Beilage zu Gerlach, Zehn Lösungen aus dem Strafprozeßrecht der Bayer. Staatsprüfungs-Aufgaben 1921–1926: Texte der Aufgaben [Reprint 2022 ed.] 9783112634660


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Beilage zu Gerlach, Zehn Lösungen aus dem Strafprozeßrecht der Bayer. Staatsprüfungs-Aufgaben 1921–1926: Texte der Aufgaben [Reprint 2022 ed.]
 9783112634660

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Beilage ?u

Gerlach, Zehn Lösungen

aus Sem Strafprozeßrecht -er Vager. Staatsprüfungs-Aufgaben

1921-1926

Ikexte üer Aufgaben

1931

München, Berlin un- Leipzig S. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier)

Inhaltsverzeichnis. Sette

1. Staatsprüfung 2. Staatsprüfung 3. Staatsprüfung 4. Staatsprüfung 5. Staatsprüfung 6. Staatsprüfung 7. Staatsprüfung 8. Staatsprüfung 9. Staatsprüfung 10. Staatsprüfung 11. Staatsprüfung

1921 Juni, I. Abtlg., 10. Aufgabe..... 3 1923 November, I. Abtlg., 8. Aufgabe *). . . 1923 Juni, I. Abtlg., 10. Aufgabe *).... 1923 November, I. Abtlg., 9. Aufgabe *) . . . 1925 November, I. Abtlg., 10. Aufgabe, 2. Teil 1926 Mai, I. Abtlg., 10. Aufgabe.................. 1925 Mai, I. Abtlg., 7. Aufgabe..................... 1926 Mai, I. Abtlg., 8. Aufgabe..................... 1924 Mai, I. Abtlg., 10. Aufgabe*) .... 1924 November, I. Abtlg., 10. Aufgabe, 1. Teil 1923 Mai, I. Abtlg., 9. Aufgabe.....................

♦) Textänderungen!

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Staatsprüfung 1921 Juni, 1.10. Die Kleinstadt Dornstein wurde zu Anfang des Jahres 1920 durch zahlreiche anonyme Schmähbriefe an angesehene Ein­ wohner schwer beunruhigt. Besonders stark wurde der Groß­ kaufmann Heß belästigt. Seine Nachforschungen weckten in ihm den Verdacht, daß die Briefe von der Näherin Kunigunde Neidhuber herrührten, die wegen ihres Verkehrs in vielen Häusern mit den Verhältnissen der Ortseinwohner gut bekannt und wegen ihres Mundwerks allgemein gefürchtet war. Er wußte sich Rechnungen der Neidhuber zu verschaffen und über­ gab sie mit anonymen Briefen seinem Freunde, dem Volks­ schullehrer Findig, der sich mit Schriftenkunde befaßte. Findig erklärte nach Vergleichung der Proben, an der Täterschaft der Neidhuber sei nicht zu zweifeln. Heß stellte daraufhin bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts Mosheim schriftlich Straf­ antrag gegen die Neidhuber wegen Beleidigung und verwies darauf, daß durch das Gebaren der Briefschreiberin die Allge­ meinheit schwer gefährdet sei und deshalb Anlaß bestehe, von Amts wegen einzuschreiten. Er legte dabei alle in seiner Hand befindlichen Schriftstücke vor und erklärte, eine Durchsuchung in der Wohnung der Neidhuber werde sicher weitere belastende Beweisstücke zutage fördern; rasches Vorgehen sei geboten, sonst werde die Neidhuber von der Sache Wind bekommen und alles verräumen. Der Staatsanwalt ersuchte am 12. Mai 1920 das Amts­ gericht Dornstein, eine Durchsuchung der Wohnräume der Neidhuber und die Beschlagnahme von Briefentwürsen, Schriftproben, Briefpapier und Briefumschlägen anzuordnen. Das Ersuchen war als sehr dringlich bezeichnet. Es lief am 14. Mai 1920 beim Amtsgericht ein. Zu dieser Zeit befand sich der mit der Bearbeitung der Strafsachen betraute Amtsrichter Schlegler im Urlaub. Sein Stellvertreter, der Oberamtsrichter Schlehwein, lehnte am 15. Mai 1920 die Ausführung des Ersuchens ab. Sein Eingreifen sei untunlich. Die Neidhuber habe ihn schon mehrmals in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, allerdings ohne Erfolg, und auch schon Dienstaufsichtsbeschwerden über ihn

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eingereicht. Ein dritter Richter sei beim Amtsgerichte nicht vorhanden. Der Staatsanwalt beantragte nun bei der Strafkammer des Landgerichts Mosheim, das benachbarte Amtsgericht Holdberg als das für die Erledigung des Ersuchens vom 12. Mai und für etwaige weitere richterliche Untersuchungshandlungen in dieser Sache zuständige Gericht zu bestimmen. Die Straf­ kammer gab dem Antrag durch Beschluß vom 19. Mai 1920 im vollen Umfang statt. Der Staatsanwalt richtete sein Er­ suchen um Durchsuchung und Beschlagnahme jetzt an das Amtsgericht Holdberg und ersuchte ferner, alle Beweisstücke dem Lehrer Findig als Sachverständigen vorzulegen, die Neid­ huber als Angeschuldigte unter Beiziehung des Sachverständi­ gen zu vernehmen und von diesem ein ausführliches schriftliches Gutachten zu erholen. Das Amtsgericht Holdberg ordnete am 21. Mai 1920 die Durchsuchung der Wohnräume der Neidhuber und die Beschlagnahme aller dabei etwa ermittelten Beweis­ stücke an. Ferner bestimmte es Termin zur Vernehmung der Neidhuber und des Findig auf den 12. Juni 1920 im Amts­ gerichtsgebäude zu Dornstein. Um den Vollzug der Durchsu­ chung und der Beschlagnahme ersuchte es den Stadtrat Dom­ stein. Zu dem Termine lud es die Neidhuber und den Findig mit dem Beisatze, daß es vermöge landgerichtlichen Beschlusses vom 19. Mai 1920 an Stelle des Amtsgerichts Dornstein tätig werde. Die Ladungen wurden am 26. Mai 1920 zugestellt; Abschriften des landgerichtlichen Beschlusses waren beigefügt. Die Neidhuber hatte im 3. Stock eines Hauses zu Domstein eine aus 2 Zimmern und einer Küche bestehende Wohnung gemietet; die Einrichtungsgegenstände gehörten ihr. Das eine Zimmer war dem Handlungsgehilfen Leo Braun als Zwangs­ mieter zugewiesen. Am 25. Mai 1920 vormittags erschienen bei der Neidhuber der städtische Oberwachtmeister Stramm und ein Hilfswachtmeister; Stramm zeigte der Neidhuber den Beschluß des Amtsgerichts Holdberg vom 21. Mai 1920 vor. Die Beamten durchsuchten das Zimmer der Neidhuber und die Küche; sie nahmen einige unbeschriebene Briefbogen und Umschläge, sowie Papierschnitzel aus einem Mülleimer an sich. Stramm durchsuchte auch die Einrichtungsgegenstände in dem

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von Braun bewohnten Zimmer. In einer offenen Schublade sand er Aufzeichnungen des Braun über einen Buchführungs­ kurs. Sie waren auf Papier der gleichen Art geschrieben wie die von Heß zu den Akten übergebenen anonymen Briefe. Stramm nahm sie mit; die gesamten Beweisstücke gab er gemäß der vom Amtsgericht Holdberg erteilten Weisung dem Findig zur Prüfung. Braun war bei der Durchsuchung nicht zugegen; er erfuhr von ihr nachmittags durch die Neidhuber, ging am folgenden Tage zur Polizeiwache und erkundigte sich nach dem Verbleibe der Ausschreibungen. Dabei gab er dem Oberwachtmeister zu, daß er das Papier dazu von der Neidhuber erhalten habe, und erklärte, er habe nichts dagegen einzuwenden, daß Findig die Schriftstücke ansehe. Stramm nahm hierüber eine Vormerkung in die Akten auf. Am 27. Mai gab die Neidhuber beim Gerichtsschreiber des Amtsgerichts Dornstein eine als „Beschwerde und Gegenvor­ stellung" bezeichnete Erklärung zu Protokoll. Sie lautete: „Den Beschluß des Landgerichts Mosheim vom 19. Mai 1920 halte ich für unzulässig. Oberamtsrichter Schlehwein war weder kraft Gesetzes von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen, noch hatte ich ihn abgelehnt. Ich halte ihn gar nicht für befangen. Der Staatsanwalt hätte erst durch Be­ schwerde feststellen müssen, ob sich das Amtsgericht Domstein mit Recht weigerte, in der Sache tätig zu werden. Jedenfalls geht der Beschluß des Landgerichts, so wie er erlassen ist, zu weit. Ich beantrage, ihn aufzuheben. Sollte dem nicht statt­ gegeben werden, so beantrage ich, die Akten dem höheren Gerichte zur Entscheidung vorzulegen. Zugleich erhebe ich Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts Holdberg vom 21. Mai 1920, beantrage die Beschlagnahme aufzuheben und anzuordnen, daß die Anbe­ raumung des Termins vom 12. Juni 1920 rückgängig zu machen ist. Der unrichtige Beschluß des Landgerichts darf nicht dazu führen, daß ich meinem ordentlichen Richter entzogen werde. Die Beschlagnahme ist auch nicht in der gesetzlich vorge­ schriebenen Form vollzogen worden." Das Protokoll wurde von der Neidhuber unterzeichnet.

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Staatsprüfung 1921 Juni, I. 10.

Am 28. Mai 1920 erschien auch Leo Braun bei der Gerichts­ schreiberei des Amtsgerichts Dornstein und beantragte, die ihm abgenommenen Aufzeichnungen herauszugeben, da er sie dringend brauche. Die Durchsuchung seiner Wohnung sei ungesetzlich gewesen. Am 27. Mai 1920 war Amtsrichter Schlegler vom Urlaub zurückgekehrt. Er erließ am 29. Mai 1920 auf den Antrag des Braun nach telephonischer Erkundigung bei der Polizeiwache Beschluß, daß die vom Oberwachtmeister Stramm vorläufig vorgenommene Beschlagnahme bestätigt werde. Zur Begrün­ dung führte er aus: Braun habe sich mit der Wegnahme der Ausschreibungen gegenüber dem Oberwachtmeister einver­ standen erklärt, könne also jetzt der Beschlagnahme nicht mehr widersprechen. Seine Einwendungen seien deshalb nicht zu berücksichtigen. Der Beschluß wurde dem Braun am 31. Mai 1920 zugestellt. Er legte am 1. Juni 1920 zu Protokoll des Gerichtsschreibers des Amtsgerichts Dornstein Beschwerde ein und führte darin aus: Er habe jetzt erst von der Neidhuber erfahren, daß das Amtsgericht Dornstein gar nicht zuständig sei, in der Sache zu entscheiden. Denn das Amtsgericht Hold­ berg sei durch den landgerichtlichen Beschluß mit den richter­ lichen Untersuchungshandlungen in dieser Sache betraut, das Amtsgericht Dornstein habe sich bis auf weiteres jeder Tätigkeit zu enthalten. Außerdem wiederholte er sein früheres Vor­ bringen. Die Erklärung der Neidhuber vom 27. Mai 1920 lies am 31. Mai 1920 beim Landgerichte Mosheim ein, die Beschwerde des Braun am 2. Juni 1920.

War der Beschluß des Landgerichts Mosheim vom 19. Mai 1920 richtig? Wie hat das Landgericht aus die Anträge der Neidhuber und die Beschwerde des Braun zu entscheiden? Der Kostenpunkt bleibt außer Betracht. Die Antworten sind zu begründen. Die gesetzlichen Bor­ christen sind anzuführen.

Staatsprüfung 1923 November, I. 8.

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Staatsprüfung 1923 November, 1.8. Akten, betr. das Ermittlungsverfahren gegen den Kauf­ mann Franz Leimer und den Kaufmann Karl Mengler von Augsburg. Aktenstück 1. Polizeiamt Augsburg. Augsburg, 2. August 1928. Vormerkung. Es erscheint der Direktor Walter Semmler, Leiter der hiesigen Filiale der Frankfurter Kreditbank, Karolinen­ straße 57/0, und erklärt: Gestern vormittag herrschte an unseren Schaltern infolge der plötzlich eingetretenen starken Geldentwertung ein außer­ gewöhnlich starker Andrang. Es wurden zahlreiche hohe Geld­ beträge ausbezahlt. Nach dem Schalterschluß um 4 Uhr nach­ mittags ergab sich bei der Abrechnung ein Fehlbetrag von 18 Millionen Mark. Der Kassier, Prokurist Albert Schnell, glaubte ihn dadurch erklären zu können, daß er einem Kauf­ manne Franz Leimer statt eines Betrags von 2 Millionen auf einen Scheck einen Betrag von 20 Millionen ausgezahlt habe. Er habe am Schalter Notenbündel mit je 100 Tausendmark­ noten und Notenbündel mit je 100 Zehntausend-Marknoten zurecht gelegt. Als Leimer den Scheck vorlegte, sei der Andrang gerade besonders arg gewesen und er sei dadurch sehr aufgeregt worden. Wahrscheinlich habe er sich vergriffen und dem Leimer statt 20 Bündel mit Tausendmarknoten 20 Bündel mit Zehn­ tausendmarknoten ausgehändigt. Ich ging sofort mit Schnell in den Geschäftsraum des Leimer am oberen Lech 75/1. Leimer, der uns als eine nicht völlig einwandfreie Persönlichkeit bekannt ist und über dessen Ver­ hältnissen ein gewisses Dunkel liegt, hat dort ein einfaches, dürftig eingerichtetes Zimmer, in dem er angeblich Geldver­ mittlungsgeschäfte betreibt. Wir gaben ihm von dem Sachver­ halte Kenntnis, erklärten ihm bestimmt, nur er könne in den Besitz der bei uns fehlenden 18 Millionen gelangt sein, und forderten ihn auf, uns diese herauszugeben. Leimer bestritt, mehr als 2 Millionen erhalten zu haben. Er habe das Geld sofort nach seiner Heimkehr genau nachgezählt und in Ordnung

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Staatsprüfung 1923 November, I. 8.

befunden. Jetzt sei er schon nicht mehr im Besitze der Summe, er habe sie benützt, um eine Schuld von 2 Millionen an einen Geschäftsfreund, den Kraftwagenhändler Otto Wagerl in Pfersee zu zahlen, der gerade nach seiner Rückkehr von der Bank bei ihm vorgesprochen habe. In der Tat zeigte er uns eine mit Otto Wagerl unterzeichnete vom 1. August 1928 datierte Quittung vor. Er stellte uns auch frei, in seinem Geldschranke nachzusehen, in dem sich nur geringe Beträge für laufende Ausgaben befänden. Den Geldschrank öffnete er vor unseren Augen und ließ uns hineinsehen. Wir konnten keine größeren Beträge darin entdecken; deshalb mußten wir unverrrichtete Dinge wieder abziehen. Unser Verdacht ist aber noch nicht beseitigt. Wir bitten, daß die Polizei sich um die Sache annimmt. L. U. Walter Semmler.

An Kriminaloberwachtmeister Webbs zur weiteren Ermitte­ lung gemäß mündlicher Rücksprache. Augsburg, 2. August 1928. Wächter, Kriminaloberinspektor.

Polizeiamt Augsburg.

Aktenstück 2. Augsburg, 3. August 1928.

Vormerkung. Es erscheint der Privatier Johann Gläubig, am Schwall 35/1II wohnhaft, und erklärt: Bor einigen Tagen erhielt ich von meinem Sohne Isidor, der in Wurzen (Sachsen) eine Fabrik hat, eine Postanweisung über 673420 Jt. Ich wollte sie heute beim Postamt am alten Einlaß einlösen. Der Andrang am Schalter war sehr stark und dem Beamten gingen schon bald die kleinen Geldscheine aus. Ms ich daran kam, erklärte er, es seien nur noch einige Mil­ lionenscheine da und er könne mir deshalb heute nichts mehr geben. Während wir verhandelten, mischte sich ein jüngerer sehr vertrauenswürdig aussehender Mann in das Gespräch und schlug vor, er und ich sollten uns auf unsere beiden Post­ anweisungen zusammen eine Million auszahlen lassen und dann teilen. Seine Postanweisung lautete über 324607 Jl. Wir hatten also miteinander 998090 Jt zu bekommen. Ich

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erklärte mich einverstanden, wir lieferten unsere abquittierten Anweisungen ein und der Beamte gab dem Herrn einen Millionenschein, wogegen dieser 1910 M einzahlte. Den Namen des Mannes konnte ich auf der Postanweisung nicht lesen. Ich unterließ es auch, mich danach zu erkundigen, weil der junge Mann so nett war und ich ihn nicht kränken wollte. Wir gingen miteinander fort über den Rathausplatz und den Perlachberg hinunter und mein Begleiter sagte mir, seine Wohnung liege zwar ziemlich weit entfernt, er könne aber bei einem Bekannten am oberen Lech wechseln lassen und mir dann mein Geld geben. Wir blieben dann vor dem Hause Nr. 75 am oberen Lech stehen und er ging hinein mit der Zusicherung, er werde hier im 1. Stock die Sache erledigen. Ich wartete und wartete, er kam aber nicht wieder. Allmählich wurde mir doch ängstlich zu Mute und ich verfügte mich in den 1. Stock, um dort nachzusehen. Ich fragte in allen Wohnungen nach, die sich dort befinden, konnte aber nirgends etwas erfahren. Auf dem Gange lag auch ein Zimmer mit einer Anschlagtafel, auf der „F. Leimer, Kaufmann" stand. In diesem Zimmer traf ich aber nur einen älteren Herrn, der mir auf meine Erzählung hin lachend sagte: „Ja, da sind Sie hereingefallen, der ist sicher über alle Berge". Ich bemerkte nun auch, daß das Haus einen zweiten Aus­ gang nach hinten hat, der in eine Seitenstraße führt und von der vorderen Straße aus nicht sichtbar ist. Der Mann, der mich betrogen hat, trug ein ganz kurzes Bürstenschnurbärtchen von schwarzer Farbe, einen grünen Lodenhut, eine graue Joppe und einen hellblauen Schlips. Er sprach stark oberbayerische Mundart. Er hatte einen ziemlich ruppig aussehenden Hund, so eine Art von Rattler, bei sich, der ihm in das Haus nachlief und mit ihm verschwand. L. U. Johann Gläubig.

An Kriminaloberwachtmeister Webbs zur weiteren Ermitte­ lung gemäß der mündlichen Rücksprache.

3. August 1928. Wächter, Kriminaloberinspektor.

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Staatsprüfung 1923 November, I. 8.

Aktenstück 3. Augsburg, 5. August 1928. Bericht. Am Abend des 4. August 1928 begab ich mich mit Kriminal­ wachtmeister Fänger in die Weinwirtschaft zum blauen Stor­ chen am oberen Lech, in der Seltner regelmäßig verkehrt. Er kam auch nach einiger Zeit mit einem jüngeren Manne, der einen Rattler bei sich hatte und dessen Aussehen so ungefähr der Beschreibung des Gläubig entsprach. Die Beiden ließen viel Geld aufgehen und prahlten gegenüber der Kellnerin, daß sie zur Zeit so gut gestellt seien. Wir hörten ihren Gesprächen vom Nebentische aus zu, stellten uns aber, als ob wir nichts verständen. Gegen 11 Uhr war Leimer schon stark angezecht und fing nun an, dem Mädchen vorzureden, sie solle ihn doch heiraten, da komme sie in gute Verhältnisse; er habe erst vor einigen Tagen von einer Bank die Millionen nur so zuge­ worfen bekommen, aber hintenherum. Hintenherum verdiene man immer am meisten, auch auf der Post könne man da heutzutage Geschäfte machen, man müsse nur einen Gimpel finden. Als wir das hörten, traten wir plötzlich an den Tisch, gaben uns zu erkennen und sagten den beiden auf den Kopf zu, daß sie überführt seien. Sie waren so erschrocken und in ihrer Ange­ trunkenheit so hilflos, daß sie nicht einmal einen Versuch machten, zu leugnen. Wir führten sie auf die nächste Polizei­ station und nahmen dort den Sachverhalt auf, nachdem die beiden wieder einigermaßen nüchtern geworden waren. Der jüngere, der Kaufmann Karl Mengler, der weniger stark bezecht war, erklärte zunächst folgendes: „Ich muß den Schwindel mit der Postanweisung zugeben. Aber der Plan dazu ist nicht in meinem Kopfe entstanden, sondern Leimer hat ihn mir eingegeben. Ich hatte ursprünglich vor, mir von ihm das Geld geben zu lassen, um den alten Herrn herauszuzahlen. Als ich aber in sein Zimmer kam, sagte er: „Karl, du wirst doch nicht so dumm sein; mach, daß du hinten hinauskommst, der Alte sieht dich nicht, der kommt dann zu mir und ich lasse ihn schon richtig eingehen". Ich folgte ohne weitere Überlegung, ließ den Millionenschein dem Leimer und ent-

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feinte mich ungesehen durch den Seitenausgang. Ich hatte damals mit Leimer noch nicht darüber gesprochen, wie wir den Schein verwerten wollten. Ich hielt das auch für unnötig, weil wir ohnehin in dauernder Geschäftsverbindung stehen. Heute abends suchte ich ihn auf, um mit ihm über die Teilung des Scheins zu reden. Leimer meinte aber, das habe gar keine Eile; er lud mich ein, zunächst mit ihm in die Weinwirtschaft zu gehen, die Geschäfte könnten dann morgen erledigt werden. Ich drängte auch nicht weiter. Tatsächlich habe ich also bis jetzt weder den Betrag meiner Postanweisung bekommen, noch den Anteil an dem Reste. Wenn sich der Schein noch bei Leimer vorfinden sollte, so bin ich damit einverstanden, daß dem Geschädigten der ihm zukommende Betrag hinausbezahlt wird". Wir durchsuchten nun die Brieftasche des Leimer und fanden darin einen Millionenschein, den Leimer als den ihm von Mengler übergebenen bezeichnete. Da Leimer damit einver­ standen war, daß er ihm abgenommen werde, wird er diesem Berichte beigelegt. Leimer wurde hierauf vernommen und erklärte folgendes: „Die Sache mit dem Scheine hat sich so abgespielt, wie Mengler angibt. Ich muß aber auch zugeben, daß ich vorhatte, dem Mengler nicht mehr herauszuzahlen als den Betrag seiner Postanweisung. Den Rest hätte ich für mich behalten; Mengler hätte ja doch nichts gegen mich unternehmen können, weil er sich sonst selbst ans Messer geliefert hätte. Deshalb habe ich ihn auch zunächst auf spätere Zeit vertröstet. Mit dem Gelde von der Bank verhält es sich so: Ich hatte zuerst die Scheine nicht nachgezählt, sondern sie sofort nach meiner Rückkehr in meinem Geschäftsraum in ein Geheimfach meines Geldschrankes gelegt. Als die zwei Herren von dem Bankgeschäft kamen, dachte ich mir, ich hätte keinen Anlaß nachzusehen; wenn sich der Kassier wirklich getäuscht habe, so solle die Bank nur zusehen, wie sie wieder zu ihrem Gelde komme, und allenfalls einen Bereicherungsanspruch gegen mich auf dem Rechtswege geltend machen. Deshalb sagte ich, das Geld befinde sich nicht mehr in meinem Besitze; die Quittung, die ich vorzeigte, rührte von einer Zahlung her,

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Staatsprüfung 1923 November, I. 8.

die ich am Morgen des 1. August 1928 an einen Geschäftsfreund geleistet hatte. Ich schloß ihnen den Geldschrank auf, aber das Geheimfach konnten sie nicht sehen. Nachdem sie weggegangen waren, sah ich das Geld nach und überzeugte mich davon, daß es in der Tat 20 Bündel mit je 100 Zehntausendmarknoten waren. Ich habe dann im Laufe des Nachmittags zwei von den Bündeln in meine Geschäftskasse gelegt und den Rest vorläufig beiseite getan. Wenn sie ihn finden, so soll es mir recht sein." Wir gingen nun sofort mit Leimer in seinen Geschäftsraum. Mengler wurde entlassen. Wir durchsuchten nunmehr genau das Zimmer im Hause am oberen Lech 75/1. Nach langem Suchen entdeckte Wachtmeister Fänger am Fußboden eine lockere Diele, unter der sich ein Loch befand. Er langte hinein und zog eine Anzahl Notenbündel heraus. Während wir damit beschäftigt waren, die Scheine zu zählen, geriet Leimer, der inzwischen wieder ganz nüchtern geworden war, in immer steigende Wut und rannte aufgeregt im Zimmer hin und her Plötzlich riß er mir, ohne daß ich es hindern konnte, eines der Bündel aus der Hand und zerriß es mit unglaublicher Schnel­ ligkeit in zahllose kleine Fetzen. Wir hatten Mühe, ihn an wei­ teren Ausschreitungen zu hindern, und er mußte von Fänger festgehalten werden, während ich weiter zählte. Es stellte sich jetzt heraus, daß noch 17 Bündel mit je einer Million Mark vorhanden waren. Leimer hatte sich inzwischen wieder beruhigt und erhob keine Einwendungen mehr gegen die Wegnahme des Geldes. Es ist gleichfalls diesem Berichte beigefügt. Persönliche Verhältnisse: 1. Franz Leimer, geb. am 23. März 1872 in Augsburg, daher. Staatsangehöriger, verwitwet, Kaufmann in Augsburg, wohnhaft Schmiedgasse 97/III. 2. Karl Mengler, geb. am 19. Mai 1894 in Erding, daher. Staatsangehöriger, ledig, Kaufmann in Augsburg, wohnhaft Lechhauserstraße 89/1. L. U. Webbs.

Staatsprüfung 1923 November, I. 8.

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I. Vormerkung: Dieser Bericht wurde heute von Oberwachtmeister Webbs mit einem Millionenschein und 17 Bündeln — enthaltend je 100 Stück zu je 10000 Jt persönlich abgegeben. Der Millionen­ schein wurde von Kriminalschutzmann Weller gewechselt. 673420 M wurden an Johann Gläubig hinausgegeben, der Rest an Mengler. Die Notenbündel wurden dem Direktor Semmler über­ geben. Die Empfangsbestätigungen wurden vorerst zu den Akten des Polizeiamts genommen. II. Verfügung. An den Herrn Staatsanwalt bei dem Landgerichte Augs­ burg zu weiteren Verfügung. Augsburg, 5. August 1928. Polizeiamt. I. A.: Wächter, Kriminaloberinspektor. Staatsanwaltschaft Augsburg eingegangen 6. August 1928. Anz.Berz. 3756/28. I. Strafregisterauszüge erholen. II. Direktor Semmler zu gelegentlichem Erscheinen tele­ phonisch veranlaßt. 7. August 1928. Eilmeier, Staatsanwalt. Aktenstück 4.

Vormerkung: Es erscheinen der Direktor Semmler der hiesigen Zweigstelle der Frankfurter Kreditbank und der Prokurist Schnell und erklären: „Wir sind gemeinsam berechtigt, für die Firma zu zeichnen und sie zu vertreten. Wir stellen wegen der von Leimer began­ genen strafbaren Handlungen Strafantrag, soweit ein solcher nötig sein sollte." Augsburg, 9. August 1928. L. U. Walter Semmler. Albert Schnell. Eilmeier, Staatsanwalt.

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Staatsprüfung 1923 Juni, I. 10. Aktenstücke 5 und 6. Strafregisterauszüge (ohne Belang).

Der Staatsanwalt hält weitere Ermittelungen nicht für erforderlich. Die Angaben des Leimer und des Mengler hält er für richtig oder doch nicht für widerlegbar. Er trifft seine Verfügung am 10. August 1928.

Die Verfügung des Staatsanwalts ist zu entwerfen. Die Verfügung ist gesondert zu erläutern und zu begründen. Dabei ist der Sachverhalt insoweit rechtlich zu würdigen, als es nicht schon in der Verfügung selbst geschehen ist.

Staatsprüfung 1923 Juni, 1.10. Aus den Akten des Amtsgerichts Trumhausen betr. das Privatklageverfahren des Bürgermeisters Karl Dickkopf in Odenweiler gegen den Gütler Michael Hartensteiner in Oden­ weiler wegen Beleidigung u. a. 1. Aktenstück. Trumhausen, 28. Dezember 1927. Protokoll. Vor dem unterfertigten Urkundsbeamten erscheint: Karl Dickkopf, Bauer und Bürgermeister in Odenweiler und bringt vor: Der Gütler Michael Hartensteiner in Odenweiler hat am 21. Dezember 1927 in der öffentlichen Gaststube der Wirtschaft zum Roten Ochsen daselbst vor zahlreichen Gästen in bezug auf mich und den eingetragenen Verein „Die Gemütlichkeit", dessen vertretungsberechtigter Vorstand ich bin, geäußert: „Der ganze Verein ist eine abgeschmierte Bande; die kann stolz sein auf ihren Vorstand, den meineidigen Schuften." Sowohl im eigenen Namen, wie namens und im Auftrage des Vereins „Gemütlichkeit", stelle ich gegen Michael Harten­ steiner wegen der bezeichneten Äußerungen Strafantrag und erhebe gegen ihn

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Staatsprüfung 1923 Juni, I. 10. Aktenstücke 5 und 6. Strafregisterauszüge (ohne Belang).

Der Staatsanwalt hält weitere Ermittelungen nicht für erforderlich. Die Angaben des Leimer und des Mengler hält er für richtig oder doch nicht für widerlegbar. Er trifft seine Verfügung am 10. August 1928.

Die Verfügung des Staatsanwalts ist zu entwerfen. Die Verfügung ist gesondert zu erläutern und zu begründen. Dabei ist der Sachverhalt insoweit rechtlich zu würdigen, als es nicht schon in der Verfügung selbst geschehen ist.

Staatsprüfung 1923 Juni, 1.10. Aus den Akten des Amtsgerichts Trumhausen betr. das Privatklageverfahren des Bürgermeisters Karl Dickkopf in Odenweiler gegen den Gütler Michael Hartensteiner in Oden­ weiler wegen Beleidigung u. a. 1. Aktenstück. Trumhausen, 28. Dezember 1927. Protokoll. Vor dem unterfertigten Urkundsbeamten erscheint: Karl Dickkopf, Bauer und Bürgermeister in Odenweiler und bringt vor: Der Gütler Michael Hartensteiner in Odenweiler hat am 21. Dezember 1927 in der öffentlichen Gaststube der Wirtschaft zum Roten Ochsen daselbst vor zahlreichen Gästen in bezug auf mich und den eingetragenen Verein „Die Gemütlichkeit", dessen vertretungsberechtigter Vorstand ich bin, geäußert: „Der ganze Verein ist eine abgeschmierte Bande; die kann stolz sein auf ihren Vorstand, den meineidigen Schuften." Sowohl im eigenen Namen, wie namens und im Auftrage des Vereins „Gemütlichkeit", stelle ich gegen Michael Harten­ steiner wegen der bezeichneten Äußerungen Strafantrag und erhebe gegen ihn

Staatsprüfung 1923 Juni, I. 10.

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Privatklage zum Amtsgerichte Trumhausen wegen Beleidigung. Zeugnis über erfolglosen Sühneversuch übergebe ich?) Als Zeugen benenne ich: Nikolaus Meier, Söldner in Odenweiler. Vorgelesen und genehmigt. Karl Dickkopf. Frz. Daurer, Verfügung: Obersekretär. I. Zustellung einer Abschrift der Klage an den Beschuldigten zur Abgabe einer Er­ klärung innerhalb zwei Wochen. II. Zur Staatsanwaltschaft am LG. RubenHausen zur Kenntnis. Trumhausen, 29. XII. 1927. Böswind, AGR. ad I geschehen und exp. 9. 1.1928. Daurer, Obersekretär. I. Kenntnis genommen. Strafverfolgung wird nicht übernommen. II. Zurück. Rubenhausen, 26. I. 1928. Fürchterlich, I. StA.

2. Aktenstück. Odenweiler, 20. Januar 1928. Hochwohlgeboren Herrn Amtsgerichtsrat Böswind! Ihr Schreiben habe ich erhalten. Unser Bürgermeister hat gar keinen Grund gegen mich zu klagen, indem er den ganzen Streit angefangen hat; er hat mir auch vorgeworfen, daß ich meine Militärrente erschwindelt hätte. Ich habe den ganzen Feldzug mitgemacht, bin dreimal verwundet worden und als halber Invalide heimgekommen; kann schwere Arbeit nimmer leisten und soll meine Familie mit 8 Köpfen erhalten; da braucht man sich nicht vom Bürgermeister auch noch runter­ ziehen lassen. An Weihnachten sind meine Kinder auch leer ausgegangen, das ist auch nicht recht, daran ist nur der Bürger­ meister schuld, der mir mißgünstig ist. Es wird sich aber schon herausstellen, daß der Bürgermeister falsch geschworen hat. Dafür habe ich Zeugen. Hochachtungsvoll Michael Hartensteiner. x) Das Sühneversuchszeugnis gilt als formgerecht ausgestellt.

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Staatsprüfung 1923 Juni, I. 10.

Anz. V. 25/1928.

3. Aktenstück.

Trumhausen, 12. Februar 1928. Beschluß. Michael Hartensteiner, 47 Jahre alt, verheirateter Gütler in Odenweiler, ist hinreichend verdächtig, andere beleidigt und in Beziehung aus andere nicht erweislich wahre Tatsachen behauptet zu haben, welche sie verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet waren. Michael Hartensteiner hat in der öffentlichen Gaststube des Wirtshauses zum „Roten Ochsen" in Odenweiler am 21. De­ zember 1927 in bezug auf den Bürgermeister Karl Dickkopf in Odenweiler und den eingetragenen Verein „Die Gemüt­ lichkeit" geäußert: „Der ganze Verein ist eine abgeschmierte Bande, die kann stolz sein auf ihren Vorstand, den meineidigen Schuften." Die Handlung erfüllt den Tatbestand von zwei sachlich zusammentreffenden Vergehen der Beleidigung nach §§ 185, 186, 73, 74 StGB. Strafantrag ist rechtsförmlich gestellt. Gemäß § 25 Nr. 2a GVG. wird das Hauptverfahren gegen Michael Hartensteiner wegen der bezeichneten Vergehen vor dem Amtsgericht Trumhausen eröffnet.

Böswind, Amtsgerichtsrat.

Verfügung. I. Hauptverhandlungstermin: Freitag, 30. März 1928. II. s. Mitteilung an SM. sowie Ladung der Parteien und des Zeugen Mk. Meier. Böswind, Amtsgerichtsrat. 4. Aktenstück. Betreff: Hartensteiner Michael wegen Beleidigung

Trumhausen, 10. März 1928. An das Amtsgericht Trumhausen. Michael Hartensteiner hat mich als Verteidiger bestellt. Vollmacht werde ich im Termin übergeben. Da mein Mandat Widerklage gegen Karl Dickkopf erheben wird, beantrage ich folgende Zeugen zu laden:

Staatsprüfung 1923 Juni, I. 10.

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1. Franz Neugirg, Gütler in Ödenweiler, 2. Rudolf Huber, Bauer daselbst. Gebührenvorschuß von fünfzig Mark erlege ich hiemit. Der Rechtsanwalt: Grübinger. Verfügung. Ladung der obengenannten Zeugen und des Verteidigers. Trumhausen, 14. März 1928. Böswind, Amtsgerichtsrat.

AnzV. 25/28.

5. Aktenstück.

Protokoll geführt in der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Trum­ hausen am Freitag, 30. März 1928. Gegenwärtig: 1. der Vorsitzende: Amtsgerichtsrat Böswind, 2. der Protokollsührer Inspektor Donnersmark. Zur Hauptverhandlung in der Privatklagesache des Bürger­ meisters Karl Dickkopf gegen den Gütler Michael Hartensteiner, beide in Odenweiler, wegen Beleidigung haben sich auf Aufruf eingefunden: 1. der Privatkläger Karl Dickkopf mit Rechtsanwalt Schnei­ dig, welcher Vollmacht übergab, 2. der Angeklagte Michael Hartensteiner mit Rechtsanwalt Grübinger, der Vollmacht als Verteidiger übergab,?) 3. die Zeugen Franz Neugirg, Rudolf Huber und Nikolaus Meier. Die Zeugen wurden nach Belehrung über die Bedeutung des Eides und die gesetzlichen Folgen der Verletzung der Eides­ pflicht in das Zeugenzimmer entlassen. Der Angeklagte, über seine persönlichen Verhältnisse befragt, gab an: Michael Hartensteiner, 47 Jahre alt, verheiratet, Gütler in Odenweiler. a) Die Vollmachten sind formgerecht ausgestellt. Gerla ch, Texte zu 10 Aufgaben zum StPR.

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Zur Sache: „Am ganzen Streit ist Bürgermeister Dickkopf schuld. Er ist mir schon lange mißgünstig und hat nicht ausge­ lassen, bis ich aus dem Verein „Die Gemütlichkeit" ausgetreten bin. Er hat seine Anhänger im Verein dahin gebracht, daß meine Kinder an Weihnachten nichts bekommen haben, obwohl sie weit bedürftiger gewesen wären, als andere, z. B. die Kinder meines Nachbars Zwider, der in viel besseren Ver­ hältnissen ist. In der Versammlung des Vereins am 20. November 1927 hat der Bürgermeister Dickkopf erklärt, daß nur die braven und fleißigen Kinder der Vereinsmitglieder Weihnachtsge­ schenke aus Bereinsmitteln erhalten dürften. Ich habe gleich gemerkt, woher der Wind kommt, und nicht ruhig hinnehmen wollen, daß meine Kinder, die auch nicht schlimmer sind, als andere, leer ausgehen. Ich habe mich zum Wort gemeldet und verlangt, daß alle bedürftigen Kinder beschenkt werden. Der Bürgermeister hat mich einen Krakehler und Aufdreher geheißen und die Mitglieder aufgefordert, seinem Antrag zuzustimmen; dabei sagte er: „Da herinnen gehts nicht so, daß die größten Schreier alles durchsetzen. Wir kennen den Hartensteiner. Wer weiß, wie es gegangen wäre mit seinem Militärversorgungsanspruch, wenn wir gefragt worden wä­ ren." Gegen den Vorwurf, daß ich meine Versorgungsrente erschwindelt hätte, habe ich mich gewehrt. Schließlich sagte der Bürgermeister „der Hartensteiner, der Nörgler, gehört naus aus dem Verein, sonst wird keine Ruhe". Ich habe darauf meinen Austritt erklärt, der sofort angenommen wurde. Meine Kinder haben natürlich auch an Weihnachten nichts bekommen. Am 21. Dezember 1927 bin ich an einem anderen Tisch gesessen als der Bürgermeister und habe mich mit meinem Nachbarn unterhalten; wir sind auf die Weihnachtsgaben des Vereins zu sprechen gekommen, wobei ich meinem Ärger darüber Luft machte, daß meine Kinder leer ausgingen. Auf einmal schrie der Bürgermeister zu mir herüber: „Halt Dein Maul, fängst schon wieder das Krakehlen an, mach daß Du heimkommst!" Darauf bin ich zu ihm hinüber und hab er­ widert: „Ich lasse mir mein Maul nicht verbieten, auch nicht vom Bürgermeister und seinem Verein; der tut nur, was sein

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meineidiger Vorstand will." Nun ist der Bürgermeister aufge­ fahren und hat mit seinem Maßkrug gegen mich aufgezogen. Meine Frau Marie Hartensteiner, die neben mir am Tisch gesessen war, ist dazwischen gesprungen, so daß sie der Schlag am Arm traf. Meine Frau hat große Schmerzen gehabt und 8 Tage den Arm nicht gebrauchen können. Ich übergebe ärzt­ liches Zeugnis. Wie der Bürgermeister gesehen hat, daß er mich nicht getroffen hat, schrie er seinem Freunde Kohlmeier zu: „Fritz, hau ihm eine runter", worauf dieser mir mit seiner Faust mehrere Hiebe auf den Kopf versetzte. Ich war drei Tage arbeitsunfähig." Auf die Frage, warum er dem Bürgermeister Meineid vor­ geworfen habe, erklärte Angeklagter: „Im vorigen Sommer sind mir ein paar Hühner von einem Hunde totgebissen worden; da mir gesagt worden war, der Hund habe dem Gemeinderatsmitglied Zipfelhuber gehört, hab ich ihn auf Schadenersatz verklagt. In diesem Rechtsstreit ist auch der Bürgermeister als Zeuge vernommen worden und hat unter Eid gesagt, er wisse von der Sache nichts, da er zur fraglichen Zeit im Walde bei der Arbeit gewesen sei. Da ich keine weiteren Beweismittel hatte, wurde meine Klage abge­ wiesen; das Urteil ist rechtskräftig. Vor kurzem hat mir Zimmermann Neugirg mitgeteilt, Bürgermeister Dickkopf habe gelegentlich geäußert, „der Hund des Zipfelhuber gehört schon längst erschossen, weil er so scharf ist auf das Geflügel der Bauern; er hat auch die Hühner des Hartensteiner totgebissen". Also muß der Bürgermeister wohl etwas von der Sache wissen." Der Vorsitzende verlas das übergebene ärztliche Zeugnis. Der Verteidiger des Angeklagten erklärte hierauf: „Namens und im Auftrage des Angeklagten, zugleich als gesetzlichen Vertreters seiner Frau, stelle ich nunmehr Strafantrag gegen den Privatkläger Dickkopf und erhebe Widerklage gegen ihn 1. wegen Beleidigung nach §§ 185 und 186 StGB., wegen der Beschimpfung als Krakehler und des Vorwurfs, daß der Angeklagte seine Militärrente erschwindelt oder auf unlautere Art erlangt habe, 2. wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 230 StGB, begangen an der Frau Hartensteiner,

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3. wegen Anstiftung zur Körperverletzung nach §§ 223, 48 StGB, begangen durch die Aufforderung zum Zuschlägen an Kohlmeier. Hiezu bemerke ich, daß der Angeklagte sich mit Kohlmeier selbst ausgesöhnt hat und deshalb gegen diesen Strafantrag nicht gestellt hat." Der Vertreter des Privatklägers und dieser erklärten, for­ mell gegen die Anträge nichts einwenden zu können. Hierauf verkündete der Vorsitzende nach geheimer Beratung Beschluß: Die Widerklage wird zugelassen. Der Privatkläger erklärte hierauf: „Ich bin dem Angeklagten nicht aufsässig; ich habe mich über ihn nur geärgert, weil er in jeder Versammlung so aufmäulig ist und immer krakehlt. Der Bereinsbeschluß, wonach nur die braven und fleißigen Kinder Weihnachtsgaben erhalten sollen, ist ordnungsgemäß mit großer Mehrheit ohne Willkür oder Parteilichkeit zustande gekommen; übrigens ist Hartensteiner ja freiwillig ausgetreten und hat damit selbst jeden Anspruch auf Beschenkung seiner Kinder verloren, weil nur die Kinder von Vereinsmitgliedern bedacht werden sollten. Am 21. Dezember 1927 hat Hartensteiner im Wirtshause zum „Roten Ochsen" fortgesetzt laut Stichelreden gegen mich geführt, so daß ich ihm schließlich gebot, aufzuhören; er ist dann zu mir her und da ich glaubte, er wolle mich überfallen, nahm ich meinen Maßkrug, um ihn abzuwehren. Weil ich bemerkte, daß er mit der rechten Hand nach seiner Messertasche griff, rief ich dem Kohlmeier zu, er sollte ihm ein paar runterziehen, um ihn unschädlich zu machen. Wie der Angeklagte auf mich hergesprungen ist, schrie er: „Ich lasse mir von Dir das Maul nicht bieten, von Dir nicht und auch von Deinem Verein nicht, der abgeschmierten Bande; die kann stolz sein auf ihren Vor­ stand, den meineidigen Schuften." Das hat mich natürlich erbost. Ich habe dem Neugirg nur erzählt, was ich lange nach dem Urteile von anderen gehört habe; nämlich, daß vermutlich der Hund des Zipflhuber auch die Hühner des Angellagten totge­ bissen hat, weil er vor kurzem auch eine Ente meines Nachbarn

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gepackt und gebissen hat; ich selbst habe von dem Vorfall mit den Hühnern nichts gesehen, weil ich nicht zu Hause, sondern im Walde war." Angeklagter rief nun plötzlich: „Der meineidige Lump leugnet alles". Der Vorsitzende ordnete die Protokollierung dieser Äußerung an und gab dem Angeklagten Gelegenheit, sich hiewegen zu rechtfertigen. Der Angeklagte erklärte: „Der ist und bleibt ein meineidiger Tropf". Rechtsanwalt Schneidig regte die Verhängung einer Ordnungsstrafe gegen den Angeklagten an. Nach geheimer Beratung verkündete der Vorsitzende

Beschluß: Michael Hartensteiner wird wegen Ungebühr vor Gericht in eine Geldstrafe von 30 Jt verurteilt. Der Vertreter des Privatklägers, Rechtsanwalt Schneidig erklärte hierauf: Namens des Privatklägers erweitere ich hiemit die Privat­ klage, und dehne sie aus wegen der Beschimpfung „Lump" am 21. Dezember 1927 sowie wegen der soeben erfolgten zweimaligen neuerlichen Beschimpfungen, wegen deren aus­ drücklich Strafantrag gestellt wird. Nunmehr wurde in die Beweisaufnahme eingetreten; die Zeugen wurden einzeln und nacheinander vorgerufen und vernommen. 1. Person, gesetzlich beeidigt. Z. P. Franz Neugirg, 47 Jahre alt, verheiratet, Gütler in Odenweiler, verneine die übrigen allgemeinen Fragen. Z. S. Vor einigen Wochen sagte mir Bürgermeister Dick­ kopf gelegentlich: „Der Hund des Zipflhuber ist auch so ein scharfer, kein Geflügel ist sicher vor ihm; der wird wohl auch die Hühner des Hartensteiner totgebissen haben". Diese Äuße­ rung habe ich dem Angeklagten einige Tage darauf wieder mitgeteilt; ich habe nicht gesagt, daß Bürgermeister Dickkopf gesagt hätte, der Hund des Zipflhuber hat die Hühner totge­ bissen. Ich hatte mit dem Bürgermeister gar nicht weiter dar­ über gesprochen, worauf er seine Vermutung gründe."

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2. Person, gesetzlich beeidigt. Z. P. Rudolf Huber, 39 Jahre alt, verheiratet, Bauer in Odenweiler, verneine die übrigen allgemeinen Fragen. Z. S. Ich bin Mitglied des Vereins „Die Gemütlichkeit" und zugleich Kassier. Der Angeklagte hat schon in früheren Versammlungen Streit angefangen, ist stets in der Minderheit geblieben mit seinen Anträgen und hat dann erst recht ge­ schimpft. Deshalb hat man ihn nicht gern gesehen. Ich habe aber nie bemerkt, daß der Bürgermeister ihn hätte hinaus­ drücken wollen. Am 20. November 1927 hat der Angeklagte wieder räsonniert und ist besonders aufgeregt gewesen, wie der Vorschlag des Bürgermeisters erörtert wurde, bei der Weihnachtsbescherung besonders die würdigen und fleißigen Kinder zu bedenken. Angeklagter wurde ausfällig auf den Bürgermeister, so daß dieser ihm endlich, nachdem er ihn wiederholt aufgefordert hatte, sachlich zu bleiben, im Arger zurief: „Du ewiger Krakehler, glaubst Du vielleicht, Du kannst uns durch Dein Geschrei gewinnen; wir kennen Dich alle. Bei uns geht es nicht so, daß wir uns durch Deine Aufdreherei bestimmen lassen". Dann setzte er dazu: „Wer weiß, wie es gegangen wäre bei dem Versorgungsgericht, wenn wir gehört worden wären." In der Gemeinde ist man allgemein erstaunt, daß Angellagter eine ziemlich hohe Versorgungsrente er­ halten hat. Da Angellagter sich nicht beruhigte, sagte der Bürger­ meister, er störe die allgemeine Ruhe. Darauf erllärte Ange­ klagter seinen Austritt, der angenommen wurde, und entfernte sich schimpfend. Bei der nun folgenden Beschlußfassung wurde mit großer Mehrheit beschlossen, daß nur die bravsten und fleißigsten Kinder Geschenke erhalten sollen; die Wahl sollte der Hauptlehrer treffen. Dies ist auch geschehen. Mir ist nichts bekannt, daß dieser jemand bevorzugt oder benachteiligt hat. 3. Person, gesetzlich beeidigt. Z. P. Nikolaus Meier, 53 Jahre alt, Söldner in Oden­ weiler, verheiratet, verneine die übrigen allgemeinen Fragen. Z. S. „Ich war am 21. Dezember 1927 im Wirtshause zum „Roten Ochsen" und saß am Tisch zwischen dem Tische des Angeklagten und dem des Bürgermeisters. Ich hörte, daß sich

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Hartensteiner laut mit seinem Nachbarn unterhielt, soviel habe ich gemerkt, daß er sich wegen der Weihnachtsbescherung auf­ geregt hat. Ich wurde erst aufmerksamer, als der Bürger­ meister plötzlich dem Angeklagten zurief: „Halt jetzt einmal Dein Maul". Auf diesen Zuruf ist der Angeklagte zum Tisch des Bürgermeisters vorgegangen und hat geschrien: „Von Dir laß ich mir das Maul nicht bieten; von Dir nicht und nicht von Deinem Verein, der abgeschmierten Bande; die kann stolz sein auf ihren Vorstand, den meineidigen Lumpen und Schuften." Bürgermeister Dickkopf sprang auf, nahm seinen Maßkrug, zog gegen den Angeklagten auf, traf aber die Frau des Angeklagten auf den Oberarm; sie wollte gerade dazwischenspringen, als Dickkopf aufzog. Während der Bürgermeister den Maßkrug hob, rief er seinem Nachbarn Kohlmeier zu: „Fritz, hau ihm ein paar runter." Kohlmeier schlug darauf mit der Faust ein paarmal auf den Kopf des Angeklagten; dieser wurde dann von seiner Frau zurückgezogen und hinausgeführt, da er am Kopfe etwas blutete. Auf die Frage des Rechtsanwalts Schneidig erklärt der Zeuge noch: „Angeklagter hatte, als er zum Tisch des Bürger­ meisters ging, nichts in der Hand, insbesondere kein Messer; er hat auch nicht nach der Messertasche gegriffen; vielmehr im gleichen Augenblick, wie der Bürgermeister mit dem Maßkrug aufgezogen hat, seinen rechten Arm abwehrend in die Höhe gehoben. Angeklagter erklärt: „Ich hatte kein Messer, wollte auch den Bürgermeister nicht angreifen, sondern ihn nur zur Rede stellen. Ich habe mich so geärgert, weil meine Kinder leer ausgehen sollten. Darüber hatte ich mich auch mit meinen Tischnachbarn besprochen. Es ist schon möglich, daß ich dabei den Bürgermeister gestichelt habe." Die Beweisaufnahme wurde hierauf geschlossen. § 257 StPO, wurde beachtet. Rechtsanwalt Schneidig beantragte, den Angeklagten wegen vier Vergehen der verleumderischen Beleidigung nach §§ 185 und 187 StGB, zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen, dem Bürgermeister und dem Verein, „Die Gemütlichkeit", die Publikationsbefugnis zuzusprechen und dem Angeklagten die

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Kosten aufzulegen. Hinsichtlich der Widerklage beantragte er Freisprechung und vorsorglich Straffreiheit nach § 199 StGB. Der Verteidiger beantragte 1. Freisprechung des Ange­ klagten. Hinsichtlich der Widerklage beantragte er den Privat­ kläger wegen verleumderischer Beleidigung, fahrlässiger Körperverletzung und Anstiftung zur gefährlichen Körperver­ letzung zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen. 2. Nur vor­ sorglich beantragte er, den Angeklagten wegen eines fort­ gesetzten Vergehens der Beleidigung nach §§ 185 und 186 StGB, zu einer geringen Geldstrafe zu verurteilen, soweit nicht Straffreiheit nach § 199 StGB, einzutreten habe. § 265 StPO, wurde beachtet. Angeklagter und Privatkläger schlossen sich den Anträgen ihrer Vertreter an. Sie hatten das letzte Wort. Der Vorsitzende verkündete nach geheimer Beratung fol­ genden

Beschluß:

Das Urteil wird am

31. März 1928, vormittags 9 Uhr verkündet.

Der Vorsitzende. gez. Böswind. Inspektor Donnersmark.

Das Urteil des Amtsrichters ist zu verfassen. Der Tatbestand ist knapp darzustellen; er hat sich auf die Feststellung der in Betracht kommenden Tatsachen zu beschränken, in eine Beweis­ würdigung ist nicht einzutreten. Die Aussagen der Zeugen sind als glaubhaft anzusehen. Als beim Gericht offenkundig gilt, daß der Verein „Die Gemütlichkeit" in das Vereinsregister eingetragen und Bürgermeister Dickkopf Vorstand im Sinne des BGB. ist. Das Ausmaß der Strafen ist innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens freigestellt. Die Kostenfrage hat außer Betracht zu bleiben.

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Staatsprüfung 1923 November, 1.9. Aus den Akten des Amtsgerichts Forsthof betr. das Straf­ verfahren gegen den Bauer und Bürgermeister Eustachius Ehrlich und die Waldarbeiter Anselmus Hutzler und Hilarius Trinkt von Hintersteig wegen Vergehens nach § 274 des StGB, und anderer strafbarer Handlungen. 1. Aktenstück. Anz. V. 425/27Urteil. Das Schöffengericht bei dem Amtsgericht Forsthof erkennt in dem Strafverfahren gegen den Bauer und Bürgermeister Eustachius Ehrlich und zwei Genossen wegen Grenzfälschung und anderer strafbarer Handlungen in der öffentlichen Sitzung vom 7. Oktober 1927 in Gegenwart: 1. des Amtsrichters Rasch; 2. der Schöffen a) Vitus Bierlein; b) Xaver Mosthuber; 3. des Amtsanwalts Zorn; 4. des Protokollführers Sekretärs Feder; auf Grund der Hauptverhandlung zu Recht: I. Eustachius Ehrlich, geb. am 27. Mai 1872 zu Hintersteig, verheiratet, Bauer und Bürgermeister zu Hintersteig, wird wegen eines Vergehens der Grenzfälschung in Tateinheit mit einem Vergehen der Anstiftung zu einem solchen Vergehen zu einer Gefängnisstrafe von 10 Tagen verurteilt. II. Anselm Hutzler, geb. am 4. April 1888 zu Forsthof, ledig, Waldarbeiter zu Hintersteig, ist schuldig eines Vergehens der Grenzfälschung und wird hierwegen zu einer Gefängnisstrafe von einer Woche verurteilt. III. Hilarius Trinkt, geb. am 3. Dezember 1875 zu Winkel­ dorf, verheiratet, Waldarbeiter zu Hintersteig, ist schuldig eines Vergehens der unerlaubten Jagdausübung in Tateinheit mit einem Vergehen des Versuchs zu einem Vergehen des Dieb­ stahls. Er wird hierwegen zu einer Gefängnisstrafe von 8 Tagen verurteilt. Dagegen wird Hilarius Trinkl von der Anklage wegen eines Vergehens der Grenzfälschung unter Überbürdung der hierher

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treffenden Kosten des Verfahrens auf die Staatskasse freigesprochen. IV. Die Kosten des Verfahrens und der Strafvollstreckung fallen der Staatskasse zur Last, soweit nicht unter III Ms. 2 anders darüber erkannt ist. Gründe: Die Hauptverhandlung hat folgenden Sachverhalt ergeben: Zwischen den Gemeinden Hintersteig und Waldwinkel liegt ein ausgedehntes mit Tannen, Buchen und Eichen bestocktes Waldstück mit dichtem Unterholz. Es steht zum einen Teil im Eigentum der Gemeinde Hintersteig, zum anderen im Eigen­ tum der Gemeinde Waldwinkel. Die Grenze verläuft unregel­ mäßig mit mehreren Biegungen ungefähr durch die Mitte des Waldes. Die Einzelheiten ergibt die dem Urteil als Anlage beigefügte Skizze. Die Grenze ist mit großen zugehauenen Steinen vermarkt, insbesondere stehen solche Steine an allen Stellen, an denen die Grenze ausbiegt. Zwischen den Steinen liefen früher schmale Raine; diese sind aber jetzt zum größten Teile überwachsen und stellenweise kaum mehr kenntlich. Das hat schon mehrmals zu Grenzstreitigkeiten zwischen den Gemeinden geführt. Am 28. Juni 1927 waren Hutzler und Trinkl im südlichen Teile des Waldes damit beschäftigt, das Unterholz zu lichten. Im Laufe des Nachmittags erschien der Bürgermeister Ehrlich im Walde, um sich über den Fortgang der Arbeiten zu verge­ wissern. Er bemerkte zufällig, daß sich der Grenzstein 6 gelockert hatte und nunmehr lose in der Erde steckte. Dabei kam ihm der Gedanke, man könne diesen unbemerkt an einer anderen Stelle wieder einsetzen und dadurch den Grenzlauf für die Gemeinde Hintersteig günstiger gestalten. Er riß deshalb den Stein vollends aus dem Boden heraus und warf ihn zunächst beiseite. Ms dann die Waldarbeiten beendet waren, beauftragte er Hutzler und Trinkl, den Stein an der mit a) auf der Skizze bezeichneten Stelle, also auf dem Gemeindegrunde von Wald­ winkel, wieder einzusetzen. Die Arbeiter weigerten sich anfangs, weil sie den Plan des Ehrlich durchschauten, ließen sich aber dann durch das Versprechen von ein paar Maß Bier umstim­ men. Sie setzten abends gegen 8 Uhr den Stein an der von

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Ehrlich angegebenen Stelle ein und entfernten sich. Der Bürgermeister war schon vorher nach Hause gegangen. Dem Trinll kamen indessen auf dem Heimwege Bedenken. Er wollte die Gemeinde Waldwinkel nicht schädigen, weil er manchmal auch von deren Bürgermeister zu Waldarbeiten herangezogen wurde. Kurz vor der Ortschaft erklärte er seinem Kameraden, daß ihm die Sache nicht passe und daß er den Stein wieder an die alte Stelle zu bringen gedenke. Hutzler äußerte, von ihm aus könne er tun, was er wolle. Trinll kehrte wieder um, ging wieder in den Wald und grub den Grenzstein wieder aus in der Absicht, ihn an die alte Stelle zurückzubringen. Inzwi­ schen war es aber schon dunkel geworden. So kam es, daß Trinll fehlging und den Stein an einer falschen Stelle einsetzte, an der sich zufällig ein Erdloch befand. Es war das die auf dem Plane mit b) bezeichnete Stelle. Sie liegt etwas südöstlich von der richtigen Stelle des Grenzsteines 6, schon auf dem Grunde der Gemeinde Hintersteig. Wäre die Grenze so verlaufen, so wäre das zuungunsten der Gemeinde Hintersteig gewesen. Der Vorgang kam schon nach einigen Tagen auf, weil ihn Trinll im Wirtshause ausplauderte. Am 28. Juni war Trinll bei seinem zweiten Heimwege zufällig an einen Platz am östlichen Waldrande gekommen, wo ein toter Hase unter Tannenreisig versteckt lag. Das Tier war schon zu einem Teile in Verwesung übergegangen und Trinll war durch den scharfen Geruch aufmerksam geworden. Er weidete das Tier an Ort und Stelle aus, warf die Fleischreste weg und nahm den Pelz mit nach Hause. Er versuchte, daraus Mützen für seine Kinder zu machen. Da ihm das nicht gelang, vernichtete er ihn. Den Hasen hatte der wegen seiner Wild­ diebereien berüchtigte Wirtssohn Zyprian Haslinger von Forst­ hof unberechtigt geschossen und vorläufig im Walde versteckt, um ihn nach einigen Tagen zu holen. Er kam aber nicht mehr dazu, weil er am 26. Juni morgens verhaftet wurde. Dem Trinll war dieser Sachverhalt aber nicht bekannt. Nach seiner eigenen Angabe rechnete er vielmehr damit, daß der Jagd­ pächter den Hasen geschossen, aber aus irgend einem Grunde liegen gelassen und dann vergessen oder nicht mehr gefunden habe.

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Diese Tatsachen sind festgestellt auf Grund der Geständnisse der Angeklagten und der Beweiserhebung. Der Eröffnungsbeschluß legt dem Angeklagten Ehrlich ein Vergehen der Grenzfälschung zur Last, ebenso den Angeklagten Hutzler und Trinkl, dem letzteren außerdem ein Vergehen des Diebstahls. Das Schöffengericht ist zu einer zum Teil hiervon abweichenden rechtlichen Beurteilung gelangt. Ehrlich hat allerdings ein Vergehen der Grenzfälschung schon dadurch begangen, daß er den Grenzstein von seinem ordnungs­ mäßigen Standorte durch Herauslösen aus der Erde wegnahm und beiseite warf. Er hat aber weiter auch die beiden anderen Angeklagten zu der von ihnen begangenen strafbaren Handlung — nämlich zu einem fälschlichen Einsetzen des Steines an einer anderen Stelle — angestiftet. Beide Verfehlungen stehen in Tateinheit, weil sie auf dem gleichen einheitlichen Entschlüsse beruhen, der Gemeinde Waldwinkel einen Nachteil zuzufügen (§ 274 Nr. 2 StGB.). . Unzweifelhaft hat sich Hutzler eines vollendeten Vergehens der Grenzfälschung schuldig gemacht. Denn er hat ein Grenz­ zeichen fälschlich gesetzt, in der Absicht, einem anderen, nämlich der Gemeinde Waldwinkel, Schaden zuzufügen (§ 274 Nr. 2 StGB.). Bei Trinkl wäre das gleiche der Fall, wenn er nicht durch eigene Tätigkeit den Erfolg wieder abgewendet hätte, bevor die Handlung entdeckt war. Er war also insoweit frei­ zusprechen. Dagegen hat Trinkl durch die Wegnahme des verendeten Hasen die Jagd an einem Orte ausgeübt, an dem er zu jagen nicht berechtigt war. Zugleich hat er sich aber auch eines Ver­ gehens des versuchten Diebstahls schuldig gemacht. Es braucht nicht erörtert zu werden, wie es sich mit dem Eigentum und dem Besitz an dem Hasen eigentlich verhielt. Denn Trinkl hat den wahren Sachverhalt nicht erkannt. Sein Vorsatz ging vielmehr dahin, dem Jagdpächter den Hasen wegzunehmen. Dieser Vorsatz konnte nach der Sachlage nicht verwirllicht werden; es bleibt also nur ein Versuch des Diebstahls übrig (§§ 242, 43 StGB.). Die erkannten Strafen erschienen dem Gerichte angemessen, weil in dem Falle Ehrlich und in dem Falle Hutzler im End-

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ergebnisse kein Schaden entstanden ist und weil Trinkl gleich­ falls niemanden einen wesentlichen Schaden zugefügt hat, auch keinen Vorteil erlangt hat. Andererseits handelte es sich immerhin um freche und bedenkliche Mißachtung der Rechts­ ordnung, die nur durch Gefängnisstrafen ausreichend gesühnt werden kann. Kostenpunkt: §§ 464ff. StPO. Rasch. 2. Aktenstück. Forsthof, 9. Oktober 1927. Rechtsanwalt Dr. Quengler. An das Amtsgericht Forsthof. Betreff: Das Strafverfahren gegen den Bürgermeister Ehrlich von Hintersteig. Mit Vollmacht.*) Amtsgericht Forsthof eingeg. 10.10 1927. Zustellung des Urteils an Dr. Quengler. 11. 10. 1927. Rasch.

Gegen das Urteil des Schöffengerichts vom 7. Oktober 1927 lege ich für Ehrlich Berufung ein. Dieser hätte nach der Sachund Rechtslage freigesprochen oder doch nur wegen eines versuchten Vergehens der Grenzfälschung verurteilt werden dürfen. Ich bitte, das Urteil mir zuzustellen. Dr. Quengler.

3. Aktenstück. Amtsgericht Forsthof, Geschäftsstelle.

Forsthof, 11. Oktober 1927.

Gegenwärtig: Sekretär Bauer. Protokoll. Es finden sich ein die Waldarbeiter Anselmus Hutzler und Hilarius Trinll von Hintersteig und erklären: Wir legen gegen das Urteil des Schöffengerichts vom *) Die Vollmacht gilt als ordnungsgemäß unter ausdrücklicher Ermächtigung zur Empfangnahme von Zustellungen ausgestellt.

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7. Oktober 1927 Berufung ein. Wir wollen freigesprochen werden. g Anselmus Hutzler. Hilarius Trinkl. Zustellung des Urteils an Hutzler und Trinkl. 11. Oktober 1927. „ ., Rasch. 4. Aktenstück. Der Amtsanwalt Forsthof, 11. Oktober 1927. bei dem Amtsgericht Forsthof. An das Amtsgericht Forsthof. Betreff: Das Strafverfahren gegen den Bürgermeister Ehrlich von Hintersteig und 2 Genossen wegen Grenzfälschung u. a.

Gegen das Urteil des Schöffengerichts vom 7. Oktober 1927 lege ich insoweit Berufung ein, als Trinkl von der Anklage wegen eines Vergehens der Grenzfälschung freigesprochen wurde. Der Strafausschließungsgrund des § 46 StGB, hätte ihm nicht zugebilligt werden dürfen. Zorn. Amtsgericht Forsthof, eingeg. 12. Oktober 1927.

5. bis 7. Aktenstück. Zustellungsurkunden. 8. Aktenstück. Protokoll geführt in der öffentlichen Sitzung der Strafkammer des Land­ gerichts Eberstein am Donnerstag, 22. November 1927. Gegenwärtig: 1. Der Vorsitzende: Landgerichtsdirektor Wucht; 2. die Beisitzer: Landgerichtsrat Altmann, „ Dünkler, 3. die Schöffen: Eberl, Wäger, 4. der II. Staatsanwalt: Klug, 5. der stellv. Protokollführer: Referendar Dr. Tiefgeher. BerReg. 245/1927.

Staatsprüfung 1923 November, I. 9.

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Zur Hauptverhandlung über die in dem Strafverfahren gegen Eustachius Ehrlich und Genossen wegen Grenzfälschung u. a. vom Amtsanwalt und von den Angeklagten gegen das Urteil des Schöffengerichts bei dem Amtsgericht Forsthof vom 7. Oktober 1927 eingelegten Berufungen waren nach Aufruf der Sache die Angeklagten erschienen, Eustachius Ehrlich mit seinem Verteidiger Dr. Quengler. Zeugen sind nicht geladen. Die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten wurden wie vor dem Schöffengerichte festgestellt. Der Berichterstatter Landgerichtsrat Altmann trug die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens vor. Hiebei wurden verlesen: das Sitzungsprotokoll 1. Instanz unter Beachtung der Vorschriften in § 325 der StPO., das Urteil des Schöffengerichts und die Berufungsschriften. Die Angeklagten wurden vernommen und erklärten sich zur Sache. Beweiserhebungen wurden nicht beantragt. Der Staatsanwalt, die Angeklagten und der Verteidiger des Eustachius Ehrlich erhielten zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Der Staatsanwalt beantragte, den Hilarius Trink! wegen eines Vergehens der Grenzfälschung zu einer Gefängnisstrafe von 3 Tagen zu verurteilen und diese mit der wegen unerlaub­ ter Jagdausübung und versuchten Diebstahls ausgesprochenen Strafe zu einer Gesamtstrafe von 10 Tagen zu vereinigen. Im übrigen beantragte er, die Berufungen der Angeklagten kostenfällig zu verwerfen. Hutzler und Trinkl baten um Freisprechung. Rechtsanwalt Dr. Quengler beantragte, den Bürgermeister Ehrlich gleich­ falls freizusprechen oder doch nur wegen eines versuchten Vergehens der Grenzfälschung zu verurteilen. Die Angeklagten hatten das letzte Wort. Die Vorschrift des § 265 der StPO, wurde beachtet. Der Vorsitzende verkündete nach geheimer Beratung folgenden Beschluß:

Zur Verkündung des Urteils wird Termin auf den 29. No­ vember 1927, vormittags 9 Uhr anberaumt. Wucht. Dr. Tiefgeher.

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Staatsprüfung 1923 November, I. 9.

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Staatsprüfung 1925 November, I. 10.

Das Urteil des Berufungsgerichts ist zu verfassen. Dabei ist davon auszugehen, daß die tatsächlichen Feststellungen des Schöffengerichts durch die Berufungsverhandlung bestätigt worden sind. Soweit Strafen auszusprechen sind, ist deren Ausmaß innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens freigestellt.

Staatsprüfung 1925 November, 1.10. II. Gegen den Gütler Auer wurde das Hauptverfahren vor dem Amtsgerichte Neustadt eröffnet wegen eines Vergehens der Körperverletzung nach §§ 223,223a StGB. Er war beschul­ digt, vorsätzlich und rechtswidrig den Bauern Brandel mittels Messers durch einen Stich in den rechten Arm körperlich miß­ handelt zu haben. Brandel schloß sich der öffentlichen Klage als Nebenkläger an und wurde durch Beschluß des Amtsgerichts zum Anschluß für berechtigt erklärt. Durch Urteil vom 15. Juli 1925 sprach das Amtsgericht den Angeklagten frei; es nahm Notwehr an. Gegen das Urteil legten der Staatsanwalt Revision, der Nebenkläger Berufung zum Landgericht Altburg ein, beide rechtzeitig. Der Staats­ anwalt begründete die Revision nicht, weshalb das Amtsgericht die Revision durch Beschluß vom 10. August 1925 als unzu­ lässig verwarf. Der Staatsanwalt trug rechtzeitig auf die Ent­ scheidung des Revisionsgerichts an mit der Begründung, daß nach Lage der Sache über sein Rechtsmittel die Strafkammer des Landgerichts Altburg zu entscheiden habe. Das Revisions­ gericht hob den Beschluß vom 10. August 1925 auf. In dem auf 1. Oktober 1925 vor der Strafkammer anbe­ raumten Termin erschien der ordnungsmäßig geladene Neben­ kläger nicht, auch ein Vertreter fand sich für ihn nicht ein. Nach verhandelter Sache wurde durch ein Urteil der Strafkammer die Berufung des Nebenklägers sofort verworfen, auf das vom Staatsanwalt eingelegte Rechtsmittel das amtsgerichtliche Gerlach, Texte zu 10 Aufgaben zum StPR.

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Staatsprüfung 1925 November, I. 10.

Das Urteil des Berufungsgerichts ist zu verfassen. Dabei ist davon auszugehen, daß die tatsächlichen Feststellungen des Schöffengerichts durch die Berufungsverhandlung bestätigt worden sind. Soweit Strafen auszusprechen sind, ist deren Ausmaß innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens freigestellt.

Staatsprüfung 1925 November, 1.10. II. Gegen den Gütler Auer wurde das Hauptverfahren vor dem Amtsgerichte Neustadt eröffnet wegen eines Vergehens der Körperverletzung nach §§ 223,223a StGB. Er war beschul­ digt, vorsätzlich und rechtswidrig den Bauern Brandel mittels Messers durch einen Stich in den rechten Arm körperlich miß­ handelt zu haben. Brandel schloß sich der öffentlichen Klage als Nebenkläger an und wurde durch Beschluß des Amtsgerichts zum Anschluß für berechtigt erklärt. Durch Urteil vom 15. Juli 1925 sprach das Amtsgericht den Angeklagten frei; es nahm Notwehr an. Gegen das Urteil legten der Staatsanwalt Revision, der Nebenkläger Berufung zum Landgericht Altburg ein, beide rechtzeitig. Der Staats­ anwalt begründete die Revision nicht, weshalb das Amtsgericht die Revision durch Beschluß vom 10. August 1925 als unzu­ lässig verwarf. Der Staatsanwalt trug rechtzeitig auf die Ent­ scheidung des Revisionsgerichts an mit der Begründung, daß nach Lage der Sache über sein Rechtsmittel die Strafkammer des Landgerichts Altburg zu entscheiden habe. Das Revisions­ gericht hob den Beschluß vom 10. August 1925 auf. In dem auf 1. Oktober 1925 vor der Strafkammer anbe­ raumten Termin erschien der ordnungsmäßig geladene Neben­ kläger nicht, auch ein Vertreter fand sich für ihn nicht ein. Nach verhandelter Sache wurde durch ein Urteil der Strafkammer die Berufung des Nebenklägers sofort verworfen, auf das vom Staatsanwalt eingelegte Rechtsmittel das amtsgerichtliche Gerlach, Texte zu 10 Aufgaben zum StPR.

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Staatsprüfung 1925 November, I. 10.

Urteil aufgehoben und der Angeklagte wegen Vergehens nach §§ 223, 223a StGB, zu einer Geldstrafe verurteilt; nach der Annahme der Strafkammer handelte der Angeklagte in Not­ wehr, überschritt aber vorsätzlich in strafbarer Weise die Grenzen der erforderlichen Verteidigung. Revision wurde gegen das Urteil des Berufungsgerichts von keiner Seite eingelegt. Jedoch gewährte die Strafkammer dem Nebenkläger auf rechtzeitigen Antrag gegen die Versäumung des Termins vom 1. Oktober 1925 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er glaubhaft gemacht hatte, daß der von ihm an jenem Tage zur Reise nach Altburg benützte Eisen­ bahnzug entgleiste und dieser Unfall das rechtzeitige Eintreffen in Altburg verhinderte. Im neuen Hauptverhandlungstermine vor dem Berufungs­ gericht, am 2. November 1925, beantragte der Nebenkläger Verurteilung des Angeklagten im Sinne des Eröffnungs­ beschlusses zu einer Gefängnisstrafe; er führte aus, daß nach dem Ergebnisse der Beweisaufnahme von wirklicher oder ver­ meintlicher Notwehr keine Rede sein könne. Der Angeklagte bat um Freisprechung. Der Staatsanwalt billigte die Beweis­ würdigung des Nebenklägers, vertrat aber die Meinung, daß im Hinblick auf die Rechtskraft des von keiner Seite mit Revision angefochtenen Urteils vom 1. Oktober 1925 eine dem Angeklagten ungünstigere Entscheidung nicht mehr ge­ troffen werden dürfe.

1. Das geschilderte Verfahren ist nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung zu würdigen. 2. Die Strafkammer gelangt am 2. November 1925 zur Annahme, daß der Angeklagte weder in wirklicher noch in vermeintlicher Notwehr gehandelt hat und daß seinem Ver­ schulden eine Gefängnisstrafe von 4 Monaten angemessen ist. Wie hat sie zu erkennen? 3. Die Antworten sind unter Anführung der gesetzlichen Vor­ schriften zu begründen.

Staatsprüfung 1926 Mai, I. 10.

Staatsprüfung 1926 Mai, 1.10. I. Im Anwesen Sturmstraße 10 in Lichtenberg, das dem Taglöhner Josef Bauer in Lichtenberg gehörte, war der im Wohnzimmer des Bauer stehende Ofen schon seit langem sehr baufällig und feuergefährlich. Am 20. Februar 1924 forderte der Stadtrat Lichtenberg den Josef Bauer auf, den Ofen in baulichen und brandsicheren Zustand zu setzen. Bauer ließ die Aufforderung unbeachtet. Auf Anzeige des Stadtrats Lichten­ berg wurde Bauer am 4. April 1924 vom Amtsgerichte Lichten­ berg wegen einer Übertretung nach § 368 Nr. 4 StGB, zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil wurde nicht angefochten. Die Ermittlungen in dieser Sache hatte der Schutzmann Xaver Klein in Lichtenberg gepflogen, gegen den deshalb Bauer erbittert war. Als Bauer einige Tage nach seiner Verurteilung dem Klein im Hausgange der Wirtschaft „Zur Sonne" in Lichtenberg begegnete, versetzte er ihm nach kurzem Wort­ wechsel mit der Hand einen Schlag in das Gesicht. Klein erstattete von dem Vorfälle, bei dem Zeugen nicht zugegen waren, keine Anzeige; aus Scham verheimlichte er auch in der Folge jenen Vorgang.

II. 1. Am 15. Februar 1925 erzählte Josef Bauer in der Wirt­ schaft „Zum schwarzen Roß" in Lichtenberg in Gegenwart seines Freundes, des Taglöhners Anton Müller, den Vorfall mit dem Schutzmann Klein dem Bauarbeiter Huber. 2. Am 1. April 1925 fand vor dem Amtsgerichte Lichten­ berg Verhandlung in der Strafsache gegen den Taglöhner Anton Müller wegen Beleidigung des Schutzmannes Karl Gräßl von Lichtenberg statt. Müller hatte seinen Freund Josef Bauer als Zeugen zur Verhandlung mitgebracht. Weil Schutz­ mann Gräßl in der Verhandlung die Glaubwürdigkeit des Zeugen Bauer anzweifelte, kam es unmittelbar nach Schluß der Verhandlung zwischen Bauer und Gräßl zu einem Wort­ wechsel. In dessen Verlauf rief Bauer dem Gräßl zu: „Ich fürchte mich nicht vor Ihnen, wenn Sie auch Schutzmann sind!

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Staatsprüfung 1926 Mai, I. 10.

Ich habe schon einmal einem Schutzmann eine Ohrfeige gegeben." Wegen dieser Äußerung erhob Schutzmann Gräßl, der hierin eine Kundgebung der Mißachtung seiner Ehre erblickte, gegen Josef Bauer Privatklage beim Amtsgerichte Lichtenberg. In der Verhandlung vom 24. April 1925 gab Josef Bauer jene Äußerung zu. Auf die Frage des Amtsrichters, welchen Schutz­ mann Bauer beohrfeigt habe, erwiderte Schutzmann Gräßl, daß es sich um den Schutzmann Klein handeln solle, daß dieser aber die Sache bestreite. Darauf entgegnete Bauer, da könne nichts bestritten werden, die Sache sei wahr. Bauer wurde mit Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 24. April 1925 frei­ gesprochen mit der Begründung, daß in jener Äußerung vom 1. April 1925 eine Beleidigung des Gräßl nicht gefunden werden könne. Das Urteil wurde von keiner Seite angefochten. 4. Am 20. August 1925 kam Josef Bauer in der Wirtschaft „Zum schwarzen Roß" in Lichtenberg im Gespräche mit Anton Müller auf den Vorgang mit dem Schutzmann Klein zurück und besprach diesen Vorfall in Gegenwart mehrerer am gleichen Tische sitzender Personen. 5. Am 25. August 1925 erzählte Bauer in der Schwarzschen Wirtschaft in Lichtenberg vor mehreren Gästen, darunter Anton Müller, wiederum seinen Zusammenstoß mit dem Schutzmann Klein. III. 1. Schutzmann Klein hatte anfangs Mai 1925 von den Äußerungen des Josef Bauer gegenüber Huber (II1), Gräßl (II2) und in der Verhandlung vom 24. April 1925 (II3) Kenntnis erlangt. Er stellte am 8. Mai 1925 gegen Josef Bauer wegen der oben unter I11 und II3 aufgeführten Äußerungen bei der Staatsanwaltschaft für den Landgerichts­ bezirk Lichtenberg Strafantrag wegen Beleidigung. Gleich­ zeitig stellte er auch Strafantrag wegen Beleidigung gegen die Ehefrau des Bauer, Katharina Bauer, weil diese im April 1925 mehreren in ihrer Nachbarschaft wohnenden Frauen erzählt habe, daß Klein von ihrem Mann beohrfeigt worden sei und sich dies habe gefallen lassen. 2. Josef Bauer hatte den ordnungswidrigen Zustand des

Staatsprüfung 1926 Mai, I. 10.

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Ofens in seinem Wohnzimmer bestehen lassen, obwohl er nach seinen Vermögensverhältnissen imstande gewesen war, die Kosten für die bauliche und brandsichere Instandsetzung des Ofens zu bestreiten. Der Stadtrat Lichtenberg erstattete daher im Mai 1925 wiederum Anzeige gegen Bauer wegen Über­ tretung nach § 368 Nr. 4 StGB, beim Amtsanwalt in Lichten­ berg. Dieser legte die Anzeige unter Hinweis auf die gegen Josef Bauer wegen Beleidigung anhängige Strafsache der Staatsanwaltschaft für den Landgerichtsbezirk Lichtenberg vor. 3. Der Staatsanwalt erhob am 20. Mai 1925 zum Amts­ gerichte Lichtenberg durch Einreichung einer Anklageschrift öffentliche Klage gegen Josef Bauer wegen Übertretung nach § 368 Nr. 4 StGB, und — entsprechend dem Strafantrag des Klein — wegen zweier Vergehen der Beleidigung, verübt am 15. Februar und 24. April 1925 (siehe oben II 1 und II 3), ferner gegen Katharina Bauer wegen eines Vergehens der Beleidigung. Nachdem entsprechend dem Anträge des Staatsanwalts das Hauptverfahren gegen die Eheleute Bauer eröffnet worden war, fand am 20. Juni 1925 die Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter des Amtsgericht Lichtenberg statt. Das Amts­ gericht verurteilte den Josef Bauer neuerdings wegen einer Übertretung nach § 368 Nr. 4 StGB, zu einer Geldstrafe, sprach aber den Josef Bauer von zwei Vergehen der Beleidi­ gung, die Katharina Bauer von einem Vergehen der Beleidi­ gung frei. Es unterließ eine Würdigung der Äußerung der Bauer in der Verhandlung vom 24. April 1925 (II3), unter­ stellte aber die Äußerung des Bauer vom 1. April 1925 (II 2) der Aburteilung. Die Freisprechung des Bauer begründete es damit, daß hinsichtlich des Vorfalls vom 15. Februar 1925 (II1) eine Beleidigung des Schutzmanns Klein nicht nachweis­ bar und in der Äußerung des Bauer vom 1. April 1925 (II2) der Tatbestand einer Beleidigung des Klein nicht zu erblicken sei. Zur Anklage gegen Katharina Bauer führte das Amtsge­ richt aus, daß Schutzmann Klein erwiesenermaßen am 6. Mai 1925 in seiner Wohnung der Katharina Bauer gegenüber aus­ drücklich auf Stellung eines Strafantrags wegen der ihr zur Last gelegten Äußerungen verzichtet habe.

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Staatsprüfung 1926 Mai, I. 10.

4. Der Amtsanwalt verzichtete, soweit Katharina Bauer frei­ gesprochen worden war, am 24. Juni 1925 schriftlich auf Berufung gegen das Urteil vom 20. Juni 1925. Dagegen legten gegen das Urteil am 27. Juni 1925 schriftlich Berufung ein der Schutzmann Klein wegen der Freisprechung der Ehe­ leute Bauer, der Angeklagte Josef Bauer wegen seiner noch­ maligen Verurteilung aus § 368 Nr. 4 StGB., die im Hinblick auf das Urteil vom 4. April 1924 unstatthaft sei. Durch Beschluß vom 6. Juli 1925 erklärte die Strafkammer des Landgerichts Lichtenberg, entsprechend der schriftlichen Äußerung des Staatsanwalts, den Schutzmann Klein zum Anschluß als Nebenkläger in dem Strafverfahren gegen die Angeklagten Josef und Katharina Bauer wegen Beleidigung als berechtigt. Die Angeklagten, denen dieser Beschluß zugestellt wurde, legten hiegegen keine Beschwerde ein.

IV. Am 10. November 1925 fand" die Berufungsverhandlung vor der Strafkammer des Landgerichts Lichtenberg statt. 1. Josef Bauer hatte vor der Verhandlung die Ladung des Taglöhners Anton Müller als Zeugen zur Hauptverhandlung beantragt. Der Vorsitzende der Strafkammer hatte aber den Antrag zurückgewiesen mit der Begründung, daß die Ver­ nehmung dieses Zeugen über die Vorfälle vom 15. Februar 1925 und 1. April 1925 (II 1 und II 2) nicht erforderlich sei. In der Verhandlung überreichte der Schutzmann Klein dem Staatsanwalt schriftlichen Strafantrag gegen Josef Bauer wegen Beleidigung, weil er von dem Taglöhner Anton Müller erfahren habe, daß Bauer am 20. und 25. August 1925 in Wirtschaften sich damit gebrüstet habe, ihn beohrfeigt zu haben. Der Staatsanwalt legte den Strafantrag dem Gerichte vor und erklärte hiebei, er lehne die gesonderte Verfolgung der Vorfälle vom 20. und 25. August 1925 (II4 und II5) ab, weil sie zusammen mit den bereits unter Anklage gestellten Äußerungen des Bauer auf einen einheitlichen Vorsatz des Angeklagten zurückzuführen und deshalb als Teil eines fort­ gesetzten Vergehens der Beleidigung zu würdigen seien. Der Zeuge Gräßl war nach seiner voreidlichen Vernehmung

Staatsprüfung 1926 Mai, I. 10.

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mit Zustimmung der Prozeßbeteiligten entlassen worden; der Vorsitzende hatte ihm bedeutet, daß er sich entfernen dürfe. Er nahm im Zuhörerraum des Sitzungssaales Platz. Vor Schluß der Beweisaufnahme wurde er auf Antrag des Staats­ anwalts behufs nochmaliger Befragung als Zeuge vorgerufen. Der Vorsitzende verwies ihn, nachdem der Angeklagte Josef Bauer die nochmalige Beeidigung des Zeugen beantragt hatte, auf seinen bereits geleisteten Zeugeneid und vernahm ihn nochmals eingehend. In seinem Schlußwort erklärte der Angeklagte Josef Bauer, er bedauere, den Zeugen Anton Müller nicht mitgebracht zu haben, der auch über die Vorfälle vom 20. und 25. August 1925 hätte aussagen können. 2. Die Strafkammer verwarf durch Urteil vom 10. November 1925 a) die Berufung des Angeklagten Josef Bauer als unbe­ gründet; b) die gegen die Freisprechung der Katharina Bauer gerichtete Berufung des Nebenklägers Klein als un­ zulässig; c) die Berufung des Nebenklägers Klein bezüglich eines nach der Anklage am 15. Februar 1925 verübten Ver­ gehens der Beleidigung (siehe II1) als unbegründet; d) int übrigen hob sie das amtsgerichtliche Urteil auf, ver­ urteilte den Angeklagten Josef Bauer wegen eines fort­ gesetzten, öffentlich begangenen Vergehens der Beleidi­ gung zu einer Geldstrafe und sprach dem Nebenkläger die Befugnis zu, die Verurteilung des Bauer wegen Beleidigung auf Kosten des Angeklagten öffentlich bekannt zu machen. Das Berufungsgericht führte in seinem Urteil aus: Zu a) (Berufung des Angeklagten Bauer): Von einem Verbrauch der Strafklage kann keine Rede sein, weil Bauer in der Zeit nach dem rechtskräftigen Urteil vom 4. April 1924 sich neuerdings gegen die Vorschrift des § 368 Nr. 4 StGB, verfehlt hat. Zu b) (Berufung des Schutzmanns Klein wegen Frei­ sprechung der Katharina Bauer):

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Staatsprüfung 1926 Mai, I. 10.

Klein ist insoweit zu Unrecht als Nebenkläger zugelassen worden; er hat den Anschluß als Nebenkläger nicht, jedenfalls aber zu spät erklärt. Überdies ist bei seinem am 6. Mai 1925 erklärten Verzicht der spätere Strafantrag gegen Katharina Bauer unzulässig und unwirksam. Zu c) und d) (Berufung des Nebenklägers Klein bezüglich der Freisprechung des Josef Bauer): Die Berufung ist unbegründet, soweit sie die Freisprechung des Angeklagten Bauer von dem nach der Anklage am 15. Fe­ bruar 1925 verübten Vergehen der Beleidigung (II1) betrifft; das Berufungsgericht nimmt, wie der Erstrichter an, daß eine Beleidigung nicht nachweisbar ist. Die Äußerung des Bauer vom 1. April 1925 (II 2) ist vom Amtsgericht zutreffend gewürdigt worden. In der Äußerung des Bauer in der Verhandlung vom 24. April 1925 (II 3), womit der Angeklagte nur einen durch den Verlauf der Verhandlung gebotenen Aufschluß gab, ist eine strafbare Ehrenkränkung des Klein nicht zu erblicken; Bauer war sich einer solchen nicht bewußt, noch viel weniger beabsichtigte er eine Beleidigung. Hiegegen ist den Kundgebungen des Bauer vom 20. August 1925 und vom 25. August 1925 (II 4 und II 5) nach den begleitenden Umständen unter denen der Angeklagte seinen Zusammenstoß mit Klein vor einer unbestimmten Anzahl von Personen schilderte, der Ausdruck der Mißachtung der Ehre des Klein zu entnehmen; er ging darauf aus, Klein in den Augen Anderer verächtlich zu machen, weil dieser sich eine Züchtigung durch ihn habe gefallen lassen. Es liegen also Beleidigungen vor. Diese Kundgebungen bilden aber keine für sich selbständi­ gen strafbaren Handlungen; sie sind vielmehr in Ausführung eines und desselben rechtswidrigen Vorsatzes verübt worden, dem Josef Bauer nach der Anklage auch durch die oben gewür­ digten Äußerungen Ausdruck gegeben hat. Deshalb muß der Angeklagte nach §§ 185, 186, 192, 73, 200 StGB, schuldig gesprochen werden. Weil es sich um eine Fortsetzung der Kund­ gebungen handelt, von denen mehrere nach dem Eröffnungs­ beschluß unter Anklage stehen, sind auch die Vorfälle vom 20. und 25. August 1925 Gegenstand der Urteilsfindung.

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Ist das Verfahren gegen die Eheleute Bauer in erster und zweiter Instanz und die Entscheidung des Berufungsgerichts zu beanstanden? Kann von Josef Bauer und Lader Klein mit Erfolg Revision wegen Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm gerechtfertigt werden? Die Antworten sind zu begründen.

Staatsprüfung 1925 Mai, I. 7. I. Der Dienstknecht Georg Bauer, geboren am 17. April 1890 zu Pasing, war ab Lichtmeß 1924 für ein Jahr von dem Bauern Mathias Hölzl in Trudering gedungen. Einige Wochen vor Lichtmeß 1925 eröffnete ihm Hölzl, er möge sich nach einem anderen Dienstplatz umsehen; auf die Frage des Bauer, warum er nicht als Knecht bleiben könne, gab ihm Hölzl zu verstehen, daß er vermute, öfters von ihm bestohlen worden zu sein. Bauer erging sich sofort in Beschimpfungen und Drohungen gegen Hölzl. Als er am 2. Februar 1925 das Anwesen des Hölzl verließ, äußerte er zu der bei Hölzl bediensteten Magd Kreszenz Lieb, geboren am 3. März 1900 zu Trudering, daß er schon noch Gelegenheit finden werde, sich an Hölzl zu rächen. Lieb teilte dies alsbald dem Hölzl mit. Am 1. März 1925, abends gegen 10 Uhr, begab sich Bauer, der inzwischen in München bei Maria Rasch, einer Schwester der Lieb, eine Schlafstätte gemietet hatte, stehlenshalber in die unverschlossene, rückwärts an den Stall des Hölzl angebaute, mit Stroh gefüllte Schupfe, drang von hier durch eine ver­ sperrte Türe, die er gewaltsam erbrach, in den Stall ein und schlich von da in das mit dem Stall unter einem Dache befindliche Wohnhaus, wo er aus einer im Wohnzimmer zu ebener Erde stehenden unversperrten Kommode Rentenbank­ scheine des Hölzl im Werte von 2000 JC und verschiedene

Staatsprüfung 1925 Mai, I. 7.

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Ist das Verfahren gegen die Eheleute Bauer in erster und zweiter Instanz und die Entscheidung des Berufungsgerichts zu beanstanden? Kann von Josef Bauer und Lader Klein mit Erfolg Revision wegen Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm gerechtfertigt werden? Die Antworten sind zu begründen.

Staatsprüfung 1925 Mai, I. 7. I. Der Dienstknecht Georg Bauer, geboren am 17. April 1890 zu Pasing, war ab Lichtmeß 1924 für ein Jahr von dem Bauern Mathias Hölzl in Trudering gedungen. Einige Wochen vor Lichtmeß 1925 eröffnete ihm Hölzl, er möge sich nach einem anderen Dienstplatz umsehen; auf die Frage des Bauer, warum er nicht als Knecht bleiben könne, gab ihm Hölzl zu verstehen, daß er vermute, öfters von ihm bestohlen worden zu sein. Bauer erging sich sofort in Beschimpfungen und Drohungen gegen Hölzl. Als er am 2. Februar 1925 das Anwesen des Hölzl verließ, äußerte er zu der bei Hölzl bediensteten Magd Kreszenz Lieb, geboren am 3. März 1900 zu Trudering, daß er schon noch Gelegenheit finden werde, sich an Hölzl zu rächen. Lieb teilte dies alsbald dem Hölzl mit. Am 1. März 1925, abends gegen 10 Uhr, begab sich Bauer, der inzwischen in München bei Maria Rasch, einer Schwester der Lieb, eine Schlafstätte gemietet hatte, stehlenshalber in die unverschlossene, rückwärts an den Stall des Hölzl angebaute, mit Stroh gefüllte Schupfe, drang von hier durch eine ver­ sperrte Türe, die er gewaltsam erbrach, in den Stall ein und schlich von da in das mit dem Stall unter einem Dache befindliche Wohnhaus, wo er aus einer im Wohnzimmer zu ebener Erde stehenden unversperrten Kommode Rentenbank­ scheine des Hölzl im Werte von 2000 JC und verschiedene

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goldene Schmucksachen der Frau Hölzl an sich nahm. Auf dem gleichen Wege verließ er das Haus. Gegen 11 Uhr abends brach in der Schupfe ein Brand aus, der Schupfe und Stall des Hölzl zerstörte. Als Bauer von dem Brande Kunde erhalten hatte, ver­ anlaßte er die Maria Rasch, der Lieb einen Brief zu schreiben, worin Rasch ihre Schwester bat, behufs einer Besprechung mit Bauer ehestens zu ihr nach München zu kommen. Auf diesen Brief vom 4. März 1925 besuchte Lieb die Rasch und traf in deren Wohnung den Bauer an. Sie verständigte ihn, daß Hölzl Verdacht hege, er habe ihm am 1. März eine größere Summe Geld gestohlen und sodann absichtlich das Stroh in der Schupfe angezündet, um auf diese Weise das Haus in Brand zu setzen. Bauer beteuerte der Lieb, daß der Verdacht des Hölzl, dessen Anwesen er seit 2. Februar 1925 nicht mehr betreten habe, unbegründet sei. Er stellte ihr vor, wie schwer er getroffen würde, wenn man ihn trotz seiner Unschuld in Haft nähme; auf keinen Fall dürfe die Gendarmerie die Äußerung erfahren, die er der Lieb gegenüber am 2. Februar gemacht habe. Auf seine eindringliche Bitte sagte ihm die Lieb zu, der Gendarmerie jene Äußerung zu verheimlichen, weil sie seinen Beteuerungen Glauben schenkte. Der Gendarmeriewachtmeister Mayer in Trudering stellte auf Grund der Mitteilungen des Hölzl Ermittlungen wegen des Diebstahls und der Brandstiftung an. Er vernahm auch die Lieb. Obwohl er ihr die Angaben des Hölzl und den unter ihren Sachen aufgefundenen Brief ihrer Schwester vom 4. März 1925 vorhielt, bestritt sie jene Äußerung des Bauer vom 2. Februar 1925. II. Auf die Anzeige der Gendarmeriestatton Trudering erhob der Staatsanwalt für den Landgerichtsbezirk München I gegen Bauer durch Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung öffentliche Klage wegen eines Verbrechens des Diebstahls nach §§ 242, 243 Nr. 2 und 7 StGB, und wegen eines hiemit sachlich zusammentreffenden Verbrechens der Brandstiftung nach §§ 74, 306 StGB. Bauer, gegen den der Untersuchungs­ richter Haftbefehl erlassen hatte, stellte bei seiner Vernehmung die ihm zur Last gelegten Handlungen in Abrede. Am 16. März

Staatsprüfung 1925 Mai, I. 7.

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1925 vernahm der Untersuchungsrichter die Lieb als Zeugin und beeidigte sie vor ihrer Vernehmung zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage. Bei ihrer Vernehmung stellte Lieb wiederum in Abrede, was Bauer am 2. Februar 1925 ihr gegenüber geäußert hatte. Sie war dabei überzeugt, daß Bauer unschuldig sei. Der Staatsanwalt stellte hierauf am 17. März 1925 den Antrag, die Voruntersuchung auf die Lieb wegen eines Verbrechens des Meineids in Tateinheit mit einem Vergehen der Begünstigung nach §§ 154,73,257 StGB, auszudehnen. Der Untersuchungsrichter gab dem Antrag statt. Nach Schluß der Voruntersuchung reichte der Staatsanwalt gegen Bauer und Lieb, entsprechend der öffentlichen Klage, Anklageschrift ein. Mit Beschluß vom 9. April 1925 eröffnete die I. Strafkammer des Landgerichts München I das Haupt­ verfahren gegen Bauer und Lieb wegen der bezeichneten strafbaren Handlungen vor dem Schwurgerichte bei jenem Landgerichte. III. Zu dem auf 1. Mai 1925 vormittags 9 Uhr anbe­ raumten Verhandlungstermin vor dem Schwurgericht war der Angeklagte Bauer aus der Untersuchungshaft vorgeführt worden und sein Verteidiger erschienen. Die Angeklagte Lieb hatte sich nicht eingefunden; die Zeugen aus Trudering erklärten, daß Lieb in der Frühe plötzlich von einem heftigen Unwohlsein befallen worden und daher zu Hause geblieben sei. Es wurde daher nur in die Verhandlung gegen Bauer eingetreten. Bei der Vernehmung zur Sache gab Bauer den Diebstahl der Rentenbankscheine zu. Die Wegnahme der Schmucksachen und das Verbrechen der Brandstiftung stellte er in Abrede. Er räumte die Möglichkeit ein, daß er in der Schupfe des Hölzl nach Anzünden einer mitgebrachten Laterne das benützte Streichholz weggeworfen habe, ohne sich überzeugt zu haben, ob das Streichholz völlig erloschen sei. Die Äußerung vom 2. Februar 1925 gegenüber der Lieb gestand er zu. 1. Als Zeuge wurde u. A. der Untersuchungsrichter ver­ nommen, und zwar über das Ergebnis eines von ihm im Anwesen des Hölzl vorgenommenen Augenscheins. Während seiner Vernehmung stellte der Vorsitzende auf Ersuchen des

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Verteidigers fest, daß das Augenscheinsprotokoll vom Unter­ suchungsrichter nicht unterschrieben worden war. Der Vertei­ diger erklärte, daß bei diesem Mangel die Aussage des Unter­ suchungsrichters nicht verwertbar sei und daß daher das erkennende Gericht selbst Augenschein einnehmen müsse. Der Staatsanwalt widersprach dieser Anschauung. Das Gericht beschloß nachmittags 2 Uhr im Anwesen des Hölzl Augenschein einzunehmen.

2. Vor der Hauptverhandlung hatte die I. Strafkammer des Landgerichts München I beschlossen, daß Anna Hölzl, die Ehefrau des Hölzl, durch einen beauftragten Richter als Zeugin eidlich über das Abhandenkommen und den Wert der Schmucksachen zu vernehmen sei, weil ihrem Erscheinen in der Hauptverhandlung für eine längere Zeit Krankheit entgegen­ stehe. Der Beschluß war ausgeführt worden. Der Staats­ anwalt stellte in der Hauptverhandlung den Antrag, das Protokoll über die eidliche Vernehmung der Zeugin Hölzl zu verlesen, weil die Krankheit der Zeugin noch für ungewisse Zeit fortbestehe. Der Verteidiger erklärte, daß die Verlesung des Protokolls unzulässig sei, weil das erkennende Gericht selbst, da es in Trudering im Anwesen des Hölzl Augenschein einnehmen werde, die Zeugin unmittelbar vernehmen müsse. Das Gericht beschloß die Verlesung des Protokolls, entspre­ chend dem Antrag des Staatsanwalts. Der Vorsitzende verlas das Vernehmungsprotokoll.

3. In der Hauptverhandlung wurde u. A. als Zeuge der bei Hölzl bedienstete Knecht Martin Huber vernommen, der bei seiner zeugschaftlichen Vernehmung vor dem Unter­ suchungsrichter — im Widerspruch mit der ihm vorgehaltenen Behauptung der Lieb — angegeben hatte, daß er am Abend des 1. März 1925 die Schupfe seines Dienstherrn nicht betreten habe. Der Vorsitzende vereidigte ihn vor seiner Vernehmung. Er bekundete, daß er allerdings, wie ihm inzwischen eingefallen sei, etwa 1/2 Stunde vor Ausbruch des Brandes aus der Schupfe seine dort stehenden Stiefel geholt habe. Der Vor­ sitzende belehrte ihn hierauf über das Recht nach § 55 StPO, und legte ihm dann die Frage vor, ob er ein offenes Licht oder

Staatsprüfung 1925 Mai, I. 7.

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eine brennende Laterne bei sich gehabt habe. Huber verneinte dies; er gab an, seine Stiefel im Dunkeln geholt zu haben. 4. Der beschlossene Augenschein wurde in Trudering zur festgesetzten Stunde vorgenommen. Anwesend waren die sämt­ lichen Mitglieder des erkennenden Gerichts, der Gerichts­ schreiber, der Staatsanwalt und der Verteidiger. Der Ange­ klagte hatte mit Zustimmung seines Verteidigers auf die Anwesenheit verzichtet, um sich, wie er erklärte, die Schande der Vorführung zum Augenschein in Trudering zu ersparen. 5. Bei der Fortsetzung der Verhandlung an der Gerichtsstelle in München stellte nach Schluß der Beweisaufnahme der Staatsanwalt den Antrag, den Angeklagten wegen der ihm zur Last gelegten Verbrechen zu verurteilen, während der Verteidiger und der Angeklagte selbst Freisprechung in An­ sehung der Entwendung der Schmucksachen und hinsichtlich der Brandstiftung beantragten. Nach Beratung des Gerichts verkündete der Vorsitzende Beschluß, wonach zur Verkündung des Urteils Termin auf 8. Mai 1925, vormittags 9 Uhr, bestimmt wurde. IV. Während des Augenscheins in Trudering fand sich die Angeklagte Lieb bei dem Vorsitzenden des Schwurgerichts ein und erklärte, daß sie sich so erholt habe, um noch am gleichen Tage einer Verhandlung anwohnen zu können. Nach Rück­ sprache mit den Gerichtsmitgliedern und dem Staatsanwalt eröffnete der Vorsitzende der Lieb, daß in ihre Verhandlung nach Schluß der Verhandlung gegen Bauer eingetreten werden könne, sofern ihrem Verteidiger die Anwesenheit möglich sein werde. Abends 6 Uhr fanden sich bei Aufruf der Sache die Ange­ klagte Lieb, ihr Verteidiger und die geladenen Zeugen ein. Die Angeklagte Lieb wiederholte bei ihrer Vernehmung zur Sache, daß sie bei ihrer eidlichen Vernehmung vor dem Unter­ suchungsrichter den Bauer für unschuldig gehalten und daß sie hiebei nur die Wahrheit angegeben habe. 1. Die als Zeugin geladene Marie Rasch machte von dem Rechte der Verweigerung des Zeugnisses Gebrauch. Der Staatsanwalt beantragte nach der zeugschaftlichen Ver­ nehmung des Gendarmeriewachtmeisters Mayer, den von

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diesem erwähnten Brief der Rasch vom 4. März 1925 zu ver­ lesen. Der Verteidiger widersprach der Verlesung unter Hin­ weis auf die Zeugnisverweigerung der Rasch. Das Gericht beschloß, der Brief sei zu verlesen zur Feststellung, daß der Zeuge Mayer den Inhalt des Briefes richtig wiedergegeben habe. Der Brief wurde sodann vom Vorsitzenden verlesen. 2. Nach Schluß der Beweisaufnahme beantragte der Staats­ anwalt Verurteilung der Lieb im Sinn der Anklage. Der Verteidiger und die Angeklagte stellten den Antrag, auf Frei­ sprechung zu erkennen.

Die Verkündung des Urteils wurde durch Gerichtsbeschluß auf 8. Mai 1925, vormittags 9 Uhr, vertagt. V. In dem zur Urteilsverkündung bestimmten Termin waren die Angeklagten Bauer und Lieb und die beiden Ver­ teidiger erschienen. Der Vorsitzende wies den Angeklagten Bauer darauf hin, daß ihn das Gericht möglicherweise wegen fahrlässiger Brand­ stiftung nach § 309 StGB, verurteilen könnte, und gab ihm Gelegenheit zur Verteidigung nach dieser Richtung. Er selbst und sein Verteidiger verzichteten auf weitere Ausführungen. Nach geheimer Beratung des Gerichts verkündete der Vor­ sitzende durch Verlesung der Urteilsformel und der Urteils­ gründe das Urteil gegen die beiden Angeklagten, worin a) Bauer wegen eines Verbrechens des Diebstahls nach §§ 242, 243 Nr. 2, 7 StGB, und eines hiemit sachlich zusammentreffenden Vergehens der fahrlässigen Brand­ stiftung nach § 309 StGB., b) Lieb wegen eines Verbrechens des Meineids nach § 154 StGB, verurteilt wurden. In den Gründen des Urteils wurde u. a. ausgeführt:

1. Daß der Angeklagte Bauer nicht nur die Rentenbank­ scheine des Mathias Hölzl, sondern auch die der Anna Hölzl gehörigen Schmucksachen im Werte von etwa 500 JC gestohlen hat, ist durch die Aussage der Zeugin Hölzl erwiesen. Daß Bauer Schupfe und Stall des Hölzl vorsätzlich in Brand gesetzt hat, ist nicht hinreichend erwiesen. Jedoch ist das Gericht

Staatsprüfung 1925 Mai, I. 7.

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auf Grund seiner eigenen Angaben überzeugt, daß er in der mit Stroh gefüllten Schupfe leichtfertig ein noch glühendes Streichholz weggeworfen hat, ohne sich zuvor vergewissert zu haben, ob das Streichholz erloschen sei. Auf diese Weise hat er durch Fahrlässigkeit den Brand herbeigeführt. Für die Annahme, daß etwa der Zeuge Huber durch Unachtsamkeit den Brand in der Schupfe verursacht habe, ist bei den eidlichen Bekundungen dieses Zeugen kein Raum.

2. Bauer hat am 2. Februar 1925 tatsächlich der Angeklagten Lieb gegenüber geäußert, er werde schon noch Gelegenheit finden, sich an Hölzl zu rächen. Das Gericht erachtet dies für erwiesen durch die Aussage des Zeugen Hölzl, dem die Lieb jene Äußerung des Bauer alsbald mitteilte, durch den Brief der Marie Rasch an die Angeklagte vom 4. März 1925 und endlich durch das Geständnis des Bauer, der in der gegen ihn durchgeführten Verhandlung selbst eingeräumt hat, jene Äuße­ rung der Lieb gegenüber gemacht zu haben. Hienach hat Lieb am 16. März 1925 vor dem Untersuchungs­ richter den vor ihrer Vernehmung geleisteten Eid wissentlich durch ein falsches Zeugnis verletzt (Verbrechen nach § 154 StGB.). Dagegen fehlt ein zureichender Beweis dafür, daß Lieb ihre Eidespflicht verletzt hat, um den Bauer der Bestrafung zu entziehen. Ihr Vorbringen, daß sie den Beteuerungen des Bauer Glauben geschenkt und angenommen hat, er habe sich weder des Diebstahls noch der Brandstiftung schuldig gemacht, ist nicht widerlegt.

Das geschilderte Verfahren ist auf seine Ordnungsmäßigkeit zu würdigen. Verstöße gegen prozeßrechtliche Vorschriften und Mängel sachlich rechtlicher Art, die nach der Anschauung des Bearbeiters das Rechtsmittel der Revision gegen das Urteil vom 8. Mai 1925 für Bauer oder Lieb erfolgreich scheinen lassen, sind hervorzuheben. Die Entscheidungen sind zu be­ gründen.

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Staatsprüfung 1926 Mai, 1.8. 1. Am 18. September 1925 erhob der Staatsanwalt bei dem Landgerichte Felden gegen die am 6. Mai 1905 geborene ledige Taglöhnerin Alma Fichtner durch Antrag auf gericht­ liche Voruntersuchung öffentliche Klage wegen eines Ver­ brechens des Meineids gemäß §§ 154, 153 StGB., begangen dadurch, daß sie am 15. Februar 1923 vor dem Amtsgerichte Felden als Zeugin in dem Rechtsstreit ihres am 26. Juni 1922 geborenen unehelichen Kindes gegen den ledigen Dienstknecht Gregor Keck wegen Anerkennung der Vaterschaft und Unter­ halts der Wahrheit zuwider in Abrede stellte, daß sie innerhalb der einrechnungssähigen Zeit auch mit dem ledigen Bauern­ sohne Michael Huber geschlechtlich verkehrt hatte, und wissent­ lich dieses falsche Zeugnis mit ihrem Eide bekräftigte. Nach Durchführung der Voruntersuchung beantragte der Staatsanwalt mit Anklageschrift vom 3. November 1925 die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schwurgerichte bei dem Landgerichte Felden wegen eines Verbrechens des Mein­ eids, weiter aber auch auf Grund einer nach Abschluß der Vor­ untersuchung eingelaufenen, von ihm im Wege des Ermitt­ lungsverfahrens behandelten Anzeige wegen eines Verbrechens der Kindstötung nach § 217 StGB., begangen dadurch, daß Alma Fichtner am 23. Juni 1923 ihr zweites uneheliches Kind gleich nach der Geburt vorsätzlich getötet habe. Die Angeklagte gab eine Erklärung auf die Anklageschrift nach deren Zustellung innerhalb der ihr vom Vorsitzenden der Strafkammer bestimm­ ten Frist nicht ab. Die Strafkammer beschloß dem Anträge des Staatsanwalts entsprechend die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schwurgerichte bei dem Landgerichte Felden. 2. In der Hauptverhandlung vom 12. Dezember 1925 blieb der der Angeklagten ursprünglich von Amts wegen beigegebene und dann von ihr mit schriftlicher, dem Gericht eingereichter Vollmacht als Verteidiger aufgestellte Rechtsanwalt Scharf aus, weil er, wie sich erst nach der Verhandlung herausstellte, versehentlich nicht geladen worden war. Auf Vorschlag des Vorsitzenden erklärte sich die Angeklagte

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damit einverstanden, daß der zufällig anwesende und zur sofor­ tigen Übernahme der Verteidigung bereite Rechtsanwalt Weiß ihre Verteidigung übernahm, worauf das Gericht diesen als Verteidiger bestellte.

3. Unmittelbar nach Verlesung des Eröffnungsbeschlusses beantragte der Verteidiger die Aussetzung der Verhandlung und die Verweisung der Sache an das Jugendgericht, weil die Angeklagte zur Zeit der Begehung der ihr zur Last gelegten Verbrechen noch nicht 18 Jahre alt gewesen, also die Zuständig­ keit des Jugendgerichts gegeben sei. Für den Fall, daß diesem Anträge nicht stattgegeben werde, beantragte er die Aussetzung der Hauptverhandlung, weil wegen des Verbrechens der Kindstötung keine Vorunter­ suchung stattgefunden habe. Beide Anträge wurden durch Gerichtsbeschluß als unbe­ gründet zurückgewiesen. 4. Im Laufe der Beweiserhebung stellte der Verteidiger zur Widerlegung einer die Angeklagte belastenden Zeugen­ aussage den Antrag, den Geheimdetektiv Müller in Felden als Zeugen zu vernehmen und ihn sofort herbeiholen zu lassen. Das Gericht gab diesem Anträge mit Beschluß statt. Die Ladung war aber nicht ausführbar, weil Müller geschäftlich — unbekannt wohin und für wie lange — verreist war. Der Verteidiger, vom Vorsitzenden hievon verständigt, gab auf die Mitteilung keine Erklärung ab. Die Vernehmung des Müller unterblieb. 5. Sodann wurde der Zeuge Erhard Gruber (unter Aus­ setzung der Beeidigung) vernommen, der während der zweiten Schwangerschaft der Angeklagten ohne ihr Wissen und Wollen versucht haben sollte, ihr die Leibesfrucht vorsätzlich abzu­ treiben. Hierüber verweigerte Gruber die Aussage; im übrigen sagte er aus. Der Verteidiger widersprach der nachträglichen Beeidigung dieses Zeugen; Gruber sei als Teilnehmer an der Kindstötung anzusehen, weil er ebenso wie die Angeklagte von der Absicht geleitet worden sei, die Folgen der Schwängerung zu beseiti­ gen. Das Gericht beschloß die Beeidigung des Zeugen und Gerlach, Texte zu 10 Ausgaben zum StPR.

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Gruber leistete dann auch den Zeugeneid in der vorgeschrie­ benen Form. 6. Die Angeklagte begann nun über das Gericht zu schmähen und ließ sich trotz allen Bemühungen des Vorsitzenden nicht zur Ruhe bringen, sodaß sich dieser veranlaßt sah, sie zeitweise aus dem Sitzungssaal entfernen zu lassen. Als sie nach einge­ tretener Beruhigung in den Sitzungssaal zurückkam, wurde sie vom Vorsitzenden von dem wesentlichen Inhalte dessen unter­ richtet, was während ihrer Abwesenheit von den inzwischen vernommenen Zeugen ausgesagt worden war. Nun beschwerte sie sich darüber, daß sie verhindert gewesen sei, an diese Zeugen Fragen zu stellen, und beantragte, um die Fragen nachholen zu können, die nochmalige Ladung der in Betracht kommenden, inzwischen entlassenen Zeugen. Dieser Antrag wurde durch Gerichtsbeschluß abgelehnt. 7. Hierauf stellte der Staatsanwalt den Antrag, die Aussage des schon in der Voruntersuchung vernommenen und in der Anklageschrift benannten Zeugen Karl Werner zu verlesen, der in der Zwischenzeit in eine Irrenanstalt hatte verbracht werden müssen. Auch dieser Antrag wurde beschlußmäßig abgelehnt, weil der Zeuge, wie ein Aktenvermerk des Unter­ suchungsrichters dartue, schon zur Zeit seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter geisteskrank gewesen sei. 8. Sodann wurde ein polizeiliches Protokoll über ein Verhör der Angeklagten verlesen und weiter ein Schulzeugnis der Angeklagten, das die Bemerkung enthielt, daß sie eine ver­ logene, hinterlistige Person zu sein scheine. Die Angeklagte gab zu, daß ihr das verlesene polizeiliche Protokoll im Anschluß an das polizeiliche Verhör vorgelesen, von ihr auch genehmigt und unterschrieben worden sei, behaup­ tete aber, nicht mehr zu wissen, ob sie die Erklärung, so wie sie laute, abgegeben habe. Das verlesene Protokoll wurde zur Begründung des Urteils verwendet, ebenso das Schulzeugnis. 9. Nachdem dann noch der Zeuge Michael Huber vernommen worden war und zwar unbeeidigt, weil er, wie der Vorsitzende bemerkte, der Teilnahme an dem der Angeklagten zur Last liegenden Verbrechen des Meineids durch Anstiftung verdächtig sei, wurde die Beweisaufnahme geschlossen und erhielten der

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Staatsanwalt, der Verteidiger und die Angeklagte das Wort. Der Verteidiger beantragte am Schlüsse seiner Ausführungen die Freisprechung.der Angeklagten, allenfalls die nachträgliche Beeidigung des Zeugen Michael Huber. Hiezu wurde vom Vorsitzenden bei der Eröffnung der Gründe des die Angeklagte wegen der beiden Verbrechen verurteilenden Erkenntnisses und in der schriftlichen Begründung des Urteils ausgeführt, daß und warum Huber der Teilnahme verdächtig sei. Gegen das schwurgerichtliche Urteil legte der Verteidiger Revision ein.

Es ist zu prüfen, ob und inwieweit die Revision mit der Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren gerecht­ fertigt werden kann oder nicht. Die Stellungnahme ist unter Anführung der gesetzlichen Vorschriften zu begründen.

Staatsprüfung 1924 Mai, 1.10. Aktenstücke im Strafverfahren gegen die Milchhändlerin Barbara Gmeinwieser von Klarbach wegen Urkundenfälschung u. a., Akten der Strafkammer des bayerischen Landgerichts Klarbach, Proz.-Reg. 158/24.

Aktenstück 1. Gegenwärtig:

1. Der Vorsitzende LG.-Direktor Faltenhauser, 2. die Beisitzer a) LGR. Dr. Kraus, b) LGR. Waldmann, 3. die Schöffen: Seemüller, Bruckner, 4. der Staatsanwalt Tüchtig, 5. der stellv. Protokollführer Referendar Dr. Grimm.

Staatsprüfung 1924 Mai, I. 10.

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Staatsanwalt, der Verteidiger und die Angeklagte das Wort. Der Verteidiger beantragte am Schlüsse seiner Ausführungen die Freisprechung.der Angeklagten, allenfalls die nachträgliche Beeidigung des Zeugen Michael Huber. Hiezu wurde vom Vorsitzenden bei der Eröffnung der Gründe des die Angeklagte wegen der beiden Verbrechen verurteilenden Erkenntnisses und in der schriftlichen Begründung des Urteils ausgeführt, daß und warum Huber der Teilnahme verdächtig sei. Gegen das schwurgerichtliche Urteil legte der Verteidiger Revision ein.

Es ist zu prüfen, ob und inwieweit die Revision mit der Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren gerecht­ fertigt werden kann oder nicht. Die Stellungnahme ist unter Anführung der gesetzlichen Vorschriften zu begründen.

Staatsprüfung 1924 Mai, 1.10. Aktenstücke im Strafverfahren gegen die Milchhändlerin Barbara Gmeinwieser von Klarbach wegen Urkundenfälschung u. a., Akten der Strafkammer des bayerischen Landgerichts Klarbach, Proz.-Reg. 158/24.

Aktenstück 1. Gegenwärtig:

1. Der Vorsitzende LG.-Direktor Faltenhauser, 2. die Beisitzer a) LGR. Dr. Kraus, b) LGR. Waldmann, 3. die Schöffen: Seemüller, Bruckner, 4. der Staatsanwalt Tüchtig, 5. der stellv. Protokollführer Referendar Dr. Grimm.

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Protokoll, geführt in der Sitzung der Strafkammer des Landgerichts Klarbach am Donnerstag, den 27. Dezember 1924. Zur Berufungsverhandlung int Strafverfahren gegen die Milchhändlerin Barbara Gmeinwieser von Klarbach wegen Urkundenfälschung u. a. war nach Aufruf der Sache die Ange­ klagte persönlich erschienen. Die vorgeladenen Zeugen wurden aufgerufen, in ange­ messener Weise auf die Bedeutung des Eides hingewiesen und sodann aus dem Sitzungssaal entlassen. Über ihre persönlichen Verhältnisse vernommen, erllärte die Angeklagte: Barbara Gmeinwieser, geb. am 10. Februar 1876 zu Traun­ stein als uneheliches Kind der Dienstmagd Bilhildis Gmein­ wieser, ledige Milchhändlerin in Klarbach, ohne Vorstrafen. Der Vorsitzende stellte fest, daß die Strafliste keinen Eintrag enthält. Hierauf wurde das Urteil des ersten Rechtszuges verlesen und von LGR. Dr. Kraus Bericht erstattet. Die Angeklagte äußerte sich zur Beschuldigung. Alsdann wurde in die Beweisaufnahme eingetreten und die Zeugen, jeder gesetzlich beeidigt, vernommen: 1. Wenz Georg, 27 Jahre alt, verheirateter Fabrikarbeiter in Dortmund, ohne Beziehungen. Der Zeuge erklärte sich zur Sache.

2. Hasler Sebastian, 31 Jahre alt, lediger Kriminalassistent in Klarbach, ohne Beziehungen. Der Zeuge erllärte sich zur Sache. Die §§ 59 Abs. I und 257 StPO, wurden beachtet. Die Angellagte stellte den Antrag, den Ausgeher Josef Kurz von Klarbach als Zeugen darüber zu vernehmen, daß der Fabrikarbeiter Ludwig Hofmann im September 1923 in Elberfeld die Geige des Wenz im Besitz gehabt und auf ihr gespielt habe. Der Staatsanwalt trat diesem Anträge entgegen.

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Nachdem das Gericht sich beraten hatte, verkündete der Vorsitzende folgenden Beschluß:

Der Antrag wird abgelehnt, da die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt werden. Die Beweisaufnahme wurde geschlossen. Der Vorsitzende erteilte dem Staatsanwalt und der Ange­ klagten zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Der Staatsanwalt beantragte, das freisprechende Urteil des erweiterten Schöffengerichts Klarbach aufzuheben und die Angeklagte wegen eines Vergehens der Unterschlagung zur Gefängnisstrafe von 2 Monaten und wegen eines Ver­ brechens der Privaturkundenfälschung in Tateinheit mit einem Vergehen des Betrugs ebenfalls zur Gefängnisstrafe von 2 Monaten zu verurteilen und beide Einzelstrafen auf eine Gesamtgefängnisstrafe von 3 Monaten zurückzuführen. Ferner beantragte er, der Angeklagten die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen. Die Angeklagte wiederholte ihren Antrag auf Vernehmung des Josef Kurz; vorsorglich bat sie um Verwerfung der staatsanwaltschaftlichen Berufung und Freisprechung oder um mil­ dernde Umstände. Die Angeklagte hatte das letzte Wort. Nach Beratung des Gerichts verkündete der Vorsitzende unter Bekanntgabe der Gründe folgendes

Urteil: Das Urteil des Schöffengerichts Klarbach vom 3. November 1924 wird aufgehoben. Barbara Gmeinwieser, geb. am 10. Februar 1876 zu Traunstein als uneheliches Kind der Dienstmagd Bilhildis Gmeinwieser, ledige Milchhändlerin in Klarbach, ist schuldig eines Vergehens der Unterschlagung und eines Verbrechens der Privaturkundenfälschung in Tateinheit mit einem Ver­ gehen des Betrugs und wird deshalb zu einer Gesamtstrafe von zwei Monaten Gefängnis sowie zu den Kosten verurteilt.

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Der Staatsanwalt beantragte darauf, die Angeklagte wegen Ungebühr in eine Geldstrafe von 50 Reichsmark zu nehmen. Nachdem das Gericht sich beraten hatte, verkündete der Vorsitzende folgenden

Beschluß: Gegen die Angeklagte wird wegen Ungebühr in der öffent­ lichen Sitzung eine Ordnungsstrafe von fünfzig Reichsmark, ersatzweise fünf Tagen Haft, festgesetzt, weil sie nach Verkün­ dung des Urteils laut erklärte, daß sie ein solches Urteil nicht annehmen, und dem Vorsitzenden einen Schriftsatz ostentativ überreichen wollte.

Der Vorsitzende: Faltenhauser.

Der stellv. Protokollführer: Dr. Grimm.

Aktenstück 2. Urteil. Die Strafkammer des Landgerichts Klarbach erkennt in der Strafsache gegen die Milchhändlerin Barbara Gmeinwieser von Klarbach wegen Urkundenfälschung u. a. in öffentlicher Sitzung vom 27. Dezember 1924, an der teilgenommen haben: als Richter: 1. der Vorsitzende LG.-Direktor Faltenhauser, 2. die Beisitzer a) LGR. Dr. Kraus, b) LGR. Waldmann, 3. die Schöffen: Seemüller, Bruckner, als Beamter der Staatsanwaltschaft: der Staatsanwalt Tüchtig, als stellv. Protokollführer: der Referendar Dr. Grimm, zu Recht: Das Urteil des Schöffengerichts Klarbach vom 3. November 1924 wird aufgehoben. Barbara Gmeinwieser, geb. am 10. Februar 1876 zu Traunstein als uneheliches Kind der Dienstmagd Bilhildis

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Gmeinwieser, ledige Milchhändlerin in Klarbach, ist schuldig eines Vergehens der Unterschlagung und eines Verbrechens der Privaturkundenfälschung in Tateinheit mit einem Ver­ gehen des Betrugs und wird deshalb zu einer Gesamtstrafe von zwei Monaten Gefängnis sowie zu den Kosten verurteilt.

Gründe:

Im Frühjahr 1923 begab sich der Fabrikarbeiter Georg Wenz mit seiner Ehefrau Sabine Wenz von Klarbach, seinem Wohnsitz, ins Ruhrgebiet, um dort Arbeit zu suchen. Kurz vor der Abreise, etwa Mitte April 1923, kam er in die Wohnung der Gmeinwieser, seiner Tante, und übergab ihr verschiedene ihm gehörige Sachen mit der Bitte, sie ihm aufzubewahren, bis er nach Klarbach zurückkomme. Darunter befand sich eine alte Geige, die Wenz von seinem Vater geerbt hatte und die im April 1923 mindestens 4000 Jt wert war. Als Wenz die Geige zur Angeklagten brachte, begleitete ihn sein Arbeits­ genosse Ludwig Hofmann, der sich zur Zeit in Elberfeld auf­ halten soll. Die Eheleute Wenz kehrten im Januar 1924 nach Klarbach zurück. Bald darauf erschien Georg Wenz bei der Angeklagten, um seine Sachen wieder abzuholen. Er erhielt auch alles zurück, ausgenommen die Geige. Als er nach dieser fragte, tat die Gmeinwieser erstaunt und entgegnete, sie habe ihm das Instru­ ment doch im Sommer 1923 durch Ludwig Hofmann bringen lassen. Hofmann habe damals bei ihr vorgesprochen und erzählt, er arbeite in Dortmund mit Wenz zusammen, sei jetzt zu kurzem Besuch in Klarbach und solle bei dieser Gelegenheit die Geige für Wenz mitnehmen. Zum Beweis habe er ihr einen von Sabine Wenz geschriebenen Brief ausgehändigt, den sie noch besitze. Georg Wenz erwiderte, daß weder er noch seine Ehefrau dem Hofmann einen solchen Auftrag erteilt und daß er die Geige auch nicht erhalten habe. Darauf erklärte die Angeklagte sofort: „Dann hat der Hofmann halt geschwindelt und den Brief selber geschrieben". Der Brief, den die Gmeinwieser nun dem Wenz vorzeigte, — er befindet sich bei Bl. 3 der Akten und wurde durch Ver-

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lesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht — hat folgenden Wortlaut:

„Dortmund, den 16. Juli 1923. Liebe Mutter Gmeinwieser! Georg bittet Dich, seine Geige dem Herrn Hofmann, den Du ja kennst, mitzugeben. Herr Hofmann will sie uns bringen. Uns geht es gut und wir hoffen von Dir das gleiche. Herzlichen Gruß! Sabine." Die Eheleute Wenz schenkten dem Vorbringen der Ange­ klagten Glauben und erstatteten Strafanzeige gegen Hofmann, dessen Aufenthalt zunächst unbekannt war. Ms aber Hofmann in Elberfeld ermittelt und einvernommen wurde, verteidigte er sich in glaubwürdiger Weise und es lenkte sich nun der Ver­ dacht auf die Angeklagte. Diese hielt bei ihrer ersten Verneh­ mung durch den Zeugen Haller ihre ursprüngliche Darstellung aufrecht. Sie verwickelte sich aber bald in Widersprüche und als ihr Haller am 20. September 1924 nach einer Schriftver­ gleichung auf den Kopf zusagte, daß sie selbst den Brief geschrieben habe, gestand sie wahrheitsgemäß, daß sie im Juli 1923 in Klarbach die Geige an einen Trödler verkauft habe, daß sie dann, um den Wenz zu täuschen, das Märchen von Hof­ mann erfunden und deshalb auch den Brief geschrieben habe. Dieser Sachverhalt wurde durch die Beweisaufnahme fest­ gestellt. In der Hauptverhandlung hat die Angeklagte das Geständnis vom 20. September 1924 widerrufen und ihre ursprüngliche Erzählung wiederholt. Sie behauptet, daß Haller das Geständnis von ihr erpreßt habe, indem er ihr mit Ver­ haftung gedroht habe. Diese Behauptung ist nach dem beeidig­ ten und voll glaubwürdigen Zeugnis des Haller unwahr. Auch besteht nach den vorliegenden Schriftproben für das Gericht nicht der geringste Zweifel, daß den Brief vom 16. Juli 1923 die Angeklagte geschrieben hat. Derselben Ansicht ist übrigens der Schriftsachverständige Oberlehrer Zitterlein, der im Er­ mittelungsverfahren ein Gutachten erstattet hat (Bl. 17 ff. der Akten). Wenn die Angeklagte behauptet und unter Beweis gestellt hat, daß Ludwig Hofmann im September 1923 eine Geige besessen und auf ihr gespielt habe, so ist das unter den

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obwaltenden Umständen völlig belanglos; es war dies dann eben eine andere Geige. Die Angeklagte hat also die Geige des Wenz, eine fremde, bewegliche Sache, die sie in Besitz hatte und die ihr anvertraut war, sich rechtswidrig zugeeignet, indem sie sie an einen Trödler veräußerte; sie hat damit ein Vergehen der erschwerten Unterschlagung nach § 246 StGB, verübt. Ferner hat sie den mit „Sabine" unterzeichneten Brief vom 16. Juli 1923, der den Anschein erweckt und erwecken soll, als ob er von der Ehefrau Wenz herrühre, fälschlich angefertigt. Dieser Brief liefert im Falle der Echtheit Beweis dafür, daß Ludwig Hofmann beauftragt und ermächtigt war, die von Georg Wenz in Verwahrung gegebene Geige für diesen in Empfang zu nehmen; er ist also eine beweiserhebliche Privaturkunde. Von der falschen Urkunde hat die Angeklagte gegenüber Georg Wenz zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch gemacht. Das darnach vorliegende Vergehen der Urkundenfälschung nach § 267 StGB, steigert sich hier zu einem Verbrechen der gewinn­ süchtigen Privaturkundenfälschung im Sinne des § 268 Abs.1 Nr. 1 StGB., denn der Angeklagten war es darum zu tun, sich mittels der Fälschung im Besitze des Vermögensvorteils zu erhalten, den sie durch die Unterschlagung erlangt hatte. Dies war auch ihre Absicht, als sie weiterhin den Zeugen Wenz durch Täuschung dazu bestimmte, den Herausgabe- und Schadensersatzanspruch, der ihm auf Grund des Verwahrungs­ vertrags und aus Grund unerlaubter Handlung zustand, nicht gegen sie geltend zu machen; auf diese Weise wurde die Ver­ mögenslage des Wenz verschlechtert oder zum mindesten gefährdet. Auf den erstrebten Vermögensvorteil hatte die Angeklagte kein Recht. Sie war deshalb auch eines Vergehens des Betrugs schuldig zu sprechen, das mit dem Verbrechen der Urkundenfälschung rechtlich zusammentrifft." Beim Strafausmaß kam strafmindernd in Betracht die bisherige Straflosigkeit der Angeklagten. Diese rechtfertigte auch die Annahme mildernder Umstände hinsichtlich des Ver­ brechens. Strafmehrend wirkte, daß die Angeklagte eine große Durchtriebenheit gezeigt, in der Hauptverhandlung trotz aller Überführungsgründe geleugnet und sogar einen Unschuldigen

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bezichtigt hat und daß sie kein Bedenken getragen hat, sich an der Habe des Sohnes ihrer eigenen Schwester zu vergreifen, der in dürftigen Verhältnissen lebt. Angemessen erschien daher für das Vergehen der Unterschlagung eine Gefängnisstrafe von 1 Monat und für das Verbrechen der Urkundenfälschung und das Vergehen des Betruges eine gemäß § 73 aus § 268 StGB, zu schöpfende Gefängnisstrafe von 1 Monat 15 Tagen. Aus beiden Einzelstrafen war nach § 74 eine Gesamtstrafe zu bilden; entsprechend erschien eine solche von 8 Wochen. Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf §§ 464, 465 StPO. Faltenhauser. Dr. Kraus. Waldmann. Noch am 27. Dezember 1924 erschien die Angeklagte auf der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. Findig in Klarbach und erklärte, daß sie sich weder bei dem Urteil noch bei dem Straf­ beschluß beruhigen wolle. Sie bestellte den Rechtsanwalt als Verteidiger und Zustellungsbevollmächtigten. RA. Dr. Findig ersuchte sogleich um eine Abschrift des Urteils und des Sitzungs­ protokolles. Beides wurde ihm am 29. Dezember 1924 zu­ gestellt. Die Rechtsmittelschriften sind zu entwerfen und unter Wür­ digung aller rechtlichen Gesichtspunkte eingehend zu begründen.

Staatsprüfung 1924 November, 1.10. I.

Die Arbeitersfrau Anna Maier in München und ihre Tochter, die Schlossersfrau Elise Weiß in München, wurden durch Urteil des Amtsgerichts München vom 1. Juli 1924 je wegen eines gemeinschaftlich ausgeführten Vergehens des Diebstahls je zur Gefängnisstrafe von 6 Monaten verurteilt. Beide legten — frist- und formgerecht — gegen das Urteil unbeschränkt Berufung ein, nach wie vor ihre völlige Unschuld beteuernd.

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bezichtigt hat und daß sie kein Bedenken getragen hat, sich an der Habe des Sohnes ihrer eigenen Schwester zu vergreifen, der in dürftigen Verhältnissen lebt. Angemessen erschien daher für das Vergehen der Unterschlagung eine Gefängnisstrafe von 1 Monat und für das Verbrechen der Urkundenfälschung und das Vergehen des Betruges eine gemäß § 73 aus § 268 StGB, zu schöpfende Gefängnisstrafe von 1 Monat 15 Tagen. Aus beiden Einzelstrafen war nach § 74 eine Gesamtstrafe zu bilden; entsprechend erschien eine solche von 8 Wochen. Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf §§ 464, 465 StPO. Faltenhauser. Dr. Kraus. Waldmann. Noch am 27. Dezember 1924 erschien die Angeklagte auf der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. Findig in Klarbach und erklärte, daß sie sich weder bei dem Urteil noch bei dem Straf­ beschluß beruhigen wolle. Sie bestellte den Rechtsanwalt als Verteidiger und Zustellungsbevollmächtigten. RA. Dr. Findig ersuchte sogleich um eine Abschrift des Urteils und des Sitzungs­ protokolles. Beides wurde ihm am 29. Dezember 1924 zu­ gestellt. Die Rechtsmittelschriften sind zu entwerfen und unter Wür­ digung aller rechtlichen Gesichtspunkte eingehend zu begründen.

Staatsprüfung 1924 November, 1.10. I.

Die Arbeitersfrau Anna Maier in München und ihre Tochter, die Schlossersfrau Elise Weiß in München, wurden durch Urteil des Amtsgerichts München vom 1. Juli 1924 je wegen eines gemeinschaftlich ausgeführten Vergehens des Diebstahls je zur Gefängnisstrafe von 6 Monaten verurteilt. Beide legten — frist- und formgerecht — gegen das Urteil unbeschränkt Berufung ein, nach wie vor ihre völlige Unschuld beteuernd.

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Zur Verhandlung über die Berufungen wurde Termin vor der kleinen I. Strafkammer des Landgerichts München I auf Montag 22. September 1924, vormittags 9 Uhr anberaumt. Jede der Angeklagten wurde hiezu am 1. September 1924 ordnungsgemäß geladen unter folgender Eröffnung: Ihre Berufung wird sofort verworfen werden, sofern Sie bei dem Beginn der Hauptverhandlung nicht erscheinen werden und Ihr Ausbleiben nicht genügend entschuldigt sein wird. Am 22. September 1924 hatte sich bei Aufruf der Sache die Angeklagte Maier vor der kleinen I. Strafkammer des Landgerichts München I eingefunden, die Angeklagte Weiß war nicht erschienen. Maier erklärte auf Befragen des Vor­ sitzenden, die Angeklagte Weiß, ihre Tochter, sei seit einigen Tagen krank und bettlägerig; sie legte ein ärztliches Zeugnis vor, worin ihre Erklärung bestätigt wurde. Der Staatsanwalt äußerte, daß die Verhandlung gegen Weiß ausgesetzt werden müsse; dagegen sei es zweckmäßig, gegen Maier zu verhandeln, weil mehrere Zeugen geladen und erschienen seien. Maier, eine aufgeregte und leidenschaftliche Frau, erklärte darauf sofort: „Da müßte ich doch auch einverstanden sein. Es fällt mir gar nicht ein, mich in Abwesenheit meiner Tochter verhan­ deln zu lassen. Das kann ich in meinem eigenen Interesse und meiner Tochter wegen nicht zulassen. Ich habe meine Tochter entschuldigt und gehe nun fort." Als ihr der Vorsitzende eröffnete, daß im Falle ihres Weg­ gehens ihre Berufung sofort verworfen werden müsse, verließ sie mit den Worten „das wäre noch schöner" den Sitzungssaal. Der Vorsitzende rief sodann die geladenen Zeugen auf, die sich sämtlich eingefunden hatten, verlas die Ladung der Ange­ klagten Maier und stellte die ordnungsmäßige Zustellung der Ladung fest. Entsprechend den Anträgen des Staatsanwalts beschloß die Strafkammer Aussetzung der Verhandlung gegen die Angeklagte Weiß und erließ Urteil, wodurch die Berufung der Angeklagten Maier sofort kostenfällig verworfen wurde. In den Gründen des Urteils wurde obiger Sachverhalt ge­ schildert und weiter ausgeführt:

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Beim Beginn der Hauptverhandlung war die Angeklagte nicht erschienen; sie hatte schon vorher den Sitzungssaal verlassen. Das Ausbleiben der Angeklagten Maier zu Beginn der Hauptverhandlung ist in keiner Weise entschuldigt. Gemäß §§ 329 Abs. I, 473 Abs. I Satz 1 StPO, mußte daher erkannt werden wie geschehen. Nachdem der Angeklagten Maier dieses Urteil am 1. Oktober 1924 zugestellt worden war, erklärte sie am 4. Oktober 1924 zu Protokoll des Gerichtsschreibers bei dem Landgerichte München I: Gegen das Urteil der I. Strafkammer des Landgerichts München I vom 22. September 1924 beantrage ich Wieder­ einsetzung in den vorigen Stand. Die Erkrankung und Bett­ lägerigkeit meiner Tochter, die ich schon am 22. September 1924 durch ärztliches Zeugnis glaubhaft machte, war ein unabwendbarer Zufall. Da ich selbst und meine Tochter eines gemeinschaftlich verübten Diebstahls angeklagt, aber un­ schuldig sind, konnte mir nicht zugemutet werden, mich allein in Abwesenheit meiner Tochter verhandeln zu lassen. Deren Angaben sind zu meiner Verteidigung erforderlich, wie auch meine eigenen Angaben ihrer Verteidigung dienlich er­ scheinen. Ich mußte mich auch möglichst bald entfernen, um rasch wieder nach Hause zu kommen; denn meine kranke Tochter bedurfte dringend meiner Pflege. Vorsorglich lege ich gegen das bezeichnete Urteil das Rechtsmittel der Revision ein. Die Strafkammer hat gegen die Vorschrift des § 329 Abs. I StPO, verstoßen: Das Sitzungsprotokoll ergibt, daß ich bei Aufruf der Sache am 22. September 1924 vor dem Berufungsgericht erschienen war; meine Berufung durfte daher nicht sofort verworfen werden. Ich beantrage Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die I. Strafkammer des Landgerichts München I verwarf durch Beschluß vom 11. Oktober 1924 das Gesuch um Wieder­ einsetzung in den vorigen Stand als unbegründet. Durch polizeiliche Ermittlungen war festgestellt worden, daß am 22. September 1924 eine im Hause der beiden Angellagten wohnende Krankenschwester vor dem Weggang der Maier zum Gericht auf deren Ersuchen die Pflege der erkrankten Weiß

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übernommen hatte. Nach Annahme der Strafkammer war Maier an jenem Tage keineswegs durch einen unabwendbaren Zufall verhindert, im Sitzungssaal zu bleiben und beim Beginn der Hauptverhandlung anwesend zu sein; sie habe sich vielmehr nur aus Eigensinn wieder entfernt. Gegen den am 15. Oktober 1924 zugestellten Beschluß vom 11. Oktober 1924 legte Maier Beschwerde ein mit einem Briefe, der am 18. Oktober 1924 dem Landgerichte München I zuging. Wie wird das zuständige Gericht entscheiden? Die Antwort ist zu begründen. II. Im Hause des verwitweten Bauern Johann Bichl in Einöd, Gemeinde Langendorf, erkrankten am 11. Januar 1924 der 5jährige Sohn Franz des Johann Bichl und der betagte Aus­ trägler Mkolaus Huber, der Schwiegervater des Johann Bichl, an Vergiftung durch Kohlenoxydgas, das infolge unvorsich­ tigen Schließens der Ofenllappe aus dem Ofen in ihr Schlaf­ zimmer eingedrungen war. Am Vormittag des 13. Januar 1924, eines Sonntags, starb um 9 Uhr Franz Bichl, um 10 Uhr Nikolaus Huber. Zur Zeit des Todes der beiden war nur Johann Bichl und die seit vielen Jahren aus dem Anwesen bedienstete Magd Ursula Leicht im Hause; die übrigen Dienst­ boten waren in der Kirche. Johann Bichl wußte, daß sein Schwiegervater ein Testament nicht hinterlassen hatte. Um dessen Erbschaft für sich zu ge­ winnen und sie dem gesetzlichen Erben, einem Bruder des Verstorbenen, dem Bauern Lader Huber in Kreuth, zu ent­ ziehen, wollte er den Anschein erwecken, als ob sein Sohn Franz erst um 1012 Uhr vormittags gestorben und daher Erbe des Nikolaus Huber geworden sei. Ursula Leicht, die er in seinen Plan einweihte, sagte ihm ihre Hilfe zu; sie versprach auf seine Bitte, den Dienstboten und dem Lader Huber zu sagen, daß Franz Bichl um 10V2 Uhr, nach dem Tode des Nikolaus Huber, verschieden sei. So erzählte sie es auch alsbald den vom Kirchgang heimgekehrten Dienstboten. Am nächsten Tage suchte Johann Bichl seinen Bruder auf, den Bauern Bartholomäus Bichl in Langendorf, der das Amt

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Staatsprüfung 1923 Mai, I. 9.

des Bürgermeisters und des Standesbeamten bekleidete. Er teilte diesem die wahre Sachlage mit, setzte ihn von seinem Vorhaben in Kenntnis und ersuchte auch ihn um seine Hilfe: Bartholomäus Bichl brauche ja nur auf Grund seiner Angaben im Sterberegister vermerken, daß Franz Bichl vormittags um 101/2 Uhr gestorben sei. Bartholomäus Bichl war ärgerlich darüber, daß die Erbschaft dem Xaver Huber zufalle, dem er nicht zugetan war. Während er aber auf Grund der Angaben seines Bruders den Todesfall des Nikolaus Huber in das standesamtliche Sterberegister eintrug, wurde er bedenklich. Er machte seinem Bruder Vorstellungen. Seinem Zureden gelang es, zu bewirken, daß Johann Bichl sein Vorhaben aufgab. Die beiden Todesfälle wurden der Wahrheit ent­ sprechend im Sterberegister beurkundet. Um die gleiche Zeit hatte sich Xaver Huber in das Anwesen des Johann Bichl begeben, um Erkundigungen über das Ableben seines Bruders Nikolaus einzuziehen, wovon er er­ fahren hatte, und um sich zu vergewissern, ob sein Bruder ein Testament hinterlassen hätte. Ursula Leicht, an die ihn die Dienstboten des Johann Bichl verwiesen, versicherte ihm, daß Nikolaus Huber ohne Testament vor seinem Enkel ver­ schieden sei.

Das Verhalten des Johann Bichl, des Bartholomäus Bichl und der Ursula Leicht ist strafrechtlich zu würdigen. Wie würde es gewürdigt werden müssen, wenn Barth. Bichl sich auf das Ansinnen des Johann Bichl eingelassen hätte?

Staatsprüfung 1923 Mai, I. 9. Aus den Akten des Amtsgerichts Heldburg, bett, das Straf­ verfahren gegen den Metzgergehilfen Karl Kräftig von Held­ burg und 1 Gen., wegen Diebstahls u. a.

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des Bürgermeisters und des Standesbeamten bekleidete. Er teilte diesem die wahre Sachlage mit, setzte ihn von seinem Vorhaben in Kenntnis und ersuchte auch ihn um seine Hilfe: Bartholomäus Bichl brauche ja nur auf Grund seiner Angaben im Sterberegister vermerken, daß Franz Bichl vormittags um 101/2 Uhr gestorben sei. Bartholomäus Bichl war ärgerlich darüber, daß die Erbschaft dem Xaver Huber zufalle, dem er nicht zugetan war. Während er aber auf Grund der Angaben seines Bruders den Todesfall des Nikolaus Huber in das standesamtliche Sterberegister eintrug, wurde er bedenklich. Er machte seinem Bruder Vorstellungen. Seinem Zureden gelang es, zu bewirken, daß Johann Bichl sein Vorhaben aufgab. Die beiden Todesfälle wurden der Wahrheit ent­ sprechend im Sterberegister beurkundet. Um die gleiche Zeit hatte sich Xaver Huber in das Anwesen des Johann Bichl begeben, um Erkundigungen über das Ableben seines Bruders Nikolaus einzuziehen, wovon er er­ fahren hatte, und um sich zu vergewissern, ob sein Bruder ein Testament hinterlassen hätte. Ursula Leicht, an die ihn die Dienstboten des Johann Bichl verwiesen, versicherte ihm, daß Nikolaus Huber ohne Testament vor seinem Enkel ver­ schieden sei.

Das Verhalten des Johann Bichl, des Bartholomäus Bichl und der Ursula Leicht ist strafrechtlich zu würdigen. Wie würde es gewürdigt werden müssen, wenn Barth. Bichl sich auf das Ansinnen des Johann Bichl eingelassen hätte?

Staatsprüfung 1923 Mai, I. 9. Aus den Akten des Amtsgerichts Heldburg, bett, das Straf­ verfahren gegen den Metzgergehilfen Karl Kräftig von Held­ burg und 1 Gen., wegen Diebstahls u. a.

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1. Aktenstück.

A. V. Nr. 385/22.

Urteil. Das Schöffengericht am Amtsgericht Heldburg erkennt in dem Strafverfahren gegen den Metzgergehilfen Karl Kräftig von Heldburg und 1 Genossen wegen Diebstahls u. a. in der öffentlichen Sitzung vom 4. April 1923 in Gegenwart 1. des Amtsrichters Alt, 2. der Schöffen: a) Eduard Mohr, Agent in Rebstadt, b) August Weiß, Maschinenführer in Heldburg, 3. des Amtsanwalts Scharf, 4. des Gerichtsschreibers Obersekretär Freitag, auf Grund der Hauptverhandlung zu Recht: I. 1. Karl Kräftig, geboren 18. Juli 1906 in Walddorf, lediger Metzgergehilfe in Heldburg, 2. Wilhelm Wunder, geb. 2. Februar 1907 in Unterhausen, lediger Metzgerlehrling in Heldburg, sind schuldig und zwar Karl Kräftig eines Vergehens des Diebstahls, Wilhelm Wunder eines Vergehens der gefährlichen Körperverletzung. Hierwegen werden beide zu Gefäng­ nisstrafen von je 3 Monaten und zur Tragung der Kosten des Verfahrens und der Strafvollstreckung verurteilt. II. Wilhelm Wunder wird von der Anklage wegen eines Ver­ gehens des Diebstahls unter Überbürdung der hierher tref­ fenden Kosten des Verfahrens auf die Staatskasse freige­ sprochen. Gründe:

In der Hauptverhandlung wurde folgendes festgestellt: 1. Am 15. Dezember 1922 wollte die Metzgermeistersfrau Amalie Selcher in Heldburg aus der Vorratskammer einen Schinken und Mettwürste holen. Da sie die Bestände erst am Abend vorher genau durchgesehen hatte, fiel ihr auf, daß ein Schinken im Gewicht von etwa 8 Pfund und ungefähr 6 kleine Mettwürste fehlten. Auf ihr Befragen erklärte ihr Ehemann Joseph, daß er in der Zwischenzeit nichts davon verkauft habe.

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Die Dienstmagd war seit mehreren Tagen im Krankenhaus, eine fremde Person konnte ohne Einbruch nicht in die Kammer gelangen; Spuren eines Einbruchs waren nicht sichtbar. Amalie Selcher faßte daher Verdacht gegen die beiden Ange­ klagten, die im Geschäft angestellt waren. Kräftig führte ein lockeres Leben und hatte gewöhnlich schon bald seinen Wochen­ lohn verbraucht; Wunder war wiederholt auf unbedeutenden Entwendungen ertappt worden. Beide beteuerten auf Vor­ behalt zunächst ihre Unschuld, nach einigem Besinnen gab aber Kräftig zu, 6 Mettwürste weggenommen zu haben; über ihre Verwertung verweigerte er jede Auskunft. Als am folgenden Tage — 16. Dezember — der Schutz­ mann Otto Wichtig im Laden einen Einkauf machte, rief ihn Amalie Selcher in das Nebenzimmer und erstattete gegen die beiden Angeklagten Strafanzeige; in Abwesenheit ihres Mannes, der an diesem Morgen wegen einer Erbschaftsange­ legenheit nach München gefahren war, unterzeichnete sie den ihr vom Schutzmann vorgelegten Strafantrag. Auch heute will Kräftig von der Entwendung des Schinkens nichts wissen, während er die Wegnahme der Mettwürste wieder zugab. Wunder bestritt nach wie vor jede Beteiligung am Diebstahl. Das Gericht ist aber auf Grund der Beweisauf­ nahme, insbesondere der Angaben der Eheleute Selcher über­ zeugt, daß Kräftig nicht nur die Würste, sondern auch den Schinken entwendet hat. Er war stets in Geldverlegenheit und hat offenbar deshalb die gestohlenen Sachen verkauft. Dagegen fehlt es gegenüber Wunder an genügenden Schuldbeweisen; er mußte daher von der Anklage wegen eines Vergehens des Diebstahls freigesprochen werden. Der Wert des Schinkens betrug zur Zeit der Tat über 20000 Jt, der der Würste 1800 jK, es handelte sich also zum mindesten bei dem Schinken nicht um Nahrungsmittel in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte im Sinne des § 370 Nr. 5 StGB., es ist vielmehr ein Vergehen des Dieb­ stahls nach § 242 gegeben. 2. Am 18. Dezember 1922 abends geriet der volljährige Sohn der Eheleute Selcher, Xaver Selcher, mit Wunder auf der Straße vor dem elterlichen Hause in einen Wortwechsel,

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wobei er ihm Beteiligung an dem Diebstahle vorwarf. Als Wunder wild um sich zu schlagen begann, suchte er ihn zu beruhigen. Da ihm dies nicht gelang, ging er in das Haus zurück, Wunder aber, ein großer und kräftiger Bursche, ver­ folgte ihn, warf ihn zu Boden und trat mit seinen genagelten Stiefeln auf ihm herum, bis zu Hilfe gerufene Hausbewohner ihn befreiten. Selcher hatte drei Wochen lang heftige Magen­ schmerzen und konnte während dieser Zeit nur leichte Speisen genießen. Wunder ist geständig. Seine Handlung begründet ein Ver­ gehen der gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223, 223a StGB. 3. Die beiden Angeklagten hatten bei Begehung ihrer Taten das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet. Daß sie damals die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht besaßen, unterliegt nach ihrer geistigen Entwicklung und bei der Einfach­ heit der Straftaten keinem Zweifel (§ 57 StGB.). Sie waren daher schuldig zu sprechen. Bei der Strafausmessung wurde erwogen, daß bei dem Diebstahl ein erheblicher Wert in Frage stand und daß Kräftig seinen Dienstherrn nur bestohlen hat, um einem leichtsinnigen Lebenswandel zu fröhnen. Es erschien daher dem Verschulden des Kräftig trotz seiner Jugend für den Diebstahl eine Gefängnisstrafe von drei Monaten für ange­ messen. Wunder hat zwar gestanden und ist noch sehr jung, allein sein rohes und ungezügeltes Verhalten sowie die schlim­ men Folgen der Mißhandlung rechtfertigen eine strenge Strafe. Deshalb wurden für das Vergehen der gefährlichen Körper­ verletzung ohne Annahme mildernder Umstände 3 Monate Gefängnis als schuldentsprechend befunden.

4. Der Ausspruch im Kostenpunkt beruht auf §§ 496, 497, 498 StPO. Xaver Selcher ist durch Beschluß vom 21. März 1923 als Nebenkläger zugelassen worden, hat aber seinen Antrag auf Zuerkennung einer Buße in der Hauptverhandlung zurückgenommen. Dies hindert nicht, daß Wunder die not­ wendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen hat; eines besonderen Ausspruchs hierüber bedurfte es nicht.

Alt. Gerl ach, Texte zu 10 Aufgaben zum StPR.

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2. Aktenstück. Rechtsanwalt Heinz Dietrich in Heldburg. Betreff: Antrag auf Wiederaufnahme eines Strafverfahrens. Mit 1 Beilage. H. 2. V. 27. Mit Akten an Herrn Amts­ anwalt zur Erklärung. A. G. Alt.

Eingel. 2. V. 27. B.

Heldburg, 2. Mai 1927.

Durch Urteil des Schöffengerichts Heldburg vom 4. April 1923 ist der Metzgergehilfe Karl Kräftig hier wegen eines Vergehens des Diebstahls zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Mein Hilfsarbeiter Referendar Stroh, der den Ange­ klagten auf Grund einer Untervollmacht in der Hauptverhand­ lung verteidigte, hat den Antrag zur Einlegung der Berufung aus Vergeßlichkeit nicht ausgeführt. Ich beantrage nunmehr, namens des Angeklagten das Verfahren wieder aufzunehmen und begründe den Antrag wie folgt: 1. Diebstahl des Schinkens. Der Angeklagte kann nunmehr den Beweis erbringen, daß Joseph Selcher selbst den Schinken beiseite geschafft und daher einen Meineid geleistet hat. Joseph Selcher unterhielt ein Liebesverhältnis mit der ledigen Rosine Schön, die früher in seinem Geschäfte Ladnerin war und seit November 1922 bei ihren Eltern in München wohnt. Die Familie Schön genießt keinen guten Ruf. Eine Erbschaftsangelegenheit, die Selcher in München zu erledigen hatte, gab ihm Anlaß, öfters seine Geliebte zu besuchen und hiebei ihr und ihren Eltern Fleisch und Wurstwaren mitzubringen. So hat er auch am 16. Dezem­ ber 1922 den tags vorher aus der Vorratskammer genommenen Schinken mit nach München gebracht. Hiefür benenne ich als Zeugen: 1. Ladnerin Rosine Schön in München, Schwerdtleinstraße 34, 2. Händlersfrau Martha Schön daselbst. Der Angeklagte hatte auch von Rosine Schön, die von Selcher nichts mehr wissen will, den abschriftlich anliegenden

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Brief erhalten; aus ihm geht hervor, daß sich Selcher recht­ zeitig in Sicherheit gebracht hat. Der Angeklagte muß daher nach § 359 Nr. 2 und 5 StPO, freigesprochen werden. 2. Diebstahl der Mettwürste. Diese Handlung hat der Angeklagte dem Schutzmann sofort zugestanden. Der Schutzmann hat hiewegen eine gesonderte Anzeige an den Amtsanwalt erstattet; offenbar glaubte er, daß diese Sache wegen des Geständnisses durch Strafbefehl erledigt werden könne. Wie ich vor kurzem erfuhr, hat der Amtsanwalt auch beim Amtsgerichte beantragt, gegen Kräftig wegen einer Übertretung nach § 370 Nr. 5 StGB, durch Straf­ befehl eine Haftstrafe von 8 Tagen festzusetzen. Das Amtsge­ richt hat den Antrag abgelehnt, weil es den von Frau Selcher unterzeichneten Strafantrag nicht für genügend hielt. Hiebei hat sich der Amtsanwalt beruhigt. Unbegreiflicherweise ist dann die Entwendung der Mett­ würste noch einmal in die spätere Anzeige wegen der anderen strafbaren Handlungen einbezogen worden. Der Angeklagte hätte also freigesprochen werden müssen, obwohl er in der schöffengerichtlichen Verhandlung gestanden hat. Auch hie­ wegen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 Nr. 5 StPO, veranlaßt. Beweismittel: 1. Akten betr. den Antrag auf Strafbefehl gegen Karl Kräftig wegen Entwendung von Nahrungsmitteln; 2. Zeugen: a) Schutzmann Otto Wichtig, hier, b) Amtsanwalt Scharf, hier. Dietrich, Rechtsanwalt. 3. Aktenstück. Beilage zum Antrag vom 2. Mai 1927. Abschrift. Metz, 17. April 1927. Meine liebe Rosi! Ich bin noch immer in Metz und warte mit Sehnsucht auf Nachrichten. Mit meiner Familie ist es Schluß, wenn ich Dich 5»

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nur habe. Erkundige Dich doch bei der Polizei oder einem Anwalt, ob man wegen der Geschichte ausgeliefert werden kann. Wegen eines solchen Gelumps lasse ich mich nicht ein­ sperren. Schau, daß Du bald nachkommst, wir sind nicht ver­ loren. Meine Adresse ist noch die gleiche. Mit vielen Grüßen und Küssen.

Dein lieber Sepp.

Zur Beglaubigung. Dietrich, Rechtsanwalt. 4. Aktenstück.

Geschäftsstelle des Amtsgerichts Heldburg.

Heldburg, 7. Mai 1927.

Bor dem unterfertigten Urkundsbeamten findet sich ein: Schuhmacher Daniel Borndran in Heldburg und bringt vor: Ich bin der Vormund des Metzgerlehrlings Wilhelm Wun­ der, der durch Urteil des Schöffengerichts Heldburg am 4. April 1923 wegen Körperverletzung mit 3 Monaten Gefäng­ nis bestraft worden ist. Bei der Verhandlung war ich im Zuhörerraum. Während einer Pause hörte ich auf dem Gang vor dem Sitzungssaal, wie der Schöffe Eduard Mohr zu dem Zeugen Xaver Selcher sagte: „Sie können sich darauf verlassen, den zwei Burschen werden wirs gründlich besorgen." Ich sah auch, wie Mohr eine Zigarette einsteckte, die ihm Selcher gege­ ben hatte. Als ich vorgestern abends in einer Wirtschaft davon erzählte, sagte mir ein Freund, der Rechtsagent Findig: „Wenn das bekannt wird, kommt dieser Mohr wegen Richter­ bestechung ins Zuchthaus und die zwei Metzger werden frei." Ich ging nun gestern zur Gendarmerie und wollte die Sache anzeigen; der Stationskommandant wies mich aber mit den Worten ab: „Gegen den Mohr können Sie nichts machen, der spinnt ja seit Jahr und Tag, den haben sie jetzt in die Irren­ anstalt gebracht, wer weiß, ob der wieder herauskommt." Trotz Belehrung stelle ich für meinen Mündel, der sich zur

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Zeit in Zündelsheim aufhält, den Antrag, das Verfahren wieder aufzunehmen. V. g. u. u. Daniel Vorndran. Rundlich, Inspektor. H. 7 V. 27. An Herrn Amtsanwalt zur Er­ klärung; die Akten sind schon am 2. V. übersendet worden. A. G. Alt.

5. Aktenstück. Eingel. 12. Mai 1927 S.

Zündelsheim, Mai 1927. Werter Herr Staatsanwalt! Indem daß mein Pate Wilhelm Wunder vorgeladen ist, seine Strafe vom Schöffengericht wegen des Selcher anzu­ treten. Ich habe den Herrn Gendarm gefragt, ob er nicht Auf­ schub bekommt, indem ich ihn auf Feldarbeit notwendig brauche. Ich bitte die Herren, bei den schweren Zeiten um Aufschub. Sie wissen ja schon, meine Herren, daß der Vor­ mund, der Vorndran, wegen Lnmperei entlassen ist, da muß ich mich um meinen Paten annehmen, da er jetzt keine Ver­ wandte mehr hat. Achtungsvoll! Sebastian Kiegle, Landwirt. Heldburg, 12. Mai 1927. An das Amtsgericht Heldburg (Vormundschaftsgericht) mit dem Ersuchen um Mtteilung, ob tatsächlich der Vormund des Wilhelm Wunder entlassen worden ist. Scharf, A.-A.

Heldburg, 14. Mai 1927. An Herrn Amtsanwalt zurück. Der Schuhmacher Daniel Vorndran wurde durch einen ihm sofort verkündeten Beschluß vom 28. April 1927 nach § 1886 BGB. gegen seinen Willen

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entlassen. Der Beschluß ist noch nicht rechtskräftig, da Vorndran Beschwerde eingelegt hat. Amtsgericht. Meister. 6. Aktenstück. Eingel. 16. V. 27. E. Heldburg, 16. Mai 1927.

Dr. Fritz Schuß, Rechtsanwalt. Zum Amtsgericht Heldburg Betreff: Strafverfahren gegen den Metzger­ lehrling Wilhelm Wunder von Held­ burg wegen Körperverletzung.

H. 16. V. 27. An Herrn Amtsanwalt im Nachgang zu den Wiederauf­ nahmeanträgen. A. G. Alt.

Dem Vernehmen nach wird zugunsten des Wilhelm Wunder die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Körperverletzung betrieben. In der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht (4. April 1923) habe ich als Vertreter des damaligen Neben­ klägers Xaver Selcher den Antrag auf Zuerkennung einer Buße von 10000 J6 zurückgenommen, weil sich herausgestellt hatte, daß der Angeklagte noch kein eigenes Vermögen besaß. Nun aber soll er in den letzten Tagen einen wohlhabenden Onkel, den Bauer Fridolin Wunder in Unterhausen, allein beerbt haben. Ich verweise auf die Nachlaßakten des Amts­ gerichts Heldburg und beantrage: Durch Beschluß den Xaver Selcher auch im neuen Verfahren als Nebenkläger zuzulassen.

Dr. Schuß, Rechtsanwalt. 7. Aktenstück.

Eingel. 31. Mai 1927 B.

Heldburg, 31. Mai 1927An das Amtsgericht Heldburg mit den Akten und 6 Beilagen zurück. Anträge. 1. Zum Wiederaufnahmegesuch für Karl Kräftig. Ich hatte Bedenken, ob die Unterschrift des Rechtsanwalts Dietrich unter dem Antrag vom 2. Mai von ihm selbst herrührt.

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Auf meine Anfrage mußte er zugeben, daß er den Antrag nicht persönlich unterzeichnet, aber seinen Bureauvorsteher beauf­ tragt habe, für ihn zu unterschreiben, da er plötzlich vor Her­ stellung der Reinschrift habe verreisen müssen. Ich erachte die einschlägige Prozeßvorschrift nicht für erfüllt, obwohl RA. Dietrich nunmehr, wie ersichtlich, in meinem Geschäftszimmer die frühere Unterschrift durchstrichen und den Antrag — mehrere Wochen nach der Einreichung — eigenhändig unter­ schrieben hat. Erachtet das Gericht meinen Standpunkt für unrichtig, so dürften der Wiederaufnahme sachliche Erwägungen entgegen­ stehen: Wegen der Entwendung des Schinkens kann das Verfahren so lange nicht ausgenommen werden, als nicht rechtskräftig feststeht, daß Joseph Selcher sich eines Meineids oder eines fahrlässigen Falscheids schuldig gemacht hat. Die Angaben über das Strafverfahren bezüglich der Wegnahme der Mettwürste sind richtig, die rechtlichen Folgerungen des Verteidigers aber unzutreffend. 2. Wiederaufnahmegesuch für Wilhelm Wunder. Den Antrag des Vormunds halte ich an sich für zulässig, da Vorndran im Zeitpunkt des Antrags noch nicht rechtskräftig entlassen war. Das Gesuch ist aber abzuweisen, weil das Ver­ halten des Schöffen Mohr unter kein Strafgericht fällt, keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt und keine Beweismittel angegeben sind. Bei meinen Ermittelungen über dieses Gesuch hat sich ergeben, daß Wilhelm Wunder unmittelbar nach Schluß der schöffengerichtlichen Verhandlung vom 4. April noch im Gerichtsgebäude zu einem Freunde geäußert hat: „Die Deppen, wenn die gewußt hätten, daß ich die Mettwürste für den Karl beim Löwenwirt verkauft und das Geld mit ihm geteilt habe, hätten sie mich nicht freigesprochen." Zeugen: 1. Schmiedlehrling Peter Lang in Heldburg, 2. Schutzmann Paul Lauscher, daselbst. Ich stelle mit Rücksicht hierauf den Antrag, das Verfahren gegen Wunder wegen Diebstahls wieder aufzunehmen. Der Antrag des Xaver Selcher ist unzulässig. Wenn ein Antrag auf

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Zuerkennung einer Buße zurückgenommen ist, kann er nach § 444 Abs. 2 StPO, nicht mehr erneuert werden. Scharf, Amtsanwalt.

Die Entscheidung des Amtsrichters ist zu entwerfen. Das kann in einem einzigen Beschlusse entstehen. Dieser Hat das gesamte Vorbringen zu würdigen und hat bei der Begründung die gesetzlichen Vorschriften anzuführen. Es ist davon auszu­ gehen, daß Frankreich an Bayern Beschuldigte nicht ausliefert. Eines Ausspruches im Kostenpunkte bedarf es nicht.