Margrit 136, 141, 160, 166 Wiesel, Jörg 7, 189 Wittmann, Gabriele 26, 38ff., 43f. Woitas, Monika 12, 30f., 82ff., 86, 88, 92, 94f., 97ff., 113, 116, 119f., 127 Wolff, Christian 99 Wortelkamp, Isa 42 Wulf, Christoph 40, 59, 68ff., 73, 77, 79f. Yon, Jean-Claude 141, 150 Yoshida, Miyako 46 Zedler, Johann Heinrich 10, 98f. Zelle, Carsten 29, 84, 100, 104 Zeuch, Ulrike 9, 125 Zinnendorf, Kellner von 54 Zipprich, Christa 33

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