Über das Individuationsprinzip 9783787325351, 9783787325207

Erste vollständige deutsche Übersetzung von Scotus’ Auseinandersetzung mit dem Individuationsproblem, mit der er der Deb

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German Pages 111 [200] Year 2015

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Über das Individuationsprinzip
 9783787325351, 9783787325207

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Philosophische Bibliothek

Duns Scotus Über das Individuationsprinzip

Meiner

JOH ANNES DUNS SCOTUS

Über das Individuationsprinzip Ordinatio II, distinctio 3, pars 1

Aus dem Lateinischen übersetzt und mit einer Einleitung herausgegeben von thamar rossi leidi

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BA ND 668

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2520-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2535-1

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2015. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruck­papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Einleitung. Von Thamar Rossi Leidi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii

1. Die Individuationsfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . viii 2. Die verschiedenen Antworten auf die ­Individuationsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xii

3. Die Antwort des Duns Scotus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lix Leben und Werke des Duns Scotus . . . . . . . . . . . . . . . . lxxxv Johannes Duns Scotus Über das Individuationsprinzip Erste Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Zweite Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Dritte Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Vierte Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Fünfte Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Sechste Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

EINLEITUNG

In den hier in deutscher Übersetzung vorgelegten Quaestiones aus der Ordinatio1 behandelt Johannes Duns Scotus die begrifflich reiche und komplexe Frage der Individuation. Dieses Thema spielt innerhalb des scotischen Denkens eine grundlegende Rolle und hat das spätere Bild der scotischen Philosophie stark beeinflusst. Beispielsweise ist der Terminus »haecceitas«, der oft mit Scotus und dem »Scotismus« assoziiert wird, gerade im Rahmen der Individuationsfrage entstanden (obwohl Scotus ihn selten gebraucht). Andererseits darf man nicht verkennen, dass die Individuationsfrage von grundlegender Bedeutung für das philosophische Denken schlechthin ist.2 In dieser Einleitung möchten wir zunächst die Individuationsfrage an sich darstellen: Was ist mit »Individuation« gemeint? Welche Autoren haben sich mit diesem Problem befasst und zu welchen Resultaten sind sie gekommen? Es ist hier leider nicht der Ort, die historische Entstehung und Entwicklung der Frage vollständig wiederzugeben, sondern wir werden uns vornehmlich auf diejenigen Theorien beschränken, mit denen sich Scotus auseinandergesetzt hat, und mit Lehren, die mit Scotus’ Theorie vergleichbar sind. Wir werden dabei übrigens sehen, dass die Debatte um die Individuation über das mittelalterliche Denken hinaus lebendig geblieben ist und dass manche der damaligen Ansätze vor dem Hintergrund von Positionen, wie sie heute in der

1 

Zur Entstehung der Ordinatio s. weiter unten Leben und Werke des Johannes Duns Scotus. 2  Dies unterstreicht z. B. Giovanni Gentile, Teoria generale dello Spirito come atto puro, Laterza, Bari 1916 (1924), S. 57.

VIII

Einleitung

spracha­nalytischen Tradition vertreten werden, gelesen werden können. Zweitens werden wir Scotus’ eigene Antwort anhand einer skizzenhaften Zusammenfassung der Quaestiones darstellen und uns mit denjenigen gegenwärtigen Positionen beschäf­ tigen, die sich ausdrücklich mit Scotus auseinandersetzen.

1. Die Individuationsfrage Niemand zweifelt daran, mit »Individuen« zu tun zu haben. Damit sind nicht notwendigerweise »Menschen« bzw. »Personen« gemeint, sondern vielmehr Einzeldinge im Allgemeinen. Zwei Äpfel sind je ein Individuum, das man »Apfel« nennt, als »diesen Apfel« bezeichnet und dadurch von »jenem Apfel« unterscheidet. Sonst könnte man nicht aus dem Fach eines Supermarkts »diesen Apfel auswählen« und sonst könnte man nicht einen Händler um »diesen« Apfel bitten statt um einen anderen. Wenn wir uns aber fragen, weshalb etwas ein Individuum ist, und insbesondere, wodurch sich ein Individuum »Mensch« von anderen Individuen »Menschen« unterscheidet, dann betreten wir das Gebiet der Individuationsfrage. Es handelt sich hierbei um das Studium der theoretischen Strukturen, die es ermöglichen, ein »Individuum« zu denken. Einerseits geht es also um eine metaphysische Interpretation dieser Frage, andererseits aber, insofern es sich um die innere Beschaffenheit eines Seienden handelt, d. h. eines Individuums, haben wir es mit einer ontologischen Interpretation zu tun.3

3 Dass

es sich hauptsächlich um eine metaphysische Frage handelt, erklärt etwa ein Logiker wie J. Lukasiewicz, »The Principle of Individuation«, Proceedings of the Aristotelian Society, 27, Beiheft, 1953, S. 69–120, S. 69. Den ontologischen Charakter dieser Frage unterstreicht z. B. H.-N. Castañeda, »Individuation and Non-Identity:

Die Individuationsfrage

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Was ist also ein Ding namens »Individuum«? In welchem Sinne existieren »Individuen«? Ein radikaler Realist  – wie etwa der Vertreter einer extremen platonischen Interpretation der Universalienfrage – würde z. B. bestreiten, dass Individuen überhaupt im ontologischen Sinne existierten, und würde hingegen behaupten, dass die Universalien die einzigen »wirklichen« Dinge seien. Individuations- und Universalienfrage bilden zwei Seiten derselben Medaille; sie beschäftigen sich mit der gleichen Thematik, nähern sich ihr aber aus entgegengesetzten Richtungen  – erstere vom Individuum, letztere vom Universalen her. Die Universalienfrage – zentral für das mittel­ alterliche Denken und noch heute häufiger Bezugspunkt für die sprach­analytische Philosophie4 – betrifft die Wirklichkeit (oder die Nicht-Wirklichkeit) der Allgemeinbegriffe und die sich daran anschließenden Fragen (wie etwa deren Prädizierbarkeit) und berührt somit auch das Problem, worum es sich bei den mannigfaltigen Dingen handelt, auf die sich die Allgemeinbegriffe beziehen. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Position Ockhams: Dieser geht von der These aus, wirklich sei nur das Individuum, und spricht den Allgemeinbegriffen eine wirkliche, d. h. extra-mentale Existenz ab; zugleich schließt er die Notwendigkeit aus, ein Individuationsprinzip erdenken zu müssen, da es nichts in der Wirklichkeit gäbe, was »individuiert« werden müsse, insofern jedes Ding an sich, also von selbst, individuell sei (s. hierzu unten, § 2.7). Kehren wir zu den Äpfeln zurück. Im Lichte des eben Dargelegten würde man einfach sagen, dass zwei Äpfel zwei Individuen der Spezies »Apfel« seien. Wenn wir also das Problem A New Look«, American Philosophical Quarterly, 12, 1975, S. 131–140, S. 131. 4 Unter den vielen gegenwärtigen Autoren, die sich u. a. mit diesem Thema beschäftigen, sei insbesondere D. M. Armstrong genannt: Universals. An Opinionated Introduction, Westview Press, Boulder (Co.)/London 1989.

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Einleitung

der Individuation und dasjenige der Natur der Allgemeinbegriffe verknüpfen, können wir uns fragen, was es heißt, dass es den »Apfel« und die »Äpfel« gibt. Derartige Probleme gehören nicht nur in ein Lehrbuch zur Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, sondern geben noch im gegenwärtigen Denken Anlass zu zahlreichen Diskussionen: Inwieweit etwa kann sich ein Apfel verändern und trotzdem »ein Apfel«, insbesondere jener einzelne Apfel bleiben? Anders ausgedrückt: Inwieweit können spezielle, charakterisierende Merkmale der Dinge, denen ich in der Welt begegne und die ich »Äpfel« nenne, variieren, bevor ich nicht mehr sagen kann, diese Dinge seien Äpfel, sondern Birnen oder Pilze? Es geht also um die Frage, wie es möglich ist, dass ein Seiendes, das man als ein Individuum bezeichnet, Merkmale besitzt, die ausschließlich ihm eigen sind, und gleichzeitig allgemeine Charakteristika, die an ihm jene besondere Beschaffenheit aufnehmen. Wir gelangen somit zu einer der Voraussetzungen der Frage nach dem Individuationsprinzip, wie diese von der Spätantike bis (zumindest) Leibniz gestellt wird. Die Idee, man müsse nach einem Prinzip der Individuation (im Sinne des Übergangs vom Allgemeinen zum Einzelnen) suchen, stammt aus dem Begriff wissenschaftlicher Erkenntnis nach Aristoteles: Die Wissenschaft ist zuerst und vor allem Wissenschaft der Ursachen und der Prinzipien. Die Wissenschaft, anders gesagt, ist immer das argumentative Wissen von den Ursachen. Etwas wissenschaftlich zu wissen, heißt, dessen Ursachen zu kennen bzw. zu erforschen. Die wahre Beschaffenheit des individuellen Seins zu erkennen, heißt demgemäß, über die Ursache bzw. das Prinzip der Individualität eines Dings etwas aussagen zu können. Die Tradition fragt hier gewöhnlich nach dem »Prinzip«, denn die aristotelische Lehre der vier Ursachen (die causa finalis, materialis, formalis, efficiens) ist für die Beschreibung dessen, worum es sich in den meisten Fällen handelt, nicht geeignet. Hinzu kommt, dass ein Studium des Individuationsproblems auch

Die Individuationsfrage

XI

solche Begriffe einbezieht, die sich nicht eindeutig auf die vier Ur­sachen der Veränderung bei Aristoteles zurückführen lassen, wie etwa »Substanz«, »Akzidens«, »Wesenheit«. Der umfassendere Terminus »Prinzip« liefert deshalb eine für die Frage der Individuation geeignetere Alternative. 5 Ein weiterer Punkt, der das gegenwärtige Interesse an der Individuationsfrage zu verstehen hilft: Die Frage »Was ist ein Individuum?« hat unumgängliche ethische Implikationen, die zutage treten, wenn man das Individuum im Hinblick auf die allgemeinen Bestimmungen, die es »verkörpert«, begreift. Ein Beispiel wären die (allgemeinen) Menschenrechte: Damit sind Bestimmungen gemeint, die für den Menschen als solchen gelten und auf jedes Individuum »Mensch«, dem ich begegne, anzuwenden sind. Was liegt dem Anspruch zugrunde, dass solche Rechte für alle Menschen gelten? Man könnte antworten: Dies ist so, weil ihr Ursprung in dem liegt, was man als »Essenz« des Menschen bezeichnen kann. Weiter stellt sich die Frage: Wie bezieht sich diese Essenz auf die Einzelnen, auf welche die Menschenrechte angewandt werden sollen? Was ist also das Individuum in Bezug auf die (seine?) Essenz? Dies führt zur Individuationsfrage in einer besonderen ethischen Variante zurück: Was zeichnet den einzelnen Menschen aus, sodass er zugleich »Individual-Mensch« ist und an etwas Allgemeinem teilhaben kann, das über die Rechte bzw. die Normen Rechenschaft gibt, die für einen jeden, in seiner Einzelheit radikal unterschiedenen Menschen gültig ist? Eine ähnliche Fassung dieses Problems und dessen ethischer Implikationen findet sich bereits in Boethius’ prägnanter Definition der »Person« als »rationabilis naturae individua substantia«.6 Wie kann man also den mora-

5  Vgl.

J. J. E. Gracia, »Introduction: The Problem of Individuation«, in id. (Hg.), Individuation in Scholasticism. The Later Middle Ages and the Counter-Reformation. 1150–1650, State University of New York Press, Albany (NY ) 1994, S. 1–20, S. 2. 6 Boethius, Contra Eutychen, Kap. 4, in The Theological Tractates, The

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Einleitung

lischen, kulturellen, anthropologischen Reichtum einer Person und der ethischen Ansprüche, die zu ihr gehören, denken, wenn man sich nicht damit beschäftigt, was eine »individua substantia« ist?

2. Die verschiedenen Antworten auf die Individuationsfrage Im Folgenden werden die wichtigsten Interpretationen der Individuationsfrage in ihrer historischen Aufeinanderfolge behandelt. Dazu gehören sowohl Autoren, die Scotus vorangehen bzw. seine Zeitgenossen sind, als auch Autoren, die zur späteren Entwicklung der Scholastik nach dem Mittelalter beigetragen haben oder von traditionellen Fragen des scholastischen Denkens ausgegangen sind (das ist der Fall bei Leibniz). 2.1 Aristoteles Die Frage nach dem »Individuationsprinzip« stellt bereits (mehr oder weniger ausdrücklich) Aristoteles. Auf den Stagi­ riten kann u. a. der Terminus »atomon« zurückgeführt werden, den die lateinische Tradition seit Marius Victorinus und Boethius mit »Individuum« übersetzt.7 Aristoteles bemerkt insbesondere, die erste Substanz sei ein unmittelbarer Ge­genstand (d. h. ein tode ti, ein »Dieses-da«, zentraler Be­g riff der aristotelischen Usiologie), der »unteilbar« (»in-dividuum«) und »der Zahl nach eins« sei.8 Der Begriff der Substanz als »tode ti« bildet ein unerschöpfliches Thema, eine befriediConsolation of Philosophy, hrsg. v. H. F. Stewart / E. K. Rand, Harvard University Press, Cambridge (Ma.) 1968, S. 92. 7 Aristoteles, Kategorien, II, 1 b 6; V, 3 a 34, 38, 39; V, 3 b 2, 7, 12. 8 Ebd., V, 3 b 12. Unter »erster Substanz« versteht Aristoteles die Substanz, die anderem nicht anhaftet und kein Substrat von anderem ist  – so seien eben die Individuen. Von Sokrates können wir sagen, dass er ein Mensch ist, aber das Individuum »Sokrates«

Antworten auf die Individuationsfrage

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gende Behandlung desselben geht über die Grenzen dieser Einleitung hinaus. Für die Frage nach der Individualität ist zweierlei wichtig: Erstens: Im Unterschied zu Gat­t ungen und Spezies ist das Individuum nie teilbar;9 es bildet bei der Aufgliederung der noetischen Bestimmungen das letzte, unteilbare Element (s. auch unten, 2.2 zu Porpyrios). Zweitens: Aristoteles versteht die Individualität als eine numerische Einheit und führt somit einen zentralen Begriff der späteren Debatte um diese Frage ein – mit dieser Frage beschäftigt sich insbesondere Scotus. Auf die Frage, wie es komme, dass z. B. Sokrates und Kallias zwar beide »Mensch«, aber auch zwei unterschiedliche Individuen seien, antwortet Aristoteles: Der Grund liege in der Materie.10 Diese berühmte Antwort haben spätere Autoren ganz unterschiedlich interpretiert, es gilt aber zunächst zu überlegen, ob dies eigentlich die tatsächliche Position des Aristoteles ist. Denn ein Individuum ist als solches zunächst eine Substanz – Ausgangspunkt für jede Position gegenüber der Individuationsfrage im aristotelischen Zusammenhang. Sokrates und Kallias sind – insbesondere aus Form und Materie zusammengesetzte – Substanzen. Das Individuum ist ein Akt, und das Akt-Sein beruht eher auf der Form als auf der Materie (denn diese ist vielmehr »Potenz«).11 Man muss also fragen, welche Rolle die Form bei der Individuation spielt. Kann man z. B. nach Aristoteles sinnvoll von einer »individuellen Form« sprechen? Dass die Individuation auf die Form zurückgeht, nimmt Aristoteles an, wenn er die ontologische kann nicht von einem anderen prädiziert werden. Vgl. Aristoteles, Metaphysik, VII, 11, 1037 b 3–4.  9  So z. B. M. Frede, »Individuals in Aristotle«, in Essays in Ancient Philosophy, Clarendon Press, Oxford 1987, S. 49–71, S. 51 f. 10 Aristoteles, Metaphysik, VII, 8, 1034 a 5–8. Vgl. dazu XII, 8, 1074 a 33–34. 11 Ebd., IX , 8, 1050 a 15–16: »Die Materie ist in Potenz, weil sie zur Form gelangen kann; sobald sie aber im Akt ist, dann ist sie in der Form«.

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Beschaffenheit der verschiedenen Beweger der Himmelsphären behandelt, denn diese sind keine zusammengesetzten Substanzen, sondern »reine Formen« ohne Materie und jede dieser reinen Formen ist ein Individuum. Wie steht es aber um die zusammengesetzten Substanzen? Einen Hinweis gibt Aristoteles an einer Stelle der Metaphysik: Die Ursachen der Dinge, die unter dieselbe Spezies fallen, sind verschiedene, »deine Form, deine Materie und deine Wirkursache sind andere als die meinigen«, obwohl sie dem allgemeinen Begriff nach identisch sind.12 Individuen, die zu derselben Spezies gehören, besitzen also zwar jeweils eine andere Form als die anderen, aber dieser Unterschied hinsichtlich der Form ist nur »der Zahl nach«, also ein numerischer, denn er basiert auf dem numerischen Unterschied zwischen den Individuen als solchen. Der Unterschied der Formen setzt daher den Unterschied der Individuen voraus, statt diesen zu begründen.13 Der Akt, der das Individuum-Sein ausmacht und der auf der Form des Individuums, nicht auf der Materie beruht, muss daher als dasjenige verstanden werden, was eine individuelle Substanz in Bezug auf die Form bestimmt. Anders ausgedrückt, ein Individuum ist eine numerische Einheit, die von derjenigen der anderen Dinge (insbesondere der Dinge, die unter seine Spezies fallen) unterschieden ist. Die Materie aber scheint nicht die individuelle Identität etwa von Sokrates auszumachen, wenn man damit Sokrates zu jedem Zeitpunkt seines Lebens meint. Das Materielle an Sokrates verändert sich sowohl qualitativ wie quantitativ, der neugeborene Sokrates ist in materieller Hinsicht nicht der Sokrates, der nach dem Trank des Schierlingsbechers in den Tod geht. Trotzdem handelt es sich der allgemeinen Auffassung nach um dasselbe Individuum. Es scheint also, dass die 12 Ebd., 13  A. C.

XII, 5, 1071 a 27–29.

Lloyd, »Aristotle’s Principle of Individuation«, Mind, 79, 1970, S. 519–529, S. 521.

Antworten auf die Individuationsfrage

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individuelle Identität von Sokrates auf der Form beruht, die als das essentielle Schema begriffen werden kann, wodurch das »Material«, aus dem Sokrates besteht, gestaltet wird, in ähnlicher Weise, wie auf der Basis von Begriffen und Sätzen (Material) ein Schema einen Syllogismus ordnet.14 Aristoteles liefert letzten Endes keine eindeutige Antwort auf die Individuationsfrage, sondern legt vielmehr nur den Grundstein für eine Debatte, die sich über die Jahrhunderte erstreckt. Die Dichotomie zwischen der Sphäre der zusammengesetzten Substanzen und der Sphäre der reinen Formen bildet in diesem Zusammenhang einen besonders problematischen Punkt. Denn wenn der Verweis auf die Materie als Ursache der Individuation die Frage nicht endgültig entscheidet, sondern zu zahlreichen Fragen Anlass gibt (wie etwa: In welchem Sinne ist hier von »Materie« die Rede? Welche Rolle spielt die Quantität?), deutet die Rolle der Form bei den nicht zusammengesetzten Substanzen darauf hin, dass Aristoteles’ Antwort nicht auf einem einzigen Prinzip basiert, das für jedes Seiende »als Individuum« gelten würde, sondern sich auf ein metaphysisches Element der Substanz stützt oder auf die besondere Seinsweise einer bestimmten Art von Substanz (so wird Aristoteles z. B. von Avicenna verstanden).

2.2 Porphyrios. Boethius Die Individuationsfrage findet in den mittelalterlichen Disputen ihren Platz über die Vermittlung durch Porphyrios und Boethius (Boethius ist ein Bezugspunkt für das christliche Denken im Mittelalter, Porphyrios wird sowohl im Morgenland wie auch im Abendland gelesen). Insbesondere Porphyrius ist hier der Angelpunkt: Die kanonische Bedeutung von »Individuum« geht auf seinen Gebrauch des aristo-

14 

Vgl. J. Lukasiewicz, »The Principle of Individuation«, S. 81.

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Einleitung

telischen »atomon« zurück.15 (Scotus etwa spricht mancherorts von »species atoma«, was sich nur mit dem ursprünglichen Gebrauch des Wortes bei Aristoteles und Porphyrios erklären lässt; vgl. unten, Anm. zu § 149). Porphyrios‘ Isagoge, eine im 3. Jahrhundert als Einführung in Aristoteles‘ Kategorienschrift verfasstes Werk, enthält eine genaue Analyse der Begriffe Gattung, Spezies, Differenz, Eigen und Akzidens. Porphyrios versteht das Verhältnis unter den Prädikabilien wie in einer Leiter angeordnet, die vom Allgemeinen und Einheitlichen bis zum Mannigfaltigen und »Zerstreuten«, d. h. zum Individuum hinabführt (dies ist die berühmte Lehre von der arbor porphyriana). Wie ist vor dem Hintergrund der eidetischen Kette, die von den höchsten Gattungen bis zu den niedrigsten Spezies führt, das Individuum zu verstehen? Unbehandelt bleibt bei Porphyrios das Problem des Übergangs von den niedrigsten Spezies zu den Individuen und des Verständnisses derselben in Rücksicht auf die noetische Dimension, von der sich die Individuen unterscheiden. Für den Neuplatoniker Porphyrios ist der Sinn der noetischen Hierarchie entscheidend. Die Abzweigungen vom Baum der Prädikamente zu durchlaufen, heißt für ihn, die dialektischen Wege des Wirklichen zu rekonstruieren, wobei die vorangehende Bestimmung der folgenden wirklich, nicht nur begrifflich, vorausgeht. Und so verhalten sie sich alle in Bezug auf die letzte, d. h. das Individuum. Porphyrios öffnet somit den Weg für diejenigen, welche die Wurzel der Individualität in der Verkettung der Prädikamente suchen, d. h. das Individuum in Rücksicht auf die Entwicklung des Noetischen erklären wollen (auch Scotus vermittelt mehrmals den Eindruck, diesem Ansatz zu folgen).16 Porphyrios nennt 15 

Vgl. M. Frede, »Individuals in Aristotle«, S. 51. teilen auch Platon und die ganze »platonische« Tradition (sei diese eine treue Interpretation von Platon oder nicht) die These einer solchen Artikulation des Wirklichen, nach der 16  Wohlverstanden

Antworten auf die Individuationsfrage

XVII

übrigens kein individuierendes Element, um so weniger spricht er von der Materie. Er fragt sich auch nicht, ob das Individuum ein Teil der noetischen Kette sei oder nicht. Für Porphyrios wird Individualität nur dem einzigen besonderen Subjekt zugesprochen. Individuen sind die Subjekte, die ein Ganzes an Charakteristika besitzen, die nicht in derselben Weise wie an einem anderen Subjekt vorkommen können.17 (Im Lichte der späteren Debatte kann man auch sagen, dass für Porphyrios die Ursache der Individuation der allgemeinen Form in einer Mannigfaltigkeit von Seienden, die zu derselben Spezies gehören, eben das »Ganze an Charakteristika« ist, die z. B. nur Sokrates eigen sind und keinem anderen Subjekt. In Rücksicht auf Platon fügt Porphyrios hinzu, dass man sich nicht mit den Individuen beschäftigen soll, weil es von ihnen keine Wissenschaft gibt. Er antwortet somit implizit auf die Frage, ob die Individuen in die noetische Kette fallen: Sie tun es nicht, sonst wäre von ihnen eine Wissenschaft möglich.) Boethius ist ein unumgänglicher Bezugspunkt in der Individuationsfrage wie auch vieler anderer Probleme, mit denen sich das mittelalterliche Denken auseinandergesetzt hat, weil er das philosophische Material und das begriffliche Instrumentarium der klassischen Antike bearbeitet, viele zentrale Fragen des neuen philosophischen und theologischen Denkens formuliert (oder zu ihnen Anlass gibt) und dadurch zur Prägung der lateinischen philosophischen Terminologie beiträgt.

die Dialektik, also das Noetische, die Wissenschaft der Selbstgliederung des Seins liefert. Porphyrios fügt zu dieser Tradition, aus der er stammt, eine pünktliche Auseinandersetzung mit zentralen Punkten der aristotelischen Logik und Metaphysik hinzu, welche ihrerseits die begrifflichen Elemente der Individuationsfrage (zumindest in nuce) enthalten. 17 Porphyrios, Isagoge, hrsg. v. A. Busse, in Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. 4.1, Reimer, Berlin 1887, S. 7, Z. 19–25.

XVIII

Einleitung

Was das Individuationsprinzip betrifft, muss man zuerst bemerken, dass Boethius keine systematische Analyse dieser Frage und der einbezogenen Themen entwickelt. Er gebraucht auch nicht den Terminus »Individuationsprinzip«. Boethius spricht aber ausdrücklich von dem, was die numerische Differenz verursacht bzw. »macht«.18 Boethius liefert keine eindeutige Erklärung des Individua­ tionsproblems. Sein Kommentar zur Isagoge (der »offiziell« den Universalienstreit auslöste) beschäftigt sich mit der »Sammlung der Eigenschaften«, die in einer einzigartigen Weise zu Sokrates gehören und ihn von anderen Individuen derselben Spezies unterscheiden. Diese Eigenschaften kommen Sokrates »ex accidentibus«, also aus den Akzidentien zu.19 Im Lichte der späteren Debatte um die Individuation lässt sich diese Formel in unterschiedlicher Weise interpretieren. Wir können darunter verstehen, dass die Akzidentien, die Sokrates eigen sind, ihn zu dem Individuum machen, das er ist, indem sie die Eigenschaften individuieren, die zu Sokrates gehören. Anders gesagt, die Akzidentien machen solche Eigenschaften wie »kahl sein«, »ein Athener sein« usw. zu Charakteristika, die nur Sokrates anhaften können. In der Schrift De trinitate, in der um die Trinität, ihre Einheit und die »Abwesenheit von Unterschieden« geht, unterstreicht Boethius, dass die Verschiedenheit der Akzidentien (»accidentium varietas«) der Grund für die numerische Differenz unter den Substanzen ist.20 Dass Boethius an beiden Stellen, d. h. sowohl im Isagogekommentar wie in De trinitate, eine ähnliche Terminologie gebraucht, lässt vermuten, dass er sich mit derselben Frage beschäftigt. J. Gracia macht darauf aufmerksam, dass Boethius in der theologischen Schrift nicht ausdrücklich von der »Individuation« spricht, sondern 18 Boethius,

De trinitate, Kap. 1, in The Theological Tractates, S. 6. Commentaria in Porphyrium a se translatum, in Patro­ logia latina, Bd. 64, col. 71–158, col. 114. 20 Boethius, De trinitate, Kap. 1, S. 6. 19 Boethius,

Antworten auf die Individuationsfrage

XIX

eben von der numerischen Differenz. Boethius beschäftige sich hier also im theologischen Rahmen mit einer metaphysischen Frage. In den Schriften zur Logik, wie etwa im Kommentar zur Isagoge oder im Kommentar zu den Kategorien, würde er dagegen die eigentlich logische Seite der Frage hervorheben, 21 insofern er die Individualität als Nicht-Prädizierbarkeit versteht (das Individuum ist in diesem Sinne dasjenige, was sich im Unterschied zum Universale von anderem nicht aussagen lässt).22 Diese Bemerkung ist sehr wichtig, aber ihre Tragweite muss vielleicht eingeschränkt werden. Es ist einerseits richtig, dass im theologischen Rahmen die Individuationsfrage eine besondere Bedeutung bekommt, denn es handelt sich dabei um die Möglichkeit, in der Trinität drei göttliche Individuen zu unterscheiden. Andererseits aber besitzen die oben angeführten Betrachtungen über die Individuation durch eine Sammlung von Eigenschaften, die wegen der Akzidentien individuiert werden, eine echt »metaphysische« Bedeutung, insofern es damit um die Substanz geht. Das reiche Erbe, das Boethius den mittelalterlichen Autoren (und nicht nur diesen) überliefert hat, besteht gerade in dieser Verwicklung von Fragen, auf die wir hier nur skizzenhaft hinweisen können und deren Lösung Aufgabe seiner Nachfolger war. Wir möchten uns hier nur en passant mit einem weiteren Aspekt der »Antwort« des Boethius auf die Individuationsfrage beschäftigen. Im Zusammenhang mit der Verschiedenheit der Akzidentien bei der Bestimmung der numerischen Differenz zwischen zwei Individuen derselben Spezies hebt Boethius unter den Akzidentien den Ort (locus) hervor.23 Damit ist folgendes gemeint: Wir können im

21  J. J. E.

Gracia, »The Legacy of the Early Middle Ages«, in J. J. E. Gracia (Hg.), Individuation in Scholasticism, S. 23–25. 22  S. Boethius, In Categorias Aristotelis, in Patrologia latina, Bd. 64, col. 159–294, col. 171–172. 23 Boethius, De trinitate, Kap. 1, S. 6–8.

XX

Einleitung

Gedankenexperiment alle übrigen Akzidentien entfernen, es steht nichtsdestotrotz fest, dass zwei Individuen nicht denselben Ort einnehmen können. Der Ort scheint somit unter den Akzidentien zum Rang der individuierenden Bestimmung erhoben zu werden. Leider erklärt Boethius nicht weiter, wie er von der angeführten Verschiedenheit der Akzidentien zu dieser besonderen Rolle des Orts kommt. Trotzdem ist diese Position interessant, weil sie gewisse Entwicklungs­ linien der Individuationsfrage vorwegnimmt. Dabei ist nicht so sehr an Autoren zu denken, welche die Rolle der Quantität in der Individuation unterstreichen (siehe etwa die Lehre der »materia signata« bei Thomas von Aquin), sondern vielmehr an bestimmte Motive bei Leibniz wie etwa die Identität der Indiscernibilien oder an die heutige Debatte über den »Vier- oder Dreidimensionalismus«. (Dabei geht es u. a. um die Frage nach den ontologischen Charakteren, wodurch die Beharrung von etwas in seiner Identität bestimmt wird, insbesondere um die zeitlichen Merkmale.24) Nicht wenige gegenwärtige Autoren, wenn auch in unterschiedlicher Weise, vertreten die Meinung, die Individuen bestünden aus nichts anderem als einem besonderen Ganzen von Eigenschaften (dazu zählen insbesondere die Vertreter der sogenannten »Bundle Theory«). Einige behaupten, es sei die raumzeitliche Position, die ein Individuum eindeutig identifiziert (Russell), andere betonen die Kontinuität von Eigenschaften, die durch kausale Verknüpfungen verbunden sind und die Geschichte eines in der Zeit beharrenden Dings aus24  Vgl.

P. O. King, »The Problem of Individuation in the Middle Ages«, Theoria, 66, 2000, S. 159–184, S. 165–166. Was die angeführte Debatte betrifft, die bereits in W. V. O. Quine, Word and Object, MIT Press, Cambridge (Ma.) 1960, hervortritt, s. u. a. D. Lewis, On the Plurality of Worlds, Blackwell, Oxford 1986. M. C. Rea, »Temporal Parts Unmotivated«, The Philosophical Review, 107, 1998, S. 225–260. P. Van Inwagen, »Four-Dimensional Objects«, Nous, 24, 1990, S. 245–255. D.  Zimmerman, »Persistence and Presentism«, Philosophical Papers, 25, 1996, S. 115–126.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXI

machen (S. Shoemaker).25 Die These, dass das Individuum auf ein Ganzes von Eigenschaften zurückzuführen ist, geht übrigens mit dem antisubstanzialistischen Impetus eines gewissen Teils des gegenwärtigen Denkens zusammen (das war sicherlich nicht die Absicht des Boethius!).

2.3 Richard Rufus Im Folgenden möchten wir einige Positionen der Debatte über die Individuation im 13. Jahrhundert betrachten, um den »Hintergrund« von Scotus’ Behandlung der Individua­ tionsfrage zu verstehen. R. Wood hebt die Bedeutung der Thesen von Richard Rufus hervor, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts einer der ersten Philosophen innerhalb des franziskanischen Ordens ist (zu dem auch Scotus gehören wird).26 Die Behandlung der Individuationsfrage findet sich bei Rufus im zweiten Teil der Schrift Contra Averroem mit dem Titel De causa individuationis.27 Rufus setzt bei Averroes’ These an, nach welcher die allgemeinen Formen erst durch die Materie individuiert werden.28 (So fasst Rufus Averroes’ Lehre zusammen, die allerdings in Wirklichkeit sehr viel kom­ plexer 25  B.

Russell, An Inquiry into Meaning and Truth, Norton and Co., New York 1940 (Bishop and Sons, Edinburgh 1956), S. 94 ff.; S. Shoemaker, »Identity, properties, and causality«, in Identity, Cause, and Mind. Philosophical essays, Cambridge University Press, Cambridge 1984, S. 234–260. 26 Vgl. R. Wood, »Individual Forms: Richard Rufus and John Duns Scotus«, in L. Honnefelder / R. Wood / M. Dreyer (Hg.), John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics, Brill, Leiden/New York/Köln 1996, S. 251–272. 27  Wir werden uns im folgenden auf Stellen aus dem Manuskript Erfurt, Bibliotheca Amploniana, Quarto 312, insbes. fol. 85ra–86rb, beziehen, das Rega Wood entgegenkommenderweise zur Verfügung gestellt hat. 28  Richard Rufus, Contra Averroem, fol. 85ra.

XXII

Einleitung

ist.29) Diese Position, die etwa Autoren wie Johannes von la Rochelle und Wilhelm von Militona aufgreifen, 30 geht auf einige Argumenten aristotelischen Ursprungs zurück, 31 die auch Scotus bezüglich der Individuation durch die Materie oder durch die Quantität anführt  – z. B. »Das Erzeugende erzeugt etwas anderes wegen der Materie«32 oder »Wenn ich ›Himmel‹ sage, drücke ich die Form aus; wenn ich ›dieser Himmel‹ sage, drücke ich die Form mit der Materie aus«33 oder »Die Teilung der speziellsten Spezies in Individuen erfolgt erst durch die Quantität, und diese kommt von der Materie her«. Rufus lehnt diese Lehre mit einer Reihe von Argumenten ab, unter anderem mit der Bemerkung, dass die Materie, insofern sie ungeteilt ist, nicht das Individuierende sein kann, sondern auf die Form als »Akt« notwendigerweise verweist (Rufus, der Aristoteles’ These kommentiert, dass die Materie an sich ungetrennt ist und erst der Akt trennt,34 identifiziert Akt und Form). Rufus spricht sich auch gegen die 29 

Vgl. Averroes, In Aristotelis Metaphysicam, VII, Kommentar 8 und 20, in Aristotelis opera cum Averrois commentariis, apud Iunctas, Venetiis 1562–1574 (fotomechanischer Nachdruck Minerva, Frankfurt am Main 1962), 10 Bde., Bd. 8, fol. 158L–159D und 169D ff. On Aristotle’s »Metaphysics«. An Annotated Translation of the So-called »Epitome«, hrsg. v. R. Arnzen, De Gruyter, Berlin-New York 2010, S. 82–83. Vgl. dazu A. Bäck, »The Islamic Background«, in J. J. E. Gracia (Hg.), Individuation in Scholasticism, S. 39–68, S. 55. 30  Johannes von La Rochelle, Summa de anima, hrsg. v. T. Domeni­ chelli, Giachetti, Prato 1882, S. 287. Wilhelm von Militona, Quaestiones de sacramentis, Quaracchi, Firenze 1961, S. 631. 31  Richard Rufus, Contra Averroem, fol. 85rb. 32  Vgl. Aristoteles, Metaphysik, VII , 8, 1034 a 4–8. Scotus bezieht sich auf dieses Argument mancherorts, u. a. in der 5. Frage, § 132. 33  Vgl. Aristoteles, Über den Himmel, I, 9, 278 a 10–15. Vgl. dazu Bonaventura, Commentaria in quatuor libros Sententiarum Magistri Petri Lombardi (abgekürzt In Sententias), II, d. 3, p. 1, a. 2 , q. 3, in Sanctae Bonaventurae opera omnia, edita studio et cura pp. Colegii S. Bonaventurae, Quaracchi, Firenze 1882–1902, 10 Bde., Bde. 1–4, Bd. 2, S. 109. Bei Scotus kommt dieses Argument in der 5. Frage, § 135, vor. 34  Vgl. Aristoteles, Metaphysik, VII, 13, 1039 a 7.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXIII

These der Individuation durch die Akzidentien aus. 35 Denn die individuelle Substanz geht als Substanz ontologisch den Akzidentien voraus (dieses Argument hatte bereits Abaelard gegen die Meinung der Individuation durch die Akzidentien gebraucht 36). Ein Gemeinsames wie etwa eine »allgemeine Form«, bemerkt übrigens Rufus, kann sich nicht von selbst individuieren. Die Individuation verlangt daher, dass etwas zur gemeinsamen Form hinzukommt. Aber dieses Etwas kann aus den angeführten Gründen nicht zur Ordnung der Materie oder der Akzidentien gehören, sondern muss in die Ordnung der Formen fallen  – die »Ordnung der Formen« ist ein wichtiger Begriff in der Entwicklung der Individuationsfrage und kommt u. a. bei Bonaventura wieder vor.37 Wir können somit einen zentralen Punkt der scotischen Position zur Individuationsfrage vorwegnehmen, insofern die Individuation sowohl bei Rufus wie bei Scotus in Bezug auf die prädikamentale Koordination verstanden wird: Man gelangt zum Individuum, indem man das Noetische durch einen geordneten Prozess einteilt. Rufus führt hierbei die Idee ein, die Ursache der Individuation sei die individuelle Form. Das Individuum ist ein Kompositum aus der individuellen Form und der Materie.38 Die Materie ist demnach nicht die Ursache der Individuation, und dies betrifft auch die »bezeichnete«, d. h. die (vor allem in Hinsicht auf die Dimensionen) bestimmte Materie (materia signata). Die Materie ist nur eine »notwendige Gelegenheit« (occasio necessaria), ohne welche die Form nicht individuiert werden kann. 39 Rufus versteht dementsprechend 35 

Richard Rufus, Contra Averroem, fol. 85ra. dazu P. Abaelards Philosophische Schriften. I. Die Logica ›Ingredientibus‹. 1. Die Glossen zu Porphyrium, hrsg. v. B. Geyer, Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, Münster 1919, S. 13. 37  Richard Rufus, Contra Averroem, fol. 85va. Bonaventura, In Sententias, II, d. 3, p. 1, a. 2, q. 3, Bd. 2, S. 109. 38  Richard Rufus, Contra Averroem, fol. 85rb. 39  Ebd., fol. 85vb. 36  S.

XXIV

Einleitung

die individuelle Form als dasjenige, wodurch die spezifische Form (»Mensch«) in ebenso vielen verschiedenen Weisen vervollkommnet wird, wie es Individuen gibt. Ein jedes Individuum »Mensch«, das ein Kompositum aus Form und Materie ist, bildet eine unterschiedliche Perfektion bzw. einen unterschiedlichen Akt der Spezies »Mensch«. Der Unterschied zwischen der gemeinsamen, also nicht individuierten Natur und der individuellen Form ist demgemäß kein »realer« Unterschied, als wäre es der Unterschied zwischen zwei Dingen (»res«), sondern es handelt sich vielmehr um etwas wie den Unterschied zwischen der Potenz (der gemeinsamen Natur) und dem Akt (der individuellen Form).40 Wir müssen folglich annehmen, dass dasjenige, was zur gemeinsamen Form »hinzukommt« und durch welches man zum Individuum gelangt, keine weitere Wirklichkeit ist, sondern nur eine Perfektion der gemeinsamen Natur.

2.4 Bonaventura Bonaventura schließt aus, dass die Materie oder die Form (im Sinne einer individuellen Form) die Individuationsursache ist.41 Einerseits, bemerkt er, führt es zu Problemen, wenn man annimmt, dass die Materie die Ursache des numerischen Unterschieds der Individuen sei, da sie ein Prinzip bildet, das 40 Ebd. 41 Es

wäre interessant zu verstehen, auf welche Autoren sich Bonaventura bezieht, wenn er die These diskutiert, die Form sei die Ur­sache der Individuation. Die Herausgeber der Werke des Bonaventura verweisen auf Averroes, In Aristotelis Metaphysicam, I, t. 17. Man darf aber nicht ausschließen, dass Bonaventura vielmehr an Rufus denkt. Darauf weist die Terminologie hin, die er gebraucht, vornehmlich der oben zitierte Ausdruck »Ordnung der Formen«. Vgl. R. Wood: »Individual Forms«, S. 254–255, und »Angelic Individuation According to Richard Rufus, St. Bonaventure and St. Thomas Aquinas«, in J. A. Aertsen / A. Speer (Hg.), Individuum und Individu­ alität im Mittelalter, De Gruyter, Berlin 1996, S. 209–229, S. 212–216.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXV

allen gemeinsam ist. Die Form, die an sich allgemein ist, ist andererseits von Natur aus das Prinzip der Ähnlichkeit unter den Individuen.42 Die Lösung des Bonaventura besteht in der »Verbindung im Akt« der Materie und der Form, sodass die eine sich die andere aneignet. Das bedeutet, dass die Materie das Prinzip liefert, wodurch das Individuum eine gewisse Position in Zeit und Raum besitzt und deswegen »dieses-da« ist und dass die Form dasjenige ist, weshalb das Individuum »etwas« (aliquid) ist.43 Die Materie ist demnach nicht das Individuationsprinzip, sondern nur eine »causa sine qua non«, und das Individuum fügt zur speziellsten Spezies keine weitere Form hinzu, die aus sich selbst individuell sei, also keine forma individualis, da keine Form individuell ist, außer sie ist mit der Materie verbunden.44 Eine solche Position setzt sich einem gewichtigen Einwand aus. Wenn nämlich die Individuation durch die gegenseitige Aneignung von Form und Materie verursacht wird, die zusammen »dieses Individuum« bilden – insofern die Form zur »Form dieser Materie« wird und die Materie »zur Materie dieser Form« –, wie kann die eine sich die andere aneignen, wenn sie nicht bereits individuiert ist?45 Ein zweiter Einwand (bzw. eine zweite Version des ersten Einwands) ist folgender. Bonaventura erklärt, wie sich Materie und Form gegenseitig verhalten, und behauptet, dass in Wirklichkeit die Form nie von der Materie getrennt ist. Es gibt demgemäß nie eine allgemeine Form, die kein besonderes Sein ist; die Weiße ist immer die Weiße eines Körpers, sie existiert nicht abgetrennt vom Körper. Sie unterscheidet sich jedoch vom Körper.46 Die Formen sind an sich allgemein; es gibt keine individuellen 42 Bonaventura, 43 

In Sententias, II, d. 3, p. 1, a. 2, q. 3, Bd. 2, S. 109.

Ebd., S. 109 f. Ebd., S. 110.­ 45  Vgl. P. O. King, »Bonaventure«, in J. J. E. Gracia (Hg.), Indivi­ duation in Scholasticism, S. 141–172, S. 145. 46 Bonaventura, In Sententias, II, d. 18, a. 1, q. 3, Bd. 2, S. 441. 44 

Einleitung

XXVI

Formen. Die Individualität gehört zur Form nur insofern, als sie mit der Materie verbunden ist.47 Die Form ist schließlich allgemein selbst im Individuum. Es stellt sich also die Frage: Wie kann die Form die Individualität des Individuums begründen, indem sie sich mit der Materie verbindet, die ihrerseits an sich unbestimmt ist? Bonaventura erklärt seine Position anhand eines Beispiels. Die Individuation würde in der Weise erfolgen, wie ein Siegelring seinen Abdruck in einer Prägemasse bzw. im Wachs hinterlässt.48 Die Prägemasse wäre hierbei die Materie, das Siegel die Form. Die Allgemeinheit der Form wäre in diesem Beispiel dadurch versinnbildlicht, dass das Siegel mehrere Abdrücke im Wachs hinterlassen kann. Es lässt sich aber fragen, inwieweit dieses Beispiel bei der Erklärung der Individuation weiterhilft. Die Allgemeinheit der spezifischen Form wie etwa der »Menschheit« lässt sich nur unter Schwierigkeiten mit derjenigen eines mehrmals benutzbaren Siegels vergleichen – denn ein Siegel trägt eine in ihrer Gestalt bestimmte bzw. begrenzte Figur, was mit der metaphysischen Struktur der Form, wie sie sich in der Spezies ausdrückt, nicht vergleichbar ist. Wie z. B. P. King vorschlägt,49 muss Bonaventuras Position in folgender Weise verstanden werden. Die Materie, die durch eine gewisse Form informiert werden soll, muss die Potenz zu jener Form besitzen, d. h. sie muss in der Weise beschaffen werden, wie die Form es erfordert. Nicht eine beliebige Materie kann zu Sokrates’ Materie werden. Die Form aber ist wie bereits gesehen keine individuelle Form. Sie ist die spezifische Form, z. B. die »Menschheit«. Dass durch die Zusammensetzung von Form und Materie eben z. B. Sokrates entsteht, scheint folglich nicht so sehr von der Form abzuhängen, sondern von der Materie, die in dieser Hinsicht als ein 47 Ebd., 48  49 

II, d. 3, p. 1, a. 2, q. 3, Bd. 2, S. 110.

Ebd., S. 109. P. O. King, »Bonaventure«, S. 155 ff.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXVII

unbestimmtes Suppositum zu begreifen wäre, das aber eine raumzeitliche Stellung haben und dadurch von einer gewissen Form informiert, d. i. verwirklicht werden kann. Bonaventuras Antwort auf die Individuationsfrage ist in diesem Sinne eine »lokale« Lösung, die über die Individuation von einem gewissen Individuum in Bezug auf die Elemente, die dem Bestehen jenes Individuums zugrunde liegen, Rechenschaft gibt – also diese Form und diese Materie. Dass Form und Materie ihrerseits diese sind, verweist auf weitere Individuen. Die Individuation der letzteren wird somit nicht erklärt, sondern vielmehr vorausgesetzt. Anders gesagt, Bonaventura liefert keine »globale« Erklärung der Individuation, sondern immer nur eine lokale (d. h. die Individuation von diesem Individuum-da), weil für ihn die Frage nach einem einzigen Individuationsprinzip für alle Individuen keine wirkliche Lösung hat. In Bonaventuras Perspektive bildet die Individuation ein philosophisch relevantes Thema vor allem im Hinblick auf die Stellungnahmen der »Realisten« im Universalienstreit. Es wäre vielleicht unangebracht zu sagen, dass die Individuation für Bonaventura ein Pseudoproblem bildet, es ist aber auch wahr, dass für ihn keine Erklärung der Vervielfältigung der Individuen wirklich vonnöten ist, da diese offensichtlich ist. Ein Individuum ist ein einzelnes, abgegrenztes Individuum aus dem Grund, dass es existiert und Gott es erschaffen hat. 50 In diesem Sinne hängt die Frage nach der Individuation mit der nach der Existenz zusammen, deren Hauptaspekt die wesentliche Kontingenz des Erschaffenen ist.

50  Vgl.

F. Corvino, Bonaventura da Bagnoregio. Francescano e pensatore, Dedalo, Bari 1980 (Città Nuova, Roma 2006), S. 272 f.

Einleitung

XXVIII

2.5 Thomas von Aquin. Egidius Romanus Die Antwort des Thomas von Aquin auf die Individua­t ions­ frage wird bekanntlich mit der These identifiziert, dass das Individuationsprinzip die Materie ist, insbesondere die bezeichnete Materie (materia signata), d. h. die Materie, insofern diese (quantitativ) bestimmt ist. Nach dieser Lehre unterscheiden sich zwei Individuen derselben Spezies dadurch, dass sie eine unterschiedlich bestimmte Materie haben. Die Individuationslehre des Aquinaten lässt sich aber nicht eindeutig mit dieser kanonischen Interpretation zur Deckung bringen. Hierfür muss man zuerst Thomas’ Ausein­ andersetzung mit zentralen Stellen des Liber de causis heranziehen, einer anonymen Schrift, die auf das mittel­a lterliche Denken großen Einfluss ausübte. Satz 8 (9) des Liber de causis ist bezüglich unserer Frage besonders wegweisend. Der »Geist«, heißt es, »hat yliathim, weil er Sein und Form ist […]. Aber die Erstursache hat kein yliathim, weil sie nur Sein ist«51 – mit »yliathim« ist eine Zusammensetzung aus heterogenen Elementen gemeint. Thomas gewinnt aus dieser Stelle, auf die bereits Albert, Thomas’ Lehrer, seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, sowohl die Notwendigkeit, nach einem »hyliatischen«, d. h. materiellen Prinzip im weitesten Sinne, also einem Substrat der Form, zu suchen, wie auch die Idee eines Unterschieds zwischen dem erschaffenen Sein der Geschöpfe und der Form, eines Unterschieds, der bei Gott nicht angenommen werden kann. 52 Dieses Thema führt zur umfassenderen Frage nach dem Verhältnis zwischen dem 51 [Anonymus],

Liber de causis. Das Buch von den Ursachen, hrsg. v. A.  Schönfeld, Einleitung von R. Schönberger, Meiner, Hamburg 2003, S. 23. 52 Thomas von Aquin, Super Librum de causis expositio, hrsg. v. H. D. Saffrey, Société Philosophique, Fribourg 1954, prop. 9, S. 64 f. Vgl. A. Speer, »›Yliathin quod est principium individuandi‹«. Zur Diskussion um das Individuationsprinzip im Anschluß an prop. 8 [9] des ›Liber de causis‹ bei Johannes de Nova Domo, Albertus Magnus und

Antworten auf die Individuationsfrage

XXIX

Erschaffenen und dem göttlichen Sein, die in der metaphysischen Theologie des Aquinaten eine Hauptrolle spielt und u. a. seine Lehre der Individuation beeinflusst. Die Frage nach der Individuation tritt deutlich in der Schrift De ente et essentia hervor. Thomas unterscheidet den Fall der abgesonderten Substanzen von dem der zusammengesetzten Substanzen. Das Individuationsprinzip ist die Materie, sagt Thomas, aber nicht die Materie in einem beliebigen Sinn, sondern nur im Sinne der bezeichneten Materie, d. h. derjenigen, die in Bezug auf bestimmte (determinatae) Dimensionen betrachtet wird. 53 Denn die Materie gehört zur Definition der zusammengesetzten Substanzen (in die Definition des »Menschen« fallen auch Fleisch und Knochen, weil ein Mensch aus Fleisch und Knochen besteht, insofern er einen Leib hat), und die Wesenheit, behauptet Thomas, ist dasjenige, was durch die Definition des Dings ausgedrückt wird. Die Definition der zusammengesetzten Substanzen enthält demzufolge nicht nur die Form, sondern auch die Materie. 54 Wenn also die Materie, die zur Definition des Menschen gehört, dieselbe wäre, die zur »Definition des Sokrates« gehört, 55 würde es nicht mehrere Individuen »Menschen« unter derselben Spezies »Mensch« geben. Ausgehend von einer These Avicennas (»Die Washeit der einfachen Substanzen ist das Einfache selbst«56) behauptet dagegen Thomas, Thomas von Aquin«, in J. A. Aertsen  / A. Speer (Hg.), Individuum und Individualität im Mittelalter, S. 266–286. 53  Thomas von Aquin, De ente et essentia, hrsg. v. H.-F. Dondaine, in Sancti Thomas Aquinatis doctoris angelici Opera omnia, iussu impensaque Leonis xiii P. M. edita, cura et studio fratrum praedicatorum, Ex Tipographia Polyglotta S. C. de Propaganda Fide, Romae (dann: apud Sedem Commissionis Leoninae; dann: ad Sanctae Sabinae; dann: Vrin und Editions du Cerf, Paris), 1882 ff., Bd. 43, Kap. 2, S. 372. 54  Ebd., S. 371. 55  Ebd., S. 372. 56 Avicenna, Liber de philosophia prima sive scientia divina, hrsg. v. S. Van Riet / G. Verbeke, Peeters, Louvain – Brill, Leiden, 1977–1980, 2 Bde., Bd. 2, V, 5, fol. 90ra, S. 274, Z. 57 f.

XXX

Einleitung

die Wesenheit der einfachen Substanzen, insofern sie in der Materie nicht aufgenommen wird, werde nicht in mehreren, numerisch unterschiedenen Subjekten vervielfältigt, sondern es gebe ebenso viele Spezies, wie es Individuen gibt. Anders ausgedrückt, jedes Individuum sei eine »individuelle Spezies«. Diese Lehre, die für die Engel wie auch für die menschlichen Seelen gilt, rechtfertigt auf der metaphysischen Seite die These der Unsterblichkeit (d. h. des Fortlebens) der Seele als einer individuellen und persönlichen Substanz nach dem Tod des Leibes, also der Materie. Betrachten wir aber das Verhältnis von Materie und Quantität näher, so begreifen wir, dass die Individuationsfrage (bezüglich der zusammengesetzten Substanzen) in der Tat reicher bzw. komplexer ist. Thomas unterstreicht, dass die Materie das »erste« Individuationsprinzip sei. Die Dimension bzw. die Quantität, durch die die Materie, die in den verschiedenen Individuen an sich ein und dieselbe wäre, geteilt wird und in den verschiedenen Individuen jeweils eine andere ist, bildet das »zweite« Prinzip. 57 Der Materie, insofern sie aristotelisch »Substanz« ist, muss übrigens eine andere Rolle zukommen als der Quantität, die zu den Akzidentien gehört. Dies aber impliziert eine weitere Schwierigkeit, die bereits Abaelard und Rufus hervorheben und Scotus wieder zum Thema machen wird: Eine derartige Position lässt die Individuation, d. h. das wirkliche, aktuale Sein einer Substanz, von einem Akzidens abhängen. Wir werden weiter unten diesen wichtigen Punkt aufgreifen. Eine zweite Schwierigkeit betrifft die genaue Bestimmung der Dimensionen einer körperlichen Substanz. Ist die Materie, die als Individuationsprinzip gelten soll, nach bestimmten (terminatae) oder unbestimmten (interminatae) Dimensionen bestimmt? 57 

Thomas von Aquin, Scriptum super libros Sententiarum (abgekürzt In Sententias), Bde. 1–2, hrsg. v. P. Mandonnet, Lethielleux, Paris 1929; Bde. 3–4, hrsg. v. M. F. Moos, Lethielleux, Paris 1933–1947 (Bd. 4, d. 1–22), IV, d. 12, q. 1, a. 1, Bd. 4, S. 503, Nr. 49.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXXI

Über die Frage nach den unbestimmten Dimensionen der Materie haben zahlreiche Autoren im Rahmen der aristotelischen Denktradition diskutiert, von den antiken Kommentatoren bis (vornehmlich) Averroes. Ammonius, Symplicius und Johannes Philoponos unterscheiden bereits zwischen der ersten, formlosen und unkörperlichen Materie (dem Primärsubstrat oder prôton hypokeímenon) und der Materie, die schon eine körperliche Natur, aber noch keine qualitativen Bestimmungen besitzt (dem Säkundärsubstrat oder deúteron hypokeímenon). Die letztere allein ist das Substrat der körperlichen Veränderung, und ihr grundlegendes, quantitatives Kennzeichen ist die dreidimensionale Extension. 58 Der zentrale Bezugspunkt der Frage nach den unbestimmten Dimensionen der Materie ist Averroes, vor allem mit seiner Schrift De substantia orbis, auf die auch Scotus mehrmals hinweist, wie etwa in der vierten quaestio über die Individuation. Man muss zuerst bemerken, dass sowohl bei Averroes wie übrigens bereits bei den eben angeführten AristotelesKommentatoren die Frage nach den unbestimmten Dimensionen der Materie im Rahmen der Untersuchung der Bewegung hinsichtlich der Prinzipien der aristotelischen Physik entwickelt wird. Erst das spätere Denken, vornehmlich im christlichen Mittelalter, setzt diese Frage in Beziehung zum Individuationsproblem. Averroes erforscht in De substantia orbis insbesondere die Entstehung und das Vergehen der Körper sowie die Ursache dessen, dass die unerschaffenen und 58 Ammonius,

In Aristotelis Categorias Commentarius, hrsg. v. A. Bus­ se, in Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. 4.4, Reimer, Berlin 1895, S. 54. Simplicius, In Aristotelis De caelo Commentaria, hrsg. v. I. L. Heiberg, in Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. 7, Reimer, Berlin 1894, S. 599. Johannes Philoponos, In Aristotelis Physicorum libros tres priores Commentaria, hrsg. v. H. Vitelli, in Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. 16, Reimer, Berlin 1887, S. 156. Ein pünktliches Studium dieser Themen leistet S. Donati, »La dottrina delle dimensioni indeterminate in Egidio Romano«, Medioevo, 14, 1988, S. 149–233, insbes. S. 152–157.

XXXII

Einleitung

unverderblichen Himmelskörper nur der örtlichen, kreisförmigen Bewegung unterworfen sind. Die These des Averroes ist, dass es ein Primärsubstrat der Veränderung gibt, dass dieses die entgegengesetzten Formen, zwischen denen die Veränderung stattfindet, beherbergt und dass es der Quantität und der Extension unterliegt, bevor es die entgegengesetzten Formen annimmt. Denn die Materie, welche die substantielle Form annimmt, ist potenziell teilbar, und die Teilbarkeit hängt von der Quantität ab – es geht nämlich darum, zu erklären, wie die Materie zu einer Vielfältigkeit von Teilen geteilt werden kann, sodass sie verschiedene Formen annimmt. Die Materie folglich muss an sich Dimensio­ nen haben. Nun, die bestimmten Dimensionen verändern sich in den Körpern (wie bereits Avicenna bemerkte59). Wenn die Materie das Substrat der Veränderung sein soll, muss sie intrinsisch durch eine solche Bestimmung charakterisiert sein, dass sie sich bei der Veränderung nicht verändert. Die Dimensionen, die ihr zugeschrieben werden müssen, sind also unbestimmte Dimensionen. Diese bilden die primäre Bestimmung der Materie, d. h. eine solche quantitative Bestimmung, die der substantiellen Form vorausgeht und sich durch die Veränderung ungewandelt erhält. Sie sind als die Dreidimensionalität an sich, vor einem jeden Körper, zu begreifen.60 Kommen wir auf Thomas zurück. Wodurch wird die Form »Mensch« individuiert und zu »Sokrates« gemacht? Vor dem Hintergrund des Denkens des Thomas, wie wir es dargestellt haben, können wir zwei Antworten geben: 1) dadurch, dass man es mit einem Körper zu tun hat, also einer Materie, und diese die erforderlichen Dimensionen bzw. die erforderliche

59 Avicenna,

Sufficientia, in Opera philosophica, Octavius Scotus, Venetiis 1508 (fotomechanischer Nachdruck Minerva, Frankfurt am Main 1961), fol. 14rb. 60 Averroes, Sermo de substantia orbis, in Aristotelis opera cum Averrois commentariis, Bd. 9, fol. 3–4.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXXIII

Quantität besitzt, damit ein »Mensch« dabei herauskommt und nicht z. B. ein »Löwe«; oder 2): dadurch, dass man es genau mit den Dimensionen zu tun hat, die zu Sokrates gehören. Es scheint, dass Thomas in seinem Werk beide Positionen vertritt. Die Lehre der materia signata in De ente et essentia weist auf eine genaue Bestimmung der Materie hin. Im Kommentar zum vierten Buch der Sententiae und im Kommentar zu Boethius’ De trinitate vertritt er insbesondere die These der unbestimmten Dimensionen. Wenn nämlich die Individuation, bemerkt er, auf der gemäß bestimmten (»terminatae«) Dimensionen bezeichnete Materie beruhte, dann könnte man nicht begründen, dass ein Individuum sich in seiner Identität dasselbe erhält, auch wenn es im Laufe seines Lebens, vom Embryo bis zum Alten, unterschiedliche Dimensionen annimmt.61 Thomas nähert sich damit der These des Averroes in De substantia orbis (Thomas zitiert ausdrücklich diese Schrift62): Man kann nicht die Verschiedenheit der Formen und der Veränderungen erklären, die durch die Prozesse des Entstehens und Vergehens stattfinden, wenn man nicht annimmt, dass die Materie ursprünglich teilbar ist und demnach Dimensionen hat. Diese aber können nicht »bestimmte« Dimensionen sein, weil die bestimmten Dimensionen ihrerseits von der substantiellen Form abhängen. Sie müssen also unbestimmte Dimensionen sein – die Thomas als die Dimensionen versteht, wie sie gedacht werden, wenn man von Figur und Maß abstrahiert.63 Solche Dimensionen bilden den quantitativen Charakter, welcher der Materie anhaftet vor der substantiellen Form und es so einrichtet, dass die Form in mehrere Individuen derselben Spezies vervielfältigt wird.

61  Thomas

von Aquin, In Sententias, IV, d. 4 4, q. 1, a. 1, q. 1 ad 3. Super librum Boethii De trinitate, hrsg. v. B. Decker, Brill, Leiden, 1955, q. 4, a. 2, S. 143. Vgl. auch In Sententias, II, d. 3, q. 1, a. 4. 62  Thomas von Aquin, In Sententias, IV, d. 4 4, q. 1, a. 1, q. 1 ad 3. 63  Thomas von Aquin, Super librum Boethii De trinitate, q. 4 , a. 2 , S. 143.

XXXIV

Einleitung

Zusammengefasst: Thomas scheint im Laufe seiner Tätigkeit sowohl die These der bestimmten Dimensionen64 als auch die der unbestimmten Dimensionen, die von Averroes stammt, zu vertreten. Seine Kommentatoren haben diese Schwankungen in unterschiedlicher Weise interpretiert. Einige sprechen von einer Entwicklung in Thomas’ Denken von einer ursprünglichen Position, die von Avicenna beeinflusst war, zu einem Standpunkt, welcher sich Averroes’ Lehre annähert. Für andere Interpreten sind die verschiedenen Standpunkte miteinander vereinbar, insofern sie sich auf verschiedene Perspektiven beziehen. Andere unterstreichen schlechthin die Kohärenz der Lehre des Aquinaten.65 Im Folgenden wollen wir versuchen, die beiden Thesen der unbestimmten und der bestimmten Dimensionen der Materie miteinander in Einklang zu bringen. Es scheint klar, dass, wenn Thomas der »quantifizierten« Materie, also der Quantität, eine Rolle in der Individuation zuschreibt, ihm bewusst ist, dass man damit nicht einer Substanz ein Akzidens vorausgehen lässt, als ob die Substanz von einer akzidentellen Bestimmung abhinge. Man kann nicht eine »extendierte« Materie begreifen, bevor sie in der Wirklichkeit existiert, sondern die wirkliche Existenz kommt ihr durch die substantielle Form zu, die das Sein verleiht (mit diesem Punkt beschäftigt sich Thomas bereits in De ente et

64  Siehe

z. B. Thomas von Aquin, In Sententias, I, d. 23, q. 1, a. 1. Thomas spricht hier von »materia demonstrate determinatis accidentibus substante«, durch welche die Form individuiert wird in dem Fall eines Individuums wie »Sokrates«. 65  Vgl. G. M. Manser, »Das thomistische Individuationsprinzip«, Divus Thomas, 12, 1934, S. 221–227, S. 279–300. U. Degl’Innocenti, »Il pensiero di San Tommaso sul principio di individuazione«, Divus Thomas, 45, 1942, S. 35–81. J. R. Rosenberg, The Principle of Individuation: A Comparative Study of St. Thomas, Scotus, and Suárez, Catholic University of America Press, Washington D. C. 1950, S. 25–40. J.  Owens, »Thomas Aquinas: Dimensive Quantity as Individuating Principle«, Mediaeval Studies, 50, 1988, S. 279–310.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXXV

­essentia 66). Also ist es nicht möglich, dass es in der Materie akzidentelle Dispositionen gibt vor der substantiellen Form.67 Dies bedeutet, wie man in Anbetracht des oben angeführten Arguments des Averroes schließen kann, dass der Materie, wie sie an sich begriffen wird, nicht »bestimmte«, sondern »unbestimmte« Dimensionen zukommen. Die unbestimmten Dimensionen der Materie (interminatae) sind also lauter begriffene, potentielle Bestimmungen der Materie. Die Materie eines im Akt existierenden Seienden besitzt bestimmte Dimensionen (terminatae), die umgekehrt ein Akzidens der zusammengesetzten, im Akt bestehenden Substanz sind, und demnach vom Sein derselben abhängen. Wie aus der oben zitierten Stelle aus dem Kommentar zu Boethius’ De trinitate erhellt,68 stellt sich also die Frage nach einer Unterscheidung der beiden Kennzeichnungen der Materie insbesondere in Rücksicht auf das Beharren eines Seienden in seiner individuellen Identität über zeitliche Veränderungen. Die Materie, heißt es hier, wird zu dieser bezeichneten Materie dadurch, dass sie Dimensionen unterworfen ist. In Maß und Figur bestimmte Dimensionen würden sich aber mit der Zeit verändern, sodass auch das Individuum sich nicht als dasselbe in der Zeit erhalten würde. Sie müssen folglich ohne jene Bestimmung, d. h. in der Natur allein der »Dimension« betrachtet werden, und es ist durch diese unbestimmte Dimension, dass die Materie zu dieser bezeichneten Materie gemacht wird. Beide Interpretationen der Dimensionen der Materie können letzten Endes zusammen bestehen, je nachdem, ob man die Frage nach der Individuation bzw. der Bezeichnung der Materie unter der einen oder einer anderen Perspektive

66 

Thomas von Aquin, De ente et essentia, Kap. 4, S. 377. von Aquin, Summa theologiae, hrsg. v. P. Caramello, Marietti, Torino-Roma 1952 (1963), 4 Bde., Bd. 1, I, q. 76, a. 6, S. 366. 68  Thomas von Aquin, Super librum Boethii De trinitate, q. 4 , a. 2 , S. 143. 67 Thomas

XXXVI

Einleitung

betrachtet. In dieser Hinsicht ist der Schluss zu ziehen, dass das Individuationsprinzip bei Thomas im Grunde die Exis­ tenz als der Akt des Seins ist.69 Dies gilt für alle Seienden, also für Gott, für die Engel und für die aus Materie und Form zusammengesetzten Substanzen, bei denen das Sein im Akt mit der Existenz nach bestimmten Dimensionen einhergeht. Die Lehre des Thomas von Aquin zeigt, dass das Individuationsproblem viele wichtige Fragen aufwirft, insbesondere die schwierige Frage nach dem Verhältnis zwischen der Form (d. h. der Wesenheit oder der wesentlichen Identität) und der quantitativen, qualitativen, raumzeitlichen usw. Bestimmungen, die zu einem konkreten Individuum gehören. Der These, die bezeichnete Materie sei das Individuationsprinzip, steht die Notwendigkeit entgegen, das Fortdauern in der Zeit des Individuums mit seiner wesentlichen Identität zu verstehen, und dieses Fortdauern lässt sich seinerseits erst dadurch erklären, dass man die Grenzen identifiziert, bis zu welchen das Individuum sich verändern kann, ohne dass es seine Identität verliert. Dieser Punkt hat zu einer Debatte Anstoß gegeben, die noch heute lebendig ist, nämlich über die Weise, wie wir das Sein eines Individuums begreifen, und über die Erfordernisse seiner wesentlichen Identität. Um die Identität einer individuellen Substanz zu behaupten, genügt es z. B. nach H. Veatch, dass das Individuum in Bezug auf seine substantielle Form dasselbe bleibt hinsichtlich der »Dingart«, die es ist, und dass in Bezug auf seine Materie seine Existenz eine ununterbrochene raumzeitliche Kontinuität hat. Deswegen muss man sich mit der Rolle der Materie bei der Individuation beschäftigen, weil es die Materie ist, die als Potenz die Möglichkeit der Veränderung impliziert. Die Form bleibt immer eine und dieselbe! Wenn 69  Vgl.

J. Owens, »Thomas Aquinas: Dimensive Quantity as Individuating Principle«. Vgl. dazu J. F. Wippel, The Metaphysical Thought of Thomas Aquinas: From Finite Being to Uncreated Being, The Catholic University of America Press, Washington D. C. 2000, S. 351 ff.

Antworten auf die Individuationsfrage

XXXVII

die Individuation durch die substantielle Form stattfände, müsste man sich nicht einmal um das Beibehalten der individuellen Identität in der Zeit sorgen. Was passiert aber, wenn einem Individuum, etwa einem Menschen, ein Organ entfernt oder dieses ersetzt wird, beispielsweise bei einer Herztransplantation? Wichtig ist dieser These nach, dass auch bei einer solchen Veränderung in seinem Leib dem Individuum immer diejenigen Teile bleiben, die für ein Individuum in seiner substantiellen Form (»einen Menschen«) wesentlich sind. Dies ist ein Resultat von Thomas’ Essentialismus: Damit ein Mensch dasselbe Individuum bleibt, muss es vor allem ein »Mensch« bleiben! Ein Grenzfall (es ist bisher nur ein Gedankenexperiment) wäre es, wenn einem Menschen a das Gehirn eines anderen b, samt allen Erinnerungen und persönlichen, kulturellen, religiösen usw. Meinungen eingepflanzt würde. Auch in diesem Fall, behauptet Veatch, wäre das Individuum immer dasselbe, weil es jedenfalls ein menschliches Organ hätte, d. h. eines, das seiner substantiellen Form entsprechen würde. Eine solche These stellt sich insbesondere einem »mereologischen Essentialismus« entgegen, d. h. (grob zusammengefasst) der These, die Teile gehörten zu ihrem Ganzen in wesentlicher Weise, sodass der Verlust eines Teils bedeuten würde, dass das Ganze selbst zu einem anderen wird. Das ist historisch der Standpunkt von Chisholm. Es gebe demgemäß individuelle Merkmale oder »Teile«, die das Individuum erhalten müsse, wenn man sagen können wolle, dass es immer dasselbe Individuum bleibe.70 (Wie Chisholm insbesondere bemerkt, gehen wohl die ersten Spuren dieser Lehre bereits auf Abaelard und Leibniz zurück.)71 70 

H. B. Veatch, »Essentialism and the Problem of Individuation«, Proceedings of the American Catholic Philosophical Association, 47, 1974, S. 64–73. R. Chisholm, »Parts as Essential to Their Wholes«, Review of Metaphysics, 26, 1973, S. 581–603. Id., »Mereological Essentialism«, Review of Metaphysics, 28, 1975, S. 477–484. Id., Person and Object: A Metaphysical Study, Open Court, La Salle (Il.) 1976. 71  R. Chisholm, »Parts as Essential to Their Wholes«, S. 582.

XXXVIII

Einleitung

Auch Aegidius Romanus knüpft an die These der Individuation durch die bezeichnete Materie an (Scotus bezieht sich auf Aegidius, können wir annehmen, wenn er sich in der vierten quaestio mit der Lehre der Individuation durch die Quantität auseinandersetzt). Man hat traditionell Aegidius Romanus als einen Anhänger des Thomas von Aquin betrachtet (er war in der Tat Schüler des Thomas in Paris). Der Hinweis auf die bezeichnete Materie hinge demnach mit der Denkentwicklung seines »Lehrers« zusammen. Dies wäre jedoch ein voreiliger Schluss; in der jüngsten Debatte wird eher seine Eigenständigkeit und Originalität hervorgehoben.72 Aegidius Romanus spricht von der »bezeichneten Materie nach der Quantität« (»materia signata quantitate«) und hat somit einen sehr interessanten Quantitätsbegriff. Damit die Materie eine Form annimmt, bemerkt Aegidius, muss sie bereits eine gewisse Quantität bzw. gewisse Dimensionen besitzen.73 Der Besitz einer gewissen Quantität wird folglich zum beherrschenden Charakter dessen, dass ein Ding ein genaues Individuum ist, d. h. der Identität. Dies betrifft auch die Identität des Seienden bei den verschiedenen Veränderungen, denen es begegnen kann  – das ist der interessante Punkt dieser Lehre. Es scheint somit, dass nach Aegidius Romanus eine gewisse »unveränderliche« Quantität einem beliebigen Individuum zukommt, die kein bloßes Maß im Raum ist, sondern vielmehr im Hinblick auf den (modernen) Begriff der 72 

Vgl. S. Mercier, »Introduction«, in Aegidius Romanus, Théo­rèmes sur l’être et l’essence, hrsg. v. S. Mercier, Les Belles Lettres, Paris 2011, S. 3–108, S. 38. E. Hocedez, »Gilles de Rome et saint Thomas«, in Mélanges Mandonnet. Etudes d’histoire littéraire et doctrinale du ­Moyen-Âge, Vrin, Paris 1930, Bd. 1, S. 385–409. 73  Es scheint im Allgemeinen, dass für Aegidius Romanus unterschiedliche Substanzen dadurch verursacht werden, dass die Form in unterschiedlichen Potenzen der Materie aufgenommen wird. Vgl. Aegidius Romanus, Théorèmes sur l’être et l’essence, Theorema 16, S. 198 f.

Antworten auf die Individuationsfrage

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Masse verstanden werden sollte. Zu diesem Schluss gibt die Überlegung Anlass, dass Aegidius Romanus seinen Begriff der Quantität nicht ausgehend von der Frage der Vervielfältigung der Formen (wie es bei Averroes der Fall war) gewinnt, sondern in Rücksicht auf das eher physikalische Problem einer Erklärung des Fortdauerns derselben Quantität der Materie bei den Phänomenen der Verdünnung und der Konden­ sation eines Körpers.74 Dass Aegidius bei der Behandlung dieses Themas an den verschiedenen Stellen seines Werks zu schwanken scheint, deutet aber darauf hin, dass er sich mit dem Begriff des Fortdauerns der Materie nie eigentlich weitergehend beschäftigt hat und dass auch bei ihm der »metaphysische« Ansatz schließlich überwiegt.

2.6 Gottfried von Fontaines. Heinrich von Gent Unter den Autoren, mit denen sich Scotus (in kritischer Weise) auseinandersetzt, sind Gottfried von Fontaines (Godefridus de Fontibus) und Heinrich von Gent besonders erwähnenswert. Gottfried ist nach den Herausgebern der Vatikan-Ausgabe einer der Autoren, denen Scotus die These der Individuation durch die Quantität oder durch die Materie zuschreibt (in den quaestiones 4 und 5). Die These des Gottfried von Fontaines lässt sich aber nicht so einfach mit Scotus’ Interpretation derselben in Einklang bringen. Denn Gottfried zieht zwar die Möglichkeit in Betracht, dass die Quantität das 74  Siehe

u. a. Aegidius Romanus, Quodlibeta, Lovanii 1646 (fotomechanischer Nachdruck Minerva, Frankfurt am Main 1966), IV, q. 1, S. 197–199. Vgl. S. Donati, »La dottrina delle dimensioni indeterminate in Egidio Romano«, S. 173 ff. Vgl. dazu A. Maier, »Das Problem der quantitas materiae«, in Die Vorläufer Galileis im 14. Jahrhundert. Studien zur Naturphilosophie der Spätscholastik, Edizioni di Storia e Letteratura, Roma 1949, S. 26–52.

XL

Einleitung

Individuationsprinzip sei – eine Form (besser: eine »substantielle« Form) gewinne demnach eine »numerische Einheit« nur dadurch, dass sie in einer Materie aufgenommen wird, die eine gewisse Quantität besitzt. Er unterstreicht jedoch, dass die Quantität, um das Individuationsprinzip bilden zu können, einer der vier Ursachenarten entsprechen muss, und es ist nicht klar, auf welche sie zurückzuführen sei. Welche Schwierigkeiten mit der Lehre von der Individuation durch Quantität verbunden sind, tritt besonders hinsichtlich der nicht materiellen, individuellen Substanzen zutage. Denn diesen Substanzen kann man die Individuation durch die quantifizierte Materie sicherlich nicht zuschreiben, sondern es ist scheinbar die substantielle Form, welche die individuelle Identität bestimmt. Ähnlich liegt der Fall daher bei den materiellen Substanzen. Daraus ergibt sich, dass das Individuationsprinzip einer Substanz mit der Form übereinstimmt, wodurch die Substanz das ist, was sie ist, und ins­ besondere ihre eigentümliche Einheit besitzt.75 Manche Betrachtungen des Gottfried von Fontaines legen eine Interpretation nahe wie diejenige, zu der Scotus gelangt. Gottfried bemerkt beispielsweise, dass die Materie irgendwie ein Prinzip der Individuation bildet, und zwar in dem Sinne, dass sie die Potenz ist, die substantielle Form aufzunehmen – die Materie ist somit das Substrat der substantiellen Form. Das Individuationsprinzip, fügt er hinzu, ist zwar an sich die Form, doch spielt auch die Quantität dabei eine Rolle, insofern sie das Prinzip der numerischen Einheit, d. h. der materiellen Teilung in Individuen desselben Typs bildet. Ohne die Quantität wäre die Materie nicht teilbar; sie könnte demnach nicht die Vielfalt der verschiedenen substantiellen Formen beherbergen und dadurch die Vielfalt der Individuen entste75  Gottfried

von Fontaines, Quodlibeta, VII, q. 5, in Les Quodlibets Cinq, Six, et Sept de Godefroid de Fontaines, hrsg. v. M. De Wulf / J. Hoffmans, Les Philosophes Belges, Bd. 3, Institut Supérieur de Philosophie de l’Université, Louvain 1914, S. 323.

Antworten auf die Individuationsfrage

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hen lassen.76 Die teilbare Materie ist aber die Materie, die Dimensionen hat. Das Dimensionen-Haben ist somit die Bedingung für das Aufnehmen der verschiedenen substan­ tiellen Formen und gehört daher auch zu den Bedingungen der Individuation.77 Solange man die Materie an sich be­trachtet, bezieht man sich auf »unbestimmte« Dimensio­nen, während die Materie dieses-Individuums-da »be­stimmte« Dimensionen besitzt. Es ist zuletzt bemerkenswert, dass auch Gottfried  – wie Scotus – die Vorstellung zurückweist, dass unser Intellekt die Individualität erfassen kann. Denn wir erfassen nur die »spezifische Form«, z. B. »Mensch«, und nicht die einzelnen, mannigfaltigen Formen der verschiedenen Individuen, die unter dieselbe Spezies fallen.78 Heinrich von Gent vertritt Scotus’ Interpretation gemäß die These, die Individuation sei auf eine doppelte Negation zurückzuführen (quaestio 2). Die Ursache nämlich der Individuation der erschaffenen Formen ist nach Heinrich die Negation, wodurch die Form in einem Subjekt unteilbar, also individuell gemacht wird, insofern sie ihrer Teilbarkeit beraubt wird, und wodurch die Form eines Subjekts von der eines anderen unterschieden wird. Es handelt sich somit um eine doppelte Negation, d. h. um die Negation der Möglichkeit der Vervielfältigung und der Unterscheidung (diese Seite betrifft die innere Beschaffenheit des Subjekts) und um die Negation der Möglichkeit der Übereinstimmung mit einem anderen Subjekt (diese Seite betrifft das äußere Verhältnis unter den Subjekten).79

76  Ebd.,

S. 324 f. und 328 f. Gottfried stützt sich für diese These auf Averroes, Sermo de substantia orbis, fol. 3k–4a. 77  Ebd., S. 327 und 335. 78  Ebd., S. 332. 79 Heinrich von Gent, Quodlibeta, hrsg. v. I. Badius Ascensius, Paris 1518 (fotomechanischer Nachdruck Bibliothèque S. J., Leuven 1961, 2 Bde.), Bd. 1, V, q. 8, fol. 166rM.

XLII

Einleitung

Für die Beurteilung der Individuationslehre des Heinrich von Gent ist wichtig, Folgendes zu berücksichtigen. Heinrich ist 1277, d. h. zur Zeit der berühmten Verurteilung einer Reihe von verdächtigen bzw. abweichenden theologischen Thesen, in Paris tätig. Er nimmt an der Kommission teil, die der Bischof von Paris aus diesem Anlass einberuft. Einige dieser Thesen behaupten, ausgehend von einer bestimmten Interpretation der aristotelischen Lehre, dass die Materie bei der Individuation, d. h. bei der Vervielfältigung von Individuen derselben Art – und dies betrifft auch die Engel – eine Rolle spiele. Dies erinnert an die Lehre des sogenannten »lateinischen Averroismus« (Boethius von Dacien und Siger von Brabant), nach welcher jede abgetrennte Substanz ein einziges Individuum ihrer Spezies, sogar eine eigene Spezies ist. Ein weiteres Beispiel ist die hylemorphische Lehre (von Ibn Gebirols Fons vitae inspiriert), bei der von einer »geistigen« Materie die Rede ist, die auch über die Individualität von geistigen Substanzen Rechenschaft gibt. Heinrich selbst behauptet, Prinzip der Bestimmung der Form und somit Ursache der Individuation sei das gegenwärtige Bestehen eines bestimmten, begrenzten Suppositums.80 Zwei Individuen unterscheiden sich dadurch, dass sie zwei bestehende Seiende sind und dass das Bestehen des einen nicht das des anderen ist.81 Das Bestehen richtet es von selbst so ein, dass die Wesenheit (»Mensch« oder »Engel«) sich in unterschiedlicher Weise in den unterschiedlichen Individuen befindet.82 Nun fragen wir uns, was auf der formalen Ebene das Suppositum zu den Geschöpfen hinzufügt, damit sie verschiedene Individuen von derselben Spezies sind (das ist der Punkt, auf den sich Scotus bezieht). Es kann nichts

80  Ebd.,

fol. 165vM–166rM. von Gent, Quodlibeta, II, q. 8, in Opera omnia, hrsg. v. R. Macken u. a., Leuven University Press, Leuven-E. J. Brill, Leiden, 1978 ff., Bd. 6, hrsg. v. R. Wielockx, S. 50. 82  Ebd., S. 51. 81  Heinrich

Antworten auf die Individuationsfrage

XLIII

Positives sein, wie etwa ein positives Prinzip der Individuation, denn sonst müssten wir uns fragen, wie es seinerseits individuiert wird, und wir würden damit ins Unendliche fortgehen. Es handelt sich hingegen um eine Negation, welche die Form als Gegenstand der schöpferischen Tätigkeit Gottes betrifft und wodurch, wie oben bemerkt, die Form an sich ungeteilt und von den anderen Seienden getrennt gemacht wird – denn man muss gerade diesen Punkt erklären, d. h. weshalb ein individuelles Suppositum ungeteilt und von anderem getrennt ist.83 In seinen Betrachtungen über das gegenwärtige Bestehen eines Suppositums versteckt sich bei Heinrich ein Verweis auf Avicennas Begriff der Wesenheit als Washeit des Dings. Einerseits garantiert die Wesenheit die ontologische Festigkeit des Dings, insofern sie eine certitudo besitzt, die sie zu etwas ontologisch Selbstreferentiellem macht. Die certitudo nämlich drückt den objektiven Inhalt aus, dank dessen ein gewisses Ding das ist, was es ist, und sich daher von anderem unterscheidet.84 Andererseits ist die Wesenheit als solche indifferent gegenüber der gegenwärtigen Existenz. Dass sie individuell ist, hängt davon ab, dass ihr die gegenwärtige Existenz in einem gewissen individuellen Suppositum durch anderes zukommt. Heinrich von Gent und Aegidius Romanus vertreten zwei unterschiedliche Standpunkte sowohl im metaphysischen als auch (daher) im theologischen Zusammenhang. Sie diskutieren (genauer gesagt: streiten) miteinander, vornehmlich 83  Heinrich

von Gent, Quodlibeta (hrsg. v. I. Badius Ascensius), Bd. 1, V, q. 8, fol. 166rM. 84 Ebd., III, q. 9, fol. 60vO. Vgl. P. Porro, »Possibilità ed Esse essentiae in Enrico di Gand«, in W. Vanhamel (Hg.), Henry of Ghent. Proceedings of the international Colloquium on the occasion of the 700th Anniversary of His Death (1293), Leuven University Press, Leuven 1996, S. 211–254, S. 212. C. König-Pralong, »Introduction«, in Être, essence et contingence. Henri de Gand, Gilles de Rome, Godefroid de Fontaines, hrsg. v. C. KönigPralong, Les Belles Lettres, Paris 2006, S. 7–98, S. 64 ff.

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Einleitung

über die angemessene Weise, die »Teilnahme« hinsichtlich des Verhältnisses des Seins und der Wesenheit in den erschaffenen Substanzen zu begreifen. Es geht insbesondere darum, wie das Verhältnis der letzteren zum Schöpfer zu verstehen sei, samt allen theologischen Implikationen. Die Lösung des Aegidius Romanus zur Individuationsfrage  – Aegidius behauptet die Rolle der quantitativ bestimmten Materie  – hängt mit der Weise zusammen, wie er auch die Teilnahme interpretiert. Er meint, das »participare« (»teilnehmen«) sei ein »partem capere«, es heiße also »nur einen Teil zu haben«. Anders gesagt, das Teilnehmende kann dasjenige, an dem es teilnimmt, nicht völlig besitzen, sondern es hat nur einen »Teil« davon. Dies betrifft vornehmlich das Verhältnis des Seins und der Wesenheit, also das Thema, auf das Aegidius mit diesen Betrachtungen eingehen will.85 Das Sein, das den Geschöpfen durch »Teilnahme« zukommt, ist folglich ein begrenztes Sein, während das Sein, das per se besteht, rein und unendlich ist. Das Beispiel, mit dem Aegidius diese These einführt, bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Form und Materie. Die Materie nämlich nimmt an der Perfektion der Form teil, ihr kommt aber nicht die Form in ihrer Gänze oder in ihrer Allgemeinheit zu, sondern in einer besonderen, »kontrahierten« Weise. (Dieses Wort ist bemerkenswert, denn die Idee einer Kontraktion der Form deutet auf Scotus hin, bei dem der Begriff »Kontraktion« in Bezug auf die Form mehrmals vorkommt. Diese Terminologie wird auch Cusanus hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Gott und der Welt aufgreifen.86) Die »Philosophen« behaupten folglich, jede Form könne in der Materie aufgenommen werden, insofern sie an sich vervielfältigt sein

85  Aegidius

Romanus, Théorèmes sur l’être et l’essence, Theorema 1, S. 112 ff. 86  Nikolaus von Kues, De docta ignorantia, Buch 2, Kap. 4, hrsg. v. P. Wilpert / H. G. Senger, Meiner, Hamburg 1964–1977 (1994–1999), 3 Bde., Bd. 2, S. 30–36.

Antworten auf die Individuationsfrage

XLV

kann.87 Der Verweis auf die Theorie der Individuation ist an diesem Punkt offensichtlich. Heinrich von Gent fasst diese Position (und die Lehre thomistischen Ursprungs, die in derselben auftaucht 88) zusammen, indem er schließt, dass man auf diese Weise die Wesenheit als ein Substrat betrachtet und das Sein (der »teilnehmenden« Geschöpfe) als etwas, das in der Wesenheit aufgenommen wird, somit als eine forma essendi, anhand derer man sagen kann, dass die Wesenheit existiert. Man behauptet somit einen realen Unterschied zwischen Wesenheit und Sein, denn Wesenheit und Sein sind in dieser Hinsicht zwei unterschiedene Dinge – zwei res. Wer eine solche These vertritt, behauptet also, die Geschöpfe seien im Verhältnis zum Schöpfer wie die Luft im Verhältnis zur Sonne, die sie erleuchtet. Die Sonne ist naturgemäß hell, während die Luft dunkel ist und am Licht erst dadurch teilhat, dass die Sonne sie erleuchtet. In ähnlicher Weise kommt das Sein den Geschöpfen, die an sich nicht sind, nur von Gott zu, der im Gegensatz zu ihnen aus seiner Natur existiert.89 Eine solche Lehre führt aber dazu, dass man die (nur) mögliche Wesenheit verabsolutiert, indem man dieser eine ontologische Beständigkeit verleiht, die nach Heinrich mit der Idee der Schöpfung unverträglich ist.90 (Darüber hinaus 87  Aegidius

Romanus, Théorèmes sur l’être et l’essence, Theorema 1, S. 113. Mit »Philosophen« ist hier Aristoteles gemeint, Über den Himmel, I, 9, 278 a 11 ff. 88 Wir sagen »thomistischen Ursprungs«, denn zwar befinden sich in Thomas Thesen, die einer solchen Position wie derjenigen des Aegidius Romanus zugrunde liegen können, dass aber Thomas selbst den realen Unterschied von Wesenheit und Sein vertritt, ist eine umstrittene Frage. Vgl. S. Mercier, »Introduction«, in Aegidius Romanus, Théorèmes sur l’être et l’essence, S. 76 ff. 89  Heinrich von Gent, Quodlibeta, I, q. 9, in Opera omnia, Bd. 5, hrsg. v. R. Macken, S. 48. Der Autor, auf den Heinrich sich bezieht, ist Thomas, Summa theologiae, I, q. 104, a. 1 in corp., Bd. 1, S. 492 f. 90  Vgl. J. Paulus, »Les disputes d’Henri de Gand et de Gilles de Rome sur la distinction de l’essence et de l’existence«, Archives d’his­

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Einleitung

stellt diese Lehre die Einheit des Geschöpfes in Frage, weil sie eine Trennung zwischen Wesenheit und Sein vertritt.91) Heinrich schlägt dagegen vor, die Teilnahme in einer anderen Weise zu verstehen, um den »realen Unterschied« zwischen Sein und Wesenheit zu vermeiden. Es geht darum, dass man die Wesenheit nicht als ein Substrat (zu dem das Sein äußerlich hinzukommen würde) begreift, sondern als etwas Abstraktes, das an sich gegenüber dem Sein und dem NichtSein indifferent ist. Die Wesenheit ist somit an sich ein NichtSein, sie besitzt jedoch eine formale Idee in Gott und wird zu einem Seienden im Akt, indem Gott sie gemäß der formalen Idee, die er in sich hat, verwirklicht. Das Geschöpf (also die erschaffene bzw. verwirklichte Wesenheit) nimmt am Sein Teil, insofern es eine Ähnlichkeit mit Gott hat (die darauf basiert, dass das Erschaffene eine »Wirkung« Gottes ist). Aber diese Ähnlichkeit bzw. diese Teilnahme ist nicht etwas, das von der Wesenheit des Geschöpfes real (»re«) unterschieden und getrennt ist.92 Der Unterschied zwischen der Wesenheit und seinem Sein ist in dieser Hinsicht vielmehr der­ jenige zwischen zwei unterschiedlichen Mentalinhalten.93

2.7 Ockham. Buridan Die »nominalistische« Position, die das substantielle Bestehen der Allgemeinbegriffe verneint, führt zu einer besonderen Stellung zur Individuationsfrage oder, zugespitzt formutoire doctrinale et littéraire du Moyen-Âge, 15–17, 1940–1942, S. 323– 358. 91  Vgl. R. Macken, »Les diverses applications de la distinction intentionnelle chez Henri de Gand«, in J. Beckmann / L. Honnefelder (Hg.), Sprache und Erkenntnis im Mittelalter, De Gruyter, Berlin 1981, S. 769–776, S. 769. 92  Heinrich von Gent, Quodlibeta, I, q. 9, in Opera omnia, Bd. 5, S. 48 f. 93  Ebd., S. 56.

Antworten auf die Individuationsfrage

XLVII

liert, sie führt zu einer Negierung der Individuationsfrage von Beginn an. Denn diese Frage käme überhaupt nicht auf, insofern für einen Nominalisten alles, was existiert, als solches individuell ist. Es wäre nicht ganz korrekt, Ockhams Denken als »nominalistisch« im Sinne des Nominalismus des 12. Jahrhunderts zu definieren. (Bei Ockham fehlt insbesondere die Idee der nur konventionellen Valenz eines Wortes: Für ihn sind Worte bzw. Begriffe zuerst natürliche Zeichen der Dinge !94). In der Tat aber entwickelt Ockham die zentralen Punkte des mittelalterlichen Nominalismus in der genauesten und umfassendsten Weise. Seine Position insbesondere zur Individuationsfrage ist sehr klar: Jedes Einzelding ist ein solches von sich aus, da die Individualität ihm unmittelbar zukommt, und zwar in dem Sinne, dass man nichts braucht als ein Medium zwischen der allgemeinen Natur und dem individuellen Ding.95 Das Problem ist vielmehr umgekehrt, dass man erklären muss, wie das Universale entsteht (»quomodo possibile est aliquid esse universale«), ausgehend von einer Welt von Dingen, die an und für sich singulär sind.96 Ockhams (semantische!) Lösung zur Universalienfrage lautet bekanntlich: Die Allgemeinheit der Begriffe besteht nur in der Funktion, wie sie etwas bedeuten. Ockham versteht diese »Funktion« als eine »suppositio«, d. i. als ein »Für-ein-anderes-Stehen« (ins-

94  W.

Ockham, Summa logicae, I, Kap. 14, in Opera philosophica et theologica ad fidem codicum manuscriptorum edita. Opera philosophica, hrsg. v. G. Gál u. a., St. Bonaventure, The Franciscan Institute, New York 1974 ff., Bd. 1, hrsg. v. P. Boehner / G. Gál / S. Brown, S. 48. Vgl. A.  Ghisalberti, Guglielmo di Ockham, Vita e pensiero, Milano 1972, S. 89 f. 95  W. Ockham, Ordinatio, I, d. 2 , q. 6 , in Scriptum in librum primum Sententiarum. Ordinatio (Dist. 2 et 3), in Opera philosophica et theologica ad fidem codicum manuscriptorum edita. Opera theologica, hrsg. v. G. Gál u. a., St. Bonaventure, The Franciscan Institute, New York 1967 ff., Bd. 2, hrsg. v. S. Brown / G. Gál, S. 196. 96  W. Ockham, Ordinatio, I, d. 2 , q. 6, S. 197.

XLVIII

Einleitung

besondere »für dasjenige, was bedeutet wird«).97 Die Begriffe sind dementsprechend ein Akt des Intellekts, und sie sind, wie alles, was ist, auch individuell. Die Allgemeinheit kommt den Begriffen erst durch die Funktion zu, in der sie Zeichen von etwas sind, auf das man sich mittels ihrer bezieht.98 Das Problem der Universalien verliert somit alle metaphysische Valenz. Ockham behauptet die radikale Unterschiedlichkeit und Inkommunizierbarkeit der Einzeldinge. Die Individuen sind primär unterschieden (primo diversa), insofern nichts in zwei Individuen eins und dasselbe ist (unum atque idem), sondern alles, was in dem einen ist, ist nicht in dem anderen.99 Daraus folgt, dass zwei Individuen real unterschieden sind, d. h. dass zwischen beiden nicht ein Vernunft-, sondern ein realer Unterschied besteht. Mit Hilfe der Vernunft unterscheiden wir Begriffe (Begriffe im Ockham’schen Sinne), nicht Dinge. Dass also das Wirkliche auch real unterschieden ist, gilt auch für die »Teile« von etwas, insofern sie wirklich sind. Wir können zwar einem Ding eine Unterscheidung zuschreiben hinsichtlich der Namen oder der Begriffe, mit denen wir uns auf es beziehen, dies aber ist nur eine Vernunftunterscheidung und berührt nicht das reale Bestehen des Dings, das an und für sich eines und individuell bleibt.100 Eine erste Folge dieses Ansatzes ist die (im gnoseologischen Rahmen zu verstehende) Behauptung, dass eine jede Erkenntnis von dem direkten, intuitiven Erfassen des Individuellen ausgeht.101 Scotus kennt bereits (und kritisiert) Positionen, die Ockhams These, jedes Ding sei von selbst singulär, vorwegneh 97  W.

Ockham, Summa logicae, I, Kap. 1 u. 63, S. 9 u. 193–195. In einem anderen Kontext schlägt bereits Abaelard in revolutionärer Weise vor, die Universalienfrage anhand eines semantischen Ansatzes zu lösen.  98  W. Ockham, Summa logicae, I, 14, S. 48–49.  99  W. Ockham, Ordinatio, I, d. 2 , q. 6, S. 212. 100 Ebd., d. 2 , q. 3, S. 75–77. 101 Ebd., d. 3, q. 6, S. 492–496.

Antworten auf die Individuationsfrage

XLIX

men, z. B. bei Roger Marston oder Petrus de Falco.102 Ockhams Lehre jedoch treibt diese Positionen nicht nur bis zu einer extremen Reinheit bzw. Kohärenz weiter, sondern sie erhebt insbesondere den nominalistischen Ansatz gegenüber der Individuationsfrage zur Basisstruktur einer außerordentlich innovativen logisch-metaphysischen Konstruktion. Ockham eröffnet somit die sogenannte via modernorum, die auch Buridan, einer der »Erben« Ockhams, beschreitet, wie u. a. aus seiner Antwort auf die Individuationsfrage erhellt. Die Individuation (d. i. ob »an den Substanzen die Spezies durch einen substantiellen oder einen akzidentellen Unterschied zur Individualität kontrahiert wird«) ist nämlich für Buridan eine an sich konfuse Frage, denn »individuell« und »allgemein« gelten für ihn lediglich als zwei alternative Weisen, durch die man sich auf dasselbe bezieht. Wie die metaphysischen Fragen der Tradition hat für Buridan demnach auch die Individuationsfrage nur eine semantische Valenz. Selbst das Problem einer »Kontraktion« als des metaphysischen Vorgangs, der von der Spezies zum Individuum führen sollte – eine Frage, die bei Scotus mehrfach auftritt  –, scheint für Buridan keinen anderen Sinn zu ergeben als die Einschränkung der Bedeutung eines Terms, der sich auf die Spezies bezieht (Mensch), zu einem singulären Term (Sokrates).103 Eine solche Position vertritt die These, dass alles, was exis­ tiert, an und für sich individuell bzw. singulär ist.104 Kein Prinzip gibt über die Individualität der Einzeldinge Rechenschaft, denn letzten Endes gibt es dabei nichts zu erklären. Die Individualität ist nicht nur ein positiver Begriff, sondern 102 

Vgl. A. A. Maurer, »William of Ockham«, in J. J. E. Gracia (Hg.), Individuation in Scholasticism, S. 373–396, S. 374. 103 Johannes Buridan, In Metaphysicam Aristotelis quaestiones, hrsg. v. I. Badius Ascensius, Paris 1588 (fotomechanischer Nachdruck Minerva, Frankfurt am Main 1964), VII, q. 17, fol. 52va. 104  Johannes Buridan, Subtilissimae quaestiones super octo Physicorum libros Aristotelis, Dionisius Roce, Paris 1509 (fotomechanischer Nachdruck Minerva, Frankfurt am Main 1964), I, q. 7, fol. 8–9.

Einleitung

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sie bildet sogar einen Basisaspekt der Wirklichkeit. Alle weiteren Fragen zu diesem Problem spielen sich auf dem Feld der Semantik ab. Buridans Standpunkt gegenüber der Frage nach der Beschaffenheit bzw. der Natur von Individuen ist übrigens ein Reflex seiner grundlegenden Absicht, die Ebene der Kategorien (also der Prädikamente, somit der »Aussage«) von der ontologischen Beschaffenheit des Wirklichen, also Kategorienlehre und Ontologie, zu trennen – im Unterschied zum traditionellen Ansatz der mittelalterlichen Metaphysik.105 Ähnliche Positionen werden auch in der gegenwärtigen Debatte vertreten. Wenn z. B. D. Long behauptet106 (gegen B. Russell und G. Stout, im allgemeinen gegen die »Bundle Theory«, nach welcher, wie oben bemerkt, die individuellen Dinge bloß »Haufen« von Qualitäten sind), dass eine beobachtete Qualität immer die »Qualität von etwas« ist – es exis­ tiere demgemäß nicht die Instantiierung einer »nackten«, d. h. »nicht besessenen« Qualität, sondern immer nur quali­ fizierte Partikulare  –, greift er im Rahmen der sprachanalytischen Debatte über Themen aus der Tradition des englischen Empirismus (dazu gehört auch die Bundle Theory) eine Position auf, die ihrerseits an den Nominalismus der Ockham’schen Schule erinnert. Denn er geht nicht von der Idee einer gemeinsamen Wesenheit (oder einer abstrakten, »nicht besessenen« Qualität) aus, die dann mittels etwas anderem die »Qualität von« einem gewissen Ding werden soll, sondern vertritt, dass alles, was existiert, an und für sich ein Partikulares ist.

105 

Dies ist ein sehr wichtiges Thema, das eine Sonderanalyse verdienen würde. Vgl. dazu P. O. King, »Jean Buridan«, in J. J. E. Gracia (Hg.), Individuation in Scholasticism, S. 397–430, S. 412 f. 106  D. Long, »Particulars and their qualities«, Philosophical Quarterly, 72, 1968, S. 193–206.

Antworten auf die Individuationsfrage

LI

2.8 Suárez. Leibniz Über die Individuationsfrage wird auch in der Neuzeit debattiert. Davon zeugen u. a. der Spätrenaissance-Denker Francisco Suárez und Gottfried Wilhelm Leibniz. In seinem gewaltigen Werk Disputationes metaphysicae widmet Suárez dem Individuationsproblem eine ganze disputatio, die fünfte, so wichtig scheint ihm das Thema gewesen zu sein. Im Unterschied zu vielen seiner Vorgänger, Thomas und Scotus eingeschlossen, setzt Suárez bei einer Unter­suchung des Begriffs »Individuum« an  – denn in methodologischer Hinsicht muss man zuerst den Gegenstand bestimmen, wenn man dessen Bedingungen analysieren will. Es ist übrigens zu bemerken, dass sich fast alle Autoren der mittelalterlichen Tradition mit der Individuation nicht in einer besonderen Abhandlung beschäftigen, sondern nur gelegentlich an verschiedenen Stellen ihres Werks. Dies ist auch bei einem so systematischen Autor wie Thomas der Fall. Suárez dagegen geht auf diese Frage in umfassender Weise ein. Suárez bezieht sich auf die Individualität über den Terminus »individuelle Einheit«, der bereits in seiner vierten Disputation vorkommt. Der Begriff der individuellen Einheit ist die Basis der Untersuchung der Individuation, die Suárez in der fünften Disputation entwickelt. Das Individuum ist wesentlich eine Einheit, und es ist nicht-kommunizierbar, insofern seine ganze Natur nicht mehreren ähnlichen Dingen mitgeteilt werden kann, d. h. nicht in mehrere gleiche Dinge wie es geteilt werden kann107 – im Unterschied zu einem Allgemeinen.108 Suárez bemerkt, dass die ratio der individuellen 107  F.

Suárez, Disputationes metaphysicae, in Opera omnia, hrsg. v. D. M. André / C. Berton, Vivès, Paris 1856–1878, Bde. 25–26 (foto­ mechanischer Nachdruck Olms, Hildesheim 1965), V, Abschnitt 1, 3. 108  Auf die Nicht-Kommunizierbarkeit weist bereits Boethius hin, In librum Aristotelis De Interpretatione Libri duo, in Patrologia Latina, Bd. 64, col. 293–640, col. 462–464. Boethius allerdings macht davon keinen systematischen Gebrauch in Bezug auf die Individuations-

LII

Einleitung

Einheit in der Entität bestehe, die ihrer Natur nach eine, ungeteilt und nicht-kommunizierbar sei109 – »Entität« ist der Zentralbegriff, um den sich Suárez’ Lösung der Individua­ tionsfrage dreht. Diese Eigenschaft kommt jedem Existierenden zu, also allen Dingen, die Seiende im Akt sind.110 Das ist ein wichtiger Punkt: Hier kommt der ontologische Horizont von Suárez’ Metaphysik ans Licht, innerhalb dessen Suárez die Frage nach der Individualität betrachtet.111 Es gilt übrigens traditionell, dass ens und unum übereinstimmen (»convertuntur«). Alles, was ist, ist eines, und umgekehrt. Darüber hinaus weist Suárez die These zurück, dass es im Individuum nicht nur die individuelle Einheit gibt, sondern auch die Einheit der gemeinsamen Natur, bzw. er stimmt ihr zu, insofern damit behauptet wird, die zwei Einheiten seien in Wirklichkeit eine einzige und ihre Unterscheidung sei nur begrifflich.112 Suárez nimmt somit gegen die scotische Interpretation der gemeinsamen Natur Stellung. Ein weiterer Punkt, der in Bezug auf die Lehre des Duns Scotus von Interesse ist, ist die Frage, ob das Individuum zur gemeinsamen oder zur spezifischen Natur etwas hinzufügt. Suárez zieht drei Positionen in Betracht: Erstens die These, das Individuum füge zur gemeinsamen Natur einen realen Modus hinzu; diese Meinung geht nach Suárez von der platonischen Unterscheidung zwischen der Ebene des Allgemeinen und derjenigen der Individuen aus; um diesen Abstand frage, und dieses Fachwort wird nicht besonders angewandt bis zum 13. Jahrhundert. 109  F. Suárez, Disputationes metaphysicae, V, Abschnitt 1, 3. 110  Ebd., 4. 111  In Suárez’ Ansatz zur Individuationsfrage sieht Gracia einen gewissen und unerwarteten ockhamschen Einfluss. J. J. E. Gracia, »Francis Suárez«, in id. (Hg.), Individuation in Scholasticism, S. 475– 510, insbesondere S. 492. 112  F. Suárez, Disputationes metaphysicae, V, Abschnitt 2, 10. Vgl. J. J. E. Gracia, »Francis Suárez«, S. 487.

Antworten auf die Individuationsfrage

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zwischen beiden Ebenen zu erklären, muss man annehmen, dass das Individuum etwas zum Allgemeinen hinzufügt.113 Diese Ansicht schreibt Suárez Duns Scotus zu. Die haecceitas wäre in dieser Hinsicht etwas Formales, das beim Individuum zur gemeinsamen Natur hinzukommt und die Individualität desselben verursacht. (Wir vernachlässigen hier die Frage, ob dies eine getreue Rekonstruktion von Scotus’ Lehre ist oder nicht.) Zweitens beschäftigt er sich mit der These, das Individuum füge zur gemeinsamen Natur nichts Reales hinzu, weil jedes Ding von selbst individuell sei. Dies wird aus zwei Gründen behauptet: 1) weil die Singularität eine Einheit und alle reale Einheit individuell ist; 2) weil alles Reales, was der Intellekt fasst, von selbst singulär ist, d. h. weil nichts Reales zum Ding hinzugefügt werden muss, damit dieses singulär ist.114 Diese These würden sowohl Ockham wie Heinrich von Gent vertreten. Suárez versteht also gut, dass diese zwei Positionen in gewisser Hinsicht ähnlich sind – was selbstverständlich die Unterschiede zwischen beiden, insbesondere was ihre Implikationen betrifft, nicht verkennt. Drittens unterscheiden manche Autoren die nicht-materiellen von den materiellen Substanzen. Bei den Individuen, die nicht-materielle Substanzen sind, kommt nichts zur Natur bzw. zur Spezies hinzu, bei den materiellen Substanzen hingegen kommt die »bezeichnete« Materie zur Natur hinzu, d. i. die Materie, insofern diese in Rücksicht auf ihre Quantität betrachtet wird. Eine solche These könne durch Hinweis auf Stellen aus Aristoteles und Thomas gestützt werden.115 Suárez entwickelt seine Antwort auf die Individuationsfrage, indem er sich mit den angeführten drei Thesen in kritischer Weise auseinandersetzt. Das Individuum fügt nach Suárez etwas Reales zur gemeinsamen Natur hinzu. Es handelt sich insbesondere um etwas, dank dessen das Indi113 

F. Suárez, Disputationes metaphysicae, V, Abschnitt 2, 2. Ebd., 5. 115  Ebd., 6. 114 

Einleitung

LIV

viduum unteilbar ist  – Suárez geht dabei mit Scotus konform116 –: die individuelle Einheit.117 Diese ist nicht ex natura rei von der spezifischen Natur unterschieden.118 Sonst hätten wir im Individuum eine Zusammensetzung aus zwei Dingen (res); aber die Natur (das Mensch-Sein) ist kein »Ding«, d. h. sie ist nicht real außerhalb des Individuums. Real ist nur das Individuum  – denn alles, was ist, ist, wie oben gesagt, von selbst individuell (auch hier zeigt sich der Einfluss der Ockham’schen Lehre auf Suárez119). Das Individuum fügt daher etwas hinzu, das von der gemeinsamen Natur nur begrifflich unterschieden ist. Dieses Etwas bildet das Individuum, indem es als ein individueller Unterschied wirkt, der die Spezies kontrahiert und somit zum Individuum führt.120 Die individuelle Einheit ist ein reales Ding, sie ist z. B. Sokrates, aber Sokrates ist auch seine Menschheit (sein MenschSein), ohne dass man die zwei Aspekte real unterscheiden kann. Man kann es nur im Begriff. Diese Lehre lässt sich nach Suárez nicht nur auf die materiellen Substanzen anwenden, sondern auch auf die nicht-materiellen, denn auch bei diesen, insofern sie Individuen sind, kommt zur gemein­ samen Natur etwas nur begrifflich Unterschiedenes hinzu.121 Suárez vertritt also die Meinung, das Individuationsprinzip sei die Entität selbst des Seienden, d. h. die »Wesenheit, 116 

F. Suárez, Disputationes metaphysicae, V, Abschnitt 2, 8.

117 Ebd. 118 

Ebd., 9. Vgl. J. J. E. Gracia, »Francis Suárez«, S. 492. 120  F. Suárez, Disputationes metaphysicae, V, Abschnitt 2, 16. Bei der Bedeutung der begrifflichen Unterscheidung in Suárez und deren Implikationen hinsichtlich der Individuationsfrage hat sich besonders J. J. E. Gracia aufgehalten, in »What the Individual Adds to the Common Nature According to Suárez«, New Scholasticism, 53, 1979, S. 221–233. Vgl. dazu W. Hoeres, »Wesenheit und Individuum bei Suárez«, Scholastik, 37, 1962, S. 181–210. Im Gegensatz zu Gracia unterstreicht Hoeres die Punkte, an denen sich Suárez vom ockhamschen Nominalismus unterscheidet. 121  F. Suárez, Disputationes metaphysicae, V, Abschnitt 2, 21. 119 

Antworten auf die Individuationsfrage

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insofern sie existiert«.122 Anders gesagt, die Individualität ist die Weise, wie die Wesenheit existiert, bzw. sie ist die Existenz dessen, was das Individuum in seiner spezifischen Wesenheit ist. Im Fall der zusammengesetzten Substanzen erfordert die Existenz der Wesenheit sowohl die Materie wie die Form. Das Individuationsprinzip dieser zusammengesetzten Substanz stimmt dementsprechend mit dieser Materie und dieser Form in ihrer Einheit überein.123 Bei den geistigen Substanzen ist es die Form selbst, insofern sie existiert. Es erhellt daraus in noch klarerer Weise, dass die Entität das Individuum selbst ist. Die Existenz des Individuums ist die Individuation desselben, da die individuelle Existenz die Seinsweise der Wesenheit des Individuums ist – die entitas wird hiermit nach der etymologischen Bedeutung begriffen, die auf ens zurückgeht, insofern sie die Seinsweise des ens bezeichnet. Diese individuelle zusammengesetzte Substanz ist diese Einheit dieser Materie und dieser Form; darin besteht ihre Individuation. Wenn die Materie oder die Form sich verändern, betont Suárez, hört die Substanz auf, dieses Individuum zu sein.124 Auch Leibniz hat sich mit der Individuationsfrage auseinandergesetzt. Ihr hat Leibniz z. B. seine Disputatio metaphysica de principio individui gewidmet, die er für das Bakkalaureat in Philosophie an der Leipziger Universität (unter der Betreuung von Thomasius) eingereicht hat. In dieser kleinen Schrift führt Leibniz die Ursache der Individuation auf die ganze Entität des Individuums zurück.125 Dabei lehnt er die verschiedenen Positionen ab, die er in der scholastischen Tradition des Mittelalters, der Renaissance und der frühen 122 F.

Suárez, Disputationes metaphysicae, V, Abschnitt 6, 1; VII, Abschnitt 1, 12 und 19. 123  Ebd., V, Abschnitt 6, 15. 124 Ebd. 125  G. W. Leibniz, Disputatio metaphysica de principio individui, in Die philosophischen Schriften, hrsg. v. C. I. Gerhardt, Weidemann, Berlin 1875–1890 (Olms, Hildesheim 1965), 7 Bde., Bd. 4, S. 17 f.

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Einleitung

Neuzeit findet: die Individuation durch die Negation, durch die Existenz und durch die haecceitas. Leibniz beschäftigt sich insbesondere mit dem letzteren Begriff, der auf Scotus bzw. auf den »Scotismus« zurückgeht. (Leibniz behandelt die Individuationsfrage ausschließlich in Bezug auf Begriffe wie Wesenheit und Existenz, allgemein und individuell, mental und extra-mental, und vernachlässigt andere Fragen wie etwa die Zusammensetzung der Substanzen oder die Natur der einfachen Substanzen, die in der scholastischen Tradition aber zusammen mit dem Individuationsproblem behandelt werden. Hier zeigen sich bereits die wirklichen Interessen des jungen Leibniz!126) Dass die Individuation nicht durch Negation vollzogen werden kann, ergibt sich u. a. daraus, dass die Negation, insofern sie dieselbe bei allen Individuen ist, nicht bestimmen kann, warum »dieses« Individuum nicht »jenes« ist.127 Auch die Existenz kann nicht das Individuationsprinzip sein, weil die Wesenheit und die Existenz in jedem Ding identisch sind, man kann daher nicht die Existenz isolieren und sie zur Ursache der Individuation der Wesenheit machen.128 Gegen die scotische These argumentiert Leibniz folgendermaßen: Zwischen Gattung und spezifischem Unterschied gibt es keine reale Unterscheidung, sondern nur eine Unterscheidung rationis. Dasselbe gilt auch für die Unterscheidung zwischen Spezies und individuellem Unterschied. Der letztere, der also nur aus einer Vernunftunterscheidung entsteht, kann daher nicht das Prinzip sein, wodurch die Substanzen real individuiert werden.129 Hinzu kommt das Argument (das 126 Vgl.

F. Piro, »›Species infima‹. Definibilità e indefinibilità dell’individuo«, in B. M. D’Ippolito / A. Montano / F. Piro (Hg.), Monadi e monadologie. Il mondo degli individui tra Bruno, Leibniz e Husserl, Rubbettino, Soveria Mannelli 2005, S. 83–113, S. 91. 127  G. W. Leibniz, Disputatio metaphysica de principio individui, § 12, S. 21. 128  Ebd., §§ 14–15, S. 22. 129  Ebd., § 22, S. 24 f.

Antworten auf die Individuationsfrage

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die Basis eines »realistischen« statt eines »nominalistischen« Standpunkts gegenüber der Individuationsfrage betrifft), dass es keine Universalien außerhalb des Intellekts gibt (Leibniz ist davon überzeugt und hält es nicht für notwendig, diesen Punkt zu beweisen). Es besteht daher auch keine reale, also dem Intellekt äußere Zusammensetzung einer Universalie und eines Prinzips der Individualität.130 Es lässt sich mit Recht fragen, wie viel von Scotus’ Werk Leibniz wirklich gelesen hat und ob er sich nicht vielmehr auf spätere Quellen oder Texte anderer Scholastiker stützt. Großen Einfluss übte Suárez’ Interpretation bzw. Darlegung des scotischen Begriffs von haecceitas und der Argumente um die Individuation in der scholastischen Philosophie im Allgemeinen auf Leibniz aus.131 Über die Schlüsse, die Leibniz in der Disputatio metaphysica zieht, hinaus kommt der Individuumsbegriff ständig bei ihm vor. Dies bezeugen Zentralmomente seines Denkens wie auch das Gleichgewicht zwischen der philosophischen Tradition (hierbei ist Suárez ein Bezugspunkt) und den originär eigenen Entwicklungen in seiner Metaphysik. Es geht nicht so sehr um die Frage nach dem »Prinzip der Individuation«, sondern vielmehr um die Natur und die Beschaffenheit der einzelnen, einheitlichen, von anderem unterschiedenen Substanz. Benson Mates unterstreicht, dass es die Frage nach dem Sinn der Identität ist, die Leibniz’ Denken von Anfang an beschäftigt.132 Leibniz hat seinen Standpunkt dazu nie geändert: Die Dinge sind Individuen durch ihr ganzes Sein,

130 

Ebd., § 23, S. 25. Eine pünktliche Rekonstruktion von Leibniz’ Auseinandersetzung mit der scholastischen Tradition bietet T. M. Breden, Individuation und Kombinatorik. Eine Studie zur philosophischen Entwicklung des jungen Leibniz, Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2009, S. 138 ff. 132  B. Mates, The Philosophy of Leibniz. Metaphysics and Language, Oxford University Press, Oxford 1986, S. 122. 131 

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wie er bereits in der Disputatio vertritt. Jede Eigenschaft eines Dings ist für dessen Identität wesentlich. Diese Überlegungen lassen sogleich an den Monaden­ begriff denken, aber auch an den Begriff der individuellen Substanz, d. h. der Substanz, die »einen so vollkommenen (accomplie) Begriff hat, dass er zureichend ist, um alle Prädikate des Subjekts, dem er zugeschrieben wird, zu verstehen und daraus abzuleiten«.133 Es wird hiermit deutlich, wie sehr Leibniz der logisch-metaphysischen Tradition der Spätantike und des Mittelalters, darunter vornehmlich Porphyrios und Scotus, verdankt. Denn die individuelle Substanz wird bei Leibniz mit der Reihe der noetischen Inhalte identifiziert, die von ihr ausgesagt werden können. Sie wird damit auf die noetische Dimension zurückgeführt hinsichtlich sowohl ihrer Beschaffenheit als auch des Ursprungs ihrer besonderen Individualität. Auch von bedeutenden Gegenwartsphilosophen wird diese Thematik aufgegriffen. Man denke beispielsweise an Kripkes Theorie der möglichen Welten und an den damit zusammenhängenden Begriff der individuellen Identität  – die Identität des Individuums besteht laut Kripke in den wesentlichen Momenten der Geschichte, die zu jenem gewissen Individuum, insbesondere zu dessen Geburt, geführt haben; von dem Moment an, in dem das Individuum in der Welt ist, kann die Welt sich in beliebiger Weise weiterentwickeln – für die aktuelle Beschaffenheit des Individuums spielt dies, so Kripke, keine Rolle.

133 

G. W. Leibniz, Discours de métaphysique, § 8, in Sämtliche Schriften und Briefe, Akademie Verlag, Berlin 1923 ff., Reihe 6, Bd. 4b, S. 1540.

Antworten auf die Individuationsfrage

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3. Die Antwort des Duns Scotus Im Folgenden geht es um Scotus’ eigene Position zur Individuationsfrage, wie er sie in der Ordinatio formuliert. Wie es bei der scholastischen Methode der quaestio üblich ist, entwickelt Scotus seine Antwort auf die Individuationsfrage anhand einer kritischen Auseinandersetzung mit den Meinungen anderer Autoren.

3.1 In der ersten quaestio setzt sich Scotus mit der Position der­ jenigen auseinander, die meinen, eine materielle Substanz sei von sich aus, d. i. ihrer Natur nach individuell. Eine solche Meinung erinnert zunächst an den nominalistischen Standpunkt. Wie oben bemerkt findet Scotus ähnlich nominalistische Positionen, wie Ockham sie später in seiner eigenen und fruchtbaren Weise entwickelt, bereits bei Autoren wie Roger Marston und Petrus de Falco. Wie man dem Argument entnehmen kann, das Scotus in den §§ 5 und 6 der Ordinatio (oder noch deutlicher in den §§ 5–7 der Lectura)134 anführt, handelt es sich um die These, man brauche keine Ursache, mit der zwischen der Natur eines Dings und dessen Individualität vermittelt werde, wobei es sich bei »Ursache« um eine der vier Ursachen handelt, die Aristoteles anführt, also die causa formalis, materialis, efficiens und finalis.135 Die These, jedes Ding sei von sich aus individuell, impliziert im metaphysisch-ontologischen Zusammenhang, dass man keine »Ursache« der Individuation benötigt, führt aber 134  Auf

die Paragraphen der Ordinatio oder der Lectura wird im Folgenden nach der Ordnung hingewiesen, wie sie vom ersten der ersten quaestio ab erscheinen. 135  So deuten die Herausgeber der Lectura an. Vgl. auch Roger Marston, Quodlibeta quatuor, hrsg. v. G. F. Etzkorn / I. C. Brady, Quaracchi, Firenze 1968, I, q. 3, S. 13.

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im gnoseologischen Rahmen zu Konsequenzen, die insbesondere bei Ockham sehr klar zutage treten. Scotus ist sich dessen bewusst, wie aus seiner Darlegung dieser Meinung (§ 6) und aus deren Kritik (§ 7 ff.) hervorgeht. Seine Argumente gegen die angeführte These weisen wichtige Merkmale seines eigenen Realismus auf. Das erste Argument (§ 7) ist folgendes. Das Ding, das auch Gegenstand der Intellektion ist, wäre der Natur nach individuell – so lautet die angeführte Meinung. Wenn es als ein Universale (sub ratione universalis) erkannt wird – wie es für den Intellekt typisch ist –, wird es in einer Weise erkannt, die ihrer eigenen entgegensteht. Anders ausgedrückt, die universale Erkenntnis wäre überhaupt keine Erkenntnis oder wäre wesentlich eine trügerische Erkenntnis. Das zweite Argument (§ 8 ff.): Alles, was eine reale, geeignete und hinreichende Einheit besitzt, die geringer ist als die numerische Einheit, ist nicht von selbst eins der numerischen Einheit nach (d. h. es ist nicht von selbst numerisch eins). Es ist also nicht von sich aus ein Individuum. Dies aber ist von der Natur, die einem Individuum anhaftet, wahr (z. B. »Stein« und »dieses Stein-da«). Also ist die Natur nicht von sich aus eins. In einer schwierigen, zum Teil auch verwi­ ckelten Weise will Scotus Folgendes sagen: Wenn wir an die Einheit als eine begriffliche Kategorie denken, drückt das Individuum die Einheit in ihrer höchsten Form aus, denn es ist numerische Einheit, d. h. es ist eines, also ein unteilbares und nicht-kommunizierbares Ding. Etwas kann aber eine geringere Einheit besitzen, wenn es unter einigen Aspekten Einheit bzw. etwas Einheitliches ist, unter anderen aber nicht. Dies ist der Fall bei der Natur im Sinne der gemeinsamen Natur. Daraus folgt, dass die gemeinsame Natur nicht von selbst ein Individuum sein kann. Zwischen ihr und dem Individuum gibt es einen »Abstand«, der durch etwas überbrückt werden muss – dieser Abstand ist das »Weniger«, das ihrer eigenen Einheit zukommt im Vergleich zur Einheit des Individuums. Das Problem der Individuation besteht letzten Endes darin, dass man dieses Etwas ausfindig machen muss,

Antworten auf die Individuationsfrage

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das von der Natur zum Individuum führt bzw. das zur Natur das Entscheidende hinzutreten lässt, damit das Individuum gewonnen wird. Wenn man nämlich annimmt, wie die Vertreter der fraglichen Meinung, dass die Natur von selbst individuell ist, d. h. dass alles von sich aus individuell ist, wird das Individuationsproblem zu einem Pseudoproblem. Es geht also darum, ob man einen Übergang von der Natur zum Individuum annimmt oder nicht. Der Angelpunkt dieser Frage ist der Begriff von »Natur«, und auf diesen geht Scotus am Schluss der ersten quaestio ein. Denn um diesen Begriff dreht sich die Bedeutung des Realismus, den Scotus vornehmlich gegen nominalistische Positionen wie die eben angeführte vertritt. Wie muss man die Einheit der Natur verstehen im Unterschied zur eigentümlichen Einheit des Individuums? Scotus greift dazu die berühmte These Avicennas auf (§ 31): Die Pferdheit (»equinitas«) ist nur Pferdheit. Die Pferdheit ist an sich weder eine (im Sinne der numerischen Einheit) noch vielfältig (im entgegengesetzten Sinne), weder ein Universale (in der Weise, wie der Gegenstand des Intellekts ein Universale ist) noch ein Partikulare.136 Die »Pferdheit« gilt hier als ein Beispiel von gemeinsamer Natur. Scotus unterstreicht (§ 32), dass die Natur allen diesen Bestimmungen wesentlich vorhergeht, obwohl sie nicht »real« existiert, ohne eine von diesen, d. h. ohne selbst eine oder viele, ein Universale oder ein Partikulare zu sein  – »real« (»realiter«) zu existieren, hat hier die prägnante Bedeutung des Bestehens in re, d. i. als ein wirkliches Ding im Gegensatz zu einer bloßen Mentalrealität.137 Die Natur hat ebenso eine eigene ontologische Priorität und eine eigene Identität wie auch eine 136 Avicenna,

Liber de philosophia prima sive scientia divina, V, 1, fol. 86va, S. 228 f. Siehe auch Logica, tertia pars, in Opera philosophica, fol. 12ra, wo die Natur in Rücksicht auf die logische Prädikation betrachtet wird. Vgl. auch T. B. Noone, »Universals and Individuation«, in T. Williams (Hg.), The Cambridge Companion to Duns Scotus, Cambridge University Press, Cambridge 2003, S. 100–128, S. 102–105. 137  Vgl. § 12.

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eigene Einheit. Diese Merkmale erhält sie auch dann, wenn sie zu einem singulären Seienden »kontrahiert« wird. Als solche ist die gemeinsame Natur (§ 33) an sich indiffe­ rent gegenüber dem Sein im Intellekt, d. h. als ein Universale, oder gegenüber dem Sein als ein Individuum. Auch wenn sie als ein Gegenstand des Intellekts ein Universale ist, kommt ihr die Universalität, betont Scotus, nicht von sich aus zu. Im Gegensatz zur gängigen Meinung (selbst einem realistischen Standpunkt nach), nämlich dass die gemeinsame Natur von selbst das Universale ist, behauptet Scotus, dass sie der Universalität vorhergeht und dieser gegenüber indifferent ist. Man kann folglich auch sagen (§ 34), dass die Universalität eine Bestimmung ist, die zur gemeinsamen Natur als ein Akzidens hinzukommt (»accidit«), insofern diese ein Gegenstand des Intellekts ist. Scotus unterstreicht somit, dass die Gemeinsamkeit der Natur von der Universalität unterschieden werden muss. Man muss daher nach einer Ursache für die Universalität suchen, nicht nach einer für die Gemeinsamkeit, weil diese Bestimmung immer und von selbst zur Natur gehört (§ 42). Die Natur ist gemeinsam. Wir verstehen damit Scotus’ Position hinsichtlich des Universalienstreits. Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen der Natur und dem Universale. Das Letztere ist insbesondere etwas, das zur Logik gehört, insofern es dasjenige ist, was von mehreren singulären Subjekten zugesprochen wird. Und wie Scotus in den §§ 34 und 35 betont, ist die Universalität etwas, das zur Natur hinzukommt, wenn diese vom Intellekt gedacht wird. Die Universalität ist eine Seinsweise der Natur, insofern diese ein Gegenstand des Intellekts ist. Diese Unterscheidung zwischen der Natur und dem Universale als einem Begriff erhellt aus den Betrachtungen, die Scotus im § 37 darlegt. Nichts real Existierendes, bemerkt Scotus, kann einem gewissen singulären Subjekt zugesprochen werden entsprechend einer Prädikation der Art »x ist x«. Die Natur, die im Ding, also realiter existiert, kann in diesem oder in jenem ­Subjekt sein. Die Natur des »Menschen« kann sowohl Sokrates wie Kallias

Antworten auf die Individuationsfrage

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anhaften. Sie kann jedoch nicht als solche von Sokrates oder von Kallias prädiziert werden. Niemand kann sagen »Sokrates ist die Menschheit«. Dies ist nur vom Begriff »Mensch« möglich, der ein Begriff im Akt, also ein »Gegenstand« des Intellekts ist. Man sagt dementsprechend »Sokrates ist ein Mensch«. Nur ein Gegenstand im Akt des Intellekts kann in der Prädikation angewandt werden. Die Natur geht der Intellektion vorher. Dies impliziert  – was die Universalien­ frage betrifft, wie Porphyrios (oder Boethius als Interpret des Porphyrios) diese formuliert –, dass zwar das Universale das­jenige ist, was vielen zugesprochen wird, dass es aber in den Subjekten, denen es zugesprochen wird, nicht anwesend ist. Denn nur die Natur ist in den Individuen anwesend. Das Universale ist nur ein Gegenstand des Intellekts bzw. ein logischer Begriff (§ 33), der als solcher nicht außerhalb des Intellekts existiert. Was in den Dingen, also außerhalb der Seele real existiert, ist die Natur.138 Die Anwesenheit der gemeinsamen Natur mit ihrer ontologischen Autonomie in den singulären Dingen, von denen wir für die Erkenntnis (durch die Sinne) ausgehen, ist ferner auch das, was die Gültigkeit der intellektuellen, universalen Erkenntnis garantiert, weil nur dank deren die singulären Dinge unter dieselbe Gattung oder Spezies fallen.139 Dies erklärt schließlich auch die Objektivität, somit die Gültigkeit der intellektuellen Erkenntnis von extramentalen Realitäten, weil es in den Dingen ein Gemeinsames gibt (§ 38), das nicht 138  G.

Sondag, »Universel et natura communis dans l’Ordinatio et dans les Questions sur le Perihermeneias (une brève comparaison)«, in L. Honnefelder / R. Wood / M. Dreyer (Hg.), John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics, S. 385–391. Über Scotus’ Stellung zur Universalienstreit, vgl. O. Boulnois, »Réelles intentions: nature commune et universaux selon Duns Scot«, Revue de Métaphysique et de Morale, 1, 1992, S. 3–33, insbes. S. 28–33. 139  Über die Entstehung der Mentalbegriffe bei Duns Scotus, vgl. R. Dumont, »The Role of the Phantasm in the Psychology of Duns Scotus«, The Monist, 49, 1965, S. 617–633.

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von selbst dieses Individuum statt jenes ist  – obzwar dieses »Gemeinsame« noch nicht das Universale im Akt ist. Kommen wir also auf § 34 zurück. In ähnlicher Weise wie beim Universale, wenn die Natur im Ding, d. h. in der extramentalen Wirklichkeit zusammen mit der Singularität existiert, ist sie nicht von selbst zur Singularität bestimmt, weil sie, wie soeben bemerkt, dieser Bestimmung gegenüber indifferent ist. Etwas kontrahiert sie zur Singularität – Scotus rekurriert oft auf diese Idee einer Kontraktion, der wir schon begegnet sind und die bereits bei Roger Bacon zur Terminologie der Individuationsfrage gehört.140 Man muss also auch in diesem Fall sagen, dass die Natur demjenigen, was sie zur Singularität kontrahiert, »natürlich«, also wesentlich vorhergeht. Das heißt, die Natur kann wohl ohne dieses Etwas bestehen, also ohne ein Singulare sein. Der Angelpunkt bzw. das Charakteristikum von Scotus’ Realismus besteht gerade in diesem Bestehen-Ohne, das zur gemeinsamen Natur wesentlich gehört. Scotus ist ein Realist, weil er behauptet, dass jede metaphysische Betrachtung von einer gemeinsamen Natur ausgehen soll, die unabhängig von allem Übrigen, d. i. sowohl von den mannigfaltigen Dingen wie auch von der Universalität, etwas Reales ist. »Von den mannigfaltigen Dingen«: Hierzu ist einfach zu sagen, Scotus sei ein Realist, denn der »klassische« Realist ist eben derjenige, der meint, das Wesen oder die Idee oder das Universale bestehe unabhängig von den Dingen. Es ist aber schwieriger, wenn man sich auch auf die Universalität selbst bezieht. Dementsprechend schwierig ist, Scotus’ Realismus in historischer Hinsicht zu verstehen. In dieser Betrachtung des Verhaltens der gemeinsamen Natur gegenüber der Universalität liegt aber die besondere Färbung bzw. die Originalität seiner Position – 140 

Roger Bacon, Quaestiones altere supra libros prime philosophie Aristotelis (Metaphysica I– IV). Quaestiones supra De plantis, in Opera hactenus inedita Rogeri Baconi, hrsg. v. R. Steele / F. M. Delorme, 12 Bde., Cla­ rendon Press, Oxford 1905–40, Bd. 11, S. 226–239.

Antworten auf die Individuationsfrage

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etwas, das er durch seine Auseinandersetzung mit Avicenna gewinnt. Wir kommen jetzt auf die §§ 7 und 8 zurück. Dass es einen Unterschied zwischen der numerischen Einheit  – dem absoluten Eins-Sein des individuellen Dings – und der eigenen Einheit der Natur gibt, geht aus den zuletzt angeführten Bemerkungen hervor. Denn die gemeinsame Natur besteht an sich in dem Hiatus (in dem Raum ihrer »Indifferenz«), der sie vom individuellen Sein (sowie vom universalen Sein) und vom Eins-Sein, im Sinne der numerischen Einheit, unterscheidet. Jedes Ding besitzt die Einheit, die zu ihm seiner Entität gemäß gehört (wobei »Entität« wörtlich die eigene Seinsweise eines Seienden, »ens«, bedeutet). So hat die Natur ihre eigene Weise, »eine« zu sein, die sich von derjenigen des singulären Dings unterscheidet. Aus diesem Grund kann die Natur, die ihrer eigenen Einheit nach eine ist, dieser oder jener singulären Einheit anhaften, in diesem oder in jenem Ding als ein Singulare existieren, ohne aufzuhören, eine zu sein. Dies ist die grundlegende Voraussetzung des Verhältnisses zwischen der Natur und den mannigfaltigen Dingen. Jedes Ding, das wir »Pferd« nennen, ist ein Ding mit einer eigenen Einheit; diese ist die eigene Einheit des Individuums; und jedes Pferd ist eben »ein Pferd«, insofern es mit der »Pferdheit« zu tun hat, die in jedem Pferd vorhanden ist, wobei diese immer sie selbst bleibt, also Pferdheit an sich, auch wenn sie in den singulären Pferden anwesend ist. Andernfalls würden wir in die typischen Aporien gewisser Formen des Realismus fallen, wie etwa derjenigen, die Abaelard seinem Lehrer Wilhelm von Champeux vorwirft (wenn z. B. die Menschheit, insofern sie die Existenz der einzelnen Menschen erklären soll, in einem Menschen im Ganzen wäre, könnte sie nicht in den anderen Menschen sein, also würde es nur einen einzigen Menschen geben). In diesem Sinne, schließt Scotus, ist er der Auffassung, die Natur habe eine reale Einheit, die geringer sei als die numerische (§ 34). Gleichzeitig ist die Einheit des Individuums eine Affektion

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der Natur, also etwas, das der Natur geschieht – das ist der Grund, weshalb Scotus das Argument vom Unterschied zwischen der Einheit der Natur und der des singulären Dings angeführt hat. Die Natur ist nicht von selbst ein Singulare. Zwischen der Natur und der Singularität besteht ein Hiatus, den etwas überbrücken muss.

3.2 Der erste Punkt bildet einen Angelpunkt in der Forschung um die Individuation. Denn klar ist, wenn man behauptet, dass ein jedes Ding von selbst individuell sei, entfällt jeder Grund für eine weitere Untersuchung, weil die Individuation sich als ein Pseudoproblem erweist. Da er eine solche Lösung ausschließt, muss Scotus herausfinden, was die Individuation »vermittelt«. Er fragt sich zunächst, und dies ist das Thema der zweiten quaestio, ob die Individualität einer materiellen Substanz von etwas Positivem und ihr Innewohnendem abhängt. Scotus’ Antwort ist eine affirmative. Zu diesem Schluss gelangt er durch eine gründliche Auseinandersetzung mit der Position des Heinrich von Gent, nach der die Individuation nichts anderes bedeutet als eine doppelte Negation. Denn, so rekonstruiert Scotus, das Eins-Sein impliziert nur die Abwesenheit (die Negation) der Teilung in sich und der Identität mit anderem. Das Individuum ist das einheitliche Ding, das es ist, weil es in sich selbst ungeteilt und von anderem unterschieden bzw. abgetrennt ist. Wenn aber die Individualität auf einer doppelten Negation beruht, dann hängt sie klar nicht von etwas Positivem ab. Jedoch (§ 52) bildet die Individualität  – auch wenn sie in Hinsicht auf den Charakter der Unteilbarkeit verstanden wird, den Heinrichs Argument thematisiert – eine Perfektion des Dings; sie ist folglich auf etwas Positives zurückzuführen und nicht auf eine bloße Negation. Ähnlich, kann man argumentieren (§§ 46 und 53), ist die erste Substanz (das Indi-

Antworten auf die Individuationsfrage

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viduum) »vortrefflicher« eine Substanz als die zweite (Gattung und Spezies). Bei diesem Übergang von der zweiten zur ersten Substanz, bemerkt Scotus, kommt etwas hinzu, und dieses Etwas kann keine bloße Negation sein, sondern ist notwendigerweise ein Positives. Wie sich aus der zweiten quaestio, insbesondere aus § 48, sowie aus anderen Textstellen141 ergibt, versteht Scotus die Individualität zuerst im Sinne der Unteilbarkeit dessen, was per se etwas ist, dem widerstreitet, in subjektive Teile geteilt zu werden, d. h. in solche Teile, deren ein jeder eine Instantiierung des geteilten Dings ist. Dies ist der Fall bei der Spezies: Die Spezies »Mensch« unterteilt sich z. B. in ihre subjektiven Teile (wie etwa Sokrates und Kallias), insofern jeder Mensch eine Instantiierung der Spezies »Mensch« ist. Das Individuum dagegen kann nicht in subjektive Teile geteilt werden, sondern nur in integrale Teile, d. h. in »Stücke«. Ein Mensch kann in Herz, Hände, Beine usw. geteilt werden. Die Frage nach der Individualität ist also: Was richtet es im Individuum so ein, dass dieses nicht in subjektive Teile geteilt werden kann? Was liegt der eigentümlichen Einheit des Individuums zugrunde, die in der Unteilbarkeit und in der Nicht-Instan­t i­ ierbarkeit besteht? 3.3 In der dritten quaestio wird gefragt, ob die Individualität einer materiellen Substanz von deren wirklicher Existenz abhängt. Scotus setzt sich hier mit der These auseinander, dass, insofern es im aristotelischen Sinne der Akt ist, der etwas bestimmt und es von anderem unterscheidet, die letzte 141  Vgl.

dazu auch den »Streit über die Individuation« mit dem Thomisten Godinus, in C. Stroick, »Eine Pariser Disputation vom Jahre 1306. Die Verteidigung des thomistischen Individuationsprinzips gegen Johannes Duns Scotus durch Guillelmus Petri de Godino OP«, in W. P. Eckert (Hg.), Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption, Grünewald, Mainz 1974, S. 559–608, S. 596.

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Einleitung

Unterscheidung also – d. h. das Sein als eine individuelle und einheitliche Substanz  – durch den letzten Akt stattfindet. Der letzte Akt ist derjenige, der den Individuen durch die Seinsweise der Existenz (esse existentiae) zukommt, insofern alle anderen Seinsweisen in Potenz zu dieser sind (§ 60).142 Scotus erwidert (§§ 61–62), dass die Existenz bzw. die Seinsweise der Existenz von sich aus ununterschieden und unbestimmt ist. Sie kann daher nicht das Prinzip sein, durch das etwas unterschieden und bestimmt wird. Das Prinzip der Bestimmung ist dagegen die Wesenheit. Die Bestimmungen stammen aus der Ordnung und der Koordination der Wesenheiten. Darüber hinaus (§ 63)  – und das ist wichig, weil es im Rahmen seines Realismus ein Licht auf Scotus’ Theorie der Individuation wirft – enthält die Koordination der Prädikamente, die mit der arbor porphyriana beschrieben wird, die ganze Artikulation der prädikamentalen Bestimmungen, von der höchsten Gattung (Substanz) bis zum Individuum (Sokrates), ohne dass die wirkliche Existenz in Betracht gezogen werden muss, um das Individuum oder eines der Glieder der Koordination zu verstehen. Wenn man von »diesem Menschen« spricht, schließt dies nicht die Existenz dieses Menschen ein. Man kann von Sokrates sprechen, ohne seine wirkliche Existenz vorauszusetzen. Anders gesagt, das Individuum gehört zur kategorialen Hierarchie, bevor seine Existenz gedacht wird.143 Denn ein Ding, bemerkt Scotus anderswo, wird nicht bedeutet (significatur), insofern es existiert, sondern insofern es begriffen wird (intelligitur).144

142  Ähnlich

in Lectura, § 55. Nach den Herausgebern der Lectura bezieht sich Scotus auf Petrus de Falco. Was das angeführte aristotelische Argument betrifft, s. Metaphysik, VII, 13, 1039 a 3–7. Vgl. auch E. Gilson, Jean Duns Scot. Introduction à ses positions fondamentales, Vrin, Paris 1952, S. 454 f. 143  Lectura, § 58. 144  Quaestiones in primum librum Perihermeneias, q. 3, in Opera omnia, hrsg. v. Wadding, Bd. 1, S. 190.

Antworten auf die Individuationsfrage

LXIX

3.4 Die vierte quaestio geht auf die Frage ein, ob eine materielle Substanz durch die Quantität individuiert wird. Wie wir gesehen haben, ist dies historisch eine bedeutende Position, vornehmlich im Rahmen der Rezeption des Aristotelismus. Und die Argumente, die Scotus für die Individuation durch die Quantität anführt, sind aristotelischen Ursprungs, insofern sie insbesondere auf der Definition der Quantität in Metaphysik V, 13, basieren.145 Das Argument ist: Dass eine Natur in unterschiedliche Teile teilbar ist, geht auf die Quantität zurück. Die Quantität ist daher für die Natur das Prinzip der Teilung und der Unterscheidung der verschiedenen, so erworbenen Teile. Das heißt, es ist auf Grund der Quantität, dass die Individuen sich voneinander unterscheiden. Also bildet die Quantität das Prinzip der Teilung in Individuen. Man kann außerdem argumentieren, dass, wenn zwei materielle Substanzen, z. B. zwei Feuer, sich unterscheiden, es darauf ankommt, dass die Form von einer unterschiedlichen Materie angenommen wird. Dieser Unterschied in der Materie verweist seinerseits auf die Quantität: Ein Teil der Materie ist von einem anderen unterschieden, weil seine Quantität eine andere ist. Also basiert auch die Unterscheidung der zwei Feuer auf der unterschiedlichen Quantität derselben. Gegen diese Position entwickelt Scotus vier Argumente, denen einige Schlussbemerkungen folgen. Er fasst selbst die zwei Hauptpunkte seiner Widerlegung zusammen (§ 75). Es handelt sich einerseits darum, dass ein Akzidens (wie etwa die Quantität) nicht die Individuationsursache der materiellen Substanz sein kann. Andererseits muss der Quantitätsbegriff kritisiert werden, der den entgegengesetzten Argumentationen zugrunde liegt. In seinem ersten Argument (§§ 77–78) bemerkt Scotus, dass durch eine göttliche Intervention eine Substanz eine Veränderung in ihrer Quantität erleiden kann, 145 Aristoteles,

Metaphysik, V, 13, 1020 a 7–8.

LXX

Einleitung

ohne dadurch in ihrem substantiellen Sein verändert zu werden. Ihre Individualität hängt daher nicht von der Quantität ab. In der Lectura (§ 77) vertritt Scotus – der sich auf eine Argumentation stützen will, die keine Wundertaten einbezieht –, dass im Fall der Verdünnung die Quantität einer Substanz sich verändert, obwohl die Substanz ihre Individualität erhält. Dies beweist, dass die Individualität der Substanz nicht von ihrer Quantität abhängt. Das zweite Argument setzt bei der aristotelischen These an, die Substanz gehe ihrer Natur nach jedem Akzidens vorher.146 Die Substanz kann daher von keinem Akzidens bestimmt werden. Dies gilt für die Substanz im Allgemeinen und um so eher für das Erste in der Ordnung der Substanz, d.i die erste Substanz bzw. das Individuum. Also kann das Individuum durch kein Akzidens bestimmt werden. Im dritten Argument (§ 89 ff.) geht Scotus auf die prädikamentale Koordination ein (mit der sich Scotus bereits im vorangehenden Argument beschäftigt hatte). In jeder prädikamentalen Koordination sind alle Elemente da, die zu ihr gehören, vom höchsten bis zum niedersten. Das Individuum ist das niederste Element in der Koordination der Substanz, es ist also in einer Weise bestimmt, die zur Koordination intrinsisch gehört (dies ist eine wegweisende Bemerkung, wenn man verstehen will, wie Scotus die arbor porphyriana interpretiert und demgemäß eine Lösung für die Individuationsfrage vorbereitet). Das heißt das Individuum fällt in die Koordination der Substanz nicht kraft eines dieser äußerlichen Elemente, wie etwa eines Akzidens. Bemerkenswert ist hierbei, dass sich Scotus jetzt nicht so sehr – wie im vorigen Argument – dabei aufhält, dass die Substanz dem Akzidens vorhergeht, demnach nicht durch dieses individuiert werden kann, sondern vielmehr beim Sinn der kategorialen Koordination selbst ansetzt, wie diese seit Porphyrios konzipiert wird. Dieser Sinn scheint folgender zu sein: Die kategoriale Koordination der Substanz ist eine ausschlie146 Ebd.,

VII, 1, 1028 a 10-b 2.

Antworten auf die Individuationsfrage

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ßende und in sich hinreichende Ordnung, sodass das Individuum, insofern es die letzte bzw. die niederste Substanz ist, innerhalb der Koordination bestimmt wird (dies ist ein zentraler Punkt bei Scotus’ Lösung für die Individuationsfrage). Das vierte Argument dreht sich, wie schon angekündigt, um den Begriff der Quantität selbst. Die Quantität, durch die die Substanz zum Individuum wird, so fragt sich Scotus (§ 99), ist entweder eine bestimmte (terminata) Quantität – d. h. eine Quantität, die in ihren besonderen Dimensionen bestimmt ist –, oder eine unbestimmte (interminata) (s. o. den Abschnitt zu Thomas von Aquin). Scotus lehnt beide Lösungen ab. Es kann keine bestimmte Quantität geben, weil diese der Singularität der Substanz folgt. Das heißt diese-Substanz-hier ist die Ursache dessen, dass die Quantität zu dieser-Quantitäthier bestimmt ist. Es kann aber auch keine unbestimmte Quantität geben, denn wenn eine Substanz vernichtet wird und eine andere aus ihr entsteht, erhält sich dieselbe unbestimmte Quantität beim Übergang von der einen zur anderen; die unbestimmte Quantität kann daher nicht das Prinzip sein, das die eine und die andere individuelle Substanz bestimmt, sonst wären die beiden dasselbe Individuum. Nachdem er diese Argumente ausgeräumt hat, befasst sich Scotus mit der entgegengesetzten These, um auch diese zu entkräften  – einstweilen (§ 105) deshalb, weil die Quantität nicht den Grund für die Teilbarkeit der Spezies in Individuen bildet, weil der Grund für die Teilbarkeit von etwas demselben formal innewohnt. Die Quantität inhäriert der Spezies nicht insofern, als diese in »subjektive Teile« teilbar ist, d. i. in solche Teile, von denen ein jeder die Natur der Spezies besitzt – ein jeder Teil ist somit ein Bespiel bzw. eine Instantiierung der Spezies  –, sondern (so sei hinzu­ gefügt) deshalb, weil die Spezies in quantitative Teile, also in eine Zahl von Individuen teilbar ist. Anders ausgedrückt (§ 106), ein universales »Ganzes«, d. h. eine Spezies, teilt sich in subjektive Teile, also in Individuen, und wird von einem jeden Individuum prädiziert. Von einem beliebigen Indivi-

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Einleitung

duum »Mensch«, z. B. Sokrates, kann man sagen »Sokrates ist ein Mensch«. Ein kontinuierliches »Ganzes«, wie etwa eine Linie, teilt sich dagegen in quantitative Teile, in Segmente, und wird nicht von diesen prädiziert. Darüber hinaus muss man untersuchen, ob nicht die Stelle bei Aristoteles, auf die sich die Vertreter der Quantitätsthese stützen (§ 107), falsch interpretiert wird. Aristoteles nämlich behauptet, eine Quantität sei in die Teile teilbar, die sie enthält und von denen jeder seiner Natur nach ein bestimmtes Ding sei.147 Aristoteles meint also, so Scotus, dass ein Quantum in die Teile teilbar ist, die es enthält, in dem Sinne, dass sie das Ganze selbst, das sie enthält, ausmachen, und nicht in dem Sinne, dass sie subjektive, also ähnliche Teile sind (insofern jeder eine Instantiierung desselben ist). Eine Quantität kann demnach in unähnliche Teile geteilt werden; eine Zahl x kann in die Zahlen geteilt werden, die sie konstituieren und die nicht notwendigerweise einander oder der Zahl x ähnlich sind. Setzen wir die Zahl 6. Diese besteht aus 3 mal 2, oder 2 mal 3, oder 4 plus 2. Dies ist eine Teilung in die Zahlen, die in 6 enthalten sind, aber die Teile, d. h. die jeweiligen Zahlen, die man dadurch erwirbt, sind nicht ähnlich bzw. gleich.148 Im Gegensatz dazu teilt sich die Spezies in Individuen, deren ein jedes dem anderen in Beziehung auf seine Spezies ähnlich ist, und die Spezies wird von einem jeden prädiziert.

3.5 Die fünfte quaestio geht auf die These ein, die materielle Substanz werde durch die Materie individuiert. Diese These findet eine wichtige Stütze im aristotelischen Text, und zwar 147 Aristoteles,

Metaphysik, V, 13, 1020 a 7–8: »Quantität nennt man dasjenige, was in inwohnende Teile teilbar ist, deren jeder seiner Natur nach eins und ein bestimmtes Etwas ist«. 148 Vgl. Lectura, § 104.

Antworten auf die Individuationsfrage

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an der berühmten Stelle der Metaphysik, an der Aristoteles bemerkt, dass Sokrates und Kallias hinsichtlich der Spezies identisch seien und sich durch die Materie unterschieden.149 Auf der Ebene des gemeinsamen Seins, so Scotus (§ 138), ist die Materie – nicht weniger als die Form – dieselbe für alle Individuen und benötigt demnach ihrerseits etwas, wodurch sie zur Materie von Kallias (und nicht von Sokrates) individuiert wird. Also kann die Materie nicht die Ursache der Individuation sein. Anders gesagt, es gibt die Materie von Kallias und die von Sokrates, aber die Materie als solche ist indifferent gegenüber dem Sein, d. h. dem Bestehen, in Kallias oder in Sokrates, und muss daher individuiert werden, um die Materie von Kallias oder von Sokrates zu sein.150 Scotus führt darüber hinaus ein Argument aus der zeitgenössischen Naturphilosophie an (§§ 140–141). Die Materie bleibt dieselbe, wenn das Feuer vergeht und aus ihm Wasser entsteht. Wäre die Materie die Ursache der Individuation, würde auch das singuläre Feuer, das vergeht, dasselbe Individuum bleiben, wenn es zum Wasser wird. Anders gesagt, die Materie würde dieselbe Individualität sowohl im Erzeugten wie auch im Zerstörten haben, was unmöglich ist.

3.6 Mit der sechsten quaestio gelangen wir schließlich zu Scotus’ Antwort. Scotus beginnt mit der Frage, ob die materielle Substanz individuell sei kraft einer positiven Entität, die per se die Natur zur Singularität bestimmt. Er setzt bei einer Position an, die auf Gottfried von Fontaines zurückgeht (§§ 148–154).151 Einerseits wird behauptet, dass die spezifische Natur von 149 Aristoteles,

Metaphysik, VII, 8, 1034 a 4–8. Lectura, § 133. 151  Gottfried von Fontaines, Quodlibeta, VII, q. 5. 150 

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Einleitung

sich aus dieses Ding ist. Denn wenn es nicht so wäre, würde es im Individuum auf der Ebene der Wesenheit bzw. Essenz etwas über die spezifische Natur hinaus geben; dann aber wäre die Spezies bzw. die spezifische Natur nicht das ganze Sein des Individuums, wie Porphyrios (der hier als Autorität gilt) meint.152 Andererseits wird argumentiert, dass erst kraft der Quantität die Natur verschiedenen Individuen gemeinsam sein kann. Aristoteles selbst behauptet übrigens, dass die Substanz, die sich ihrer Natur nach nicht in ähnliche Teile teilen lässt, durch die Quantität (der Ausdehnung153), die zu ihr hinzukommt, teilbar wird.154 Das heißt, wie aus § 153 erhellt, dass zwar die Quantität nicht der formale Grund der Teilung in subjektive Teile ist (dies hat Scotus bereits in den vorangehenden Paragraphen ausgeschlossen), doch die Quantität das Prinzip der Partition in quantitative Teile bildet; und das Prinzip der Partition ist in dieser Hinsicht auch Prinzip der Unterscheidung der Teile, d. h. das, wodurch sich die Teile voneinander unterscheiden. Die Individuen, die sich unter dieselbe Natur subsumieren lassen, unterscheiden sich somit dank der Quantität, obwohl diese nicht der formale Grund der Individuation ist. Bestimmte Dimensionen bzw. eine bestimmte Ausdehnung zu haben, ist eine Bedingung für Individuation. Diese These lässt sich nach Scotus (§§ 155–156) in zweifacher Weise verstehen. Erstens: Die materielle Substanz bleibt dieselbe, absolut ungeteilt und unbestimmt; ihr kommen aber verschiedene Quantitäten zu, mit denen sie ebenso viele Totalitäten, also Individuen derselben Spezies bildet. Zweitens: Die materielle Substanz, die an sich – d. h. insofern man sie ohne die Quantität betrachtet – »diese-da« ist, wird »diese« und »jene«, also verschiedene Individuen, wenn die Quantität, die sie informiert, gesetzt wird. Das heißt nicht, 152 Porphyrios,

Isagoge, S. 7, Z. 28 – S. 8, Z. 3. Lectura, § 152. 154 Aristoteles, Physik, I, 2, 185 a 32-b 5. 153 

Antworten auf die Individuationsfrage

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dass der Substanz verschiedene Quantitäten zukommen, sondern vielmehr, dass die Substanz in sich selbst eine Unterscheidung enthält, d. i. zu verschiedenen Substanzen wird, die verschiedenen Quantitäten unterstehen. Beide Positionen sind nach Scotus unhaltbar. Was die erste betrifft (§§ 157– 164), führt diese in philosophischer Hinsicht zu einer Art platonischem Realismus, in theologischer zu dem ungeheuren Problem, dass man damit bestreiten würde, dass die göttliche Natur, die eine und in sich ununterschieden ist, verschiedenen Subjekten innewohnen könne, was offensichtlich im Widerspruch zur Trinitätslehre stünde. Die zweite Position widerspricht sich selbst (§§ 165–167). Wenn nämlich die Substanz von sich aus ein bestimmtes Individuum ist, kann sie durch nichts, was zu ihr hinzukommt, in Teile geteilt werden, da es ihrer Natur widerspricht, geteilt zu werden. Was sich aus der angeführten Stelle der aristotelischen Physik ergibt, ist, dass die Substanz – obwohl sie nicht von selbst in Teile derselben Art geteilt ist – nicht unteilbar ist. Denn wenn sie unteilbar wäre, könnte sie auch nicht die Quantität aufnehmen, durch welche sie in ähnliche Teile geteilt wird. Scotus’ eigene Position wird somit deutlich. Die materielle Substanz wird durch eine positive Entität zu einer gewissen Singularität bestimmt. Das Hauptargument ist (§ 169), dass die Einheit aus der Entität, d. h. der eigenen Seinsweise eines Seienden folgt. Dies gilt sowohl für das Gemeinsamste, das eine eigene Einheit besitzt, wie auch für das Individuum. Die Einheit des Individuums folgt daher aus seiner eigenen Entität, die nicht diejenige der Natur sein kann, weil auch diese ihre eigene Einheit per se hat, wie in der ersten quaestio hervorgehoben wird. Es muss daher eine andere Entität sein, welche die Entität der Natur bestimmt und mit ihr etwas macht, das per se, also nicht durch ein Akzidens, eines ist. Bei der Individuation handelt es sich somit um einen Prozess, der sich innerhalb der Kategorie der Substanz abspielt. Die Einheit, die sich daraus ergibt, ist keine »akzidentelle« Bestimmung des Individuums.

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Einleitung

Nehmen wir als Beispiel zwei Individuen, die sich in bestimmbarer Hinsicht unterscheiden (§ 170). Wir müssen uns zunächst an ein erstes unterscheidendes Merkmal halten. Dies aber kann nicht ihre Natur sein, weil die Natur das Prinzip der formalen Gemeinsamkeit ist. Es kann sich darüber hinaus weder um eine Negation noch um die Materie oder um Akzidentien handeln, d. h. keine der Möglichkeiten, die in den vorangegangenen quaestiones ausgeschlossen worden sind. Es muss daher eine positive Entität sein, die von selbst die Natur bestimmt. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, schlägt Scotus vor, die Entität, die der individuellen Einheit zugrunde liegt, in Analogie zu der Entität zu betrachten, die die spezifische Differenz bildet (§ 177). Dank der spezifischen Differenz ist bei der Spezies, die sie bestimmt, keine Teilung in wesentliche Teile möglich – d. h. in Teile, die sich durch die Spezies unterscheiden. Denn die spezifische Differenz bestimmt in univoker Weise eine Spezies. Ähnlich bestimmt die individuelle Differenz das Individuum als etwas, bei dem keine Teilung in subjektive Teile möglich ist. Man kann die spezifische Natur auch mit der übergeordneten Ordnung, d. h. mit der Gattung, vergleichen (§§ 179–180). In Bezug auf die Realität, aus der die Gattung herstammt, liegt die spezifische Differenz im Akt – und diese Realität ist dementsprechend in Potenz –, weil sie dasjenige ist, was die Gattung zur Spezies »kontrahiert«. In ähnlicher Weise ist die realitas des Individuums gewissermaßen der Akt, wodurch die realitas der Spezies kontrahiert wird. Zwischen beiden Fällen gibt es aber einen Unterschied, den Scotus hervorhebt: Durch die spezifische Differenz kommt zur Form der Gattung eine weitere Form hinzu; die Realität des Individuums stammt dagegen nicht von einer hinzugekommenen Form (wie es bei der Spezies der Fall ist), sondern von der letzten Realität der Form. Wir können zuletzt die spezifische Differenz mit dem vergleichen, was auf ihrer Stufe steht, d. h. mit anderen spezifischen Differenzen (§ 183). Wir müssen dann sagen, dass die letzten spezifischen Differenzen (wie etwa »vernünftig« und »nicht

Antworten auf die Individuationsfrage

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vernünftig« in Bezug auf »Tier«) verschieden sind, wenn sie »schlechthin einfachen Begriffen« entsprechen, d. h. solchen Begriffen, die sich nicht in einfachere Begriffe zerlegen lassen (das ist der Fall bei »vernünftig« und »nicht vernünftig«). Ähnlich verhält sich die individuelle Differenz. Eine jede individuelle Entität ist von allen anderen grundsätzlich verschieden. Und ausgehend von Scotus’ Argument müssen wir sagen, dass dieses Verschiedensein der individuellen Entitäten u. a. darauf beruht, dass das Individuum eine solche Einheit ist, die sich nicht in subjektive Teile teilen lässt und somit nicht mitteilbar ist. Die individuellen Entitäten zweier Individuen derselben Spezies sind daher »primär verschieden« und »nicht kompossibel« (§ 186), d. h. jedes Individuum hat eine eigene individuelle Entität, die sich von jeder anderen unterscheidet. Die individuelle Entität, dank deren Sokrates dieser-Mensch-da ist, gehört zu Sokrates allein und ist somit anders als diejenige des Kallias. (Was hier »nicht kompossibel« bedeutet, ist nicht klar. Nach Gracia wäre damit gemeint, dass die individuellen Entitäten nicht zu einem Teil von etwas anderem werden können, d. i. dass sie nichts anderes ausmachen können als das Individuum, das sie individuieren.155) Was ist also diese positive Entität oder individuelle Entität, aus der die individuelle Differenz entspringt (§ 187)? Sie ist, wie oben gesehen, die letzte Realität (ultima realitas) des Seienden, das Materie oder Form oder Kompositum ist. Zentral ist hier der Terminus »realitas«. An dem, was gemeinsam ist, kann man formal unterschiedliche realitates unterscheiden. Es gibt die Entität der Singularität, d. h. die eigene Seinsweise der Individualität, und es gibt die Entität der Natur. Beide Entitäten verhalten sich einander gegenüber nicht als 155  J. J. E.

Gracia, »Individuality and the Individuating Entity in Scotus’s Ordinatio: An Ontological Characterization«, in L. Honne­ felder / R. Wood / M. Dreyer (Hg.), John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics, S. 229–249, S. 246.

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Einleitung

zwei Dinge oder res – wie z. B. bei den realitates, woher die Gattung und die Differenz stammen. Sie sind im Gegenteil zwei formal unterschiedene Realitäten desselben Dings (§ 188). Während also die Gattung und die Spezies sich zueinander wie zwei verschiedene Dinge verhalten, sind die Entität der Natur (oder washeitliche Entität) und die individuelle Entität zwei Seiten desselben Dings. Das ist der Grund, weshalb der Begriff der realitas in Scotus’ Lehre der Individuation eine zentrale Rolle spielt: weil es darum geht, im Individuum nicht zwei Dinge, sondern zwei metaphysische Aspekte zu unterscheiden, die nur formal, nicht real unterschieden sind. Was ist damit gemeint, dass die individuelle Entität die »letzte Realität« des Seienden ist? Damit ist gemeint, dass im Seienden verschiedene realitates, verschiedene Aspekte (auf der ontologisch-metaphysischen Ebene) formal, also nicht real unterschieden werden können, die wir als geordnet begreifen, wie Scotus’ wiederholter Verweis auf die kategoriale Koordination andeutet. Die Ordnung impliziert ein erstes und ein letztes. Denken wir an die »noetische« Koordination (oder »noetische Leiter«), die von der höchsten Gattung zum Individuum Sokrates durch eine Reihe von Unterscheidungen führt: Das letzte Glied ist die Individualität des Sokrates, die demnach kein äußeres Element ist, sondern in die Koordination fällt. Denn wie wir oben gesehen haben, handelt es sich nicht um ein Akzidens, und Sokrates kann in seiner Individualität erkannt werden unabhängig davon, dass man seine wirkliche Existenz kennt. Die Realität des Individuums ist daher der letzte Ausdruck der Form. Ein zweiter Punkt betrifft den Terminus »haecceitas«. Scotus gebraucht ihn nie in der Lectura, in der Ordinatio oder in den Quodlibeta. Er kommt aber in den Reportata parisiensia und in den Quaestiones subtilissimae super libros metaphysicorum Aristotelis vor.156 Von »haecceitas« ist üblicherweise die 156 Vgl.

Reportata parisiensia, II, d. 12, q. 5, hrsg. v. Vivès, Bd. 22, S. 25, 29, 31, 32. Quaestiones subtilissimae super libros Metaphysicorum

Antworten auf die Individuationsfrage

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Rede in Bezug auf Scotus’ Metaphysik. Trotzdem ist dies nicht der von ihm bevorzugte Begriff und seine Verbreitung in der philosophischen Diskussion geht vielmehr auf die scotistische Schule oder auf die spätere scholastische Tradition zurück. »Haecceitas« drückt, anders als der lateinische Wort­ ursprung suggeriert, keine Qualität, keine Eigenschaft und keinen Zustand aus, der mehreren Subjekten gemeinsam sein kann, sondern ein jedes Individuum hat oder ist eine haecceitas und jede haecceitas ist von jeder anderen unterschieden  – eben deshalb, weil jedes Individuum als solches von allen anderen unterschieden ist. Ein weiteres Thema betrifft (§ 191) die Erkennbarkeit des Individuums. Das Individuum ist für sich erkennbar, aber nicht für einen Intellekt wie den unsrigen. Dies geht nicht auf das Individuum als solches zurück, sondern auf die Natur unserer Erkenntnis. In ähnlicher Weise liegt es an der Natur ihrer Augen, dass Eulen die Sonne nicht sehen, und nicht daran, dass die Sonne an sich unsichtbar wäre. Aristoteles spricht davon, dass der menschliche Intellekt von den offenbarsten (phanerotata) Dingen geblendet würde.157 Das ist nicht ganz derselbe Fall wie bei Scotus, es stützt sich aber auf die gleiche Voraussetzung, und zwar die Natur bzw. die Tätigkeit des menschlichen Intellekts. Wie Alexander von Aphrodisias erklärt, verhält sich unser Intellekt auf diese Weise, weil er weder absolut noch abgetrennt ist, sondern mit den Sinnen und den passiven Vermögen der Seele verbunden, die seine Tätigkeit behindern.158 Es ist daher nicht so, dass die individuelle Entität per se unintelligibel wäre, sondern, dass sie es ist für einen Intellekt, der wie der unsrige – bzw. wie der unsrige im gegenwärtigen Leben – funktioniert. Aristotelis, Buch 7, q. 13, Nr. 9 und 26, hrsg. v. Vivès, Bd. 7, S. 410 und 426. 157 Aristoteles, Metaphysik, II, 1, 993 b 9–11. 158  Alexander von Aphrodisias, In Aristotelis Metaphysica Commentaria, hrsg. v. M. Hayduck, in Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. 1, Reimer, Berlin 1891, S. 142, Z. 19–22.

LXXX

Einleitung

Im Unterschied zu uns besitzen Gott oder die Engel einen Intellekt, der alle Intelligibilia fassen kann. Worin besteht die Grenze unseres Intellekts im Vergleich zu dem der Engel? Sie besteht darin, dass im gegenwärtigen Zustand unser Intellekt von Natur aus von einem Inhalt der Einbildungskraft bewegt werden muss. Nur wenn die Gegenstände der Einbildungskraft erkannt worden sind, abstrahiert er aus ihnen die gemeinsamen rationes.159 Es sind aber die akzidentellen Aspekte – die wir durch die Sinne erwerben –, die uns die Individuen identifizieren und unterscheiden lassen. Die individuelle Differenz eines jeden entzieht sich uns. Allan Wolter bemerkt, dass Scotus’ haecceitas gleichsam wie die Quanten oder die Quarks in der theoretischen Physik ist. Es handelt sich nämlich um das Produkt einer Vernunfttätigkeit, um ein konjekturales Konstrukt, das aus theoretischen Gründen postuliert wird und dessen Eigenschaften durch Analogie oder in negativer Weise bestimmt werden. Die ersten fünf quaestiones nähern sich in dieser Hinsicht negativ oder mittels Analogie an die haecceitas an.160 Bringen wir also Scotus’ Lehre der Individuation auf den Punkt. Es ist bezüglich der Individuationstheorie von Scotus irreführend, von einem »Prinzip der Individuation« zu sprechen. Denn ein derartiger Ausdruck würde vermuten lassen, dass es für Scotus eine »positive Ursache« gäbe, durch welche die gemeinsame Natur zu diesem oder jenem Individuum wird. Die individuelle Entität aber ist nicht die Wirkung von etwas, das auf die Natur wirkt, sondern (wie auch die washeitliche Entität) eine realitas bzw. ein Aspekt des Dings. Scotus bemüht sich hier um eine eigenständige Aristoteles-Interpretation: Nach Metaphysik VII, 8, sind zwei Indi159 

Ordinatio, II, d. 3, pars 1, §§ 289–293. Zur Frage nach der Erkennbarkeit der Singulare s. auch Quaestiones subtilissimae super libros Metaphysicorum Aristotelis, q. 15, hsrg. Vivès, Bd. 7, S. 434–440. 160  A. B. Wolter, »Introduction«, in John Duns Scotus, Early Oxford Lecture on Individuation, hrsg. v. A. B. Wolter, The Franciscan Institute, St. Bonaventure, New York 2005, S. ix–xxvii, S. xii f.

Antworten auf die Individuationsfrage

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viduen (Sokrates und Kallias) für die Spezies identisch, sie unterscheiden sich wegen der Materie: Die Materie des einen ist nicht die Materie des anderen. Hieraus folgt, wie wir gesehen haben, ein Argument für die Individuation durch die Materie: Die Form drückt die Gemeinsamkeit aus, die Materie den Unterschied, also die Individualität. Scotus weist diese These zurück. Lehnt er auch das aristotelische Argument als solches ab? Scotus will aufzeigen, dass die »richtige« Interpretation des aristotelischen Textes mit seiner Lehre im Einklang steht. Aristoteles’ wirkliche Position (§ 136) ist nach Scotus in der Tat komplexer als die gängige Interpretation. Aus anderen Stellen der Metaphysik (z. B. VII, 11161) lässt sich herleiten, dass Aristoteles den Menschen bzw. die quidditas des Menschen als Kompositum aus Seele und Körper sieht, wobei die Seele die Form ist, der Körper die Materie. Dasselbe gilt parallel für den einzelnen Menschen (Sokrates). Der Unterschied besteht darin, dass im Fall der quidditas Seele (Form) und Körper (Materie) im universalen Sinne gemeint sind, im Falle des Individuums im singulären Sinne. Auch die quidditas eines zusammengesetzten Seienden wie des Menschen hat daher eine (universale) Materie, und gleichzeitig hat auch der singuläre Mensch eine (individuelle) Form, d. h. seine Form eines »Menschen«, und zwar diese-Seele-hier, die nicht jene-da ist. Anders ausgedrückt, der Unterschied zwischen dem Individuum und der Natur liegt nicht in ihren Komponenten (Form und Materie), sondern darin, dass diese (wie auch ihre Zusammensetzung) im Individuum als individuiert gelten, in der Natur als gemeinsam. Entscheidend ist hier Scotus’ Argument in seiner Antwort an diejenigen, die sich in ihrer Position (Individuation durch Materie) auf Metaphysik V, 6 (1016 b 32–33) stützen: Numerisch eins sind die Dinge, deren Materie eine ist; also liegt es an der Materie, dass eine materielle Substanz ein bestimm161 Aristoteles,

Metaphysik, VII, 11, 1037 a 5–10.

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Einleitung

tes Individuum ist. Scotus (§ 201) interpretiert diese Stelle anders. Mit »Materie« sei hier die individuelle Entität gemeint, welche die Dinge auf der Ebene des materiellen Seins bildet, und nicht auf der Ebene des formalen (d. h. quidditativen) Seins. Denn Aristoteles, bemerkt Scotus, fügt sogleich hinzu, dass eins der Spezies nach einiges ist, dessen Begriff, ratio, einer ist  – wobei unter »ratio« die Washeit verstanden werden soll, die in Bezug auf das individuelle Sein als »Form« bezeichnet wird. Zusammenfassend kann man interpretieren (so z. B. G. Sondag162), dass nicht einfach gilt, dass die Form tout court das Gemeinsame, die Materie das Individuelle bildet, sondern wir müssen annehmen, dass die Washeit eines zusammengesetzten Seienden gemeinsame Form und gemeinsame Materie ist und dass das Individuum eine individuierte Form und eine individuierte Materie ist (wichtig ist aber, dass Form und Materie nicht auf derselben Ebene stehen, weil die Form ein wichtigerer Unterscheidungsfaktor ist als die Materie, siehe § 209). Die Materie (§ 207) ist nicht die andere Seite des Kompositums, wie wenn sie etwas wäre, das außerhalb der Washeit steht, sondern sie gehört zur Washeit dazu. Deswegen kann man nicht schließen, dass die Materie das Individuationsprinzip bildet. Scotus vertritt also eine höchst interessante Position und eine ganz eigene Interpretation des Verhältnisses zwischen Form und Materie, die eine Alternative zu der des Thomas von Aquin bildet, vornehmlich was die Konzeption der Engel betrifft. Nach Thomas’ Aristotelismus, wie er ihn in De ente et essentia formuliert, hängt die Individuation bei den aus Materie und Form zusammengesetzten Seienden an der Materie, bei den Seienden hingegen, die wie die Engel nicht hylemorphisch zusammengesetzt sind, muss man annehmen, dass Spezies und Individuum übereinstimmen (es gilt trotzdem auch für diese die Komposition von Wesenheit und Sein). Für 162 

Vgl. G. Sondag, »Introduction«, in Duns Scot, Le principe d’individuation, hrsg. v. G. Sondag, Vrin, Paris 2005, S. 7–68, S. 56 ff.

Antworten auf die Individuationsfrage

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Scotus nicht: Die Individuation beruht nicht auf der Materie im thomistischen Sinne, sondern auf der individuellen Entität, sodass es auch bei den Engeln verschiedene Individuen derselben Spezies geben kann (§ 249). G. Sondag vertritt die These, dass Scotus in seiner radikalen Uminterpretation des aristotelischen Hylemorphismus von den immateriellen Substanzen ausgeht und, insofern die Individualität derselben ohne Rekurs auf eine materielle Bestimmung begründet werden kann, diese These auf die materiellen Substanzen ausdehnt. Damit ist ihm, so Sondag, eine einheitlichere Interpretation der aristotelischen Metaphysik gelungen.163 In Scotus’ Theorie der Individuation bleiben aber einige dunkle Punkte. So bemerkt er etwa (§ 182), dass die spezifische Realität (oder »realitas«, in der erwähnten prägnanten Bedeutung) das Seiende in dessen formalem Sein konstituiert (weil »Form« und »Washeit« oft als Synonyme gelten), während die individuelle Realität das materielle Sein konstituiert. Die spezifische Realität ist also formal, die individuelle materiell, weil die erstere das Sein in dessen Prädizierbarkeit bildet (in dem Satz »Sokrates ist ein Mensch« bezeichnet »Mensch« die spezifische Realität, die das Prädikat des Individuums »Sokrates« ist), die letztere das Sein ausmacht, insofern dieses das Subjekt der Prädikation ist, und dies kommt dem kontrahierten Sein zu (in dem Sinne, in dem die Natur zur Individualität »kontrahiert« ist). Damit scheint die klassische aristotelische Dichotomie von Form und Materie wieder eingesetzt worden zu sein. Aber was meint Scotus, wenn er behauptet, die Materie sei die Entität, durch die die Washeit (§ 207) kontrahiert wird, oder die individuelle Entität, durch die die Form kontrahiert wird (§ 249)? Hier werden »Materie« und »materiell« im Gegensatz zur »Form« verstanden, insofern die Form die Washeit ausdrückt (§ 249). Anders ausgedrückt, während die 163 

Dies ist im Kern die Interpretation von G. Sondag, »Introduction«, S. 66 f.

LXXXIV

Einleitung

spezifische Differenz, samt der Gattung, das Individuum in seiner Washeit bildet, also in dem, was es ist (d. h. in dessen formalem Sein), bildet die individuelle Differenz, samt der Natur, das Individuum nicht in seiner Washeit, weil sie außerhalb der Washeit fällt und folglich das Individuum nicht in seinem formalen Sein bilden kann, sondern in einem Sein, das man im Gegensatz zur Form als materiell bezeichnet.164 Es scheint daher, dass nur in diesem Sinne Scotus den Gegensatz Form-Materie aufgreift: Die individuelle Differenz ist »materiell«, weil sie außerhalb der Washeit (d. h. der »Form«) steht. Es bleibt jedoch der Verdacht übrig, dass Scotus, trotz seiner Absicht, die aristotelische Usiologie zu radikalisieren, durch die Anwendung dieser Terminologie unter Beweis stellen will, dass er mit der aristotelischen Lehre konform geht, und Punkt für Punkt zeigen möchte, dass sie mit seiner eigenen im Einklang steht  – zunächst deshalb, weil er ebenso wie Aristoteles den Standpunkt vertritt, dass für die Form identische Individuen sich durch die Materie unterscheiden (§§ 182 und 249). Leider behindert diese Terminologie das Verständnis der wirklich innovativen Aspekte seiner Lehre.

164 

Lectura, § 171.

LEBEN UND W ER K E DES JOH A NNES DUNS SCOTUS

Leben Es gibt über das Leben des Duns Scotus nur wenige gesicherte Informationen. Gleiches gilt auch für die genaue Datierung seiner Werke, ja selbst für die Authentizität mancher seiner Schriften (siehe hierzu das Literaturverzeichnis, S. 103 ff.).165 Scotus wurde Ende 1265 oder Anfang 1266 in Duns, Schottland, geboren. Das genaue Geburtsdatum ist unbekannt. Am 17. März 1291 wurde er als Priester im Orden der Minder-Brüder beim Priorat von Saint Andrews, Northampton, England, ordiniert. 1302–1303 lehrte er über die Sentenzen in Paris, der damals führenden Universität. Wahrscheinlich las er bereits um 1300 in Oxford über die Sentenzen; aus dieser Zeit stammt die sogenannte Lectura. Im Jahr 1303 musste Scotus Paris verlassen: Der französische König Philipp IV. forderte vom Klerus und von der Universität die Unterstützung für einen Appell an ein geplantes Konzil, anläßlich dessen er den Papst, Bonifatius VIII., abzusetzen beabsichtigte, und Scotus war einer von 80 Mönchen, die die Unterschrift verweigerten. Scotus ging daraufhin wieder nach England (wahrscheinlich nach Oxford). Im April 1304 wurde ihm erlaubt, nach Frankreich zurückzukehren. Er griff seine Lehrtätigkeit in Paris, insbesondere seine Sentenzenvor­lesungen, wieder auf. Am 18. November 1304 wurde er zum Magister regens, d. h. zum 165  Wichtige

Elemente für eine Rekonstruktion der Biographie von Duns Scotus liefern T. Williams, »Introduction. The Life and Works of John Duns the Scot«, in T. Williams (Hg.), The Cambridge Companion to Duns Scotus, S. 1–14, und A. B. Wolter, »Reflections on the Life and Works of Scotus«, American Catholic Philosophical Quarterly, 67, 1993, S. 1–36.

LXXXVI

Leben und Werke

Lehrstuhlinhaber der Theologischen Fakultät der Franziskaner in Paris, ernannt. Aus dieser Zeit stammt auch die dritte, zur Veröffentlichung vorgesehene Fassung seiner Sentenzenkommentare, die Ordinatio. 1306 oder 1307 disputierte Scotus in Paris über quaestiones quodlibetales. Im Jahr 1307 wurde Scotus als lector nach Köln geschickt, wo er im Franziskanerkonvent seine Lehrtätigkeit weiterführte. (»lectores« waren die Brüder, die in einer Konventenschule unterrichteten.) Am 8. November 1308 starb Scotus in Köln, wo er auch begraben wurde. Werke In die erste Phase der philosophischen Tätigkeit des Scotus (in Oxford) fallen (unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten einer chronologischen Ordnung, s. o.) folgende Schriften, die als »parva logicalia« bezeichnet werden: Quaestiones super Porphyrii Isagogem Quaestiones in librum Praedicamentorum Quaestiones in I et II librum Perihermeneias Quaestiones in libros Elenchorum Der ersten Oxforder Phase wurden üblicherweise auch folgende Werke zugeschrieben, die allerdings heute eher als Resultat einer nicht immer kontinuierlichen, eher längeren Entstehungszeit gesehen werden: Quaestiones super libros De anima Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis Vom letzteren Werk wurden die ersten fünf Bücher wahrscheinlich vor 1300 verfasst, während die Bücher 7 bis 9 aus einer späten Periode von Scotus’ Leben datieren. Eine besondere Stellung nehmen die Sentenzenvorlesungen bzw. -Kommentare ein. Wir verfügen über drei verschiedene Fassungen, und zwar die Lectura, die Ordinatio und die Reportata parisiensia (oder Reportationes parisienses).

Leben und Werke

LXXXVII

Scotus hat über die Sentenzen des Petrus Lombardus bereits während seines ersten Aufenthalts in Oxford, also um 1300, gelesen. (Die Vorlesungen über die Sentenzen gehörten zur Ausbildung der Theologiestudenten und waren insbesondere zum Erwerb der Lehrbefugnis erforderlich.) Das Material von Scotus’ eigenen Notizen zur Vorbereitung seiner Vorlesungen über die ersten zwei Bücher der Sentenzen bildet die Lectura. Wir verfügen zudem über die Notizen der Vorlesungen über das dritte Buch der Sentenzen, was die Lectura completa ausmacht. Einen frühen Oxforder Kommentar zum vierten Buch haben wir nicht  – sei es, dass Scotus nie darüber gelesen hat, oder, dass das Manuskript uns nicht erhalten geblieben ist. Eine »ordinatio« war eine Schrift, die der Autor bzw. der Lehrer selbst durch die Revision der Notizen einer Vor­lesung für die Publikation in einer ordnungsgemäßen Form verfasste (wobei Publikation selbstverständlich noch keine »Druckversion« bedeuten soll, sondern nur »handverfasste Kopien«). Das, worüber wir unter dem Titel »Ordinatio« verfügen, ist die Revision der Oxforder Vorlesungen, also der Lectura. Die Revision war aber kein linearer Prozess. Begonnen 1300 in Paris, wurde die Arbeit 1302 unterbrochen, als Scotus nach England zurückkehren musste, und wurde dann in Paris erneut aufgenommen, wo Scotus schon revidierte Teile wieder korrigierte (im Lichte der Entwicklungen seines Denkens in Paris nach 1304). Eine »reportatio« war, wie das Wort andeutet, ein aus Vorlesungsnachschriften verfasster Text. Wir verfügen über verschiedene Versionen, also verschiedene »reportationes«, ohne eindeutig festsetzen zu können, was das Verhältnis der einen zu den anderen sei. Eine der reportationes (eine Nachschrift der Vorlesungen über das erste Buch der Sentenzen) wurde aber von Scotus selbst revidiert und ist demnach vom höchsten Interesse für die Rekonstruktion der Entwicklung seines Denkens während des Pariser Aufenthalts.

LXXXVIII

Leben und Werke

Der Text der Collationes gibt Disputationen wieder, an denen Scotus sowohl in Oxford (während des zweiten Aufenthalts, also 1303–1304) wie auch in Paris teilnahm. Die Quaestiones quodlibetales stammen aus den »quodlibetalen Disputationen«, die Scotus 1306 oder 1307 in Paris hielt. »Quodlibeta« hießen die Disputationen, die der magister über jedes beliebige (»quodlibet«), vom Publikum vorgeschlagene Thema halten musste. Die Quaestiones quodlibetales wurden von Scotus selbst revidiert. Die Additiones magnae (über die ersten zwei Bücher der Sentenzen) wurden nicht von Scotus, sondern von seinem Sekretär wahrscheinlich zwischen 1312 und 1325 verfasst. Sie spiegeln aber Scotus’ Denken wider und helfen demnach beim Verständnis von Stellen der Ordinatio, die Scotus unvollständig gelassen hat. Zuletzt seien zwei Abhandlungen erwähnt, und zwar das Tractatus de primo principio und die Theoremata. Das erstere ist eine kleine theologische Abhandlung, eines der letzten Werke, wenn nicht das letzte Werk von Scotus. Bei der Abfassung des Tractatus wurde (angeblich von Sekretären) nicht wenig Material aus dem ersten Buch der Ordinatio benutzt. Über die Authentizität der Theoremata lässt sich heute nichts Endgültiges behaupten.

DUNS SCOTUS Über das Individuationsprinzip (»De principio individuationis« Ordinatio, II, distinctio 3, pars 1)

erste frage Gefragt wird, ob die materielle Substanz von sich aus, d. h. aus ihrer Natur, individuell oder singulär ist § 1  In der dritten Distinktion geht es um die Frage nach der Unterscheidung der Personen bei den Engeln. Um diese Unterscheidung zu verstehen, muss man zuerst die Unterscheidung der Individuen bei den materiellen Substanzen untersuchen, denn so wie verschiedene Autoren sich in verschiedener Weise über die letztere Frage äußern, so vertreten sie dementsprechend verschiedene Meinungen zur Pluralität der Individuen, die zu derselben Spezies von Engeln ge­hören. Um die Differenzen zwischen den Standpunkten bezüglich der Frage nach der Unterscheidung oder der NichtUnterscheidung der materiellen Substanz deutlich zu machen, werde ich die verschiedenen Stellungnahmen zu dieser Frage einzeln in Betracht ziehen. Ich werde zuerst fragen, ob die materielle Substanz von sich aus, d. h. aus ihrer Natur, individuell oder singulär ist. § 2  Dass es so ist. Der Philosoph beweist gegen Platon (Metaphysik, Buch 7), dass »die Substanz eines jeden Dinges demjenigen eigen ist, dessen Substanz sie ist, und keinem anderen innewohnt«;1 also usw. Die materielle Substanz gehört daher gemäß ihrer Natur demjenigen an, dem sie innewohnt, unter Einklammerung von allem anderen, so dass sie zufolge ihrer Natur Anmerkungen des Herausgebers: 1 

Vgl. Aristoteles, Metaphysik, VII, 13, 1038 b 10–11.

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nichts anderem innewohnen [inesse] kann. Also ist sie individuell gemäß ihrer Natur. § 3  Dass es nicht so ist. Alles, was per se seinem eigenen Begriff nach [ex ratione sua] etwas innewohnt, gehört diesem in jeder Hinsicht zu. Wenn also die Natur des Steins von selbst »diese da« wäre, dann wäre in allem, in dem die Natur des Steins sich befände, jene Natur »dieser Stein da«. Diese Schlussfolgerung aber ist in Bezug auf die bestimmte Singularität, von der hier die Rede ist, unangebracht. § 4  Außerdem: Was von selbst einem der Entgegengesetzten zukommt, dem steht das andere Entgegengesetzte von selbst entgegen. Wäre also die Natur von selbst numerisch eine, so würde die numerische Vielheit ihr widerstreiten.

I. Antwort auf die Frage A. Meinung anderer Autoren § 5  Darlegung der Meinung Einige behaupten, dass eine Natur, insofern sie von sich aus der Form nach eine Natur ist, von sich aus singulär ist. Es sei daher nicht notwendig, nach einer anderen Ursache der Singularität zu suchen als der Ursache der Natur selbst, als ob die Natur – der Zeit oder dem Wesen nach – zuerst eine »Natur« und dann singulär wäre, und nur kraft etwas, das zu ihr hinzukommt, zu einem Singulare kontrahiert würde. § 6  Diese These wird durch Rekurs auf eine Analogie bekräftigt. Eine Natur hat von sich aus das wahre Sein außerhalb der Seele, sie hat aber das Sein in der Seele nur dank eines anderen, d. h. durch die Seele selbst (Grund dafür ist, dass das wahre Sein der Natur schlechthin zukommt [sim-

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pliciter convenit], während das Sein, das sie in der Seele hat, ihr nur in einer gewissen Hinsicht [secundum quid] angehört). Ähnlich gehört dem Ding die Universalität nur nach einem Sein secundum quid [scil. das nur in einer gewissen Hinsicht gilt] an, d. h. in der Seele. Aber die Singularität kommt dem Ding dem wahren Sein nach zu, somit von sich aus und schlechthin [simpliciter]. Man muss daher nach der Ursache suchen, weshalb die Natur universal ist (es ist der »Intellekt«), man muss hingegen nach keiner anderen Ursache der Singularität der Natur suchen als der Natur des Dinges selbst, die zwischen dem Ding und seiner Singularität vermittelt. Denn die Ursachen der Einheit des Dinges sind auch die Ursachen seiner Singularität; also usw. § 7  Verwerfung der Meinung. Gegen diese These argumentiert man wie folgt: Der Gegenstand, insofern er ein Gegenstand ist, geht der Natur nach dem Akt [scil. der Erkenntnis] voraus. In diesem Zustand ist der Gegenstand der fraglichen Meinung nach von sich aus singulär, denn dies kommt immer der Natur zu, wenn sie nicht in einer gewissen Hinsicht oder nicht gemäß dem Sein, das sie in der Seele hat, betrachtet wird. Der Intellekt, der diesen Gegenstand nach der Bestimmungsweise der Universalität [sub ratione universalis] erkennt, erkennt ihn in einer Weise, die derjenigen des Gegenstands entgegensteht, denn insofern der Gegenstand dem Akt [scil. der Erkenntnis] vorausgeht, ist er von sich aus in der entgegen­ gesetzten Weise bestimmt als der universalen. § 8  Außerdem: Wenn etwas eine reale, geeignete und hinreichende Einheit besitzt, die geringer ist als die numerische Einheit, ist es nicht von selbst eins der numerischen Einheit nach (oder es ist nicht von selbst ein »Dieses«). Aber die Natur, die in diesem Stein existiert, hat eine eigene, reale oder hinreichende Einheit, die geringer ist als die numeri­ sche Einheit. Also usw.

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§ 9  Die größere Prämisse ist evident, denn nichts ist von selbst »eins« gemäß einer Einheit, die größer ist als die­ jenige, die für es hinreichend ist. Wenn nämlich die eigene Einheit  – die einem Seienden von selbst angehört  – geringer [minor] ist als die numerische Einheit, dann hat das Seiende die numerische Einheit nicht aus seiner Natur und von sich her [secundum se] (sonst hätte es genau aufgrund seiner Natur sowohl die größere wie die geringere Einheit, die aber in Bezug auf dasselbe und in derselben Hinsicht entgegengesetzt sind – denn die geringere Einheit kann ohne Widerspruch mit der Vielzahl zusammen bestehen, die aber der größeren Einheit entgegensteht; während die Vielzahl mit der größeren Einheit nicht zusammen bestehen kann, weil dies ihr widerstreitet [repugnat]; also usw.). § 10  Beweis der kleineren Prämisse. Wenn eine Natur keine »reale Einheit« hat, die geringer ist als die Singularität, und wenn jede andere Einheit als »die Einheit der Singularität und der spezifischen Natur« geringer ist als die reale Einheit, dann gibt es keine »reale Einheit«, die geringer ist als die numerische Einheit. Diese Schlussfolgerung ist aber falsch, wie ich durch fünf oder sechs Argumente beweisen werde;2 also usw. § 11  Das erste Argument. Nach dem Philosophen, in der Metaphysik, Buch 10, »gibt es in jeder Gattung ein Erstes, welches das Maß von allem ist, was zur Gattung gehört«.3 § 12  Die Einheit des Ersten, das in der Gattung Maß ist, ist eine reale Einheit, denn der Philosoph beweist, dass die erste Funktion des Messens [prima ratio mensurandi] dem »Eins« 2 

Da der Paragraph 28 einen weiteren Beweis (nach dem sechsten im Paragraphen 23) hinzufügt, handelt es sich in der Tat um sieben Argumente. 3 Aristoteles, Metaphysik, X, 1, 1052 b 18.

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zukommt, und er erklärt Schritt für Schritt [per ordinem], wie dasjenige, was in jeder Gattung die Funktion des Messens hat, »Eins« ist.4 Diese Einheit gehört aber etwas an, insofern dieses das »Erste« in der Gattung ist. Sie ist also eine reale Einheit, denn das, was gemessen wird, ist real und wird real gemessen. Aber ein reales Seiendes kann von keinem Vernunftseienden [ens rationis] real gemessen werden. Also ist die Einheit eine reale. § 13  Diese Einheit ist allerdings keine numerische Einheit. Denn in der Gattung ist kein »Singulare« das Maß von allem, was zur Gattung gehört. Wie nämlich der Philosoph, in der Metaphysik, Buch 3, behauptet, »unter den Individuen derselben Spezies ist dieses nicht früher und jenes nicht später«. 5 § 14  Der Kommentator versteht an dieser Stelle das »Frühere« [prius] als das Relat, welches das »Spätere« [posterius] macht [scil. durch Vergleich].6 Diese Interpretation betrifft aber die kleinere Prämisse [im § 13]7 nicht, denn der Philosoph will vielmehr darüber Rechenschaft geben, weshalb Platon einen getrennten Begriff [ratio] der Spezies behauptet und diesen nicht als in einer Gattung eingeschlossen betrachtet. Der Grund dafür ist, dass es unter den Spezies eine wesentliche Ordnung gibt, dank welcher das Spätere auf das Frühere zurückgeführt [reduci] werden kann (deshalb ist es nach Platon nicht notwendig, eine Idee der Gattung zu postulieren, »durch die die Spezies qua Teilnahme sind, was sie sind«; man muss nur die Idee der Spezies annehmen, auf die alle anderen zurückgeführt werden). Unter den Individuen gibt es aber nach Platon und nach dem Philosophen, 4 

Vgl. ebd., X, 1, 1052 b 20 ff. Ebd., B, 3, 999 a 12–13: »In den Individuen aber findet sich kein Früher und Später«. 6 Vgl. Averroes, In Aristotelis Metaphysicam, III, Kommentar 11, fol. 50H. 7  Vgl. weiter oben, § 13. 5 

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der Platon zitiert, eine solche Ordnung nicht, sei es, dass ein Individuum ein anderes bildet, oder nicht; also usw. § 15  Der Philosoph will sich hier also mit Platon darauf einigen, dass unter Individuen derselben Spezies keine wesentliche Ordnung besteht. Denn kein Individuum ist per se das Maß der Individuen, die zu seiner Spezies gehören – also gilt dies auch für die numerische, d. h. individuelle Einheit. § 16  Das zweite Argument. Wie der Philosoph in der Physik, Buch 7, behauptet, kann man die Elemente einer atomaren Spezies miteinander vergleichen, denn die Natur ist eine und dieselbe. Dies aber ist in einer Gattung nicht möglich, denn die Gattung hat eine solche Einheit nicht.8 § 17  Dieser Unterschied zwischen der Einheit der Spezies und derjenigen der Gattung ist kein Produkt der Vernunft [non est unitatis secundum rationem]. Denn im Intellekt ist der Begriff der Gattung ebenso numerisch »eins« wie der Begriff der Spezies. Sonst würde von vielen Spezies kein Begriff in quid ausgesagt 9 (kein Begriff wäre daher eine Gattung). Es würde hingegen ebenso viele Begriffe geben, die von den Spezies prädiziert werden, wie es Begriffe der Spezies gibt. In jeder einzelnen Prädikation würde also dasselbe von sich selbst ausgesagt. In ähnlicher Weise hat die Einheit des Begriffs oder Nicht-Begriffs nichts mit dem zu tun, was der Philosoph an der fraglichen Stelle zeigen will – nämlich mit der Möglichkeit der Vergleichung. Der Philosoph meint dort also, die spezifische Natur sei eine gemäß der Einheit der spezifischen Natur. Sie sei aber nicht eine der nume8 

Vgl. Aristoteles, Physik, VII, 4, 249 a 3 ff. »Prädikation in quid« besteht darin, dass dem Subjekt die Spezies bzw. die Gattung zugeschrieben wird. Im Fall der Spezies ist damit gemeint, dass von der Spezies die Gattung prädiziert wird. 9  Die

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rischen Einheit nach, denn in der numerischen Einheit ist keine Vergleichung möglich. Also, usw. § 18  Das dritte Argument. Nach dem Philosophen, Metaphysik, Buch 5, Kapitel »Das Relative«, gründen das Selbige, das Ähnliche und das Gleiche auf dem »Eins«.10 Derart, dass zwar die Ähnlichkeit etwas aus der Gattung dieser Qualität [scil. der Qualität »eins«] zur Grundlage hat, jedoch die Relation [der Ähnlichkeit] nur dann real ist, wenn sie eine reale Grundlage hat und auf einem realen nächstliegenden Begriff [rationem] basiert. Die Einheit, die als Grundlage einer Ähnlichkeits­ relation erforderlich ist, ist daher eine reale; sie ist aber keine numerische Einheit, denn nichts, was ein und dasselbe ist, ist sich selbst ähnlich oder gleich. § 19  Das vierte Argument. In einem realen Gegensatz [oppositio] gibt es zwei erste reale Extreme. Die Entgegensetzung [contrarietas] ist aber ein realer Gegensatz (dies leuchtet ein, denn eines der Konträren [unum scil. contrarium] verdirbt [corrumpit] oder zerstört [seu destruit] realiter das andere unabhängig von aller Tätigkeit [opus] des Intellekts, und dies geschieht nur deshalb, weil sie Konträre sind). Jedes der ersten Extreme dieses Gegensatzes ist daher real und »eins« einer gewissen realen Einheit nach. Es handelt sich aber nicht um eine numerische Einheit; denn sonst wäre genau [praecise] dieses Weiße (oder genau [praecise] jenes Weiße) das »erste Konträre« von diesem Schwarzen, und das ist unzutreffend, weil es dann so viele erste Entgegensetzungen gäbe wie konträre Individuen. Also, usw.

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Vgl. Aristoteles, Metaphysik, V, 15, 1021 a 9–12.

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§ 20  Das fünfte Argument. Der Gegenstand einer einzelnen Sinnestätigkeit ist »eins« gemäß einer gewissen realen Einheit. Diese aber ist keine numerische Einheit. Sie ist daher eine andere reale Einheit als die numerische. § 21  Beweis der kleineren Prämisse [scil. »diese aber ist keine numerische Einheit«, § 20]. Das Vermögen, das einen Gegenstand auf diese Weise erkennt (d. h. sofern der Gegenstand eins »gemäß dieser Einheit« ist), erkennt ihn, insofern es von allem unterschieden ist, was dieser Einheit nach nicht eins ist. Der Sinn aber erkennt den Gegenstand nicht, sofern dieser von allem unterschieden ist, was der numerischen Einheit nach nicht eins ist. Dies leuchtet ein, denn kein Sinn erfasst, dass dieser Sonnenstrahl sich von einem anderen numerisch unterscheidet, obwohl die zwei Strahlen wegen der Bewegung der Sonne verschieden [diversi] sind. Wenn man von allem gemeinsamen Sinnlichen [sensibilia communia] (wie etwa von der Verschiedenheit des Orts oder der Lage) absieht und wenn die göttliche Macht gleichzeitig zwei in ihrer weißen Farbe überhaupt ähnliche und gleiche Größen [quanta] schüfe, dann würde das Sehen nicht erfassen, dass hier zwei weiße Dinge da sind (wenn aber das Sehen eines von ihnen erkannte, insofern es der numerischen Einheit nach eins ist, dann würde es dieses erkennen, insoweit es der numerischen Einheit nach ein unterschiedenes Ding [unum distinctum] ist!). § 22  Man könnte auch argumentieren, dass der erste Ge­­gen­ stand eines Sinnes an sich eins kraft einer gewissen realen Einheit ist. Denn wie der Gegenstand »dieses Vermögens« – sofern er ein Gegenstand ist  – dem Intellekt vorhergeht, ebenso geht er gemäß seiner realen Einheit auch jeder Tätigkeit des Intellekts vorher. Dieses Argument aber führt nicht zu demselben Schluss wie das vorige [§ 20]. Man könnte nämlich vertreten, dass ein erster Gegenstand – insoweit er

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mit einem Vermögen adäquat zusammenstimmt  – etwas Gemeinsames ist [commune aliquod], das aus allen besonderen [particularibus] Gegenständen abstrahiert worden ist, und dass er also keine andere Einheit besitzt als das Gemeinsamsein mit jener Vielheit von besonderen Gegenständen. Dieses Argument scheint aber nicht zu negieren, dass der Gegenstand einer einzelnen Tätigkeit des Wahrnehmens notwendigerweise eine reale Einheit hat, die geringer ist als die numerische Einheit. § 23  Das sechste Argument. Wenn jede reale Einheit eine numerische ist, dann ist jede reale Verschiedenheit [diversitas] eine numerische. Diese Schlussfolgerung ist aber falsch, denn jede numerische Verschiedenheit, insoweit sie numerisch ist, ist gleich; auf diese Weise wären alle Dinge im gleichen Maß unterschieden. Daraus würde folgen, dass der Intellekt nicht eher etwas Gemeinsames aus Sokrates und Platon abstrahieren könnte als aus Sokrates und einer Linie. Jede Universalie wäre daher eine reine Erdichtung des Intellekts. § 24  Die erste Folgerung [scil. »Wenn jede reale … numeri­ sche«, § 23] wird in zweifacher Weise bewiesen. Erstens: Eins und Viele [multa], das Selbige [idem] und das Verschiedene [diversum] sind Entgegengesetzte (so Ari­sto­ teles, Metaphysik, Buch 10, Kap.  511). Aber jedes Mal, wenn man sich auf eines der Entgegengesetzten bezieht, bezieht man sich auch auf das andere (so Aristoteles, Topik, Buch 112). Jeder Einheit entspricht also ihre eigene Verschiedenheit [diversitas].

11  S.

Aristoteles, Metaphysik, X, 5, 1055 b 30 ff.; s. dazu ebd., X, 3, 1054 a 20 ff. 12  S. Aristoteles, Topik, I, 15, 106 b 14–15.

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§ 25  Zweitens: Bei jeder Verschiedenheit [diversitas] ist jedes der beiden Extreme an sich eins – und anscheinend unterscheidet es sich von dem anderen Extrem auf dieselbe Weise, wie es an sich eins ist, so dass die Einheit des einen per se der Grund der Verschiedenheit des anderen zu sein scheint. § 26  Dies wird auch auf andere Weise bestärkt. Wenn die einzige reale Einheit, die diesem Ding angehört, eine numerische ist, dann ist jede Einheit, die sich in jenem Ding befindet, von sich aus numerisch eine. Dieses und jenes Ding sind demnach hinsichtlich jeder Entität [entitas], die in ihnen ist, primär [primo diversa] verschieden, denn sie sind verschiedene Dinge, die keineswegs in einer »Einheit« übereinstimmen. § 27  Dies kann man auch wie folgt bestärken. Die numerische Verschiedenheit besteht darin, dass dieses Singulare jenes nicht ist (wenn die Entität beider Extreme vorausgesetzt wird). Aber eine solche Einheit gehört notwendigerweise auch dem anderen Extrem an. § 28  Außerdem: Auch wenn kein Intellekt existierte, würde Feuer Feuer erzeugen und Wasser zerstören. Es würde eine reale Einheit »des Erzeugenden in Bezug auf das Erzeugte« bestehen gemäß der Form, kraft welcher eine univoke Erzeugung stattfände.13 Denn es ist nicht der Intellekt, der die Erzeugung univok macht, indem er sie betrachtet, sondern er erkennt sie nur als solche.

13  Die

Erzeugung ist univok, wenn das Erzeugende und das Erzeugte dieselbe Natur haben (so etwa wenn ein Mensch einen Menschen zeugt).

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B. Eigene Meinung § 29  Auf die Frage [§ 1] antworte ich daher wie folgt. Ich gebe die oben angeführten Argumente [§§ 7–8] zu und behaupte, dass ihrer Natur gemäß die materielle Substanz nicht von selbst »diese« ist. Denn sonst – wie das erste Argument [§ 7] bewiesen hat – könnte der Intellekt sie nicht unter dem entgegengesetzten Aspekt [scil. das Singulare in universaler Weise] denken, außer er denkt seinen Gegenstand in einer Weise, die dem Begriff [rationi] des Gegenstandes widerstreitet. § 30  Wie das zweite Argument [§ 8] (samt allen seinen Beweisführungen) aufgezeigt hat, gibt es in den Dingen unabhängig von jeder Tätigkeit des Intellekts eine reale Einheit, die geringer ist als die numerische Einheit, d. h. als die eigentümliche Einheit eines Singulare. Diese »Einheit« gehört von sich aus der Natur an. Und gemäß dieser »eigentümlichen Einheit« der Natur, insofern sie Natur ist, ist die Natur indifferent gegenüber der Einheit der Singularität. Sie ist daher nicht von selbst »eine« kraft dieser Einheit, d. h. der Einheit der Singularität. § 31  Wie dies zu verstehen sei, tritt einigermaßen klar an der Stelle bei Avicenna (Metaphysik, Buch 5 14) hervor, an der er behauptet, »die Pferdheit sei nur Pferdheit und sei von selbst weder eine noch viele, weder ein Universale noch ein Partikulare«. Dies interpretiere ich auf folgende Weise: Die Pferdheit ist weder »von sich aus eine« kraft einer numerischen Einheit, noch ist sie »viele« kraft einer Vielheit, die jener Einheit entgegengesetzt sei; sie ist weder im Akt »ein 14 Avicenna,

Liber de philosophia prima sive scientia divina, V, 1, fol. 86va, S. 228–229. S. auch Avicenna’s Treatise on Logic, hrsg. v. F. Zabeeh, Nijhoff, The Hague 1971, S. 16–18, wo die Natur in Bezug auf die logische Prädikation betrachtet wird.

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Universale« (d. h. auf die Weise, wie etwas als ein Gegenstand des Intellekts ein Universale ist), noch ist sie von selbst »ein Partikulare«. § 32  Obzwar ohne eine dieser Bestimmungen die »Pferdheit« nie realiter existiert, ist sie von selbst keine von diesen, sondern sie geht von Natur aus allen vorher. Der natürlichen Priorität gemäß ist die »Washeit« [quod quid est] per se der Gegenstand des Intellekts und wird per se als solche vom Metaphysiker in Betracht gezogen und in einer Definition ausgedrückt. Die Sätze, die »gemäß der ersten Weise der Prädikation« wahr sind, sind wahr, sofern sie sich auf die so begriffene Washeit [quidditas] beziehen.15 Denn per se wird von der Washeit »gemäß der ersten Weise« nur etwas ausgesagt, das in ihr wesentlich eingeschlossen ist, insofern die Washeit von allen jenen Bestimmungen abstrahiert wird, die ihr von Natur aus hinterher folgen [posteriora]. § 33  Nicht nur ist die Natur von selbst indifferent gegenüber dem Sein im Intellekt oder im Partikulare, somit gegenüber dem Sein als einem Universale oder als einem Partikulare (d. h. einem Singulare), sondern selbst dann, wenn sie das Sein im Intellekt hat, besitzt sie die Universalität nicht primär von sich aus. Denn obzwar die Natur unter der Form der Universalität gedacht wird – das ist die Form, unter welcher die Natur vom Intellekt gedacht wird –, ist die Universalität kein Teil ihres primären Begriffs, weil sie kein Begriff der Metaphysik ist, sondern der Logik (denn der Logiker zieht die zweiten Intentionen [intentiones secundae] in Betracht, die nach ihm16 auf die ersten Intentionen angewandt wer15 Die

der ersten Weise der Prädikation nach wahren Sätze sind diejenigen, bei denen das Prädikat die Washeit, also das was es ist des Subjekts ausdrückt. 16  Was mit dem Hinweis »nach ihm« gemeint sei, leuchtet aus dem Text nicht ein. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Scotus hier auf Avicenna bezieht. Die hier gebrauchte Terminologie deutet dar-

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den). Der Intellekt richtet sich zuerst auf die »Natur«, insofern zugleich ihre Modi nicht gedacht werden, also weder der Modus, der ihr im Intellekt eigen ist, noch derjenige, der ihr außerhalb des Intellekts angehört. Obgleich die Universalität der Modus ist, mit dem der Intellekt seinen Gegenstand denkt, wird dieser Modus selbst nicht gedacht! § 34  Gemäß jener Seinsweise ist die Natur von selbst nicht universal, sondern die Universalität kommt zu ihr als ein Akzidens gemäß ihrer ersten Bestimmtheit hinzu, nach welcher sie ein Gegenstand [scil. des Intellekts] ist. Ähnlich ist die Natur in einem extramentalen Ding, in dem sie zusammen mit der Singularität [singularitas] existiert, nicht von selbst zur Singularität bestimmt, sondern sie geht naturgemäß dem Prinzip selbst [rationem] voraus, wodurch sie zur Singularität kontrahiert wird [contrahente]. Insoweit sie diesem kontrahierenden Prinzip von Natur aus vorhergeht, kann sie ohne es bestehen. Und wie der Gegenstand im Intellekt das wahre intelligible Sein kraft seiner ersten Bestimmtheit [secundum illam primitatem] und Universalität hat, so hat auch in re die Natur jener Entität gemäß [entitatem] das wahre reale Sein außerhalb der Seele. Es ist kraft jener Entität, dass sie die Einheit besitzt, die ihr proportional ist und die gegenüber der Singularität indifferent ist, so dass sie sich von selbst in jeder Einheit der Singularität befinden kann (in diesem Sinne verstehe ich, dass »die Natur eine reale Einheit hat, die geringer ist als die numerische Einheit«). Obgleich ferner die Natur die Einheit der Singularität nicht von selbst hat, in einer solchen Weise, dass diese in dem Begriff [rationem] der Natur eingeschlossen sei (weil »die Pferd-

auf hin, denn mit »intentio« – woher »erste Intention« und »zweite Intention« stammen – wurde das arabische ma’na übersetzt, das bei Avicenna die intelligible Form bezeichnet. Die erste Intention bezieht sich auf die intelligible Form eines extramentalen Dings, unter zweiter Intention versteht man die logischen Begriffe.

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heit nur Pferdheit ist«, wie Avicenna, in Metaphysik, Buch V, behauptet), ist diese Einheit eine eigene Affektion [passio] der Natur gemäß deren erster Entität [secundum entitatem suam primam]. Die Natur ist folglich »diese« weder intrinsisch noch kraft einer eigenen Entität, die in ihr gemäß ihrer ersten Entität notwendigerweise eingeschlossen sei. § 35  Es scheint, dass es gegen diese These zwei Einwände gibt. Der erste Einwand. Die These scheint anzunehmen, das Universale sei etwas Reales in re (und dies steht der Bemerkung des Kommentators, De anima, I, Kommentar 8, entgegen, nach welcher »der Intellekt die Universalität in den Dingen erzeugt, so dass diese nur kraft des Intellekts besteht«; das Universale sei demnach nur ein Vernunftseiendes [ens rationis]17). Denn die Natur, sofern sie in diesem Stein ist und trotzdem der Singularität des Steins naturgemäß vorhergeht, ist dem Ausgeführten zufolge indifferent gegenüber dem Sein in diesem oder in jenem Singulare. § 36  Der zweite Einwand. Wie Johannes von Damaskus in Der orthodoxe Glauben, Kap. 8, behauptet, »muss man bedenken, dass es etwas anderes ist, als etwas Reales betrachtet zu werden [re considerari], denn als etwas, das in der Vernunft und im Denken besteht. Insbesondere wird daher die Trennung der Hypostasen bei allen Kreaturen als real [in re] betrachtet (denn in der Realität [in re] werden Peter und Paul als getrennt begriffen).18 Die Gemeinsamkeit und die Prädikation werden hingegen als solches betrachtet, das nur im Intellekt, in der Vernunft und im Denken existiert (wir begreifen dank des Intellekts, dass Peter und Paul eine einzige Natur 17 

Vgl. Averroes, In Aristotelis De anima, I, Kommentar 8, in Averrois Cordubensis commentarium magnum in Aristotelis De anima libros, hrsg. v. F. Stuart Crawford, The Mediaeval Academy of America, Cambridge (Ma.) 1953, S. 12. 18  Mit »Hypostase« ist hier wahrscheinlich eine Person als einzelne, bestimmte Substanz gemeint.

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haben und dass ihnen eine gemeinsame Natur angehört)«. »Diese Hypostasen sind nicht eine in der anderen, sondern jede ist ein Einzelteil, das heißt realiter abgesondert«. Und er fügt hinzu: »In der heiligen und überwesentlichen Dreifaltigkeit verhält es sich umgekehrt, denn hier wird ein Gemeinsames als ein realiter Eines betrachtet«, »das nachher durch das Denken getrennt wird«.19 § 37  Ich antworte auf den ersten Einwand. Das Universale im Akt ist dasjenige, das eine indifferente Einheit hat, nach welcher es sich in der nächstliegenden Potenz befindet, von jeder individuellen Substanz 20 [suppositum] ausgesagt zu werden. Denn das »Universale« ist nach dem Philosophen, Zweite Analytik, Buch I, das, was in vielen Individuen eins ist und als solches von vielen ausgesagt wird.21 Nichts real Exis­ tierendes [nihil in re]  – gemäß jeder Art von Einheit  – ist nämlich solches, dass es genau kraft jener Einheit in der nächstliegenden Potenz [potentia proxima] ist, von jedem Individuum [suppositum] ausgesagt zu werden gemäß einer Prädikation der Art »das ist das«. Denn obwohl etwas, das realiter existiert, auch in einer anderen Singularität [singularitas] sein kann als derjenigen, in der es ist, kann man nicht von jedem, das niedriger ist als dieses Etwas, wahrhaft sagen, »jedes sei es«. Dies ist nur in Bezug auf einen numerisch identischen Gegenstand möglich, der vom Intellekt im Akt begriffen wird. Als »ein Gegenstand des Intellekts« hat es nämlich 19 

Johannes von Damaskus, Der orthodoxe Glaube, Kap. 8, §§ 16–17, in Saint John Damascene, De fide orthodoxa. Versions of Burgundio and Cerbanus, hrsg. v. E. M. Buytaert, The Franciscan Institute, St. Bonaventure, New York, Nauwelaerts, Louvain, Schöningh, Paderborn 1955, S. 42–44. Vgl. auch Patrologia Graeca, Bd. 94, col. 789– 1228, col. 827. 20 »Suppositum«. Dieser Begriff der mittelalterlichen Metaphysik bezieht sich auf die Substanz im Sinne von etwas, was nichts anderem anhaftet. 21 Aristoteles, Zweite Analytik, I, 4, 73 b 26 ff.

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auch die numerische Einheit, dank welcher es von jedem Singulare ausgesagt werden kann, indem man sagt »das ist das«. § 38  Aus dem Ausgeführten erhellt die Verwerfung der These, nach welcher »der tätige Intellekt die Universalität in den Dingen macht« [§ 35]. Erstens, weil man von jeder »Washeit«, die sich in einem Inhalt der Einbildungskraft 22 [phantasmate] befindet, sagen kann, ihr widerspreche es nicht, in einem anderen Inhalt zu sein. Zweitens, weil der tätige Intellekt die »Washeit« aufdeckt [denudat], die dem Inhalt der Einbildungskraft innewohnt. Wo nur immer die Washeit sei, bevor ihr das objektive Sein in dem möglichen Intellekt zukommt – sei sie also in der Realität oder in der Einbildungskraft, sei es, dass sie wirklich existiert oder dass ihre Existenz nur durch eine Argumentation hergeleitet wird (und so ist eine solche Natur, der es nicht widerstreitet, in einem Anderen zu sein, nicht durch irgendein Licht, sondern immer so beschaffen)23  –, hat sie doch nicht eine solche Seinsweise, dass ihr die nächstliegende Potenz zukommt, von jedem Individuum ausgesagt zu werden. Diese Potenz bekommt sie nur im möglichen Intellekt. Es gibt also in der Realität [in re] ein »Gemeinsames«, das nicht von selbst »dieses bestimmte Individuum« ist. Ihm 22 »Phantasma«.

Scotus bezieht sich auf die These des Heinrich von Gent, nach welcher der tätige Intellekt die Washeit aufdeckt, die in einem Inhalt der Einbildungskraft (phantasma) enthalten ist. Vgl. Heinrich von Gent, Quodlibeta, XIII, q. 8 in corp., in Opera omnia, Bd. 18, hrsg. v. J. Decorte, S. 51. 23  »et sic non per aliquod lumen, sed semper sit talis natura ex se cui non repugnet esse in alio«. Diese Parenthese ist für das Verständnis des Textes problematisch. P. V. Spade (Hg.), Five Texts on the Mediaeval Problem of Universals, Hackett, Indianapolis 1994, S. 66, schlägt vor, sie nach »lumen«, also »Licht« enden zu lassen. Scotus würde sich auf die augustinische Lehre der Erleuchtung beziehen, die er kritisiert. Die weitere Bemerkung »sed semper […] alio«, »sondern […] kann«, scheint hier fehl am Platz zu sein und behindert das Verständnis des Textes.

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widerstreitet also nicht, »nicht-dieses Individuum« zu sein. Es ist aber kein Universale im Akt. Denn ihm fehlt jene Indifferenz, aufgrund derer das Universale vollkommen »ein Universale« ist, d. h., aufgrund derer es irgendeiner Identität gemäß von jedem Individuum ausgesagt werden kann, so dass die Aussage gültig ist, »jedes Individuum sei das Universale«. § 39  Auf den zweiten Einwand, der auf eine Stelle des Johannes von Damaskus zurückgeführt werden kann, antworte ich wie folgt. Bei den göttlichen Personen ist das Gemeinsame nicht auf dieselbe Weise wie bei den Geschöpfen realiter eins. Denn bei Gott ist das »Gemeinsame« ein Singulare und ein Individuum, weil die göttliche Natur von selbst ein Dieses ist. In diesem Sinne ist es offensichtlich, dass bei den Geschöpfen kein Universale realiter eins ist. Denn dies anzunehmen, würde bedeuten, dass eine erschaffene, nicht getrennte Natur von vielen Individuen ausgesagt werden kann nach einer Prädikation der Art »dieses ist dieses«, d. h. auf die Weise, wie man sagt, der Vater sei Gott und der Sohn sei derselbe Gott.24 Trotzdem gibt es bei den Geschöpfen etwas Gemeinsames, das einer realen Einheit nach eins ist, die geringer ist als die numerische Einheit; dies aber ist ein »Gemeinsames« nicht in solcher Weise, dass es von vielen Individuen ausgesagt werden kann, obzwar es derart gemeinsam ist, dass es in einem anderen Individuum sein kann als demjenigen, in welchem es sich befindet. § 40  Es leuchtet also in zweifacher Weise ein, dass die angeführte Autorität meiner These nicht widerspricht. Erstens: Sie spricht hier von der Einheit der Singularität bei den gött-

24 

Die Trinität hat dogmatisch eine substantielle Einheit, wie sie u. a. mit dem ersten Konzil von Nicäa behauptet wurde. Dass eine besondere Interpretation der Universalien gewisse Folgen für die Theologie mit sich bringt, erhellt z. B. daraus, dass Roscelins Lehre eine Verleugnung des kanonischen Begriffs der Dreifaltigkeit implizierte.

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lichen Personen. In diesem Sinne ist aber das »erschaffene Universale« nicht nur nicht eins, sondern auch kein »Gemeinsames« in den Geschöpfen. Zweitens: Sie spricht hier von dem Gemeinsamen im Sinne dessen, was von vielen ausgesagt werden kann, und nicht im Sinne des Gemeinsamen, das de facto [scil. in einem Individuum] bestimmt ist (obzwar es ihm auch nicht widerstreitet, in einem anderen zu sein). Genau ein solches »Gemeinsames« kann aber in den Geschöpfen realiter aufgestellt werden.

II. Antwort auf das Hauptargument § 41  Aus dem Gesagten erhellt die Antwort auf das Haupt­ argument [§ 2]. Denn der Philosoph25 verwirft die Erdichtung, die er Platon zuschreibt, und argumentiert wie folgt: Dieser per se existierende Mensch – der als eine »Idee« aufgestellt wird  – kann nicht per se das Universale sein, das jedem Menschen anhaftet. Denn »jede per se existierende Substanz gehört demjenigen an, dessen Substanz sie ist«;26 d. h. entweder ist sie von sich aus einem Individuum »eigen«, oder kraft irgendetwas, das sie kontrahiert [contrahens] und »eigen« macht. Wenn dieses Prinzip, das sie kontrahiert, gesetzt ist, dann kann die Substanz keinem anderen innewohnen, obzwar sie an sich einem anderen angehören kann – diese Erläuterung ist in Bezug auf die Substanz richtig, wenn diese im Sinne der gemeinsamen Natur verstanden wird. Daraus folgt, dass die Idee nicht die Substanz des Sokrates ist, denn sie ist nicht die Natur des Sokrates. Sie ist nämlich weder von sich aus dem Sokrates eigen, noch ihm in einer solchen Weise eigen gemacht, dass sie in ihm allein ist, denn nach Platon ist sie auch in einem anderen Individuum. Wenn aber die Substanz im Sinne der ersten Substanz verstanden wird, dann 25 

Vgl. weiter oben, § 2. Metaphysik, VII, 13, 1038 b 10–11.

26 Aristoteles,

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ist es wahr, dass jede Substanz von sich her dem Individuum eigen ist, dem sie angehört.27 Daraus folgt noch deutlicher, dass die Idee, die als eine »per se existierende Substanz« gesetzt wird, nicht die Substanz von Sokrates oder von Platon sein kann. Die erste Bemerkung aber ist für meine Argumentation schon hin­reichend.28

III. Bekräftigung der eigenen Meinung § 42  Ich bekräftige meine Meinung [§ 6] wie folgt. Es leuchtet ein, dass gegenüber der Natur die Gemeinsamkeit und die Singularität sich nicht derart verhalten, dass die erstere das Sein im Intellekt, die letztere das wahre Sein außerhalb der Seele sei. Denn die Gemeinsamkeit kommt der Natur außerhalb des Intellekts zu, und ähnlich verhält es sich mit der Singularität – die Gemeinsamkeit gehört aber von sich aus der Natur an, während die Singularität der Natur nur dank einem Realen zukommt, das diese zu einem Singulare kontrahiert [contrahens]. Die Universalität gehört hingegen einem Ding nicht von sich aus an. Ich gebe also zu, dass man nach der Ursache der Universalität suchen muss; man muss aber nach keiner anderen Ursache der Gemeinsamkeit suchen als nach der Natur selbst. Und wenn die Gemeinsamkeit in der Natur kraft deren eigener Entität und Einheit gesetzt wird, dann ist es unbedingt notwendig, nach der Ursache der Singularität zu suchen, die zur Natur, deren Singularität sie ist, etwas hinzufügt.

27 Die

erste Substanz ist die individuelle Substanz. Mit zweiter Substanz wird die Natur gemeint. Vgl. Ordinatio, I, d. 26, § 57. 28  Vgl. weiter oben in diesem Absatz: »vel est […] secundum ipsum«, »d. h. entweder ist sie […] einem anderen Individuum«.

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zweite frage Gefragt wird, ob die materielle Substanz kraft etwas Positivem und ihr Innewohnendem [intrinsecum] von selbst individuell ist § 43  Gefragt wird zum zweiten, ob die materielle Substanz kraft etwas Positivem und ihr Innewohnendem von selbst individuell ist. § 44  Dass es nicht so ist, wird wie folgt begründet. »Eins« besagt nur die Abwesenheit [privatio] der Teilung in sich und die Abwesenheit der Identität mit anderem. Da also die Singularität und die Individuation nichts anderes bedeuten als diese doppelte Negation, 29 braucht man nicht nach etwas Positivem als ihrer Ursache zu suchen, sondern die Negation ist dazu hinreichend. § 45  Der erste Satz im § 44 wird wie folgt bewiesen. Wenn auch »eins« einen positiven Begriff bedeutete, wäre dieser jedenfalls nicht derselbe, der mit »Seiend« besagt wird (sonst wäre die Aussage »das Seiende ist eins« eine leere Wiederholung [nugatio]30). »Eins« aber bedeutet auch nicht einen anderen Begriff, sonst würde man zur Entität eines jeden Seienden eine zweite hinzutreten lassen, was absurd ist. § 46  Dagegen. Die erste Substanz31 wird per se erzeugt (so in der Metaphysik, Buch VII32) und handelt per se (so in der Metaphysik, Buch 29  Etwas

ist demgemäß ein Singulare und ein Individuum, insofern es innerlich nicht geteilt und mit anderem nicht identisch ist. 30 »Nugatio«, wörtlich ein »leeres Sprechen«, bezeichnet eine rhetorische Figur, mit der sich bereits Aristoteles beschäftigt; s. Sophistische Widerlegungen, 3, 165 b 16, oder 173 a 31–b 16. 31  Das heißt das Singulare. 32 Aristoteles, Metaphysik, VII, 8, 1033 a 24–b 19.

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I33). Unter dieser Rücksicht unterscheidet sie sich von der zweiten Substanz, welcher keine dieser Eigenschaften per se zukommt. Diese kommen daher der ersten Substanz durch dasjenige zu, was sie zur zweiten Substanz hinzufügt. Nun kommen aber diese zwei Eigenschaften formal zu etwas nicht durch eine Negation hinzu. Also fügt die erste Substanz zur zweiten Substanz nicht bloß eine Negation hinzu.

I. Antwort auf die Frage A. Die Meinung des Heinrich von Gent § 47  Die Individuation geschieht bei den erschaffenen Dingen durch eine zweifache Negation  – siehe Heinrich von Gent, Quodlibet V, Frage 8.34 § 48  Gegen diese Meinung argumentiere ich wie folgt. Ich erkläre zuerst, wie die aufgeworfenen Fragen zu diesem Thema zu verstehen sind. Ich frage mich nicht, wie eine Natur singulär oder individuell ist, wenn mit diesen Termini eine zweite Intention gemeint wird. Denn in diesem Fall wäre die »Natur« der Form nach singulär kraft der zweiten Intention und wäre eine Wirkung des Intellekts, welcher jene zweite Intention verursacht, d. h. welcher zur Natur »diese Natur« beisteuert, auf dieselbe Weise, wie zu einem möglichen Prädikat ein mögliches Sub­jekt. Ich frage auch nicht, wodurch die Natur formal im Sinn einer realen numerischen Einheit »eine« ist. Denn dank einer numerischen Einheit ist ein Ding [res] formal »eines« entweder deshalb, weil jene Einheit mit dem Seienden austauschbar ist [convertatur], oder weil sie zur Gattung der 33 

Ebd., I, 1, 981 a 16–19. Heinrich von Gent, Quodlibeta (hrsg. v. I. Badius Ascensius), Bd. 1, V, q. 8, fol. 166rM. 34  Vgl.

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Quantität gehört, oder weil sie besagt, dass etwas abwesend ist, oder, dass etwas gesetzt wird. Da es in den Seienden etwas gibt, das sich nicht in subjektive Teile35 teilen lässt – d. i. »etwas, das formal nicht in eine Vielheit von Seienden, deren ein jedes es selbst ist, geteilt werden kann [repugnat dividi]« –, frage ich mich nicht, weshalb dies ihm formal widerstreitet [repugnat] (denn dies widerstreitet ihm formal wegen einer Widersprüchlichkeit [repugnantia]), sondern frage ich mich, was der nächstliegende und innewohnende Grund dafür sei, dass diese Widersprüchlichkeit ihm anhaftet. Ich verstehe also das aufgeworfene Problem wie folgt: Was ist in diesem Stein »der nächstliegende Grund« dafür, dass es dem Stein schlechthin widerspricht, in eine Vielheit von Seienden geteilt zu werden, deren ein jedes er selbst ist? (Das ist die Art von Teilung, die einem universalen Ganzen zugehört, das in seine eigenen subjektiven Teile geteilt wird.)36 § 49  In Zusammenhang mit dieser Interpretation der Frage beweise ich, dass der Form nach etwas ein Individuum nicht auf die Weise ist, wie jene Meinung zu behaupten scheint. Zuerst darum, weil nichts einem Seienden schlechthin widerstreitet nur wegen einer Privation in ihm, sondern wegen etwas Positivem in ihm. In subjektive Teile geteilt zu werden, widerspricht daher dem Stein – insofern dieser ein gewisses 35 Gemeint

sind damit Teile, von denen das Ganze ausgesagt werden kann, bzw. Teile, die in Beziehung auf das Ganze als »Subjekt« fungieren können. Deshalb werden sie als subjektiv bezeichnet. Sokrates kann z. B. in Teile zerlegt werden. Die Aussage »Die Hand ist Sokrates« ist aber nicht gültig, denn das Ganze, das Sokrates ist, kann nicht in subjektive Teile geteilt werden. 36  Hier kommt der scotische Begriff von Individuum zum Tragen. Eine Spezies kann in subjektive Teile geteilt werden, d. h. in Teile, deren ein jeder eine Instantierung der Spezies ist. Sokrates und Kallias sind jeder eine Instantierung der Spezies »Mensch«. Ein Individuum kann nur in integrale Teile geteilt werden, wie etwa in die Teile seines Körpers.

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Seiendes [ens quoddam] ist  – nicht aufgrund irgendeiner Negation. § 50  Beweis des Vordersatzes [antecedentis]. Sosehr eine Negation die nächstliegende Potenz zum Handeln und zum Leiden aufhebt, so dass das Seiende, dem die Negation anhaftet, nicht in der nächstliegenden Potenz zu etwas ist, setzt sie doch für das Seiende keinen formalen Widerstreit [repugnantia] gegenüber etwas. Denn ließe man derartige Negationen beiseite  – sei es möglich oder nicht –, so würde das Seiende ohne sie die Bestimmungen haben, die jenen Negationen entgegenstehen, d. h. etwas, dem das Seiende, so sagt man, per se widerspricht [repugnare]. Das aber ist un­möglich. Nehmen wir ein Beispiel. Eine Substanz, die ohne Quantität begriffen wird, ist unteilbar – d. h. es ist unmöglich, dass sie gemäß ihrer nahen Potenz [potentia propinqua] geteilt wird. Trotzdem widerspricht es ihr nicht, geteilt zu werden, denn sonst würde es ihr widersprechen, eine Quantität anzunehmen, kraft deren sie formal geteilt werden könnte. Aufgrund ihrer Natur widerspricht es daher dieser körperlichen Substanz nicht, teilbar zu sein. Ähnlich kann man Folgendes bemerken: Dadurch, dass ein Seiendes »die Sicht nicht hat«, wird es zwar der nächstliegenden Potenz zum Sehen beraubt, doch entsteht daraus keine Unmöglichkeit zu sehen, denn dieselbe positive Natur (in der die Negation stattgefunden hat) kann bestehen und das Gegenteil jener Negation kann ihr innewohnen, ohne dass dies der Natur widerspricht. § 51  Ähnlich könnte man in Bezug auf das fragliche Problem argumentieren. Denn obwohl er [scil. Heinrich von Gent] annimmt, dass die Natur »von sich aus eine und individuell« ist, wird es ihr nie formal kraft einer »in der Natur selbst gesetzten« Negation widerstreiten, geteilt zu werden. So wird es nie in der Wirklichkeit ein positives Seiendes geben, das vollkommen individuell sei.

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§ 52  Wenn man nun aus irgendeinem Grund den ersten Satz meiner Argumentation [§ 49] ablehnt, behaupte ich zumindest Folgendes: »Keine Unvollkommenheit ist mit einem Ding formal inkompatibel, es sei denn wegen irgend­ einer Vollkommenheit [scil. des Dinges]« – die etwas Positives und eine positive Entität ist [entitas positiva]. Aber »geteilt zu werden«, ist eine Unvollkommenheit (deswegen kann es der göttlichen Natur nicht zukommen); also usw. § 53  Ferner: Durch eine Negation wird nichts formal in einer Entität konstituiert, die vollkommener ist als diejenige Entität, die für die Negation vorausgesetzt wird (sonst wäre die Negation formal eine positive Entität). Die erste Substanz ist aber im höchsten Grad eine Substanz (so der Philosoph in den Katego­r ien 37), sie ist sogar vortrefflicher eine Substanz als die zweite. Also wird sie in der Entität einer ersten Substanz formal nicht durch eine Negation konstituiert, insofern sie von der zweiten Substanz unterschieden ist. § 54  Ferner: Von einem »Singulare« wird per se nach der ersten Prädikationsweise dasjenige prädiziert, dessen Singulare es ist. Von einem »unter dem Aspekt der Negation betrachteten« Seienden wird aber per se keine Entität gemäß dem Begriff des ganzen Subjekts [ratione totius subiecti] prädiziert, denn das Ganze ist nicht per se Eines (wenn das Seiende gemäß der Bestimmung eines Teils [ratione partis] betrachtet wird, dann wird nicht das Höhere vom Niedrigeren prädiziert, sondern das Gleiche vom Gleichen). § 55  Außerdem: Die angeführte These [des Heinrich von Gent], nach welcher das Individuum durch eine Negation in seiner Entität und in der Einheit seiner Singularität bestimmt wird, ist nicht nur an sich falsch, wie es aus den dargelegten Argumenten [s. §§ 49–54] erhellt, sondern sie scheint auch 37 Aristoteles,

Kategorien, 5, 2 a 11–15.

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ganz überflüssig zu sein und auf die gestellte Frage nicht zu antworten, denn auch wenn sie behauptet wird, bleibt doch dieselbe Frage offen. Denn ich frage mich, aus welchem Grund die d ­ oppelte Negation, die bei der These [des Heinrich von Gent] be­haup­ tet wird, diesem Individuum zukommt. Wenn er erwidert, die doppelte Negation sei per se die Ursache, gibt er keine Antwort auf die Frage, denn ich frage, weshalb dem Individuum das Gegenteil von diesen Negationen nicht zukommen kann, demnach, weshalb diese Negationen dem Individuum anhaften. § 56  Ähnlich frage ich, aus welchem Grund die »Negation« ein Dieses ist, obwohl sie in diesem und in jenem Individuen dieselbe ist [eiusdem rationis]. Wie es nämlich in Sokrates eine doppelte Negation gibt, so gibt es eine doppelte Negation auch in Platon. Warum also ist Sokrates ein »Singulare« kraft dieser (eigenen und bestimmten) Singularität, und nicht kraft Platons Singularität? Dies aber kann man nur feststellen, wenn man den Grund findet, weshalb die »Negation« diese Negation ist. Und das kann nur kraft etwas Positivem so sein. B. Die eigene Lösung § 57  Ich gebe also die Schlussfolgerung dieser Argumen­te [s. §§ 49–56] zu: Es ist notwendigerweise kraft etwas Positivem, das ihm innewohnt  – gleichsam seiner eigenen Beschaffenheit  –, dass dieser Stein sich nicht in subjektive Teile teilen lässt. Und dieses Positive ist das, wovon man sagt, es sei per se die Ursache der Individuation, denn ich verstehe unter »Individuation« diese Unteilbarkeit bzw. diese Unmöglichkeit, geteilt zu werden [repugnantia ad divisibilitatem].

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II. Antwort auf das Hauptargument § 58  Zum Argument »dagegen« sage ich folgendes: Wenn es auch wahr wäre, dass »eins« formal jene doppelte Negation bedeutet – diese Voraussetzung ist aber überhaupt falsch (dazu siehe anderswo38) –, würde daraus nicht folgen, dass es keine positive Ursache gibt, kraft deren jene doppelte Negation ihm innewohnt. Denn aus demselben Grund würde auch die spezifische [specifica] Einheit eine doppelte Negation bedeuten, aber niemand bestreitet, dass in dem Begriff der spezifischen Entität eine positive Entität enthalten ist – eine positive Entität, aus welcher die Bestimmung [ratio] der spezifischen Differenz stammt. Das ist ein gutes Argument für die Lösung der Frage [s. § 43], das auch meine These bekräftigt. Da es nämlich in jeder Einheit, die geringer ist als die numerische, eine positive Entität geben muss (die per se der Grund der Einheit ist und derentwegen der Einheit die ihr entgegengesetzte Vielheit widerspricht), wird um so mehr  –  oder zumindest im gleichen Maß  – eine positive Entität in der perfektesten Einheit, d. h. der »numerischen«, geben müssen.

dritte frage Gefragt wird, ob die materielle Substanz kraft der wirklichen Existenz individuell ist oder ob der Grund ihrer Individuation ein anderer ist § 59  Gefragt wird zum dritten, ohne Eingangsargumente dafür oder dagegen, ob die materielle Substanz kraft der wirklichen Existenz individuell ist oder ob der Grund ihrer Individuation ein anderer ist. 38  In

der Ordinatio kommt Scotus in Wirklichkeit nicht mehr auf dieses Thema zurück.

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I. Meinung anderer Autoren § 60  Man sagt, dass es so ist. Denn in der Metaphysik, Buch VII, heißt es: »Der Akt bestimmt und unterscheidet«. 39 Die letzte Unterscheidung findet durch den letzten Akt statt. Aber der letzte Akt der Individuen verhält sich nach der Seinsweise der Existenz [est secundum esse exsistentiae], denn alle anderen Seinsweisen werden als in Potenz zu ihr begriffen.40

II. Kritik dieser Meinung § 61  Dagegen. Zuerst. Dasjenige, was von sich aus weder unterschieden noch bestimmt ist, kann nicht das erste Prinzip sein, das etwas anderes unterscheidet und bestimmt. Aber die Seinsweise der Existenz [esse exsistentiae] – wie sie sich von der Seinsweise der Wesenheit [essentiae] unterscheidet  – ist nicht von sich aus unterschieden und bestimmt (denn die Seinsweise der Existenz hat keine eigenen Differenzen, die anders sind als diejenigen der Seinsweise der Wesenheit, sonst müsste man eine eigene Koordination der Existenzen annehmen, die sich von der Koordination der Wesenheiten unterscheidet), sondern sie wird durch die Bestimmung der Seinsweise der Wesenheit bestimmt. Also bestimmt sie nicht etwas anderes. 39 

Vgl. Aristoteles, Metaphysik, VII, 13, 1039 a 3–7. 40  Der Vertreter dieser These ist nach R. Wood Robert Kilwardby. Vgl. R. Wood, Individual Forms, S. 256 ff. (Wood bezieht sich auf Lectura, q. 3, § 55, S. 26, eine Stelle, die der fraglichen sehr ähnlich ist). Robert Kilwardby, Quaestiones in librum secundum Sententiarum, q. 16, hrsg. v. G. Leibold, Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1992, S. 65, identifiziert das Individuationsprinzip mit der wirklichen Existenz. Er unterstreicht aber auch die Rolle der bezeichneten Materie; ebd., S. 66.

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§ 62  Ausgehend von diesen Prämissen kann man auch anders argumentieren. Dasjenige, was die Bestimmung und die Unterscheidung eines anderen voraussetzt, kann nicht das Prinzip sein, wodurch dieses andere unterschieden und bestimmt wird. Aber die Existenz, insofern sie bestimmt und unterschieden ist, setzt die Ordnung und die Unterscheidung der Wesenheiten voraus. Also usw. § 63  Wenn man erwidert, die Existenz setzt alle anderen Unterscheidungen voraus außer die Unterscheidung in Individuen, aber sie verursacht diejenige, die sozu­sagen zum Individuum führt, antworte ich Folgendes: In einer prädikamentalen Koordination ist alles enthalten, was per se zu jener Koordination gehört, mit Ausnahme von dem, was nicht in sie fällt. Denn nach dem Philosophen (Zweite Analytik, Buch I) »kommt man in jedem Prädikament sowohl nach unten wie nach oben zum Stehen«.41 So wie man daher eine höchste Bestimmung in der Gattung eben dadurch findet, dass man die Gattung in Hinsicht auf die Wesenheit [sub ratione essentiae] betrachtet, so werden auch Mittelgattungen, Spezies und Differenzen gefunden. Es wird dort auch die niedrigste Bestimmung gefunden, d. i. das Singulare, ohne dass die wirkliche Existenz in Betracht gezogen wird. Und das ist offensichtlich, denn »dieser Mensch« enthält formal nicht eher die wirkliche Existenz als die Bestimmung »Mensch«. § 64  Darüber hinaus. Bezüglich der Existenz stellt sich dieselbe Frage wie bezüglich der Natur, und zwar, wodurch sie zu »Diesem« kontrahiert wird. Wenn nämlich die »spezifische Natur« in mehreren Individuen dieselbe ist, hat sie in ihnen dieselbe Art von Exis­tenz. Bei der Lösung der ersten Frage wurde bewiesen, dass die Natur nicht von selbst ein »Dieses« ist; ebenfalls kann man sich fragen, wodurch die 41 

Vgl. Aristoteles, Zweite Analytik, I, 20, 82 a 21–22.

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Existenz ein »Dieses« ist (da sie nicht von selbst ein »Dieses« ist). Es ist demnach nicht hinreichend zu sagen, es sei dank der Existenz, dass die Natur ein »Dieses« ist.

III. Antwort auf das Argument für die angeführte These § 65  Ausgehend davon antworte ich auf das Argument für die angeführte These. Ein Akt unterscheidet in der Weise, wie er ein Akt ist. Ein akzidenteller Akt unterscheidet in akzidenteller Weise, ein wesentlicher Akt in wesentlicher Weise. Ich behaupte daher, dass die letzte Unterscheidung in der prädikamentalen Koordination die individuelle Unterscheidung ist; diese erfolgt durch den letzten Akt, der per se die prädikamentale Koordination betrifft. Die wirkliche [actualis] Existenz aber gehört nicht per se zur prädikamentalen Koordination. Sie ist der letzte Akt, der aber der ganzen prädikamentalen Koordination folgt. Ich gebe also zu, dass die wirkliche Existenz als letzte unterscheidet, aber durch eine Unterscheidung, die außerhalb der ganzen prädikamentalen Koordination fällt. Diese Unterscheidung ist sozusagen quasi-akzidentell; denn obgleich sie nicht eigentlich akzidentell ist, folgt sie der ganzen Koordination des washeitlichen Seins. Sie unterscheidet also in der Weise, wie sie ein Akt ist; und insofern sie der letzte Akt ist, unterscheidet sie zuletzt.

vierte frage Gefragt wird, ob die materielle Substanz kraft der Quantität individuell oder singulär ist. § 66  Gefragt wird zum vierten, ob die materielle Substanz kraft der Quantität individuell oder singulär ist.

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§ 67  Dass es so ist. Boethius sagt in der Schrift Über die Trinität: »Die Verschiedenheit [varietas] der Akzidenzien verursacht die numerische Differenz. Denn drei Menschen unterscheiden sich voneinander weder durch die Spezies noch durch die Gattung, sondern durch ihre Akzidenzien. Wenn nämlich wir im Denken alle Akzidenzien voneinander abtrennen, hat ein jedes von ihnen einen unterschiedlichen Ort. Wir können keineswegs begreifen, dass zwei Körper sich an einem und demselben Ort befinden, denn zwei Körper nehmen nicht einen einzigen Ort ein. Der Ort ist aber ein Akzidens. Es gibt also ebenso viele numerisch verschiedene Körper, wie ihre Akzidenzien sind«.42 Das erste unter allen Akzidenzien ist die Quantität, auf die insbesondere sich Boethius mit »Ort« zu beziehen scheint (wenn er sagt, dass »wir denselben Ort [scil. für zwei Körper] nicht begreifen können«), denn der Ort kommt den Körpern zu, insofern sie eine Quantität haben. § 68  Außerdem. Johannes von Damaskus bemerkt in Elementarium, Kap. 5 (ohne die Vorrede zu rechnen): »Alles, wodurch sich eine Hypostase von einer anderen derselben Spezies unterscheidet, wird als hinzutretende Differenz [differentia adventitia], charakteristische Eigenschaft und hypostatische Qualität bezeichnet. Dies aber ist ein Akzidens. Zum Beispiel: ›Ein Mensch unterscheidet sich von einem anderen, da der eine groß, der andere klein ist‹«.43 § 69  Außerdem. Avicenna sagt in der Metaphysik, V, 2: »Zu einer Natur, die der Materie bedarf, treten in äußerlicher Weise Akzidenzien und Dispositionen hinzu [adveniunt], wodurch sie individuiert wird«.44 42 Boethius,

De trinitate, Kap. 1, S. 6–8. von Damaskus, De institutione elementari, Kap. 4, in Patrologia graeca, Bd. 95, col. 97–112, col. 103. 44 Avicenna, Liber de philosophia prima, V, 2, fol. 87va, S. 240. Avi43  Johannes

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§ 70  Dagegen. Wie in der zweiten Frage behauptet wurde [§ 46], wird die erste Substanz per se erzeugt und handelt per se, insofern sie sich von der zweiten Substanz unterscheidet, welcher diese Eigenschaften nicht per se zukommen. Sie kommen aber nicht »einem Seienden per accidens« zu.45 Was das ErzeugtWerden betrifft, leuchtet dies aus Metaphysik, Buch VI, ein. Es ist offensichtlich auch in Bezug auf das »Handeln«, denn ein Agens per se ist ein Seiendes per se in einer kausalen Ordnung.

I. Zur Frage A. Meinung anderer Autoren 1. Darlegung der Meinung § 71  Einige Autoren antworten in affirmativer Weise, d. h., dass die materielle Substanz kraft der Quantität singulär und individuell ist.46 § 72  Für diese These wird folgender Grund angeführt.47 Was einem Ding primär und per se zukommt, kommt jedem cenna unterscheidet hier zwischen der Natur, die keine Materie benötigt, um eine Existenz zu haben, und der Natur, die dagegen die Materie benötigt und demnach nur dann existiert, wenn die Materie vorhanden ist. 45  Ein Seiendes per accidens ist ein Seiendes, das durch ein Akzidens bestimmt wird. 46  Scotus legt hier die Meinung des Thomas von Aquin dar. Siehe z. B. Summa theologiae, I, q. 50, a. 2 in corp., Bd. 1, S. 253; Summa contra gentiles seu Liber de veritate catholicae fidei contra errores infidelium, hrsg. v. C. Pera / P. Marc / P. Caramello, Marietti, Torino/Roma 1961–1967, 3 Bde., IV, Kap. 65, Bd. 3, S. 368. Nach V. Spade, Five Texts on the Medieval Problem of Universals, S. 75, bezieht sich Scotus auch auf Aegidius Romanus und Gottfried von Fontaines. 47  Gottfried von Fontaines, Quodlibeta, VII, q. 5, S. 333.

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anderen Ding durch dieses [per rationem eius] zu. Die Substanz und die Quantität bilden aber nicht etwas Einheitliches per se, sondern nur etwas Einheitliches per accidens. Derjenigen von ihnen [scil. Substanz und Quantität], der primär und per se die Teilbarkeit in Teile von derselben Art [eiusdem rationis] zukommt, gehört daher auch die Singularität an. So verhält sich die Quantität, denn sie kann von sich aus unendlich geteilt werden (vgl. Metaphysik, Buch V48). Dasjenige, was der Quantität primär und per se zukommt, gehört demnach einem anderen Ding nur durch die Bestimmung der Quantität [per rationem eius] an. Dies betrifft die Teilung der Spezies in ihre Individuen, denn die Individuen sind formal nicht je von einer anderen Art [alterius rationis], wie hingegen die Spezies, in die eine Gattung geteilt wird. Im Ausgang davon wird auch folgendes Argument vorgebracht.49 In Teile von derselben Art [eiusdem rationis] teilbar zu sein, kommt einem Ding kraft der Quantität zu (s. Metaphysik, Buch V50), und das Prinzip der Teilung für eine Natur stimmt mit dem Prinzip der Unterscheidung der Teile überein. Also ist es kraft der Quantität, dass die Individuen sich individuell voneinander unterscheiden. Daraus schließt man, dass einem Ding, dem eine solche Unterscheidung angehört, die Teilung in Individuen kraft der Quantität zukommt. Es ist demnach kraft der Quantität, dass ein Individuum ein Individuum ist. § 73  Außerdem. »Dieses Feuer« unterscheidet sich von jenem Feuer nur darum, weil eine Form sich von einer anderen unterscheidet. Eine Form aber unterscheidet sich ihrerseits von einer anderen nur deshalb, weil sie in einem anderen Teil der Materie aufgenommen wird, und ein Teil der Materie unterscheidet sich von einem anderen, weil er eine 48 Aristoteles,

Metaphysik, Buch V, 13, 1020 a 7–8. Gottfried von Fontaines, Quodlibeta, VII, q. 5, S. 328. 50 Aristoteles, Metaphysik, Buch V, 13, 1020 a 7–8. 49 

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andere Quantität hat. Also wird die ganze Unterscheidung dieses Feuers von jenem Feuer auf die Quantität zurückgeführt als auf das erste Unterscheidungselement [primum distinctivum]. § 74  Dieses Argument wird bekräftigt wie folgt. Das Erzeugende erzeugt etwas anderes nur deshalb, weil beide eine unterschiedliche Materie haben. Notwendige Voraussetzung dafür ist, dass die Materie des Erzeugten eine bestimmte Quantität besitzt und unter eine unterschiedene Quantität fällt. Dass sie eine bestimmte Quantität haben muss, leuchtet ein, denn ein natürliches Agens kann nicht auf dasjenige einwirken, was keine bestimmte Quantität hat. Es ist auch offensichtlich, dass sie eine andere Quantität hat, denn sie kann nicht durch die Quantität des Erzeugenden quantifiziert werden. Ihre Quantität aber geht naturgemäß dem Sein des Erzeugten voran, somit auch der Unterscheidung des Erzeugenden und des Erzeugten. Nun, sie würde naturgemäß nicht vorangehen, wäre sie nicht naturgemäß und per se vorausgesetzt als dasjenige, was das Erzeugte und das Erzeugende unterscheidet. Also usw.

2. Verwerfung der angeführten Meinung § 75  Gegen diese Schlussfolgerung [§ 71] argumentiere ich in vier Weisen: erstens ausgehend von der Identität der numerischen Bestimmung [rationis numeralis], d. i. der Indivi­ duation oder der Singularität; zweitens ausgehend von der Ordnung der Substanz in Bezug auf die Akzidenzien; drittens ausgehend von der Struktur [ratio] der prädikamentalen Koordination. Diese drei Argumentationen werden im Allgemeinen beweisen, dass per se kein Akzidens der Grund der Individuation der materiellen Substanz sein kann. Die vierte Argumentation richtet sich insbesondere gegen den Begriff der Quantität in Rücksicht auf den Schluss der ange-

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führten Meinung. Eine fünfte Argumentation wird sich gegen die Argumente richten, worauf sich die angeführte Meinung stützt.

a. Erste Argumentation: ausgehend von der Identität der Individuation oder der Singularität § 76  Was die erste Argumentation betrifft, werde ich zuerst erklären, was ich unter »Individuation« oder »numerischer Einheit« oder »Singularität« verstehe. Es handelt sich nicht um die unbestimmte Einheit, durch die ein beliebiges Element einer Spezies als numerisch eins benannt wird, sondern um die bezeichnete Einheit [unitatem signatam] als ein »Dieses«. Folglich, wie es oben [§ 48] gesagt worden ist, dass es für ein Individuum nicht kompossibel [incompossibile] ist, in subjektive Teile geteilt zu werden, und man nach dem Grund dieser Unmöglichkeit suchen muss, so sage ich auch, dass es für ein Individuum nicht kompossibel ist, kein bezeichnetes »Dieses« gemäß dieser Singularität zu sein, und man nach der Ursache nicht der Singularität im Allgemeinen suchen muss, sondern »dieser« bezeichneten Singularität insbesondere, d. h. insofern sie ein bestimmtes »Dieses« ist. § 77  Ich verstehe also die Singularität in diesem Sinne. Ausgehend davon argumentiere ich in zweifacher Weise. Erste Weise. Eine Substanz, die im Akt existiert und keine substantielle Veränderung erleidet, kann nicht aus »dieser« »nicht diese« werden. Denn die Singularität – in dem eben angeführten Sinn – kann nicht derselben Substanz einmal so, einmal anders innewohnen, wenn die Substanz sich identisch erhält und keine substantielle Veränderung erleidet. Eine Substanz aber, die im Akt existiert, kann ohne Widerspruch  – auch wenn sie keine substantielle Veränderung erleidet – eine oder eine andere Quantität und jedes ab­solute Akzidens aufnehmen. Es ist daher durch keine Quantität

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und kein absolutes Akzidens, dass sie formal »diese Substanz« gemäß dieser bezeichneten Singularität ist. 51 § 78  Die kleinere Prämisse leuchtet ein, denn es besteht kein Widerspruch, wenn Gott eine Substanz, die gemäß dieser Quantität bestimmt ist, identisch erhält und mit einer anderen Quantität informiert [informat]. Diese Substanz, die im Akt existiert, erleidet dadurch keine substantielle Veränderung, denn in diesem Fall geschieht nur die Veränderung aus einer Quantität zu einer anderen. Ähnlich, wenn die Substanz durch dieses oder jenes Akzidens verändert wird, erleidet sie keine substantielle Veränderung. Sei dies möglich oder unmöglich, ist es doch nicht dadurch, dass die Substanz formal »nicht diese« wird. § 79  Sollte man erwidern, dies sei ein Wunder und beweise demnach nichts gegen die natürliche Vernunft, würde ich Folgendes antworten: Kein Wunder betrifft das Widersprüchliche, zu dem keine Potenz besteht. Ein Widerspruch würde aber dann bestehen, wenn eine Substanz, die sich identisch erhält, ohne eine substantielle Veränderung zwei Substanzen wäre, geschehe es nacheinander oder gleichzeitig. Dies aber wäre der Fall, wenn eine Substanz formal »diese« kraft irgendeines Akzidens wäre; denn wenn ein Akzidens auf ein anderes folgte, wäre die Substanz nacheinander zwei Substanzen, ohne sich verändert zu haben. § 80  Dies wird durch Analogie mit der spezifischen Einheit bekräftigt. Denn für eine Substanz, die sich identisch erhält – die also keine substantielle Veränderung erleidet –, ist es nicht kompossibel [incompossibile], gleichzeitig oder nacheinander diese Spezies und nicht diese Spezies zu sein. Dasselbe gilt durch Analogie auch für die fragliche These. 51  Absolute

Akzidenzien sind die Akzidenzien, die zu den Kategorien der Quantität und der Qualität gehören.

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§ 81  Zweite Weise. Zwei vollständige Erzeugungen [productionum completarum] im substantiellen Sein können nicht dieselbe erste Zielbestimmung [terminus] haben. 52 (Denn in diesem Fall hätten beide Erzeugungen das vollkommene substantielle Sein, dank dessen beide vollendet [completa] wären, und dasselbe würde in vollendeter Weise zweimal erzeugt. Wenn auch diese zwei Erzeugungen nicht gleichzeitig stattfänden, würde doch dieselbe Substanz, die per se und im Akt existiert, erzeugt, obzwar sie schon im Akt existiert. Also kann es zumindest für zwei aufeinanderfolgende Erzeugungen nicht dieselbe Zielbestimmung geben.) Die erste Zielbestimmung der Erzeugung des Brots ist aber »dieses Brot«. Das Brot wird allerdings transsubstantiiert [transubstantiatur], obwohl seine Quantität dieselbe bleibt. Wenn also ein anderes Brot erschaffen wird und ihm diese sich erhaltende Quantität zugeteilt wird, dann ist die Ziel­ bestimmung der Erschaffung »dieses Brot«, das mit dem Brot übereinstimmt, das die Zielbestimmung der Erzeugung war. Denn dieses Brot ist numerisch »dieses« gemäß derselben Singularität, nach der jenes Brot »dieses« war. Daraus folgt außerdem, dass dasselbe »dieses Brot hier« transsubstantiiert und nicht-transsubstantiiert wird, sogar, dass kein Brot transsubstantiiert wird  – weder das Brot im Allgemeinen, noch dieses singuläre Brot, da gemäß der angeführten Meinung [§ 71] dieses Brot sich erhält, insofern die Quantität, durch die es formal »dieses« ist, nicht-verändert ist. Im Leib Christi wird daher überhaupt nichts transsubstantiiert, was zu sagen häretisch ist.

52  Eine

vollständige Erzeugung im substantiellen Sein ist eine vollständige Substanz, d. h. ein Individuum.

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b. Zweite Argumentation: ausgehend von der Ordnung der Substanz gegenüber den Akzidenzien § 82  Was die zweite Argumentation betrifft, gehe ich vor wie folgt. Die Substanz ist naturgemäß früher als jedes Akzidens – so der Philosoph in der Metaphysik, Buch VII. 53 Aristoteles versteht an dieser Stelle die Substanz als eine der Kategorien, in die das Seiende geteilt wird; er will hier also nicht die Lehre der Substanz im Sinne von Gott oder von der ersten Substanz darlegen. 54 So wie er nämlich die Priorität der Substanz beweist, beweist er auch, dass sie zu den Kategorien gehört, in die das Seiende geteilt wird. Weil sie jedem Akzidens vorausgeht, so dass, um alle Kategorien zu bestimmen, in die das Seiende geteilt wird, es genügt, die Substanz zu bestimmen, insofern sie das Erste unter ihnen ist. Denn man gewinnt die Erkenntnis der Akzidenzien daraus, dass sie der Substanz zugeschrieben werden. Dies aber ist für das fragliche Thema nicht relevant, außer man bezieht sich auf die Substanz gemäß ihrer ganzen Koordination. Nichts, was dieser Koordination hinterher folgt, kann daher der formale Grund sein, weshalb etwas in sie fällt. Aufgrund der allgemeinen Priorität der Substanz, insofern sie eine gemeinsame Bestimmung ist, ist es also hinreichend, die Koordination der ersten Substanz zu bestimmen, der diese natürliche Priorität gegenüber jedem Akzidens zukommt. Es gehört also zur ersten Substanz ihrem eigenen Begriff zufolge, dass sie naturgemäß »diese« ist, bevor sie durch irgendein Akzidens bestimmt wird. § 83  Dieser Schluss kann auf folgende Weise bekräftigt werden. Wenn ein Ding einem anderen vorausgeht, dann geht 53 Aristoteles,

Metaphysik, VII, 1, 1028 a 10–1028 b 2. In Aristotelis Metaphysicam, VII, Kommentar 2, fol. 153G-K, interpretiert dagegen die hier dargelegte Substanzlehre in Beziehung auf Gott oder auf die erste Substanz. 54 Averroes,

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auch das überhaupt Erste an ihm dem anderen Ding voraus. Aber das überhaupt Erste in der Substanz »im Allgemeinen« ist die erste Substanz. Also geht diese schlechthin jedem Akzidens voraus; so ist sie »diese«, bevor sie auf irgendeine Weise durch etwas anderes bestimmt wird. § 84  Man erwidert, die erste Substanz habe eine Priorität [prior est] gegenüber der Quantität im Hinblick auf das Sein, aber nicht auf das Teilen – wie auch die zweite Substanz eine Priorität hinsichtlich der Entität [entitate] hat, aber nicht der Teilbarkeit. § 85  Dagegen. Diese Antwort verwirft sich selbst. Denn wenn die erste Substanz im Hinblick auf das Sein eine natürliche Priorität gegenüber der Quantität hat und wenn sie in ihrem Sein nur insofern verstanden werden kann, als sie »diese« ist, hat sie eine Priorität in Rücksicht auf das Sein nur deshalb, weil sie eine Priorität im individuellen Sein hat. Es ist daher nicht dank der Quantität, dass sie »diese« ist. § 86  Außerdem. Die Form geht der Zusammensetzung schlechthin voraus, wie der Philosoph in der Metaphysik, Buch VII, Kap. 2, beweist. 55 Wäre also die Quantität die Form der ersten Substanz, insofern sie die erste Substanz ist, dann würde sie der ersten Substanz im Hinblick auf das Sein schlechthin vorausgehen. Denn wenn sie nicht die Form hinsichtlich des Seins ist, dann ist sie es auch nicht im Hinblick auf das Teilen, wie auch auf die Einheit, die der ersten Substanz zukommt, insofern sie ein solches Seiendes ist (aus jeder Entität folgt nämlich ihre eigene Einheit, die keine andere Ursache hat als die der Entität selbst).

55 Aristoteles,

Metaphysik, VII, 2, 1029 a 5–7.

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§ 87  Außerdem. Die Substanz ist naturgemäß früher als jedes Akzidens, insofern sie das Subjekt von jedem Akzidens ist. Man beweist nämlich, dass ihrer Definition nach die Substanz – insofern sie »Subjekt« ist – eine Priorität gegenüber jedem Akzidens hat, denn in diesem Sinne wird sie in der Ordnung der Definition von »jedem beliebigen« Akzidens als ein zusätzliches Element gesetzt. Soweit sie aber »Subjekt« ist, ist sie diese Substanz, denn bei jeder Gattung von Ursache sind die Ursachen von singulären Dingen auch singulär – so der Philosoph, Physik, Buch I, und Metaphysik, Buch II. 56 Die Ursache eines singulären Akzidens ist also ein singuläres Subjekt. Dies gilt besonders in dem Fall eines akzidentellen Akzidens, denn dieses wohnt »primär« einem Singulare inne, wie der Philosoph in der Metaphysik, Buch V, Kap. 9 »Dasselbe«, behauptet. 57 § 88  Außerdem. Alles, was naturgemäß einem anderen vorangeht, geht diesem auch im Hinblick auf die Zeit voran, in folgendem Sinne: Insofern es von sich aus besteht, widerspricht ihm nicht, demjenigen in der Zeit voranzugehen, was in Bezug auf es ein Späteres ist. Denn die Priorität [prioritas] in der Natur impliziert im Allgemeinen für das Frühere, dass es ohne Widerspruch »ohne das Spätere bestehen kann« (aus der Metaphysik, Buch V, Kap. 11 »Früher und später«58). Jede Substanz kann demnach ohne Widerspruch, insofern sie von sich aus besteht, jedem Akzidens, mithin auch der Quantität in der Zeit vorangehen.

56 Aristoteles,

Physik, II, 3, 195 b 25–26; Metaphysik, I, 1, 981 a

16–19. 57 Aristoteles, Metaphysik, V, 9, 1017 b 35–1018 a 3. 58  Ebd., V, 11, 1019 a 2–4.

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c. Dritte Argumentation: ausgehend von der Struktur der prädikamentalen Koordination § 89  Was die dritte Argumentation betrifft, gehe ich vor wie folgt. In jeder prädikamentalen Koordination sind alle Elemente da, die zu jener Koordination gehören, unter Ausschluss von allem anderen, was nicht wesentlich in jene Koordination eintritt (Beweis: Zwei Koordinationen sind primär verschieden; nichts, was zur ersteren gehört, ist demnach so wegen eines Elements der letzteren59). Aber jede prädikamentale Koordination enthält, insofern sie nach oben und nach unten eine Grenze hat (so der Philosoph in der Zweiten Analytik, Buch I), sowohl ein erstes Prädikat, von dem nichts prädiziert wird, wie auch ein letztes Subjekt, dem kein weiteres Subjekt zugrunde liegt. Das Singulare oder das Individuum fällt daher in eine Koordination durch nichts, was zu einer anderen Koordination gehört.60 § 90  Zweitens. Zu jeder Koordination, unter Einklammerung von allem, was in eine andere fällt, gehört die Bestimmung der Spezies [ratio speciei]. Denn niemand denkt, dass die Spezies in eine Gattung aufgrund eines Akzidens fällt (ich meine ein »absolutes Akzidens«). Die Spezies aber ist ihrem Begriff nach dasjenige, was von vielen, numerisch unterschiedlichen Subjekten ausgesagt werden kann. Also kann man in jeder Koordination etwas Innewohnendes, ein Individuum und ein Singulare finden, von dem die Spezies prädiziert wird – oder zumindest kann man etwas finden, was »nicht von vielen prädiziert werden kann«. (Sonst, wenn nichts derart zum Subjekt werden könnte, würde es in dieser Koordination keine »speziellste Spezies« geben, 59  Der

Text der Vatikan-Ausgabe (wörtlich »wegen der Koordination der letzteren«) ist hier problematisch. Ich bin einer Variante gefolgt, die in einem »Kodex« bezeugt wird. 60 Aristoteles, Zweite Analytik, I, 22, 83 b 2–5.

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zu deren Begriffsbestimmung es gehört, prädizierbar zu sein.61) § 91  Drittens. Dem untersten »Subjektierbaren« bzw. dem untersten Subjekt kommt per se die Prädikation von jeder beliebigen Prädikabilie zu, so wie das erste Prädikat per se von jedem Prädikat seiner Koordination prädiziert wird. Aber einem Seienden per accidens, insofern es per accidens ist, kommt keine Prädikation per se zu. Das unterste Subjekt in der Koordination kann demnach kein Seiendes per accidens sein. (Nach dem Philosophen, Metaphysik, Buch  V, Kap. 6 »Eins«,62 ist allerdings dasjenige, was Dinge aus verschiedenen Gattungen ansammelt, ein Seiendes per accidens.) § 92  Viertens. Was seiner Natur nach genau so beschaffen ist, dass es einer gewissen Bestimmung gemäß [secundum aliquam rationem] etwas zukommt, kommt allem, dem es jener Bestimmung gemäß wesentlich zukommt, schlechthin gemäß jener Bestimmung und wesentlich zu. Aber das universale Sein in der Koordination der Gattung »Substanz« kommt etwas genau insofern zu, als dieses Etwas zu dieser Koordination gehört, unter Einklammerung von allem, was in eine andere Koordination fällt. Wenn also die »Gemeinsamkeit« etwas wesentlich zukommt, insofern es zu dieser Koordination gehört, kommt sie ihm schlechthin und wesentlich zu.63 Nun, sosehr die Gemeinsamkeit durch etwas, das zu einer anderen Gattung gehört, kontrahiert werden mag, 61  Eine

»speziellste Spezies« ist eine Spezies, die nicht in Spezies, sondern in Individuen geteilt werden kann, so etwa die Spezies »Mensch«. 62 Aristoteles, Metaphysik, V, 6, 1015 b 16–36. 63  Vgl. dazu Lectura, q. 4, § 94: »Praeterea, quando aliquid convenit alicui secundum aliquam rationem praecisam, – cui convenit essentialiter illa ratio praecisa, et illud quod convenit secundum illam rationem (sicut patet inductive); sed in coordinatione substantiae convenit ›esse universale‹, et hoc ratione naturae generis huius

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nimmt dies doch von demjenigen, was eben zu ihrer Koordination selbst gehört, nichts weg. Sosehr Sokrates durch das Weiß-Sein oder das Schwarz-Sein bestimmt werden mag (zu denen er in Potenz ist), gehört doch Sokrates keineswegs in einer bestimmteren Weise zur Gattung der Substanz als früher, weil er schon früher ein »Dieses« war. Man kann also auch denken, dass die Natur, die in die Gattung der Substanz fällt, zu einem Individuum durch etwas kontrahiert wird, das zu einer anderen Gattung gehört, doch wird die Natur formal eine »gemeinsame« bleiben, sei sie kontrahiert oder nicht. Zu behaupten, dass das Gemeinsame zu einem Individuum durch etwas gemacht wird, das zu einer anderen Gattung gehört, heißt folglich zu behaupten, dass es zugleich ein Gemeinsames und ein Individuum oder ein Singulare ist. § 93  Sicherlich um die Beweisführungen dieser zwei Argumentationen [§§ 82–88 und 89–92] zu umgehen, behaupten manche die These der Quantität in einer anderen Weise, und zwar wie folgt. Wie die Ausdehnung [extensio] der Materie in ihrer Natur anders ist als die Natur der Quantität der Materie und zur Wesenheit der Materie nichts hinzufügt, so ist die Bezeichnung [signatio] der Materie, die durch die Quantität verursacht wird, anders als die Bezeichnung der Quantität selbst und geht naturgemäß der Bezeichnung voraus, die der Materie durch die Quantität zukommt. Die Bezeichnung der Materie ist anders als die der Quantität, sie unterscheidet sich aber nicht von der Substanz – denn wie es nicht durch die Natur der Quantität ist, dass die Materie Teile hat (weil ein Teil der Materie noch Materie ist), so ist die bezeichnete Substanz [substantia signata] nichts anderes als die Substanz selbst (»Bezeichnung« nämlich bedeutet nur eine Verhaltensweise).64 absolutae; ergo cui convenit illa natura absoluta (et non contracta), illud erit universale illius coordinationis«. 64  Vgl. dazu Aegidius Romanus, Quodlibeta, I, q. 11, S. 24 f.

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§ 94  Dagegen. Diese These scheint in zweifacher Weise widersprüchlich zu sein. Zuerst. Was naturgemäß von einem Späteren abhängt, kann unmöglich mit einem naturgemäß Früheren identisch sein, denn sonst wäre es zugleich früher und nicht-früher. Die Substanz aber geht naturgemäß der Quantität voraus – so meinen die Vertreter dieser These. Also kann nichts, was in einer oder anderer Weise die Natur der Quantität voraussetzt, mit der Substanz identisch sein. Es ist demnach unmöglich, dass die Bezeichnung zugleich Bezeichnung der Substanz sei und durch die Quantität verursacht werde. § 95  Beweis der größeren Prämisse. Wenn zwischen zwei Dingen eine wahre und reale Identität besteht (auch wenn sie keine formale Identität ist), dann ist es unmöglich, dass das eine ist und das andere nicht. Weil sonst das »real Identische« zugleich wäre und nicht wäre. Es ist aber möglich, dass das naturgemäß Frühere ohne das naturgemäß Spätere besteht. Folglich kann es um so mehr ohne dasjenige bestehen, was das naturgemäß Spätere hinterlässt oder verursacht.65 § 96  Außerdem. Dasjenige, was beim Verursachen eine notwendige Bedingung der Ursache bildet, kann nicht von dem Verursachten herkommen. Sonst würde die Ursache – insofern sie das hinreichende Vermögen zum Verur­sachen besitzt – vom Verursachten verursacht, und dieses wäre die Ursache seiner selbst und könnte in dieser Rücksicht der Ursache das Vermögen verleihen, es zu verursachen. Aber die Singularität – d. h. die Bezeichnung – bildet für die Substanz die notwendige Bedingung dafür, dass sie die Quanti65 

»Hinterlassen« (»derelinquere«) ist Fachwort bei Aegidius Romanus. Gemeint ist damit, dass die »Bezeichnung« (»signatio«) der Quantität einen Eindruck in der Materie hinterlässt, wie etwa ein Ring in einer Prägemasse.

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tät verursacht, weil ein singuläres Verursachtes eine singuläre Ursache erfordert (wie es bewiesen worden ist). Also ist es unmöglich, dass die Bezeichnung der bezeichneten, oder singulären, Substanz von einer singulären Quantität (d. h. von einem Verursachten) abhängt und nicht von einer Substanz, insofern sie singulär ist. § 97  Außerdem. Was bedeutet es, dass die Quantität eine solche Seinsweise in der Substanz hinterlässt oder verursacht? Wenn es nichts anderes gibt als dasjenige, was der Quantität vorausgeht, dann erfolgt die Bezeichnung keineswegs durch die Quantität, denn sonst würde schlechthin die Bezeichnung der Substanz der Quantität naturgemäß vorangehen. Wenn es dagegen etwas anderes gibt, dann frage ich, wie es durch die Quantität verursacht wird und gemäß welcher Art von Ursache. Keine andere Art von Kausalität scheint hier in Frage zu kommen als diejenige der Wirk­u rsache. Aber die Quantität ist keine wirkende Form66 [forma activa]. Also usw. § 98  Außerdem. Warum soll es die Quantität sein, die in der Substanz eine solche Seinsweise hinterlässt – die mit der Substanz realiter übereinstimmt  –, und nicht die Qualität, z. B. die Weiße? Es scheint kein Grund dafür zu bestehen. Denn wie die Weiße von sich aus  – und nicht mittels einer anderen, hinterlassenen Form – eine Form der Oberfläche ist, so scheint die Quantität eine Form der Substanz zu sein, insofern diese eine Quantität hat, und nie hinterlässt sie in der Substanz eine andere Form.

66  Eine

»wirkende Form« ist wie die Substanz einer »Wirkkausalität« fähig.

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d. Vierte Argumentation: ausgehend von der Quantität § 99  Was die vierte Argumentation betrifft, gehe ich vor wie folgt. Die Quantität, wodurch die Substanz »diese« ist, ist – indem sie so bezeichnet wird – entweder eine bestimmte [terminata] oder eine unbestimmte [interminata] Quantität.67 Sie ist keine bestimmte Quantität, denn diese folgt dem Sein der Form in der Materie; sie folgt somit der Singularität der Substanz. Denn wenn die Substanz die Ursache dafür ist, dass die Quantität eine bestimmte ist, so ist »diese Substanz« die Ursache dafür, dass die Quantität diese bestimmte Quantität ist. Wenn man dagegen meint, die »unbestimmte Quantität« sei die Ursache dafür, dass diese Substanz »diese« ist, erwidere ich, dass die unbestimmte Quantität sich als identisch erhält sowohl im Erzeugten wie im Vernichteten. Sie ist daher nicht die Ursache einer bestimmten Bezeichnung. § 100  Man könnte erwidern, dies sei kein gültiges Argument, weil man die Quantität als die Ursache der Singularität nur aufstellen kann, wenn man eine spezifische Einheit zwischen den Termini voraussetzt; aber das Erzeugte und das Vernichtete gehören nicht zu derselben Spezies. Gegen diese These argumentiere ich wie folgt. Setzen wir, dass zuerst Feuer aus Wasser entsteht, und dann Wasser aus Feuer. Im ersten »vernichteten« Wasser und im zweiten »erzeugten« Wasser gibt es dieselbe Quantität. Es handelt sich nicht nur um eine unbestimmte Quantität, sondern auch um eine 67 

Vgl. Averroes, Sermo de substantia orbis, Kap. 1, fol. 3A–5L. Siehe On the Substance of the Sphere. Critical Edition of the Hebrew Text with English Translation and Commentary, hrsg. v. A. Hyman, The Mediaeval Academy of America, Cambridge (Ma.) 1986, S. 39–73. S. a. Aegi­d ius Romanus, Quodlibeta, II, q. 11, S. 78. Gottfried von Fontaines, Quod­ libeta, XI, q. 3, in Les Quodlibets onze-quatorze de Godefroid de Fontaines, hrsg. v. J. Hoffmans, Les Philosophes Belges, Bd. 5, Institut Supérieur de Philosophie de l’Université, Louvain 1932, S. 13.

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bestimmte, denn ihr kann durch die Form dieselbe Bestimmung zukommen. Oder es genügt, dass es zumindest dieselbe »unbestimmte« Quantität sei. Diese wäre, so die fragliche These, die Ursache der Singularität, wenn man die spezifische Einheit voraussetzt. Das erste Wasser und das zweite Wasser wären daher beide »dieses Wasser«, das numerisch identisch ist. Dies scheint aber unmöglich, denn dasselbe numerisch identische Individuum kann nicht durch einen natürlichen Vorgang wiederkehren (so in der Physik, Buch V, und in der Schrift De generatione, Buch II68). § 101  Außerdem. Wenn die Substanz primär durch die Quantität individuiert [individuans] wird, ist es notwendig, dass die Quantität primär an sich »diese« sei und dass sie sich von selbst von einer anderen Quantität numerisch unterscheide, wie diese Substanz von einer anderen unterschieden ist. In diesem Fall wäre aber die These falsch, nach welcher »jede formale Differenz eine spezifische ist«. Denn diese Quantität und jene sind Formen, also unterscheiden sie sich in spezifischer Weise69! § 102  Sollte man behaupten, diese These [»Jede formale Differenz ist eine spezifische«; vgl. § 101], auf welcher ein baufälliges Gebäude gründet, gelte nicht für die Quantität, wie würde man beweisen, dass die formale Differenz eine spezifische ist? Denn jeder Grund, den man ausgehend von der Form anführen kann, gilt ebenfalls in Bezug auf die Quantität, da diese genauso Form ist wie die anderen Prädikamente.

68 Aristoteles,

Physik, V, 4, 228 a 4–6; Über Werden und Vergehen, II,

11, 338 b 16–18. 69  Dies aber ist widersprüchlich! Daraus erhellt die Unhaltbarkeit der angeführten These des Gottfried von Fontaines.

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§ 103  Sollte man erwidern: »Eine Quantität hat von sich aus eine bestimmte Lage [situm] und unterscheidet sich dadurch von sich aus von einer anderen Quantität«,70 frage ich, von welcher »Lage« die Rede ist. Entweder von der Lage im kategorialen Sinne, die eine der Kategorien ist; aber diese ist naturgemäß später als die Quantität. Oder von der Lage, wodurch sich die Quantität unterscheidet, insofern sie, sagt man, aus Teilen besteht, die eine »Stellung« [positionem] haben. Es stellt sich aber dieselbe Frage wie oben, und zwar, wodurch sich die Lage dieser Quantität von derjenigen jener Quantität unterscheidet. Anders ausgedrückt: Auf welche Weise unterscheidet sich numerisch diese Quantität von jener? So scheint der Vertreter dieser These in eine petitio principii zu geraten. Denn die These, dass beharrende und kontinuierliche Teile eines Ganzen sich von selbst von beharrenden und kontinuierlichen Teilen eines anderen Ganzen71 unterscheiden (beide, d. h. die Kontinuität und das Beharren, sind in der »Stellung« eingeschlossen, insofern diese die unterscheidende Bestimmung der Quantität bildet), ist nicht einleuch­tender als die These, dass diese Quantität sich von selbst von jener unterscheidet. § 104  Außerdem. Alle Argumente, die gegen die These der ersten Frage angeführt worden sind, um zu beweisen, dass das Fleisch nicht von selbst »dieses« ist,72 können aufgegriffen werden, um zu demonstrieren, dass auch die Quantität nicht von selbst »diese« ist. Es ist offensichtlich, dass der Begriff einer »Linie« [ratio lineae] von sich aus sowohl dieser wie auch jener Linie gemeinsam ist. Und die Linie nach der Bestimmungsweise der Universalität zu verstehen, ist ebenso 70  Vgl.

Thomas, Summa Theologiae, III, q. 77, a. 2 in corp., Bd. 3, S. 465 f.; Summa contra gentiles, IV, Kap. 65, Bd. 3, S. 368. 71  Die kritische Ausgabe liest an dieser Stelle »isto toto«, also »in demselben Ganzen«. Ich folge hier einem alternativen Kodex. 72  Das Argument der ersten Frage bezieht sich in Wirklichkeit nicht auf »Fleisch«, sondern auf »Stein«. Siehe § 8.

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widersprüchlich wie das Fleisch auf diese Weise zu verstehen. Sowohl das Fleisch wie auch die Linie haben eine reale Einheit, die geringer ist als die numerische Einheit, und dies erhellt aus denselben Beweisführungen, die bei der zweiten Argumentation gegen die in der ersten Frage angeführte Meinung [§§ 9–28] vorgebracht worden sind. Es leuchtet auch ein, dass in diesem und in jenem Wasser die Linie  – und die Oberfläche – dieselbe ist; warum also ist dieses Wasser »dieses Wasser« und ein singuläres? Und ich meine keine vage, unbestimmte Singularität, sondern eine bezeichnete und bestimmte. e. Gegen die Argumente der angeführten Meinung § 105  Gegen die Argumente der angeführten Meinung gehe ich vor wie folgt. Zuerst behaupte ich gegen das erste Argument [§ 72], dass die Quantität nicht der Grund der Teilbarkeit in Individuen ist. Alles, was den formalen Grund [ratio formalis] einer Teilbarkeit bildet, wohnt formal demjenigen inne, was gemäß jener Teilung teilbar ist. Aber die Quantität wohnt formal nicht der Spezies inne, insofern diese in subjektive Teile teilbar ist. Also ist die Quantität nicht der »formale Grund« der Teilbarkeit eines solchen Ganzen in solche Teile. § 106  Dieses Argument wird bekräftigt wie folgt. Ein universales »Ganzes«, das in Individuen und in subjektive Teile geteilt wird, wird von einem jeden dieser subjektiven Teile prädiziert (da ein jeder subjektiver Teil es selbst ist). Von den quantitativen Teilen, in die ein kontinuierliches »Ganzes« geteilt wird, wird dagegen das Ganze, das in sie geteilt wird, nie prädiziert. Und obgleich die Teilung eines homogenen »Ganzen« in quantitative Teile und die Teilung einer Spezies (d. i. eines universalen »Ganzen«) in subjektive Teile (d. h. in Individuen) zusammentreffen, teilen sie nicht dasselbe

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geteilte »Ganze«. Denn das quantitative »Ganze« wird durch eine quantitative Teilung geteilt und von keinem seiner Teile prädiziert – wie auch kein heterogenes Quantum von seinen Teilen prädiziert wird. Denn im Allgemeinen ist kein quantitativer Teil das Ganze, dessen Teil er ist. Damit geht aber der Umstand einher, dass es mehrere Individuen gibt, die dasselbe gemeinsame Sein haben. Dieses gemeinsame Sein wird in sie durch eine andere Art von Teilung geteilt und ist nicht das »Quantum«, das durch eine quantitative Teilung geteilt wird. Das Ganze, das durch die quantitative Teilung geteilt wird, ist also nicht dasjenige, das durch die Teilung in subjektive Teile geteilt wird. Beide werden nur im akzidentellen Sinne in »dieselben Teile« geteilt, denn die Teile des einen Ganzen sind formal »von einer anderen Art [alterius rationis]« als die des anderen – beim »quantitativen« Ganzen handelt es sich nämlich um integrale Teile, beim »universalen« Ganzen um subjektive Teile. Aus diesem Grund, d. h., weil hier die Teilungen von zwei Ganzen in Teile zusammentreffen, bei denen zwei Begriffe von »Teil« zusammentreffen, sind manche zur Meinung gekommen, dass diese zwei Ganzen in Teile von derselben Art geteilt werden. § 107  Auf das Argument, das sich auf eine Stelle des Philosophen stützt [§ 72], antworte ich wie folgt. Der Philosoph sagt nicht, dass ein »Quantum« in Teile von derselben Art geteilt wird, sondern, dass »ein ›Quantum‹ in die Teile teilbar ist, die in ihm enthalten sind und deren jeder, oder der eine oder der andere,73 seiner Natur nach etwas und ›dieses Etwas‹ ist«.74 Er sagt »in die Teile, die in ihm enthalten sind«, und meint damit, dass sie zusammen das »Ganze« konstituieren [componentia], das sie enthält  – es handelt sich also nicht um subjektive Teile, denn diese sind nicht auf diese Weise im Ganzen enthalten. Er sagt dann »deren der eine oder der 73 

Falls es nur zwei Teile gibt. Metaphysik, V, 13, 1020 a 7–8.

74 Aristoteles,

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andere« (wenn es nur zwei Teile gibt) »oder jeder« (wenn es mehrere Teile gibt) »seiner Natur nach etwas ist«. Er meint damit etwas per se Existierendes, d. h. etwas, was auf dieselbe Weise existiert wie das »Ganze«  – denn insofern etwas ein quantitativer Teil ist, der ein Ganzes teilt, kann es per se bestehen, wie das Ganze, das er teilt. Dies steht der Teilung des Kompositums [compositi] in Materie und Form entgegen. Er sagt dann »… und ›dieses Etwas‹«; dies steht der Teilung der Gattung in Spezies entgegen. Würde man eine Zahl aus verschiedenen Zahlen zusammensetzen, widerspräche es dem Begriff der Zahl nicht, dass diese in Zahlen von einer anderen Art [als ihrer] geteilt wird. Auf dieselbe Weise steht der Elle [ulna] nicht entgegen, in Teile von einer anderen Art geteilt zu werden, wenn sie sich aus Zwei-Ellen-Langem und Drei-Ellen-Langem [ex bicubito et tricubito] zusammensetzt – und diese unterscheiden sich ihrer Spezies nach. So ist es auch im Fall der Quantität nicht unmöglich, dass ihr Subjekt in Teile von einer anderen Art [als ihrer] geteilt wird. § 108  Ich gebe daher im Allgemeinen als eine Tatsache zu, dass, obgleich ein »Ganzes« nicht notwendigerweise in Teile von derselben Art geteilt werden muss, seine Teile nicht notwendigerweise von unterschiedlicher Art [distinctae rationis] sind. Denn insofern sie die Teile eines Quantums sind, sind sie nicht von je anderer Art. Obwohl der Kopf, das Herz und die Hand quantitative Teile des Körpers und von je anderer Art sind, sind sie genau insofern nicht von anderer Art, als sie Teile eines Quantums sind. § 109  In diesem Sinne ist es wahr, dass ein »Quantum« in Teile von derselben Art geteilt wird (obwohl dies nicht auf eine Stelle des Philosophen zurückgeführt werden kann); aber diese These betrifft überhaupt nicht meine Frage. Denn ein »Quantum« wird nicht in Teile geteilt, die den Begriff [ratio] des Geteilten enthalten, sondern in Teile, die bereits in dem Geteilten waren. Diesen Teilen kommt ein einziger

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Begriff [rationem unam] zu, der nicht der Begriff des Geteilten ist, sondern zu etwas gehört, das sowohl dem Geteilten wie den Teilen gemeinsam ist. Die Spezies wird dagegen in Teile geteilt, denen dieselbe Begriffsbestimmung [ratio] zukommt, denn sie enthalten die Begriffsbestimmung des Geteilten und nicht etwas anderes, das eine andere Begriffsbestimmung hat und dem Geteilten [scil. der Spezies] sowie den Teilen gemeinsam ist. § 110  Außerdem. Auf das zweite Argument (§§ 73–74) antworte ich wie folgt. Das Erzeugende, insofern es ein Erzeugendes ist (unter Einklammerung von jeder anderen Bestimmung), unterscheidet sich vom Erzeugten, insofern es ein Erzeugtes ist (unter Einklammerung von jeder anderen Bestimmung), weil es nicht begreifbar ist, dass ein Ding sich selbst erzeugt (selbst bei der Trinität erzeugt eine Person nicht sich selbst). Aber das Erzeugende, insofern es ein Erzeugendes ist, schließt nicht die Quantität ein als sein erzeugendes Prinzip, und auch das Erzeugte, insofern es ein Erzeugtes ist, schließt nicht die Quantität ein als die Ziel­ bestimmung per se oder die formale Zielbestimmung der Erzeugung [terminum generationis]. Wenn man also die Quantität des Erzeugenden und des Erzeugten ausklammert, dann unterscheiden sich die erzeugte und die erzeugende Substanz numerisch.

B. Der eigene Schluss § 111  Ich gebe daher die Schlussfolgerungen von all diesen Argumenten [§§ 76–110] zu, nämlich: Es ist unmöglich, dass die Substanz durch ein Akzidens individuiert wird. Das heißt es ist unmöglich, dass die Substanz durch ein Akzidens in subjektive Teile geteilt wird und dass es ihr wegen dieses Akzidens widerstreitet, »nicht-diese« zu sein.

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II. Antwort auf die Argumente für die Meinung anderer Autoren § 112  Was das erste Argument »für die angeführte Meinung« [§ 72] betrifft, leuchtet es aus dem fünften Artikel [§ 107] ein, dass es die kleinere Prämisse missversteht, und dass es nicht auf den Philosophen zurückgeführt werden kann; und dass jene kleinere Prämisse in dem Maße, wie sie wahr sein kann, nichts mit der Frage nach der Teilung des Ganzen in quantitative Teile zu tun hat. § 113  Die weitere Behauptung – »es ist kraft desselben Prinzips, dass etwas teilbar ist und sich durch seine Teile unterscheidet« [vgl. § 72]  – ist auch falsch. Denn eine »gemeinsame Natur« ist von sich aus in Individuen teilbar, aber die Individuen, in die sie geteilt wird, unterscheiden sich vonein­ ander nicht durch die Natur [ex ratione naturae], sondern durch ihre eigenen unterscheidenden Bestimmungen. Dies tritt auch bei der Gattung hervor, denn diese ist von selbst in mehrere Gattungen und Spezies teilbar, doch besteht der Grund [ratio] der Unterscheidung unter den Spezies nicht in der Gattung selbst, sondern in den die Spezies [Pl.] konstituierenden Differenzen. § 114  Was das zweite Argument betrifft [§ 73], ist es klar, wie man aus ihm schließen kann, dass etwas sich selbst erzeugt. Bezüglich der Form der Argumentation sage ich aber, dass beide Prämissen falsch sind. Obwohl »sich eine andere Form in einer anderen Materie befindet«, ist es nicht wegen der Andersheit [alietas] der Materie, dass die Form eine andere ist, sondern vielmehr, wie die Entität der Form früher ist als die der Materie, so ist auch ihre Andersheit früher. Die andere Prämisse ist auch falsch – d. i. die Behauptung, »die Teile der Materie unterscheiden sich voneinander darum, weil ihre Quantität eine andere ist«. Denn sei es, dass die Unterscheidung Teile einer an sich quantitativen Materie

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betrifft oder nicht, jedenfalls ist die Unterscheidung der Teile der Materie früher als die der Quantität, weil das Subjekt eines derartigen Akzidens [scil. der Quantität] »dieses Etwas« ist. § 115  Was die Beweisführung betrifft  – wenn man sagt [§ 74]: »Das Erzeugende erzeugt nur aus einer Materie, die durch eine andere Quantität [als die des Erzeugten] quantifiziert wird«  –, sei es wirklich so oder nicht (dazu siehe anderswo [§ 208]), erwidere ich zumindest bezüglich der Teile der Materie, die sich gemäß der Form der Quantität unterscheiden, dass die Einheit eine metaphysische Affektion [passio] ist, so dass die Einheit der Materie naturgemäß jeder Bestimmung der Quantität vorausgeht. Denn die Bestimmung der Quantität geht dem natürlichen Erzeugenden voran, das eine [scil. ihm] äußerliche Materie benötigt, um zu erzeugen, und das auch eine Quantität erfordert, insofern sie die Unterscheidung einer Materie von einer anderen begleitet [concomitantem]. Man müsste beweisen, dass die Quantität der eigene Grund einer solchen Einheit ist, d. h. der Einheit der Singularität in der Substanz – man beweist dagegen nur, dass die Quantität der Grund »sine quo non« im Hinblick auf die erzeugte Substanz ist. Das Argument bekräftigt daher nicht den Schluss. § 116  Man könnte erwidern, man könne aus der Bekräftigung des Arguments [§ 74] zumindest schließen, dass die Quantität naturgemäß der Individuation der Substanz vorangeht (dies widerspricht dem Schluss der zweiten Argumentation gegen die angeführte Meinung [§§ 82 u. 88]). Wenn nämlich das Erzeugende eine quantifizierte Materie erfordert, bevor es erzeugt, dann wird naturgemäß die Quantität der Materie für die Individuation des Erzeugten vorausgesetzt. Ich antworte wie folgt. Die Individuation des Erzeugten setzt nach der Ordnung der Zeit die Quantität und alle Akzi-

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denzien desjenigen, was durch die Erzeugung zerstört wird, voraus. Denn das Zerstörte präexistiert [praeexistit] samt allen seinen Teilen. Daraus folgt aber nichts in Bezug auf die kleinere Prämisse [§ 74], die behauptet, es gebe eine »natürliche Priorität« der Quantität im Hinblick auf die Individuation des Erzeugten oder auf die Individuation der Substanz, der die Quantität anhaftet. Denn die Akzidenzien des Zerstörten, die zeitlich dem Erzeugten vorausgehen, folgen der Substanz, zu der sie gehören (insofern die Substanz singulär ist). Auf dieselbe Weise folgen die Akzidenzien des Erzeugten der erzeugten Sub­stanz. § 117  Das Argument wird aber noch in folgender Weise wieder angeführt. »Die Quantität geht nicht nur dem Erzeugten voraus – insofern sie die Quantität des Zerstörten ist –, sondern insbesondere geht sie naturgemäß im Erzeugten der Form des Erzeugten selbst voran«. Sonst würde in dem Moment, wo das Erzeugende die Form induziert [inducit], es sie nicht in ein »Quantum« induzieren, und dies widerspricht dem Satz: »Ein besonderes Agens wirkt nicht auf die Substanz der Materie als solche, sondern genau insofern sie eine Quantität hat«. Dies widerspricht auch der These des Averroes in der Schrift De substantia orbis; Averroes scheint hier zu behaupten, dass im Erzeugten und im Zerstörten die Quantität sich identisch erhält, sonst würde das Erzeugende einen Körper aus einem Nicht-Körper erzeugen. § 118  Ich antworte wie folgt. Dieses Argument scheint zuerst nicht für die oben angeführte These [§ 71: »Die materielle Substanz ist kraft der Quantität singulär und individuell«] vorgebracht werden zu können. Denn der Vertreter dieser These75 scheint das Gegenteil von diesem Argument zu behaupten. Da die Quantität – so meint er  – nicht der erste Akt der Materie ist, bleibt auch keine 75 

Gottfried von Fontaines.

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Form der Körperlichkeit im Erzeugten und im Zerstörten dieselbe. (In Bezug auf die Körperlichkeit in der Gattung der Substanz sagt er, dass in zwei Körpern keine Quantität numerisch dieselbe bleibt.76) Außerdem, da er behauptet, dass die Quantität unmittelbar die zusammengesetzte Substanz (und nicht die Materie) vervollkommnet, insofern diese das Subjekt ist, muss er auch behaupten, dass die andere Quantität, d. h. die des Erzeugten, naturgemäß später ist als das Erzeugte selbst, wie auch die Quantität des Zerstörten naturgemäß später ist als das Zerstörte selbst. Also entspricht diese Argumentation [§ 117] um die Priorität der Quantität gegenüber der Substanz oder der Form des Erzeugten nicht der Meinung des Vertreters der oben angeführten These77 (was auch immer es mit Averroes auf sich hat). Das ist also meine Antwort ad hominem. Was aber den Schluss an sich betrifft, sage ich (bezüglich dieses Punktes) im Einklang mit dem Vertreter der fraglichen These, dass, wenn formal keine Form der Körperlichkeit im Feuer und im Wasser dieselbe bleibt, dann überhaupt kein Akzidens – das die zusammengesetzte Substanz als sein Subjekt erfordert  – numerisch dasselbe bleiben kann. Jedes Akzidens ist dagegen entweder im Zerstörten als in seinem Subjekt oder im Erzeugten als in seinem Subjekt. In diesem Sinne sind die Quantität und jedes andere Akzidens naturgemäß später als die Substanz; also sind die Quantität des Zerstörten und jedes andere Akzidens desselben naturgemäß später als die zerstörte Substanz. § 119  Ich kümmere mich also wenig um jene Behauptung [§ 117], weil sie unhaltbar ist. Denn ein Agens zu sein, das

76  Gottfried

von Fontaines, Quodlibeta, II, q. 7, in Gottfried von Fontaines, Les quatre premiers Quodlibets de Godefroid de Fontaines, hrsg. v. M. De Wulf / A. Pelzer, Les Philosophes Belges, Bd. 2, Institut Supérieur de Philosophie de l’Université, Louvain-Picard, Paris 1904. 77  Gottfried von Fontaines.

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ein »Erleidendes« affiziert, insofern es ein Erleidendes ist, bedeutet nichts anderes, als ins Erleidende einen Akt zu induzieren, wodurch es vervollkommnet wird. Ein besonderes Agens induziert aber eine substantielle Form, durch welche die Materie vervollkommnet wird, insofern sie Materie ist, und nicht, insofern sie eine Quantität hat, als ob die Quantität die »vermittelnde Bestimmung« zwischen dem Agens und dem Erleidenden wäre. Also affiziert ein natürliches Agens die Materie gemäß ihrer bloßen Wesenheit als das Erleidende, das durch das Agens ohne Vermittlung verwandelt wird. § 120  Auf Averroes antworte ich wie folgt. Aus demjenigen, was irgendwann ein Nicht-Körper ist, kann ein Körper erzeugt werden, aber sicherlich kann ein natürliches Agens keinen Körper aus einem Nicht-Körper erzeugen als aus etwas, was zerstört worden ist. Aus etwas aber, was bis zum Moment der Erzeugung ein Körper war und eine bestimmte, ihm innewohnende Quantität hatte, kann ein »natürliches Agens« in jenem Moment einen anderen Körper erzeugen, der durch eine andere Quantität »quantifiziert« wird. Denn so wie es eine Substanz erzeugen kann, die zuvor nicht existierte, so kann es alle Akzidenzien erzeugen, die aus ihr folgen. § 121  Man könnte erwidern, dass ein natürliches Agens, obwohl es keinen Körper aus einem Nicht-Körper als aus etwas Zerstörtem erzeugt, aus einer nicht quantifizierten Materie einen anderen, quantifizierten Körper erzeugt. Auf eine derartige Argumentation würde ich antworten wie folgt: Es ist notwendig, dass aus einem Nicht-Zusammen­gesetzten als einem Teil ein Zusammengesetztes entsteht oder erzeugt wird, oder man wird ins Unendliche fortgehen. In diesem Sinne kann ein Körper  – der eine zusammengesetzte Substanz ist – aus der Materie erzeugt werden, die hier gemäß ihrer Substanz, absolut genommen, als ein Teil gilt. Mit diesem Prozess geht die Entstehung einer Substanz, die eine

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gewisse Quantität hat, einher, weil die Quantität eine Bestimmung der zusammengesetzten Substanz ist. (Diese Antwort negiert, dass im Erzeugten und im Zerstörten sich eine unbestimmte [interminata] Dimension als numerisch dieselbe erhält. Bei dieser Frage werde ich mich anderswo aufhalten, wenn sich die Gelegenheit bietet;78 ich habe sie hier nur deshalb berührt, weil sie mit den angeführten Argumenten [§§ 118–121] zusammenhängt.)

III. Antwort auf die Hauptargumente § 122  Was das erste Hauptargument betrifft (das aus Boethius hergeleitet wird [§ 67]), gebe ich zu, dass die Verschiedenheit der Akzidenzien in der Substanz eine numerische Differenz bewirkt, in dem Sinne, wie man sagt, dass die Form einen Unterschied verursacht. Denn alle unterschiedenen Formen bewirken auf diese Weise einen Unterschied in den Subjekten, in denen sie sind. Die Akzidenzien können aber keine spezifische Differenz in der Substanz, in der sie sind, verursachen (aus der Metaphysik, Buch X, im vorletzten Kapitel79). Sie bewirken daher bei den Substanzen eine numerische Differenz, aber nicht die erste Differenz (die numerische Differenz ist allerdings eine andere und geht voraus); sie bewirken auch nicht die numerische Differenz ohne Mitwirkung einer anderen Ursache. Die angeführte Autorität [scil. Boethius] vertritt weder die eine noch die andere Position – und ohne eine der beiden kann man nicht die gemeinte These aus ihm herlei­ten. § 123  Was meint aber Boethius? Boethius will meiner Meinung nach beweisen, dass unter den göttlichen Personen keine numerische Differenz besteht. 78 Vgl.

Ordinatio, IV, d. 11, p. 1, princ. 1, q. 2, §§ 6–7. Metaphysik, X, 9, 1058 a 29–b 25.

79 Aristoteles,

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Obgleich man am Anfang seines Büchleins Über die Trinität hier und da solche Sätze wie die oben angeführten finden kann,80 argumentiert er wie folgt: »Die Verschiedenheit der Akzidenzien bewirkt eine numerische Differenz; aber bei den göttlichen Personen gibt es keine Verschiedenheit der Akzidenzien, weil die einfache Form kein Subjekt [von Akzidenzien] sein kann. Also gibt es keine numerische Differenz bei den göttlichen Perso­nen«. § 124  Dieses Argument scheint nicht gültig zu sein, außer Boethius meint, dass die Akzidenzien allein eine numerische Unterscheidung verursachen können. Wenn nämlich die numerische Unterscheidung durch etwas anderes bewirkt werden könnte, dann würde die Negation eines Akzidens nicht die Negation der numerischen Unterscheidung implizieren. Ich erwidere, dass die Unterscheidung der Akzidenzien jede numerische Unterscheidung begleitet; daher kann es keine numerische Unterscheidung geben, wo es keine Verschiedenheit der Akzidenzien gibt. Auf dieser Basis ist das Argument des Boethius gültig, d. h. dass, da es bei den göttlichen Personen kein Akzidens (somit auch keine Verschiedenheit von Akzidenzien) geben kann, es auch keine numerische Unterscheidung oder keine numerische Differenz geben kann – dies ist nicht in dem Sinne gemeint, dass man genau aus der Negation einer Ursache die Negation des­ jenigen herleitet, dessen Ursache sie ist, sondern vielmehr in dem Sinne, dass man aus der Negation eines notwendig Begleitenden die Negation desjenigen herleitet, das es notwendig begleitet. § 125  Wie kann man aber gemäß dieser Meinung [des Boethius] sagen, dass die Verschiedenheit der Akzidenzien die numerische Differenz bewirkt?

80 Boethius,

De trinitate, Kap. 1–3, S. 6–14.

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Ich antworte, dass die Verschiedenheit der Akzidenzien einen gewissen Unterschied bewirkt, aber nicht den ersten – und dass sie notwendigerweise jeden Unterschied begleitet. Es ist in diesem Sinne, dass man die Behauptung »Die Akzidenzien verursachen die numerische Differenz« [§ 67] verstehen muss. Diese Interpretation tut dem Text keine Gewalt an, sondern es ist der Text selbst, der zu ihr führt, da diejenigen, die Boethius zitieren, notwendigerweise erklären müssen, was er hier über den »Ort« hinzufügt. Denn es ist nicht der Ort, der zuerst die Individuen voneinander unterscheidet – weder der Ort im Sinne einer Affektion [passio] des Körpers, der einen anderen Körper in einen »Ort« setzt [locantis], noch der Ort im Sinne einer Affektion des Körpers, der in einen Ort gesetzt wird [locato] (d. h. im Sinne der »örtlichen Bestimmung«, die in dem in einen Ort gesetzten Körper hinterlassen wird).81 Wenn also diese Autoren (ihrer These nach) den Ort in Bezug auf die Quantität interpretieren müssen, was ist schlecht daran, wenn man »den Unterschied zu bewirken« versteht als »nicht den ersten, sondern einen gewissen Unterschied zu verursachen, der den ersten begleitet«? § 126  Was das zweite Hauptargument (aus einer Stelle des Johannes von Damaskus) betrifft [§ 68], leuchtet die Antwort aus dem ein, was der Damaszener selbst am Ende des fraglichen Kapitels [vgl. § 68] sagt. Er erklärt nämlich, was er hier unter »Akzidens« versteht. »Alle Bestimmungen – sagt er  –, die einigen Hypostasen derselben Spezies anhaften, anderen aber nicht, sind Akzidenzien und hinzukommende Bestimmungen«.82 Ich gebe also zu, dass alles, was außerhalb des Begriffs per se der spezifischen Natur fällt und nicht per se 81 

Es handelt sich um den Körper, der einen anderen enthält, und um denjenigen, der in einem anderen enthalten ist. 82 Johannes von Damaskus, De institutione elementari, Kap. 4, col. 103–104.

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aus der spezifischen Natur folgt, ein Akzidens derselben ist. In diesem Sinne ist alles, was als ein Individuierendes [individuans] gesetzt wird, ein Akzidens. Es ist aber kein Akzidens im eigentlichen Sinne, wie andere Autoren dagegen meinen. § 127  Dass Johannes von Damaskus nicht das Akzidens im eigentlichen Sinne meint, leuchtet aus dem ein, was er im ersten Buch der Sententiae, Kapitel 8, schreibt, und zwar: »Wir erfassen, weshalb Peter und Paul von derselben Art [ratio] sind«. Unten heißt es: »Die Hypostasen haben an ihnen mehrere Bestimmungen, die sie voneinander trennen. Sie unterscheiden sich durch das Denkvermögen [mente], die Stärke, die Form (d. h. die Gestalt), den Habitus, die Beschaffenheit, die Würde [dignificatione], die Erfindungsgabe [adinventione] und alle ihre charakteristischen Eigenschaften«. Er fügt dann Folgendes hinzu, das bemerkenswert ist: Die Hypostasen unterscheiden sich durch »alle Eigenschaften« usw., d. h. »dadurch, dass eine nicht in der anderen ist, sondern sie abgesondert bestehen; daher sagt man, es gibt zwei oder drei oder viele Menschen. Und dies gilt für jede Hypostase«. Nota bene: Er sagt, dass sich alle erschaffenen Hypostasen nicht so sehr durch ihre charakteristischen Eigenschaften unterscheiden, sondern vielmehr dadurch, dass »eine nicht in der anderen ist, sondern sie abgesondert bestehen«. Dies erklärt er an derselben Stelle durch Bezug auf die entgegengesetzte These: »Die heiligen Hypostasen der Dreifaltigkeit sind eine in der anderen«. Grund dafür ist die Einheit der Natur, unter Voraussetzung der Unterscheidung der Personen (aus der zweiten Distinktion des ersten Buches). Die Teilung der Natur ist also bei den erschaffenen Subjekten [supposita] der erste und höchste Grund der Unterscheidung der Individuen.83

83 

Johannes von Damaskus, Der orthodoxe Glaube, Kap. 8, §§ 16–17,

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§ 128  Was das dritte Hauptargument betrifft [§ 69]  – aus einer Stelle des Avicenna –, sage ich, dass hier Avicenna vornehmlich die Washeit in Betracht zieht, insofern sie nichts enthält, was nicht zu ihrem Begriff per se [ad per se rationem eius] gehört. Die Pferdheit ist in diesem Sinne »nur Pferdheit, weder eine noch viele«.84 Obgleich die Einheit der Washeit nicht ein anderes, hinzutretendes Ding [res addita] ist, sondern notwendigerweise aus der Entität der Washeit folgt (wie auch aus jedem Seienden, gemäß seiner wie auch immer beschaffenen Entität, seine eigene Einheit folgt), gehört sie nicht zum formalen Begriff [ratio] der Washeit (insofern sie eine Washeit ist), sondern sie ist gleichsam eine Affektion [passio], die aus der Washeit folgt. Alles Derartige bezeichnet Avicenna als »Akzidens«. In diesem Sinne versteht manchmal auch der Philosoph das Akzidens als alles, was außerhalb des formalen Begriffs [ratio] von etwas anderem fällt (daher stammt die »fallacia accidentis«);85 alles Derartige ist nämlich jenem anderen äußerlich, und diese seine Charakterisierung beruht auf dem Vergleich mit einem anderen Ding.86 Auf diese Weise erfolgt die fallacia accidentis, und auf diese Weise ist die Gattung ein Akzidens der Differenz – und alles, was die Individuation bewirkt [individuans], ist ein Akzidens der spezifischen Natur, aber nicht in dem Sinne, wie diejenigen, die sich auf Avicenna stützen, das Akzidens verstehen. Der Begriff des Akzidens unterliegt hier einer Äquivokation.

in Saint John Damascene, De fide orthodoxa. Versions of Burgundio and Cerbanus, S. 42–44. Vgl. auch Patrologia Graeca, Bd. 94, col. 827. 84 Avicenna, Liber de philosophia prima, V, 1, fol. 86va, S. 228–229. 85 Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, 5, 166 b 28–30. 86  Vgl. Petrus Hispanus, Summulae logicales, VII, § 102 ff., in Peter of Spain, Tractatus, called afterwards Summulae logicales, hrsg. v. L. M. De Rijk, Van Gorcum, Assen 1972, S. 146 ff.

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fünfte frage Gefragt wird, ob die materielle Substanz kraft der Materie »diese« und individuell ist § 129  Gefragt wird zum fünften, ob die materielle Substanz kraft der Materie »diese« und individuell ist. § 130  Dass es so ist. Der Philosoph sagt in der Metaphysik, Buch V, Kapitel »Das Eine«: »Der Zahl nach Eins ist das, dessen Materie eine ist«;87 also usw. § 131  Dagegen. In der Metaphysik, Buch V (der alten Übersetzung nach) heißt es: »Im Fundament der Natur ist nichts unterschieden [distinctum]«.88 Was aber an sich weder unterschieden noch verschieden ist, kann nicht der erste Grund [ratio] der Verschiedenheit [diversitas] oder der Unterscheidung [distinctio] eines anderen sein. Aber die Materie ist ein völlig ununterschiedenes und unbestimmtes Fundament der Natur. Also kann die Materie nicht der erste Grund der Verschiedenheit oder der Unterscheidung eines anderen sein.

I. Meinung anderer Autoren § 132  Auf die Frage wird bejahend geantwortet – vor allem aufgrund der vielen Stellen des Aristoteles, die so zu lauten scheinen.89 87 Aristoteles,

Metaphysik, V, 6, 1016 b 32–33. Ebd., V, 4, 1014 b 26–32. 89  Vgl. Thomas von Aquin, In sententias, IV, d. 11, q. 1, a. 3 qc. 1 in corp.; d. 12, q. 1, a. 1 qc. 3 ad 3. Summa theologiae, I, q. 7, a. 3 in corp., Bd. 1, S. 34; III, q. 77, a. 2 in corp., Bd. 3, S. 465 f. Summa contra gentiles, II, Kap. 75, arg. 1, Bd. 1, S. 217; Kap. 93, arg. 2, S. 264. Aegidius Roma88 

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Eine dieser Stellen befindet sich in der Metaphysik, Buch VII. Dass das Erzeugende – heißt es hier – etwas anderes hervorbringt, kommt auf die Materie an. »Kallias und Sokrates sind verschieden durch die Materie (denn die Materie des einen ist nicht die Materie des anderen), sie sind aber identisch durch die Spezies, denn die Spezies ist individuell [individua]«.90 § 133  Aus demselben Grund heißt es ebenfalls noch im Buch VII, im Kapitel »Die Teile der Definition«, dass »bei manchen Substanzen die Washeit [quod-quid-erat-esse] und das Ding [unumquodque] dasselbe sind. Bei den Substanzen aber, die in der Materie sind oder zusammen mit der Materie erfasst werden, sind sie nicht dasselbe«.91 Desgleichen heißt es im Buch VIII, Kapitel 3, dass »die Seele und das Seele-Sein dasselbe ist, der Mensch und das Mensch-Sein nicht, wenn man nicht auch das Seele-Sein Mensch nennt«.92 Es scheint daher, dass die Materie dem Begriff [ratio] der Washeit und all dessen, was primär eine Washeit hat, äußerlich ist. Wenn also die Materie etwas in den Seienden ist, bildet sie einen Teil des Individuums bzw. die Individuation des Ganzen. Alles, was im Individuum dem Begriff der Washeit absolut entgegensteht, kann als der erste Grund [ratio] der Individuation bezeichnet werden. Deshalb usw.

nus, Quodlibeta, I, q. 11, S. 24 f. Gottfried von Fontaines, Quodlibeta, VII, q. 5, S. 323 f. 90 Aristoteles, Metaphysik, VII, 8, 1034 a 4–8. Aristoteles behauptet eigentlich nicht, dass die Spezies »individua« ist (also »individuell« in dem Sinne einer einzigen Entität, die mehreren Subjekten gemeinsam ist, ohne in diese geteilt werden zu können), sondern vielmehr, dass die Form (»eîdos«) »unteilbar« ist. 91  Ebd., VII, 11, 1037 a 32–1037 b 5. 92  Ebd., VIII, 3, 1043 b 2–4. Unter »Seele-Sein« und »MenschSein« sind die Washeit der Seele bzw. des Menschen verstanden.

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§ 134  Außerdem. Im Buch XII der Metaphysik wird bewiesen, dass es nicht mehrere Himmel geben kann. »Denn gäbe es mehrere Himmel, wie es der Menschen mehrere gibt  – sagt der Philosoph –, so wäre das Prinzip eines jeden der Spezies nach eines, der Zahl nach aber wären es viele; was aber der Zahl nach eine Vielheit [multa] ist, hat eine Materie. Die erste Washeit [quod-quid-erat-esse] aber hat keine Materie (denn sie ist entelechie). Eines also ist dem Begriff [ratione] und der Zahl nach das erste, unbewegte Bewegende«.93 Diese Argumentation, welche die Einheit des Himmels aus der Einheit des Bewegenden schließt und die Einheit des Bewegenden nicht nur der Spezies, sondern auch der Zahl nach daraus deduziert, dass es keine Materie hat, scheint nur deshalb gültig zu sein, weil die numerische Unterscheidung [distinctio numeralis] durch die Materie erfolgt. Also usw. § 135  Außerdem. In der Schrift Über den Himmel, Buch  I, heißt es: »Wenn ich ›Himmel‹ sage, drücke ich die Form aus; wenn ich ›dieser Himmel‹ sage, drücke ich die Materie aus«.94 § 136  Kritik dieser Meinung. Gegen diese Meinung argumentiere ich zuerst ausgehend von anderen Stellen des Philosophen. 93 

Ebd., XII, 8, 1074 a 31–38. Über den Himmel, I, 9, 278 a 10–15: »Da nun der Himmel wahrnehmbar ist, ist er ein Einzelding, denn alles Wahrnehmbare besteht, wie wir gesehen haben, in der Materie. Gehört er aber zu den Einzeldingen, dann wird das Sein dieses besonderen Himmels etwas anderes sein als das des Himmels schlechthin. Dieser besondere Himmel wird also etwas anderes sein als der Himmel schlechthin, und zwar (ist) der eine als Form und Gestalt (zu denken), der andere als mit Materie gemischt«; Aristoteles, Über den Himmel, hrsg. v. A. Jori, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (Akademie Verlag, Berlin 2009), S. 42. Dieses Argument findet Scotus wohl in der Tradition vor, wie etwa bei R. Rufus, Contra Averroem, und Bonaventura, In Sententias, II, d. 3, p. 1, a. 2, q. 3, Bd. 2, S. 109. 94 Aristoteles,

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In der Metaphysik, Buch VII, Kapitel »Die Teile der Definition«, heißt es: »Es ist offensichtlich, dass die Seele die erste Substanz ist, der Körper aber Materie. Der Mensch aber oder das Tier ist die Verbindung von beiden, insofern diese im allgemeinen Sinne genommen werden. Sokrates aber und Koris­kos (implizit: sind die Verbindung von beiden), insofern diese einzeln genommen werden – wenn ›Seele‹ in zweifacher Weise ausgesagt wird«. Und er fügt unten hinzu: »Spricht man aber von dieser Seele und diesem Körper, so verhält sich wie das Allgemeine [universale] so auch das Singulare«.95 § 137  Weiter oben in demselben Kapitel heißt es: »Der Mensch, das Pferd und alles, was auf diese Weise in singulären Subjekten ist, sind allgemein betrachtet keine Substanzen«, d. h. keine Formen, »sondern ein gewisses gesamtes Ganzes«, d. h. ein Kompositum, »das aus dieser Materie und dieser formalen Struktur [ratio] besteht« (mit »dieser Materie« meint Aristoteles nicht die uniforme und singuläre Materie, sondern die bestimmte Materie, sonst würde er sich widersprechen; deshalb setzt er an derselben Stelle hinzu: »allgemein betrachtet«). Er fügt dann hinzu: »Sokrates aber existiert schon mit der letzten Materie«, usw.96 § 138  Dasselbe leuchtet noch aus Metaphysik, Buch XII, Kapitel 2, ein, wo der Philosoph behauptet, dass die Prinzipien dieselben sind, so wie auch ihre Prinzipiata [principiata]. »Und die Prinzipien der Seienden, die zu derselben Spezies gehören, sind verschieden, nicht der Spezies nach, sondern deshalb, weil sie die Prinzipien von singulären Seienden sind. Deine Materie, deine Spezies und dein Bewegendes [movens] sind andere als meine; in ihrem allgemeinen Begriff [ratio] sind sie jedoch dieselben«. Er gibt daher die Unterscheidung sowohl der Form wie der Materie beim 95 Aristoteles, 96 

Metaphysik, VII, 11, 1037 a 5–10. Ebd., VII, 10, 1035 b 27–31.

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Partikulare zu, und die Einheit sowohl der Materie wie der Form beim Allgemeinen [in communi]. Deshalb muss man sich noch fragen, »wodurch die Materie diese ist«.97 § 139  Außerdem. Wie es an vielen Stellen der Metaphysik, Buch VII, Kapitel »Die Teile der Definition«,98 aufgezeigt wird, gehört die Materie zur Wesenheit der zusammengesetzten Substanz, z. B. des Menschen, und ein solches Kompositum ist nicht genau die Wesenheit der Form. So wie das Kompositum daher nicht von selbst »dieses« sein kann (wie es in der ersten Frage gezeigt worden ist [§ 29]), so ist auch die Materie – die ein Teil des Kompositums ist – nicht von selbst »diese«. Weil es bei verschiedenen Dingen kein »gemeinsames Kompositum derselben formalen Struktur« [ratio] geben kann, ohne dass alles, was zu seiner Wesenheit gehört, dieselbe formale Struktur haben könne wie die verschiedenen Dinge selbst. § 140  Außerdem kann man mit Hilfe der Vernunft argumentieren. Die Materie ist dieselbe sowohl im Erzeugten wie im Zerstörten. Sie hat demnach dieselbe Singularität sowohl im Erzeugten wie im Zerstörten. § 141  Wenn man erwidert, dass die Materie nicht dieselbe Spezies im Erzeugten und im Zerstörten hat, argumentiere ich wie oben »gegen die These der unbestimmten [interminatam] Quantität« [§ 100]. Es wird auf diese Weise eine zirkuläre Erzeugung geben, und zwar zuerst des Feuers aus dem Wasser, dann des Wassers aus dem Feuer. Das erste, zerstörte Wasser und das zweite, erzeugte Wasser haben dieselbe Materie und gehören zu derselben Spezies. Also sind sie wirklich »dieses Wasser«. Also kehrt das erste Wasser naturgemäß als numerisch dasselbe Individuum wieder, was der angeführ97  98 

Ebd., XII, 5, 1071 a 27–29. Vgl. Ebd., VII, 10, 1034 b 20–1035 b 3.

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ten These widerspricht [nach welcher die Materie das Indi­ viduationsprinzip ist].

sechste frage Gefragt wird, ob die materielle Substanz individuell ist kraft einer Entität, die per se die Natur zur Singularität bestimmt. § 142  Die Lösung der Argumente des Philosophen, die zur Unterstützung der entgegengesetzten These angeführt worden sind [§§ 130 u. 132–135], erfordert die Lösung der sechsten Frage, und zwar, wodurch die materielle Substanz vollständig individuiert wird. Ich frage also zum sechsten, ob die materielle Substanz individuell ist kraft einer positiven Entität, die per se die Natur zur Singularität bestimmt. § 143  Dass es nicht so ist. Wenn es so wäre, dann würde sich das »Bestimmende« gegenüber der Natur so verhalten wie der Akt gegenüber der Potenz. Aus der spezifischen Natur und aus dem Bestimmenden würde sich daher ein wahrhaft einheitliches Kompositum ergeben, was man aber nicht annehmen kann. Dieses »Bestimmende« wäre nämlich entweder Materie oder Form oder ein Kompositum aus beiden. Alle diese Alternativen sind aber unzutreffend. Denn es würde im Kompositum eine andere Materie geben als diejenige, die ein Teil der Natur ist, oder eine andere Form als diejenige, die als ein Teil der Natur gesetzt wird, oder ein anderes Kompositum als das­ jenige der Natur. § 144  Außerdem. Wenn es so wäre, dann wäre das Singulare – das ein Kompositum aus der Natur und aus dem per se Bestimmenden ist  – per se eins, somit per se intelligibel. Dies aber widerspricht dem Philosophen, der offenkundig

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behauptet (s. De anima, Buch II, und Metaphysik, Buch VII), dass die Intellektion auf das »Universale« geht, die Sinne und die Wahrnehmung [sensatio] auf das »Singulare«.99 § 145  Außerdem. Wenn das Singulare per se intelligibel wäre, dann könnte es Gegenstand der Beweisführung und der Wissenschaft sein. Es würde also eine Wissenschaft der Singulare geben, insofern sie singulär sind; dies aber negiert der Philosoph, in der Metaphysik, Buch VII, Kapitel »Die Teile der Definition«.100 § 146  Ebenfalls, wenn das Singulare die spezifische Natur und das per se Bestimmende enthielte, dann könnte es per se durch diese definiert werden (denn sie wären per se in seinem Begriff eingeschlossen). Es würde demnach eine Definition für das Individuum geben und eine andere für die Spezies – zumindest würde die Definition des Individuums zu der­ jenigen der Spezies etwas hinzufügen, wie die Definition der Spezies zu derjenigen der Gattung etwas hinzufügt. § 147  Dagegen. Jedes untere Element einer Koordination schließt per se etwas ein, das in der Intellektion [intellectu] eines oberen Elements nicht eingeschlossen ist – sonst wäre der Begriff des Unteren im gleichen Maße gemeinsam wie derjenige des Oberen, und dann wäre »das per se Untere« nicht per se unten, weil es nicht dem Gemeinsamen und Oberen untergeordnet wäre. Also gibt es etwas, das per se im Begriff des Individuums eingeschlossen ist, aber nicht im Begriff der Natur. Dieses »Eingeschlossene« ist eine positive Entität, wie es sich aus der Lösung der zweiten Frage ergibt, und bildet zusammen mit der Natur ein »Eins per se«, wie es aus der Lösung der vierten  99 Aristoteles,

Über die Seele, II, 5, 417 b 22–23; Metaphysik, VII, 10, 1035 b 33–1036 a 8. 100 Aristoteles, Metaphysik, VII, 10, 1035 b 33–1036 a 8.

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Frage erhellt. Es ist also etwas, das per se die Natur zur Singularität, d. h. zum Status [ratio] des Unteren bestimmt.

A. Antwort auf die Frage 1. Meinung anderer Autoren a. Darlegung der Meinung § 148  Manche Autoren meinen, dass die spezifische Natur von selbst »diese« ist, aber durch die Quantität eine »Natur« sein kann, die mehreren Singulare gemeinsam ist, d. h., dass die Quantität der Grund sein kann, weshalb mehrere Singulare unter die Natur fallen können. § 149  Das erste Glied dieser These wird erklärt wie folgt: Die »speziellste« Spezies [species specialissima] ist von selbst atomar, somit unteilbar.101 § 150  Dies wird von Porphyrios bekräftigt. »Wenn wir vom höchst Allgemeinen bis zum Speziellsten herabsteigen – sagt er –, befiehlt uns Platon, anzuhalten«.102 Wäre aber eine wei101 

Porphyrios führt zuerst das Fachwort »speziellste« Spezies (»tò eidikótaton«) ein zur Bezeichnung der Spezies, unter welcher es keine weitere, niedrigere Spezies geben kann, sondern nur Individuen; s. Porphyrios, Isagoge, S. 4, Z. 10 sgg. Boethius, dem die Prägung der lateinischen Terminologie zuzuschreiben ist, übersetzt Porphyrios’ Fachwort mit »species specialissima«; s. Porphyrii Isagoge translatio Boethii, accedung Isagoges fragmenta Victorino interprete, in L. Minio-Paluello (Hg.), Aristoteles Latinus, I, 6–7, Desclee de Brouwer, Bruges/Paris 1966, S. 1–31, S. 9. Aristoteles spricht von »atomarer Spezies« oder »der letzten Spezies« (tò átomon eîdos bzw. tò éschaton eîdos). 102 Porphyrios, Isagoge, S. 6, Z. 13–18. Porphyrios spricht von der »höchsten« oder der »höchst allgemeinen Gattung« (»tò genikótaton«); gemeint ist damit die Gattung, über welche es keine höhere Gattung geben kann; s. Porphyrios, Isagoge, S. 4, Z. 15 sgg. Boethius übersetzt

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tere Teilung der Natur möglich, dann müsste man nicht bei der speziellsten Natur anhalten. Also usw. § 151  In ähnlicher Weise kann man ausgehend von einer Stelle bei Boethius argumentieren. Im Buch über die Teilungen zählt Boethius alle Teilungen auf, nicht nur diejenigen »per se«, sondern auch diejenigen »per accidens«. Er zählt aber nicht die Teilung der Spezies in Individuen auf.103 Die spezifische Natur ist daher »diese« nicht durch etwas anderes. § 152  Ebenfalls, wenn es im Individuum eine weitere Realität außer derjenigen der spezifischen Natur gäbe, dann würde die Spezies nicht »das ganze Sein der Individuen« besagen. Dies aber widerspricht der Meinung des Porphyrios.104 § 153  Das zweite Glied der angeführten These [§ 148: »aber durch die Quantität …«] wird erklärt wie folgt. Obgleich die Quantität nicht der formale Grund der Teilung von etwas in subjektive Teile ist, wenn ein quantitatives Ganzes in quantitative Teile geteilt wird, wird es per se in Teile von derselben Art [eiusdem rationis] geteilt. Aber das Prinzip der Teilung und das Prinzip der Unterscheidung der Teile sind dasselbe. Wie also die Quantität das Prinzip der Teilung [in quantitative Teile] ist, so ist sie auch das Prinzip der Unterscheidung der Teile. Diese sind aber subjektive Teile der gemeinsamen

»genus generalissimum«; s. Porphyrii Isagoge translatio Boethii, S. 9. Aristoteles sagt »die ersten« Gattungen (»tà prôta«). Porphyrios bemerkt dazu, dass man sich nicht mit den unendlich vielen Individuen befassen soll, weil von ihnen keine Wissenschaft möglich ist. 103 Boethius, De divisione, in Patrologia latina, Bd. 64, col. 875–892, col. 877 B–C. 104 Porphyrios, Isagoge, S. 7, Z. 28 – S. 8, Z. 3.

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Natur; also ist die Quantität das Prinzip der Unterscheidung solcher Teile. § 154  Wie beide Glieder der angeführten These [§ 148] zugleich vertreten werden können, erhellt aus einem Beispiel. Nach dem Philosophen (Physik, Buch I) ist die »Substanz von selbst unteilbar« – wenn von Teilen von derselben Art [eiusdem rationis] die Rede ist.105 Wenn zu ihr aber die Quantität hinzukommt, kann sie in Teile von derselben Art geteilt werden; ja, sie hat solche Teile. In diesem Sinne kann die Natur der Spezies von selbst [de se] »dieses« Individuum sein, sie kann jedoch durch eine »ihr äußerlich hinzukommende Natur« »dieses« und »jenes« sein. b. Entkräftung der Meinung § 155  Diese Position scheint in zweifacher Weise verstanden werden zu können. Einerseits kann man sie auf folgende Weise verstehen. Insofern sich die materielle Substanz wesentlich von der Quantität unterscheidet, bleibt sie dieselbe, überhaupt nicht unterschieden gemäß dem Begriff ihrer eigenen und wesentlichen Entität. Sie nimmt jedoch viele Quantitäten auf und konstituiert dadurch mit ihnen viele Ganze zugleich. Deutlicher ausgedrückt, eine materielle Substanz, die an sich weder geteilt noch unterschieden ist, wird von vielen Quantitäten informiert [informatur], und daraus entstehen viele Individuen unter derselben Spezies. § 156  Andererseits kann man sie auf folgende Weise verstehen. Die materielle Substanz, die von selbst, unter Einklammerung von jeder Quantität, »diese« ist, wird »diese« und »jene«, wenn eine Quantität, die sie informiert, gesetzt wird – in dem Sinne, dass sie nicht nur unterschiedliche Quanti105 Aristoteles,

Physik, I, 2, 185 a 32–b 5.

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täten aufnimmt, sondern vielmehr in sich selbst, d. h. in ihrer eigenen substantiellen Entität, eine Unterscheidung hat: derart, dass die Substanz, die das Subjekt dieser Quantität ist und sich wesentlich von ihr unterscheidet, nicht die Substanz ist, die das Subjekt einer anderen Quantität ist und sich wesentlich von dieser unterscheidet – obwohl, dass »diese  Substanz nicht jene ist«, nicht ohne Quantität in dieser und jener Substanz der Fall sein kann. § 157  Die erste Interpretation scheint unhaltbar zu sein, weil aus ihr Ungereimtheiten im Rahmen der Theologie, der Metaphysik und der Naturwissenschaften folgen. § 158  Was die Theologie betrifft, besteht eine erste Ungereimtheit darin, dass es keine Eigenschaft mehr der göttlichen, unendlichen Wesenheit wäre, »diese« zu sein, d. h., dass die göttliche Wesenheit, die als eine und in sich nicht unterschiedene existiert, in mehreren unterschiedenen Supposita sein könnte – was aber der verbreiteten Meinung nach nur von den göttlichen Personen gilt, die sich allein durch ihre Beziehung unterscheiden. Die fragliche Position würde behaupten, dass eine einzige substantielle Natur, die keineswegs in sich unterschieden ist, mehrere, durch eine absolute Realität [re absoluta] unterschiedene Supposita hätte.106 § 159 Die zweite Ungereimtheit im theologischen Rahmen ist folgende. Keine Substanz des Weines kann in den Leib und das Blut [Christi] transsubstantiiert werden, außer die ganze Substanz des Weins wird transsubstantiiert, da der Wein nur gemäß seiner Substanz transsubstantiiert wird  – denn die Quantität bleibt dieselbe. Die fragliche These vertritt, dass die Substanz, die in diesem Wein ist, dieselbe ist 106 

Wenn die Quantität das Individuationsprinzip für jede Realität lieferte, dann könnte man auch behaupten, dass die Dreifaltigkeit aus drei Göttern bestehe.

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wie diejenige, die in jenem ist. Es ist aber unmöglich, dass dasselbe zugleich transsubstantiiert und nicht-transsubstantiiert ist. Also usw. § 160  Was die Metaphysik betrifft, entstehen folgende Un­gereimtheiten. Erstens. Die fragliche Position stellt die platonische Idee auf. Die Idee nämlich ist nach Platon eine per se existierende Substanz, also eine getrennte Natur ohne Akzidenzien (das ist die These, die ihm der Philosoph zuschreibt), in der die ganze Natur der Spezies enthalten ist. Diese Natur – gemäß der Lehre, die Aristoteles ihm zuschreibt – wird von jedem Individuum gemäß einer formalen Prädikation der Art »dieses ist dieses« ausgesagt. Nun vertritt aber die fragliche Meinung [§ 155], dass »diese Substanz« von allem, was zu ihrer Spezies gehört, ausgesagt wird gemäß einer Prädikation der Art »dieses ist dieses«, obwohl sie das Subjekt von diesem und jenem Akzidens ist. Diese Position setzt demnach eine ebenso breite Gemeinsamkeit in der Substanz wie Platon in den Ideen. § 161  Zweitens. Nach den Vertretern der fraglichen Lehre können zwei Akzidenzien derselben Spezies nicht in demselben Subjekt sein (wenn es sich um absolute Akzidenzien handelt). Denn daraus  – so ihre These  – würde ein offensichtlicher Widerspruch folgen, und zwar, dass dasselbe in derselben Hinsicht sowohl im Akt als auch in Potenz wäre. Aus ihrer These folgt jedoch das Gegenteil, denn dieselbe Natur ist im Akt gemäß vielen Akten derselben Spezies. § 162  Aus dieser Meinung kann man eine weitere Unmöglichkeit herleiten, diesmal im Rahmen der Mathematik (insofern das »Quantum« ein Begriff der Mathematik ist). Zwei dimensionale Quantitäten von derselben Art [rationis] würden gleichzeitig dasselbe Subjekt vervollkommnen. Dies aber widerspricht dem eigentümlichen Begriff der dimensionalen

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Quantitäten von derselben Art, wie man diese in der Mathematik versteht. § 163  Es entstehen drittens zwei Ungereimtheiten im Rahmen der Naturwissenschaften. Erstens. Dieser These zufolge kann keine materielle Substanz erzeugt oder zerstört werden. Keine kann erzeugt werden, denn wenn »dieser Stein« existiert, besitzt er die ganze Substanz, die in jedem beliebigen Stein sein kann. Diese Substanz des Steins kann verschieden große Quantitäten aufnehmen, die sich der Zahl nach unterscheiden; das Aufnehmen einer neuen Quantität ist aber keine Erzeugung (dies erhellt aus der Betrachtung der Zielbestimmungen der substan­t iel­ len Erzeugung). Also usw. Ähnlich, wenn dieser Stein sich erhält, erhält sich in ihm die spezifische Natur des Steins. Jede Natur des Steins ist aber »diese Natur«. Also, wenn sich diese Natur erhält, erhält sich jede Natur. Keine materielle Substanz kann daher zerstört werden, wenn der Stein sich erhält, obwohl die Qualität oder die Quantität nicht dieselbe geblieben ist. § 164  Zweitens. Obwohl man gemäß der Erdichtung des verfluchten Averroes, [nämlich] der Einheit des Intellekts in allen Subjekten, das Verhältnis zwischen zwei Körpern auf dieselbe Weise begreifen kann wie [gemäß der fraglichen These] dasjenige zwischen zwei Steinen, da man nicht nur gemäß dem Glauben, sondern vielmehr der Philosophie zufolge behaupten muss, dass jedes Subjekt eine intellektive Seele hat, kann die menschliche Natur unmöglich von selbst atomar sein und sich trotzdem durch die Quantität in den verschiedenen Menschen unterscheiden, weil es in verschiedenen Menschen eine andere substantielle Form gibt, deren Andersheit [alietas] naturgemäß der Quantität vorausgeht. Die Vertreter der angeführten These bemühen sich nicht, auf diesen Einwand zu antworten – da er unlösbar ist –, sondern wenden sich anderen, »homogenen« Substanzen zu,

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wie etwa dem Stein oder dem Wasser. Wenn sie allerdings aus dem Begriff [rationem] einer »atomaren« spezifischen Natur ein Argument für ihre These ableiten könnten, dann müssten sie zu demselben Schluss hinsichtlich des Menschen kommen wie des Steins. Sie können daher sehen, dass die Prinzipien, auf die sie sich stützen, keine Gültigkeit haben, da aus ihnen offensichtliche Unmöglichkeiten folgen. § 165 Die zweite Interpretation [§ 156] zerstört sich selbst. Denn das, was von selbst ein »dieses« ist (im oben dargelegten Sinne, wie »etwas von selbst ein dieses ist«, und zwar, weil ihm per se widerspricht, in mehrere subjektive Teile geteilt zu werden oder von selbst »nicht-dieses« zu sein), kann durch nichts, was zu ihm hinzukommen mag, in mehrere Teile geteilt werden. Denn wenn es ihm von sich aus widersteht, geteilt zu werden, widerspricht ihm von sich aus auch, etwas aufzunehmen, wodurch es zu einem »Nicht-Diesen« gemacht wird. Wenn man also behauptet, die Natur sei von selbst »diese« (der oben erklärten Interpretation nach), aber könne trotzdem »diese« und »jene« sein, wenn etwas anderes zu ihr hinzukommt, sagt man etwas Widersprüchliches. § 166  Dies erhellt aus dem Beispiel, das von den Vertretern der fraglichen Position angeführt wird [§ 154]. Obwohl die materielle Substanz nicht von sich aus in Teile von derselben Art geteilt wird, ist sie von selbst nicht in solche Teile unteilbar. Denn wäre sie von selbst unteilbar (d. h. widerspräche es ihr, geteilt zu werden), könnte sie die Quantität nicht aufnehmen, durch die sie formal in Teile von derselben Art geteilt wird. Dies leuchtet ein, denn die Seele – oder ein Engel (der in diesem Sinne von selbst unteilbar ist) – kann ebenso wenig eine Quantität aufnehmen wie Teile haben. § 167  Die Folgerung »etwas ist nicht von selbst solches, also ist es von selbst nicht-solches« ist daher ein Trugschluss (es handelt sich um eine fallacia consequentis oder »Fehlschluss

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der Schlussfolgerung«). In Wahrheit ist nämlich die Substanz nicht etwas, das von selbst Teile von derselben Art hat – wie manche vertreten107 –, aber dennoch ist sie auch nicht etwas, das von selbst nicht Teile von derselben Art hat in dem Sinne, dass es ihr widerstreitet, Teile zu haben, denn in diesem Fall könnte sie formal nicht solche Teile durch »etwas zu ihr Hinzukommendes« annehmen. Auf diese Weise ist die Natur einer »speziellsten« Spezies nicht von selbst »diese«; wie auch etwas, das gemäß seiner Natur teilbar ist, nicht von selbst »dieses« ist. Trotzdem ist die Natur nicht von selbst »nichtdiese«, als ob es ihr widerspräche, von selbst in mehrere Teile geteilt zu werden; denn sonst könnte sie nicht etwas aufnehmen, wodurch ihr eine solche Teilung formal zukäme.

2. Die eigene Meinung § 168  Auf die Frage, »ob die materielle Substanz individuell ist kraft einer positiven Entität, die per se die Natur zur Singularität bestimmt«, antworte ich, dass es so ist. § 169  Zur Unterstützung dieser These führe ich folgendes Argument an. Wie im Gemeinsamen die Einheit per se aus der Entität folgt, so folgt jede Einheit per se aus irgendeiner Entität. Die absolute Einheit (wie die schon mehrmals beschriebene »Einheit des Individuums«, d. h. diejenige, welcher es widerspricht, in mehrere subjektive Teile geteilt zu werden und »dieses bezeichnete Individuum nicht zu sein«), wenn sie in den Seienden ist (wie jeder annimmt), folgt daher per se aus irgendeiner Entität per se. Sie folgt aber per se nicht aus der Entität der Natur, denn diese hat eine eigene, reale Einheit per se, wie es bei der Lösung der ersten Frage bewiesen worden ist. Sie folgt also aus einer anderen Entität, welche 107 Vgl.

Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, IV, Kap. 65, Bd. 3, S. 368; Gottfried von Fontaines, Quodlibeta, VII, q. 5, S. 322.

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die Entität der Natur bestimmt und mit ihr etwas bildet, das per se eins ist; denn das »Ganze«, das diese Einheit besitzt, ist von selbst vollkommen.108 § 170  Ähnlich lässt sich jeder Unterschied von unterschiedlichen Dingen zuletzt auf einige primär Verschiedene zurückführen (sonst gäbe es keinen Endpunkt in der Reihe der Unterschiedlichen). Aber die Individuen unterscheiden sich im eigentlichen Sinne darum, weil sie »verschieden und trotzdem etwas Identisches sind«. Also lässt sich ihr Unterschied auf etwas zurückführen, das primär verschieden ist. Diese »primär Verschiedenen« sind aber nicht die Natur in diesem und die Natur in jenem Individuum, denn es ist nicht durch dasselbe, dass die Dinge formal übereinstimmen und sich real unterscheiden; obgleich dasselbe real unterschieden und real übereinstimmend sein kann. Denn es macht viel aus, ob etwas unterschieden ist oder ob es dasjenige ist, wodurch sich etwas primär unterscheidet (so ist es also auch mit der Einheit). Also gibt es neben der Natur in diesem und in jenem Individuum einiges primär Verschiedenes, wodurch die Individuen sich unterscheiden (dieses Individuum hinsichtlich dieses, jenes Individuum hinsichtlich jenes). Diese Verschiedenen können weder Negationen sein, wie es in der zweiten Frage aufgezeigt worden ist, noch Akzidenzien, wie es aus der vierten Frage erhellt. Es handelt sich also um positive Entitäten, die per se die Natur bestimmen. § 171  Gegen mein erstes Argument [§ 169] wird folgender Einwand vorgebracht. Wenn es eine reale Einheit gibt, die geringer ist als die numerische Einheit, gehört sie zu etwas, das entweder in einem numerisch identischen Subjekt ist 108  Das

Individuum ist »von selbst vollkommen«, weil seine Individuation nicht durch irgendein Akzidens erfolgt, sondern sich immer innerhalb der noetischen Dimension der Wesenheit und der Substanz entwickelt, wie Scotus in diesen Quaestiones aufzeigen will.

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oder in einem anderen. Dieses Etwas kann aber nicht in einem numerisch identischen Subjekt sein, denn alles, was sich in einem numerisch Identischen befindet, ist numerisch eins. Es kann auch nicht in zwei Subjekten sein, denn nichts ist real eins in ihnen, weil diese Eigenschaft nur den göttlichen Personen zukommt (wie es bei der Interpretation des oben angeführten Satzes des Damaszeners [§ 39] erklärt worden ist). § 172  Ich antworte wie folgt. Wie es bei der Lösung der ersten Frage in Bezug auf dieses Thema gesagt wurde [§§ 32 u. 34], ist die Natur naturgemäß früher als »diese« Natur, und die eigene Einheit einer Natur  – die aus dieser folgt, insofern sie eine Natur ist  – geht naturgemäß der Einheit der Natur voraus, insofern sie »diese« Natur ist. Unter diesen Aspekt [ratio] fällt die metaphysische Betrachtungsweise der Natur; unter diesem Aspekt wird ebenfalls die Definition der Natur bestimmt und werden Sätze per se über die Natur gemäß der ersten Weise der Prädikation formuliert [vgl. § 32]. In demselben Subjekt also, das numerisch eins ist, ist eine Entität, aus welcher eine reale Einheit folgt, die geringer ist als die numerische Einheit. Das Subjekt, dem eine solche Einheit angehört, ist formal »von selbst eins« der numerischen Einheit nach. Ich gebe also zu, dass die reale Einheit zu etwas gehört, was nicht in zwei Individuen existiert, sondern in einem einzigen. § 173  Auf den Einwand »Alles, was in einem numerisch identischen Individuum ist, ist numerisch identisch« antworte ich zuerst anhand eines deutlicheren Beispiels. Alles, was in einer Spezies ist, ist »spezifisch« eins. Die Farbe in der Weiße ist daher »spezifisch« eins. Die Behauptung »Also hat sie keine geringere Einheit als die Einheit der Spezies« ist falsch. Denn, wie anderswo gesagt wurde (und zwar im ersten Buch, in der Frage »Die Attribute«, vor der Antwort auf das Hauptargument über die Attribute, bei der Lösung

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des ersten Zweifels109), »als beseelt kann man etwas entweder durch Benennung [denominative] bezeichnen, wie etwa den Körper, oder per se nach der ersten Weise der Prädikation, wie etwa den Menschen« (so wird die Oberfläche durch Benennung »weiß« genannt, die weiße Oberfläche wird dagegen per se nach der ersten Weise der Prädikation als »weiß« bezeichnet, weil in diesem Fall das Prädikat im Subjekt eingeschlossen ist). Wenn also ein Potentielles durch etwas im Akt kontrahiert [contrahitur] wird, wird es – behaupte ich – durch dieses Etwas im Akt geformt [informatur]; auf diese Weise wird es durch die Einheit geformt, die aus dieser Aktualität, d. h. diesem Akt, folgt. So ist es »eins« gemäß der eigenen Einheit dieses Etwas im Akt; es ist aber durch Benennung, dass es in diesem Sinne »eins« ist (d. h. weder von selbst noch der ersten Weise der Prädikation nach, noch wegen eines wesentlichen Teils). § 174  Die Farbe in der »Weiße« ist daher »spezifisch« eins, aber nicht von selbst, noch per se, noch primär, sondern nur durch Benennung. Die spezifische Differenz ist primär eins, denn ihr widerspricht primär, in mehrere Spezies geteilt zu werden. Die Weiße ist »spezifisch« eins per se, aber nicht primär, weil sie durch etwas ihr Innewohnendes eins ist (wie etwa durch die spezifische Differenz). § 175  Ich gebe also zu, dass alles, was in diesem Stein ist, numerisch eins ist, und das entweder primär oder per se, oder durch Benennung. Es ist sicherlich »primär« eins, insofern es das Prinzip ist, wodurch diesem Kompositum eine solche Einheit zukommt. »Per se« eins ist dieser Stein, von dem dasjenige, was gemäß dieser Einheit primär eins ist, per se ein Teil ist. Eins nur »durch Benennung« ist das Potentielle, das durch ein Aktuelles vervollkommnet wird und die Aktualität desselben gleichsam durch Benennung widerspiegelt. 109 Ordinatio,

I, d. 8, § 214.

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§ 176  Man muss diese Antwort [§§ 168–170] weiter erklären. Was die Entität sei, von der die vollkommene Einheit [des Individuums] stammt, kann durch einen Vergleich mit der Entität, von welcher die spezifische Differenz hergenommen wird, erläutert werden. Die spezifische Differenz, oder die Entität, von welcher die spezifische Differenz hergenommen wird, kann mit dem verglichen werden, was ihr untergeordnet ist, oder mit dem, was ihr übergeordnet ist, oder mit dem, was [in der Koordination] auf ihrer Stufe steht. § 177  Der ersten Weise nach widerspricht es per se der spezifischen Differenz und der spezifischen Entität, in Teile geteilt zu werden, die ihrer Spezies oder ihrer Natur nach wesentlich mehrere sind. Eine solche Teilung widerspricht demnach auch dem Ganzen, dessen Teil jene Entität per se ist. In ähnlicher Weise, was unsere Frage betrifft, widerspricht es primär der individuellen Entität, in subjektive Teile geteilt zu werden. Durch diese Entität widerspricht per se eine solche Teilung auch dem Ganzen, dessen Teil die Entität ist. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Einheit der spezifischen Natur geringer ist als die individuelle Einheit. Die Einheit der spezifischen Natur schließt deswegen nicht jede Teilung in quantitative Teile aus, sondern nur die Teilung in wesentliche Teile. Die individuelle Einheit schließt dagegen jede Teilung aus. § 178  Diese Argumente bekräftigen hinreichend meine These. Da nämlich jede Einheit, die geringer ist als diese Einheit, eine eigene Entität hat, aus welcher sie per se folgt, scheint es unwahrscheinlich, dass man der vollkommensten Einheit [scil. der individuellen Einheit] eine eigene Entität, aus welcher sie folgt, absprechen könne. § 179  Wenn man aber die spezifische Natur mit dem, was ihr übergeordnet ist, vergleicht, sage ich, dass die Realität, aus welcher die spezifische Differenz hergenommen wird, im

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Akt ist in Rücksicht auf die Realität, aus welcher die Gattung oder der Begriff der Gattung hergenommen werden. Auf diese Weise ist die letztere Realität formal nicht die erstere, sonst wäre die Definition eine leere Wiederholung, denn die Gattung allein (oder die spezifische Differenz) würde genügen, um eine Definition zu liefern, da sie die ganze Entität des Definierten bezeichnen würde. Manchmal ist dieses »kontrahierende« Prinzip etwas anderes als die Form, aus welcher die Begriffsbestimmung der Gattung hergenommen wird (wenn die Spezies zur Natur der Gattung eine Realität hinzufügt). Manchmal aber ist es kein anderes Ding [res], sondern nur eine andere Formalität oder ein anderer formaler Begriff desselben Dinges. Demzufolge hat eine spezifische Differenz einen »nicht schlechthin einfachen« Begriff (so etwa diejenige, die aus einer Form hergenommen wird), eine andere dagegen hat einen »schlechthin einfachen« Begriff  – so ist diejenige, die aus der letzten Abstraktion der Form hergenommen wird. (Was diese Unterscheidung betrifft, ist schon weiter oben erklärt worden – in der dritten Distinktion des ersten Buches –, wie einige spezifische Differenzen das Seiende einschließen und andere nicht.) § 180  Einerseits ist die Realität des Individuums der spezifischen Realität ähnlich, weil sie gleichsam ein Akt ist, der die gleichsam mögliche und potentielle Realität der Spezies bestimmt. Andererseits aber ist sie ihr unähnlich, weil sie nie von einer hinzugetretenen Form her­genommen wird, sondern genau von der letzten Realität der Form. § 181  Sie ist der spezifischen Realität unähnlich auch unter einer anderen Rücksicht. Denn die spezifische Realität bildet das Kompositum (dessen Teil sie ist) in seinem washeitlichen Sein, da sie eine washeitliche Entität ist, während die Realität des Individuums primär von jeder washeitlichen Entität verschieden ist. Dies kann man beweisen wie folgt. Wenn man eine beliebige washeitliche Entität begreift (ich meine hier

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eine beschränkte washeitliche Entität), ist sie vielen Individuen gemeinsam, und ihr widerspricht nicht, von vielen ausgesagt zu werden, derer ein jedes »dieses Individuum« ist. Also kann die Entität des Individuums, die von selbst eine andere Entität ist als die Washeit oder die washeitliche Entität, nicht das Ganze (dessen Teil sie ist) in seinem washeitlichen Sein bilden, sondern in einer anderen Art [ratio] von Sein. § 182  Bei dem Philosophen wird die Washeit oft »Form« genannt (dies tritt in der Metaphysik, Buch V, Kapitel »Die Ursache«,110 klar hervor, und dann auch an vielen anderen Stellen; im Buch VII der Metaphysik, Kapitel »Die Teile der Definition«, heißt es, dass »in allem, was keine Materie hat, die Washeit und das, zu dem sie gehört, dasselbe sind«111 – wie ich unten [§§ 204–207] erklären werde, spricht er hier von der Materie und der Form). Alles, was eine kontrahierte Washeit hat, bezeichnet er dagegen als »materiell«. (Im Büchlein Über die Trinität behauptet Boethius, dass keine Form das Subjekt eines Akzidens sein kann, weil die Form von allem anderen Subjekt in quid ausgesagt wird.112 Auch wenn die Menschheit ein Subjekt ist, kommt dies ihr nicht deshalb zu, weil sie eine Form ist. Allerdings ist die Menschheit nicht die Form eines der beiden Teile des Kompositums, d. h. der Form oder der Materie, aber sie ist die Form des ganzen Kompositums, das eine kontrahierte Washeit hat oder in dem eine kontrahierte Washeit ist.) Jede spezifische Realität konstituiert demnach etwas in dessen formalem Sein (weil sie es im washeitlichen Sein konstituiert), die Realität des Individuums dagegen konstituiert etwas genau in dessen materiellem (d. h. kontrahiertem) Sein. Daraus folgt der logische Satz »die spezifische Realität sei wesentlich formal, die Realität des Individuums sei materiell«. Denn die 110 Aristoteles,

Metaphysik, V, 2, 1013 a 26–28. 111  Ebd., VII, 11, 1037 a 32–1037 b 5. 112  Die Prädikation in quid ist diejenige, die dem Subjekt die Washeit oder »quod quid est« zuschreibt.

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letztere konstituiert etwas, insofern es zum Subjekt taugt, die erstere, genau insofern es aussagbar ist. Aber das formale Prädikat präsentiert sich unter dem Aspekt der Form, das zum Subjekt taugliche dagegen unter dem der Materie. § 183  Man kann zum dritten die spezifische Differenz mit dem vergleichen, was auf ihrer Stufe steht, d. h. mit einer anderen spezifischen Differenz. Obgleich manchmal die spezifische Differenz nicht primär von einer anderen verschieden sein kann – so verhält sich z. B. die Entität, die aus der Form hergenommen wird  –, ist doch die letzte spezifische Differenz primär von einer anderen verschieden – nämlich diejenige spezifische Differenz, die einen »schlechthin einfachen« Begriff hat. In dieser Hinsicht sage ich, dass die individuelle Differenz der spezifischen Differenz  – allgemein genommen  – ähnlich ist, denn jede individuelle Entität ist primär von allen anderen verschieden. § 184  Aus dem Angeführten leuchtet die Antwort auf folgenden Einwand ein. Man wendet ein, dass zwei individuelle Entitäten entweder von derselben Art [ratio] sind oder nicht. Wenn ja, kann aus ihnen eine Entität abstrahiert werden, und diese wird eine spezifische Entität sein. (Man muss sich fragen, wodurch sie zu dieser oder jener Entität kontrahiert wird. Wenn sie von selbst kontrahiert wird, dann konnte man aus demselben Grund bei der Natur des Steins zum Stillstand [scil. in der Reihe der formalen Bestimmungen] kommen. Wenn sie durch anderes kontrahiert wird, dann geht der Prozess ins Unendliche fort.) Wenn die individuellen Entitäten nicht von derselben Art sind, dann sind es [scil. nicht von derselben Art] auch die durch sie »konstituierten« Seienden; sie sind demnach nicht Individuen von derselben Spezies. § 185  Ich antworte wie folgt. Die letzten spezifischen Differenzen sind primär verschieden, deshalb kann aus ihnen nichts abstrahiert werden, das »per se eins« ist. Daraus folgt

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aber nicht, dass die durch sie »konstituierten« Seienden primär verschieden sind und nicht unter eine einzige formale Bestimmung fallen [non alicuius unius rationis]. Denn dass einige sich »im gleichen Maß unterscheiden«, kann in zweifacher Weise verstanden werden, und zwar entweder in dem Sinne, dass sie im gleichen Maß nicht kompossibel sind (d. i., dass sie nicht demselben Subjekt innewohnen können), oder in dem Sinne, dass sie im gleichen Maß in nichts übereinstimmen. In dem ersten Sinn ist es wahr, dass die »Unterschiedenen« im gleichen Maß verschieden sind wie die »Unterscheidenden« (denn die »Unterscheidenden« können unmöglich nicht kompossibel sein, außer auch die »Unterschiedenen« sind nicht kompossibel). In dem zweiten Sinn ist es in jedem Fall unmöglich, weil die »Unterschiedenen« nicht nur die »Unterscheidenden«, sondern auch etwas anderes einschließen (das in Rücksicht auf die Unterscheidenden gleichsam in Potenz ist), aber die Unterscheidenden in diesem nicht übereinstimmen. § 186  Auf die Frage nach den individuellen Entitäten gebe ich eine ähnliche Antwort wie auf diejenige nach den primär verschiedenen Differenzen [§ 185]. Die individuellen Entitäten sind »primär verschieden« (d. h. sie stimmen in nichts Identischem überein), es ist aber nicht notwendig, dass die »unterschiedenen« Individuen schlechthin verschieden sind. So wie die Entitäten allerdings nicht kompossibel sind, so sind es auch die Individuen, die sie haben. § 187  Man könnte mich fragen, was diese »individuelle Entität« sei, aus welcher die individuelle Differenz hergenommen wird, und zwar, ob sie Materie oder Form oder ein Kompositum sei. Ich antworte wie folgt. Jede (partielle oder ganze) washeitliche Entität einer Gattung ist als eine »washeitliche Entität« von selbst indifferent gegenüber dieser und jener Entität. Auf diese Weise geht sie als eine »washeitliche Entität« naturgemäß einer

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Entität voraus, insofern diese »ein Individuum« ist; insofern sie naturgemäß früher ist, widerstreitet ihr aufgrund ihrer Begriffsbestimmung [ratio] ebensowenig, wie es ihr zukommt, »diese« zu sein, auch das Gegenteil. Und wie das Kompositum, insofern es eine Natur ist, nicht seine Entität (durch die es formal »dieses« ist) einschließt, so schließt auch die Materie, »insofern sie eine Natur ist«, nicht ihre Entität (durch die sie »diese Materie« ist) ein, und auch die Form, »insofern sie eine Natur ist«, schließt nicht ihre Entität ein. § 188  »Diese Entität« ist daher weder Materie noch Form, noch ein Kompositum, insofern jedes von diesen eine »Na­ tur« ist, sondern sie ist die letzte Realität des Seienden, das Materie oder Form oder ein Kompositum ist. Alles, was gemeinsam, aber trotzdem bestimmbar ist, kann auf diese Weise noch in mehrere, formal unterschiedene Realitäten unterschieden werden (obwohl es ein Ding ist), von denen die eine formal nicht die andere ist; denn die eine ist formal die Entität der Singularität, die andere die Entität der Natur. Diese zwei Realitäten können nicht zwei Dinge sein – so wie es eine Realität gibt, aus der die Gattung hergenommen wird, und eine, aus der die Differenz hergenommen wird (aus beiden wird die spezifische Realität hergenommen) –, sondern sie sind in demselben Subjekt (im Teil oder im Ganzen) formal unterschiedene Realitäten desselben Dings.113 a. Antwort auf die Hauptargumente § 189  Die Antwort auf das erste Hauptargument [§ 143] er­hellt aus dem Angeführten. Wenn man nämlich schließt, dass »jedes Individuum, zu dem die Natur kontrahiert wer113 Die

Entität der Natur und die individuelle Entität unterscheiden sich nicht als zwei Dinge, sondern als zwei Realitäten desselben Dinges, und dies betrifft sowohl die Washeit als ein Ganzes wie die Teile derselben, also die Form und die Materie.

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den kann, vortrefflicher ein Kompositum ist als die Natur selbst«,114 sage ich, dass die Zusammensetzung im eigentlichen Sinne verstanden werden kann, wie etwa die Zusammensetzung aus einem aktuellen und einem potentiellen Ding, oder in einem weniger eigentlichen Sinne, wie etwa die Zusammensetzung aus einer Realität und einer aktuellen und potentiellen Realität in demselben Ding. In dem ersten Sinne ist das Individuum kein Kompositum hinsichtlich der spezifischen Natur, weil es zu dieser keine Realität (weder Materie noch Form, noch ein Kompositum, wie das fragliche Argument behauptet [§ 143]) hinzufügt. In dem zweiten Sinne ist das Individuum notwendig ein Kompositum, denn die Realität, aus welcher die spezifische Differenz hergenommen wird, ist in Potenz hinsichtlich der Realität, aus welcher die individuelle Differenz hergenommen wird, als ob sie zwei Dinge wären. Die spezifische Realität kann nämlich von sich aus unter keinem eigenen Aspekt die individuelle Realität »durch die Identität« einschließen, sondern es ist nur eine dritte Realität, die beide »durch die Identität« einschließt. § 190  Eine derartige Zusammensetzung kann mit der vollkommenen göttlichen Einfachheit nicht zusammen bestehen. Denn diese duldet bei sich nicht nur keine Zusammensetzung aus einem Ding und einem aktuellen und potentiellen Ding, sondern auch keine Zusammensetzung aus einer aktuellen und einer potentiellen Realität. Wenn man nämlich in Gott eine beliebige wesentliche Bestimmung mit jeder anderen vergleicht, ist das Wesentliche formal unendlich; deshalb kann es von sich aus durch die Identität alles einschließen, was mit ihm zusammen existieren kann (dieser Punkt wurde oben, im ersten Buch, mehrmals berührt); und diese Extreme sind genau genommen nicht deshalb vollkommen dasselbe, weil »ein Drittes beide vollkommen ein114  Im

§ 143 wird dieser Schluss nicht ausdrücklich formuliert. Er ist dagegen in Lectura, q. 6, § 140, zu finden.

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schließt«.115 Was aber unsere Frage betrifft, weder inkludiert die spezifische Entität die individuelle »durch die Identität« noch umgekehrt, sondern ein Drittes, von dem beide gleichsam Teile per se sind, schließt beide »durch die Identität« ein. Dadurch wird die vollkommenste Zusammensetzung, d. h. die Zusammensetzung eines Dings mit einem anderen, ausgeschlossen, aber nicht jede Art von Zusammensetzung. Weil im allgemeinen jede Natur, die nicht von selbst »diese« ist, die aber zur Singularität bestimmt werden kann (sei es durch ein anderes Ding – was nicht in jedem Fall möglich ist – oder durch eine andere Realität), nicht schlechthin einfach ist. § 191  Was das zweite Argument [§ 144] betrifft, gebe ich zu, dass das »Singulare« per se intelligibel ist, insofern dies auf es ankommt (ob es aber für irgendeinen Intellekt nicht per se intelligibel sei, z. B. für unseren, siehe dazu anderswo116). Zumindest kommt es nicht auf das Singulare an, wenn es nicht intelligibel sein kann, wie es nicht auf die Sonne ankommt, dass die Eule sie nicht sehen kann, sondern auf die Augen der Eule.117 § 192  Was dann die Definition betrifft [§ 146], sage ich Folgendes. Wenn auch eine Begriffsbestimmung [ratio] alles ausdrücken kann, was an der Entität des Individuums mitwirkt, ist sie jedoch keine vollkommene Definition, weil sie nicht die »Washeit« ausdrückt – und nach dem Philosophen (Topik, Buch I) »drückt die Definition die Washeit aus«.118 Ich gebe daher zu, dass sich das Singulare durch keine andere Definition definieren lässt als die der Spezies; jedoch ist es per se ein Seiendes, das zur Entität der Spezies eine gewisse 115 

Beide Bestimmungen sind identisch wegen der Unendlichkeit der göttlichen Natur. 116 Ordinatio, II, d. 3, p. 2, q. 1, § 294. Das Individuum ist für uns nicht intelligibel, weil es keine eigene Definition hat. 117  Vgl. Aristoteles, Metaphysik, II, 1, 993 b 9–11. 118 Aristoteles, Topik, I, 5, 101 b 39.

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Entität hinzufügt. Aber die »Entität per se«, die es hinzufügt, ist keine washeitliche Entität. § 193  Daraus leuchtet die Antwort auf die übrigen Argumente ein, die sich auf die Wissenschaft und die Beweisführung beziehen [§ 145]. Denn die Definition des Subjekts ist der Mittelbegriff in der mächtigsten Art von Beweisführung; das Singulare hat aber keine eigene Definition, sondern nur die Definition der Spezies. Es ist demnach der Gegenstand keiner besonderen Beweisführung, sondern nur der Beweisführung der Spezies (denn es besitzt keine eigenen Attribute, sondern nur die Attribute der Spezies). b. Antwort auf die Argumente für die Meinung anderer Autoren § 194  Auf die Argumente für die angeführte Meinung [§ 148] antworte ich wie folgt. Wenn man zuerst sagt, dass die Spezies atomar ist, erwidere ich, dies sei in dem Sinne zu verstehen, dass sie nicht in mehrere Spezies geteilt werden kann. Sie ist aber nicht rein atomar, d. h. schlechthin unteilbar, denn die Unteilbarkeit in mehrere Spezies verträgt sich mit der Teilbarkeit in mehrere Individuen derselben Spezies. § 195  Wenn man die Unteilbarkeit der Spezies anhand von Platons These, auf die Porphyrios hinweist [§ 150], nachweisen will, erwidere ich, dass die Teilung, die man durch die Kunst [der Teilung] durchführt, mit der »speziellsten« Spezies ihren Endpunkt erreicht. Denn weiterzumachen, bedeutet, ins Unendliche zu gehen – was die Kunst [der Teilung] nach Porphyrios vermeiden soll.119 Weil es in den Individuen keinen Grund dafür gibt, dass sie nur eine bestimmte Anzahl

119 Porphyrios,

Isagoge, S. 6, Z. 10 f.

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sind, sondern sie können unendlich viele sein, denn dies widerspricht nicht ihrem Begriff. § 196  Wenn man die Teilung im strengen Sinn versteht  – d. h. in dem Sinn, dass sie dasjenige betrifft, was der Zahl und der Größe nach bestimmte Teile hat –, kann auf diese Weise die Spezies nicht in Individuen geteilt werden. Die Gattung erfordert dagegen eine bestimmte Anzahl von Spezies (denn das erste Teilbare wird nach Boethius in zwei geteilt120). Das »Quantum« impliziert seinerseits eine bestimmte Größe; wenn man diese voraussetzt, dann gibt es in dem Ganzen, wodurch das Quantum bestimmt wird, mittlere Größen   – denn es gibt zumindest zwei. Und auch wenn man die Teilung im strengen Sinn so versteht, dass sie Teile impliziert, die eine gewisse Proportion zum Ganzen haben – sei es, dass sie das Ganze bilden, oder, dass sie in ihm einer bestimmten Anzahl oder einer bestimmten Größe nach enthalten sind –, lässt sich die Spezies per se nicht in Individuen teilen. Und auf diese Weise kann man dasjenige erklären, was sowohl Platon wie Porphyrios meinen. Wenn man dagegen die Teilung im allgemeinen Sinn versteht – d. h., insofern sie etwas betrifft, was an der Natur des Geteilten teilhat (sei es, dass dieses Etwas als ein Bestandteil oder als ein subjektiver Teil eine Proportion zum Ganzen hat, oder nicht)  –, lässt sich die Spezies per se in Individuen teilen. Diese Teilung wird bei Boethius auf die Gattung zurückgeführt, denn der Teilung der Spezies in Individuen kommen die Bedingungen und die Eigenschaften zu, die Boethius der Teilung der Gattung zu­schreibt.121 § 197  Was den anderen Punkt betrifft [§ 152], d. h. die These, dass »die Spezies das ganze Sein [der Individuen] ausdrückt«, behaupte ich, dass hier »Sein« im Sinne des 120 Boethius, 121 

De divisione, col. 877 C. Vgl. ebd., col. 878 B – 880 A.

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washeitlichen Seins genommen wird, wie Porphyrios im Kapitel »Die Differenz« sagt,122 in dem er meint, die Differenz per se nehme weder ein Mehr noch ein Weniger auf. Er beweist dies wie folgt. »Das Sein eines jeden [scil. Dinges] ist ein und dasselbe und erleidet weder Zunahme noch Abnahme«123 (mit »Sein« meint er hier die Washeit, wie der Philosoph in der Metaphysik, Buch VIII: »Die Seele und das Seele-Sein ist dasselbe«124). Da die Entität, die mit dem Singulare zur Spezies hinzutritt, keine washeitliche Entität ist, behaupte ich, dass die ganze washeitliche Entität, die in dem Individuum ist, Entität der Spezies ist. Die Spezies drückt daher das ganze Sein der Individuen aus. Es ist aber nicht auf diese Weise, dass die Gattung das ganze Sein der Spezies ausdrückt, weil die Spezies eine washeitliche Entität zur Gattung hinzufügt. § 198  Auf das Argument [§ 153] für das zweite Glied des Satzes [in § 148], d. h. dasjenige, das auf dem Begriff der Quantität basiert, antworte ich, dass die Behauptung »Das Prinzip der Teilbarkeit und das der Unterscheidung der Teile sind dasselbe« falsch ist. Dass ein Begriff von selbst mehreren Spezies gemeinsam ist, ist der Grund seiner Teilbarkeit in Spezies; es ist aber nicht der Grund der gegenseitigen Unterscheidung der Spezies, denn diese Spezies unterscheidet sich von jener durch die spezifische Differenz. In der quantitativen Teilung ist es andererseits die ganze Quantität, insofern sie alle Teile undifferenziert [confuse] enthält, die den Grund der Teilbarkeit des ganzen Quantums bildet. Sie ist aber nicht der Grund der gegenseitigen Unterscheidung der Teile; diese kommt dagegen darauf an, dass diese Quantität, die differenziert [distincte] im Akt besteht, nicht jene Quantität im Akt ist, die im Ganzen enthalten ist.

122 Porphyrios,

Isagoge, S. 9, Z. 17. Ebd., S. 9, Z. 22 f. 124 Aristoteles, Metaphysik, VIII, 3, 1043 b 2. 123 

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§ 199  Man behauptet auch [§ 153], dass »wenn ein homogenes quantitatives Ganzes geteilt wird, die Teilung durch die Quantität geschieht«. Angenommen, dass es so ist, ist doch diese Teilung nicht die erste Teilung der Individuen, sondern diese und jene Substanz, insofern sie »diese« und »jene« sind, sind voneinander geteilt und unterschieden, und diese ihre Unterscheidung geht naturgemäß derjenigen voraus, die ihnen zukommt, insofern sie per accidens Teile eines unterschiedenen Ganzen waren (es »geschah« nämlich ihnen, Teile zu sein). Wenn man aber die Teilung nach quantitativen Teilen vorgenommen hat, dann erfolgt die Teilung nach subjektiven Teilen per accidens.

II. Eigene Lösung der fünften Frage § 200  Die Lösung der vorangehenden fünften Frage, bezüglich der Materie, leuchtet aus den Argumenten gegen die gegensätzliche These [§ 132] ein. Ich gebe nämlich zu, dass die Materie, absolut genommen, insofern sie eine Natur ist, nicht der Grund der Unterscheidung oder der Individuation ist. Denn alles, was in einer beliebigen Gattung eine totale oder partielle Natur ist, ist nicht von selbst ein »Dieses«, und man muss deshalb untersuchen, wodurch es ein »Dieses« ist.

III. Antwort auf die Stellen des Philosophen, die für die gegensätzliche Meinung angeführt worden sind § 201  Auf die Autorität des Philosophen aus der Metaphysik, Buch V, Kapitel 6 (»Numerisch eins sind« usw. [vgl. § 130]125) antworte ich wie folgt. Mit »Materie« meint er hier die individuelle Entität, die das Individuum in seinem materiellen 125 Aristoteles,

Metaphysik, V, 6, 1016 b 32–33.

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Sein bildet, aber nicht in seinem formalen Sein (insofern die Washeit »Form« genannt wird), weil die individuelle Entität nicht washeitlich ist. Diese Erklärung leuchtet aus dem ein, was er hinzufügt, und zwar: »Eins der Spezies nach ist das, dessen Begriff einer ist« usw.126 »Begriff« wird hier im Sinne der »Washeit« benutzt, die in Bezug auf das individuelle Sein als »Form« bezeichnet wird. § 202  Auf dieselbe Weise leuchtet die Antwort auf das Argument zum Himmel und zu »diesem« Himmel ein, das sich auf eine Stelle aus der Schrift Über den Himmel stützt [§ 135]. Und dadurch wird meine These bekräftigt. § 203  Dieselbe Antwort betrifft auch das Argument, das sich auf eine Stelle der Metaphysik, Buch XII, stützt [§ 134]. Ich gebe zu, dass es nicht mehrere erste Bewegende geben kann, weil es im ersten Bewegenden keine Materie gibt. Das heißt es gibt in ihm nichts, was es kontrahiert, wie etwa die Materie oder etwas anderes, sondern es ist von selbst »dieses«, ohne dass etwas anderes es kontrahieren muss, denn eine solche Kontraktion ist mit der vollkommenen Einfachheit nicht verträglich. Deshalb ist die Washeit des ersten Bewegenden von selbst »diese«. § 204  Was die Stelle aus der Metaphysik, Buch VII, betrifft [§ 133] – »bei den Seienden, die keine Materie haben, sind die Washeit und das, zu dem sie gehört, dasselbe« –, behaupte ich folgendes. Man kann die Washeit zu demjenigen in Beziehung setzten, zu dem sie per se und primär gehört, oder zu demjenigen, zu dem sie per se, aber nicht primär gehört. Im Allgemeinen ist die Weise, wie sie zu etwas gehört, auch die Weise, wie sie mit diesem übereinstimmt. Denn der Philosoph zeigt in der Metaphysik, Buch VII, Kap. 3, auf: »Jedes einzelne Ding […] und die Washeit [quod-quid-erat-esse] wird als 126 

Ebd., V, 6, 1016 b 33.

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die Substanz jedes einzelnen bezeichnet«127 (wenn nämlich die Washeit [quod-quid-est] kein Seiendes ist, ist sie nichts). Die Washeit aber ist das, was ein Ding primär ist; deshalb ist dasjenige, zu dem die Washeit per se gehört, per se mit ihr identisch. Dasjenige, zu dem dagegen die Washeit per accidens gehört, ist mit ihr per accidens, also nicht schlechthin identisch. (Daher behauptet der Philosoph im Kapitel  3, dass bei dem, das nur in akzidenteller Weise ausgesagt wird, die Washeit und das, zu dem sie gehört, nicht identisch sind.128 Und das ist nicht erstaunlich, weil er im Kapitel 2 behauptet hat, dass nichts Derartiges eine Washeit oder eine Definition ist.129) § 205  Was andererseits eine Washeit hat, kann entweder als die Natur selbst verstanden werden, zu der die Washeit primär gehört, oder als ein Suppositum der Natur,130 dem die Washeit per se, obwohl nicht primär anhaftet. Im ersten Sinne ist die Washeit mit demjenigen, zu dem sie gehört, identisch, und dies gilt sowohl bei den materiellen wie bei den nicht materiellen Dingen. Die Washeit ist mit der Natur sogar primär identisch, weil die Natur die Washeit primär besitzt. Im zweiten Sinne ist das Suppositum nicht mit der Washeit identisch, wenn es eine Entität außer der Begriffsbestimmung seiner Washeit einschließt. Denn in diesem Fall ist es nicht mit der Washeit primär identisch, weil diese zu ihm nicht primär gehört, insofern es eine Entität einschließt außer der Begriffsbestimmung dessen, was die Washeit primär ist.131 127 

Ebd., VII, 6, 1031 a 17–18. 128  Ebd., VII, 6, 1031 a 19–21. 129  Ebd., VII, 4, 1029 b 12–1030 a 17. 130  Gemeint ist damit eine individuelle Substanz, die eine gewisse Natur hat. 131  Der Beziehung zwischen der Washeit und dem, was ein Ding ist (quod quid est), liegt die Lehre des Thomas von Aquin in De ente et essentia zugrunde. Vgl. dazu J. J. E. Gracia, »Individuality and the Individuating Entity«, S. 241.

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§ 206  Hinsichtlich dessen, was der Philosoph eigentlich meint, behaupte ich also, dass bei den Dingen, die nicht zusammen mit der Materie begriffen werden (d. h. nicht zusammen mit einer individuellen Entität, wodurch die Washeit kontrahiert wird), die Washeit und dasjenige, zu dem sie gehört, primär dasselbe sind, weil solche Dinge keine andere Begriffsbestimmung haben außer derjenigen dessen, was die Washeit ist. Bei den Dingen, die dagegen zusammen mit der Materie begriffen werden (d. h. mit einer individuellen Entität, wodurch die Washeit kontrahiert wird), sind die Washeit und dasjenige, zu dem sie gehört, nicht primär dasselbe. Denn ein Ding, das primär so begriffen wird, besitzt die Washeit nicht von sich aus, sondern nur durch einen Teil, d. h. durch die Natur, die kraft der individuellen Entität kontrahiert wird. § 207  Hieraus kann man also nicht herleiten, dass die Materie, die ein Teil des Kompositums ist, außerhalb der Begriffsbestimmung per se der Washeit fällt. Im Gegenteil gehört die Materie wirklich mit der Washeit zusammen, und die Spezies (und alles, was auf der Ebene des Allgemeinen eine Form besitzt) hat primär die Washeit und ist primär mit dieser identisch. Man kann demnach nicht schließen, dass die Materie, die ein Teil des Kompositums ist, das Prinzip der Individuation bildet. Dies kann man nur bezüglich der Materie schließen, die eine Entität ist, welche die Washeit kontrahiert – was ich zugegeben habe [§ 206]. Ob nach dem Philosophen die Abwesenheit der Materie, die ein Teil des Kompositums ist, die Abwesenheit einer derartigen individuellen Entität impliziert, soll in der folgenden Frage behandelt werden.132 § 208  Wenn der Philosoph behauptet, dass »das Erzeugende etwas anderes wegen der Materie hervorbringt« [vgl. § 132], meint er, dass für die Erzeugung die Ideen nicht not132 Ordinatio,

II, d. 3, p. 1, q. 7, §§ 238–239.

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wendig sind. Denn sowohl die Unterscheidung des Erzeugenden und des Erzeugten wie die Angleichung [assimilatio] des Erzeugten ans Erzeugende (die Unterscheidung und die Angleichung sind beide für eine univoke Erzeugung erforderlich) können ohne Ideen erfolgen. Es ist nämlich dank seiner Form, dass ein besonderes Agens sich das Erleidende angleicht [assimilet]  – dasselbe gilt für das Erzeugende in Bezug auf das Erzeugte. Und es ist dank der Materie, dass Erzeugendes und Erzeugtes sich voneinander unterscheiden. Allerdings unterscheidet sich das Erzeugende vom Erzeugten nicht hauptsächlich wegen der Materie  – obwohl die Erzeugung notwendig impliziert, dass das Erzeugende sich vom Erzeugten durch die Materie unterscheidet  –, denn durch die Form, welche die Zielbestimmung der Erzeugung bildet, vervollkommnet das Erzeugende nicht seine Materie, sondern eine andere (seine Materie nämlich ist schon dank der Form vervollkommnet). Da es durch die Form sich das Erzeugte angleicht, vervollkommnet es eine andere Materie als die seinige, und diese ist demnach eine andere als diejenige, die einer solchen Form beraubt wird. Wenn aber ein Ding eine andere Materie hat als ein anderes, unterscheidet es sich von diesem, weil die Materie ein wesentlicher Teil eines Dings ist. § 209  Der Hauptgrund der Angleichung (oder der Ähnlichkeit) ist also die Form, an der sowohl das Erzeugende wie das Erzeugte teilhaben – nicht aber die Form gemäß der individuellen Einheit und Identität, »insofern sie diese Form ist«, sondern gemäß einer geringeren Einheit und Identität, »insofern sie eine Form ist«. In dieser Rücksicht ist die Form der Grund der Erzeugung. Darüber hinaus ist die Form ein wichtigerer Grund der Unterscheidung als die Materie. Denn so wie die Form gegenüber der Materie das Vornehmliche ist, wodurch ein Kompositum existiert, ist sie auch vornehmlich dasjenige, wodurch das Kompositum Eins und folglich in sich selbst ununterschieden und von anderem unterschieden ist.

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§ 210  Im eigentümlichen Sinn (wenn man »unterscheidend« und »angleichend« unterscheidet) ist die Form »angleichend« [assimilativa]; auf diese Weise ist die Materie eigentlich nicht »angleichend«, weil sie weder eine substantielle noch eine akzidentelle Qualität ist.133 Allerdings ist die Materie eigentümlich »unterscheidend«. Denn insofern ihr die Form fehlt, unterscheidet sie sich134 notwendig von einer anderen, die bereits eine Form besitzt, und auf diese Weise unterscheidet sich ein Kompositum von einem anderen. § 211  Die Behauptung, dass das Kompositum »etwas anderes wegen der Materie« ist [vgl. § 208], kann auch in einem anderen Sinn verstanden werden, und zwar, dass die Materie eine präexistierende Ursache seiner Andersheit ist. Obwohl nämlich in einem Kompositum die Form des Erzeugten eine wichtigere Ursache der Andersheit bildet als die Materie, ist die präexistierende Ursache der Andersheit nicht die Form, sondern die Materie. Denn die Materie präexistiert im Zustand der Privation [scil. der Form]; deshalb kann sie nicht mit der informierten [informata] Materie identisch sein.

133 Die

assimilatio ist ein Prozess, der sich gemäß der Qualität abspielt. Vgl. Lectura, q. 6, § 195. 134  Einer Variante zufolge lese ich hier distinguitur statt distinguit.

BIBLIOGR A PHIE Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis

Werke des Duns Scotus A.  Die Vatikan-Ausgabe der Werke des Scotus wird seit 1950 von der Commissio Scotistica, Typis Poliglottis Vaticanis, Civitas Vaticana, herausgegeben. Bisher sind folgende Bände erschienen: 1  O rdinatio. Prologus, hrsg. v. C. Balic´, M. Bodewig, S. Bušelic´, P.  Čapkun-Delic´, I. Juric´, I. Montalverne, S. Nanni, B. Pergamo, F. Prezioso, I. Reinhold, O. Schäfer, 1950. 2  O rdinatio. Liber primus, dist. 1–2, hrsg. v. C. Balic´, M. Bodewig, S. Bušelic´, P. Čapkun-Delic´, I. Juric´, I. Montalverne, S. Nanni, B. Pergamo, F. Prezioso, I. Reinhold, O. Schäfer, 1950. 3  O rdinatio. Liber primus, dist. 3, hrsg. v. C. Balic´, M. Bodewig, S. Bušelic´, P. Čapkun-Delic´, B. Hechich, I. Juric´, B. Korošak, I. Montalverne, L. Modric´, S. Nanni, B. Pergamo, F. Prezioso, I. Reinhold, O. Schäfer, 1954. 4   Ordinatio. Liber primus, dist. 4–10, hrsg. v. C. Balic´, M. Bodewig, S. Bušelic´, P. Čapkun-Delic´, B. Hechich, I. Juric´, B. Korošak, L. Modric´, S. Nanni, B. Pergamo, F. Prezioso, I. Reinhold, O. Schäfer, 1956. 5   Ordinatio. Liber primus, dist. 11–25, hrsg. v. C. Balic´, M. Bodewig, S. Bušelic´, P. Čapkun-Delic´, B. Hechich, I. Juric´, B. Korošak, L. Modric´, S. Nanni, B. Pergamo, F. Prezioso, I.  Reinhold, O. Schäfer, 1959. 6   Ordinatio. Liber primus, dist. 26–48, hrsg. v. C. Balic´, M. Bode­­­ wig, S. Bušelic´, P. Čapkun-Delic´, B. Hechich, I. Juric´, B. Koro­ šak, L. Modric´, S. Nanni, B. Pergamo, F. Prezioso, I.  Reinhold, O. Schäfer, 1963. 7   Ordinatio. Liber secundus, dist. 1–3, hrsg. v. C. Balic´, C. Barbarić, S. Bušelic´, B. Hechich, L. Modric´, S. Nanni, R. Rosini, S. Ruiz de Loizaga, C. Saco Alarcón, 1973. Ordinatio. Liber secundus, dist. 4–44, hrsg. v. B. Hechich, B. Hu­ku­ 8   lak, J. Percan, S. Ruiz de Loizaga, 2001. 9   Ordinatio. Liber tertius, dist. 1–17, hrsg. v. B. Hechich, B. Hukulak, J. Percan, S. Ruiz de Loizaga, 2006.

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Bibliographie

10 Ordinatio. Liber tertius, dist. 26–40, hrsg. v. B. Hechich, B. Hukulak, J. Percan, S. Ruiz de Loizaga, 2007. 11 Ordinatio. Liber quartus, dist. 1–7, hrsg. v. B. Hechich, B. Hukulak, J. Percan, S. Ruiz de Loizaga, V. Salomon, H. Pica, 2008. 12 Ordinatio. Liber quartus, dist. 8–13, hrsg. v. B. Hechich, J. Percan, S. Recchia, S. Ruiz de Loizaga, 2010. 13 Ordinatio. Liber quartus, dist. 14–42, hrsg. v. B. Hechich, B. Hukulak, J. Percan, S. Ruiz de Loizaga, 2011. 16 Lectura. Prologus. Liber primus, dist. 1–7, hrsg. v. C. Balic´, M. Bodewig, S. Bušelic´, P. Čapkun-Delic´, B. Hechich, I. Juric´, B.  Korošak, L. Modric´, S. Nanni, I. Reinhold, O. Schäfer, 1960. 17 Lectura. Liber primus, dist. 8–45, hrsg. v. C. Balic´, C. Barbaric´, S. Bušelic´, P. Čapkun-Delic´, B. Hechich, I. Juric´, B. Korošak, L. Modric´, S. Nanni, S. Ruiz de Loizaga, C. Saco Alarcón, O. Schäfer, 1966. 18 Lectura. Liber secundus, dist. 1–6, hrsg. v. S. Bušelic´, P. ČapkunDelic´, B. Hechich, I. Juric´, L. Modric´, J. Percan, R. Rosini, S. Ruiz de Loizaga, C. Saco Alarcón, 1982. 19 Lectura. Liber secundus, dist. 7–44, 1993. 20 Lectura. Liber tertius, dist. 1–17, hrsg. v. B. Hechich, B. Hukulak, J. Percan, S. Ruiz de Loizaga, C. Saco Alarcón, 2003. 21 Lectura. Liber tertius, dist. 18–40, hrsg. v. B. Hechich, B. Hukulak, J. Percan, S. Ruiz de Loizaga, C. Saco Alarcón, 2004. B. Beim Franciscan Institute, St. Bonaventure University (St. Bo­na­ venture, New York), werden seit 1997 die »philosophischen« Werke des Duns Scotus herausgegeben. Bisher sind folgende

Bände erschienen:

1 Quaestiones in librum Porphyrii Isagoge et Quaestiones super prae­ dicamenta Aristotelis, hrsg. v. R. Andrews, G. Etzkorn, G. Gál, R. Green, T. Noone, R. Wood, The Franciscan Institute, St. Bonaventure University, St. Bonaventure, New York / The Catholic University of America, Washington D. C., 1999. 2 Quaestiones in libros perihermeneias Aristotelis, hrsg. v. R. Andrews, G. Etzkorn, G. Gál, R. Green, T. Noone, R. Plevano, A. Traver, R. Wood; Quaestiones super librum Elenchorum Aristotelis, hrsg. v. R. Andrews, O. Bychkov, S. Ebbsen, G. Etzkorn, G. Gál, R. Green, T. Noone, R. Plevano, A. Traver; Theoremata,

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