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German Pages [400] Year 2009
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft
Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler
Band 184
Vandenhoeck & Ruprecht
Bebilderte Politik Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1990
von
Simone Derix
Vandenhoeck & Ruprecht
Umschlagabbildung Queen Elizabeth II. in Berlin 1965. © ullstein bild – Jung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abruf bar. ISBN 978-3-525-37005-6 Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. © 2009, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehrund Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: OLD-Media OHG, Neckarsteinach. Druck und Bindung: b Hubert & Co, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erstes Kapitel – Formen staatlicher Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Das Protokoll als Ressort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
II. Stilistische Orientierungspunkte – Zwischen Tradition, Adaption und Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Traditionen der Weimarer Republik und der NS-Zeit . . . . . . . . 2. Orientierung an anderen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wandel der protokollarischen Konventionen . . . . . . . . . . . . . .
36 38 41 45
III. Der bundesrepublikanische Stil als Suchbewegung . . . . . . . . . . . .
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Zweites Kapitel – Bilder der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Bilder des Erfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Westdeutsche Unternehmen im »Wirtschaftswunder« . . . . . . . 2. Bilder bei Krupp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Krupp im Programm der Staatsbesuche . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kuppsche Dramaturgien – Industrieanlagen, Sozialeinrichtungen und Villa Hügel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Staatliche Emanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 61 64 65 72 87
II. Bilder der deutschen Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Vom ausgeblendeten Ort zum Anschauungsort der Teilung – Berlin als Reiseziel in den fünfziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – Berlinreisen zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit 1956 bis 1966 . . . . . . . . . . . . . 96 3. Berliner Dramaturgien – Berlin als Anschauungsort der deutschen Teilung in den sechziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Von der Angst vor der Straße zum ausgeblendeten Ort – 1967 bis 1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5. Die Rückkehr an die Mauer – Staatsbesuche nach 1977 . . . . . . . 130 5
III. Bilder der nationalsozialistischen Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Ex negativo andere Bilder zeigen – Die latente Vergangenheit und der Wandel zur Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Alte Bilder überschreiben – Charles de Gaulles Deutschlandreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Ein Ort der staatlichen Erinnerung – Das Ehrenmal in Bonn . . 143 4. Die Gedenkstätte Plötzensee und Berlin als Ort der deutschen Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5. Konzentrationslager und Friedhöfe – die (Inter-)Nationalisierung des Gedenkens durch die Staatsgäste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 6. Ausgeblendete Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 IV. Bilder der Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Der Rhein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Symbolische Aufladung zwischen »Rhin Pacificateur«, christlichem Abendland und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Rheinische Folklore, Rheinromantik und »ewiges« Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Süddeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Rothenburg ob der Tauber und Heidelberg – »Historical Geography« und Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Bayern – Kultur und Folklore zwischen Erholung und Rückzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Drittes Kapitel – Tableaus der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Die staatlich organisierte Straßenöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 1. »Besuch beim Volk« und Fahrten im offenen Wagen . . . . . . . . . 2. Horror vacui und die Rekrutierung von Straßenöffentlichkeit . . 3. Nichtstaatliche Interessengruppen im Straßenbild . . . . . . . . . . . 4. Die Grenzen der organisierten Straßenöffentlichkeit . . . . . . . . . 5. Das Maß der Begeisterung und der demokratische Jubel . . . . . .
221 221 224 238 250 255
II. Mediale Tableaus I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 1. Filmproduktionen des Bundespresseamtes . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Fernsehberichterstattung und Straßenöffentlichkeit . . . . . . . . . 273 III. Der Konflikt um die Straßenöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staat versus Gesellschaft – Der Schah-Besuch 1967 . . . . . . . . . . a) Sicherheit und Demonstrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Absperrungen und der Ausschluss der Bevölkerung . . . . . . . 6
286 288 290 299
c) Kritik am Staatsbesuch und am demokratischen Selbstverständnis der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 d) Die Zuspitzung des Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Räumliche Trennung von Staat und Gesellschaft – Der Rückzug der Staatsgäste von der Straße nach 1967 . . . . . . . 316 3. Im Schutz der Scharfschützen – Die Rückkehr der Staatsgäste zur Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 IV. Mediale Tableaus II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bilder der Nähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatliche Unterhaltung – Abendveranstaltungen und Gästelisten 3. Politik im Fernsehzeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332 334 342 354
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
359 367 368 371 397 398
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Einleitung
The state is invisible; it must be personified before it can be seen, symbolized before it can be loved, imagined before it can be conceived.1
Im April 1956 zog der Direktor der Länderabteilung im Auswärtigen Amt, Wolfgang Freiherr von Welck, eine Bilanz der zurückliegenden Besuche ausländischer Staatsrepräsentanten in der Bundesrepublik.2 Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten offizielle Politikertreffen weltweit stark zugenommen und sich geographisch ausgeweitet. »In dieser Hinsicht«, so von Welck, »hat sich die Staatenpraxis gegenüber früheren Zeiten, etwa der Zeit der Weimarer Republik grundlegend geändert.« Während Deutschland zwischen 1919 und 1933 nur wenige Staatsgäste empfangen hatte, war der Besuch von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs, Außenministern, Fachministern und führenden Parlamentariern nunmehr »zu einem festen Bestandteil der Außenpolitik und der Pflege der internationalen Beziehungen geworden«. Von Welck prognostizierte, dass sich die wechselseitigen Besuche weiter intensivieren würden. Er begrüßte diese Entwicklung, sah er doch darin einen »Beweis für die angesehene und einflussreiche Stellung, die sich die junge Bundesrepublik in der Weltpolitik als souveräner und gleichberechtigter Partner errungen« hatte, und einen »Gradmesser unserer wachsenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geltung«. Staatsbesuche lieferten nicht nur den Beweis für die (west)deutsche Rückkehr auf das internationale diplomatische Parkett, sondern trugen auch aktiv zu dieser Entwicklung bei. Für die entstehende Bundesrepublik, die »Teilstaatsgründung«, die zunächst als »Provisorium« betrachtet wurde, boten Staatsbesuche im eigenen Land eine Bühne, auf der sie international als politischer Akteur sichtbar werden konnte. Sie stellten für die westdeutschen Gastgeber eine Gelegenheit dar, sich zu positionieren, ein Bild des Staates3 zu entwerfen 1 Walzer, S. 194. 2 Für die Folgezitate, soweit nicht anders ausgewiesen: Aufzeichnung Wolfgang Freiherr von Welck, 20.4.1956, PA, B8, Bd. 644. 3 Bis heute werden Staaten in der Außendarstellung u. -wahrnehmung als »oftmals geradezu personifizierter Akteur« behandelt, Conze, Abschied, S. 28.
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sowie nach innen und außen zu vermitteln. Angesichts der Unsicherheit, welche die deutsche Teilung als Ursache und Konsequenz des Ost-West-Konflikts mit sich brachte, boten die Besuche westdeutschen Staatsrepräsentanten Gelegenheiten symbolischer Verortung, meist, wie von Welck formulierte, mit der Zielrichtung, »den notwendigen Zusammenschluss der freien Welt gegenüber der sowjetischen Bedrohung« zu stärken. Diese Selbsteinordnung prägte auch das Auftreten gegenüber staatlichen Repräsentanten neutraler Länder, wo es die junge »Bonner Republik« als ihre Pflicht ansah, diese »an die politische Linie des Westens heranzubringen und ihnen die Notwendigkeit der westlichen Konzeption klarzumachen«. Gerade mit Blick auf asiatische und afrikanische Entwicklungsländer galt der Austausch von Besuchen als »wichtiges Gegenmittel gegen die Offensive der Sowjets« in diesen Ländern.4 Die starke Zunahme der internationalen Besuche nach 1945 war, wie von Welck andeutete, kein Phänomen, das sich auf die Bundesrepublik beschränkte. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich eine neue Ordnung des internationalen Staatensystems heraus. Die Welt wurde in eine westliche und eine östliche Sphäre eingeteilt, die gegensätzliche Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle repräsentierten. Aus ehemaligen Kolonien gingen neue Staaten hervor, die sich in dieses Staatengefüge einfinden mussten. Technologische Neuerungen prägten die Ost-West-Konfrontation: Die Weiterentwicklung des Flugverkehrs erleichterte persönliche Treffen. Der Ausbau der Telekommunikation mit Fernsehen, Transatlantikverbindungen und Satelliten intensivierte den Kontakt. Der OstWest-Konflikt verlief nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern konkurrierende Staaten rangen miteinander weltweit um Aufmerksamkeit und beobachteten sich wechselseitig in ihrem öffentlichen Auftreten.5 Von Welck und viele seiner Kollegen im Auswärtigen Amt, die Staatsbesuche in der Bundesrepublik vorbereiteten und durchführten, erkannten von Anfang an das darstellerische Potential von Staatsbesuchen für die Außenwahrnehmung. Über die Gestaltung der Reisen durch Westdeutschland, die neben einem Aufenthalt in Bonn auch eine Rundreise durch verschiedene Bundesländer vorsahen, konnten die Planer der Besuche unterschiedliche Facetten der Bundesrepublik zeigen und die Vorstellungen bzw. Bilder entwerfen, die in den Köpfen der Gäste entstehen sollten. Laut von Welck konnten Staatsbesuche »dem fremden Besucher ein lebendiges Bild des neuen Deutschlands« vermitteln. Aufgrund der vielfältigen Handlungen, die unter dem Großereignis »Staatsbesuch« subsumiert wurden, ließen sich Vorstellungen vom Staat, Bilder »seiner Leistungen und seiner besonderen Probleme« differenziert zum Ausdruck bringen. 1956 betrachteten die Planer der Besuche vor allem den »Wie4 Vgl. hierzu auch Aufzeichnung von Welck, 6.2.1956, PA, B8, Bd. 645. 5 Vgl. etwa Lindenberger, Massenmedien; zum Zusammenhang von Weltöffentlichkeit u. Massenmedien Stichweh.
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derauf bau« und das »Wirtschaftswunder« als herausragende Leistungen des jungen Staates, während die deutsche Teilung das zentrale Problem darstellte. Noch über zehn Jahre später hob Protokollchef Hans Schwarzmann nach den Ausschreitungen beim Besuch des Schahs Anfang Juni 1967 hervor, dass die besondere Bedeutung von Staatsbesuchen darin liege, »das Ausland über den demokratischen Auf bau der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriege zu unterrichten und ihnen [den Gästen, d. Verf.] die politische Wirklichkeit des Deutschlandproblems vor Augen zu führen«.6 Die Aussagekraft von Staatsbesuchen erschöpft sich nicht in der Darstellung nach außen. Staatsbesuche wirken auch nach innen. Die Bundesrepublik trat in Staatsbesuchen auf eigenem Territorium der Bevölkerung als Staat gegenüber. Dieser Aspekt wird in der Staatslehre unter dem Stichwort »Integration« verhandelt. Maßgeblich von Rudolf Smend in den zwanziger Jahren geprägt, wirkte der Integrationsgedanke, der den Staat als »Ergebnis eines fortlaufenden gesellschaftlichen Bewußtseinsprozesses«7 betrachtete, auch im politischen repräsentativen Handeln der Nachkriegszeit fort.8 Die Selbstdarstellung des Staates im Kontakt mit einem anderen Staat war auch ein Versuch, den neuen Staat, dessen Selbstbild erst einmal erfunden und immer wieder aktualisiert werden musste, nach innen sichtbar zu machen. Diese Inszenierungen stellten ein Identifikationsangebot dar, einen Versuch, den jungen Staat im Bewusstsein der eigenen Bevölkerung zu etablieren.9 Zudem boten Staatsbesuche den beteiligten Akteuren die Gelegenheit, sich selbst als öffentliche politische Personen in Szene zu setzen. Doch blieben die Bundesbürger nicht nur Adressaten dieser Inszenierungen, sondern gestalteten diese auch mit. Neben der Herrschaftslegitimierung und -darstellung nach innen stellten Staatsbesuche Bühnen dar, auf denen das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft ausgehandelt wurde. Das Erscheinungsbild der Bundesrepublik prägten nicht Staatsrepräsentanten allein, sondern ebenso nichtstaatliche Gruppen, die ihre Interessen zum Ausdruck brachten, sowie die Menschen am Straßenrand, die sich als staatlicher Souverän »ihre« Gäste anschauten, ihnen zujubelten, ihren Unmut kundtaten oder das Ereignis auf andere Weise, etwa als Volksfest, nach ihren Vorstellungen gestalteten. Massenmedien setzten die Staatsbesuche für ein breites Publikum, potentiell eine weltweite Öffentlichkeit, in Szene und bestimmten den Ablauf der Ereignisse und das Verhalten der beteiligten und beobachteten Akteure mit. 6 Aufzeichnung Schwarzmann, 5.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 7 Hartmann, Staatszeremoniell, S. 17. 8 Vgl. Korioth; Günther, Denken. 9 Johannes Paulmann hat gezeigt, dass die Rituale bei Monarchenbegegnungen auch nach innen ausgerichtet waren u. eine Gelegenheit zur Selbstbestätigung boten, Paulmann, Pomp und Politik, S. 385. 1955 befand ein Mitarbeiter des Bundespresseamtes, dass ein Film über Staatsbesuche hervorragend geeignet sei, um bei den Bundesbürgern für den westdeutschen Staat zu werben, vgl. Aufzeichnung Betz, BPA, 22.2.1955, BA, B145/52.
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Die Entstehung des bundesrepublikanischen »Bildprogramms« sowie der Aushandlungsprozess zwischen Staat und Gesellschaft ist das zentrale Thema der vorliegenden Studie und wird für die gesamte »alte« Bundesrepublik von ihrer Gründung 1949 bis zur Wiedervereinigung 1990 beispielhaft an Staatsbesuchen untersucht, die in der Bundesrepublik stattfanden. Dabei trägt die Analyse stets der Bedeutung der Massenmedien – vor allem der visuellen Massenmedien – als Wahrnehmungsdispositiv der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Rechnung. Das Auswärtige Amt verzeichnet für die Jahre 1949 bis 1990 116 Staatsbesuche ausländischer Staatsoberhäupter in der Bundesrepublik.10 Die Untersuchung berücksichtigt jedoch nicht nur Besuche, die der 1960 in der Bundesrepublik eingeführten Definition von Staatsbesuchen als Besuchen von Staatsoberhäuptern11 entsprachen. Sie bezieht auch jene Visiten in die Analyse ein, die westdeutsche Staatsrepräsentanten und Besuchsplaner als Staatsbesuche auffassten und entsprechend ausrichteten, sowie Pläne für Besuche, die letztlich nicht stattfanden, da thematische und inszenatorische Neuerungen und Modifikationen auch hier sichtbar wurden. Als häufig auftretende Ereignisse ermöglichen Staatsbesuche eine differenzierte Betrachtung des historischen Wandels der Bilder, mit denen die westdeutschen Planer der Besuche den Staat immer wieder neu entwarfen und kommunizierten. Es lassen sich thematische Konjunkturen und deren Verhältnis zu den politischen Weichenstellungen der wechselnden Regierungen beobachten. Die so entstehende Geschichte der symbolischen Handlungen und Bilder der Bundesrepublik erlaubt zudem, die dominante Metaerzählung von einem sachorientierten, symbolarmen und von Nüchternheit geprägten Staat zu überprüfen. Zeitgenössisch wie retrospektiv nahmen Beobachter die »Bonner Republik« oftmals als einen der »symbolärmsten und politisch am wenigsten theatralisierten Staaten« wahr, »die es in der Geschichte auf deutschem Boden gegeben hat«.12 Gemessen am Pomp der Inszenierungen mag sich die Bundesrepublik gegenüber der Staatsrepräsentation der NS-Zeit und des späten Kaiserreichs unter Wilhelm II. zurückhaltend ausnehmen. Doch darf dabei nicht übersehen werden, dass auch diese vordergründige Zurückhaltung im Erscheinungsbild Ergebnis intendierter Inszenierung sein konnte. Die folgenden Analysen zeigen, dass die Bundesrepublik über ein ausgefeiltes Bildprogramm und ein breites darstellerisches Repertoire verfügte. Erst in jüngster Zeit haben Staatsbesuche und andere Formen politischer Inszenierung in der Zeitgeschichte ein höheres Maß wissenschaftlicher Aufmerksamkeit erfahren. Staatsbesuche, wie auch andere Formen sichtbarer Politik, fanden lange Zeit entweder keine Erwähnung in historischen Untersuchungen oder wurden illustrierend oder anekdotenhaft in historiographische Texte ein10 Vgl. Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 1130–1133. 11 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 272f. 12 Münkler, S. 155.
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bezogen.13 Während für Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit Herrschaftsrepräsentation und Ritual als etablierte Forschungsfelder gelten,14 konzentrierte die zeitgeschichtliche Forschung ihr Augenmerk für politische Inszenierungen auf autoritäre Herrschaftssysteme wie den Nationalsozialismus und Faschismus15 oder sozialistische bzw. kommunistische Diktaturen wie die DDR oder Sowjetunion.16 Für Demokratien blieb eine historische Auseinandersetzung lange Desiderat.17 Die Ausblendung des Symbolischen erklärt sich nicht zuletzt aus dem aufklärerischen Impetus der Wissenschaften, der lange Zeit mit einer Ausklammerung sinnlicher Wirkungsweisen verknüpft war,18 und der dominanten Deutung der neueren Geschichte als »Entzauberungs-« bzw. »Rationalisierungsprozess«.19 Zudem bestand von politischer und wissenschaftlicher Seite das Bedürfnis, Demokratie gegenüber der »Ästhetisierung des politischen Lebens«20 in faschistischen Systemen abzugrenzen. Im Zuge des wachsenden Interesses an kulturwissenschaftlichen Perspektiven auf die Vergangenheit in den späten achtziger und neunziger Jahren und der damit verbundenen methodischen Neuorientierungen, die unter cultural turn,21 iconic/pictorial/visual turn22 oder performative turn23 firmieren, entwarfen Historiker eine »Kulturgeschichte des Politischen«24 und intensivierten ihre Forschungen zu Ritualen und politischen Inszenierungen.25 Sie öffneten auch die Forschungen zu internationalen Beziehungen für kulturwissenschaftliche Fragestellungen und wandten sich Politikertreffen als Untersuchungsgegenstand zu.26 Johannes Paulmann untersuchte erstmals systematisch den »Ereignistyp der Monarchenbegegnungen«27 als Instrument der internatio13 Eine Ausnahme stellte ein kurzes Kapitel zu Staatsbesuchen bei Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 307–320, dar. 14 Vgl. für die Antike-Forschung etwa Alföldi u. Flaig; für die Mittelalter- u. FrühneuzeitForschung die Literaturberichte von Stollberg-Rilinger, Zeremoniell; Neuheuser sowie Althoff. 15 Vgl. etwa Behrenbeck, Kult; Reichel, Der schöne Schein; Gentile. 16 Vgl. etwa Gibas, Wiedergeburten; Kitsche; Rytlewski/Kraa; Sauer; Vorsteher. 17 Wichtige Arbeiten stellen in dieser Hinsicht Ackermann u. Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik, dar. 18 Vgl. zu den Folgen dieser Ausklammerung Sauerländer. 19 Vgl. Röhl, S. 238. 20 Benjamin, S. 42. 21 Vgl. Bonnell/Hunt; Daniel, Clio; Daniel, Kompendium; Hardtwig; Hunt; Kittsteiner, Was sind Kulturwissenschaften. 22 Vgl. Boehm; Mitchell; für die Geschichtswissenschaft Kittsteiner, Iconic turn; Roeck. 23 Vgl. Fischer-Lichte, Vom »Text«; Fischer-Lichte, Theater; Rao/Köpping, Die performative Wende; Wirth; für die Geschichtswissenschaft Martschukat/Patzold. 24 Vgl. grundsätzlich Mergel, Überlegungen; Stollberg-Rilinger, Kulturgeschichte. 25 Vgl. etwa den Sammelband Arnold, Politische Inszenierung. Dort fassen die Herausgeber unter »politischer Inszenierung« »alle Erscheinungsformen der Dramaturgie, Theatralität und Körperlichkeit von Macht und Herrschaft« zusammen, Arnold, Hüllen, S. 9. 26 Vgl. zu neuen Ansätzen in der Geschichte der internationalen Beziehungen Conze, Geschichte; Gienow-Hecht/Schumacher; Lehmkuhl; Loth/Osterhammel. 27 Paulmann, Pomp und Politik, S. 16.
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nalen Politik für das 19. und beginnende 20. Jahrhundert und verdeutlichte den Gewinn einer ernsthaften Analyse der politischen Implikationen von zeremoniellen Handlungen und den dabei entstehenden Bildern für die Geschichte der internationalen Beziehungen der letzten beiden Jahrhunderte. Zuvor lag bereits eine Studie zu Staatsbesuchen in der Schweiz zwischen 1848 und 1990 vor.28 Nicolas Moll thematisierte Staatsbesuche in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1969 in seiner vergleichenden Dissertation zur Besuchspolitik in Frankreich und Deutschland als »Ritual und Werkzeug nationalstaatlicher Politik«, ohne jedoch den eigenen interpretatorischen Rahmen auszuschöpfen.29 Andreas Daum veröffentlichte vierzig Jahre nach John F. Kennedys Deutschlandreise 1963 eine Analyse dieses Ereignisses als symbolische Politik im Kalten Krieg.30 Zudem behandeln einige kürzere Studien Staatsbesuche und Politikertreffen.31 Darüber hinaus liegen Darstellungen zum Staatszeremoniell der Bundesrepublik,32 zum militärischen Zeremoniell,33 zur Staatsrepräsentation generell34 und zur Geschichte der Staatssymbole35 vor. Neben Historikern beschäftigen sich unter anderem Staatsrechtler, Politologen, Soziologen, Ethnologen und Bildwissenschaftler mit Fragen der Repräsentation. Die Gemeinsamkeit ihrer Forschungen besteht darin, dass sie nach dem Zusammenhang zwischen Individuum und politischer bzw. gesellschaftlicher Struktur fragen. Die juristische Staatslehre thematisiert in der »Staatspflege« und in der staatlichen »Selbstdarstellung«, wie der Staat für den Staatsbürger erfahrbar werden kann.36 Denn gerade der Staat sei, so Helmut Quaritsch, »mehr als jede andere Organisation gezwungen, das eigene Erscheinungsbild auf die Präsentationsfolgen auszurichten«, da er von »permanenter Massen-Loyalität abhängig« sei.37 Die Überlegungen der auf eine enge Bindung zwischen dem Staat und den Staatsbürgern zielenden Staatsrechtler sind für eine histori28 Vgl. Rosmus. 29 Vgl. Moll, S. 249–294. 30 Vgl. Daum, Kennedy. 31 Vgl. Ihl; zu Theodor Heuss’ Auslandsreisen Günther, Heuss; Manning; zum Staatsbesuch Heuss’ in Großbritannien 1958 Günther, Misslungene Aussöhnung; Günther, Gespiegelte Selbstdarstellung; zum Treffen von Brandt u. Stoph in Erfurt 1970 Sarotte; Basset/Zifonun. 32 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell. Hartmanns Überblick über das Staatszeremoniell liegt in mehreren Auflagen vor. Hier wird grundsätzlich aus der Ausgabe von 1988 zitiert, da die Ausgabe von 2000 stärker durch die Erfahrungen der Berliner Republik geprägt ist. Zitate aus der jüngsten Ausgabe sind durch die Jahreszahl gekennzeichnet. 33 Vgl. Stein; Ehlert. 34 Vgl. Gauger/Stagl; zur architektonischen Staatsrepräsentation etwa Schaffrath-Chanson; Wefing; Wise. 35 Vgl. Reichel, Schwarz-Rot-Gold. 36 Nach Krüger appelliert die Staatspflege »rational an den Intellekt«, während die Selbstdarstellung »über die Anschauung hin wirken wolle«, Krüger, S. 25. 37 Quaritsch, Probleme, S. 10f. Laut Quaritsch muss eine soziale Organisation »ihr Dasein, ihre Ziele und Zielverwirklichungen dauernd vorweisen, um sich gegenüber Mitgliedern und
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sche Analyse aufschlussreich, da sie eine von Idealvorstellungen geprägte etatistische Denkweise offenlegen. Diese Denkweise kennzeichnete auch einige staatliche Mitarbeiter. So liegen Quaritschs Definition der Selbstdarstellung als »bewußte[r] Präsentation des gewünschten eigenen Seins [des Staates, d. Verf.]«38 ähnliche Vorstellungen zugrunde wie den zitierten Aufzeichnungen von Welcks, dass ein gewünschtes staatliches Erscheinungsbild unter der Federführung staatlicher Stellen konstruiert werden könne. Diese Denkweise zieht weder die Dynamik und Unberechenbarkeit der Wirkung der Selbstdarstellung hinreichend in Betracht noch die Vielfalt der beteiligten Akteure. Denn die zitierten Staatsrechtler sind davon überzeugt, dass sich bei der Betrachtung staatlicher Selbstdarstellung die Beteiligung nichtstaatlicher gesellschaftlicher Akteure ausklammern lasse.39 De facto sind Staatsbesuche ohne die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure und Schauplätze undenkbar. Ebenso betrachten die Staatsrechtler den Staatsbürger als »Empfänger« der Darstellung und lassen dessen »Eigen-Sinn« außer Acht.40 Politologen beschäftigen sich in Forschungen zur politischen Kultur unter dem Begriff »Politikvermittlung«41 mit der Kommunikation »zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen den politischen Führungseliten und den Bürgern«42 und konzentrieren sich auf die Analyse der Kommunikationsverfahren und die Rolle der Massenmedien in diesem Kommunikationsprozess. Von Beobachtungen in der Gegenwart ausgehend, konstatiert die Politikwissenschaft eine durch die »Medialisierung« bzw. »Mediatisierung«43 geprägte »Transformation des Politischen«.44 In diesem Transformationsprozess würde die Bedeutung von Rhetorik und Diskussion als Voraussetzungen politischer Entscheidungen durch eine visuell ausgerichtete Politik zurückgedrängt.45 Als »Inszenierung des Scheins« erscheint visuelle Politik einigen Politologen als Gefahr für die, so die
Umwelt als sinnvoll, vertrauenswürdig und erfolgreich zu präsentieren«. Vgl. auch ders., Vorwort, S. 3. 38 Ders., Vorwort, S. 4. 39 Vgl. ebd. 40 In Anlehnung an Alf Lüdtke meint »Eigen-Sinn« die Möglichkeit, dass sich die Staatsbürger nach ihren Vorstellungen ein Bild vom Staat schufen bzw. die vorgegebene Darstellung nach ihren Vorstellungen u. Bedürfnissen umdeuteten. Vgl. zu Lüdtkes Verständnis von »Eigen-Sinn« Lüdtke, Wo blieb die rote Glut, besonders S. 254f. 41 Der Begriff fand in den achtziger Jahren Eingang in die wissenschaftliche Diskussion, vgl. den Sammelband von 1987 Sarcinelli, Politikvermittlung. 42 Ders., Zum Wandel, S. 11. 43 Vgl. zu den Begriffen u. damit verbundenen Konzepten Imhof. 44 Meyer, Transformation. 45 Die Argumente der Kritiker dieser Bedeutung des Visuellen in der Politik fasst Münkler, S. 144–149, treffend zusammen. Vgl. zum »Paradigmenwechsel von der ›logozentrischen‹ zur ›ikonozentrischen‹ Politik« Hofmann.
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Annahme, in sprachlicher Rationalität gründende Demokratie.46 Das Sichtbare und Inszenierte steht häufig implizit im Verdacht zu überspielen, zu täuschen und zu manipulieren. Bereits Murray Edelman, der in den sechziger Jahren seinen Ansatz der »Politics as Symbolic Action« entwickelte, betonte neben der identitätsstiftenden Wirkung der visuellen oder symbolischen Politik deren manipulatorische Möglichkeiten.47 Eine Schwachstelle dieser Forschung liegt darin, dass sie sich auf die politischen Akteure und deren öffentliches Image konzentriert. Das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass Wahlkämpfe zu den bevorzugten Themen dieser Forschungsrichtung gehören.48 Visuelle Politik reicht aber weit über die Versuche von Politikern und Parteien hinaus, die Wähler zu beeinflussen. Zudem fehlt den Überlegungen zur »Mediokratie« des späten 20. Jahrhunderts eine Vorgeschichte, die Besonderheiten des Phänomens präzisieren und die Neuartigkeit einschränken könnte. Einige jüngere politologische Forschungen nehmen Abstand von der Deutung visueller Politik oder des »Politainment« als Indiz für den Verfall des Politischen und loten die »erweiterten Chancen, neuen Reichweiten und Kommunikationsmöglichkeiten« unter den veränderten medialen Bedingungen des Politischen aus.49 Die Auffassungen von staatlicher Selbstdarstellung und von Politikvermittlung ähneln soziologischen Vorstellungen von politischen Ereignissen als identitätsstiftenden Kollektivritualen, wie sie Hans-Georg Soeffner vertritt. Denn ihnen liegt ein vergleichbares Verständnis von Herrschaft im Sinne Max Webers als »ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten« zugrunde.50 Politische Ereignisse erscheinen in dieser Deutung als Bühnen der Darstellung von Politik mit dem Zweck, die Macht der politischen Repräsentanten zu vermehren. Auch Soeffner legt die pejorative Annahme zugrunde, dass »Darstellung und Verstellung […] grundsätzlich im politischen Handeln eng aufeinander bezogen« seien.51 Mit Uta Gerhardt lässt sich die dahinterstehende Annahme eines »deterministische[n] Verhältnis[ses] zwischen Gesellschaft und Individuum« kritisieren. Den agierenden politischen Repräsentanten stehen die getäuschten und verführten Bürger gegenüber. Wechselwirkungen zwischen Repräsentanten und Repräsentierten sowie die Be-
46 Meyer, Inszenierung. Vgl. zum pejorativen Gebrauch des Visuellen mit Blick auf die Politik auch Meyer/Kampmann. 47 Vgl. Edelman. Der Originaltitel von 1964 lautete »Politics as Symbolic Action, Mass Arousal and Quiescence«. 48 Wahlkämpfe stehen etwa im Zentrum von Sarcinelli, Symbolische Politik; Dörner/Vogt. 49 Dörner, Politainment, S. 244; vgl. auch Münkler. 50 Gerhardt, S. 54. Gerhardt unterscheidet in ihrem Aufsatz zwei Ritualbegriffe in der Soziologie: das »Repräsentationsritual« mit Hans-Georg Soeffner u. das »Interaktionsritual« mit Erving Goffman als Vertreter. 51 Soeffner, Erzwungene Ästhetik, S. 287.
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deutung von Interaktion in sozialen Beziehungen werden unterschätzt.52 Ein Modell der wechselseitigen Wirksamkeit sozialen Verhaltens entwarf hingegen Erving Goffman in den fünfziger Jahren für den alltäglichen zwischenmenschlichen Umgang.53 In den so genannten Face-to-face-Situationen schaffen und gestalten alle Handelnden gemeinsam die Situation. Goffman unterscheidet dabei zwischen dem Ausdruck, den ein Mensch wählt, um einen Eindruck bei anderen zu erwecken, dem Ausdruck, den er ausstrahlt, und dem Eindruck, den er dann beim anderen erweckt. In einem Aushandlungsprozess übermittelt nicht eine Person eine Darstellung ihres Selbst, die das Gegenüber einfach empfängt, sondern der »Empfänger« ist an der Wahrnehmung des anderen aktiv beteiligt. Übertragen auf die Gesellschaft würde jeder Einzelne als Teil eines reziproken Ganzen agieren.54 Die Ritualtheorien der Ethnologen und Historischen Anthropologen, die ebenfalls das Verhältnis zwischen Individuum und gesellschaftlicher Ordnung thematisieren, beziehen sich mehrheitlich auf das regelhafte Handeln inte grierter Gruppen, das die gesellschaftliche Ordnung bestätigt, erneuert oder wiederherstellt.55 Ohne Zweifel werden bei Staatsbesuchen rituelle Handlungen vollzogen, die gesellschaftlich identitätsstiftend und partizipatorisch angelegt sind.56 Davon lassen sich zeremonielle Handlungen unterscheiden, die als absichernde und repräsentative Akte verstanden werden.57 Doch vollziehen sich diese Handlungen nicht – wie in den Ritualtheorien angenommen – in monokulturellen Gesellschaften; allein die Teilnahme ausländischer Staatsgäste öffnet die Situation. Jan Platvoet versucht, auch solche Ereignisse ritualtheoretisch zu erfassen, und verzichtet dabei auf viele Elemente, die bislang ein Ritual konstituierten, z.B. die geschlossene Ritualgemeinschaft.58 Laut Platvoet müsse ein Ritual zudem keine Wiederholung einer früheren Zeremonie sein, sondern könne auch ein einmaliges Ereignis bleiben. Diese Ritualtheorie reflektiert zudem die Rolle der Medien. Platvoet definiert ein Ritual als 52 Gerhardt, S. 66f., Zitat S. 66. 53 Vgl. Goffman. 54 Einen solchen Ansatz hat etwa Talcott Parsons in dem Modell der »societal community« entwickelt, vgl. Gerhardt, S. 67. 55 Vgl. Platvoet, S. 183. 56 Ein Beispiel stellte etwa Charles de Gaulles Besuch in München dar, vgl. dazu Zweites Kap., III.2. 57 Das Verhältnis von Ritual u. Zeremonie wird sehr unterschiedlich aufgefasst. Johannes Paulmann unterscheidet Ritual u. Zeremonie deutlich voneinander. Er versteht die Zeremonie als »symbolische Vorführung vor einer Öffentlichkeit«, während bei Ritualen die »aktive Partizipation« im Vordergrund stehe, Paulmann, Pomp und Politik, S. 17. Der Ritualforscher Ronald Grimes hingegen betrachtet die Zeremonie neben der Ritualisierung, der Anstandsregel, der Magie, der Liturgie u. der Feier als einen Ritualtypus, vgl. Grimes. Alois Hahn etwa entfaltet den Gedanken der Zeremonie als Absicherung einer Handlung, vgl. Hahn, S. 54f. 58 Vgl. Platvoet, S. 184.
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eine Reihenfolge stilisierten sozialen Verhaltens, das von normaler Interaktion durch seine besonderen Fähigkeiten unterschieden werden kann, die es ermöglichen, die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer […] auf sich zu ziehen, und welche die Zuschauer dazu bringt, das Ritual als ein besonderes Ereignis, das an einem besonderen Ort und/ oder zu einer besonderen Zeit, zu einem besonderen Anlass und/oder mit einer besonderen Botschaft ausgeführt wird, wahrzunehmen.59
Wie einige der zuvor vorgestellten Wissenschaftler anderer Disziplinen nimmt auch Platvoet ein asymmetrisches Verhältnis zwischen jenen, »die das Ritual aufführen«, und den Teilnehmern des Rituals an, in dem die Aufführenden ihre strategischen Ziele über das Ritual erreichen.60 Das bildwissenschaftliche Pendant zu den bereits angeführten Forschungen bilden die Visual Studies.61 Sie verstehen sich explizit als kritische Wissenschaft, als eine »Erneuerung von Repräsentationskritik« und beschäftigen sich mit Blick auf die Gegenwart u.a. mit der Frage, welche Machtverhältnisse in Bildern zum Ausdruck kommen.62 Die Ideologiekritik, »das Durchschauen von Inszenierung oder Manipulation«, so die Überzeugung, könne allerdings nicht verhindern, dass diese Bilder »in den Ordnungen des Symbolischen und Imaginären wirksam werden«.63 Gleichwohl erkunden die so verstandenen Visual Studies die »Logik visueller Prozesse« und die »Ökonomie der Zugänge zu Bildern« und begegnen damit der »ominösen Wirkmächtigkeit einer Bilderkultur« mit einem analytischen Auf klärungsanspruch.64 Die dargestellten wissenschaftlichen Ansätze richten ihr Hauptaugenmerk auf die innergesellschaftliche Ordnung und folgen theoretischen Grundannahmen zum Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten, Repräsentanten und Repräsentierten. Aus historischer Perspektive ist die Frage, ob sich dieses Verhältnis asymmetrisch oder als wechselseitiges Miteinander gestaltet, nicht Gegenstand einer theoretischen Festlegung. Vielmehr unterliegt dieses Verhältnis einem historischen Wandel und ist mit Blick auf Staatsbesuche ein Untersuchungsgegenstand unter anderen. Die eingangs zitierten Aufzeichnungen der Planer von Staatsbesuchen zeigen, dass die westdeutschen Gastgeber tatsächlich bestimmte Darstellungsabsichten verfolgten und die sichtbare Seite von Politik gezielt inszenierten. Der 59 Ebd., S. 187. Die Textpassage lautet weiter: »Dies wird dadurch erreicht, dass das Ritual geeignete, kulturell spezifische, übereinstimmende Konstellationen von Kernsymbolen benutzt. Das Ritual führt mehrere redundante Transformationen durch. Dies geschieht mittels multimedialer Performance, die eine reibungslose Übertragung einer Vielzahl von Botschaften […] und von Reizen gewährleistet.« 60 Ebd. 61 Vgl. einführend Mirzoeff. 62 Holert, S. 20. 63 Ebd., S. 27. 64 Ebd., S. 33.
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mittlerweile zum kulturwissenschaftlichen Leitbegriff avancierte Begriff »Inszenierung«, der in dieser Untersuchung neutral gebraucht wird, bezeichnet »schöpferische Prozesse, in denen etwas entworfen und zur Erscheinung gebracht wird«,65 das auf andere Weise womöglich nicht zum Ausdruck gebracht werden könnte. Denn einerseits läßt sich Inszenierung durchaus als Schein, Simulation, Simulakrum begreifen. Es handelt sich bei ihr jedoch um einen Schein, eine Simulation, ein Si mulakrum, die allein fähig sind, Sein, Wahrheit, Authentizität zur Erscheinung zu bringen. Nur in und durch Inszenierung vermögen sie uns gegenwärtig zu werden.66
Die Planer der Besuche wollten aktiv jene Bilder erschaffen, aus denen sich das Erscheinungsbild der Bundesrepublik zusammensetzte. Sie trugen tradiertes Wissen über politische Inszenierungen zusammen und sammelten Erfahrungen, die wiederum auf die Pläne für Folgeereignisse wirkten. Ihrem Selbstverständnis nach waren die zitierten Diplomaten Gestalter dieser westdeutschen Außendarstellung und lassen sich im Sinne Gernot Böhmes als »ästhetische Arbeiter« beschreiben.67 Über die Wahl der Orte, die Dekoration, die Geräuschkulisse, die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten wie Mahlzeiten, Reden, Besichtigungen oder Gespräche bis hin zu geplanten Gesten setzten die Protokollmitarbeiter – als Federführende in einem Aushandlungsprozess mit vielen Beteiligten – die Staatsbesuche in Szene. Bilder der Bundesrepublik, die mitunter noch heutigen Beobachtern vertraut erscheinen mögen, erweisen sich vor diesem Hintergrund als Teile eines Prozesses, in dem die sichtbare Seite des westdeutschen Staates konstruiert bzw. erfunden wurde.68 Über die Gestaltung der einzelnen Programmelemente entwarfen die Planer szenische Bilder, d.h. geplante Handlungen an ausgewählten Orten. Sie sollten Auslegungen der bzw. Sichtweisen auf die Bundesrepublik sinnlich erfahrbar machen, die auf andere Weise kaum anschaulich geworden wären. Der »Bild«Begriff, in dem auch der Titel der Darstellung gründet, meint zum einen diese szenischen, lebenden Bilder bei Staatsbesuchen. Zudem spielt er auf die Bilder in den Köpfen der Menschen an. Denn die szenischen Bilder beruhten auf Vorstellungen ihrer Schöpfer und sollten wiederum bestimmte Vorstellungen bei
65 Fischer-Lichte, Inszenierung, S. 88. Mit Erika Fischer-Lichte, die an der Verbreitung des Inszenierungs- sowie Theatralitätsbegriffs in den Kulturwissenschaften maßgeblichen Anteil hat, kann »Inszenierung« als jene Komponente von »Theatralität« gelten, die auf die Produktionsseite zielt, vgl. ebd., S. 86. 66 Ebd., S. 90. 67 »Als ästhetische Arbeit soll diejenige Tätigkeit bezeichnet werden, die Dinge, Räume, Arrangements gestaltet in Hinblick auf die affektive Betroffenheit, die ein Betrachter, Empfänger, Konsument usw. dadurch erfahren soll.« Böhme, Aisthetik, S. 53. 68 Vgl. zur Erfindung tradierter Formen Hobsbawm/Ranger.
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ihren Betrachtern hervorrufen.69 Darüber hinaus stellten die szenischen Bilder die Grundlage für die medialen Bilder dar, die eigene Versionen des Ereignisses potentiell weltweit verbreiteten. Doch der »Bild«-Begriff reicht noch weiter. Er betont im Gegensatz zum Textbegriff, dass sich eine Szene nicht einfach in lineare Abfolgen von Zeichen gliedern lässt, sondern absichtsvolle Zeichen und Ungeplantes zur selben Zeit auftreten. Das Bild erfordert vom Betrachter eine Auswahl, er nimmt »attraktionsorientiert« selektiv wahr.70 Doch damit ist nur ein Teil erfasst. Zu der selektiven Wahrnehmung tritt eine Art atmosphärische Wahrnehmung hinzu. Im szenischen Bild entspricht diesen zwei Formen der Wahrnehmung die Differenzierung zwischen Vordergrund und Kulisse. Die Besuchsarrangeure planten die Staffelung der Aufmerksamkeit zwischen Vordergrund und Kulisse durch die Komposition der szenischen Elemente genauso wie die zeitliche Abfolge in einem dramaturgischen Spannungsbogen. Die geplanten szenischen Bilder erfuhren bei ihrer Realisierung eine grundlegende Transformation. Trotz detaillierter Planungen ließ sich der tatsächliche Ablauf von Staatsbesuchen, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure und die Dynamik der Handlungen nie vollkommen vorhersagen. Ritualtheorien unterscheiden zwischen dem Skript eines Rituals und dessen Performanz, die Theaterwissenschaft differenziert zwischen »Inszenierung« und »Performance«.71 Es gibt zwar eine Handlungsmatrix, doch die tatsächliche Umsetzung des Geschehens dynamisiert das Handlungsmuster.72 Sie macht das Geschehen zu einem »originären sinnkonstitutiven Akt, der nicht auf vorausgehende kognitive Leistungen reduziert werden kann«.73 Bereits die Vielzahl der Akteure machte es unmöglich, die tatsächlichen Abläufe bei Staatsbesuchen zu kontrollieren – was allerdings nicht bedeutet, dass die Besuchsplaner sowie die westdeutschen politischen Entscheidungsträger nicht versuchten, die Kontrolle über die Ereignisse zu wahren. Roger Chartier prägte den Begriff der »Vorstellungs-Hersteller« und charakterisierte damit die Eliten, die »ein Stück der Wirklichkeit, in der sie lebten, verstanden und zu verstehen gaben« und so Vorstellungen von sich und der Welt herstell-
69 Hans Belting hebt auf den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung u. Vorstellung ab u. geht davon aus, dass alles, »was in den Blick oder vor das innere Auge tritt«, sich über persönliche oder kollektive Symbolisierung »in ein Bild verwandeln« lässt. Menschen »leben mit Bildern und verstehen die Welt in Bildern.« Belting, S. 11. Vgl. zum Nexus zwischen »Bildern« u. »inneren Bildern« Kittsteiner, Iconic turn; Wilharm. 70 Hickethier, Einführung, S. 84. 71 Vgl. Fischer-Lichte, Inszenierung, S. 86. Vgl. auch Schechner, Performance Theory. 72 Diesen Ansatz verfolgt der SFB 619 »Ritualdynamik« in Heidelberg. Vgl. etwa die daraus hervorgegangenen Publikationen Harth/Schenk u. Ambos. 73 Krieger/Belliger, S. 18.
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ten.74 Dieses Konzept ließe sich mit Blick auf Staatsbesuche noch untergliedern. Denn indem die Protokollmitarbeiter die Arrangements für Staatsbesuche erdachten, waren sie unsichtbare »Vorstellungs-Hersteller«. Doch erst die Staatsrepräsentanten agierten als sichtbare »Vorstellungs-Hersteller«, indem sie das präsentierten, was sich das Protokoll zuvor ausgedacht hatte. Dabei ist anzunehmen, dass die involvierten Staatsrepräsentanten eigene Darstellungsinteressen verfolgten, die nicht per se mit den Darstellungsinteressen des Protokolls übereinstimmten. Zudem waren neben diesen staatlichen auch nichtstaatliche Akteure in die Vorbereitung und Durchführung von Staatsbesuchen involviert, z.B. die Vertreter der Industrieunternehmen, welchen die Staatsgäste besichtigten, oder Verbände, die den öffentlichen Raum der Visiten nutzen wollten, um ihre Überzeugungen zu propagieren. Alle anwesenden Personen konnten mit jeweils unterschiedlichen Handlungsspielräumen auf die szenischen Bilder bei Staatsbesuchen Einfluss nehmen. Der Kreis der Akteure bei Staatsbesuchen überschnitt sich mit dem Adressatenkreis der Inszenierungen. Sowohl der Staatsgast als auch die »Zuschauer« befanden sich in einer Doppelrolle. Der Staatsgast bekleidete eine Doppelrolle als Akteur und Adressat der Inszenierungen, sobald seine Handlungen öffentlich beobachtet wurden. Die Zeremonien zur Begrüßung und zum Abschied richteten sich an ihn, zugleich »führte« er gemeinsam mit seinen westdeutschen Gastgebern diese Zeremonien für die anwesende Öffentlichkeit vor Ort und die medialen Beobachter »auf« und wurde damit Teil eines szenischen Bildes. Die einzelnen Programmpunkte mussten dieser Doppelrolle Rechnung tragen. Die Besichtigungsfahrten zu Industrieunternehmen und Sehenswürdigkeiten sollten sowohl den Staatsgast und seine Reisebegleiter sinnlich beeindrucken als auch auf mediale Bedürfnisse abgestimmt sein. Der Blick des Gastes sollte auf bestimmte Aspekte gelenkt werden, dem wiederum die Kameras folgen sollten. Damit hatte der Gast implizit die Macht, die geplanten Akzente in den szenischen Bildern durch seine Handlungen zu verschieben, die Aufmerksamkeit auf anderes zu lenken oder bestimmte Bilder zu verhindern. Der Gast half dem westdeutschen Staat bei der Repräsentation nach innen und außen, der »Zuschauer« am Straßenrand war Teil der westdeutschen Repräsentation gegenüber den Gästen. Zudem konnte der vermeintliche »Zuschauer« am Straßenrand durch Jubelrufe oder als protestierender Demonstrant das Ereignis aktiv mitgestalten. Auch die Kameras konnten vom Staatsgast auf den Straßenrand umschwenken und damit den Straßenrand zum Zentrum der medialen Bilder machen. Die Akteurs- und Zuschauerrolle erweist sich so als eine Frage der Perspektive, nicht zuletzt der medialen Perspektive. Mehrheitlich erfuhren die Westdeutschen und ausländische Interessierte Nachrichten und Eindrücke von Staatsbesuchen aus den Massenmedien, über 74 Chartier, S. 11.
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Zeitungsberichte, Radiosendungen, Fernsehsendungen und über Filme, die das Bundespresseamt produzierte und vor allem im Ausland zeigte. Wenn sich Politik mit Thomas Macho als »Ordnung der Sichtbarkeitsverhältnisse« beschreiben lässt75 und dabei die Frage im Zentrum steht, wem wie viel Aufmerksamkeit zuteil wird, können Massenmedien als Agenturen der öffentlichen Aufmerksamkeit gelten. Vor allem die visuellen Medien und die Bilder, die sie produzierten, spielten eine tragende Rolle. Von den Staatsbesuchen blieben neben wenigen Sätzen, die sich durch die Kürze und Prägnanz eines Werbeslogans auszeichnen, wie John F. Kennedys »Ich bin ein Berliner«, vor allem Bilder in der Erinnerung des Einzelnen und der Öffentlichkeit. Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen dokumentieren ein Ereignis und setzen es mit den Möglichkeiten des Mediums neu in Szene. Für den Kunsthistoriker Michael Diers steht die Bedeutung des Fotos als Reportage außer Frage: Sie leitet sich ab aus dem Gewicht des Geschehens, das sie zugleich im parallel verlaufenden Akt der Dokumentation und im Wechselverhältnis mit dem Ereignis erzeugt. Die Fotografie übersetzt die politische Inszenierung, die im Ablauf des Zeremoniells selbst bereits wie ein Tableau vivant arrangiert ist, ins Bild und nobilitiert diesen Akt, indem es ihn festschreibt, um ihn gleich danach zu veröffentlichen. […] Bild und Politik verschränken sich zu einem Kommunikationsverbund, den der Betrachter nachvollzieht. Das offizielle Pressefoto verlautbart gleich einem Kommuniqué Politik in Form eines Bildes, und als eine Presseerklärung wird es auch gelesen.76
Angesichts der Reichweite solcher »öffentlichen Bilder« lässt sich mit Recht vermuten, dass sich die Politik den ästhetischen Bedürfnissen der Massenmedien anpasste und sich bis in die Gegenwart »bildmäßig und bildgemäß« entwirft.77 Es ist ebenso zu erwarten, dass Politiker und Staatsrepräsentanten versuchten und versuchen, die Bildproduktion zu kontrollieren und mitzubestimmen, welche Personen zu welchem Zeitpunkt sichtbar werden und auf welche Weise sie abgebildet werden.78 Aufgrund der Überlegungen zur Bedeutung von »Inszenierung« und »Performanz« sowie zu den unterschiedlichen Dramaturgien und Bildlichkeiten bei Staatsbesuchen ergeben sich folgende Fragen: Wer dachte sich die »Inszenierungen« bei Staatsbesuchen aus? Wer wirkte an den Konzepten, wer an der Umsetzung mit? Aus welchen Quellen speiste sich die Formensprache der »Inszenierungen«? Welche szenischen Bilder der Bundesrepublik wurden entwickelt? In welcher Dramaturgie wurden sie angeordnet? Was geschah mit den 75 Macho, Von der Elite, S. 762. 76 Diers, Das öffentliche Bild, S. 21f. 77 Ebd., S. 23. 78 Tom Holert führt dies für den Staatsbesuch Bill Clintons in Indien im März 2000 aus, Holert, S. 25–28.
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geplanten Bildern in der Umsetzung? Wie verhielten sich staatliche Akteure vor und hinter den Kulissen und die Menschen am Straßenrand vor Ort zu einander? Auf welche Weise prägte die Anwesenheit von Vertretern der Massenmedien das Ereignis? Welche massenmedialen Bilder sollten entstehen? Welche massenmedialen Bilder entstanden? Bei der Bearbeitung dieser Fragen besteht die Gefahr, jene Staatsbesuche und Bilder, die im kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik verankert sind, zu stark zu gewichten im Vergleich zu jenen Besuchen, die heute vergessen sind. Auch können viele Handlungen aufgrund der zeitlichen Nähe der Bonner Republik vertraut erscheinen und sich erst bei intensiver Beschäftigung unvermutete Bedeutungsebenen erschließen. Daher bedarf diese Studie in besonderem Maße einer Herangehensweise, die das vermeintlich Bekannte und Vertraute des Untersuchungsgegenstands in Frage stellt und ihn als »zunächst rätselhaft« betrachtet.79 Dieser Blickwinkel führt dazu, auch bei bekannten Ereignissen wie Staatsbesuchen die sichtbaren Formen ernst zu nehmen und zu analysieren, um dann ihre unterschiedlichen Bedeutungsebenen sowie ihre gesellschaftliche und politische Reichweite herauszuarbeiten. Synchron gilt es, das Skript80 und die Performanz jeder einzelnen politischen Inszenierung zu entschlüsseln und in die zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen Kontexte und Wahrnehmungshorizonte einzuordnen. Diachron lässt sich beobachten, welche szenischen Bilder wiederholt wurden, auf welche Weise sie modifiziert wurden, schließlich wie und unter welchen Bedingungen sich die Inszenierung von Staat und Gesellschaft im Laufe der Jahrzehnte wandelte. Die Untersuchung stützt sich auf eine Vielzahl von Quellen, mit denen unterschiedliche methodische Herausforderungen verbunden sind. Die wichtigste archivalische Quellengrundlage bilden die Protokollakten des Auswärtigen Amtes, die im dortigen Politischen Archiv für die Jahre 1949 bis 1974 zu allen geplanten Staatsbesuchen, ausgewählten anderen Besuchen ausländischer Politiker und grundlegenden Protokollfragen vollständig eingesehen wurden. Sie dokumentieren vor allem das Skript der Besuche, den Entstehungsprozess von den ersten diplomatischen Anfragen über die Vorverhandlungen, die Vorbereitungen vom Zeremoniell bis zu Sicherheitsfragen, das offizielle Programm bis hin zu Erfahrungsberichten der Mitarbeiter des Protokolls. Gleichzeitig dokumentiert dieses Material, welche Personenkreise an den Entscheidungen und an der Umsetzung der Staatsbesuche beteiligt waren. Neben diesen Unterlagen erwiesen sich vor allem Akten der unterschiedlichen Länderabteilungen, der Politischen Abteilung, der Nachlass der stellvertretenden Protokollchefin in 79 Geertz, S. 9. Vgl. zu dieser Perspektive auf Politik Mergel, Überlegungen, S. 591f. 80 Der aus der Ritualtheorie entlehnte Begriff »Skript« hatte ein Äquivalent im Sprachgebrauch des Protokolls. Protokollmitarbeiter bezeichneten die detaillierte schriftliche Ausarbeitung eines Besuchsprogramms bisweilen als »Drehbuch«.
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den fünfziger Jahren, Erica Pappritz, sowie die Sammlung der Druckprogramme, die für den gesamten Untersuchungszeitraum zugänglich ist, als hilfreich. Die Akten des Bundespräsidialamtes und des Bundeskanzleramtes ergänzen die Informationen aus dem Außenamt. Die Akten des Bundespresseamtes, die wie die vorgenannten Unterlagen im Bundesarchiv Koblenz auf bewahrt werden, geben Aufschluss über die Vorbereitungen, die mit Blick auf die westdeutschen und internationalen Massenmedien und die Straßenöffentlichkeit vor Ort getroffen wurden. Neben vereinzelten Hinweisen in edierten Quellen81 ermöglichen es vor allem die genannten Archivalien82 zu rekonstruieren, wie die Formensprache der Bundesrepublik entstand und sich veränderte, welche Bilder der Bundesrepublik die Besuchsplaner schaffen wollten, welche Formen und Praktiken diese hervorbringen sollten und wie die Geschehnisse nachträglich bewertet wurden. Für die Programmteile, die in West-Berlin und bei der Firma Krupp in Essen stattfanden, erbrachten Nachforschungen im Landesarchiv Berlin sowie im Historischen Archiv Krupp detaillierte Einblicke in das Zusammenspiel von Bund und West-Berlin sowie staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Ein weiterer Weg, sich den Bildern zu nähern, welche die Besuchsregisseure von der Bundesrepublik zeigen wollten, führt über die Filmproduktionen des Bundespresseamtes, die im Bundesarchiv/Filmarchiv Berlin auf bewahrt werden, leider aber zum großen Teil aus konservatorischen Gründen nicht gesichtet werden können. Doch viele der Filmskripte finden sich in den Akten des Bundespresseamtes. Bemerkenswert ist, dass bisweilen von ein und demselben Staatsbesuch, etwa dem Besuch von Königin Elizabeth II. 1965, unterschiedliche Filme für unterschiedliche Adressatenkreise produziert wurden. Auch Publikationen, an deren Finanzierung das Bundespresseamt beteiligt war, wie etwa der Diplomatische Kurier,83 lassen Rückschlüsse auf die Intentionen der staatlichen Besuchsplaner zu. Für die Zeit nach 1974 kann sich die Studie nicht auf die beschriebenen Aktenbestände stützen, da diese einer dreißigjährigen Sperrfrist unterliegen. Doch wenngleich Quellen zu den Besuchsplanungen und Inszenierungsabsichten fehlen, lässt sich doch einiges über die Performanz der Besuche herausfin81 Vereinzelte interessante Dokumente finden sich in den Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, in den Kabinettsprotokollen, in der Rhöndorfer Ausgabe oder ausländischen Akteneditionen zur Außenpolitik. 82 Eingesehene Nachlässe von Theodor Heuss, Heinrich Lübke, Karl Carstens, Herbert Blankenhorn, Günter Diehl u. Wilhelmine Lübke bieten keine ergiebigen Informationen zum Thema. 83 Der Diplomatische Kurier erschien erstmals mit Beginn des Jahres 1952 als vierzehntägige Beilage der Diplomatischen Korrespondenz. Der Diplomatische Kurier wurde finanziell von der Bundesregierung gefördert, vgl. Hoffmann, Vorsicht, S. 190. Die Regierungsnähe indizieren auch die Autoren der Artikel, die zu großen Teilen Mitarbeiter in Ministerien oder bei anderen Instituti onen des Bundes waren.
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den, über die aus den bislang genannten Archivalien kaum Informationen gewonnen werden können. Tageszeitungen und Wochenmagazine gaben nicht nur im Vorfeld der Besuche Hintergrundinformationen zu den Gästen und geplanten Programmpunkten, sondern berichteten während der Besuchstage en detail von dem Ereignis. Die Zusammenschau vieler Presseorgane – die Journalisten unterschieden sich in dem, was sie für berichtenswert hielten – ergibt ein facettenreiches Gesamtbild des tatsächlichen Besuchsablaufs. Zudem eröffnen die Zeitungsartikel Informationen über den zeitgenössischen Deutungshorizont der Ereignisse. Anhand von journalistischen Kommentaren lassen sich die zahlreichen Bedeutungsmöglichkeiten der Handlungen auf die zeitgenössische Wahrnehmung hin eingrenzen. Bis auf einige Nachrecherchen stammen die zitierten Texte alle aus den Akten oder aus der umfangreichen Presseausschnittsammlung des Bundespresseamtes in Berlin. Die herangezogenen Artikel lassen sich als »vielstimmiger Text« verstehen,84 dessen Stimmen aus unterschiedlichen Richtungen und mit variierenden Klangfärbungen gemeinsam das argumentative Feld umreißen, in dem über Staatsbesuche gesprochen wurde. Die einzelnen Handlungen bzw. szenischen Bilder der Staatsbesuche lassen sich nicht nur über schriftliche Quellen, sondern auch über Bild- und Tonquellen rekonstruieren. So dokumentieren die Druckversionen im Bulletin des Presse- und Informationsamtes die Reden bei Staatsbesuchen inhaltlich, doch einen Eindruck von Tonfall, Betonung, Rhythmus und besonderen Akzenten des Sprechers sowie eventuelle Reaktionen des Auditoriums geben erst Schallplatten – etwa mit den Reden Charles de Gaulles oder John F. Kennedys – oder Filmaufnahmen der Wochenschauen und des Fernsehens. Aufgrund der hohen Bedeutung der visuellen Medien stützt sich diese Arbeit neben den Text- vor allem auf Bildquellen.85 Sofern keine konservatorischen Gründe daran hinderten, wurden Wochenschauen, darunter die seinerzeit mehrheitlich in Bundesbesitz befindliche Deutsche Wochenschau und der vom Bundespresseamt für das Ausland produzierte Deutschlandspiegel sowie die bereits erwähnten Filmproduktionen zu Staatsbesuchen der fünfziger und sechziger Jahre im Bundesarchiv/Filmarchiv Berlin und im Internet-Archiv der Deutschen Wochenschau eingesehen. Eine serielle Auswertung dieses Materials, das die Handlungen dokumentierte und zugleich im Sinne der Regierung interpretierte, war aufgrund des eingeschränkten Zugangs nicht möglich. Doch schon die vorhandene Auswahl des Materials er84 Naumann, Krieg als Text, S. 19. 85 Vgl. zu Bildern als historischer Quelle etwa Burke; Talkenberger; Wohlfeil; zu Fotografien Hamann, Bilderwelten; Hoffmann, Fotografie; Jäger; Paul, Visual History; Waibl. Jens Jäger unterscheidet drei Methoden voneina nder: die Realienkunde u. sozialgeschichtliche Betrachtung der Fotos, die ikonologische u. ikonographische Analyse u. neuere kulturgeschichtliche Ansätze, die »Wert auf die diskursive Einbettung der Photographie legen«, Jäger, S. 65–87, Zitat S. 79.
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laubt Aussagen darüber, wie Staatsbesuche in der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit für die Bundesrepublik genutzt wurden. Die Bilder des öffentlich-rechtlichen Fernsehens werden ebenfalls nur in Auszügen in die Überlegungen einbezogen. Dies liegt zum einen daran, dass die Fernsehsender nicht auf umfangreiche wissenschaftliche Recherchen in ihren Bildarchiven eingestellt sind, da die Archive primär der Produktion eigener Sendungen dienen. Zum anderen wurden vor allem in der Frühphase des Fernsehens nicht alle Sendungen über Staatsbesuche archiviert. Das vorhandene Material liegt teilweise in Formaten vor, die heute nicht mehr verwendet werden und aus Kostengründen nicht in andere Formate übertragen werden. Daher bezieht die Arbeit nur Bildmaterial in die Überlegungen ein, das im Handel oder über Wiederholungen im Fernsehen zugänglich ist. Gleichwohl können Aussagen über die gesendeten Fernsehbilder getroffen werden. Welche Fernsehsendungen geplant waren, erschließt sich aus den staatlichen Akten und aus den Programmübersichten in der Fernsehzeitschrift Hör zu. Doch viel interessanter als die Frage, was gesendet wurde, ist die Frage, wie die Fernsehbilder zeitgenössisch wahrgenommen wurden. Aufgrund der wachsenden Bedeutung des Fernsehens veröffentlichten Tageszeitungen und Wochenmagazine nicht nur Reportagen vom Geschehen am Ort, sondern auch detaillierte Berichte und Kommentare zur Fernsehberichterstattung über Staatsbesuche, die Rückschlüsse auf die Sendungen zulassen. Diese Reflexionen auf das Medium geben Hinweise darauf, wie das Fernsehen die öffentliche Wahrnehmung politischer Ereignisse und das Verhalten der Gefilmten veränderte. In den fünfziger Jahren, der Experimentierphase des Mediums, bewerteten die Fernsehmacher teils selbst in der Zeitschrift Fernseh-Informationen die Sendungen ihrer Kollegen. Politische Ereignisse erscheinen in diesen Artikeln als Experimentiermöglichkeiten des jungen Mediums. Wie sich das neue Massenmedium auf die Inszenierung der Besuche auswirkte und die Zusammenarbeit zwischen Besuchsregisseuren und Fernsehmachern gestaltete, lässt sich vor allem mithilfe der Akten des Auswärtigen Amtes und des Bundespresseamtes nachzeichnen. Im Unterschied zu den bewegten Bildern der Filmaufnahmen hoben Fotografien ausgewählte Momente der Besuche aus dem Geschehen heraus und verliehen ihnen so besondere Bedeutung. Momentaufnahmen, die in Tageszeitungen, Illustrierten und teils im Fernsehen als Standbild gezeigt wurden, dominieren bis heute die spontanen Assoziationen zu Staatsbesuchen, wie etwa die Fotografien zu Willy Brandts Kniefall in Warschau 1970 oder das Foto des verletzt am Boden liegenden Benno Ohnesorg beim Schah-Besuch 1967.86 Diese »öffentlichen Bilder« finden sich in publizistischen Quellen und in Fotosammlungen, etwa bei der Landesbildstelle Berlin oder im Bundesarchiv Koblenz, 86 Vgl. Paul, Jahrhundert der Bilder.
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das die Fotos des Bundespresseamtes bis 1990 archiviert.87 Sie bildeten eine wesentliche Grundlage für die Vorstellungen, die sich Menschen weltweit von den Staatsbesuchen in der Bundesrepublik machten. Doch sollte sich das Augenmerk nicht nur auf die veröffentlichten Fotos und deren »diskursive Einbettung« richten.88 Unabhängig von ihrer Verwendung können Fotografien als realienkundliche Dokumente und in einer Bildfolge als Handlungsprotokolle gelten. Über die Vielzahl der Informationen, die sie geben, intensivieren sie einerseits die Nähe zum Untersuchungsgegenstand, können aber auch eine größere Distanz dazu schaffen, da die neuen Informationen zugleich die Fremdheit des Gegenstands vergegenwärtigen. Als serielle Quelle liefern sie Informationen über die Wiederholung bestimmter Handlungen und über Bildgenres. Im Zusammenspiel mit anderen zeitgenössischen Quellen können sie Aufschluss darüber geben, welchen Handlungen besondere Bedeutung beigemessen wurde. Die Bilder, die bei Staatsbesuchen entstanden und nicht veröffentlicht wurden, erweisen sich als äußerst aussagekräftiges Material. Fotografen des Bundespresseamtes dokumentierten jeden Staatsbesuch ausführlich im Bild – in dem Wissen, dass die Mehrzahl der Bilder nie in die Presse oder in Fotobände gelangen würde. Diese Bilder bilden nicht nur das negative ästhetische Pendant zu den veröffentlichten Bildern – von vielen entstand nicht einmal ein eigener Abzug –, sondern dokumentieren vieles, was die veröffentlichten Bilder nicht oder nicht im Detail zeigen. Die Fotografen des Bundespresseamtes zeichneten ein differenziertes Bild der Menschen am Straßenrand, der Plakate und Transparente, der Handlungen am Rande des Geschehens. Sie lichteten ihre journalistischen Kollegen bei der Arbeit ab und gaben so einen Eindruck von der permanenten Anwesenheit der Massenmedien. Diese unveröffentlichten Bilder dokumentieren die Handlungen und die Inszenierung der fotografierten Personen ebenso wie die veröffentlichten, da die Abgelichteten beim Entstehen der Fotos nicht wissen konnten, welche Bilder veröffentlicht würden, und sich für alle massenmedialen Beobachter gleichermaßen in Szene setzten. Diese Fotografien konnten erstmals seriell für Staatsbesuche ausgewertet werden.89 Sie dokumentieren gemeinsam mit den veröffentlichten Fotos, wie sich die szenischen und medialen Bilder der Staatsbesuche im Laufe der Jahrzehnte veränderten. In Experteninterviews gaben zwei Fotografen des Bundespresseamtes und ein PR-Berater der Adenauer-Regierung Auskünfte über ihre Arbeit, die auf
87 Die Fotos wurden im Bundespresseamt eingesehen. Neue Signaturen des Bundesarchivs wurden für den Abbildungsnachweis berücksichtigt. Ansonsten basieren die Bildnummern auf den Negativnummern und lassen sich so recherchieren. 88 Jäger, S. 79. Vgl. zur Wirkung veröffentlichter Fotografien Brink; Knoch, Bewegende Momente; Knoch, Tat als Bild. 89 Die Fotonegative wurden im Bundespresseamt gesichtet. Mittlerweile werden sie im Bildarchiv des Bundesarchivs Koblenz auf bewahrt und erschlossen.
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anderem Wege nicht erhalten werden konnten.90 Memoiren und Tagebücher der politischen Akteure gewähren schließlich einen Einblick in deren retro spektive Sicht auf die Ereignisse. In drei Kapiteln geht diese Untersuchung den oben formulierten Fragen nach. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den westdeutschen Formen staatlicher Repräsentation. Es erklärt, wie das Protokoll arbeitete und wer neben diesen offiziellen Besuchsarrangeuren an den Planungen der Staatsbesuche beteiligt war. Das Kapitel beleuchtet zudem, welche Traditionen, Vorbilder und Erfahrungen – angesichts eines gewollten sowie von außen eingeforderten Traditionsbruchs mit den Formen des Nationalsozialismus und der damit verbundenen Verunsicherung in Repräsentationsfragen – die stilistischen Orientierungspunkte für die bundesrepublikanische Staatsrepräsentation darstellten, und wie sich die westdeutschen zeremoniellen Formen in die internationalen Konventionen einfügten und mit diesen wandelten. Die zeremoniellen Formen bei Staatsbesuchen werden dabei als Teil einer stilistischen Suchbewegung aufgefasst, der das Kapitel abschließend an ausgewählten Beispielen nachgeht. Das zweite Kapitel analysiert die Bilder der Bundesrepublik. Es geht der Frage nach, welche Bilder bei Staatsbesuchen inszeniert wurden und wie die Umsetzung die geplanten Inszenierungen veränderte. Dabei werden jeweils die Visualisierungsstrategien mit den tatsächlichen Praktiken am Ort verglichen. Vier unterschiedliche Bilder, die für die Darstellung der Bundesrepublik zentral waren, werden genauer analysiert: Bilder des Erfolgs, Bilder der deutschen Teilung, Bilder der nationalsozialistischen Vergangenheit und Bilder der Heimat. Besuche beim Essener Krupp-Konzern zeigen beispielhaft, wie die Bundesrepublik sich als wirtschaftlich erfolgreicher Staat präsentierte. Dem standen Bilder der deutschen Teilung gegenüber. Vor allem Berlinbesuche brachten die Teilung der Nation als Problem der jungen Bundesrepublik zum Ausdruck. Untersucht wird ferner, wie die nationalsozialistische Vergangenheit in Staatsbesuchen visualisiert wurde und welchen Anteil die ausländischen Gäste daran hatten, dass und wie die NS-Zeit thematisiert wurde. Das Kapitel schließt mit einer Analyse der Bilder der »Heimat«, die zumindest vordergründig einen Blick auf Westdeutschland jenseits von Politik und jüngster Geschichte eröffnen sollten. Es wird herausgearbeitet, welchen Konjunkturen diese Bilder unterlagen, wie sich die Dramaturgien, Visualisierungsstrategien und Akzentsetzungen wandelten und wie die Bilder miteinander kombiniert wurden. 90 Engelbert Reineke u. Detlef Gräfingholt hatten seit Mitte der sechziger Jahre Festanstellungen als Fotografen beim Bundespresseamt u. fotografierten im Untersuchungszeitraum u.a. bei Staatsbesuchen. Der Journalist Klaus Otto Skibowski arbeitete in den fünfziger u. sechziger Jahren als freier Berater Konrad Adenauers u. wirkte sowohl bei den CDU-Wahlkämpfen als auch bei der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit mit.
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Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Tableaus der Gesellschaft, die bei Staatsbesuchen entstanden. Alle Teilnehmer der Staatsbesuche – ob als Staatsrepräsentanten, nichtstaatliche Interessenvertreter, Gäste beim Staatsbankett oder Menschen auf der Straße – zeichneten gemeinsam ein gesellschaftliches Tableau der Bundesrepublik. Das Kapitel geht der Frage nach, in welchem Verhältnis staatliche Repräsentation, Straßenöffentlichkeit und mediale Öffentlichkeiten zueinander standen. Im Einzelnen wird analysiert, auf welche Weise Staatsvertreter versuchten, das Straßenbild zu prägen, und auf welchen Wegen und in welchen Fällen das gelang. Darüber hinaus wird untersucht, in welchem Maße die Bürger Staatsbesuche als ihre Bühne nutzten und ihre Vorstellungen und Anliegen – auch im Konflikt mit den Staatsrepräsentanten – zum Ausdruck brachten. Des Weiteren thematisiert das Kapitel, wie sich die Anwesenheit der Massenmedien bei Staatsbesuchen auf die Inszenierung und das sichtbare Verhältnis von Staat und Gesellschaft auswirkte. Die massenmedialen Deutungen der Besuche lassen zudem Rückschlüsse auf den Diskurs über den Staat in der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu.
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Erstes Kapitel – Formen staatlicher Repräsentation I. Das Protokoll als Ressort Das Protokoll bildete bereits in der im Juni 1950 gegründeten Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt, aus der am 15. März 1951 das Auswärtige Amt als eigenständige Institution hervorging, eine eigene Einheit.1 In seine Kompetenz fielen die Betreuung fremder Missionen, Konsulate und internationaler Organisationen in der Bundesrepublik sowie alle Fragen des Zeremoniells.2 Von Beginn an plante und organisierte das Protokoll zudem federführend den Besuchsaustausch zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten. Es bereitete sowohl die Besuche in der Bundesrepublik als auch Reisen des Bundespräsidenten sowie des Bundeskanzlers vor und übernahm diese Aufgabe bis Mitte der fünfziger Jahre ebenso für die einzelnen Bundesministerien.3 Es koordinierte alle Planungen, den Transport, Auswahl sowie Dekoration der Unterkünfte und Veranstaltungsorte, erarbeitete das Besichtigungsprogramm, Ablaufpläne und Aufstellungsskizzen. Die Kommunikation mit allen beteiligten Stellen lief im Protokoll des Auswärtigen Amtes zusammen. Der erste Protokollchef der Bundesrepublik, Hans Herwarth von Bittenfeld, trat am 6. September 1949 sein Amt noch vor dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten an, blieb bis 1955 in dieser Funktion und ging dann als Botschafter nach London.4 Von Herwarth war 1927 bis 1939, als er zur Wehrmacht eingezogen wurde, im Auswärtigen Dienst tätig und arbeitete von 1945 bis 1949 in der Bayerischen Staatskanzlei. Er gehörte »zu den einflußreichsten Diplomaten in der frühen Ära Adenauer«5 – und über diese Zeit hinaus, übernahm er doch den Vorsitz der Reformkommission des Auswärtigen Amtes von 1969 bis 1971.6 1 Vgl. zur Gründungsphase Müller, Relaunching, S. 35 u. 55f.; Wengst, S. 186f. 2 Vgl. die Geschäftsverteilungspläne des Auswärtigen Amtes. 3 1957 wurde die Zuständigkeit des Protokolls auf Besuche von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs, deren Stellvertreter u. Außenminister, die auf Einladung des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers oder auf eigene Veranlassung die Bundesrepublik besuchten, begrenzt, vgl. Aufzeichnung von Rom, 1.8.1957, PA, Nl. Pappritz. 4 Vgl. von Herwarth, S. 75, zur gesamten Zeit im Protokoll S. 75–165. 5 Döscher, S. 119, zu von Herwarths Biographie S. 115–121; Biographisches Handbuch, Bd. 2, S. 291f. 6 Vgl. von Herwarth, S. 372–381.
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Neben von Herwarth prägte vor allem seine Stellvertreterin Erica Pappritz die protokollarischen Formen der frühen Bundesrepublik: auf der Ebene des Staatszeremoniells und durch ihre Mitarbeit an einem Etikette-Buch auch auf gesellschaftlicher Ebene.7 Pappritz war gemeinsam mit dem Protokollchef von der Bayerischen Staatskanzlei zur neuen Regierung nach Bonn gewechselt und ebenfalls bereits vor 1945 im Auswärtigen Amt tätig gewesen. Gemeinsam mit von Herwarth und Pappritz bildeten Hans Erich Graf Carmer und Bernhard von Tieschowitz den ersten, durch »Aristokraten preußischer Provenienz« geprägten Protokollstab.8 Auch in den Folgejahrzehnten trugen die westdeutschen Protokollchefs einen Adelstitel, mit Ausnahme Ernst-Günther Mohrs, der ebenfalls aus dem alten Amt stammte9 und als Nachfolger von Herwarths bis 1958 das Protokoll lenkte. Auf ihn folgten Sigismund Freiherr von Braun, der aus dem alten Amt übernommen worden war10 und bis 1962 das Protokoll leitete, sowie Ehrenfried von Holleben, der vor 1945 als Jurist tätig gewesen und bis 1965 Protokollchef war.11 In der Zeit der Großen und der sozial-liberalen Koalition stand mit Hans Schwarzmann für fünf Jahre ein »Bürgerlicher« an der Spitze des Protokolls. Vordergründig mag Schwarzmann damit ein Privileg des Adels durchbrochen haben,12 doch verdankte der promovierte Jurist und Nationalökonom seinen schnellen Aufstieg im diplomatischen Dienst seit 1939 familiären Verbindungen.13 Joachim von Ribbentrop, ab 1938 Außenminister des Deutschen Reiches, war mit einer Cousine der Ehefrau Schwarzmanns verheiratet und scheint den verschwägerten Juristen gefördert zu haben. Nach Kriegsende wurde Schwarzmann als »Mitläufer« entnazifiziert, fand eine Anstellung bei der Bayerischen Staatskanzlei und wechselte mit von Herwarth nach Bonn. Als der Journalist Michael Mansfeld im September 1951 die personelle Kontinuität zwischen dem alten und neuen Auswärtigen Amt kritisierte14 und der Bundestag dies zum Anlass für eine Untersuchung der Personalpolitik des Auswärtigen Amtes nahm, geriet auch Schwarzmann in die Kritik. Dies blieb jedoch folgenlos. 17 Vgl. das Portrait in Müller/Scheidemann, S. 187–191. Der Anstandsführer löste die Regeln der Etikette aus dem Bereich des Adels u. der Staatsführung heraus, um jedermann das »beglückende Bewußtsein« zugänglich zu machen, »zu jeder Stunde erneut um Vorbildlichkeit zu ringen«, Graudenz/Pappritz, Buch der Etikette, S. 25. Die Repräsentation und Vorbildlichkeit des neuen Staates wurde hier zum habituellen Modell für den (Staats-)Bürger. 18 Döscher, S. 115. 19 Vgl. Nationalrat, Braunbuch, S. 251f. 10 Vgl. ebd., S. 251; Biographisches Handbuch, Bd. 1, S. 263f. 11 Vgl. Nationalrat, Braunbuch, S. 267. 12 Vgl. Bonn sucht den guten Ton, Express, 6.2.1968. 13 Vgl. zu Schwarzmanns Biographie Döscher, S. 104–106; Nationalrat, Braunbuch, S. 274. 14 Die fünf Artikel erschienen zwischen dem 1. u. 6. September 1951 in der Frankfurter Rund schau u. sind abgedruckt bei Döscher, S. 156–165.
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Seine Vergangenheit holte Schwarzmann schließlich als Protokollchef ein.15 In seine Amtszeit fielen die vergangenheitspolitischen Initiativen Gustav Heinemanns und Willy Brandts. Es ergab sich so die delikate Situation, dass ein Protegé von Ribbentrops Brandts Reise nach Polen und Heinemanns Reise in die Niederlande mit vorbereitete. Die westdeutschen Massenmedien scheinen diese Konstellation nicht thematisiert zu haben, die Niederländer hingegen schlossen Schwarzmann explizit vom Staatsbesuch aus.16 Auf der Ebene der Protokollchefs endete der Einfluss des alten Amtes Anfang der siebziger Jahre mit Max Graf von Podewils-Dürnitz, der von 1971 bis 1975 dem Protokoll vorstand. Darauf folgten Franz Joachim Schoeller, 1975 bis 1980, Hans-Werner Graf Finck von Finckenstein, 1980 bis 1984, Werner Graf von der Schulenburg, 1984 bis 1988, und Erhard Holtermann, 1988 bis 1991. Die westdeutsche Öffentlichkeit nahm die wechselnden Protokollchefs als Lenker des zeremoniellen Erscheinungsbildes der Bundesrepublik wahr und belächelte bisweilen die überholt wirkenden Formen. Die Protokollchefs betonten stets die formgebende Funktion des Protokolls, konnten jedoch den Vorwurf der Antiquiertheit protokollarischer Formen nicht verhindern. Allerdings veränderte sich mit der fortschreitenden Professionalisierung des Protokolls auch die öffentliche Wahrnehmung der Experten für staatliche Zeremonien. 1956 benutzte das Protokoll erstmals Anmeldeformulare für ausländische Besucher, die den Namen des Gastes und des Gastgebers, die Dauer des Besuchs, besondere Merkmale etc. rubrizierten.17 Auch der Zugang zu den einzelnen Programmteilen eines Staatsbesuchs wurde durch eine wachsende Zahl von Ausweisen professionalisiert, und die Abläufe der einzelnen Zeremonien wurden immer detaillierter ausgearbeitet. Ein Journalist charakterisierte das Protokoll 1963 als »Planungsbehörde«.18 In den siebziger Jahren sah Protokollchef Schoeller seine Abteilung als organisatorischen Planungsstab.19 Diesen funktionalen Aspekt des Protokolls hatte auch Schoellers Amtsvorgänger von Podewils – zumal angesichts der bleibenden Kritik an protokollarischen Formen 20 – nachdrücklich in der westdeutschen Öffentlichkeit vertreten. Schon bei Amtsantritt präsentierte sich von Podewils als »Manager von repräsenta-
15 Zuvor war von den Protokollchefs nur Mohr am Ende seiner Amtszeit wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit öffentlich angeprangert worden, vgl. R. Thilenius, Die drei Bonner Zeremonienmeister, SZ, 5.4.1958. 16 Vgl. Zweites Kap., III.5. 17 Vgl. Rundschreiben BM Schäfer an oberste Bundesbehörden, 18.1.1956, BA, B145/3104, Bd. 1. 18 W. Cürten, Harte Pflicht: Repräsentieren, Kölnische Rundschau, 11.8.1963. 19 Vgl. E. Keil, Ein Rheinländer übernimmt das Bonner Regiment, Kölnische Rundschau, 27.3.1975. 20 Vgl. Aufzeichnung von Podewils, 28.6.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.219.
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tiven Veranstaltungen«.21 Er schilderte seine Tätigkeit mit aus der Ökonomie entlehnten Vokabeln und befand sich damit im Einklang mit dem Machbarkeitsgedanken der siebziger Jahre: »Wir sind Manager, die für dieses Land Public Relations machen.«22 Bereits 1958 hatte ein Journalist das Protokoll als »Public-Relations-Abteilung im diplomatischen Bereich« bezeichnet.23 Bevor das Protokoll ein Selbstverständnis als Werbeagentur für den Staat in dieser Deutlichkeit formulierte, wussten seine Mitarbeiter bereits, dass sie maßgeblich bestimmten, wie der junge westdeutsche Staat von den Staatsgästen sowie von den eigenen Bürgern wahrgenommen wurde. Wenn Schoeller 1975 betonte, wie wichtig die Atmosphäre bei Staatsbesuchen sei,24 stand er damit in der Tradition seiner Vorgänger. Bereits der Text, in dem Legationsrat von Rom das bis dahin angesammelte protokollarische Wissen zu Staatsbesuchen für die Bundesrepublik 1957 erstmals zusammentrug, dokumentiert die Sensibilität des Protokolls für ästhetische und atmosphärische Fragen. Im Programm müsse »die politische Bedeutung eines Staatsbesuches […] auch ›optisch‹ erkennbar« werden, und zugleich müsse vermieden werden, dass der Gast das Protokoll als »Prokrustesbett« empfinde. Hier konnten auch »›Kleinigkeiten‹« ins Gewicht gefallen.25 Von Podewils charakterisierte das protokollarische Wissen 1972 als »Summe der Erfahrungen« bisheriger Veranstaltungen. Dieses an der Praxis geschulte Wissen musste unterschiedlichen Bedürfnissen zur gleichen Zeit entsprechen, »dem Geschmack der beteiligten Hauptpersonen, der Öffentlichkeit in den betroffenen Ländern und deren zum Teil vorhandenem Nationalbewußtsein sowie dem Stil der Wort- und Bildpresse«.26 Im Sinne Gernot Böhmes wären die Mitarbeiter des Protokolls ästhetische Praktiker, die den Rahmen gestalteten, in dem die Bundesrepublik sinnlich erfahrbar wurde; ihre Praktiken und Inszenierungen gäben einen Einblick in die ästhetischen Verfahren zur Darstellung der Bundesrepublik.27 Staatsbesuche kamen als Gegeneinladungen nach einem Aufenthalt des Bundespräsidenten oder Bundeskanzlers im Ausland zustande. Ferner wurden sie von westdeutschen Botschaftern oder den ausländischen Gesandten in der 21 K. Olbertz, Orden wie aus der Streudose, Handelsblatt, 25.10.1971. 22 Zit. n. Zurückhaltung gehört zum Geschäft, Weser Kurier, 30.8.1974. Vgl. auch H. Lölhöffel, Es wird wieder getrommelt und gepfiffen, SZ, 26.7.1974. 23 Fremde Staatsoberhäupter sind keine »Geschäftsreisende in Politik«, Saarbrücker Zeitung, 8.10.1958. 24 Vgl. E. Keil, Ein Rheinländer übernimmt das Bonner Regiment, Kölnische Rundschau, 27.3.1975. 25 Aufzeichnung von Rom, 1.8.1957, PA, Nl. Pappritz. 26 Aufzeichnung von Podewils, 12.7.1972, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.629. 27 Böhme bemüht sich, ein neues Verständnis von Ästhetik als Disziplin zu etablieren, welche »die sinnliche Wahrnehmung« schlechthin in den Blick nimmt, die »Atmosphären«, verstanden als »Zusammenhang der Qualitäten von Umgebungen und der Befindlichkeiten«. Böhme, Atmosphäre, S. 15–17. Diesen Ansatz entwickelte er weiter in: ders., Aisthetik.
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Bundesrepublik – in beiden Fällen oftmals auf ausdrücklichen Wunsch der reisewilligen Staatsmänner –, der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt und anderen staatlichen Stellen angeregt. Bisweilen gaben auch Wirtschaftsvertreter Impulse für Einladungen. Nachdem sich das Auswärtige Amt mit dem Bundespräsidial- und dem Bundeskanzleramt auf eine Einladung geeinigt hatte, setzten die Vorbereitungen im Protokoll ein. Die Einflussnahme des Bundespräsidenten und Bundeskanzlers, der sichtbaren westdeutschen Akteure bei den Besuchen, auf die Besuchsprogramme variierte danach, wer das Amt bekleidete und welches Interesse der einzelne Amtsträger an dem jeweiligen Besuch hatte. Grundsätzlich entstand das Programm für Staatsbesuche in Zusammenarbeit zwischen den diplomatischen Vertretern sowie den Protokollbeauftragten der Bundesrepublik und des Gastlandes. Einige Gäste baten um Programmvorschläge des westdeutschen Protokolls und nahmen dann Änderungen nach ihren Wünschen vor, andere formulierten von Beginn der Überlegungen an dezidierte Wünsche. Manchmal reisten vorab so genannte Vorauskommandos aus den Gastländern an, um die Örtlichkeiten und Möglichkeiten zu sondieren. Begrüßungs- und Abschiedszeremoniell, gemeinsame Mahlzeiten sowie abendliche Empfänge und Bankette, die Vorstellung des Diplomatischen Korps, Eintragungen in die Goldenen Bücher der besuchten Kommunen und ab 1964 die Kranzniederlegung am Bonner Ehrenmal stellten Programmstandards dar, die lediglich im Detail variiert wurden; Rundreisen und Besichtigungen konnten dagegen auf den einzelnen Gast abgestimmt werden. Von Seiten der Bundesrepublik beteiligten sich die anderen Abteilungen des Auswärtigen Amtes an den Vorbereitungen. Vor allem die Länderabteilung bzw. die Politischen Abteilungen, die dem jeweiligen Herkunftsland des Gastes zugeordnet waren, berieten bei der inhaltlichen Gestaltung der Besuche, erarbeiteten Gesprächsvorlagen, grundlegende Informationen zur Geographie, Geschichte, politischen Struktur etc. sowie Redeentwürfe für Bundespräsident und Bundeskanzler. Aus den einzelnen Ministerien kamen Vorschläge für Besichtigungen und Gästelisten.28 Bundespresseamt und Protokoll arbeiteten zunehmend enger zusammen, womit sie der wachsenden Bedeutung der Massenmedien Rechnung trugen.29 Von Anfang an besprach das Protokoll mit der Polizei, dem Bundeskriminalamt sowie dem Innenministerium Maßnahmen zum Schutz der Gäste. Nach Attentatsdrohungen gegen Staatsoberhäupter und der Ermordung John F. Kennedys auf offener Straße 1963 gewannen Fragen der 28 In den fünfziger Jahren war vor allem das Wirtschaftsministerium nach Absprache mit dem BDI sehr aktiv, vgl. Aufzeichnung von Rom, 1.8.1957, PA, Nl. Pappritz. 29 Dies gipfelte in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe Staatsbesuche ab Mitte der siebziger Jahre, vgl. die Protokolle zu den Sitzungen der Arbeitsgruppe Staatsbesuche 1974, BA, B145/9276, Bd. 1 sowie Drittes Kap., IV.
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Sicherheit zusätzlich an Bedeutung. In dieser Hinsicht prägten die Erfahrungen beim Schah-Besuch 1967 sowie die Terrorismus-Bedrohung in den siebziger und frühen achtziger Jahren nachdrücklich die Arbeit des Protokolls. Von Beginn an handelten Länder und Kommunen sowie Interessengruppen mit dem Protokoll aus, auf welche Weise sie in einen Staatsbesuch einbezogen würden. Länder und Kommunen zahlten bei Staatsbesuchen und offiziellen Besuchen die Ausschmückung, örtliche Transporte und gesellschaftliche Veranstaltungen des Landes, während der Bund die Kosten der Unterbringung und einer Grundverpflegung übernahm.30 Bei regelmäßigen Treffen aller Protokollbeauftragten der Länder und des Bundes, die erstmals 1961 stattfanden, versuchten die Vertreter des Protokolls im Auswärtigen Amt, die zeremoniellen Formen in den Ländern denen der Bundesebene anzugleichen.31
II. Stilistische Orientierungspunkte – Zwischen Tradition, Adaption und Konvention Das seit dem Wiener Kongress international anerkannte Reglement bildete auch nach dem Zweiten Weltkrieg den protokollarischen Rahmen für zwischenstaatliche Kontakte. Es basierte auf der Gleichrangigkeit der Staaten und der Festlegung der Rangfolge nach dem Anciennitätsprinzip.32 Darüber hinaus etablierte sich das »Prinzip der Reziprozität«, nach dem gewährte Ehrungen erwidert wurden.33 Die konkrete Ausgestaltung eines Staatsbesuches oder eines anderen zeremoniellen Ereignisses musste jedoch jeweils im Einzelnen näher bestimmt werden. Auch englische und französische protokollarische Handbücher, auf die das Auswärtige Amt zurückgreifen konnte, beschränkten sich auf die Erläuterungen dieser Grundprinzipien und gaben nur in Anekdoten praxisrelevante Hinweise.34 Einige Formen, die teils auf mittelalterliche Praktiken zurückgingen, schienen bei Staatsbesuchen selbstverständlich, etwa die Stellung eines Ehrenbegleiters, das Schmücken der Orte, das Grußtelegramm des Gastes bei 30 Vgl. Entwurf Niederschrift über die behandelten Tagesordnungspunkte beim Treffen der Protokollchefs am 9.3.1961, 10.6.1961, PA, B8, Bd. 630. 31 Vgl. die Dokumente in PA, B8, Bd. 630; von Etzdorf an den Kölner OB, 30.9.1953, PA, B8, Bd. 644. 32 Vgl. Rosmus, S. 40f. Das Anciennitätsprinzip besagt, dass sich die Rangfolge der Missionschefs nach dem offiziellen Dienstantritt in einem Land richtet. 33 Vgl. Rosmus, S. 41. 34 Das westdeutsche Protokoll zog in den fünfziger Jahren heran: Satow; Serres, vgl. von Herwarth an von Schmidt-Pauli, 19.1.1950, PA, B8, Bd. 22; AA an Göttke, 27.10.1958, PA, B8, Bd. 627.
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der Durchreise und beim Verlassen des Landes, das aus dem unter Monarchen üblichen Brudergruß hervorgegangen war.35 Die Anfangsjahre der Bundesrepublik dienten den Mitarbeitern des Protokolls als Versuchs- und Orientierungsphase. Die Besuchsgestaltung war ebenso wie politische und gesellschaftliche Strukturen zeitgebunden und wandelbar.36 Die protokollarischen Regeln und Formen der jungen Bundesrepublik mussten erst mit der Zeit ge- bzw. erfunden, erprobt und teils verworfen werden und blieben auch danach vergleichsweise offen. So war die Entwicklung einer bundesrepublikanischen Rangordnung ein langwieriger Prozess, der einen Kontrapunkt zu dem zügigen institutionellen Auf bau des Staates setzte. Eine inoffizielle protokollarische Rangordnung der Repräsentanten der verschiedenen Organe der Bundesrepublik wurde erstmals 1965 ausgegeben.37 Das Grundgesetz benannte zwar die einzelnen Organe und ihre Funktionen, behandelte sie aber als »in rechtlicher und politischer Hinsicht gleichrangig«.38 In der protokollarischen Praxis, beim Begrüßungszeremoniell oder bei den Tischordnungen, ließ sich diese Gleichrangigkeit nicht darstellen. Vor allem die Rangfolge von Bundestagspräsident als Vertreter des Souveräns und Bundesratspräsident als Repräsentant des föderalistischen Prinzips39 bzw. Bundestagspräsident und Bundeskanzler40 sowie der Rang des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts41 standen zur Debatte. Die Rangordnung galt Bundestagspräsident Hermann Ehlers als »Kennzeichen [des] Selbstverständnisses« der Bundesrepu blik.42 Obwohl sich diverse Ministerien in der Diskussion engagierten und die Rangfrage ins Kabinett gelangte,43 kam es zu keiner verbindlichen Lösung. Adenauer löste diese Frage performativ, indem er sich bei der Aufstellung zum Begrüßungszeremoniell vor den Bundestagspräsidenten schob.44 Ebenso blieb die Abgrenzung der unterschiedlichen Besuchstypen lange ungeklärt bzw. unterlag sie wie die Gestaltung der Besuche einem Wandel. 1954 vermerkte ein Protokollmitarbeiter, dass es für Staatsbesuche »keine festen allgemein verbindlichen Regeln« gebe. Dauer und Auswahl der Besuchsstationen würden »im wesentlichen von den politischen, wirtschaftlichen und kulturel35 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 270. 36 Die Wandelbarkeit des Zeremoniells verdeutlicht eindrucksvoll Cannadine, indem er die »Tradition« des britischen Hofzeremoniells als Erfindung des 19. Jahrhunderts ausweist u. in Relation zum zeitgenössischen politischen Kontext setzt. 37 Diese Rangfolge galt inoffiziell für innerdeutsche Staatsakte. Das erste halbwegs offizielle Dokument stammt von 1977, vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 150. 38 Hartmann, Staatszeremoniell, S. 144. 39 Vgl. die Dokumente von 1950 in PA, B8, Bd. 625. 40 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 150. 41 Diese Diskussion fand 1953 statt, vgl. die Dokumente in PA, B8, Bd. 625. 42 Ehlers an Heuss, 29.10.1951, PA, B8, Bd. 625. 43 Vgl. zu den Besprechungen u. Vorschlägen 1952 die Dokumente in PA, B8, Bd. 625. 44 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 150.
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len Beziehungen bestimmt« und nicht von der theoretischen Gleichrangigkeit aller Staaten.45 Bisweilen versuchten sich die Berichterstatter an einer Unterteilung. Ein Journalist unterschied 1956 zwischen »einfache[n] Staatsbesuche[n]«, »große[n] Staatsbesuchen« und »Blitzbesuche[n]«.46 Legationsrat von Rom subsumierte 1957 unter Staatsbesuchen die Visiten von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs und Außenministern auf »ausdrückliche Einladung der Bundesrepublik«.47 Besuche von Parlamentspräsidenten und Regierungsmitgliedern galten als offizielle Besuche, Aufenthalte dieser Personengruppen ohne offizielle Einladung als halboffizielle Besuche. Allerdings zeichnete sich schon zur selben Zeit die Tendenz ab, Besuche von Regierungschefs auf Einladung der Bundesregierung als »offizielle Besuche« zu bezeichnen und im Aufwand gegenüber den Staatsbesuchen zu begrenzen.48 Bis 1960 gab es jedoch keine festen Normen.49 Zeitgleich zu Bemühungen der WEU-Protokollkonferenz, das diplomatische Zeremoniell zu vereinfachen, beschränkte von Braun Ende 1960 Staatsbesuche auf »offizielle Besuche ausländischer Staatsoberhäupter in der Bundesrepublik Deutschland auf Einladung des Herrn Bundespräsidenten« und strich den Passus »oder der Bundesregierung«.50 In den Folgejahren verfeinerte das Protokoll die genauen protokollarischen Merkmale der verschiedenen Besuchstypen.51
1. Traditionen der Weimarer Republik und der NS-Zeit Bei Gründung der Bundesrepublik gab es keine gewachsene Tradition deutschen Staatszeremoniells, an der sich das Protokoll hätte orientieren können52 und das den Bedürfnissen eines demokratischen Systems entsprochen hätte. Gleichwohl begann das Protokoll, anders als Pappritz und von Herwarth im Rückblick betonten, nicht beim »Nullpunkt«.53 Zwar fehlte bis zur zweiten Hälfte der fünfziger Jahre größtenteils der Zugriff auf die Akten vor 1945 und 45 Aufzeichnung Rißmann, 16.2.1954, PA, B8, Bd. 75. 46 D. von König, Das Bonner Protokoll in Nöten, Rhein-Neckar-Zeitung, 15.9.1956. 47 Aufzeichnung von Rom, 1.8.1957, PA, Nl. Pappritz. Vgl. Entwurf von Tschirschky, Richtlinien für Einladungen prominenter ausländischer Persönlichkeiten, 7.12.1955, PA, B8, Bd. 645. 48 Vermerk Gellbach auf Aufzeichnung Michelsen, 10.10.1958, PA, B8, Bd. 532. 49 Vgl. die Aussagen von Brauns, Keine ›Güldene Karosse‹ in Bonn, Kölnische Rundschau, 24.8.1960. Vgl. zu Unterschieden je nach »Bedeutung des Staatsbesuches«: Aufzeichnung Protokoll, 23.1.1960, PA, B8, Bd. 206. 50 Vgl. Änderungen durch Protokoll auf Entwurf von Bachor, Polizeischutzdirektor Bonn, o.D. [nach dem 24.11.1960], PA, B8, Bd. 646. 51 Vgl. Protokollarische Merkmale für Besuche ausländischer Staatsoberhäupter in Deutschland, 16.8.1968 u. Vermerk Schwarzmann, 15.11.1968, BA, B136/6167. 52 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 97–104. 53 Das Zitat stammt von Pappritz, zit. n. H. Wendt, Abschied vom Protokoll – ohne Lorgnon, Kölnische Rundschau, 1.4.1958. Vgl. von Herwarth, S. 93.
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damit auf archiviertes protokollarisches Wissen.54 Doch als Mitarbeiter des alten Amtes kannten von Herwarth und Pappritz, die seit Ende 1932 Protokollmitarbeiterin gewesen war, Protokoll und Zeremoniell der Weimarer Republik und des »Dritten Reichs«. Pappritz begann bereits 1948 im Auftrag des Juraprofessors Franz T. Hollos damit, protokollarisches Wissen zusammenzutragen. Neben der vorhandenen Literatur55 stützte sich Pappritz auf Informationen ehemaliger Kollegen. Sie stand mit rund einem Dutzend Personen in Kontakt, darunter Erich Kordt, der zwischen März 1938 und April 1941 das Ministerbüro von Ribbentrops im Auswärtigen Amt geleitet hatte und in den fünfziger Jahren in Köln Völkerrecht lehrte, und Alexander Freiherr von Dörnberg, Protokollchef von 1939 bis 1945. Auch mit den neuen Protokollbeauftragten der entstehenden Republik tauschte sich Pappritz aus. Sie sammelte zudem alles über Protokollaria im Ausland.56 Nach Aufnahme ihrer Tätigkeit im Protokoll des Auswärtigen Amtes führte Pappritz ihre Recherchen weiter, obwohl der Kreis möglicher Ansprechpartner »erheblich zusammengeschrumpft« sei.57 Vor allem Heinrich Döhle, ehemaliger Unterstaatssekretär im Präsidialamt des »Dritten Reichs«, war zwischen 1950 und 1953 ein dauerhafter Ratgeber.58 Wenngleich sich nicht im Einzelnen nachweisen lässt, wie sich die Rechercheergebnisse auf die Arbeit im Protokoll auswirkten, so belegen sie ein affirmatives Interesse an bestehendem zeremoniellem Wissen. Jene Recherchen, die Pappritz als Protokollmitarbeiterin im Auswärtigen Amt durchführte, standen explizit im Zeichen »der Wiederaufnahme früherer Gepflogenheiten des Reichspräsidenten in der Weimarer Zeit« durch den Bundespräsidenten.59 Vor allem in der Wahl der Staatssymbole orientierte sich die Bundesrepublik an Weimarer Traditionen. Die Farben der bundesrepublikanischen Flagge, Schwarz-Rot-Gold,60 wie die Übernahme des Weimarer Reichsadlers als Wappen und Siegel der Bundesrepublik mit der Bezeichnung Bundesadler verdeutlichten die Orientierung am Beispiel der ersten deutschen Republik. Der Bundesadler stellte in der zeitgenössischen Deutung als »Symbol der deutschen Einheit« 61 zugleich den Bezug zur deutschen Teilung her. Auch auf architektonischer Ebene knüpfte die Bun-
54 Vgl. Eckert, S. 160–170 u. 314–316. 55 Pappritz stützte sich unter anderem auf Satow; Krauske; Szilassy; de Martens; Zechlin, vgl. PA, Nl. Pappritz, Bd. 57. 56 Vgl. die Korrespondenz ebd. 57 Pappritz an Geilenberg, 5.4.1951, PA, B8, Bd. 22. 58 Vgl. den Briefwechsel 1950, PA, B8, Bd. 22. Von Dörnberg hatte Pappritz auf Döhle aufmerksam gemacht, vgl. von Dörnberg an Pappritz, 8.3.1949, PA, Nl. Pappritz, Bd. 57. 59 Konzept Pappritz an Döhle, 24.4.1950, PA, B8, Bd. 22. 60 Vgl. dazu Rabbow, S. 35f. 61 Abschrift der Bekanntmachung betr. das Bundeswappen und den Bundesadler, 1.2.1950, zit. n. Pappritz an Döhle, 31.8.1950, PA, B8, Bd. 22.
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desrepublik – etwa durch die Nutzung der 1930 erbauten Pädagogischen Akademie als Sitz des Bundestages – an die Weimarer Republik an.62 In protokollarischen Fragen blieb Weimar hingegen rhetorisches Argument. Weimarer Traditionen wurden vor allem dann angeführt, wenn es galt, bestimmte Handlungen und Usancen zu legitimieren – in der Debatte um die Rangfolge63 ebenso wie bei publizistischen Angriffen auf das Protokoll.64 Mit der Weimarer Republik verbanden sich nicht nur demokratische Traditionen, sondern auch die Erfahrung des Scheiterns einer Demokratie.65 Im Rückblick argumentierte von Herwarth – im Sinne der smendschen Integrationslehre66 –, das Protokoll habe nicht an Weimarer Traditionen anknüpfen können, da es der ersten Republik an Mut zur Repräsentation gemangelt habe und daher eine Identifikation des Volkes mit dem Staat ausgeblieben sei.67 In Fragen der Staatsbesuche und Orden konnte sich das Protokoll – anders als etwa bei Staatsbegräbnissen – ohnehin kaum an Traditionen der Weimarer Republik orientieren, für deren staatliche Zeremonien das Innenministerium zuständig gewesen war.68 Denn Orden wurden nicht verliehen und nur wenige Staatsbesuche ausgerichtet.69 Die Reichspräsidenten unternahmen selbst keine offiziellen Auslandsreisen und empfingen lediglich den afghanischen König Aman Ullah 1928 und den ägyptischen König Fuad 1929 als offizielle Gäste.70 Diese mangelnde Besuchspraxis galt als negatives Vorbild.71 Zudem blieben die Kenntnisse des Zeremoniells der Weimarer Republik lückenhaft. Schon bei den Recherchen 1948 war Pappritz an die Grenzen des Erinnerungsvermögens ihrer Ansprechpartner gestoßen. Selbst wenn sich die Befragten an einzelne Details erinnerten, unterschieden sie nicht trennscharf zwischen Weimarer Usancen und Zeremonien des »Dritten Reichs«, sondern breiteten einen zusammenhängenden Erfahrungsschatz aus, der die Jahre vor und nach 1933 miteinander verknüpfte.72 62 Vgl. Zweites Kap., III.1. 63 Vgl. Notiz von Pappritz, 6.2.1950; Abschrift BM Lehr an StS BKamt, Kabinettsache, 26.11.1952, PA, B8, Bd. 625. 64 Vgl. z.B. von Tschirschky an Hamburger Anzeiger, 30.3.1955, auf Anfrage vom 17.3.1955, PA, B8, Bd. 136. 65 Vgl. zur Weimarer Republik als »große Negativfolie« der zweiten Republik Schulze, S. 617. 66 Vgl. zur Integrationslehre Günther, Denken, u. Korioth. 67 Vgl. von Herwarth, S. 93. 68 Zudem übte das Reichspräsidialamt, vor allem Otto Meißner, großen Einfluss aus. Ferner war der Reichskunstwart Edwin Redslob an den Weimarer Inszenierungen beteiligt, vgl. Ackermann, S. 37. Vgl. auch Redslob, Formgebung; Redslob, Von Weimar. 69 Vgl. von Herwarth, S. 113. 70 Vgl. Moll, S. 207–227. 71 Vgl. z.B. Ein Rekord, Dt. Zeitung u. Wirtschaftszeitung, 27.7.1960. 72 Vgl. z.B. Döhle an Pappritz, 12.8.1950, PA, B8, Bd. 22.
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Während sich der Rückgriff auf positiv besetzte Traditionen schwierig gestaltete, wollten sich die Westdeutschen umso deutlicher von den diskreditierten Repräsentationsformen des NS-Staats abgrenzen. Den gewollten und von außen eingeforderten Traditionsbruch mit den Formen des Nationalsozialismus verkörperte prototypisch Bundespräsident Theodor Heuss. Seine Distanznahme zu Formen, die im Nationalsozialismus üblich waren,73 sollte einhergehen mit einer Hinwendung zum »Pathos der Nüchternheit«,74 als Gegensatz zur Ästhetisierung von Politik und Gesellschaft im Nationalsozialismus.75 Auch das Protokoll versuchte, diskreditierte Formen zu umgehen und gleichzeitig symbolische Praktiken und Formen zu (re)etablieren, um internationale Konventionen nicht zu verletzen und so die Wiedereingliederung als gleichberechtigter politischer Akteur auf der internationalen Bühne nicht zu gefährden. Zudem hatten die inszenatorischen Seiten politischen Handelns im 20. Jahrhundert einen Bedeutungsgewinn erfahren, den die Bundesrepu blik nicht ignorieren konnte.76 Letztlich bestand, entgegen den Befürchtungen des Protokolls, auch in der Bevölkerung ein Bedürfnis nach symbolischen Inszenierungen, wie die Straßenumzüge und andere Feierlichkeiten anlässlich der Geburtstage von Heuss und Adenauer oder der begeisterte Empfang von Staatsgästen in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren dokumentieren.77 Doch wurde die bundesrepublikanische Staatsrepräsentation stets mit vergangenen Repräsentationsformen als Negativfolie verglichen und lief in der öffentlichen Wahrnehmung dauerhaft Gefahr, stilistisch zu entgleiten.78
2. Orientierung an anderen Staaten Die von Johannes Paulmann konstatierte »reflexive Selbstwahrnehmung« der Bundesrepublik79 lässt sich auch bei der Arbeit des Protokolls beobachten. Die Protokollmitarbeiter überlegten genau, wie die Bundesrepublik in anderen Staaten wahrgenommen wurde. Umgekehrt recherchierten sie deren Formen 73 Vgl. Heuss an Adenauer, 26.10.1949, in: Heuss – Adenauer, S. 32. 74 Heuss an Adenauer, 19.6.1951, in: Heuss – Adenauer, S. 73. 75 Vgl. Reichel, Aspekte, S. 14. Vgl. zur Ästhetik des Nationalsozialismus Behrenbeck, Kult; Reichel, Der schöne Schein; Ueberhorst. 76 Vgl. zu politischen Inszenierungen im 20. Jahrhundert Arnold u.a., Politische Inszenierung. 77 Vgl. Am Geburtstag des Bundespräsidenten, Diplomatischer Kurier 1954, S. 92–95. Teile der Bevölkerung feierten Heuss’ siebzigsten Geburtstag mit Fackelzügen. Vgl. auch Am 80. Geburtstag des Bundeskanzlers, Diplomatischer Kurier 1956, S. 21–26. 78 Der Bund der Steuerzahler etwa untermauerte seine Kritik an den Kosten des iranischen Staatsbesuchs 1955 durch negative Vergleiche mit dem Kaiserreich u. »Goebbels’schen Sensationen«, Schnellbrief Bund der Steuerzahler, 12.4.1955, BA, B122/505. 79 Den Begriff entwickelt Paulmann, Deutschland.
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und Umstände staatlicher Repräsentation und adaptierten einige Elemente für die Bundesrepublik bzw. richteten ihre Arbeit so aus, dass sie im Ausland auf positive Resonanz stieß. Das westdeutsche Verhalten lässt sich als Orientierung an anderen Staaten charakterisieren, als permanenter Vergleich der eigenen mit den Formen anderer. Die nötigen Vergleichsinformationen trug das Protokoll auf unterschiedlichen Wegen zusammen. So ging von Herwarth beim englischen, französischen und italienischen Protokoll jeweils eine Woche in die »Lehre«.80 Ferner bezog das Protokoll von den westdeutschen diplomatischen Vertretungen ausführliche Berichte über Rangordnungen, Staatsbesuche und andere protokollarische Fragen in anderen Staaten.81 Mit zunehmender Professionalisierung arbeitete das Protokoll diese Informationen in Übersichten auf und interpretierte die eigene Praxis im internationalen Kontext.82 Zudem boten die Erfahrungen aus der Besuchspraxis eine weitere Informationsquelle für das Protokoll. Eine Vielzahl von Informationen über andere Staaten und Erfahrungen mit ihnen hinterließen Spuren oder Reflexe in der westdeutschen Besuchspraxis und lassen sich gut zurückverfolgen. Die asymmetrische Beziehung zwischen der Bundesrepublik und den drei alliierten Siegermächten bestimmte bis Mitte der fünfziger Jahre auch protokollarische Fragen. Dabei schöpften die Amerikaner, Briten und Franzosen ihre Machtposition zwar bei allen Verhandlungen und Besuchen, in die der eigene Staat bzw. die Alliierte Hohe Kommission involviert war, auch protokollarisch voll aus, ließen der Bundesrepublik aber ansonsten die gestalterische Freiheit. Gleichwohl spiegelten die westdeutschen Stellen den Besatzungszustand deutlich wider, indem sie sich vor allem an diesen Ländern ein Vorbild nahmen. Der häufig konstatierte »Amerikanismus« der Westdeutschen in den fünfziger Jahren lässt sich auch bei Fragen der Staatsrepräsentation beobachten, d.h. dass sich als »amerikanisch« befundene Elemente in einem »Wechselspiel von Adaption und Projektion, Umdeutung und Re-Inszenierung« mit eigenen Denk- und Praxismustern mischten.83 Als von Herwarth seine Arbeit im Bonner Protokoll aufnahm, konnte er bereits auf eine »partnerschaftlich[e]« Ko80 Von Herwarth, S. 86, vgl. auch S. 116. 81 Vgl. Klaiber an von Herwarth, 24.9.1951, PA, B8, Bd. 625; Bericht von Brentano, Rom, 5.12.1951, PA, B8, Bd. 627. Vor dem Besuch Haile Selassies 1954 sammelte das Protokoll Berichte über dessen Besuche in anderen Staaten, vgl. PA, B11, Bd. 383, Fiche 2 u. 3. Vgl. auch Aufzeichnung von Rom, 17.11.1956, PA, B8, Bd. 532, p. 7–19; Drahtbericht Blankenhorn, Paris, 6.7.1960, PA, B8, Bd. 226. 82 Vgl. Vorlage Boss an BK, 31.7.1967; Schwarzmann an Boss, 21.7.1967 u. Aufzeichnung Schwarzmann, i.V. von Rhamm, 7.3.1969, BA, B136/6167; Übersicht über protokollarische Regeln im Ausland bei Besuchen von Staatsoberhäuptern, 16.8.1971 u. Runderlass, 21.6.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.628. 83 Maase, S. 226. Vgl. das weiter reichende Konzept der Westernisierung bei Doering-Manteuffel, Wie westlich.
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operation mit Amerikanern in Bayern zurückblicken.84 Als Protokollchef der Bundesrepublik pflegte er enge Beziehungen zu Mitarbeitern des amerikanischen Hohen Kommissars, vor allem zu William Schott, dem Protokollchef.85 Auch Pappritz hatte sich bei ihren Recherchen zu Protokollfragen 1948 ausführlich über die USA informiert. Ihr Gewährsmann Heribert von Strempel hob in seinen Aufzeichnungen vor allem auf den besonderen amerikanischen Stil ab. Alles sei »grundsätzlich viel einfacher« als in Staaten, die nicht über ein präsidiales System verfügten. Es sei zudem »amerikanische Tradition, dass das Weisse Haus möglichst einfach und sparsam leben soll. Jeglicher Prunk wird als unamerikanisch abgelehnt«86 – eine Passage, die sich Pappritz anstrich. Demnach hätten die USA als Vorbild für die westdeutsche Bescheidenheit dienen können. Aus anderen Äußerungen geht hervor, dass westdeutsche Beobachter vor allem von der Atmosphäre und vom Habitus bei geselligen Zusammenkünften beeindruckt waren. So hinterließ die zwanglose Form der Unterhaltung einen großen Eindruck.87 Die Amerikaner galten bei der Gestaltung der Public Relations als vorbildlich.88 Aufenthalte in den USA schulten den Blick westdeutscher Politiker und Staatsbeamter für massen- und medienwirksame Details.89 In den siebziger Jahren wertete der Protokollchef das amerikanische Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern als Orientierungsgröße.90 In praktischen Fragen orientierte sich das Protokoll ab Mitte der fünfziger Jahre vor allem an den europäischen Siegermächten, die bei der gemeinsamen Umgestaltung des internationalen Protokolls immer stärker zu gleichberechtigten Partnern wurden. 1957 übertrug das Auswärtige Amt den britischen Begriff des »Working dinner« ins Deutsche und bezeichnete Mahlzeiten, »die nur im Kreise der auch an den Arbeitssitzungen Beteiligten eingenommen werden«, als Arbeitsessen.91 Die Unterscheidung zwischen Staatsbesuchen und offiziellen Besuchen entwickelte das Protokoll am Beispiel Großbritanniens, das zwischen »state visit« (Besuche von Staatsoberhäuptern auf Einladung der Königin) und »official visit« (Besuche von Persönlichkeiten auf Einladung der
84 Vgl. von Herwarth, S. 19. 85 Vgl. den Briefwechsel in PA, B8, Bd. 82. 86 Von Strempel an Pappritz, 12.12.1948, PA, Nl. Pappritz, Bd. 57. 87 Vgl. Pünder, S. 344. 88 Vgl. zu US-Wahlkämpfen als Vorbild Münkel, Willy Brandt, S. 207–289; Münkel, Politiker-Image; einschränkend Mergel, Sachlichkeit. Vgl. zur Geschichte der Wahlkämpfe Dörner/ Vogt. 89 Vgl. z.B. die Adaption amerikanischer Praktiken beim Eisenhower-Besuch 1959: Unkorrigiertes Manuskript Pressekonferenz, 24.8.1959, BA, B145/3118. 90 Vgl. von Podewils an Ahrens, 19.5.1972, BA, B145/8348. 91 Arbeitsessen, Frankfurter Neue Presse, 3.12.1957; vgl. Lynkeus, Arbeitsessen, Der Mittag, 3.12.1957.
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Regierung) unterschied.92 Den Fahnengruß beim Abschreiten der Ehrenformation rechtfertigte man mit der britischen Praxis. Als die Bundesregierung Ende der sechziger Jahre nach einem Ort Ausschau hielt, an den sich der Bundeskanzler in entspannter und ruhiger Umgebung zu wichtigen Gesprächen zurückziehen könnte, galt neben Harpsund, dem Landsitz des schwedischen Premier, das britische Pendant Chequers als Vorbild.93 Das Auswärtige Amt beobachtete auch die französische protokollarische Praxis genau. Mehrfach betonten die westdeutschen Besuchsarrangeure, dass die Franzosen in Paris – ebenso wie die Italiener in Rom – über mehr Gestaltungsmöglichkeiten verfügten als man selbst in Bonn.94 Doch die aufwändigen Formen der staatlichen Repräsentation in Frankreich entsprachen nur zum Teil westdeutschen Bedürfnissen. Die Bundesrepublik richtete das militärische Zeremoniell bei der Begrüßung von Staatsgästen am französischen Vorbild aus95 und entwickelte das Eröffnungszeremoniell des deutschen Bundestags aus einem Vergleich mit französischen und britischen Formen.96 Während die Amerikaner durch Sachlichkeit bestachen und die Briten durch perfekte Organisation, betrachtete man die französische Staatsrepräsentation als Ausdruck eines hohen Maßes an Kultiviertheit, das die Bundesrepublik nicht dauerhaft imitieren, aber französischen Gästen bieten wollte.97 Einer der Gründe für die genaue Beobachtung und Orientierung an anderen Staaten lag darin, dass die eigenen Formen staatlicher Repräsentation als defizitär wahrgenommen wurden. Der Spiegel befand 1954, dass die Bundesrepublik »ihren fragmentarischen Charakter durch Übernahme von Traditionen nichtfragmentarischer Staaten zu kaschieren« suche.98 Doch die Bundesrepublik signalisierte so zugleich nach außen die Bereitschaft, in Abstimmung mit anderen Staaten auf das internationale Parkett zurückzukehren.99 Darüber hinaus studierte das Auswärtige Amt die zeremoniellen Praktiken ihrer Konkurrenten, vor allem der Sowjetunion und der DDR. Sie versuchte, diese vor allem bei der Aufmerksamkeit für Staatsrepräsentanten dekolonisierter Länder zu überbieten und
92 Vgl. Aufzeichnung Röhrig, 22.10.1959, BA, B122/5373, p. 65–66; Keine ›Güldene Karosse‹ in Bonn, Kölnische Rundschau, 24.8.1960; vgl. als Grundlage: Aufzeichnung Mohr, 2.2.1957, PA, B8, Bd. 532. 93 Aufzeichnung Sönsken, Leiter Kanzler-Büro, 12.12.1969, p. 311f., B136/4234, Fiche 7. 94 Vgl. Informationsgespräch Mohr mit Presse, 13.9.1956, BA, B145/600. 95 Vgl. Aufzeichnung Pappritz über Besprechung mit Speidel, 4.9.1956, PA, B8, Bd. 124. 96 Zudem orientierte sich die Kleidung der Saaldiener im deutschen Bundestag 1954 an der Uniform der Bediensteten in der französischen Botschaft, vgl. Gerstenmaier, S. 367. 97 Vgl. Vermerke Röhrig, o.D. u. 11.8.1962, BA, B122/5522, p. 509 u. 511. 98 Der Spiegel, 7.7.1954, zit. n. Zusammenfassung Presse, PA, B8, Bd. 52. 99 Vgl. z.B. den protokollarischen Schulterschluss mit den USA beim Besuch Sukarnos 1956, Bericht Kessel, Washington, 19.4.1956 u. Bericht Allardt, Djakarta, 26.4.1956, PA, B8, Bd. 152.
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letztere für den westlichen Standpunkt zu gewinnen.100 Die Bundesrepublik sah sich auch zu westlichen Verbündeten in inszenatorischer Konkurrenz.101 Der erste Film, den das Bundespresseamt über einen Staatsbesuch anfertigen ließ, verdankte sich – und einige Filme nach ihm – dem Wettbewerb mit anderen Staaten. Der Besuch Haile Selassies 1954 sollte filmisch dokumentiert werden, weil man »nicht hinter den anderen Ländern zurückstehen« wollte, zumal sich der Monarch in der Bundesrepublik länger als in jedem anderen Land aufhielt.102
3. Wandel der protokollarischen Konventionen Diesen »Wettstreit« kritisierte Heuss mit Blick auf die »westeuropäischen Länder« im Oktober 1956. Seiner Ansicht nach bedurfte diese Konkurrenzsituation »dringend einer Koordination« in der Westeuropäischen Union (WEU). Der Bundespräsident regte eine Vereinfachung des Protokolls an, »um den leidigen Wettbewerb zwischen diesen Ländern auf dem Gebiet der Staatsbesuche auch im Interesse der Kostenersparnis zu unterbinden«.103 Drei Wochen zuvor hatte bereits Protokollchef Mohr die Notwendigkeit einer Zusammenkunft der Protokollchefs nahe gelegt.104 Über den Vergleich mit anderen Staaten hatten sich dem Protokoll die internationalen protokollarischen Konventionen erschlossen, die immer noch auf die Wiener und Aachener Vereinbarungen von 1815 und 1818 zurückgingen. Nach den ersten eigenen Erfahrungen schienen die »Häufigkeit der Besuche« und ihre aufwändige Gestaltung unvereinbar. Das Zeremoniell habe sich noch nicht auf das »Zeitalter des Flugzeugs« eingestellt. Mohr erwartete keine rasche Veränderung, doch sei ein »neuer Wiener Kongreß […] fällig«.105 Auch die Presse regte ein neues Protokoll »im Zeitalter der Technik und des Tourismus« an.106 100 Den Wettbewerb mit der DDR um den Besuch des guineischen Staatsoberhaupts Sékou Touré versuchte die Bundesrepublik auch durch Details für sich zu entscheiden, vgl. Drahtbericht Poensgen, Conakry, PA, B8, Bd. 231 u. Aufzeichnung Abt. 3, 23.11.1959, PA, B8, Bd. 230. 101 Vgl. zur Konkurrenz mit Frankreich etwa die Besuche Markezinis’ 1953, PA, B8, Bd. 47 u. des thailändischen Königspaars 1960, PA, B8, Bd. 225; mit Frankreich u. Italien den Besuch Frondizis 1960, BA, B122/5402; mit Österreich den Besuch Menzies’ 1956, PA, B8, Bd. 38. 102 Aufzeichnung Bidder, 30.10.1954, BA, B145/52. Vgl. Aufzeichnung Ritter, 4.11.1954, BA, B145/52. Auch der erste Farbfilm zu einem Staatsbesuch entstand 1962, weil ein anderer Staat einen Farbfilm angefertigt hatte, vgl. Genehmigungsverfügung, Betz, 4.4.1962, BA, B145/1480. 103 Heuss an Adenauer, 8.10.1956, in: Heuss – Adenauer, S. 222. 104 Vgl. van Scherpenberg an Abt. I, 30.7.1956, PA, B8, Bd. 644. Vgl. auch Aufzeichnung von Marchthaler, 5.9.1956; Aufzeichnung Gellbach, 7.1.1957, PA, B8, Bd. 644. 105 Informationsgespräch Mohr mit Presse, 13.9.1956, BA, B145/600. 106 D. von König, Das Bonner Protokoll in Nöten, Rhein-Neckar-Zeitung, 15.9.1956, vgl. Bonner Protokoll mit fliegenden Rockschößen, Die Rheinpfalz, 15.9.1956; Zuviel »große Bahnhöfe«, Die Welt, 6.12.1957.
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Mit Heuss’ und Adenauers Zustimmung initiierte Mohr in Gesprächen mit dem französischen, italienischen und britischen Protokoll ein Treffen der WEU-Protokollchefs.107 Das westdeutsche Protokoll entwickelte sich vom Musterschüler zum wichtigen Motor und Partner für protokollarische Veränderungen. Doch erst nachdem die britische Delegation 1958 im WEU-Rat ein Memorandum über das »growing problem of ceremonial reception« vorgelegt hatte, konferierten die Protokollchefs der WEU-Länder an drei Terminen im Winter 1958/9.108 Das Bonner Protokoll war vor allem daran interessiert, die Zahl jener Besuche zu reduzieren, die alle Regeln des alten Protokolls erfüllten.109 Das westdeutsche Schema für Staatsbesuche sah in den fünfziger Jahren am ersten Tag den Empfang des Staatsgastes mit Nationalhymnen und Ehrenkompanie vor. Darauf folgte ein inoffizielles Frühstück des Bundespräsidenten, der zudem abends zu Abendessen und Empfang lud. Am zweiten Tag besichtigte der Gast westdeutsche Industrieanlagen und beschloss den Tag mit Abendessen und Empfang des Bundeskanzlers. Der dritte Besuchstag begann mit einer Rheinfahrt oder Ähnlichem und klang mit einem Abendessen und Empfang des Gastes oder des Botschafters des Gastlandes aus. Nach diesen drei offiziellen Tagen reiste der Staatsgast für zwei bis drei Tage in die Bundesländer.110 Diesen Ablauf wollte man für Staatsoberhäupter beibehalten, für Regierungschefs jedoch die offiziellen Tage reduzieren. Zudem hatten sich einige internationale Gepflogenheiten als umständlich erwiesen, etwa der Austausch von Besuch und Gegenbesuch.111 Letztlich blieb die Konferenz ohne weitreichende Folgen. Die Beschränkung der Staatsbesuche auf Staatsoberhäupter setzte sich jedoch durch. Erst in den siebziger Jahren gelang eine Vereinfachung des Protokolls auf europäischer Ebene. Das Bonner Protokoll, das anfänglich nur nach einer westdeutschen Lösung gesucht hatte,112 initiierte nach Anregungen des Hamburger Protokollchefs Henning Jess, der Parlamentarischen Staatssekretärin Katharina Focke und Gustav Heinemanns113 1971 ein Treffen der Protokollchefs der sechs EWG-Länder. Zwar war Protokollchef Schwarzmann überzeugt, dass 107 Vgl. Klaiber an Globke, 11.10.1956, darauf Vermerk Müller-Dethard, BA, B136/6200; Aufzeichnung Mohr, 27.11.1956 u. Aufzeichnung Mohr, 2.2.1957, PA, B8, Bd. 532. 108 Note des General-Sekretariats der WEU, 30.1.1958 u. Memorandum der Delegation U.K., PA, B8, Bd. 532, p. 45–47. Vgl. Bericht von Herwarth, London, 6.2.1958, PA, B8, Bd. 532, p. 43; Der Protokoll-Zopf von 1818 soll gestutzt werden, SZ, 7.11.1958; W. Neumann, »Alte Zöpfe« im diplomatischen Dienst, Schwarzwälder Bote, 6.11.1958. 109 Vgl. H. Meseke, Etikette noch gefragt?, NRZ, 8.8.1959. 110 Vgl. Aufzeichnung Gellbach, 3.12.1958, PA, B8, Bd. 532. 111 Vgl. Der Protokoll-Zopf von 1818 soll gestutzt werden, SZ, 7.11.1958. 112 Vgl. Runderlass Schwarzmann, Richtlinien für die protokollarische Vorbereitung von Besuchen in der Bundesrepublik und im Ausland, 23.6.1970, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.689. 113 Vgl. die Dokumente aus den Jahren 1970 bis 1972 in PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.629.
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sich keine Vereinfachung weltweit durchsetzen ließe, doch die »Bereitschaft zur Schlichtheit und Rationalisierung […] in Mittel- und Nordeuropa sowie in den USA und Kanada […] vorausgesetzt werden« könne.114 Die Zugehörigkeit zum »Westen« verfügte demnach auch über eine stilistische Dimension. Obwohl Frankreich die westdeutsche Initiative unterstützte, bezweifelte es einen Erfolg wegen der unter den westlichen Staaten verbreiteten »Konkurrenz um die UNO-Stimmen, Export-Aufträge und den sonstigen Einfluß besonders in Staaten der Dritten Welt«. »Kommunistische Staaten«, die ihre Gäste »jetzt schon mit größerem Aufwand« umwarben, »würden sich erst recht nicht darauf einlassen«.115 Im Juli 1971 vertagte das Politische Komitee der EWG die gesamte Frage116 und griff sie erst ein Jahr später wieder auf.117 Im Oktober 1972 trafen sich die zehn Protokollchefs der sechs EWG-Mitglieder und vier Beitrittskandidaten in Den Haag.118 Nach dem zweiten Treffen am 9. März 1973 konnten die Protokollchefs ihren Regierungen Empfehlungen zur Vereinfachung des Protokolls übergeben:119 Die Zahl der Staatsbesuche sollte auf drei pro Jahr, die Dauer des offiziellen Teils auf zwei bis drei Tage beschränkt werden. Die Zahl der Delegationsmitglieder sollte ebenso normiert werden wie die der verteilten Orden. Man empfahl, den Wert der Geschenke einzugrenzen. Es sollte kein Salut geschossen werden, Begrüßung und Abschied sollten nahe der Residenz erfolgen, falls kein Flughafen in unmittelbarer Nähe lag. Die so genannte Gegeneinladung, eine Abendveranstaltung des Gastes zu Ehren des Gastgebers, konnte fortan auf den Gegenbesuch verschoben werden. Auch für den Umgang mit der Presse wurden gemeinsame Regelungen gefunden, die den Journalisten beste Arbeitsbedingungen und dem Protokoll die Kontrolle sichern sollten. Die ausgesprochenen Empfehlungen beschränkten sich auf den Besuchsaustausch zwischen EWG-Staaten, wenngleich sie den Kontakt mit anderen Ländern beeinflussen sollten. Damit war der protokollarische Wettbewerb im innereuropäischen Besuchsaustausch formal befriedet. Das Bemühen um Vereinfachung zeigte bereits 1972 Wirkung
114 Aufzeichnung Schwarzmann, 23.4.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.629. 115 Vermerk von Podewils, 30.6.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.629. Vgl. zu ähnlichen Zweifeln in europäischen Regierungskreisen: Moersch an Focke, 19.1.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.629. 116 Vgl. Notiz Schwarzmann, 8.7.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.629. 117 Vgl. von Vacano an Prot 1, 28.7.1972, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.628. 118 Vgl. Note de la Présidence, Coopération Politique Européenne, La Haye, 4.9.1972 u. Aufzeichnung von Vacano, 13.10.1972, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.628. 119 Dies war möglich, obwohl sich Italien, Großbritannien u. Belgien nur eingeschränkt zu Veränderungen bereit zeigten u. Frankreich einige repräsentative Besonderheiten der Grande Nation beibehalten wollte. Auch für das Folgende: Ergebnisvermerk von Podewils, 15.3.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.628.
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beim Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Italien, als sich das italienische Protokoll »zu lockererem Programm« bereit erklärte.120 Die Abstimmung zwischen den europäischen Protokollchefs wurde beibehalten und das Protokoll weiter reduziert.121 Da sich die Gäste zunehmend selbst einluden und sich Besuche bisweilen zeitlich überschnitten bzw. dicht aufeinander folgten, schienen Vereinfachungen unausweichlich.122 Doch stieß die Reduzierung des Zeremoniells auch innereuropäisch an Grenzen.123 Letztlich blieben Staatsbesuche für das Protokoll eine »Art internationaler Wettbewerb […] um Interessen und Geschäfte zwischen den Ländern« mit festen »Spielregeln«.124 Dauerhaft ging die Zahl der Staatsbesuche im Vergleich mit den offiziellen Besuchen und Arbeitsbesuchen zurück.125 Die Jahre 1977 mit sechs und 1978 mit zehn Staatsbesuchen blieben Ausnahmen.
III. Der bundesrepublikanische Stil als Suchbewegung Die beschriebenen Recherchen zu deutschen und ausländischen Traditionen, die Absprachen und Konventionen bildeten einen sich stets erweiternden Wissensund Erfahrungsfundus, aus dem das Protokoll schöpfen konnte. Er steckte jedoch lediglich einen Rahmen ab, welcher der Bundesrepublik viel Freiraum bei der Ausgestaltung der Besuche ließ und damit gestalterische Chancen eröffnete. Zeremonielle Formen wurden ausprobiert und nachträglich detailliert ausgewertet, um jene Handlungen zu modifizieren, die sich in der Praxis nicht bewährten.126 120 Vgl. von Podewils, Gesprächszettel für BM, o.D., PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.628. Vgl. zu den Bemühungen um Vereinfachungen beim Besuch Margrethes von Dänemark 1974: von Podewils an Per Fischer, BKamt, 6.3.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.206; beim Besuch Titos 1974: Vermerk von Podewils, 22.4.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. Vgl. auch Reger Betrieb auf dem außenpolitischen Parkett, Frankfurter Neue Presse, 17.5.1975. 121 Vgl. Holzheimer. Vgl. zur europäischen Vereinfachung: Der Wunschzettel des Bonner Protokollchefs, Die Welt, 16.3.1976. 122 Vgl. etwa T.M. Loch, Zu spät und zu früh, Rheinischer Merkur, 23.5.1975; D. Goos, Kanzler Schmidts Marathon mit Mächtigen, Die Welt, 24.7.1975. 123 Die dänische Königin bestand 1974 auf der traditionsgemäßen Erwiderung der Gastfreundschaft durch eine Gegeneinladung, vgl. Vermerk von Podewils, 21.3.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.205. Die französischen Präsidenten Giscard d’Estaing u. Mitterrand wollten nicht auf Ehrenformationen, Hymnen u. Fahnen verzichten, vgl. M. Graf Nayhauss, Wer wird beim Staatsbesuch besucht?, Bild, 17.3.1982. 124 Zurückhaltung gehört zum Geschäft, Weser-Kurier, 30.8.1974. 125 Vgl. W. Henkels, Die Ankunft über den roten Teppich, Dt. Allg. Sonntagsblatt, 26.6. 1977. 126 Vgl. z.B. die ausführliche Auswertung des Besuchs des griechischen Königspaares 1956 u. die daraus resultierenden Veränderungen: Kritikbesprechung im Protokoll, PA, B8, Bd. 646.
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Für den stellvertretenden Protokollchef Hermann Holzheimer verband sich der »Neubeginn« mit »eine[r] gewisse[n] Unsicherheit und eine[r] manchmal überhöhte[n] Sensitivität bei jeder Art staatlichen repräsentativen Auftretens«.127 Die stilistische Unsicherheit der Bundesrepublik hielt an, und der Stil der Staatsrepräsentation wurde dauerhaft kritisiert.128 Während einige Journalisten die »zunehmende Repräsentationssucht«129 monierten, fanden andere kein Gefallen an einer »Demokratie ohne Glanz und ohne Tradition«.130 1973 titelte die Bild am Sonntag: »Mit diesem Staat ist kein Staat zu machen«.131 Die »Bonner Staatspraxis« wurde bis zur Wiedervereinigung primär negativ bewertet.132 Tatsächlich bestimmte die Suche nach der Balance zwischen Bescheidenheit und Pomp die repräsentativen Formen der Bundesrepublik. Konrad Adenauer hatte schon 1951 formuliert: Wir dürfen nicht auffallen und müssen uns Zurückhaltung auferlegen, aber wir müssen eine gewisse Repräsentation [be]treiben auch gegenüber den anderen. Wenn ich wieder eine Großmacht werden will – und das müssen wir Deutsche werden –, muß ich anfangen, aufzutreten wie eine Großmacht.133
Aus der Suchbewegung zwischen Pomp und Zurückhaltung resultierten bisweilen offene Widersprüche in der westdeutschen Selbstdarstellung. Dem langfristigen Bemühen um eine Vereinfachung der zeremoniellen Formen stand bisweilen eine aufwändige Ausgestaltung der Staatsbesuche gegenüber. Diese 127 Auch sei »die Identifizierung der breiten Bevölkerung mit dem Staat, seinen Symbolen und seiner repräsentativen Darstellung sehr gering entwickelt«, Holzheimer, o. S. 128 Vgl. z.B. Prominente Gäste in Bonn, Rheinischer Merkur, Neujahr 1955; Maßhalten bei Repräsentation angeregt, Stuttgarter Nachrichten, 14.4.1955; Heuss soll ein Machtwort sprechen, FR, 14.4.1955; Esch, Großer Bahnhof, Weser-Kurier, 21.9.1956; Bescheidenheit, Der Fortschritt, Düsseldorf, 12.9.1957; Scheu vor Symbolen, FAZ, 3.1.1961; Symbole, Echo der Zeit, 16.4.1961; H. Böll, Aufgespiesst, NRZ, 12.10.1961; Staatssymbole und Staatsgesinnung, Industriekurier, 10.5.1962; E. Peter, Unpolitische Deutsche, Stuttgarter Zeitung, 22.3.1968; P.W. Wenger, Schwächen des Establishment. 4: Staat ohne Stil, Rheinischer Merkur, 3.1.1969; H. Schweden, Nationales Prosit, RP, 3.5.1969; G. Renken, Minister, Märsche und Monarchen, Vorwärts, 13.5.1971; H. Boschmann, Protokoll oder: Wie man den Gaul über den Parcours bringt, WamS, 31.10.1971; S. Martenson, Staatsvisiten, Hannoversche Allgemeine, 4.11.1971; S. Haffner, Deutschland deine guten Seiten, Stern, 8.10.1972; W. Höpker, Das Bonner Protokoll hat noch keinen eigenen Stil, General-Anzeiger, 19.4.1975. 129 A. Veil, Lust und Leid des Repräsentierens, FAZ, 19.7.1958. 130 C.D. Möhrke, Demokratie ohne Glanz. Zweckverband ohne Nationalgefühl, Westdeutsche Rundschau, 9.1.1961. 131 E. Fischer u.a, Mit diesem Staat ist kein Staat zu machen, BamS, 25.3.1973. 132 Vgl. T. Graf Finck von Finckenstein, Sind unsere Staatsfeiern auf Moll gestimmt? Versuch einer Bilanz der Bonner Staatspraxis von 1949 bis 1979, in: Das Parlament, Nr. 3, 19.1.1980. Die wiedervereinigte Bundesrepublik wird positiver wahrgenommen, doch vermissen einige Journalisten weiterhin einen eigenen »Stil«, J. Busche, Unbekümmert, verlegen, laut, FAS, 22.12.2002. 133 Zitat Adenauer, 1.6.1951 [Konjekturen d. Editoren], in: Teegespräche, S. 93.
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Widersprüchlichkeit lässt sich als Begleiterscheinung der stilistischen Unsicherheit lesen, wenn man den Wandel der Formen als Unentschiedenheit deutet. Er kann zugleich als Versuch gelten, durch Veränderungen und Präzisierungen in der Repräsentation die in hohem Maße »störungsanfällige« Begegnung zweier Staatsmänner möglichst stark »zeremoniell zu sichern«.134 Das Zeremoniell hat nach Alois Hahn »die Funktion, Situationen klar gegeneinander abzugrenzen« und verhindere, »daß die Situationsdefinitionen verschwimmen«. Indem es eine Abfolge der einzelnen Handlungen festlegt, übe es eine »Disziplinierung der Körper« aus. Es bereite eine Situation vor, ermögliche das »Üben für den Ernstfall«, umfasse die »vorherige Zurichtung des Ortes« und die »zeitliche Begrenzung der Situation«, die eine Konzentration auf die Handlungen erleichtere. Diese Maßnahmen zielten nicht nur auf eine Absicherung der Handlungen nach innen, sondern auch auf eine Absicherung der Darstellung nach außen. Als »symbolische Vorführung vor einer Öffentlichkeit«135 wollten Beamte und Staatsrepräsentanten Staatsbesuche möglichst genau kontrollieren. In den Anfangsjahren experimentierte das Protokoll mit verschiedenen stilistischen Formen für unterschiedliche Gäste. Für Monarchen bemühte es Formen, die es sich beim höfischen Zeremoniell abgeschaut hatte. Dazu gehörten Baldachine für das Begrüßungszeremoniell und ein so genannter Zeremonienmeister, der beim Defilee jene Gäste ausrief, die den Ehrengästen persönlich vorgestellt wurden. Der Wunsch, Monarchen angemessen und zu deren Zufriedenheit zu empfangen, stand zeitweilig in Konkurrenz zu dem Wunsch nach einem möglichst demokratischen Zeremoniell. Gästen aus Belgien, den Niederlanden und Dänemark, deren Landsleuten die negativen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland gegenwärtig waren, trat die Bundesrepublik in Aufwand und Darstellung zurückhaltend gegenüber. Dem EGKS- und NATO-Partner Italien sowie den NATO-Partnern Griechenland und Türkei zeigte sie sich hingegen bereits vor Erlangen der Souveränität als gleichberechtigter starker Verbündeter. Das westdeutsche Protokoll bediente sich schon vor dem 5. Mai 1955 der Formensprache eines souveränen Staates, indem etwa Nationalhymnen gespielt, Flaggen gehisst und seit 1954 Orden ausgetauscht und bei Banketten getragen wurden.136 Bereits vor Erlangen der Souveränität hatten westdeutsche Besuchsausrichter militärische Formen beim Empfang ausländischer Staatsgäste imitiert und so den souveränen Status protokollarisch vorweggenommen. Polizisten und Beamte des Bundesgrenzschutzes stellten Ehrenformationen zur Begrüßung 134 Hahn benutzt die Wendungen »Störungsanfälligkeit« u. »zeremoniell gesichert«, Hahn, S. 51–81, für das Folgende S. 54f. 135 So die Definition des Begriffs »Zeremonie« bei Paulmann, Pomp und Politik, S. 17. 136 Im Oktober 1954 fand erstmals ein wechselseitiger Ordensaustausch statt, vgl. Liste der Ordensverleihungen, PA, B8, 18 Bd. 149.
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der Staatsgäste; eine Polizeikapelle spielte die Nationalhymnen.137 Schon ab 1952 wurden zur Begrüßung an den Bahnhöfen, an der Residenz des Gastes und den Amtssitzen des Bundeskanzlers und Bundespräsidenten Ehrenposten aufgestellt, die neben Wachfunktionen auch der Repräsentation dienen sollten. Eine polizeiliche Eskorte begleitete die Fahrten des Gastes. Im Oktober 1954 empfing die Bundesrepublik zum ersten Mal einen Staatsgast, den türkischen Ministerpräsidenten Adnan Menderes, mit einem Ehrenspalier, das zwölf Polizisten vor dem Bonner Bahnhof bildeten.138 Einen Monat später salutierte Haile Selassie beim Heraustreten aus dem Bonner Bahnhof vor einer Ehrenhundertschaft der Polizei.139 Dieses Zeremoniell wurde bis zur Einführung der militärischen Ehren 1956 beibehalten. Obwohl man militärische Ehren vorweggenommen hatte, konnte die Bundeswehr diese repräsentative Aufgabe nur schrittweise übernehmen. Zwar zeigten Adenauer und Bundesverteidigungsminister Theodor Blank großes Interesse am schnellen Auf bau der Bundeswehr und einer sichtbaren Einbeziehung des Heeres in die Staatsrepräsentation, doch mahnten andere, darunter Außenminister von Brentano, Wolf Graf von Baudissin und Bundespräsident Heuss, zu mehr Zurückhaltung.140 Die verzögerte und nur partielle Einbindung des Militärs in die Staatsrepräsentation erklärte sich jedoch vor allem aus den Schwierigkeiten beim Auf bau des Wachbataillons der Bundeswehr. Die Bundeswehr beteiligte sich erstmals am Staatsbesuch Pauls und Friederikes von Griechenland im September 1956. Doch es zeichnete sich ab, dass sie wegen personeller Engpässe weder ein Spalier noch eine Eskorte zu Wasser stellen konnte.141 Zudem herrschte eine Woche vor dem Staatsbesuch unter den Offizieren »Uneinigkeit« über den zeremoniellen Ablauf.142 Einen Monat nach diesem Debüt entschieden Heuss und Adenauer, dass jedes Staatsoberhaupt zukünftig mit einer Ehrenkompanie der Bundeswehr auf dem Bahnhofsvorplatz empfangen werden sollte, Regierungschefs mit einer kleineren Formation auf dem Bahnsteig; beide sollten zudem militärische Eh-
137 Vgl. Aufzeichnung über Besprechung, 22.2.1955, PA, B8, Bd. 139; Ablauf des Empfangs am Bahnhof Bonn, 27.2.1955, PA, B8, Bd. 137. 138 Vgl. Polizeipräsident Bonn, Befehl Nr. 1, 1.10.1954, PA, B8, Bd. 147. 139 Vgl. Foto, Diplomatischer Kurier 1954, S. 863; Schnellbrief Innenminister NRW, 15.6.1956, PA, B8, Bd. 152. 140 Vgl. Blank an Adenauer, 5.1.1956; Blank an Globke, 5.1.1956, darauf Vermerk, 10.1.1956, BA, B136/4234, Fiche 2, p. 87–90. Vgl. H. Brennecke, Großer Bahnhof für das Königspaar, Die Welt, 1.7.1956; Briefwechsel zwischen Heuss u. Rosenberg, Juli 1956, BA, B122/609, Fiche 2; Herbst, S. 157. 141 Vgl. Vermerk über Besprechung, 9.8.1956; Notiz Hartwich, 10.8.1956, PA, B8, Bd. 124. Die Bereitschafts- u. die Wasserschutzpolizei sprangen als Ersatz ein, vgl. Niederschrift über Besprechung Polizei 11.9.1956; Polizeipräsident Bonn, 14.9.1956, Befehl Nr. 1, PA, B8, Bd. 125. 142 Aufzeichnung Bente, 7.9.1956, PA, B8, Bd. 125.
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renposten erhalten.143 Ursprünglich hatten militärische Ehren die Bedeutung einer Friedensgeste.144 Für die souverän gewordene Bundesrepublik ergänzten militärische Ehren zudem einen letzten fehlenden Aspekt im Zeremoniell eines souveränen Staates. Eine weitere Dimension der polizeilichen und soldatischen Präsenz lag darin, die eigene Wehrhaftigkeit vor allem gegenüber den kommunistischen Systemkonkurrenten und die Einbindung in die NATO zu demonstrieren.
Abb. 1: Debüt der Bundeswehr beim griechischen Staatsbesuch 1956
Ausgewählte Verbündete ehrte die Bundesrepublik mit weiteren Gunstbezeigungen. Für das Staatsoberhaupt des NATO-Verbündeten und militärischen Geschäftspartners Türkei, Celal Bayar, arrangierte das Protokoll 1958 mit rund 143 Vgl. Vermerk Pappritz, 16.10.1956, PA, B8, Bd. 132. 144 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 227.
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2500 Soldaten den ersten Großen Zapfenstreich der Bundesrepublik für einen ausländischen Staatsgast.145 Offiziell begründete man diese besondere militärische Ehrung für Bayar mit dem außerordentlichen militärischen Aufwand beim Besuch des Bundespräsidenten in der Türkei.146 Zugleich demonstrierte diese Inszenierung das Bündnis mit der NATO.147 Die Bundeswehr ehrte Charles de Gaulle 1962 und Elizabeth II. 1965 ebenfalls mit einem Großen Zapfenstreich und demonstrierte so gegenüber den Gästen und der Öffentlichkeit militärische Präsenz. Den Zapfenstreich für Elizabeth II. 1965 begründete das westdeutsche Protokoll historisch: Eine Wiederholung des Zapfenstreichs, der schon für Königin Victoria 1845 ausgerichtet worden sei, empfände die britische Königin als »besondere Courtoisie«.148 Mit diesem Akt der Höflichkeit erwies die Bundesrepublik zugleich einer weiteren Siegermacht und neuem Verbündeten die militärische Reverenz. Als Dwight D. Eisenhower 1959 zu einer Kurzvisite in die Bundesrepublik reiste, veranschaulichte die Bundesrepublik das enge, militärisch geprägte Verhältnis zu den USA durch die Aufwertung der militärischen Ehren. In diesem Präzedenzfall empfing den US-Präsidenten »anstatt der normalen Kompanie« ein aus mehreren Kompanien bestehendes Bataillon.149 Allein die Anzahl der Soldaten führte die Wehrbereitschaft der Bundesrepublik vor Augen und symbolisierte den militärischen Schulterschluss mit Nordamerika, auch wenn die Bundesrepublik de facto im Verteidigungsfall von den USA abhing. Paul Sethe verteidigte im Vorfeld des Besuchs diese ungewöhnliche Präsenz des Militärs mit dem Hinweis, die Bundesrepublik könne sich dem internationalen Usus nicht entziehen, sich dem Gast von der dekorativsten Seite zu zeigen.150 Der Auftritt der Bundeswehr bei Staatsbesuchen scheint im Inland wie im Ausland kaum auf ernsthafte Kritik gestoßen zu sein. Die Welt konstatierte anlässlich des Bundeswehrdebüts 1956 die »Zustimmung der Bevölkerung«, während die Süddeutsche Zeitung vorsichtiger das Publikum als »[e]in wenig fröstelnd, kritisch, wenn auch nicht ohne Wohlwollen« beschrieb.151 1962 reagierten ausländische Beobachter auf den Zapfenstreich für de Gaulle – ent145 Dies betonte auch der Film des BPA, vgl. Textskript zu Film, BA, B145/58. Vgl. zum Ab lauf: Bataillonsbefehl für die Durchführung d. gr. Z., 30.4.1958, PA, B8. Bd. 192. Hartmann irrt sich, wenn er schreibt, Zapfenstreiche hätten nur für Charles de Gaulle u. Elizabeth II. stattge funden, Hartmann, Staatszeremoniell, S. 293. Vgl. grundsätzlich zum Großen Zapfenstreich Stein, S. 267–273. 146 Vgl. die Unterlagen in BA, B122/525, Fiche 3. 147 Den Bündnischarakter betonten auch Zeitungsartikel, vgl. Heuss feiert den Bund mit der Türkei, FAZ, 9.5.1958. 148 Von Holleben an Müller, 1.6.1965, PA, B8, Bd. 913. 149 Vermerk von Braun, 17.8.1959, PA, B8, Bd. 223. 150 Vgl. P. Sethe, Was der Präsident von uns will, Allgemeine Zeitung, 19.8.1959. 151 H. Brennecke, Großer Bahnhof für das Königspaar, Die Welt, 18.9.1956; U. Wirth, Preußens Präsentiermarsch auf dem Bonner Rathausplatz, SZ, 18.9.1956.
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gegen den Erwartungen des Bundespresseamtes, das zumindest die filmischen Bilder vom Zapfenstreich, die auch in Frankreich vorgeführt werden sollten, »so dezent wie möglich« gestaltete152 – unaufgeregt: Die Neue Zürcher Zeitung kritisierte den Stil des Zapfenstreichs für de Gaulle als eine »Art teutonischer Militäroperette«.153 Gleichwohl blieb in der Bundesrepublik stets ein hohes Maß an öffentlicher Sensibilität und Skepsis für Formen militärischer Staatsrepräsentation bestehen. Immer wieder kamen Alternativvorschläge zur militärischen Ehrenformation auf, die durch »Ehrenjungfrauen«154 oder »eine Auswahl von Bürgern aller Berufs- und Altersgruppen«155 ersetzt werden sollte, und es wurde angesichts »unsere[r] kriegerische[n] Vergangenheit« »zu einer gewissen Zurückhaltung bei militärischem Prunk« gemahnt.156 Gemeinhin gelten der verzögerte Ausbau Bonns zum Regierungssitz und die Formensprache der entstehenden bzw. umgestalteten Gebäude als Signum für den provisorischen Charakter der Bundesrepublik. Die Geschichte der politischen Architektur in Bonn konzentrierte sich bislang auf die repräsentativen Gebäude der Regierung, der Legislative und des Staatsoberhaupts und klammert viele Orte aus, die beim Empfang ausländischer Staatsgäste eine Rolle spielten, oder erwähnt sie nur am Rande.157 Besonders aufschlussreich für das staatliche Repräsentationsbedürfnis sind die Festsäle. Diese Orte dokumentieren eine andere Version politischer Architekturgeschichte der Bundesrepublik. Hier drängten die Besuchsarrangeure nicht auf Einfachheit, sondern generell auf eine Ausweitung der architektonischen Repräsentationsmöglichkeiten. Bei Bedarf schufen sie durch ephemere Architektur wie Baldachine oder ein dekoratives Ehrentor158 ein repräsentativeres Erscheinungsbild. Die repräsentativen Möglichkeiten in Bonn waren anfänglich begrenzt. Der Amtssitz des Bundeskanzlers, das Palais Schaumburg, befand sich bis Mitte 1950 im Umbau und verfügte bis dahin nicht einmal über eine Kücheneinrichtung.159 Der Bundespräsident empfing seine Gäste zu dieser Zeit in dem ehemaligen Eisenbahnererholungsheim Viktorshöhe.160 Möbel, Teppiche und Bilder muss152 Fernschreiben Wochenschau an Betz, 18.12.1962, BA, B145/4669, Zitate aus beiliegender Aufzeichnung von Stercken, 3.10.1962. 153 De Gaulles Besuch in Deutschland, NZZ, 10.8.1962. 154 Leserbrief R. Siegert, FR, 1.6.1965. 155 Kanzler-Geschmack ohne Einfluß auf Bonner Empfangs-Protokoll, SZ, 29.6.1982. 156 Warum wird bei Staatsempfängen geschossen?, Stern, 30.5.1973. Vgl. Nagel an Bundespräsident, 20.5.1965, PA, B8, Bd. 913; Leserbrief F. Brumm, SZ, 1.5.1971, PA, B8, Bd. 1622; Stein, S. 267. 157 Vgl. Schaffrath-Chanson; Wefing. Vgl. auch Dann, S. 35–60; Denk/Flagge; Kahnert; Salentin/ Hammerschmidt. 158 Vgl. das Ehrentor für den türkischen Staatsbesuch 1958: A. Winkelhofer, Der türkische Halbmond über Bonn, SZ, 7.5.1958. 159 Vgl. Aufzeichnung von Carmer, 16.5.1950, PA, B8, Bd. 55. 160 Vgl. die Zeitfolgen in PA, B8, Bd. 48 u. PA, B11, Bd. 1286.
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ten sich die Staatsrepräsentanten ausleihen.161 Der improvisierte Charakter der Bonner Repräsentation war nicht nur eine geduldete Begleiterscheinung der Auf bauphase, sondern wurde von Arrangeuren und Beobachtern zugleich als eine Demonstration der neuen deutschen Zurückhaltung verstanden. Die wachsende Anzahl der Festsäle der Republik erweiterte den Gestaltungsspielraum des Protokolls, das über die Wahl und Gestaltung der Räume unterschiedliche Atmosphären erzeugte: Während in Brühl vor großen Ölgemälden an langen Tafeln und auf Stilmöbeln gespeist wurde, prägten in der Beethovenhalle, die laut von Braun das »Provisorische unserer Hauptstadt« unterstreichen konnte,162 die zeitgenössische Kunst und kleinere Tischgruppen mit Schichtholz-Möbeln im aktuellen Design der fünfziger Jahre das Ambiente.163 Schloss Augustusburg in Brühl, in dem Theodor Heuss bereits 1949 seinen ersten offiziellen Staatsempfang veranstaltet hatte,164 war erstmals im Juli 1954 Schauplatz einer abendlichen Gala bei einem Staatsbesuch. Die Protokollmitarbeiter versuchten, das barocke Ambiente durch Kerzen, Wasserspiele im Garten und Kammermusik stilgerecht zur Geltung bringen.165 Die Inszenierung zeigte Wirkung: Die Wahl des Ortes und der inszenierte Pomp galten der Presse zu diesem Zeitpunkt als Symbol für »Deutschlands Wiederaufstieg«.166 Obwohl sich bereits in den fünfziger Jahren die Nachteile des Schlosses abzeichneten,167 fanden Monarchenbesuche und Empfänge für Staatsoberhäupter, die aufwändige Dekorationen liebten, weiterhin in Brühl statt. Doch konnte das Protokoll die Empfänge nach eigener Einschätzung mit den unterschiedlichen Räumlichkeiten – neben Brühl die »moderne« Bonner Beethovenhalle, das neugebaute Hotel Königshof, die Bad Godesberger Stadthalle und die Redoute168 – ab Beginn der sechziger Jahre nach Bedarf variieren.169 Mitte der sechziger Jahre ergänzte der Kanzlerbungalow die Auswahl der Veranstal161 Vgl. von Carmer an Kersky, 12.11.1949, PA, B8, Bd. 3; diverse Aufzeichnungen in PA, B8, Bd. 48; Blankenhorn, S. 90. 162 Aufzeichnung von Braun, 2.7.1960, PA, B8, Bd. 238. 163 Das Erscheinungsbild der Gesellschaften auf Schloss Brühl bleibt über die Jahrzehnte hinweg recht konstant, vgl. BA, B145, Bild-F008555-0013, Bild-F035155-0007 u. Bild-F0586360003; zur Gestaltung der Beethovenhalle Bild-F009482-0013, Bild-F009482-0017, BildF010245-0005 u. Bild-F010245-0009; zur Stadthalle Bad Godesberg Bild-F003978-0007. 164 Vgl. Zauber der Barockwelt, Diplomatischer Kurier 1952, S. 4. 165 Vgl. Pappritz an Kultusministerium NRW, 22.6.1954 u. Protokoll an Meyer, NWDR, 14.6.1954, PA, B8, Bd. 51. 166 Frankfurter Neue Presse, 7.7.1954, zit. n. Zusammenfassung der Presse zum Besuch Papagos’, PA, B8, Bd. 52. 167 Das Schloss taugte nur für Veranstaltungen in den Sommermonaten, da es sich nur schwer beheizen ließ. Es verfügte zudem über zu wenig Parkgelegenheiten, vgl. von Braun an Luchsinger, NZZ, 27.5.1958, PA, B8, Bd. 193. 168 Vgl. W. Henkels, Wenn Bundespräsident Lübke Königin Elisabeth empfängt, Saarbrücker Zeitung, 28.10.1961. 169 Vgl. Vermerk Göllner, 23.9.1963, PA, B8, Bd. 648.
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tungsräume und wurde für Essen des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und des Außenministers rege genutzt.170 Besuche hoher sozialistischer Staatsrepräsentanten stellten eine besondere Herausforderung für das Bonner Protokoll dar. Es begann 1964 mit den Planungen für den Empfang Nikita Chruschtschows, als noch gar nicht feststand, ob er tatsächlich in die Bundesrepublik reisen würde. Denn aus Sicht des Auswärtigen Amtes durfte es »keinesfalls passieren, daß wir in die Rolle des Mitspielers kämen, anstatt die Inszenierung in unseren Händen zu haben«.171 Die Inszenierung musste wohl überlegt werden, denn man erwartete von diesem Besuch Effekte in der Wiedervereinigungsfrage und auf Chruschtschows Haltung gegenüber Westdeutschland. Da der sowjetische Parteichef zudem zwar de facto der eigentliche Machthaber in der UdSSR war, aber formell nicht ihr Staatsoberhaupt, musste das Auswärtige Amt genau abwägen, welche Ehrungen die Bundesrepublik Chruschtschow erweisen und welche sie ihm vorenthalten würde. Der ehemalige Diplomat Albrecht von Kessel befand in der Welt, Chruschtschow habe »jeden Anspruch auf einen höflichen und würdigen Empfang«, gleichwohl beschleiche einen »angesichts dieser Aussicht ein gewisses Unbehagen«.172 Chruschtschow repräsentierte schließlich den Kommunismus und damit das ideologische Feindbild schlechthin. Die Bonner Planungen stuften den Besuch Chruschtschows als offiziellen Besuch eines Regierungschefs ein. Der Bundeskanzler sollte Chruschtschow am Flughafen begrüßen, eine Ehrenkompanie die militärischen Ehren erweisen und die Hymnen spielen.173 Obwohl dies nur Staatsoberhäuptern zustand, votierte die Politische Abteilung im Auswärtigen Amt in Anlehnung an das Zeremoniell der nordischen Staaten für einen Ehrensalut. Als weitere Ausnahme vom üblichen Zeremoniell sollte der Bundespräsident, ebenfalls nach skandinavischem Vorbild, ein Frühstück für Chruschtschow geben, obwohl er ihn nach bundesrepublikanischem Zeremoniell nur zu einem Höflichkeitsbesuch zu empfangen hätte. Auf eine Kranzniederlegung und die Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Bonn, Programmstandards bei Staats- und offiziellen Besuchen, wollte man hingegen verzichten. Die Politische Abteilung und das Protokoll fürchteten, das Ehrenmal könnte »dem sowjetischen Gast und der sowjetischen Presse zu unerwünschten Kommentaren Anlaß geben«. Durch einen Besuch auf dem Bonner Marktplatz würde der Gast »zu sehr in der Öffentlichkeit herausgestellt«, die demokratische Bühne wollte ihm das Protokoll keinesfalls überlassen. 170 Vgl. Schwarzmann an Ehmke, 10.3.1970, BA, B136/6167. 171 Vermerk von Holleben, 4.8.1964, PA, B8, Bd. 1048. 172 A. von Kessel, Chruschtschow ante portas? Die Welt, 12.8.1964, PA, B8, Bd. 1048. 173 Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Erster Programmentwurf, 8.9.1964, PA, B8, Bd. 1048.
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Dass ideologisch verfeindete Staatsmänner einander bei persönlichen Treffen freundlich begegneten, gehörte in den siebziger Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung zum politischen Alltag.174 Für die Zeit eines Besuchs konnte ein freundliches Auftreten vor unkontrollierten Emotionen bewahren; Kritik und Protest brachten Demonstranten auf den westdeutschen Straßen vor. Nach langen Verhandlungen mit dem sowjetischen Protokoll wurde der Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, 1973 annähernd wie ein Staatsoberhaupt begrüßt, obwohl dies seinem Rang nicht zustand – er war nicht Staatsoberhaupt der UdSSR – und der Besuch zudem Arbeitscharakter haben sollte.175 Als erstes nominelles Staatsoberhaupt eines Warschauer-Pakt-Staates besuchte nur wenige Wochen nach Breschnew im Juni 1973 Nicolae Ceauşescu die Bundesrepublik und wurde mit allen zeremoniellen Ehren begrüßt. Die anschließenden Besuche aus Ostblockstaaten veränderten das zeremonielle Bild der Staatsbesuche dahingehend, dass durch Staatssymbole, Gesten und Pioniere erstmals der Kommunismus bei Staatsbesuchen in der Bundesrepublik sichtbar und zeremoniell als Gegenüber anerkannt wurde. Der Besuch von Generalsekretär Michael Gorbatschow 1989 trug bis auf die auf sowjetischen Wunsch fehlende Flugeskorte alle Merkmale eines Staatsbesuchs.176 Diesen Akt der sichtbaren Anerkennung vollzog die Bundesrepublik gegenüber der DDR bei der Visite Erich Honeckers im September 1987. Diese Begegnung unterschied sich von den drei vorangegangenen offiziellen deutschdeutschen Treffen in Erfurt 1970,177 in Kassel 1971 und am Werbellinsee 1981 durch die protokollarische Gleichrangigkeit, welche die Bundesrepublik der DDR erstmals bezeugte.178 Auf bundesrepublikanischer Seite lag die Vorbereitung des Besuchs federführend beim Bundeskanzleramt. Wolfgang Schäuble handelte über den Mittelsmann Alexander Schalck-Golodkowski das Besuchsprogramm Erich Honeckers aus, der »allergrößten Wert« auf die »Gleichberechtigung der DDR« im Protokoll gelegt habe.179 Jedes Detail wurde im Vorfeld 174 Vgl. H. Rademacher, Moral, Romantik, Politik, Kölner Stadt-Anzeiger, 2.5.1973. Vgl. zu den Ausnahmen: E.-O. Maetzke, Zweierlei Staatsgäste, FAZ, 14.4.1978. 175 Vgl. die Dokumente in PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186; Positive Grundstimmung begünstigt den Besuch Breschnews, FAZ, 16.5.1973; W. Erdsack, Breschnjew wird in Bonn fast wie ein Staatsoberhaupt empfangen, Berliner Morgenpost, 17.5.1973; H. Riehl-Heyse, Der Gast aus Moskau rät zu Optimismus, SZ, 19.5.1973. Vgl. zur Besonderheit des Zeremoniells für Staatsparteiländer Hartmann, Staatszeremoniell, S. 290f. 176 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell [2000], S. 276. 177 Vgl. die akteurszentrierte Analyse der Begegnung zwischen Willy Brandt u. Willi Stoph in Erfurt 1970 von Basset/Zifonun, S. 339–346. 178 Vgl. »Ganz besonders zwiespältige Gefühle«, Der Spiegel, 31.8.1987. Die protokollarische Anerkennung der DDR im internationalen Besuchsaustausch durch westlich orientierte Staaten hatte sich seit 1980 durch Besuche Honeckers in Österreich, Italien, Griechenland, den Niederlanden, im Vatikan u. in Japan sowie französische u. britische Visiten in der DDR entwickelt. 179 Auch für das Folgezitat Schalck-Golodkowski, S. 312f.
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ausgehandelt. Die Gleichrangigkeit sollte nicht nur am Ort des Geschehens, sondern auch medial sichtbar werden und daher die Fahnen der DDR und der Bundesrepublik »für die Kameras gleich gut erfassbar« sein. In mehrerlei Hinsicht richtete die Bundesrepublik den Besuch über den üblichen Rahmen eines Arbeitsbesuchs hinaus aus. Die DDR erreichte etwa ein Defilee von Bundesministern.180 Obwohl die DDR der offiziellen Regierungslinie nach nicht als Ausland betrachtet wurde, empfing Außenminister HansDietrich Genscher seinen Amtskollegen Oskar Fischer zu einem Gespräch über internationale Fragen.181 Richard von Weizsäcker traf Honecker nicht nur zu einem üblichen Höflichkeitsbesuch, sondern richtete ein Mittagessen für ihn aus.182 Allerdings machte die westdeutsche Seite auch zeremonielle Einschränkungen. Die Bundesrepublik stellte in Bonn die für einen Arbeitsbesuch übliche Eskorte von sieben Motorradfahrern. Im Unterschied dazu empfing Franz Josef Strauß, der Erich Honecker bei den Verhandlungen über den ersten Milliarden-Kredit für die DDR 1983 persönlich kennen gelernt hatte, den DDR-Staatschef in München mit einer 15-köpfigen Eskorte und einer Ehrenhundertschaft der bayerischen Polizei wie ein Staatsoberhaupt.183 Laut dem Leiter des Arbeitsstabes Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt, Claus-Jürgen Duisberg, setzte die Bundesebene zudem durch den Ausschluss des Diplomatischen Korps von Essen und Empfängen ein Zeichen dafür, dass es sich um keinen internationalen Besuch handelte.184 Bereits im Vorfeld des Besuchs beschäftigten sich Politiker und Journalisten intensiv mit der protokollarischen Gestaltung von Honeckers erster offizieller Reise in die Bundesrepublik und den damit verbundenen Konsequenzen. Konservative Politiker erwarteten bei der westdeutschen Bevölkerung, die laut einer Emnid-Umfrage zu 54% den Besuch Honeckers begrüßte, »ganz besonders zwiespältige Gefühle«.185 Ein Vertreter der Vertriebenen, Herbert Hupka, sah den Besuch als Anlass zur »Trauerbeflaggung«.186 Vor allem die militärischen Ehren, das Hissen der DDR-Flagge und das Abspielen der DDR-Hymne galten als problematisch. Denn durch die Handlungen nahm »die Zweistaatlichkeit ein und derselben Nation optische und akustische Gestalt an«.187 180 Vgl. E. Nitschke, Das Protokoll für Honecker: Ein Balance-Akt mit Ausrutschern?, Die Welt, 1.9.1987. 181 Vgl. C.-C. Kaiser, Ein Besuch, teutonisch überladen, Die Zeit, 4.9.1987. 182 Vgl. »Ganz besonders zwiespältige Gefühle«, Der Spiegel, 31.8.1987. 183 Vgl. ebd.; E. Nitschke, Das Protokoll für Honecker: Ein Balance-Akt mit Ausrutschern?, Die Welt, 1.9.1987; C.-C. Kaiser, Ein Besuch, teutonisch überladen, Die Zeit, 4.9.1987. 184 Vgl. »Ganz besonders zwiespältige Gefühle«, Der Spiegel, 31.8.1987. 185 So äußerte sich der Parl. StS Ottfried Hennig, zit. n. »Ganz besonders zwiespältige Gefühle«, Der Spiegel, 31.8.1987; dort finden sich auch die Ergebnisse der Meinungsumfrage. 186 Zit. n. ebd. 187 C.-C. Kaiser, Ein Besuch, teutonisch überladen, Die Zeit, 4.9.1987.
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Für Erich Honecker und die DDR bedeutete dieser protokollarische Akt den »Schlußstein seiner Souveränitätspolitik«188 und »das Ende einer politischen Quarantäne«.189 Für den SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel kam es einer »List der Vernunft« gleich, dass fast zwei Jahrzehnte, nachdem FDP und SPD den Deutschlandvertrag in der Bundesrepublik durchgesetzt hatten, nun auch »die protokollarischen Konsequenzen« aus diesem Vertrag gezogen wurden.190 Als langfristige Konsequenz erwartete man, dass sich Helmut Kohl beim Gegenbesuch vor der DDR-Fahne verneigen müsse und dass spätestens ein Besuch Honeckers in den USA das Ende westdeutscher Wiedervereinigungswünsche bedeuten würde.191 Auch Helmut Kohl wusste, dass die DDR die protokollarischen Ehren in der Bundesrepublik als staatliche Anerkennung auslegen würde, und hatte ein solches Treffen in Bonn lange Zeit abgelehnt.192 Später erklärte die Regierung, sie habe dem »DDR-Begehren nach einem Staatsempfang mit allem protokollarischen Pomp bereitwillig« nachgegeben, um mehr Freiheitsrechte für die DDR-Bürger zu erreichen.193 Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger, der einen Besuch Honeckers 1984 durch negative Äußerungen behindert hatte, befand, ein Empfang auf Weltniveau sei der »notwendige Preis«, den Bonn entrichten müsse.194 Honecker und Kohl verbanden mit der Visite in der Bundesrepublik unterschiedliche Erwartungen. Gleichwohl trugen sie beide gemeinsam die Last der Performanz.195 Helmut Kohl beschrieb diese »psychische Anspannung« vor und während der zeremoniellen Handlungen in seinen Erinnerungen stark dramatisiert und beobachtete auch bei Erich Honecker ähnliche Gefühlsregungen.196 Die beiden Staatsmänner vollzogen ihre Handlungen bewusst für die Medien. Aus Sicht der DDR waren die Fernsehkameras Zeugen und Vermittler ihres Erfolges: Honeckers Begrüßung in Bonn war für die Fernsehteams der DDR »der wichtigste Augenblick seit langem. Sie haben die Bilddokumentation dafür mit nach Haus zu bringen, daß die DDR in Bonn als gleichwer188 Ebd. Entsprechend legte Honecker seine Reise in die Bundesrepublik bei einem Besuch in Moskau im November 1987 aus, vgl. Existenz zweier deutscher Staaten bekräftigt, FAZ, 6.11.1987. 189 »Ganz besonders zwiespältige Gefühle«, Der Spiegel, 31.8.1987. 190 Zit. n. H. Lölhöffel, Innerlich bewegt, aber auf Distanz bedacht, FR, 9.9.1987. 191 Dies galt zumal, da Gorbatschow von Weizsäcker bei dessen Besuch in Moskau im Juli 1987 eine klare Absage in dieser Frage erteilt hatte. Vgl. »Ganz besonders zwiespältige Gefühle«, Der Spiegel, 31.8.1987. 192 Vgl. ebd. u. Kohl, S. 547f. 193 »Ganz besonders zwiespältige Gefühle«, Der Spiegel, 31.8.1987. 194 Zit. n. ebd. 195 Vgl. K. Dreher, Der Einschnitt – feierlich zelebriert, SZ, 8.9.1987; H. Lölhöffel, Innerlich bewegt, aber auf Distanz bedacht, FR, 9.9.1987. 196 Kohl, S. 557.
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tiger Staat anerkannt ist und behandelt wird.«197 Helmut Kohl bestand darauf, dass die Tischreden beim Abendessen am 7. September 1987 live in die DDR übertragen wurden, damit er auf diesem Wege seine Rede auch an die DDRBürger richten konnte.198 In der Bundesrepublik setzte schon im Vorfeld des Besuchs eine umfangreiche Berichterstattung in Presse, Rundfunk und Fernsehen ein,199 die sich während des Besuchs noch ausweiten sollte. Beide westdeutschen Fernsehsender planten umfangreiche Berichte und Livesendungen. Dabei wurden in der DDR und BRD dieselben Bilder mit unterschiedlichen Kommentaren übertragen.200 Gleichsam als Äquivalent zu dem deutsch-deutschen Politikertreffen sollten sich auch die Bürger beider Staaten via Fernsehdirektübertragung begegnen in den »Momentaufnahmen aus beiden Republiken«.201 Für die Zeit des Besuchs waren DDR und BRD zumindest zeitweilig als Fernsehnation vereint. Die Bundesrepublik hatte sich mit der protokollarischen Anerkennung der DDR viele Jahre nach dem Deutschlandvertrag schwer getan, da die Zweistaatlichkeit auf diese Weise sichtbar wurde. Zwei Jahre nach Honeckers Arbeitsbesuch zeigte sich, dass das scheinbare Faktum der staatlichen Teilung Deutschlands nicht von Bestand war.
197 K. Feldmeyer, Und dann erklingen zur Begrüßung die beiden wortlosen Lieder von Deutschland, FAZ, 8.9.1987. 198 Vgl. Kohl, S. 548, 558, 566–572 u. 577. 199 Vgl. S. Martenson, Am Protokoll wird niemand mäkeln können, Stuttgarter Zeitung, 5.9.1987. 200 Vgl. Sondersendungen im DDR-Fernsehen zu Honeckers Besuch, FAZ, 8.9.1987. 201 Umfangreiche Berichterstattung der ARD zum Honecker-Besuch, Der Tagesspiegel, 2.9.1987. Vgl. zu gemeinsamer Livesendung auch: Deutsches live aus Ost und West, FR, 9.9.1987.
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Zweites Kapitel – Bilder der Bundesrepublik I. Bilder des Erfolgs 1. Westdeutsche Unternehmen im »Wirtschaftswunder« Mitte 1952 hatte die westdeutsche Industrie die Krisen der Nachkriegsjahre überwunden. Ein deutliches Wirtschaftswachstum zeichnete sich ab1 und spiegelte sich auch in der Programmgestaltung der Staatsbesuche wider. Trafen Robert Schuman 1950 und Alcide De Gasperi 1952 lediglich bei Empfängen mit Wirtschaftsvertretern zusammen,2 organisierte das Protokoll für den österreichischen Außenminister Gruber 1953 erstmals Industriebesichtigungen, allerdings noch in einem zeitlich und gestalterisch beschränkten Umfang.3 Von da an gewann dieser Programmpunkt stetig an Bedeutung und entwickelte sich zu einem von mehreren Darstellungsregistern, die »Wiederauf bau« und »Wirtschaftswunder« häufig miteinander verbanden. Organisatoren wie Gäste maßen den Besuchen bei Krupp, der DEMAG und anderen Industrieanlagen des Ruhrgebiets einen hohen Stellenwert bei. Die »lebendigsten Leistungen der deutschen Wirtschaft«4 wurden dem Gast vorgeführt, und entsprechend würdigten auch die Gäste zumindest rhetorisch das Gesehene.5 Viele Unternehmen bewarben sich darum, im Programm der Staatsbesuche berücksichtigt zu werden. Neben den schon bestehenden wirtschaftlichen Verbindungen oder besonderen Interessen der Gäste entschied das Maß der Anschaulichkeit darüber, welche Industrieanlagen gezeigt wurden. Im Vorfeld des Besuches des japanischen Kronprinzen Akihito besichtigten die zuständigen Beamten des Protokolls drei Industriewerke, die für diesen Besuch zur Auswahl standen. Die Kriterien, 1 Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 68–70. 2 Vgl. Gästelisten für Empfang u. Frühstück, PA, B8, Bd. 48 u. Gästeliste für Empfang, PA, B8, Bd. 54. 3 Gruber besuchte die Klöckner-Humboldt-Werke, ließ sich eine jüngst entwickelte Einschienenbahn zeigen u. wohnte einem Treffen der Parf ümerie- u. Drogeriebranche beider Staaten bei, Programmvorschlag, Stand: 15.5.1953, PA, B8, Bd. 64; »Erster österreichischer Staatsbesuch in der Bundesrepublik«, Diplomatischer Kurier 1953, S. 208f. 4 Aufzeichnung von Braun, 20.5.1958, PA, B8, Bd. 193. 5 Ein Gast erklärte, der Besuch habe ihn »mit der Wirklichkeit des schaffenden Deutschlands von heute in Berührung gebracht«, Trinkspruch Segni, 8.2.1956, PA, B8, Bd. 158.
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nach denen sie die Firmen bewerteten, verdeutlichen, dass ein Anschauungsobjekt für Innovation und die Leistungen des Wiederauf baus gesucht wurde. Das Bayer-Werk lehnten sie ab, weil es »keine einem Laien […] imponierenden maschinellen Einrichtungen« aufzuweisen habe und das Werk teils hinter amerikanischen Firmen zurückbleibe, mit denen sich die westdeutsche Wirtschaft offensichtlich messen können sollte. Für einen Besuch bei Thyssen sprach, dass das »Werk […] sehr gut den Wiederauf bau der durch Kriegseinwirkungen und Demontage zerstörten deutschen Industrie« zeige. Den Zuschlag erhielt jedoch die DEMAG wegen ihrer Modernität und ihrem auch dem Laien eingängigen imposanten Erscheinungsbild.6 Den Wiederauf bau und die damit verbundene neue Kraft der Westdeutschen machten nicht nur Besichtigungen von Konzernen und Werkanlagen erfahrbar, sondern ebenso Besuche in Städten, die durch den Krieg stark zerstört worden waren. Bei der Zusammenstellung des Programms für den indischen Ministerpräsidenten Nehru, dem die Vorzüge der »westlichen Welt« besonders deutlich vor Augen geführt werden sollten, zog das Protokoll die »eindrucksvoller[e] […] Demonstration des märchenhaften städtischen Wiederauf baus, gerade von Hamburg«7 in Form einer Hafenrundfahrt möglichen Industriebesichtigungen vor. Die Darstellung des »Wirtschaftswunders« blieb nicht nur optische Impression. Auch beim Konsum zeigte sich Westdeutschland zumindest auf dem Niveau der europäischen Nachbarn. Bescheidenheit wurde ab Mitte der fünfziger Jahre nicht mehr angestrebt. Bei der Ausstattung der Gästezimmer, den Mahlzeiten und bei den Geschenken platzierte das Protokoll stets Konsum- und Luxusartikel – den Gästen wurden nur Bahlsen-Kekse gereicht, nur hochwertige Leica-Kameras geschenkt, die Ananas musste selbstverständlich frisch und durfte keine Dosenfrucht sein.8 Bei den kalten Buffets, die im Laufe der fünfziger Jahre in Mode kamen, suchten die Besuchsausrichter mit Rücksicht auf die Staatskasse das optimale Maß zwischen Preis, Qualität und optischer Fülle. Übermaß und Fülle kennzeichneten grundsätzlich die Visualisierung des »Wirtschaftswunders«.9 Die Industriebesichtigungen zeichneten sich durch zwei Praktiken aus: zum einen die Besichtigung einzelner Produktionsabschnitte oder Maschinen und zum anderen Fahrten über das Industriegelände bzw. durch das Einzugsgebiet der industriellen Anlage. In »inspizierenden Rundgängen«10 nahmen politische Repräsentanten Produktionsabläufe oder einzelne maschinelle Einrichtungen in Augenschein und entsprachen den Normen des ernsthaften Besuchers, in16 Aufzeichnung Betz, 15.6.1953, PA, B8, Bd. 163. 17 Bericht Meyer, New Delhi, 12.3.1956, PA, B8, Bd. 142. 18 Vgl. Mitteilung Pappritz an Gerlach, 3.10.1954, PA, B8, Bd. 148. 19 Vgl. grundsätzlich zur Konsumgeschichte der fünfziger Jahre Andersen u. Wildt. 10 Den Begriff übernehme ich von Paulmann. Inspizierende Rundgänge praktizierten schon König in Victoria von England u. ihr Gatte Albert, vgl. Paulmann, Pomp und Politik, S. 322f.
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Abb. 2: Sukarno besichtigt 1956 die DEMAG
dem sie durch Nachfragen bei einem Experten ihr Interesse bekundeten – ein Moment, der häufig auch fotografisch dokumentiert wurde. Diese Form des Industriebesuchs praktizierten vornehmlich männliche Staatsgäste, während das Protokoll Frauen, die zumeist als Begleiterinnen ihres Mannes mitreisten, in soziale Einrichtungen führte. Wenn eine Frau in den Genuss einer Industriebesichtigung kam, wurden ihr selten Produktionsabläufe gezeigt. Sie wurde primär als Konsumentin angesprochen, indem ihr die Firmenrepräsentanten Endprodukte vorstellten, bei denen man annahm, sie seien für Frauen von besonderem Interesse, wie z.B. Damenmode.11 Geschlechtsspezifische Rundgänge und Präsentationen, die parallel und teils mit Überschnei11 Das Damenprogramm beim Staatsbesuch des peruanischen Staatspräsidenten Prado sah z.B. eine Besichtigung des »Sozialbetriebs« (Werksküchen, Speiseräume etc.) sowie die Vorfüh-
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dungen stattfanden, erlaubten, die Fülle technischer Erkenntnisse und Fähigkeiten einerseits und die daraus resultierende breite Produktpalette andererseits in kurzer Zeit zu präsentieren. Wie sehr den Organisatoren daran gelegen war, eine möglichst große Bandbreite westdeutscher industrieller Aktivitäten zu demonstrieren, illustriert auch die Zeitplanung für die Industriebesuche: Häufig reihte sich ein Termin zur Besichtigung an den nächsten, was nur dadurch möglich war, dass im Ruhrgebiet als häufigstem Besuchsziel die Werke dicht beieinander lagen. Je mehr gezeigt werden sollte und je stärker sich das »Bildprogramm« erweiterte, das die Bundesrepublik von sich vermitteln wollte, desto mehr gewann die Praxis der Fahrten durch Industriegebiete an Bedeutung. Sie wurden zunehmend so angelegt, dass die Staatsgäste nicht nur an industriellen Produktionsstätten vorbeifuhren, sondern auch mit Aspekten des täglichen Lebens eines Arbeiters oder Angestellten der besichtigten Konzerne in Berührung kamen. Schon von Beginn der Industriebesichtigungen an waren die Fahrten zu den Konzernen oder Betrieben inszenatorisch von den jeweiligen Firmen genutzt worden, um dem Besuch durch Spaliere, Blumenmädchen, Begrüßungssignale etc. einen repräsentativen Rahmen zu geben und im Falle der Firma Krupp durch das Zitat staatlicher zeremonieller Formen wie Begrüßungs- und Abschiedszeremoniell gleichsam einen Staat im Staat zu inszenieren.12
2. Bilder bei Krupp Krupp avancierte, wie zuvor im Kaiserreich und im »Dritten Reich«,13 auch in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre zu einem Vorzeigeunternehmen. Allein zwischen 1953 und 1956 waren acht Staatsgäste, davon drei Staatsoberhäupter, bei Krupp zu Gast.14 Eine Besuchslücke zwischen 1956 und 1960 erklärt sich daraus, dass in dieser Zeit wenige Staatsbesuche stattfanden, und lässt keine Rückschlüsse zu auf eine zeitweilige Verstimmung der Bundesregierung etwa wegen der wirtschaftlichen Kontakte des Konzerns mit Ostblockstaaten.15 Zwischen 1960 und 1962 fanden fünf weitere Staatsbesuche in Essen statt. Danach kam 1964 bis 1967 und 1970 pro Jahr eine Staatsbesuchsdelegation auf den Hügel. Darauf fanden erst 1975 wieder Gespräche bei Krupp rung von Damenmode aus Bayer-Fasern vor, Damenprogramm, PA, B8, Bd. 207. Vgl. zur Modenschau bei Bayer für das Ehepaar Tubman 1956: BA, B145, Bild-F003984-0008. 12 Charakteristisch hierfür der Besuch Haile Selassies 1954, vgl. Minutenprogramm Villa Hügel, 11.11.1954, PA, B8, Bd. 43. 13 Vgl. Pogge von Strandmann, S. 194. Vgl. zur Rolle der Villa Hügel Stürmer; zur Rolle Krupps im wilhelminischen Kaiserreich Wellhöner. 14 Haile Selassie 1954, Sukarno u. das griechische Königspaar 1956. 15 Vgl. dazu Gall, Von der Entlassung, S. 538f.
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während des Schiwkow-Besuchs statt. Dem folgten einige weitere Programmbeteiligungen 1977 und in den achtziger Jahren16 sowie 1987 der Besuch Erich Honeckers, der als privat deklariert wurde. Die Hochzeit der Krupp-Besuche endete ungefähr mit dem Übergang des Familienbesitzes in eine Stiftung nach dem Tod Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs 1967. Im Folgenden konzentriert sich die Analyse auf den Zeitraum zwischen 1952 und 1970, in dem der Krupp-Konzern eine zentrale Rolle in der bundesrepublikanischen Selbstdarstellung einnahm.17 a) Krupp im Programm der Staatsbesuche Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass die junge Bundesrepublik ihre Staatsgäste zu einem Konzern führte, dem das Stigma der »Rüstungsschmiede« des NS-Staats anhaftete – knüpfte sie doch damit an wilhelminische und nationalsozialistische Traditionen an, von denen sie sich zugleich zu distanzieren suchte. Bereits Kaiser Wilhelm II. besuchte mehrfach die Waffenproduzenten in Essen; am 27. September 1937 besichtigten Adolf Hitler und Benito Mussolini in der Essener Gussstahlfabrik u.a. die Rüstungsproduktion.18 Trotz dieser Vorgeschichte zeigte das Protokoll kaum Berührungsängste oder historisch motivierte Bedenken. Protokollchef von Herwarth schlug das Hüttenwerk Rheinhausen und Krupp schon 1952 als Programmpunkte für den Besuch De Gasperis vor.19 Vorbehalte wegen der Vergangenheit Krupps lassen sich bei den Vorbereitungen einiger Besuche höchstens vermuten, wie im Vorfeld des Besuchs des italienischen Präsidenten Gronchi 1956, dem der westdeutsche Botschafter Clemens von Brentano di Tremezzo »einige wirklich sehenswerte Grossbetriebe« zeigen wollte, aber »nicht gerade Krupp«.20 Explizite Bedenken finden sich eher nach den Besuchen, bei der Besuchsauswertung in Filmen, die das Bundespresseamt in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt produzierte. Sie waren nicht grundsätzlicher Natur, sondern bezogen sich auf mögliche negative Lesarten im Ausland. Bei der Produktion des Films über den Besuch Haile Selassies entfielen die Szenen auf Villa Hügel, denn »die Empfänge auf der Villa Hügel könnten zu Missdeutungen führen. Dasselbe gilt für die Einstellungen, die das Krupp-Denkmal in Essen zeigen.«21 16 Dies waren die Staatsbesuche Ägyptens, Bangladeschs, Nigerias u. Chinas. 17 Vgl. zur Frage, wie Krupp Besuche für Unternehmensinteressen nutzte, Derix, Gruppenbild. 18 Vgl. Abelshauser, Rüstungsschmiede, S. 291. 19 Vgl. Notiz über Anruf von Herwarths aus Straßburg, 11.9.1952; Programm, Stand: 13.9.1952, PA, B11, Bd. 1. Dieser Besuch kam letztlich nicht zustande. 20 Von Brentano di Tremezzo, Rom, an Pappritz, 9.11.1956, PA, B8, Bd. 91, p. 1f. 21 Betz an Wiers, 9.12.1954, BA, B145/52.
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Entsprechend konzentrierte sich die Darstellung auf die soziale Fürsorge und den Rundgang im Hüttenwerk Rheinhausen; das Wort »Krupp« fiel nicht im Film-Kommentar.22 Auch sechs Jahre später ließ man noch Vorsicht walten. Im Text zum BPA-Film über den Besuch des thailändischen Königspaares 1960 sollte Alfried Krupp als »Chef des Hauses Krupp« und nicht als »Chef der alten Stahldynastie an der Ruhr« tituliert werden, weil die »Anspielung auf das Stahlimperium Krupp […] im Ausland noch immer Res[s]entiments hervor[rufe].«23 Ob der Krupp-Konzern in den Filmen etwa durch das Firmensymbol identifiziert werden konnte, muss offen bleiben. Insgesamt wird deutlich, dass die dokumentierten Korrekturen nicht etwa aus moralischen Gründen, sondern primär mit Blick auf die Außenwahrnehmung vorgenommen wurden. In der westdeutschen Presse blieb Kritik an den Besuchen weitgehend aus.24 Nur wenige Gäste lehnten explizit einen Krupp-Besuch ab: der türkische Präsident Bayar 1958 aus nicht näher bekannten Gründen 25 und der französische Präsident Charles de Gaulle 1962 »wegen der schwebenden Verkaufsauflagen«.26 Nach dem Zweiten Weltkrieg billigten die alliierten Siegermächte, dass Krupp weiterhin Stahl verarbeitete, untersagten jedoch die Stahlproduktion. Entsprechend stand der Konzern unter der Auflage, auch das Vorzeigehüttenwerk Rheinhausen zu verkaufen, konnte diese jedoch durch eine geschickte Verkaufspolitik und Reorganisation des Konzerns umgehen.27 Indem de Gaulle statt eines Krupp-Betriebs die August-Thyssen-Hütte in Duisburg besuchte, bekräftigte er die Entflechtungspolitik der Alliierten, die auch ein Jahr zuvor dem Firmenjubiläum »bewusst ferngeblieben« waren und damit »gegen die offenkundige Verschleppung des Verkaufs« demonstriert hatten.28 Ein Besuch bei Krupp hätte zudem der französischen Öffentlichkeit Anlass zu Angst, Empörung und Protest geboten und das Bild von Versöhnung und gemeinsamer Zukunftsorientierung empfindlich stören können.29 Eine Nachfrage von Bundespräsident Heuss, warum das griechische Königspaar Krupp statt Thyssen besuchen werde,30 ist hingegen nicht eindeutig auf historisch bedingte Vorbe22 Vgl. Typoskript »Kaiserliche Impressionen«, o.D., BA, B145/52. 23 Döring an BPA, 28.9.1960, BA, B145/1473. 24 Die Bergbauindustrie, Heft 48 (1954), fragte in dem Artikel »Villa Hügel. Sitz des Außenministers?«, ob es »keinen würdigeren Vertreter der Industrie, keinen Mann demokratischer Haltung« gebe, um ausländische Gäste zu begrüßen. Negative Kritik im Ausland formulierte M. Gordey 1955 in France Soir, 3.3.1955, HAK WA 48 b 327. 25 Vgl. Vermerk über Besprechung, 19.4.1958, PA, B8, Bd. 192. 26 Anhang von Braun zu Aktenvermerk, 24.7.1962, PA, B24, Bd. 360, Fiche 1, p. 23–29. 27 Vgl. Gall, Von der Entlassung, S. 495–511. 28 Ebd., S. 518. 29 Ein Journalist formulierte dies so: »Daß Krupp in Essen und die Villa Hügel nicht besucht werden, hat seinen Grund in der ›Dicken Berta‹, mit der Paris beschossen wurde.« J. Feddersen, Vive de Gaulle?, NRZ, 4.9.1962. 30 Vgl. Aktennotiz Hundhausen, 20.9.1956, HAK WA 48 b 333.
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halte zurückzuführen, zumal sich Heuss wenige Jahre später als Festredner zur 150-Jahr-Feier der Firma engagieren ließ. Vielmehr erklärt sie sich aus dem Ungleichgewicht, das sich zwischen Krupp und anderen Großunternehmen bei Staatsbesuchen abzeichnete. Die ungleiche Verteilung der Besuche sowie mögliche Verstimmungen der übergangenen Unternehmen führte das Auswärtige Amt mehrfach als Grund an, Krupp nicht ins Programm aufzunehmen31 oder in einem Fall »auf der Fahrt nach Essen en passant noch für eine halbe Stunde ein weiteres Werk«32 besuchen zu lassen. Trotzdem hatten die Konkurrenzunternehmen oft das Nachsehen und thematisierten dies im Vorfeld der Besuche.33 Vor allem die August-Thyssen-Hütte fühlte sich übergangen. Bei den Planungen für den Aufenthalt Pauls und Friederikes von Griechenland 1956, einem von westdeutschen Unternehmen umworbenen Besuch, schien Thyssen als Vorschlag von Staatssekretär Westrick34 und, um Krupp nicht erneut zu bevorzugen, als Programmpunkt festzustehen. Doch im Krupp-Konzern wusste man, dass das Auswärtige Amt Wünsche der Staatsgäste nicht übergehen konnte.35 Daher erreichte Krupp über einen griechischen Fürsprecher, dass König Paul einen Besuch in Essen befürwortete. Das Konkurrenzunternehmen Thyssen hatte das Nachsehen.36 Beim Besuch des sudanesischen Präsidenten Abboud 1962 hingegen sah das Programm Thyssen als Anschauungsort der deutschen Industrie vor, während bei Krupp lediglich der Tee eingenommen und sudanesische Praktikanten vorgestellt werden sollten. Doch auch in diesem Fall konnte Thyssen nicht allein brillieren. Es gelang Krupp, mehr vom Unternehmen zu zeigen als geplant, denn während des Tees arrangierten die Essener Gastgeber und ihre Gäste kurzerhand »eine Besichtigungsfahrt durch die Stadt und einige Kruppbetriebe«.37 Beide Beispiele verdeutlichen, dass die Wünsche der Gäste im Vorfeld und während des Besuchs die Gestaltung der Industriebesuche durch das Auswärtige Amt einschränkten. Das Unternehmen Krupp erkannte dies und ergriff oftmals frühzeitig die Initiative,38 um Teil des Besuchsprogramms zu werden. Es wandte sich mit Besuchsvorschlägen nicht nur an das Bonner Proto31 Vgl. etwa Mehner an Cambouroglu, 23.7.1956, HAK WA 48 b 333; Bericht Trützschler von Falkenstein, Karachi, 1.10.1960; Erlass von Braun, 6.12.1960, PA, B8, Bd. 241. 32 Aktenvermerk Koshold, 22.6.1966, HAK WA 48 b 365. 33 Vgl. Vermerk von Holleben, Verschlussmappe, 4.8.1964, PA, B8, Bd. 1048/II. 34 Vgl. Hundhausen an Beitz, 24.7.1956, HAK WA 48 b 333. 35 Vgl. Mehner an Cambouroglu, 23.7.1956, HAK WA 48 b 333. 36 Vgl. Hundhausen an Beitz, 24.7.1956; Schoop an Beitz, 27.7.1956; Aktennotiz Hundhausen, 20.9.1956, HAK WA 48 b 333. 37 Besuchsbericht Heinen, o.D.; vgl. Arbeitsprogramm, Stand: 4.4.1961, HAK WA 48 b 348. 38 Krupp war im Vorfeld aktiv bei Papagos 1954, Yoshida 1954 (kam nicht), Haile Selassie 1954, Paul von Griechenland 1956, Bayar 1958 (kam nicht), Prado 1960, Ayub Khan 1961, Ab-
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koll, sondern richtete direkte Einladungen an die ausländischen Staatsgäste. Im Zuge einer konzerneigenen Besuchspolitik mit wechselseitigen Besuchen von Krupp-Vertretern und Repräsentanten verschiedener Staaten waren in den sechziger Jahren auch Krupp-Besuche analog zum zwischenstaatlichen Zeremoniell als Gegenbesuche anvisiert worden, bevor ein Termin für den Staatsbesuch in der Bundesrepublik feststand.39 Doch Krupp musste nicht um jeden Gast werben. Mehrfach äußerten Gäste selbst den ausdrücklichen Wunsch, Krupp zu besuchen.40 Denn Krupp galt nicht allen gleichermaßen als ehemalige deutsche Waffenschmiede, deren Beweis für eine Umkehr noch ausstand. Krupp konnte auch für eigene dynastische Traditionen stehen wie im Falle des Besuchs von Bhumibol von Thailand. Er wollte mit einem Besuch bei Krupp an die Reise seines Großvaters Chulalongkorn anknüpfen.41 Im Kontext dieser retrospektiven Ausrichtung des Besuchs erschien auch die wilhelminische Vergangenheit des Hauses Krupp (wieder) in einem positiven Licht.42 Eine weitere, bei vielen Gästen dominante Konnotation des Essener Unternehmens war der wiederbelebte bzw. ungebrochene Ruf als bedeutender Wirtschaftskonzern. Der deutsche Botschafter in Buenos Aires, Werner Ernst Junker, führte die »Genugtuung der argentinischen Öffentlichkeit« nach dem Besuch ihres Präsidenten 1960 »auf den Klang zurück, den hier die Namen des Herrn Bundeskanzlers, des Ministers Erhard und einzelner Industrieller, wie zum Beispiel Krupp, besitzen«.43 Nach der Besichtigung 1964 gab Nepal bei dem Stahlkonzern eine Zementfabrik in Auftrag. Dies brachte der deutsche Botschafter, Wilhelm Löer, ebenfalls mit dem »magische[n] Klang« des Namens Krupp in Verbindung.44 Das Bonner Protokoll scheint Krupp gegenüber keine eindeutig positive oder negative Haltung eingenommen zu haben. Vielmehr wechselte es je nach involvierten Mitarbeitern, Gästen und den besonderen Bedingungen des einzelnen Besuchs zwischen Zurückweisung und Einverständnis. Das Auswärtige Amt bemühte sich einerseits darum, Krupp im Vergleich mit anderen boud 1962 (Tee), Mahendra von Nepal 1964, Park Chun Hee 1964 (kam nicht), Tombalbaye 1967, Schah von Iran 1967 (kam nicht). 39 Dies gilt etwa für Besuche König Hassans von Marokko u. Habib Bourguibas. Vgl. Aufzeichnung von Holleben, 14.2.1964; Lück an von Holleben, 30.11.1964; Vermerk von Holleben, 3.11.1965, PA, B8, Bd. 1053. 40 Folgende Besuche gehen auf den expliziten Wunsch des Gastes zurück: Pibulsonggram 1955, Kubitschek 1956, Frondizi 1960, Bhumibol u. Sirikit von Thailand 1960, Olympio 1961, Tombalbaye 1967. 41 Vgl. grundsätzlich zur Reise Chulalongkorns Petersson. 42 Vgl. Berichte Böhling, Bangkok, 1.9.1959 u. 15.12.1959; Erlass an Botschaft Bangkok, 23.12.1959, PA, B8, Bd. 225; Notes for address held by Alfried Krupp, 14.7.1960, PA, B8, Bd. 229. 43 Bericht Junker, Buenos Aires, 5.7.1960, PA, B8, Bd. 239. 44 Bericht Löer, Katmandu, 26.6.1964, PA, B8, Bd. 554.
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großen westdeutschen Wirtschaftsunternehmen nicht übermäßig viel Darstellungsraum zuzugestehen. Gleichzeitig lag den Protokollbeamten daran, jegliche Brüskierung des Konzerns zu vermeiden. Das zeigt sich deutlich darin, dass die Ablehnung eines Besuchs bei Krupp oftmals mit Kompensationen verknüpft war. Krupp von Bohlen und Halbach und der Generalbevollmächtigte Berthold Beitz nahmen feste Plätze auf den Einladungslisten der Abendveranstaltungen ein, bisweilen mit dem Privileg der persönlichen Vorstellung.45 Dieser Vorzugsstellung entsprechend gab es noch deutlichere Formen der Kompensation. Beim Besuch Nehrus 1956 riet der deutsche Botschafter in Delhi, Ernst-Wilhelm Meyer, von Fabrikbesichtigungen ab, obwohl er gleichzeitig darauf drängte, den Bau eines von Krupp und DEMAG geplanten Stahlwerks in Rourkela als Gegengewicht zu den »Anstrengungen des Ostblocks« rasch in Angriff zu nehmen.46 Der persönliche Kontakt auf einer Rheinfahrt schien eine sicherere Gewähr zu bieten als eine Betriebsbesichtigung, den Aufenthalt – wie gewünscht – »mit positiven Ergebnissen enden« zu lassen. Krupp, der Nehru wenige Monate zuvor in Indien besucht hatte,47 nahm an dieser Rheinfahrt teil und konnte zumindest in der kruppschen Selbstdarstellung den engen Kontakt zum indischen Staatsoberhaupt in Text und Bild unter Beweis stellen.48 1961 kompensierte das Protokoll eine Besuchsabsage an Krupp durch eine Einladung Berthold Beitz’ zur Wildschwein-Jagd mit dem pakistanischen Staatsoberhaupt Ayub Khan im niedersächsischen Wildpark Springe.49 Der kamerunische Präsident Ahidjo schließlich besuchte 1963 zwar nicht Krupp in Essen, wohl aber den Krupp-Stand auf der Industriemesse in Hannover.50 Dass Krupp über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren auf den unterschiedlichsten Wegen in die Staatsbesuchsprogramme integriert wurde, lässt sich freilich nicht nur auf die Wünsche der Gäste zurückführen, sondern ebenso auf staatliche Darstellungsinteressen. Neben der Professionalität in Planung und Durchführung von Besichtigungen51 – für den Besuch des thailändischen Königspaares sicherte man sich sogar die Unterstützung der ehemaligen stellvertretenden Protokollchefin Pappritz52 – konnte Krupp die Pflege der Handelskontakte als Argumente für die Besuche anführen. In diesem Punkt deckten sich mehrfach die Einschätzungen der deutschen Botschafter mit den
45 So z.B. beim Besuch des Schahs von Iran 1955, PA, B8, Bd. 139. 46 Auch für das Folgezitat: Meyer an Hallstein, 24.1.1956, PA, B8, Bd. 142. 47 Vgl. Gall, Von der Entlassung, S. 527. 48 Vgl. Indien und Deutschland, Krupp Mitteilungen 4/40 (1956), S. 86f. 49 Vgl. Vermerk von Holleben, 3.1.1961, PA, B8, Bd. 243. 50 Vgl. Bericht Döring, Jaunde, 21.3.1963, PA, B8, Bd. 501. 51 Das Krupp Besuchswesen warb bereits früh mit seinen Planungsqualitäten, vgl. Fernschreiben Krupp Besuchswesen an AA, 9.10.1954, PA, B11, Bd. 1290. 52 Vgl. Schoop an Pappritz, 10.5.1960, HAK WA 48 b 337.
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Interessen des Essener Unternehmens.53 Doch für das Protokoll des Auswärtigen Amtes scheinen vor allem das breite Register von Darstellungsmöglichkeiten, aus dem Krupp und damit die Bundesrepublik schöpfen konnten, sowie die damit verknüpften dramaturgischen Optionen von großem Interesse gewesen zu sein. Der Krupp-Konzern besaß imposante Produktionsstätten verschiedenster Ausrichtung: die Gussstahlfabrik mit entsprechenden Bergwerken, die Widia-Fabrik für Hartmetalle, die Lokomotivfabrik, den Essener Maschinenbau, den Stahlbau Essen und den Stahlbau Rheinhausen, die Elek trowerkstätten, die Konsumanstalt und einige weitere kleinere Betriebe. Hinzu kamen als Tochtergesellschaften die Südwerke, die Lkws bauten, die Krupp Kohlechemie und Beteiligungsgesellschaften wie die Schiffswerft AG Weser54 sowie unter Verkaufsauflage stehende Betriebe wie das Hüttenwerk Rheinhausen. Der heterogene Charakter des Konzerns galt der Firmenleitung als geduldetes Übergangsstadium auf dem Weg zur Rekonstruktion des »alten« Konzerns mit dem montanen Kernbereich. Aus staatlicher Perspektive hingegen lagen hier große darstellerische Möglichkeiten verborgen: Die Variationsbreite der konzerninternen Besichtigungsorte und -praktiken konnte den Staatsgästen sowohl wirtschaftliche Leistung und Erfolg als auch den Wiederauf bau von Industrie- und Wohnungsanlagen oder in den sechziger Jahren die Integration ausländischer Arbeiter einzeln oder kombiniert veranschaulichen. Krupp bot das Bild einer variantenreichen, starken Wirtschaftsmacht, das als Pars pro toto für die Bundesrepublik gelten konnte. Doch nicht allein der Charakter eines »Gemischtwarenladen[s]«55 machte Krupp attraktiv, denn damit unterschied sich das Unternehmen noch nicht von anderen Konzernen vergleichbarer Größe. Ein kruppsches Spezifikum lag in der Firmentradition, auch die Lebenswelt der Arbeiter und Angestellten mit Wohnungs- und Siedlungsbau, Krankenhäusern, Einkaufszentren etc. aktiv zu gestalten. Das kruppsche Selbstverständnis einer Symbiose von Arbeits- und Lebenswelt unter der Schirmherrschaft eines Firmeninhabers, der sich einer Vaterfigur gleich um das Wohl seiner Belegschaft sorgte,56 setzte Alfried Krupp fort. Er hielt an den sozialen Verpflichtungen des Unternehmens als Bindeglied aller »Kruppianer« fest und betrachtete sie als Gegengewicht zu den zentrifu53 Entsprechend regten die Botschafter Besuche bei Krupp an, so z.B. Bericht Löer, Katmandu, 17.2.1964, PA, B8, Bd. 554; Lück an Beitz, 24.1.1962, darauf handschriftlicher Vermerk, Beitz, 30.1.1962, HAK WA 48 b 351; Bericht Fischer, Fort Lamy, 1.10.1965, PA, B8, Bd. 1127; Bericht Junges, Abidjan, 13.7.1966, PA, B8, Bd. 1144. Im Fall eines Besuchs aus Kongo war Krupp »nicht an [einer] Besichtigung interessiert«, Neumann an Giesder, 8.2.1969; Bericht Neumann, Kinshasa, 8.2.1969; Drahterlass Schwarzmann, 20.2.1969, PA, B8, Bd. 1601. 54 Vgl. Gall, Von der Entlassung, S. 488. 55 Ebd., S. 516. 56 Auch dieser Aspekt geht auf Traditionen um die Jahrhundertwende zurück, als Krupp die Fürsorge für die Belegschaft fotografisch inszenierte, vgl. Reif.
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galen Kräften der Entflechtung und der Aufgliederung der Produktionsbereiche.57 Krupp knüpfte an Traditionen des »alten« Konzerns an, die immer schon Idealbilder gewesen waren. Als gleichsam »lebendige Erinnerung, eine fortwirkende und lebensbestimmende Tradition«, als eine Art »Mythos« sollte die Zusammengehörigkeit aller »Kruppianer« und damit die Einheit des Konzerns, deren Wiederherstellung oberste Priorität hatte, in den Köpfen der Firmenangehörigen wach gehalten bzw. neu verankert werden. Der Firmeninhaber ließ hierzu keine Gelegenheit ungenutzt. Diese kruppsche Selbstdarstellung entsprach bis zur zweiten Hälfte der sechziger Jahre den staatlichen Darstellungsinteressen: Krupp konnte wie kaum ein anderer Konzern die westdeutschen Vorstellungen eines paternalistischen Sozialstaats, einer »sozialen Marktwirtschaft«58 ins Bild setzen, in der nicht nur der Staat soziale Aufgaben wahrnahm. Und das war, wie sich zeigen wird, aus staatlicher Sicht ein entscheidender Vorteil bei solchen Staatsbesuchen, die explizit in Konkurrenz zu Besuchen in Ostblockstaaten ausgerichtet wurden: die Besuche aus Indonesien 1956, Togo 196159 und Mali 1962.60 Darüber hinaus, und dies war wohl ein weiteres zentrales Argument für Krupp, konnten Besuche dort mit einem Aufwand inszeniert werden, wie er auf staatlicher Ebene kaum möglich war. Erstens verfügte Krupp mit der eindrucksvollen Familienvilla und einem eigenen Bahnhof über die repräsentativen Voraussetzungen, um Gästen den gewünschten Pomp und Prunk zu bieten. Das Bonner Protokoll vermutete solche Erwartungen vor allem bei Staatsoberhäuptern junger Staaten, zumeist ehemaliger Kolonien.61 Die Wertschätzung und Anerkennung ihrer Staaten sollten die Staatsoberhäupter am Aufwand bemessen können, der für sie betrieben wurde. Die Demonstration der Sorge um die Werktätigen und einen pompösen Ausklang auf Villa Hügel betrachteten die Arrangeure nicht als Gegensatz. Vielmehr handelte es sich um unterschiedliche Facetten des Versuchs, den Wünschen und Bedürfnissen der Gäste nachzukommen. Eine solche Inszenierung auf Bundesebene hätte allzu leicht als Gegensatz zur bundesrepublikanischen Bescheidenheit wahrgenom57 Vgl. für das Folgende Gall, Von der Entlassung, S. 516–520, Zitat S. 516. 58 Vgl. zu Theorie u. Praxis der »sozialen Marktwirtschaft« Hardach, S. 166–190. 59 Vgl. Drahtbericht Török, Lomé, 8.9.1960, PA, B8, Bd. 253. 60 In diesem Fall hatte der Botschafter den Besuch wegen der intensiven Geschäftsbeziehungen vorgeschlagen u. das Protokoll den gesamten Besuch auf die Konkurrenz mit der Sowjetunion hin inszeniert, vgl. Lück an Beitz, 24.1.1962, darauf handschriftlich Beitz, 30.1.1962, HAK WA 48 b 351; von Holleben an Brand, 24.5.1962, PA, B8, Bd. 276. 61 Nicht zufällig erbat das Auswärtige Amt für die auf soziale Themen ausgerichteten Besuche Sukarnos 1956 u. Keitas 1962 einen Abendempfang bei Krupp. Vgl. Schoop an Beitz, 4.6.1956, HAK WA 48 b 330; Druckprogramm, PA, B8, Bd. 275. Vgl. auch BA, B145, Bild-F003627-0009. Das Protokoll befürwortete aber auch für den »stark auf äusseren Glanz setzenden« peruan ischen Präsidenten einen Empfang bei Krupp, Aufzeichnung Korth, 306, 15.1.1960, PA, B33, Bd. 222, Fiche 1, p. 66–68, Zitat p. 66.
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men werden können – von den Bürgern und von den Gästen. So beschränkte sich das Protokoll darauf, von staatlicher Seite einen prunkvollen Abend, den Galaempfang des Bundespräsidenten, auszurichten und darüber hinaus gehenden Bedarf nach Prunk und Pomp auf die Rundreise durch die Republik und andere Ausrichter zu verlagern. Daher übernahm das hauseigene Besuchswesen des Krupp-Konzerns die detaillierten Vorbereitungen der einzelnen Programmabläufe, jedoch stets nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt. Damit wurde das Protokoll entlastet und behielt durch das nötige Plazet zugleich die gewünschte Kontrolle über die Inszenierungen. b) Kruppsche Dramaturgien – Industrieanlagen, Sozialeinrichtungen und Villa Hügel Eine Besichtigung ausgewählter Krupp-Anlagen glich bereits Ende des 19. Jahrhunderts wie noch Mitte des 20. Jahrhunderts einer Reise durch ein eigenes Universum. Schon Wilhelm II. hatte bei seinem Krupp-Besuch 1890 »wichtige Teile der Fabrik, das Stammhaus, neue Wohnsiedlungen und mustergültige Sozialeinrichtungen« besucht.62 Rundgänge in den Fertigungsbetrieben sowie Besichtigungen des sozialen Krupp-Kosmos bildeten zusammen mit einem Besuch in der Villa Hügel auch in der Nachkriegszeit die Besuchs-Trias. Aufschlussreich sind die Kombinationen der drei Grundelemente. Bis auf eine Ausnahme, den Besuch des griechischen Königspaares 1956, endete jeder Besuch mit einer Veranstaltung (Frühstück, Tee oder Abendessen) in der Villa Hügel. Vorangegangen waren zumeist Besichtigungen der Industrie- und Sozialeinrichtungen, wobei in einigen Fällen lediglich die Sozialeinrichtungen und Villa Hügel auf dem Programm standen oder die Gäste nur den Familiensitz aufsuchten, während die Industrieanlagen anderer nahe gelegener Unternehmen besichtigt wurden. Fanden sowohl Industrie- als auch Sozialbesichtigungen bei Krupp statt, lief der Besuch entweder in dieser Reihenfolge oder geschlechtsspezifisch getrennt ab: Die Männer inspizierten die industriellen Produktionsstätten, die Frauen die Krankenhäuser, Kindergärten und Supermärkte. Ab Mitte der fünfziger Jahre bildeten soziale Einrichtungen feste und tendenziell exklusive Bestandteile des Damenprogramms. Der Besuch Pauls und Friederikes von Griechenland kann hierfür als Prototyp gelten. Bei Krupp besuchte der König die Maschinen-, Lokomotiv-, Motoren- und Kraftwagenfabriken und erlebte eine Probefahrt mit einer Lok,63 während sich seine Frau den Kindergarten und die Krankeneinrichtungen der Margarethenhöhe anschaute und
62 Kommunalverband Ruhrgebiet, S. 2f. 63 Vgl. Bemmer an Schoop, 12.5.1960, HAK WA 48 b 340.
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mit Auftritten diverser Tanz- und Turngruppen für Kinder geehrt wurde.64 Diese geschlechtsspezifische Programmeinteilung hatte das Auswärtige Amt angeregt,65 und sie sollte für nachfolgende Staatsbesuche, an denen Frauen teilnahmen,66 übernommen werden. Allerdings wurde diese strikte Aufteilung des Programms, wenngleich sie gewünscht war, nur bei einem weiteren Besuch umgesetzt. Für Sirikit und Bhumibol von Thailand hatten das Protokoll und das kruppsche Besuchswesen 1960 ebenfalls geschlechtsspezifische Programme vorbereitet, mussten aber letztlich davon abweichen. Die thailändische Königin sollte wie bereits Friederike von Griechenland Sozialeinrichtungen auf der Margarethenhöhe besuchen, wo ihr Fähnchen schwenkende Schulkinder einen beeindruckenden Empfang bereiten würden.67 Irmgard Bidder, Frau des deutschen Botschafters in Bangkok, sprach sich vehement gegen diesen Programmentwurf aus. Sie bat den Protokollchef, da Sirikit der »Social welfare«-Einrichtungen überdrüssig sei, »auch ihr einen Einblick in Stahlschmelzwerke zu erlauben, da sie lebhaftes Interesse dafür betonte«.68 Das Damenprogramm entfiel kurzfristig, und die Industrie- und Sozialbesichtigungen wurden miteinander kombiniert.69 Der Einsatz der Botschaftergattin erwies sich insofern als vergeblich, da Sirikit den Termin nicht wahrnahm und Bhumibol die Industrieanlagen alleine besichtigte. Sirikit stieß erst für eine Fahrt durch die kruppschen Siedlungen, und dies »nur unter Protest«, zur Wagenkolonne hinzu.70 Für den malischen Präsidenten Modibo Keita und seine Frau wich das Protokoll erstmals von der üblichen Aufteilung in einen technisch orientierten Besuch für den Mann und ein sozial ausgerichtetes Programm für die Frau ab.71 Das gesamte Programm erfuhr eine deutliche Akzentverschiebung zu sozialen Fragen; die Besichtigung der Sozialeinrichtungen wurde vorgezogen und zeitlich ausgedehnt.72 In Rheinhausen schauten sich die Gäste den Kindergarten, verschiedene Wohnungen, die Bücherei sowie die Werkärztliche Abteilung mit 75 Minuten vergleichsweise lange an.73 In Ergänzung zur amtlichen Programm64 Vgl. Aktenvermerk Schoop, 13.8.1956, HAK WA 48 b 331. 65 Vgl. Hundhausen an Krupp von Bohlen und Halbach, 1.8.1956, HAK WA 48 b 333. 66 Dies waren die Besuche Frondizi 1960, Olympio 1961, Keita 1962, Mahendra von Nepal u. Chruschtschow 1964 (nur geplant). 67 Vgl. Vermerk von Braun, 22.4.1960, PA, B8, Bd. 225; Aktenvermerk Heinen über Telefongespräch mit Carl, 13.5.1960, 16.5.1960; Schoop an Marks, 22.6.1960, HAK WA 48 b 337. 68 Irmgard Bidder an von Braun, 21.6.1960, PA, B8, Bd. 225. 69 Vgl. Aufzeichnung von Braun, 18.7.1960, PA, B8, Bd. 225. 70 Notizen zum Staatsbesuch des Königs von Thailand, von Braun, 5.8.1960, PA, B8, Bd. 225. 71 Vgl. zur Aufteilung nach Geschlecht: Aktenvermerk Schoop, 22.5.1962, HAK WA 48 b 351. 72 Vgl. Punkte für die Besprechung mit AA am 5.6.1962, 4.6.1962, HAK WA 48 b 350. 73 Vgl. Arbeitsprogramm für Freitag, 8.6.1962, 28.5.1962, PA, B8, Bd. 276.
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gestaltung akzentuierten auch das von Krupp gedruckte Programmheft74 sowie diverse Ansprachen75 das soziale Engagement des Unternehmens und entsprachen ganz den Vorgaben von staatlicher Seite, das gewünschte soziale Bild für den Gast zu kreieren. Krupp war sich seiner Bildproduktion bewusst: Aber nicht nur die Begegnung mit den Werken, sondern vor allem auch die Begegnung mit den Menschen, die, fleißig arbeitend, geschaffen haben, was Sie, Exzellenzen, heute sahen, mag zu dem Bilde beitragen, das Sie sich über uns, – die Menschen und das Land – machen werden,76
heißt es in einem Entwurf für einen Toast Alfried Krupps. Diese prononcierte Ausrichtung auf die soziale Präsentation war eine unmittelbare Reaktion auf Keitas Besuch in Moskau.77 Das kruppsche Besuchswesen ermöglichte nicht nur die vom Bonner Protokoll gewünschten »Begegnungen mit deutschen Arbeitern«, verkörpert durch einen Männerchor,78 sondern arrangierte zudem ein Frühstück in der Rheinhausener Lehrwerkstatt mit ausgewählten Lehrlingen und ausländischen Praktikanten.79 Grundsätzlich verteilten sich die Industriebesichtigungen bei Krupp auf zwei Orte: das Hüttenwerk und den Stahlbau Rheinhausen einerseits und die Maschinenfabrik Essen (MFE) bzw. Industriebau und Maschinenfabrik Essen (IME) andererseits.80 Die von den PR-Fachleuten des Krupp-Konzerns konzipierten Rundgänge zielten darauf ab, wirtschaftliche Größe für den Gast ästhetisch erfahrbar zu machen. Zeitgenossen lasen Industriebesuche dieser Art als Demonstration des Wiederauf baus der deutschen Wirtschaft.81 Auch eine Rundfahrt per Schiff vermochte diesen Aspekt des »Wirtschaftswunders« zu veranschaulichen.82 Doch sprach man dem Einblick in die Stahlproduktion einen höheren Erlebniswert zu. Bei Rundgängen im Hüttenwerk Rheinhausen, 74 Vgl. HAK WA 48 b 352. 75 Vgl. Begrüßungsansprache Eppner, Lehrwerkstatt HWR, 8.6., 15.6.1962; Hasselblatt an Schoop, Vorschlag Tischrede AKBH, 8.6., 4.6.1962, HAK WA 48 b 351. 76 Hasselblatt an Schoop, Vorschlag Tischrede AKBH, 8.6., 4.6.1962, HAK WA 48 b 351. 77 Auch für das Folgezitat: Schoop an Beitz, 23.5.1962, HAK WA 48 b 351. 78 Vgl. Aktenvermerk Schoop, 22.5.1962, HAK WA 48 b 351. 79 Vgl. Druckprogramm, PA, B8, Bd. 275; Arbeitsprogramm für Freitag, 8.6.1962, 28.5.1962, PA, B8, Bd. 276; BA, B145, Bild-F013146-0026. 80 Nur in zwei Fällen kam ein anderer Betrieb zum Zuge: Bhumibol von Thailand u. die Delegation des erkrankten Hassan von Marokko besuchten 1960 bzw. 1965 den Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation. Mit dem Besuch 1960 demonstrierte der Krupp-Konzern nicht nur seine jüngste Errungenschaft, sondern darüber hinaus den Sieg über die Nachkriegspläne der Alliierten. Indem Krupp Staatsgäste an jenen Ort führte, beanspruchte u. verankerte das Unternehmen symbolisch dessen Konzernzugehörigkeit u. damit die eigene Aktivität im Montanbereich. Siehe zu diesem Komplex Gall, Von der Entlassung, S. 483–487, S. 500–507; Derix, Gruppenbild. 81 Vgl. z.B. Ministerpräsident Papagos im Revier, WAZ, 6.7.1954, HAK WA 48 b 326. 82 Vgl. Programm Yoshida 1954, PA, B11, Bd. 1290.
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die v.a. in den fünfziger Jahren dominierten, folgten die Gäste chronologisch und damit nachvollziehbar83 dem Produktionsweg des Stahls vom Hochofen bis zum fertigen Produkt. Die Rundgänge basierten auf denselben ästhetischen Vorstellungen, die den Entscheidungen des Auswärtigen Amtes zugrunde lagen. Grundstationen der Rundgänge waren: die Gichtauffahrt, der Hochofenabstich, die Weiterverarbeitung und die Lehrwerkstatt. Eine Fahrt auf die Gicht, das obere Schachtende des Hochofens, machte die vertikale Dimension des Hüttenwerks erfahrbar. Indem der Gast die Größendimensionen des Hüttenwerks und des Stahlbaus körperlich erfuhr, vermaß er zugleich im übertragenen Sinne die Größe des industriellen Wiederauf baus der Bundesrepublik. Ein Gang auf die Gicht eröffnete zudem einen »Gesamteindruck über das Industriegebiet Duisburg-Rheinhausen«.84 Der Rundblick von der Gicht führte dem Gast einen industriellen Wiederauf bau vor, der zumindest für das Auge des Betrachters keine räumlichen Begrenzungen zu haben schien. Er blickte auf ein Weichbild aus Industrieanlagen und Schornsteinen.85 Genau dieser Eindruck lag im Interesse der Bundesregierung. Zumindest indiziert das der Einspruch des Bundeswirtschaftsministers, mit dem er verhindern wollte, dass der äthiopische Kaiser Haile Selassie – wie vom BDI vorgeschlagen86 – hauptsächlich Landmaschinen zu Gesicht bekäme, »weil der Kaiser den Eindruck gewinnen könnte, dass wir in erster Linie ein Agrarland sind«.87 Die neu ersonnene Alternative aus Gichtfahrt, Hochofenabstich und Lehrwerkstatt in Rheinhausen,88 bei welcher der Blick des Gastes auf weiträumige Industrieanlagen gelenkt wurde, schien dann den Vorstellungen des Ministeriums besser zu entsprechen. Die unterschiedlichen ästhetischen Wirkungsweisen der Konzernbereiche differenzierte 1961 Georg-Volkmar Graf Zedtwitz-Arnim, PR-Mitarbeiter bei Krupp und ab 1963 Nachfolger von Carl Hundhausen als Leiter der Stabsabteilung Volkswirtschaft/Presse/Werbung: Ein Stahlwerk wirke »zyklopisch«, eine Raffinerie beeindrucke »durch ihre Menschenleere«.89 Er riet, alles zu zei83 So argumentierte 1961 ein PR-Fachmann des Krupp-Konzerns, vgl. Zedtwitz-Arnim, S. 390. 84 Protokoll Besprechung Industrietag BDI und Krupp Besuchswesen am 30.10.1954, 12.11.1954, PA, B8, Bd. 43. Siehe auch den entsprechenden Hinweis bei den Vorbereitungen zum Besuch Yoshidas: Fernschreiben Krupp Besuchswesen an AA, 9.10.1954, PA, B11, Bd. 1290; für den Besuch Pibulsonggrams: Vermerk von Tschirschky, 10.5.1955; Programm, Stand: 27.5.1955, PA, B8, Bd. 46. 85 Dem Gast einen »Städteeindruck des Ruhrgebiets« zu vermitteln, war auch ein Ziel bei der Planung der Fahrtstrecken zu den Betrieben, vgl. z.B. Aktenvermerk Schoop, 13.8.1956, HAK WA 48 b 331. 86 Vgl. Brockmeyer an AA, 11.9.1954, PA, B8, Bd. 41. 87 Aktenvermerk Rensonet, 14.10.1954, HAK WA 48 b 327. 88 Vgl. Programm, Stand 3.11.1954, PA, B8, Bd. 41; vgl. Vermerke Hundhausen u. Schoop, 23.10.1954, HAK WA 48 b 327. 89 Auch für das Folgezitat Zedtwitz-Arnim, S. 390f.
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gen, »was optisch wirksam und eindrucksvoll ist«: »größte Maschinen, kleinste Maschinen, Feuerglut der Schmieden, Titanenkraft der Blechpressen«. Seine Strategie der sinnlichen Überwältigung beschränkte sich nicht auf die Größe, sondern bezog sich auch auf den Erlebnischarakter des Besichtigten. Den sinnlichen Höhepunkt und das eindrucksvollste Erlebnis sahen die Organisatoren in einem Hochofenabstich, der den effektvollen Anfang einer Produktionsgeschichte von Stahlerzeugnissen markierte, deren Fortgang der Gast bei seinen Rundgängen in verschiedenen Hallen nachvollziehen konnte. In den sechziger Jahren trat immer häufiger die Maschinenfabrik Essen ins Programm, wo die Gäste sowohl alle möglichen Bearbeitungsweisen von Stahl als auch die fertigen Erzeugnisse betrachten konnten.90 Nicht jeder Rundgang folgte dabei der Produktionslogik. So besichtigte die tunesische Delegation 1966 – ohne den von der Reise erschöpften Präsidenten Bourguiba91 – unterschiedliche Produktionsstätten erst, nachdem sie bereits eine Vielfalt kruppscher Produkte gesehen hatte.92 Inspizierende Rundgänge, die je nach Tempo des Rundgangs flüchtig sein konnten und einen eher atmosphärischen Eindruck der Produktion vermitteln sollten, wechselten sich ab mit Erlebnismomenten wie einer Probefahrt mit einer Lok.93 Für den geplanten Besuch Chruschtschows 1964 ließ sich das kruppsche Besuchswesen unabhängig von den Überlegungen des Protokolls gar eine Verknüpfung von Produktdemonstration und geselligem Zusammensein in proletarischem Ambiente einfallen. Der russische Staatschef sollte sehen, wie eine Lok aufgeachst wurde, und dieses Erlebnis mit Pumpernickel, westfälischem Schinken und Steinhäger genießen.94 Bei den Industriebesichtigungen traten Begegnungen mit Arbeitern immer stärker in den Vordergrund. Während das nepalesische Königspaar 1964 die Programmpunkte in den Betrieben vor der geplanten Zeit abgewickelt und kaum Interesse an den Werktätigen gezeigt hatte, erwartete man von Chruschtschow, dass er den Kontakt mit den Arbeitern suchen und für die eigene Selbstdarstellung nutzen würde.95 Zunehmend gewannen Begegnungen mit Landsleuten des Staatsgastes an Bedeutung, die als Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik tätig waren. Sie konnten zum zentralen Motiv einer Industriebesichtigung werden und fanden Eingang in die offiziellen Programme.96 Im Kontakt mit mit ihren Landsleuten konnten die reisenden Staatsmänner die buchstäbliche Grenzenlosigkeit ihrer 90 Den ersten Besuch machte 1956 der griechische König, vgl. Hundhausen an Beitz, 11.9.1956 u. 15.9.1956, HAK WA 48 b 333. 91 Vgl. Besuchsbericht Koshold, 26.7.1966, HAK WA 48 b 363. 92 Vgl. Arbeitsprogramm, Stand: 4.7.1966, PA, B8, Bd. 1053, HAK WA 48 b 364. 93 Vgl. Bemmer an Schoop, 12.5.1960, HAK WA 48 b 340. 94 Vgl. Aktenvermerk, 11.9.1964, HAK WA 48 b 355. 95 Ein Podest mit Mikrofon wurde ebenfalls eingeplant, vgl. Aktenvermerk Veening, 4.9.1964, HAK WA 48 b 355; Besuchsbericht Veening, o.D., HAK WA 48 b 356. 96 Vgl. Arbeitsprogramm Sunay, Stand: 9.10.1970, PA, B8, Bd. 1245.
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Fürsorge unter Beweis stellen und scheuten für Film-, Foto- und Fernsehkameras auch nicht den direkten Körperkontakt. So reiste der türkische Präsident Cevdet Sunay nur nach Essen, um wie bei den Firmen Salamander und Daimler-Benz mit türkischen Arbeitern zusammenzutreffen.97 Die Zahl der Gastarbeiter bestimmte die Auswahl des Betriebs.98 Der eigentliche Besuch sollte ohne besondere Dekoration ablaufen und damit den Anschein von Authentizität und Spontaneität wahren.99 Erst am Morgen des Besuchstages sollten die türkischen Arbeiter von dem bevorstehenden Ereignis erfahren, Gelegenheit erhalten, »sich für den Besuch herzurichten«, und dann entlang der Besichtigungsroute den Präsidenten begrüßen. Eine zuvor ausgewählte Delegation von Türken sollte Sunay als Erinnerungsgeschenk ein Diesellok-Modell überreichen und anschließend am Tee-Empfang auf dem Hügel teilnehmen.100 Vor allem in den fünfziger Jahren veranschaulichte die Krupp-Siedlung Altenhof I die soziale Seite des Krupp-Kosmos.101 Deren Entstehungsgeschichte wurde als Verhältnis gegenseitigen Gebens und Nehmens zwischen Firmeninhaber und Werksangehörigen inszeniert.102 1893 legte Friedrich Alfred Krupp, als Dank für ein Denkmal, das ihm die Werksangehörigen ein Jahr zuvor errichtet hatten, eine Siedlung an, die alten und invaliden Arbeitern mietfrei einen unbeschwerten Lebensabend ermöglichen sollte. Dieser historische Kontext war den Gästen kaum bekannt, sie bedurften dieses Wissens auch nicht. Denn ein Besuch am Ort machte das Selbstverständnis von Konzernleitung und -mitarbeitern erfahrbar, dass ein Krupp-Mitarbeiter auch nach seinem beruflichen Ausscheiden aus dem Unternehmen »Kruppianer« blieb. Mitarbeiter des Konzerns nahmen nicht lediglich eine Anstellung an, sondern traten in einen Sozialverband ein, der alle Lebensbereiche und -phasen umfasste, von der Geburt bis zum Tod. Im Altenhof wohnten Krupp-Pensionäre. Die eineinhalbstöckigen Häuser im Cottagestil, die teilweise mit Fachwerk, Erkern und Ecktürmchen verziert waren, kontrastierten mit den großen Industrieanlagen und sollten den ansässigen Kruppianern eine erholsame Umgebung bieten. Schon Zeitgenossen formulierten diesen Kontrast: Krupp zeigte nicht »lärmende […] Industrieanla97 Vgl. Lück an Siber, 8.9.1970, HAK WA 48 b 368. 98 Vgl. Bernhard an Bärsch, 14.9.1970, HAK WA 48 b 368. Bei der Gelegenheit wurden auch Statistiken zu den Gastarbeiterzahlen aufgestellt, vgl. Aktenvermerk Lück, 14.10.1970, HAK WA 48 b 368. 99 Vgl. Aufzeichnung Koshold, 1.10.1970, HAK WA 48 b 368. 100 Aktenvermerk Obrig, 15.10.1970, HAK WA 48 b 368. 101 Vgl. zu Aufenthalten dort: Fernschreiben Krupp Besuchswesen an AA, 9.10.1954, PA, B11, Bd. 1290; Minutenprogramm Villa Hügel, 11.11.1954, PA, B8, Bd. 43; Programm-Verlauf Krupp, PA, B8, Bd. 153; zu geplanten Besuchen: Schoop an Beitz, 27.7.1956, HAK WA 48 b 333; handschriftliche Notizen, HAK WA 48 b 355; zu Rundfahrten: Programm Krupp, PA, B8, Bd. 227; Arbeitsprogramm, 11.5.1964, PA, B8, Bd. 515 u. HAK WA 48 b 356. 102 Solche Formen industriellen Paternalismus praktizierten auch andere Unternehmen, vgl. Berghoff.
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gen«, sondern »das friedvolle Kruppsche Sozialwerk«.103 Die Pensionärssiedlung Altenhof befriedigte mit zwei Konsumanstalten, einer Bücherhalle, einer Badeanstalt und Sportanlagen grundlegende Bedürfnisse der Lebens- und Freizeitgestaltung. Das familienorientierte Pendant zum Altenhof stellte die Siedlung Margarethenhöhe dar, ebenfalls eine kruppsche Stiftungssiedlung und Besichtigungsziel der griechischen Königin 1956. Aller Wahrscheinlichkeit nach nahmen die Bonner und Essener Arrangeure sie als Variation ins Programm, »da sonst die Besuche zur ›ständigen Platte‹ werden«.104 Just 1956 beging die Margarethenhöhe ihr 50-jähriges Bestehen und konnte zugleich »die Beseitigung der größten Kriegsschäden feiern«.105 Strukturell ähnelte die nunmehr rekonstruierte Gartenstadt dem Altenhof. Auch sie bot alle notwendigen Einrichtungen wie Konsumanstalt, Schule und Kindergarten. Visiten in den Städtischen oder Kruppschen Krankenanstalten ergänzten die Siedlungsbesuche. Drei Praktiken prägten die Besichtigungen der Sozialeinrichtungen: ein großer Empfang an einem zentralen Platz, charakteristisches Element der Besuche in den fünfziger Jahren, einzelne kurze Besichtigungen und Rundgänge sowie eine Rundfahrt im Wagen. Die Bewohner des Altenhofs begrüßten ihre Gäste auf dem Gussmannplatz, jene der Margarethenhöhe empfingen sie auf dem Marktplatz. Plätze bildeten die Bühnen, auf denen die kruppsche Fürsorgetradition vor den Augen und unter Einbeziehung des Gastes in der Begegnung mit den Anwohnern erfahrbar wurde. Häufig übergaben Kinder bei Staatsbesuchen Blumensträuße oder sagten Texte auf, nicht zuletzt, weil Kinder die Aufmerksamkeit der Fotografen sicherten. Doch die Kinder sollten in diesem Fall Gäste wie Beobachter nicht nur emotional ansprechen. Sie repräsentierten einen Teil des kruppschen Generationenmodells.106 Der Krupp-Nachwuchs verkörperte den zukunftsweisenden Spross einer traditionsreichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, während Krupp-Pensionäre auf die Vergangenheit als Hintergrund jeder Gegenwart und Voraussetzung zukünftiger Entwicklung verwiesen. Um das kruppsche Narrativ der Symbiose von Lebens- und Arbeitswelt vor den Gästen zu entfalten, empfingen 1954 drei Generationen einer Familie – Großeltern, Eltern und Kinder – den äthiopischen Kaiser Haile Selassie, um »ihre Familiengeschichte [zu] erzählen«.107 Jedes Zusammentreffen zwischen 103 Menderes bei Krupp, Essener Tageblatt, 6.10.1954, HAK WA 48 b 325, vgl. Hoher türkischer Besuch, Kruppsche Mitteilungen 38/4 (1954), S. 85. 104 Besuchsbericht Schoop, 2.8.1956, HAK WA 48 b 330. 105 50 Jahre Margarethenhöhe, Krupp Mitteilungen 40/4 (1956), S. 90f. 106 Vgl. zum kruppschen Generationenmodell: Alle bei Krupp. Vater Möllenbeck und seine sechs Kinder, Krupp Mitteilungen 43/8 (1959), S. 296f. 107 Minutenprogramm Villa Hügel, 11.11.1954, PA, B8, Bd. 43. Ähnliche Szenen notierte die Presse beim Besuch Sukarnos im Altenhof, vgl. Sukarno grüßt Kinder und alte Kruppianer, Westdeutsche Allgemeine, 19.6.1956.
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Abb. 3: Kinder begrüßen Haile Selassie 1954 in der Krupp-Siedlung Altenhof
Staatsgästen und »Kruppianern« zitierte dieses idealisierte Selbstbild und affirmierte die Firmentradition. Die Krupp-Familie ließ die Besonderheit eines Lebens als Kruppianer erfahrbar werden. Als Verkörperung des institutionellen Gedächtnisses entschuldigten sie zugleich die Verstrickung des Unternehmens in Kriegs- und Rüstungswirtschaft im Nationalsozialismus. Wie die Zurschaustellung der Arbeitersiedlungen einen Rückgriff auf die Tradition der Gründerväter und damit eine zeitliche Öffnung der Geschichte Krupps ins 19. Jahrhundert bedeutete, so demonstrierten die Mitglieder der Krupp-Familie die Kontinuität der kruppschen Fürsorge. Solche Praktiken der »pragmatic nostalgia« halfen, den Fokus der Aufmerksamkeit weg von der NS-Vergangenheit zu lenken und diese durch andere Bilder zu überlagern.108 108 Wiesen hat die Text gewordenen Formen der »pragmatic nostalgia« analysiert, Wiesen, Public Relations, Zitat S. 208; vgl. Wiesen, West German Industry.
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Die staatlichen Besuchsausrichter verbanden mit solchen Szenen die strategische Absicht, das westdeutsche Kapitalismus-Modell der »sozialen Marktwirtschaft« zu veranschaulichen. Auf diese Visualisierung legte die Bundesrepublik vor allem bei Besuchen Wert, die in unmittelbarer Konkurrenz zu Aufenthalten in Ostblockländern standen. So wollte und sollte Sukarno, der Präsident des neutralen Indonesien, sich einen Eindruck der Arbeits-, Wohn- und Lebensverhältnisse in Westdeutschland verschaffen, »um Vergleiche mit Amerika, England […] und vor allem später der russischen Behauptung, dass die Sowjetunion das Paradies der Arbeiter sei, ziehen zu können«.109 Das Protokoll verlieh diesem Ziel höchste Priorität und rückte die westdeutsche Wirtschaft ins Zentrum des Besuchs. An sechs von neun Besuchstagen fanden Werksbesichtigungen oder Treffen mit Industriellen statt.110 Der Krupp-Besuch demonstrierte die sozialen Facetten der deutschen Wirtschaft. Wie die Besucher vor ihm kam der indonesische Politiker in Kontakt mit der Bevölkerung und suchte das Gespräch.111 Das nahm so viel Zeit in Anspruch, dass der anschließende Besuch der Krankenanstalten auf ein Kurzprogramm reduziert werden musste. Die Aufenthalte in den Siedlungen basierten auf detaillierten Planungen und konnten Züge einer Festveranstaltung annehmen. Der Empfang der griechischen Königin auf dem Marktplatz der Margarethenhöhe wie auch der anschließende Kindergartenbesuch hoben ganz auf die Beteiligung des KruppNachwuchses ab. Der Steeler Kinderchor sang, Mädchengruppen führten Reigentänze vor und eine Sportgruppe zeigte gymnastische Übungen. Kinder sollten zudem die Kulisse der Vorführungen und das Spalier auf dem Fußweg zum Kindergarten bilden.112 Auf dem Marktplatz schwenkten sie wie die anwesenden Erwachsenen, von der Lokalpresse ermuntert,113 Papierfähnchen mit der griechischen Flagge, die zuvor auch an Geschäfte und Wohnhäuser an den Durchfahrtsstraßen verteilt worden waren.114 Die Dekoration war ähnlich aufwändig gestaltet. Girlanden und Blumen schmückten die Häuserfronten am Marktplatz, über dem Restaurant Margarethenhöhe prangte ein Begrüßungstransparent.115 Für Friederike von Griechenland hatten die Krupp-Regisseure ihrem königlichen Rang und den Gepflogenheiten auf Staatsebene gemäß einen Baldachin errichtet, von dem aus die Königin das Geschehen auf dem 109 Bericht Allardt, Djakarta, 13.4.1956, PA, B8, Bd. 152. 110 Vgl. Programm Sukarno, PA, B8, Bd. 152. 111 Vgl. Besuchsbericht Schoop, 2.8.1956, HAK WA 48 b 330. Umgekehrt kamen die dabei entstehenden Fotos wiederum Sukarnos Popularität zugute. Vgl. Großer Empfang. Kleine Nachlese, NRZ, 28.6.1956; Fotos in NRZ u. WAZ, 19.6.1956, HAK WA 48 b 330. 112 Vgl. Aktenvermerk Schoop, 13.8.1956, HAK WA 48 b 331; Punkte für Besprechung, Schoop, 24.8.1956, 23.8.1956, HAK WA 48 b 333. 113 Vgl. Aktenvermerk Schoop, 3.9.1956, HAK WA 48 b 332. 114 Vgl. Punkte für Besprechung, Schoop, 24.8.1956, 23.8.1956, HAK WA 48 b 333. 115 Vgl. Aktenvermerk Schoop, 13.8.1956, HAK WA 48 b 331.
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Marktplatz einige Meter erhöht beobachten konnte und sich zugleich den Essenern zeigte.116 Die Maßnahmen für eine möglichst eindrucksvolle Kulisse müssen einen Vergleich mit potemkinschen Dörfern nicht scheuen: Für einen Besuch Sirikits sah sich Krupp vor die Alternative gestellt, die hauseigene Konsumanstalt neu streichen zu lassen oder die unansehnliche Fassade »durch Fahnen und Grünschmuck« zu kaschieren.117 Den atmosphärischen Eindruck, den die Gäste bei solchen Veranstaltungen gewannen, ergänzte die Besichtigung von Kindergärten und medizinischen Einrichtungen. Kurzvisiten erlaubten schlaglichtartige Einblicke in die kruppsche Fürsorge und demonstrierten zugleich den Stand des Wiederauf baus, der nicht als erduldete Kriegsfolge, sondern als Möglichkeit zur Erneuerung und Modernisierung erschien. Diesen Akzent verdeutlichen Wohnungsbesichtigungen in den fünfziger und sechziger Jahren. Während Haile Selassie 1954 eine Pensionärswohnung im Altenhof und damit den alten Baubestand besichtigen sollte,118 betrat die griechische Königin 1956 als erster Staatsgast ein Resultat des Essener Wiederauf baus: eine Wohnung am Rande der Siedlung Alfredshof in Essen-Holsterhausen.119 Diese Visite war auf Wunsch der Monarchin in das Programm eingeschoben worden. Sie nutzte die Wohnungsbesichtigung für einen weiteren Kontakt mit der Bevölkerung, bei dem sie ihre Kompetenz für Alltagsbelange und Nähe zum Volk herausstellen konnte.120 Bei den Folgebesuchen planten die Programmgestalter Wohnungsbesichtigungen schon im Vorfeld ein.121 Die Gattin des Staatspräsidenten von Togo sowie das Ehepaar Keita aus Mali erhielten bei Visiten in Rheinhausener Apartments einen Einblick in »die Wohnkultur schaffender deutscher Menschen«.122 Für einen möglichen Besuch Sirikits und Bhumibols von Thailand bereitete Krupp eine Wohnung im Werkswohnheim des Bochumer Vereins,123 Neubauwoh-
116 Vgl. Auflistung, Exemplar Heinen, HAK WA 48 b 333. Die Dekoration u. Anordnung auf dem Marktplatz der Margarethenhöhe dokumentiert eine Fotografie der WAZ: Königsbesuch im Sonnenschein, WAZ, 20.9.1956, HAK WA 48 b 332. 117 Aktenvermerk Heinen über Telefongespräch mit Carl, 13.5.1960, 16.5.1960, HAK WA 48 b 337. 118 Vgl. Vermerk Hundhausen u. Schoop, 23.10.1954, HAK WA 48 b 327. 119 Vgl. W. Köhler, Die Ruhrmetropole feierte das Königspaar, Die Welt, 20.9.1956; Königsbesuch im Sonnenschein, WAZ, 20.9.1956, HAK WA 48 b 332. 120 Vgl. R. Rohlenz, Königlicher Nachsommer, Krupp Mitteilungen 40/4 (1956), S. 79. 121 Vgl. Rahmenprogramm, Stand: 23.5.1960, HAK WA 48 b 342; handschriftliche Notizen, HAK WA 48 b 355. 122 Salonwagen standen am Hochofen, Unser Profil. Werkszeitschrift der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG, 15/7 (1962), HAK WA 48 b 351, S. 133. Vgl. Arbeitsprogramm Olympio, Stand: 2.5.1961, HAK WA 48 b 343. 123 Vgl. Arbeitsprogramm thailändisches Königspaar, Stand: 14.7.1960, PA, B8, Bd. 227.
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nungen im Alfredshof sowie Wohnungen im Altenhof vor, nahm die Visiten aber nicht offiziell ins Programm auf.124 Die Neubauten im Alfredshof waren ebenso Vorzeigeobjekte.125 Seit Mitte der fünfziger Jahre betrachtete der Krupp-Konzern den Wiederauf bau des Alfredshofs als Prestigeprojekt. Hier sollten nicht nur Gebäude in alter Qualität wieder entstehen, sondern Maßstäbe für komfortables, zeitgemäßes Wohnen gesetzt werden: von der Anordnung der Straßen mit »moderne[n] Laternen« bis hin zur aktuellen Wohnungseinrichtung aus der Kruppschen Konsumanstalt. Nach der von Bescheidenheit geprägten Nachkriegszeit sei man mit dem Aufstieg der deutschen Wirtschaft wieder anspruchsvoller geworden und strebe nun auch für den Wohnraum »Bequemlichkeit« an.126 Vom Altersplatz im Krupp-Idyll bis hin zur bequemen, funktionalen Wohnstätte konnte Krupp die Spannbreite des firmenspezifischen Wohnungsbaus und damit sein soziales Engagement demonstrieren.127 Die Aufgeschlossenheit eines privatwirtschaftlichen Unternehmens für die sozialen Belange seiner Angestellten zogen die Bonner Ausrichter der Besuche bis in die sechziger Jahre heran, um der Bundesrepublik ein soziales Gesicht zu geben. Nur vereinzelt übernahmen andere Unternehmen diese Rolle.128 Krupp war im Denken der westdeutschen Diplomaten eng mit Vorstellungen sozialer Fürsorge verknüpft.129 Doch mit Zunahme der staatlichen sozialen Maßnahmen wie Rentenreform, verbessertem Krankensystem und sozialem Wohnungsbau emanzipierte sich der Staat von Krupp als Stütze der Selbstdarstellung. Zwar ging die Zahl der Wohnungsbesichtigungen generell zurück, aber die wenigen Beispiele verdeutlichen den Wandel. So besuchte die niederländische Königin Juliana 1971 ein Ehepaar, das in einem Objekt des sozialen Wohnungsbaus lebte.130 Von der Intention her den Krupp-Besuchen ähnlich, konnte sich der Staat hier als Fürsorgeträger präsentieren. Lediglich bei Besuchen in Gastarbeiterwohnheimen kam weiterhin die Wirtschaft zum Zuge.131 Fast zwanzig Jahre nach Juliana besuchte Raissa Gorbatschowa 1989 eine Familie. Allerdings standen nicht deren Wohnung und daran gekoppelt Fürsor124 Vgl. Erledigungspunkte, o.D., HAK WA 48 b 335. 125 Vgl. z.B. Arbeitsprogramm Mahendra, 11.5.1964, PA, B8, Bd. 515, HAK WA 48 b 356. 126 Modernes Wohnen im Alfredshof, Krupp Mitteilungen 4/39 (1955), S. 84f. 127 Vgl. Begrüßungsansprache Eppner, Lehrwerkstatt HWR, 15.6.1962, HAK WA 48 b 351. 128 So sollte Chruschtschow etwa die Arbeiterwohnungen von Bayer in Leverkusen besuchen, vgl. 1. Programmentwurf, 8.9.1964, PA, B8, Bd. 1048. 129 Vgl. Drahtbericht Wickert, Bukarest, 1.3.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.188. 130 Vgl. C. Habbe, Jubel, Fähnchen, Farben, Fotos, Die Welt, 29.10.1971; I. Gallmeister, Herr Schmidt zeigte der Königin sein Schlafzimmer, Bild, 29.10.1971. 131 So etwa die Firma Salamander beim türkischen Staatsbesuch 1970, vgl. Ablaufplan Baden-Württemberg, Muff, o.D., PA, B8, Bd. 1619. Vgl. grundsätzlich zur Wohnungssituation von Gastarbeitern in den sechziger Jahren Herbert, Ausländerpolitik, S. 214–216.
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ge und Wiederauf bau im Vordergrund, sondern der direkte Kontakt mit der deutschen Bevölkerung. Entsprechend deklarierte das Druckprog ramm den Besuch auch nicht als Wohnungsbesichtigung, sondern als Fahrt zu einer Familie.132 Dass eine »klassische« Gattenfamilie ausgewählt wurde, fügte sich in das Idealbild der konservativen Regierung, welche die Lebensform Familie als Kern der Gesellschaft protegierte.133 Erschien der Bürger zuvor eher als Empfänger von Fürsorgeleistungen aus unterschiedlicher Hand, akzentuierte ihn der Besuch Raissa Gorbatschowas in der Lebensform Familie als biologische Säule der Gesellschaft. Die Ergebnisse der kruppschen Wiederauf bau- und Modernisierungsbemühungen konnten die Gäste auch in der Werkärztlichen Abteilung Rheinhausen, den hergerichteten Kruppschen Krankenanstalten – für einen Besuch wurde explizit die volle Beleuchtung sowie die Neueinkleidung der Krabbelstation gefordert134 –, dem 1958 eröffneten Bertha-Schwesternwohnheim oder den Konsumanstalten begutachten. Neben dem Wohnungsbau galten den Unternehmenschefs Alfried Krupp und Berthold Beitz die Supermärkte und medizinischen Einrichtungen als Inbegriff des kruppschen sozialen Kosmos.135 Diese Kurzbesichtigungen waren in der Regel als Zwischenstopps in eine Rundfahrt eingebunden und entfielen in den sechziger Jahren zumeist ganz. Schon die ersten Gäste folgten bei ihren Besuchen in den Siedlungen einem vorher genau geplanten Anfahrtsweg und absolvierten dort kürzere Rundfahrten. Der Auswahl der Route wurde große Bedeutung beigemessen, bestimmte sie doch in hohem Maße die Sinneseindrücke bzw. Bilder, die der Gast aufnehmen konnte. So bemängelte das Besuchswesen des Krupp-Konzerns zunächst die Wegstrecke für die Fahrt der griechischen Königin und entwickelte eine »wesentlich repräsentativer[e]« Alternative, die hässliche Eindrücke, etwa einen Bunker, vermied.136 Die Wahl der Wegstrecke akzentuierte und zensierte Bilder. Entsprechend änderten sich mit der Zeit die Routen. Während die Gäste in den fünfziger Jahren nur kurze Rundfahrten machten, erfuhren sie in den sechziger Jahren eine ausgedehntere kruppsche Topographie, die einem Idealbild des Wirtschaftswunders gleichkam.137 Im Norden 132 Vgl. Druckprogramm Gorbatschow, PA, B8, Bd. 1653. 133 Vgl. Wirsching, S. 340–360. 134 Vgl. Auflistung, Exemplar Heinen, HAK WA 48 b 333. 135 Vgl. Vorlage Heinen an Beitz, 4.3.1964, darauf Vermerk AKBH, 10.3.1964 u. Vermerk Beitz, 13.3.1964, HAK WA 48 b 357. 136 Aktenvermerk Schoop, 31.8.1956, HAK WA 48 b 331. 137 Haile Selassies Fahrtroute führte 1954 vom nördlich gelegenen Altendorf auf direktem Wege in die im Süden Essens gelegene Siedlung Altenhof. Nach einem zwölfminütigen Empfang fuhr er mit einer kurzen Schleife in der Siedlung zur Villa Hügel. Vgl. Minutenprogramm Villa Hügel, 11.11.1954, PA, B8, Bd. 43. Vgl. auch die Rundfahrt Menderes’ durch den Altenhof 1954: Niederschrift über Lokalbesprechung Schoop, 4.10.1954, HAK WA 48 b 325, sowie
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führten die Routen an den kruppschen Betrieben vorbei.138 Dazu gehörten etwa die Motoren- und Kraftwagenfabrik, die Konzernleitung, eine neue Lehrwerkstatt, das Press- und Hammerwerk, die mechanische Werkstatt, die Schmiede, die Grafische Anstalt, die Baubetriebe, die Widia-Fabrik und deren Versuchsanstalten. Die Krupp-Topographie umfasste darüber hinaus Bäckerei, Schlachterei und verschiedene Konsumanstalten sowie das Stammhaus, das einen Nexus zwischen dem Gesehenen und der Familie Krupp herstellte. Die Fahrtroute mischte demnach eine Industrieschau mit Einblicken in die alltäglichen Lebensbedingungen der Krupp-Mitarbeiter. Die Gäste durchfuhren Holsterhausen und streiften dabei Neubauten. Besonders ein zunächst noch im Bau befindliches Hochhaus galt als Attraktion. Die letzte Station vor der Ankunft in Villa Hügel war die Siedlung Altenhof mit den nahe gelegenen Krupp-Krankenanstalten. Auch hier lässt sich eine visuelle Verquickung verschiedener sozialer Einrichtungen wie Krankenhaus, Wohnhäusern, Bücherhalle und Konsumanstalt mit dem Namen Krupp beobachten. Denn das dortige Denkmal für Friedrich Alfred Krupp sollte zumindest bei der Durchfahrt der Thailänder explizit sichtbar sein. Ob die Gäste den kalkulierten Facettenreichtum ihrer Fahrtrouten wahrgenommen haben, ist fraglich. Wiederauf bau, Wirtschaftswunder und Sozialeinrichtungen zogen auf der Fahrt als Teile eines impressionistischen Bildes an ihren Augen vorbei. Da das langsame Vorbeifahren »keinen ausreichenden [E]indruck« hinterließ, stoppte die Karosse des tunesischen Präsidenten vor einem kruppschen Supermarkt, um eine Ausstellung tunesischer Produkte in den Schaufenstern zu betrachten.139 Eine andere Möglichkeit, die Aufmerksamkeit des Gastes zu sichern, lag darin, die flüchtigen Bilder deutlich zu akzentuieren. Willkommenstransparente und Flaggen zogen Blicke an, Menschen sollten das Straßenbild beleben. So winkten Krupp-Angestellte nach Aufforderung am Fenster.140 Bei Bedarf wurde das »Personal und gehfähige Patienten« der Krankenanstalten sowie Verkäuferinnen und Kunden eines Supermarkts als Kulisse mobilisiert.141 Der organisatorische Aufwand verfehlte sein Wirkung nicht: Die Gäste zeigten sich von dieser Kulisse beeindruckt.142 die Kombination aus Rundgang u. Rundfahrt für Sukarno 1956, Programm-Verlauf Krupp, PA, B8, Bd. 153. 138 Die folgenden Ausführungen stützen sich, wenn nicht anders gekennzeichnet, auf die Programme für den thailändischen Besuch 1960: Programm Krupp, PA, B8, Bd. 227; den nepalesischen Besuch 1964: Arbeitsprogramm, 11.5.1964, PA, B8, Bd. 515, HAK WA 48 b 356; den tunesischen Besuch 1966: Arbeitsprogramm, Stand: 4.7.1966, PA, B8, Bd. 1053, HAK WA 48 b 364. 139 Vgl. Fernschreiben Lück an Besuchswesen, 15.7.1966, HAK WA 48 b 365; vgl. auch Besuchsbericht Koshold, 26.7.1966, HAK WA 48 b 363. 140 Vgl. Besprechung am 16.5.1961, HAK WA 48 b 343. 141 Vgl. Arbeitsprogramm, Stand: 14.7.1961, PA, B8, Bd. 227. 142 Vgl. Besuchsbericht Koshold, 26.7.1966, HAK WA 48 b 363.
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Nahezu jeder Besuch bei Krupp schloss mit einem Empfang und Aufenthalt in der Villa Hügel ab.143 Die Reise durch die Krupp-Welt endete für die Gäste in einer dramaturgischen Klimax bei den Unternehmern, die für das Gesehene verantwortlich zeichneten. Hinter dem Erfolg von Krupp, so legte zumindest die Dramaturgie nahe, standen nicht nur Handelszahlen und auswechselbare Direktorien, sondern Verantwortungsträger mit Tradition. Ein Grund dafür, dass dem Krupp-Konzern bei Staatsbesuchen häufig der Vorzug gegeben wurde, mag in dieser Pointe der Besuche gelegen haben. Denn wirtschaftlicher Erfolg wurde so – das galt allerdings nicht für Krupp allein – in der Figur des Industriellen personifizierbar. Die Mahlzeiten auf dem Hügel machten den Wohlstand des Wirtschaftswunders sinnlich erfahrbar. Die staatlichen Gastgeber profitierten von dem symbolischen Kapital der Krupp-Familie, das diese wiederum durch ein herrschaftliches Auftreten, das staatliches Zeremoniell bis ins Detail imitierte, zu mehren suchten.144 Während sich eine gesellschaftliche Elite in der Bundesrepublik erst wieder neu herausbilden musste, griff der junge Staat in seiner Selbstdarstellung auf alte Eliten zurück und versicherte diese damit zugleich ihrer fortwährenden Bedeutung. Das Gebäude, das wenige Jahre zuvor noch als »Hauptquartier jener verhassten deutschen Spielart des Kapitalismus« von den Alliierten besetzt worden war,145 strahlte nun eine uneingeschränkte Repräsentationsfähigkeit aus. In der mit Familiengemälden bestückten großen Vorhalle empfingen der Hausherr, Beitz, Familienmitglieder sowie Direktoren die Staatsgäste. Der mit Tapisserien und Kristalllüstern geschmückte Gartensaal bot ein nahezu fürstliches Ambiente für Frühstück und Tee. In besonderen Fällen inszenierte man einen Abendempfang.146 Die prunkvolle Selbstdarstellung zeigte ihre Wirkung bei den Gästen. Viele erlebten die Ankunft auf dem Hügel als Höhepunkt ihrer Rundreise. Der kruppsche Glanz kam nicht unbedingt Staat, Land oder Kommune zugute, vielmehr nahmen die Gäste Krupp oftmals gleichsam als Parallelmacht wahr. Haile Selassie habe nach seinem Besuch 1954 konstatiert: »c’est un vrai palais, vraiment magnifique! et les krupps sont des rois!«147 Villa Hügel bot bisweilen der Begegnung von Gästen und deren Landsleuten, wie Studenten oder Praktikanten, Raum und fügte dem kruppschen Wir143 Dies scheint zu den kruppschen Traditionen seit der Kaiserzeit zu zählen, vgl. Kommunalverband Ruhrgebiet, S. 2f. 144 Vgl. Minutenprogramm Villa Hügel, 11.11.1954, PA, B8, Bd. 43; Minutenprogramm, HAK WA 48 b 327. 145 Abelshauser, Rüstungsschmiede, S. 443. 146 So bei den Besuchen Sukarnos 1956 u. Keitas 1962, die in Konkurrenz zu deren Aufenthalten in der Sowjetunion standen, vgl. Schoop an Beitz, 4.6.1956 u. 9.6.1956, HAK WA 48 b 330; Druckprogramm Keita, PA, B8, Bd. 275. 147 Schreiben David Hall, o.D., HAK WA 48 b 326.
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ken weitere Facetten hinzu. Nach den Mahlzeiten wurden die Gäste durch die historischen und kunsthistorischen Ausstellungen geführt, für welche die Krupp-Familie die Villa 1953 geöffnet hatte. Villa Hügel wurde in den sechziger Jahren zum Ort der Produktvorführung und einer Präsentation des Krupp-Konzerns in Filmen, Fotos und Modellen. Die gänzlich virtuell vollzogene Industrie-Besichtigung Tombalbayes 1967 – er sah nur Produkte, Modelle und Filme auf Villa Hügel148 – stellte einen Höhepunkt der zunehmenden Virtualisierung der Besuche in den sechziger Jahren dar. Während Bhumibol von Thailand das Wasser einer fahrbaren Trinkwasserquelle noch auf dem Gelände eines Krupp-Betriebes gekostet hatte,149 wurden die Krupp-Produkte bei den Folgebesuchen zunehmend von den Produktionsstätten entkoppelt. Fahrbare Trinkwasseranlagen, Lkws und andere Krupp-Erzeugnisse warteten in den Gartenanlagen der Villa auf eine Besichtigung.150 In der Villa liefen Werbefilme, z.B. über das brasilianische Prestigeprojekt »Campo Limpo« oder die Konzern-»Grundlagen«.151 Eine Ausstellung mit Modellen und Fotografien repräsentierte Produkte und Anlagen zeitsparend und verdichtete sie an einem Ort zu einem Panoptikum des Konzerns. Eine solche Foto- und Modellschau entwickelte Krupp erstmals 1960 für den Besuch des argentinischen Präsidenten Arturo Frondizi. Wegen vorangehender Besichtigungen bei Ferrostaal sollte das Programm bei Krupp den Gast möglichst wenig beanspruchen und dennoch beeindrucken.152 Kokosteppich wurde verlegt, eine Nesseldecke eingezogen, Trennwände und Großfotos aufgestellt und so ein eigener Ausstellungsraum in der Villa Hügel geschaffen.153 Die Ausstellung zeigte als Modelle Verseilmaschinen, ein Dreiachs-Fahrgestell, einen Schwimmkran, einen Hafenstückgutkran, einen Bagger, eine BreitbandSpritzanlage, das Schiff »General San Martin« sowie ein in Jülich entstehendes Reaktor-Kraftwerk der Arbeitsgemeinschaft BBC-Krupp.154 Anschauungstafeln sowie ein Großfoto des Hüttenwerks Rheinhausen ergänzten die Schau.155 Ursprünglich nur für den argentinischen Besuch geplant, blieb die Ausstellung auch für das thailändische Königspaar bestehen und konnte zeitweilig öffentlich 148 Vgl. Arbeitsprogramm, Stand: 30.3.1967, HAK WA 48 b 366. 149 Vgl. Besuchsbericht, HAK WA 48 b 335. 150 Vgl. Arbeitsprogramm Olympio, Stand: 2.5.1961, HAK WA 48 b 343; Arbeitsprogramm Keita für den 8.6.1962, 28.5.1962, PA, B8, Bd. 276; Arbeitsprogramm Tombalbaye, Stand: 30.3.1967, HAK WA 48 b 366. Vgl. zu den Plänen für Chruschtschow: Mitteilung Schulz an Rodriguez, 18.9.1964, HAK WA 48 b 355. 151 Vgl. Arbeitsprogramm Keita für den 8.6.1962, 28.5.1962, PA, B8, Bd. 276; Arbeitsprogramm Tombalbaye, Stand: 30.3.1967, HAK WA 48 b 366. 152 Vgl. Bemmer an Schoop, 12.5.1960, HAK WA 48 b 340. 153 Vgl. Kostenvoranschlag, 10.6.1960, HAK WA 42/v389. 154 Vgl. Aufzeichnung Brand, 21.6.1960; Siebe an Brand, 20.6.1960, HAK WA 42/v389. 155 Vgl. HAK WA 42/v389. Schon 1956 war beim Besuch des griechischen Königspaares ein Großfoto des Hüttenwerks Rheinhausen zum Einsatz gekommen.
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besichtigt werden.156 Nach den beiden erfolgreichen Staatsbesuchen entschied Berthold Beitz, dass die Modellschau als Dauereinrichtung für Geschäftsbesuche bestehen bleiben könne. Diese Entscheidung setzte eine Erweiterung und Umstellung der Exponate in Gang.157 Schon für den thailändischen Besuch war das Spektrum des Dargestellten mit dem Modell eines mit Schwimmbecken und Liegewiese ausgestatteten Urlaubsheims für Krupp-Lehrlinge um eine soziale Komponente erweitert worden.158 Je nach Bedarf und Gast gestaltete Krupp die Foto- und Modellschau um und akzentuierte bestimmte Produkte oder soziale Einrichtungen.159 Zwar wanderten 1961 einige Ausstellungstücke in die Jubiläumsausstellung zum 150-jährigen Bestehen der Firma, der späteren Historischen Ausstellung, doch hielt Krupp parallel dazu an der »für die jeweiligen größeren Besuche improvisierte[n] Schau« fest.160 c) Staatliche Emanzipation Der Bedeutungsverlust des Krupp-Konzerns für die Selbstdarstellung der Bundesrepublik fiel in die Zeit, als nach dem Tod Alfried Krupps 1967 ein Auslese- und Konzentrationsprozess im Montanbereich einsetzte. Die Konkurrenz konnte häufig günstiger produzieren. Krupp war schon zu Beginn der sechziger Jahre finanziell in Bedrängnis geraten.161 Der Konzernchef und sein Generalbevollmächtigter Beitz hatten diese Entwicklung trotz aller Warnungen ignoriert. Im Winter 1966/67 waren die Folgen nicht mehr zu übersehen: Krupp war zahlungsunfähig und verdankte sein weiteres Bestehen staatlicher Bürgschaft. Bedingung für diese weitreichende Hilfe war der endgültige Abschied vom Modell eines einzigen Entscheidungsträgers für den gesamten Konzern. Daraus resultierte die Überführung des Besitzes in eine Stiftung.162 Darüber hinaus bedurfte die Bundesrepublik nicht mehr der kruppschen Sozialeinrichtungen, um den Wohlfahrtsstaat zu veranschaulichen: Der Staat hatte zunehmend selbst die Funktionen sozialer Sicherungen übernommen und konnte vorzeigbare Ergebnisse aus öffentlicher Hand präsentieren. Selbst die kruppschen Konsumanstal156 Vgl. Becker an Beitz, 29.6.1960, HAK WA 48 b 340; Modellschau für Präsident Frondizi, WAZ, 29.6.1960, HAK WA 42/v389. 157 Vgl. Umlauf Schoop, 30.6.1960; Mitteilung Schoop an Sprenger, FA Werbung, HAK WA 48 b 337. 158 Vgl. Durchschlag, HAK WA 42/v389. 159 Vgl. Aktenvermerk Brand, 30.11.1960; Schreiben FA Werbung an Halfer, AG Weser, 23.2.1961; Aktennotiz Chittka, 10.3.1961, HAK WA 42/v389; Mitteilung Schulz an StA Informat ion Rodriguez, 18.9.1964, HAK WA 48 b 355. 160 Schoop an Becker, FA Werbung, 2.3.1961, HAK WA 42/v389. Vgl. zum Entstehen der Historischen Ausstellung Müther. 161 Gall, Von der Entlassung, S. 510 u. 524. 162 Vgl. ebd., S. 579–589.
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ten verloren durch die Konkurrenz anderer Handelsketten an Bedeutung und Exklusivität.163 Das System der Sozialleistungen hatte seinen Vorzeigecharakter eingebüßt und verkörperte nunmehr ein überholtes paternalistisches Modell. Die Integration ausländischer Arbeitnehmer konnten bereits in den sechziger Jahren auch andere Firmen vor Augen führen. Und schließlich hatte sich das Darstellungsinteresse der Bundesrepublik in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auf andere Produktionszweige verlagert. Bergbau, Stahlproduktion und Maschinenbau gehörten zwar weiterhin zu den Zweigen der westdeutschen Industrie, die man den Gästen zeigte, doch verschob sich der Akzent immer stärker auf die Produktpräsentation. Das Interesse an der westdeutschen Autoindustrie blieb im Untersuchungszeitraum konstant. Hingegen gelangten Stätten technologischer Innovation erst in den siebziger und achtziger Jahren in den Fokus der Besuche. Im Vergleich zu den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten gewannen in den siebziger Jahren Neuerungen in der Elektro- und Kommunikationstechnik (Computer, Fernsehen, Laserstrahl), in der Logistik (Versandhäuser und Containerterminals) und vor allem in der Luft- und Raumfahrt merklich an Bedeutung für die Darstellung der Bundesrepublik gegenüber Staatsgästen. Als der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito 1973 die Bundesrepublik bereiste, wurde dieser Wandel offenkundig. Bei der Besuchsplanung zogen Protokoll wie Gäste einen Besuch des Ruhrgebiets »weniger in Betracht«. »Wenn man ihm das wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik zeigen wolle, dann etwas aus dem Bereich der modernsten Technologie oder Wissenschaft.«164 Bereits seit Ende der sechziger Jahre zeigte das Protokoll den Gästen Kernforschungsanlagen und Atomreaktoren.165 Während Innovationen vor allem in der Elektrotechnik und in der Luft- und Raumfahrt auch in den achtziger Jahren einen festen Platz auf der Agenda von Staatsbesuchen einnahmen, ist auffällig, dass die Gastgeber nun darauf verzichteten, das bundesrepublikanische Engagement in der Atomenergie bei Staatsbesuchen zu visualisieren. Ob und wie weit dies mit Rücksicht auf die Anti-Atomkraft-Bewegung der achtziger Jahre geschah, wird sich erst nach Öffnung der Akten überprüfen lassen.
163 Vgl. ebd., S. 521f. 164 Vermerk Jaenicke als Anlage zu Bericht, 5.3.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 165 Als erster besuchte der Schah 1967 das Kernforschungszentrum Jülich, vgl. Ablauf Kernforschungsanlage Jülich, Öffentlichkeitsarbeit, 25.5.1967, PA, B8, Bd. 1050.
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II. Bilder der deutschen Teilung 1. Vom ausgeblendeten Ort zum Anschauungsort der Teilung – Berlin als Reiseziel in den fünfziger Jahren Während der Berlin-Blockade 1948 wollte Berlins Regierender Bürgermeister Ernst Reuter die internationale Aufmerksamkeit auf die Stadt lenken. Doch sein lautstarker Appell »Völker der Welt, schaut auf Berlin!«1 fand beim Bonner Protokoll nur zögerlich Gehör. Erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre reisten Staatsgäste regelmäßig in die Metropole. Ein Grund für die späte Beachtung lag im Sonderstatus Berlins, das den vier Siegermächten unterstand. In den ersten Berlinbesuchen des amerikanischen Außenministers Dean Acheson 1949 und des französischen Außenministers Robert Schuman 1950 manifestierten sich auch die Ansprüche der Besatzungsmächte: Sie planten die Reisen ohne westdeutsche Beteiligung.2 Die Artikel des Grundgesetzes, die West-Berlin zu einem Teil der Bundesrepublik gemacht hätten, sowie die Artikel der Berliner Verfassung von 1950, die Berlin zum Land der Bundesrepublik erklärten, wurden mit Verweis auf die Gültigkeit von alliiertem Siegerrecht suspendiert. Für Berlin wurde das Besatzungsregime auch nach Erlangen der Souveränität nicht aufgehoben.3 Dieser Sonderstatus, der grundsätzlich bis zur Wiedervereinigung bestehen blieb, brachte protokollarische Schwierigkeiten mit sich. Doch damit allein erklärt sich nicht, warum Berlin erst spät Reiseziel der Staatsgäste wurde.4 Vielmehr bemühte sich die Bundesregierung bis 1955 nicht, Berlin thematisch in die Staatsbesuche einzubeziehen.5 Umgekehrt dokumentieren die Akten erst im September 1954 ausdrückliche Besuchswünsche des Berliner 1 Rede auf der Protestkundgebung vor dem Reichstag am 9. September 1948 gegen die Vertreibung der Stadtverordnetenversammlung aus dem Ostsektor, Reuter, S. 479. 2 Vgl. Übersetzung der Presseerklärung von US-Außenminister Acheson, 13.11.1949, PA, B8, Bd. 3; Séjour du Président Schuman à Berlin, PA, B8, Bd. 48. 3 Vgl. Haftendorn, Alliierte Vorbehaltsrechte, S. 19. 4 Im Folgenden ist weiterhin von »Berlin« die Rede, da das westdeutsche Protokoll die Berlinreisen so gestaltete, dass die Problemlage der gesamten Stadt thematisiert wurde. 5 Der griechische Koordinationsminister Markezinis machte zwar Halt in Berlin, erlebte die Stadt jedoch vornehmlich als Industriestandort, vgl. Programm 2.-8.11.1953, Stand: 31.10.1953, PA, B8, Bd. 47. Die besondere politische Situation Berlins kam erstmals am Rande des Staatsbesuchs des griechischen Ministerpräsidenten Papagos 1954 zum Ausdruck, als die ihn begleitenden Journalisten für drei Tage Berlin besuchten, vgl. Besuch der griechischen Journalisten, 29.6.-11.7.1954, PA, B8, Bd. 49.
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Senats.6 Dies erklärt sich teils daraus, dass Berlin während der Amtszeit Reuters eine eigene »Außenpolitik« mit Besuchen und Gegenbesuchen entwickelt hatte, mit einem Fokus auf den USA.7 Zwar liefen Bemühungen um Besuche Haile Selassies 1954 und des Schahs 1955 ins Leere,8 doch nahmen die Repräsentanten Berlins »dieses Übergehen der alten Hauptstadt« nicht mehr wortlos hin.9 Als 1956 auch Nehru, dessen Besuch die Berliner Presse nachdrücklich gefordert hatte,10 nicht nach Berlin reiste,11 fand der Regierende Bürgermeister von Berlin, Otto Suhr, gegenüber Außenminister Heinrich von Brentano deutliche Worte. Er betonte die »andere Bedeutung« der Besuche für Berliner, die jeden »Weg um Berlin« als »ein ›Abschreiben‹« empfänden. Zudem sei Berlin für Gäste »besonders eindrucksvoll […], weil sie hier mit besonderer Eindringlichkeit die Unhaltbarkeit der Spaltung empfanden«.12 Im Juni 1956 bereiste der indonesische Staatspräsident Sukarno als erster Staatsgast der Bundesrepublik Berlin.13 Die Berliner verdanken diesen Besuch weniger dem Beharrungsvermögen ihrer Repräsentanten als einem mit Erlangung der Souveränität 1955 einsetzenden, grundlegenden Wandel in der bundesrepublikanischen Selbstdarstellung. Bereits einen Monat vor Suhrs Hinweis auf die »Eindringlichkeit« der Berlin-Erfahrung war im Auswärtigen Amt ein ähnlicher Gedanke formuliert worden: Besuche in Berlin seien besonders geeignet, »das Interesse der ausländischen Regierungen an der deutschen Wiedervereinigung zu wecken und sie von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen«. Daher solle Berlin »nach Möglichkeit« besucht werden.14 Zwar zog es das Auswärtige Amt zur selben Zeit im Falle Nehrus noch vor, »taktvoll« darauf zu verzichten, einen Berlinbesuch vorzuschlagen.15 Doch nahm die Bereitschaft dort wie in der Bundesregierung ab dem Frühjahr 1956 stetig zu, Staatsbesucher nach Berlin als Anschauungsort der deutschen Teilung zu führen.16
6 Den ersten Anlass bot der Besuch des ehemaligen US-Präsidenten Herbert Hoover. Möglicherweise bezogen Mitglieder der Berliner Administration vorher mündlich Stellung zur Bonner Besuchspolitik. 7 Vgl. z.B. zu Reuters USA-Reise 1951 Herzfeld, S. 315. 8 Vgl. von Tschirschky an Klein, 21.10.1954, PA, B8, Bd. 41; Bericht Dienststelle Berlin an AA, 19.1.1955, PA, B8, Bd. 136. 9 Bericht Dienststelle Berlin, 19.1.1955, PA, B8, Bd. 136. 10 Vgl. Von Hoover zu Nehru, Der Tagesspiegel, 7.2.1956. 11 Vgl. von Brentano an Suhr, 8.5.1956, PA, B8, Bd. 142. 12 Suhr an von Brentano, 17.5.1956, PA, B8, Bd. 142. Vgl. auch Suhr an von Brentano, 23.4.1956; von Brentano an Suhr, 8.5.1956, PA, B8, Bd. 142. 13 Vgl. Vorläufiges Programm, Stand: 13.6.1956, PA, B8, Bd. 152. 14 Aufzeichnung von Welck, Vorlage StS, 20.4.1956, PA, B8, Bd. 644. 15 Drahtbericht Meincke, Dienststelle Berlin, an AA, 11.7.1956, PA, B8, Bd. 142. 16 Diese Wende lässt sich auch im offiziösen Hochglanzblatt Diplomatischer Kurier beobachten, vgl. Diplomatenbesuche in Berlin, Diplomatischer Kurier 1956, S. 974.
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Die vorangegangene Zurückhaltung der Bonner Seite erklärt sich zum einen aus den Spannungen, die das Verhältnis zwischen Bonn und Berlin vor allem bis zu Ernst Reuters Tod 1953 bestimmten. Einer wechselseitigen persönlichen Abneigung von Adenauer und Reuter entsprachen auf der politischen Ebene unterschiedliche Akzentsetzungen in der Deutschlandpolitik. Während Reuter für eine Eingliederung Berlins in die Bundesrepublik als zwölftes Bundesland warb, verhielt sich Adenauer in dieser Frage zurückhaltend und betonte die alliierten Vorbehaltsrechte.17 Hieran lassen sich die Prioritäten der westdeutschen Regierungspolitik ablesen, welche die Souveränität der Bundesrepublik, die Westbindung und die Wiederbewaffnung deutlich höher bewertete als die Einheit Deutschlands.18 Auf die rechtlichen und finanziellen Annäherungsbestrebungen West-Berlins ließ sich die westdeutsche Regierung nur langsam ein.19 Das problembehaftete, völkerrechtlich uneindeutige Berlin passte nicht in das Bild, das von der Bundesrepublik entstehen sollte. Bis 1955/56 zielten die Inszenierungen der Staatsbesuche vornehmlich darauf, über »Wiederauf bau« und »Wirtschaftswunder« Stärke zu demonstrieren und für die Souveränität der Bundesrepublik zu argumentieren. Das Problem der Entstehung zweier deutscher Staaten klammerte der westdeutsche Staat größtenteils aus seiner Selbstdarstellung aus und thematisierte die Teilung Berlins nur zögerlich. Berlinbesuche hätten die offene nationale Frage betont. Das hätte wiederum Zweifel an der Souveränität des jungen westdeutschen Staates wecken können. Ein Jahr nachdem die Bundesrepublik souverän geworden war und sich auf dem internationalen Parkett hatte etablieren können, hatten sich die Vorzeichen staatlicher Selbstdarstellung verschoben: Die Berlinproblematik konnte den westdeutschen Status nicht mehr gefährden. Zwar tagte der Bundestag bereits im Oktober 1951 erstmals in Berlin, entstand 1954 das Kuratorium Unteilbares Deutschland (KUD) und fand im selben Jahr die erste Bundesversammlung in der Hauptstadt statt. Doch erst im Oktober 1956 – nach Erlangen der Souveränität – kam der Hauptstadtbeschluss für Berlin zustande. Im Mai 1957 erklärte das Bundesverfassungsgericht in einem juristischen Kunstgriff, Berlin sei de facto ein Land der Bundesrepublik.20 Es gelang nie, Berlin de jure als Bundesland in die Bundesrepublik einzugliedern, anfänglich aus der Überzeugung heraus, der Viermächtestatus böte mehr Schutz.21 Doch letztlich verhinderten dies die Alliierten durch ihr striktes Veto.22
17 Vgl. Herzfeld, S. 311–318. 18 Vgl. Doering-Manteuffel, Bundesrepublik, S. 37. 19 Vgl. Herzfeld, S. 314 u. 319–322. 20 Vgl. ebd., S. 395 u. 507. Vgl. zur »symbolischen Bedeutungsaufwertung Berlins« als Hauptstadt Süß, S. 217. 21 Vgl. Herzfeld, S. 501. 22 Vgl. Wettig, S. 166f. Vgl. auch Mahncke, S. 49ff.
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Die Souveränität der Bundesrepublik verfestigte die Teilung beider deutscher Staaten. Die sichtbare Problematisierung des Teilungsprozesses setzte in Westdeutschland paradoxerweise erst ein, nachdem die offene staatliche Situation mit der Souveränität der Bundesrepublik ein vorläufiges Ende gefunden hatte. Im Nachhinein begehrte die Bundesrepublik gegen einen Trennungsprozess auf, den die Adenauer-Regierung aktiv befördert hatte. In vielen kleinen Schritten entwickelte sich ein »dialektischer Prozeß« zwischen Grenzziehung im Osten und Abgrenzung im Westen. Die symbolischen Handlungen, in denen die Westdeutschen ab Mitte der fünfziger Jahre die Teilung beklagten, lassen sich aus Regierungsperspektive als »flankierende Sicherung für die Bonner Westintegrationspolitik« verstehen.23 In der Folge befand sich die junge Bundesrepublik in dem darstellerischen Dilemma, staatliche Vitalität und nationale Unvollkommenheit gleichzeitig zum Ausdruck bringen zu müssen. Sie demonstrierte weiterhin wirtschaftliche Stärke, jedoch nicht mehr nur für spezifisch (west)deutsche Interessen. In dem Maße, in dem sie sich in der Staatenwelt als Westverbündeter etablierte, wurde die Bundesrepublik als Pars pro toto zum Anschauungsort für die Überlegenheit der gesamten so genannten freien Welt in Abgrenzung gegen das östliche Gesellschaftsmodell. Zugleich markierte sie die Schnittstelle zum so genannten Ostblock und war damit Anschauungsort für die Spaltung der Welt. Vor dem Hintergrund der sicher geglaubten Souveränität und dem internationalen Symbolcharakter Deutschlands rückte die Teilungsthematik stärker in den Fokus politischer Darstellung. Der vitale Staat zeigte nun seine »Wunde« – ein zeitgenössisch häufig verwendeter Begriff. Die Visualisierung der deutsch-deutschen Teilung konzentrierte sich auf Berlin, das erlaubte, die Teilungsproblematik aus dem eigentlichen Bundesgebiet auszulagern und dieses als intakten Staatskörper zu zeichnen. Ein Blick auf die Programme von Staatsbesuchen zeigt, dass die Grenze, welche die Bundesrepublik von Schleswig-Holstein bis Bayern von der DDR trennte, bei Staatsbesuchen kaum eine Rolle spielte. Diese Grenzgebiete zeigte das Auswärtige Amt den Gästen entweder nur als Zugabe zur Berlinfahrt oder als Ersatzrepräsentation für die anschaulichere Teilung in Berlin.24 Die parlamentarischen Vertreter aus den westdeutschen Grenzgebieten setzten sich erfolglos für eine Gleichberechtigung ihrer Herkunftsorte mit Berlin ein.25 23 Doering-Manteuffel, Innerdeutsche Grenze, Zitate S. 137 u. 135. Die »flankierende Sicherung« bezieht Doering-Manteuffel auf die Alibifunktion des KUD; sie lässt sich aber auch auf die Berlinbesuche übertragen. Wolfrum beobachtet einen »Kult um den verlorenen Nationalstaat« seit 1954, vgl. Wolfrum, Deutsche Frage, S. 395; Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik. 24 Mögliche Reiseziele dieser Art waren Lübeck, Travemünde, Goslar, Braunlage, Kassel und Hof. 25 Vgl. Burgemeister an Adenauer, 5.5.1963 u. Osterheld an Burgemeister, 9.5.1963, BA, B136/2083, Fiche 2, p. 67f. u. 80f.
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Ab 1956 entwickelten sich Berlinreisen zu Programmstandards bei Staatsbesuchen. Das passte in den Trend eines zeitgleich einsetzenden Touristenstroms nach West-Berlin, der Privatreisende und politische Repräsentanten gleichermaßen erfasste. Neben Wannsee, Kurfürstendamm und Funkturm bot sich den Touristen die Möglichkeit, »von der Siegessäule einen mutigen Blick in den Ostsektor« zu wagen.26 Diesem Blick maßen die westdeutschen Besuchsausrichter eine große Bedeutung bei. Für den Staatsgast sollte er die deutsche Teilung sinnlich erfahrbar machen und den »Völkern der Welt« die Augen für die Lebensbedingungen des geteilten Landes öffnen. Die Bundesrepublik setzte auf die individuelle Erfahrung ihrer Gäste: Weil man es vorher niemandem schildern kann, weil alle Berichte und Erzählungen doch gewissermaßen nur Theorie bleiben, deshalb ist der persönliche Eindruck so elementar, von einer solchen Deutlichkeit, von einer solchen Eindringlichkeit, daß alle Distanziertheit und Reserviertheit nicht mehr standhalten.27
Die Erfahrungen in der Frühphase der Berlinbesuche bestärkten die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wie auch Pressevertreter in der Wirkungskraft dieser Reisen. Der indonesische Präsident Sukarno hatte in seiner Heidelberger Rede nach seinem Berlinbesuch entgegen allen Erwartungen an den Vertreter eines neutralen Staates seine Idee einer Nation entfaltet, die unteilbar sei, wenn sie die Einheit nur leidenschaftlich wünsche, und Analogien zwischen der Bundesrepublik und Indonesien hergestellt.28 Sowohl in Regierungskreisen als auch in der Presse galt »der Eindruck« der Berlinreise als »nachhaltig und von ausschlaggebender Bedeutung« für diese Äußerungen.29 Die Arrangeure und Beobachter glaubten an die Wirkmächtigkeit der Berlin-Erfahrung. Seither unterschieden sich Berlinbesuche deutlich von Reisen in die westdeutschen Bundesländer. Zum einen konnten andere Regionen nicht mit der Aufmerksamkeit konkurrieren, die nahezu jede Handlung in Berlin durch die Öffentlichkeit vor Ort und die Massenmedien erfuhr. Das steigerte die Attraktivität dieser Reisen für viele ausländische Politiker, die auf eine breite mediale Sichtbarkeit als Erfolgsgarantie ihrer Reise setzten. Zum anderen versuchten die westdeutschen Regisseure durch besondere Ehrenbezeigungen wie Verleihungen eines Ehrendoktortitels, den Berlinreisen Gewicht zu verleihen.30 26 Westberliner Fremdensaison wie noch nie, Stuttgarter Zeitung, 26.5.1956. 27 Diplomatenbesuche in Berlin, Diplomatischer Kurier 1956, S. 974. 28 Vgl. zur Heidelberger Rede: Asiens Erwachen wichtiger als Atombombe, Stuttgarter Nachrichten, 23.6.1956; G. Wirsing, Im Sonderzug des Präsidenten Sukarno, Die Welt, 25.6.1956. 29 Aufzeichnung von Maltzahn, 4.7.1956, BA, B145/603. Vgl. auch Sondersitzung, 29.8.1956, Kabinettsprotokolle, Bd. 9 (1956), S. 563; D. von König, Das Bonner Protokoll in Nöten, RheinNeckar-Zeitung, 15.9.1956. 30 Vgl. explizit in diesem Sinne: Mitteilung Klein an Regierenden Bürgermeister, 15.6.1956, LAB, B Rep. 002, Nr. 3556, Bd. 1.
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In den sechziger Jahren hoben sich Berlinbesuche von Reisen in andere Regionen vor allem dadurch ab, dass der Bundeskanzler oder der Bundespräsident einige Gäste dorthin begleiteten oder dort empfingen. Den Anfang machte Adenauer 1963 beim Besuch Kennedys, der auf amerikanischen Wunsch hin als Arbeitsbesuch deklariert worden war.31 Die Position des Gastgebers ermöglichte es Adenauer, nach Berlin zu fahren, ohne den Bundespräsidenten zu düpieren. Ein Ziel dieser Berlinreise bestand darin, durch seine Anwesenheit in Ergänzung zu Außenminister Schröder, der Kennedy während der gesamten Reise begleitete,32 »durchgehend die Verantwortlichkeit und Präsenz des Bundes […] auch für die deutsche Öffentlichkeit sichtbar« zu machen – wie auch für die internationale Öffentlichkeit.33 Als sich bei den Besuchsplanungen der Akzent zugunsten Berlins verschob, schienen Kanzler und Außenminister die gewünschte »Präsenz des Bundes« nicht mehr allein gewährleisten zu können. Weitere Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordnete sollten nach Berlin reisen. Für die CDU zeichnete sich zudem die Gefahr ab, dass die SPD Kennedys Besuche in Hessen wie in Berlin für »eine große Schau« nutzen würde.34 Adenauer sollte dem durch seine permanente Präsenz als konservative Gegenfigur zu bekannten SPD-Politikern entgegenwirken.35 Beim Besuch Husseins von Jordanien im Dezember 1964 trat erstmals Bundespräsident Lübke als Repräsentant der Bundesrepublik in Berlin in Erscheinung. Lübke scheint wegen der gleichzeitig stattfindenden Jahrestagung des KUD nach Berlin gekommen zu sein. Als für Hussein ein militärisches Abschiedszeremoniell in Berlin wegen Schwierigkeiten mit den Alliierten vermieden, dem Gast aber dennoch eine angemessene Ehrenbezeigung erwiesen werden sollte, entstand als Verlegenheitslösung die Idee eines Abschiedsbesuchs beim Bundespräsidenten in Schloss Bellevue.36 Erst vor dem Hintergrund des Zuspruchs der Gäste wollten Mitarbeiter des Auswärtigen Amts das Treffen in Bellevue als »Akt besonderer Freundschaft« und »deutliche Bekräftigung des Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik Deutschland für alle Deutschen« wiederholen.37 Der Abschiedstee galt den Westdeutschen fortan als mögliches Instrument, das einen Besuch deutschlandpolitisch akzen-
31 Vgl. Vorlage Osterheld, über StS an BK, 17.1.63, p. 38f, BA, B136/2083, Fiche 1, p. 38. 32 Vgl. Drahterlass von Holleben, 15.5.1963, PA, B8, Bd. 497. 33 Von Hase an Schröder, 17.5.1963, PA, B8, Bd. 498. Vgl. zum sowjetischen Protest gegen Adenauers Teilnahme an der Berlinreise: FRUS, 1961–1963, Vol. XV, Dok. 190–192. 34 Fay an BK, 7.5.1963, B136/2083, Fiche 2, p. 73f. 35 Auch die USA erwarteten »a certain amount of jockeying for position«, Paper prepared in the Department of State, Washington, 14.6.1963, in: FRUS, 1961–1963, Vol. XV, Dok. 194. 36 Vgl. Aufzeichnung Noebel, 31.10.1964, PA, B8, Bd. 509; PA, B38, Bd. 153, Fiche 4, p. 335f. 37 Vermerk Terfloth, 4.12.1964, BA, B122/5482, p. 41.
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tuieren konnte.38 Der Tee in Bellevue lässt sich jedoch nicht auf diese Funktion reduzieren, Teilen der Gäste galt er vornehmlich als besondere Ehrenbezeigung. Noch 1969 bat der malaysische Botschafter für das Staatsoberhaupt seines Landes um einen Tee beim Bundespräsidenten, wie er dem Schah 1967 zuteil geworden war.39 Die symbolische Bedeutung, die Berlin nach 1956 in der staatlichen Selbstdarstellung einnahm, wird auch in den Fällen offenkundig, in denen die Gäste nicht nach Berlin fuhren, wie vor allem während der Berlinkrise 1958 bis 1961.40 Reisten sie nicht nach Berlin, kam Berlin auch vor 1958 in Ersatzrepräsentationen zu den Gästen. Einzelne Bundesbürger – Berliner und Nicht-Berliner – schickten dem Schah 1955 Berlin-Souvenirs an verschiedene Stationen seiner Reise.41 Ab Ende 1958 konnten die Westdeutschen mit dem Brandenburger-Tor-Emblem der Aktion »Macht das Tor auf!« des KUD42 auf ein eindeutig konnotiertes Symbol zurückgreifen. Die Menschen am Straßenrand brachten erstmals beim Besuch Dwight D. Eisenhowers 1959 in Bonn das Brandenburger Tor als Symbol für die deutsche Teilung – »wie ein Schrei nach Überwindung der trennenden Grenze«, noch bevor das Tor de facto nicht mehr passiert werden konnte43 – auf Anstecknadeln und Plakaten sichtbar in das Straßenbild ein.44 Als Bhumibol und Sirikit von Thailand 1960 auf eine Berlinreise verzichteten, zeigten ihre Hamburger Gastgeber ihnen die Wanderausstellung »Berlin – Deutschlands Hauptstadt«, um dem Königspaar »das Berlin-Problem nahezubringen«.45 Die Berlinrepräsentation ließ sich zu einer Zeit, in der die Bundesregierung schon den Erhalt des Status quo als Erfolg verbuchte,46 schon lange nicht mehr auf Berliner oder Bundesinstitutionen reduzieren. Vielmehr war die westdeutsche Gesellschaft in hohem Maße für die Frage der Sichtbarmachung der Teilungsproblematik über Berlin als Metapher sensibilisiert.47
38 Vgl. zur Interpretation des Tees als politischer Akt: Aufzeichnung Plehwe, 4.2.1965, PA, B8, Bd. 921; Drahtbericht Weinhold, Rom, 9.7.1965, PA, B8, Bd. 1060. 39 Vgl. Vermerk Giesder, 9.1.1969, PA, B8, Bd. 1607. 40 Vgl. zur Berlinkrise Bremen; Erhard; Gearson; Lemke, Berlinkrise; Schwarz, Berlinkrise; Steininger. 41 Vgl. Geschenklisten München, Düsseldorf und Baden-Baden, PA, B8, Bd. 141. 42 Vgl. Kreuz u. Meyer, Doppelstrategie. Von 1959 bis 1964 hat das Kuratorium 21 Millionen Anstecknadeln à 20 Pfennig mit dem Brandenburger Tor u. später mit der Aufschrift »Macht das Tor auf« verkauft, vgl. Wolfrum, Deutsche Frage, S. 399. 43 Doering-Manteuffel, Innerdeutsche Grenze, S. 137. 44 Vgl. BA, B145, Bild-F006843-0049, Bild-F006850-0022 u. Bild-F006853-0050. 45 Ohlendorf an Schreiterer, 14.4.1960, PA, B8, Bd. 228. Vgl. auch Bericht Bidder, Bangkok, 5.2.1960, PA, B8, Bd. 225. 46 Vgl. Kleßmann, Zwei Staaten, S. 87. 47 Vgl. z.B. Glocken spielten Thailand-Hymne, WAZ, 28.7.1960.
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2. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – Berlinreisen zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit 1956 bis 1966 Schon beim ersten Staatsbesuch in Berlin 1956 hatte sich die Bedeutung der Stadt als Bühne für den Bund und seine Gäste abgezeichnet. Sukarno wollte die lokale und mediale Aufmerksamkeit in Berlin nutzen, um sich in der Wiedervereinigungsfrage zu positionieren.48 Der Mauerbau verstärkte die Tendenz dazu, Berlinreisen als deutschlandpolitische Stellungnahmen zu betrachten. Nach dem 13. August 1961 wurde jede Handlung von Staatsgästen in Berlin genau beobachtet, es sei denn, sie reisten inkognito. Nahezu jedem Besucher brachten die Repräsentanten der Stadt, die Berliner Bevölkerung und die lokalen und nationalen Medien ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit entgegen. Während die Touristen auf den Mauerbau unmittelbar mit Reisestornierungen reagiert hatten,49 gewann die Stadt an Attraktivität als das »große politische Besuchsziel«.50 Bis Anfang 1963 stieg die Zahl der prominenten Gäste laut Berliner Morgenpost um 40 Prozent.51 In den Augen der Staatsgäste garantierte eine Reise nach Berlin in den gesamten sechziger Jahren Aufmerksamkeit auf den Straßen vor Ort wie in der Berichterstattung. John F. Kennedy war wohl der prominenteste Berlinreisende, der sich diesen Umstand zunutze machte, aber nicht der einzige.52 Bevor Kennedy seine Rede vor dem Schöneberger Rathaus hielt, hatten bereits mediale Repräsentationen Berlins in Fotografien und Filmen bei den ausländischen Staatsmännern die Vorstellung geweckt, dass Berlin sich besonders für Auftritte vor Massen und damit als Reiseziel eigne. Schon 1962 hatte sich der zyprische Präsident Erzbischof Makarios III. – angeregt durch eine Abbildung – gewünscht, auf einer Berliner Massenkundgebung zu reden.53 Die mediale Auf bereitung der Reise des amerikanischen Präsidenten potenzierte die Begehrlichkeiten der Gäste. Nachdem er den Film »Deutschland grüßt Kennedy« gesehen hatte, den die Deutsche Wochenschau im Auftrag des Bundespresseamtes angefertigt hatte, war der togoische Präsident Nicolas Grunitzky »so beeindruckt, dass er […] spontan die Notwendigkeit einer DeutschlandReise und vor allem eines Berlin-Besuches für sich darlegte«.54
48 Vgl. Aufzeichnung Gregor, 29.6.1956, PA, B8, Bd. 155. 49 Vgl. Weniger Gäste in Berlin, FAZ, 15.9.1961. 50 Jeder einmal an der Mauer, Frankfurter Neue Presse, 13.1.1962. 51 Vgl. 8000 Auslands-Politiker besuchten 1962 Berlin, Berliner Morgenpost, 20.2.1963. 52 Der nachhaltige Effekt der Berlin-Inszenierung zeigt sich auch darin, dass die erste gedruckte Monographie zu Staatsbesuchen in der Bundesrepublik sich mit diesem Besuch beschäftigt: Daum, Kennedy. 53 Vgl. Bericht König, Nicosia, 29.1.1962, PA, B8, Bd. 296. 54 Bericht Seeliger, Lomé, 25.3.1964, BA, B145/3120. Für Grunitzky wurde dann im November 1964 ein inoffizieller Besuch organisiert, LAB, B Rep. 002, Nr. 4082.
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Die Gäste profitierten nicht nur von dem gegebenen Maß an Aufmerksamkeit für Berlinbesuche, sondern trugen durch ihre eigenen Handlungen und Äußerungen zu einer dramatischen Sichtweise auf Berlin und damit zu einer Steigerung der Aufmerksamkeit bei. Berlin wurde zum Bekenntnisort. So betrachtete der prowestliche Präsident von Madagaskar, Philibert Tsiranana seinen Berlinbesuch 1962 »als eine bewusste Demonstration«.55 Tsiranana fand so deutliche Worte für die »mur de la honte«, dass sich die Botschaft der Bundesrepublik gezwungen sah, »aus psychologischen Gründen« um eine »gemilderte[…] Redeweise« in dem Film zu bitten, der im Anschluss an den Besuch für Vorführungen in Madagaskar produziert werden sollte.56 Der chilenische Präsident Eduardo Frei bezog sich bei seinem Besuch 1965 gar schon auf eine Tradition von Staatsbesuchen, »die Zeugnis vom Drama dieser großen Stadt abgelegt haben«.57 Mit ihren Besuchen und durch ihre Zeugenschaft schrieben die Gäste diesem Verständnis nach an der Geschichte Berlins mit. Zugleich setzten sie sich in die Tradition anderer prominenter Berlinreisender und affirmierten ihre Rolle als bedeutende Staatsmänner. Um so enttäuschter reagierten einzelne Staatsgäste, wenn die erwartete Aufmerksamkeit ausblieb. Die Tauschpraxis eines Bekenntnisses zur deutschen Wiedervereinigung bzw. zum Selbstbestimmungsrecht gegen öffentliche Aufmerksamkeit funktionierte nur vorübergehend: Die Berliner Euphorie, die anfänglich jedem Gast zu gelten schien, zeigte nach kurzer Zeit Abnutzungserscheinungen. Die Bereitschaft, sich sichtbar für die Wiedervereinigung auszusprechen, hätte einem Gast 1961 und 1962 die mediale und lokale Aufmerksamkeit garantiert, während er sich Mitte der sechziger Jahre einer solchen Resonanz nicht sicher sein konnte.58 Berlins exponierter Bühnencharakter steigerte nicht nur die Attraktivität der Besuche, sondern konnte auch das Gegenteil auslösen: die Zurückhaltung gegenüber einer Reise in die ehemalige und neue Hauptstadt. Berlin bündelte thematisch und psychologisch die deutsche Teilungsproblematik. Der Mauerbau hatte diese Wirkung nur verstärkt: Berlin avancierte zum »Konzentrat der deutschen Probleme«59 und »emotional crunch« 60 eines jeden Besuchs. Während die westdeutsche Seite bei Berlinbesuchen deutliche Signale gegen eine weltpolitische Entspannung auf Kosten Deutschlands begrüßte, fürchteten viele Gäste die damit verbundene Politisierung als Signalträger. Mit dem Besuch in Berlin betrat ein Gast einen Schauplatz des Kalten Krieges, zu dem er sich positionieren musste. Auf diesem mit Bedeutung aufgeladenen Terrain 55 Friedensburg an Klein, 26.7.1962, LAB, B Rep. 002, Nr. 3555. 56 Deutsche Wochenschau an Betz, BPA, 21.12.1962, Zitat aus handschriftlichem Vermerk darauf, o.D., BA, B145/1480. 57 Pressedienst des Landes Berlin, 20.7.1965, LAB, B Rep. 002, Nr. 3528. 58 Vgl. z.B. Bericht Amendinck, o.D., LAB, B Rep. 002, Nr. 3451, Bd. 2. 59 Mitteilung Steltzer an Bahr, 11.10.1962, LAB, B Rep. 002, Nr. 8287. 60 V. Mulchrone, Queen of a quarter of Berlin, Daily Mirror, 3.5.1965.
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kam jedem noch so kleinen Detail große Aufmerksamkeit zu. Dieses hohe Maß an Beachtung und den Bekenntnischarakter, der Berlinbesuchen anhaftete, schätzten nicht alle Gäste gleichermaßen. So lehnte der Präsident von Mali, Modibo Keita, eine Reise nach Berlin bereits bei den Planungen offiziell »à titre de précaution« ab.61 Die eigentlichen Gründe lagen in der unkontrollierbaren medialen Berichterstattung und in Befürchtungen, mit Mali befreundete Ostblockstaaten zu verstimmen. Obwohl die Malier an der Absage festhielten, schien sie ihnen doch »recht peinlich« zu sein.62 Denn sie hofften zugleich auf westdeutsche Entwicklungshilfe und akzeptierten implizit die Verknüpfung von westdeutschen Hilfsleistungen mit politischen Bedingungen.63 Auch jenen Gästen, die grundsätzlich nach Berlin reisen wollten, jedoch einem politischen Bekenntnis skeptisch gegenüber standen und ihre Aussagen graduell abstimmen wollten, konnte eine Berlinreise gravierende Probleme bereiten. So stand das Protokoll des britischen Königshauses 1965 vor der Aufgabe, den Berlinbesuch der Königin so auszurichten, dass er zwar eindeutig als Freundschaftsgeste erkennbar war, nicht aber als politische Demonstration verstanden wurde. Noch schwieriger gestaltete sich die Situation für jene Staaten, die auf dem internationalen Parkett relativ unerfahren, sich der inhaltlichen Aufladung der Berlinbesuche nicht in vollem Maße bewusst waren oder sich dem wachsenden Druck des Auswärtigen Amtes nicht zu entziehen wussten. Angesichts zunehmender antiwestlicher Rhetorik in den »Entwicklungsländern« wuchs in Westdeutschland Anfang der sechziger Jahre der Unmut über bedingungslose Wirtschaftshilfe. Er erreichte einen vorläufigen Höhepunkt nach der Konferenz der blockfreien Staaten in Belgrad vom 1. bis 6. September 1961, auf der die Mehrheit der Konferenzteilnehmer kurz nach dem Mauerbau entgegen westdeutschen Bemühungen eine Vision friedlicher Koexistenz entfaltete. In der Folge wurde in Bonn parteiübergreifend die Forderung laut, finanzielle Hilfe von der Haltung gegenüber der DDR abhängig zu machen.64 Vor diesem Hintergrund drängte das Auswärtige Amt auf Berlinbesuche als sichtbare Statements zur deutschen Frage. In diesem Kontext erweist sich eine Reihe von Konflikten als aussagekräftig, die sich an der Berlinreise entzündeten. Es ist notwendig, ausgewählte Konfliktfälle einzeln zu betrachten, denn bei allen vorhandenen strukturellen Ähnlichkeiten entwickelte sich doch jeder Berlinaufenthalt aus der Dynamik der Ereignisse heraus anders. Der Bekenntnischarakter der Berlinbesuche führte erstmals beim Besuch des sudanesischen Präsidenten Ibrahim Abboud 61 Drahtbericht Schlegl, Bamako, 21.5.1962, PA, B8, Bd. 276. Er wurde dann bei einer Fahrt entlang der Zonengrenze mit der deutschen Teilung konfrontiert. 62 Drahtbericht Schlegl, Bamako, 17.5.1962, PA, B8, Bd. 275. 63 Vgl. Informationsmappe für den Besuch Keita, PA, B8, Bd. 276. Vgl. grundsätzlich zum Nexus von Entwicklungshilfe und politischer Haltung Gray, S. 116–139. 64 Vgl. Gray, S. 116f. u. 123–131.
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1962 zu Problemen. Obwohl die Sudanesen fürchteten, »dass die Berliner aus diesem Besuch allzuviel Profit herauszuschlagen versuchen würden«,65 verweigerten sie nicht wie im vergleichbaren Fall die Malier die ganze Reise, sondern nur bestimmte Formen der Dokumentation und medialen Verbreitung ihres Besuchs. Zunächst habe Abboud nicht am Brandenburger Tor aussteigen wollen, »keinesfalls« habe er fotografiert werden wollen.66 Diese Verhaltensweise ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen wird daraus ersichtlich, dass sich die Aufmerksamkeit in den Augen der Gäste auf bestimmte symbolische Orte konzentrieren ließ. Die Weigerung des Gastes, an diesen Orten auszusteigen, lässt sich als Versuch lesen, sich den öffentlichen Blicken zu entziehen. Darüber hinaus verdeutlicht Abbouds Verbot, seine Handlungen fotografisch zu dokumentieren, die konstitutive Bedeutung der Medien für einen symbolischen Akt. Eine Handlung, die nicht bildlich festgehalten wird, – so legen Abbouds Wünsche nahe – ist nicht im eigentlichen Sinne vollzogen. Angesichts solcher weitreichender Vorsichtsmaßnahmen verwundert Abbouds Verhalten in Berlin. Denn obwohl die Gastgeber auf seine Bitten nicht eingingen, ließ er sich »in aller Breite vor dem Brandenburger Tor und auf dem Balkon des Reichstagsgebäudes fotografieren«.67 Aus der Situation heraus gab Abboud offenbar seine Zurückhaltung auf und begab sich in die Bilder der Teilung hinein. Hier mögen persönliche Eitelkeiten eine Rolle gespielt haben, doch darüber hinaus trug die begeisterte, emotional aufgeladene Atmosphäre zu diesem Wandel bei – bis Mitte der sechziger Jahre konnte sich das Auswärtige Amt auf die rege Teilnahme der Berliner und eine starke Resonanz auf die Besuche verlassen.68 Dieser Konfliktfall erhellt den Unterschied zwischen Skript und Performanz von Handlungen. Aus der performativen, atmosphärischen Situation heraus verlor Abboud die selbst auferlegte Reserviertheit und überließ sich damit nicht nur den Fotografen, sondern auch den Erfahrungen, denen er sich hatte entziehen wollen. Die Berlin-Erfahrung wirkte auch nach Verlassen der Stadt fort und konnte sich während drei dramaturgisch günstig gewählten Ruhetagen in Konstanz im Anschluss an den offiziellen Besuch in der Reflexion intensivieren. Rückblickend habe Abbouds Deutschlandbesuch seine »bisherigen Besuche[…] in Moskau, Washington, Belgrad und Kairo« überboten.69 Gemeinsam mit dem von politischen Vertretern der Bundesrepublik propagierten Konzept des »Selbstbestimmungsrechts«, das vor allem jungen Staaten, die aus ehemaligen Kolonien hervorgegangen waren, Deutschlands Wiederver65 Aufzeichnung de Haas, 30.4.1962, PA, B36, Bd. 23, Fiche 3, p. 237. 66 Aufzeichnung von Braun, 25.4.1962, PA, B8, Bd. 298. 67 Ebd. 68 Vgl. Aufzeichnung de Haas, 30.4.1962, PA, B36, Bd. 23, Fiche 3, p. 237. 69 Ebd.
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einigungswunsch verständlich machen sollte,70 war der Berlinbesuch in diesem Fall ein Mittel, die Gäste für die deutsche Frage einzunehmen. Wenngleich viele Mitarbeiter im Auswärtigen Amt diesen Besuch insgesamt positiv bewerteten,71 lassen die Resümees doch auch gedämpfte Töne erkennen: Zwar zeige der Besuchsverlauf, dass der Sudan der Bundesrepublik freundschaftlich verbunden sei, »als neutralistisches Land […] aber sein Verständnis oder seine Sympathie für den deutschen Standpunkt nicht öffentlich zum Ausdruck bringt«.72 Schon aus Abbouds Verhalten hätte das Auswärtige Amt den Schluss ziehen können, dass der explizite Druck bzw. die impliziten Erwartungen an eine Berlinreise, denen die Gäste in Westdeutschland ausgesetzt waren, sich kontraproduktiv auswirken konnten. Weitaus deutlicher erfuhren dies die Bonner Beamten, als der mexikanische Präsident Adolfo Lopez Mateos im April 1963 die Bundesrepublik als Schlusspunkt einer Europareise besuchte. Die Ausrichtung des Besuchs wandelte sich zwischen den ersten Planungen 1960 und 1963 stark: Hatte der mexikanische Außenminister Manuel J. Tello 1960 einen Besuch in der Bundesrepublik inklusive Berlin noch als Gelegenheit betrachtet, Mexikos Zugehörigkeit zum westlichen Lager zu zeigen,73 wollten die Mexikaner 1963 jegliche außenpolitische Parteinahme vermeiden und erbaten wiederholt für Berlin ein einfaches Besichtigungsprogramm ohne Reden.74 Trotz dieser angekündigten Zurückhaltung und Divergenzen bei den Vorbereitungen des Abschlusskommuniqués kam die Absage am 3. April für die geplante Berlinreise am 6. und 7. April für die westdeutschen Gastgeber unvermittelt.75 Die mexikanische Presse führte Willy Brandts Abwesenheit von Berlin sowie technische Schwierigkeiten als Gründe an.76 Doch der westdeutsche Botschafter in Mexiko, Kurt-Fritz von Graevenitz, ermittelte die »wahren« Ursachen unmittelbar nach Ankunft der Mexikaner am 5. April. Sein mexikanischer Kollege habe den Einfluss der vorangegangenen Aufenthalte in Warschau und 70 Bis 1959 schreckte die Bundesrepublik vor der Verwendung des Begriffs »Selbstbestimmungsrecht« zurück, da ihn Gegner der Kolonialherrschaft u.a. gegen westdeutsche Verbündete wie Frankreich und Großbritannien richteten. Erst mit der Zustimmung dieser Länder vollzog die Bundesrepublik den rhetorischen Wandel und setzte die DDR mit einer Kolonie gleich. Vgl. zur leitmotivischen Verwendung des »Selbstbestimmungsrechts« ab 1959 Gray, S. 103. 71 Divergenzen zeigen sich v.a. bei der Einschätzung des Außenministers Kheir, vgl. Aufzeichnung von Braun, 25.4.1962; Aufzeichnung Rauch, 26.4.1962, PA, B8, Bd. 298. 72 Aufzeichnung Schlagintweit, 9.5.1962, PA, B36, Bd. 23, Fiche 3, p. 258–260, hier p. 258. 73 Vgl. Bericht Hess, Mexiko City, 13.5.1960, PA, B8, Bd. 502. 74 Vgl. Drahtberichte von Graevenitz, Mexiko City, 28.2.1963 u. 20.3.1963, PA, B8, Bd. 502; Welczeck über Dienststelle Berlin an Klein, 2.3.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 3491. 75 Die Informationsmappe zu diesem Staatsbesuch spricht z.B. von der traditionellen Freundschaft der Mexikaner mit Deutschland und davon, dass die Mexikaner trotz des Nichteinmischungs-Grundsatzes das Selbstbestimmungsrecht befürworteten, vgl. PA, B8, Bd. 502. Vgl. zum Kommuniqué: Aufzeichnung Jansen, 4.4.1963, PA, B33, Bd. 357. 76 Vgl. Bericht von Graevenitz, Mexiko City, 22.4.1963, BA, B145/3114.
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Belgrad eingeräumt.77 Die Absage resultierte demnach aus der Dynamik der Reise.78 Nachdem Lopez Mateos die Konnotationen und Erwartungen an seinen Berlinbesuch erkannt hatte, konnten das Auswärtige Amt, das Bundespresseamt und die Stadt Berlin nur versuchen, gemeinsam »Formen zu finden, die einen Eklat vermeiden«.79 Das Bonner Protokoll, so der Eindruck Egon Bahrs, Leiter des Berliner Informationsamtes, sei nun der Maxime gefolgt, den Gast zu nichts zu nötigen und den »informelle[n] charakter« zu unterstreichen.80 Die Berliner schlugen entsprechend informelle Wege ein, um ihre Interessen während des Besuchs, der schließlich am 7. April stattfand, zu wahren. Um sich bzw. sein Amt nicht in eine »unwürdige Lage« zu bringen, verzichtete Bürgermeister Heinrich Albertz zwar auf die Teilnahme an einem Frühstück des Berliner Industriellen Peter von Siemens für die südamerikanischen Gäste, jedoch nicht auf den Versuch, die Haltung der Mexikaner zu beeinflussen. Er bat von Siemens, an seiner Stelle »einige Gesichtspunkte dem Gast darzulegen, an denen uns liegt«, und somit Berlin zu repräsentieren. Des weiteren hofften die Berliner auf den Bundespräsidenten und seine Fähigkeit, den Mexikanern nahe zu bringen, dass die »Freundschaft der Bundesrepublik nicht mit der Ausklammerung Berlins zu gewinnen« sei.81 In der Frage der medialen Beteiligung versuchten die Berliner, die Bedenken der Mexikaner mit deren eigenen argumentativen Mitteln auszuhebeln: Lopez Mateos hatte offenbar wie schon Abboud an der Berichterstattung und damit an der Sichtbarkeit seiner Handlungen sowie der damit verbundenen Aufmerksamkeit Anstoß genommen. Zu Besuchen an symbolischen Orten der Teilung schien sich Lopez Mateos nur bereit zu erklären, wenn sie nicht dokumentiert würden. Offenbar erfuhr der mexikanische Präsident die starke Präsenz von Medienvertretern als Bedrohung: Beim Anblick der Fotografen und Kameramänner vor dem Reichstag soll er die Besichtigung des Gebäudes abgelehnt und im Anschluss in der Bernauer Straße »albertz’ hinweise auf die menschlichen probleme kommentarlos zur kenntnis« genommen haben.82 Im Gegensatz zu Abboud ließ sich der Gast aus Mexiko nicht von der Dynamik der Ereignisse und der Aussicht auf Publicity umstimmen. Vielmehr reagierte er mit wachsender Reserviertheit, die sich vor allem aus der permanenten 77 Vgl. Aktenvermerk von Graevenitz, 9.4.1963, Anlage zu Bericht, 23.4.1963, PA, B33, Bd. 357. 78 Vgl. auch die Resümees: Aufzeichnung Abt. I, 24.4.1963, PA, B38, Bd. 153, Fiche 3, p. 269; Aufzeichnung von Pappenheim, 24.4.1963, PA, B33, Bd. 357. 79 Bahr an Einsiedler, 5.4.1963, PA, B8, Bd. 502. 80 Bahr an Albertz, 5.4.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 3491. 81 Bahr an Einsiedler, 5.4.1963, PA, B8, Bd. 502. Die Dienststelle Berlin resümierte nach dem Besuch, dass v.a. von Siemens eine weitere Abkühlung der Stimmung verhindert habe, vgl. Drahtbericht Soehnke, Dienststelle Berlin, 10.4.1963, PA, B8, Bd. 502. 82 Drahtbericht Soehnke, Dienststelle Berlin, 10.4.1963, PA, B8, Bd. 502.
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Beobachtung durch die Medien erklärte. Während der Stadtrundfahrt verließ Lopez Mateos den Wagen nicht und verweigerte sich damit den Kamerablicken an symbolträchtigen Orten der Teilung.83 Lopez Mateos fügte sich als Präsident eines erklärtermaßen neutralen Staates nicht in ein Bild, das als Parteinahme gewertet werden konnte. Albertz interpretierte Lopez Mateos’ Verhalten später als Schutzmechanismus: Aus Furcht, »missbraucht zu werden«, habe sich der Gast »grosse reserve« auferlegt.84 Gegenstück und zugleich Ergänzung zu dieser bewusst eingenommenen Haltung war das Verhalten von Mateos’ Ehefrau. Ohne die drückende Last des Amtes und im Einklang mit den zeitgenössischen Geschlechterstereotypen fiel ihr die Aufgabe zu, die Zurückhaltung ihres Gatten zu kompensieren und sich der menschlichen Dimension der Teilung zu öffnen: Sie »zeigte sich von der mauer sehr betroffen, interessierte sich auch fuer einzelheiten, und zwar wie sie bemerkte, weil ihr mann sich doch zurueckhalten muesse«.85 Da die diplomatisch geschulten Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes damit vertraut waren, dass Staatsmänner bestimmte Haltungen aufgrund ihres Amtes einnahmen, interpretierten sie Aussagen der Delegationsmitglieder als korrigierende Ergänzung zu der von Staatsraison geprägten Haltung des Staatsoberhauptes und verbuchten sie als Erfolg.86 Diese Denkweise war der Berliner Bevölkerung wie der Berliner Presse offenbar weniger vertraut. Die Reserviertheit des Gastes widersprach ihren Erwartungen, die auf den Erfahrungen expliziter Sympathiebekundungen seitens anderer Gäste beruhten.87 Andere Stimmen mahnten Verständnis für das Verhalten des mexikanischen Staatsoberhaupts an. Die Süddeutsche Zeitung vertrat die Ansicht, dass man Vertretern blockfreier Staaten »keine politischen Demonstrationen wie eine Mauerbesichtigung in Berlin zumuten könne«.88 Der Münchner Merkur sprach sich deutlich gegen die »primitive Formel« aus: »Willst du Geld, geh an die Mauer«.89 Doch nahmen mexikanische Journalisten primär die in der westdeutschen Presse vorgebrachte explizite Kritik an Lopez Mateos’ Verhalten wahr. Ihre Darstellungen und negativen Kommentare ließen »den Eindruck auf kommen, als sei die Fahrt entlang der Mauer wider Willen oder zumindest ohne vorheriges Wissen des Präsidenten durchge-
83 Vgl. Aufzeichnung von Pappenheim, 24.4.1963, PA, B33, Bd. 357. 84 Drahtbericht Soehnke, Dienststelle Berlin, 10.4.1963, PA, B8, Bd. 502. Die SPD-nahe Westfälische Rundschau deutete den Besuch des mexikanischen Staatspräsidenten treffend als »Mateos-Passion«, vgl. K.-H. Maier, Die »Mateos«-Passion, Westfälische Rundschau, 8.4.1963. 85 Drahtbericht Soehnke, Dienststelle Berlin, 10.4.1963, PA, B8, Bd. 502. 86 Vgl. Aufzeichnung Abt. I, 24.4.1963, PA, B38, Bd. 153, Fiche 3, p. 270. 87 Vgl. Drahtbericht Soehnke, Dienststelle Berlin, 10.4.1963, PA, B8, Bd. 502. 88 Aufzeichnung von Pappenheim, 24.4.1963, PA, B33, Bd. 357. 89 hz, Willst du Geld, geh an die Mauer!, Münchner Merkur, 8.4.1963.
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führt worden«.90 In der Folge, so von Graevenitz, sei nicht die Erfahrung der Mauer als primärer Eindruck »in den Köpfen […] hängen geblieben«, sondern zunächst die Absage und dann die Weigerung, »am Reichstag an der Mauer auszusteigen«. Auch gewöhnlich deutschlandfreundliche mexikanische Journalisten hielten sich mit Kritik nicht zurück. Die Mexikaner kompensierten ihre enttäuschten Erwartungen an den Besuch nach Ansicht des deutschen Botschafters mit Negativzeichnungen der Bundesrepublik und übergingen damit den mexikanischen Anteil an der missglückten Reise.91 In welchem negativem Licht die Mexikaner die Bundesrepublik nach ihrem Besuch sahen, dokumentiert ein mexikanischer Film über die Europareise, von dem man annehmen musste, »dass die wenig deutschfreundliche Tendenz des Films von der Regierung inspiriert worden ist«. Von der Bundesrepublik werde darin ein Bild »provinzieller Mittelmässigkeit« gezeichnet; »industrielle Potenz« scheine »von landschaftlicher Trostlosigkeit begleitet«. Auch das Berlinbild bleibe »blass«, die Mauer werde »ohne jeglichen Kommentar« gezeigt, und ein »Hinweis auf die Leistungen beim Wiederauf bau der Stadt« fehle. Den negativen Höhepunkt des Films bildete aus westdeutscher Sicht »die Einblendung von Ausschnitten aus Wochenschauen des 2. Weltkrieges, die das verwüstete Warschauer Ghetto […] und den Einzug de Gaulles in Paris im Jahre 1944 zeigen«.92 Einmal mehr bekam die Bundesrepublik zu spüren, dass sich andere Staaten nicht scheuten, bei Bedarf den Nationalsozialismus als Argument gegen sie ins Feld zu führen. Das Auswärtige Amt bedurfte nicht erst des Films als Beweis dafür, dass der mexikanische Staatsbesuch ein Misserfolg war. Trotz einiger positiver Bewertungen93 lag insgesamt ein deutlicher »Schatten« über dem Staatsbesuch.94 Die negative Dynamik des Berlinbesuchs ließ sich in diesem Fall nicht nur mit äußeren Einflüssen erklären. Staatssekretär Karl Carstens hatte die westdeutsche Presse, die mit »Unzufriedenheit und Enttäuschung« auf das Verhalten Lopez Mateos reagiert habe, schnell als einen Mitschuldigen ausgemacht. Sicherlich erklärte sich der negative Ton der mexikanischen Kommentare zum Besuch vordergründig als Reaktion auf die westdeutsche Berichterstattung. Doch das Auswärtige Amt hatte den Erwartungshorizont der westdeutschen Öffentlichkeit selbst mitgeprägt. Wenngleich Carstens nicht explizit Fehler des Auswärtigen Amtes einräumte, schien er diese doch erwogen zu haben. Indem er anmahnte, dass auch ohne politische Erklärungen »jeder Besuch eines fremden Staatsober90 Bericht von Graevenitz, Mexiko City, 22.4.1963, BA, B145/3114. 91 Bericht von Graevenitz, Mexiko City, 26.4.1963, PA, B33, Bd. 357. 92 Bericht von Graevenitz, Mexiko City, 8.5.1963, PA, B8, Bd. 502. 93 Vgl. Aufzeichnung von Pappenheim, 24.4.1963, PA, B33, Bd. 357; Drahtbericht Soehnke, Dienststelle Berlin, 10.4.1963, PA, B8, Bd. 502. 94 Auch für das Folgende: Carstens an von Hase, 24.4.1963, PA, B38, Bd. 153, Fiche 3, p. 245–247.
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hauptes in der deutschen Hauptstadt für uns als ein Gewinn anzusehen ist«, kritisierte er implizit die vorherrschende dogmatische Haltung des Auswärtigen Amtes, die jedem Gast ein politisches Statement in Berlin abverlangte. Zwei Wandlungsprozesse lassen sich nach dem Besuch Lopez Mateos’ beobachten: Nach diesem misslungenen Berlinaufenthalt wuchs die Bereitschaft, bei Kurzbesuchen, die politisch nicht vorbereitet werden konnten,95 von Berlinreisen abzusehen.96 Weitaus augenfälliger als diese Entwicklung hin zu einer variablen Lösung je nach Gast war der Strategiewechsel bei den Berlinbesuchen, die tatsächlich zustande kamen. Da die Außenamtsmitarbeiter nun erwarteten, »dass sich andere Staatsmänner der blockfreien Welt […] eine ähnliche Zurückhaltung in Deutschland- und Berlinfragen auferlegen« würden, warnte der Leiter der Politischen Abteilung II, Krapf, vor »zu hohe[n] Erwartungen«. Als wichtigstes Ziel galt nun, »fremde Staatsoberhäupter überhaupt zu einem Berlin-Besuch zu veranlassen«. Die Auswirkung solcher Besuche »auf die psychologische Lage der von zuverlässigen Informationsquellen abgeschnittenen Zonenbevölkerung [wäre] auch dann positiv«, wenn eine Erklärung oder eine »auffällige Besichtigung der Mauer« ausbliebe. Politische Erklärungen sollten nicht mehr forciert werden, um den Besuch an sich nicht zu gefährden.97 Beim Besuch des kamerunischen Präsidenten Ahmadou Ahidjo zahlte sich die Kompromissbereitschaft des Auswärtigen Amtes aus. Ahidjo hatte noch im März 1963 weder Berlin noch die Zonengrenze besichtigen wollen, aus der Sicht des dortigen Botschafters Karl Döring ein eindeutiges Zeichen für die Non-Alignment-Politik der Umgebung des Präsidenten.98 Noch unter dem frischen Eindruck des Staatsbesuchs aus Mexiko unternahm das Protokoll, das erklärtermaßen unter dem Druck der westdeutschen Öffentlichkeit stand,99 einen letzten, erfolgreichen Versuch, den Präsidenten von Kamerun umzustimmen. Unter Verzicht auf eine politische Färbung des Besuchs wollte Ahidjo nach Berlin reisen.100 Das Protokoll unternahm alles, um Ahidjo diese Reise zu erleichtern, und verzichtete auf eine Pressekonferenz sowie jegliche Form einer politischen Erklärung. Für Ahidjo planten von Hollebens Mitarbeiter eine verkürzte Stadtrundfahrt, der sie einige politische Spitzen, wie den Halt an der Bernauer Straße, vorsorglich genommen hatten. Wie sehr der misslun95 Vgl. Vermerk von Holleben über Direktorenbesprechung, 9.4.1963, PA, B8, Bd. 502. 96 Vgl. Vermerk Ruscher, 15.5.1963, PA, B8, Bd. 496. Schon vor den Erfahrungen mit dem mexikanischen Staatsoberhaupt hatten die Protokollmitarbeiter bisweilen davon abgesehen, auf einem Berlinbesuch zu beharren, vgl. z.B. Drahterlass von Braun, 18.5.1962, PA, B8, Bd. 275, u. hatten damit Erfolg, vgl. Aufzeichnung Abt. 3, 23.11.1959, PA, B8, Bd. 230. 97 Reinkonzept Krapf, 29.4.1963, PA, 29.4.1963, PA, B38, Bd. 153, Fiche 3, p. 265–267. 98 Vgl. Drahtbericht Elles, Jaunde, 2.3.1963; Bericht Döring, Jaunde, 21.3.1963, PA, B8, Bd. 500. 99 Vgl. Vermerk Steltzer, 11.4.1963, PA, B8, Bd. 500. 100 Vgl. Vermerk von Holleben, 16.4.1963, PA, B8, Bd. 500.
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gene mexikanische Besuch bei allen Beteiligten noch nachwirkte, manifestierte sich unter anderem in einer präventiven Pressepolitik.101 Das Bonner Kalkül ging in vollem Maße auf. Ahidjo zeigte sich von Berlin überwältigt.102 Die Strategie, dem afrikanischen Staatsmann besondere Ehre zu bezeigen, legte atmosphärisch den Grundstein für dessen öffentliche Stellungnahme zur deutschen Teilung. Obwohl Ahidjo laut Bericht der französischen Vertretung in Jaunde sich nicht vor der Mauer fotografieren lassen wollte,103 habe er sich doch, so der deutsche Botschafter, »tief beeindruckt und empört« gezeigt104 und sich »öffentlich, eindeutig und überzeugend, auch in Berlin, zugunsten des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes geäussert«.105 Die Bereitschaft des Auswärtigen Amtes, die politische Ausrichtung der Berlinreisen bei Bedarf auf ein unvermeidbares Mindestmaß zu reduzieren, ermöglichte auch den Besuch des somalischen Präsidenten Osman.106 Dieselbe Entpolitisierungsstrategie hatte anfänglich auch bei König Hassan von Marokko Erfolg. Von Beginn der Planungen an hatte das Protokoll in einer Doppelstrategie dem Gastland gegenüber die größtmögliche Offenheit für die Programmgestaltung signalisiert.107 Gleichzeitig sprach es aber nicht direkt aus, dass der Berlinbesuch des Königs noch nicht beschlossen war.108 Um Hassans Berlinreise zu ermöglichen, akzeptierte Protokollchef von Holleben sogar, ohne nachzuhaken, den Wunsch des Königs, vollständig auf eine Mauerfahrt zu verzichten.109 Gleichwohl reiste Hassan letztlich nicht nach Berlin, was über die Bundesrepublik hinaus besonders aufmerksam wahrgenommen wurde.110 Es kursierten umgehend Mutmaßungen, warum der König seine Reise so kurzfristig abgesagt habe. Die unterschiedlichen Erklärungen für seine Absage leiteten einen langwierigen Deutungsprozess ein,111 der erst im Sommer 1966 sein Ende finden sollte. Vor allem der tunesische Botschafter versuchte Hassans Absage zu nutzen, um das eigene Land, das in einem Konkurrenzverhält101 Vgl. Drahterlass von Holleben an Dienststelle Berlin, 17.4.1963, PA, B8, Bd. 500. 102 Vgl. Aufzeichnung Jansen, Verf.: Steltzer, 18.5.1963, PA, B34, Bd. 418. 103 Vgl. Bericht Botschaft Jaunde, 9.5.1963, PA, B34, Bd. 418. 104 Aufzeichnung Jansen, Verf.: Steltzer, 18.5.1963, PA, B34, Bd. 418. 105 Bericht Döring, Jaunde, 12.7.1963, PA, B8, Bd. 501. 106 Vgl. Bericht Holubek, Mogadischu, 28.12.1964, PA, B8, Bd. 1050. 107 Vgl. Aufzeichnung von Holleben, 2.11.1965, PA, B8, Bd. 549. 108 Vgl. Vermerk von Welczeck, 3.11.1965, auf Durchschlag Drahterlass von Holleben an Botschaft Rabat, 3.11.1965, PA, B8, Bd. 549. 109 Vgl. Drahtbericht Voigt, Rabat, 11.11.1965; Drahterlass von Holleben an Botschaft Rabat, 16.11.1965, PA, B8, Bd. 549. 110 Vgl. z.B. zur Rezeption in Ägypten: Drahtbericht Hauthal, Kairo, 2.12.1965, PA, B36, Bd. 262, Fiche 4, p. 359. 111 Vgl. Vermerk Noebel, Betr.: Absage des Berlin-Flugs des Königs von Marokko am 1.12.1965, PA, B8, Bd. 549; Bericht Botschaft Rabat, 9.12.1965, PA, B36, Bd. 262, Fiche 4, p. 384.
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nis zu Marokko stand, als den verlässlicheren Partner erscheinen zu lassen. Er vermutete u.a. eine »bevorstehende Moskaureise« als Grund für die Absage.112 Die westdeutschen Vertreter in Marokko zweifelten hingegen diese Erklärung an und differenzierten zwischen der Absage der Mauerfahrt, die sie als »Rücksichtnahme[…] auf die Sowjetunion und den Ostblock« deuteten, und der Absage der Reise. Letztere sei dem schlechten Flugwetter geschuldet gewesen. Allerdings könne man nicht ausschließen, »dass ihm das schlechte Flugwetter gelegen kam – allerdings nicht wegen etwaigen sowjetischen Drucks«. Einmal mehr mussten die westdeutschen Gastgeber erkennen, dass sie misslungene oder abgesagte Berlinbesuche nicht allein äußeren Faktoren zuschreiben konnten. Nach Auffassung der deutschen Botschaft in Marokko sei die Enttäuschung »über künftige deutsche Kapitalhilfe« bei Hassans Entscheidung schwerer ins Gewicht gefallen.113 Die Absage Marokkos zeigte demzufolge, dass sich der Nexus zwischen politischer Demonstration und Kapitalhilfe vom Auswärtigen Amt nur bedingt kontrollieren ließ. Vielmehr konnten die Staaten, die westdeutsche Gelder empfingen, diese Denkfigur aufgreifen und gegen die Bundesrepublik wenden: Sie versuchten, in dem Tauschgeschäft »Geld gegen politische Stellungnahme« die Preise hochzutreiben. Die hier untersuchten Staatsbesuche demonstrieren eindringlich, wie Westdeutschland in der ersten Hälfte der sechziger Jahre Staaten der blockfreien oder Dritten Welt für die Wiedervereinigung zu instrumentalisieren versuchte. Berlin bildete die Bühne für einen symbolischen Tauschhandel zwischen der Bundesrepublik und ihren Gästen: Die Staatsgäste standen über die zugesagte Wirtschaftshilfe in der Schuld der Bundesrepublik und konnten diese mit einer ideellen Stellungnahme für die Wiedervereinigung begleichen. Zugleich sicherten sich die Gäste, wenn sie sich in Berlin an symbolischen Orten zeigten, die lokale und mediale Aufmerksamkeit. Doch diese Ökonomie der Sichtbarkeit, das hohe politische Deutungspotential der Handlungen ließ Berlin zugleich auch zum Prüfstein der zwischenstaatlichen Beziehungen werden, der ausländische Gäste häufig überforderte. Einige der Gäste gaben aus der Ferne westdeutschen Wünschen nach und schienen mögliche Auswirkungen erst nach Reiseantritt oder in der Situation vor Ort zu ermessen. Kurzfristig entschlossen sie sich zu bisweilen drastischen Gegenmaßnahmen, die von der Verweigerung einzelner Handlungen bis hin zur Absage der Reise reichen konnten. Diese hatten denselben Ursprung wie die schon erwähnten, unerwartet emotionalen Worte Tsirananas: die unterschiedlichen Erwartungen, denen sich die Gäste ausgesetzt sahen, und die genaue Beobachtung jeglicher ihrer Handlungen, deren Deutungen sie nicht 112 Aufzeichnung Böker, 13.7.1966, PA, B36, Bd. 215, Fiche 2, p. 169f.; vgl. Vermerk Müller, 4.2.1966, BA, B122/5367, p. 4R. 113 Bericht Voigt, Rabat, 1.8.1966, PA, B36, Bd. 215, Fiche 3, p. 232f.
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kontrollieren zu können glaubten. Tsiranana reagierte mit einer Übererfüllung der Erwartungen, andere Gäste zogen mit Formen der Verweigerung gleich die Notbremse. Auffällig ist dabei, dass nicht der Besuch bestimmter Orte und bestimmte Handlungen an sich als problematisch galten, sondern ihre mediale Dokumentation. Die Angst vor der Repräsentation überwog deutlich die Angst vor der eigentlichen Handlung. Das Auswärtige Amt versuchte, der Zurückhaltung gegenüber Berlinbesuchen mit einer zunehmenden Flexibilisierung der Gestaltung und der Erwartungen an die Besuche zu begegnen. Dieser Flexibilisierungsprozess wies Pa rallelen zur allmählichen Auflösung der Hallstein-Doktrin 1964/65114 und dem damit verbundenen Abschied von einer Politik der Stärke auf.115 Eine weitere Parallele der Entwicklungen besteht darin, dass sich trotz der Flexibilisierung die vom Auswärtigen Amt erdachten politischen Werkzeuge zunehmend gegen ihre Erfinder richteten. Die Arabische Liga eignete sich die Denkfigur der Hallstein-Doktrin an und setzte sie gegen die Bundesrepublik ein, indem sie auf die westdeutsche Ankündigung, mit Israel diplomatische Beziehungen aufzunehmen, mit einem Aufruf zum Bruch mit der Bundesrepublik reagierte.116 Ebensowenig fügten sich alle Gäste in den von westdeutscher Seite erdachten Tauschhandel Geld gegen politische Haltung oder passten sich in die politischen Bilder ein, welche die Bundesrepublik für sie in Berlin entworfen hatte.
3. Berliner Dramaturgien – Berlin als Anschauungsort der deutschen Teilung in den sechziger Jahren Die inszenierten, imaginierten und medialen Bilder der deutschen Teilung, denen sich einige Gäste nicht fügen wollten, sollen nun detailliert zur Sprache kommen. Was wurde in Berlin wann und wie gezeigt? Welche Orte und Praktiken sollten welche Vorstellungen in die Köpfe der Besucher einzeichnen? Berlin eröffnete einen wahren Fundus an Darstellungsmöglichkeiten, die weit über die Bebilderung der Teilung hinausreichten. Wie die Gäste Berlin als Raum erfuhren, gestaltete ihre Vorstellungen der Stadt, bildete die Grundlage für eine politisierte mentale Kartographie.117 Die mediale Version dieser Raum114 Vgl. Gray, S. 172, zur Ägypten-Reise Walther Ulbrichts als Markstein im Auflösungsprozess: S. 174f. 115 Um den Abbruch diplomatischer Beziehungen für dringliche Momente aufzusparen, entwickelte die Bundesrepublik eine Skala von Repressalien für Kontakte anderer Staaten mit der DDR, die unterhalb der Anerkennung anzusiedeln waren, vgl. Gray, S. 225. 116 Vgl. Gray, S. 181. 117 Mit dem Konstruktcharakter geographischer Räume beschäftigen sich Ansätze zu ›mental maps‹, vgl. das Themenheft »Mental maps«; vgl. generell zum »spatial turn« Döring/Thielmann.
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erfahrung wirkte potentiell mit an der Konstruktion eines Berlinbildes in der weltweiten Wahrnehmung. In welcher Breite die Berliner Repräsentanten die darstellerischen Möglichkeiten Berlins auszuschöpfen suchten, dokumentiert exemplarisch ein so genannter Waschzettel, der Willy Brandt als Gedankenstütze bei der gemeinsamen Rundfahrt mit John F. Kennedy 1963 in Berlin dienen sollte und einen Einblick in die Bedeutungen gibt, die den einzelnen Stationen der Fahrtroute zugeschrieben wurden.118 Erwartungsgemäß berührte die Route mehrfach Orte, die sich als Symbole der deutsch-amerikanischen Beziehungen lesen ließen:119 Flughafen Tegel, Ernst-Reuter-Platz, das Amerika-Haus, die Kongresshalle, die mit US-Unterstützung gegründete Freie Universität und das Luftbrückendenkmal. In dieser Lesart war der Berliner Wiederauf bau aufs Engste mit Amerika verknüpft. Mit den positiv konnotierten und in das Berliner Leben eingebundenen amerikanischen Räumen kontrastierten ausgewählte sowjetische Räume als Fremdkörper im Stadtbild. So interpretierten die WestBerliner Offiziellen das sowjetische Ehrenmal an der Straße des 17. Juni als Stein gewordene Repräsentanz unbegründeter sowjetischer Rechtsansprüche in West-Berlin. Das neue Berlin erschöpfte sich nicht im Bezug auf die Alliierten, sondern zeigte mit dem Westhafen, der Stadtautobahn, den SiemensWerken und Charlottenburg-Nord als größtem geschlossenen Nachkriegsbauvorhaben Berlins Potential in Wirtschaft und Verkehr. Das »moderne Berlin auf dem Boden des alten Berliner Westens« brachte das Hansa-Viertel architektonisch zum Ausdruck. Der »Waschzettel« thematisierte auch ausgewählte Aspekte der Vergangenheit Berlins: die Aufnahme französischer Migranten im 17. Jahrhundert, das proletarische Berlin und Berlin als wissenschaftliche Wirkungsstätte Wernher von Brauns, Otto Hahns und Lise Meitners. Der Gast sah das offizielle Erinnern Berlins an den Nationalsozialismus: die Gedenkstätte Plötzensee, die sich mittlerweile als »Symbol des Widerstands gegen Hitler« etabliert hatte. Dass die Teilung mit dem Verlust eines Teils der Vergangenheit verknüpft war, verdeutlichten Hinweise auf bedeutende Bauten aus dem Kaiserreich, die sich im Ostteil der Stadt befanden und nur aus der Ferne betrachtet werden konnten. Der »Waschzettel« markierte auf der Fahrtroute Bilder für die »Zugehörigkeit Berlins zum Bund« (Schloss Bellevue) und für die Utopie eines geeinten Deutschlands mit Berlin als Hauptstadt (altes und geplantes Diplomatenund Regierungsviertel Tiergarten) und verwies damit doch immer nur auf die deutsche Teilung. Ihr galt noch vor dem Amerika-Bezug und der Darstellung des Berliner Potentials das Hauptaugenmerk der Fahrtroute. Am Brandenbur118 Die folgenden Zitate stammen, sofern nicht anders ausgewiesen, aus dem »Waschzettel für RBm« [Besuch Kennedy], LAB, B Rep. 002, Nr. 11163, Bd. 2. 119 Vgl. grundsätzlich zum Verhältnis der USA zu Berlin Daum, America’s Berlin.
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ger Tor und am Checkpoint Charlie, den Schnittstellen mit dem Ostteil der Stadt, unterbrach Kennedy seine Rundfahrt für je eine Viertelstunde und richtete den Blick auf den aus westdeutscher Sicht verlorenen Osten, das fremde System, den politischen Konkurrenten. An diesen Orten trafen verschiedene Bedeutungen aufeinander: Brandenburger Tor wie Checkpoint Charlie sollten nicht nur den Gast sinnlich mit der DDR konfrontieren, sondern eröffneten zudem den Blick auf die verlorene Vergangenheit des Kaiserreichs. Das Radziwill-Palais im Ostteil der Stadt sollte Kennedys Verständnis dieses sehnsuchtsvollen westdeutschen Blicks auf die topographischen Reste der deutschen Vergangenheit erhöhen. Es sollte Kennedy emotional eine Brücke bauen, da seine Schwester, eine verheiratete Radziwill, von diesem Verlust zumindest mittelbar betroffen war. Diese Blicke näherten den Schauenden nicht an die beobachteten Objekte an, sondern verfestigten die Distanz zu ihnen. Der »Waschzettel« schrieb auch anderen Formen des Kontakts zwischen West und Ost einen trennenden Charakter zu, so den Verkehrsverbindungen zum Ostteil der Stadt wie der von östlicher Seite betriebenen S-Bahn und dem Landwehrkanal, der unter technischer Betriebshoheit der DDR stand. In diese Rolle als Anschauungsort der deutschen Teilung und der Ost-West-Konfrontation, die der »Waschzettel« beispielhaft dokumentiert, fand sich Berlin erst allmählich und nicht immer freiwillig hinein. Bereits bei den Staatsbesuchen zwischen 1954 und 1961 lässt sich ein Wandel der Visualisierungsstrategien und der Besuchsdramaturgie beobachten, der schon vor dem Bau der Mauer in eine symbolische Grenzziehung zwischen Ost und West mündete. Die grundlegende, von staatlicher Seite favorisierte Visualisierungsstrategie blieb in diesem Zeitraum gleich: nämlich den Westen Berlins in Abgrenzung zum Osten der Stadt zu konturieren. Doch zum einen wandelte sich die Art und Weise der Kontrastierung, zum anderen wollten sich die Berliner bis Anfang der sechziger Jahre nicht auf die Teilungsthematik reduzieren lassen und nutzten vor allem Stadtrundfahrten dazu, ihre Leistungen anstelle der Leiden in den Vordergrund zu stellen. Bei den frühen Staatsbesuchen sahen Delegationsmitglieder oder Journalisten – die Staatsgäste selbst kamen anfänglich nicht nach Berlin – beide Teile der Stadt und erlebten so den Kontrast zwischen Ost und West in dramaturgisch gestalteter, direkter Anschauung. Äußeres Erscheinungsbild und Lebenswelten hoben sich stark gegeneinander ab. Dass die Orte so nahe beieinander lagen, verstärkte den Eindruck. Ein frühes Beispiel hierfür ist der Aufenthalt einer griechischen Journalistengruppe, die während einer Reise ihres Ministerpräsidenten 1954 Berlin besuchte.120 Am ersten Tag stand der Westen der Stadt inklusive Einkaufsmeile und Industrieanlagen im Vordergrund. Am zweiten Tag fuhren die Besucher zum Flüchtlingsaufnahmelager Marienfelde, wo sie 120 Vgl. Besuch der griechischen Journalisten 29.6.-11.7.1954, PA, B8, Bd. 49.
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Gelegenheit hatten, mit DDR-Flüchtlingen zu sprechen und ein Aufnahmeverfahren zu erleben. Der dritte Tag schließlich führte sie in den Ostteil der Stadt, der vor allem als Ruinenlandschaft gezeigt wurde. In einer Art umgekehrter Reihenfolge der »Divina Commedia« durchschritten die Gäste zuerst das westliche »Paradies«, um dann im Kontrast »Purgatorium« und »Hölle« kennenzulernen. Zwar unterschieden sich die besuchten Orte deutlich voneinander und konnten entsprechend gegeneinander abgegrenzt und inhaltlich unterschiedlich aufgeladen werden.121 Aber zugleich war die Grenze durchlässig: Ost- und West-Berliner konnten jeweils in einem Teil der Stadt zur Arbeit gehen und im anderen wohnen. Genauso durchlässig waren diese Grenzen für ausländische Besucher unterhalb der Staatsoberhauptsebene. Sie erfuhren die Unterschiede in der – wenn auch gelenkten – unmittelbaren Anschauung vom Ost- und Westteil der Stadt. Die Staatsoberhäupter unternahmen selbst keine »Ostsektorenfahrten«122 und erfuhren die Durchlässigkeit der Grenze am Brandenburger Tor. Fotografien dokumentieren, wie Willy Brandt den türkischen Präsidenten Bayar 1958 an das Brandenburger Tor heranführte. Diese Fotografien suggerieren zumindest die Möglichkeit einer Grenzpassage.123 Bereits Ende der fünfziger Jahre endeten diese Visualisierungsstrategie und im Zuge der Berlinkrise vorläufig auch die Berlinbesuche bei Staatsbesuchen. Erst im Mai 1961 kam der nächste Staatsgast, der togoische Staatspräsident Sylvanus Olympio, nach Berlin. Er war zugleich der letzte Staatsgast vor dem Mauerbau. Den Ostsektor bezogen die Gestalter der Besuche aus Sicherheitsgründen nicht mehr in ihre Pläne ein. Darüber hinaus hatte sich die Trennung im Denken der ausrichtenden Beamten bereits verfestigt, so dass die Demarkationslinie schon vor dem Bau der Mauer und der Errichtung von Besichtigungstürmen im offiziellen Teil der Besuche nicht mehr überschritten wurde. Zudem ließ sich eine undurchlässige Grenze möglicherweise vor den medialen Beobachtern besser dramatisieren. Schließlich entzog man damit der DDR die Möglichkeit, Gäste der Bundesrepublik offiziell in der DDR willkommen zu heißen.124 Inkognito hingegen sollten Gäste oder Mitglieder der Besucherdelegation durchaus über die Sektorengrenze geführt werden, da der unmittelbare Kontrast große Wirkung zeigen könne.125 Die Grenze erschien im Rahmen von Staatsbesuchen schon vor dem 13. August 1961 nicht mehr durchlässig, sondern als Einschnitt und tiefe Kluft. Am Brandenburger Tor und anderen
121 Vgl. Ladd, S. 13. 122 Vgl. Notiz mit handschriftlichem Vermerk Klein, 28.4.1961, LAB, B Rep. 002, Nr. 3492. 123 Vgl. BA, B145, Bild-F005579. 124 Vgl. Aufzeichnung von Braun, 2.5.1961, PA, B8, Bd. 254. 125 Vgl. Ref. 700 an Ref. 100, 3.8.1959, PA, B8, Bd. 646; Aufzeichnung von Braun, 2.5.1961, PA, B8, Bd. 254; Oncken an Ref. IA4, 18.6.1965, PA, B38, Bd. 153, Fiche 3, p. 203.
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Grenzübergängen blieb der westdeutsche Staatsgast schon vor dem Mauerbau stehen statt hindurchzugehen. Während die amtlichen Bonner Stellen mit Zunahme der politischen Reisen nach Berlin 1956 auch auf die Darstellung der Teilungsproblematik drängten, versuchten die West-Berliner Repräsentanten, zumindest in den fünfziger Jahren Berlin vorzugsweise als prosperierende, im Vergleich mit dem Osten überlegene Metropole darzustellen und nicht als leidende Stadt. Entsprechend standen Industrievisiten bei AEG, Siemens und Telefunken sowie Beispiele des städtischen Wiederauf baus, die Siedlungen Lindenhof und Britz, bzw. modernen Bauens, Hochhäuser in Lankwitz, das Hochhaus Roseneck und das Telefunken-Hochhaus am Ernst-Reuter-Platz, im Vordergrund. Dieses Darstellungsinteresse deckte sich nur in Teilen mit den Vorstellungen des Auswärtigen Amtes, das versuchte, die Präsentation Berlins nicht auf Neubauten, sondern deutlicher auf die deutsche Teilung zu konzentrieren. »Viel wichtiger wäre« es, so der Gesandte von Lieres, das »Brandenburger Tor und den Potzdamer [sic] Platz« in das Programm einzubeziehen. »Das zeigen die Berliner nicht gern, es interessiert aber doch, zu sehen, wo praktisch Asien beginnt.«126 West-Berlin galt den Bonnern immer noch als »lebendige Leistung der deutschen Wirtschaft«, denn der wirtschaftliche Erfolg West-Berlins konnte die Zusammengehörigkeit mit der Bundesrepublik nur unterstreichen. Aber ins Zentrum der Aufmerksamkeit sollten die Teilung und die Grenzerfahrung rücken, die letztlich in den sechziger Jahren durch den Mauerbau von östlicher Seite einen institutionellen Rahmen fand. Unter dem Einfluss des Auswärtigen Amtes akzentuierten die Berliner Stadtrundfahrten zunehmend Gesichtspunkte, die Bonn einforderte. Das gedruckte Programm für den Besuch William Tubmans 1956 kündigte die Stadtrundfahrt dann zwar als »Stadtrundfahrt mit Besichtigung der Auf bauarbeiten« an, magistratsintern vermerkte man aber die Schwerpunkte »Reichstag/Kongresshalle/Potsdamer Platz/Allgemeine Ost-Westlage«.127 Zeitgleich kamen auch in der Berliner Presse Stimmen auf, die auf eine Visualisierung der Teilung drängten.128 Während auf der höchsten Besuchsebene die Trias »System – Ruinen – Grenzen« gegenüber »Auf bau – Schnellstrassenbau« hinreichend vertre126 Arbeitsbesprechung Protokoll, o.D., PA, B8, Bd. 128. Die westdeutsche Sichtweise, dass auf der östlichen Seite des »Eisernen Vorhangs« Asien die Herrschaft angetreten habe, belegt Wolfrum schon für 1950, vgl. Wolfrum, Deutsche Frage, S. 389. 127 Druckprogramm Berlin, PA, B8, Bd. 130; Notiz für Klein, 8.10.1956, LAB, B Rep. 002, Nr. 3570. Vgl. LAB, Foto 49745. Fotografien zeigen Tubman vor dem Reichstag und am Potsdamer Platz, vgl. LAB, Foto 49745 u. 49749; BA, B145, Bild-F004018-0026A u. Bild-F0040180027A. 128 Auf der Suche nach einer historischen Analogie wurde der Tagesspiegel in der Weimarer Republik fündig und verglich den »Blick durch das Brandenburger Tor nach Osten« mit Besuchen des Polnischen Korridors, Von Hoover zu Nehru, Der Tagesspiegel, 7.2.1956.
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ten schien,129 impliziert die wiederholte Kritik des Auswärtigen Amtes an den Berliner Stadtrundfahrten, dass die Berliner bis 1960 nicht in allen Punkten den Bonner Wünschen entsprochen hatten. Wenngleich sich diese Kritik nicht auf Besuche auf höchster protokollarischer Ebene bezog, sondern andere Besuche prominenter ausländischer Persönlichkeiten betraf, ist sie auch für die Staatsbesuche aufschlussreich. Denn in den »Anregungen« wird die Deutungsmacht erkennbar, die das Auswärtige Amt für Berlin beanspruchte. Dessen Berliner Dienststelle hatte beim Berliner Protokollchef angeregt, »den Ablauf der Stadtrundfahrten […] zu überdenken«. Anlass war eine Stadtrundfahrt, die »nicht den Erwartungen« einer Gruppe österreichischer Politiker entsprochen hatte, da sie »Vergleichsbilder an der Sektoren- und Zonengrenze« vermissen ließ. Auch bei vorangegangenen Besuchen hätten sich Delegationen bereits über die »unpolitische Art der […] Reiseleiter verstimmt« geäußert.130 Die Berliner hatten die von Bonner Beamten propagierte kontrastive Bebilderung ebenso wenig angenommen wie den Schwerpunkt der Teilung. Damit erfüllten sie weder die Erwartungen der Bundesregierung noch die der ausländischen Gäste, die wohl schon vor dem Mauerbau die räumliche Trennung Berlins in ihren Köpfen vollzogen hatten, wenn sie ein »Schwergewicht auf die insulare Lage und die demonstrativen Schnittstellen durch Berlin« einforderten.131 Diese kritischen Bemerkungen bewirkten ein Umdenken in Berlin. Zum einen sollte zukünftig die Schulung der Stadtführer stärker auf politische Belange ausgerichtet werden.132 Zum anderen entwarfen die Berliner eine neue »Dramaturgie« der Stadtrundfahrt inklusive einer Einleitung, die Berlin als »kennzeichnend für [die] Situation Deutschlands im Spannungsfeld zwischen Ost und West« skizzieren sollte. Diese Stadtrundfahrt favorisierte die kontrastive Bebilderung. Die Sektorengrenze mit Potsdamer Platz und Brandenburger Tor bot Gelegenheit, Verkehrsprobleme zwischen Ost- und Westteil anzusprechen. Dass die Sektorengrenze einmal zur Staatsgrenze erklärt werden könnte, wurde hier schon explizit bedacht. Die Zonengrenze in Rudow, wo Eisenbahnschienen aus dem Boden gerissen waren, oder in Lichtenrade, wo die Fernverkehrsstraße nach Dresden mit einem Bretterzaun vernagelt war, illustrierten die Insellage und damit die Abtrennung vom Hinterland mit allen Konsequenzen. Bretterzäune oder der zugemauerte Ausgang im Postamt W9 waren Vorboten der räumlichen Barriere, die ein gutes halbes Jahr später die 129 Handschriftliche Überlegungen zum Berlin-Besuch Bayars 1958, o.D., BA, B122/525. 130 Dienststelle Berlin an Klein, 31.5.1960, LAB, B Rep. 002, Nr. 8004. 131 Klein an Schultze, 31.5.1960, LAB, B Rep. 002, Nr. 8004. 132 Vgl. Wolff an Klein, 7.7.1960, LAB, B Rep. 002, Nr. 8004. Was theoretisch neu durchdacht wurde, fand seine Grenzen in der Umsetzung. Die Begeisterung der Stadtführer für den Wiederauf bau verzögerte die Akzentverschiebung, vgl. Klein an Chef Senatskanzlei, 19.9.1960, LAB, B Rep. 002, Nr. 8004.
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Teilung der Stadt zementierte. Berlin verzichtete bei seiner Selbstdarstellung zwar nicht auf die Neubauten oder auf die Demonstration wirtschaftlicher Prosperität, doch sollte sie sich »auf wenige Schwerpunkte beschränken«. Zudem wurden die städtebaulichen Sehenswürdigkeiten oftmals unter der Per spektive der Teilungsproblematik präsentiert: Im Universitätsviertel in Dahlem sollte der Gast etwas über die Studienmöglichkeiten für die Ost-Jugend erfahren; beim neu gebauten Bahnhof Zoo thematisierte der politisierte Stadtführer idealiter den Interzonenverkehr und das Währungsgefälle in den Wechselstuben.133 Die politischen Rundfahrten sollten zudem auf die Interessen und Besonderheiten der Besucher abgestimmt werden, die der Senat über das Auswärtige Amt erfahren konnte, das seine Autorität für die Arrangements politischer Besuche damit erfolgreich behauptet hatte.134 In dieser politisierten Optik blieben jene Berliner Neubauten im Programm der Staatsbesuche, die zur Strategie der visuellen Kontrastierung passten: So galt das im Zuge der Internationalen Bauausstellung 1957 von bekannten Architekten gebaute Hansa-Viertel als sehenswert. Es verzichtete auf gestalterische Formen, die an totalitäre Herrschaftsformen hätten erinnern können, und setzte damit gezielt einen Kontrapunkt zur Stalinallee auf Ost-Berliner Seite. Entsprechend bewerteten westlich orientierte Politiker und Architekten die Neubauten als Verkörperung des »freien« Berlins, das für Freiheit, Individualität und eine »nonauthoritarian order of democracy and the marketplace« stand, in Abgrenzung zum »demokratischen« Berlin des Ostens.135 Schon vor dem Mauerbau kompensierten die West-Berliner Stadtplaner, deren Entwürfe den gesamten Stadtbereich einbezogen, den drohenden Verzicht auf das alte Stadtzentrum im Osten der Stadt mit dem Ausbau der Gegend um den Kurfürstendamm.136 Dieses neu geschaffene Zentrum war nicht aus Traditionen erwachsen, sondern atmete den Geist des Kalten Krieges. Der Kurfürstendamm wurde zum »genuine capitalist showcase«.137 Abseits politisch repräsentativer und traditioneller Architektur entstand ein städtisches Zentrum, das sich dem Konsum verschrieben hatte. Das 1957/58 gebaute Café Kranzler etwa sicherte den gastronomischen Konsum, der 1953 neu errichtete Gloria-Filmpalast sowie der 1957 eröffnete Zoopalast den von cinematographischen Bildern aus aller – vor allem westlicher – Welt. Hermann Tietz’ 1907 geschaffenes Kauf haus des Westens138 öffnete 1950 wieder seine Pforten und galt als sicht133 Vgl. Vorlage von Selchow für Klein, 9.12.1960, LAB, B Rep. 002, Nr. 8004. 134 Vgl. Protokoll Besprechung, 23.12.1960, LAB, B Rep. 002, Nr. 8004. 135 Ladd, S. 188. 136 Dies geschah nicht erst nach dem Mauerbau, wie von Ladd angenommen, vgl. ebd., S. 180f. Dabei blieb West-Berlin stets »einer großzügigen, durchaus auf Repräsentation ausgerichteten Hauptstadtplanung verhaftet«, Süß, S. 219. 137 Ladd, S. 181. Vgl. zu Berlin als »Schaufenster« im Kalten Krieg Lemke, Schaufenster. 138 Vgl. Ladd, S. 112f.
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bares Plädoyer für die Freiheit, im Sinne der Konsumfreiheit und Freizügigkeit des Warentauschs, indem es der Berliner Insellage mit einem überquellenden internationalen Warenangebot trotzte. Das Europa-Center an der Gedächtniskirche ergänzte den Kult der Warenwelt: Auf seinem Dach prangte weithin sichtbar das Logo einer Automarke, ein Mercedes-Stern,139 der zugleich auch zum Symbol des westlichen Kapitalismus wurde. In welchem ausgeprägten Maß die West-Berliner dieses Gebiet zwischen dem Ernst-Reuter-Platz und dem Wittenbergplatz als »Spiegel ihrer neuen Nachkriegsidentität«140 ansahen, zeigt eine Auseinandersetzung um die Fahrtroute John F. Kennedys in der Berliner Abendschau Anfang Juni 1963.141 Die Radiosendung kritisierte, dass die Fahrtroute den amerikanischen Präsidenten »an Berlin vorbei« führe, und hatte insofern Erfolg, als Brandt sich persönlich beim amerikanischen Botschafter für eine Änderung der Route einsetzte. »Berlin« meinte hier den Ernst-Reuter-Platz, das Zoo-Viertel, die Gedächtniskirche und den Kurfürstendamm. Interessanterweise kamen in dieser Auseinandersetzung vor allem ausländische Berichterstatter ausführlich zu Wort. Sie weist die politische Topographie nicht nur »als Medium der Selbstdarstellung der Besuchten«142 aus und verdeutlicht, dass neben Westdeutschen und WestBerlinern ausländische Beobachter, v.a. amerikanische Medienvertreter, an der Entstehung und Verbreitung von Berlinbildern beteiligt waren. General Clay befürchtete, Kennedy werde Berlins »Herz nicht schlagen sehen«. Auf dieselbe Metaphorik griff Gary Stint vom Sender ABC zurück, als er den Kurfürstendamm als »Herz dieser Stadt« bezeichnete. Das Statement eines französischen Journalisten implizierte ebenfalls das Bild des Herzens, als er den Kurfürstendamm mit den Champs-Élysées verglich, der Vorzeigemeile der französischen Hauptstadt. Der Kurfürstendamm stellte demnach in den sechziger Jahren das Gegenbild zu Ost-Berlin dar. Er gab den Blick auf das frei, was West-Berlin in eigener wie der Fremdwahrnehmung ausmachte. Das Bild vom pulsierenden West-Berlin entstand stets nur komplementär zum Bild der geteilten Stadt, das in den sechziger Jahren die Vorstellungen von Berlin dominierte. 1962 besaßen ein Drittel aller Bundesbürger eine Anstecknadel des KUD mit dem Brandenburger-Tor-Emblem. Mit dem Bau der Mauer hatte die Teilung auch ihr Symbol gefunden, das sofort erfolgreich war: Bei der Nennung Berlins dachten 1963 über die Hälfte der Westdeutschen spontan
139 Vgl. ebd., S. 181. 140 Daum, Kennedy, S. 95f., Zitat S. 95. Daum überstrapaziert die vorliegenden deutschen Quellen, nämlich eine Sendung der Berliner Abendschau, wenn er von »auf kommenden Protesten« unter den West-Berlinern spricht. 141 Auch für die Folgezitate: Mitschrift Berliner Abendschau, 19.25 h, 5.6.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 3657, Bd. 2. 142 Daum, Kennedy, S. 95.
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an die Mauer.143 Die West-Berliner konnten den Gästen laut Egon Bahr nach dem 13. August 1961 »objektives Material« vorführen und den Beweis erbringen, dass Mauer und Teilung existierten. Einige Besucher, so Bahr, hätten vor ihrer Berlinreise die Mauer allein als Metapher betrachtet, als »etwas im übertragenen Sinne«.144 Die Mauer symbolisierte die Teilung Deutschlands und Europas sowie die Folgen dieser Teilung: die räumliche Trennung von West und Ost und die Aufspaltung in zwei unterschiedliche Erfahrungsräume.145 In der Rhetorik des Westens stellte die Mauer als »Schandmauer« einen Anachronismus dar, für den Osten als »antifaschistischer Schutzwall« ein Mittel, anachronistische Kräfte fernzuhalten.146 Der Westen akzentuierte die Mauer zudem als Ort des Todes (von Zivilisten)147 und als Ort des Gedenkens an den Tod. Der gewaltsame Tod der Flüchtlinge verwies in westlicher Lesart auf die Unnatürlichkeit der Teilung und im Umkehrschluss auf die Natürlichkeit der deutschen Nation.148 Die Vorstellungen von der Mauer entstanden und wandelten sich im Zuge von Handlungen an der Mauer. Angesichts einer Vielfalt von Bildern, welche die Mauer suggerieren konnte, verwundert es nicht, dass Berlin als Lehrort für die politische Gegenwart verstanden wurde. Berliner wie Bonner Gastgeber setzten auf das »Erlebnis Berlin«149 und wählten die Blickpunkte, Bildausschnitte sowie die Wahrnehmungsmodi aus – zu Fuß, per Bus, mit oder ohne Halt –, die dieses Erlebnis begründeten. Sechs Orte konstituierten bis Anfang der siebziger Jahre die Mauererfahrung: Checkpoint Charlie, der Potsdamer Platz, das Brandenburger Tor, der Reichstag, die Bernauer Straße und diverse Mauermahnmale. Es sind jene Orte, die auch zu den Standardmotiven der Pressefotografie wurden.150 Aus ihnen sollten nicht nur die Gäste ihr Bild der Mauer zusammensetzen, sondern an ihnen setzten sich auch die Gäste in Szene und lenkten damit zugleich den Blick der internationalen Medienöffentlichkeit auf die Mauer. Die westliche Präsentation gegenüber ausländischen Gästen rückte die Undurchlässigkeit der Mauer noch an ihren durchlässigsten Stellen in den Mittelpunkt. Mit dem Mauerbau hatte sich die Zahl der Übergänge zwischen Ost- und West-Berlin deutlich verringert, entsprechend konzentrierte sich die 143 Vgl. Wolfrum, Mauer, S. 556f. 144 Mitschrift eines Interviews mit Egon Bahr, BPA, Abt. Nachrichten, Rundfunkaufnahme, Dt. Gruppe West, DLF, 18.7.1962, 19 h, BPA-DOK 4550. 145 Vgl. zum symbolischen Gebrauch der Mauer durch Amerikaner sehr kursorisch Bruner. 146 Vgl. Ladd, S. 22f. 147 Im Osten fand ein ähnlicher Prozess statt, allerdings gedachte man der regimekonformen toten Grenzsoldaten, vgl. ebd., S. 24. 148 Vgl. ebd., S. 23f. u. 30. 149 H.T. Häfner, Jeder einmal nach Berlin!, Allgemeine Zeitung, 19.5.1962, vgl. auch Mitschrift eines Interviews mit dem Berliner Parlamentspräsidenten Otto Bach, NDR, Blickpunkt Berlin, 16.1.1962, 18.30 h, BPA-DOK 4550. 150 Vgl. Ladd, S. 22.
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Aufmerksamkeit auf diese wenigen Übergänge, bei Staatsbesuchen vor allem auf Checkpoint Charlie, den Übergang für Ausländer. Seitdem sich dort am 27. Oktober 1961 amerikanische und sowjetische Panzer kampf bereit gegenübergestanden hatten, war Checkpoint Charlie der plastische Beweis dafür, dass in Berlin ein Konflikt kulminierte, der weite Teile der Welt umspannte. Der nominell durchlässige Übergang wurde semantisch als Ort der Konfrontation aufgeladen und markierte nun einen unüberwindbaren Einschnitt. Diesen Charakter des Einschnitts betonten exemplarisch die Praktiken beim Kennedy-Besuch, als Kennedy langsam auf die weiße Grenzmarkierung zuging, ohne sie jedoch zu übertreten.151 Anders als noch 1961 entfiel 1963 die situative militärische Konfrontation, an ihre Stelle war eine rituelle Form der Konfrontation getreten. Kennedys Besuch am Checkpoint Charlie kam einer rituellen Bestätigung der Trennlinie zwischen den beiden Systemen im Kalten Krieg gleich, im Einvernehmen mit der DDR. Zwar hatte die DDR-Führung wie auch am Brandenburger Tor Spruchplatten aufstellen lassen und damit den Besuch im Westteil für die eigene Selbstdarstellung genutzt, zugleich aber auch, wie von den Amerikanern gewünscht, auf der Ost-Berliner Seite der Mauer das Unkraut gejätet und damit eine telegene Bühne bereitet.152 Symbolisierte Checkpoint Charlie die »heiße« Konfrontation im Kalten Krieg, war der Potsdamer Platz, schon 1956 Teil des Besuchsprogramms von William Tubman, eine beredte Leerstelle für das »alte« Berlin, dessen Ende der Mauerbau ein weiteres Mal besiegelt hatte.153 Wie sehr sich der Westteil der Stadt nach dem Mauerbau von dem ehemaligen Verkehrsknotenpunkt, einem Symbol für Tempo und Modernität, ablöste, offenbarte sich bei der Bebauung der Westseite des Platzes mit dem Kulturforum, das neben Museen auch Veranstaltungsorte wie die Philharmonie einschloss. Mit diesen Neubauten wandte sich, unterstützt durch eine neue Straßenführung, die Aufmerksamkeit vom Potsdamer Platz ab, der damit zum »significant void« wurde, »notable for what is not there«.154 Der Platz war ein sichtbarer Beleg für die trennende Kraft der Mauer, die nicht nur Menschen voneinander separierte, sondern als »physical and symbolic barrier stemm ing the motion of modernity« zwei unterschiedliche Entwicklungszonen in Ost und West schuf.155 Ähnlich wie der Potsdamer Platz erfuhr das Brandenburger Tor in der Nachkriegszeit einen signifikanten Bedeutungswandel. Vom »Symbol für die 151 Vgl. hierzu die Diskussion in der deutschen Presse: Das Streiflicht, SZ, 7.5.1963; Lücken im Protokoll, Der Spiegel, 5.6.1963; C. am Ende, Bis auf fünf Zentimeter an den weißen Strich, FAZ, 26.6.1963; H. Schuster, Kennedy am Kreidestrich, SZ, 27.6.1963. 152 Vgl. dazu Daum, Kennedy, S. 119. 153 Vgl. zum Potsdamer Platz als Symbol Bellmann; Frank; Mattenklott/Mattenklott; van der Ree. 154 Ladd, S. 115. 155 Ebd., S. 118 u. 120.
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Verbindung preußischer Monarchie und deutscher Nationalidee« wandelte es sich im Zuge der Spaltung der Stadt zum »Symbol für die Teilung der Welt überhaupt«: »Ein verschlossenes Tor, das nicht mehr passiert werden kann – das hatte eine bildliche Evidenz, die […] jede weitere Erläuterung überflüssig machte.«156 Der ehemals transitorische Raum war ein visuelles Memento der verlorenen nationalen Einheit. Alle drei bislang genannten Orte gehörten zum Standardprogramm bei Staatsbesuchen. Nach dem Mauerbau entstanden in Zusammenarbeit mit den drei Alliierten an allen drei Orten Besichtigungstürme oder Podeste – für den Kennedy-Besuch erneuerten und vergrößerten die Briten die Aussichtsplattform am Brandenburger Tor, die Amerikaner bauten einen neuen Beobachtungsstand am Checkpoint Charlie157 –, die den Blick auf diese Orte und ihre Umgebung über die Mauer hinweg frei gaben und zugleich ihre Unberührbarkeit unterstrichen. Die Blickmöglichkeiten auf der westlichen Seite bildeten Pendants zu den Beobachtungstürmen auf der Ostseite. Der Ostsektor wurde zur anderen Seite, die der Gast nur noch von einem West-Berliner Standpunkt aus in Augenschein nehmen konnte. Versteht man den Blick wie Peter Burke, gestützt auf den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan, als Standpunkt, bringt ein Blick immer auch eine Haltung zum Ausdruck. Mit Burke lassen sich die Blicke über die Mauer – zusätzlich zu dem schon erwähnten sehnsuchtsvollen Blick – als eine Distanzierung zum Anderen verstehen, die sich durch den Blick konstituiert.158 Bildtafeln mit Erläuterungen, der Einsatz von Feldstechern und Zeigegesten akzentuierten sichtbar den Akt des Beobachtens.159 Die DDR wusste ebenfalls um die sinnliche Seite der Konfrontation: So ließen sich die Behörden einiges einfallen, um zu verhindern, dass die Bewohner Ostdeutschlands den Kennedy-Besuch visuell und akustisch wahrnahmen. Hausobleute sollten während der West-Berliner Radio- und Fernsehübertragung Wohnungsbesuche machen, neue Störsender den Empfang der Sendungen erschweren und kommunistische Organisationen wie die FDJ zeitgleich Versammlungen abhalten, damit möglichst viele DDR-Bürger »abgelenkt« würden.160 Die West-Berliner planten als Gegenmaßnahme die Offenlegung 156 Seibt, S. 81 u. 83. 157 Vgl. zum Brandenburger Tor: Aufzeichnung Kettlein, 20.5.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 11163, Bd. 1; Vermerk Dundalski, 17.6.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 11163, Bd. 2. Vgl. auch Daum, Kennedy, S. 105. Vgl. zum Podest am Checkpoint Charlie BA, B145, Bild-P085282. 158 Peter Burke beschreibt das Konzept des Blicks so: »Der Blick bringt häufig Haltungen zum Ausdruck, derer sich der Betrachter nicht unbedingt bewußt ist, seien es Haßgefühle, Ängste oder Begehren, die auf den anderen projeziert werden.« Burke, S. 140, vgl. zu den Blicken über die Mauer: S. 140–143. Vgl. zur Architektur- und Symbolgeschichte der Mauer Diers, Mauer. 159 Vgl. zu den Besuchen am Potsdamer Platz z.B. BA, B145, Bild-F020871-0020A, Bild-F022792-0005, Bild-P107248; LAB, F 113703. 160 StS BKamt, i.A. Bachmann, an BPA, 10.6.1963, BA, B145/3373.
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Abb. 4: John F. Kennedys Blickkonfrontation am Brandenburger Tor 1963
der DDR-Absichten sowie Live-Übertragungen im Osten161 und erwogen bei akustischen Störmanövern sofortige Gegenaktionen mit dem Großlautsprecherwagen des »Studios am Stacheldraht«.162 Damit die eigene Bevölkerung und der Staatsgast beim Kennedy-Besuch nicht ungeh indert über die Demarkationslinie blicken konnten, versperrten die DDR-Behörden den Blick durch das Brandenburger Tor mit Stoff bahnen, die zwischen den Säulen des Tores angebracht waren.163 Sie prägten damit zugleich das Bild, das sich die Gäste und ihre medialen Beobachter von der Situation an der Grenze machten. Die Arrangeure dieses visuellen Coups versahen das Brandenburger Tor mit den Nationalsymbolen der DDR und demonstrierten so den ostdeutschen Anspruch auf Eigenstaatlichkeit. Zwischen den beiden mittleren Säulen des Brandenburger Tors prangte die DDR-Flagge, zwischen den übrigen Säulen waren Banner in Rot, der symbolischen Farbe des Kommunismus, gespannt. Mobile Tafeln mit Zitaten der amerikanischen Präsidenten auf den Konferenzen in Jalta und Potsdam wurden während Kennedys Aufenthalt am Brandenburger 161 Vgl. Kettlein an Steigner, 10.6.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 4080. 162 Vgl. Kettlein an Müller, 23.6.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 11163, Nr. 2. 163 Vgl. BA, B145, Bild-F015831-0015.
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Tor in sein Blickfeld geschoben, um bald wieder den Blicken entzogen zu werden.164 In diesen Momenten bestimmte die DDR, was ihre Beobachter sahen, und nutzte die Bühne, die der Besuch bot, für eigene Darstellungsstrategien. Dass die DDR sich in den Besuch einschaltete, kam für die Bonner Regisseure nicht überraschend, da dies auch bei früheren Besuchen bereits geschehen war.165 Sie wussten um die provokative Note der Mauerfahrten und spekulierten sogar darauf, dass die Handlungen auf der Westseite vom Osten her genau beobachtet würden und es zu einer Blickkonfrontation kam.166 Entsprechend konnte sich ein kurzfristig in Berlin ersonnener Vorschlag nicht durchsetzen, die »östlichen Gegenmaßnahmen zu durchkreuzen«, indem Kennedy von einem anderen Punkt aus »in den Ostsektor blicken« sollte.167 Im Nachhinein wirkte sich diese Form der Blickkonfrontation positiv für die Bundesrepublik aus, da sie einen bleibenden Eindruck bei allen Beteiligten und Beobachtern hinterließ.168 Die Mitwirkung der DDR erwies sich damit als bedeutender Bestandteil der westdeutschen Inszenierung. Beim Besuch der britischen Königin 1965 hatten West- und Ost-Berliner durch das Brandenburger Tor hindurch freie Sicht. Einige Fotos dokumentieren zivile und militärische Beobachter des Besuchs auf der Ostseite des Brandenburger Tores.169 Militärische Beobachter der DDR finden sich häufig als ungewollte Überlieferung auf den Fotografien, die eigentlich den Staatsgast bei seinem Blick über die Mauer zeigen sollten.170 Ebenso erwähnten Artikel in den Berliner Tageszeitungen bisweilen zivile Beobachter auf östlicher Seite.171 Als vierter Ort war der Reichstag charakteristisch für die skizzierte Praxis des Blicks, vor dessen Überresten sich William Tubman als erster Staatsgast 1956 ablichten ließ.172 Doch nicht die Front des Reichstags sollte zur fotografischen Ikone bei Staatsbesuchen werden, vielmehr reüssierte der Reichstag als Aussichtspunkt, da seine Balkone auf der Ostseite den Blick auf die Mauer und das Brandenburger Tor freigaben. In den sechziger Jahren gehörte es für die Gäste zu den Standards der Berlinbesuche, sich beim Anblick der Mauer und des Brandenburger Tores von Fotografen und Kameraleuten ablichten zu lassen. Die Beobachter wurden selbst bei der Beobachtung beobachtet. Häufig 164 Filmaufnahmen dokumentieren den ephemeren Charakter dieser Tafeln, vgl. »Deutschland grüßt Kennedy«, BA/FA, Mag.nr. 163982. Vgl. auch die Fotografien in Artus, S. 80; Presseund Informationsamt, Ein großer Tag, S. 11. 165 Beim Besuch Robert F. Kennedys im Februar 1962 regnete es rote Ballons und Fähnchen aus Ost-Berlin, vgl. Daum, Kennedy, S. 106. 166 Vgl. z.B. Aufzeichnung Müller, 19.4.1963, BA, B145/3118. 167 Vermerk, 25.6.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 7046. 168 Vgl. Drahtbericht Lilienfeld, Washington, 5.7.1963, PA, B8, Bd. 499. 169 Vgl. BA, B145, Bild-F020417-0003A u. Bild-F020417-0007A. 170 Vgl. z.B. BA, B145, Bild-F013788-0048 u. Bild-F020408-0021. 171 Vgl. z.B. L. Holz, Mit roter Tinte ins goldene Buch eingetragen, Der Tagesspiegel, 24.5.1962. 172 Vgl. LAB, Foto 49745; BA, B145, Bild-F004018-0027A.
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betonte ein gen Osten ausgestreckter Arm des Gastes oder eines westdeutschen Begleiters die Blickrichtung. Untheatralische Aufnahmen, die an Touristenfotos erinnern und lächelnde Staatsgäste an einem der geschilderten Orte zeigen, sind äußerst rar,173 vermutlich deshalb, weil sie dem Pathos zuwiderliefen, das Berlinbesuchen eignen sollte. Die Inszenierung der Fotografien korrespondierte mit den pathetischen Reden von der deutschen Teilung, die offizielle Vertreter der Bundesrepublik in den sechziger Jahren zu halten pflegten, und mit den stark emotionalen Auftritten ausländischer Staatsmänner, die sich von der Teilung gerührt zeigten.174
Abb. 5: Der Blick vom Reichstag beim Besuch Philibert Tsirananas 1962
Eine andere Form von Pathos ermöglichten die Besuche an der Bernauer Straße, deren Häuser auf der östlichen Straßenseite durch einen historischen Zufall die Sektorengrenze markierten. Die Hauswände bildeten einen Teil der Mauer. Nach mehreren spektakulären Fluchtversuchen, bei denen vier Menschen starben, wurden die Gebäude Mitte der sechziger Jahre bis auf die Fassade abgerissen und bildeten bis in die achtziger Jahre hinein an dieser Stelle die Mauer.175 173 Vgl. z.B. das »Touristenfoto« des nepalesischen Königspaars 1964 vor dem Brandenburger Tor, BA, B145, Bild-P087554. Diese Gäste hatten dem Mauerbesuch zudem durch einen sich unmittelbar anschließenden Einkaufsbummel einen Routinecharakter verliehen. 174 So seien dem Staatspräsidenten von Kongo, Mobutu, 1969 beim Anblick der Mauer »fast die Tränen in die Augen gestiegen«, Aufzeichnung Neumann, 31.3.1969, PA, B8, Bd. 1602. 175 Vgl. Ladd, S. 33f. u. Wyden, S. 128f.
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Die Bernauer Straße sollte den Gästen die menschliche Seite der Teilung drastisch vor Augen führen und entwickelte sich zugleich schon früh zum Ort des Gedenkens an die Opfer der Mauer. Aufgrund dieser inszenatorischen Qualitäten gab Brandt der Bernauer Straße den Vorzug vor allen anderen Orten an der Mauer und sprach sich, wenn auch letztlich erfolglos, beim Kennedy-Besuch dezidiert für einen Besuch dort aus.176 Offiziell fiel der Besuch aus Zeitgründen aus. Doch Mitglieder der US-Mission kolportierten, das Weiße Haus fürchte Fotos »vor den toten Fassaden der Bernauer Straße«, die Republikaner im nächsten Wahlkampf als Dokumente für Kennedys Versagen im Kampf um Berlin nutzen könnten.177 Andere Gäste wünschten einen Besuch der Bernauer Straße. Den zyprischen Präsidenten und Erzbischof Makarios erwartete dort eine eigentümliche Mischung aus Gedenken und Massenveranstaltung. Er besuchte das Gedenkkreuz für Ida Siekmann, eine 59-jährige Ost-Berlinerin, die wenige Tage nach dem Mauerbau in der Bernauer Straße bei einem Fluchtversuch in den Tod gesprungen war. Dieser Akt des Gedenkens nahm theatralische Züge an. Er fand unter den Augen einer Vielzahl von Menschen statt, die schon bei der Ankunft des Politikers »begeistert zu applaudieren« begonnen hatten und ihm nach dem Gedenkakt ein Bad in der Menge gestatteten.178 Nach Makarios besuchten viele Gäste die Bernauer Straße. Indem die ausländischen Gäste den Fluchtopfern ihre Aufmerksamkeit entgegenbrachten, zeigten sie ihre Anteilnahme am Leid der Bevölkerung. Damit sicherten sie sich wiederum die Aufmerksamkeit der Medien.179 Ähnlich wie das Brandenburger Tor oder der Potsdamer Platz betrachteten die Berliner und Bonner Besuchsregisseure auch die Bernauer Straße als Symbol, das keiner weiteren Interpretation bedurfte. Auch die Presse war sich der Wirkung der Bernauer Straße sicher: »Wer noch kein Antikommunist war, kann es hier werden.«180 Freilich hatten Protokoll und Presse ihre Rechnung bisweilen ohne die Gäste gemacht. Denn nicht allen erschloss sich die Aussagekraft der Bernauer Straße in der gewünschten Weise. Für den Besuch des nepalesischen Königs musste der Leiter der Abteilung I des Auswärtigen Amtes, Jansen, konsterniert resümieren, dass zumindest die Begleitung des Königs 176 Vgl. Aufzeichnung Kettlein, 20.5.1963, LAB, B Rep. 002, Nr. 11163, Bd. 2. Vgl. auch Daum, Kennedy, S. 92f. 177 Lücken im Protokoll, Der Spiegel, 5.6.1963. 178 L. Holz, Mit roter Tinte ins Goldene Buch eingetragen, Der Tagesspiegel, 24.5.1962. Vgl. LAB, Foto 82699. 179 Der Rekurs auf die Fluchtopfer diente auch der Selbstdarstellung der Besucher. Dies verdeutlicht eine Programmänderung beim Besuch Makarios’, der einen Schüler, der bei seiner Flucht schwer verletzt worden war, medienwirksam im Krankenhaus besuchte, vgl. Makarios bei dem verletzten Schüler, Der Mittag, 25.5.1962; Foto, General-Anzeiger, 25.5.1962. 180 Jeder einmal an der Mauer, Frankfurter Neue Presse, 13.1.1962.
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bei der Durchfahrt die zugemauerten Häuser für »Erinnerungsstücke an den Kampf um Berlin mit den Sowjetrussen« gehalten habe. Eine »Besichtigung zu Fuß« wäre womöglich informativer gewesen.181 Das Beispiel zeigt, dass sich letztlich die Wirkung des detailliert geplanten Programms auf die Gäste nie ganz vorhersagen oder gar kontrollieren ließ. Die Gäste reisten mit eigenen Vorstellungen von Berlin an und nahmen die Stadt auf ihre Weise wahr, in diesem Fall als Schauplatz des Zweiten Weltkriegs und seines Endes. Die zitierte Passage verdeutlicht darüber hinaus die Bedeutung, welche die Besuchsausrichter den gewählten Praktiken beimaßen. Jansen hätte sich von einer anderen, in diesem Fall langsameren Fortbewegungsart eine andere Rezeption versprochen. Neben der Bernauer Straße entwickelte sich ein Gedenkkreuz für Peter Fechter in der Kreuzberger Zimmerstraße von einem ephemeren Mahnmal zum institutionalisierten Gedenkort, wobei hier, wie auch beim Kreuz für Ida Siekmann, die Schlichtheit des Holzkreuzes mit den aufwändig gestalteten Kränzen, die an diesen Orten niedergelegt wurden, kontrastierte.182 Am 17. August 1962 war der 18-jährige Peter Fechter bei einem Fluchtversuch im Todesstreifen angeschossen worden und unter den Augen der laufenden Kameras und Beobachter vor Ort, die sich außer Stande sahen, helfend einzugreifen, qualvoll verblutet.183 Wegen seines jugendlichen Alters und der dramatischen Umstände seines Todes nahm Peter Fechter rasch eine besondere Stellung im Gedenken an die Mauertoten ein. Möglicherweise schuf der Tod Peter Fechters zudem ein aus westlicher Perspektive treffendes Bild für die eigene Situation: Er gab ein Bild ab für die erzwungene Passivität der Bundesbürger und West-Berliner. Die Geschehnisse jenseits der Mauer ließen sich zwar mit dem Auge und der Kamera beobachten, doch verfügten die westlichen Beobachter letztlich über keine Handlungsmacht im Osten. Nach 1964 verloren die Gedenkorte in Berlin, die sich in unmittelbarer Nähe der Orte des Geschehens befanden, an Bedeutung. Mit der Einrichtung einer zentralen Gedenkstätte am Bonner Hofgarten hatte auch das Gedenken an die Maueropfer einen Platz im politischen Zentrum der Bundesrepublik gefunden. Das Protokoll vertrat die Ansicht, dass das Bonner Ehrenmal sowohl der »Opfer an der Mauer« als auch generell der »Opfer der SBZ« gedenke.184 Die beschriebenen Orte setzten unterschiedliche Akzente an der Mauer. Zu einer Dramaturgie angeordnet, bestimmten sie maßgeblich, wie die Mauer von Gästen und medialen Beobachtern wahrgenommen wurde. Mit unter181 Aufzeichnung Jansen, abschließende Bewertung des Besuchs, 11.6.1964, PA, B8, Bd. 554. 182 Vgl. z.B. LAB, Foto 84125, das die Kranzniederlegung Philibert Tsirananas wenige Wochen nach Fechters Tod zeigt, u. BA, B145, Bild-F019533-0003 (Besuch Park 1964). 183 Vgl. Wolfrum, Mauer, S. 556. Vgl. zur medialen Repräsentation Hamann, Schnappschuss. 184 Vermerk Noebel, 1.6.1964, PA, B8, Bd. 514. Vgl. Zweites Kap., III.3.
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schiedlichen Praktiken wandelten sich auch die Bedingungen dafür, wie die Orte erfahren werden konnten. Während der Gang ein langsames Ausmessen des Raumes implizierte und intensivere Eindrücke ermöglichte, machte eine Busfahrt das geographische Ausmaß der Teilung und die Demarkationslinie als Einschnitt erfahrbar. Das Wenden der Busse an den jeweiligen Grenzpunkten verstärkte die Eindrücke. In welchem Ausmaß aus zeitgenössischer Sicht die Art und Weise eines Mauerbesuchs dessen Bedeutung bzw. die Deutungsmöglichkeiten mitbestimmte, zeigt eindrucksvoll der Besuch der britischen Königin 1965. Für einen Besuch, der nicht als »politische Demonstration gegenüber dem Ostblock, sondern in erster Linie als eine freundliche Geste« gegenüber dem Gastgeber gedacht war,185 mussten die rechten Formen erst gefunden werden. Vor allem die Mauerfahrt warf Probleme auf. Die Briten ließen sich von Bahrs Argumentation überzeugen, »daß wegen der unvermeidbaren Vergleiche mit dem Kennedy-Besuch« die Mauer an mindestens zwei Punkten besucht werden solle186 – Potsdamer Platz und Brandenburger Tor. Der entscheidende Unterschied zum Kennedy-Besuch lag in den Praktiken: Während Kennedy den konfrontativen Blick suchte, erarbeiteten die Briten für ihre Königin »a slightly weird, but perhaps inescapable compromise«:187 Ihr Wagen sollte langsam an der Mauer entlang fahren, dabei das Tempo variieren, aber nicht halten. Am Brandenburger Tor sollte das langsamste Tempo gefahren werden, um Fotos zu ermöglichen. Bildjournalisten kritisierten diese Pläne, da sie die Mauer nur am Potsdamer Platz hätten »richtig mit drauf [aufs Bild, d. Verf.] kriegen« können, wo aber nicht gehalten werden sollte.188 Vor allem interessierte die Frage, ob der Mauerblick wegfallen würde.189 Pressefotografien zeigen Elizabeth II. und ihren Gatten Prinz Philip in einem Wagen mit offenem Verdeck stehend, den Blick auf die Mauer gerichtet.190 Entgegen den Planungen kam es sogar zu einem Halt. Laut Peter Miska hielt der Wagen auf ein Zeichen Prinz Philips »vier, fünf Sekunden«. Der Prinz fotografierte selbst »zum Brandenburger Tor hin – und er winkt nach drüben. Für einen winzigen Augenblick legt einer der Volksarmisten die Hand an die Mütze.«191 Wie beim mexikanischen Besuch 1963 die Ehefrau des Staatsgastes Emotionen zum Ausdruck brachte, die ihrem Mann von Amts wegen verboten gewesen wären, lagen auch in diesem Fall die protokollarischen Hürden für Prinz Phi185 Aufzeichnung Meyer-Lindenberg, 11.2.1965, PA, B8, Bd. 921. 186 Vermerk Bahr, 17.3.1965, LAB, B Rep. 002, Nr. 5275. 187 V. Mulchrone, Queen of a quarter of Berlin, Daily Mirror, 3.5.1965. 188 Berliner Pressekonferenz, 13.4.1965, LAB, B Rep. 002, Nr. 3119, Bd. 1. 189 Vgl. z.B. V. Mulchrone, Queen of a quarter of Berlin, Daily Mirror, 3.5.1965. 190 Vgl. z.B. Fotos zu P. Miska, Der Jubel blieb überall wohltemperiert, FR, 29.5.1965; H.-J. Kausch, Berlin – eine Stadt dankt einer Königin, Die Welt, 29.5.1965. 191 P. Miska, Der Jubel blieb wohltemperiert, FR, 29.5.1965.
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lip weitaus niedriger als für das britische Staatsoberhaupt. Über eine Modifikation der Praktiken hatten die Briten einen eigenen Weg des Mauerbesuchs und -blicks gefunden, ohne sich in die Bildregie der Bundesrepublik zu fügen – und hatten stattdessen mit und ohne Kamera eigene Bilder produziert.
4. Von der Angst vor der Straße zum ausgeblendeten Ort – 1967 bis 1977 Mediale und lokale Aufmerksamkeit und damit zumeist eine gute Publicity waren dem Gast, der sich zu einem Besuch in Berlin entschloss, sicher. Störungen, Provokationen und empfindliche Reakt ionen drohten nur vom Osten, während der Westteil für einen Staatsgast einen Hort der Sicherheit darstellte. Das änderte sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre und veränderte die Gestaltung der Staatsbesuche. In langsamen Schritten näherten sich Bundesrepublik und DDR einander an. Die Bonner Regierung unternahm unter Bundeskanzler Erhard vor nehmlich wirtschaftlich geprägte Entspannungsversuche gen Osten; und ab 1966 nahm die Große Koalition Kontakte mit der DDR auf. Gleichzeitig ent schärfte sich die jahrelang gepflegte konfrontative Aufladung und kämpferische Dramatik der Stadt. Auch in der Rhetorik der Staatsgäste verkörperte Berlin nicht mehr nur akutes, sinnloses Leiden und provozierenden Kampfgeist, sondern wurde 1967 in den Worten des Präsidenten von Elfenbeinküste, Félix Houphouët-Boigny, zur Stadt der duldenden Märtyrer, zur »ville martyr«. In der Logik dieser Metapher opferte Berlin seinen Kampfgeist und die Aussicht auf eine bald ige Wiederzusammenführung beider Stadtteile der westdeutschen Entspannungspolitik. »Geduld« schien die zuvor beschworene Kampf bereit schaft als neue Tugend abgelöst zu haben.192 Mit der neu entdeckten Geduld unterlag zwangsläufig auch die Teilung immer weniger einem Dramatisierungszwang. Dennoch legte das Auswärt ige Amt den Staatsgästen weiterhin Berlinbesuche nahe. Doch an die Stelle der Dramatisierung der Mauer trat die Dramatisierung der Straße. »Störmanöver« drohten aus staatlicher Sicht nicht mehr von der DDR, sondern von der eigenen Bevölkerung. Einige West-Berliner sahen nicht mehr primär die Teilung, sondern den Staatsgast als Problem an. Das Tauschgeschäft Berlinbesuch gegen positive Aufmerksamkeit war an sein Ende gelangt. Nicht mehr der Gast bestimmte die Dynamik der Berliner Ereignisse, sondern zunehmend die Menschen auf der Straße. Dieser Wandel erschloss sich den jeweils Beteiligten erst allmählich. Die große Enttäuschung des Schahs nach seinem Besuch in der Bundesrepublik erklärt sich aus der Diskrepanz zwischen seiner Erwartungshaltung und sei192 Bericht Junges, Abidjan, 24.7.1967, PA, B8, Bd. 1144, der die Rede zusammenfasst.
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nen negativen Erlebnissen.193 Denn nach anfänglichen Bedenken hatte sich Mohammed Reza Schah Pahlavi auf Drängen des Bonner Protokolls, das mit dem Nexus zwischen Besuchserfolg und Berlinreise argumentiert hatte,194 zu einer Reise in die geteilte Stadt zu seinen Konditionen entschlossen. Mit dem Verzicht auf eine öffentliche Erklärung, auf Interviews und ursprünglich auch auf den Mauerbesuch hofften die Iraner auf ein kalkulierbares Risiko der Reise, das sie wie die Besucher in der ersten Hälfte der sechziger Jahre in einer negativen Reaktion des Ostblocks vermuteten.195 Letztlich akzeptierten die Iraner dann auf Drängen des Protokolls eine Mauerfahrt ohne Halt, wie sie schon Elizabeth II. praktiziert hatte.196 Zwar wussten das Auswärtige Amt wie auch das Berliner Protokoll schon im Vorfeld des Besuches von möglichen Demonstrationen gegen das undemokratische Regime des iranischen Herrschers, waren aber der Überzeugung, diesem mit kurzfristigen Absperrungen in »Handgranatenwurfweite«197 angemessen begegnen zu können. Um Konfrontationen auszuweichen, entschieden sich die Berliner zudem, die iranischen Gäste nicht im Hotel Kempinski am Kurfürstendamm, dem »Schauplatz wilder Demonstrationen« unterzubringen, sondern sie in das »außerhalb des bevorzugten Demonstrationsgebietes gelegene Hotel Hilton« einzubuchen.198 Den iranischen Forderungen nach Demonstrationsverboten gab der Berliner Polizeipräsident nicht nach.199 Stattdessen setzten die westdeutschen Akteure auf Verhandlungen mit den Schah-Kritikern.200 Den Erfolgen dieser Verhandlungen 201 trauten die Berliner Behörden nicht. Die Polizei wurde angewiesen, per Foto und Film »im Eventualfall Beweismaterial zu schaffen«.202 Obwohl Ende Mai Demonstrationspläne in Berlin bekannt waren 203 und der iranische Außenminister Zahedi nach Besuchsbeginn das Protokoll bat, von einer Berlinreise abzusehen, wenn dort größere Demonstrationen zu erwarten seien, hielt das Protokoll am bestehenden Programm fest. Der Protokollchef vertraute auf die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen sowie spontane Ausweichmanöver.204 Letztlich begrüßten Teile der Berliner Bevölkerung das Kaiserpaar mit Beifall und streckten iranische Fähnchen und Fotografien des Paares in die 193 Vgl. Aufzeichnung StS II, 1.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 48–50, Zitat p. 48. Vgl. ausführlich Drittes Kap., III.1. 194 Vgl. Drahterlass Schwarzmann an Botschaft Teheran, 22.2.1967, PA, B8, Bd. 1048. 195 Vgl. Drahtbericht Bach, Teheran, 2.3.1967, PA, B8, Bd. 1048. 196 Vgl. Vermerk Schwarzmann, 22.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 197 Vermerk Dundalski an Herz, 19.5.1967, LAB, B Rep. 002, Nr. 8233. 198 Vermerk Möhrle, Berlin, 10.5.1967, LAB, B Rep. 002, Nr. 3576. 199 Vgl. Drahtbericht Hoffmann, Dienststelle Berlin, 10.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 200 Vgl. Drahtbericht Hoffmann, Dienststelle Berlin, 11.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 201 Vgl. Vermerk Gehlhoff, 17.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 202 Vermerk Dundalski, 19.5.1967, LAB, B Rep. 002, Nr. 8233. 203 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 29.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 204 Vgl. Aufzeichnung Protokoll für StS, 1.6.1967, PA, B8, Bd. 1050.
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Höhe.205 Doch schon am 2. Juni 1967 prognostizierten die Bonner Gastgeber, dass im Gedächtnis der Gäste die Rufe der Demonstranten haften bleiben und sich negativ auswirken würden.206 Die Berlinreise des iranischen Herrschers führte zur Inversion der bisherigen Erfahrungswerte: Berlin entpuppte sich in diesem Fall nicht als zentrales Motiv des Besuchserfolgs, sondern des -misserfolgs. Der Schah-Besuch leitete das vorläufige Ende der Berlinreisen ein. Die Berliner führten 1968 den Rückgang von Staatsbesuchen hauptsächlich auf sowjetische Interventionen zurück.207 Ein Kommentator der Berliner Morgenpost sprach jedoch 1978 retrospektiv der »Nachtmahr des 2. Juni vor der Deutschen Oper« größere Bedeutung dafür zu als den »hasenfüßige[n] Rücksichten gegenüber Moskau«.208 Die Besuchspraxis 1969 zeigte, dass nicht nur Gäste, sondern auch die Gastgeber Besuche in der Stadt fürchteten. Schon vor der Reise des Schahs war es anlässlich von Besuchen unterhalb der Staatsoberhauptebene seit Mitte der sechziger Jahre zu Demonstrationen gekommen, aber erst nach dem Schah-Besuch zweifelten die staatlichen Behörden daran, die Straße kontrollieren zu können. Wie sehr der 2. Juni 1967 die Ausrichter der Besuche beeindruckt hatte, zeigte sich in den zwei entgegengesetzten Haltungen im Auswärtigen Amt beim Besuch Mobutus 1969: Während der von den Geschehnissen in der Bundesrepublik weit entfernte Botschafter Neumann in Kinshasa der zuvor gängigen Argumentationslinie folgend dazu riet, Mobutu eine Berlinreise mit der gesamten Delegation zu ermöglichen, da die Sowjetunion versucht hatte, die Reise zu verhindern,209 vertraten die Bonner und Berliner Planer nun grundlegend andere Standpunkte. Nicht mehr der Wettbewerb mit dem Osten stand im Vordergrund, sondern die Angst vor Ausschreitungen. Noch bevor die sowjetischen Interventionsversuche bekannt wurden, bildete sich im Auswärtigen Amt die Meinung, »im Hinblick auf APO-Demonstrationen gegen Mobutu in Berlin sollte nicht allzu sehr« auf einen Besuch »gedrängt werden«.210 Da Mobutu nach Berlin reisen wollte, fügte sich das Protokoll in den Wunsch des Gastes.211 Doch während der Gast die Dramatik der Mauer auf sich wirken ließ,212 worüber sich seine Gastgeber wenige Jahre zuvor noch sehr befriedigt gezeigt hätten, lag dem Bonner und Berliner Protokoll nur daran, die Reise »wegen eventueller Störungen personell und zeitlich möglichst zu begren205 Vgl. etwa BA, B145, Bild-P094993. 206 Vgl. Vermerk Gehlhoff, 2.6.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 12. 207 Vgl. Vermerk Lücking, 5.4.1968, PA, B38, Bd. 257, Fiche 1, p. 8f. 208 Gut beraten, Berliner Morgenpost, 10.3.1978. 209 Vgl. Drahtberichte Neumann, Kinshasa, 19.2.1969 u. 25.2.1969, PA, B8, Bd. 1601. 210 Handschriftlicher Vermerk Giesder auf Posadowsky-Wehner an Ref. V5, 28.1.1969, PA, B8, Bd. 1601. 211 Vgl. Gesprächspunkte für BK, o.D., PA, B8, Bd. 1601. 212 Vgl. Aufzeichnung Neumann, 31.3.1969, PA, B8, Bd. 1602.
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zen«.213 Im Nachhinein resümierten auch Botschaftsangehörige in Kinshasa, dass Demonstrationen für das deutsch-kongolesische Verhältnis eine »echte Katastrophe« hätten bedeuten können.214 Die gedankliche Verknüpfung von Demonstration und Gefahr hatte sich in den Köpfen der westdeutschen Gastgeber und ihrer Gäste festgesetzt, wobei das Protokoll die Risiken bisweilen auch niedrig einstufte.215 Vor dem Hintergrund ausgeprägter Bedenken gegen Berlinreisen erscheint ein Runderlass von 1969, in dem die Zentrale des Auswärtigen Amtes die Bedeutung der Berlinreisen hervorhob,216 als letzte demonstrative Geste und zugleich als Dokument einer im Stillen sich schon vollziehenden Verabschiedung Berlins von der Agenda bei Staatsbesuchen. Berlin verlor an Attraktivität, weil das Berliner – wie insgesamt das westdeutsche städtische – Straßenpublikum, das Anfang der sechziger Jahre noch Garant für Jubel und ansteckende Begeisterung gewesen war, mittlerweile als unberechenbare Bedrohung wahrgenommen wurde. Als vorläufig letztes Staatsoberhaupt reiste der türkische Staatspräsident Sunay trotz Demonstrationswarnungen im Oktober 1970 nach Berlin.217 Zum Jahresbeginn 1971 zeigte sich das Protokoll unentschieden. Es habe zwar Berlin als Reiseziel »immer im Auge«,218 bestand aber nicht auf Berlin besuchen, zumal unklar war, was angesichts der laufenden Berlinverhandlungen »[i]m Sinne der Regierungspolitik« liege.219 Die Abteilung IIA1 im Auswärtigen Amt, zuständig für außenpolitische Fragen, die Berlin und Deutschland als Ganzes betrafen, zeigte sich nur vordergründig entschiedener. Sie plädierte dafür, die bisherige Praxis beizubehalten, sie aber in Zukunft flexibler zu handhaben. Nun stand nicht mehr nur die Komposition des Besuchs, sondern erstmals dieser selbst zur Disposition. Die Besucher gliederten sich in drei Gruppen: Besuche der »befreundeten westlichen Staaten«, von denen man eine »Geste der Solidarität gegenüber Berlin in aller Regel erwarten« könne, Besuche aus Entwicklungsländern, wo von Fall zu Fall entschieden werden müsse, bei sichtbaren Hemmungen aber nicht insistiert würde, und schließlich die Besuche aus Ostblockstaaten, bei denen man schon vom Versuch Abstand 213 Drahterlass Schwarzmann, 20.2.1969, PA, B8, Bd. 1601; vgl. Drahterlass Schwarzmann, 3.3.1969, PA, B8, Bd. 1601. 214 Bericht Paschke, Kinshasa, Psychogramm Mobutus, 10.10.1969, PA, B8, Bd. 1601. 215 Vgl. Fischer an Chef Prot., 6.2.1969, PA, B8, Bd. 1607; vgl. die Markierungen im Bericht Bassler, Djakarta, 11.3.1969, PA, B8, Bd. 1590. 216 Vgl. Runderlass i.V. Duckwitz, 11.2.1969, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633. 217 Vgl. PA, B8, Bd. 1619. 218 Vermerk von Rhamm, 5.1.1971; vgl. Vermerk von Rhamm, 13.1.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.630. 219 Aufzeichnung Schwarzmann, 19.1.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.630. Am 26. März 1970 begannen Gespräche der vier ehemaligen Siegermächte über den Status von Berlin, die im Viermächte-Abkommen vom 3.9.1971 mündeten.
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nehmen wollte.220 Dieses Papier übersetzte die Vorstellungen, die sich Mitte der sechziger Jahre aufgrund der negativen Erfahrungen bei Staatsbesuchen und des Scheiterns der Hallstein-Doktrin im Auswärtigen Amt durchgesetzt hatten, in Handlungsanweisungen. Es basierte auf der Überzeugung, dass eine flexible Haltung den Westdeutschen einen größeren Handlungsspielraum eröffnete und mehr Erfolg bei der Durchsetzung eigener Interessen ermöglichte als ein Beharren auf starren Forderungen. Nur wenige Monate später erwiesen sich die Vertreter der Bundesrepublik und die Arrangeure ihrer Besuche als flexibler als angekündigt. Zum einen legte der Programmvorschlag, den das Bonner Protokoll für den Besuch der Königin der Niederlande ausgearbeitet hatte, aus der Sicht des deutschen Botschafters in Den Haag den Verzicht auf Berlin nahe. Zum anderen waren selbst die westlichen Verbündeten nicht mehr bereit, die »verlorene Hauptstadt« aufzusuchen.221 Solange die Berlinverhandlungen nicht abgeschlossen seien, so Außenminister Scheel an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, seien Einladungen wenig erfolgversprechend.222 Widerstand gegen den Verzicht auf Berlin regte sich in der Berliner Presse. Die Berliner Morgenpost spitzte ihre Kritik populistisch zu: »Der Blick über die Mauer ist zum unfreundlichen Akt geworden. So weit sind wir schon …«.223 Die CDU/ CSU-Fraktion im Bundestag versuchte in Erfahrung zu bringen, ob Berlin auf Wunsch der Bundesregierung nicht im Besuchsprogramm stehe.224 Das Auswärtige Amt sah sich vor dem Dilemma, Auskunft geben zu müssen und zugleich einen Affront der Niederländer zu vermeiden, die fürchteten, eine Diskussion könne die deutsch-niederländischen Beziehungen belasten. Es erklärte, ein Besuch Berlins bleibe »weiterhin einer der möglichen Programmpunkte von Staatsbesuchen«.225 Immer weniger Staatsgäste reisten nach Berlin – zwischen 1967 und 1970 nur sechs von dreizehn. 1971 besuchte offiziell kein einziges Staatsoberhaupt die Stadt.226 Das Viermächte-Abkommen über Berlin brachte zwar de facto die Anerkennung einer Bindung West-Berlins an die Bundesrepublik durch die Sowjetunion, bedeutete aber zugleich den Verzicht Westdeutschlands auf weitere Vorstöße für eine engere juristische Bindung. 1973 versuchte Klaus Schütz erneut, 220 Aufzeichnung IIA1, 1.2.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.630. 221 Vgl. Bericht Botschaft Den Haag, 2.6.1971, PA, B8, Bd. 1625. 222 Vgl. Vorlage von Podewils für AM, 31.8.1971, PA, B8, Bd. 1625. 223 Fernschreiben BPA an AA, 9.9.1971, PA, B8, Bd. 1625. 224 Vgl. die Dokumente in PA, B24, Bd. 660. 225 136. Sitzung, 24. September 1971, Anlage 8, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 77, S. 7979, B. Vgl. Vermerk von Podewils, 20.9.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167630; Hansen an Protokoll, 22.9.1971, PA, B24, Bd. 660, p. 69f.; Erlass Hansen an Botschaft Den Haag, 29.9.1971, PA, B8, Bd. 1625. 226 Vgl. Die Einbeziehung Berlins in Staatsbesuchs-Programme, Der Tagesspiegel, 28.10.1971.
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Außenminister Scheel die Berlinbesuche schmackhaft zu machen.227 Darauf gestand das Auswärtige Amt ohne Umschweife ein, »daß die Frequenz der Besuche […] abgesunken« sei, was an den Gästen liege, die sich mit einem »Hinweis auf die ›nicht geklärte Rechtssituation‹ Berlins« entschuldigten. Man erwarte aber, dass sich der Abschluss des Viermächte-Abkommens auf die Haltung der Gäste auswirken werde und »die Rückkehr zur alten Übung erleichtern wird«.228 Doch auch 1974 gestaltete sich die Einbindung Berlins in die Staatsbesuche schwierig. Zwar findet sich in den Unterlagen zu den drei Staatsbesuchen dieses Jahres jeweils die Kopie einer Aufzeichnung von 1973, welche die Berliner Vertretung beim Bund mit der Bitte zitierte, »Berlin, wenn irgend möglich, […] zu berücksichtigen«.229 Die Initiative blieb jedoch ohne Folgen.230 Die Hoffnung auf die klärende Wirkung des Viermächte-Abkommens erfüllte sich nicht. Margrethe von Dänemark sagte ihren Ausflug an die Spree, für den sich auch Heinemann eingesetzt hatte,231 »aus politischen Gründen« ab. Der dänische Botschafter Jörgensen erklärte die Entscheidung damit, dass die Königin auf die Meinung eines großen Teils der dänischen Bevölkerung Rücksicht nehmen müsse, und verwies auf die gegenwärtige Lage der deutsch-deutschen Beziehungen.232 In den Jahren, in denen ausländische Gäste eine Reise an die Spree mieden, setzte sich die Springer-Presse für Berliner Interessen ein, brandmarkte regelmäßig die Abwesenheit von Staatsgästen in Berlin und kritisierte die Haltung der Regierung.233 Ähnlich positionierten sich die Berliner CDU-Abgeordneten im Bundestag und thematisierten 1973 wiederholt den Besuchsrückgang.234 Herbert Wehner parierte die Vorstöße der CDU mit dem Hinweis, dass Karl Carstens bereits Mitte der sechziger Jahre eine flexiblere Handhabung von Berlinreisen angeraten hatte. Er gab implizit zu verstehen, dass die Christdemokraten selbst die Verantwortung für den Rückgang der Berlinreisen trügen.235 227 Vgl. Schütz an Scheel, 9.7.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.630. 228 Sachs an Schütz, 23.7.1973; vgl. Scheel an Schütz, 16.7.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.630. 229 Aufzeichnung von Vacano für Chef Prot., 12.9.1973, PA, Zwischenarchiv, Bde. 103.199, 103.203 u. 103.206. 230 Vgl. zur Weitergabe des Anliegens der Berliner z.B. Drahterlass Schoeller an Botschaft Mexiko City, 3.1.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.203. 231 Vgl. von Podewils an Fischer, 6.3.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.206; Caspari an von Podewils, 16.11.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.205. 232 Vermerk Heide, 22.1.1974; vgl. Vermerk Caspari, 23.1.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.205. 233 Vgl. z.B. Berlin – Sperrgebiet für Staatsbesucher?, Bild, 25.6.1975; grundsätzlich Kruip. 234 Vgl. CDU: Mehr Gäste nach West-Berlin, Die Welt, 24.7.1973; K. Vogel, Keine Staatsbesuche, Deutsche Tagespost, 24.10.1973. 235 Vgl. 64. Sitzung, 8.11.1973, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 85, S. 3754– 3756, Zitat S. 3755.
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Weitere parlamentarische Wortgefechte sollten folgen. Nach einem Rededuell zwischen Jürgen Wohlrabe, Wehner und Carstens im Deutschen Bundestag Anfang 1975236 kündigte der Berliner CDU-Abgeordnete Wohlrabe an, in Zukunft intensiv bei Außenminister Genscher vorzusprechen 237 und mit anderen Berliner Abgeordneten Staatsoberhäupter persönlich nach Berlin einzuladen. Ein gestalterischer Kurswechsel sollte Berlin zu neuer Attraktivität verhelfen. Es gehe nicht darum, die Gäste an die Mauer zu zerren, sondern den »Stellenwert Berlins als politisch interessanteste Stadt Deutschlands« zu verdeutlichen.238 Tatsächlich schienen sich die Berliner von ihrer alten ikonografischen Ausrichtung zu lösen. Die Mauer »als Jahrhundertsehenswürdigkeit« spielte 1974 in der Selbstdarstellung gegenüber Gästen laut dem Berliner Protokollchef Urban »so gut wie keine Rolle mehr«. Manche Gäste äußerten jedoch den Wunsch, Ost-Berlin zu besuchen, was Urban begrüßte: »Wir glauben, Ost-Berlin mit eigenen Augen zu sehen, ist das wirkungsvollste.«239
5. Die Rückkehr an die Mauer – Staatsbesuche nach 1977 Als erstes ausländisches Staatsoberhaupt nach sieben Jahren reiste der Staatspräsident von Ruanda, Habyarimana, 1977 nach Berlin. In seinen Worten symbolisiere die Mauer »das Erbe einer verhängnisvollen, menschenverachtenden Politik«.240 Der Begriff »Erbe« schuf Distanz zwischen der Gegenwart und der Entstehungszeit der Hinterlassenschaft. Die Zeit schob sich wie ein Puffer zwischen die ersten Jahre der Mauererfahrung und die Gegenwart der späten siebziger Jahre, die auf ein Jahrzehnt der sozial-liberalen Entspannungs- und Ostpolitik zurückblicken konnte. Die Mauer verkörperte einen – wenngleich auch in der Gegenwart weiterhin wirksamen – Überrest einer anderen Zeit und war in Zeiten der deutsch-deutschen Entspannung zeitweise ihr eigenes Mahnmal.241 Die Staatsgäste, die nach 1977 nach Berlin kamen, besuchten auch die Mauer; sie praktizierten mit wenigen Ausnahmen 242 die gleichen Blicke von Tribünen mit Feldstechern, schritten die Wege entlang der Mauer ab und nahmen 236 Vgl. D. Goos, Streitpunkt Staatsbesuche, Die Welt, 1.2.1975. 237 Vgl. Wohlrabe fragt Genscher nach Staatsbesuchen in Berlin, Der Tagesspiegel, 12.1.1978. 238 Wir laden Staatsgäste selbst nach Berlin ein, Express, 2.2.1975. 239 Zit. n. K. Rech, Kaum noch hohe Besucher, Berliner Morgenpost, 4.8.1974. 240 Zit. n. Ruandas Staatspräsident in Berlin, Der Tagesspiegel, 17.3.1977. 241 Zwar trat die Mauer bei Staatsbesuchen erst Ende der siebziger Jahre wieder in Erscheinung, doch hatten Graffiti die mangelnde Aufmerksamkeit schon zuvor konterkariert. Sie waren kaum zu übersehen und lenkten die Blicke auf die Mauer, vgl. Ladd, S. 26–28. 242 Eine Ausnahme bildete Elizabeth II. 1978. In den Augen der Süddeutschen Zeitung war ein Blick über die Mauer nicht mehr zeitgemäß, vgl. Am altmodischen Staatsbesuch führt nichts vorbei, SZ, 27.5.1978.
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damit ein knappes Jahrzehnt zurückreichende rituelle Praktiken wieder auf.243 Auf den ersten Blick ähnelte vieles den Berlinbesuchen der sechziger Jahre. Beim Besuch Jimmy Carters 1978 protestierte die DDR dagegen – statt wie z.B. beim Besuch Elizabeths II. 1965 die Sowjetunion –, dass der Bundeskanzler den amerikanischen Präsidenten in Berlin begleitete. Ein Kommentator des SDR wertete dieses Verhalten wie auch die kurzfristige Unterbrechung des Transitverkehrs am Besuchstag als Versuch der DDR, »die Belastbarkeit des Berlinabkommens durch eine ungerechtfertigte, einschränkende Interpretation zu erproben«, wodurch Carters Besuch den »Charakter einer Demonstration, eines hochpolitischen Solidaritätsaktes« bekäme.244 Doch bei aller Ähnlichkeit mit den sechziger Jahren war die Konfrontation DDR versus Bundesrepublik bei diesem Besuch gebrochen. Trotz der offiziellen Proteste und Behinderungen hatte die DDR ein Interesse daran, sich selbst in positivem Licht zu präsentieren. Sie beteiligte sich – mehreren Presseberichten zufolge – gleichsam als Bühnenbildner an der Inszenierung des Staatsbesuchs, indem sie Schriftzüge auf der westlichen Seite der Mauer wie »Nieder mit Schmidt«, »Nieder mit Honecker«, »Supermächte raus aus Deutschland« und Hakenkreuze an den Stellen, die Carter besuchen sollte, weiß überstreichen ließ.245 Journalistische Kommentare wogen die Machtdemonstration, wie sie in der Unterbrechung des Transitverkehrs augenfällig wurde, gegen die »Hilflosigkeit« der Malerarbeiten an der Mauer in ihrer Widersprüchlichkeit ab.246 Die Presse bediente sich nicht mehr nur einer dramatisierenden Sprache, die Äußerungen in den sechziger Jahren glich, sondern einige Journalisten schilderten die Ereignisse in Berlin in nüchternem Ton und bewerteten sie weit weniger dramatisch.247 Der DDR-Korrespondent des WDR, Fritz Pleitgen, unterstrich, wie »maßvoll« die DDR Kritik daran übte, dass Schmidt Carter begleitete.248 Auch die Unterbrechung des Transitverkehrs las Pleitgen als entdramatisierte Form der Revanche für vorangegangene Äußerungen des amerikanischen Präsidenten über die Inkompetenz der DDR. 243 Vgl. z.B. BA, B145, Bild-P010728 (Besuch Carter 1978); LAB, Foto 219650 (Besuch Pertini 1979) u. 240797 (Besuch Königin Beatrix 1982). 244 Kommentar SDR, 13.7.1978, 12.40 h, Kommentarübersicht BPA, BPA-DOK 5522. 245 Zuvor hatte man den West-Berliner Senat darum gebeten, der die Bitte mit dem Hinweis abgelehnt hatte, man sei für die Mauer nicht verantwortlich, vgl. H.-R. Bein, Beim Anblick der Mauer am Potsdamer Platz verschwand das Lächeln aus Carters Gesicht, Berliner Morgenpost, 16.7.1978. 246 N. Iderlohe, Volltreffer in Berlin, Kölnische Rundschau, 17.7.1978. Vgl. zu den Möglichkeiten der Machtdemonstration auch: L. Derch, Berlin, Stuttgarter Nachrichten, 17.7.1978. F. Kemna, Die Stadt auf dem Berg, Die Welt, 17.7.1978 und L. Müller, Nachklang in Berlin, Frankfurter Neue Presse, 17.7.1978 betonen die Bedeutung der amerikanischen Sicherheitsgarantien. 247 Einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung zufolge war dies auch die offizielle Version der Bundesregierung, vgl. Das alte Spiel mit dem Berlin-Hebel, SZ, 18.7.1978. 248 Kommentar F. Pleitgen, Ost-Berlin, DFS, 15.7.1978, 20 h, Kommentarübersicht BPA, 16.7.1978, BPA-DOK 5522.
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Galt Honeckers Abreise in den Urlaub pünktlich zum Staatsbesuch Carters der Kölnischen Rundschau als Zeichen mangelnden Selbstbewusstseins,249 vermochte Pleitgen auch hierin einen Beleg für die Entdramatisierung zu erkennen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Peter Merseburger, allerdings auf anderem Weg. Er gestand der Entspannungspolitik eine physische Dimension zu und wertete es als »Zeichen der Normalisierung«, dass der vom Kennedy-Besuch bekannte Enthusiasmus ausgeblieben sei.250 Mit der Entspannung der politischen Lage hatte sich scheinbar auch die Begeisterung für die Berlinbesuche in der ersten Hälfte der sechziger Jahre verflüchtigt. Die Beobachtung, dass Jimmy Carters Slogan »Was immer sei, Berlin bleibt frei«,251 Pendant zu John F. Kennedys »Ich bin ein Berliner!«, heute vergessen ist, obwohl zeitgenössisch vermutet wurde, dass der Spruch haften bleiben würde,252 stützt nachträglich Merseburgers Einschätzung. Carters Worte erfüllten kein lang ersehntes Versprechen, sondern erneuerten lediglich ein Bekenntnis zu Berlin in einer Zeit, in der die Teilung der Stadt kein akutes politisches Problem darstellte. Unter diesen Vorzeichen reagierte auch die Bevölkerung besonnener und strömte nicht mehr zu Tausenden dem amerikanischen Präsidenten als inkorporierter Sicherheitsgarantie entgegen.253 Die Entspannung der Bevölkerung fand ihre Entsprechung in der Sicherheitslage. Zwar traf die Polizei für Carters Besuch umfassende Sicherheitsvorkehrungen, doch setzten Fahrten im offenen Wagen ein sichtbares Zeichen für die Entspannung der Straßensituation und die Wiederaufnahme des unmittelbaren Kontaktes mit der Bevölkerung.254 Erst der nachfolgende amerikanische Präsident belebte 1987 die Nutzung Berlins als dramatische Bühne wieder.255 Ronald Reagan apostrophierte am 12. Juni 1987 während seiner Rede am Brandenburger Tor Berlin als die Schnittstelle zwischen Ost und West und die Mauer »as a sign of the failure of the Soviet system« und »as a sign of the spiritual victory of the West«.256 Der als ehemaliger Schauspieler in Inszenierungen erfahrene Reagan bediente sich einer – auch durch Glasnost und Perestroika – längst überwunden geglaubten Rhetorik der Konfrontation und inszenierte in der geteilten Stadt die imaginäre Begegnung mit dem sowjetischen Staatschef. Mit der Mauer als Hintergrund, 249 Vgl. N. Iderlohe, Volltreffer in Berlin, Kölnische Rundschau, 17.7.1978. 250 Kommentar P. Merseburger, DFS, 15.7.1978, 20 h, Kommentarübersicht BPA, 16.7.1978, BPA-DOK 5522. 251 Zit. n. Carter does a Kennedy, The Oberserver, 16.7.1978. 252 Vgl. Kommentar P. Pechel, DFS, 15.7.1978, 22 h, Kommentarübersicht BPA, 16.7.1978, BPA-DOK 5522; N. Iderlohe, Volltreffer in Berlin, Kölnische Rundschau, 17.7.1978. 253 Vgl. H.-U. Kersten u. F. Reimold, Die »Amis« sind in Westberlin die »Nr. 1«, GeneralAnzeiger, 15.7.1978. 254 Vgl. W. Clement, Immer noch mit Gefühl, Westfälische Rundschau, 17.7.1978. 255 Eine Theatralisierung der Politik in den achtziger Jahren konstatiert Gaddis, S. 243–292. 256 Bruner, S. 325; zur Reagan-Rede 1987: S. 324f.
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vor dem Reagans Rednerpodest stand, zitierten die Amerikaner die bereits geschilderten Praktiken der Blickkonfrontation, die vor allem die sechziger Jahre prägten. Der dramatische Hintergrund verhieß eine grundlegende Rede und sicherte durch dieses Versprechen die Aufmerksamkeit der Medien und Kritiker reaganscher Politik, von denen über 20 000 auf den Straßen Berlins demonstrierten. Mehrfach sprach der amerikanische Präsident Michael Gorbatschow namentlich an. Seine Aufforderung an den Russen, die Mauer niederzureißen, blieb nicht zuletzt wegen ihres entschlossenen Tons im Gedächtnis der Menschen haften. Doch Reagan ergänzte die herausfordernden Akzente seiner Rede um eine kooperative Note, indem er Gorbatschow zugleich zur Zusammenarbeit einlud, die freilich in Gipfeltreffen und Abrüstungsgesprächen bereits praktiziert wurde.257 Die Passagen, in denen sich Ronald Reagan im Juni 1987 vor der Berliner Mauer direkt an Gorbatschow wandte, dokumentieren zwei Seiten einer Medaille. Reagan inszenierte im geteilten Berlin die amerikanische Standhaftigkeit im Bekenntnis zu dem immer wieder beschworenen zentralen Wert der Freiheit. Er signalisierte jedoch mit der Einladung zur Zusammenarbeit die Bereitschaft der USA, das Monopol auf diesen Wert aufzugeben und auch die Sowjetbürger daran teilhaben zu lassen. So lässt sich auch das Ende der Rede Reagans deuten, in der er prognostizierte, dass die Mauer fallen werde, da sie Wahrheit und Freiheit nicht standhalten könne.258 In seinem Auftritt vor der Berliner Mauer antizipierte Reagan sich und das Wertesystem, das er repräsentierte, als Sieger des Kalten Krieges,259 wenngleich sich die Auflösung der Sow jetunion de facto aus einer Vielzahl von Faktoren und Wechselwirkungen zwischen der sowjetischen Langzeitkrise und der Politik der Amerikaner erklären lässt.260 Der Anachronismus der Mauer, auf den Gäste in den späten siebziger Jahren schon abgehoben hatten, endete mit ihrer Öffnung 1989.
257 Vgl. Powaski, S. 254–259. 258 Vgl. Bruner, S. 325. 259 Eine Reihe von Wissenschaftlern übernahmen die Sichtweise, dass der Druck, den die amerik anische Administration unter Reagan auf die Sowjetunion ausgeübt hatte, diese letztlich ›zu Fall‹ brachte, vgl. etwa Deudney/Ikenberry, S. 123–138. 260 Vgl. z.B. Powaski, S. 260f. u. Zubok.
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III. Bilder der nationalsozialistischen Vergangenheit Staatsbesuche thematisierten nicht nur westdeutsche Gegenwart und Zukunft bzw. die Vorstellungen davon, sondern schufen auch immer wieder neue Bilder deutscher Vergangenheit. Sie zitierten und aktualisierten verschiedene Vergangenheitsschichten und setzten sie in aktuelle politische Kontexte. Die Thematisierung deutscher Vergangenheit reichte über das 20. Jahrhundert, die deutsche Kolonialgeschichte, Bemühungen um einen deutschen Nationalstaat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins Mittelalter und gar die Antike zurück. Je weiter der Blick zurückging, desto fließender wurden die Übergänge zu Tradition und Brauchtum. Ein Staatsbesuch musste sich dabei nicht auf eine Vergangenheitsschicht beschränken, vielmehr überlappten sich Bilder verschiedener Zeiten und schufen so eine eigenwillige Textur deutscher Geschichte. Dabei dominierte der allgegenwärtige, vielgestaltige Rückbezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit »als das zentrale Referenzereignis für das gesellschaftliche Selbstverständnis der Deutschen«.1 Welche Bilder, welche Vorstellungen suggerierte die Bundesrepublik von ihrem Verhältnis zur jüngsten Vergangenheit? In welche Bildzusammenhänge stellte sich der Staat? Nachdem in den zahlreichen Publikationen zu den westdeutschen, deutsch-deutschen oder europäischen Erinnerungskulturen mehrfach Zäsuren im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit aufgrund von diskursorientierten Analysen vorgeschlagen wurden, sollen hier für Staatsbesuche die Handlungen von Gast und Gastgeber im Vordergrund stehen. Dabei interessieren nicht nur die evozierten Bilder der Vergangenheit, sondern auch die Versuche, der Vergangenheit durch Praktiken beizukommen, die Bilder vom ›richtigen‹ Umgang mit der Vergangenheit. Den ausländischen Staatsgästen kam hier eine große Bedeutung zu. Als Außenstehende leisteten sie durch ihre Handlungen in der Bundesrepublik, durch ihre Modi des Erinnerns, ihre Selektion der Vergangenheitsschichten einen Beitrag zur Selbstwahrnehmung der Westdeutschen und wurden deren Medium.2 Umgekehrt übernahmen die westdeutschen Gastgeber, im Vergleich mit den anderen untersuchten Bildern der Bundesrepublik, auf diesem Feld selten die gestalterische Initiative, sondern passten sich den Gästen und deren vermuteten Erwartungen an. 1 Heinrich, S. 192. 2 Koshars These für den Tourismus in Nachkriegsdeutschland, dass »the ›outsider‹ helped to define the national identity of the ›insider‹«, lässt sich hierauf übertragen, Koshar, German Travel Cultures, S. 17.
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Die Art und Weise, wie die nationalsozialistische Vergangenheit in den szenischen Bildwelten der Staatsbesuche reflektiert wurde, variierte. In den fünfziger Jahren bildete sie eine Negativfolie für die Inszenierung der demokratischen Ausrichtung des neuen Staates. Erst in den sechziger Jahren setzten gemeinsame memoriale Perspektivierungen der Vergangenheit durch die Gäste und ihre Gastgeber ein, die stets in einem Wechselverhältnis mit den Bildern der Gegenwart und Zukunftsvorstellungen standen. Zugleich fügten sich diese Bilder als Momentaufnahmen der Gegenwart in das historische Album schon bestehender geschichtlicher Bilder ein und traten in Konkurrenz zu ihnen. Ein Kommentator der niederländischen sozialdemokratischen Zeitung Het Vrije Volk hat mit der Metapher des Fotoalbums treffend den Besuch Heinemanns in den Niederlanden 1969 beschrieben: Die einzelne Momentaufnahme sei zwar günstig. »Aber in dieses historische Album sind noch zu viele andere Fotos eingeklebt. Es wird eine neue Seite aufgeschlagen. Wir warten noch ab, bevor wir daraus ein neues Album machen.«3
1. Ex negativo andere Bilder zeigen – Die latente Vergangenheit und der Wandel zur Demokratie In den fünfziger Jahren hielten sich die staatlichen Repräsentanten mit symbolischen Rückbezügen auf die Vergangenheit gegenüber ausländischen Gästen zurück, zumal vor Erlangen der Souveränität. Zurückhaltung prägte auch das Verhalten der meisten Gäste. Vor allem Vertreter der Länder, die unter deutscher Besatzung gestanden hatten, fanden nur zögerlich den Weg nach Bonn. Die Gäste, die kamen, sprachen in ihren Reden die nationalsozialistische deutsche Vergangenheit zwar an, aber ohne das Thema zu vertiefen. Der kanadische Premier Louis Stephen St. Laurent formulierte 1954, man möge die Vergangenheit nicht vergessen, sondern daraus eine Lehre ziehen und sich der Zukunft zuwenden.4 Der griechische General und Regierungschef Alexandros Papagos, der selbst unter der deutschen Besatzung gelitten hatte, brachte dem Bundeskanzler als Gastgeschenk zwar ein Buch über die deutsche Besatzung in Griechenland mit, betonte in seiner Rede aber zugleich die Nähe beider Länder und lobte Adenauer als Erneuerer.5 Als zwei Jahre später zum zweiten Mal ein italienischer Ministerpräsident die Bundesrepublik bereiste, erinnerte Bundespräsident Heuss zwar noch an die »Wunden des letzten Krieges«, die noch »nicht erheilt [sic]« seien, doch überlagere eine gegenwärtige Bedrohung diese Erinne3 Zit. n. Wielenga, S. 274. 4 Vgl. Hintergrund. Archiv und Informationsmaterial, dpa, 15.4.1954, BPA-DOK 2693, S. 2. 5 Vgl. ebd., S. 7.
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rungen. Ein Hinweis auf den Aufstand in Ungarn verdeutlichte, dass »der Friede der Welt« erneut in Gefahr sei.6 In der Presse freilich war die Vergangenheit Italiens und Deutschlands als verbündete Achsenmächte noch nicht vergessen, sondern Gegenstand vieler Kommentare.7 Dass die gemeinsame Vergangenheit ein heikles Terrain darstellte, verdeutlichen auch Heinrich von Brentanos Befürchtungen, die Italiener könnten Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und Faschismus als ungerecht empfinden, weshalb er bat, sie zu vermeiden.8 Zur großen Zufriedenheit der Westdeutschen war sogar der im Nationalsozialismus verspottete äthiopische Kaiser Haile Selassie in die Bundesrepublik gereist und hatte auf diesem Wege zur symbolischen Zäsur zwischen altem und neuem deutschen Staat beigetragen.9 Wie die Reden die Vergangenheit auf wenige Worte reduzierten und vielmehr Gegenwart und Zukunft zu interessieren schienen, setzten auch die Bonner Staatsbeamten mit Vorliebe die positiv gewandelte Gegenwart einer jungen Demokratie ins Bild. Ausgewählte Programmpunkte verliehen der demonstrativen Abkehr vom Nationalsozialismus und der Hinwendung zur Demokratie besonderes Gewicht. So bezog die Bundesregierung schon beim Besuch Robert Schumans 1950, aber verstärkt in den Jahren 1953 und 1954, eine Besichtigung des Bundeshauses in die Bonnaufenthalte führender Staatsmänner ein.10 Gerade gegenüber zurückhaltenden Gästen wie dem Norweger Halvard Manthey Lange und dem Belgier Johan W. Beyen11 demonstrierte die Bundesrepublik auf diesem Wege ihre demokratische Ausrichtung. Auch den österreichischen Außenminister Karl Gruber führten der Alterspräsident des Bundestages und Parlamentarier der Weimarer Republik, Paul Löbe, und Bundeshausdirektor Hans Trossmann durch das Parlamentsgebäude, das auch architektonisch auf eine gewandelte politische Verfassung der Bundesrepublik gegenüber dem Deutschen Reich verwies. Mit der Entscheidung, die 1930 von Martin Witte erbaute Pädagogische Akademie zum Bundestagsgebäude umzufunktionieren, knüpfte die junge Bundesrepublik an positiv besetzte Bauhaustraditionen und damit an die erste deutsche Demokratie an. Diese Orientierung an Weimar gab dem Wunsch, sich vom NS-Staat zu distanzieren und so einen Neuanfang zu zeigen, eine materielle Gestalt.12 Die Rehabilitierung des Bauhausstils verlieh zugleich dem »cold-war partnership« zwischen der Bundesrepublik und den 6 Stichworte Begrüßungsansprache BP, BA, B122/550, Fiche 2. 7 Vgl. H. Winkler, Bonn, Rom und Europa, Rhein-Neckar-Zeitung, 10.12.1956. 8 Vgl. Aufzeichnung Welck, 29.11.1956, darauf Notiz von Brentano u. Notiz Heyden, BA, B122/550, Fiche 2. 9 Vgl. Der Negus, Ruhr-Nachrichten Dortmund, 9.11.1954. 10 Vgl. zu Schuman: Zeitfolge, PA, B8, Bd. 48. 11 Vgl. zu Lange: Programm, PA, B8, Bd. 65; zu Beyen: Programmvorschlag Pappritz an von Herwarth, 2.11.1953, PA, B8, Bd. 66; zu Gruber: Programmvorschlag, PA, B8, Bd. 64. 12 Vgl. Betts, Politics, S. 298f.; Betts, Bauhaus.
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USA Ausdruck, da das Bauhaus mittlerweile zum »transatlantic architectural idiom« avanciert war.13 Zudem gab die Ergänzung um einen großen Plenarsaal dem Bundeshaus eine bundesrepublikanische Prägung. Der Architekt Hans Schwippert, der mit Erich Mendelsohn und Ludwig Mies van der Rohe vor deren Exil zusammengearbeitet hatte, versah das Gebäude mit großen Fensterfronten, die als Metaphern der »political openness« der jungen Demokratie galten.14 Dieser Nexus zwischen Durchsichtigkeit in der Architektur und Transparenz des politischen Systems war ein weiteres Bauhauszitat. Hannes Meyer hatte diese architektonische Metaphorik 1927 bei seinem Entwurf für den Hauptsitz des Völkerbundes entwickelt, die aufgrund der weiten Verbreitung des Bauhausstils international verstanden wurde.15 Doch nicht nur das Gebäude fungierte als Symbol des politischen Wandels. Mit dem Gebäude exponierte sich bei Staatsbesuchen dessen Hausherr, der Bundestagspräsident. Sowohl Lange als auch der türkische Ministerpräsident Menderes und der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten, Herbert Hoover, statteten dem Bundestagspräsidenten, wie dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler, einen offiziellen Besuch ab.16 Freilich lässt sich diese besondere Berücksichtigung des Bundestagspräsidenten im Zeremoniell der Jahre 1953 und 1954 nicht nur als Demonstration des demokratischen Systems verstehen, in welchem der Bundestagspräsident als Repräsentant des Parlaments und damit des »Bundesvolkes« eine Ehrenstellung innehatte. Sie erklärt sich auch daraus, dass der Rangstreit um die zweite Position im staatlichen Zeremoniell zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundestagspräsidenten noch nicht ausgefochten war.17 Den fremden Staatsgast aber gleichsam als Augenzeugen demokratischer Prozesse ins Parlament einzuladen, legt die Deutung nahe, dass die Absicht war, die neu gefundene demokratische Gesinnung deutlich herauszustellen. Richard G. Casey, australischer Außenminister, konnte von der Diplomatenloge aus die Wiederwahl Adenauers zum Bundeskanzler beobachten.18 Wie Schwipperts Fensterfronten symbolisierte dieser Akt die Transparenz der demokratischen Prozesse der Bundesrepublik. Die Besichtigungen des Bundeshauses und die Besuche beim Bundespräsidenten endeten in den fünfziger Jahren etwa zeitgleich mit der Entscheidung der westlichen Alliierten, die Bundesrepublik in die Souveränität zu entlassen. Erst in den achtziger Jahren wurde das Bundeshaus erneut zum Programm13 Wise, S. 29, zur Pädagogischen Akademie: S. 24f. 14 Ebd., S. 25. Vgl. zum Bundeshaus Schaffrath-Chanson, S. 211–248; zur Transparenz-Metaphorik Wefing, S. 114–135; zur Reflexion auf diese Metaphorik in der Kunst Diers, Représentants. 15 Vgl. Wise, S. 25. 16 Vgl. zu Lange: Zeitfolge, Programm, PA, B8, Bd. 65; zu Menderes: Druckprogramm, PA, B8, Bd. 147; zu Hoover: Programm, PA, B8, Bd. 53. 17 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 150. 18 Vgl. Diplomatischer Kurier 1953, S. 412.
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punkt bei Staatsbesuchen.19 Wenngleich die Quellen es nicht explizit dokumentieren, spricht doch einiges dafür, dass diese demonstrative Inszenierung der Demokratie ein Mittel darstellte, um die Bundesrepublik als demokratisch und souveränitätswürdig auszuweisen. Neue Orte und neue Bauten setzten die Entscheidung für die Demokratie in Szene; sie repräsentierten den Bruch mit alten politischen Verfahrensweisen und wirkten als Gegenbilder zu den Bildern von Massenveranstaltungen, Aufmärschen und Plänen für ein monumentales Germania in den Köpfen der ausländischen Besucher.
2. Alte Bilder überschreiben – Charles de Gaulles Deutschlandreise Die erste gezielte Evokation von Bildern der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Umgang damit bei Staatsbesuchen erlebte die Bundesrepublik nicht auf eigene Initiative hin, sondern auf Betreiben eines Staatsgastes. Charles de Gaulles Reise in die Bundesrepublik 1962 lässt sich auf vielerlei Weise lesen. Zeitgenossen deuteten das Ereignis zumeist als vorläufigen Höhepunkt der deutsch-französischen Aussöhnung.20 Angesichts seiner symbolischen und inhaltlichen Fülle geriet eine Eigenart des Besuchs in den Deutungen aus dem Blick: die Art und Weise, wie der Staatsgast die deutsche Vergangenheit behandelte. De Gaulle vermied sie nicht, thematisierte sie jedoch nicht primär sprachlich, sondern vor allem in seinen Handlungen. Er begab sich gezielt in Situationen und an Orte, die Erinnerungen an die nationalsozialistische Zeit wecken bzw. vergangene Bilder in den Köpfen der Menschen aufrufen konnten, um sie dann mit den Bildern, die er bot, gleichsam zu überschreiben. Der gesamte Besuch folgte einer ausgeklügelten Dramaturgie, die der französische Präsident generalstabsmäßig mitgeplant und in Teilen diktiert hatte.21 Den Kontext zu diesem Besuch bildeten die vorangegangenen Begegnungen zwischen Westdeutschen und Franzosen auf den höchsten zeremoniellen Ebenen seit dem Besuch Adenauers in Frankreich 1958. De Gaulles Reise im September 1962 ging im Sommer ein Aufenthalt Adenauers in Frankreich voran, dessen Verlauf die Handlungen beim Gegenbesuch insofern mitbestimmte, als dass der Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht hinter diesem Ereignis zurückstehen und diesen zugleich nicht kopieren sollte. Einen ersten Höhepunkt des Besuchs bildete eine 19 Vgl. die Programme für die Besuche Jose Lopez Portillos, 19.-22.5.1980, PA, B8, Bd. 1644; Chaim Herzogs, 6.-10.4.1987; Oscar Arias Sánchez’, 25.-28.5.1987, PA, B8, Bd. 1651; Vigdís Finnbogadóttirs, 3.-9.7.1988; Kenan Evrens, 16.-21.10.1988, PA, B8, Bd. 1652; Michail Gorbatschows, 12.-15.6.1989; Mauno Koivistos, 1.-5.10.1989, PA, B8, Bd. 1653. 20 Den Besuchsverlauf skizziert Lappenküper, S. 1742–1748, vgl. zur Deutung des Besuchs als »feierliche Besiegelung« der Versöhnung: S. 1748. 21 Vgl. Vermerke von Braun, 9.7.1962 u. 14.7.1962, PA, B8, Bd. 490; Anhang von Braun zu Aktenvermerk, 24.7.1962, PA, B24, Bd. 360, Fiche 1, p. 23–29.
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Truppenparade in Mourmelon, bei der Soldaten der Bundeswehr und der französischen Armee, also Vertreter ehemals verfeindeter Heere, gemeinsam marschierten und damit die militär isch-kriegsbezogene Komponente der deutschfranzösischen Versöhnung sinnfällig machten. Als zweiten Höhepunkt feierten beide Staatsmänner ein katholisches Hochamt in der Kathedrale von Reims und demonstrierten damit eine im gemeinsamen christlichen Glauben gründende Versöhnungsbereitschaft gerade in der Stadt, die im Ersten Weltkrieg zum Symbol deutscher Barbarei geworden war.22 Diese symbolische Versöhnung in Reims, wo die bestehende symbolische Bedeutung des Ortes durch die dort vollzogenen Handlungen überschrieben werden sollte, kann als Modell für de Gaulles Vorgehen auf westdeutschem Boden gelten. Im Unterschied zu vielen anderen Gästen reiste de Gaulle nicht in die Bundesrepublik, um sich den neuen Staat zeigen zu lassen, sondern er reiste in das ehemalige Feindesland, um den Westdeutschen vor Augen zu führen, was Deutschland sei.23 In der Deutung von Hans Georg von Studnitz wollte de Gaulle »seinem Deutschland-Bild zu einem bestimmten Inhalt verhelfen«.24 Er sprach dazu primär in Reden, die er auf Deutsch hielt oder in die er deutsche Versatzstücke einfügte,25 unterschiedliche regionale und soziale Gruppen der Bevölkerung an.26 Als dramaturgische Steigerung angelegt, wandte sich de Gaulle in Bonn, Köln und Düsseldorf zuerst an die Rheinländer, weil man sie für besonders begeisterungsfähig hielt. Die August-Thyssen-Hütte in Duisburg-Hamborn bot den Rahmen für ein Zusammentreffen mit deutschen Arbeitern. Die anschließende Reise nach Hamburg stand im Zeichen einer Begegnung mit der westdeutschen militärischen Elite in der Führungsakademie der Bundeswehr. In München hielt de Gaulle eine Rede vor der Feldherrnhalle und legte einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten nieder. Den Abschluss bildete eine Truppeninspektion in Münsingen und eine Rede an die deutsche Jugend in dem nach Versailler Vorbild gebauten Schloss Ludwigsburg, dem Sitz des Deutsch-französischen Instituts. Das westdeutsche Protokoll verzichtete auf eine symbolträchtige Parade und ein gemeinsames Hochamt, wohl wissend, dass sich solche eingängigen »Ver22 Vgl. zur Adenauerreise 1962 sehr kurz Kiersch, S. 183. 23 Vgl. zum Verlauf der Reise: Druckprogramm, PA, Nl. Pappritz, Bd. 3; Programmentwurf, Stand: 13.8.1962, PA, B8, Bd. 490. 24 H.G. von Studnitz, De Gaulle, kam, sah und siegte, Christ und Welt, 14.9.1962. 25 In Frankreich erregten de Gaulles Reden in deutscher Sprache heftige Kritik, vgl. H. Klein, Der Sinn von de Gaulles ungewöhnlicher Reise, Basler Nationalzeitung, 4.9.1962. Valéry Giscard d’Estaing übertraf de Gaulle 1980 mit insgesamt 15 Reden auf Deutsch, vgl. L. Krusche, Giscard spricht vom »großen deutschen Volk«, Stuttgarter Zeitung, 8.7.1980. 26 Dies erkannte die Presse als Strukturprinzip der Reise, vgl. M. Fackler, Der Staatsbesuch, SZ, 4.9.1962. Die westdeutsche Presse gestand de Gaulle allgemein ein großes psychologisches u. dramaturgisches Geschick zu, vgl. z.B. H. Barth, Der Staatsbesuch auf den Straßen der Bundesrepublik, Die Welt, 7.9.1962.
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anstaltungen von gewichtiger Symbolik« nicht als Ganzes einfach wiederholen ließen. Vielmehr versuchten die Protokollmitarbeiter den Versöhnungsgedanken weiterzuentwickeln und ihm eine zukunftsorientierte Wendung zu verleihen. So entstand im Juli die Idee einer Rede, in welcher »der Jugend das neue Europa als Ziel gewiesen wird«.27 Während die Rede an die deutsche Jugend in Ludwigsburg originär auf das deutsche Protokoll zurückging,28 zeichneten die französische Seite und de Gaulle für die Blicke in die Vergangenheit und die schon aus Reims bekannte Strategie des Überschreibens verantwortlich. Das Programm für München, z.B. die Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten vor dem Münchner Armeemuseum, beruhte auf französischen Wünschen.29 Schon de Gaulles Besuch bei der Führungsakademie der Bundeswehr war gesättigt von vergangenheitspolitischer Symbolik, indem sich westdeutsche Soldaten und ein französischer General der Résistance die Hand gaben und damit »die Geste von Mourmelon« in einem anderen Rahmen wiederholten und bestätigten.30 Auch der Besuch in Duisburg-Hamborn lässt sich als Akt des Überschreibens deuten, indem de Gaulle ausgerechnet ein Stahlwerk besuchte, das Waffen produziert hatte, die gegen Franzosen gerichtet worden waren.31 In der Tat rief dieser Aufenthalt bei den Stahlarbeitern große Emotionen bis hin zu Tränen hervor32 und galt als Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit, »die bisher gemeinhin als unbewältigt galt«.33 In München vollzogen sich 1962 zentrale Momente der für de Gaulle spezifischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.34 Der General, der den französischen Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft angeführt hatte, begab sich an einen zentralen Ereignis- und Gedenkort der Nationalsozialisten: die Münchner Feldherrnhalle.35 Hier war am 9. November 1923 Hitlers Putschversuch gescheitert und seit der Machtübernahme 1933 in jährlichen 27 Vermerk von Braun, 14.7.1962, PA, B8, Bd. 490. 28 Pichts Vermutung, de Gaulle habe besonderen Wert darauf gelegt, seine Reise mit einer Rede an die deutsche Jugend abzuschließen, mag im Ergebnis stimmen, die Idee ging jedoch nicht auf ihn zurück, vgl. Picht, S. 195. 29 Vgl. Protokoll Ilgner, 23.8.1962, BA, B145/4669. 30 H.E. Koertgen, Geschichtliche Stunde, Wiesbadener Kurier, 8.9.1962. 31 Vgl. Kiersch, S. 183f. 32 Vgl. M. Bernau, De Gaulle schüttelte viele Hände. Arbeiter empfingen ihn mit Jubel, Westfälische Rundschau, 7.9.1962. 33 H.-W. Graf von Finckenstein, Die Arbeiter verstehen das Pathos des Generals sehr wohl, Die Welt, 8.9.1962. 34 Vgl. dazu Kramer; Kramer/Kratzer. 35 Dieser Kontext war zeitgenössisch vor Besuchsbeginn offensichtlich, vgl. z.B. Koch, Wein und Silber aus Paris, General-Anzeiger, 17.8.1962. Vgl. zur symbolischen Bedeutung der Feldherrnhalle in der NS-Zeit Scharf; zu den NS-Feiern am 9. November in München Behrenbeck, Kult, S. 299–313; zu München als Gedächtnisort des Nationalsozialismus Rosenfeld, Architektur.
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Gedenkfeiern daran erinnert worden. Die Gedenkreden Hitlers und die jährlichen Aufmärsche waren den Deutschen noch präsent. Hermann Schreiber versuchte, de Gaulles Handlungen begrifflich als »eine Art politischen Exorzismus« zu fassen. In dessen Folge sollten die Deutschen die Feldherrnhalle »nicht mehr mit den Nazi assoziieren, sondern […] mit Charles de Gaulle, der diese Deutschen hier, gerade hier, aufs neue als ein ›großes Volk, jawohl, ein großes Volk‹ hatte hochleben lassen«.36 Doch hatten die Westdeutschen nicht nur die Bilder von Hitler vor der Feldherrenhalle nicht vergessen, sondern auch die »Geräuschkulisse«, »der wilde, brausende Kollektivschrei« und die »frenetisch skandierenden Sprechchöre«, klangen noch in den Ohren nach und schienen sich einem Zitat gleich zu wiederholen und »den Schock der Erinnerung« auszulösen.37 Schreibers Versuch, de Gaulles Besuch als Exorzismus zu fassen, birgt ein bislang ungenutztes Deutungspotential, das seine Interpretation aus anderen zeitgenössischen Deutungen heraushebt. De Gaulles Handeln lässt sich in der Tat als säkularisierte Version der »rituelle[n] Vertreibung eines Dämons« verstehen.38 Er schloss alle Sinne dramaturgisch ein. Die Beschreibung seiner Gastgeber als großes deutsches Volk bzw. als große deutsche Nation durchzog de Gaulles Reden während der gesamten Reise und erreichte in München ihren Höhepunkt: De Gaulle versuchte, gerade an jenem Ort das nationale Selbstbewusstsein der (West-)Deutschen zu stärken, der Zeuge ihrer Diskreditierung war. Die Orte, an denen sich nationalsozialistische Bilder und Stimmen gedanklich lokalisieren ließen, sollten nun die Bilder de Gaulles und die Vorstellungen von einer gleichsam geläuterten Nation besetzen.39 Das Publikum am Ort begleitete laut Schreiber den Prozess der Vertreibung, Überschreibung und Loslösung mit heilsamen Schreien. Der »Stunde des Himmels«, von der Adenauer in Reims gesprochen hatte, entsprach nun ein »Augenblick der befreiten Emotion«.40 Presseartikel zeichneten de Gaulle als christliche Erlöserfigur.41 Fotografien, die ihn mit priesterlich ausgebreiteten Armen darstellten, wurden zu medialen Ikonen des Besuchs und verstärkten diese Assoziationen.42 De Gaulle bediente sich nicht nur einer sakralen Körpersprache, sondern glich auch in seinen Handlungen religiösen Vorbildern. Wie Jesus Christus die Kranken und Ausgestoßenen aufgesucht und ihre Leiden und Wunden geheilt haben soll – diese Heilungen deutet die Religionswissenschaft als Exorzismen43 –, 36 H. Schreiber, »Vive de Gaulle!«, Stuttgarter Zeitung, 10.9.1962. 37 Ebd. 38 Böcher, S. 748. 39 Vgl. zur Kritik an der Ortswahl: Leserbrief K. Körber, Die Zeit, 21.9.1962. 40 H. Schreiber, »Vive de Gaulle!«, Stuttgarter Zeitung, 10.9.1962. 41 Vgl. z.B. Bis zum Ural, Der Spiegel, 12.9.1962. 42 Vgl. Bildunterschrift Foto, FAZ, 6.9.1962. Dieses Foto fand sich in vielen Tageszeitungen. Der Daily Mirror titelte am 6.9.1962: »In one historic picture – the end of an ancient enmity«. 43 Vgl. Böcher, S. 748f.
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begab sich Charles de Gaulle zu den durch die nationalsozialistische Erfahrung belasteten Deutschen, besuchte Orte, die durch vergangene Ereignisse negativ gedeutet wurden, und versuchte sie durch eine Strategie des Überschreibens zu neutralisieren bzw. ihre Bedeutung ins Positive zu kehren. De Gaulle beschränkte sich nicht auf die Orte, sondern suchte zudem – auch darin der Christus-Figur ähnelnd – den körperlichen Kontakt zu den Kranken und Versehrten, indem er sich von der Feldherrnhalle zur Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten begab, wo Kriegsinvalide auf ihn warteten.44 Fotografien dokumentieren, wie sich der hochgewachsene General zu den ehemaligen deutschen Soldaten, von denen viele in Rollstühlen saßen, hinunterbeugte, um ihnen die Hand zu reichen.
Abb. 6: De Gaulle am Grabmal des Unbekannten Soldaten in München 1962
Den hohen symbolischen Wert dieser Fotografien machte sich das Bundespresseamt zunutze, indem es ein Bild (Abb. 6) auf einer Singleschallplatte mit den Reden de Gaulles reproduzierte.45 Die Franzosen wählten freilich andere Ikonen des Besuchs als Deutsche oder Briten: Nicht der Versöhner und Erlöser de Gaulle stand im ikonografischen Zentrum, sondern der »Eroberer«. Paris Match bewer44 Vgl. H.G. von Studnitz, De Gaulle kam, sah und siegte, Christ und Welt, 14.9.1962. 45 Vgl. die Single »Staatspräsident Charles de Gaulle in der Bundesrepublik Deutschland«.
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tete ein Foto, auf dem ein Hauptmann der Schutzpolizei sich vor dem französischen Staatspräsident verbeugte, als Symbol für die »Eroberung« Deutschlands und veröffentlichte es unter der Überschrift »Des Photos pour l’Histoire«.46 De Gaulles Besuch endete mit einer Rede an die deutsche Jugend in Ludwigsburg als Brückenschlag in die Zukunft, deren Schlüsselwort in de Gaulles Deutung Europa hieß. Sein Auftritt in Ludwigsburg folgte unmittelbar auf den Besuch in München. Die zeitliche Anordnung dieser thematischen Schwerpunkte reflektierte, wie eng Vergangenheit und Zukunft aufeinander bezogen werden konnten. Es konnte der Eindruck entstehen, »als stehe die wirkliche Prüfung beiden Völkern noch bevor«.47 Zugleich habe de Gaulle »Mut gemacht« für den Weg in die Zukunft, der in seiner Deutung über eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verlaufe.48 Es wäre zu einfach, diese Reise als zentralen Einschnitt in der westdeutschen Vergangenheitsbewältigung anzusetzen, denn die unmittelbare Wirkung eines Staatsbesuchs lässt sich kaum ermessen und sollte nicht überbewertet werden, auch wenn er so viel Beifall und Nachhall fand wie die beschriebene Visite 1962. Doch hatte der Besuch eine Möglichkeit des Umgangs mit der Vergangenheit aufgezeigt, bei der die Deutschen die Orte der nationalsozialistischen Vergangenheit und die damit verknüpften Bilder nicht meiden mussten, sondern mit ihnen konfrontiert wurden.
3. Ein Ort der staatlichen Erinnerung – Das Ehrenmal in Bonn Bis 1964 verfügte die Bundesrepublik über keinen Ort, an dem Staatsgäste der Bundesrepublik den als (ge)denkwürdig betrachteten Toten des Landes die Reverenz hätten erweisen können, wie es in anderen Staaten üblich war.49 Dass de Gaulle 1962 nach München hatte reisen müssen, um die deutschen Kriegstoten zu ehren, beschleunigte die Beratungen über ein nationales Ehrenmal.50 Im Ergebnis weihte Heinrich Lübke am Abend des 16. Juni 1964, am Vorabend des Gedenktages für den Aufstand vom 17. Juni 1953,51 eine von dem Bildhauer Kurt Schwippert entworfene Bronzetafel mit der Inschrift »Den Opfern der 46 Der Bückling eines Hauptmanns, Der Spiegel, 19.9.1962. 47 H.-W. Graf von Finckenstein, Zwei alte Herren auf Schloß Brühl, Die Welt, 6.9.1962. 48 H. Schreiber, »Vive de Gaulle!«, Stuttgarter Zeitung, 10.9.1962. 49 Hausmanns Aussage, dass die protokollarische Totenehrung ab 1950 am Gedenkstein für die Bonner NS-Opfer am »Alten Zoll« abgehalten wurde, lässt sich für Staatsbesuche nicht bestätigen, vgl. Hausmann, S. 103. 50 Vgl. Lurz, S. 96. Das Auf kommen der Diskussion über ein Ehrenmal wird auf 1959 bzw. 1960 datiert, vgl. H. Bergner, Staatsbesucher am neuen deutschen Ehrenmal, Stuttgarter Zeitung, 25.6.1964 versus Moll, S. 255; Lurz, S. 92. 51 Vgl. zur Geschichtspolitik am Beispiel des 17. Juni Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik; Wolfrum, Deutsche Frage.
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Kriege und Gewaltherrschaft« vor dem von Schinkel erbauten Akademischen Kunstmuseum im Bonner Hofgarten ein. Das bewusst gewählte Einweihungsdatum und die Zeremonie zeigen, dass mit dem Denkmal nicht nur die nationalsozialistische Gewaltherrschaft thematisiert werden sollte, sondern damit auch die Kritik an der DDR verknüpft wurde.52 Man kann diesen Gegenwartsbezug in Relation mit der »absichtsvoll ungenaue[n]« Inschrift als Relativierung der eigenen Schuld deuten.53 Doch die Inschrift lässt sich ebenso im Kontext der Kriegsgräbergesetze vom 27. Mai 1952 und 1. Juli 1965 betrachten, die den Kreis der eines Denkmals würdigen Personen im Vergleich zum Gesetz von 1922 erweiterten.54 1965 zählten dazu neben den Gefallenen beider Weltkriege zivile Opfer des Zweiten Weltkriegs, Opfer nationalsozialistischer Gewalt, Opfer von Vertreibung, von Verschleppung, Internierungsopfer, Opfer von Zwangsarbeit, Opfer aus internationalen Flüchtlingssammellagern und – sie rangierten in der Aufzählung direkt hinter den Opfern nationalsozialistischer Gewalt – Fluchtopfer aus der sowjetischen Besatzungszone und Ost-Berlin. Nun war nicht mehr von Kriegsgräbern, sondern von Gräbern der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft die Rede. Die Bronzetafel des Bundesehrenmals griff bei der Inschrift auf diese Formel zurück. Die Brisanz dieser Formulierung lag schon zeitgenössisch im vieldeutigen Opferbegriff. Der Begriff »Opfer« konnte das »freiwillig erbrachte Opfer« (lat. sacrificium) – im Widerstand wie im Dienste des NS-Regimes – meinen oder »das passive Besiegtsein oder Getötetwordensein« (lat. victima), das Soldaten und Verfolgte gleichermaßen betreffen konnte.55 Das Bonner Ehrenmal rekurrierte auf diesen weiten Opferbegriff und rief damit Widerspruch hervor. Es war keineswegs selbstverständlich, dass zusätzlich zu Soldaten und Bombenopfern auch KZ-Opfer oder Opfer aus dem Ausland in das Gedenken einbezogen wurden.56 Um den Einfluss skeptischer Stimmen auf die Planung einzugrenzen, übertrug Lübke der Universität Bonn die Federführung für das Ehrenmal und sicherte damit das Gedenken an Kriegs- und Gewaltopfer. Vor diesem Hintergrund konnte das Ehrenmal nicht nur als Zeichen von »Oberflächlichkeit und Sinnleere«,57 sondern auch als »sibyllinische Lösung« erscheinen.58 Das Provisorium erfüllte alle Merkmale eines 52 Vgl. zur Einweihung Moll, S. 255; Schimmelpfennig, S. 21; Vermerk Protokoll 6.1.1964, PA, B8, Bd. 1046; Vermerk Protchef, 21.5.1964; Vermerk von Holleben, 29.5.1964; Vermerk Noebel, 1.6.1964; Programm Widmung, Stand: 10.6.1964; Programm der Widmung am 16.6.1964, 17.30h, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.627; H. Bergner, Staatsbesucher am neuen deutschen Ehrenmal, Stuttgarter Zeitung, 25.6.1964. Vgl. zur Verknüpfung vom Gedenken an die NS-Gewaltherrschaft u. an die Opfer der SED-Diktatur Kirsch, Nationaler Mythos, S. 31. 53 Schimmelpfennig, S. 22. 54 Vgl. zum Gesetzeswandel Lurz, S. 115–118; Vogt, S. 218–220. 55 Vogt, S. 191f.; vgl. Behrenbeck, Heldenkult, S. 346. 56 Vgl. Vogt, S. 220f.; Lurz, S. 92–99; Schlie, S. 147. 57 Schimmelpfennig, S. 22. 58 Schlie, S. 145.
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Nationaldenkmals,59 wenngleich es kein staatliches Ehrenmal, sondern nur zur Nutzung durch den Bund bestimmt war.60 Obwohl Lübke das Ehrenmal für nicht-staatliche Gedenkveranstaltungen freigab, blieb die Nutzung de facto auf die Staatsrepräsentation gegenüber ausländischen Gästen beschränkt.61 Wenige Tage nach der Einweihung legte der österreichische Bundespräsident Adolf Schärf als erster ausländischer Staatsgast einen Kranz nieder.62 Fortan schrieben die Gäste an der Bedeutung des Ehrenmals weiter, das eine erste inhaltliche Kontextualisierung als symbolischer Ort der deutschen Teilung bei seiner Einweihung erfahren hatte. Befürchtungen des Protokolls, Gäste aus neutralen Staaten könnten sich wegen dieser Konnotation weigern, am Ehrenmal einen Kranz niederzulegen, erfüllten sich nicht.63 Möglicherweise erschien den Gästen eine Kranzniederlegung an einer Bronzetafel im beschaulichen Bonn nicht halb so brisant wie eine Reise nach Berlin. Zudem besaß in der Bundesrepublik das nationale Gedenken der Staatsgäste eine militärische Prägung und ähnelte damit jenem vieler anderer Staaten. Nichts erinnerte unmittelbar an den Bezug zur deutschen Teilung. Die Standortwahl des Ehrenmals erklärt sich auch aus der bewussten Entscheidung, dass das Gedenken »in breiter Öffentlichkeit erfolgen« sollte.64 Diese Entscheidung war von Beginn an umstritten.65 Die Bedenken gegen den Standort Hofgarten führten jedoch erst 1980 zum Umzug auf den etwas außerhalb der Stadt gelegenen Nordfriedhof, wo Valéry Giscard d’Estaing am 7. Juli 1980 als erstes Staatsoberhaupt einen Kranz niederlegte.66 Mit der Verlegung des Ehrenmals entzog sich das staatliche Gedenken nun den direkten Blicken der Straßenöffentlichkeit.67 Das »Umfeld der Gedenkstätte [war] sicherlich aussagekräftiger als der Rasen des Hofgartens«,68 da hier Repräsentanten jener Personengruppen, derer gedacht werden sollte, begraben waren. Doch hatten hier nicht nur zivile Bombenopfer und sowjetische Zwangsarbei59 Vgl. dazu Schimmelpfennig, S. 20. 60 Vgl. Lützeler, S. 269. 61 Vgl. von Dreising, Entwurf einer Niederschrift über Besprechung vom 16.7.1965, 28.7.1965; Rundschreiben BMI, 5.7.1965, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.627. 62 Vgl. Ablauf Kranzniederlegung, 24.6.1964, 10.45 Uhr, PA, B8, Bd. 514. 63 Vgl. Vermerk Noebel, 1.6.1964, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.627 u. B8, Bd. 514. 64 Von Holleben an Hirschfeld, 19.8.1965, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.627. Vgl. auch Lütze ler, S. 270. 65 Vgl. Hirschfeld an von Holleben, 6.8.1965; von Holleben an Hirschfeld, 19.8.1965; von Holleben an Polizeipräsident Porz, 19.8.1965; Kettler an Schwarzmann, 19.7.1967, PA, Zwi schenarchiv, Bd. 167.627. Vgl. zum Hofgarten als »Ort des politischen Happenings« Schlie, S. 147. 66 Vgl. Ehrenmal wird kurzfristig zum Nordfriedhof verlegt, General-Anzeiger, 2.7.1980; Versetzung des Ehrenmals stößt auf harte Kritik, General-Anzeiger, 3.7.1980. 67 Vgl. Kranzniederlegung ohne Zuschauer, Kölnische Rundschau, 8.7.1980. 68 Schimmelpfennig, S. 22.
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ter ihre letzte Ruhestätte, sondern auch 17 Mitglieder der Waffen-SS. Wenn in den achtziger Jahren zwei geschichtspolitische Tendenzen, die Stilisierung Deutschlands zur Opfernation und die Differenzierung der Opfer, miteinander konkurrierten,69 dann setzte sich am Nordfriedhof letztere durch. Seit 1985 galten die Kranzniederlegungen nicht mehr allen dort bestatteten Toten beider Weltkriege; ausdrücklich ausgenommen waren die SS-Mitglieder.70 Damit hatte sich das nationale Gedenken ganz auf die victimae gerichtet, was mit den zeitgleichen Praktiken ausländischer Gäste der Bundesrepublik korrespondierte – seit den siebziger Jahren suchten die Staatsgäste vermehrt ehemalige Konzentrationslager auf und gedachten dort der Opfer des NS-Systems. Letztlich erwies sich auch der Nordfriedhof nicht als zufriedenstellende Lösung. Helmut Schmidt und seine Berater hatten in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre auf eine neue Gedenkstätte im Regierungsviertel gedrängt, deren Realisierung trotz des Betreibens des Kanzlers nicht weiter verfolgt wurde.71 Er brachte diese Idee zwar 1981 wieder ins Gespräch, aber erst im Zuge des geschichtspolitischen Wandels unter der Kanzlerschaft Helmut Kohls kamen Pläne auf, die zur Neuen Wache als altem und neuem Nationaldenkmal in Berlin führten.72
4. Die Gedenkstätte Plötzensee und Berlin als Ort der deutschen Erinnerung Im Unterschied zum Ehrenmal suggerierten Orte des Gedenkens, an denen Menschen durch das NS-System zu Tode gekommen waren, Authentizität, wenngleich sie zumeist in hohem Maße inszeniert waren. Einer dieser Orte war die Gedenkstätte Plötzensee in Berlin-Charlottenburg. In der Strafvollzugsanstalt Plötzensee wurde ein Viertel aller 12 000 Menschen, die zwischen 1933 und 1945 aufgrund eines Gerichtsurteils hingerichtet wurden, durch das Fallbeil getötet – darunter viele Beteiligte des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.73 Der 1952 eingeweihte Gedenkstättenkomplex bestand anfänglich aus der eigentlichen Richtstätte und einer vorgelagerten Mauer aus Steinquadern mit der Widmungsinschrift »Den Opfern der Hitlerdiktatur 1933–1945«. Im Unterschied zum Bendlerblock, dem ehemaligen Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht und Zentrale der so genannten Verschwörer vom 20. Juli, beschränkte diese Ge69 Vgl. Koshar, Monuments, S. 252–258. 70 Vgl. Hausmann, S. 104. Im Zuge der Empörung über den Besuch Reagans auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem u.a. Soldaten der Waffen-SS bestattet waren, geriet auch der Nordfriedhof in die Kritik, vgl. Auch Mitterrand war an SS-Gräbern, Der Tagesspiegel, 27.4.1985. 71 Vgl. Schimmelpfennig, S. 23. 72 Vgl. dazu etwa Halbach; Kruse. 73 Vgl. Oleschinski.
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denkstätte das Gedenken zunächst nicht auf den Widerstand des 20. Juli, sondern bediente sich eines weiten Opferbegriffs in der Kombination von victima und sacrificium. In seiner Rede bei der Grundsteinlegung schilderte der damalige Berliner Bürgermeister Reuter Plötzensee als Ort, an dem »Angehörige aller Gesellschaftsschichten und fast aller Nationen« getötet worden waren.74 Damit suggerierte er ein sozial und international integratives Moment der Gedenkstätte. In Plötzensee sollte nicht nur der Opfer der NS-Justiz gedacht werden – unter denen sich im Übrigen nicht nur NS-Gegner befanden –, sondern auch der politisch, religiös und rassisch Verfolgten. Das Gedenken wurde auch in der Gestaltung der Gedenkstätte ausgeweitet. Nachdem dort 1956 eine mit Erde aus ehemaligen Konzentrationslagern gefüllte Urne aufgestellt worden war, verknüpfte ein und derselbe Ort in Berlin das Gedenken an den politischen Widerstand mit dem Gedenken an den Holocaust.75 Diese Bedeutungsfacette des ursprünglich breit angelegten Gedenkens verlor in den sechziger Jahren mit der Fokussierung auf den deutschen Widerstand deutlich an Gewicht.76 Erst in den achtziger Jahren wuchs das Interesse an der Differenzierung der Opfer.77 Zuvor bot die Gedenkstätte die Möglichkeit, den Widerstand nicht näher unterscheiden zu müssen und allen, die gelitten hatten, Einlass in den Kreis der Opfer zu gewähren, der zugleich als Symbol für die Nation stand.78 Auch wenn die Staatsgäste nicht ausschließlich der Widerstandskämpfer des 20. Juli gedachten, fällt auf, dass das Protokoll besonders Anfang der sechziger Jahre über Plötzensee als Programmpunkt bei Staatsbesuchen nachdachte, als der positive Bezug zum 20. Juli seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte.79 Für den Kennedy-Besuch erdachte eine Planerin Plötzensee als darstellerischen Gegenpol zu einer abgebrannten Synagoge. Implizit wurde Plötzensee in dieser Wahrnehmung zum Ort des Widerstands. Über den 20. Juli konnte wiederum der Bezug zur »deutschen Problematik« hergestellt werden, da er in den sechziger Jahren mit dem 17. Juni eng verknüpft war.80 Beide Daten stellten in der bundesoffiziellen Lesart zwei Seiten
74 Zit. n. ebd., S. 4. 75 Vgl. Czaplicka, S. 177. 76 Vgl. ebd., S. 173. 77 Vgl. Koshar, Monuments, S. 243–245. 78 Vgl. ebd., S. 186. 79 Die Stadtrundfahrt des thailändischen Königspaares streifte 1960 Plötzensee, womit noch nicht gesagt ist, dass die Gedenkstätte thematisiert wurde. 1962 besuchte der kamerunische Präsident Ahidjo die Gedenkstätte, vgl. Deutschlandspiegel 104 (1962), BA/FA. Vgl. zur Rezeption des 20. Juli in den sechziger Jahren Assmann/Frevert, S. 202f.; Steinbach, S. 40; vgl. grundsätzlich Frei, Erinnerungskampf; Fröhlich; Ueberberschär; zu den Rezeptionsbedingungen Conze, Aufstand. 80 Aufzeichnung R. Müller, 19.4.1963, BA, B145/3118, Bd. 1. Es findet sich tatsächlich ein Hinweis auf die Gedenkstätte in Brandts »Waschzettel« für den Kennedy-Besuch, LAB, B Rep. 002, Nr. 11163, Bd. 2.
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des Kampfes gegen den totalitären Staat und für die Demokratie dar und waren in ihrer Entstehung als Gedenktage aufeinander bezogen.81 Im selben Jahr verknüpfte auch der deutsche Botschafter in Jordanien, Karl Graf von Spreti, Plötzensee mit dem 20. Juli, bei den Vorbereitungen für den Besuch Husseins von Jordanien. Er versprach sich von der »Hinrichtungsstätte« den Vorteil, die »Haltung Deutschlands zum nationalsozialistischen System dokumentieren« zu können, »ohne das Thema der Judenverfolgung direkt zu berühren«.82 Die Urne mit Erde aus Konzentrationslagern schien für von Spreti keine Rolle zu spielen. Plötzensee symbolisierte nur den Widerstand, beschränkt auf den deutschen Widerstand, womit auch die Polen, Tschechen, Belgier und Franzosen, die in Plötzensee hingerichtet worden waren, aus dem Gedenken herausfielen. Auch bei Folgebesuchen sollte Plötzensee den Staatsgästen den deutschen Widerstand und sein Martyrium vor Augen führen.83 Plötzensee war nach diesem Verständnis Anschauungsort des ›anderen‹ Deutschlands. Das ehemals breit angelegte Gedenken hatte sich deutlich auf die Perspektive des 20. Juli verengt. Ende der sechziger Jahre endeten mit den Besuchen in Berlin auch die Besichtigungen in Plötzensee. Richard Nixon war der vorläufig letzte Staatsgast, dem ein Besuch in Plötzensee als »einzigartige geste von grosser wirkung« nahegelegt worden war. Er verzichtete aus Zeitmangel und Sicherheitsgründen.84 Mit dem Wiedereinsetzen der Berlinbesuche Ende der siebziger Jahre erlebte auch die Gedenkstätte Plötzensee eine Renaissance als Programmpunkt bei Staatsbesuchen. Den Neuanfang machte der italienische Staatspräsident Sandro Pertini 1979, Antifaschist und Aktivist der italienischen Resistenza. Pertinis gesamte Reise stand wie kein Besuch eines italienischen Staatsoberhauptes in der Bundesrepublik zuvor im Zeichen der Vergangenheit. Von Beginn an folgte Pertini beharrlich der Spur in die Vergangenheit, die ihn zum Grab seines toten Bruders ins ehemalige Konzentrationslager Flossenbürg führte. Pertini besuchte aber auch Orte des deutschen Widerstands, den er selbst in hohem Maße mit dem 20. Juli verknüpfte. Er würdigte in seiner vergangenheitspolitischen Rede in Schloss Augustusburg, mit der er die Usancen für Tischreden 81 Vgl. zu dieser Verknüpfung Assmann/Frevert, S. 198; Behrenbeck, Pain and Silence, S. 49f. Ihre Verknüpfung erweist sich als »Schlüssel zum Verständnis der Identitätsprobleme« der Bundesrepublik, die im moralischen u. nationalen Defizit der Nachkriegsjahre gründeten, vgl. Doering-Manteuffel, Innerdeutsche Grenze, S. 137, Anm. 34. 82 Von Spreti an von Holleben, 15.9.1964, PA, B8, Bd. 510. Wahrscheinlich sollte beim Besuch Husseins wegen des offenen Konflikts Jordaniens mit Israel das Thema Judenverfolgung ausgeklammert werden, vgl. Ländermappe Jordanien, PA, B8, Bd. 510. 83 Vgl. Bericht Fischer, Bangkok, Nr. 705/706, 1.10.1965, PA, B8, Bd. 1127. 84 Drahtbericht Pauls, Washington, 20.2.1969, PA, B8, Bd. 1610; vgl. Drahtbericht Pauls, Washington, 6.2.1969; Drahterlass Schwarzmann an Dienststelle Berlin, 12.2.1969; Drahterlass Schwarzmann, 22.2.1969, PA, B8, Bd. 1610.
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sprengte, unter anderem das »andere Deutschland, das der Tyrannei und ihren Verbrechen Widerstand leistete«, explizit die Weiße Rose und den 20. Juli.85 Pertini besuchte Plötzensee als Ort des nationalsozialistischen Widerstands und stellte in seiner Rede vor der Gedenkmauer einen bereits aus den sechziger Jahren bekannten Zusammenhang zwischen dem Widerstand im Nationalsozialismus und der Haltung Berlins im Kalten Krieg her, in dem Berlin als »Symbol des Widerstands und der Verteidigung der Freiheit« figuriere.86 Die Gedenkmauer erschien als Pendant zu der Mauer, die Berlin teilte. Die bereits erwähnte Verschränkung von 17. Juni und 20. Juli kehrte in der Parallelisierung der beiden Berliner Mauern wieder. Die Akzentuierung des 20. Juli unterstrich Pertini zudem durch einen ungeplanten Halt an der Gedenkstätte am Bendlerblock, die zu diesem Zeitpunkt nur den konservativ-militärischen Widerstand in den Blick nahm.87 Die gedankliche Verknüpfung von Berliner Mauer und der Gedenkmauer in Plötzensee klang auch bei den Beobachtern des Besuchs der niederländischen Königin drei Jahre später an. Beatrix habe »das Andenken an die Opfer des Wahns, der den Niederlanden zum Verhängnis wurde«, gewahrt und »der Beharrlichkeit der Berliner Reverenz« erwiesen, »deren Freiheit sie gleichsetzt mit der Freiheit ihrer Landsleute«.88 Berlin war nicht mehr nur Anschauungsort der Teilung, sondern Ort einer »Deutschstunde«, die neben der Gegenwart auch die Vergangenheit einschloss und deren Verquickung aufzuzeigen suchte. Im Unterschied zu Pertinis Besuch fokussierte das Gedenken der niederländischen Königin an der Mauer in Plötzensee nicht allein den deutschen Widerstand und damit einen heroischen Opferbegriff. Es rekurrierte auf die Opfer im Allgemeinen – wenngleich dieses einer Vielzahl der Berichterstatter verborgen blieb, die Gedenkstätte wie Besuch auf den 20. Juli reduzierten.89 Vor dem Besuch der Hinrichtungsstätte legte Beatrix einen Kranz mit weißen Lilien und Tulpen an der Gedenkmauer nieder und betete.90 Mit diesen Handlungen und der Verwendung christlicher Symbole, wie der weißen Lilie als Zeichen der Reinheit und Unschuld, gab die Königin ihrem Besuch einen deutlich religiösen Akzent, der – möglicherweise unbeabsichtigt – mit der Inszenierung der Hinrichtungsstätte korrespondierte. Denn so authentisch die Hinrichtungsstätte Plötzensee auf den ersten Blick erscheinen mag, so folgte sie doch insze85 Zit. n. C. Widmann, Worte, die aus dem barocken Rahmen fallen, SZ, 20.9.1979. 86 D. Stadach, Zu Fuß von der Mauer zum Reichstag, RP, 21.9.1979. 87 Vgl. Koshar, Monuments, S. 186. 88 F. Kemna, Deutschstunde für eine Königin, Die Welt, 4.3.1982; vgl. H. Bleich, Die Königin wirbt für den Frieden, FR, 26.2.1982. 89 Diese Sicht findet sich etwa bei O.J. Weis, Ein oberster Schirmherr und ein paar Schlüsselworte, FR, 4.3.1982; G. Werz, Bad in der Menge in Berlin verregnet, Frankfurter Neue Presse, 4.3.1982. 90 Vgl. E. Keil, Beatrix wünscht Berlinern Mut und Ausdauer, Die Welt, 4.3.1982.
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natorischen Regeln: Der leere Raum, das Weiß der Wände und die gewölbten Fenster »conjure up as a sacral space«. Angesichts der Leere des Raumes richte sich der Blick schnell auf fünf von ehemals acht Fleischerhaken, Zeichen für »a modern martyrdom that is en masse anonymous, painful, and antirhetoric«.91 Dieser inszenierten Authentizität konnten sich die Besucher offenbar nicht entziehen. »Bleich, offensichtlich sehr tief erschüttert, verließ Beatrix den Hinrichtungsraum. Zuletzt betrachtete sie […] wortlos die große Urne mit Erde aus deutschen Konzentrationslagern.«92 Das Gedenken auch der nichtheroischen Opfer als victima ermöglichte es in diesem Fall, die Urne in den Blick und damit in das Gedenken einzubeziehen. Die unterschiedliche Betonung in Pertinis und Beatrix’ Besuchen in Plötzensee zeigt die Deutungsbreite und das Handlungsspektrum des Ortes. Auf Pertinis vergangenheitspolitischer Rundreise durch Westdeutschland markierte Plötzensee als Ort des deutschen Widerstandes nur eine Station. Für Beatrix war es der wichtigste Berührungsort mit der NS-Vergangenheit. In der Gedenkstätte begegnete sie neben dem Widerstand als heroischem Handeln auch der Verfolgung und dem Unrecht der NS-Justiz. Ihre persönliche Begegnung mit dem Widerstand vollzog sich in Schloss Augustusburg, da der Gastgeber »Repräsentanten des deutschen Widerstandes oder deren Söhne« eingeladen hatte: Reinhard Goerdeler, Sohn Carl Goerdelers, Rüdiger von Voss, Sohn Hans-Alexander von Voss’ und Präsident der Forschungsgemeinschaft 20. Juli, sowie Eugen Gerstenmaier, der im Bendlerblock verhaftet worden war.93 Beim Vergleich der beiden Besuche wird offenkundig, dass das Gedenken des Widerstands und das Gedenken der Verfolgten in einem Ort kulminierten und so miteinander verknüpft waren.94 Das erklärt, warum Robert Leicht 1985 im Kontext der emotional aufgeladenen Debatten um die umstrittenen Reisestationen Reagans, Bitburg und Bergen-Belsen, die Gedenkstätte Plötzensee als rettende Lösung einfiel: »Hier wird alles symbolisch deutlich: Verbrecherische Herrschaft und scheiternder Widerstand, jene Niederlage, von der uns der 8. Mai 1945 schmerzlich befreite.«95
91 Czaplicka, S. 178. 92 E. Keil, Beatrix wünscht Berlinern Mut und Ausdauer, Die Welt, 4.3.1982. 93 Dies., Für Beatrix trug Bonn wieder Frack, Die Welt, 3.3.1982. Schon beim Besuch Pertinis erhielt Werner Goldberg, Vertreter des Zentralverbandes Deutscher Widerstandskämpfer, einen Ehrenplatz, vgl. dies., Auch Carstens wollte keinen Frack, Kölnische Rundschau, 20.9.1979. 94 Vgl. Czaplicka, S. 180. 95 R. Leicht, Nicht nach Bitburg!, SZ, 27.4.1985.
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5. Konzentrationslager und Friedhöfe – die (Inter-)Nationalisierung des Gedenkens durch die Staatsgäste Noch bevor der erste Staatsgast am Bonner Ehrenmal der Opfer der Kriege und Gewaltherrschaft gedenken konnte, hatte sich bereits ein Gast aus dem Ausland einer Strategie des Gedenkens bedient, die andere Bilder der NS-Vergangenheit evozierte. 1963 besuchte der italienische Staatspräsident Antonio Segni als erster Staatsgast in der Bundesrepublik ein ehemaliges Konzentrationslager. Er initiierte damit das Gedenken der Staaten, die unter deutscher Besatzung gelitten und/oder im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland Krieg geführt hatten, an ihre Opfer. Diese Nationalisierung des Gedenkens in der Bundesrepublik brachte eine Internationalisierung der Orte des Gedenkens mit sich. Ehrenfriedhöfe und ehemalige Konzentrationslager waren oftmals Konglomerate von Erinnerungsorten verschiedener gesellschaftlicher, ethnischer und nationaler Gruppen. Staatsbesuche betonten stets die nationale Sicht auf die Toten.96 Auf diese Weise fielen ethnische Gruppen, die über keine staatliche Repräsentanz verfügten wie z.B. die Sinti und Roma, aus dem Blick der Staatsbesucher ganz heraus. Segnis Besuch kam nicht auf Betreiben von westdeutscher Seite, sondern auf Initiative italienischer Verfolgtenverbände zustande, die den Staatspräsidenten zur Einweihung einer Gedenkkapelle für die italienischen Opfer des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau einluden. Die Bundesrepublik richtete für Segni einen inoffiziellen Besuch aus, der wegen naheliegender Vergleiche die gleichen protokollarischen Merkmale tragen sollte wie die Besuche Charles de Gaulles 1962 und John F. Kennedys 1963.97 Am 31. Juli 1963 wurde die Gedenkkapelle Maria Regina Pacis durch eine Heilige Messe, gerahmt von Kranzniederlegungen und kurzen Ansprachen Lübkes und Segnis, eingeweiht. Ein zehnminütiger Aufenthalt in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers beschloss den Besuch der Staatspräsidenten in Dachau.98 So konnte Segni wenigstens einen kleinen Eindruck von den rekonstruierten Baracken gewinnen, »a highly sanitized, orderly and hygenic version of the past«.99 Für das Protokoll in Dachau zeichnete allein die italienische Seite verantwortlich.100 Andernfalls wäre der kommunist ische Verband der Partisanen Italiens (ANPI) kaum an der Zeremonie beteiligt worden.101 Mit der Ein96 Vgl. Runderlass Schwarzmann, 23.6.1970, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.689. 97 Vgl. Vermerk Noebel, 12.7.1963, PA, B8, Bd. 506. 98 Vgl. Fernschreiben Huber, 24.7.1963; Programm, Stand: 19.7.1963, PA, B8, Bd. 506. 99 Fulbrook, S. 40. 100 Vgl. Entwurf Fernschreiben Stercken an Konsulat Genua, 20.7.1963, BA, B145/3112; Vermerk von Holleben, 22.7.1963, PA, B8, Bd. 506. 101 Der Antikommunismus der Bundesrepublik kulminierte 1956 im Verbot der KPD, vgl. Major, S. 257–291. Er erklärt sich aus seiner Rolle als westdeutsche Ersatzidentität im Kalten Krieg, vgl. Dubiel, S. 75.
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weihung einer Gedenkkapelle in Dachau überließen die Westdeutschen nicht nur einem anderen Land einen in der Bundesrepublik gelegenen Ort des Geschehens für seine eigenen vergangenheitspolitischen Zwecke, in diesem Fall für das Gedenken der Resistenza.102 Die Gedenkkapelle war zudem ein materieller Beitrag zur Verfestigung Dachaus als Ort des Erinnerns. Dieses Gedenken war nicht selbstverständlich. Erst 1956 war es ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers gelungen, die Nutzung des Geländes als Ort des Erinnerns gegen die Kommune Dachau und den Freistaat Bayern durchzusetzen. Bei Einweihung der Gedenkkapelle 1963 war das Museum der Gedenkstätte noch nicht eröffnet und die Existenz des Gedenkortes keineswegs gesichert. Der Weg zu einem Ort des Erinnerns führte zuerst über das Gedenken an die katholischen Opfer, für die 1960 eine Kapelle errichtet wurde, ein Ort des jüdischen Gedenkens entstand erst 1966/7.103 Die italienische Kapelle war ein Schritt auf dem Weg zur Verfestigung und Internationalisierung des Gedenkortes. Allerdings überließen die westdeutschen politischen Repräsentanten dem Gastland die Bühne nicht allein, sondern betrachteten die Einweihung der Gedenkkapelle als vergangenheitspolitische Gelegenheit für die Bundesrepublik. Der deutsche Botschafter in Rom, Manfred Klaiber, verschränkte in seinem Entwurf für die Rede des Bundespräsidenten den Widerstand, fokussiert auf den 20. Juli, nicht mit der deutschen Teilung, sondern mit dem Europagedanken. Nach einem Rekurs auf Heuss’ Kranzniederlegung an den Fosse A rdeatine104 als implizites Schuldeingeständnis sollte eine »kurze und klare wuerd igung des deutschen widerstandes« folgen, um zu verdeutlichen, dass auch Deutsche gegen das NS-Regime gekämpft hatten. Aus der Erinnerung an den Widerstand leitete er eine gemeinsame Verpflichtung für die europäische Zukunft ab. Die Widerstandskämpfer erschienen als Vorkämpfer eines geeinten Europas. Die Begegnung in Dachau wünschte er als »schlussstrich unter einen tragischen abschnitt in der geschichte unserer beiden voelker«.105 Der Bundeskanzler, der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel und Segni stellten die Einweihung der Gedenkkapelle ebenfalls in einen europäischen Kontext der Versöhnung und Zukunftsorientierung.106 102 Vgl. zur italienischen Erinnerung an die Resistenza Focardi; Klinkhammer; Mantelli; Poggiolini; Sassoon. 103 Vgl. Assmann/Frevert, S. 206f.; Distel, Entstehung; dies., Konzentrationslager; Fulbrook, S. 38–40; Koshar, Monuments, S. 219–221; Marcuse; Zarusky. Die Gedächtniskapelle Maria Regina Pacis wird in den meisten Texten nicht erwähnt, eine Ausnahme bildet Schafft/Zeidler, S. 73–96. 104 In den Tuffsteinhöhlen in der Nähe von Rom ließ der deutsche Polizeichef von Rom, Herbert Kappeler, am 24. März 1944 als Vergeltung für ein Attentat vom Vortag 335 italienische Geiseln, darunter Frauen u. Kinder, erschießen. 105 Drahtbericht Klaiber, Rom, 18.7.1963, PA, B8, Bd. 506. 106 Vgl. Gedankenskizze für Tischrede BK, o.V., o.D., PA, B8, Bd. 506; M. Rehm, Lübke heißt Segni in München willkommen, SZ. 1.8.1963; Gedächtniskapelle »Regina pacis« eingeweiht, Die Welt, 1.8.1963.
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Die Presse rezipierte den Besuch in Dachau im Sinn der italienischen und westdeutschen Staatsvertreter als Ausdruck der Versöhnung, obwohl im Auswärtigen Amt, Bundespräsidial- und Bundespresseamt die mediale Verwertbarkeit der Inszenierung in Dachau bezweifelt worden war.107 Wenn auch keine bleibenden ikonischen Bilder entstanden, wurde mit dem Besuch doch zu einer Zeit, als der Eichmannprozess in der italienischen Öffentlichkeit deutliche Schatten auf das Verhältnis zu Deutschland warf,108 ein Gegenbild der gemeinsamen Versöhnung unter christlichen Vorzeichen entworfen. Italo Pietra, Direktor der eher deutschlandkritischen Tageszeitung Il Giorno, sah die gemeinsame Ehrung der Opfer des »Nazifaschismus« als Indiz dafür, dass Italien und die Bundesrepublik »mit der Vergangenheit gebrochen hätten« und damit eine Freundschaft ermöglichten.109 Der Besuch in Dachau lässt sich demnach auch als eine Inszenierung des Bruchs lesen. Rückblickend erschienen der deutsche Widerstand und die italienische Resistenza als Wegbereiter dieses Bruchs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, dessen Fluchtpunkt die Einigung Europas darstellte. Wenngleich der Besuch auch in Westdeutschland zur Nachricht wurde, sticht doch ins Auge, dass die Rezeption nicht über den Interpretationsansatz der deutsch-italienischen Versöhnung hinausging und der Besuch nicht zum Anlass für eine breitere Thematisierung der Geschichte des Konzentrationslagers genommen wurde. Trotz Bemühungen des Bundespresseamtes, die Fernsehanstalten »für gute und ausführliche Resonanz zu gewinnen«, übertrug nur das italienische Fernsehen RAI Segnis Aufenthalt in Dachau live. Das ZDF unterstützte die RAI dabei, beschränkte sich jedoch auf eine abendliche Berichterstattung. Die ARD strahlte einen fünfminütigen Sonderbericht nach der Tagesschau aus.110 Die nächste Ehrung eines Staatsgastes für eigene Landsleute, die durch den NS-Staat zu Tode gekommen waren, kam acht Jahre später beim Besuch Julianas der Niederlande unter ganz anderen Vorzeichen zustande. Während der Präsidentschaft Gustav Heinemanns und der Kanzlerschaft Willy Brandts reisten ab Anfang der siebziger Jahre Repräsentanten jener Staaten in die Bundesrepublik, die den neuen westdeutschen Staat mit Zurückhaltung betrachtet hatten und sich eine symbolische Aussöhnung mit Heinrich Lübke oder Kurt Georg Kiesinger als Gegenüber nicht hätten vorstellen können. 1971 bereisten die niederländische Königin Juliana und ihr Mann Prinz Bernhard sowie das belgische Königspaar das Land der ehemaligen Besatzer – für die Belgier war es der erste Staatsbesuch in Deutschland seit 60 Jahren. Mit Norwegen 107 Vgl. Vermerk Stercken, 22.7.1963, BA, B145/3112; Vermerk Krüger, 13.8.1963, BA, B145/4671. 108 Vgl. Gedächtniskapelle »Regina pacis« eingeweiht, Die Welt, 1.8.1963. 109 Bericht Rumpf, Mailand, 8.8.1963, PA, B8, Bd. 506. 110 Vermerk Freibüter, 25.7.1963, BA, B145/3112.
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kam 1973 der erste Besuchsaustausch seit 1905 zustande. 1974 reiste nach 61 Jahren erstmals wieder das dänische Staatsoberhaupt nach Deutschland. Im selben Jahr machte der ehemalige Partisan und damalige Staatspräsident von Jugoslawien Tito eine Staatsvisite. Ende der siebziger Jahre reiste der polnische Staatschef Edward Gierek zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik. Erste Staatsbesuche kamen mit Luxemburg 1977 und der Tschechoslowakei 1978 zustande.111 Es dauerte rund 30 Jahre, bis es der Bundesrepublik gelang, sich mit den Staaten, die während der NS-Zeit besetzt worden waren, soweit auszusöhnen, dass man sich offiziell auf Augenhöhe begegnen konnte. Bis zum Austausch von Staatsbesuchen mit Israel vergingen weitere zehn Jahre. Dass die genannten Besuche erst so spät stattfanden, belegt deutlich, dass die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus lange nachwirkten und die Bilder des nationalsozialistischen Deutschlands in den Vorstellungswelten vieler Länder noch präsent waren. 1973 gelang es der Bundesrepublik, die jugoslawischen Wiedergutmachungsforderungen in Kredite umzuwandeln (Brioniformel) und auf diese Weise die zukünftige Zusammenarbeit erst zu ermöglichen.112 Tito streifte bei seinem Besuch die NS-Zeit nur mit wenigen Worten.113 Beim Besuch des Königs von Norwegen bedankte sich Brandt zwar explizit für die Bereitschaft der Norweger, »über eine unselige Vergangenheit hinweg Brücken des Vertrauens zu einer guten Gemeinsamkeit zu bauen«, worauf der König den Besuch als »Zeitenwende des Verhältnisses« beider Staaten bezeichnete.114 Doch die Besuchsvorbereitungen dokumentieren, wie fragil dieses Verhältnis und wie präsent die NS-Vergangenheit war. König Olavs Abreise aus Kiel, so die norwegische Tageszeitung Aftenposten, fiel auf das Datum der Rückkehr seines Vaters aus dem durch die deutsche Okkupation erzwungenen Exil 1945.115 Auch die westdeutschen Protokollbeamten zeigten sich für problematische Bilder der Vergangenheit sensibilisiert. Die Programmgestaltung zeichnete sich durch jene Elemente aus, die wegfielen, weil sie bei den Norwegern mit negativen Erinnerungen verbunden waren. Das Protokoll schlug wegen der Vergangenheit Ministerpräsident Hans Filbingers, dessen Taten als Offizier der Besatzungstruppen in Norwegen Schlagzeilen machten, keine Reise nach Stuttgart vor. Berlin könne als Hauptstadt des »Dritten Reichs« negative Assoziationen wecken. Der deutsche Botschafter Gerhard Ritzel resümierte: 111 Der Besuch Husaks wurde im Vergleich mit dem Besuch Giereks wegen seiner mangelnden historischen Bezüge kritisiert, vgl. z.B. S. Martenson, Dem Besuch Husaks fehlt die historische Dimension, Stuttgarter Zeitung, 8.4.1978. 112 Vgl. O. Ihlau, Tito zieht einen historischen Schlußstrich, SZ, 28.6.1974; J. Lorenz, Titos historischer Besuch, Kieler Nachrichten, 22.6.1974. 113 Vgl. O. Ihlau, Zukunftsvisionen statt eines Blicks zurück, SZ, 26.6.1974. 114 Brücken über unselige Vergangenheit, SZ, 6.6.1973. 115 Vgl. Arbeitsübersetzung H. Skrede, Der König wird Bonn besuchen, Aftenposten, 14.12.1972, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.219.
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»Wir sind eben noch nicht ganz über den Berg.«116 Der Besuch Husseins von Jordanien am 9. November 1978 sollte verschoben werden, da der 40. Jahrestag der so genannten Reichskristallnacht »unglückliche Assoziationen wecken« könne.117 Die Reflexion über die Wahrnehmung durch andere und vor allem durch Opfer der deutschen Okkupation beschränkte sich nicht auf staatliche Behörden. Georg Schröder reflektierte in Die Welt aus Anlass des Besuches König Olavs die norwegischen Bilder von Deutschland. Die Norweger verbänden damit »immer noch Besetzung, Quisling, Nazi, Widerstand und Gestapo«. Erst langsam tauche bei den Norwegern »hinter den Schreckgespenstern, die sich tief in die Seelen eingebrannt haben, […] das Bild einer Bundesrepublik Deutschland auf, eines friedenshungrigen, demokratischen Landes«.118 1971 besuchte Königin Juliana der Niederlande erstmals die Bundesrepublik. Dieser Besuch macht die Komplexität der gemeinsamen Vergangenheit beider Länder anschaulich. Seit 1962 hatte sich das Auswärtige Amt um eine Begegnung des Bundespräsidenten und der niederländischen Königin bemüht, doch die niederländische Seite hielt intern einen offiziellen Besuchsaustausch für »noch viel zu früh«.119 Im Prozess der Versöhnung mit Deutschland verhielt sich die Regierung in Den Haag mit Blick auf die niederländische öffentliche Meinung vorsichtig. 1965/66 rief die bevorstehende Hochzeit der Thronfolgerin Beatrix mit einem Deutschen antideutsche Ressentiments hervor,120 1967/68 verhinderten erwartete Unruhen in Amsterdam einen Besuchsaustausch. Zwar hatte Bundeskanzler Erhard bereits 1964 zum ersten Mal die Niederlande bereist, doch war dieser Aufenthalt ohne vergangenheitspolitische Gesten verlaufen. Die Wahl Heinemanns zum Bundespräsidenten schuf wegen seiner »unbestritten anti-nationalsozialistische[n] Vergangenheit« eine neue Grundlage für einen Besuch, der schließlich im November 1969 stattfand. Um einen Eklat zu vermeiden, befanden sich in der Begleitung Heinemanns nur Personen ohne nationalsozialistische Vergangenheit; so reiste der westdeutsche Protokollchef Hans Schwarzmann nicht mit in die Niederlande. Das niederländische Protokoll tarierte das Besichtigungsprogramm fein aus und arbeitete dabei mit Vertretern der jüdischen Gemeinschaft und des Widerstandes zusammen. Diese lehnten einen Besuch Heinemanns im Anne-Frank-Haus als Entweihung ab. Stattdessen besichtigte er die St. Laurenskirche in Rotterdam, die bei deutschen Luftangriffen im Mai 1940 zerstört worden war, und fuhr zum Nationalmonument auf dem Amsterdamer Dam sowie zur Hollandsche 116 Ritzel, Botschaft Oslo, an von Podewils, 19.12.1972, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.219. 117 R. Zuckschwerdt, Volles Programm des Königspaares zwischen Havel und Panke, Berliner Morgenpost, 5.11.1978. 118 G. Schröder, Der norwegische König zu Gast – eine Geste der Versöhnung, Die Welt, 7.6.1973. 119 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Wielenga, S. 270–275, Zitate S. 270f. 120 Vgl. zur Hochzeit ausführlicher Wielenga, S. 340–350.
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Schouwburg. In dem ehemaligen Theater, das Sammelstelle für Judendeportationen gewesen war, verneigte sich Heinemann symbolisch vor den Opfern und antizipierte damit eine Geste der Demut und Buße, die Brandt ein Jahr später am Mahnmal für das Warschauer Ghetto durch einen Kniefall steigerte.121 Heinemanns Besuch nahmen die Niederländer positiv auf, doch betrachteten sie ihn als Vertreter des ›anderen‹ Deutschlands nicht als repräsentativ für die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik. Zwei Jahre später reiste Königin Juliana zum Gegenbesuch in die Bundesrepublik. Die niederländische Regierung hatte sich gezielt bemüht, der Periode zwischen 1940 und 1945 keinen Raum während des Besuchs zu geben, um negative Töne und Erinnerungen zu vermeiden.122 Die geplanten Verweise auf die gemeinsame Vergangenheit holten zeitlich weit aus. Die Stationen der Reise standen in engem Bezug zur Familiengeschichte der Königin und akzentuierten die »Zeiten, in denen das deutsche Nachbarland Zufluchtsorte geboten und als Stützpunkt im Ringen für die Freiheit der Niederlande gedient hat«.123 Neben den Stammsitzen ihrer nassauischen Vorfahren sollte die Königin in Münster den Friedenssaal besuchen, in dem 1648 der niederländisch-spanische Friede unterzeichnet wurde, der den Niederländern die Unabhängigkeit gebracht hatte.124 Dieser Akzent auf einer entfernten Vergangenheit wäre unter anderen Bedingungen vielleicht unkommentiert geblieben. Doch im Oktober erhielten Fragen der jüngsten Vergangenheit neue Aktualität und Dynamik durch die Europareise des japanischen Kaisers, die von vielen Protesten begleitet war, und vereinzelte westdeutsche Forderungen nach der Freilassung der letzten deutschen Kriegsverbrecher, die in den Niederlanden in Gefängnissen einsaßen. Als in dieser Stimmungslage das Programm für den Staatsbesuch, einer »Reise in die Vergangenheit – aber nicht in die jüngste« veröffentlicht wurde, reagierten die Niederländer empfindlich.125 Der Rückgriff auf die deutsch-niederländische Geschichte der Frühen Neuzeit verstärkte den Eindruck, die jüngste Geschichte werde bewusst ausgeblendet.126 Diese Ausrichtung des Programms ging – entgegen den Annahmen der niederländischen Öffentlichkeit – auf niederländische Wünsche zurück. »Es waren deutsche Gastgeber, die sich wunderten«.127
121 Vgl. grundsätzlich Schneider, Kniefall; Wolffssohn/Brechenmacher. 122 Vgl. zum Besuch Julianas Wielenga, S. 275f. 123 Erlass Hansen an Botschaft Den Haag, 29.9.1971, PA, B8, Bd. 1625. 124 Vgl. Austermann an AM, 3.2.1971, PA, B8, Bd. 1624. 125 J. van Minnen, Die Moral: Tulpen aus Den Haag, Dt. Allg. Sonntagsblatt, 17.10.1971. 126 Vgl. Drahtbericht Arnold, Den Haag, 1.10.1971, PA, B24, Bd. 660, p. 75f.; Wielenga, S. 275. 127 J. van Minnen, Die Moral: Tulpen aus Den Haag, Dt. Allg. Sonntagsblatt, 17.10.1971. Der deutsche Botschafter in Den Haag führte die Programmgestaltung auf Heinemanns kaum wie-
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Als kurzfristigen Ausweg wählten die Deutschen und Niederländer den Ehrenfriedhof in Hamburg-Ohlsdorf. Ein weiteres Mal ehrte ein anderer Staat seine Toten an einem Ort in der Bundesrepublik. Hier hatte das niederländische Kriegsgräberkomitee 1956 einen Gedenkstein für die 449 niederländischen Opfer des KZs Neuengamme errichten lassen. Mit dieser Entscheidung wurde aus einem »sehr unpolitische[n] Besuch«128 mit einem Mal ein politischer Besuch, der öffentliches Interesse weckte. Das niederländische Fernsehen erwog nun eine Direktübertragung von Teilen des Besuchs, über den es zuvor nur in Nachrichtensendungen hatte berichten wollen.129 Bilder des Umgangs mit dem Nationalsozialismus garantierten offenbar Aufmerksamkeit und medialen Erfolg. Die niederländische Presse maß den Kranzniederlegungen in Bonn und vor allem an den Gräbern der niederländischen Opfer in Ohlsdorf weit größere Bedeutung bei als den Besuchen historischer Stätten der Nassauer. Trotz der gebührenden Aufmerksamkeit konnte dieser Staatsbesuch nicht an Heinemanns Besuch in den Niederlanden heranreichen.130 Die Bilder vom Besuch der Königin 1971 konnten sich nicht bleibend im kollektiven Gedächtnis verankern. Zeitgenössisch sprach man ihm eine »untergeordnete« Rolle zu.131 Diese in Relation zu anderen Besuchen »entspannte Wahrnehmung« kann auch als Normalisierungsprozess gelesen werden. Mit der Entspannung der Beziehungen scheint auch ein entspannterer Blick auf die Westdeutschen möglich geworden zu sein.132 Die sichtbare Einbeziehung der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit wurde im Laufe der siebziger Jahre fester Bestandteil der Besuchsprogramme für Repräsentanten ehemals besetzter Länder. Unter den Besuchen in ehemaligen Konzentrationslagern stechen die Besuche des italienischen Staatspräsidenten, Sandro Pertini, 1979 und des israelischen Staatsoberhaupts, Chaim Herzog, 1987 hervor. Beide Staatsgäste stellten nicht allein ihre verstorbenen Landsleute in den Vordergrund, sondern erinnerten auch an den deutschen Widerstand. Der erste sozialistische Staatspräsident Italiens unternahm bewusst seine erste Amtsreise nach Westdeutschland.133 Dass der Widerstandskämpfer Pertini – selbst der Erfahrung von Flucht, Gefängnis und Exil ausgesetzt – der Bundesrepublik diese Ehrenrolle gab, interpretierte die bundesrepublikanische Presse als »Auszeichnung derholbare »bewegende und eindrucksvolle huldigung« an der Schouwburg zurück, vgl. Drahtbericht Arnold, Den Haag, 1.10.1971, PA, B24, Bd. 660, p. 75f. 128 Eine Königin in Bonn, FR, 26.10.1971. 129 Vgl. J. van Minnen, Die Moral: Tulpen aus Den Haag, Dt. Allg. Sonntagsblatt, 17.10.1971. 130 Vgl. Bericht Arnold, Den Haag, 2.11.1971, PA, B8, Bd. 1625. 131 S. van der Zee, Vorurteile abgebaut, Vorwärts, 4.11.1971. 132 Vgl. das Interview mit Prinz Bernhard, zit. in Bericht Arnold, Den Haag, 2.11.1971, PA, B8, Bd. 1625. 133 Vgl. H.-J. Fischer, Pertinis erster Staatsbesuch, FAZ, 17.9.1979.
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für unseren Staat«,134 mit der Pertini »endgültig einen Schlußstrich unter die Vergangenheit« ziehen wolle.135 Die Rede von einem Schlussstrich unter die Vergangenheit ging einher mit einer allgegenwärtigen Angst vor dem Auftauchen ungewollter Bilder der Vergangenheit. So konnten militärische Begrüßungen, bis heute internationale Standards des Besuchszeremoniells, bei deutscher Beteiligung – »die deutschen Stahlhelme vor Augen«136 – unliebsame Erinnerungen an die NS-Zeit wachrufen. Pertini versuchte, solchen Assoziationen andere entgegenzusetzen. Er machte deutsche Orte des Widerstands sichtbar und schuf damit eine Gemeinsamkeit zwischen Italien und Deutschland. Die Fleischerhaken von Plötzensee, das Pertini vor Flossenbürg besuchte, waren in dieser Perspektive sichtbares Zeichen des deutschen Widerstands und ein Freispruch von Kollektivschuld, den Pertini in die Worte kleidete: »Wer kann, nachdem er dies gesehen hat, noch das deutsche Volk mit der Naziherrschaft gleichsetzen?«137 Anders als vorangegangene Besuche in Konzentrationslagern visualisierte Pertini in Flossenbürg nicht primär das Gedenken an die nationalen Opfer.138 Im Zentrum stand das Gedenken an den toten Bruder, womit sich wiederum ein Bogen zum deutschen Widerstand schlagen ließ. Indem Pertini den Besuch in Flossenbürg als privaten Aufenthalt deklarierte, entband er Bundespräsident Carstens von einer Teilnahme und schuf so die Voraussetzungen für eine symbolische Verknüpfung des deutschen mit dem italienischen Widerstand. In dieses Bild hätte Carstens, der seit 1933 Mitglied der SA und seit 1940 Mitglied der NSDAP war, nicht hineingepasst.139 Den Rekurs auf die Authentizität der persönlichen Trauer, den Pertinis Besuch am Sterbeort seines Bruders kennzeichnete, machten sich auch die Protokollbeamten der Bundesrepublik zunutze, indem sie gleichsam als Äquivalent zu Pertini eine Person als staatlichen Repräsentanten bestimmten, deren Familie zum Widerstand gehört und in Flossenbürg ebenfalls ein Opfer zu beklagen hatte. Für den Bund legte Klaus von Dohnanyi, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Sohn des 1945 hingerichteten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi und Neffe Dietrich Bonhoeffers, der in Flossenbürg umgekommen war, einen Kranz an der Aschenpyramide nieder, die die Überreste vieler Hingerichteter birgt. Die Bundesrepublik zeigte sich so als ›anderes‹ Deutschland. Dohnanyis Gesten des Gedenkens ließen
134 J. Braunleder, Eine große Geste, Aachener Nachrichten, 18.9.1979; vgl. C. Widmann, Präsident Pertini in Bonn, SZ, 19.9.1979. 135 C. Langen-Peduto, Pertini will Schlußstrich ziehen, WAZ, 18.9.1979. 136 H.-J. Fischer, In mir wird kein Ressentiment auf kommen, FAZ, 20.9.1979. 137 Zit. n. C. Widmann, Den alten Pilger stützt ein schwerer Held, SZ, 24.9.1979. Vgl. zur Sichtbarmachung des deutschen Widerstands: FM, Wertvoller Besuch, Die Welt, 24.9.1979. 138 Vgl. zur Geschichte Flossenbürgs zwischen Ferienort u. ehemaligem KZ Skribeleit. 139 Vgl. R. Arens, Pertini ersparte Carstens »peinliche Lage«, FR, 24.9.1979.
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keine Zweifel »an ihrer Echtheit« auf kommen.140 Der Besuch weckte auch Erinnerungen an andere Widerstandskämpfer wie Admiral Wilhelm Canaris und General Hans Oster, die ebenfalls in Flossenbürg umgekommen waren, was wohl auch der Grund für die Teilnahme von Osters Sohn an der Zeremonie in Flossenbürg war.141 Acht Jahre nach Pertini besuchte mit Chaim Herzog erstmals ein israelisches Staatsoberhaupt die Bundesrepublik Deutschland. Sein Besuch wies bemerkenswerte Parallelen zu Pertinis Programm auf. Wie Pertini verknüpfte Herzog den Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers mit einem Aufenthalt in der Gedenkstätte Plötzensee. Wie für Pertini Flossenbürg in enger Verbindung mit seiner eigenen Geschichte stand, kannte Herzog Bergen-Belsen schon vor seiner Reise: Er hatte das Kriegsende 1945 in Deutschland als englischer Offizier erlebt und war eine Woche nach der Befreiung des Konzentrationslagers nach Bergen-Belsen gekommen, das zum zentralen »symbol of German evil in British political culture« werden sollte.142 Herzog hatte die geschwächten Überlebenden und die Massengräber mit eigenen Augen gesehen.143 Wie erstmals Ministerpräsident Itzak Rabin, der 1975 seinen offiziellen Besuch in der Bundesrepublik mit einer Reise nach Bergen-Belsen begonnen hatte, reiste auch Herzog als Repräsentant der israelischen Juden in die Bundesrepublik und galt, über die Bedeutung eines Ministerpräsidentenbesuchs hinausreichend, als »Symbol der Souveränität Israels«.144 Er verkörpere, so ein Journalist, den »Triumph der Opfer über ihre Mörder«; Herzog selbst sprach vom »Gebot des Lebens«, dem er folge,145 und er verlieh diesen Worten als Person und als Repräsentant Israels sowie durch die Wahl seiner Begleiter Glaubwürdigkeit. Ehemalige KZ-Häftlinge kehrten in Begleitung Herzogs an den Ort zurück, der ihren Tod hätte bedeuten können, und machten so das (Über-) Leben sichtbar. Sie nahmen den Raum, an dem sie gelitten hatten und andere gestorben waren, in Besitz, indem sie dort gemeinsam mit anderen Bürgern Israels das jüdische Totenritual, das Kaddisch, vollzogen.146 Die Anwesenheit von Überlebenden und Nachgeborenen betonte die Kontinuität des jüdischen Lebens und schuf so ein Bild für den Triumph der Opfer. Dieses Bild war auch
140 C. Widmann, Den alten Pilger stützt ein schwerer Held, SZ, 24.9.1979. 141 Vgl. F. Meichsner, Pertini umarmte den Bayern: Sie haben ein Temperament wie wir, Die Welt, 24.9.1979. 142 Koshar, Monuments, S. 251. 143 Vgl. W. Thieme, Eine Reise in die Vergangenheit, Stern, 2.4.1987. 144 J. Canaan, Jerusalem würdigt den »historischen Besuch«, Handelsblatt, 3.4.1987. 145 Zit. n. Historisch, Stuttgarter Zeitung, 7.4.1987. 146 Vgl. V. Skierka, Rückkehr in die Vergangenheit, SZ, 7.4.1987; vgl. J. Bremer, Vor 42 Jahren war Herzog schon einmal hier, FAZ, 7.4.1987.
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an die israelischen Abgeordneten und KZ-Opfer adressiert, die gegen Herzogs Deutschlandreise protestiert hatten.147 Trotz vermehrter deutsch-israelischer Städtepartnerschaften, eines regen Jugendaustauschs und der Israelfreundlichkeit der westdeutschen Politik standen der Reise vor Beginn viele Hindernisse im Weg. Zum einen störten Äußerungen über Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien den Besuch.148 Zum anderen – und das fiel stärker ins Gewicht – hatte sich seit Richard von Weizsäckers Reise nach Israel 1985 im öffentlichen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik viel verändert.149 Helmut Kohls Worte und Gesten, die von ihm proklamierte »Unbefangenheit«, seine Rede von der »Gnade der späten Geburt« während seiner Israelreise, die misslungene Versöhnungsgeste in Bitburg oder die Diskussion um das geplante Mahnmal in Bonn wurden als allzu leichtfertiger Umgang mit der Vergangenheit interpretiert. Hinzu kamen die Affäre um ein Theaterstück Rainer Werner Fassbinders in Frankfurt sowie der Historikerstreit.150 Darüber hinaus erwuchs aus den intensiven vergangenheitspolitischen Debatten in Israel eine besondere Brisanz der Reise. Während in der Bundesrepublik die Distanz zum NS-Staat immer größer zu werden schien, erwachten die Erinnerungen an den Nationalsozialismus und an den Holocaust in Israel zeitgleich zu neuem Leben. Der Prozess gegen Jan Demjanjuk 1987 ließ verschüttete Bilder und Traumata wieder vor die Augen der israelischen Bürger treten.151 Die jeweilige Nähe zur Vergangenheit schien in und zwischen den beiden Ländern stark zu divergieren und machte den Besuch zur Gratwanderung. Gleichzeitig sicherten diese Brisanz und die vorangegangenen Aufregungen dem Besuch ein hohes Maß an internationaler medialer Aufmerksamkeit.152 Anders als beim Besuch Pertinis repräsentierte mit Richard von Weizsäcker nun ein Bundespräsident Westdeutschland, der für einen neuen Umgang mit der deutschen Vergangenheit stand, seitdem er in seiner Rede vom 8. Mai 1985 stellvertretend die Verantwortung der Deutschen für die nationalsozialistischen Verbrechen angenommen hatte. Dass ein Bundespräsident die deutsche Verantwortung ohne Vorbehalte aussprach, war neu. Von Weizsäcker verkörperte seither – nicht nur für die Westdeutschen – »jenen Teil der Deutschen,
147 Vgl. W. Thieme, Eine Reise in die Vergangenheit, Stern, 2.4.1987. Im Vorfeld hatten sich nur zwei israelische Abgeordnete bereit gefunden, mit ihm in die Bundesrepublik zu reisen, vgl. B. Heimrich, Über Abgründe hinweg, FAZ, 6.4.1987. 148 Vgl. Fatale Wirkung, FR, 8.4.1987. 149 Vgl. grundsätzlich Wirsching, S. 466–491. 150 Vgl. H. Freeden, Schwierige Reise, FR, 3.4.1987; R. Leicht, Niemals normal, Zeit, 10.4.1987. 151 Vgl. H. Freeden, Schwierige Reise, FR, 3.4.1987. 152 Vgl. B. Heimrich, Die Deutschen suchen den versteckten Teufel, FAZ, 13.4.1987.
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die sich des Erbes ihrer Geschichte bewußt sind«.153 Gleichwohl sprach er, der selbst im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte, nicht allein »aus der Perspektive der […] Tätergeneration«, wie bisweilen konstatiert wird.154 Sein Vater pflegte persönliche Kontakte zu Mitgliedern des Widerstands vom 20. Juli.155 Von Weizsäckers Vergangenheitsbezug, seine explizite Übernahme der Verantwortung gewannen zumindest zeitweilig gegenüber Tendenzen einer Politik der »Unbefangenheit« die Oberhand.156 Mit seiner vergangenheitspolitischen Linie hatte von Weizsäcker erst die Grundlage für einen israelischen Staatsbesuch in der Bundesrepublik geschaffen. Entsprechend war er während der gesamten Reise Herzogs dessen westdeutsches Gegenüber; die Staatsoberhäupter erlebten und durchlebten gemeinsam die Bilder der Vergangenheit. Bei kaum einem anderen Besuch bemerkten die zeitgenössischen Kommentatoren so nachdrücklich die Bedeutung des Stils der Handlungen, also die Art und Weise, wie die Handelnden die Praktiken vollzogen und damit ihre Rolle ausfüllten. Von Weizsäcker und Herzog schufen Authentizität und überzeugten weite Teile der medialen Beobachter durch den Verzicht auf Pathos.157 Von Weizsäckers Blick von 1985 auf die Vergangenheit, auf das Leiden und die Verbrecher steigerte Chaim Herzog 1987 um ein Vielfaches. Sein Besuch schuf das spiegelverkehrte Pendant zu den westdeutschen Bildern einer Versöhnung über den Gräbern, wie sie in den Jahren zuvor mit François Mitterrand in Verdun und Ronald Reagan in Bitburg entstanden waren. Nicht Versöhnung und Vergessen standen im Zentrum seiner Reise, sondern der »Mut zur Erinnerung«.158 Herzog formulierte bei der Enthüllung eines Gedenksteins in Bergen-Belsen deutlich: »Kein Verzeihen habe ich mit mir gebracht – und kein Vergessen.«159 Unmissverständlich schloss er die Bildverfahren aus, in denen neue Bilder die alten Bilder überschreiben oder zumindest verblassen lassen. Herzogs gesamte Reise lässt sich als Plädoyer für eine Archäologie der Bilder und Erfahrungen lesen. Die westdeutsche Presse scheint schon im Vorfeld für diese Bedeutung der Bilder der Vergangenheit sensibel gewesen zu sein. Zwischen den Hinweisen auf die Ambivalenz der deutsch-israelischen Beziehungen, die nie normal sein könnten und dürften, sowie der Rede von der Verpflichtung zur Erinnerung und dem Resümee einer mit Mängeln behafteten Vergangenheitsbewältigung, die eine »Bundesrepublik mit braunem Restrisi-
153 H. Freeden, Schwierige Reise, FR, 3.4.1987. 154 Dubiel, S. 206–215, Zitat S. 209. 155 Vgl. zum komplizierten Verhältnis Ernst von Weizsäckers zum Widerstand sowie zu den darum entstehenden Mythen u. Gegenmythen Lau, besonders S. 318–324. 156 Vgl. H.-H. Gaebel, Eine nicht normale Freundschaft, FR, 9.4.1987. 157 Vgl. J. Leinemann, Wie eine unsichtbare Mauer, Der Spiegel, 13.4.1987. 158 Historisch, Stuttgarter Zeitung, 7.4.1987. 159 Zit. n. »Und mein Schmerz ist immer bei mir«, FAZ, 7.4.1987.
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ko«160 hervorgebracht habe, schimmerten immer wieder die Bilder durch, welche die Journalisten in den Köpfen Herzogs und seiner Landsleute vermuteten. So imaginierte Wolf Thieme im Stern, der Besuch in der Bundesrepublik werde bei Herzog Erinnerungen an Typhuskranke und Massengräber wachrufen sowie an einen Artillerieschlag, der sein linkes Trommelfell zerstört und damit gleichsam ein körperliches Erinnerungsmal hinterlassen hatte, ein »Gestern, das man mit sich trägt«.161 Diese Sensibilität für die erinnerten Bilder ließe sich Rudy Koshar folgend mit Tendenzen des Umgangs mit der Vergangenheit in den siebziger und achtziger Jahren parallelisieren, als die Sicherung von Spuren im Vordergrund stand.162 Bis Ende der sechziger Jahre, so Koshar, habe hingegen die Rekonstruktion den Umgang mit der Vergangenheit dominiert.163 Damit harmonieren de Gaulles Versuche 1962, alte Bilder zu überschreiben. Wie die baulichen Rekonstruktionen der Nachkriegszeit die Spuren von Krieg und Zerstörung beseitigen sollten, blieb bei de Gaulles Staatsbesuch die hässliche Seite der Vergangenheit unsichtbar. Von Weizsäcker und Herzog hingegen nahmen gerade diese gezielt in den Blick. Berlin wurde beim Besuch Herzogs zum zentralen Ausgrabungsort für Spuren der Vergangenheit – ein Assoziationsraum für im Gedächtnis auf bewahrte Bilder des Nationalsozialismus.164 Auch der Fokus der medialen Wahrnehmung verschob sich von der Berliner Mauer zur Wilhelmstraße und zum Prinz-Albrecht-Gelände, zentralen Handlungsorten der Nationalsozialisten. Jürgen Leinemann vermutete, Berlin wecke bei Herzog nur Erinnerungen an die so genannte Reichskristallnacht. Am Reichstag habe man ihm die Mauer gezeigt, seine Augen aber hätten den Führerbunker gesucht.165 Herzog schien die Berliner Gegenwart allerdings deutlich wahrzunehmen und artikulierte die Kluft zwischen den erinnerten Bildern und den gegenwärtigen Wahrnehmungen.166 Die Niederlegung eines Kranzes in der Form eines Davidsterns in der Gedenkstätte Plötzensee vervollständigte Herzogs Archäologie der Bilder. Beobachter interpretierten seinen Besuch an der Hinrichtungsstätte als Reverenz an die Widerstandskämpfer.167 Dieser Geste wurde um so mehr Bedeutung zugesprochen, als Ministerpräsident Schimon Peres ein Jahr zuvor dort kei-
160 K. Liedtke, Die Gnade der Erinnerung, Stern, 2.4.1987; vgl. D. Schröder, Partnerschaft – aber keine Normalität, SZ, 4.4.1987; B. Heimrich, Über Abgründe hinweg, FAZ, 6.4.1987. 161 W. Thieme, Eine Reise in die Vergangenheit, Stern, 2.4.1987. 162 Vgl. Koshar, Monuments, S. 226–285. 163 Vgl. ebd., S. 143–225. 164 Vgl. zu Berlin als Assoziationsraum für Erinnerungen Robin. 165 Vgl. J. Leinemann, Wie eine unsichtbare Mauer, Der Spiegel, 13.4.1987. 166 Vgl. O.J. Weis, Herzogs Besuch in Berlin »wie ein Wunder«, FR, 10.4.1987. 167 Vgl. z.B. Israels Präsident ehrt die Widerstandskämpfer, SZ, 10.4.1987.
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nen Kranz hatte niederlegen wollen.168 Andere Beobachter betonten hingegen die weit gefasste Widmung der Gedenkstätte für alle Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.169 Herzog fügte diesen Deutungen selbst eine dritte, noch viel weitere Deutung hinzu, die nichts mit der bislang gekannten Verknüpfung von Widerstand und deutscher Teilung gemein hatte. Er griff die graue Mauer von Plötzensee als Metapher für das Trennende im deutschisraelischen Verhältnis auf und beschrieb die Vergangenheit als »unsichtbare Mauer zwischen unseren beiden Völkern«, errichtet durch die Ermordung von Millionen von Juden.170 Wie die Öffentlichkeit während Herzogs Besuch die schrecklichen Bilder der nationalsozialistischen Vergangenheit neu in den Blick nahm, sollte der Blick auch von der Mauer der deutschen Teilung auf die Mauer zwischen Deutschland und Israel gerichtet werden. Diese Mauer der Vergangenheit sollte nicht »abgetragen« oder »verniedlicht« werden. Vielmehr galt es, so Leinemann, »diese Wand klar zu sehen« und für alle »sichtbar zu machen«. Die beiden Staatsoberhäupter nahmen sie in Plötzensee »in straffer Haltung« in den Blick.171 Berlin war damit mehr als je zuvor in der Nachkriegszeit zum Anschauungsort der Vergangenheit geworden. Auf die deutsche Teilung nahm Herzog insofern Bezug, als er der Bundesrepublik im Unterschied zur DDR den Mut, die Vergangenheit in den Blick zu nehmen, und den Willen zur Wiedergutmachung attestierte.172 Dass Herzog und von Weizsäcker gemeinsam die Konfrontation mit der Mauer der Vergangenheit suchten, lässt sich auch als Bindeglied zwischen beiden Ländern verstehen, das aus israelischer Sicht zur DDR fehlte. In den bislang betrachteten Staatsbesuchen standen die Erinnerung und das Gedenken der eigenen Landsleute als Opfer der nationalsozialistischen Gewalt im Vordergrund. Die Repräsentanten der ehemaligen Alliierten setzten einen anderen Akzent. Er lag auf dem heroisierten Tod ihrer im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Den Anfang machte 1965 Elizabeth II., als sie in Berlin einen Kranz zum Gedenken an die Gefallenen des Commonwealth niederlegte. Ursprünglich war eine Kranzniederlegung auf dem Commonwealth-Ehrenfriedhof in Hamburg-Ohlsdorf ins Auge gefasst worden, die das Protokoll leicht mit einem anschließenden Besuch am dortigen Ehrenmal für zivile Luftkriegsopfer hätte kombinieren können.173 Obwohl sich der Hamburger Senat für diese doppelte Gedenkveranstaltung einsetzte,174 wurde die Kranznieder168 Vgl. D. Stäcker, »Die stolze Minderheit der Demokratien«, General-Anzeiger, 10.4.1987. 169 Vgl. O.J. Weis, Herzogs Besuch in Berlin »wie ein Wunder«, FR, 10.4.1987. 170 Zit. n. J. Leinemann, Wie eine unsichtbare Mauer, Der Spiegel, 13.4.1987. Vgl. auch Israels Präsident ehrt die Widerstandskämpfer, SZ, 10.4.1987. 171 J. Leinemann, Wie eine unsichtbare Mauer, Der Spiegel, 13.4.1987. 172 Vgl. D. Stäcker, »Die stolze Minderheit der Demokratien«, General-Anzeiger, 10.4.1987. 173 Vgl. Vermerk Westerburg, 15.1.1965, PA, B8, Bd. 913. 174 Vgl. Jess an von Holleben, 22.1.1965, PA, B8, Bd. 921.
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legung nach Berlin verlegt; das Gedenken an die zivilen Opfer entfiel. Berlin schlug als Ort der Kranzniederlegung eine Brücke von der Kriegssituation des Zweiten Weltkrieges zur zeitgenössischen Situation des Ost-West-Konflikts. Retrospektiv wurden die gefallenen Soldaten zu Streitern im Kampf gegen den Totalitarismus. Wie die Toten die Freiheit gegen den Nationalsozialismus verteidigten, schützten die jeweils zeitgenössisch in Berlin stationierten Truppen vor den Anfechtungen des neuen Totalitarismus. Auch Michael Gorbatschow und sein Planungsstab entschieden sich 1989 für das Gedenken an die Gefallenen der sowjetischen Armee. Allerdings besuchte nicht Gorbatschow, sondern seine Gattin Raissa gemeinsam mit Hannelore Kohl den Friedhof des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stukenbrock bei Bielefeld.175 Dabei gedachten die russischen Gäste ihrer eigenen Soldaten, anders als Elizabeth II., an dem Ort, an dem sie umgekommen waren. Zwischen 1941 und 1945 wurden in Stukenbrock mindestens 45 000 sowjetische Kriegsgefangene bestattet. Zum anerkannten Gedenkort wurde Stukenbrock, wo nach Kriegsende NS-Funktionäre inhaftiert waren und das dann als Flüchtlingslager und Polizeischule gedient hatte, erst in den späten achtziger Jahren. Vor allem das Gedenken an die Rote Armee war zuvor aus der westdeutschen Erinnerungskultur ausgeschlossen worden. Die Aufnahme dieses Ortes in das Programm eines Staatsbesuchs, die Heinrich Albertz angeregt haben soll, kam einer offiziellen Einzeichnung in die Landkarte der westdeutschen Erinnerung gleich – auf verhaltenem Wege, da nicht die Regierenden die Ehrung vornahmen. Zuvor hatte kein ranghoher Politiker Stukenbrock besucht; selbst der örtliche Bürgermeister nahm erstmals anlässlich dieses Besuchs an einer Gedenkveranstaltung teil.176 Alle bislang beschriebenen Besuche kennzeichnete eine grundlegende Gemeinsamkeit: Die Besucher gedachten jeweils der Kriegs- und Leidenserfahrungen ihrer eigenen Landsleute. Nur der Besuch Ronald Reagans machte eine Ausnahme. Er besuchte einen Soldatenfriedhof, auf dem keine Amerikaner bestattet waren. Anders als die Repräsentanten der Staaten, die ihren Opferstatus in der Bundesrepublik visualisierten, fuhr er an einen Ort des Geschehens – Bergen-Belsen –, der im Unterschied zum ehemaligen Konzentrationslager Dachau nicht unmittelbar mit der amerikanischen Geschichte verwoben war.177 Die Auswahl dieser Orte schien sich aus der deutsch-amerikanischen Geschichte nicht zwingend zu ergeben. Stärker als bei anderen Besuchen entstand aus diesem Umstand die Notwendigkeit, die getroffene Auswahl zu erklären. Orte zu benennen, die in der deutsch-amerikanischen Geschichte nicht 175 Vgl. zu Stukenbrock Pieper/Siedenhans; Assmann/Frevert, S. 207. 176 Vgl. P. Bornhöft, Blumen für Stukenbrock, taz, 14.6.1989; vgl. auch G. Nowakowski, Begeisterung wie bei Kennedy, taz, 14.6.1989. 177 Vgl. Kushner; vgl. grundsätzlich zur Gedenkstätte Bergen-Belsen Rahe, S. 216f.
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eindeutig besetzt waren, bot einerseits die Chance der Gestaltung, barg andererseits aber die Gefahr, dass der Versuch fehlschlug, die Orte den eigenen Vorstellungen entsprechend symbolisch aufzuladen. Der »Aspekt des besten Fernsehkamera-Winkels« soll für die Auswahl der Orte ausschlaggebend gewesen sein.178 Dieser Umstand erhellt im Zusammenspiel mit der besonderen Chronologie der Planungen des Besuchs die bis dato nicht gekannte öffentliche Aufregung.179 Reagans Besuch in der Bundesrepublik im Mai 1985 stand in einem engen Zusammenhang damit, dass die Siegermächte die vierzigste Wiederkehr des D-Day im Juni 1984 ohne deutsche Beteiligung gefeiert hatten.180 Aus Kohls Unzufriedenheit darüber resultierte die Versöhnungsgeste zwischen dem Bundeskanzler und François Mitterrand in Verdun im September 1984. Eine vergleichbare Geste wünschte sich Kohl mit dem amerikanischen Präsidenten und lud ihn im November 1984 ein, den vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes in der Bundesrepublik zu begehen. Am 28. Januar 1985 gab das Weiße Haus die Reise offiziell bekannt und nahm die Ankündigung nur zwei Wochen später zurück.181 In den USA hatte eine Debatte um Reagans Deutschlandbesuch eingesetzt, die bis zum Mai 1985 nicht mehr abreißen sollte. So bereitwillig Reagan auf Siegesfeiern am 8. Mai verzichten wollte, um deutsche nationale Gefühle zu schonen,182 so verstimmt zeigten sich amerikanische Veteranenverbände über diesen Entschluss.183 Als zweite Interessengruppe hatten sich sofort jüdische Amerikaner zu Wort gemeldet und gefordert, dass Reagan, wenn er schon den 8. Mai in Westdeutschland verbringe, ein ehemaliges Konzentrationslager besuchen solle.184 Eine KZ-Gedenkstätte – das von Amerikanern befreite ehemalige Konzentrationslager Dachau – hatte schon im November 1984 auf dem Besuchsplan gestanden, war aber bald wieder gestrichen worden. Reagan erklärte seit der zweiten Januarhälfte wiederholt, dass er keine KZGedenkstätte besuchen werde,185 da er dem 8. Mai eine zukunftsorientierte Bedeutung verleihen wolle. Zudem würden – dies war falsch – die damaligen Akteure ohnehin nicht mehr leben und seien weitere deutsche Schuldge178 Buhl bezieht sich auf die Äußerungen eines »regierungserfahrenen Experten«, vgl. D. Buhl, Wie eine Reise zum Alptraum wird, Die Zeit, 3.5.1985. 179 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Presseartikel, geben jedoch keinen vollständigen Überblick darüber, wie die westdeutschen Medien den Besuch bewerteten, vgl. dazu Kirsch, 8. Mai, S. 86–92. 180 Vgl. grundsätzlich zur Chronologie der Ereignisse Hartman, S. XIII-XVI. 181 Vgl. T. Kielinger, Reagan spricht von Straßburg aus zu allen Bürgern Europas, Die Welt, 16.2.1985. 182 Vgl. Reagan unter Glasglocke, Rheinischer Merkur, 2.2.1985. 183 Vgl. Bitburg und Bergen-Belsen, NZZ, 5.5.1985. 184 Vgl. W. Münster, Reagans elegante Straßburg-Fahrt, Stuttgarter Zeitung, 20.2.1985. 185 Vgl. »Auf Kohls Rat hören wir nicht wieder«, Der Spiegel, 29.4.1985; Hartman, S. XIIIf.
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fühle »unnecessary«.186 Die geplante Umwidmung des 8. Mai düpierte sowohl amerikanische Kriegsveteranen, die an ihren Sieg erinnert wissen wollten,187 als auch jüdische US-Bürger, die ein Übersehen des Holocaust befürchteten. Noch bevor der Name »Bitburg« offiziell gefallen war, zeichneten sich die Leitmotive der Debatte ab, die heute mit dem Stichwort »Bitburg« verknüpft sind: die Frage nach dem Verhältnis von Krieg und Holocaust und dem neuen Staat nach 1945, nach dem richtigen Umgang mit den Erinnerungen und nach dem Umgang mit der Doppelgesichtigkeit des 8. Mai, der nicht nur einen Neubeginn, sondern auch das Ende der NS-Zeit markierte. Stein des Anstoßes wurde die geplante Kranzniederlegung in Bitburg, die ganz im Zeichen von 40 Jahren Frieden, »in a spirit of reconciliation« stehen sollte.188 Die Kritik an diesem Programmpunkt hatte zwei Stoßrichtungen: Zum einen richtete sie sich gegen die Wahl dieses speziellen Ortes, zum anderen dagegen, dass damit ausschließlich deutscher Soldaten gedacht wurde. Kohl hatte die kleine Eifelstadt Bitburg, Presseberichten zufolge, selbst für den Besuch Reagans ausgewählt. Passend zum Neubeginn, den der 8. Mai symbolisieren sollte, stand Bitburg in der Wahrnehmung Kohls für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Deutschen und Amerikanern, die als Soldaten in Bitburg stationiert waren. Reagans stellvertretender Stabschef und Imageberater Michael Deaver empfahl den dortigen Soldatenfriedhof im Februar als Reiseziel. Die Problematik des Soldatenfriedhofs Kolmeshöhe erschloss sich erst bei genauerem Hinsehen. Während Staatsgäste zuvor primär ihrer eigenen Landsleute gedacht hatten, war dies für Amerikaner in der Bundesrepublik nicht möglich, da es keine Gräber amerikanischer Soldaten gab.189 Das wussten lange Zeit offenbar weder Kohl noch Reagan. Dass Reagan am Tag des Sieges der Alliierten der Feinde gedachte, barg ohnehin Konfliktpotential. Genauere Informationen über den Soldatenfriedhof provozierten nun offene Proteste in den USA. Deaver war bei einem Vorbesuch in Bitburg entgangen, dass auf dem Friedhof 49 Angehörige der Waffen-SS bestattet waren.190 Damit galt die geplante Gedenkveranstaltung nicht nur ausschließlich deutschen Soldaten, sondern umfasste auch gerade jene, die in den USA »das Böse« schlechthin verkörperten: Mitglieder der SS.191 Alle Versuche, den Bitburgbesuch zu verteidigen, waren mit dieser negativen Symbolkraft der SS konfrontiert. Vor allem aus Sicht der jüdischen US-Bürger trat die Frage hinzu, warum der Peiniger gedacht wurde, nicht aber ihrer Opfer. Die Proteste veranlassten das 186 Hartman, S. XIII. 187 Vgl. K. Arnsperger, Der Ausbruch verschütteter Emotionen, SZ, 29.4.1985. 188 Hartman, S. XIV. 189 Vgl. »Auf Kohls Rat hören wir nicht wieder«, Der Spiegel, 29.4.1985. 190 Vgl. ebd.; Bitburg und Bergen-Belsen, NZZ, 5.5.1985. 191 J. Leinemann, Die Märchenwelt des »Bitburg-Gipfels«, Der Spiegel, 6.5.1985. Vgl. auch K. Arnsperger, Der Ausbruch verschütteter Emotionen, SZ, 29.4.1985.
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Weiße Haus zu einer Revision der Route. Aber trotz Invektiven des Senats und des Repräsentantenhauses hielt die amerikanische Regierung an Bitburg fest, setzte aber Bergen-Belsen zusätzlich auf die Besuchsagenda.192 Innerhalb der westdeutschen politischen Lager variierten die Positionen. Alfred Dregger tat die Forderung nach einem Verzicht auf die Visite in Bitburg als Beleidigung seines gefallenen Bruders ab. Er folgte einem Narrativ des 8. Mai als Katastrophe für Deutschland.193 Kohl, der Reagan drängte, den Protesten nicht nachzugeben, stellte den 8. Mai als Tag der Befreiung heraus und betonte wiederholt die deutsche Verantwortung für die Vergangenheit und die »unendliche Scham«. Grüne und SPD beantragten vergeblich, den Bitburgbesuch abzusagen oder zumindest zu kritisieren.194 Trotz dieser Unterschiede war sich die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten einig: In der Bundestagssitzung am 25. April stimmten 398 von 422 Abgeordnete gegen einen Verzicht auf den Besuch in Bitburg.195 Wenngleich die SPD mangelndes Fingerspitzengefühl kritisierte, unterstützte sie Kohl darin, die Mitglieder der Waffen-SS nicht pauschal zu verdammen.196 Auch der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt, dessen Kniefall in Warschau ihn zur anerkannten Autorität für Fragen des symbolischen Umgangs mit der NS-Vergangenheit gemacht hatte, übte zwar Kritik an den Besuchsvorbereitungen. Er erklärte aber zugleich, dass deutsche Gefallene in das Gedenken am 8. Mai einbezogen werden müssten, und versuchte, die deutsche Perspektive darzulegen, die in den Weltkriegstoten, inklusive der Soldaten, primär Opfer sehe.197 Dieses – mit Ausnahme der Grünen198 – parteiübergreifende Votum für Bitburg bzw. nicht gegen Bitburg scheint sich mit der Mehrheitsmeinung der Bundesbürger gedeckt zu haben, die einer Umfrage des Stern zufolge zu Zweidritteln den Bitburgbesuch befürworteten, wobei die Ergänzung des Programms durch eine Fahrt zum Kon zentrationslager Bergen-Belsen die Zustimmung erhöhte.199 Eine Umfrage des Allensbach-Instituts nach dem Besuch bestätigte diese Einstellung.200 An diesem Einklang ist zum einen bemerkenswert, dass die Westdeutschen ihre Gefallenen als Opfer wahrgenommen wissen wollten und im Ritual des Gedenkens die Täterrolle nicht annahmen. Charles Maier bezeichnet diese 192 Vgl. Hartman, S. XIV; »Auf Kohls Rat hören wir nicht wieder«, Der Spiegel, 29.4.1985. 193 Vgl. »Auf Kohls Rat hören wir nicht wieder«, Der Spiegel, 29.4.1985. 194 Vgl. Kirsch, 8. Mai, S. 82. 195 Vgl. Auch Mitterrand war an SS-Gräbern, Der Tagesspiegel, 27.4.1985. 196 Vgl. Plädoyer Kohls für Reagans Besuch in Bitburg, NZZ, 27.4.1985. 197 Vgl. Brandt will Reagan nicht öffentlich Rat geben, FAZ, 30.4.1985; J. Leinemann, Die Märchenwelt des »Bitburg-Gipfels«, Der Spiegel, 6.5.1985. 198 Vgl. Tagesschau, ARD, 28.4.1985. Im Bundestag waren 27 Abgeordnete der Grünen vertreten. Die Stimmen gegen den Bitburgbesuch stammten wohl aus ihren Reihen. 199 Vgl. Beifall für Reagan, Stern, 2.5.1985. RTL berichtete, Dreiviertel der Bevölkerung stimmten dem Bitburg-Besuch zu, vgl. Kommentarübersicht BPA, 29.4.1985, BPA-DOK 5348167–70. 200 Vgl. Bitburg-Besuch positiv gewertet, FAZ, 22.5.1985.
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Form der Geschichtsdeutung – die Tendenz, die Unterschiede zwischen Opfergruppen zu verwässern und Opfer und Täter zu nivellieren – als »Bitburg history«.201 Öffentliche Äußerungen wiesen Reagan wie Kohl als Vertreter der Bitburg history aus. Am 18. April, dem Day of Holocaust, verteidigte Reagan seinen Besuch auf der Kolmeshöhe mit einer Gleichsetzung von Tätern und Opfern: Die jungen Männer auf dem Friedhof seien genauso Opfer wie die Menschen in den Konzentrationslagern.202 In einer Bundestagsrede definierte Kohl Versöhnung als die Fähigkeit, über Menschen unabhängig von ihrer Nationalität zu trauern. Dieses Absehen von der Nationalität implizierte ebenfalls ein Verwischen der Differenzen zwischen Opfern und Tätern bzw. Opfer- und Täternationen.203 Doch damit stießen beide Politiker an Grenzen: Der Opferbegriff ließ sich um neue Gruppen erweitern und differenzieren, aber Täter blieben konstitutiv für diesen Opfergriff. Bernhard Giesen sieht im fehlenden bundesrepublikanischen Bekenntnis zur Schuld in Bitburg den Hauptgrund für das Scheitern des Reagan-Besuchs.204 Die Ereignisse um Bitburg nehmen noch in einer anderen Hinsicht eine besondere Stellung ein, die mit der Ablehnung der Täterrolle korrelierte. Das Auftreten der Westdeutschen gegenüber dem Ausland war in der gesamten Nachkriegszeit durch »reflexive Selbstwahrnehmung« gekennzeichnet, also dadurch, dass der vermuteten Wahrnehmung durch andere bei der Gestaltung der eigenen Verhaltensweisen große Bedeutung beigemessen wurde.205 Dieser am Ausland orientierte Blick war 1985 nach wie vor in den Kommentaren der Journalisten präsent.206 Auch die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, per definitionem Experten für die Wahrnehmung durch das Ausland, befürchteten eine Schädigung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses und agierten ganz in der Tradition der »reflexiven Selbstwahrnehmung«.207 Die Ereignisse im Frühjahr 1985 dokumentieren jedoch eine weitere Haltung, die sich deutlich davon abhob, diese flankierte und sie zeitweilig in den Hintergrund drängte. Den westdeutschen Organisatoren wurden zwar wiederholt »plumpe Fehler« in der Vorbereitung und schlechte Öffentlichkeitsarbeit vorgehalten,208 aber die Fehler suchten die Westdeutschen nicht mehr nur in 201 Maier, S. 9–16. Vgl. auch Koshar, Monuments, S. 275. 202 Vgl. Hartman, S. XIV. 203 Vgl. ebd., S. XV. 204 Vgl. Giesen, Triumph, S. 135. 205 Den Begriff entwickelt Paulmann, Deutschland. 206 Vgl. den Kommentar J. von Puttkamers im Deutschlandfunk, Kommentarübersicht BPA, 29.4.1985, BPA-DOK 5348167–70 u. R. Leicht, Nicht nach Bitburg! SZ, 27.4.1985. 207 Vgl. Programm auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg soll weiter gekürzt werden, SZ, 27.4.1985. 208 Zitat von F. Pleitgen, Kommentarübersicht BPA, 29.4.1985, BPA-DOK 5348167–70. Für Kemna haben die westdeutschen Organisatoren die »emotionale Gewalt der Erinnerung falsch eingeschätzt«, F. Kemna, Patt der Emotionen, General-Anzeiger, 29.4.1985.
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den eigenen Reihen. Es mehrten sich Stimmen, welche die Probleme auch beim transatlantischen Partner sahen: Bitburg sei »von vielen Amerikanern […] mißverstanden« worden, kommentierte ein Korrespondent im ZDF und erwartete damit implizit, dass die amerikanischen Öffentlichkeiten ihr Verständnis der Reise dem deutschen anpassten.209 Trotz anhaltender amerikanischer und internationaler Proteste und des in den westdeutschen Massenmedien konstatierten »Scherbenhaufen[s]«, den die Reisevorbereitungen verursacht hätten,210 blieb der Rundgang auf dem Bitburger Soldatenfriedhof mit einer Mischung aus Trotz und Resignation ein irreversibler Bestandteil des Staatsbesuchs. Alternative Programmpunkte wie der Besuch der Gedenkstätte Plötzensee statt Bitburgs211 oder die Ergänzung des Programms um die Brücke von Remagen212 kamen nicht zustande. Lediglich eine Anregung der Washington Post, nämlich ein Aufenthalt an Konrad Adenauers Grab, fand zwar Gehör, jedoch nur als medial nahezu unsichtbare Ergänzung zum bestehenden Programm.213 Kohl und das westdeutsche Parlament beharrten auf der sichtbaren Reverenz an die deutschen Soldaten.214 Kohl rechtfertigte sein Verhalten vor der amerikanischen Öffentlichkeit damit, dass ein Verzicht die Gefühle der deutschen Bevölkerung verletze.215 Dieses Bild der Vergangenheit, das die deutschen Soldaten den Siegern als Opfer zeigte und betrauerte, war ein Novum, ebenso wie die Beharrlichkeit, mit der es eingefordert wurde. Die neue Qualität entging der Presse nicht. Ein Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung interpretierte das deutsche Verhalten im Kontext des Reaganbesuchs als »Etappe auf dem Weg zu einer stärker als bisher von nationalen deutschen Interessen bestimmten Politik der Bundesrepublik«.216 Günther Gillessen sah den gemeinsamen Vergangenheitsbezug sogar als Kitt der Nation, »die ihre Existenz gerade in der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte bestätigt«.217 Die amerikanischen Besuchsgestalter hielten an Reagans Aufenthalt in Bitburg fest. Doch je näher der Besuchstermin rückte, desto unauffälliger sollte sich der dortige Gedenkakt ausnehmen. Die Imageexperten des Weißen 209 Kommentarübersicht BPA, 29.4.1985, BPA-DOK 5348167–70. 210 Von einem »Scherbenhaufen« sprechen F.U. Fack, Ein Scherbenhaufen, FAZ, 29.4.1985; W. Holzer, Alte, neue Wunden, FR, 30.4.1985; ein Kommentator im DFS, Kommentarübersicht BPA, 30.4.1985, BPA-DOK 5348225. 211 Vgl. R. Leicht, Nicht nach Bitburg!, SZ, 27.4.1985. 212 Vgl. C. Gennrich, Die Brücke von Remagen als Zugabe?, FAZ, 29.4.1985. 213 Vgl. »Auf Kohls Rat hören wir nicht wieder«, Spiegel, 29.4.1985; Staatsbesuch an Adenauers Grab, General-Anzeiger, 6.5.1985; H. Herles, Rote und gelbe Rosen als Reverenz an den ersten deutschen Bundeskanzler, FAZ, 6.5.1985. 214 Vgl. in diesem Kontext zum wahlkämpferischen Kalkül der Parteien: C. Gennrich, Die Brücke von Remagen als Zugabe?, FAZ, 29.4.1985; Bitburg als Zumutung, SZ, 29.4.1985. 215 Vgl. Bitburg und die Festigkeit des Bündnisses, FAZ, 29.4.1985. 216 Bitburg und Bergen-Belsen, NZZ, 5.5.1985. 217 G. Gillessen, Verwandlungen eines Besuches, FAZ, 8.5.1985.
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Hauses setzten ganz auf eine Strategie der visuellen Zurückhaltung bzw. des Rückzugs, die der Bildverweigerung bei den Besuchen der sechziger Jahre in Berlin ähnelte.218 Um die Bedeutung des Bitburgbesuchs so weit wie möglich zu reduzieren, sollten keine spektakulären Bilder ermöglicht werden. Zuvor hatte eine andere Strategie, Bitburg vorteilhaft in Szene zu setzen, verworfen werden müssen: Das Weiße Haus hatte vergeblich versucht, amerikanische Juden zur Teilnahme an dem Friedhofsbesuch zu bewegen.219 Das Abspielen der Hymnen und das Hissen der Flaggen entfielen als Ehrenbezeugungen auf der Kolmeshöhe; die Aufenthaltsdauer wurde immer kürzer. Die Frankfurter Rundschau berichtete von letztlich acht Minuten Aufenthalt »nach dem Grundsatz des absoluten Minimums«, während die Süddeutsche Zeitung »den absoluten Weltrekord von vier Minuten […] im Besuchen von Soldatenfriedhöfen bei einem Staatsbesuch« stoppte.220 In dem Maße, wie Bitburg ein, zumindest von der zeitlichen Dauer her betrachtet, immer unscheinbarerer Programmpunkt wurde, gewann Reagans Reise nach Bergen-Belsen stetig an Minuten und an Gewicht.221 Die eigentliche Gestaltung des Friedhofsaufenthalts kontrastierte deutlich mit den symbolischen Handlungen von Kohl und Mitterrand in Verdun, die eine Vergleichsfolie für den Bitburgbesuch bildeten. Der Unterschied trat umso deutlicher hervor, als sich die zentrale symbolische Handlung, ein Handschlag, wiederholte – nur in einer modifizierten Version. Hatten sich in Verdun die Staatsmänner selbst die Hände gereicht, blieben sie in Bitburg deutlich distanziert. Stattdessen vollzogen zwei Generäle aus dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen der militärischen Kooperation in der NATO den symbolischen Akt: der ehemalige Oberbefehlshaber der NATO in Europa, Matthew B. Ridgway, und der ehemalige Luftwaffeninspekteur der Bundeswehr, Johannes Steinhoff, der im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet worden war.222 Dieses modifizierte Zitat interpretierten die westdeutschen Beobachter als bewusstes Vermeiden einer Wiederholung.223 Die Organisatoren des Weißen Hauses schienen darauf bedacht, die mediale Berichterstattung in ihre Strategie des visuellen Rückzugs einzupassen. Entsprechend konnten die Reporter kein Foto machen, »bei dem des Präsidenten 218 Vgl. K. Arnsperger, Am 5. Mai Protestkundgebungen in den USA, SZ, 27.4.1985. 219 Vgl. D. Buhl, Wie eine Reise zum Alptraum wird, Die Zeit, 3.5.1985. 220 H. Schreitter-Schwarzenfeld, Reagans Blick schien den Gräbern auszuweichen, FR, 6.5.1985 u. H. Riehl-Heyse, Eine würdige Geste – schwer erträglich, SZ, 6.5.1985; vgl. Programm auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg soll weiter gekürzt werden, SZ, 27.4.1985; mtz, »Wir sind Freunde der Amerikaner, nicht ihre Vasallen«, FAZ, 30.4.1985. 221 Vgl. Weißes Haus dringt auf Kürzungen im Programm, Die Welt, 30.4.1985. 222 Vgl. »Wir waren Feinde, wir sind jetzt Freunde«. Kohl und Reagan in Bergen-Belsen und Bitburg, FAZ, 6.5.1985; C. Gennrich, Wortlos reichen sich die Generäle in Bitburg die Hand, FAZ, 6.5.1985. 223 Vgl. z.B. C. Gennrich, Wortlos reichen sich die Generäle in Bitburg die Hand, FAZ, 6.5.1985.
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Abb. 7: Ridgway und Steinhoff reichen sich 1985 in Bitburg die Hand
Blick etwa […] auf eine Grabplatte mit SS-Zeichen gefallen wäre«.224 Schon im Vorfeld des Besuchs waren amerikanische Kameramänner und Fotografen 225 daran gehindert worden, »ihre Kameras auf ein Podest zu stellen, von dem aus ein Schnappschuß auf eine SS-Rune vielleicht hätte gelingen können«.226 Überhaupt war der Friedhof nur für geladene Gäste und akkreditierte Fotografen zugänglich. Es bestätigte sich die Prognose des Rheinischen Merkurs, dass der Besuch »nichts weiter als ein Medienereignis, will sagen eine Fernsehschau sein wird«.227 Diese präventive Bildkontrolle ergänzte Reagan durch seine zurückgenommene Performanz: »Reagans Blick schien den Gräbern auszuweichen, geschäftsmäßig ging das alles zu, ohne Verweilen.«228 Doch für die verwehrten Bilder hatten die Fotoreporter schon anderweitig Ersatz gefunden. Findige amerikanische Journalisten gestalteten Bilder, wel224 H. Schreitter-Schwarzenfeld, Reagans Blick schien den Gräbern auszuweichen, FR, 6.5.1985. 225 Alle drei nationalen Fernsehsender der USA übertrugen Reagans Besuche in Bergen-Belsen u. Bitburg direkt in die USA, vgl. K. Arnsperger, Untertöne per Satellit, SZ, 7.5.1985. 226 H. Riehl-Heyse, Eine würdige Geste – schwer erträglich, SZ, 6.5.1985. 227 Reagan unter Glasglocke, Rheinischer Merkur, 2.2.1985. 228 H. Schreitter-Schwarzenfeld, Reagans Blick schien den Gräbern auszuweichen, FR, 6.5.1985.
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che die tatsächlichen Handlungen in Bitburg nicht herzugeben versprachen, in Eigenregie: Sie liehen im Bitburger Rathaus deutsche Fähnchen aus und dekorierten damit SS-Gräber für entsprechende Aufnahmen.229 Obwohl, wie hier deutlich wird, eine vollständige Kontrolle der medialen Bilder nicht möglich war, verhinderten die Organisatoren doch, dass vom Bitburgbesuch zitierfähige Ikonen entstanden wie seinerzeit von Kohls und Mitterrands Händehalten. Anders als ihre amerikanischen Kollegen antworteten die westdeutschen Organisatoren auf die Affäre mit einer Strategie, die auf die bewusste Gestaltung des Ereignisses setzte. In seit den sechziger Jahren bewährter Manier versuchte man, dem deutschen Widerstand bei dem Besuch eine prominente Rolle zu geben. Der Widerstand sollte ein Gegenbild zu den NS-Zeichen darstellen, die nun zusätzlich zu den SS-Runen auf dem Friedhof entdeckt wurden.230 Kohl setzte dagegen auf den Widerstand in Person von Berthold Graf von Stauffenberg – Bundeswehroffizier und ältester Sohn des Attentäters vom 20. Juli 1944, Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Von Stauffenberg befand sich sowohl unter den Ehrengästen auf der Kolmeshöhe als auch bei einer Abendveranstaltung in Schloss Augustusburg.231 Er stiftete eine positiv konnotierte Kontinuität zwischen dem militärischen Widerstand im NS-Deutschland und der Bundeswehr. Die Süddeutsche Zeitung wertete diese Strategie als Erfolg, da daraus eine »breite Darstellung der deutschen Widerstandsbewegung« in den US-Medien resultierte.232 Auch der Besuch Reagans in Bergen-Belsen lässt sich als Versuch verstehen, den Besuch in Bitburg durch einen Programmpunkt, der den victimae gewidmet war, zu neutralisieren und so die Polemiken abzukühlen. Doch ließ sich nicht so leicht vergessen machen, dass Reagan ursprünglich keine Gedenkstätte für NS-Opfer hatte besuchen wollen und damit den Zusammenhang zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust beinahe übergangen hätte. Die Strategie, die NS-Opfer verspätet in den Besuch zu integrieren, ging zumindest in der Rezeption außerhalb Westdeutschlands nicht auf. Bergen-Belsen haftete das »Odium der taktischen Konzession für Bitburg« an.233 Einer jungen Jüdin, Gewährsperson der Frankfurter Rundschau, erschien der Besuch in Bergen-Belsen gar schlimmer als die Visite in Bitburg, er sei eine »Herabwürdigung der Opfer«. In diesem Tenor äußerten sich ebenfalls Abgeordnete der SPD und der Grünen im niedersächsischen Landtag. Entsprechend blieben viele führende Sozialdemokraten und Vertreter des Zentralrats der Juden in 229 Vgl. Grab-Fälscher, Stuttgarter Zeitung, 27.4.1985; H. Riehl-Heyse, Eine würdige Geste – schwer erträglich, SZ, 6.5.1985. 230 Vgl. J. Leinemann, Die Märchenwelt des »Bitburg-Gipfels«, Der Spiegel, 6.5.1985. 231 Vgl. E. Keil, »Yesterday«: Da wich die Anspannung einem Lächeln, Die Welt, 6.5.1985; C. Gennrich, Wortlos reichen sich die Generäle in Bitburg die Hand, FAZ, 6.5.1985. 232 K. Arnsperger, Nach Bitburg und Straßburg, SZ, 11.5.1985. 233 R. Leicht, Nicht nach Bitburg!, SZ, 27.4.1985.
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Deutschland dem Gedenkakt in Bergen-Belsen fern. Helfer hatten noch kurz vor der Veranstaltung leere Stuhlreihen abräumen müssen, »die sich auf den Fernsehbildern schlecht ausgenommen hätten«.234 Die Abwesenheit der Vertreter jüdischer Glaubensgemeinschaften stellte die Legitimität der Visite im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen zusätzlich in Frage. Kein Rabbiner hatte sich bereit gefunden, in Bergen-Belsen ein Gebet zu sprechen, nur Vertreter der christlichen Religionsgemeinschaften nahmen an der Veranstaltung teil. Das Bild, das sich bot, harmonierte mit der Rede Reagans, in der er nicht nur die Schuld an den Gewaltverbrechen auf Hitler, sondern die Opfer auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit reduzierte: Neben Juden lägen viele Christen in Bergen-Belsen. Kein Redner erwähnte die 50 000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Bergen-Belsen zu Tode gekommen waren.235 Durch die Teilnahmeverweigerung prägten die Repräsentanten der jüdischen Glaubensgemeinschaften die äußere Erscheinung dieser Veranstaltung entscheidend mit. In den Worten des Vizepräsidenten des jüdischen Weltkongresses, Kalman Sultanic, war die Gedenkstätte während Reagans Besuch »judenfrei« gewesen.236 Der Begriff »judenfrei« war der Sprache der Täter entlehnt und sollte den Besuch in Bergen-Belsen als antijüdische Veranstaltung kennzeichnen. Es war nicht zu einem integrativen, harmonisierenden Gedenkakt gekommen; vielmehr geriet er zum bildlichen Zitat der Verbrechen, derer er gedachte: Ihre Abwesenheit in Bergen-Belsen machte das Verbrechen an den Juden augenfällig. Die Überlebenden und die Nachkommen der Opfer formulierten ihren Protest in Bergen-Belsen wie in Bitburg an den Rändern der eigentlichen Gedenkakte; schufen in Auseinandersetzung mit den Sicherheitsbeauftragten vor Ort ihre eigenen Bilder. In Bitburg demonstrierte der Europäische Jüdische Studentenverband, jüdische Studenten aus den Niederlanden und Frankreich waren angereist.237 In Bergen-Belsen versammelten sich vierzig New Yorker Juden, darunter Mitglieder der »Internationalen Vereinigung der Kinder der Überlebenden des Holocaust«, am Vorabend des Besuchs zu einer Mahnwache. Am Besuchstag trafen früh morgens fünfzig französische Juden, darunter Serge Klarsfeld, mit dem Bus ein, wurden aber sofort wieder zur Abfahrt gezwungen.238 In beiden Fällen boten sich Szenen, die alte Bilder wachrufen konnten. Bei der Räumung des Bergen-Belsener Dokumentations234 E. Spoo, »Eine Geste der Versöhnung wurde zum Schauspiel«, FR, 6.5.1985. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung deutete die wenigen Stuhlreihen als Zeichen der Exklusivität der Veranstaltung, vgl. K. Feldmeyer, Wie muß es sein, keinen Tag ohne Schmerz und Leid?, FAZ, 6.5.1985. 235 Vgl. E. Spoo, »Eine Geste der Versöhnung wurde zum Schauspiel«, FR, 6.5.1985. 236 Zit. n. G. Kröncke, Beschwörungen am Obelisken, SZ, 6.5.1985. 237 Vgl. C. Gennrich, Wortlos reichen sich die Generäle in Bitburg die Hand, FAZ, 6.5.198; H. Riehl-Heyse, Eine würdige Geste – schwer erträglich, SZ, 6.5.1985. 238 Vgl. G. Kröncke, Beschwörungen am Obelisken, SZ, 6.5.1985; E. Spoo, »Eine Geste der Versöhnung wurde zum Schauspiel«, FR, 6.5.1985.
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zentrums hatte die Polizei, welche die New Yorker Juden abführen sollte und sich offenbar in ihrer Rolle nicht wohl fühlte, nach Auskunft ihres Sprechers »Glück«, dass keine Fotografen anwesend waren.239 An anderer Stelle, als Polizeibeamte junge jüdische Demonstranten von der Straße hoben und wegtrugen, war die Presse vor Ort, und die befürchteten Assoziationsketten setzten ein.240 Die Inszenierungen in Bergen-Belsen und Bitburg waren empfindlichen Störungen ausgesetzt, die den staatlichen Absichten zuwider liefen. Doch die einmal aufgerufenen Bilder der Vergangenheit ließen sich nicht wegreden.241 Einen anderen Weg, die Inszenierung zu stören, wählte der American Jewish Congress. Eine prominent besetzte 50-köpfige Delegation unternahm zeitgleich zum Besuch Reagans eine Art Gegenreise an jene Orte, die Reagan hätte besuchen sollen: das Grab der Geschwister Scholl und das Konzentrationslager Dachau.242 Die Delegation verwies damit den amerikanischen Präsidenten in die Grenzen seiner Repräsentation, denn er vertrat die Einwohner der Vereinigten Staaten nicht konkurrenzlos. Damit wurde Reagans Europareise zum Teil amerikanischer Innenpolitik. In weiteren Gegengedenkveranstaltungen trafen sich am 5. Mai Christen und Juden in der Gedenkstätte Plötzensee; am 7. Mai kamen Europaabgeordnete auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Struthof zusammen.243 Aus westdeutscher Sicht begründete Reagans Reise einerseits das merkwürdig bildlose »Trauma« von Bitburg,244 das in der Bundesrepublik mit der Kritik an der Geschichtspolitik Helmut Kohls verknüpft wurde.245 Bitburg wurde zur Chiffre bundesrepublikanischer Schlussstrichmentalität und stand zugleich für eine Unsicherheit im Umgang mit der Vergangenheit.246 Das vermeintlich Unverfängliche, der Blick, der von der NS-Vergangenheit wegführen sollte, lenkte im Gegenteil die Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit. Für Hildegard Hamm-Brücher wurden Kohl und Reagan »eingeholt von der Geschichte, weil sie die Geschichte nicht richtig anpacken wollten«.247 Westdeutsche Zeitungen zogen zwiespältige Resümees der Reise: Das Urteil bewegte sich zwischen »Ernst, Einfachheit und Würde«,248 »würdige Veranstaltung«249 im Hinblick 239 Vgl. G. Kröncke, Beschwörungen am Obelisken, SZ, 6.5.1985. 240 Vgl. K. Arnsperger, Untertöne per Satellit, SZ, 7.5.1985. 241 Vgl. G. Kröncke, Beschwörungen am Obelisken, SZ, 6.5.1985. 242 Vgl. T. Münster, Feier am Grab der Geschwister Scholl, SZ, 3.5.1985. 243 Vgl. Kirsch, 8. Mai, S. 86. 244 F.U. Fack, Ein Scherbenhaufen, FAZ, 29.4.1985. 245 Vgl. z.B. Assmann/Frevert, S. 269. 246 Vgl. »Auf Kohls Rat hören wir nicht wieder«, Der Spiegel, 29.4.1985. 247 Zit. n. ebd. Auch die NZZ attestierte zu wenig historische Sorgfalt, vgl. Bitburg und Bergen-Belsen, NZZ, 5.5.1985. 248 Bitburg und Mitterrand, Der Tagesspiegel, 7.5.1985. 249 G. Gillessen, Verwandlungen eines Besuches, FAZ, 8.5.1985.
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auf den tatsächlichen Handlungsablauf und Misserfolg mit Blick auf die Diskussionen im Vorfeld.250 Auswärtige Beobachter gewannen der Debatte um den Besuch jenseits der Rede von Weizsäckers als dazugehörigem Kontrapunkt auch etwas Positives ab. Durch die Auseinandersetzungen, so die Neue Zürcher Zeitung, sei eine allzu reibungslose »Umfunktionierung« des 8. Mai in einen »Gedenktag für das gewandelte Deutschland« gescheitert, der sich »mit der historischen Wahrheit schlecht vertragen« hätte. Die Einbeziehung von Grabsteinen deutscher Soldaten ließe sich als Sichtbarmachung der Täterschaft verstehen, auch wenn diese Täter in der dominanten westdeutschen Lesart zu Opfern umgedeutet würden. »Es hätte sich ohnehin als absurd verbieten müssen, eine andere Gefallenengedenkstätte mit lauter ›unschuldigen‹ Deutschen suchen zu wollen.«251 Nach dem Besuch ergänzte auch der amerikanische UPI-Korrespondent in der Bundesrepublik, Joseph B. Fleming, das Deutschlandbild um eine Facette. Zumindest das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen hatte in seinen Augen geschichtsrevisionistische Ansätze durch seine Programmgestaltung konterkariert. Während der Direktübertragung aus Bergen-Belsen hatte es eine Viertelstunde lang »Sequenzen von unüberbietbarem Horror« aus britischen Archiven in Erstausstrahlung gezeigt. Fleming befand, die Tatsache, dass ein Land zu diesem Anlass »die Kraft und den Mut auf bringt, solche Filme zu zeigen«, zeige »die Stärke der deutschen Demokratie, und daß der Besuch in Bitburg nichts mit Vergessenwollen zu tun hatte«.252 Wenn es der Hauptfehler Reagans und Kohls gewesen war, die »Vergangenheit begraben, sich gar mit dem Verbrechen selbst versöhnen« zu wollen,253 hatte dieser Fehler doch ungewollt positive Wirkungen hervorgebracht. Die Bilder der Versöhnung konnten die Bilder der Vergangenheit nicht überdecken, sondern rückten sie neu ins Blickfeld.254
6. Ausgeblendete Orte Gegenüber den Gedenkorten für die NS-Opfer und die Soldaten des Zweiten Weltkriegs blieben die Orte der Täter bei Staatsbesuchen entweder ganz unsichtbar oder erschienen zumindest nicht in dieser Eigenschaft. Nachdem von der Münchner Feldherrnhalle bereits kurz die Rede war, soll exemplarisch die vergangenheitspolitische Rolle Berchtesgadens in Staatsbesuchen zur Sprache kommen. Auf dem Obersalzberg besaß Adolf Hitler seit 1923 ein Anwesen, das 250 Vgl. K. Arnsperger, Nach Bitburg und Straßburg, SZ, 11.5.1985. 251 Bitburg und Bergen-Belsen, NZZ, 5.5.1985. 252 Zit. n. T. Kielinger, Jetzt versöhnlichere Töne in der US-Presse, Die Welt, 7.5.1985. 253 G. Gillessen, Verwandlungen eines Besuches, FAZ, 8.5.1985. 254 Vgl. dazu auch Kirsch, 8. Mai, S. 93 u. Domansky, S. 257.
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er seit 1933 zum zweiten Regierungssitz ausbaute. Diese Vergangenheit Berchtesgadens klang zwar als Konnotation bei der Nennung des Ortes stets mit, aber erst seit 1999 thematisieren das Land Bayern und die Tourismusregion Berchtesgaden-Königssee in einem Dokumentationszentrum die Rolle des Ortes im Nationalsozialismus.255 Der Umgang mit dem Obersalzberg kann als paradigmatisch für andere Täterorte gelten. In der Bundesrepublik wurden diese Orte oftmals ohne weitere Kennzeichnung und Auskünfte über ihre Vergangenheit neu genutzt. So informierte z.B. das Gefängnis in Landsberg nicht darüber, dass Adolf Hitler hier den ersten Band von »Mein Kampf« verfasst hatte. In den wenigen Fällen, in denen Berchtesgaden auf der Agenda der Staatsbesuche stand, kam die NS-Vergangenheit nicht zur Sprache.256 Berchtesgaden zeigte sich als Teil einer touristisch reizvollen Region; und die Protokollbeamten nahmen es scheinbar nur in dieser Perspektive wahr. Griechische Journalisten besuchten im Rahmen des Besuchs ihres Ministerpräsidenten 1954 eine Strumpffabrik im Ort, um anschließend die landschaftlichen Reize am Herrenchiemsee zu genießen.257 Für den Schah und Kaiserin Soraya plante das Protokoll einen Wintersportaufenthalt in Berchtesgaden, zog aber der besseren Hotels wegen Garmisch-Partenkirchen oder Bad Reichenhall vor.258 Andere Gäste reisten zwar nicht nach Berchtesgaden, aber in die Umgebung, deren Bedeutung ganz allein auf ihre landschaftlichen Reize beschränkt schien. Lediglich in einem Fall gestaltete sich ein Aufenthalt am Obersalzberg insofern problematisch, als ein Zeitungsartikel diese Reise negativ kommentierte. Ursprünglich hätte der indonesische Präsident Suharto gar nicht nach Berchtesgaden reisen sollen. Aber nachdem sein Besuch in den Niederlanden starke Proteste provoziert hatte und sich vergleichbare Demonstrationen auch in der Bundesrepublik abzeichneten, entschieden sich die Choreografen des Besuchs kurzfristig für Programmänderungen: Suharto sollte nicht mehr in den Norden der Republik reisen, wo Demonstrationen befürchtet wurden, sondern statt dessen in den Süden. Der westdeutsche Generalkonsul in Chile, Schubert, stellte sein privates Anwesen in Bayern für einen Aufenthalt Suhartos zur Verfügung.259 Dort standen zumindest für die Delegation Suhartos Folkloredarbietungen auf dem Programm.260 Der geheime Aufenthaltsort des Diktators wurde jedoch entdeckt. Ein Journalist der Nürnberger Nachrichten übte deutliche Kritik an der Auswahl Berchtesgadens. Der Obersalzberg sei »gruselige Attraktion für Touristen von jenseits des Ozeans und Weihestätte für braune 255 Vgl. dazu Chaussy/Püschner. 256 Vgl. Fulbrook, S. 37f. 257 Vgl. Besuch der gr. Journalisten 29.6.-11.7., PA, B8, Bd. 49. 258 Vgl. Drahtbericht Gielhammer, Teheran, 19.1.1955, PA, B8, Bd. 136; Pappritz an von Brand, Bayerische Staatskanzlei, 29.1.1955, PA, B8, Bd. 140. 259 Vgl. Vermerk Schwarzmann, 2.9.1970, PA, B8, Bd. 1617. 260 Vgl. Programm für die offizielle Delegation, PA, B8, Bd. 1617.
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Träumer in einem geworden«. Beeindruckende Panoramasichten böten auch die Zugspitze oder der Wendelstein.261 Dieser Kommentar verdeutlicht, dass Berchtesgaden sich 25 Jahre nach Kriegsende seiner NS-Belastung keinesfalls entziehen konnte. Er macht zugleich deutlich, dass der richtige Umgang mit diesem Umstand noch nicht gefunden worden war. Lediglich ein expliziter Täterort, sieht man einmal von der in dieser Hinsicht mehrdimensionalen Gedenkstätte Plötzensee ab, gelangte in das Bildprogramm der Bundesrepublik – und dies erst gegen Ende der alten Bundesrepu blik: 1988 besuchte die Staatspräsidentin von Island, Vigdís Finnbogadóttir, mit der Gedenkstätte »Topographie des Terrors« in Berlin das ehemalige Gelände des Geheimen Staatspolizeiamtes, der SS-Führung und des Reichssicherheitshauptamtes.262 Damit nahm die staatliche Repräsentation einen Ort in den Kanon des Sichtbaren auf, der Ergebnis einer »new framing strategy« war: Die westdeutsche Erinnerungslandschaft entwickelte sich in den achtziger Jahren laut Rudy Koshar zu einer Topographie der Spuren. Die Ausstellung Topographie des Terrors entstand als Ausstellung dieser bislang verborgenen Spuren und sollte dem Willen ihrer Unterstützer nach ein offenes, sichtbares Bekenntnis zur deutschen Täterschaft sein.263 Nicht nur das Verhältnis des Landes der Täter zu den Täterorten erweist sich als aufschlussreich, sondern auch der Umgang mit den ehemals Verbündeten. 1971 reiste der japanische Tenno Hirohito in die Bundesrepublik. Hirohito personifizierte aus europäischer Sicht die Kontinuität zwischen dem alten Japan, das Aggressor im Zweiten Weltkrieg gewesen war, und dem neuen Japan.264 »Hiro-Hitler«-Rufe während des Besuchs in der Bundesrepublik führten dem japanischen Kaiser seine private wie amtliche Vergangenheit stets vor Augen. Die personale Kontinuität, die er verkörperte, rückte die Bundesrepublik und ihren Umgang mit Geschichte in ein positives Licht, schien der Nachfolgestaat des Deutschen Reiches sich doch im Vergleich zu Japan deutlicher von seiner Vergangenheit distanziert zu haben.265 Genau darin sah ein Schweizer Journalist auch den Grund dafür, dass die Bereitschaft zur Versöhnung mit dem Deutschland Willy Brandts größer sei als mit Japan.266 261 Obersalzberg. Was Suharto von Deutschland sah, Nürnberger Nachrichten, 7.9.1970. 262 Programm für die Staatspräsidentin der Republik Island Vigdís Finnbogadóttir, 3.9.7.1988, PA, B8, Bd. 1652. 263 Vgl. Koshar, Monuments, S. 230. 264 Die Japaner machten Hirohito nach 1945 für die Entscheidungen der Kriegsjahre nicht verantwortlich. Mit der amerikanischen Besatzung endete 1952 eine begonnene »Entzauberung« des Tenno, worauf eine bis in die Gegenwart reichende »Remystifizierung des Kaisertums« einsetzte, Schwentker, S. 124. Vgl. Kittel, S. 25–30; Buruma, S. 203–225. 265 Vgl. Bericht dt. Botschaft Tokio, 16.11.1971, Auswirkungen der Europareise des Kaisers in Japan, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.196. 266 Kommentarübersicht, 15.10.1971, PA, B37, Bd. 614.
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IV. Bilder der Heimat Die geschilderten Bilder der Prosperität, der Teilung und der NS-Vergangenheit ergänzte ein vierter Bildkomplex der bundesrepublikanischen Selbstdarstellung: Dieser thematisierte nicht Leistungen und Perspektiven oder Probleme und Verfehlungen in Gegenwart und Vergangenheit, sondern suchte zumindest vordergründig einen Blick auf Westdeutschland jenseits von Politik und jüngster Geschichte zu eröffnen. Neben Industrie, Teilung und Vergangenheitsbewältigung setzten die westdeutschen Besuchsregisseure für ihre ausländischen Gäste jene Vorstellungen von Westdeutschland ins Bild, die auch den privaten Massentouristen in die Bundesrepublik führten. Zum einen geschah das auf Wunsch der Gäste, die es wie Privatreisende teils nach typisch Deutschem verlangte – angefangen bei der Küche, wo sich Gäste nach »deutsche[n] Spezialplatten« wie »Bratkartoffeln, Sauerkraut, Würstchen, Kasseler Rippespeer, Hamburger Aal u.ä.« sehnten.1 Zum anderen bot sich darin den westdeutschen Protokollmitarbeitern des Bundes und der Länder eine Vielfalt von Darstellungsmöglichkeiten. Von der Rheinromantik über süddeutsche Folklore bis hin zur maritimen Kultur und Bürgerlichkeit des Nordens reichte das Repertoire, mit dem die Bundesrepublik nicht nur die touristischen Bedürfnisse ihrer Gäste befriedigte, sondern zugleich ihr junges Bekenntnis zum Föderalismus auf vordergründig unpolitische Weise über die landschaftliche und folkloristische Differenzierung der Regionen zum Ausdruck bringen konnte. Folklorismus bezeichnet dabei den »Umgang der Moderne mit der traditionellen Volkskultur«, eine Art »Volkskultur aus zweiter Hand«.2 Aus der nationalsozialistischen Vereinnahmung der Volkskultur, die sich z.B. in dem Versuch zeigte, eine ursprüngliche Tracht rekonstruieren zu wollen, resultierte in der Nachkriegszeit keine Diskreditierung der Volkskultur. Vielmehr spielte der Rückgriff darauf z.B. für Flüchtlinge und Vertriebene »eine wichtige Rolle zur Aufrechterhaltung kultureller Identität und zur Verdinglichung eines Heimatgefühls, das die Erinnerung an die Herkunftsregion wachhielt«. Das erste Europäische Trachtenfest 1952 verstand Volkskultur sogar als »Medium der Völkerverständigung«.3 Die regionale Unterschiedlichkeit, politisch repräsentiert durch die je1 Zusatz zu den Notizen über den thailändischen Staatsbesuch, von Braun, 8.4.1960, PA, B8, Bd. 229. 2 Göttsch, S. 83. Hans Moser hat 1962 den Begriff »Folklorismus« in der Volkskunde eingeführt und als »Vorführung und Vermittlung von Volkskultur aus zweiter Hand« definiert, vgl. Moser. Die nachfolgende Diskussion um den Begriff skizziert Göttsch, S. 83f. 3 Göttsch, S. 87.
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weiligen Bundesländer, war auch in zeitgenössischen Reiseführern ein zentraler Topos und ermöglichte eine Charakterisierung der Bundesrepublik als »melting pot«.4 Die seit dem 19. Jahrhundert entwickelten Formen von Volkskultur wie »Tracht, Brauch, Musik, Tanz und Lieder werden als Signé eines Landes, einer Region oder eines Ortes ausgegeben und als Ware konsumiert«.5 Celia Applegate arbeitete heraus, dass »Heimat« nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland »the political and social community that could be salvaged from the Nazi ruins« verkörperte.6 Wenngleich der Begriff Heimat in Staatsbesuchen nicht explizit fiel – in den fünfziger Jahren wurde er außer in Heimatfilmen nur selten und mit Vorbehalten benutzt –,7 setzten folkloristische Vorführungen und Veranstaltungen ein von politischen Ideologien vermeintlich unberührtes Deutschland als regionale Verbundenheit bei gleichzeitiger kultureller Vielfalt ins Bild, das weder die unmittelbare Vergangenheit in Erinnerung rief noch Assoziationen der deutschen Teilung weckte.8 Die Inszenierung von Heimat in Staatsbesuchen blieb auch bei wachsender Skepsis gegenüber dem Heimatbegriff konstant. In der Phase »der Wachstums- und Planungseuphorie, die über die engeren Grenzen hinwegtrug und die von den traditionellen Zwängen und Bindungen befreite und weithin einheitliche Gesellschaft anvisierte«,9 zeigte sie jedoch immer deutlicher einen Showcharakter. Im Kontext der einzelnen Besuchsprogramme kamen den Rheinfahrten und Aufenthalten in den Alpen zudem in mehrerlei Hinsicht ausgleichende Funktionen zu: Sie drosselten das Tempo des Besuchsablaufs, boten Gelegenheit zur Beschaulichkeit und dokumentierten anscheinend die Langlebigkeit von Traditionen. Auf diese Weise konnten sie vordergründig als moderates Gegenbild zur beschleunigten industriellen Entwicklung Westdeutschlands wirken. Darüber hinaus kompensierten solche touristisch geprägten Ausflüge bisweilen die politisch stark aufgeladenen Aufenthalte in Berlin oder an der Grenze Westdeutschlands mit der DDR – und konnten deren Wirkung gerade durch das anschließende, vermeintlich unpolitische Programm noch verstärken. Die »Mental Map« für ausländische Staatsgäste, der die Medien zu einer potentiell weltweiten Verbreitung verhalfen, stellte demnach einen reizvollen, erfolgreichen, problemfreien und politisch entspannten Westen Deutschlands einem problembehafteten und politisch aufgeladenen Osten gegenüber. Nur in 4 Rudy Koshar weist diese Wahrnehmung für das amerikanische Fodor Guidebook »Germany 1953« nach, vgl. Koshar, German Travel Cultures, S. 163 u. 193, Zitat S. 163. 5 Göttsch, S. 87. 6 Applegate, S. 228–246, Zitat S. 242. Aus der umfangreichen Literatur zu Heimat verweise ich grundsätzlich auf Blickle; Hermand/Steakley, Heimat; Knoch, Erbe; Korfkamp; Petri; zur Konstruktion von Heimat in Literatur und Film Boa/Palfreyman; Fehrenbach; Kaes; von Moltke; Wickham. 7 Vgl. Hermand/Steakley, S. VIII. 8 Darin ähnelte der Heimatbegriff den Heimatfilmen, vgl. Hake, S. 197. 9 Bausinger, Heimatverständnis, S. 21. Vgl. zur Planungseuphorie Metzler.
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Ausnahmefällen veranschaulichten die an die DDR grenzenden Bundesländer die Teilungsproblematik. Zentrale Reiseziele ausländischer Staatsgäste, der Rhein, die »historical geography«10 im Südwesten der Bundesrepublik und Kunst, Landschaft und Folklore Bayerns, verdeutlichen beispielhaft die Darstellungsmöglichkeiten, die vorgeblich unpolitische Programmpunkte den Besuchsregisseuren einzeln und in ihrem Zusammenspiel eröffneten.11
1. Der Rhein Ein ein- bis zweitägiger Aufenthalt am Regierungssitz in Bonn war für nahezu jeden Staatsbesuch obligatorisch, und so führte für ausländische Gäste ohnehin kaum ein Weg am Rhein vorbei. Doch bei diesem zufällig-zwangsläufigen Rheinkontakt beließ es das Protokoll der Bundesrepublik nicht. Von den ersten Besuchen an lenkte es die Aufmerksamkeit der Gäste auf den Strom, dessen Mittelteil englische Reisende erstmals Ende des 18. Jahrhunderts noch vor den Deutschen selbst ein besonderes Interesse entgegengebracht hatten.12 Die Rheinlandschaft verkörperte seit ihrer Entdeckung den deutschen »Prototyp« einer »scheinbar über Jahrhunderte ›natürlich‹ gewachsenen Kulturlandschaft, [der] jedoch zugleich ihre Kulissengestalt deutlich anzusehen ist«, »als Raum deutscher Geschichte und zugleich als Ort ihrer Wiederentdeckung in der Romantik«. War der Strom in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insofern zum »europäischen Schicksalsstrom« geworden, als sich die gebündelte Phantasie romantischer Künstler »zumindest imaginär« hier konzentrierte, geriet er zunehmend zur »politisch-ethnische[n] Grenze« und zum »Herzstück nationalistischer Identitätspolitik«13 – vor allem im Konflikt mit Frankreich. Das Nachkriegsdeutschland knüpfte in seiner Inszenierung an die Klischees der Rheinromantik an, zeigte jedoch den ehemals nationalen Strom nicht nur bereitwillig her, sondern teilte ihn auf vielfältige Weise mit seinen Gästen. Er galt nicht mehr als Grenze, sondern als Mittler nach Westen. a) Symbolische Aufladung zwischen »Rhin Pacificateur«, christlichem Abendland und Europa Gleich der erste Gast der jungen Republik, der amerikanische Außenminister Dean Acheson, erhielt den Rhein in der Form als Geschenk, die durch Mas10 Aufzeichnung Mohr, 16.6.1956, PA, B8, Bd. 39. 11 Auf die Bedeutung des Nordens als Reiseziel wird am Ende des Kapitels kurz eingegangen. 12 Vgl. Tümmers, Rhein, S. 194–200; Tümmers, Rheinromantik; Spode, S. 39–43. 13 Kaschuba, Überwindung, S. 55–57, Zitate S. 55 u. 57. Vgl. Tümmers, Rhein, S. 201–225.
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senauflage dem Strom schon Mitte des 19. Jahrhunderts virtuell ein breites Publikum beschert hatte: Robert Battys Stahlstiche »The Scenery of the Rhine, Belgium and Holland« von 1826.14 Nur zwei Monate später findet sich ein vergleichbares Geschenk auch auf der Geschenkeliste von Achesons französischem Amtskollegen Robert Schuman: »Views of the Rhine« von William Tombleson, ein Buch mit 70 Stahlstichen und einer Karte des Rheinlaufs zwischen Mainz und Köln, erschienen 1832 in London.15 Das Geschenk harmonierte mit den Worten, die Schuman in seiner Tischrede am 14. Januar 1950 in Bonn wählte: Er bekannte offen, der »Hauptzweck dieser persönlichen Begegnung« sei, das Gemeinsame zwischen Frankreich und der Bundesrepublik herauszuarbeiten und »die Grundlagen für [eine] gemeinschaftliche Zukunft zu legen«. Das Gemeinsame fand er ausgerechnet im Rhein, »unserem Rhein, dem Deutschen und dem Französischen, diesem Rhein, der ein Ganzes bildet trotz aller nationalen Grenzen«.16 In den deutsch-französischen Beziehungen nahm der Rhein schon im Mittelalter, doch verstärkt im 19. Jahrhundert einen besonderen symbolischen Stellenwert ein, der in der »Wacht am Rhein«, im deutsch-französischen Krieg 1870/71 ein sehr populäres Lied, sein musikalisches Äquivalent fand.17 Die Auseinandersetzungen kreisten darum, ob der Rhein die deutsch-französische Grenze oder in den Worten Ernst Moritz Arndts »Deutschlands Strom« sei. Zeitgleich kursierte auch der Gedanke des Flusses als »Band zwischen den Völkern«, doch setzte sich die Vorstellung vom Rhein als europäischem Fluss letztlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch.18 1950 teilte die Bundesrepublik in Wort wie Bild diesen Fluss mit Frankreich und initiierte ihn beim Besuch Robert Schumans als Bindeglied. Freilich kämpfte Westdeutschland bei allen symbolischen Verständigungsbemühungen zeitgleich in der Frage der Zugehörigkeit des Saarlandes, das nach 1947 politisch autonom und wirtschaftlich an Frankreich angebunden war, um eine Zugehörigkeit zur Bundesrepublik und setzte sich durch: Aufgrund des Volksentscheids vom 23. Oktober 1955 wurde das Saarland am 1. Januar 1957 zum westdeutschen Bundesland. Den neuen verbindenden Charakter des Rheins zitierte auch Heinrich Lübke, indem er de Gaulle 1962 einen Kupferstich des Rheins überreichte.19 Während 200 km weiter östlich eine Grenze West- und Ostdeutschland trennte, die Europa in zwei politische Hemisphären teilte, verkörperte der lange Zeit umkämpfte Grenzfluss Rhein nunmehr ein gemeinsames Bindeglied zwischen Westdeutschland 14 Vgl. von Herwarth an Kanzleramt, 10.12.49, PA, B8, Bd. 3. Vgl. zu den Stichen Battys Tümmers, Rhein, S. 258. 15 Vgl. Geschenkauswahl von Pappritz an Blankenhorn, 11.1.1950, PA, B8, Bd. 48. 16 Mitteilung des BPA an die Presse, 14.1.1950, PA, B8, Bd. 48. 17 Vgl. Tümmers, Rhein, S. 224f; grundsätzlich Hüttenberger/Molitor; Wein. 18 Richez, S. 15. Ein bedeutender Versuch, vor 1945 den Rhein als europäischen Fluss und zentralen Bestandteil der deutsch-französischen Geschichte zu denken, ist Febvre, Der Rhein. 19 Vgl. Geschenke-Verteilung, PA, B8, Bd. 492.
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und Frankreich. Gleichzeitig symbolisierte er die sich seit den fünfziger Jahren entwickelnde Zusammenarbeit in (West-)Europa. Auch Anfang der achtziger Jahre hatte die Rheinrhetorik noch Bestand, als der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth in seiner Tischrede zum Abschluss des Essens für den französischen Staatspräsidenten »natürlich die politische Verständigung über den Rhein, ›der verbindet und nicht trennt‹«, erwähnte.20 Der erste Kandidat für eine Rheinfahrt war auf Vorschlag des deutschen Botschafters Clemens von Brentano 1952 der italienische Staatspräsident Alcide De Gasperi. Von Brentano pries die Rheinfahrt als »gerade im Herbst besonders eindrucksvoll« und »besonders sympathische[n] Beginn« an,21 hatte damit aber letztlich keinen Erfolg. Dennoch kam dem Fluss, in einer journalistischen Lesart des Besuchs, indirekt eine strukturierende Rolle zu. Die Orte, die De Gasperi bereiste, lagen alle in Nähe des Rheins und gehörten zum Rheinland.22 Mit seiner Reise entwarf der italienische Ministerpräsident unter der Regie des italienischen und westdeutschen Protokolls gleichsam einen Erinnerungsraum des christlichen Abendlands, steckte ihn durch seine Reisen ab, gab ihm Gestalt und wurde in der Presse auch so verstanden: Die »Wahl der Orte«, Maria-Laach, ein »Moselnest«, Köln und Aachen, zeige die »Wurzeln« und »die gemeinsamen politischen Ziele« Adenauers und De Gasperis. Dieses Programm ziele auf »die Wiedererweckung der geistigen und der ethischen Kräfte des christlichen Abendlandes und eine ausschliesslich nach Westen gewandte europäische Gemeinschaft, die von diesen Kräften zehren sollen«.23 Der Rhein fungierte bei dieser Kartographierung des christlichen Abendlandes als Begrenzung, die das Ruhrgebiet östlich des Rheins vom Programm ausschloss. Bemerkenswert ist die Nähe zur Rhetorik der französischen Besatzungsbehörden im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg mit der grundlegenden Idee des »Rhin Pacificateur«. Ausgerechnet der Rhein bildete als Ergebnis historischer Zufälle in dieser Konzeption »die Grenze zwischen zivilisiertem ›Okzident‹«, zu dem scheinbar die Rheinländer gezählt wurden, und »barbarischem ›Orient‹«, den Preußen verkörperte.24 Noch westlicher, noch abendländischer hätte sich die Bundesrepublik beim Besuch De Gasperis nicht präsentieren können als im wahrscheinlich unbewussten Rückgriff auf Frankreichs antipreußische Propaganda. In den letzten Jahren wurde zunehmend die Bedeutung der Ideologie des »christlichen Abendlandes« für die Ideenlandschaft der Bundesrepublik in den 20 Schicksalsgemeinschaft am Rhein, der »uns verbindet und nicht trennt«, Die Welt, 9.7.1980. 21 Bericht von Brentano, Rom, 16.7.1952; Drahtbericht von Brentano, Rom, 15.9.1952, PA, B11, Bd. 1. 22 Vgl. Druckprogramm, PA, B11, Bd. 1. 23 Nach dem italienischen Staatsbesuch, Dt. Zeitung u. Wirtschaftszeitung, 27.9.1952. 24 Wein, S. 63–70, Zitat S. 64.
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frühen fünfziger Jahren deutlich.25 Das christliche Abendland war vor allem im ersten Nachkriegsjahrzehnt ein verbreiteter Topos, wurde dann aber in den sechziger Jahren »durch den säkularisierten Begriff Europa abgelöst«.26 In seiner Bedeutung blieb das christliche Abendland, das schon im 19. Jahrhundert herauf beschworen wurde,27 unscharf, diente es doch vornehmlich der Abgrenzung gegenüber anderen Ideologemen. Als eine in der Nachkriegszeit »häufig anzutreffende Bedeutungskomponente« identifiziert Axel Schildt »die geistige Unabhängigkeit und Superiorität des europäischen ›Abendlandes‹ sowohl gegenüber dem ›Bolschewismus‹ als auch gegenüber dem materialistischen ›Amerika‹«.28 Das christliche Abendland verwies auf eine kulturelle Distanz nach außen und auf eine innere Zusammengehörigkeit über gemeinsame christliche Wurzeln. Während Schildt den institutionellen und diskursiven Rahmen aufzeigt, in dem das »christliche Abendland« verhandelt wurde, lässt sich bei Staatsbesuchen eine Bebilderung und Inszenierung des Ideologems beobachten. Das Rheinland war Ort und Projektionsfläche dieser Inszenierung. Schon beim Besuch Robert Schumans im Januar 1950 betonte die Bundesregierung den christlichen Glauben als Bindeglied zwischen Frankreich und der Bundesrepublik, verkörpert in den Personen Schuman und Adenauer. Neben einem inoffiziellen Gottesdienstbesuch29 wurde diese darstellerische Komponente nicht zuletzt durch die Teilnahme des Kölner Erzbischofs an einem Frühstück offenkundig, bei dem dieser den Ehrenplatz gegenüber dem Bundeskanzler einnahm.30 Dass der christliche Glaube ein inszenatorisches Moment eines Staatsbesuchs sein konnte, reflektierte der erste bundesdeutsche Generalkonsul in Paris, Wilhelm Hausenstein, in seinen Erinnerungen an einen Gottesdienstbesuch Adenauers während seiner Frankreichvisite 1951.31 Demnach war den Akteuren bewusst, dass der Besuch einer Heiligen Messe im Rahmen eines Staatsbesuchs inszenatorisch bedeutungsvoll war. Zugleich legte Hausenstein Wert auf die Authentizität der Glaubensüberzeugung, ohne welche die Wirkung der Inszenierung verpufft wäre. Der europäische Wertekonsens fußte auf der Inszenierung persönlicher Frömmigkeit, die sich vor allem in den Begegnungen zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle mehrfach wiederholen sollte. Was sich 1950 angedeutet hatte, entfaltete seine volle Wirkung beim Besuch Alcide De Gasperis 1952. Den gesamten Besuch dominierte wie gesehen leitmotivisch die Inszenierung des christlichen Abendlands. Die Visualisierung 25 Vgl. Conze, Europa; Schildt, Abendland; vgl. grundsätzlich Faber. 26 Schildt, Abendland, S. 21. 27 Vgl. ebd., S. 24. 28 Ebd., S. 36. 29 Vgl. Zeitfolge, PA, B8, Bd. 48. 30 Vgl. Sitzordnung für das Frühstück am 14.1.1950, PA, B8, Bd. 48. 31 Vgl. Hausenstein, S. 78.
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des christlichen Glaubens der Staatsmänner spielte dabei eine bedeutende Rolle. Schon für die Anreise organisierte die bundesdeutsche konsularische Vertretung in der Schweiz den Besuch einer Heiligen Messe in Basel.32 Am zweiten Tag wohnten Adenauer und De Gasperi in der Benediktinerabtei Maria Laach dem Stundengebet der Mönche bei.33 Die Abtei vereinte verschiedene Bedeutungsebenen auf sich. Zum einen war sie Stätte praktizierten christlichen Lebens und bot so einen Rahmen, um das Christentum als gemeinsames Fundament Europas herauszustellen. Darüber hinaus trafen De Gasperi und Adenauer in Basilius Ebel, dem dortigen Abt, auf einen engagierten Vertreter des christlichen Abendlands. Ebel war kurz vor dem Besuch des italienischen Ministerpräsidenten neben hochrangigen CDU-Politikern in das Kuratorium der 1952 gegründeten Abendländischen Akademie in Eichstätt gewählt worden, die eine christlich-abendländische Tradition als Orientierung für die Gegenwart diskutierte.34 Letztlich inszenierte Adenauer durch den Besuch der Abtei auch seinen »eigene[n] Kampf ums Überleben«.35 Denn in Maria Laach hatte er während des Nationalsozialismus zeitweilig Unterschlupf gefunden; danach hatte er den Kontakt zu den Benediktinermönchen gepflegt.36 Diese Details gewinnen vor dem Hintergrund des De-Gasperi-Besuchs an Bedeutung. In Maria Laach konnte sich Adenauer nicht nur als Vertreter des christlichen Abendlands und damit als Europäer darstellen, sondern zugleich als Opfer des Nationalsozialismus und gläubiger Christ. Die Inszenierung der gemeinsamen abendländischen Fundamente beschränkte sich nicht nur auf den christlichen Aspekt. Im Anschluss an den Abteibesuch traten die Staatsmänner eine Reise ins romantisierte Mittelalter an, verkörpert durch das Moselstädtchen Beilstein. Das in den fünfziger Jahren wieder entdeckte Mittelalter klang ebenfalls an im Kölner Dom, Symbol des Heiligen Köln und zugleich Nationaldenkmal des 19. Jahrhunderts, und der Kölner Schule Stefan Lochners, dessen Gemälde Adenauer und De Gasperi am dritten Besuchstag im Kölner Walraff-Richartz-Museum besichtigten. Der Rekurs auf das Mittelalter erklärt sich aus der christlichen Glaubenseinheit dieser Zeit, die bis zur Reformation vorhielt und Vorbildcharakter für das neue, sich zusammenschließende Europa haben sollte. Das 1941 entdeckte Kölner Dionysos-Mosaik war sichtbares Zeichen der vergangenen Zugehörigkeit der Rheinmetropole zum Römischen Reich. Der vierte Besuchstag stand ganz unter dem Vorzeichen eines geeinten Europas, dessen Ursprung man im Reich Karls des 32 Vgl. Bericht Generalkonsulat Basel, 16.9.1952, PA, B8, Bd. 54. 33 Vgl. Programm, PA, B8, Bd. 54. 34 Vgl. Schildt, Abendland, S. 56–67. 35 Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 361. Vgl. zum Verhältnis der Mönche zum Nationalsozialismus Albert. 36 Vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 362.
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Großen zu finden glaubte: Nach einem Besuch des Aachener Doms erhielt De Gasperi den Karlspreis.37 Die Verbindung zwischen christlichem Abendland, der konstatierten Einheit des europäischen Mittelalters und dem beginnenden Einigungsprozess Europas war ein verbreiteter Topos der medialen Rezeption des Besuchs, die den Verlust der europäischen Einheit in der vorangegangenen Epoche des Krieges überwinden helfen sollte.38 Die verbal unterstützte Demonstration des christlichen Abendlands korrelierte mit den Interessen Adenauers und De Gasperis, den Prozess der europäischen Einigung zu stärken. In der Folge standen die Besuchsziele, mit denen das christliche Abendland beim italienischen Staatsbesuch bebildert worden war, am Rande. Gleichwohl stellte es einen zentralen Topos in den Reden dar. Beim gemeinsamen Abendessen des Bundeskanzlers mit dem österreichischen Außenminister Gruber 1953 erfuhr das christliche Abendland respektive Europa eine semantische Ergänzung. Fortan standen nicht mehr nur die gemeinsamen christlichen Fundamente im Vordergrund. Hinzu trat die Vorstellung von Europa als Schutz gegen eine Bedrohung von außen.39 Noch deutlicher formulierte Adenauer diesen Akzent beim Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Papagos. Während Heuss die kulturelle Gemeinsamkeit des christlichen Abendlands herausstellte, indem er Griechenland als »Bewahrer unvergänglicher Kulturwerte« und »Übermittler des Christentums« beschrieb,40 zielte Adenauer auf dessen Gefährdung durch den Kommunismus ab, verkörpert in der Sowjetunion, und die Notwendigkeit der militärischen Verteidigung.41 Die Gemeinsamkeit des Abendlands bestand also nicht nur in kulturellen Wurzeln, sondern ebenso in der gegenwärtigen Bedrohung. In zwei Schritten banden die Gastgeber ihre Gäste in das christliche Abendland ein, um ihnen im selben Zug die Gefährdung des Abendlands und damit ihrer eigenen Nation vor Augen zu führen. Der Kalte Krieg hinterließ seine Spuren. Gleichzeitig diente die Bedrohung als Argument für die westdeutsche Wiederbewaffnung. Das christliche Abendland machte nicht an den geographischen Grenzen Europas halt. Auch der äthiopische Kaiser Haile Selassie wurde inszenatorisch in den abendländischen Bannkreis einbezogen. Nicht nur, dass in Hamburg ei-
37 Vgl. Programm, PA, B8, Bd. 54. Vgl. zum Nexus zwischen Aachen, Karl dem Großen und Europa Gerstner. 38 Vgl. z.B. Überlieferung und Glaube, Rheinischer Merkur, 26.9.1952. 39 Vgl. Stenographische Abschrift der Trinksprüche beim Abendessen im Palais Schaumburg, 19.5.1953, PA, B11, Bd. 1297. 40 Telegramm Pappritz an die deutsche Botschaft, Athen, 26.6.1954, PA, B8, Bd. 51. 41 Vgl. Entwurf der Rede des Bundeskanzlers, PA, B8, Bd. 50. Auf der diskursiven Ebene außerhalb der Staatsbesuche finden sich Vorstellungen der Bedrohung des »christlichen Abendlands« schon zu Beginn der fünfziger Jahre, vgl. Schildt, Abendland, S. 36f.
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gens für ihn ein koptischer Gottesdienst abgehalten wurde:42 Haile Selassie besuchte laut Diplomatischem Kurier auf »persönliche[n] Wunsch«43 hin den Kölner Dom und St. Clemens in Schwarzrheindorf. Wie zuvor europäische Staaten über den christlichen Glauben in das Konstrukt christliches Abendland eingebunden worden waren, fungierte das Christentum nun als Nexus zwischen Europa und Äthiopien. Als »König der Könige, Löwe aus dem Stamme Juda, Verteidiger des christlichen Glaubens, Stärke der Heiligen Dreieinigkeit, Erwählter Gott« habe Haile Selassie den »Hauch einer weiten, fernen Welt und die Erinnerung an eine Tradition, die bis in biblische Tage geht«, nach Europa getragen.44 Haile Selassie erinnerte in dieser Auslegung das christliche Europa an das »Urchristentum« und damit an den Ursprung des eigenen Glaubens. Die Brücke von Europa nach Afrika war so geschlagen, denn Äthiopien schilderte man »als ganz und gar christlich bestimmtes Land«. Ausgehend von dieser Gemeinsamkeit blieb auch der gemeinsame Gegner nicht lange aus: »Wo Äthiopien heute mit seinem Herzen steht, das hat es klar und eindeutig während des Korea-Feldzuges gezeigt, in dem viele seiner Söhne gegen den Weltkommunismus kämpften.« Wie der sagenhafte Priesterkönig Johannes, den erstmals Otto von Freising im 12. Jahrhundert erwähnte und den die Europäer bis ins 17. Jahrhundert hinein mit dem äthiopischen Herrscher identifizierten, als »Verbündeter im Kampf gegen den Islam« gehandelt wurde,45 stilisierten die Westdeutschen nun Haile Selassie als Verbündeten im Kampf gegen den Kommunismus, der nicht nur Europa, sondern die ganze Welt bedrohe. Von dem Ausmaß einer weltweiten Bedrohung leiteten die westdeutschen Gastgeber in der Folge auch die Notwendigkeit einer weltweiten Verteidigung ab. Beim Besuch des italienischen Ministerpräsidenten Antonio Segni 1956 bezog sich Adenauer in einer Rede erneut auf das »gemeinsame Erbe der Vergangenheit« als Grundlage »einer wirklichen Gemeinschaft«, die wiederum ermögliche, die »Bedrohung unserer demokratischen Freiheiten und unserer christlichen Kultur zu überwinden«.46 Doch verteidige Europa, nach Adenauer, in einem bellum iustum nicht allein die »demokratischen Freiheiten«, sondern kämpfe in der NATO als Teil der »freien westlichen Welt«.47 Damit fand ein schleichender Prozess seinen vorläufigen Abschluss, der sich in den Jahren zuvor, deutlich jedoch mit dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik 1955 abgezeichnet hatte. Das christliche Abendland stand nicht mehr als Gegengewicht zwischen den beiden großen Machtblöcken – wenngleich 42 Vgl. Vermerk Senatskanzlei Hamburg, 26.10.1954, PA, B8, Bd. 43. 43 Diplomatischer Kurier 1954, S. 873. 44 Auch für die Folgezitate: W. Leifer, Der König der Könige, Diplomatischer Kurier 1954, S. 851f. 45 Knefelkamp, Sp. 530. 46 Antwortrede Bundeskanzler auf Rede Segnis, 8.2.1956, PA, B8, Bd. 158. 47 Ansprache des Bundeskanzlers, 6.2.1956, PA, B8, Bd. 157.
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der Osten stets stärker ins Visier genommen worden war – wie noch zu Beginn der fünfziger Jahre.48 Mit dem NATO-Beitritt war die Hinwendung zum Westen auch in militärischer Hinsicht vollzogen. Entsprechend hatten sich die Mittel, welche die Bundesrepublik in der Blockkonfrontation einsetzen konnte, erweitert. Eine Auseinandersetzung mit dem kommunistischen System beschränkte sich nicht mehr nur auf die Werteebene, sondern konnte im Zuge der Wiederbewaffnung und des NATO-Beitritts militärische Formen annehmen. Das »christliche Abendland« hatte als »Europa« Eingang in die »westliche Welt« gefunden. Damit ging ein Bedeutungsverlust einher, der sich auch in den Besuchsprogrammen niederschlug. So bereiste der italienische Ministerpräsident Segni 1956 weder Kirchen noch sonstige christliche Stätten oder mittelalterliche Orte.49 Die Visualisierungen Europas variierten fortan von Gast zu Gast. Gleichbleibende Bildlichkeiten entstanden nicht. Bei Charles de Gaulles Besuch 1962 erschien Europa als Fluchtpunkt der historisch konfliktreichen deutsch-französischen Beziehungen. Entsprechend mündete sein Besuch in die schon geschilderte Rede an die deutsche Jugend als europäische Jugend in Ludwigsburg. Einen ganz anderen Akzent setzte der Besuch des belgischen Königs Baudouin 1971. Indem er den deutsch-belgischen Naturschutzpark während eines Helikopterflugs in Augenschein nahm, verwies er auf ein sichtbares Ergebnis der deutsch-belgischen Kooperation im Kontext eines europäischen Zusammenwachsens: eine grüne »zivile Grenze«.50 b) Rheinische Folklore, Rheinromantik und »ewiges« Deutschland Nicht nur die Besucher, die wertvolle Kunstwerke mit Rheinmotiven als Staatsgeschenk erhielten, nahmen Bilder des Stroms im Gepäck mit in ihr Heimatland. Vor allem in den fünfziger Jahren konnten sich die Staatsgäste touristischem Prospektmaterial über den Rhein und das Rheinland kaum entziehen. Panoramakarten, Bücher, Merianhefte und sonstiges Informationsmaterial lagen sowohl in Hotelzimmern wie auch in den Waggons der Bundesbahn aus, mit denen die Gäste reisten. Auf die Delegation des österreichischen Außenministers Gruber warteten im Zug Prospekte über das Rheinland auf Deutsch, Französisch und Englisch. Auf ihren Zimmern fanden die Gäste neben Kölnisch Wasser, Kölner Seife, Obst und Süßigkeiten auch Literatur über deutsche Architektur, Theater und Musik, Bonn- und Köln-Führer sowie zwei Bücher
48 Vgl. Schildt, Abendland, S. 36. 49 Vgl. Programm, Stand: 28.1.1956, PA, B8, Bd. 156. 50 O. Fehrenbach, »Das war diesmal eine gute Sache«, Stuttgarter Zeitung, 29.4.1971. Vgl. zum Helikopterflug: Weigel an Grashoff, 24.3.1971, PA, B8, Bd. 1622.
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über den Rhein.51 Der Rhein bestätigte seine Anziehungskraft als Objekt des Massentourismus auch bei Staatsbesuchen.52 Viele Gäste bereisten den Rhein auf einem Schiff wie schon die ersten Touristen im 19. Jahrhundert und erlebten die Rheinlandschaft, die ihnen von Gemälden und Fotografien, aus Sagen und Liedern oftmals geläufig war, in eigener Anschauung. Wenn eine Rheinfahrt nicht möglich war, wussten die Protokollmitarbeiter den Fluss oftmals als Detail im Programm zu platzieren. So erlebte der äthiopische Kaiser Haile Selassie 1954 zwar den Rhein nicht vom Schiff aus, sollte aber während einer Wagenfahrt einen Blick darauf werfen können.53 Für Bhumibol und Sirikit von Thailand, die aus zeitlichen Gründen ebenfalls auf eine Rheinfahrt verzichten mussten, drosselte ein Zug, mit dem das Königspaar unterwegs war, seine Fahrtgeschwindigkeit, um dem Paar einen intensiven Genuss der Rheinlandschaft zu ermöglichen.54 Fast zwanzig Jahre später fand der amerikanische Präsident Jimmy Carter ebenfalls keine Zeit für eine Rheinfahrt. Doch ließ er sich vor dem Fluss fotografieren und stellte sich so in die Tradition der massentouristischen Nutzung des Rheins als Kulisse für Urlaubs- und Ausflugsfotos. Ein amerikanisches Vorauskommando für die Reise muss »Beeindruckendes«, v.a. »von dem malerischen Park« des Palais Schaumburg berichtet haben, weshalb Carter vorab habe mitteilen lassen, dass er dort mit dem Bundeskanzler fotografiert werden wolle. »Und es wäre wunderbar, wenn im Hintergrund dieses Fotos der Eintracht auch noch der Rhein zu erkennen sei.«55 Welches Kalkül hinter dieser Wahl stand, lässt sich nur vermuten: Aber kaum eine Kulisse eignete sich in ähnlicher Weise, um die neue Nähe zwischen Carter und Schmidt glaubhaft zu machen. Der Park konnte Assoziationen eines Locus amoenus wecken und das Presseberichten zufolge komplizierte Verhältnis der Politiker in ein harmonisches Licht tauchen. Zudem fügten sich die Politiker mit dem Park und der Rheinlandschaft in eine Kulisse ein, vor der gewöhnlich Familienbilder und Urlaubserinnerungen, also positiv besetzte Bilder der Nähe, entstanden. Zumindest dem zitierten Zeitungsbericht zufolge interpretierte Schmidt Carters Interesse am Rhein jedoch anders: als persönliches Gefallen. Entsprechend bat der Bundeskanzler, den Blick vom Konferenztisch auf den Park nicht mit Pressetribünen zuzubauen, damit der amerikanische Präsident die Landschaft genießen 51 Vgl. Landesverkehrsverband Rheinland an Protokoll, 12.5.1953; Aufzeichnung Galen, 15.5.1953, PA, B8, Bd. 64. Ähnliche Listen sind für andere Besuche dokumentiert, vgl. die Dokumente in PA, B11, Bd. 1 u. PA, B8, Bd. 52. 52 Vgl. zum Rheintourismus z.B. Ernst. 53 Vgl. Ablauf Besichtigung Kölner Dom, 10.11.1954, PA, B8, Bd. 42. 54 Vgl. von Braun an Bidder, 5.7.1960, PA, B8, Bd. 225. 55 J. Stoltenberg, Bitte schön, mit Rhein im Hintergrund …, Hamburger Abendblatt, 13.7.1978; ders., Bundeskanzler Schmidt: Den Blick in den Park baut mir keiner zu!, Berliner Morgenpost, 14.7.1978.
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könne.56 Während Carter an der Kulisse für seine Selbstdarstellung gelegen schien, hob Schmidt auf die Sichtbarmachung des Rheins für die Gäste ab. Das Bonner Protokoll musste beide Perspektiven bedenken und zum einen planen und arrangieren, wie die Gäste den Rhein wahrnehmen würden, zum anderen, wie die Gäste in der Rheinlandschaft von Beobachtern vor Ort und in den Medien wahrgenommen werden würden. Teil dieser Bebilderung war die Rheinfahrt. Sie barg in den Augen der Besuchsausrichter gar das Potential, Erfahrungen problembehafteter Facetten der Bundesrepublik auszugleichen. So resümierte ein Protokollmitarbeiter nach dem spannungsreichen Staatsbesuch des mexikanischen Präsidenten Lopez Mateos, eine Rheinfahrt hätte dieses Besuchsprogramm positiv ergänzen können.57 Er stellte nicht explizit die Verbindung zu Mateos’ konfliktträchtiger Berlinreise her, doch bietet sich dieser Nexus bei einer näheren Betrachtung des Programms an, das politisch in hohem Maße aufgeladen war und spannungsarme Programmpunkte vermissen ließ. Für den Staatsgast und seine Begleiter boten sich nicht immer dieselben Aussichten auf den Rhein. Fahrtrichtungen und Routenführungen, die sich zwischen Duisburg und Mainz erstreckten, variierten, wobei Rheinfahrten im Ruhrgebiet mit dem Ziel, »einen allgemeinen Eindruck vom Wiederaufbau und dem Potential der deutschen Wirtschaft zu vermitteln«,58 die Ausnahme blieben.59 Entscheidend für die unterschiedlichen Wahrnehmungen des Rheins war, wie die Schifffahrt inszeniert und wie die Rheinlandschaft präsentiert wurde. Die Protokollmitarbeiter wussten die Gestaltungsmöglichkeiten der Rheinfahrt zu schätzen: »Bei solchen Fahrten wird die dem Besuchszweck dienliche Herstellung persönlicher Kontakte wesentlich erleichtert und dem Gast ein in anderen Hauptstädten in ähnlicher Weise kaum zu vermittelndes Ereignis bereitet.«60 Bisweilen schuf eine Rheinfahrt unterschiedliche Atmosphären: Aufführungen und Tänze zeichneten ein heiteres, folkloristisches Bild des Rheinlands, das auf der Fahrt durch gesellige Veranstaltungen wie Cocktails und Tanztees bestärkt werden konnte; die Passage der Loreley wurde oftmals zur sentimentalen Reise ins romantische Deutschland. Auf besinnliche Momente folgten gesellige Phasen, die Gäste konnten die vorbeiziehende Landschaft bestaunen, fotografieren und sich damit wie Touristen verhalten, um wenig später wieder bei intimen Besprechungen als Staatsmänner aufzu56 Vgl. ebd. 57 Vgl. Aufzeichnung Hoelzer, 8.4.1963, PA, B8, Bd. 502. Vgl. Brücken über unselige Vergangenheit, SZ, 6.6.1973; Olav auf Rheinpartie, Bonner Rundschau, 6.6.1973. 58 AA an BM Verkehr, 27.9.1954, PA, B8, Bd. 76. 59 Vgl. zum Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Yoshida: Route für 14.10.1954, PA, B8, Bd. 76; zum Besuch Pibulsonggrams: Programm, Stand 11.5.1955, PA, B8, Bd. 46. 60 Konzept von Rhamm an Prot. BMVtg, 7.8.1969, abgeschickt 8.8.1969, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.632.
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treten. Der Gast bestimmte die möglichen Atmosphären durch seine Wünsche mit, das Protokoll arrangierte sie. Sylvanus Olympio unternahm beispielsweise eine Rheinfahrt gemeinsam mit Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier und circa 240 geladenen Gästen, darunter auch Journalisten.61 Nach einer kurzen Verköstigung an Bord agierte Sylvanus Olympio als Tourist. Er bestaunte die an seinen Augen langsam vorbeiziehenden Sehenswürdigkeiten, ließ sich von Bundesratsminister HansJoachim von Merkatz die römische Geschichte des Rheinlands erläutern, von Gerstenmaier etwas über dessen Studentenzeit auf Burg Stahleck berichten und fotografierte wie jeder private Rheinbesucher die Motive, die er als massentouristische Ikonen (wiederer)kannte.62 Die Loreleypassage tauchte das Protokoll durch das gleichnamige Lied als Hintergrundmusik in eine sentimentale Atmosphäre.63 Nachdem das Schiff die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, die der Gast nicht verpassen sollte, passiert hatte, folgte das Frühstück und ein »ungezwungener Teil«, bei dem getanzt werden konnte.64 In den fünfziger Jahren waren die Rheinfahrten zudem Demonstrationsveranstaltungen des neu gewonnenen Wohlstands. Kaum ein Ausflug mit dem Dampfer verzichtete auf ein »Gabel-Frühstück« oder ein umfangreiches Büffet. Schon vor Betreten des Schiffes erwarteten Weinverkostungen und Weinköniginnen die ausländischen Besucher. Oftmals verband das Protokoll eine Rheinfahrt zudem mit einer Weinprobe. Folkloristische Darbietungen an den Ufern des Rheins oder in nahegelegenen Ortschaften boten den Gästen zusätzliche Unterhaltung und stimmten sie auf die Fahrt ein, die sie an Burgen und Schlössern und damit an den touristischen Sehenswürdigkeiten entlang führen sollte. Die am Rhein gelegenen Kommunen geizten nicht im Aufwand, rechneten sie doch mit der Werbewirkung solcher Besuche. So soll der Oberbürgermeister von Koblenz vor dem Besuch der Queen 1965 gejubelt haben: »Für den Fremdenverkehr eine solche Reklame! Da kommt es nicht darauf an, ob wir 10 000 oder 20 000 Mark für die Dekoration ausgeben.«65 Staatsbesuchsmotive bzw. Fotomontagen zierten nach den kurzen Visiten Ansichtskarten und warben so für die Attraktivität der Orte. Burgen und Schlösser wurden ihrer imaginierten historischen Nutzung nach inszeniert. So begrüßten Fanfaren den norwegischen König 1973 bei seiner Ankunft auf der Marksburg, nachdem er zuvor bei seiner Abfahrt in Oberwesel Zeuge folkloristischer Darbietungen geworden war.66 Für Kaiser 61 Vgl. Ab- und Zusageliste Rheinfahrt sowie Notiz, o.D., PA, B8, Bd. 254. 62 Vgl. OB Bacharach an Göllner, 16.6.1961, PA, B8, Bd. 254; Sylvanus Olympio auf romantischer Rheinfahrt, SZ, 18.5.1961. 63 Vgl. Sylvanus Olympio auf romantischer Rheinfahrt, SZ, 18.5.1961. 64 Vgl. Aufzeichnung Michelsen, 21.4.1961, PA, B8, Bd. 254. 65 Zit. n. Nachts auf den Gleisen, Der Spiegel, 5.5.1965. 66 Vgl. Programm, 5.6.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.219.
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Hirohito, der ansonsten eine eher melancholische Rheinfahrt erlebte, führten zwanzig Mädchen »in bunten Volkstrachten zu rheinischen Weisen« Winzertänze auf bzw. tanzten einer anderen Version zufolge zu einem Kinderlied.67 Als Geschenk erhielt der Kaiser, der grundsätzlich keinen Alkohol trank, u.a. eine Pergamentrolle, welche die Weine des Rheingebiets verzeichnete, sowie hundert Flaschen Wein.68
Abb. 8: Eine Postkarte vom Besuch der Queen in Kaub 1965
67 Romantische Rheinfahrt erfüllte Wunsch des Tenno, General-Anzeiger, 13.10.1971; S. Martenson, Rhein, Wein, Beethoven und der Dom, Stuttgarter Zeitung, 14.10.1971. 68 Vgl. Romantische Rheinfahrt erfüllte Wunsch des Tenno, General-Anzeiger, 13.10.1971.
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Ab den siebziger Jahren verzichteten viele Staatsgäste zugunsten der Arbeitsgespräche auf eine Rheinreise. An Stelle der Staatsmänner befuhren bisweilen bzw. später die Gattinnen und Töchter den Rhein sowie Journalisten in Begleitbooten. So reiste Rosalynn Carter gemeinsam mit ihrer Tochter Amy von Bingen nach Linz, »einem kleinen Weinstädtchen mit bunten Fachwerkhäusern – so recht nach dem Geschmack amerikanischer Touristen«. Dort erwartete sie auch »rheinische Folklore« mit Weinkönigin und Trachtengruppen. Eine Musikkapelle in schwarz-rot-golden abgestimmter Kleidung machte den übergeordneten Kontext deutlich.69 Die Kölnische Rundschau konnte resümieren: »Nur heitere Bilder aus ›Old Germany‹«.70 Doch der Rhein visualisierte nicht nur pittoreske Heiterkeit und Folklore und schuf den Ausgleich für aufreibende Reisen in den Osten der Republik. Er konnte gemeinsam mit anderen kulturellen Reisezielen auch kompensatorische Funktion für die verlorene Bedeutung als europäische Großmacht haben, nachdem »der Glanz der Höfe, der Ruhm der Potsdamer Galerie und die Anziehung der Kaiserl. Marine verblasst sind«, so Hans Bidder, Botschafter der Bundesrepublik in Thailand. Bidder vermutete im Vorfeld der Deutschlandreise Bhumibols und Sirikits von Thailand, das Kaiserpaar habe viel vom »romantischen Deutschland« gehört und wolle deshalb bestimmt Schlösser sehen. Neben München und dem Schwarzwald sollte die Reiseroute daher auch den Rhein einschließen.71 Dahinter stand unter anderem der Gedanke, den asiatischen Gästen zumindest teils das Deutschland zu zeigen, das schon ihre Vorfahren besucht hatten, in diesem Fall Bhumibols Großvater Chulalongkorn.72 Gleichwohl kam eine Rheinfahrt aus zeitlichen Gründen nicht zustande. Den Bogen zum wilhelminischen Kaiserreich schlug dann der Besuch eines Pavillons in Bad Homburg, den Chulalongkorn seinerzeit gestiftet hatte und der eigens für den Besuch restauriert wurde. Worauf das thailändische Kaiserpaar verzichten musste, wurde anderen Gästen zuteil: eine romantische Perspektivierung der Rheinlandschaft. Das Höchstmaß an romantisierender Inszenierung des Rheins erlebte Kaiser Hirohito bei seinem Besuch 1971. Schon 1953 hatte der damalige deutsche Botschafter in Japan zusammengefasst, was Japaner seiner Überzeugung nach mit Deutschland verbanden: »Heidelberg, der Rhein, Technik und Wissenschaft«.73 Entsprechend konzentrierte sich bereits die Reise des Kronprinzen Akihito ganz auf die von Northe genannten Aspekte74 – mit einem kurzfristig einge69 A. Hauenschild, Camper und Ausflügler jubelten Rosalynn auf dem Rhein zu, Die Welt, 17.7.1978. 70 Kölnische Rundschau, 18.7.1978. 71 Bericht Bidder, Bangkok, 21.6.1960, PA, B8, Bd. 225. 72 Vgl. zu Chulalongkorns Europareise Petersson. 73 Northe an Pappritz, 16.4.1953, PA, B8, Bd. 163. 74 Vgl. Gültiges Programm, 31.7.-5.8.1953 u. Erster Programmentwurf, o.D., PA, B8, Bd. 163.
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planten Ausflug in die Vergnügungskultur der Gegenwart: Akihito besuchte ein Autorennen am Nürburgring.75 Northe gab auch atmosphärische Ratschläge: »Der Japaner hat es gern, wenn er auf Reisen zwischendurch ein paar Stunden des Ausruhens nach eigenem Geschmack, des Sich-Besinnen-Könnens und der beschaulichen Landschaftsbetrachtung« zur Verfügung habe.76 Diese atmosphärischen Wünsche realisierte das Protokoll beim Besuch Kaiser Hirohitos. Ähnlich seinem Sohn sah auch er nur die Umgebung von Bonn und Köln. Zudem entfielen offizielle Besichtigungen von Sozialeinrichtungen oder der Blick auf westdeutsches Alltagsleben nahezu ganz. Um »deutsches volksleben kennenzulernen«,77 erwog Protokollchef von Podewils einen Spaziergang durch die Einkaufszentren von Köln, Düsseldorf oder Bonn. Eine Ausnahme bildete ein Flug über das Olympiagelände in München. Ein Grund für den zurückgezogenen Charakter der Reise waren gewiss Sicherheitsfragen und sich abzeichnende Proteste, doch sollte Hirohito zudem im Rheinland genau das finden, was das westdeutsche Protokoll vorzuführen gedachte. Wegen der besonderen, gottgleichen Stellung des Kaisers in Japan78 und deutsch-japanischer Traditionen regte das japanische Protokoll an, »vornehmlich das ›ewige‹ deutschland dar[zu]stellen«.79 Nach Gesprächen mit dem japanischen Protokoll hatte der deutsche Botschafter ein klares Bild von dem, was das »›ewige‹ Deutschland« japanischem Verständnis nach sei: der Kölner Dom (»Kunst«), das Beethovenhaus (»Geist«), die Rheinfahrt (»Natur«) sowie die Oper als typisch deutsche Kunstform. Der Kölner Dom, das Bonner Beethovenhaus sowie ein Opernbesuch gehörten bereits zuvor zu integralen Bestandteilen der Mehrzahl der Staatsbesuche und wurden auf sehr unterschiedliche Weisen mit Bedeutung versehen. Im Falle des japanischen Staatsbesuchs kann das Besuchsprogramm als Eskapismus aus der Geschichte gelesen werden, dessen Höhepunkt die Rheinfahrt bildete. Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts war die Loreley Sinnbild japanischer Vorstellungen von Rheinromantik, und japanische Schulbücher druckten Heinrich Heines Gedicht ab; heute kommt der Ballade in Japan fast Volksliedstatus zu.80 Auch der deutschen Botschaft in Tokio war bekannt, dass jedes japanische Kind mit Deutschland die Loreley verband, weshalb die dortigen Mitarbeiter zu einer Besteigung des Felsens rieten.81 Als Reverenz an die japa75 Vgl. Erlass Pappritz an Botschaft Tokio, 25.8.1953, PA, B8, Bd. 163. 76 Northe an Pappritz, 16.4.1953, PA, B8, Bd. 163. 77 Drahtbericht Röhreke, Tokio, 27.2.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.198. 78 Die japanischen Herrscher gelten als direkte Nachfahren der Sonnengöttin Amaterasu. 79 Auch für das Folgende: Drahtbericht Röhreke, Tokio, 27.2.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.198. 80 Vgl. Czarnowski, S. 501f. Vgl. zum Loreleymythos und seiner Instrumentalisierung auch Cepl-Kaufmann/Johanning, S. 241–252. 81 Vgl. Drahtbericht Röhreke, Tokio, 27.2.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.198.
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nische Verbundenheit mit dem deutschen Felsen und nicht zuletzt wegen der publizistischen Wirksamkeit »sollte zudem bei der Vorbeifahrt eine japanische Flagge flattern«.82 Hirohito hatte den Bundespräsidenten darum gebeten, ihn auf der Rheinfahrt nicht zu begleiten. Heinemann ging darauf ein, womit auch eine Teilnahme des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz ausgeschlossen war.83 Der Kaiser betrat das Schiff somit ohne zeremonielles Pendant, lediglich vier Bild- und zwei Wortjournalisten befanden sich an Bord des Rheindampfers, den ein Journalistenschiff begleitete.84 Hirohito genoss »[w]ie vor ihm Millionen Touristen« den Augenblick, »als für ihn das Lesebuch- und Prospekt-Deutschland und die Wirklichkeit ineinander überzufließen schienen«.85 Die Bonner Protokollmitarbeiter variierten die Atmosphäre maßgeblich über die Akustik. Der Wechsel vom rheinischen Frohsinn, den ein Akkordeonspieler, ein Baßbariton der Mainzer Hofsänger und ein Kellermeister boten, zur Sentimentalität vollzog sich per Lautsprecher, aus dem das Loreley-Lied erklang. Beim Passieren der Loreley grüßten Rheinschiffer, Schiffsglocken schlugen, das Kaiserpaar zeigte sich ergriffen.86 Bereits 1961 hatte die Presse Rheinfahrten als Werbemaßnahmen begriffen. Neben Krupp und Mercedes gehöre der Rhein wegen seiner »Gemütswerte« »zu den repräsentativen deutschen Einrichtungen« und habe sich »zu einem Werbeartikel für Ausländer entwickelt«.87 Dieser Tradition verhaftet resümierte Werner Sonne 1971 für den Besuch des Tenno: »Deutschland zeigte ihm […] das, was im Ausland offenbar immer noch Zeugnis deutscher Kultur ist«.88 Doch 1971 blieb die Bildwahl des Protokolls nicht kritiklos. Sten Martenson erkannte in dem Gezeigten nur »Klischees für Staatsbesucher«. Es stelle sich aber die Frage, ob »ein Land nicht bemüht sein [sollte], sich als das zu präsentieren, was seiner heutigen Bedeutung entspricht«.89 Die westdeutsche Gegenwart hatte sich anderen Journalisten zufolge zumindest insofern in das Programm ein82 Vermerk von Podewils, 7.7.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.197. Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 277. Auf gleiche Weise ehrte man 1980 König Khalid von Saudi-Arabien, vgl. E. Duncker, Kein Besuch wie jeder andere, Hamburger Abendblatt, 20.6.1980. 83 Vgl. Vermerk Protokoll, 29.7.1971; Notiz Schwarzmann, 3.8.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.197; Vermerk Schwarzmann, 5.8.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.196. Helmut und Hannelore Kohl begrüßten den Kaiser lediglich am Steg in Bingen, vgl. Druckprogramm, PA, B8, Zwischenarchiv, Bd. 102.196. 84 Vgl. Vermerk von Vacano, 1.9.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.196. 85 S. Martenson, Rhein, Wein, Beethoven und der Dom, Stuttgarter Zeitung, 14.10.1971. 86 Vgl. Romantische Rheinfahrt erfüllte Wunsch des Tenno, General-Anzeiger, 13.10.1971. Eine vergleichbare akustische Gestaltung ist für Sylvanus Olympio 1961 und Rosalynn Carter 1978 dokumentiert, vgl. Sylvanus Olympio auf romantischer Rheinfahrt, SZ, 18.5.1961; A. Hauenschild, Camper und Ausflügler jubelten Rosalynn auf dem Rhein zu, Die Welt, 17.7.1978. 87 Sylvanus Olympio auf romantischer Rheinfahrt, SZ, 18.5.1961. 88 Kommentarübersicht, 14.10.1971, PA, B37, Bd. 614. 89 S. Martenson, Rhein, Wein, Beethoven und der Dom, Stuttgarter Zeitung, 14.10.1971.
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geschlichen, als der Genuss der »Prunkstrecke des deutschen Rheins« zwischen Bingen und Koblenz durch die Verschmutzung des Flusses getrübt gewesen sei.90 Zwar attestierten einige Journalisten der Deutschlandreise eine nur vordergründig unpolitische Ausrichtung, hinter der sich politische Interessen verbergen würden,91 doch erschlossen sich der Presse die vergangenheitspolitischen Implikationen der Reise nur in Ansätzen. Im Unterschied zur Zurückhaltung in Großbritannien und zu Protesten in den Niederlanden, fand Hirohito in dem, was er in der Bundesrepublik sah, »eine fast ›heile Welt‹ vor«:92 das »ewige« Deutschland, das japanischen Vorstellungen möglichst nahe kommen sollte. Wie schon angesprochen, blieb der Nationalsozialismus für Hirohito verborgen bzw. wurde der Tenno davon abgeschirmt. Hirohitos heile Welt konnten auch Demonstrationen nicht trüben, zumindest nicht unmittelbar. Denn während in Bonn Bundesbürger gegen den Besuch des Japaners und dessen Rolle im Zweiten Weltkrieg protestierten, befand sich Hirohito zeitgleich auf der Rheinfahrt, die sozusagen einen Puffer zur westdeutschen Gegenwart bildete.93 Staatsgäste konsumierten nicht nur die Bilder Deutschlands, die sich ihnen boten, sondern standen gemeinsam mit ihren Begleitern im Rampenlicht. Oftmals richteten hochrangige staatliche Repräsentanten die Rheinfahrten aus und nutzten sie für ihre eigenen Inszenierungen. Wie bereits am Beispiel Sylvanus Olympios gezeigt, konnten Staatsgäste durch die Wahl bestimmter Praktiken wie Fotografieren als Touristen auftreten, während ihre Gastgeber oftmals, bisweilen deutlich sichtbar für die anwesenden Kameras, in die Rolle des Cicerone schlüpften.94 Bei näherer Betrachtung eröffneten die Rheinfahrten die unterschiedlichsten Nutzungsmöglichkeiten und, damit verknüpft, diverse Varianten von Sichtbarkeit. Nachdem sich die Gäste bei Abfahrt des Schiffes hatten fotografieren lassen, zogen sie sich oftmals im kleinen Kreis mit dem Gastgeber oder ausgewählten anderen Personen zu Gesprächen zurück.95 Schon der deutsche Botschafter in Italien, von Brentano, hatte für den Besuch De Gasperis eine Rheinfahrt auch wegen der Intimität des Ortes angeregt, die zu Gesprächen einlud.96 Auch Charles de Gaulle schätzte 1962 eine »Dampferfahrt auf dem Rhein«: Er konnte mit Adenauer »unter vier Augen« sprechen, den Gesprächs90 P. Schille, Wenn der Kaiser kommt …, Die Zeit. Magazin, 8.10.1971. Vgl. S. Martenson, Rhein, Wein, Beethoven und der Dom, Stuttgarter Zeitung, 14.10.1971. 91 Vgl. z.B. den RIAS-Kommentar vom 13.10.1971, Kommentarübersicht, 14.10.1971, PA, B37, Bd. 614. 92 S. Martenson, Rhein, Wein, Beethoven und der Dom, Stuttgarter Zeitung, 14.10.1971. 93 Vgl. Erlass Berendonck an Botschaft Tokio, 15.10.1971, PA, B37, Bd. 614. 94 Vgl. z.B. für Adenauer als Cicerone: BA, B145, Bild-F001861-0008. 95 Hartmann thematisiert die Schifffahrt ausschließlich als »Geste«, »die Vertraulichkeit, Ungestörtheit, Exklusivität ankündigt«, Hartmann, Staatszeremoniell, S. 276. 96 Vgl. Bericht von Brentano, Rom, 16.7.1952, PA, B11, Bd. 1.
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kreis nach Belieben erweitern und »gleichzeitig einen Eindruck von der Wirtschaft des Ruhrgebiets« bekommen.97 Entsprechend arrangierte das Protokoll für diese Rheinfahrt eine aufgelockerte Sitzordnung, Möglichkeiten für intime Gespräche und Ruhekabinen.98 Das von den westdeutschen Gastgebern aufgebotene »Tagesfeuerwerk, Darbietungen von Ruderern, Zuwinken von Betriebsgruppen« richtete sich nicht primär an den Staatsgast, sondern an die ihn begleitenden Journalisten.99 Freilich lässt sich daraus nicht im Umkehrschluss ableiten, die Darbietungen auf dem Schiff und am Rande wären lediglich Schauspiel für die Journalisten. Sie prägten entscheidend die Atmosphäre der Schifffahrt und damit die Stimmung der Gäste. Das wussten einige Staatsgäste für ihre Ziele zu nutzen. Der luxemburgische Ministerpräsident Bech wählte 1957 die Rheinfahrt für ein Treffen mit NATO-Botschaftern.100 Es begleiteten ihn zudem u.a Adenauer, der Präsident des Parlaments der Montanunion Furler, Vertreter der Deutschbelgisch-luxemburgischen Handelskammer, Industrievertreter und Journalisten.101 An den Ufern des Rheins brachten Schulausflügler den Vorbeifahrenden Ovationen entgegen, während an Deck »bald alles Protokoll über Bord geworfen« war.102 Art und Atmosphäre der Veranstaltung verliehen dem Treffen einen aufgelockerten Charakter, der es von anderen Zusammenkünften deutlich abhob und von Bech offenbar intendiert war. Der Erfolg dieser Rheinreise lässt sich über den Begriff der Atmosphäre fassen. Atmosphäre, verstanden als eine Gestimmtheit des Raums und »Anregung eines gemeinsamen Zustandes von Subjekt und Objekt«, bildete eine entscheidende Wahrnehmungsgrundlage für die Gäste.103 Entsprechend wirkte sich die gezielte Gestaltung der Atmosphäre auf Handlungen der Gäste aus, wenn auch nicht auf vorhersagbare Weise. Den Zuschauern konnte gerade die Unsichtbarkeit der Gäste an Deck des Schiffes als Indiz dafür gelten, dass an Bord gearbeitet wurde. Gleichwohl blieb der Staatsbesuch als solcher stets durch die reine Präsenz des Schiffes auf dem Wasser wahrnehmbar. Eine Rheinfahrt verband eine stete Exponiertheit des Gastes, symbolisiert durch das Schiff, mit den Möglichkeiten des Rückzugs ins Schiffsinnere.104 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Rheinfahrt 97 Anhang von Braun zu Aktenvermerk, 24.7.1962, PA, B24, Bd. 360, Fiche 1, p. 27. 1974 meldete Tito Interesse an einer solchen Rheinfahrt an, vgl. Vermerk Jaenicke als Anlage zu Bericht, 5.3.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 98 Vgl. Aufzeichnung Neumann, 8.8.1962, PA, B8, Bd. 491. 99 Osterheld Vorlage BK, 22.8.62, BA, B136/2080, Fiche 4, p. 180. 100 Vgl. Vermerk Gellbach, 24.6.1957, PA, B8, Bd. 135. 101 Vgl. Gästeliste Rheinfahrt mit Frühstück, PA, B8, Bd. 135. 102 Staatsminister Bechs Besuch in Bonn, Luxemburger Wort, 5.7.1957, PA, B8, Bd. 135. Hier finden sich auch Ausführungen zu Becks Intention. 103 Böhme, Aisthetik, S. 56. 104 Allerdings wurde kein Staatsgast auf einer Rheinfahrt so exponiert wie Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch auf dem Weltjugendtag 2005 in Köln.
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der britischen Königin 1965. Ein britischer Journalist berichtete ausführlich von den Begebenheiten an den Ufern, von Serenaden und Kanonaden, von Tagfeuerwerken, von Kapellen, die »God save the Queen« spielten, von kleinen Jungen, die vor Neugierde ins Wasser fielen, von Menschen, die Luftballons und Betttücher schwenkten und von Booten oder aus vorbeifahrenden Zügen winkten. Er befand: »The Rhine may be king. But today it had a Queen.”105 Doch die Königin kam in seinen Ausführungen gar nicht vor; ihre Perspektive nahm der Journalist gleich selber ein. Das Schiff verlieh der Königin Sichtbarkeit und bedurfte dafür scheinbar nicht ihrer permanenten körperlichen Präsenz. Filmische Bilder, die starke bildliche Ähnlichkeiten zu der zeitgleich in den Köpfen von Kinobesuchern noch sehr präsenten Donaufahrt Sissis in dem gleichnamigen Film aufwiesen, zeigen zwar die Königin winkend an Deck des Schiffes und suggerieren so einen Dialog zwischen der Monarchin und ihrem Publikum, doch handelt es sich dabei wohl um Momentaufnahmen.106 Dass eine Rheinfahrt bei allen Rückzugsmöglichkeiten ein hohes Maß an Sichtbarkeit mit sich brachte, konnte im Laufe der siebziger Jahre zum Argument gegen sie werden. Mit dem Vermerk »Gibt Gelegenheit zu Demons trationen!« lehnte das Protokoll 1973 eine Rheinfahrt Breschnews ab.107 Zum Ausgleich schlug die Bundesrepublik »einen folkloristischen Eindruck in einem geeigneten Rahmen im Mosel- und Rheintal« vor, doch Botschafter Falin drängte erfolgreich auf mehr Zeit für Gespräche.108 Letztlich kam Breschnew dennoch in den Genuss des Rheins. Dem auf Sicherheit ausgerichteten Charakter des Besuchs entsprechend flog er in einem Hubschrauber den Rhein entlang und sah so laut Hans Ulrich Kempski wenigstens aus der Vogelperspektive einen »kleine[n] Ausschnitt deutscher Wirklichkeit«, der ihm in den Gesprächszimmern, in denen er sich primär auf hielt, verborgen geblieben war. Aus der Luft bot sich das Bild eines wohlgeordneten und wirtschaftlich prosperierenden Landes, wie es eine andere Besichtigungspraxis, z.B. eine Fahrt, kaum ermöglicht hätte. Die Chemieanlage schien »aufgeräumt« und »blitzblank«, Ölraffinerie und Autowerk wirkten wie »Modellanlagen«. Auch die Privathäuser dokumentierten Ordnung und Wohlstand. Breschnew habe ob dieses Anblicks »einen Seufzer des Behagens« hören lassen.109 Die Zahl der Rheinfahrten bei Staatsbesuchen reduzierte sich deutlich im Laufe der siebziger Jahre. Diese Entwicklung steht sicherlich im Kontext der allgemeinen Tendenz dieser Jahre, Staatsbesuchen, vor allem jenen aus Ost105 V. Mulchrone, Cheers! To the river Queen, Daily Mail, 21.5.1965. 106 Vgl. den Film »Eine Königin in Deutschland«, Deutsche Wochenschau 1965. 107 Aufzeichnung Dröge, 25.4.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. Vgl. zum Sicherheitsrisiko: M. Hillebrecht, Keine Rheinfahrt mit Breschnjew und auch keine Empfänge in Gala, Welt am Sonntag, 13.5.1973. 108 Vermerk Schoeller, 2.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. 109 H.U. Kempski, »Ich habe mich unglaublich wohlgefühlt«, SZ, 23.5.1973.
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blockstaaten, einen Arbeitscharakter zu verleihen. Der Rückzug der Gäste vom Rhein steht jedoch ebenso im Kontext des noch zu thematisierenden Rückzugs der Staatsgäste von der unsicheren Öffentlichkeit der Straße. Denn trotz aller Arbeitssitzungen blieben Besuche in den bayerischen Alpen weiterhin möglich, ja waren sogar gesuchte Rückzugsmöglichkeiten. In den siebziger Jahren gelangte die Rheinfahrt ins Damenprogramm und blieb auch in den achtziger Jahren für Staatsgäste ein rares Vergnügen.110
2. Süddeutschland a) Rothenburg ob der Tauber und Heidelberg – »Historical Geography« und Romantik Ein romantisch-folkloristischer Blick auf die junge Bundesrepublik erwartete die Staatsgäste auch im Südwesten der Republik. Neben der dort angesiedelten Industrie verliehen vor allem historische Bauten und eine folkloristische Präsentation deutscher Vergangenheit und Traditionen der Region Attraktivität. Wie die weitaus häufigeren Rhein- und Alpenfahrten zeichneten sich auch die dortigen Aufenthalte vordergründig durch ihre unpolitische Ausrichtung und ihren touristischen Charakter aus. In den Augen des Protokolls konnte der Südwesten des Landes jene Gäste zufrieden stellen, die sich weder für industrielle Anlagen noch für landschaftliche Schönheiten interessierten. So verkürzten die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts das Programm in München und in den Alpen für den australischen Ministerpräsidenten Robert Gordon Menzies 1956, nachdem sie erfahren hatten, dass der Staatsmann keinen Wert auf »too much scenery« legte, sondern »historical geography« vorzog. So erst gelangte Rothenburg ob der Tauber auf die Besichtigungsagenda des Australiers.111 Die bayerische Stadt war nach Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebaut worden und bot ihren Besuchern ein mittelalterliches Stadtbild mit Stadtmauer, Wehrgang, Türmen und Toren sowie Wohnhäuser in gotischer und Renaissance-Bauweise. Menzies erkundete Rothenburg in einem Spaziergang zum Rathaus, wo ihn Wein im Meistertrunkhumpen erwartete.112 In Rothenburg waren weder Spuren des Krieges noch Spuren der jüngeren deutschen Vergangenheit sichtbar. Vielmehr erschien die wiederaufgebaute Stadt ein ideales Surrogat jener Vergangenheitsschichten, derer sich die Westdeutschen in der
110 Folgende Staatsgäste befuhren den Rhein: König Khalid von Saudi-Arabien 1980, der Generalgouverneur von Kanada, Edward Richard Schreyer 1983, die isländische Präsidentin Vigdís Finnbogadóttir 1988 und der indische Präsident Venkataraman 1989. 111 Aufzeichnung Mohr, 6.6.1956; Aufzeichnung Mohr, 16.6.1956, PA, B8, Bd. 39. 112 Vgl. Programm Rothenburg, PA, B8, Bd. 39.
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Nachkriegszeit erinnern wollten.113 Im Erscheinungsbild griff Rothenburg auf das zeitlich weit zurückliegende, politisch unbelastete Mittelalter zurück. Die Stadt präsentierte darüber hinausreichend ein umfangreiches Potpourri deutscher Vergangenheit, in dem sich ein mittelalterliches Stadtbild mit Feiern zum Gedenken an Ereignisse aus dem 30-jährigen Krieg verband. Dieses wiederum ging auf das späte 19. Jahrhundert zurück und konservierte Spuren des Historismus. Ein Besuch in Rothenburg ergänzte das Bild des romantischen Deutschland, das viele Staatsgäste zuvor am Rhein erfahren hatten, um weitere Facetten. Vor allem an Pfingsten nahm ein solcher Besuch Erlebnischarakter an, wenn die Stadt in Aufführungen des Festspiels »Der Meistertrunk« an die Rettung vor schwedischer Belagerung 1631 erinnerte. Zusätzlich reicherten die Rothenburger die Festtage mit folkloristischen Darbietungen an. Sylvanus Olympio kam 1961 in den Genuss dieser Feiern und konnte damit an einer Reise in die Vergangenheit teilhaben, die zeitgenössisch teils als Flucht aus der komplexen Gegenwart gelesen wurde.114 Im Unterschied zu den folkloristischen Vorführungen entlang des Rheinufers erschöpften sich diese Feierlichkeiten nicht in vereinzelten Spektakeln. Vielmehr tauchten sie die gesamte Stadt für einige Tage in die Atmosphäre eines Schauspiels, das alle Sinne ansprach. Pferdegetrappel veränderte die Akustik des städtischen Raums, Rothenburgs Bürgerwehr zog singend durch die Straßen, auf dem Marktplatz standen Ratsherren in Halskrausen und hohen spitzen Hüten, Marketenderinnen fehlten ebenso wenig wie Trommelschläge und Hörnerklang.115 Auch das iranische Kaiserpaar unternahm auf expliziten Wunsch Farah Dibas 1967 einen kurzen Ausflug in die bayerische Stadt und die architektonische Gegenwart des Mittelalters.116 Fotografen des Bundespresseamtes inszenierten Farah Diba als Touristin im Souvenirladen bei der Auswahl von Ansichtskarten.117 Doch wie die gesamte Reise erschien auch der Ausflug nach Rothenburg in der Retrospektive als Flucht vor der unangenehmen Kritik, mit der Demonstranten das Kaiserpaar empfingen, in eine folkloristisch überzeichnete und pittoresk imaginierte Vergangenheit. Das hohe Ausmaß an Sicherheitsvorkehrungen unterstrich den künstlichen Charakter dieser Kleinstadtidylle; eine Reise in die ruhige Vergangenheit kontrastierte rückblickend mit den blutigen Geschehnissen der Gegenwart auf dem heißen Pflaster Berlins.118 Doch schon bevor am 113 Das ambivalente Verhältnis der Westdeutschen zu historischer Architektur in der Nachkriegszeit skizziert Koshar, Germany’s transient Pasts, S. 273–287. 114 Vgl. Olympio begegnet dem Mittelalter, Münchner Merkur, 24.5.1961. 115 Vgl. ebd; vgl. auch Togos Präsident fühlt sich wie zu Hause, Augsburger Allgemeine, 23.5.1961. 116 Vgl. Drahtbericht Bach, Teheran, 1.4.1967, PA, B8, Bd. 1048. 117 Vgl. BA, B145, Bild-F024901-0008 u. Bild-F024901-0011. 118 Der Kontrast wird besonders deutlich in der Fernsehdokumentation »Der Polizeistaatsbesuch« von Roman Brodmann, SDR 1967, Erstausstrahlung in der ARD, 26.7.1967, 20.15-21.00
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2. Juni 1967 Schüsse vor der Deutschen Oper in Berlin das Bild des friedlichen Staatsbesuchs zunichte machten, hatten Demonstrationen in Rothenburg das Bild der freundlichen Provinz getrübt und den Blick der westdeutschen Beobachter für den Inszenierungscharakter des Besuchs geschärft.119 Noch stärker als Rothenburg evozierte Heidelberg das Bild einer sentimentalen Reise in die Vergangenheit. Seit dem 19. Jahrhundert vereinte die Stadt eine Vielzahl unterschiedlicher Zuschreibungen und Bilder auf sich. Goethe und Hölderlin erkannten im Zusammenklang von Stadt und Natur »die ideale landschaftliche Idylle«; die deutschen Romantiker schätzten das »Altertümliche« und »Sonderbare« der Stadt. Gleichzeitig verkörperte Heidelberg prototypisch das deutsche Universitätswesen inklusive dem in Burschenschaften organisierten Studentenleben, versinnbildlichte aber auch das Wissen um dessen Unwiederbringlichkeit. Populäre Versionen dieser romantisch-wehmütigen Deutung Heidelbergs fanden in Literatur, Operette und Film in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts internationale Verbreitung.120 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Klischee durch Filme wie die »Heidelberger Romanze« von 1951 oder durch die Neuvertonung des Zwanziger-Jahre-Schlagers »Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren« von 1960 wiederbelebt.121 Auch Staatsgäste reisten mit Bildern vom romantischen Heidelberg in den Köpfen in das junge Westdeutschland. Seit den frühen fünfziger Jahren machten sie dort Station und ließen sich von der romantischen Kulisse beeindrucken, der teils mit technischen Mitteln wie z.B. der nächtlichen Schlossbeleuchtung nachgeholfen wurde.122 Eine Stadtrundfahrt über eine Neckarbrücke, das Nordufer und die Altstadt endete am Schloss und ermöglichte ihnen, ihr Bild von Heidelberg zu bestätigen und zu ergänzen.123 Die Attraktivität der Stadt lag für ausländische Gäste neben dem Anblick, der sich ihnen bot, vor allem in der universitären Tradition.124 Einige Gäste hofften, sich durch Auszeichnungen wie Ehrendoktorwürden in die Traditionslinie der Universität einzureihen und so von dem damit verbundenen Prestige zehren zu können. Doch geizten die westdeutschen Universitäten generell mit Ehrendoktortiteln für Staatsgäste. Sie verliehen diese Auszeichnungen nur für »unumstrittene wissenschaftliche Leistungen«.125 Während einige Uhr, vgl. Hör zu 30 (1967), 22.-28.7.1967. Vgl. zu dem Film die Rezension: Persische Perversionen, FR, 28.7.1967. 119 Vgl. Immer stärkere Kritik am Schah-Rummel, Stuttgarter Nachrichten, 1.6.1967. 120 Vgl. z.B. Wilhelm Meyer-Försters Erzählung »Alt-Heidelberg«, auf der die Operette »The Student Prince« basierte. Sie wiederum war Vorlage für den Lubitsch-Film »Old Heidelberg«. 121 Vgl. Lüdtke, Heidelberg, S. 197f.; vgl. auch Fink, Heidelberg. 122 Vgl. zur Schlossbeleuchtung etwa die Dokumente in PA, B8, Bde. 152, 163 u. 915. 123 Vgl. z.B. den Besuch des australischen Ministerpräsidenten Menzies, vgl. Programm Heidelberg, PA, B8, Bd. 39. 124 Vgl. z.B. Meyer an Mohr, 12.3.1956, PA, B8, Bd. 142. 125 Aufzeichnung von Rom, 1.8.1957, PA, Nachlass Pappritz, Bd. 7.
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Universitäten bisweilen eine Ausnahme von der Regel machten, verlieh Heidelberg keinen Ehrendoktortitel im Rahmen eines Staatsbesuchs und mehrte damit zugleich das Begehren nach dieser Auszeichnung, zumal Heidelberg »in der Vorstellung des Auslandes« als »repräsentativste deutsche Universitätsstadt« galt.126 Trotz starker Bemühungen gingen der indische Ministerpräsident Nehru, der indonesische Staatspräsident Sukarno und der österreichische Präsident Schärf hinsichtlich eines Ehrendoktortitels in Heidelberg leer aus.127 Sukarno hielt aber 1956 in Heidelberg eine medial viel beachtete Rede und verknüpfte so seinen Namen mit der traditionsreichen Universitätsstadt.128 Zuvor hatte er in einem feierlichen Akt eine Kopie des mittelalterlichen Universitätssiegels erhalten; im Anschluss erlebte er auf dem Neckarschiff »Heimat« ein opulentes Feuerwerk.129 Acht Jahre später wurde dem österreichischen Präsidenten im Rahmen einer akademischen Feier ebenfalls eine Siegelkopie als kompensatorische Ehrung überreicht.130 Heidelbergs Mischung aus Romantik, Folklore und Geschichte machte sich 1979 das schwedische Königspaar für eigene inszenatorische Interessen zunutze. Carl Gustaf und Silvia von Schweden gestalteten ihren Staatsbesuch in der Bundesrepublik als Reise auf den Spuren ihrer Liebesgeschichte. Während München auf der Reiseroute als Ort der ersten Begegnung bei den Olympischen Spielen 1972 firmierte,131 gewann Heidelberg in der Performanz des Besuchs als Heimatstadt der Königin an Bedeutung. Silvia wurde in Heidelberg geboren, wuchs aber in Sao Paulo auf und verbrachte als Jugendliche lediglich neun Monate in einem Heidelberger Internat. Daher betrachtete die westdeutsche Presse die Königin »im Vorstadium der Heidelberg-Legende« zeitweilig als Deutsch-Brasilianerin. Erst während des Staatsbesuchs wurde die Königin als Deutsche und Heidelbergerin erfunden. Ein Journalist der Süddeutschen Zeitung konstatierte, Heidelberg beginne »sich seit ihrer Thronbesteigung erst so richtig als deutsche Heimat zu eignen«.132 Die Heidelberger unterstützten diese gewollte Verankerung der Königin in ihrer neu entdeckten westdeutschen Heimat. Bäckereien kredenzten »SilviaTorten«, und die örtliche Presse recherchierte die Geburtsanzeige der Monarchin, die eine märchenhafte Karriere von der bürgerlichen Dolmetscherin 126 Meyer an Mohr, 12.3.1956, PA, B8, Bd. 142. 127 Vgl. zu den Bemühungen: Drahtbericht Meyer, Delhi, 22.3.1956; Mitteilung von Welck an Protokoll, 16.5.1956, PA, B8, Bd. 142; Klaiber an Müller, 9.6.1956, BA, B122/503, Fiche 4. 128 Vgl. zur Entstehung der Rede: G. Wirsing, Im Sonderzug des Präsidenten Sukarno, Die Welt, 25.6.1956. 129 Vgl. Endgültiger Zeitplan für Stuttgart und Heidelberg, PA, B8, Bd. 154; Staatsbesuch in Stuttgart und Heidelberg, Stuttgarter Zeitung, 23.6.1956. 130 Vgl. Zeitplan Heidelberg, PA, B8, Bd. 514. 131 Vgl. »Silvie«-Rufe am Ort ihrer ersten Romanze, Frankfurter Neue Presse, 24.3.1979. 132 T. Wurm, Die Legende beginnt mit einer Anzeige, SZ, 23.3.1979.
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zur Königin vollzogen hatte. Es hätte sich wohl kaum ein geeigneterer Schauplatz für die Geburt und Jugend Silvia Sommerlaths erfinden lassen als Heidelberg, jenem symbolisch überfrachteten Ort, der als Hintergrundbild des zweiten Bandes von »Des Knaben Wunderhorn« zum romantischen Emblem und Einfallstor in eine Märchenwelt geworden war.133 Folkloristisch geprägte Elemente wie eine Begrüßung mit Fanfaren, ein Spalier von Trachtengruppen, Trompetengeschmetter aus Wagners »Tannhäuser« unterstrichen in diesem Fall die märchenhaften Züge des Geschehens. Das Königspaar erlebte einen »Empfang, dessen Kulisse jedem Hollywood-Schinken gut angestanden hätte«.134 Das Heidelberger Schloss erwachte gleichsam aus seinem Dornröschenschlaf, wurde neu ausgestattet und vollzog so selbst eine märchenhafte Verwandlung. Heidelberg fungierte bei diesem Staatsbesuch als märchenhafte Kulisse zur Illustration einer märchenhaften Geschichte. b) Bayern – Kultur und Folklore zwischen Erholung und Rückzug Während in den fünfziger Jahren nur drei Staatsgäste Bayern besuchten, avancierte der Freistaat in den sechziger Jahren zum Standard der Reiseprogramme. Rückläufige Besuchszahlen in den siebziger Jahren erklären sich daraus, dass sich bei Staatsbesuchen insgesamt das Gewicht der Besuche von der Besichtigung des Landes hin zu politischen Gesprächen verschob. Ab Ende der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren gingen die Besuche auf dem Land im Vergleich zum Aufenthalt in der Landeshauptstadt zurück. Die Gäste verließen München nun primär, wenn sie Industrieanlagen oder technologische Zentren wie das DLR in Oberpfaffenhofen besichtigen wollten. Obwohl sich auch der Schwarzwald als geeignetes Anschauungsobjekt erwies,135 behielt neben dem Rhein Bayern langfristig das Darstellungsmonopol auf Landschaft und Folklore. Ein Aufenthalt in Bayern begann zumeist in der Landeshauptstadt München. Die Darstellung Münchens lehnte sich nicht primär an die wieder entdeckte volkskulturelle Tradition an, sondern vielmehr an eine Erfindung des ausgehenden 18. Jahrhunderts: die Konstruktion Münchens als »Kunsthauptstadt«.136 Schon in den fünfziger Jahren etablierte sich so eine Zweiteilung des Besuchsprogramms in Bayern zwischen Stadt und Land. 1954 suchte der griechische Ministerpräsident Papagos neben der Gruft des ersten Königs von Griechenland Otto I. in der Theatinerkirche mit dem Haus der Kunst, der Antikensammlung, dem Schloss Nymphenburg inklusive der Porzellanmanu133 Vgl. Lüdtke, Heidelberg, S. 194. 134 Silvia-Torten im Sonderangebot, RP, 23.3.1979. 135 Vgl. die Dokumente in PA, B8, Bd. 268 u. 295 sowie PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. 136 Vgl. Bauer u. Baumstark.
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faktur, der nahe gelegenen Amalienburg und dem Prinzregententheater Orte auf, die fortan zu Besichtigungsstandards wurden.137 Die Stadt, in der Hitler Kunstwerke hatte ausstellen lassen, die nach nationalsozialistischer Auffassung als entartet galten, etablierte sich wieder als Ort der Kunst. Münchner Museen, vor allem die Alte Pinakothek und das Deutsche Museum, firmierten »als Bewahrer nationaler Kunst und Tradition«.138 Ein halbstündiges Verweilen vor den Gemälden der Alten Pinakothek kam für Charles de Gaulle einer symbolischen »Verbeugung vor dem künstlerischen Deutschland« gleich.139 Diesen (hoch)kulturellen Akzent des Aufenthalts in München verstärkte der nahezu obligatorische Opernbesuch. Denn wenn die Pflege der Oper als sehr deutsch galt,140 so war wiederum München Inbegriff westdeutscher Opernkultur – ausgenommen waren Liebhaber Richard Wagners wie Bhumibol und Sirikit von Thailand, für die Bayreuth den Höhepunkt deutscher Opernkultur darstellte.141 Je nach Neigung besuchten die Gäste eine Operette, eine Oper, ein Ballett oder ein Konzert in einem der vielen Opern- und Konzerthäuser der bayerischen Landeshauptstadt. Anders als im umstrittenen Bau der Deutschen Oper in Berlin käme in München wahre »Opernatmosphäre« auf, so der westdeutsche Botschafter in Abidjan 1966.142 Im Vorfeld des Suharto-Besuchs überwog für den deutschen Botschafter, Baßler, gar der Vorteil eines Opernbesuchs in München den Nachteil möglicher studentischer Proteste.143 Doch München konnte nicht nur mit Kunst und Kultur glänzen. Zusätzlich verfügte der Freistaat über repräsentative Bauten, mit denen sich andere Bundesländer und der Regierungssitz nicht messen konnten. Als Prunkstück galt den Bayern das Antiquarium in der Residenz, der größte profane Renaissancesaal nördlich der Alpen. Nach der Beseitigung von Kriegsschäden richtete die bayerische Landesregierung dort ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre Abendveranstaltungen für hochrangige Gäste aus.144 Ob Besichtigungen im Schloss Nymphenburg, ein Tee in der Amalienburg, Treffen in der Residenz oder der Staatskanzlei – mit den architektonischen Zeugnissen seiner Vergangenheit als Königreich konnte Bayern gerade für Monarchen mit dem erwünschten und vom Protokoll für nötig erachteten Prunk aufwarten.145 Ende 137 Vgl. Druckprogramm, PA, B8, Bd. 49. 138 Schraepler an Prot. 1, 9.3.1965, PA, B8, Bd. 1044. 139 Anhang zu Aktenvermerk von Braun, 24.7.1962, PA, B24, Bd. 360, Fiche 1, p. 28. 140 Vgl. Vermerk von Podewils, 7.7.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.197. 141 Vgl. Programm, Stand: 13.7.1960, PA, B8, Bd. 225. 142 Bericht Junges, Abidjan, 4.10.1966, PA, B8, Bd. 1045. 143 Vgl. Bericht Baßler, Djakarta, 11.3.1969, PA, B8, Bd. 1590. 144 Vgl. z.B. die Fotografien zum Staatsbesuch des Schahs von Iran 1967, BA, B145, BildF024907 u. Bild-F024945. 145 Vgl. z.B. Vermerk Noebel, 5.6.1964, PA, B8, Bd. 915; Vermerk Schwarzmann, 27.11.1970, PA, B8, Bd. 1622.
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der sechziger Jahre gelangten weitere repräsentative Bauwerke als Attraktionen für Staatsgäste auf die Agenda, welche die Weltoffenheit Bayerns wie der Bundesrepublik signalisieren sollten: die Anlagen für die Olympischen Spiele. Vor und nach den Olympischen Sommerspielen 1972 bestaunten ausländische Gäste die Bauten, auch nachdem die als »Friedensspiele« angekündigten Wettkämpfe von einem Terroranschlag auf die israelische Equipe überschattet worden waren.146 Der Präsident von Birma, Ne Win, nahm 1968 einen Tee im zeitgenössisch hochmodischen Dreh-Restaurant des Olympiaturms ein.147 Auch anderen Gästen erschloss sich das Gelände aus der Vogelperspektive: Rundflüge bzw. eigens geflogene Schleifen brachten besonders die imposanten Ausmaße und die harmonische Zusammenstellung der Anlagen zur Geltung.148 Bei Bedarf und Gelegenheit zeigte sich München auch von der landwirtschaftlichen Seite. So besuchte der türkische Ministerpräsident Menderes 1954 eine Landwirtschaftsschau auf der Theresienwiese.149 Gleichwohl lag der darstellerische Schwerpunkt Bayerns als Agrarland auf der Provinz mit der Bayerischen Landesanstalt für Tierzucht in Grub als bedeutendstem Vorzeigeobjekt.150 Wie die Landwirtschaft manifestierte sich auch die bayerische Folklore vornehmlich in ländlichen Gebieten. Ihre folkloristische Seite offenbarten die Münchner beim Staatsbesuch de Gaulles 1962 vor der Feldherrnhalle. »[K]rachlederne Folklore mit Dirndl, Gamsbart und Jagdgewehr« und »Traditionswimpel der Trachtengruppen« prägten das Erscheinungsbild.151 Der Journalist Hermann Schreiber deutete diese Selbstdarstellung des Straßenpublikums als heterogen und nicht politisiert im Vergleich zu den homogenen Massenaufmärschen während des Nationalsozialismus. In dieser Perspektive diente Folklore als optisches Argument dafür, dass die neue westdeutsche Bevölkerung sich nicht beliebig politisch nutzen ließ, wenngleich der Jubel für de Gaulle diese Optik konterkariert haben mochte. Ein ähnlich folkloristisches Straßenbild bereiteten die Bayern der britischen Königin 1965 in München, als »1300 Trachtler aus dem Oberland, Schwaben und Franken« und 200 Landesschützen sie vor der Staatskanzlei lautstark mit »Juchzern« empfingen.152 146 Vgl. zur Architektur Balbier, S. 114. 147 Vgl. Programm, 19.10.1968, o.D., PA, B8, Bd. 1603. 148 Vgl. z.B. Vermerk Grashoff, 9.2.1971, PA, B8, Bd. 1622; P. Schille, Wenn der Kaiser kommt …, Die Zeit. Magazin, 8.10.1971; Im Tiefflug übers Olympia-Gelände, Express, 12.10.1971; M. Rehm, Ein Bummel durch die Fußgängerzone, SZ, 7.6.1973; Pressemitteilung BPA, Programmzusammenfassung, 14.6.1974, BPA-DOK 5674. 149 Vgl. Druckprogramm, PA, B8, Bd. 147. 150 Die Programme von Keita 1962, PA, B8, Bd. 276, Makarios 1962, PA, B8, Bd. 296, König Zahir von Afghanistan 1963, PA, B8, Bd. 495, König Mahendra von Nepal 1964, PA, B8, Bd. 516, Osman 1964, PA, B8, Bd. 1631 u. Kaunda 1970, PA, B8, Bd. 1241, sahen einen Besuch in Grub vor. 151 H. Schreiber, »Vive de Gaulle!«, 10.9.1962. 152 H. Weber, Der Staatsbesuch wird zum Volksfest, FAZ, 22.5.1965; H. Schweden, Jodeln war verboten, RP, 22.5.1965.
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Reisten die Gäste nicht aufs Land, konnte der »Heimatabend« zu den Gästen kommen; für Ne Win 1968 als folkloristische Gesangsveranstaltung im Anschluss an ein Abendessen im Hotel »Vierjahreszeiten«.153 Der mexikanische Staatspräsident Luis Echeverría Álvarez fragte 1974 eigens nach einem »Abendessen im Hof bräuhaus oder anderem folkloristischem Rahmen« und erlebte einen bayerischen Abend in einem Münchner Gasthaus.154 Bis auf die genannten Ausnahmen konzentrierte sich die Darstellung des folkloristischen Bayerns ganz auf die ländlichen Regionen, dabei primär auf das oberbayerische Alpenvorland. Das Hauptinteresse der Gäste, besonders in den sechziger Jahren, lag auf Garmisch-Partenkirchen inklusive der Zugspitze einerseits und dem Chiemsee andererseits. Oftmals kombinierte das Programm den Besuch beider Regionen. Der Tegernsee und der Starnberger See stellten ebenfalls beliebte Reiseziele dar, in den siebziger Jahren gewannen zudem das Kloster Andechs und das Berchtesgadener Land zeitweilig an Bedeutung. Nur vereinzelt fuhren Gäste in andere bayerische Regionen. In Oberbayern besuchten die Gäste neben der schon erwähnten Tierzuchtanstalt zumeist touristische Ziele wie Schloss Herrenchiemsee auf der Herreninsel, das auch ein reizvolles Ambiente für eine abendliche Schlossbeleuchtung und Kammermusik abgab, oder die Zugspitze. Die Reise nach Herrenchiemsee nahm durch die Schiffspassage Erlebnischarakter an – nichts deutet darauf hin, dass der Ort als Schauplatz des Verfassungskonvents von 1948 präsentiert wurde. Mit der Zahnradbahn gelangten die Gäste auf die Zugspitze. Dort rundete eine Einkehr im Schneefernerhaus den Ausflug in die bayerische Bergwelt ab. Gerade für Gäste aus warmen Klimazonen konnte der bisweilen erstmalige Kontakt mit Schnee der Fahrt auf die Zugspitze besonderen Reiz und Unvergesslichkeit verleihen. Gäste aus Mali krönten ihren Besuch dort mit einer Schneeballschlacht.155 Das Erscheinungsbild von Staatsgästen anderer Kontinente, das schon in dem an Staatsbesuche gewöhnten Bonn Aufsehen erregen konnte, zog die Blicke der bayerischen Landbevölkerung auf sich. Die Süddeutsche Zeitung berichtete, die malischen Gäste »in ihren bunten, fast biblischen Gewändern« seien »die Garmischer Sensation der trüben, farblosen Pfingstfeiertage« gewesen.156 In solchen Fällen nahmen sich Gäste und Gastgeber wechselseitig als exotisch wahr. Denn wie afrikanische und asiatische Gewänder der bayerischen Landbevölkerung unbekannt und reizvoll erscheinen mochten, so zeigten sich die 153 Vgl. Vermerk Schwarzmann, 25.9.1968, PA, B8, Bd. 1603. 154 Schoeller an Staatskanzlei München, 24.1.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.203; vgl. Entwurf Drahterlass Schwarzmann an Botschaft Mexiko, 4.2.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.203. 155 Vgl. Typoskript BPA-Film zum Staatsbesuch, 19.6.1962, B145/1480; Modibo Keita baut einen Schneemann, SZ, 12.6.1962. Fotografen der Bundesbildstellen haben dies dokumentiert, vgl. BA, B145, Bild-F013176-0012. 156 Modibo Keita baut einen Schneemann, SZ, 12.6.1962.
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Gäste oftmals von den Eigentümlichkeiten bayerischer Folklore fasziniert. In bayerische Kostüme und Verhaltensweisen hineinzuschlüpfen, konnte ihrer Reise eine spielerische Note verleihen. Während ihrer Aufenthalte im Freistaat tauschten sie bisweilen ihre Landestracht gegen bayerische Tracht aus und erprobten auf bayerischen Abenden ihre Künste im Jodeln.157 Fotos von einem »Bayerischen Abend mit Tanz- und Trachtengruppen« zeigen das Ehepaar Keita in einer Verschränkung beider Trachten: Sie kombinierten Trachtenhüte mit ihrer Nationaltracht (Abb. 9). Den Akt des Eintauchens in die bayerische Volkskultur dokumentiert eine Fotografie Mobutus, die ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes als Selbstironie begriff: Das Foto sei keiner der »angeblich so furchtbar komischen Illustrierten-Schnappschüsse ›Neger mit Gamsbart‹«, sondern zeige »das Bild eines klugen, nachdenklichen, […] ganz gelösten und nicht krampf haft seinem Image verpflichteten Mannes«.158 Anlass für diese Formen der Verwandlungen boten Folkloreabende mit bayerischen Tänzen und Gesängen. Sie entsprachen den Vorstellungen von einer Mischung aus der Einfachheit der Lebensumstände und zünftigem Vergnügen, die zur selben Zeit in Deutschlandreiseführern vorherrschten. (West-)Deutsche »now appeared to be relative benign, even relaxed and jovial, in their enjoyment of simple pleasures«.159 Folklore erschien in diesem Kontext als ein touristischer Konsumartikel neben anderen und beschränkte sich nicht auf die Abende und Ausflüge. Vielmehr nahmen viele Gäste mit Postkarten, Fotografien und oftmals geschenkten Souvenirs materielle Erinnerungsstützen mit auf den Heimweg, die eigene Erfahrungen wachrufen konnten und bei anderen Reiselust wecken sollten.160 Dass schon der Programmablauf die Verschränkung von Folklore und Konsum anlegte, veranschaulicht der Staatsbesuch aus Mali: Nachdem die Gäste am Bahnsteig mit Blasmusik empfangen worden waren, quartierten sie sich im mondänen Hotel »Alpenhof« ein, wo sie das Ständchen einer Trachtenkapelle sowie ein Schuhplattlertanz erwartete. Darauf folgte ein Orts- und Ladenbummel, bei dem die Gäste ihre ersten volkskulturellen Eindrücke direkt mit entsprechenden Konsumartikeln festigen konnten. Neben einem Juwelier und einem Friseur hatte ein Andenkenladen eigens für den Staatsbesuch eine Ausnahmegenehmigung erhalten, an Pfingsten zu öffnen. Obwohl die Malier sich offenbar mit Käufen zurückhielten,161 scheinen sie zumindest den einen oder anderen Folkloreartikel erworben zu haben, der dann am Abend zum Einsatz kam. 157 Vgl. M. Rehm, Der Präsident von Mali in München, SZ, 14.6.1962. 158 Bericht Paschke, Kinshasa, 10.10.1969, PA, B8, Bd. 1601. 159 Koshar, German Travel Cultures, S. 161–163. 160 Vgl. zu Souvenirs als Geschenken: Togos Präsident fühlt sich wie zu Hause, Augsburger Allgemeine, 23.5.1961; Peitschenknall für den Gast aus dem Morgenland, Stuttgarter Nachrichten, 3.4.1976. 161 Vgl. Modibo Keita baut einen Schneemann, SZ, 12.6.1962.
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Abb. 9: Gäste aus Mali beim bayerischen Abend in Garmisch-Partenkirchen 1962
Reisen in die bayerischen Alpen oder in ein anderes landschaftlich reizvolles Gebiet der Bundesrepublik standen oftmals am Ende eines Staatsbesuchs. Die offiziellen Besuche gingen so nahtlos in Privataufenthalte über, die bisweilen explizit als »Erholungsaufenthalt« firmierten.162 Diese Erholungsaufenthalte mögen vordergründig wegen ihres touristischen Programms unpolitisch erscheinen. Dass gleichwohl politische Implikationen mitschwingen konnten, drängt sich bei einer näheren Beobachtung des Zusammenhangs von Berlinbesuchen und vorangehenden oder anschließenden Fahrten ins Grüne auf. 1961 kombinierte das Protokoll erstmals für den Staatsgast Sylvanus Olympio einen zweitägigen Aufenthalt in Berlin mit einer anschließenden dreitägigen Reise nach Garmisch. Schon zuvor hatten Gäste ihren Besuch in Bayern ausklingen 162 Togos Präsident fühlt sich wie zu Hause, Augsburger Allgemeine, 23.5.1961.
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lassen, doch nun kam dem Aufenthalt auf dem Land eine neue Funktion zu.163 Er sollte der Entspannung im doppelten Sinne dienen. Der Gast konnte sich körperlich und geistig von den oftmals aufreibenden Besuchen in der geteilten und ideologisch umkämpften Stadt Berlin erholen. Zudem trat er aus einer akuten Situation des Kalten Kriegs in einen unpolitisch anmutenden Raum. Bayern diente als atmosphärischer Ausgleich zu Berlin. Der Freistaat entfaltete seine entspannende Wirkung auch bei Gästen, die von vorneherein einen Berlinbesuch ausgeschlossen hatten, wie der auf politische Neutralität bedachte malische Präsident Keita oder der König von Afghanistan, dessen Land sich an der Schnittstelle zwischen östlichem und westlichem politischen Lager befand. Bayern ermöglichte ihnen einen ferienähnlichen, unpolitischen Aufenthalt. Einigen Gäste offerierte die Bundesrepublik, ihre Reise auf Staatskosten auszudehnen. In den sechziger Jahren gehörte es zu einer Politik der Freundschaftspflege und der Werbung um ein Bekenntnis neutraler Staaten zum Westen, dass die Bundesrepublik ausländischen, vor allem afrikanischen Staatsmännern Kuraufenthalte in Westdeutschland finanzierte. Zahir Schah von Afghanistan lehnte dieses Angebot des Bundespräsidenten 1963 ab;164 andere Gäste scheinen vergleichbare Offerten gerne angenommen zu haben. Wer welchem Staat welche Vergünstigungen gewährte, wurde auf dem internationalen diplomatischen Parkett genau beobachtet und entsprechende Nachrichten teils gezielt lanciert. So habe man in Elfenbeinküste im Vorfeld des Staatsbesuchs Houphouët-Boignys »geschockt« auf die Nachricht reagiert, dass der Staatschef von Guinea, Sékou Touré, zu einem privaten Kuraufenthalt in die Bundesrepublik käme und dort informell mit dem Bundespräsidenten zusammenträfe.165 Die Bundesrepublik erklärte, dass man »Kuraufenthalte von afrikanischen Staatsmännern und ihren Ehefrauen« begrüße und der »bisherigen Übung entsprechend« die Kosten der Kur trage, der Aufenthalt aber »keinen spektakulären Charakter« haben solle.166 Bayerische Landschaft und Folklore ermöglichten nicht nur den atmosphärischen Ausgleich zur hochpolitisierten Konfrontation mit der deutschen Teilung. Beide darstellerische Facetten versahen die Bundesrepublik in ihrer Ge163 Folgende weitere Staatsgäste kombinierten in ihrer Rundreise Berlin und Süddeutschland: Abboud, Makarios u. Tsiranana 1962, Mahendra von Nepal u. Park Chun Hee 1964, Osman, Elizabeth II. u. Hassan von Marokko (sagte Berlin ab) 1965, Tombalbaye, der Schah von Iran u. Houphouët-Boigny 1967, Mobutu 1969, Kaunda 1970, Hussein von Jordanien 1978, Tolbert, Pertini u. Tupou von Tonga 1979, Banda 1981, Schreyer 1983, das spanische Königspaar 1986, Evren 1988 sowie Mubarak 1989. 164 Vgl. Erlass von Holleben, 6.6.1963, PA, B8, Bd. 494; Bericht Peckert, Kabul, 3.7.1963, PA, B8, Bd. 494. 165 Drahtbericht Junges, Abidjan, 23.7.1966, PA, B8, Bd. 1144. 166 Drahterlass Schwarzmann, 25.7.1966, PA, B8, Bd. 1144; Drahterlass von Welczeck, 29.7.1966, PA, B8, Bd. 1144; vgl. Drahtbericht Junges, Abidjan, 26.7.1966, PA, B8, Bd. 1144.
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samtdarstellung zudem mit einem Gegenbild zum industriellen Erfolg, der zwar, wie bereits gezeigt, durch gezielte Inszenierungen menschliche Züge annehmen konnte, aber das Gemüt der Gäste bei Weitem nicht so stark anzusprechen vermochte wie fröhliche Menschen in bunten Trachten inmitten einer vermeintlich naturbelassenen Landschaft. Nur in Ausnahmefällen inszenierte sich auch der Freistaat als Austragungsort des Kalten Krieges, so beim Besuch des Staatsoberhaupts von Pakistan, Ayub Khan. Khan hatte wegen der politisch gespannten Lage in Folge des Berlinultimatums zwar einen Besuch in Berlin abgelehnt, galt den Westdeutschen aber dennoch als zuverlässiger Freund und Befürworter der Wiedervereinigung, der kommunistischen Versuchen, »durch innere Zersetzung Einfluß zu gewinnen«, nicht erlegen sei.167 In diesem Fall verlieh Bayern dem Besuch deutlich politische Züge. Ganz im Tenor der Ansprache, die der Bundeskanzler während des Besuchs gehalten hatte, formulierte Ministerpräsident Hans Ehard, die Reise habe den Gast »durch laender und staedte unseres gewaltsam geteilten deutschen vaterlandes gefuehrt, in denen die freiheit und die wuerde des menschen noch gesichert sind«. Bayern sei eine Zufluchtsstätte für Flüchtlinge, »ein land in der unmittelbaren naehe des eisernen vorhangs, der nicht nur menschen gleicher sprache voneinander trennt, sondern auch zwei voellig einander entgegengesetzte geistige welten scheidet«.168 Ein weiteres Mal schlüpfte Bayern in diese Rolle, als das Staatsoberhaupt von Paraguay, Alfredo Stroessner, seinen Staatsbesuch in der Bundesrepublik 1973 ausschließlich in Bayern verbrachte und dort die Grenze zur DDR zwischen Hof und Coburg per Hubschrauber »besichtigte«.169 Die Politisierung der Visite in Bayern blieb ein Ausnahme. Allerdings konnte Bayern Unterhaltung mit politischen Unterhandlungen kombinieren und zum diplomatischen Rückzugsort werden. Sylvanus Olympio traf 1961 in Garmisch mit Bundeskanzler Erhard zu Gesprächen zusammen.170 Ebenso nutzte der Präsident von Elfenbeinküste 1967 den unpolitischen Anschein eines viertägigen Aufenthalts in Bayern für Gespräche mit Vertretern der Stahl- und Elektroindustrie.171 Zudem empfing er in Bad Reichenhall Vertreter jener Staaten, die in den damals akuten Nahostkonflikt verwickelt waren, darunter neben arabischen Emissairen Golda Meir.172 Obwohl die westdeutsche 167 Michelsen an Ref. 115, 3.1.1961, PA, B8, Bd. 243. Vgl. auch Bericht von Trützschler, Karachi, 21.12.1960, PA, B8, Bd. 243. 168 Bayerische Staatskanzlei an Protokoll, 18.1.1961, mit Redetext Ehard für das Frühstück am 22.1.1961, PA, B8, Bd. 243. 169 Zit. n. Aufzeichnung Hampe, 2.8.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193, abgedruckt als Dokument 237, AAPD 1973, Bd. II, S. 1199–1204. 170 Vgl. die Unterlagen in PA, B8, Bd. 254. 171 Vgl. W. Martini, Houphouet-Boigny blieb keine Ruhe, Die Welt, 5.7.1967. 172 Vgl. Vermerk Axenfeld, 19.7.1967, PA, B34, Bd. 682.
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Presse über die diplomatischen Aktivitäten des Staatsoberhaupts berichtete und somit bekannt war, dass er sich nicht zur Erholung in den bayerischen Alpen auf hielt, fand Houphouët-Boigny gleichwohl noch die Gelegenheit, sich gemeinsam mit seiner Frau vor der Watzmann-Ostwand ablichten zu lassen und sich zumindest auf dem Foto den Anschein eines privaten Urlaubers am Königssee zu geben.173 Das Klischee vom unpolitischen Ausflug in die Alpen konnte der Staatsmann in diesem Fall für geschützte Gespräche nutzen und diesen ihre Dramatik nehmen, indem er sich selbst als Tourist inszenierte. Auf ganz andere Weise gewannen die Rückzugsmöglichkeiten der Alpen im Zuge der Proteste ab Ende der sechziger Jahre an Bedeutung. Die bereits erwähnte Deutschlandreise des indonesischen Präsidenten Suharto 1970 konzentrierte sich aus Sicherheitsgründen nach einem Aufenthalt in Bonn auf den Süden der Republik, wo Suharto kurzfristig vor den Massenmedien und möglichen Protesten versteckt wurde.174 Dort erlebte er die Standards oberbayerischer Folklore, u.a. Darbietungen der Schrammeln des Berchtesgadener Bauerntheaters, Schuhplattler, Jodler und Zitherspieler.175 Hätten Dauerregen und Nebel nicht die Pläne durchkreuzt, wäre er zudem in den Genuss eines Tees im Kehlsteinhaus, dem ehemaligen Teehaus Hitlers, gekommen und hätte die Bindalm sowie ein Heimatmuseum besuchen können.176 Suharto scheint der Aufenthalt in den Bergen gefallen zu haben oder er wollte den Eindruck erwecken, er gefiele ihm; zumindest hielt er die Eindrücke, die sich ihm boten, teils fotografisch fest.177 Bayern bot für den Aufenthalt gefährdeter Staatsgäste einen geschützten Rahmen unter den Bedingungen der »eingeschränkten Souveränität«.178 Unangenehme Geschehnisse blieben in Bayern aus.179 Drei Jahre später reiste ein anderer Diktator, der Staatspräsident von Paraguay, Stroessner, ohne Station in Bonn zu machen, sofort nach Bayern. Seit der offiziellen Einladung 1968 drängten die Paraguayer auf den Staatsbesuch, dem das Auswärtige Amt u.a. wegen möglicher »Angriffe radikaler Gruppen«, studentischer Proteste und öffentlicher Vorwürfe, Stroessner würde den KZ-Arzt Josef Mengele vor einer Auslieferung schützen, sehr zurückhaltend gegenüber 173 Vgl. Staatspräsident Houphouet-Boigny am Königssee, KStA, 4.7.1967; W. Martini, Houphouet-Boigny blieb keine Ruhe, Die Welt, 5.7.1967. 174 Vgl. Vermerk Schwarzmann, 2.9.1970, PA, B8, Bd. 1617; zur Nachberichterstattung: Suharto privat in Berchtesgaden, SZ, 7.9.1970. 175 Vgl. Programm für offizielle Delegation in der Residenz Bogenbergslehen, o.D., PA, B8, Bd. 1617. 176 Vgl. Suharto privat in Berchtesgaden, SZ, 7.9.1970. 177 Vgl. BA, B145, Bild-F032429-0006. Die Fotofilme 032427 bis 032431 sowie 032436 bis 032438 dokumentieren den Aufenthalt in Berchtesgaden. Zeitgenössische Veröffentlichungen der Fotos sind nicht bekannt. 178 Unter dem Titel »Eingeschränkte Souveränität« kommentierte das Flensburger Tagesblatt am 5. September 1970 den Staatsbesuch Suhartos. 179 Vgl. Fernschreiben Ziegler, München, 8.9.1970, PA, B8, Bd. 1617.
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stand. Stroessner, dessen Vater aus Hof stammte, wollte aber »das Land seiner Väter« kennen lernen.180 1973 konnte die Bundesrepublik einem Besuch nicht mehr ausweichen, als Stroessner Einladungen aus Spanien, Italien und Frankreich vorweisen konnte.181 Aus Bonner Sicht stellte sich die Situation zudem relativ günstig dar, da der Programmvorschlag der Paraguayer »so reduziert« sei, dass er »protokollarisch zu verkraften wäre«.182 Da der Bundespräsident zum Zeitpunkt des Besuchs Urlaub machte und Stroessner eine Begrüßung durch dessen Stellvertreter ablehnte, beschränkte sich Stroessners Aufenthalt in der Bundesrepublik ganz auf Bayern.183 Der Verzicht auf einen offiziellen Empfang in Bonn kam dem Auswärtigen Amt sehr entgegen,184 denn die Beamten vermuteten in der Provinz keine studentischen oder anderweitigen Proteste bzw. glaubten, ihnen mit ähnlichen Maßnahmen wie beim Besuch Suhartos, z.B. Hubschrauberflüge, angemessen begegnen zu können. Dem Bonner Protokoll wie der Bayerischen Staatskanzlei lag daran, »den Staatsgast so weit wie möglich von der Strasse herunterzubekommen«.185 Doch die Hoffnungen auf eine ungetrübte Reise in die protestfreie Provinz erfüllten sich nicht. Der General sah seine Vorstellungen von Deutschland als Land der Dichter, Denker und Soldaten mit einer anderen Realität konfrontiert. Am Hofer Bahnhof und vor dem Hotel empfingen ihn dreißig bis vierzig Jugendliche, die »offensichtlich von außerhalb nach Hof gekommen waren«, mit dem Sprechchor »Stroessner raus aus Hof«. Zum »Mißfallen der einheimischen Bevölkerung« verteilten sie zudem Flugblätter, die Stroessner als Faschisten, »Marionette der USA, Verbrecher und Völkermörder« kritisierten.186 Am Folgetag hatte wieder das bürgerliche Hof die Oberhand gewonnen. Eine Festsitzung im Rathaus wurde »wenig gestört«. Bei Stroessners Abreise schien es, als ob die Demonstranten »verschwunden« seien. Lediglich bei der Besichtigung einer Kirche entstand eine »peinliche Situation«, als der dortige Geistliche die unmenschliche Situation in den Gefängnissen Paraguays ansprach, was die Dolmetscherin aber abmilderte. Trotz dieser gemischten Erfahrungen bewertete Hampe, der Leiter der Unterabteilung der Politischen Abteilung des 180 Aufzeichnung Hampe, 2.8.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193, abgedruckt als Dokument 237, AAPD 1973, Bd. II, München 2004, S. 1199–1204. 181 Vgl. ebd. 182 Von Vacano an StS, 8.6.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193. 183 Vgl. zur Chronologie der Pläne für den Staatsbesuch zwischen 1968 und 1973: Vermerk, 13.7.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193. 184 Vgl. zum grundlegenden Unwillen dem Besuch gegenüber: Becker von Sothen an von Vacano, 5.7.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193. Vgl. zum anschließenden Streit mit Paraguay, ob der Staatsbesuch mit dem Aufenthalt in Bayern abgegolten sei: Berichte Becker von Sothen, Asuncion, 23.8.1973 u. 20.9.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193. 185 Aufzeichnung von Vacano, 29.6.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193. 186 Auch für das Folgende: Aufzeichnung Hampe, 2.8.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.193, abgedruckt als Dokument 237, AAPD 1973, Bd. II, S. 1199–1204.
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Auswärtigen Amtes, die für den östlichen Teil Lateinamerikas verantwortlich zeichnete, den Besuchsverlauf als »zufriedenstellend«, auch wenn die Folgen noch nicht absehbar wären. Die Wahrnehmung der Ereignisse durch den Gast konnte das Auswärtige Amt nur vermuten: Stroessner habe sich trotz der Demonstrationen, die ihn »etwas überrascht« hätten, »im großen und ganzen befriedigt« gezeigt. Schließlich hatten ihn in Hof nicht nur Demonstranten und ein Massenaufgebot an Sicherheitskräften erwartet, sondern auch Bilder der gastfreundlichen Provinz. Lokale Köstlichkeiten wie Bratwürste, Sauerkraut und Bier schufen kombiniert mit volksmusikalischer Untermalung offenbar eine angenehme Atmosphäre und trugen dazu bei, negative Stimmen und Proteste in der Wahrnehmung des Gastes auszublenden. Als Ehrenauszeichnung überreichten ihm die Hofer mit den Stimmen der Sozialdemokraten den goldenen Ehrenring der Stadt.187 Obwohl Teile des Programms wegen schlechten Wetters entfielen, besuchte der Gast das Benediktinerkloster Ottobeuren und besichtigte zudem München und Oberammergau per Hubschrauber.188 Diese eingeschränkten Bilder der Bundesrepublik kritisierte die Süddeutsche Zeitung als »Operettenzauber« gemäß der Wunschvorstellung des Gastes, die stärker gewirkt habe als die Realität, zu der er keine Miene verzogen habe.189 Die sentimentalen Bilder von Bayern, die der Präsident schon aus Paraguay mitgebracht hatte und die eine folkloristische Ausgestaltung des Besuchs bestärkte, prägten die Wahrnehmung des Landes maßgeblich. Bayern konnte in diesem Fall zwar seiner Rolle als physischer Rückzugsort nur bedingt gerecht werden und schien ein Jahr später für den Besuch Titos als Besuchsstation »aus Sicherheitsgründen vielleicht weniger geeignet«,190 blieb aber ein Rückzugsort für die Imagination der Gäste. Das Land Bayern trug die geschilderte folkloristische Inszenierung anfänglich mit, fügte sie sich doch vorzüglich in die Heimat- und Geschichtspolitik des Landes ein. Seit der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten Landespolitiker und Eliten darauf abgezielt, der befürchteten desintegrierenden Wirkung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen aus Ost- und Südosteuropa, die 1946 fast ein Viertel der bayerischen Gesamtbevölkerung ausmachten, durch die »Neukonstituierung eines Heimat- und Landesbewußtseins als von der Vergangenheit scheinbar unberührt gebliebener Orientierungsmarken und Wertkonstanten« entgegenzuwirken.191 Staatliche Heimatpolitik sollte die »Landesidentität« festigen, so den Föderalismus untermauern und auf diese Weise nach 187 Vgl. S. Woldert, Staatsbesuch und Familientreffen, SZ, 20.7.1973. 188 Vgl. Verregnete Visite in Südbayern, SZ, 23.7.1973; G. Paschner, Ein Diktator besucht uns, Welt der Arbeit, 20.7.1973. 189 S. Hännl, Bescheidene Distanz vom großen Cousin, SZ, 23.7.1973. 190 Vermerk Jaenicke als Anlage zu Bericht, 5.3.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 191 Vollhardt, S. 119; vgl. auch Stoll, Bayern.
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innen »Ansprüche der Regionen auf politisch-kulturelle Eigenständigkeit« entschärfen.192 Noch beim Abendessen für den norwegischen König im Juni 1973 sah Ministerpräsident Goppel193 die Parallelen Norwegens und Bayerns in ihrer »Heimatverbundenheit und ihre[r] Freiheitsliebe«, beide verteidigten »überliefertes Kulturerbe und ihre alten Lebensformen«. Die Zukunftsorientierung Bayerns betonte nicht Goppel, sondern der norwegische König. Er sah die Anknüpfungspunkte nicht in der Wahrung von Traditionen, sondern im industriellen Auf bruch, dem »industrialisierte[n] Bayern«.194 Als die politischen Repräsentanten des Freistaats und das Bonner Protokoll Ende der siebziger Jahre bereit waren, den Wandel Bayerns vom Agrarland zum Industriestandort in Staatsbesuchen zu verdeutlichen, fiel der inszenatorische Wechsel schwer. Bayern wurde gleichsam Opfer des eigenen propagandistischen Erfolgs. Denn weiterhin lockte die Folklore Gäste an. So lehnte der senegalesische Staatspräsident Léopold Sédar Senghor Fabrikbesichtigungen in Bayern ab. Ihn soll vielmehr »die Symbiose von Industrie- und Agrarstaat« in Bayern als »Modell für sein eigenes Land« interessiert haben, wobei er die »bayerische Kultur« der Technik vorzog.195 Er absolvierte dann eine bewährte Mischung aus kulturellen Besichtigungen in der Kunststadt München und Eindrücken von Landschaft und Landwirtschaft in der Provinz.196 Trotz der Beharrlichkeit der Gäste konnte das Land Bayern seine Interessen zumindest beim Staatsbesuch aus Tonga durchsetzen. Den Wunsch der Gäste nach mehr Folklore taten die Bayern mit dem Hinweis ab: »›Wir wollen ja nicht als die ewigen Schuhplattler dastehen.‹«197 König Tupou lernte entsprechend mit BMW und dem Olympiagelände das moderne Bayern kennen. In diesem Kontext berichtete Die Welt von Überlegungen, die Folklore ortsunabhängig zu machen und »eine wegesparende, einschlägige Gruppe in Bonn« zusammenzustellen.198 Zum Zeitpunkt des Staatsbesuchs aus Tonga hatte diese Herauslösung der Folklore aus ihren lokalen oder doch zumindest bayerischen Kontexten bereits Gestalt angenommen. Auch in den Staatsbesuchen zeichnete sich so eine räumliche Ausdehnung des Heimatlichen ab, und es entstand eine »Binnenexotik«, die der Volkskundler Hermann Bausinger bereits 192 Vollhardt, S. 141. 193 Auf die Implikationen dieser Selbstdarstellung aus bayerischer Sicht kann ich nicht näher eingehen, vgl. dazu Isabella Kratzers Dissertationsprojekt »Die Repräsentationsformen der bayerischen Ministerpräsidenten (1945–1972)« an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 194 M. Rehm, Ein Bummel durch die Fußgängerzone, SZ, 7.6.1973. 195 P. Hornung, Staatsbesuch als Mahnung, Deutsche Tagespost, 10.5.1977. 196 Vgl. Druckprogramm Senghor, PA, B8, Bd. 1639; W. Siegers, Ein frischer Trunk für den Präsidenten, SZ, 9.5.1977. 197 Zit. n. E. Nitschke, Nach Lu Oulu moe Moa sprach König Tupou über Hegel, Die Welt, 22.11.1979. 198 Ebd.
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1961 für die Internationalen Trachtentreffen der fünfziger Jahre beobachtete.199 Das Heimatliche ließ sich bald an jedem Ort für die westdeutschen Staatsgäste inszenieren, die oftmals auch ihre eigene Folklore in Form von Nationaltrachten und bisweilen Trachtengruppen in die Begegnung einbrachten. Schon 1977 war der portugiesische Staatspräsident António Ramalho Eanes als erster Staatsgast in Bonn in den Genuss ausgewählter deutscher Folklore gekommen. Bei der Abendgesellschaft des Bundespräsidenten für Eanes tanzten und sangen eigens ins Rheinland beorderte Trachtengruppen aus Bayern und aus dem Schwarzwald, während »fesche« Bayerinnen Alkohol ausschenkten.200 Die Alpen, das Alpenvorland sowie der Schwarzwald gehörten zu den Hauptschauplätzen des westdeutschen Heimatfilms, der »nicht um eine geographisch exakte und wirklichkeitsgetreue Darstellung, sondern lediglich um eine idealtypische Zusammenstellung von Bildern, Eindrücken und Stimmungen« bemüht war. Entsprechend erschien Heimat als »idyllisierte, harmonisierte, von der Wirklichkeit bewußt abgehobene Phantasievorstellung«.201 Mit den Trachtengruppen gelangten gleichsam Abziehbilder dieser heimatlichen Phantasiegebilde als Programmelemente in die Staatsbesuche. Mit dem Schuhplattler hielt zudem das »Deftige« Einzug »in d[ie] feine[…] Redoute«. Es handelte sich demnach nicht nur um eine Kombination aus »Heimatpflege und Weltbegegnung«,202 sondern auch aus hochkultureller Umgebung und Volkskultur. Der Bonner General-Anzeiger wertete den bayerischen Import als Beleg dafür, dass das Bonner Protokoll auf »mehr Selbstdarstellung bei Staatsbesuchen bedacht« sei.203 Es ließe sich darin zum einen die Ausdehnung der medienorientierten Volkstümlichkeit des Bundespräsidenten Scheel auf das eher hochkulturell ausgerichtete diplomatische Parkett vermuten, wie sie sich zuvor in seinen öffentlichen Darbietungen des Liedes »Hoch auf dem gelben Wagen« abgezeichnet hatte. Zum anderen vereinnahmte die Bundesebene damit regionale Folklore für die staatliche Repräsentation unter Umgehung ihrer ursprünglichen räumlichen Gebundenheit. Deutsche Folklore war schon zuvor zum internationalen kommerziell erfolgreichen Exportartikel geworden und ließ sich auch jenseits ihres Herkunftsorts inszenieren bzw. reproduzieren. 199 Für Bausinger wurde das Exotische nun »inmitten der erfahrbaren Welt erlebt« und war »das Heimatliche gar nicht mehr auf den eigentlichen Heimatraum beschränkt«. Die »ursprünglich entgegengesetzten Tendenzen« vereinigten sich zur »Binnenexotik«, Bausinger, Volkskultur, S. 93. Ulrike Stoll hat ein ähnliches Phänomen für die Selbstdarstellung Westdeutschlands im Ausland Anfang der sechziger Jahre untersucht, vgl. Stoll, Trachtenballett. 200 Scheel ließ für Präsident Eanes Schuhplattler aus Bayern zur Redoute kommen, GeneralAnzeiger, 13.12.1977. 201 Trimborn, S. 61. 202 Bausinger, Volkskultur, S. 93. 203 Scheel ließ für Präsident Eanes Schuhplattler aus Bayern zur Redoute kommen, GeneralAnzeiger, 13.12.1977.
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Bei den Gästen hatte das bayerisch-schwarzwälderische Event offenbar Erfolg: Denn »weil’s erst kürzlich dem portugiesischen Staatspräsidenten Eanes so gut gefallen hatte«,204 griffen die Bonner Besuchsgestalter auch für den Staatsgast aus Gabun 1978 zum bewährten Mittel und holten bayerische Folklore in die Redoute. Die Gäste feierten zünftige bayerische Abende ebenso in Bonn wie zuvor in der bayerischen Provinz. Angesichts des Surrogats, das ihnen in Bonn geboten wurde, konnten sie auf einen Besuch in Bayern verzichten. So erlebte der Präsident von Gabun, Omar Bongo, 1978 zwar Schwarzwälder Folklore noch im Südwesten der Republik, doch das bayerische Pendant – wie nach ihm auch Ernesto Geisel – ausschließlich in der Redoute, wo er sich u.a. im Jodeln versuchte.205
Abb. 10: Folkloreabend in der Redoute 1978
Der geschilderte Folklore-Import aus Bayern dokumentiert eine Veränderung der bundesrepublikanischen Selbstdarstellung in zweierlei Hinsicht. Indem die Abendveranstaltungen des Bundespräsidenten Formen populärer Unterhaltung annahmen und einer Showveranstaltung gleichkamen, gewannen sie an Attraktivität sowohl für geladene Gäste als auch für die westdeutsche Bevölkerung, die durch mediale Vermittlung daran teilhaben konnte. Alternativ zu bayerischer 204 Nach dem Mokka gab’s bayerische Folklore für das Präsidentenpaar vom Äquator, General-Anzeiger, 24.1.1978. 205 Vgl. Programm Bongo, PA, B8, Bd. 1641; Präsident Bongo lernt das Jodeln, Die Welt, 25.1.1978; die Fotografien in: Der Spiegel, 30.1.1978; vgl. Programm Geisel, PA, B8, Bd. 1641.
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Folklore setzte das Protokoll in den Folgejahren auch auf Vorführungen des Odhecaton-Ensembles für alte Musik.206 Das exotische Moment dieser Aufführungen basierte auf historischer Kostümierung und Musik aus Tanzbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts. Das Protokoll sah bereits 1976 in der Verbindung von formellen Essen und künstlerischen oder folkloristischen Darbietungen »neben ihrer unterhaltenden Komponente« eine Möglichkeit »der Selbstdarstellung des Gastlandes oder des Landes des Besuchers«. Zudem wirkten sich solche Veranstaltungen günstig auf »die Atmosphäre eines Besuches« aus und ließen die Deutschen in einem sympathischeren Licht erscheinen. Denn »Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit, Wirtschaftspotential und politische Bedeutung allein machen weder sympathisch, noch führen sie zu einem tieferen Verständnis«, wie es eine Politik mit dem Maximen »Partnerschaft, Zusammenarbeit und gerechter Interessenausgleich« benötige.207 Darüber hinaus bedeutete der Folklore-Import einen ersten Schritt hin zur virtuellen Repräsentation der Bundesländer. Es blieb nicht dabei, dass Folklore unabhängig von ihrem Entstehungskontext an einem anderen Ort inszeniert wurde. Von der Inszenierung einer folkloristischen Show in der Redoute, die vom Fernsehen teilweise live übertragen wurde, führte ein nächster Schritt ins Fernsehstudio, wo die Show seit Erfindung des Fernsehens »ihren kulturellen Ort […] gefunden hat«.208 Die regionalen Facetten des westdeutschen Föderalismus ließen sich auch virtuell erfahren. So musste die britische Königin 1978 nur von Bonn nach Mainz reisen, um sich ein Bild von den westdeutschen Bundesländern zu machen.209 Der ehemalige Botschafter in London KarlGünther von Hase, nunmehr Intendant des ZDF, lud die Monarchin in den Fernsehsender. Für diesen Besuch inszenierte das ZDF eine Fernsehshow, die live übertragen wurde und in der sich alle Bundesländer in Anwesenheit der Queen präsentieren sollten.210 Unter den für die mediale Übertragung optimalen Bedingungen eines Fernsehstudios griffen die Bundesländer mit Folklore und Trachten zu inszenatorischen Mitteln, die dem Bedürfnis des Mediums nach Unterhaltung und Eindeutigkeit Rechnung trugen. So beschränkte sich jedes Bundesland auf prägnante Vorführungen und vereinnahmte in einer Art emblematischer Zuspitzung teilweise regionale Traditionen als Markenzeichen eines Bundeslandes. Darbietungen, die Elizabeth II. 1965 noch vor Ort in Augenschein genommen hätte, erlebte sie nun zeitgleich mit den interessierten Bundesbürgern an den Bildschirmen als Show, als Choreographie für eine 206 Dies geschah erstmalig für den Staatsbesuch des syrischen Präsidenten Al Assad 1978, vgl. Programm Al Assad, PA, B8, Bd. 1642. 207 Holzheimer, o. S. 208 Müller, Show, S. 408. 209 Gleichwohl besuchte sie Bonn, Mainz, Berlin, Kiel und Bremerhaven. 210 Vgl. K. von den Driesch, Eine andere Generation in Bonn, Badische Zeitung, 18.5.1978; Die Queen wird zum Fernsehstar, Kölnische Rundschau, 19.5.1978.
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Fernsehsendung. Sogar ihr Interesse für Pferde konnte sie stillen, da sich Nordrhein-Westfalen mit einer Dressur des Landesgestüts Warendorf vorstellte.211 Zuvor hatten sich solche Vorführungen primär an den Gast gerichtet, dieses Privileg musste die Königin nun mit Millionen Fernsehzuschauern teilen. Die untersuchten Besuche am Rhein und in Süddeutschland ergänzten Aufenthalte im Norden der Republik. Bremen, Hamburg, Lübeck und Kiel warteten dabei nicht mit landschaftlichen Reizen und folkloristischen Vergnügungen auf, sondern visualisierten eine durch das Meer und den damit verbundenen Welthandel geprägte Lebensweise. In den Augen des Protokolls konnte dies vor allem für jene Gäste interessant sein, die über keinen Zugang zum Meer verfügten.212 In Staatsbesuchen standen die Kunstmetropole des Südens einerseits und die bäuerlich geprägte Volkskultur andererseits der Internationalität sowie großbürgerlichen Formen der Lebensführung und politischen Verfasstheit des Nordens gegenüber, der sich primär als Ort städtischen Lebens präsentierte. Mit der Zahl der Staatsbesuche wuchs in den fünfziger Jahren die Anzahl der Gäste, die nach Norddeutschland reisten. Seit Beginn der sechziger Jahre verfestigte sich eine Reiseroute durch Westdeutschland, die den Norden und den Süden umfasste. Die Gestaltung der Rundreisen implizierte eine geographische Ausgewogenheit auf einer imaginären Nord-Süd-Achse.213 Mit dem allgemeinen Bedeutungsverlust der Rundreise zugunsten politischer Gespräche Anfang der siebziger Jahre nahmen unter anderem die Reisen an die Waterkant ab, um dann jedoch während der Kanzlerschaft Helmut Schmidts wieder zur Regel zu werden. Ein eindeutiger Nexus zur Person des Kanzlers lässt sich aufgrund der Akten nicht verifizieren, doch fällt ins Auge, dass Hamburg als Programmpunkt mit dem Regierungswechsel 1982 erheblich an Bedeutung verlor, während Rheinland-Pfalz, das Herkunftsland und Ort der politischen Karriere Helmut Kohls, immer häufiger besucht wurde. Neben den Bildern der Heimat verliehen die drei zuvor analysierten Bildvarianten der Bundesrepublik Sichtbarkeit. Das Erscheinungsbild der Bundesrepublik beschränkte sich nicht auf diese Bilder von Erfolg, Teilung, jüngster Vergangenheit und vermeintlich unpolitischer Heimat, sie bildeten jedoch eine Art Grundausstattung der westdeutschen Selbstdarstellung. Diese Facetten lassen sich zwar getrennt betrachten, waren jedoch durch den Verlauf der Reise dramaturgisch miteinander verschränkt. Wirtschaftliche Erfolge und deutsche Teilung umrissen die Gegenwart der Bundesrepublik, während Bilder der NSZeit und Bilder der Heimat zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die deutsche Vergangenheit präsentierten. Die Bundesrepublik zeigte nicht bei jedem Staatsbesuch alle Bilder, zumal einige Staatsgäste eigene Dramaturgien für ihre 211 Vgl. L. Reichert, Die Queen kommt ins Wohnzimmer, NRZ, 19.5.1978. 212 Vgl. Vermerk von Holleben, 21.10.1963, PA, B8, Bd. 514. 213 Vgl. z.B. Bericht Fischer, Fort Lamy, 15.9.1966, PA, B8, Bd. 1127.
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Besuche entwickelten. Vielmehr traten die Bilder in wechselnden dramaturgischen Konstellationen und Funktionen auf. Das Zusammenspiel der Bilder variierte mit den staatlichen Darstellungsbedürfnissen und der Einzelkomposition der Besuche. Es lassen sich allerdings Konjunkturen bestimmter Bilder beobachten. So spielte die Sichtbarmachung der deutschen Teilung in den sechziger Jahren eine zentrale Rolle in der Staatsrepräsentation der Bundesrepublik. Für die NS-Vergangenheit fand die Bundesrepublik hingegen nur sehr zögerlich Ausdrucksformen und dies primär auf Wunsch und mit Unterstützung ihrer Gäste. Die Bilder der Heimat nahmen insofern eine Sonderrolle ein, als sie einen Ausgleich zu den anderen Bildern darstellten: zu den Verfehlungen der NS-Vergangenheit, zur rasanten Nachkriegsentwicklung der Bundesrepublik und zu den emotional aufgeladenen Berlinbesuchen.
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Drittes Kapitel – Tableaus der Gesellschaft
Staatsbesuche visualisierten nicht nur die bereits untersuchten Bilder der Bundesrepublik, also Selbstzuschreibungen Westdeutschlands in der Nachkriegszeit, sondern zeichneten zugleich Ansichten der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die sich als Tableaus, d.h. als »Schaubild[er], effektvolle Personengruppierung[en]«, beschreiben lassen.1 Auf der Programmebene des Besuchs protokollieren die Gästelisten zu den gesellschaftlichen Veranstaltungen der Staatsbesuche, etwa für Bankette und Galaveranstaltungen, die Zusammensetzung gesellschaftlicher Tableaus mit dem Anspruch, die bundesrepublikanische Gesellschaft adäquat zu repräsentieren. Die Einladungspraxis zog eine Trennlinie zwischen Geladenen und Nichtgeladenen. Sie schuf damit exklusive Gesellschaften, die sich freilich im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte nicht nur personell veränderten, sondern in ihrer strukturellen Zusammensetzung dem Wandel des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft Rechnung trugen. Doch die Ansichten der bundesrepublikanischen Gesellschaft beschränkten sich nicht auf die Festsäle. Jene Mehrzahl der Bundesbürger – und auch andere Bewohner und Besucher der Bundesrepublik –, die nicht zu Staatsempfängen und Feierstunden geladen war, wählte andere Formen der Begegnung und empfing die Gäste auf den Straßen und Plätzen der Republik als Straßenöffentlichkeit. Der Begriff Straßenöffentlichkeit impliziert dabei, dass gesellschaftliche Kommunikation und Interaktion in öffentlich zugänglichen Räumen stattfindet und damit grundsätzlich nicht exklusiv ist – wie etwa die gesellschaftlichen Abendveranstaltungen.2 Thomas Lindenberger hat die Straße als Medium 3 »für gesellschaftliche Erfahrungen, die auf Vermischungen, Berührungen und Konfrontationen zwischen Sphären beruhen, die sonst räumlich getrennt voneinander existieren«, beschrieben sowie als Ort der »Straßenpolitik«, d.h. politischer »Machtkämpfe auf der Straße und um die Straße«.4 1 Best, S. 541. In der Literaturwissenschaft bezeichnet der Begriff ein episches Kompositionselement. 2 Den Begriff »Straßenöffentlichkeit« entlehne ich bei Kaschuba, Von der »Rotte«, S. 68. Kaschuba weist sein Verständnis von »Straßenöffentlichkeit« nicht eigens aus, verbindet damit aber das Verständnis der Straße »als Raum sozialer Bewegung und Tribüne politischer Kultur«. 3 Vgl. grundsätzlich zur Straße als Medium Warneken. 4 Vgl. Lindenberger, Straßenpolitik, S. 11 u. 13.
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Lindenberger unterscheidet eine »Straßenpolitik von oben«, die auf die »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« ziele und die Straße »als Ort der Disziplinierung und Erziehung zu normgerechtem Verhalten durch einen professionellen Agenten der Staatsgewalt« verstand, von einer »Straßenpolitik von unten«, die u.a. »die Grenzziehung zwischen Politik und Nicht-Politik« zum Gegenstand der Auseinandersetzungen auf der Straße mache.5 Diese Konzepte lassen sich insofern auf die Straßenöffentlichkeiten bei Staatsbesuchen übertragen, als auch hier »professionelle Agenten der Staatsgewalt« – neben Polizisten etwa PR-Fachleute – darauf zielten, die Macht über die Straße zu gewinnen bzw. aufrechtzuerhalten. Doch zielte der Machtanspruch in diesem Fall nicht nur auf die Ordnungsmacht, sondern auf das Erscheinungsbild der Straße.6 Auch fällt eine dichotomische Betrachtung einer Straßenpolitik der Herrschenden versus einer Straßenpolitik der Gesellschaft schwer. Vielmehr handelte es sich um viele verschiedene »Straßenpolitiken«, die sich nicht alle in ein hierarchisches Schema einordnen lassen. Staatliche Vertreter verfolgten bisweilen unterschiedliche Interessen und rangen mit Interessenverbänden um die Einbeziehung der Menschen auf der Straße in ihre Darstellungsstrategien. Die wechselnden Zusammensetzungen und Verhaltensweisen der Straßenöffentlichkeit zeichnen komplexe gesellschaftliche Tableaus, die Aussagen darüber ermöglichen, wie sich das Verhältnis von Staat und Gesellschaft entwickelte. Massenmedien wiederum schufen unterschiedliche mediale Öffentlichkeiten und erzeugten als Beobachter und Akteure bei Staatsbesuchen mediale Bilder der Festveranstaltung sowie Straßenöffentlichkeiten und damit mediale gesellschaftliche Tableaus mit eigener Qualität.7 Die Beteiligung der Medien an Staatsbesuchen und die entstehende Fernsehöffentlichkeit zeitigten maßgebliche Veränderungen sowohl der Gesellschaftsbilder bei Festveranstaltungen als auch der gesellschaftlichen Tableaus der Bundesrepublik, die im öffentlichen Raum entstanden.
5 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 15f. 6 Vgl. zur Straße als Bühne Schechner, The Street. 7 Ich verfolge ein plurales Konzept von Öffentlichkeiten, das von einem »Nebeneinander vieler unterschiedlich strukturierter Öffentlichkeiten« mit jeweils unterschiedlichen »Bedingungen und Funktionsweisen« ausgeht, vgl. Führer, Öffentlichkeit, S. 12. Für Staatsbesuche sind v.a. die unterschiedlichen medialen Öffentlichkeiten, verschiedenen Öffentlichkeiten sozialer Gruppen (z.B. Diplomaten) u. die Straßenöffentlichkeit interessant. Vgl. zur Bedeutung von Massenmedien für die Geschichte des 20. Jahrhunderts Schildt, Jahrhundert; Weisbrod, Medien.
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I. Die staatlich organisierte Straßenöffentlichkeit Wie schon in den Kapiteln zu den Bildern der Bundesrepublik nimmt auch bei der Untersuchung der Tableaus der Gesellschaft der Begriff der Sichtbarkeit einen hohen Stellenwert ein. Politik ist laut Thomas Macho immer auch eine »Ordnung der Sichtbarkeitsverhältnisse« und damit ein »System zur Organisation von Aufmerksamkeiten«. Ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erlangen, oder mit Macho: über das »passive Aufmerksamkeitsprivileg« zu verfügen, stellte eine maßgebliche Bedingung für politischen und kulturellen Erfolg dar – zumindest im 20. Jahrhundert.8 Staatsbesuche boten den Gästen und Gastgebern eine Möglichkeit, ihr passives Aufmerksamkeitsprivileg in Auftritten und Reden auf Plätzen und Fahrten im offenen Wagen abzurufen und zu verstärken. Zugleich lassen sich diese Formen, sich zu exponieren, sich den Menschen auf der Straße zu zeigen, als Reverenz an die Bevölkerung und damit in einem demokratischen Staat als »eine Art demokratische Geste des ›Protokolls‹ ans ›Volk‹«, den staatlichen Souverän, lesen.9 So verstanden handelte es sich um einen Austausch von Aufmerksamkeiten, zu dem sich mit der wachsenden Bedeutung der Massenmedien in zunehmendem Maße die medialen Öffentlichkeiten hinzugesellten. Sie dokumentierten nicht nur den Austausch von Aufmerksamkeiten, sondern waren bald ein aktiver Teil dieser Tauschbeziehung.
1. »Besuch beim Volk« und Fahrten im offenen Wagen Der Auftritt auf dem Bonner Marktplatz als »Besuch beim Volk« wie auch die langsamen Fahrten im offenen Wagen gehörten seit den beginnenden fünfziger Jahren auf die ungeschriebene Agenda der Besuche. Alcide De Gasperi, aus zeitgenössischer westdeutscher Sicht der erste Staatsbesuch, trug sich 1952 im Bonner Rathaus in das Goldene Buch der Stadt ein, besuchte die Bonner Bevölkerung und begründete damit einen Besuchsstandard. Während sich die Einzeichnung zumeist hinter verschlossenen Türen unter den Augen ausgewählter kommunaler Honoratioren vollzog, zeigte sich der Staatsgast bei Ankunft und Abfahrt der Bevölkerung, die sich auf dem Bonner Marktplatz eingefunden hatte. Ansprachen an die versammelte Menge, der direkte körperliche Kontakt mit Schaulustigen, das so genannte Bad in der Menge, oder ein erstmals vom österreichischen Staatspräsidenten 1964 praktizierter Fußgang durch Bonn er-
8 Macho, Von der Elite, Zitate S. 762 u. 765. 9 Zitat erstmals in: Kerzenfest in Schloß Brühl mit Löschpapier und Bügeleisen, Wiesbadener Kurier, 20.10.1954 u. Staatsempfang in Bonn, NZZ, 13.11.1954.
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gänzten bisweilen den unmittelbaren Kontakt zwischen Staatsgast und Bundesbürgern.10 Fahrten im offenen Wagen stellten eine weitere Form der öffentlichen Exposition des Gastes dar, die spätestens in den frühen fünfziger Jahren einsetzte.11 Theodor Heuss fuhr 1953 bei einem Besuch Kiels im offenen Wagen durch die Stadt.12 Im selben Jahr befand Karl-Günther von Hase: »insbesondere wenn die Bevölkerung Spalier bildet, sind offene Wagen besser«.13 1956 wünschte Heuss, gemeinsam mit dem griechischen König im offenen Wagen zu reisen.14 Die Fahrten fanden als »Appell an die Schaulust« sogar Eingang in die ersten schriftlichen »Richtlinien für die Vorbereitung und Durchführung von Staatsbesuchen und Veranstaltungen« des Protokollmitarbeiters Horst von Rom.15 Auch in der Rhetorik der Filme des Bundespresseamts setzte die unmittelbare Begegnung zwischen Gast und Bevölkerung mit dem Zurückklappen des Verdecks ein, so im Film über den englischen Staatsbesuch 1965.16 Der Gast wurde sichtbar, legte den Schutz zwischen sich und seiner Umwelt ab und lieferte sich gleichsam den öffentlichen Blicken aus. Fahrten im offenen Wagen ähneln in ihrer Ereignisstruktur – als permanente Bewegung in Zeit und Raum bei Trennung von exponierten Teilnehmern einerseits und Zuschauern andererseits – öffentlichen Umzügen, deren Tradition bis zu antiken Triumphzügen zurückreicht, wenngleich sie im Unterschied zu Prozessionen, Paraden, Festzügen und Demonstrationen mit vielen aktiven Teilnehmern nur eine sehr reduzierte Zahl »aktive[r] Exponenten« aufweisen.17 Schon Fahrten bei geschlossenem Verdeck zogen in den fünfziger Jahren viele Zuschauer an, so dass die Staatskarossen teilweise gezwungen waren, Schritttempo zu fahren.18 Trotz einschlägiger Erfahrungen scheint sich das Protokoll schwer getan zu haben, langsame Fahrten oder gar Stopps in die Besuchsabläufe zu integrieren.19 Triumphfahrten nahm das Protokoll in den sechziger Jahren nicht nur als schwer kalkulierbare Gefährdung des Zeitplans
10 Vgl. zu Schärfs Fußgang als Novum: P. Koch, Der Besuch ohne Probleme, SZ, 25.6.1964. 11 Mit der zunehmenden Professionalisierung unterschieden die Besuchsausrichter zwischen Ziel- u. Jubelfahrten, vgl. Vermerk Jess, Hamburg, 15.2.1965, PA, B8, Bd. 921. 12 Vgl. J. Neck, Manuskript »Wie sollen wir denn jubeln? Hurra, Hoch oder Huhu?«; Götze an Heuss, 27.1.1953; Heuss an Götze, 5.2.1953, BA, B122/609, Fiche 2. 13 Erfahrungen während des Besuches des österreichischen Außenministers, von Hase, 1.6.1953, PA, B8, Bd. 65. 14 Vgl. von Heyden an Pappritz, 2.8.1956, PA, B8, Bd. 124. 15 Aufzeichnung von Rom, 1.8.1957, PA, Nl. Pappritz, Bd. 7. 16 Vgl. Filmskript »Eine Königin in Deutschland«, 2.6.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 17 Kimpel/Werckmeister, S. 7. 18 Vgl. Sorayas Wagen mußte Schritt fahren, Badisches Tagblatt, 28.2.1955; Notizen zum Staatsbesuch des Königs von Thailand, von Braun, 5.8.1960, PA, B8, Bd. 225. 19 Vgl. Skibowski an Bach, 3.8.1962, ACDP, Depositum Klaus Otto Skibowski, I-424.
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wahr, sondern ebenso als Risiko für Leib und Leben der Staatsoberhäupter.20 Doch die Fahrten gehörten zu den gewünschten Inszenierungen der Gäste. De Gaulle etwa lehnte geschlossene gepanzerte Wagen ab und stand aufrecht im Wagen; er mischte sich unter die Bevölkerung, »sprach mit den Leuten, drückte unzählige Hände und war mehrfach in Gefahr, von den Menschenmassen fortgespült zu werden«.21 Was den Besuchsausrichtern als Gefahr erschien, galt zugleich als Erfolgsindikator eines Besuchs. Konnten sich die Wagen nur langsam ihren Weg durch die Menschen bahnen, bekundete dies offenbar ein breites Interesse an dem Staatsgast, so die Denkweise, die auch der Text zum BPAFilm »Besuch des Vertrauens« zur Visite Eisenhowers dokumentierte.22 Die Wagen wurden auf diese Bedürfnisse abgestimmt. Die Firma DaimlerBenz, die lange Zeit eine Monopolstellung bei der leihweisen Bereitstellung von Staatskarossen innehatte, baute die Wagen bei Bedarf um. Beim Besuch Eisenhowers ließ sich das Verdeck öffnen und stand als Sitzfläche zur Verfügung.23 Auch der Lincoln Continental, den John F. Kennedy 1963 mit in die Bundesrepublik brachte, entsprach allen Anforderungen öffentlicher Sichtbarkeit. Er verfügte über höhenverstellbare Rücksitze, »damit er [ John F. Kennedy, d. Verf.] auch bei regnerischem Wetter besser sieht – und um besser gesehen zu werden«.24 Für den bevorstehenden Queen-Besuch 1964 ließen sich die Planer ebenfalls vom Gedanken der Sichtbarkeit leiten. Von Holleben lehnte eine rein nach Sicherheitsaspekten gestaltete Limousine ab. Die Königin sollte zumindest die Möglichkeit haben, »aus dem Wagen Hände zu schütteln oder Blumen entgegenzunehmen«,25 zumal durch auffällige Sicherheitsmaßnahmen die Gefährdung des Gastes erst erkennbar würde.26 Zwar setzte sich von Holleben durch, und die Königin reiste in einem ungesicherten Landaulet durch die Bundesrepublik,27 doch markierte der Besuch einen Wendepunkt: Er war der letzte große Staatsbesuch mit ausgiebigen Fahrten im offenen Wagen und wurde nahezu als Anachronismus wahrgenommen.28 Für den Schah entfiel 1967 diese Form des öffentlichen Auftritts, obwohl mutige Besuchsplaner sie für 20 So beim Besuch de Gaulles 1962, vgl. von Braun an Spreng, 18.9.1962, PA, B8, Bd. 490. 21 Randbemerkungen zum Staatsbesuch de Gaulles, Luxemburger Wort, 11.9.1962. 22 Vgl. Skibowski, Filmskript »Besuch des Vertrauens«, 15.10.1959, BA, B145/1435. 23 Vgl. die Dokumente in BA, B136/2070, Fiche 5; H.-W. Graf v. Finckenstein, »Eisenhower in Germany«, Die Welt, 24.8.1959, D. Schröder, Bonn inszeniert eine große Schau, SZ, 25.8.1959. Vgl. zum Mercedes als Zeichen nationalen Prestiges: Bonn sucht eine Staatskarosse, Allgemeine Zeitung, 18.8.1959. 24 Kennedy auch im Auto auf hoher Warte, Die Welt, 22.6.1963. 25 Aufzeichnung von Holleben, 11.8.1964, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.632; vgl. Aufzeichnung von Holleben, 4.11.1964, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.632. 26 Vgl. von Holleben an Daimler-Benz, 25.2.1965, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.632. 27 Vgl. Aufzeichnung von Holleben, 5.4.1965, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.632. 28 Vgl. z.B. Bericht Oppler, Ottawa, 31.5.1965, PA, B8, Bd. 922.
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kurze Zeit erwogen hatten.29 Ende der sechziger und bis in die späten siebziger Jahre blieben Fahrten ohne schützendes Verdeck rar. Ausnahmen gehenauf den Selbstdarstellungsdrang und/oder das politische Kalkül der Gäste zurück.30 Noch 1978 zollte Wolfgang Clement, Journalist bei der Westfälischen Rundschau, Jimmy Carter Respekt für eine Fahrt im offenen Wagen »in diesen Zeiten«, die durch die Konfrontation zwischen dem westdeutschen Staat und der Roten Armee Fraktion im »Deutschen Herbst« geprägt waren.31
2. Horror vacui und die Rekrutierung von Straßenöffentlichkeit Freilich plagten das Protokoll bis Mitte der sechziger Jahre vornehmlich andere Sorgen. Nicht die Sicherheit des Gastes stand im Vordergrund der Überlegungen, sondern die Straßenkulisse, die sich ihm bot. Charakteristisch war ein auf die Straßen bezogener Horror vacui.32 Dabei richteten sich die Überlegungen ganz auf die Wahrnehmung der Straße durch den Gast und veranschaulichen eine dominante Perspektive der fünfziger und frühen sechziger Jahre, als die mediale Wahrnehmung zwar von Gewicht war, ihr aber nicht das Hauptaugenmerk galt. Die Bereitschaft des Gastes, sich der westdeutschen Bevölkerung zu zeigen, brachte zugleich dessen Erwartungshaltung zum Ausdruck, im Gegenzug von den Menschen auf der Straße wahrgenommen zu werden. Deren Reaktionen und Interaktionen mit dem Gast waren wesentlicher Bestandteil der Inszenierung, die darin antiken Theaterstücken ähnelte, »in denen der Chor, das Volk darstellend, eine nicht minder große Rolle hat als die Schauspieler«.33 Entsprechend hoher Druck lastete auf den Regisseuren der Besuche, eine adäquate Kulisse und ein hinreichend großes Publikum zu schaffen, zumal Bonn über keine Prachtstraße verfügte und über »keine Millionenbevölkerung, die ganz von selbst ein genügend dichtes Menschenspalier bilden würde«.34 Bisweilen füllten sich auch in der Provinzstadt Bonn die Bürgersteige mit neugierigen Zuschauern. Vor allem Monarchen zogen die Menschen scheinbar ohne unterstützende Maßnahmen auf die Straßen. Die britische Prinzessin Mar29 Vgl. Protokoll über Vorbesprechung, Kostka, 18.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 30 Leonid Breschnew erschien 1973 durch eine Fahrt im offenen Wagen »weltoffener als erwartet«, G. Uhlemann, Der Besuch im Bild, RP, 23.5.1973. 31 W. Clement, Immer noch mit Gefühl, Westfälische Rundschau, 17.7.1978. 32 Vgl. zu den Ängsten u. Maßnahmen, um volle Straßen zu gewährleisten, für den Besuch Eisenhowers 1959: Spiritus an Protokoll, 20.8.1959; Michelsen an Spiritus, 29.8.1959, PA, B8, Bd. 223; für den Besuch de Gaulles 1962: Vermerk von Holleben, 10.8.1962; Vermerk von Braun, 14.7.1962, PA, B8, Bd. 490. 33 W. Wagner u. M. Wall, Die Deutschen und das Char(l)isma, Sonntagsblatt HH, 16.9.1962. 34 H. Purwin, Das Protokoll sucht eine Prachtstraße aus, NRZ, 18.8.1959.
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garet galt 1954 als Attraktion für »die weibliche Welt und die Jugend«, die »zu Tausenden« erwartet wurden: von »Offiziersfrauen der englischen Rheinarmee« bis hin zu »zahlreiche[n] Frauenorganisationen aus dem Ruhrgebiet und Westfalen«.35 Bei so viel weiblichem Interesse musste sich das Protokoll um den Empfang der britischen Prinzessin nicht sorgen. Pfadfinderinnen hatten darum gebeten, ein Spalier bilden zu dürfen;36 Schulmädchen gruppierten sich beim Abschied rund um den Abflugpunkt.37 Elf Jahre später, beim Besuch der Schwester Margarets, bemühte sich das Protokoll gar darum, den erwarteten Publikumsansturm räumlich zu entzerren, um den »Effekt (die Königin soll von möglichst allen Bevölkerungsteilen gesehen werden)« »besser und würdiger« sicherzustellen.38 Reisten prominente Staatsgäste in die Bundesrepublik, demonstrierten die Westdeutschen und ihre Nachbarn Mobilität. Schaulustige fuhren in Omnibussen zu den Stationen des Schah-Besuchs 1955.39 Um Augenzeugen von Charles de Gaulles Empfang beim ehemaligen Erzfeind zu werden, reiste 1962 eine Vielzahl Französinnen und Franzosen nach Bonn und belebte das dortige Hotelgewerbe.40 Ebenso entpuppte sich John F. Kennedy 1963 als touristischer Magnet. Laut Presseberichten rechnete die Polizei mit einem solchen Publikumsauf kommen durch Klassenausflüge und »Kennedy-Besichtigungsfahrten«, dass sie den Bonnern riet, den Besuch im Fernsehen zu verfolgen.41 Wenn das Protokoll zu wenig Publikum erwartete oder die vermuteten Menschenmengen potenzieren wollte, schöpften die Besuchsarrangeure aus einem breiten Fundus von Möglichkeiten, die Straßen zu füllen. Eine Möglichkeit bestand darin, auf staatliche Institutionen zurückzugreifen. Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr standen oftmals am Straßenrand bei Durchfahrten von Staatsgästen Spalier.42 Sicherlich geschah das auch zum Schutz der Gäste, doch ermöglichten umfangreiche Spaliere zudem, die Zahl der Menschen am Straßenrand in zweierlei Hinsicht zu erhöhen. Erstens ließen sich auf diese Weise Publikumslücken schließen.43 Walter Henkels erkannte den mehreren tausend westdeutschen Polizeibeamten zum Schutz Charles de Gaulles explizit Kulissenqualität zu: Die »Sicherheitsmaschinerie« reiche aus, »das Komparsenheer für einen Monumentalfilm zu liefern«.44 Darüber hinaus konnte ein großes »Auf35 Befehl des Polizeipräsidenten, 7.7.1954, PA, B11, Bd. 1286. 36 Vgl. Krug, Bund deutscher Pfadfinderinnen, an BPamt, 1.7.1954, PA, B11, Bd. 1286. 37 Vgl. Rundschreiben, Verabschiedung, 9.7.1954, PA, B11, Bd. 1286. 38 Aufzeichnung von Holleben, Betr.: Anruf OB Daniels, 13.2.1965, PA, B8, Bd. 911. 39 Vgl. Jubel um Persiens Kaiserpaar, Badische Zeitung, 4.3.1955. 40 Vgl. De Gaulle zu Mittag, General-Anzeiger, 5.9.1962. 41 R. Kilgus, Telefone müssen immer in Reichweite sein, Mannheimer Morgen, 21.6.1963. 42 Vgl. z.B. Pappritz an StS u. AM, 20.7.1956, PA, B8, Bd. 124; Befehl, Polizeipräsident, 6.5.1958, PA, B8, Bd. 193. 43 Vgl. Spalier von Wahn bis Bonn, Der Mittag, 15.8.1959; Ein »langer Bahnhof« für Präsident Eisenhower, Stuttgarter Zeitung, 15.8.1959. 44 W. Henkels, Wenn de Gaulle am Dienstag kommt, FAZ, 1.9.1962.
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gebot[…] an Uniformierten« den »Zulauf von Neugierigen« fördern.45 Vor dem Bahnhof oder auf dem Bonner Marktplatz wirkte die Polizei ebenfalls als Lockmittel, indem eine ihrer Musikkapellen oftmals bereits einige Zeit vor Eintreffen der Staatsgäste Märsche oder bekannte Melodien spielte.46 1959 trat die Polizei auch als Kommunikator zwischen Straßenpublikum und der Wagenkolonne Eisenhowers auf, indem sie ständig aktuelle Informationen über deren Standort per Lautsprecher durchgab.47 Ob die Polizei damals dazu aufrief, dem Präsidenten zuzujubeln, ist nicht bekannt. Nachdem 1967 Polizeibeamte die Bevölke-
Abb. 11: Polizeispalier für den Schah 1955
rung »über Polizeilautsprecher« dazu aufgefordert hatten, »das persische Herrscherpaar mit Beifall zu begrüßen«,48 wehrte sich die Polizei gegen eine solche Instrumentalisierung. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Werner Kuhlmann, kritisierte, »Polizeibeamte als Claqueure zu mißbrauchen«.49 Weitere polizeiliche Maßnahmen, die 1967 für Aufsehen und Widerstand sorgten, liefen in den fünfziger Jahren noch kritiklos ab. Auf iranischen Wunsch 45 G. Salzmann, Zuflucht unterm Türkenzelt, FR, 10.5.1958. 46 Vgl. z.B. »Vorurteile gegen Deutschland unbegründet«, General-Anzeiger, 18.11.1959; Ahmadou Ahidjo winkte von der Rathaustreppe, General-Anzeiger, 30.4.1963; Zwei Bundespräsidenten drückten sich herzlich die Hand, General-Anzeiger, 24.6.1964. 47 Vgl. Befehl Nr. 1, Polizeipräsident, 24.8.1959, PA, B8, Bd. 223, vgl. auch Ike, Ike, Ike, – I like Ike, Bremer Nachrichten, 27.8.1959; »Wir stehen auf Ihrer Seite«, Die Welt, 27.8.1959. 48 Der Schah-Besuch ist nicht zu aufwendig, Kölnische Rundschau, 2.6.1967. 49 Zit. n. ebd.
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hin wies die Bundesrepublik wegen des Schah-Besuchs 1955 drei iranische Studenten, in den Augen der iranischen Botschaft potentielle Störer und Sicherheitsrisiken, auf der Grundlage der Ausländerpolizeiverordnung vom 22. August 1938 aus und ließ 22 weitere Personen sowie deren Umfeld überwachen.50 Auch diese Maßnahmen lassen sich indirekt als Einflussnahme auf die Straßenöffentlichkeit lesen, da sie einen ausgewählten Personenkreis ausschlossen. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die Polizei angewiesen war, im Bereich der Bannmeile beim Besuch Eisenhowers »das Zeigen von Transparenten zu verhindern«.51 Für de Gaulles Visite hieß die Devise: »Gegendemonstrationen (einschließlich Zeigen von Transparenten) sind bereits im Anfangsstadium zu verhindern«.52 Auch beim Kennedy-Besuch beschlagnahmte die Polizei Spruchbänder.53 Die Tage vor dem eigentlichen Besuch waren bereits von dem nahenden Ereignis geprägt. Eine für den 22. Juni 1963 angemeldete Demonstration gegen die Notstandsgesetzgebung versuchte das Protokoll zu verhindern, da sich zu diesem Zeitpunkt schon eine große Anzahl Journalisten und Zuschauer wegen des bevorstehenden Besuchs in Bonn auf halten würde. Der Kennedy-Besuch steigerte das Aufmerksamkeitspotential für jede andere Veranstaltung in seinem zeitlichen und räumlichen Umfeld und barg die Gefahr, Protestveranstaltungen in das Blickfeld der »Weltpresse« zu rücken.54 Schließlich ließ die Stadtverwaltung die Demonstranten mit der Begründung gewähren, eine zu befürchtende illegale Demonstration könnte »auffälliger werden, da die Polizei dann wahrscheinlich mit Wasserwerfern vorgehen müßte«.55 Die genannten polizeilichen Maßnahmen allein sicherten freilich keine beeindruckende Kulisse bei Staatsbesuchen. Indirekt warben Informationen in der Lokalpresse über Fahrtrouten und -daten für die Teilnahme am Staatsbesuch. In einigen Fällen wählte das Protokoll direktere Maßnahmen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. In den Akten des Auswärtigen Amtes findet sich erstmals 1954 ein Beleg für den Versuch des Protokolls, die Westdeutschen zum freiwilligen Jubel zu animieren. Protokollchef von Herwarth bat den Bonner General-Anzeiger um die Veröffentlichung eines Aufrufs in Form eines anonymen Leserbriefs im Vorfeld des Besuchs des griechischen Ministerpräsidenten Papagos.56 Er begab sich damit auf eine Gratwanderung: Einerseits sah er sich im Zugzwang, dem griechischen Gast nach einem beeindruckenden Empfang 50 Vgl. Aufzeichnung von Tschirschky, 8.12.1954; Aufzeichnung Grolmann, 13.12.1954; zwei Mitteilungen von Oidtmann an Protokoll, 11.1.1955, PA, B8, Bd. 137. 51 Befehl Nr. 1, Polizeipräsident, 24.8.1959, PA, B8, Bd. 223. 52 Schnellbrief Innenministerium NRW an AA, 27.8.1962, PA, B8, Bd. 490. 53 Vgl. H. Klein, Frankfurter Jubel stach Bonn und Köln aus, Weser-Kurier, 26.6.1963. 54 Vermerk Holzheimer, 4.6.1963, PA, B8, Bd. 499. 55 Vermerk Holzheimer, 7.6.1963, PA, B8, Bd. 499. 56 Für das Folgende: von Herwarth an Els, 28.6.1954, PA, Bd. 49; vgl. Aufzeichnung Vorbe sprechung Protokoll, 10.6.1954, PA, B8, Bd. 49.
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Adenauers in Griechenland eine ebenbürtige Begrüßung zu bereiten. Andererseits wusste er, wie heikel sich dieser Versuch angesichts der mobilisierten Straßenöffentlichkeit in der NS-Zeit ausnehmen musste. Gezielt sprach er mögliche Bedenken an: »Mit dem Polizeistaat hat es ein Ende, und niemand wird uns eine Beflaggung befehlen, niemand wird uns ›auffordern‹, hinter Spalier an der Strasse zu stehen.« Er betonte den Jubel als freundliche Erwiderung und freiwilligen bzw. freiheitlichen Akt: »es sollte der Stolz eines freien Volkes sein, gerade ohne Zwang« zu jubeln. Auch bei späteren Besuchen veröffentlichte die Lokalpresse Aufforderungen an die Bevölkerung, Häuser und Straßen zu schmücken.57 Die benötigten Fahnen stellte die Stadtverwaltung zur Ausleihe bereit. Freilich zeigten sich die Bonner nicht immer gleichermaßen kooperativ. Für den Besuch des österreichischen Staatsoberhaupts 1964 wurde die Beflaggung erst »mit individuellen Telephongesprächen zum erfolgreichen Abschluß gebracht«.58 Eigeninitiative zeigten die Westdeutschen hingegen bei der Beflaggung für John F. Kennedy und Elizabeth II. Der Mannheimer Morgen berichtete 1963, das Auswärtige Amt habe eine Beflaggung für den Besuch des amerikanischen Präsidenten untersagt, weil diese nicht den Formen eines Arbeitsbesuchs entspräche. Erst auf »Drängen ihrer Bürger« habe die Bonner Stadtverwaltung 150 USA-Flaggen anfertigen lassen und »an beflaggungswillige Anlieger der Kennedy-Route« verteilt.59 Beim Queen-Besuch schmückten die Berliner ihre Wohnungen entgegen dem Vorsatz des dortigen Informationsamtes, weitgehend nicht zu beflaggen, in eigener Regie. Eine »große Stoffdruckerei« meldete »zahlreiche Fahnenbestellungen von öffentlichen und privaten Auftraggebern«, u.a. für das Telefunkenhaus.60 Als weitere Möglichkeit der Kulissengestaltung nutzten die Protokollmitarbeiter Schulklassen und Vereine. Zwar behauptete das Protokoll 1967, Schulen seien bei keinem Staatsbesuch aufgefordert worden, schulfrei zu geben.61 Doch die Akten zeichnen ein anderes Bild. Während sich die Protokollmitarbeiter Ende der sechziger Jahre von solchen Praktiken verbal distanzierten, bekannte der Filmtext zu »Kaiserliche Impressionen« über den Besuch des 57 Vgl. A. Winkelhofer, Der türkische Halbmond über Bonn, SZ, 7.5.1958; G. Salzmann, Zuflucht unterm Türkenzelt, FR, 10.5.1958; Kostenlose Trikoloren, General-Anzeiger, 3.9.1962; Es gibt Leihfahnen für den Staatsbesuch, Bonner Rundschau, 22.6.1964. Es wurde nicht nur, wie Moll behauptet, für die Besuche der Westalliierten zur Beflaggung aufgerufen, vgl. Moll, S. 281. 58 P. Koch, Der Besuch ohne Probleme, SZ, 25.6.1964. 59 R. Kilgus, Telefone müssen immer in Reichweite sein, Mannheimer Morgen, 21.6.1963; vgl. zur Beflaggung beim Kennedy-Besuch auch: BKamt an AA, 25.6.1963, BA, B136/2083, Fiche 10, p. 463; Vorlage Osterheld für StS, 27.6.1963, BA, B136/2083, Fiche 10, p. 485. 60 Schnell noch ein paar Ruinengrundstücke abräumen, Der Tagesspiegel, 19.5.1965. 61 Vgl. Büro Parl. StS an Prot., 3.8.1967; Aufzeichnung Welczeck, 7.8.1967, PA, B8, Bd. 1145. Entgegen Molls Forschungsergebnissen gab es nicht nur bei den Besuchen der Alliierten unterrichtsfrei, vgl. Moll, S. 281, sondern auch bei einigen anderen Besuchen.
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äthiopischen Kaisers 1954 freimütig: »Sämtliche Kinder haben Kaiser-Ferien. Dichtgedrängt säumen sie die Auffahrtstraßen und winken mit den Farben Äthiopiens.«62 Auch der Presse war bekannt, dass der Schulunterricht bei allen groß inszenierten Besuchen ausfiel.63 Die Polizei stellte die mit Fähnchen ausgestatteten Schüler gezielt an jenen Punkten auf, die publikumsreich wirken sollten.64 Neben den Schulkindern hatten beim Eisenhower-Besuch auch einige Betriebe und Behörden, darunter Bundesministerien, arbeits- bzw. dienstfrei.65 Im Übrigen erwartete eine Vielzahl von Vereinen den Gast am Straßenrand.66 Ein »Gutsbesitzer« aus der Eifel hatte ohne amtliche Nachhilfe seine Landarbeiter im Bus nach Bonn transportiert, um ihnen zu zeigen, »wem sie ihren Wohlstand verdanken«.67 Auch den französischen Staatspräsidenten erwartete ein ähnlich korporativ geprägtes Straßenbild. Neben Ministerialbeamten empfingen ihn Schützen-, Trachten- und Heimatvereine in ihren Trachten sowie Sportler, die zum Teil in Sportkleidung erschienen und ihre Wimpel mit sich führten.68 Diese beschriebene »Mobilisierung der Zuschauerkulisse«69 koordinierte nach Abstimmung mit dem Protokoll das Bundespresseamt, das wiederum die Durchführung nachweislich in den sechziger Jahren der so genannten Mobilwerbung überließ.70 Die bislang wenig erforschte Mobilwerbung arbeitete als Werbeagentur primär im Auftrag staatlicher Stellen. Man muss diesen Vorgang des Outsourcings staatlicher Tätigkeiten in privatwirtschaftliche Hände als Professionalisierungsprozess der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit begreifen, freilich mit der Einschränkung, dass die Mobilwerbung parteigebunden war und auf dem freien Markt nicht hätte überleben können. Das 1952 gegründe62 Typoskript »Kaiserliche Impressionen«, o.D., BA, B145/52. 63 Vgl. R. Strobel, Wenn ein Kaiser zu Besuch kommt …, Stuttgarter Nachrichten, 11.11.1954; G. Salzmann, Zuflucht unterm Türkenzelt, FR, 10.5.1958; Die Spalier-Soldaten, Der Spiegel, 14.5.1958; Die Türken in Bonn, Vorwärts, 16.5.1958; A. Winkelhofer, Der türkische Halbmond über Bonn, SZ, 7.5.1958; M. Fackler, Die Marseillaise und das Deutschlandlied, SZ, 15.9.1962; B. Nellessen, Und dann läutete die Glocke der Freiheit, Die Welt, 27.6.1963. 64 Vgl. z.B. Befehl, Polizeipräsident, 6.5.1958, PA, B8, Bd. 193; Befehl Nr. 1, Polizeipräsident, 24.8.1959, PA, B8, Bd. 223. Fotografien des Eisenhower-Besuchs lassen eine gezielte Platzierung von Kindern vermuten, vgl. BA, B145, Bild-F006850-0004f. 65 Vgl. Beifall, Die Welt, 21.8.1959; R. Woller, Dwight D. Eisenhowers Triumphzug durch Bonn, Weser-Kurier, 27.8.1959. 66 Vgl. Bonn will Eisenhower einen stürmischen Empfang bereiten, Die Welt, 17.8.1959. 67 Zit. n. R. Horch, Größter Bahnhof aller Zeiten, Die Welt, 27.8.1959. 68 Vgl. Zu Wasser und zu Lande, Der Spiegel, 15.8.1962; Programmentwurf Düsseldorf, 16.8.1962, PA, B8, Bd. 490; H.G. von Studnitz, De Gaulle kam, sah und siegte, Christ und Welt, 14.9.1962. 69 Vgl. Aufzeichnung Kostka, 1.8.1962, BA, B145/3108, Bd. 1. 70 Als Auftraggeber trat das Bundespresseamt auf u. nicht »proforma die BPA-nahen Vereine«, wie Buchwald für die fünfziger Jahre konstatiert, vgl. Buchwald, S. 59.
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te Public-Relations-Unternehmen71 diente anfänglich der erweiterten Propaganda für die konservative Regierung und entwickelte sich zu einem staatlich subventionierten »›Mädchen für alles‹«.72 Als Standardmaßnahme verteilte die Mobilwerbung ab den frühen sechziger Jahren bei Staatsbesuchen Papierfähnchen in Schwarz-Rot-Gold und den Farben des Gastlandes und wies in Rundfahrten mit Lautsprecherwagen auf den jeweiligen Besuch hin, um die Menschen auf die Straße zu locken.73 Das mögliche Ausmaß solcher Werbemaßnahmen veranschaulicht eindrücklich der Einsatz der Mobilwerbung beim Besuch Charles de Gaulles 1962. Im Auftrag des Bundespresseamtes sollte Klaus Otto Skibowski74 die Öffentlichkeitsarbeit für diesen Besuch organisieren, d.h. die »Heranführung von Betriebsbelegschaften, Schulklassen, Anbringung von Spruchbändern und dergl.«75 Unter seiner Leitung fuhr die Mobilwerbung die Strecken ab und verhandelte mit Bürgermeistern und Schulbehörden über die Freistellung der Schüler für den Jubel am Straßenrand.76 Zusätzlich sprachen die Propagandamitarbeiter CDU-Kreis- und Ortsverbände an; ebenso konnte die Europajugend für eine Teilnahme gewonnen werden. Schulen und Verbänden wies man jene Plätze an, an denen die Besuchsgestalter nicht viel Publikum erwarteten. Auch bei der dekorativen Ausgestaltung des öffentlichen Raums in den besuchten Städten und Gemeinden zeigte sich die Mobilwerbung aktiv. Neben 600 französischen Fahnen, sieben Transparenten mit den Aufdrucken »Herzlich willkommen« und »Deutschland grüßt Frankreich«, sechs Großflächenplakaten »Deutschland grüßt Frankreich« sowie 2 100 blau-weiß-roten Luftballons rechnete die Mobilwerbung 600 Großfotos mit Doppelportraits von de Gaulle und Adenauer oder Lübke sowie 1 500 Farbbilder de Gaulles ab. Von dem Angebot 71 Der Begriff »Public Relations« stammt aus den USA u. trat in der deutschen Wirtschafts- u. Werbeliteratur erstmals in den späten dreißiger Jahren auf, vgl. Heinelt, S. 11f. 72 Aufzeichnung Küffner, 31.8.1962, BA, B145/6159. So zeigte die Mobilwerbung mit Filmvorführwagen propagandistische Filme in kleineren Ortschaften, vgl. Buchwald, S. 71–74. Sie gehörte zu einem Geflecht »vordergründig privatwirtschaftlich verfasste[r] Propagandaorganisationen«, das Otto Lenz u. Ernst Peter Neumann in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre entwickelten, Grube, S. 292; vgl. Buchwald, S. 59 u. 71; Im Zentrum der Macht. Vgl. zur Motivation für die Gründung 1951/2: ACDP, Nachlass Hermann Gottaut, I-351/008-1. Zu Beginn der fünfziger Jahre nahm die Bundesregierung zudem kommerzielle Public-Relations-Agenturen im Ausland für die dortige Öffentlichkeitsarbeit unter Vertrag, vgl. Hoffmann, Vorsicht, S. 289–327. 73 Vgl. Rechnung vom 23.5.1963, B145/3114; Mobilwerbung an BPA, 28.7.1965, BA, B145/3126; Abrechnung Mobilwerbung, 23.8.1965, BA, B145/3112, Bd. 1. 74 Skibowski beriet Adenauer seit den fünfziger Jahren in Public-Relations-Fragen u. organisierte öffentliche Auftritte u. Wahlkämpfe. Sein Vertrag lief über die so genannten Reptilienfonds des Bundespresseamtes, Haushaltstitel 300. 75 Vermerk Hille, 19.7.1962, PA, B8, Bd. 490. 76 Vgl. auch für das Folgende: Mobilwerbung an Krüger, 20.8.1962, B145/3108, Bd. 1; Protokoll über 3. Besprechung im BPA am 21.8.1962, Ilgner, 23.8.1962, BA, B145/4669; Mobilwerbung, Bericht über Leistungen, o.D., BA, B145/3108, Bd. 3.
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an Großbildern machten die angesprochenen Geschäftsleute regen Gebrauch und platzierten die »Großen Europas« teils mit Trikolore und Bundesflagge geschmückt zwischen »Dauerwürsten und Rollschinken, Rollkragenpullovern und Küchenherden, französischem Kognak und jugoslawischem Ziegenkäse« und sogar »zwischen Gartenzwergen«.77 Ähnliche Szenarien zeichneten Journalisten von den Besuchen John F. Kennedys – hier ergänzten die Läden ihre Auslagen zusätzlich um den von Kennedy geliebten Schaukelstuhl – und der britischen Königin, wobei in diesem Fall die britische Botschaft 5 000 Farbportraits von Elizabeth II. und Prinz Philip ausgab.78 Freilich ehrten die rheinischen Geschäftsleute mit solchen Dekorationen nicht nur die nahenden Gäste, sondern nutzten sie zur Kommerzialisierung der Mächtigen, indem sie deren Namen und Konterfeis mit ihren Produkten verknüpften.79 Schon anlässlich Haile Selassies Reise nach Westdeutschland 1954 bezeichnete sich ein Godesberger Delikatessenhändler als »Hoflieferant Seiner Majestät des Kaisers von Aethiopien«; eine Druckerei, die Programme für eine Abendveranstaltung druckte, nannte sich »Hofdruckerei«.80 Ein Jahr später zierte in Hamburg rechtzeitig zu ihrem Besuch ein großes Portrait der persischen Kaiserin die Schaufenster von Textilgeschäften – »malerisch umrahmt von Damenstrümpfen Marke ›Soraya‹«.81 Besonderes Umsatz steigerndes Potential erhofften sich Geschäftsleute von Elizabeth II. Die großen Textilgeschäfte in der Münchener Innenstadt dekorierten ihre Schaufenster mit Schottenkaros und drapierten den Union Jack »über Schuhen und Strümpfen, und Königin Elisabeth lächelt huldvoll zwischen Haarbürsten und Badesalz«.82 Neben »königlich schmeckenden Bonbons« in Dosen mit dem Bildnis der Königin boten Konditormeister Pralinen in so genannten Schottenpackungen an.83 Schallplatten der Royal Marines sollten die Kunden ebenso locken wie eine Platte zur Krönung von 1953 oder die Schnulzensammlung »Queen Elizabeth, ja du bringst uns heut ein Märchen in Wirklichkeit«, die allerdings ein Ladenhüter blieb. Ein Münchner Hotel ließ während des Besuchs einen Küchenchef aus London für 77 De Gaulle zu Mittag, General-Anzeiger, 5.9.1962; vgl. E. Tiefenbach, Die Arme hoch, Vorwärts, 12.9.1962; 200 000 Menschen grüßten den Staatschef Frankreichs, General-Anzeiger, 5.9.1962. Eine solche Schaufenstergestaltung dokumentiert BA, B145, Bild-F013878-0007. 78 Vgl. Grauer Baldachin für den Präsidenten, Kölnische Rundschau, 22.6.1963; Das offizielle Bild der Queen zum Staatsbesuch, Abendpost, 14.5.1965; Schnell noch ein paar Ruinengrundstücke abräumen, Der Tagesspiegel, 19.5.1965. Für den Kennedy-Besuch bemühte sich Kennedys deutscher Verlag, der Econ-Verlag, um die Ausschmückung der Buchhandlungen mit KennedyPlakaten, vgl. Leistungsbericht Mobilwerbung, Sablautzki, 2.7.1963, B145/3119, Bd. 3. 79 Vgl. zur Kommerzialisierung der Monarchenbegegnungen am Ende des 19. u. Anfang des 20. Jahrhunderts Paulmann, Pomp und Politik, S. 386–400; Giloi Bremner. 80 W. Henkels, Mehr als ein Staatsbesuch, Stuttgarter Zeitung, 13.11.1954. 81 Textile Begrüßung: Strümpfe Marke »Soraya«, Abendpost (Frankfurt), 25.2.1955. 82 Die Queen auf der Bonbonschachtel, Münchner Merkur, 21.5.1965. 83 Hymnen-Potpourri für Elizabeth II. in Berlin?, FR, 14.5.1965.
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seine Gäste kochen. Weniger Erfolg hatte in dieser Hinsicht Eisenhower. Sein Bildnis fand, der Presse nach zu urteilen, eher aus staatsbürgerlicher Pflicht denn als Verkaufsmagnet in die Schaufenster.84 Bei weniger bedeutenden Besuchern beschränkten sich die Kaufleute auf länderspezifische Schaufensterdekorationen und Warenangebote.85 Der kommerzielle Einsatz der Großbilder zeigt den Rang des oder der Dargestellten im Wettbewerb um das Aufmerksamkeitsprivileg. Er war kostenlose Reklame und Verbreitung für das dargestellte Staatsoberhaupt; umgekehrt verlieh sein Abbild den gekauften Waren »einen überalltäglichen Wert«.86 Dabei galt zwar noch die Regel, dass sich Monarchen besonders gut verkauften, aber ihre demokratischen Pendants hatten seit dem beginnenden 20. Jahrhundert deutlich an Popularität aufgeholt. Nicht nur diese Verknüpfung von Politik und Kommerz wusste die Mobilwerbung 1962 zu nutzen. Sie erregte gezielt die Aufmerksamkeit der westdeutschen Bevölkerung für den Besuch aus Frankreich und reichte ihr das Werkzeug zum Jubel an die Hand. Die PR-Experten in den so genannten Werbomobilen gaben Kleinprogramme und 250 000 westdeutsche und französische Fähnchen – 50 000 mehr als geplant – an die Bevölkerung aus.87 Sieben Lautsprecherwagen und ein Mercedes 220 kamen auf den verschiedenen Fahrtstrecken zum Einsatz; sie verteilten eine halbe Stunde vor Eintreffen der Eskorte Fähnchen und forderten die Anwohner durch Lautsprecher auf, »den staatspraesidenten zu begruessen«.88 Besonders intensiv beschallte die Propagandagruppe die Städte Bonn, Köln, Düsseldorf und Ludwigsburg.89 Damit nicht genug, erweiterte die Mobilwerbung das Spektrum der Attraktionen. Die zeitgenössische Presse schrieb den Staatsbesuchen immer wieder einen Volksfestcharakter zu. In der Tat griffen die Ausrichter bei der Ausgestaltung der Besuche auf Elemente von Volksfesten zurück – wie etwa die schon erwähnten Musikvorführungen und Umzüge.90 Die Mobilwerbung ergänzte dieses Set um diverse andere Attraktionen, die neben dem Gast das Interes84 Vgl. R. Woller, Dwight D. Eisenhowers Triumphzug durch Bonn, Weser-Kurier, 27.8.1959. 85 Vgl. PA, B36, Bd. 215, Fiche 3, p. 191f. 86 Ähnliche Beobachtungen konnte Paulmann für die Monarchenbegegnungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert machen, Paulmann, Pomp und Politik, S. 386–389, Zitat S. 387. 87 Vgl. Mobilwerbung an Krüger, 20.8.1962, B145/3108, Bd. 1; Mobilwerbung, Bericht über Leistungen, o.D., BA, B145/3108, Bd. 3. 88 Fernschreiben Innenminister NRW an Regierungspräsident, 3.9.1962, PA, B8, Bd. 492. Neben den geschilderten Besuchen kamen die Lautsprecherwagen auch bei den Besuchen Osmans u. Saragats 1965, Bourguibas 1966, Houphouët-Boignys u. Tombalbayes 1967 zum Einsatz, vgl. die Dokumente in PA, B8, Bde. 1127,1145 u. 1050; BA, B145/3112, Bde. 1 u. 2 sowie B145/3126. 89 Mobilwerbung, Bericht über Leistungen, o.D., BA, B145/3108, Bd. 3. 90 Vgl. zur Programmstruktur von Volksfesten Brunner, S. 102. Vgl. grundsätzlich zur Geschichte der Volksfeste Blessing.
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se der Bevölkerung wecken sollten. Beim De-Gaulle-Besuch arrangierten die PR-Experten ein Tagesfeuerwerk in Bonn; in Düsseldorf ließen sie Fahnen in die Luft schießen.91 Vergleichbare Werbemaßnahmen übernahm die Mobilwerbung mit Skibowski als Koordinator auch für den Besuch John F. Kennedys. Wie zuvor beriet sie die involvierten Kommunen bei der Ausschmückung, warb mit Lautsprecherwagen akustisch für den Besuch, koordinierte die Aufstellung der Bevölkerung und verteilte 300 Großfotos an Groß- und Einzelhändler, 103 700 amerikanische und 70 800 bundesrepublikanische Papierfähnchen sowie zusätzlich 250 Wachsfackeln an die Bevölkerung.92 Geplant war ebenso die Ausgabe von 400 US-Fahnen, 5 000 Anstecknadeln sowie 200 Medaillen mit dem Motiv Kennedy-Adenauer. Die »Herzlich willkommen«-Plakate des De-Gaulle-Besuchs sollten erneut zum Einsatz kommen.93 Wie für de Gaulle arrangierte die Mobilwerbung ein Tagesfeuerwerk, bei dem ein Feuerwerker kurz vor Eintreffen der Fahrzeugkolonne am Bonner Verteilerkreis Luftprojektile mit amerikanischen und westdeutschen Papierflaggen abfeuerte.94 Zudem sollte ein Zeppelin ein Grußtransparent durch den Bonner Luftraum ziehen.95 Am Abend des Ankunftstages sollte das rechte Rheinufer von Beuel aus illuminiert werden und ein pyrotechnischer Wasserfall von einer Rheinbrücke den Höhepunkt des Abends bilden. Während Kennedys Abendessen im Amerikanischen Club in Bad Godesberg am Folgetag trieben 6 000 Lichtbecher in den amerikanischen Farben auf dem Rhein, die das Innenministerium NRW sowie die Bonner Polizei der Stadt Godesberg zuschrieben, deren Organisation aber ebenfalls auf das Konto der Mobilwerbung ging. In Absprache mit Polizei und Mobilwerbung brachten sich die Kommunen im Bonner Umfeld durch die Beteiligung ihrer Schulen, ein Fackelspalier der Bad Godesberger Feuerwehr sowie die Korsofahrt kommunaler Ruderverbände auf dem Rhein in die Besuchsgestaltung ein.96 In diesem Fall kümmerte sich die Mobilwerbung auch um die Nachbereitung des Besuchs: Sie sorgte dafür, dass die Verwaltung der aki-Aktualitäten-Kinos 91 Vgl. Mobilwerbung, Bericht über Leistungen, o.D., BA, B145/3108, Bd. 3. Ein ähnliches Spektakel hatte sich auch Eisenhower geboten, vgl. H.-W. Graf v. Finckenstein, »Eisenhower in Germany«, Die Welt, 24.8.1959. Hier ist die Beteiligung der Mobilwerbung nicht bekannt. 92 Vgl. Leistungsbericht Mobilwerbung, Sablautzki, 2.7.1963, B145/3119, Bd. 3. 93 Mobilwerbung an Niebel, BPA, 21.6.1963, B145/3119, Bd. 3. Die Idee für die Anstecknadeln ging offenbar von Skibowski aus, der ursprünglich 20 000 anvisierte, vgl. Mobilwerbung an Niebel, BPA, 20.5.1963 u. Mobilwerbung, Kostenvoranschlag, 20.5.1963, BA, B145/3118, Bd. 1. 94 Vgl. Fernschreiben Innenminister NRW, 20.6.1963; Befehl Nr. 2, Polizeipräsident Bonn, 20.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 95 Vgl. Kostenvoranschlag, BPA, 24.5.1963, BA, B145/3118, Bd. 1. 96 Vgl. Fernschreiben Innenminister NRW, 20.6.1963; Befehl Nr. 2, Polizeipräsident Bonn, 20.6.1963, PA, B8, Bd. 497; Leistungsbericht Mobilwerbung, Sablautzki, 2.7.1963, B145/3119, Bd. 3.
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Fotomontagen des Besuchs in ihren Schaukästen ausstellte, und zeigte vom 20. Oktober bis zum 30. November 1963 den Film, den das Bundespresseamt von dem Besuch hergestellt hatte, in der bayerischen Provinz.97 Illuminationen kennzeichneten ebenfalls den Besuch des dritten Staatsoberhaupts einer alliierten Siegermacht, das Bonn empfing. Wenngleich die Akten eine Involvierung der Mobilwerbung nicht dokumentieren, diente deren Art der Gestaltung gewiss als Vorlage. Für Elizabeth II. erstrahlte während eines Abendempfangs der »Rhein in Flammen« sowie etwas später ein Feuerwerk auf dem Drachenfels, in Godesberg und auf der Godesburg.98 Dieses Spektakel beschränkte sich nicht auf eine von staatlicher Seite ausgerichtete Illumination, vielmehr war – im Sinne der staatlichen Integration – der einzelne Bürger aufgerufen, »Lichter in den Fenstern der Wohnungen« zu zeigen, »als ganz persönlichen Gruß jedes einzelnen«.99 Auf Schloss Langenburg in BadenWürttemberg dienten Fackeln der »Abschiedsillumination«. Andere mögliche effektvolle Darbietungen »zur Erhöhung der Aufmerksamkeit des Publikums« stellten so genannte »Blitzknallbomben« dar, die neben den beschriebenen Fahnenbomben beim Besuch Giuseppe Saragats 1965 eingesetzt wurden.100 Ob de Gaulle davon wusste, dass die amtlichen Stellen bei der Straßenöffentlichkeit, der er begegnete, nachgeholfen hatten und die Kundgebung in der August-Thyssen-Hütte gewollt »den Charakter einer spontanen Veranstaltung erhalten« sollte, geht aus den zur Verfügung stehenden Quellen nicht hervor.101 Er verlor darüber jedenfalls kein Wort. Anders John F. Kennedy, der den »spontanen Empfang« in einer Tischrede öffentlich anzweifelte und fragte, »ob all die vielen Flaggen und Fähnchen […] wirklich alle aus den einzelnen Familien kamen«. Er habe »das Gefühl, daß hier jemand nachgeholfen hat«.102 Dieser Umstand schien weder den angesprochenen Adenauer zu beeindrucken, der eingeworfen haben soll: »Aber jewunken haben die Menschen spontan«,103 noch die westdeutsche Presse, da sie vom Einsatz einer Werbeagentur bei Staatsbesuchen, der Ausgabe von Bildern der Gäste und Gastgeber an Geschäftsleute oder den Feuerwerken wusste und ein solches Wissen auch bei den Gästen voraussetzte. Von Kennedy erwarteten die Stuttgarter Nachrich97 Vgl. Leistungsbericht Mobilwerbung, Sablautzki, 2.7.1963, B145/3119, Bd. 3; Mobilwerbung, Schlußbericht über Filmvortragsveranstaltungen in Bayern, BA, B145/4045. 98 Einsatzbefehl Nr. 1, Polizeipräsident Bonn, 11.5.1965, PA, B8, Bd. 916. Der »Rhein in Flammen« findet zwischen Linz u. Bonn seit 1932 jährlich am 1. Samstag im Mai statt, vgl. Ernst, S. 105f. 99 Fahnenmeer, Böller und Feuerwerk, WamS, 16.5.1965. 100 Kostenvoranschlag Mobilwerbung, 24.6.1965 u. Abrechnung Mobilwerbung, 23.8.1965, BA, B145/3112, Bd. 1; vgl. auch Abrechnung Mobilwerbung, 23.8.1965, BA, B145/3112, Bd. 1. 101 Aufzeichnung Besprechung über Vorbereitung Besuch August-Thyssen-Hütte, 10.8.1962, PA, B8, Bd. 490. 102 Bulletin des BPA, Nr. 108, 25.6.1963, S. 961. 103 P. Brügge, Die seltsame Wandlung des John F. Kennedy, Der Spiegel, 3.7.1963.
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ten, dass er zwischen organisiertem Jubel und »echte[m] Gefühl« unterscheiden könne.104 Der Mannheimer Morgen zitierte anlässlich des Kennedy-Besuchs gleichsam autoritativ einen Public-Relations-Mitarbeiter, der wahrscheinlich bei der Mobilwerbung arbeitete: »›In eine Demokratie gehören Farben, wenn sie den Leuten gefallen soll.‹«105 Dieses Wissen schien sich auch bei einigen Gästen durchzusetzen und sie zur Eigeninitiative in PR-Fragen zu führen. Die marokkanische Botschaft erfragte 1964 vor dem Besuch König Hassans die Möglichkeiten propagandistischer Hilfestellung, nachdem die Marokkaner bei Besuchen in den USA und Frankreich erfolgreich mit PR-Agenturen zusammengearbeitet hatten. Das Bundespresseamt stellte den Kontakt zur Mobilwerbung her, die an den Besuchstagen zum Einsatz kam.106 Die Ära der Mobilwerbung endete 1967 wegen mangelnder Einnahmen mit ihrer Liquidation.107 Die Mobilwerbung erwies sich nicht nur wirtschaftlich als anfechtbar. 1965 und 1966 bildete sie einen zentralen Punkt in den Anklagen des SPD-Abgeordneten Gerhard Jahn gegen die Bundesregierung wegen des verfassungswidrigen Gebrauchs von Haushaltsmitteln.108 Wenngleich sich der Fortgang der Liaison zwischen staatlichen Stellen und PR-Agenturen noch nicht eindeutig nachzeichnen lässt, ist doch sicher, dass die Zusammenarbeit keinesfalls mit der Auflösung der Mobilwerbung und dem Wechsel zu einer SPD-Regierung endete.109 Mit Hilfe der Mobilwerbung sorgten die westdeutschen Gastgeber für die von der Regierung gewünschten Transparente. Die Menschen auf der Straße sowie jede freie Fläche galten als potentielle Träger von Botschaften. Schon für den Eisenhower-Besuch hatten die Bonner Gastgeber ihre Dankesbotschaften auf Litfaßsäulen visuell ausgebreitet und die Reklameträger 1962 für de Gaulle »mit Freundschaftsparolen versehen«.110 PR-Fachleute planten Plakate, so genannte »spontane Transparente«.111 Auf diesem Feld agierte die Mobilwerbung 104 R. Strobel, Der Kennedy-Besuch, Stuttgarter Nachrichten, 26.6.1963. 105 Zit. n. R. Kilgus, Telefone müssen immer in Reichweite sein, Mannheimer Morgen, 21.6.1963. 106 Vgl. Aufzeichnung Mattar, 9.8.1963; Mobilwerbung an Mattar, 8.3.1965; Mobilwerbung an marokkanische Botschaft, Bakhat, 8.11.1965, BA, B145/3121, Bd. 1; Rechnung Mobilwerbung, 27.1.1966, BA, B145/3121, Bd. 2. 107 Die Unterlagen zur Liquidation finden sich in BA, B145/6163. 108 Vgl. die Dokumente in ACDP, Nachlass Gottaut, I-351/008-1. 109 Vgl. Drittes Kap., III.3. 110 Plakate, Raketen und Fähnchen, Lübecker Freie Presse, 22.8.1959; vgl. H. Purwin, Tri umphfahrt Eisenhowers durch die Bundeshauptstadt, Hamburger Echo, 27.8.1959; Kostenlose Trikoloren, General-Anzeiger, 3.9.1962. Eine Litfaßsäule für de Gaulle dokumentiert BA, B145, Bild-F013837-0001. Der Vorwärts behauptete, die Litfaßsäulen seien erstmals für den Besuch de Gaulles gemietet worden, vgl. E. Tiefenbach, Die Arme hoch, Vorwärts, 12.9.1962. 111 Protokoll über 3. Besprechung im BPA, 21.8., Ilgner, 23.8.1962, BA, B145/4669; vgl. Mo bilwerbung an Krüger, 20.8.1962; Kostenvoranschlag, BPA, 24.5.1963, BA, B145/3118, Bd. 1.
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in Kooperation oder Absprache mit anderen Gruppen. Der Ursprung einiger Plakate lässt sich nur schwer rekonstruieren, doch einiges spricht für die Federführung der Mobilwerbung. Betrachtet man die Aufnahmen der amtlichen Fotografen von den Massenveranstaltungen mit Charles de Gaulle auf dem Bonner Markt oder vor der Münchner Feldherrnhalle, stechen Plakate mit den gedruckten Aufschriften in korrektem Französisch ins Auge: »Nous deman-
Abb. 12: Bestellte Plakate für de Gaulle in Bonn 1962
dons une Europe fédérée« und »Vive la France! Vive l’Europe unie!«.112 Ein Blick in die Abrechnungen des Bundespresseamtes offenbart, dass die Jungen Europäischen Föderalisten, die Junge Union und kooperierende Pfadfindergruppen solche Plakate in Rechnung stellten.113 Bei der Herstellung einer vergleichbaren optischen Kulisse für den KennedyBesuch wirkte zwar die Mobilwerbung mit einigen Transparenten mit, doch trat 112 Vgl. zusätzlich zur Abbildung: BA, B145, Bild-F013922-0001 (München). 113 Vgl. die Rechnungen in BA, B145/3109, Bd. 4.
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hier der Volksbund für Frieden und Freiheit (VFF) als maßgebliche Kraft in Erscheinung. In Absprache mit dem Auswärtigen Amt brachte der VFF in der Bonner und Kölner Innenstadt Transparente an.114 Möglicherweise erklärt sich dieser besondere Einsatz des VFF über dessen Kontakte zu amerikanischen Stellen.115 Das Tätigkeitsfeld des 1950 gegründeten Volksbunds, »einer der bedeutendsten antikommunistischen Propagandaorganisationen der Bundesrepublik«, bestand darin, antikommunistische Plakate und Broschüren zu verbreiten, und glich damit dem einer »politische[n] Werbeagentur«.116 Jedoch beschränkte sich der VFF nicht auf reine Agitation, sondern erwies sich ebenso als »Organisation fürs Grobe«, die den Saalschutz bei CDU-Veranstaltungen übernahm, KPD-Veranstaltungen störte und als Agent der CDU Informationen über KPD-Mitgliedschaften zusammentrug.117 Der späteren Tätigkeit bei Staatsbesuchen ähnelte ein Einsatz des VFF 1952, als er auf Staatskosten eine Demonstration gegen den Besuch einer DDR-Volkskammer-Delegation arrangierte: Für fünf Deutsche Mark pro Stunde sollten eigens angeheuerte Studenten Transparente mit Protesten in die Wochenschaukameras halten und die Gäste mit Tomaten bewerfen.118 Eine gegenteilige Wirkung sollte der Volksbund, dem »150 trainierte Leute« angehörten, beim Besuch Charles de Gaulles erzielen, indem er nicht nur als »zivile Sicherungsgruppe« auftrat, sondern auch als Jubelpublikum einsprang, »wo Ovationen gewünscht wurden und voraus114 Vgl. Befehl Nr. 2, Polizeipräsident Bonn, 20.6.1963, PA, B8, Bd. 497; VFF an Polizeipräsi dent Bonn, 18.6.1963, BA, B136/2083, Fiche 5, p. 232f. 115 Vgl. Stöver, S. 364–366. 116 Die Zitate im Text stammen aus Stöver, S. 364 u. Körner, Die rote Gefahr, S. 26. Grund sätzlich zum VFF Friedel; Hirsch, S. 218–222; Körner, Die rote Gefahr, S. 21–74; Stöver, S. 364– 366. Vgl. zur Propagandaarbeit, die sich an Gastarbeiter richtete, Herbert, Ausländerpolitik, S. 214. Eberhard Taubert, der während des Dritten Reiches die Ostabteilung im Propagandaministerium leitete, initiierte den Volksbund, dem auf internationaler Ebene der CIAS, das Internationale Komitee für Information u. Soziale Aktion, entsprach. Die Angaben zur Finanzierung sind heterogen: Körner benennt den US-Geheimdienst, die Bundesregierung (Haushaltstitel 300) u. das Auswärtige Amt als Geldgeber, vgl. Körner, Die rote Gefahr, S. 28–36, 55f., während Stöver das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen nennt, vgl. Stöver, S. 364. Obwohl Tauberts NS-Vergangenheit 1955 öffentlich diskutiert wurde, hielten die Regierungsstellen inoffiziell an Taubert u. dem VFF fest. Laut Körner wurden die Zahlungen an Taubert 1959 eingestellt, vgl. Körner, Die rote Gefahr, S. 62. Doch hielt die Zusammenarbeit, so das Ergebnis meiner Forschungen, auch in den sechziger Jahren an. Aus den Akten des Auswärtigen Amtes geht hervor, dass das Informationsreferat Ausland in den sechziger Jahren den VFF finanziell unterstützte. Aufgabe des VFF war die »militante antikommunistische Propaganda durch Teilnahme an internationalen Konferenzen u. durch Schrifttum. Die Organisation tut das, was wir offiziell nicht tun können.« Vermerk von Welczeck, Betr. Anruf von Cramer, 10.6.1963, PA, B8, Bd. 499. Ansprechpartner im Auswärtigen Amt waren in den sechziger Jahren Waiblinger u. Wickert, vgl. PA, B40, Bde. 30–32. 117 Vgl. Körner, Die rote Gefahr, S. 27f. Skibowski erwähnte im Interview 2005, dass der VFF Ordnungsfunktionen übernahm bzw. Ordner rekrutierte u. einwies. 118 Vgl. ebd., S. 46f.
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zusehen war, dass nicht genügend Zivilbevölkerung vorhanden ist«.119 Vor dem Besuch de Gaulles teilte das Bundeskanzleramt ihrem Kontaktmann und Leiter der Maßnahmen, Piper,120 Zeiten und Orte mit, »an denen es […] geraten erscheint, dass der General von der Bevölkerung begrüsst wird«.121 Zwar musste der geplante Einsatz aus finanziellen Gründen beschränkt werden, doch mischten sich an den zentralen Punkten der Fahrtroute VFF-Mitarbeiter unter die Bevölkerung.122 Wie viel Anteil der VFF am tatsächlichen Jubel hatte, lässt sich kaum ermessen. Doch lässt sich feststellen, dass nicht nur Spontaneität am Werk war, wie es einige Printmedien vermuteten.123 Das deutliche staatliche Engagement bei der Gestaltung der Straßenkulisse in der Bundesrepublik legt einen Vergleich mit den inszenierten Massenveranstaltungen der DDR nahe. Dieser Vergleich gestaltet sich schwierig, da die Forschungen zu den staatlichen Inszenierungen der DDR sich auf deren Inhalte und Dramaturgien einerseits und andererseits auf das Propagandasystem en gros konzentrieren.124 Wie hingegen und mit welchem Erfolg im Einzelfall Öffentlichkeit hergestellt wurde, bedarf noch genauerer Untersuchungen. Eine Ähnlichkeit zwischen Bundesrepublik und DDR bestand darin, dass die staatlichen Akteure aktiv Straßenöffentlichkeit gestalteten, mit dem Unterschied, dass in Westdeutschland auch nichtstaatliche Akteure ihre Anliegen im Straßenbild repräsentierten und die staatlichen propagandistischen Verfahren sich öffentlicher Kritik unterziehen mussten.
3. Nichtstaatliche Interessengruppen im Straßenbild Bei allem genannten staatlichen Aufgebot für ein beeindruckendes Straßenpublikum verfügten die amtlichen Stellen nicht allein über die öffentliche Bühne bei Staatsbesuchen, sondern mussten deren propagandistische Nutzung durch Interessengruppen dulden. Zwischen 1959 und 1965 prägten vor allem zwei nichtstaatliche Gruppen das Bild westdeutscher Straßenöffentlichkeit, das sich den Gästen und einer durch die mediale Übermittlung potentiell weltweiten Öffentlichkeit bot: das Kuratorium Unteilbares Deutschland (KUD) und die in verschiedenen 119 Vermerk Welczeck, Betr.: Telefonische Rücksprache mit Herrn Cramer, CIAS u. VFF, 11.6.1963, PA, B8, Bd. 499. 120 Die Person Piper bleibt opak. Skibowski glaubte sich im Interview 2005 daran zu erinnern, dass Piper während des »Dritten Reichs« Kriminalrat gewesen sei, u. vermutete, dass er wegen seiner NS-Aktivitäten nicht wieder in den Kriminaldienst übernommen worden sei. 121 Vgl. Vermerk Barth, 17.8.1962, BA, B136/2080, Fiche 4, p. 173. 122 Vgl. Vermerk Barth, 24.8.1962, BA, B136/2080, Fiche 5, p. 223. 123 Vgl. z.B. Freundschaft in der Gemeinschaft, Badische Zeitung, 8.9.1962. 124 Vgl. etwa Gibas, Propaganda; Gibas, Wiedergeburten; Kitsche; Rytlewski/Kraa; Sauer; Vorsteher; zu westdeutschen Besuchen in der DDR Potthoff, 87f. u. 184ff.; Schönfelder/Erices.
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Zusammenschlüssen organisierten Vertriebenen.125 Beide Interessengruppen nutzten vor allem die Besuche der alliierten Siegermächte, um ihre Ansichten und Forderungen sowie ihre Existenz und ihre Erscheinungsweise zu verbreiten. Das 1954 gegründete KUD zielte darauf, den Wiedervereinigungsgedanken in Westdeutschland wach zu halten bzw. in einer »Volksbewegung« zu popularisieren, und bildete ein auf Breitenwirksamkeit ausgerichtetes gesellschaftliches Pendant zum Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen.126 Ähnlich dem Ministerium lässt sich dem KUD, das parteiübergreifend viele prominente politische Funktionsträger in seinen Reihen vorweisen konnte, eine Alibi-Funktion zuschreiben. Zwar hegte das Adenauer-Lager in der damaligen Regierung Bedenken gegen das Kuratorium, bündelte es doch die Gegner der adenauerschen Politik der Westintegration und visierte ein bündnisfreies Gesamtdeutschland an.127 Doch die Betriebsamkeit des Kuratoriums bei der Gestaltung symbolischer politischer Aktionen lässt sich zugleich als ungewollte indirekte Stützung des adenauerschen Kurses deuten. Aufrufe, an Weihnachten Kerzen zum Gedenken an die Deutschen im Osten in die Fenster zu stellen, die Aktion »Macht das Tor auf!« oder die »Fahnenstafette der deutschen Jugend zur Zonengrenze« kanalisierten den deutschlandpolitischen Handlungsdrang der Westdeutschen, indem sie ihn auf »den Bereich der Deklamation und des Rituals, wo sie das tagespolitische Handeln der Regierungen und die alltägliche Lebenswelt der Individuen nicht berührten«, konzentrierten.128 Das Zulassen dieser symbolischen Proteste wird als bedingt erfolgreicher Zähmungsversuch lesbar. Die Interaktionen zwischen Bundesregierung und Kuratorium anlässlich der Staatsbesuche verdeutlichen, dass dem Bundeskanzler daran gelegen war, das KUD aus der Tagespolitik herauszuhalten. Die erlaubte Politisierung der Straße erscheint in diesem Fall als Kompensation für den Ausschluss aus den Verhandlungszimmern. Beim Besuch Eisenhowers in Bonn 1959 prägte das KUD das optische Bild deutlich mit, angefangen bei dem Versuch, Eisenhower, Teile der amerikanischen Delegation sowie der Gastgeber mit dem Logo des KUD, dem stilisierten Brandenburger Tor, zu versehen und so per Anstecknadel zu einem visuellen, medial sichtbaren Statement zu verleiten. Dem medial versiert agierenden KUD erschien es »für die Berliner und die deutsche Sache von großem Wert«, wenn Eisenhower »im Fernsehen wie in den Wochenschauen und in den Bildern der Presse mit dem angesteckten Abzeichen ›Brandenburger Tor‹ erschei125 Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich die Verwendung des Begriffs »Vertriebene« etabliert, vgl. Stickler; Ther, obwohl er bisweilen noch in Anführungszeichen gesetzt wird, so z.B. bei Salzborn. Vgl. zur Geschichte der Vertriebenen Ahonen. 126 Vgl. grundsätzlich zum KUD Kreuz; Meyer, Doppelstrategie; zu geschichtspolitischen Aktivitäten des KUD Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik, S. 148–221. 127 Vgl. Meyer, Doppelstrategie, S. 450. 128 Doering-Manteuffel, Innerdeutsche Grenze, S. 136. Vgl. zu den genannten Aktionen Meyer, Doppelstrategie, S. 159–180, 261–271 u. 303–311.
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nen würde«.129 Über das Bundeskanzleramt – Adenauer unterstützte grundsätzlich die Aktion »Macht das Tor auf!« – erhielt die amerikanische Botschaft tatsächlich besagte Anstecker.130 Schon im Vorfeld kündigten führende Tageszeitungen an, die Gestaltung werde den Besuch »zu einer Kundgebung für die Einheit und Freiheit Deutschlands« machen. Die FAZ berichtete, dass nach Kuratoriumsplänen Schulen und Betriebe sowie Bundesministerien und kommunale Behörden frei bekämen, um Spalier bilden zu können. Mit Berlin- und Kuratoriums-Fähnchen ausgerüstet, sollte die Bevölkerung »Gelegenheit haben, mit Demonstrationen ein öffentliches Bekenntnis für die Freiheit Berlins und die Wiedervereinigung abzulegen sowie dem amerikanischen Präsidenten für die Unterstützung bei der Erhaltung der Freiheit Berlins zu danken«.131 Parteien und Verbände in Westdeutschland und den USA, sowohl die Spitzen der Gewerkschaften als auch des Arbeitgeberverbandes sowie des Bauernverbandes, demonstrierten in dieser Frage Einigkeit. Schulen unterwiesen ihre Schüler in der politischen Bedeutung des Besuchs, der einem Treffen Eisenhowers mit Chruschtschow voranging. Die Bonner Gewerbeschule produzierte entsprechende Spruchbänder. »Welcome Ike! Help us, please!« war auf einem Banner neben dem KUD-Logo zu lesen, das zudem Papierfähnchen zierte.
Abb. 13: Das Kuratorium Unteilbares Deutschland im Straßenbild 1959 129 Kitlas an Bach, 26.8.1959, BA, B136/2070, Fiche 5. 130 Vgl. Bach an Bruce, 27.8.1959, BA, B136/2070, Fiche 6. 131 Demonstrativer Empfang Eisenhowers vorgesehen, FAZ, 19.8.1959; vgl. Papierfähnchen für den Empfang Eisenhowers, KStA, 20.8.1959.
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Die schon durch ihren Namen zum Gedenkort prädestinierte Bonner Straße Berliner Freiheit glich einem »Wald von Berliner Fahnen«.132 »Zahlreiche von Kindern getragene und an Hauswänden aufgespannte Plakate und viele Fahnen mit dem Berliner Wappen erinnerten hier an die Lage der deutschen Hauptstadt«; in englischer Sprache waren »Tatsachen über Deutschland« zu lesen wie »18 Millionen Deutsche vertrieben, drei Millionen dabei getötet, drei Millionen flüchteten aus Mitteldeutschland, 19 Millionen leben unter kommunistischer Gewalt« oder die Aufforderung »Verhilf uns zur Freiheit und Selbstbestimmung«.133 Im direkten Vergleich mit den Spruchbändern der Vertriebenen hob sich für den Berichterstatter des Weser-Kuriers die Einflussnahme des KUD auf die Straßenöffentlichkeit positiv ab.134 Regierungsnahe Kreise sahen das freilich anders, hatten doch KUD und die Vertriebenen das Straßenbild des vermeintlich unpolitischen Ereignistyps Staatsbesuch auf eine Weise politisiert, die aus Sicht der politischen Führung die Besuchsatmosphäre empfindlich stören konnte. Adenauers PR-Berater Skibowski bat vor dem Hintergrund dieser Erfahrung im Vorfeld des De-Gaulle-Besuchs, dass das Protokoll »eine Einschaltung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland in die Vorbereitung des Besuchs verhindern solle«. Doch wegen dessen innenpolitischer Stellung erschien dies »nicht möglich«.135 Die aufwändigste Kulissengestaltung arrangierte das KUD 1963 für John F. Kennedy; doch wollte es sich darauf nicht beschränken, sondern suchte den direkten Zugang zum amerikanischen Staatsoberhaupt.136 In »einem wirklichen politischen Gespräch« wollte Wilhelm Wolfgang Schütz Kennedy erläutern, »was im freien Deutschland für die Wiedervereinigung und für Berlin tatsächlich alles geschieht«, und ihm »ein Bild von dem moralischen und geistigen Widerstand jenseits der Mauer und des Stacheldrahts« vermitteln.137 Doch zu einem ausgedehnteren Treffen kam es nicht. Das Gespräch fiel wahrscheinlich kurz aus und war ohne Zutun der Bundesregierung zustande gekommen.138 Denn Adenauer war daran gelegen, die Teilnahme des Kuratoriums am Kennedy-Besuch einzugrenzen. So entschied er, dass Schütz die drei politischen Entschließungen, die bundesweit auf den Kundgebungen zum 17. Juni gefasst werden sollten, Kennedy nicht persönlich übergeben durfte. Der Kanzler beharrte auf seiner Haltung, obwohl von Holleben dieses Anliegen in Gegenwart von Außenminister Schröder ein weiteres Mal vorgebracht hatte. Schließlich 132 »Wir stehen auf Ihrer Seite«, Die Welt, 27.8.1959. 133 Zit. n. Ike, Ike, Ike, – I like Ike, Bremer Nachrichten, 27.8.1959. 134 Vgl. R. Woller, Dwight D. Eisenhowers Triumphzug durch Bonn, Weser-Kurier, 27.8.1959. 135 Vermerk Hille, 19.7.1962, PA, B8, Bd. 490. 136 Vgl. Meyer, Doppelstrategie, S. 228. 137 Auch für die Folgezitate: Schütz an von Holleben, 14.5.1963, PA, B8, Bd. 499. 138 Vgl. dazu Meyer, Doppelstrategie, S. 230.
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bot der amerikanische Botschafter McGhee an, dem Präsidenten die Schriftstücke zu übergeben.139 So wenig Raum das Kuratorium im persönlichen Kontakt mit dem Präsidenten einnehmen sollte, so viel Raum gestand das Auswärtige Amt dem KUD auf der Straße zu. Nach »vertrauliche[n] Besprechungen« mit den dortigen Beamten und mit Zustimmung der Bundeshausverwaltung, des Innenministeriums sowie der Stadt Bonn schlug das KUD durch die Gestaltung der Straßen eine kaum übersehbare visuelle Brücke vom Kennedy-Besuch zu den Kundgebungen am 17. Juni.140 Seit dem 14. Juni hingen an der Koblenzer Straße auf der Strecke zwischen dem Bundespräsidial- und dem Bundeskanzleramt Plakate des KUD. Gymnasiasten aus Bonn und Bad Godesberg sollten in größeren Abständen an der Fahrtstrecke des Präsidenten Transparente zur Einheit Deutschlands hochhalten sowie Schriften und Handzettel verteilen.141 So gestaltete sich schon der Bonner Teil des Präsidentenbesuchs mit Fähnchen mit dem Aufdruck »17. Juni«, Plakaten mit einer Karte des geteilten Deutschlands und der Aufschrift »Dreigeteilt? Niemals!« als Memento der Teilung, dessen Visualisierung in der öffentlichen Wahrnehmung in den Kompetenzbereich des KUD fiel.142 Im Fall des Kuratoriums mag das Kalkül der Bundesregierung noch aufgegangen sein, die Bedürfnisse nach Ausdruck des Wiedervereinigungsverlangens auf die Straße zu konzentrieren und damit zugleich das Monopol des intimen politischen Gesprächs und der Ausdeutung der Straßenkulisse zu wahren. Die Gestaltung des Straßenbildes durch die Vertriebenenverbände verdeutlichte jedoch die Sprengkraft dieser Kulisse. Bei der Triumphfahrt Eisenhowers durch Bonn und Umgebung 1959 waren die Vertriebenenorganisationen omnipräsent »durch Blumenarrangements und Spruchbänder«, auf denen man »›Kein zweites Versailles‹ – ›Pommern lebt‹ – ›Auch Oder und Elbe sind Deutschlands Ströme‹« lesen konnte.143 Transparente formulierten zudem die Weigerung, Oder und Neiße als deutsche Grenzen zu Polen zu akzeptieren.144 Besonders die Landsmannschaften taten sich mit Spruchbändern hervor, die quer über die Straße gespannt »die verlorenen deutschen Ostprovinzen der Reihe nach« benannten: Ostpreußen, Schlesien, Pommern. Nur das Spruchband »Sudetenland« war »schon am Nachmittag wieder abmontiert worden – wohl, weil es nicht schon vor Hitler zum Deutschen Reiche gehört hatte«.145 Drei Jahre später 139 Aufzeichnung von Holleben, Bezug: Schütz an BK u. BP, 12.6.1963, PA, B8, Bd. 499. 140 Vgl. Meyer, Doppelstrategie, S. 228. 141 Vgl. Befehl Nr. 1, Polizeipräsident Bonn, 16.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 142 Vgl. Zwei Millionen jubelten Amerikas Präsident zu, Stuttgarter Nachrichten, 24.6.1963. 143 Tausende winkten dem Präsidenten auf der Fahrt nach Godesberg zu, Westfälische Rundschau, 27.8.1959. 144 Vgl. »Wir stehen auf Ihrer Seite«, Die Welt, 27.8.1959; Bilder des Tages, Neuer Mainzer Anzeiger, 28.8.1959. 145 R. Woller, Dwight D. Eisenhowers Triumphzug durch Bonn, Weser-Kurier, 27.8.1959.
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sollte ein Plakat von Sudetendeutschen aus dem Film über den De-Gaulle-Besuch herausgeschnitten werden, weil es »unnötige ressentiments« in Frankreich wecke.146 Die Grenzen des erlaubten Protests werden so deutlich: Es war legitim, für die Zugehörigkeit der Gebiete, die schon vor 1937 zum Deutschen Reich gehört hatten, zu demonstrieren, nicht aber für tendenziell großdeutsche Ansprüche. Fotografien dokumentieren die Dekoration während des Eisenhower-Besuchs: Plakate des KUD und der Vertriebenen folgten direkt aufeinander und verliehen der Straße den Charakter eines Textes, den der Gast abfahren sollte.147 Sein Wagen übernahm dabei gewissermaßen die Funktion einer Lesehilfe, die einen gedruckten Text entlang fährt, um ihn Buchstabe für Buchstabe zu entziffern. Papierfähnchen mit den Namen der ehemaligen deutschen Ostgebiete hielten dem Gast ebenfalls das Schicksal der Vertriebenen vor Augen. Indem die ehemaligen Bewohner Tracht anlegten,148 brachten sie nicht nur körperlich die Verbundenheit mit ihren Herkunftsorten zum Ausdruck, sondern verdeutlichten zugleich, dass sie nicht bereit waren, unauffällig in der bundesrepublikanischen Gesellschaft aufzugehen. Mit den Trachten konstruierten und bestätigten sie den Unterschied zwischen sich und den anderen Bewohnern Westdeutschlands. Aus PR-strategischer Sicht kann ein Blumenteppich als Höhepunkt gelten, der Deutschland in den Grenzen von 1937 zeigen sollte. Die Vertriebenenverbände hatten die Bevölkerung in der Bonner Lokalpresse aufgerufen, diese besondere Deutschlandkarte vor dem Koblenzer Tor aus Blütenblättern zusammenzutragen, und arrangierten so durch die Blume ein symbolisch-performatives Plebiszit für die ehemaligen deutschen Ostgebiete.149 Obwohl die Vertriebenen sich geschickt in Position brachten, ist fraglich, wie viel der Gast von diesen Arrangements tatsächlich sehen konnte, wenn er nicht erst später durch Berichte seiner Mitarbeiter davon erfahren hat. Zumindest die »Konturen der ›Grenzen von 1937‹« und die Aufschrift der Transparente wurden von der aufziehenden Dämmerung »verwischt«.150 Unabhängig von den erschwerten Sichtbedingungen galt das Auftreten der Vertriebenen Teilen der Presse und in Regierungskreisen als Provokation, wenngleich Eisenhower nach außen gelassen reagierte.151 Die Süddeutsche Zei146 Fernschreiben Wochenschau an Betz, 18.12.62, B145/4669. 147 Vgl. R. Horch, Größter Bahnhof aller Zeiten, Die Welt, 27.8.1959; Eisenhower unter Transparenten, Lübecker Freie Presse, 28.8.1959. 148 Vgl. »Wir stehen auf Ihrer Seite«, Die Welt, 27.8.1959. 149 Woller bezeichnete diese Aktion als »beste Werbe-Idee«, R. Woller, Weltpolitik mit Spalier und Fähnchen, Weser-Kurier, 25.8.1959; vgl. Parteienstreit vor dem Eisenhower-Besuch in Bonn, RP, 25.8.1959; Ike, Ike, Ike, – I like Ike, Bremer Nachrichten, 27.8.1959. 150 H. Purwin, Triumphfahrt Eisenhowers durch die Bundeshauptstadt, Hamburger Echo, 27.8.1959; ähnlich: R. Woller, Dwight D. Eisenhowers Triumphzug durch Bonn, Weser-Kurier, 27.8.1959. 151 Vgl. zu Eisenhowers Gelassenheit: H. Grüssen, Nach dem Besuch »Troisdorf welcomes you«, Saarbrücker Landeszeitung, 28.8.1959.
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tung räumte zwar ein, dass Eisenhower die Spruchbänder übersehen und seine Fahrt vielmehr als Vertrauenskundgebung wahrgenommen habe, bewertete diese Straßenkulisse dennoch als »Schatten« auf dem Besuch.152 Den Ärger über die Vertriebenen verschärfte zudem die Nachricht, dass eine Grenzschutzkompanie nach Abschluss des militärischen Zeremoniells mit dem Gesang »Mein Schlesierland, wir sehen uns wieder am Oderstrand« abgerückt sei. Aus dem Ausland ernteten die Vertriebenen gleichfalls Kritik.153 Neben der SPD zeigte sich auch Adenauer mit dem Straßenbild, das sich ihm während des Besuchs geboten hatte, unzufrieden.154 Er brachte dies auf einer CDU-Fraktionssitzung deutlich zum Ausdruck und eckte damit in den eigenen Reihen an. Der Spiegel zitierte Adenauer: »Ich habe mich geschämt, als ich mit Eisenhower über die Rheinbrücke fuhr und die Texte auf den Transparenten der Flüchtlinge lesen mußte. Die waren nicht gerade taktvoll hinsichtlich unseres Gastes«.155 Noch vor Erscheinen dieser Äußerung reagierten Adenauers Fraktionskollegen. Der deutsch-baltische CSU-Bundestagsabgeordnete Georg von Manteuffel-Szoege, 1954 bis 1959 Vorsitzender der Landsmannschaften und danach Präsidiumsmitglied des Bundes der Vertriebenen,156 zeigte sich in einem Brief an Adenauer von dessen Äußerungen »schmerzhaft berührt«. Denn »jede Nation« hätte es »für selbstverständlich gehalten«, dem Präsidenten durch Transparente »die blutenden Wunden unseres Volkes zu zeigen«.157 Der Regierung warf er vor, der »Propaganda der Polen und Tschechen« nicht entgegenzutreten, weshalb die Vertriebenen »allein auf sich gestellt« seien. Adenauer beharrte auf seiner Ansicht, »daß die Häufung dieser Spruchbänder und die Demonstrationen auf einer so kurzen Strecke peinlich gewirkt haben«.158 Die Ministerien wiesen die Verantwortung für die missratene Beteiligung der Vertriebenen von sich. Das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen habe nicht nur keines der Spruchbänder finanziert, sondern in einem Fall sogar verhindert, dass Transparente mit Zahlenangaben über Kriegsverluste, Vertriebene und Flüchtlinge aufgehängt wurden.159 Theodor Oberländer nahm das Ministerium für Vertriebene ebenfalls aus der Verantwortung und schob dem Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen den Schwarzen Peter zu.160 Wenig später signali152 Ärger mit Vertriebenenverbänden, SZ, 28.8.1959; vgl. Eisenhower und die Spruchbänder, SZ, 29.8.1959; U. Busch, Nicht mit Spruchbändern!, Abendpost, 29.8.1959. 153 Vgl. dazu M. Schulte, Eisenhowers erste Etappe, Frankfurter Neue Presse, 28.8.1959. 154 Die Kritik der SPD erwähnt: Das deutsche Echo auf den Eisenhower-Besuch, Basler Nachrichten, 30.8.1959. 155 Zit. n. Gawlista an Adenauer, 26.9.1959, BA, B136/2070, Fiche 6. 156 Ein Kurzbiographie zu Manteuffel-Szoege gibt Stickler, S. 45, Anm. 54. 157 Auch für die Folgezitate: Manteuffel-Szoege an Adenauer, 18.9.1959, BA, B136/2070, Fiche 6. 158 Adenauer an Manteuffel-Szoege, 23.9.1959, BA, B136/2070, Fiche 6. 159 Vgl. Lemmer an Adenauer, 23.9.1959, BA, B136/2070, Fiche 6. 160 Vgl. Oberländer an Adenauer, 2.10.1959, BA, B136/2070, Fiche 6.
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sierte Gerd Gawlista von der Bonner Kreisgruppe der Landsmannschaft Schlesien dem Kanzler Kommunikationsbereitschaft. Er habe Adenauers Äußerung im Spiegel gelesen und erbete Auskunft, was genau Adenauer nicht gefallen habe.161 Dieses Verhalten verdeutlicht, dass die Vertriebenen in Repräsentationsfragen nicht mit der Regierung in Konflikt zu geraten wünschten, sondern sich den Zugang zu Staatsbesuchen durch Zusammenarbeit mit Regierungsstellen sichern wollten. Entsprechend verfolgte der Bund der Vertriebenen (BdV) beim folgenden Staatsbesuchsgroßereignis, dem Besuch Charles de Gaulles 1962, die Strategie, die Integration in den Besuch durch Berechenbarkeit und vorherige Absprache zu sichern. Umgekehrt zeigte sich die Regierungsseite nach den schlechten Erfahrungen von 1959 darum bemüht, das Straßenbild im Vorfeld mit den Vertriebenen auszuhandeln. Der Gedanke an einschneidende Sanktionen kam nicht auf, nahmen doch Regierung wie Parteien die Vertriebenen »als wichtige, Wahlen beeinflussende Interessenvertretungen ihrer Klientel« wahr und vermieden »allzu weitgehende Konflikte«.162 Hatte ein hoher Regierungsbeamter nach dem Eisenhower-Besuch auf Kritik an den Spruchbändern hin noch argumentiert, die Bundesrepublik sei ein freies Land, weshalb man solche »Schönheitsfehler« in Kauf nehmen müsse und daher nicht eingegriffen habe,163 so waren die Ausrichter der Besuche drei Jahre später dazu übergegangen, das Erscheinungsbild und die Art und Weise der Teilnahme der Vertriebenen detailliert zu planen und abzusprechen. Im August 1962 kündigte der Bundestagsabgeordnete und Präsident des BdV, Hans Krüger, die Absicht des Bundes an, »sich während des Staatsbesuchs de Gaulles in Erscheinung zu bringen«. Trachtengruppen einzelner Landsmannschaften sollten auftreten; des Weiteren wollte man ein Geschenk aus Bernstein, böhmischem oder schlesischem Glas übergeben, um die Erinnerung an die »verlorene Heimat« wach zu halten. Schließlich bat Krüger darum, Charles de Gaulle während des Empfangs beim Bundespräsidenten vorgestellt zu werden.164 Der Leiter des Frankreichreferats, Weinhold, unterstützte grundsätzlich die Einbeziehung der Vertriebenen.165 Nahezu umgekehrt zur Beteiligung des KUD am Kennedy-Besuch ein Jahr später wollte Weinhold dem Wunsch Krügers nachkommen, de Gaulle bei einem Empfang vorgestellt zu werden. Doch er hegte Vorbehalte gegen eine zu auffällige Selbstdarstellung der Vertriebenen auf der Straße, die sich freilich in Weinholds Augen nicht gänzlich vermeiden ließ und die es daher zu kontrollieren galt. So könne das Anlegen von Trachten »leicht einen zu demonstrativen Charakter annehmen 161 Vgl. Gawlista an Adenauer, 26.9.1959, BA, B136/2070, Fiche 6. 162 Stickler, S. 431. 163 Ärger mit Vertriebenenverbänden, SZ, 28.8.1959. 164 Aufzeichnung Voigt, 13.8.1962, PA, B8, Bd. 490. 165 Auch für das Folgende: Aufzeichnung Weinhold, 14.8.1962, PA, B24, Bd. 360, p. 87f.
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und möglicherweise dem General unerwünscht sein«. Eine allzu starke Präsenz provoziere womöglich eine unangenehme Stellungnahme de Gaulles, der auf einer Pressekonferenz 1959 als erster Regierungsvertreter der drei westlichen Siegermächte eine Revision der Oder-Neiße-Linie explizit ausgeschlossen hatte.166 Schließlich riet der Referatsleiter von Geschenken mit dem Hinweis ab, de Gaulle könnte sie als Verpflichtung zu einer Gegenleistung auffassen und sollte nicht auf diese Weise unter Druck gesetzt werden.167 Das Auswärtige Amt begegnete diesen Erwartungen auf zwei Weisen: Zum einen versuchten die Beamten, den Wünschen der Vertriebenen durch eine verstärkte Integration in die offiziellen Programmteile entgegenzukommen. Neben der Einladung Krügers geschah dies vor allem durch die Teilnahme einer Trachtengruppe an der Jugendveranstaltung in Ludwigsburg.168 Zum anderen wollte das Auswärtige Amt den Vertriebenenorganisationen nicht die Straßen, durch die de Gaulle fahren würde, als Aktionsfelder überlassen, sondern die Straßenöffentlichkeit gezielt mitgestalten. Karl Carstens formulierte die Idee, die Transparente der Vertriebenen zwar zuzulassen, jedoch nicht kommentarlos und ohne Gegenpol. Vielmehr sollten »Verbände wie die Europaunion, die Jungen Föderalisten« mobilisiert werden, durch »andere Transparente« »die deutsch-französische Freundschaft und die Notwendigkeit der europäischen Einigung heraus[zu] stellen«.169 Aus diesen Überlegungen resultierten die schon erwähnten Plakate »Nous demandons une Europe fédérée« und »Vive la France! Vive L’Europe unie!«. In seiner Beschreibung von de Gaulles Aufenthalt in München benannte Hermann Schreiber implizit den Nexus zwischen »Heimatvertriebenen« und »Großeuropäern«, als er bemerkte, dass beide Gruppierungen »offenbar hinter dem General her durch die Bundesrepublik gereist sind«.170 Obwohl die Regierungsseite für Gegenbilder zu den Forderungen der Vertriebenen Sorge getragen hatte, gelang es den Vertriebenenverbänden, sich von dem Gesamtbild der Straße abzuheben und es an einigen Stellen zu dominieren. Am Koblenzer Tor und an der Bonner Universität begrüßten sie den General mit kleinen Papierfähnchen und Plakaten mit der Aufschrift »Danzig salue le Général de Gaulle« und »La Silésie salue le Chef d’état français«.171 Auch in München gelang es den Vertriebenen, sich mit Plakaten ins Blickfeld zu rücken; auf dem Odeonsplatz 166 Vgl. Stickler, S. 381. 167 Staatssekretär Karl Carstens vertrat ebenfalls Weinholds Auffassung, vgl. Vermerk Voigt, 15.8.1962, PA, B8, Bd. 490. 168 Vgl. Vermerk von Holleben, 20.8.1962, PA, B8, Bd. 490; Zeitplan für Besuch in BadenWürttemberg, 9.9.1962, PA, B8, Bd. 492. 169 Vermerk Voigt, 15.8.1962, PA, B8, Bd. 490. 170 H. Schreiber, »Vive de Gaulle!«, Stuttgarter Zeitung, 10.9.1962. 171 W. Henkels, Blauweißrot und Schwarzrotgold, FAZ, 5.9.1962. Das Bulletin der französischen Botschaft berichtete von den »petits drapeaux«, »pancartes« u. »affiches« der Vertriebenen, Bulletin frz. Botschaft, 5.9.1962, PA, B24, Bd. 360, Fiche 3, p. 222–231.
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grüßten sie den General mit »Ostpreussen salue le Général de Gaulle«.172 Die Vertriebenen sicherten sich so auch die Aufmerksamkeit des Auslands. Der Figaro erkannte in den Plakaten einen »falsche[n] Ton«.173 Polen reagierte empfindlich auf die Negierung der bestehenden deutsch-polnischen Grenze und kritisierte die Bundesregierung dafür, ein solches Verhalten zugelassen zu haben.174 Beim Besuch des amerikanischen Präsidenten 1963 behielten Regierungsstellen und BdV ihre Kooperation bei. Der Aushandlungsprozess vollzog sich primär zwischen Protokollchef von Holleben und dem Jugendreferenten des BdV, Kottwitz. Die Ausrichter der Besuche versuchten gar eine Steigerung der Absprachen. In einer Art Umarmungsstrategie boten sie den Vertriebenenvertretern eine weiter gehende Integration in den Programmablauf an und erwarteten dafür einen Verzicht auf die Straßenproteste. Im Unterschied zu 1959, als Adenauer an den auffälligen Trachten der Vertriebenen Anstoß genommen hatte, erschienen sie nun als das kleinere Übel. Der Bundeskanzler war 1963 damit einverstanden, dass Trachtengruppen John F. Kennedy auf dem Bonner Marktplatz begrüßten und ihm nach Verlassen des Rathauses ein Fotoalbum überreichten. Im Gegenzug ging der Bundeskanzler »davon aus, daß der Bund der Vertriebenen dann auf das Zeigen jeglicher Transparente verzichtet«.175 Der BdV zeigte sich tatsächlich bereit, ähnlich dem De-Gaulle-Besuch Trachtengruppen innerhalb der polizeilichen Absperrungen zu postieren und auf – teils schon geplante – Transparente auf dem Marktplatz vor dem Bonner Rathaus zu verzichten. Er beharrte lediglich auf den Transparenten an den Anfahrtsstraßen in Bonn und Bad Godesberg und konnte sich damit durchsetzen. Für diese Zugeständnisse stellte das Präsidium des BdV in Aussicht, Plakat- und Transparenttexte mit auswärtigen Gruppen abzusprechen und somit indirekt unter staatliche Kontrolle zu stellen.176 Ohne diese Abmachung hätten die amtlichen Stellen auf diese Gruppen keinen Einfluss gehabt. Der Kompromiss bestand aus sechs angekündigten Transparenten an den Zufahrtsstraßen: »Gerechtigkeit für den deutschen Verbündeten«, »Vereinigtes Deutschland in einem vereinten Europa«, »Deutschlands Freiheit – Europas Zukunft«, »OderNeisse niemals Grenze«, »Selbstbestimmungsrecht auch für die Deutschen«, »Selbstbestimmung ist keine bloße Phrase (W. Wilson)«.177 Ein siebtes Transparent, »Vertreibung ist Völkermord, Völkermord wird bestraft (Art. 2 UN172 BA, B145, Bild-F013922–0025. 173 Drahtbericht Knoke, Paris, 5.9.1962, PA, B8, Bd. 492. 174 Vgl. Polnische Reaktionen auf de Gaulles Deutschlandbesuch, NZZ, 16.9.1962. 175 Vermerk von Holleben, 12.6.1963, PA, B8, Bd. 497. Vgl. zu den Alben: Vermerk Welczeck, Betr.: Einschaltung der Vertriebenenverbände in den Kennedy-Besuch, PA, B8, Bd. 499; vgl. zur Planung der Albumsübergabe: Vermerk Noebel, 19.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 176 Vgl. Vermerk von Holleben, 12.6.1963; Vermerk von Holleben über Anruf von Kottwitz, 14.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 177 Vermerk Noebel, 19.6.1963, PA, B8, Bd. 497.
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Konvention)«, zogen die Vertriebenen auf Wunsch der Politischen Abteilung II des Auswärtigen Amtes zurück.178 Darüber hinaus zeigte der BdV nach Absprache einige Plakate und Trageschilder mit den Namen der betroffenen Gebiete sowie die Fahnen der »verlorenen Heimat«.179 Möglicherweise hingen auch einige Schilder mit der Aufschrift »Dreigeteilt niemals« in den Bäumen. Doch hatte Kottwitz im Vorfeld des Besuchs darauf hingewiesen, dass man diese Schilder wegen des hohen Publikumsauf kommens ohnehin nicht sehen werde.180 Ein vergleichbares Straßenbild schufen die Vertriebenen in WestBerlin.181 Sie konnten ihre Interessen beim Staatsbesuch visualisieren, während die Regierungsstellen im Gegenzug stets wussten, was sie erwartete, und somit die größtmögliche Kontrolle über das Straßenbild wahrten. Ein ähnliches Auftreten plante der BdV für den Besuch Elizabeths II. 1965. Wie beim Kennedy-Besuch sollte eine Delegation Jugendlicher der Königin ein Geschenk übergeben. Des Weiteren regte der BdV an, das Bundespresseamt möge neben 5000 westdeutschen und 5000 britischen insgesamt 10 000 Papierfähnchen mit den Aufschriften Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Oberschlesien, Sudetendeutsche sowie den in der Diktion der fünfziger und sechziger Jahre »mitteldeutschen« Gebieten Brandenburg, Mecklenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt drucken lassen.182 Während die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes die geplante Geschenkübergabe unter anderem wegen des »positive[n] Echo[s]« bei den Amerikanern zwei Jahre zuvor einhellig begrüßten, bestanden im Protokoll anfänglich »erhebliche Bedenken« gegen den Druck und das Verteilen von Fähnchen.183 Doch als entscheidendes Darstellungshindernis für den BdV entpuppte sich die britische Regierung unter Wilson. Sie wandte sich gegen »ein zu demonstratives Auftreten der Vertriebenengruppe«, da sich die Königin nicht »in außenpolitischen Angelegenheiten exponieren« könne und »die britische Linkspresse die Reise der Königin kritisiere, ganz besonders aber den Flug nach Berlin, den man nicht weiter gefährden wolle«.184 Im Gegenzug zum Berlinbesuch der Königin sollten die Vertriebenen in Bonn zurückhaltend auftreten. Die Briten schlugen einen Kompromiss für die Beteiligung der Vertriebenen am Rathausbesuch in 178 Vgl. handschriftlicher Vermerk Schmidt, 19.6.1963, auf Vermerk Noebel, 19.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 179 Vgl. Befehl Nr. 2, Polizeipräsident Bonn, 20.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 180 Vgl. Vermerk von Holleben über Anruf von Kottwitz, 14.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 181 Vgl. B. Naumann, Ein schäumendes Meer von Händen, Gesichtern und Fahnen, FAZ, 27.6.1963. Vgl. auch BA, B145, Bild-F015860-0011. 182 Vgl. Randow, Bundesgeschäftsführung BdV, 31.3.1965, PA, B8, Bd. 916. 183 Turnwald an Ref. Prot. 1, 12.4.1965 u. Vermerk Westerburg, o.D., PA, B8, Bd. 911; vgl. Westerburg an Ref. II2, 11.4.1965, PA, B8, Bd. 911. Allerdings schienen Fähnchen nach Aus tausch mit dem Bundespresseamt eine Option, vgl. handschriftlicher Vermerk, o.D., auf Turnwald an Ref. Prot. 1, 12.4.1965, PA, B8, Bd. 911. 184 Auch für das Folgende: Noebel an Turnwald, 12.5.1965, PA, B8, Bd. 911.
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Bonn vor. Er ähnelte dem Kompromiss der Mauerfahrt ohne Halt während derselben Reise: Die Königin sollte die Trachtengruppe der Vertriebenen im Vorbeigehen grüßen, jedoch kein Geschenk entgegennehmen. Um diese zurückhaltende Geste für die Westdeutschen ins Positive zu wenden, schlug Protokollmitarbeiter Noebel vor, »das Geschenk nach Beendigung des Besuchs dem Botschafter [zu] übermitteln mit dem Hinweis, wie sich alle Ostdeutschen und auch die 17 Millionen der Zone über den Besuch in Deutschland gefreut haben«. Die zurückgewiesenen Vertriebenen stifteten so einen Anlass für die erneute Thematisierung der Teilungsproblematik nach Abschluss des Besuchs. Zwischen 1959 und 1965 entstand zwischen den Ausrichtern der Besuche und den Vertriebenenvertretern eine anfänglich nicht geplante Kooperation, in der die Amtsmitarbeiter eine Domestizierung der Vertriebenen durch Integration anstrebten, die wiederum der BdV für sich zu nutzen wusste. Gleichzeitig kamen über die Plakate Thesen und Forderungen visuell zur Sprache, die amtliche Stellen nicht hätten äußern können, ohne Kritik von ausländischen Beobachtern befürchten zu müssen.185 In den siebziger und achtziger Jahren richtete sich das Interesse des erfolglos gegen die neue Ostpolitik agierenden BdV bei Staatsbesuchen nicht auf die Präsenz im Straßenbild. Vielmehr wollten die Vertriebenen selbst oder über führende staatliche Repräsentanten bei Staatsoberhäuptern aus Ostblock-Staaten den Wunsch nach Familienzusammenführungen und -treffen vorbringen. Während des Besuchs Ceauşescus 1973 sprach Gustav Heinemann die Lage der Deutschstämmigen in Rumänien in seiner Rede an; Ceauşescu lud den Vorsitzenden der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Erhard Plesch, zu einem Gespräch und signalisierte so Offenheit in dieser Frage.186 Vor dem Breschnew-Besuch 1978 forderte der BdV-Vorsitzende und CDU-Abgeordnete Herbert Czaja Bundeskanzler Helmut Schmidt auf, »Fortschritte in der Erfüllung der Rechtsverpflichtung für die Menschenrechte« zu verlangen.187 Den zweiten Staatsbesuch des rumänischen Staatsoberhauptes 1984 nutzten Bundeskanzler wie Bundespräsident dazu zu erklären, dass die Bundesrepublik keine Gebietsansprüche auf die ehemaligen Ostgebiete erhebe, und düpierten so die Vertriebenen. Der BdV wusste diese Aussagen gleichwohl zu seinen Gunsten zu wenden. Der BdV-Vizepräsident, Helmut Sauer, vertrat die Auffassung, »daß in den Gebieten östlich der Oder und Neiße die territoriale Souveränität nicht auf die Volksrepublik Polen übergegangen sei. Deshalb brauche die Bundesrepublik keine Gebietsansprüche zu stellen.«188 Als der sowjetische 185 Vgl. auch Vermerk von Holleben, 27.7.1964, PA, B8, Bd. 1048. 186 Vgl. Heinemann wünscht Erleichterungen, KStA, 20.6.1973; Vertriebenenverband begrüßt Ceauşescus Besuch, SZ, 28.6.1973; O. Ihlau, Die Manager haben Vortritt, SZ, 28.6.1973. 187 Amnesty: Menschenrechte in der UdSSR verletzt, SZ, 3.5.1978; vgl. S. Martenson, Offene Briefe, Appelle und massive Attacken, Stuttgarter Zeitung, 3.5.1978. 188 Heimatvertriebene mahnen den Bundespräsidenten, Die Welt, 18.10.1984.
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Staatschef Gorbatschow 1989 die Bundesrepublik bereiste, forderten die Vertriebenen die Öffnung der Mauer und einen »Dialog über die freie Zukunft ganz Deutschlands«.189
4. Die Grenzen der organisierten Straßenöffentlichkeit Trotz aller Bemühungen der staatlichen Stellen, die Straßenöffentlichkeit zu organisieren, nach ihren Wünschen zu gestalten oder zumindest die Übersicht zu wahren, setzten die Menschen am Straßenrand diesem Zugriff durch ihr Verhalten Grenzen und gaben dem Straßenbild ihre eigene Prägung. Wenn gleich die Interessengruppen oftmals das Bild dominierten und in Eigenregie gefertigte Plakate daneben verblassten, scheint es sie doch gegeben zu haben. So hielt ein Kind dem US-Präsidenten vor dem Schöneberger Rathaus ein Schild »East-Berlin meets Kennedy too« entgegen, junge Mädchen proklamierten »I like Kennedy«. Neben politische Botschaften wie »Why hard at Cuba and so soft at Berlin, Mr. Kennedy?« trat die Anteilnahme an der bevorstehenden Niederkunft Jackie Kennedys mit »Wir wünschen Zwillinge«.190 Nahmen die Menschen das ihnen dargebotene Propagandamaterial an, bedeutete das noch nicht, dass es im angestrebten Sinne zur Geltung kam. Ungeachtet der politischen Botschaften schwenkte ein kleines Mädchen beim Eisenhower-Besuch Papierfähnchen unterschiedlichster Couleur: »Die Fähnchen machten Reklame für ein Erfrischungsgetränk amerikanischer Herkunft. Eines jedoch, in schwarz und rot, trug die Aufschrift: Sudetenland.«191 Fotografien zeigen Menschen, die neben den KUD-Fähnchen mit der Aufschrift »Macht das Tor auf!« ein Fähnchen mit der Aufschrift »Pommern« und eines mit dem Logo des Getränkekonzerns Pepsi sowie dem Spruch »Für Leute von heute« in Händen hielten.192 Politische Forderungen und Werbesprüche bildeten hier eine eigentümliche Melange und konnten sich gegenseitig in ihrer Aussage relativieren. Die Papierfähnchen erscheinen in dieser Gebrauchsweise stärker als Mittel zur Partizipation an dem Ereignis denn als Träger von Botschaften. Staatliche Stellen bzw. von ihnen beauftragte Gruppen sowie Interessengruppen schufen den Rahmen für das Entstehen und die Ausgestaltung der Straßenöffentlichkeit. Über die Nutzung des Angebots durch den einzelnen Bürger hatten sie keine Macht. 189 »Reißen Sie die Mauer ab«, FAZ, 7.6.1989; vgl. Vertriebene vom Ergebnis des Gorbatschow-Besuchs enttäuscht, FAZ, 15.6.1989. 190 P. Brügge, Die seltsame Wandlung des John F. Kennedy, Der Spiegel, 3.7.1963. 191 C.H. Meyer, Eisenhower-Besuch vom Straßenrand aus gesehen, Mannheimer Morgen, 28.8.1959. 192 Vgl. BA, B145, Bild-F006853-0010 u. Bild-F006843-0049.
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Abb. 14: Aktives Straßenpublikum beim Queen-Besuch 1965
Mit wachsender Bedeutung des Massenmediums Fernsehen entschieden sich viele Menschen, den Staatsbesuch vom Sofa aus zu beobachten, anstatt für den direkten Blick auf den Staatsgast eingeschränkte Sichtmöglichkeiten auf der Straße in Kauf zu nehmen. Wie die staatlichen Vertreter den Bürgern den Staatsbesuch nicht verordnen konnten, ließ sich umgekehrt das Maß der Anteilnahme nur schwer vorhersehen. Claus Heinrich Meyer attestierte 1959 den Rheinländern eine pathosfreie Begeisterung, »weit mehr und weit spontaner, als es die Regierungsstellen erwartet hatten«.193 In einigen Fällen schwenkten die Bundesbürger nicht nur Papierfähnchen, die man ihnen in die Hand gedrückt hatte, sondern kauften sie die Fähnchen in Eigenregie auf öffentlichen Plätzen und in Schreibwarengeschäften. 15 Pfennig musste ein interessierter Käufer 1965 für einen papiernen Union Jack in München ausgeben.194 Die Bundesbürger gestalteten ihre Existenz am Straßenrand der Staatsbesuche nach ihren Wünschen und scheuten vor allem in den sechziger Jahren auch keine Anleihen bei Volks- und Kostümfesten. Für John F. Kennedy legten einige Frankfurter indianischen Federschmuck an; im Indianerkleid tanzten einige kostü193 C.H. Meyer, Eisenhower-Besuch vom Straßenrand aus gesehen, Mannheimer Morgen, 28.8.1959. 194 Vgl. Die Queen auf der Bonbonschachtel, Münchner Merkur, 21.5.1965.
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mierte Kölner Zuschauer mit dem Sternenbanner.195 Beim Besuch Elizabeths II. flanierte eine Fußgruppe in den Kostümen englischer Gentlemen durch die Kölner Straßen.196 Entgegen den Anordnungen des Protokolls regnete für die Königin 1965, wie zwei Jahre zuvor für Kennedy in Berlin, Konfetti aus den Bürohäusern am Kölner Ring. Um den Gast mehrfach sehen zu können, rannten Menschen sofort nach der Vorbeifahrt der Wagenkolonnen zum nächsten Platz am Straßenrand, der einen weiteren Blick auf den Gast erlaubte. Die geschilderte Gestaltung der Straßenöffentlichkeit durch amtliche Stellen blieb in den westdeutschen und internationalen Massenmedien nicht unkommentiert. Zwar mochten die Hintergründe und Zusammenhänge den Journalisten im Einzelnen nicht bekannt sein, doch entgingen die ausgegebenen Papierfähnchen oder die maschinell produzierten Plakate nicht den professionell geschulten Blicken der massenmedialen Beobachter. Im Zuge des Eisenhower-Besuchs entwickelte sich in den Printmedien eine Debatte über die Zulässigkeit dieser propagandistischen Einflussnahme auf die Menschen am Straßenrand. Vor allem SPD-nahe Tageszeitungen übten Kritik an den Gestaltungsmaßnahmen der Besuchsausrichter und sprachen teils mit ironischem Unterton den organisierten Charakter der Straßenkulisse an, der »natürlich ›freiwillig und ohne jede behördliche Anweisung‹« gewesen sei.197 Der zitierte Artikel aus der Westfälischen Rundschau gestand diesen Maßnahmen nur wenig Erfolg zu. Es hätten »auch nicht im entferntesten die erwarteten Massen« die Wagenkolonnen begrüßt und Privathäuser nur sehr selten geflaggt. Im direkten Vergleich habe sich eine zeitgleiche, nicht propagandistisch organisierte Konkurrenzveranstaltung, die Verleihung der Kölner Ehrenbürgerrechte an Theodor Heuss, als publikumswirksamer erwiesen. Hans Ulrich Kempski wertete den von staatlicher Seite unternommenen Gestaltungsaufwand und die Vertrauensbekundungen auf Transparenten wie »Ike – wir vertrauen Dir« gar als kontraproduktiv im Verhältnis zu den USA: Die »stetige Wiederholung dieser Slogans« resultiere »aus der heimlichen Angst, Eisenhower könne sich demnächst über den Kopf der Bundesregierung hinweg mit Chruschtschow arrangieren«, und sei »nur dazu angetan gewesen, den fatalen Verdacht auf kommen zu lassen, Adenauer wolle Eisenhower einen Vertrauensbeweis für Bonn mit aller Gewalt aufzwingen«.198 Die staatliche Einflussnahme auf die Straßenöffentlichkeit weckte darüber hinaus auch negative Assoziationen zu den Massenveranstaltungen des Nationalsozialismus. Diese Zeit sei noch nicht »vergessen« und habe »eine instinkti195 Vgl. zu Frankfurt den Film »Deutschland grüßt Kennedy«, BA/FA, Mag.nr. 163982; zu Köln: P. Brügge, Die seltsame Wandlung des John F. Kennedy, Der Spiegel, 3.7.1963. 196 Vgl. F.K. Kurylo, Es regnete Wasser und Konfetti, KStA, 26.5.1965. 197 Tausende winkten dem Präsidenten auf der Fahrt nach Godesberg zu, Westfälische Rundschau, 27.8.1959. Vgl. Plakate, Raketen und Fähnchen, Lübecker Freie Presse, 22.8.1959. 198 H.U. Kempski, Eisenhowers großer Auftritt in Bonn, SZ, 28.8.1959.
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ve Abwehr gegen jede Art von befohlenen und nicht befohlenen Aufmärschen und Kundgebungen hinterlassen«.199 Es fiel negativ auf, dass »die Hand von eifrigen Organisatoren überall zu merken« war. Aus dieser Perspektive führte Eisenhowers Besuch vor Augen, dass die Massen auch nach 1945 kontinuierlich weiter beeinflusst worden seien und es in dieser Hinsicht keinen deutlichen Bruch mit der nationalsozialistischen Zeit gegeben habe. Eine Abkehr von den genannten Praktiken, so ein weiterer Kommentator, erschien notwendig: Ich juble gern, aber wenn mir einer sagt, ich solle oder dürfe jubeln und hier sei das spontane Fähnchen zu dem Zweck, dann fühle ich mich zurückversetzt … nämlich in jene Zeiten, wo Deutschland zu jubeln gelernt hat. Wie schade, daß man versucht, das zu organisieren! Es wären wohl auch ohne alle Bemühungen genügend Leute gekommen […]. Allmählich sollten wir uns ein paar neue Formen des Straßenjubels einfallen lassen.200
Den Arrangeuren der Fähnchen schwenkenden Bevölkerung schien die Gefahr bewusst gewesen zu sein, dass der Nachkriegsjubel mit dem Jubel im Nationalsozialismus verglichen werden und damit in ein negatives Licht geraten könne. Entsprechend deutlich betonten sie im Begleittext zum Film über den Besuch die Unterschiede beider Spielarten: »Es ist der herzliche Beifall für einen hohen Gast und grossen Politiker, ein Beifall fern von spontaner Massenhysterie und politischem Fanatismus.«201 So sehr sich Westdeutschland vom Nationalsozialismus abzugrenzen suchte, der Diskurs um »Masse« und »Vermassung«, der schon das 19. Jahrhundert geprägt hatte, verband die westdeutschen Nachkriegsjahre nicht nur mit der Weimarer Republik, sondern auch mit dem NS-Staat.202 Wie die »organisierte Entfesselung«203 von Leidenschaften im Nationalsozialismus zeichneten sich auch die staatlichen Maßnahmen im Nachkriegsdeutschland durch einen zähmenden, zügelnden Charakter aus. Dahinter lagen jedoch andere Ziele: Während im Nationalsozialismus die »Verwandlung der zügellosen Massen in die ›strenge Form‹ der Gefolgschaft« im Vordergrund stand, galt es nach 1945, die vermutete Bereitschaft der Menschen zur blinden Gefolgschaft
199 Auch für das Folgezitat: R. Woller, Dwight D. Eisenhowers Triumphzug durch Bonn, Weser-Kurier, 27.8.1959. 200 G. Sauden, Der Jubel, KStA, 20.8.1959. 201 Kairat, Entwurf Film Eisenhower, als Anlage zu Schreiben von Wiers an Betz, 7.9.1959, BA, B145/1435; Skibowski, Besuch des Vertrauens, 15.10.1959, BA, B145/1435. 202 Zentrale Schriften für diesen Massendiskurs sind vor 1945 u.a. Le Bon; Ortega y Gasset u. Jaspers. Zu Hitlers möglicher Rezeption Le Bons Kershaw, S. 807f., Anm. 126. In der Nachkriegszeit dominierte die Erfahrung des Nationalsozialismus die Schriften zum Thema Masse Aich; Canetti; Ertel; Reiwald. Vgl. Schöps-Potthoff, S. 149; zum Massendiskurs der fünfziger Jahre Schildt, Massengesellschaft. 203 Auch für das Folgezitat König, S. 246.
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und die damit verbundenen Gefühlsausbrüche zu kontrollieren. Die Menschen sollten den Gast zwar bejubeln, aber maßvoll. Den Kritikern stand eine Vielzahl von Stimmen gegenüber, die eine Inszenierung der Straßenkulisse explizit verteidigten und damit zugleich den Zwiespalt dokumentierten, in dem sich Westdeutschland in der Nachkriegszeit befand: zum einen sich von NS-Praktiken abgrenzen zu müssen, zum anderen nicht in Widerspruch zu den Praktiken anderer Staaten zu geraten. Der Journalist Rudolf Woller, der nach Abschluss der eintägigen Kurzvisite Eisenhowers mit Kritik an der organisierten Straßenkulisse nicht zurückhielt, hatte noch vor Besuchsbeginn solche Maßnahmen verteidigt. Er rechtfertigte sie als Tribut an amerikanische Praktiken sowie an Usancen der anderen besuchten Staaten, mit denen die Bundesrepublik um Aufmerksamkeit und den erfolgreichsten Aufenthalt konkurrierte: Man wollte sich »nicht gerne von Paris oder London überrunden lassen«.204 Die Konkurrenzsituation akzentuierte Woller mit dem Zitat eines britischen Kollegen, der gemutmaßt habe, ein vertrauliches Gespräch zwischen Adenauer und Eisenhower käme allein schon deshalb nicht zustande, weil die Briten verärgert reagieren könnten. Während Briten und Franzosen wegen ihrer eigenen Traditionen nicht der »Nachahmung der Gastsitten des Gastes« bedürften, schien dies ratsam für die traditionsarme Bundesrepublik. Abschließend riet der Journalist, man solle »in einer solchen Stunde dieser Art von ›organisierter Spontaneität‹ keine allzu große Skepsis entgegenbringen«. Es entspreche den »geistvollen Erkenntnisse[n] der großen Werbetheoretiker«, »daß für jede Sache in einer Weise Reklame betrieben werden müsse, die der Psyche des Angesprochenen entspreche«. Zu Gelassenheit angesichts der organisierten Straßenöffentlichkeit riet auch Paul Sethe, handelte es sich in seinen Augen doch um eine Anpassung an die zeitgenössische Art und Weise, Politik zu praktizieren: [W]ir leben in einem Zeitalter, in dem die Massen das politische Bild bestimmen. Massen aber brauchen immer eine gewisse Führung, die sich in solchen Fällen als Kunst des Organisierens bewähren muß. Wir finden nichts Anstößiges daran.205
Bedenklich erschien Sethe lediglich, »wenn Gefühle vorgetäuscht würden, die von den Teilnehmern nicht empfunden werden«, was seiner Auffassung nach nicht der Fall sei. In der Wertung Hans Schusters von der Süddeutschen Zeitung konnte der überwältigende Empfang Eisenhowers durch die Bundesbürger jegliche Befürchtungen wegen eines Übermaßes an Vorbereitungen ausräumen, da sich ein derartiger Jubel nicht organisieren ließe. Er resümierte: »Das war 204 Auch für das Folgende: R. Woller, Weltpolitik mit Spalier und Fähnchen, Weser-Kurier, 25.8.1959. 205 Auch für das Folgezitat: P. Sethe, Mehr als Kundgebungen, Allgemeine Zeitung, 26.8.1959.
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nicht das Werk von Fachleuten für spontane Kundgebungen.«206 Vielmehr hätten die Bonner die Gelegenheit ergriffen, während der Berlinkrise »einmal tief aufzuatmen« und Vertrauen zu demonstrieren. Die Frankfurter Rundschau druckte gar ein Plädoyer für eine ausgedehntere Organisation der Straßenöffentlichkeit und begrüßte die Lenkungsversuche des Protokolls, die offenbar nicht weit genug gingen. Verwiesen die Kritiker auf die Nähe dieser Öffentlichkeitsform zum Nationalsozialismus, bemängelte der Frankfurter Kommentator, dass gerade die unorganisierte Öffentlichkeit auf NS-typische Verhaltensweisen zurückgreifen könne.207
5. Das Maß der Begeisterung und der demokratische Jubel Kreisten die Zeitungsartikel zum amerikanischen Besuch 1959 noch primär um das Pro und Contra einer organisierten Öffentlichkeit, konzentrierten sich die Medienvertreter beim Besuch Charles de Gaulles auf die Ausdeutung des Jubels auf der Straße, der alles bis dahin Gesehene in der Bundesrepublik übertraf. Damit verlagerte sich der Fokus der Kommentatoren von den staatlichen Eingriffen auf die Introspektion in die Seelen der NS-erfahrenen Bundesbürger. Dass die Westdeutschen de Gaulle zujubeln würden, erwarteten die medialen Beobachter,208 und sie riefen teils, wie etwa die Bild-Zeitung, dazu auf.209 An dem Ausmaß der Vorbereitung schieden sich wie drei Jahre zuvor erneut die Geister, mit dem Unterschied, dass der Eisenhower-Besuch nun eindeutig als positive Vergleichsgröße galt. Dieter Schröder erklärte in der Süddeutschen Zeitung, die Begeisterung wirke vielleicht wegen der Vorbereitungen nicht so spontan wie beim Eisenhower-Besuch,210 während die vom Fernsehbild her urteilende Badische Zeitung die Spontaneität der Freude betonte: Die »Wärme des Beifalls und der Zustimmung« sei »einem elementaren Gefühl« der Dankbarkeit über das Ende alter Ängste und Ressentiments entsprungen und nicht »das Werk einer bestellten Claque«.211 In diesem Tenor versicherte Hans-Werner Graf von Finckenstein, der Jubel, der das französische Staatsoberhaupt in der AugustThyssen-Hütte empfing, sei »nicht künstlich erzeugt«.212 Ein Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigte sich empört über eine Interpretation des Köl206 H. Schuster, Eisenhower und die Deutschen, SZ, 28.8.1959. 207 Vgl. Es gab nur unbedeutende Pannen, FR, 28.8.1959. 208 Vgl. J. Feddersen, Vive de Gaulle?, NRZ, 4.9.1962; Der Staatsbesuch, Die Welt, 4.9.1962. 209 Jubelt ihm zu!, Bild, 4.9.1962. 210 Vgl. D. Schröder, Charles de Gaulle hält Einzug in Bonn, SZ, 5.9.1962. 211 Freundschaft in der Gemeinschaft, Badische Zeitung, 8.9.1962. Vgl. auch L. Barth, Die bedrohte Freiheit, Die Rheinpfalz, 17.9.1962. 212 H.-W. Graf v. Finckenstein, Die Arbeiter verstehen das Pathos des Generals sehr wohl, Die Welt, 8.9.1962.
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ner Straßenpublikums als »Karnevalsgecken«; vielmehr handele es sich um »die skeptische Jugend von heute«, deren »Begeisterung in keiner Weise gesteuert« gewesen sei. Die »harrende Menge [sei] sich vollkommen allein überlassen [gewesen], bis der Staatschef mit 20 Minuten Verspätung eintraf«. Mit den ersten Worten Charles de Gaulles habe ein nicht erwarteter »Jubelsturm« eingesetzt. Die Tränen seiner Angestellten galten dem aufgebrachten Leser als Garanten der Echtheit westdeutscher Emotionen: »Heute morgen erzählten mir meine Putzfrauen, daß sie vor Rührung geweint hätten, weil der General deutsch gesprochen habe und auch sie somit unmittelbar angesprochen waren.«213 Wie in diesem Zitat angedeutet, sahen viele Kommentatoren die besondere Persönlichkeit de Gaulles als Katalysator für das unerwartete Ausmaß des Jubels, der in der journalistischen Deutung eine »plebiszitäre Zustimmung zur deutsch-französischen Verständigung« darstellte.214 De Gaulle galt der in- und ausländischen Presse als »Meister der Massenpsychologie auch im Umgang mit fremden Völkern«.215 Als Hauptdarsteller wie Regisseur des Besuchs216 wusste er »alle Register zu ziehen, ohne sich beim Durchmessen des landschaftlichen und landsmannschaftlichen Gefälles dieser Bundesrepublik je in der Nuance zu irren«.217 Biographisch wie performativ nahm der General die Westdeutschen für sich ein. Er beeindruckte durch seine von Couragiertheit gekennzeichnete persönliche Geschichte, von den wiederholten Fluchtversuchen aus deutscher Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg über seinen Widerstand gegen die Kapitulation Frankreichs 1940 bis hin zum Waffenstillstand mit Algerien.218 Der General wusste auf Deutsch zu überzeugen und setzte zusätzlich eine starke Körpersprache ein.219 Die vor Ort aufflammende Begeisterung, die nach dem Besuch ihren Ausdruck in zahlreichen Frankreichreisen fand,220 wies in einer weiteren Lesart de Gaulle als Erlöser aus. Er figurierte demnach nicht nur als Erlöser von der Last der deutschen Vergangenheit, sondern befreite zudem von einer damit verbundenen emotionalen Lähmung. Der Jubel hatte kathartische Wirkung.221 Hermann Schreiber arbeitete mit dem Vokabular der »Befreiung« und »Erlösung«: In seinen Worten glich der Jubel einer »befreiende[n] Aufwallung der Massen, endlich wieder einmal mit dem vollen Konsens der Geschichte Hurra rufen zu 213 Leserbrief B. Kluth, FAZ, 13.9.1962. Kluth bezog sich auf: Der General drückt sie alle an sein französisches Herz, FAZ, 6.9.1962. 214 R. Stobbe, Nach dem Fest, Hamburger Echo, 10.9.1962. 215 Randbemerkungen zum Staatsbesuch de Gaulles, Luxemburger Wort, 11.9.1962. 216 Vgl. J. von Puttkamer, Der Staatsbesuch, Vorwärts, 12.9.1962. 217 F. Wesemann, Die Schlacht um die »deutsche Seele«, FR, 10.9.1962. 218 Vgl. z.B. R. Tüngel, Warum so begeistert?, WamS, 9.9.1962. 219 Vgl. F. Wesemann, Die Schlacht um die »deutsche Seele«, FR, 10.9.1962; Randbemerkungen zum Staatsbesuch de Gaulles, Luxemburger Wort, 11.9.1962. 220 Vgl. de Gaulle löste Sturm auf Reisebüros aus, Die Welt, 13.9.1962. 221 Vgl. Ein neuer Alltag, FAZ, 10.9.1962.
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dürfen« und »erlöste« damit »vom Albdruck der jubellosen, der schrecklichen Zeit«.222 Ebenso deutete Hans Georg von Studnitz im zeitlichen Bezug zum Ende des Nationalsozialismus den »Begeisterungssturm von Massen« als Entladung eines »siebzehn Jahre lang unbefriedigt gebliebene[n] Bedürfnis[ses] nach Symbolik«.223 Ignaz Keßler analysierte den Jubel, verstanden als »irrationale[r] Aufstand von Mächten, die gut, aber auch gefährlich sein können«, stärker auf die Gegenwart hin. In Anlehnung an die zeitgenössische Technikkritik benutzte er eine Metaphorik, die sich in der Dichotomie Krankheit versus Gesundheit bewegte: De Gaulles Besuch führe das »Emotionale« wieder in die Politik einer »so rational, so kalt verwalteten und ›verwirtschafteten‹ Welt« ein. »Wir halten diesen Vorgang des Erstaunens und Erschreckens für heilsam.«224 Die Skeptiker bedienten sich derselben Metaphorik wie diejenigen, die den Enthusiasmus der Straße begrüßten. Kamen die Begeisterungsstürme in Keßlers Deutung einer heilsamen Schocktherapie gleich, begriff sie ein Kritiker als Symptome eines »Virus«, worin das Wortfeld Übertragbarkeit/Infizierung sowie Immunität/ Widerstandsfähigkeit anklang. Im gleichen Wortfeld bleibend, schien dem Verfasser die Ansteckungsgefahr der Westdeutschen für das Begeisterungs-»Virus« besonders hoch, diagnostizierte er doch, dass »einfache Rezepte volkstümlicher Propaganda […] in Deutschland noch weit wirksamer waren als in Frankreich«.225 Was den einen als Erlösung galt, interpretierten andere als Verführung und Rückschritt in eine überwunden gehoffte Zeit. Wie auch immer argumentiert wurde, der Nationalsozialismus hatte einen Platz in jedem Argumentationsgefüge. Die FDP-nahe Westdeutsche Rundschau zitierte skeptische »Volksstimmen«, die dahinter die »Macht der Demagogie« fürchteten, die Begeisterung als »übertrieben« empfanden und bei denen sich Bedenken wegen eines neuen Hitlers regten.226 Ähnliche Vorbehalte äußerten Spiegel-Leser in ihren Briefen an die Redaktion. Andere Leser versuchten, die Aufregung um den Jubel zu drosseln,227 zu dem das Hamburger Magazin selbst beigetragen hatte, indem es de Gaulles Auftritt in der Bundesrepublik in den Kontext der NS-Geschichte stellte: »Zum erstenmal seit Adolf Hitler waren die Deutschen wieder von dem Charisma eines einzelnen Menschen gefangengenommen.« De Gaulles »Patina der Geschichte« hätten »die Bundesrepublikaner zu lange entbehrt […], um nicht ihrer Faszination zu erliegen«.228
222 H. Schreiber, »Vive de Gaulle!«, Stuttgarter Zeitung, 10.9.1962. 223 H.G. von Studnitz, De Gaulle kam, sah und siegte, Christ und Welt, 14.9.1962. 224 I. Keßler, Und die Welt staunt, Saarbrücker Landeszeitung, 11.9.1962. 225 Das deutsche Selbstbewußtsein ist gestärkt, Dt. Zeitung u. Wirtschaftszeitung, 11.9.1962. 226 Private Meinungen zu de Gaulles Besuch, Westdeutsche Rundschau, 12.9.1962. 227 Vgl. Briefe, Der Spiegel, 26.9.1962; Briefe, Der Spiegel, 10.10.1962. 228 Bis zum Ural, Der Spiegel, 12.9.1962.
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Wie die Westdeutschen nicht gleichermaßen empfänglich für expressive Begeisterung waren, äußerten auch ausländische Beobachter Vorbehalte.229 In Italien traten »viele der Ressentiments neu an die Oberfläche […], die nach dem Ende des Eichmannprozesses gerade wieder einigermaßen verdeckt worden waren«. Es stellte sich die »bange Frage, ob die Deutschen nicht doch vielleicht die alten geblieben sind«.230 Den Pressestimmen nach zu urteilen, trauten weder die Bundesbürger noch ihre Nachbarn dem demokratischen Wandel Westdeutschlands. Publizisten und Politiker bemühten sich um Schadensbegrenzung:231 Zum einen wiesen sie darauf hin, dass bundesrepublikanische Staatsrepräsentanten wie Adenauer oder Lübke bewusst auf vergleichbare Formen der Massenmobilisierung verzichteten. Zum anderen versuchten sie, die Jubelstürme zu relativieren.232 An die Kritiker von Heldenverehrung gerichtet, erläuterte Maxim Fackler in der Süddeutschen Zeitung die geänderte Sachlage, dass mit de Gaulle kein Abenteurer, sondern ein Vertreter der Resistance geehrt werde.233 Auch Herbert Wehner wandte sich gegen die »›Zerrbilder der Deutschen‹, die noch in nationalistischem und reaktionärem Denken Befangenen«. Diese wären nicht »in Erscheinung getreten und hätten das ›erregende Ereignis‹ nicht getrübt«.234 Als knapp ein Jahr später John F. Kennedy viele Bundesbürger auf die Straßen lockte und ebenfalls in ekstatischen Jubel versetzte, hielt sich die Kritik zurück. Zwar verglichen in den USA einige Republikaner, die dem Präsidenten der Gegenpartei den Erfolg in Europa verleiden wollten, den Takt der »Kenne-dy«-Rufe mit den »Heil Hitler«-Rufen einige Dezennien zuvor.235 Doch erschien es bemerkenswert, dass sogar in der britischen Presse, die sich wenige Jahre zuvor »eine solche Gelegenheit zu kritischen Parallelen sicher nicht hätte entgehen lassen«, »naheliegende unfreundliche Vergleiche mit der HitlerZeit […] unterblieben«.236 Kennedy hob sich gegen de Gaulle nicht nur durch seine Jugend ab, sondern durch seinen »anderen Stil«, seine »Bescheidenheit im Auftreten«, seinen Verzicht auf Pathos, den der Vergleich mit de Gaulle noch deutlicher werden ließ.237 Der amerikanische Präsident verkörperte einen 229 Vgl. z.B. W. Wagner u. M. Wall, Die Deutschen und das Char(l)isma, Sonntagsblatt Hamburg, 16.9.1962. 230 F. Meichsner, Sehnsucht nach einem Führer?, Die Welt, 15.9.1962. 231 Vgl. W. Hück, Nicht zu ängstlich, Die Rheinpfalz, 13.9.1962. 232 Vgl. z.B. J. Müller-Marein, Warum sie »Vive de Gaulle« riefen, Die Zeit, 14.9.1962. 233 Vgl. M. Fackler, Die Marseillaise und das Deutschlandlied, SZ, 15.9.1962. 234 H. Becker, Nachlese, RP, 17.9.1962. Wehner richtete sich gegen: E. Tiefenbach, Die Arme hoch, Vorwärts, 12.9.1962. 235 Drahtbericht von Lilienfeld, Washington, 3.7.1963, PA, B8, Bd. 497. 236 Zusammenfassung britische Zeitungen, ohne Deckblatt, PA, B32, Bd. 176, Fiche 2, p. 157f., hier p. 157. 237 H. Schulz, Wir und die Begeisterung. De Gaulle und Kennedy in Deutschland, Echo der Zeit, 5.7.1964.
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demokratischen Typ der emotionalen Ansprache an die Menschen, die nicht per se unter dem Generalverdacht der Regression in autoritäre Staatsformen stand, wenngleich auch Kennedy Erinnerungen an die Vergangenheit wecken konnte.238 Entsprechend wagte der Film des Bundespresseamtes in einer Passage über den Aufenthalt des amerikanischen Politikers in Köln eine deutliche Stellungnahme, die Bedenken westdeutscher und ausländischer Kritiker gleichermaßen beschwichtigen sollte: Kennedy sei »wohl der erste demokratische Politiker, der den Diktaturen das Vorrecht streitig macht, die Massen in Bewegung zu bringen«. Die »Lebensfähigkeit der modernen Demokratien« in Europa hänge auch davon ab, »ob es gelingt, die Mehrheit einer Nation für bessere Ideen zu begeistern«.239 Die Straßenöffentlichkeit hatte neben der optischen auch eine akustische Seite. Klatschen, Rufe, Pfiffe und andere Signale belebten das Straßenbild ebenso wie die Erscheinung und die räumlichen Arrangements der dort versammelten Menschen. Als Kennedy die Bundesrepublik bereiste, stand er zum französischen Staatsoberhaupt nicht nur inhaltlich in einem politischen Gegensatz in Fragen des Ost-West-Konflikts, sondern ebenso in einer unmittelbaren akustischen Konkurrenz. Obwohl das State Department damit rechnete, dass Kennedy »more public attention and interest than any previous visit by a foreign statesman to modern German – including probably even de Gaulle’s state visit last September« hervorrufen würde,240 verhielt es sich offiziell vorsichtig. Die deutsche Botschaft in Washington übermittelte Kennedys Wunsch, seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik »nicht als einen popularitaetswettbewerb mit gen. de gaulle« anzusehen.241 Doch Vergleiche ließen sich nicht vermeiden. Wie viele Beobachter in der Bundesrepublik und anderen Staaten sah Raymond Aron die Bundesrepublik ungewollt in der Rolle des Schiedsrichters zwischen den beiden gegensätzlichen Politikern und ihren politischen Weichenstellungen.242 In der Berichterstattung bildete die Lautstärke der Menschen auf den Straßen einen entscheidenden Gradmesser in diesem Wettbewerb, da sie als messbare Repräsentanz der Aufmerksamkeit und Zustimmung zur Person und den Positionen des jeweiligen Politikers verstanden wurde. Bereits im Vorfeld seines Besuchs erwartete man, dass Kennedy die »Phonstärke des Beifalls für de 238 »Da war es eben wieder, dieses Phänomen, daß das deutsche Volk einem Hitler, (einem) de Gaulle, aber auch einem Kennedy zujubelte.« Ebd. 239 Text zum Film, BA, B145/4670. 240 Paper prepared in the Department of State, Washington, 14.6.1963, in: FRUS, 1961-1963, Vol. XV, Dok. 194. 241 Drahtbericht Knappstein, Washington, 4.6.1963, PA, B8, Bd. 497. 242 Vgl. Drahtbericht Blankenhorn, Paris, 28.6.1963, PA, B8, Bd. 498. Blankenhorn zitierte den Aron-Artikel desselben Tages »Bonn entre Washington et Paris«. Vgl. zur Wahrnehmung des Besuchs als Wettbewerb: C. Wehner, London sieht »Wettbewerb«, FR, 25.6.1963.
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Gaulle« überbieten werde.243 Die Basler Nationalzeitung resümierte ähnlich amerikanischen Beobachtern, noch bevor Kennedy Berlin betreten hatte, dass die Phonmessungen, hätte man sie durchgeführt, zugunsten des amerikanischen Präsidenten ausgefallen wären. In der Bewertung des Schweizer Kommentators »schwang die leicht erregbare deutsche Volksseele mit« wie bei de Gaulle, doch »überwogen die politischen Motive« für den Jubel, die amerikanischen Sicherheitsgarantien für Berlin.244 Der quantifizierende Blick ließ auch den Besuch Elizabeths II. nicht aus. Anders als ihre Besuchsvorgänger de Gaulle und Kennedy habe sie »keine[n] Rausch« ausgelöst, so die Welt am Sonntag. Als Indikatoren zog der berichtende Journalist die niedrigeren Phonstärken beim Jubel der Menschen auf der Straße heran.245 In einer Zeit-Glosse attestierte Wolfgang Ebert ebenfalls den männlichen Konkurrenten um die Gunst des westdeutschen Publikums einen Vorsprung in der Lautstärke, wenngleich die Teilnehmerzahlen beim Queen-Besuch 10 bis 15 Prozent höher ausgefallen seien als bei den Staatsoberhäuptern der USA und Frankreichs.246 Neben dieser quantifizierbaren Seite des Jubels diskutierten Zeitungskommentare wie Bürgerzuschriften an amtliche Stellen seit den frühen fünfziger Jahren die Frage, mit welchen Rufen die Bundesbürger guten demokratischen Gewissens ihrer Freude akustisch Ausdruck verleihen könnten. Nach Theodor Heuss’ Besuch in Kiel 1953 warf ein Journalist die Frage auf »Wie sollen wir denn jubeln? Hurra, Hoch oder Huhu?«. Er berichtete über die Reise, dass sich zwar viele tausend Kieler eingefunden hätten, um den Bundespräsidenten willkommen zu heißen, Jubel aber ausgeblieben wäre. »In Ermangelung anderer Freudenbezeugungen« beschränkten sich die frisch gebackenen Bundesbürger darauf zu klatschen. Heuss’ Versuche, dem Publikum durch eigene Hoch-Rufe ein geeignetes Jubelvokabular in den Mund zu legen, griffen die Menschen nur vereinzelt auf. »Huhu«-Rufe konnten nicht überzeugen, »Hurra« klänge »zu zackig«, »Salve« sei »überholt« und »Heil« durch die NS-Zeit diskreditiert. Auch in ihren Gesten und ihrer Körpersprache zeigten sich die Westdeutschen auf Distanz zur NS-Zeit bedacht, wenngleich sie damit noch nicht ganz überzeugen konnten. So reckten viele ihre Arme in die Höhe, hielten sie jedoch nicht stramm ausgestreckt, sondern »schlenkerten« sie hin und her. Alles sei »salopper und demokratischer« geworden, resümierte der Journalist, es fehle lediglich der richtige Ton: »Wir Tausende aber wussten nicht, was wir jubeln sollten.«247 Schon im Februar desselben Jahres hatte sich ein Studienrat an Heuss nach 243 Die Lautstärke, General-Anzeiger, 6.6.1963, PA, B8, Bd. 498. 244 H. Kuhn, Der Blickfang, Basler Nationalzeitung, 25.6.1963. Vgl. zur amerikanischen Wahrnehmung: Amerika zieht Vergleiche mit Empfang für de Gaulle, FAZ, 25.6.1963. 245 H.G. von Studnitz, Darum jubeln die Deutschen ihren Gästen zu, WamS, 30.5.1965. 246 Vgl. W. Ebert, Ein Volk der Jubler, Die Zeit, 28.5.1965. 247 J. Neck, Manuskript »Wie sollen wir denn jubeln? Hurra, Hoch oder Huhu?«, im August 1953 als Artikel erschienen, BA, B122/609, Fiche 2.
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dessen Aufenthalt in Bremen mit der Beobachtung gewandt, dass die Bundesbürger nicht wüssten, wie sie jubeln sollten, es fehle die vertraute Geste.248 Der Nationalsozialismus hatte die Menschen mit einer tief greifenden symbolischen Verunsicherung zurückgelassen, die Stimme und Gestik jedes Einzelnen tangierte. Heuss wusste um diese »gewisse Unsicherheit des Verhaltens der Zuschauer« und war nach mehrfachen Überlegungen mit seinen Beratern zu dem Schluss gekommen, dass sich der richtige Jubel nicht (mehr) anordnen lasse. Er könne als positives Beispiel lediglich die »Theodor! Theodor!«-Rufe anführen, mit denen ihn die Borgward-Arbeiter empfangen hatten.249 Zwei Jahre später entlud sich die Begeisterung der westdeutschen Demokraten für die in Deutschland geborene iranische Kaiserin Soraya mit diversen Ausrufen, die wiederum genauestens in den Medien registriert und bewertet wurden. In Düsseldorf wählten die Menschen neben dem skandierten Vornamen ein »Haah«, in München »Aah«, »Hurra«, »Eviva«, Hoch-Rufe und diverse Sprechchöre wie »So-ra-ya-und-Schah!«, »Soraya, bitte schau heraus – ganz München steht vor Deinem Haus!« oder »Wir wollen das Kaiserpaar sehen!«.250 Der Münchner Merkur erklärte die unbeholfenen Rufe aus der Emotionalität der Situation heraus.251 Ihre Angst, den Mund aufzutun, hatten die Menschen offenbar abgelegt, wenngleich die Presse weiterhin das Fehlen angemessener Rufe monierte.252 Grund zur Klage bestand offenbar noch 1959, hatten sich die Bundesbürger doch auch zu diesem Zeitpunkt noch keinen passenden Schlachtruf für die Staatsbesuche zugelegt. So konstatierte die Frankfurter Rundschau nach dem Eisenhower-Besuch: »Der deutsche Mensch, an ›Hurra‹ und ›Heil unserem Führer‹ gewöhnt, brachte nur undefinierbare Rufe wie ›Eeeiii‹ und ›Heeeiii‹ zustande.«253 Das »Heil« verschwand offenbar nur langsam aus der bundesrepublikanischen Gesellschaft – es erstickte gleichsam Laut für Laut.254 Öffentliche Stellen wie mediale Kommentatoren fürchteten bis Mitte der sechziger Jahre, dass der ungeliebte Ruf, der emotionalen Aufregung der Menschen geschuldet, auftreten könne.
248 Vgl. Götze an Heuss, 27.1.1953, BA, B122/609, Fiche 2. 249 Heuss an Götze, 5.2.1953, BA, B122/609, Fiche 2. 250 Vgl. Lynkeus, Heil und Haah, Der Mittag, 4.3.1955; G. Fuchs, »Ganz München steht vor Deinem Haus«, Münchner Merkur, 7.3.1955; Viermal treten Soraya und der Schah auf den Hotelbalkon, Münchner Merkur, 7.3.1955. Vgl. zur westdeutschen Soraya-Begeisterung Derix, Soraya. 251 Vgl. G. Fuchs, »Ganz München steht vor Deinem Haus«, Münchner Merkur, 7.3.1955. 252 Vgl. Lynkeus, Heil und Haah, Der Mittag, 4.3.1955. 253 Es gab nur unbedeutende Pannen, FR, 28.8.1959. 254 Die »Zählebigkeit« des »Heil«-Rufs konstatiert auch Behrenbeck, Heil, S. 311; vgl. grundsätzlich zum »deutschen Gruß« Allert.
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Die Angst vor einem falschen Wort am Straßenrand entstand neu vor dem über mehrere Jahre herbeigesehnten Staatsbesuch Königin Elizabeths II. Vorbeugend meldeten sich Etiketteexperten zu Wort und erteilten gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und den Printmedien Ratschläge für das angemessene Verhalten am Straßenrand. Schenkt man dem Presseparlamentär des Deutschen Tanzlehrerverbandes (DTV), Hans-Georg Schnitzer, Glauben, veranlasste eine Vielzahl von Zuschriften aus der Bevölkerung den 1956 gegründeten, im DTV angesiedelten Fachausschuss für Umgangsformen dazu, Empfehlungen für den Besuch der Queen auszusprechen. Ein Briefzitat veranschaulicht die Sorgen, die einige Bundesbürger vor dem Besuch umtrieben: »Mit welchen Rufen ist Jubel erwünscht? Doch wohl nicht mit Heil? Können Sie mir da Fingerzeige geben?«, wollte man in einem Industriebetrieb mit großteils weiblicher Belegschaft wissen.255 Schnitzer resümierte die ungezählten Zuschriften an den Verband für das Auswärtige Amt, dessen Mitarbeiter erklärten, die Königin werde »sich freuen, wenn sie in Deutschland herzlich begrüßt wird. Diese Herzlichkeit kann man durch Händeklatschen oder Winken zum Ausdruck bringen.« Das Wort »Heil« sei als Jubelruf auszuschließen.256 Der DTV veröffentlichte diese Antworten in seinem Informationsorgan Tanzpressedienst257 und führte zu diesem Thema ein Gespräch mit den Printmedien, z.B. der Bild am Sonntag,258 die vielfach über die Empfehlungen berichteten.259 Wenngleich der Hinweis auf die Unangemessenheit des Rufes »Heil« unnötig schien, waren die Alternativvorschläge für die vakante Stelle eines angemessenen Rufes zur Begrüßung, z.B. »Königin Elisabeth!«, willkommen.260 Bereits in den fünfziger Jahren hatten die hohen Verkaufszahlen von Etiketteratgebern das Bedürfnis nach verbindlichen Verhaltensvorgaben für den Kontakt mit anderen offenkundig werden lassen. »Das Buch der Etikette« von Karlheinz Graudenz hatte sich in der Erstauflage von 1956 so oft verkauft, dass es Mitte der sechziger Jahre überarbeitet und neu aufgelegt wurde. Die stellvertretende Protokollchefin Pappritz hatte dem Autor beratend zur Seite gestanden, damit die Anleitung zur Höflichkeit gleichsam amtlich verbrieft und 255 Fachausschuss für Umgangsformen, Köln, o.D., Diskussionsthema: Besuch der Königin von England, PA, B8, Bd. 911. Vgl. auch Moll, S. 284. Ein Archiv des DTV befindet sich im Aufbau, konnte aber noch nicht eingesehen werden. 256 Vermerk Westerburg, Betr. Beantwortung, PA, B8, Bd. 911. 257 Vgl. Tanzpressedienst, o.D., PA, B8, Bd. 911. 258 Vgl. Schnitzer an Westerburg, 22.4.1965, PA, B8, Bd. 911. 259 Vgl. M. Jaeger, Der englischen Königin küßt man nicht die Hand, Stuttgarter Nachrichten, 15.4.1965; Königin Elizabeth schätzt Heil-Rufe bestimmt nicht, NRZ, 15.4.1965; Keine Heil-Rufe für die Königin, FAZ, 15.4.1965; C. Lawson, No »Heils« for the Queen, Daily Express, 17.4.1965; H. Koar, Man rufe: »Queen Elizabeth!«, Hannoversche Presse, 19.5.1965. 260 M. Jaeger, Der englischen Königin küßt man nicht die Hand, Stuttgarter Nachrichten, 15.4.1965.
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mutmaßlich erheblich zum Erfolg des Buches beigetragen.261 Mitte der sechziger Jahre erfreute sich in der Einschätzung der Zeit zudem das Benimm-Buch »Höflichkeit, ein Schlüssel zum Erfolg« großer Beliebtheit und indizierte damit die anhaltende Verunsicherung der Westdeutschen in Fragen des sozialen Verhaltens nach dem Zweiten Weltkrieg.262 Dem Bedürfnis der Bundesbürger nach Anleitung entsprach auf Seiten der Journalisten das Anliegen, ihren Mitbürgern die Reichweite ihres Auftretens gegenüber fremden Gästen – seien es Touristen oder Staatsgäste – stets vor Augen zu halten. Das »Benehmen […] gegenüber dem Fremden« sowie das »Benehmen […] untereinander«, so ein Artikel aus dem Jahr 1955, seien »Objekte ständiger Beobachtung«. Der Besucher finde darin »die Anhaltspunkte, um Schlüsse […] auf das deutsche Wesen zu ziehen« und bilde ausgehend davon »auch sein Urteil in den politischen Fragen«: »Der Ausländer, der die Bundesrepublik voller Sympathien verläßt, wird sich dem deutschen Wunsch nach Wiedervereinigung aufgeschlossener zeigen«.263 Noch zehn Jahre und einige Staatsbesuche später mahnten Zeitungsartikel die Bundesbürger zu angemessenem Verhalten gegenüber den Ausländern, in diesem Falle Staatsgästen. Nach den überschwänglichen Empfängen hofften die Schreiber jener Texte auf ein wohltemperiertes Verhalten ihrer Leserschaft als Abschluss einer demokratischen Formfindung und Wiedereingliederung in »den internationalen Salon«.264 Der Bonner General-Anzeiger verstand den königlichen Besuch als »Reifeprüfung« vor den Augen der so genannten Weltöffentlichkeit. Auch angesichts möglicher ironischer britischer Kommentare ob des deutschen Überschwangs riet er zu einer maßvollen Begeisterung. Der Königin »ins Gesicht gebrüllte« Begeisterungsrufe oder »demonstrative Unterwürfigkeit« passten ebenso wenig »zu der angestrebten Normalisierung« wie die »Hände in den Hosentaschen« der Oxforder Studenten beim Besuch Heuss’ 1958.265 Zwar fürchteten einige scheinbar auch eine zu große Verhaltenheit.266 Doch überwog der Appell, Maß zu halten und sich so als wahre Demokraten zu erweisen: »So wollen wir […] niemals außer acht lassen, welche Unaufdringlichkeit, wieviel Takt und einfühlende Sorgfalt dazu gehören, um das höchst erfreulich Ereignis zu einem dauerhaften Erfolg zu machen.«267 261 Vgl. Graudenz/Pappritz, Buch der Etikette; Graudenz/Pappritz, Etikette neu. 262 Vgl. H. Hachmann, Über den Umgang mit der Queen, Die Zeit, 30.4.1965. Dass die Ratgebernachfrage »nach Krisen- und Umbruchsituationen« ansteige, konstatiert Jureit, S. 215. 263 H. Georgi, Zu Gast in Deutschland, Kasseler Post, 15.7.1955. 264 H.G. von Studnitz, Darum jubeln die Deutschen ihren Gästen zu, WamS, 30.5.1965. 265 Willkommen, General-Anzeiger, 18.5.1965. Die Textstelle spielt auf den als abweisend empfundenen Empfang Theodor Heuss’ in Oxford 1958 an, vgl. dazu Glees; Günther, Gespiegelte Selbstdarstellung; Günther, Misslungene Aussöhnung. 266 Vgl. F. Schmedt, Warum der Jubel?, Neue Tagespost, 19.5.1965. 267 H. Proebst, Der königliche Besuch, SZ, 18.5.1965.
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So viel Expertenwissen und journalistische Ratschläge verschlugen der Bevölkerung auf der Straße bei Besuchsbeginn offenbar die Sprache, die sie erst am zweiten Tag wiedergewinnen sollte, um die Königin fortan konstant mit »Elisabeth!«-Rufen hochleben zu lassen.268 Die Kritik an der Begeisterung für den Staatsgast bediente sich bekannter Muster: Die Menschen seien einer »Massensuggestion zum Opfer gefallen«269 und offenbarten einmal mehr ihre Neigung, »Obrigkeiten nicht nur zu achten, sondern anzubeten, eine Eigenschaft, die sowohl zu Kaisers als auch zu Führers Zeiten soviel gesunden Menschenverstand gelähmt hat«.270 Relativ neu war hingegen der kritische Vergleich des Jubels für die Monarchin mit dem Jubel für Filmstars: Die Königin werde von der Jugend empfangen, »als ob sie Elizabeth Taylor hieße und nicht Elizabeth von England«.271 Positive Stimmen attestierten den Westdeutschen nun die Fähigkeit zu demokratischem Jubel. Hatte 1963 noch das nüchterne Auftreten des amerikanischen Präsidenten Anlass zu einer positiven Perspektive auf den Jubel der Bundesbürger gegeben, war nun das gewandelte Verhalten der Bundesbürger selbst »eine der erfreulichsten Erscheinungen bei dem Staatsbesuch«. Denn »nirgends gab es Massenhysterie. Zum erstenmal jubelten die Deutschen sozusagen demokratisch.«272 Doch wie gefestigt war dieser äußere Habitus der Westdeutschen? Jenseits der genannten wertenden Sichtweisen blieb doch bei einigen der Eindruck zurück, dass der mit demokratischem Selbstverständnis konnotierte wohltemperierte Jubel ein Balanceakt und keineswegs selbstverständlich und routiniert war. Der englische Journalist Michael Wall gab zu bedenken, dass nach dem Besuch die Frage bestehen bleibe, »wie republikanisch die Deutschen in ihrem Herzen wohl sind«.273 Dieses anhaltende Misstrauen und das Ringen um angemessene Ausdrucksformen der westdeutschen Bevölkerung war neben dem hohen Maß an staatlicher Organisiertheit das zweite prägende Kennzeichen der Straßenöffentlichkeit bei Staatsbesuchen bis Mitte der sechziger Jahre.
268 Vgl. O. Weissach, »Elisabeth, Elisabeth«, schallte es im Chor, Münchner Merkur, 20.5. 1965; Hunderttausende erlebten »Rhein in Flammen«, Saarbrücker Landeszeitung, 21.5.1965; Sprechchöre und Salutschüsse, FAZ, 29.5.1965. 269 H.B. Haber, War es nicht mehr zum Aushalten?, Bremer Nachrichten, 29.5.1965. 270 H. Lottbeck, Auf Wiedersehen – Elizabeth, Bremer Nachrichten, 29.5.1965. 271 P. Sartorius, Der Königin große Schau in Westberlin, Nürnberger Nachrichten, 29.5.1965. 272 P. Miska, Der Jubel blieb überall wohltemperiert, FR, 29.5.1965. 273 M. Wall, The Grand Gesture, Sonntagsblatt, 30.5.1965.
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II. Mediale Tableaus I Printmedien, Bildpresse, Rundfunk, Film, Wochenschauen und Fernsehen schufen eigene mediale Bilder der Staatsbesuche und der sich dort präsentierenden westdeutschen Gesellschaft. Sichtbarkeit ist konstitutiv für Politik in der Massengesellschaft. Bereits vor der massenmedialen Verbreitung des Fernsehens in der Nachkriegszeit lancierten Politiker und ihre Berater gezielt Homestories in den boomenden illustrierten Zeitschriften; Konrad Adenauer inszenierte sich in den Wochenschauen als Pater familias und Pater patriae im Rhöndorfer Gartenidyll für die westdeutsche Bevölkerung. Politische Kommunikation war bereits vor dem Einzug des Fernsehens professionalisiert, wie etwa der Einsatz von Werbeagenturen für Wahlkampagnen zeigt.1 Wochenschaubilder und Filme galten im Vergleich mit den Bildern, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen entstanden, als planbarer. Ihre Entstehung ließ sich leichter kontrollieren als die Vielzahl der Fernsehbilder, insbesondere diejenigen einer Liveübertragung. Staatliche Stellen versuchten, diese kontrollierbareren Medien für die eigenen Darstellungsinteressen zu nutzen, wie das folgende Beispiel der Filmproduktionen des BPA verdeutlicht.
1. Filmproduktionen des Bundespresseamtes Das mediale Pendant zur organisierten Straßenöffentlichkeit stellten die schon häufiger zitierten Filmproduktionen im Auftrag des BPA dar. In Kooperation mit der in Hamburg ansässigen Neuen Deutschen Wochenschau, die mehrheitlich dem Bund gehörte, zeigten die Bonner Kommunikationsexperten der Regierung ihre Versionen von politischen Ereignissen auf Zelluloid. Die unter staatlicher Beteiligung produzierten Streifen lassen sich als Versuche verstehen, das mediale Bildgebungsverfahren zu kontrollieren bzw. eine staatliche Sichtweise der Ereignisse zu präsentieren. Als erster Film zu einem Staatsbesuch entstand die BPA-Produktion »Imperial Visit to Germany« über die Reise Haile Selassies 1954, u.a. weil die Bundesrepublik »nicht hinter den anderen Mächten zurückstehen« wollte, nachdem die vorangegangenen Reiseziele des Kaisers, die USA, Großbritannien, Griechenland und Jugoslawien, eine umfangreiche Bild- und Filmberichterstattung vorweisen konnten.2 Der Streifen entfaltete 1 Zu diesem Ergebnis gelangen etwa Bösch, Das Politische; Moeller, S. 88–122. 2 Aufzeichnung Bidder, 30.10.1954, BA, B145/52.
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Bilder Westdeutschlands zwischen technologischem Fortschritt, Wirtschaftswunder mit menschlichem Antlitz und Internationalität über Hamburg als Tor zur Welt.3 Es sollten viele weitere Filme folgen, die Bilder je nach dem aktuellen Darstellungsbedürfnis zu einem Potpourri aus Wirtschaftswunder, Teilung, Vergangenheitsbewältigung, landschaftlichen Reizen und Folklore miteinander kombinierten und soweit möglich den herzlichen Empfang des Gastes in der Bundesrepublik ins Bild setzten.4 Wie die Collagen aus Wochenschaubildern im Deutschlandspiegel, einem weiteren Medium der staatlichen medialen Deutung, dienten die Filme primär der so genannten propagandistischen Auswertung der Besuche im Land des Gastes, bei der dortigen Bevölkerung wie teils in diplomatischen Kreisen.5 Zudem erkannte das BPA schon früh das integrative Potential dieser Filme. Der Film über den äthiopischen Staatsbesuch war zwar als Erinnerungsgabe für den Kaiser in englischer Sprache hergestellt worden, regte aber Reflexionen auf die Bedeutung von Filmen über Staatsbesuche im Inland an: Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass ein grosses Interesse in der Öffentlichkeit besteht, mit Hilfe des Films an dem Geschehen des Staates teilzunehmen. Die Staatsbesuche der gekrönten Häupter eignen sich in hervorragendem Masse, um die Repräsentierung des Staates sichtbar werden zu lassen.6
Ein BPA-Mitarbeiter schlug im Vorfeld des Schah-Besuchs 1955 vor, über die Staatsbesuche zwischen 1954 und 1955 einen Dokumentarfilm herzustellen, »in dem für den Betrachter das Vorhandensein seines Staates deutlich und spürbar wird«. Der Film mit dem Arbeitstitel »Staatsbesuche« sollte v.a. die Besuche von Monarchen betonen und »besonders ihr Zusammentreffen mit einer sich positiv verhaltenden Öffentlichkeit« akzentuieren. »Interessante Aufnahmen von Besichtigungen in der Wirtschaft, Industrie und Landwirtschaft« gäben »Gelegenheit, vom Wiederauf bau aus der Sicht des Gastes zu sprechen«. Durch die offiziellen Veranstaltungen werde das »Staatsgefühl des Betrachters […] angesprochen«. Auch sollte im Film »das Problem der Staatlichkeit, die Repräsentation des Staates […] zum Ausdruck kommen« und dem Zuschauer deutlich werden: »›Das ist Dein Staat, für den Du Pflichten übernehmen musst. Es lohnt sich, für ihn einzutreten, denn Dein Staat ist bei den anderen Völkern und Herrschern wieder geachtet.‹« 3 Vgl. das Typoskript »Kaiserliche Impressionen« sowie die gesamte Akte, BA, B145/52. 4 Eine Abgabeliste des BPA an das BA/FA verzeichnet zwischen 1956 u. 1978 44 Filmproduktionen zu Staatsbesuchen. Diese Filme sind aus konservatorischen Gründen nur in Teilen einsehbar. Weitere Filme waren geplant, aber ihre Verwirklichung konnte nicht nachgewiesen werden. 5 Neben einer thailändischen Fassung stellte das BPA vom Film über den Staatsbesuch Bhumibols u. Sirikits von Thailand 1960 auch englische Kopien her: »Für die hauchdünne Oberschicht und die Diplomaten!«, Vermerk Diehl, 22.3.1961, BA, B145/1473. 6 Auch für Folgezitate: Aufzeichnung Betz, BPA, 22.2.1955, BA, B145/52.
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Diese Denkweise stand in der Tradition der Integrationslehre Rudolf Smends. Der Staatstheoretiker formulierte Ende der zwanziger Jahre, als die Weimarer Verfassung offenkundig nicht als einigendes Symbol wirkte und von der Bevölkerung »mehr hingenommen als angenommen« wurde,7 den Staat als Konstrukt, als »Ergebnis eines fortlaufenden gesellschaftlichen Bewußt seinsprozesses«.8 Er entwickelte den Gedanken, dass der einzelne Bürger über Personen, Verhaltensweisen sowie Sachgehalte durch deren »sinnliche[…] Wahrnehmbarkeit«9 in den Staat eingebunden würde.10 In der Bundesrepublik wirkte diese Tradition fort.11 Zwar wurde das Filmprojekt aus nicht näher definierten Gründen nicht realisiert, doch gelangte 1958 ein Film über den Staatsbesuch Celal Bayars in den nichtgewerblichen westdeutschen Verleih (Landesfilmdienste, Katholisches Filmwerk, Filmwerk der evangelischen Kirche, Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise, Eigenverleih des BPA), um »der Bevölkerung Einblick in die Aussenpolitik der Bundesregierung zu geben«.12 Auf diese Weise kam auch der Eisenhower-Film »Besuch des Vertrauens« auf westdeutsche nichtkommerzielle Leinwände und erfreute sich ein Jahr nach dem Besuch noch so großer Nachfrage, dass mehrfach Kopien nachbestellt werden mussten.13 Zu den publikumswirksamen Besuchen der alliierten Siegermächte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre präsentierte das BPA ebenfalls eigene filmische Darstellungen, obwohl das Fernsehen in großen Teilen live berichtet hatte und sich die Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen kaum hätte enger gestalten können. Doch die staatlichen Stellen wollten auf eine Besuchsauswertung in Eigenregie, die über den Moment des Besuchs hinausging, nicht verzichten. Für den Film über den Besuch de Gaulles kaufte das BPA lediglich Filmmaterial von Wochenschauen auf 14 und kombinierte dieses mit Aufnahmen von Kanzlerreisen und sonstigem Archivmaterial zu einem Film über die deutsch7 Winkler, Weimar, S. 108. 8 Hartmann, Staatszeremoniell, S. 17. 9 Ebd., S. 18. 10 Vgl. Smend, besonders S. 136–142 u. 162. Smend entwarf seine Staatstheorie nach eigenem Verständnis auf »geisteswissenschaftlicher« Grundlage, vgl. Smend, S. 127. 11 Vgl. grundsätzlich zu Smends Integrationslehre u. deren Modifizierung nach 1945 Korioth; zur Weiterentwicklung dieses Ansatzes in der Nachkriegszeit Günther, Denken; zum Integrationsbegriff Göhler, S. 122f.; Sarcinelli, Staatsrepräsentation. 12 Aufzeichnung Winter, 27.8.1958; die Verleihe listet auf: Deutsche Reportagefilm an BPA, 20.10.1958, BA, B145/58. 13 Vgl. Geschäftsstelle der Konferenz der Landesfilmdienste für Jugend u. Volksbildung an BPA, 15.12.1959; Pieroth an BPA, 30.12.1959; Aufzeichnungen Betz, 25.5.1960 u. 7.7.1960, BA, B145/1435. Für die Bundeswehr hatte der Film gar Schulungscharakter, vgl. Kommandeur Wachbataillon beim BMVtg an Betz, 11.2.1960, BA, B145/1435. 14 Vgl. Protokoll über erste Besprechung, Ilgner, 8.8.1962, BA, B145/4669.
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französischen Beziehungen.15 Das BPA beabsichtigte damit, einen Kontrapunkt zur sonstigen Berichterstattung zu setzen, die den Besuch de Gaulles zu einem Höhepunkt der deutsch-französischen Beziehungen stilisierte. Die staatliche Öffentlichkeitsarbeit zielte hingegen darauf, nicht »von ›deutsch-französischer Freundschaft‹, sondern von ›deutsch-französischer Annäherung‹« zu sprechen – die politischen Partner in Europa und der NATO sollten scheinbar nicht brüskiert werden.16 Der Besuch sollte zudem nicht als »›einmaliges Ereignis‹ oder ›letzter Höhepunkt‹, sondern mehr als Anlaß und Schritt auf dem Wege einer festen politischen Konsolidierung« gezeigt werden, weshalb »das Werden und Wachsen des deutsch-französischen Zusammengehörigkeitsgefühls nach 1945 bis zur Gegenwart« im Vordergrund stand.17 Von »Der Weg in die Zukunft«, der 1963 mit dem Preis des Europarates ausgezeichnet wurde,18 gingen 100 16mm-Kopien an westdeutsche nichtkommerzielle Verleihe sowie 24 Kopien in französischer Sprache an die Botschaften der Bundesrepublik in französischsprachigen Ländern sowie auf Deutsch nach Den Haag, Wien und Bern.19 Flankierend produzierte das BPA eine Schallplatte mit den wichtigsten Reden des Staatsbesuchs, gerahmt von der deutschen und französischen Nationalhymne sowie dem Lothringer Marsch. Diese Tondokumentation erhielten westdeutsche Botschaften, Konsulate, Goethe-Institute sowie jene Schulen und Personen, die an der Besuchsgestaltung mitgewirkt hatten.20 Des Weiteren beteiligte sich das BPA finanziell an den Produktionskosten einer Langspielplatte zu den deutsch-französischen Beziehungen, »Zwei Völker auf dem Weg nach Europa«, die sich in CDU-Kreisen großer Beliebtheit erfreute und in erster Auflage bereits kurz nach Erscheinen vergriffen war.21 In unterschiedlichen Medien – neben Filmen und Schallplatten produzierte das BPA auch illustrierte Broschüren – präsentierten die staatlichen Stellen ihre Einordnung des Staatsbesuchs und versuchten, ihn als medial wiederholbares Ereignis in der Erinnerung der Medienkonsumenten zu verankern. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung wagte sich mit Filmen zu den Besuchen John F. Kennedys und Elizabeths II. sogar in die kommerziellen Kinos. Der 56 Minuten lange Farbfilm »Deutschland grüßt Kennedy« war wie der Besuchsablauf ganz auf den Berlinbesuch als Höhepunkt zugeschnitten, endete jedoch nicht wie der tatsächliche Besuch mit Kennedys Abflug 15 Vgl. Vermerk Brunnbauer, 23.8.1962, BA, B145/4669. 16 Darauf deuten auch Äußerungen Heinrich Lübkes gegenüber de Gaulle hin, vgl. Entretien du général de Gaulle et du chancelier Adenauer le 5 septembre 1962, 9 h 35, Dokument 67, Documents diplomatiques, S. 176. 17 Protokoll über erste Besprechung, Ilgner, 8.8.1962, BA, B145/4669. 18 Vgl. Vermerk BPA, 15.6.1963, BA, B145/4669. 19 Vgl. Dokumente in BA, B145/4669. 20 Vgl. Dokumente in BA, B145/4784. 21 Vgl. BA, B145/2849, 2 Bde.
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vom Flughafen Tegel.22 Vielmehr nutzt der Film den Abschied des Präsidenten zu einer Reflexion über das Hauptmotiv des Films: die deutsche Teilung. Ein Originalton Adenauers leitet die Sequenz ein: »Ich hoffe, daß sie die Eindrücke mitnehmen in ihr Land, die ihnen gestatten, das deutsche Volk in seinen ganzen Empfindungen zu erkennen und zu würdigen.« Die Kamera zeigt Kennedy auf der Gangway sowie einen Windsack und eine Berlin-Flagge, die im Wind flattern. Mit den Bildern vom Abheben des Flugzeugs setzen aus dem Off Zitate aus Kennedy-Reden während des Besuchs ein und suggerieren damit den Beginn eines Reflexions- und Erinnerungsprozesses sofort nach dem Abschied des amerikanischen Präsidenten. Mit dramatischer Musik und Originaltönen Kennedys unterlegt, folgt die Kamera aus der Vogelperspektive und damit tendenziell aus der Perspektive des Flugzeugs dem Lauf der Mauer entlang dem Brandenburger Tor und dem Reichstag, Bilder der Siegessäule und der Gedächtniskirche werden eingeschnitten, um dann bei einem im Spreebogen gelegenen Wachtturm am Grenzstreifen zu enden.23 Am 13. August 1963, dem zweiten Jahrestag des Mauerbaus, startete der Film in den westdeutschen Kinos, allerdings verdankte sich der Termin einem Zufall. Ursprünglich wollte der Columbia-Verleih den Film am 2. August anlaufen lassen, sah sich aber zu einer Terminverschiebung gezwungen, weil viele Berliner zu diesem Zeitpunkt noch im Urlaub waren.24 Zeitgleich mit Berlin, wo der Film bei der Kinopremiere in einem Saal mit 1200 Sitzplätzen lief, sollte der Streifen in Frankfurt starten. Zuvor war er Diplomatie und Presse am 23. Juli vorgeführt worden.25 Der Berliner Filmbegutachtungsausschuss für Jugend und Schule betrachtete den Film als »Gewinn« und empfahl »Deutschland grüßt Kennedy« ab einem Alter von zehn Jahren, sparte jedoch nicht mit Kritik an dieser organisierten Sicht auf die Ereignisse: Die grössere Manipulierbarkeit des Films gegenüber der aktuellen Berichterstattung des Fernsehens wird deutlich: Der Film setzt Akzente, betont die Übereinstimmung der Staatsmänner Kennedy und Adenauer, will den nationalen Aspekt herausarbeiten, sieht die Ereignisse mehr unter Bonner als unter Berliner Blickwinkel.
Zudem lasse der Film »gemessen an der bemerkenswerten Leistung des Fernsehens am 26. Juni 1963« vieles vermissen.26 Nach einer gemischten Bewertung in 22 Für das Folgende: »Deutschland grüßt Kennedy«, BA/FA, Mag.nr. 163982. 23 Der Berliner Filmbegutachtungsausschuss lobte ausgerechnet diese Szene als »[b]esonders gelungen«, obwohl er in seinem Gutachten den manipulativen Charakter des Films hervorhob, vgl. Protokoll über die Begutachtung des Films »Deutschland grüßt Kennedy«, Filmbegutach tungsausschuss für Jugend u. Schule, Berlin, 15.8.1963, BA, B145/4670, Bd. 1. 24 Vgl. Betz an Thedieck, 9.8.1963, BA, B145/4670, Bd. 1. 25 Vgl. Betz an Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, 3.8.1963; Vermerk Betz, 5.8.1963, BA, B145/4670, Bd. 1. 26 Protokoll über die Begutachtung des Films »Deutschland grüßt Kennedy«, Filmbegutachtungsausschuss für Jugend u. Schule, Berlin, 15.8.1963, BA, B145/4670, Bd. 1.
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der Presse27 fand der Film in der Bundesrepublik anfänglich »nicht das Interesse, das wir uns alle erhofft haben«.28 Gleichwohl hielt der Verleih daran fest, den Film nicht nur als Unterrichtsmaterial an Schulen zu geben, sondern ihn in allen westdeutschen Großstädten vorzuführen. Erst nach dem Tod des Präsidenten durch ein Attentat gestalteten sich in den Worten des deutschen Botschafters in Washington die Auswertungsmöglichkeiten des Films »noch guenstiger« – in den USA wie in der Bundesrepublik.29 Am Tage der Beisetzung Kennedys, am 25. November 1963, sahen zahlreiche Bundesbürger, die teils Schlange standen, den Film »Deutschland grüßt Kennedy« bei freiem Eintritt.30 In Kempten nutzte die dortige Bevölkerung die Filmvorführung während einer Werbemaßnahme der Mobilwerbung in Bayern für eine Gedenkstunde.31 Das BPA ließ 20 weitere deutsche Kopien des Films ziehen; das Auswärtige Amt schlug den Kennedy-Film als Vertreter der Bundesrepublik bei den Filmfestspielen in Cork vor. Rund 145 000 Amerikaner sahen den Film in den USA, bis 1969 bestellten Botschaften Kopien des Films.32 Trotz des nur durch den Tod des Präsidenten begünstigten Erfolgs von »Deutschland grüßt Kennedy« gab das BPA auch Zelluloidversionen der Deutschlandreise der englischen Königin in Auftrag. In Zusammenarbeit mit der britischen Firma Rank-Film entstand ein elfminütiger Farbfilm für das britische Publikum, der »ohne Berücksichtigung deutscher Informationsinteressen ausschließlich ›den Glanz der Königin‹ im Auge« hatte und »über das gesamte Commonwealth […] ein ›Deutschlandbild‹« […] verkaufen« sollte.33 Schon am 31. Mai 1965, kurz nach Ende des Staatsbesuchs, kam »The Queen sees Germany« in 100 Kopien in die englischen Kinos.34 Im Oktober 1965 hatten bereits 350 Rank- und einige unabhängige Kinos den Film im Programm; damit lief er nicht nur in allen größeren Städten Großbritanniens, sondern auch in Australien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Hongkong, Israel, Malaysia, Neuseeland, Pakistan und auf den Philippinen.35 Das filmische Pendant für das westdeutsche Kinopublikum entstand wie zuvor in Kooperation mit der Deutschen Wochenschau. Im Verleih der Constantin-Film gelangte »Elizabeth II. – Eine Königin in Deutschland«, der das 27 Vgl. positiv: H.-J. Kausch, Als Kennedy in Deutschland war, Die Welt, 15.8.1963; negativ: Vier geschichtliche Tage, FAZ, 16.8.1963. 28 Müller, Columbia-Verleih, an Deutsche Wochenschau, 4.10.1963, BA, B145/4670, Bd. 1. 29 Drahtbericht Knappstein, Washington, 5.12.1963, BA, B145/4670, Bd. 2. 30 Vgl. Kennedy: Film, in: Filmblätter, November 1963, BA, B145/4670, Bd. 2. 31 Vgl. Mobilwerbung, Schlussbericht über Filmvortragsveranstaltungen in Bayern, 20.10.30.11.1963, BA, B145/4045. 32 Vgl. Dokumente in BA, B145/4670, Bd. 2. 33 Vermerk, 26.4.1965, BA, B145/4644. Vgl. zur Entstehung des Rank-Films auch die Dokumente in BA, B145/3110. 34 Vgl. Vermerk Betz, 3.6.1965, BA, B145/4644. 35 Vgl. Green an Winter, 21.10.1965, BA, B145/4644.
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Prädikat »besonders wertvoll« erhielt,36 in die westdeutschen Filmsäle und zusätzlich in die Aktualitätenkinos.37 Den Filmplakaten nach zu urteilen, sahen die Verleiher den Film in Konkurrenz zu der ausführlichen Fernsehberichterstattung und warben mit dem Vorteil, alles in Farbe zu zeigen: »Der unvergessliche FARBFILM – ein Erlebnis, wie es kein Fernsehen bringen kann!«38 Die Deutsche Wochenschau hatte schon bei ihren ersten Bemühungen um den Auftrag für eine filmische Dokumentation dieser Reise 1964 mit der »Sympathie-Werbung im eigenen Lande« im Wahljahr argumentiert.39 Ein Jahr später führte Regisseur und Produzent Manfred Purzer aus, das »englische Königshaus und die Königin speziell« bildeten »seit Jahren eines der attraktivsten Themen für Illustrierte und Wochenblätter«. Dem auf diese Weise ansprechbaren »Millionenpublikum« komme »im Wahljahr besondere Bedeutung« zu, weshalb er plane, über den Besuch »die Bundesregierung auf eine ungewöhnlich eindrucksvolle Weise ins Bild zu setzen«, indem er »große Teile des Erhardschen Regierungsprogramms (Kulturpolitik, Bildung, Straßenbau, Sozialfürsorge) bildlich verarbeiten« wolle.40 Zwar standen Purzer dann letztlich nicht die gewünschten neunzig Minuten für die Entfaltung dieses Bildprogramms zur Verfügung, doch erregte offenbar schon die reduzierte Kurzfilm-Version die westdeutschen Gemüter. Schon wenige Tage, nachdem der Film in die Kinos gelangt war, sah sich das BPA seitens der SPD Angriffen wegen »Wahlpropaganda mit der Queen« ausgesetzt.41 Schon zuvor hatten sich die Parteien um paritätische Berücksichtigung bei Staatsbesuchen gestritten, der Konflikt zwischen Konrad Adenauer und SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt um die Wahrnehmung John F. Kennedys 1963 kann als prototypisch gelten.42 Ähnliche protokollarische Kämpfe trugen die westdeutschen Parteien auch 1965 aus, mit dem Ergebnis, dass wiederum der Bundeskanzler, diesmal Ludwig Erhard, den königlichen Gast nach Berlin begleitete.43 Diesmal sollten jedoch nicht primär diese erwarteten wahlstrategischen Züge vor Ort ins Blickfeld der Kritik geraten, sondern die mediale Repräsentation der Politiker. In ähnlichem Tenor kritisierten Der Spiegel, Süddeutsche wie Stuttgarter Zeitung, dass Repräsentanten der SPD dem 36 Vgl. Vermerk Betz, 15.6.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 37 Vorlage von Hase für den Bundeskanzler, 9.6.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 38 Das Filmplakat befindet sich im Besitz d. Verf. 39 Dringendes Memorandum, Deutsche Wochenschau, 21.2.1964, BA, B145/4675, Bd. 1. 40 Purzer an Six, 8.2.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 41 Vgl. Wahlpropaganda mit der Queen, Parlamentarisch-Politischer Pressedienst, 22.6.1965. 42 Vgl. Parteipolitik geht vor, Der Kurier, 13.4.1963; Der Kanzler wird Kennedy in Berlin empfangen, Hamburger Abendblatt, 9.5.1963; H. Mittelstaedt, Tauziehen um den Händedruck von John F. Kennedy, Der Mittag, 13.5.1963; Kanzler schon da, Der Spiegel, 15.5.1963. Vgl. zum Verhältnis zwischen Kennedy, Adenauer u. Brandt Daum, Kennedy, S. 61–63 u. 89f. 43 Vgl. Sonne im Fond, Der Spiegel, 21.4.1965; Vermerk Noebel, 25.2.1965, PA, B8, Bd. 912.
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Filmschnitt zum Opfer gefallen seien. So erscheine Brandt nur »einmal für Sekunden in der linken Bildhälfte«, während nichts unversucht gelassen worden sei, »vor allem (und vor aller Augen) Ludwig Erhard im königlichen Abglanze erstrahlen zu lassen«. Daher wäre der Titel »Die Königin zu Gast bei der CDU/ CSU« »ehrlicher und hätte zudem den Vorzug, daß er dem Bürger nicht die Illusion vermittelt, er habe es mit einem Dokumentarfilm zu tun«.44 Eine Woche später, als der Film über den Queen-Besuch im Bundestag verhandelt wurde, zogen weitere Zeitungen mit offener Kritik an der politischen Zensur nach.45 Lediglich der CDU-nahe Rheinische Merkur wagte eine Verteidigung des Films als künstlerische Freiheit.46 BPA und Deutsche Wochenschau wiesen zwar das Ansinnen zurück, »den gastgebenden Ministerpräsidenten mit dem Metermaß ihren Platz in diesem Film einzuräumen«.47 Doch intern rechneten sie jeden Filmmeter nach, mit dem interessanten Ergebnis, dass nicht nur die Regierungsvertreter mehr Filmmeter belegten, sondern z.B. auch der bayerische Ministerpräsident Goppel mit 36,6 Filmmetern deutlich länger zu sehen war als der Bundeskanzler mit 24,9 Metern.48 Jeder Zentimeter Zelluloid repräsentierte das Maß an Sichtbarkeit, das der einzelne Politiker bzw. Parteivertreter erlangen konnte.49 Obwohl der Bundespräsident mit 60,9 Filmmetern in dem Streifen am besten vertreten war, zeigte er sich nicht nur grundsätzlich über die Kritik an dem Film besorgt, sondern fühlte sich und die Bundeshauptstadt nicht angemessen berücksichtigt.50 Einige Bundesländer hatten schon vor 1965 einen Weg gefunden, auf die regierungsamtlichen Filmschnitte zu reagieren. Der Berliner Senat hatte bereits nach dem Kennedy-Besuch eine eigene filmische Version des Ereignisses produziert und 1965 ebenfalls einen Film in Auftrag gegeben. Die SPD-Landesregierung in Hessen nutzte ebenfalls den königlichen Besuch dafür, sich in ein besseres Licht zu setzen. Wie die SPD die BPA-Filme kritisierte, war dem BPA umgekehrt der hessische Streifen ein Dorn im Auge. Er werde »zu einer politischen Propagandaaktion für die Hessische Landesregierung«.51 CDU und SPD verfolgten offenbar die gleiche Strate44 Partei-Filmschere, Stuttgarter Zeitung, 23.6.1965; vgl. Der Film von der Königin, SZ, 24.6.1965; »Besonders wertvoll«, Der Spiegel, 30.6.1965. 45 Vgl. Königin der CDU?, Der Mittag, 1.7.1965; Voraussichtlich wieder volle Rentenanpassung, Stuttgarter Nachrichten, 1.7.1965. 46 Vgl. Der Platz neben der Königin. Bemerkungen zu den beiden Filmen über den Besuch Elisabeths II., Rheinischer Merkur, 9.7.1965. 47 Stellungnahme zu dem Artikel: Wahlpropaganda mit der Queen, Parlamentarisch-Politischer Pressedienst, 22.6.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 48 Vgl. Purzer an Brunnbauer, 9.7.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 49 1976 trugen die Parteien einen ähnlichen Streit um Sendeminuten im Fernsehen aus, vgl. Um Minuten, Der Spiegel, 26.7.1976; D. Buhl, »Die Stoppuhr-Ära ist vorüber«, Die Zeit, 27.8.1976. 50 Vgl. Vermerk von Hase, 9.7.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 51 Vermerk Brunnbauer, 27.8.1965, BA, B145/4675, Bd. 1.
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gie, im Glanze des königlichen Staatsbesuches die eigenen Leistungen erstrahlen zu lassen, mit dem Unterschied, dass die Absichten der Regierungsvertreter auffielen und in die Kritik der Presse gerieten. Die Auseinandersetzungen um den westdeutschen Film über den Queen-Besuch machten nicht vor den Grenzen der Bundesrepublik halt, sondern wurden im britischen Unterhaus auf die Anfrage einer Labourabgeordneten fortgesetzt.52 Seit Ende der fünfziger Jahre stieg die Sensibilität für politische Vereinnahmungen jeglicher Art; sie kamen zur Sprache und konnten sich leicht gegen ihre Urheber wenden.
2. Fernsehberichterstattung und Straßenöffentlichkeit Parallel zu den beschriebenen staatlichen Bildanstrengungen entwickelte sich das Fernsehen von den fünfziger zu den sechziger Jahren immer mehr zu einem zentralen Medium, an dem sich politische Kommunikation ausrichtete. Freilich gewann mit dem wachsenden Vorrang des Visuellen die Fotografie ebenfalls an Bedeutung, produzierte sie doch Ikonen, die Personen und Themen popularisieren konnten. Eine erste Blütezeit erlebten die westdeutschen Illustrierten, in denen primär Fotografien Informationen transportierten, Ende der fünfziger Jahre. Nach einer Konzentrationsphase Anfang der sechziger Jahre stiegen die Auflagenzahlen bis 1966 steil an und konnten bis 1972 ihr Niveau halten. Das Fernsehen, das die Illustrierten Ende der fünfziger Jahre noch als Konkurrenz wahrgenommen hatten, erwies sich im Gegenteil als »Lokomotive für die Illustrierte«.53 Denn, so die Einsicht des Bunte-Verlegers Franz Burda 1967: Die Menschen verlangten nach dem vorübergleitenden Bild im Fernsehen ein genaueres, konservierbares Bild, so dass sich Fernsehen und Fotografie ergänzen konnten. Ohne die Bedeutung der Pressefotografie marginalisieren zu wollen, soll im Folgenden das Hauptaugenmerk jedoch auf dem Fernsehen liegen, da es das Verhältnis von Gast und Öffentlichkeiten grundlegend neu gestaltete. Die Massenmedien, besonders das Fernsehen, erweiterten die Möglichkeiten, einen Besuch wahrzunehmen, und veränderten damit die Formen der Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung der Gesellschaft. Alternativ zur unmittelbaren Partizipation am Straßenrand konnte der Bundesbürger im Zuge der medialen Entwicklung zeitgleich mit dem realen Geschehen einen Besuch in seinem Wohnzimmer virtuell mitverfolgen und musste nicht, so er dem Ereignis fernblieb, auf Texte und Bilder in der Presse warten.54 Die mögli52 Vgl. Aufzeichnung VI/I, Betr.: Stellungnahme Staatssekretär zur SPD-Kritik, 14.7.1965, BA, B145/4675, Bd. 1. 53 Hilgenstock, besonders S. 92–94, S. 103–115, Zitat S. 115. 54 Vgl. zum Fernsehen als »Fenster zur Welt« u. zum Entstehen von Fernsehwirklichkeit Elsner/Müller; Gumbrecht.
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che Aktualität des Fernsehens, seine potentielle Synchronität von Ereignis und Berichterstattung, unterschied das Medium im zeitgenössischen Diskurs über Massenmedien von den Printmedien, die in der »Rolle einer Reflektionsins tanz« gesehen wurden.55 Aktuellste Form der Berichterstattung waren Liveübertragungen, »der besondere Stolz des noch jungen Fernsehens«.56 Wenn gleich das Fernsehen erst im Laufe der sechziger Jahre einen festen Platz in westdeutschen Wohnzimmern erobern konnte, rezipierten es viele Menschen auch schon in den Jahren zuvor.57 Wenn sie auch nur zu besonderen Anlässen selbst zu Fernsehkonsumenten in Läden, bei Freunden etc. wurden, erfuhren sie doch mittelbar aus den Printmedien etwas über die Möglichkeiten des Mediums. Denn diese kommentierten schon die ersten Gehversuche des neuen Konkurrenten genau und verschafften ihm so ungewollt Publizität. Seit 1952 zeigte das NWDR-Fernsehen Sportereignisse in Direktübertragung, 1953 gelangte die erste Bundestagsdebatte direkt in die Wohnungen der Westdeutschen.58 1954 und 1955 zeigte das Fernsehen einzelne Programmpunkte von internationalen Konferenzen und Staatsbesuchen in Direktübertragung, so Ausschnitte des iranischen Staatsbesuchs 1955.59 Diese Übertragungen hatten noch mit erheblichen technischen Hindernissen zu kämpfen, die nicht zuletzt daraus resultierten, dass der Ablauf der Ereignisse nicht auf die massenmedialen Bedürfnisse abgestimmt wurde: Bei der Übertragung der Baden-Badener Konferenz 1955 etwa fehlte das für Fernsehaufnahmen notwendige Tageslicht ebenso wie die Möglichkeit, künstliches Licht zu installieren.60 Mit jedem Ereignis, das attraktiv genug für eine Direktübertragung schien,61 bot sich dem jungen Medium eine weitere Gelegenheit, anfängliche Fehler zu vermeiden und an Profil zu gewinnen. Neben der Routine gewann das Fernsehen zunehmend an Reichweite. War hier anfangs noch das Radio mit seinen Mittelwellenprogrammen überlegen gewesen, konnte das Fernsehen schon 1953 mit der spektakulären Liveübertragung der Krönung der britischen Königin über eine Richtfunkstrecke nach Kontinentaleuropa aufwarten. Kanada und die USA waren ebenfalls in wenigen Stunden mit Filmberichten versorgt. Dieses Ereignis feierten Zeitgenossen als Auf hebung der Orts-
55 Schabacher, S. 323. 56 Hickethier, Geschichte, S. 85. 57 Vgl. grundsätzlich zur Ausbreitung des Fernsehens Schildt, Moderne Zeiten, S. 262–300. 58 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 86f. 59 Vgl. Fernseh-Informationen, Jg. 6, 1955, S. 113 u. 332. 60 Vgl. H. Scharfenberg, Schnelle aktuelle Berichterstattung: Die Baden-Badener Konferenz im Fernsehen, in: Fernseh-Informationen, Jg. 6, 1955, S. 41f. Scharfenberg war Leiter der Fernsehaufnahmen vor Ort. 61 Vgl. zum Interesse an Staatsbesuchen: Aufzeichnung Gellbach, Fernsehsendungen von Staatsbesuchen, 31.10.1956, PA, B8, Bd. 645.
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gebundenheit von Augenzeugenschaft und erstes weltweites Gesamterleben.62 Wie das Medium potentiell eine weltweite virtuelle Verbundenheit herstellen konnte, unterstrich es zugleich die politische Aufteilung der Welt im Kalten Krieg in eine westliche und eine östliche Hemisphäre als Trennung, Kooperation oder Zusammenschluss von Sendegebieten. Die Eurovisionssendung zur Krönung Elizabeths II. bildete den triumphalen Auftakt zum medialen Erleben politischer Ereignisse jenseits staatlicher Grenzen. Ein weiteres Mal sollte die englische Königin die Durchsetzung des Fernsehens als Massenmedium in Europa bei ihrem Staatsbesuch in Paris 1957 stimulieren. Das Fernsehen war bei der Platzverteilung gegenüber Presse, Rundfunk und Wochenschauen der »Hauptprivilegierte«. Die in Direktübertragung gesendeten Bilder dienten vielen Journalisten wiederum als Hauptquelle für ihre Berichterstattung. Besonders reizvoll erschien das Fernsehen dadurch, dass es mitunter »zum Entzücken der Zuschauer« auch das zeigte, »was im Protokoll nicht vorgesehen war«. Es erwies sich zudem im Vergleich zur Teilnahme am Empfang auf der Straße als deutlich bequemer und übersichtlicher. Während die Menschen am Straßenrand »nur Bruchstücke« der Königin sehen konnten, »übertrug das Fernsehen in Totale und Grossaufnahme«. »Fernsehteilnehmer« könnten im Unterschied zu »dichtgekeilte[n] Menschenmassen« wetterunabhängig »aus bequemer Schau das ganze Staatsschauspiel in seinem Ablauf geniessen«. Insgesamt galt der Paris-Besuch als »Siegeszug des Fernsehens«.63 Spätestens die Ausstrahlung eines Interviews mit Chruschtschow im USFernsehen 1957 verdeutlichte eindrucksvoll, dass die potentielle Grenzenlosigkeit des Fernsehens nicht nur die mediale Verbundenheit mit Bündnispartnern ermöglichte, sondern dass die heimischen vier Wände für den Feind durchlässig waren, »daß der politischen Propaganda heute technische Grenzen so gut wie nicht mehr gezogen werden können«. In der Umkehrung könnten eigene Sendungen, so die Vision, »anderen Völkern von den sozialen, technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften in diesem oder jenem Lande Kenntnis geben«. So erschien das Fernsehen als »politische Weltmacht der Zukunft« und führte viele Journalisten zu der Einsicht, dass das »Visuelle […] beim Menschen eine viel größere Rolle [spiele] als das Akustische«.64 Anlässlich der Rundfunk- und Fernsehausstellung 1957 in Frankfurt am Main prognostizierte Heinz Brestel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass noch binnen Jahresfrist mit einer Million verkauften Fernsehgeräten die »Zeit des Experi62 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 87. Vgl. zur politischen Nutzung des Fernsehens durch die britische Monarchie Cannadine, S. 53–58. 63 Fernseh-Informationen, Jg. 8, 1957, S. 237f. Bei den Zitaten aus den Fernseh-Informationen gilt es zu beachten, dass zumeist Mitarbeiter des Fernsehens schreiben oder zumindest Befürworter des neuen Mediums u. die Texte oft einen werbenden Gestus aufweisen. 64 H. Lindemann, Das Fernsehen, die politische Weltmacht der Zukunft, Stuttgarter Zeitung, 8.6.1957.
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mentierens« für das westdeutsche Fernsehen enden würde, und er entwarf die Vision einer »interkontinentale[n] Fernsehbrücke«, die »alle fünf Kontinente in einem weltweiten Fernsehnetz vereinen« würde.65 Vor den Zonengrenzen der beiden deutschen Staaten machten die Fernsehwellen ohnehin nicht Halt. Die Welt rückte medial zusammen und nutzte diese virtuelle Nähe gleichzeitig dazu, Verbundenheit und Distanz sichtbar ins Bild zu setzen. Die Kurzbesuche des amerikanischen Präsidenten Eisenhower in Bonn, London und Paris im September 1959 vor dessen Treffen mit Chruschtschow66 inszenierten nicht nur symbolisch die transatlantische sowie europäische Verbundenheit, sondern stellten sie auf eine technologische Basis. Livesendungen der Eurovision in Westdeutschland, Großbritannien und Frankreich erlaubten den europäischen Fernsehzuschauern, alle Besuchsstationen des Präsidenten von Ankunft bis Abflug zeitgleich am Bildschirm mitzuverfolgen und somit den eigenen Tagesablauf und den Programmablauf des politischen Ereignisses zu synchronisieren. Niemals zuvor habe der Zuschauer das Gefühl gehabt, »dass er […] an den Ablauf der Dinge herangeführt wird, um ›aus der Nähe‹ beobachten zu können und teilzuhaben«. Dies sei besonders deutlich geworden, »als die Zuschauer verfolgen konnten, wie Eisenhowers Flugzeug in Köln-Wahn startete, um nach London zu fliegen«.67 Die Übertragung des EisenhowerBesuchs europäisierte gleichsam die Fernsehzuschauer in den angeschlossenen Sendegebieten,68 endete der Besuch für sie doch nicht mit der Abreise aus der Bundesrepublik, sondern wurde unter ihren Augen in London und Paris fortgesetzt. Die Fernseh-Informationen resümierten: »Heißt das nicht wirklich ›in die Ferne sehen‹, teilhaben am Ablauf eines Geschehens, bedeutet das nicht den schönsten Beweis einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit?« 69 Nicht nur die Europäer bemühten sich untereinander um Synchronität. Möglichst zeitgleich sollten auch interessierte amerikanische Bürger am Geschehen medial teilhaben können. Ein eigens am Flughafen installierter Bildsender konnte »schon drei Minuten nach dem Handschlag Adenauers mit Eisenhower die ersten Fotos in alle Welt senden«.70 Über ein transatlantisches Telefonkabel, das bereits beim Besuch der Queen in Kanada zum Einsatz ge65 H. Brestel, Die Fernsehlawine rollt, FAZ, 30.7.1957. 66 Vgl. hierzu Jochum. 67 Fernseh-Informationen, Jg. 10, 1959, S. 530. Vgl. zur Eurovisionssendung: Ikes Ankunft auf allen Wellen, Kölnische Rundschau, 22.8.1959; Unkorrigiertes Manuskript Pressekonferenz, 24.8.1959, BA, B145/3118; European TV to scan Eisenhower, Herald Tribune, 26.8.1959. 68 Die europäische Dimension der Fernsehübertragung wurde auch beim Kennedy-Besuch deutlich, vgl. Deutsche Bilanz von Kennedys Besuch, Die Tat, 27.6.1963. 69 Fernseh-Informationen, Jg. 10, 1959, S. 530. Bei aller Zufriedenheit der Fernsehmacher mit den Übertragungsleistungen konnten doch einige Etappen in Bonn nicht live, sondern erst durch nachträgliche Filmberichte gezeigt werden. 70 Papierfähnchen für den Empfang Eisenhowers, KStA, 20.8.1959. Vgl. grundsätzlich zur Geschichte der medialen Kommunikation zwischen Deutschland u. Amerika Finzsch/Lehmkuhl.
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kommen war,71 strahlte die NBC mit nur fünfeinhalb Stunden sowie CBS mit acht Stunden Verzögerung Bilder vom Besuch aus.72 In der Wahrnehmung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verdeutlichte die Schnelligkeit der Berichterstattung »das Schrumpfen der Entfernungen«.73 Vollkommene Gleichzeitigkeit mit den USA erreichte eine Satellitenübertragung beim Besuch John F. Kennedys 1963. Die zeitgleiche Augenzeugenschaft, das hohe Maß an Aufmerksamkeit, welches das Fernsehen dem einzelnen Politiker ermöglichen konnte, nutzte man beim Eisenhower-Besuch ebenfalls durch »eine epochemachende Neuerung«.74 Das Fernsehen übertrug auch in Westdeutschland live ein zwanzigminütiges Kamingespräch zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem britischen Premier Macmillan in dessen Amtssitz in der Downing Street und damit das erste Gespräch dieser Art.75 Durch die Sendung unterstrichen die Politiker demonstrativ ihre vertrauensvolle Zusammenarbeit für die transatlantische Fernsehöffentlichkeit. Sie suggerierten durch die Wahl des Ortes und die intime Gesprächssituation am Kamin, Einblicke hinter die öffentlichen Inszenierungen und Kulissen der Politik in ein vertrauliches Vier-Augen-Gespräch zu gewähren.76 Eisenhower nutzte die Beteiligung medialer Öffentlichkeiten an dem Gespräch durch eine Doppeladressierung. Zu Macmillan gewandt, antwortete er den auf den westdeutschen Straßen in Plakaten und Rufen vorgebrachten Forderungen nach Vertrauensbeweisen in der Berlin-Frage vor einer potentiell weltweiten Öffentlichkeit: »Zwei Millionen Westberliner kann man nicht aufgeben. In diesem Falle müssen wir fest bleiben.«77 Die Übertragungen verfehlten ihre Wirkung weder inhaltlich noch in ihrer Inszenierung von Intimität, deren Bedeutung die Fernseh-Informationen gar höher veranschlagten als die Worte der Politiker: Das Fernsehen ermögliche »wie kein anderes Instrument«, »die beiden Staatsmänner über ein längere Zeitspanne zu beobachten. So nah und so intensiv, wie man selten dafür Gelegenheit haben wird«.78 Für den einzelnen Politiker implizierte der Aufstieg des Fernsehens zum Massenmedium, dass jedes Detail seines Verhaltens in Rede und Geste potentiell wahrnehmbar war. Die Aufmerksamkeit des Fernsehens, das alle Hand71 Vgl. E. Hoppe, Der transatlantische Fernsehfunk macht sein Debut. Fernsehen Amerika – Europa in 70 Minuten, in: Fernseh-Informationen, Jg. 10, 1959, S. 394f. 72 Vgl. Fernseh-Informationen, Jg. 10, 1959, S. 530. 73 Amerika vom Empfang in Bonn beeindruckt, FAZ, 29.8.1959. 74 Fernseh-Informationen, Jg. 10, 1959, S. 531. 75 Vgl. Historic Broadcast from No. 10. Macmillan, Ike plan TV chat, Daily Mirror, 20.8.1959. 76 Vgl. Jealousy and Rivalry in the Alliance, The Observer, 23.8.1959. 77 »Ike« und Macmillan im Fernsehen, Westfälische Rundschau, 1.9.1959; vgl. Eisenhower und Macmillan erneuern die Garantie für Berlin, RP, 1.9.1959; Eisenhower: In Berlin müssen wir einfach fest bleiben, FAZ, 1.9.1959. 78 Fernseh-Informationen, Jg. 10, 1959, S. 530.
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lungen dokumentieren und durch Kameraführung und Schnitte reinszenieren konnte, verlangte die permanente Kontrolle des Politikers über seine Verhaltensweisen. Mehr denn je kam jedes Erscheinen eines Politikers einem Auftritt gleich. Die inhaltliche Ausgestaltung von Politik geriet zunehmend in Konkurrenz zu der performativen Ausgestaltung der Auftritte: Da »mehr Menschen durchs Medium des Fernsehens als in unmittelbarer Gegenwart an einem solchen Ereignis teilhaben, gewinnt auch die Äußerlichkeit etwas Exemplarisches und wird für manchen zur nachhaltigen Erinnerung«.79 Telegenität entwickelte sich zu einem entscheidenden Faktor für politische Karrieren. Für die Darstellung der Gesellschaft bei Staatsbesuchen brachte die wachsende Bedeutung des Fernsehens eine strukturelle Veränderung der Begegnung zwischen Staatsgast und Bevölkerung mit sich. Viele Menschen nahmen das Fernsehen frühzeitig als bequemere und attraktivere Alternative zu der Option wahr, einen Gast vom Straßenrand aus zu beobachten. Die Presse dokumentierte diese Haltung bereits beim Schah-Besuch 1955, als das Fernsehen noch nicht weit verbreitet war. »›Im Fernsehen wäre alles viel schöner gewesen als in der Wirklichkeit‹, murmeln einige Leute enttäuscht. Es ist alles so schnell und ohne Pointe vorbeigegangen.«80 Sieben Jahre später zitierte ein Blatt eine Hausfrau beim Besuch de Gaulles mit ähnlichen Worten: »Dat war alles? Und dafür warte ich geschlagene eineinhalb Stunden! Da konnte ich den de Gaulle im Fernsehen ja viel besser sehen.«81 Mit dem Wechsel vom Bordstein auf das heimische Sofa habe sich, so eine verbreitete zeitgenössische Wahrnehmung, zugleich auch die Perspektive auf das politische Ereignis gewandelt. Der einzelne Bürger nehme allein vor dem Bildschirm – hier scheinen Grundgedanken der Massenpsychologie Le Bons auf – eine kritischere Haltung ein als der in das Geschehen und die »Massensuggestion« verstrickte Zuschauer vor Ort. Die Großaufnahme verstärke das kritische Potential der als »objektive Wahrheit« verstandenen Fernsehübertragung, da sie eine genauere Betrachtung des Geschehens ermögliche. Zugleich berge die Bewertung vor dem Fernseher eine »nicht zu unterschätzende Gefahr«. Denn der für Gast und Straßenöffentlichkeit unsichtbare Beobachter beurteile einen Staatsmann »nach dem Grade seiner Fernseh-Sicherheit«.82 Diese Zitate verdeutlichen, dass das Fernsehen die bis dato gekannte Beziehung zwischen Gast und Bevölkerung ins Wanken brachte. Ein dritter, nur virtuell anwesender Akteur trat in die Tauschbeziehung von Aufmerksamkeiten ein; die staatlichen Vertreter mussten neue Strategien entwerfen, wollten 79 Das Streiflicht, SZ, 28.8.1959. 80 K. Niehoff, Bonner Hofzeremoniell, Der Tagesspiegel, 4.3.1955. 81 Zit. n. 200 000 Menschen grüßten den Staatschef Frankreichs, General-Anzeiger, 5.9.1962; vgl. De Gaulle zu Mittag, General-Anzeiger, 5.9.1962. 82 H. Riebau, Müssen Staatsbesuche sein?, Bremer Nachrichten, 10.9.1962.
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sie weiter auf einer Kontrolle der gesellschaftlichen Tableaus bei Staatsbesuchen beharren. Die Interaktion zwischen Staatsgast und westdeutscher Bevölkerung stand freilich schon vor der Verbreitung des Fernsehens unter dauerhafter Beobachtung durch Fotografen und Kameramänner für Filme und Wochenschauen, doch verlieh das Fernsehen dieser Beobachtung einen umfassenderen Charakter. Es schuf zu der Begegnung vor Ort eine parallele zeitgleiche virtuelle Begegnung von Staatsgast und Straßenöffentlichkeit mit der Fernsehöffentlichkeit. Die Zuschauer am Straßenrand nahmen nun auch die Rolle des Fernsehstatisten ein, sie wurden zu »Telewinkern«.83 Die Straßenöffentlichkeit geriet nicht mehr nur wegen ihrer Wirkung auf den Gast und das Gastgeberland in den Blick, sondern indizierte für den Fernsehzuschauer die Stimmung während des Besuchs. Mit ihrem Verhalten entschieden die Menschen auf der Straße mit darüber, wie ein Besuch(er) auf den Bildschirmen wahrgenommen wurde. »Am frappierendsten wirkte […] die Tatsache«, so ein Journalist nach dem Eisenhower-Besuch, dass das entstandene »politische Panorama nicht dem Gehirn eines Regisseurs, sondern der Spontaneität Hunderttausender von Menschen entsprungen war«, die den Besuch, indem sie den protokollarischen Rahmen sprengten, »zu einem außerordentlich urwüchsigen Politikum machten«.84 Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Fernsehens galt alleine schon die Anwesenheit der Menschen auf der Straße als Erfolgsindikator, etwa beim Kennedy-Besuch.85 Die Bürger rückten vom Rand der Straße immer mehr in den Fokus der Kameras und konnten zum Medium der westdeutschen Selbstreflexion werden. In den Menschen auf der Straße erkannten die Teilnehmer der Fernsehöffentlichkeit ein Tableau der westdeutschen Gesellschaft und sich als Teil dieser Repräsentation. Ein journalistischer Beobachter beschrieb diese »zunehmende Übereinstimmung zwischen Bild und Zuseher« und »zwischen dem amerikanischen Präsidenten, dem deutschen Volk, das ihn umgab, und dem einzelnen, der durch das Fernsehen Zeuge sein konnte«: »Indem sich die Deutschen dem Präsidenten zeigten, durften sie sich auch selbst entdecken.«86 Das Fernsehen war zentrales Medium dieses Wahrnehmungsprozesses. Mit dem Aufstieg des Fernsehens zum Massenmedium hatte die unmittelbare Teilnahme der Bürger an einem Staatsbesuch an Attraktivität verloren, zugleich geriet gerade diese Form der Beteiligung, die Straßenöffentlichkeit, in den Fokus des medialen Interesses. Für die Inszenatoren von Staatsbesuchen resultierte dar83 B. Naumann, Millionen sahen zu, FAZ, 28.8.1959. 84 F. Feder, Das Volk war dabei, Die Rheinpfalz, 28.8.1959. 85 Vgl. Kennedy sticht de Gaulle noch aus, Der Bund (Bern), 24.6.1963. 86 W. Paul, Mr. President und die Augenzeugen, Kölnische Rundschau, 27.6.1963. Vgl. zur Fernsehübertragung: Jubilate, Der Spiegel, 3.7.1963.
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aus das Paradox, dem Fernsehen bestmögliche Sendebedingungen zu bieten, um die zahlenmäßig überwältigende Fernsehöffentlichkeit zu erreichen, zugleich aber zumindest so viele Bundesbürger von ihren Fernsehgeräten wegzulocken, dass sich eine für die mediale Darstellung hinreichende Straßenöffentlichkeit bildete. Die Werbemaßnahmen der Mobilwerbung, der Volksfestcharakter einiger Programmpunkte erklären sich auch vor diesem Hintergrund. Gleichzeitig vollzog sich eine allmähliche Öffnung der Besuchsarrangeure und -akteure gegenüber dem neuen Medium in dreierlei Hinsicht: in der passiven Bereitschaft, Gastgeber, Gäste und Geschehen filmen zu lassen, in aktiven Versuchen, die Fernsehaufmerksamkeit zu garantieren, und in der reflexiven Beobachtung und Auswertung der Sendungen. In innenpolitischer Hinsicht, im Kampf der Parteien um die Gunst der Wähler, zeichnete sich schon ab Mitte der fünfziger Jahre eine wachsende Bedeutung des Fernsehens und ein aktives Ringen der Politiker um dessen Aufmerksamkeit ab. Die Adenauer-Regierung bemühte sich Anfang der sechziger Jahre sogar um ein staatlich kontrolliertes Fernsehen, das allerdings 1961 vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde.87 Auch nichtstaatliche Akteure versuchten, wie gesehen, visuelle Zeichen zu setzen. Die Besuchsregisseure im Auswärtigen Amt reagierten dagegen anfänglich vergleichsweise verhalten auf das neue Massenmedium. Journalisten, BPA und die Gäste bildeten den Motor einer Ausrichtung auf eine audio-visuelle Vermittlung der Besuche. Diese neue Vermittlung verbesserte man mit erweiterten Pressetribünen und -podien, der Häufigkeit und Planmäßigkeit von Fototerminen sowie Sondergenehmigungen für Fernseh- und Wochenschauaufnahmen. Seit der Premiere beim Eisenhower-Besuch erhielten die Bildmedien auch mehrfach die Möglichkeit, von einem Kamerawagen direkt aus der Wagenkolonne heraus zu fotografieren und zu filmen.88 Eine Fotografie des Kameralastwagens beim Kennedy-Besuch 1963 illustriert die medialen Hierarchien eindrücklich: auf der sichersten mittleren Position steht die Fernsehkamera, während Bild- und Wochenschaukameras mit den instabileren Seitenpositionen vorlieb nehmen mussten. Wie die Institutionalisierung des Pressestatements unmittelbar nach der Ankunft des Gastes – inklusive optischer Ausgestaltung durch Pavillons oder Podeste – gingen auch die ersten Fernsehinterviews im Rahmen von Staatsbesuchen zu großen Teilen auf den Wunsch oder das Vorbild der Gäste bzw. auf die Initiative des Fernsehens zurück.89 Bereits 1955 gelang es dem Fernsehen, kurzfristig das ge87 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 115–118. 88 Nach 1959 sind solche Filmlastwagen für die Besuche der alliierten Siegermächte 1962, 1963 u. 1965 dokumentiert. 89 Das erste langfristig geplante Fernsehinterview im Rahmen eines Staatsbesuchs gab Sékou Touré 1959 dem WDR, vgl. Kappen an Erasmy, 24.11.1959, BA, B145/1477. 1961 schlug der Presseattaché der pakistanischen Botschaft für den Besuch Ayub Khans ein 20- bis 25-minütiges Fernsehinterview vor, vgl. Vermerk Döring, 28.10.1960, BA, B145/3115.
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Abb. 15: Kameralastwagen beim Kennedy-Besuch 1963
plante Besuchsprogramm zu sprengen. Statt wie geplant einem Empfang »führender Professoren der Orientalistik« beizuwohnen, stellte sich das iranische Kaiserpaar eine Stunde lang den Fernsehkameras, während die Gelehrten geduldig warteten.90 Die Umbaumaßnahmen am Flughafen Wahn stimmte das vorbereitende Gremium 1964 nicht nur auf die protokollarischen Bedürfnisse bei Staatsbesuchen ab, sondern berücksichtigte explizit mediale Erfordernisse.91 Wie den Fernsehmachern daran gelegen war, über ein bedeutendes politisches Ereignis zu berichten, erkannten die BPA-Mitarbeiter schon früh, dass erst die mediale Vermittlung einen Staatsbesuch zum sichtbaren politischen Ereignis werden ließ. Entsprechend eindringlich setzten sich die Mitarbeiter 90 Soraya erobert alle Herzen im Sturm, 8 Uhr-Blatt (Nürnberg), 1.3.1955. 91 Vgl. Notiz über Besprechung vom 15.7.1964, 21.7.1964, BA, B145/3104, Bd. 1.
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des Fernsehreferats dafür ein, optimale Möglichkeiten für die Bildproduktion zu schaffen, die als Schlüssel zu einer breiteren Öffentlichkeit aufgefasst wurde. Die erwarteten Fernsehbilder waren beispielsweise ein Grund für Kennedys Besuch auf dem Bonner Marktplatz.92 Darüber hinaus bemühte sich das BPA um gute Kontakte zu Fernsehredakteuren und -intendanten. Neben Liveübertragungen richtete das Fernsehreferat seine Verhandlungsanstrengungen primär auf die Vorberichterstattung mit Informationen über das Gastland und das Besuchsprogramm, die den Fernsehzuschauer nicht nur vor den Bildschirm, sondern auch auf die Straße locken sollten. So überzeugte das BPA den WDR-Mitarbeiter Gerd Ruge im Vorfeld des französischen Staatsbesuchs 1962, eine vorbereitende Sendung um einen Tag vorzuziehen; darüber hinaus zeigte sich der Journalist bereit, Programm und Reiseroute Charles de Gaulles im Fernsehen vorzustellen.93 Für den Kennedy-Besuch bat das BPA die beiden Fernsehanstalten, den Besuch thematisch so vorzubereiten, »daß die Fernsehzuschauer veranlaßt werden, selbst auf den Straßen aktiv an den Ereignissen teilzunehmen«.94 Der Bundeskanzler nutzte das Medium bisweilen kurzfristig, um in einer Ansprache an die Bevölkerung im Umfeld der Tagesschau, die viele Bundesbürger anschauten, einen Staatsbesuch zu bewerben.95 Aus Sicht des BPA gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Massenmedien auf der Höhe der publikumsintensiven Staatsbesuche in der ersten Hälfte der sechziger Jahre vorteilhaft, wenngleich diese Kooperation einem Balanceakt glich. Zwar sei der »Kennedy-Besuch mit einem publizistischen Aufwand abgerollt […], der weit über dem der Deutschlandreise de Gaulles stand«. Doch würden die Massenmed ien sich nicht immer »so einsetzen lassen wie 1962 und 1963«.96 Grundsätzlich wusste man auch im Auswärtigen Amt in der ersten Hälfte der sechziger Jahre um die Bedeutung des Fernsehens. Das wird nicht zuletzt darin augenfällig, dass das Fernsehen als Medium der (selbst-)reflexiven Beobachtung zu diesem Zeitpunkt Einzug in die Amtsräume des Ministeriums hielt. Den ersten Schritt unternahm 1961 Staatssekretär Karl Carstens mit der Anregung, eine wöchentliche Auswahl der für das Amt wichtigen Fernsehsendungen zusammenzustellen. Zu diesem Zeitpunkt besaß lediglich ein Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt privat einen Fernsehapparat, das Amt verfügte über kein einziges Empfangsgerät.97 Knapp drei Jahre später werteten die dortigen Mitarbeiter nicht 92 Vgl. Vermerk Freibüter, 2.5.1963, BA, B145/3118, Bd. 1. 93 Vgl. die Dokumente in B145/3108, Bd. 2; vgl. auch Vermerk Freibüter, 15.8.1962, BA, B145/4669; Vermerk Freibüter, 24.7.1962, BA, B145/3108, Bd. 1. 94 Vermerk Freibüter, 2.5.1963, BA, B145/3118, Bd. 1. 95 Am 3. September 1962 räumte das Deutsche Fernsehen Konrad Adenauer fünf Minuten Sendezeit nach der Tagesschau ein für eine Erklärung zum Besuch de Gaulles, vgl. Vorlage StS, 23.8.1962, BA, B145/3108, Bd. 2. 96 Vermerk Kostka, 15.8.1963, BA, B145/3120, Bd. 4. 97 Vgl. Pressereferat Hase, Vorlage StS I u. II, 24.4.1961, PA, B7, Bd. 22.
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nur Sendungen während der regulären Arbeitszeit aus, sondern führten nach 20 Uhr und am Wochenende diese Tätigkeit fort, so dass die gesamte Sendezeit abgedeckt war. Diese Analyse sei laut Büro des Staatssekretärs wichtiger als das Abhören der Rundfunknachrichten.98 Ebenfalls zu Beginn der sechziger Jahre signalisierte das Auswärtige Amt durch Treffen mit Programmverantwortlichen das wachsende Interesse am Fernsehen. Dahinter stand die Überlegung, dass die deutsche Vergangenheit und das »weit verbreitete[…] Misstrauen« im Ausland sowie die Teilung »eine gewisse Behutsamkeit und Vorsicht« nahe legen und das Fernsehen eine »besondere Mitverantwortung« habe, da es »entscheidend zu dem Bild« beitrage, »das man sich im Ausland von Deutschland macht«.99 Dennoch begegneten die Protokollmitarbeiter des Außenministeriums dem neuen Massenmedium bis Anfang der sechziger Jahr reserviert und legten ihre Skepsis danach nur zögerlich ab. Das immer dichter werdende Netz medialer Beobachter und Beobachtungsformen stellte die Arrangeure der Besuche vor eine Herausforderung. Es verlangte ihnen in den sechziger Jahren eine noch stärkere Konzentration auf Ablauf und Dramaturgie der Besuche ab. Die Performanz war schon immer zugleich Zentrum und Risikofaktor der Besuche gewesen, in Fernsehübertragungen ließen sich Fehler und unschöne Momente noch weniger als in anderen Medien nachträglich korrigieren oder herausschneiden. Das Kamera-Auge schaute nicht nur immer zu, sondern machte zeitgleich alles Gesehene einer zunehmend vom Fernsehen geprägten internationalen Öffentlichkeit zugänglich. Wie das BPA setzte auch das Protokoll zunehmend auf eine Kooperation mit den Medienberichterstattern. Unter seiner Regie exponierten sich die westdeutschen Staatsgäste und Gastgeber in ausgedehnten Autokorsos und Auftritten auf öffentlichen Plätzen nicht nur der Straßenöffentlichkeit, sondern gemeinsam mit dieser den medialen Öffentlichkeiten. Vom Besuch John F. Kennedys übertrug das Fernsehen rund 17 Stunden live,100 beim Besuch der Queen 1965 umfassten die Berichte 50 Stunden.101 Das Protokoll setzte der medialen Berichterstattung aber auch deutliche Grenzen, die das Fernsehen wiederum akzeptierte, so beim Besuch Charles de Gaulles. Während die Fernsehkameras dessen Auftritte und Reden in den deutschen Städten möglichst breit dokumentieren sollten, hatte der Bundespräsident beim Zapfenstreich lediglich zwei Minuten für Bild und Fernsehen freigegeben. Dabei sollten nur Bilder von ihm und dem Gast aufgezeichnet werden. Entsprechend sendete das Fernsehen Aufzeichnungen von den Proben und blendete die aktuellen Aufnahmen von Gast und Gastgeber ein.102 Doch 98 Vgl. Aufzeichnung Büro StS, Schmidt-Pauli, 9.1.1964, PA, B7, Bd. 55. 99 Fernsehen u. Außenpolitik, Stichworte für den 7.4.1961, PA, B7, Bd. 55. 100 Vgl. Hickethier, Geschichte, S. 273. 101 Vgl. Hartmann, Staatszeremoniell, S. 272. 102 Vgl. Protokoll über Besprechung am 21.8.1962, Ilgner, 23.8.1962, BA, B145/4669.
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auch diese Kooperationsbereitschaft konnte nicht alle Bedenken des Protokolls tilgen. Im Vergleich mit dem BPA, für das die journalistischen Arbeitsbedingungen oberste Priorität hatten, sah sich das Protokoll stärker in der Pflicht, Gäste und Gastgeber vor medialen Übergriffen zu schützen. Die permanente Anwesenheit von Bild- und Fernsehjournalisten gefährdete aus der Sicht des Protokolls generell die Würde des Besuchs. In den fünfziger und der ersten Hälfte der sechziger Jahre bezog sich der Begriff der Würde auf den Vollzug von Handlungen. Er entsprach damit einem partizipatorischen Verständnis ritueller Handlungen als Hingabe an einen Moment, der die volle Aufmerksamkeit und Präsenz aller Anwesenden in den sich vollziehenden Handlungen zur Voraussetzung hat. Die auffällige Beteiligung medialer Beobachter konnte diesem Verständnis nach die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Handlungen abziehen, auf die mediale Dokumentation lenken und so zum Rollenspiel für die Kameras werden. So klagte der Berliner Kurier nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Celal Bayar, die »›akademische Feier‹« sei durch die Beteiligung von »25 Filmkollegen« zu »einer Szene im Filmatelier« geraten, bei der zum Schluss »die Hauptbeteiligten für die Kameramänner Theater« spielten.103 Das Protokoll bediente sich ebenfalls des Würdebegriffs und hielt bis in die siebziger Jahre daran fest. Gleichwohl löste sich der Begriff im Laufe der sechziger Jahre aus diesem Verständnis und umfasste zunehmend ebenfalls die mediale Bedingtheit der Veranstaltungen. 1970 meinte er nicht mehr nur die Würde der Veranstaltung, sondern auch die Würde des medialen Bildes. Protokollchef Schwarzmann befürchtete 1970 primär die Störung des würdevollen Bildes, entsprechend sollten Journalisten Aufstellung nehmen, »ohne sich und den Betrachtern ihrer Bilder durch Herumlaufen in der Szene das Bild zu verderben«.104 In der Arbeitsgruppe Staatsbesuch, die 1974 eine möglichst frühe Koordination zwischen Auswärtigem Amt, BPA, Bundespräsidialamt und Bundeskanzleramt anstrebte, konnte sich das Protokoll der Einsicht in die Bedeutung der Massenmedien nicht verweigern, die ein Arbeitsgruppenmitglied vor allem mit Blick auf die Printmedien formulierte. Die Presseberichterstattung sei »integraler und notwendiger Bestandteil eines Staatsbesuches«, der »ohne ein angemessenes Echo der Presse […] von der öffentlichen Meinung praktisch überhaupt nicht zur Kenntnis genommen« werde und dessen »Erfolg« »sowohl vom Gast wie auch vom Gastgeber nicht zuletzt am Umfang des publizistischen Niederschlags gemessen« werde.105 Doch das Konfliktpotential zwischen Protokoll und Berichterstattern blieb bestehen: Der von Journalisten geforderten »Freizügigkeit« könne das Bemühen des Protokolls »um einen würdigen und angemessen Ablauf ent103 »Würdige Feierstunden«, Der Kurier, 13.5.1958. 104 Schwarzmann an Ahrens, 15.5.1970, BA, B145/8348. 105 Vermerk Reinelt, Arbeitsgruppe Staatsbesuche, 7.8.1974, BA, B145/9276, Bd. 1.
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gegenstehen«, so der Protokollchef.106 Diese Gegensätzlichkeit wünschte der Protokollchef durch eine stärkere Integration der Journalisten in die Abläufe zu neutralisieren. Das Protokoll kündigte an, Journalisten frühzeitig über Abläufe zu informieren und ihre Anregungen anhören zu wollen, erwartete aber im Gegenzug, dass sich die Medienvertreter in Kleidung und Auftreten der Veranstaltung anpassten. Damit ließ sich das Protokoll letztlich auf die integrative Strategie ein, die das BPA seit den fünfziger Jahren verfolgt hatte: auf die Kooperation zwischen Protokoll und Medien.
106 Vermerk Schöller, 6.9.1974, BA, B145/9276, Bd. 1.
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III. Der Konflikt um die Straßenöffentlichkeit Den Gestaltungs- und Kontrollversuchen, die auf eine staatlich organisierte Straßenöffentlichkeit zielten, war kein anhaltender Erfolg beschieden. Schon die umjubelten Besuche der ehemaligen Siegermächte zeigten deutlich, dass die Straßenöffentlichkeit nie gänzlich berechenbar und kontrollierbar sein würde. Durch Jubel und Skandierungen hatten die Menschen am Straßenrand und auf den Plätzen Rhythmus und Ablauf dieser Besuche mitbestimmt und maßgeblich geprägt. Neu war Mitte der sechziger Jahre, dass Teile der Straßenöffentlichkeit diese aktiven Ausdrucksmöglichkeiten zunehmend dazu nutzten, Kritik zu üben. Hatten die Besuche der Siegermächte dazu geführt, dass Zustimmung und Begeisterung erstmals wieder auf der Straße deutlich zum Ausdruck gebracht wurden, folgten auf dem Fuße auch die Unmutsäußerungen. Vor allem junge Bundesbürger konfrontierten die Staatsgäste in Flugblättern, Informationsveranstaltungen, Demonstrationen und anderen Formen des Straßenprotests mit dezidierter Kritik. Zwei Aufenthalte des senegalesischen Staatspräsidenten Senghor in der Bundesrepublik verdeutlichen diesen Wandel. Während seines Staatsbesuchs 1961 lobte die Süddeutsche Zeitung die »akademische[…] Jugend«, die in großer Zahl Senghors Vorlesung »Sur la poésie« in der Münchner Universität gelauscht hatte, und resümierte: Universitäten sollten »nicht unterschätzt werden, wenn es um die in die Welt hinaus zu spannenden Fäden und um das Eindringen in andere Kulturen mit politischem Effekt geht«.1 Lediglich die Arroganz einiger Münchner, die einem Schwarzen nicht zujubeln wollten, trübte das Zusammenspiel zwischen dem afrikanischen Gast und dem Straßenpublikum.2 Als Senghor 1968 ein weiteres Mal in die Bundesrepublik reiste, um den Friedenspreis des deutschen Buchhandels entgegenzunehmen, empfingen ihn in Frankfurt am Main studentische Demonstranten. Der SDS verteilte Flugblätter mit der Aufschrift: »›Wir werden der philosophierenden Charaktermaske des französischen Imperialismus, der mit Goethe im Kopf und dem Maschinengewehr in der Hand die ausgebeuteten Massen seines Volkes unterdrückt, den Weg in die Paulskirche versperren.‹«3 Das veränderte Verhalten der Menschen auf der Straße verweist auf einen grundlegenden Wandel der westdeutschen politischen Öffentlichkeit. Sie nahm 1 Das Streiflicht, SZ, 13.11.1961. 2 Vgl. »Klatsch’n bei dem Schwarzen?«, Christ und Welt, 24.11.1961. 3 Zit. n. Schwarzes Cellophan, Der Spiegel, 23.9.1968. Vgl. zu dem Besuch Vogel, Senghor.
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eine kritischere Haltung gegenüber dem politischen Geschehen und den gesellschaftlichen Entwicklungen ein. Die Ursachen dieses sich in den sechziger Jahren beschleunigenden Wandels können hier nur kurz umrissen werden:4 Zum einen entstand aus dem Protest gegen die atomare Bewaffnung der fünfziger Jahre eine grundlegende Kritik am Gesellschaftssystem. Zum anderen stieß Mitte der sechziger Jahre der wachsende Wohlstand auf Bedenken und wurde negativ als Konsumismus gedeutet.5 Man zweifelte daran, dass sich eine Gesellschaft durch antipluralistische Konzepte wie etwa Erhards Entwurf der »Formierten Gesellschaft«6 steuern lasse. Für das Verhalten des Straßenpublikums bei Staatsbesuchen spielte vor allem die politische Aufladung des Konzepts der »Dritten Welt« eine Rolle. In einer entstehenden »transnationale[n] Mediengesellschaft« konnte die medial vernetzte Weltöffentlichkeit die Auseinandersetzungen um die teils in Diktaturen mündenden Dekolonisierungsprozesse in Afrika und Asien genau verfolgen.7 Studenten und Intellektuelle brachten die dortigen Geschehnisse mit den westlichen Wohlstandsgesellschaften in Verbindung und gründeten darauf wesentlich ihre Kapitalismuskritik, deren symbolischer Bezugspunkt der Vietnamkrieg war.8 Während die Kritik der Studenten an westlichen Gesellschaften wuchs, veränderte sich in Westdeutschland zeitgleich auch die Haltung der Medien. Sie betrachteten die Regierungspolitik und das politische Geschehen ihrer Zeit kritischer als in den fünfziger Jahren. Das verdankte sich teils einem generationellen Umbruch in den medialen Führungspositionen und manifestierte sich prototypisch in der Spiegel-Affäre 1962 oder den Auseinandersetzungen um das politische Magazin Panorama.9 Proteste im Rahmen von Staatsbesuchen bildeten bedeutende Wegmarken im Wandel der Straßenöffentlichkeit: Die gesellschaftliche Selbstdarstellung auf der Straße veränderte sich, das Verhalten der Protestierenden wurde radikaler. Die »Protest-Inszenierungen« der Studierenden korrespondierten ironischerweise mit den Darstellungsbedürfnissen der Massenmedien und waren wechselseitig damit verschränkt.10 Die massenmediale Berichterstattung führte maßgeblich dazu, dass heterogene Protestgruppen als eine Bewegung wahrgenommen wurden. Dies schuf trotz großer Unterschiede einen als solchen
4 Vgl. grundsätzlich dazu z.B. Etzemüller, 1968; Fink, 1968; Frei, 1968; Gilcher-Holtey, 68er; dies., 1968; Marwick; Schildt, Dynamische Zeiten; Schmidtke. 5 Vgl. zum komplexen Verhältnis von Konsum u. Politik Sieg fried, Time. 6 Vgl. dazu Görtemaker, S. 413–418. 7 Etzemüller, Imaginäre Feldschlachten, Absatz 3. 8 Vgl. Mausbach. 9 Vgl. von Hodenberg, Journalisten; von Hodenberg, Konsens; zur Spiegel-Affäre Schöps; zu den politischen Fernsehmagazinen in den sechziger Jahren Hickethier, Geschichte, S. 268–271. 10 Vgl. Balistier; Fahlenbrach; Rucht.
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verstandenen Generationenverband.11 Performative politische Ereignisse wie Staatsbesuche garantierten die Anwesenheit der medialen Aufmerksamkeitsagenturen Fernsehen und Bildpresse und damit eine Vielzahl potentieller Beobachter.
1. Staat versus Gesellschaft – Der Schah-Besuch 1967 1964 kam es erstmals beim Besuch eines ausländischen Staatsgastes zu einer größeren Auseinandersetzung zwischen Protestierenden und Staat.12 Demonstranten sollen den kongolesischen Regierungschef, Moïse Tschombé, der als neokolonialistische Marionette galt, mit Tomaten beworfen haben.13 Die fliegenden Tomaten verdeutlichten retrospektiv nicht nur die Ablehnung Tschombés, sondern ließen zugleich die Kluft zwischen den Protestierenden auf der Straße und dem Staat, der diesen Politiker eingeladen hatte, erkennbar werden. Rückblickend erklärte Rudi Dutschke diese Demonstration zum »Beginn unserer Kulturrevolution«.14 Sie gilt heute als »Initialmoment zur Formierung einer einheitlichen organisatorischen Protestform«.15 Die Ereignisse beim Tschombé-Besuch erschütterten das in den visuellen Medien dominierende Bild eines – wenn auch ausgehandelten – harmonischen Einvernehmens zwischen Staat und Straßenöffentlichkeit bei Staatsbesuchen.16 In der Berichterstattung lösten nun Fotografien von Konfrontationen zwischen Demonstranten und Polizisten die Bilder in den Medien ab, die begeisterte Westdeutsche am Straßenrand zeigten. In den neueren Forschungen zu den sechziger Jahren wird »1968« als Teil eines Strukturwandels betrachtet, der vom Ende der fünfziger bis in die siebziger Jahre reichte und die »liberal-demokratische Konsumgesellschaft« hervorbrachte.17 An einzelnen Ereignissen lassen sich die Auswirkungen und Wendepunkte dieses Strukturwandels erkennen. Der Staatsbesuch Mohammed Reza Schah Pahlavis und seiner Ehefrau Farah Diba vom 27. Mai bis 4. Juni 1967 stellte einen solchen Wendepunkt im Verhältnis von Staat und 11 Vgl. Etzemüller, Imaginäre Feldschlachten, Absatz 5. Vgl. zu den »68ern« als Generationenverband Bude. 12 Vgl. Fahlenbrach, S. 185f.; Etzemüller, Imaginäre Feldschlachten, Absatz 6. 13 Frei weist darauf hin, dass offen bleiben muss, ob tatsächlich Tomaten flogen. »Viel wichtiger« sei die Rolle, die diese Geschichte als »hoffnungsvolle Zäsur« in Dutschkes Narrativ einnehme, Frei, 1968, S. 101f., Zitate S. 102. 14 So zitiert ihn seine Ehefrau Gretchen Dutschke, Dutschke, S. 61. 15 Fahlenbrach, S. 185. 16 Diese Entwicklung identifizierte Nehring für die Anti-Atomwaffen-Bewegung, vgl. Nehring, Absatz 15. 17 Etzemüller, Imaginäre Feldschlachten, Absatz 1. Vgl. Hodenberg/Sieg fried; Marwick; Sieg fried, Weite Räume.
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Gesellschaft in der Bundesrepublik dar. Die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Protestierenden eskalierten bei diesem Anlass. Der Schah-Besuch hatte die generelle politische Aufmerksamkeit der Studenten und ihre Kritik an Kapitalismus und Imperialismus auf den Iran gelenkt. Ihre Informationen und ihr Wissen über den Iran bezogen die Studenten aus der kurze Zeit zuvor erschienenen regimekritischen Studie »Persien, Modell eines Entwicklungslandes« des Exil-Iraners Bahman Nirumand. Der Schah wurde als »Inkarnation der Unterdrückung« und »blutiger Diktator« begriffen, der im Interesse von US-Konzernen und einer kleinen iranischen Oberschicht das iranische Volk ausbeutete und Reformen verhinderte. Der Staatsbesuch galt als »offizielle Billigung der persischen Verhältnisse« und provozierte studentische Demonstrationen, bei denen am 2. Juni ein Student, Benno Ohnesorg, von einem Polizisten erschossen wurde.18 Christian Semler, ein ehemaliger Aktivist im Berliner SDS, bezeichnet die Ereignisse am 2. Juni 1967 in West-Berlin als »allseits bekannte Geschichte«. Sie spanne ihren erzählerischen Bogen »von der Ermordung Benno Ohnesorgs über die systematischen Lügen der Polizei, das allgemeine Demonstrationsverbot, die Kriminalisierung der Demonstranten bis hin zur Berichterstattung, die eine fast durchgängige Pogromstimmung unter der Bevölkerung erzeugten«.19 Es ist bekannt, dass der Schah-Besuch für den SDS und die »68er«-Bewegung eine »durchschlagende Wende« darstellte.20 Der 2. Juni 1967 kann als »Katalysator der Außerparlamentarischen Opposition« gelten,21 der massenhaft Studenten mobilisierte. Eine Fotografie des am Boden liegenden Ohnesorg, über den sich eine junge Frau beugt, ähnelt in der Bildanordnung einer Pietà: Die Bildsprache, der sich das Foto bedient, rückt den Tod Ohnesorgs so in einen religiösen Kontext. Ohnesorg verkörpert das unschuldige Opfer und wurde von der Studentenbewegung als Märtyrerfigur vereinnahmt. Das Foto hat einen festen Platz im Bildgedächtnis der Bundesrepublik. Ähnlich nimmt der 2. Juni eine feste Stelle in jeder Chronik der Bundesrepublik ein und wird hauptsächlich mit der Entwicklung der Studentenproteste zur Massenbewegung identifiziert.22 Doch die Aussagekraft dieses Besuchs reicht weit darüber hinaus. Die einzelnen Bedeutungsfacetten des Schah-Besuchs 1967 werden im Folgenden aufgeschlüsselt.
18 Bauß, S. 51f. 19 Semler, Zitate S. 138 u. 147f. 20 Fahlenbrach, S. 186; vgl. Albrecht, S. 459. Dies ist auch die Überzeugung von Bauß, S. 65. 21 Richter, S. 46. 22 Vgl. für die Chroniken etwa Benz, Deutschland, S. 51, für die vorherrschende Deutung Richter; Albrecht, S. 459–463; Schmidtke, S. 133–137. Eine unvollständige Chronik der studentischen Anti-Schah-Proteste ab dem 26. Mai 1967 geben Becker/Schröder, S. 137ff.
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a) Sicherheit und Demonstrationen Die Vorbereitungen des Schah-Besuchs kreisten im Mai 1967 um zwei Aspekte: die Sicherheit des iranischen Kaiserpaares vor körperlichen Übergriffen und Attentaten einerseits sowie die sich abzeichnenden Proteste andererseits. Bereits Anfang Mai 1967 kursierten in der Bundesrepublik Attentatsgerüchte. Die iranische Botschaft zeigte sich nicht nur über einen möglichen Anschlag auf den Schah beunruhigt, sondern auch darüber, dass westdeutsche Illustrierte über diese Bedrohung schrieben. Damit entstehe im Iran der Eindruck, sein Staatsoberhaupt reise in ein unsicheres Land.23 Zwei Wochen vor Besuchsbeginn nahm die Gefährdung des Kaiserpaares konkrete Gestalt an. Der Verfassungsschutz berichtete über ein geplantes Sprengstoffattentat per Postsendung.24 Der Gesandte der iranischen Botschaft in Köln sowie der Leiter von Iran Air in der Bundesrepublik erhielten Sprengstoffsendungen.25 Eine Woche vor Besuchsbeginn verzeichnete das Bundeskriminalamt fast täglich neue Telefon- oder Briefdrohungen,26 und es mehrten sich die Hinweise auf geplante Attentate.27 Während des Staatsbesuchs gingen Attentatsdrohungen in München, Duisburg, Bonn, Clausthal, Merzenich und Schloss Benrath sowie bei Tageszeitungen ein; ebenso rechnete die Kriminalpolizei mit einem Pistolenattentat.28 Ein versuchter Anschlag auf den Schah mit einem ferngesteuerten Personenkraftwagen schlug fehl.29 Die Hinweise auf Anschläge nahm die Polizei ernst und plante umfangreiche Schutzmaßnahmen. Die iranische Botschaft lenkte das Augenmerk der westdeutschen Behörden schon früh auf Iraner, die in der Bundesrepublik lebten und gegen das Regime in ihrem Heimatland opponierten. Bereits lange Zeit vor dem Staatsbesuch hatte die iranische Regierung die Bundesrepublik aufgefordert, gegen oppositionelle iranische Gruppen vorzugehen. Diesem Wunsch waren die Westdeutschen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht nachgekommen, zumal die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen der iranischen Oppositionellen im Sommer 1966 weit hinter den Erwartungen geblieben waren.30 Im Vorfeld des Staatsbesuchs jedoch wurden die westdeutschen Sicherheitsbehörden aktiv. 23 Vgl. Vermerk Neise, 3.5.1967, PA, B8, Bd. 1050; Vermerk von Posadowsky-Wehner, 3.5.1967, PA, B36, Bd. 294, Fiche 3, p. 273. Die Iraner bezogen sich auf Artikel über die Gefährdung des Schahs in Das Neue Blatt, vgl. Gehlhoff an Ref. L4, 21.4.1967, PA, B8, Bd. 1048. 24 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz an AA, 12.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 25 Vgl. BKA Sicherungsgruppe an Schwarzmann, 19.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 26 Vgl. Mitteilung BKA, 22.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 27 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 24.5.1967; 25.5.1967, PA, B8, Bd. 1050 u. 26.5.1967, 19.15 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 28 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 28.5.1967, 21.41 Uhr; 29.5.1967, 20.20 Uhr; 30.5.1967, PA, B8, Bd. 1049 u. 31.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 29 Vgl. Bonns skandalöser Staatsbesuch, Die Tat, 5.6.1967. 30 Vgl. Gesprächsunterlagen, BA, B136/3072, Fiche 4.
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In den Akten des Protokolls finden sich lange Listen mit Namen und Parteizugehörigkeit von Iranern.31 Die Sicherheitsbehörden überprüften aufgrund solcher Listen Iraner, die in der Bundesrepublik lebten. Am 29. Mai verzeichnete das Bundeskriminalamt 150 Iraner mit polizeilichen Auflagen in der Bundesrepublik.32 Westdeutsche Tageszeitungen berichteten von einer »Jagd auf Perser«, von Hausarrest und Ausweisungen.33 Angesichts dieser »peinlichste[n] Untersuchungen« müsse sich die Bundesrepublik fragen, ob »solche Zwangsmaßnahmen zu verantworten« seien, da sie »doch offensichtlich« im Zusammenhang mit vom Schah verantworteten Zwangsmaßnahmen im Iran stünden.34 Ein Konflikt zwischen Staatsräson und Gastfreundschaft einerseits und demokratischer und rechtsstaatlicher Grundordnung andererseits zeichnete sich ab. Auch der Verband deutscher Studentenschaften kritisierte die Maßnahmen gegen iranische Studenten. In München fand eine Demonstration gegen die Auflagen für 107 Studenten iranischer Herkunft statt, welche die Landeshauptstadt während des Schah-Besuchs verlassen sollten.35 Die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes registrierte zudem iranische Staatsangehörige, die in die Bundesrepublik kamen, sowie das Ziel ihrer Reise und gab die Zahlen täglich u.a. an das Protokoll weiter. Zwischen dem 17. Mai und dem 3. Juni 1967 reisten 2 078 Iraner nach Westdeutschland, im Durchschnitt 115 Personen pro Tag.36 Ausreisende Iraner verzeichnete das Bundeskriminalamt nicht, so dass der Eindruck eines steten Wachstums entstand. Die meisten Reisenden fuhren in Universitätsstädte37 und nährten damit Vermutungen, es bestünde ein Zusammenhang zwischen ihrer Einreise und studentischen Protesten. Die Kontakte zwischen einreisenden sowie in der Bundesrepublik dauerhaft ansässigen Iranern und Westdeutschen dokumentieren die eingesehenen Akten nur punktuell. So organisierte etwa der ASTA München für iranische Studenten in der Bundesrepublik Fahrten zu Demonstrationen nach Köln, Berlin und München.38 West-Berliner Studenten nahmen iranische Studenten bei sich auf, 31 Vgl. die Dokumente in PA, B8, Bd. 1050. 32 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 29.5.1967, 20.20 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. Zwei Tage zuvor, am Anreisetag des Schahs, waren es noch 25 Personen weniger, vgl. Funkübermittlung BKA, 27.5.1967, 15.32 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 33 Jagd auf Perser, Augsburger Allgemeine, 19.5.1967; vgl. P. Doebel, Die Polizei klappert Iraner ab, KStA, 25.5.1967; Hausarrest für Perser bei Schah-Besuch, NRZ, 25.5.1967; E. Stocker, Perser müssen die Stadt verlassen, Münchner Merkur, 30.5.1967. 34 L. Hirte, Kostspielig, NRZ, 25.5.1967. 35 Vgl. »Bei Staatsbesuchen Sperre der Autobahn nicht zu verantworten«, Die Welt, 31.5. 1967. 36 Vgl. Mitteilungen u. Funkübermittlungen des BKA vom 22.5.1967 bis zum 3.6.1967, PA, B8, Bd. 1049 u. 1050. 37 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 23.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 38 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 25.5.1967, PA, B8, Bd. 1050.
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um sie vor einer Schutzhaft zu bewahren.39 Die iranischen Initiativen, die das Bundeskriminalamt verzeichnete, blieben allesamt im kleinen Rahmen. Iranische Studenten verteilten Schah-kritische Flugblätter, schrieben Protesttelegramme an den Bundespräsidenten und organisierten eine Iran-kritische Ausstellung.40 Am 28. Mai demonstrierten in Bonn rund 200 iranische Studenten gegen das politische Regime im Iran. Ihre Zahl nahm sich klein aus gegen die nach Polizeischätzungen 900 bis 1 000 Iraner, die dem Schah am selben Tag in Bonn huldigten.41 Doch jede Kritik eines Iraners registrierten die westdeutschen Sicherheitskräfte bis ins Detail.42 Das besondere Misstrauen der iranischen und westdeutschen Besuchsarrangeure galt Bahman Nirumand. Der iranische Humboldt-Stipendiat hatte mit seinem bereits erwähnten regimekritischen Buch den Unmut der iranischen Regierung auf sich gezogen.43 In einer Verbalnote vom 5. Mai 1967 missbilligte die iranische Botschaft vor allem eine Diskussion an der Freien Universität Berlin am 1. Juni 1967, an der auch Nirumand teilnehmen sollte.44 Die Iraner wiesen darauf hin, dass das Auswärtige Amt darauf bestehe, dass das Kaiserpaar nach Berlin reise. Folglich liege es in der Verantwortung der Westdeutschen, einen Affront gegen den Schah zu verhindern. Die staatlichen Stellen der Bundesrepublik fürchteten aufgrund der Erfahrungen mit Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg ohnehin die Proteste West-Berliner Studenten. Entsprechend wich die Berliner Dienststelle des Auswärtigen Amtes Nachforschungen des ASTA der Freien Universität über Programm und Fahrtroute des iranischen Kaiserpaares aus und informierte umgehend das Kriminalamt Berlin.45 Die Auftritte des Regimekritikers Nirumand schienen die Wahrscheinlichkeit öffentlichkeitswirksamer Proteste in Berlin noch zu steigern. Als weder die Freie Universität noch der Berliner Polizeipräsident sich bereit erklärten, die Diskussionsveranstaltung mit Nirumand zu verbieten, zeigte sich die iranische Botschaft enttäuscht.46 Darauf hin wollte der stellvertretende Regierende Bür39 Zumindest dankte eine Vertreterin des ASTA der FU Berlin ihren Kommilitonen dafür, vgl. Fernschreiben aus Köln, 2.6.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 14. 40 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 23.5.1967; 25.5.1967, PA, B8, Bd. 1050; 30.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 41 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 28.5.1967, 21.41 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 42 So machten sie etwa drei Iraner unter den Anti-Schah-Demonstranten am Bonner Ehrenmal am 30. Mai aus, vgl. Funkübermittlung, BKA, 30.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 43 Vgl. Gesprächsunterlagen, BA, B136/3072, Fiche 4. Die iranische Botschaft protestierte gegen die Veröffentlichung des Buches. 44 Vgl. Vermerk Neise, 3.5.1967, PA, B8, Bd. 1050; Vermerk von Posadowsky-Wehner, 3.5.1967, PA, B36, Bd. 294, Fiche 3, p. 273; Verbalnote der iranischen Botschaft, 5.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 45 Vgl. Drahtbericht Hoffmann, Dienststelle Berlin, 10.5.1967, PA, B8, Bd. 1048; Bericht Dienststelle Berlin, 12.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 46 Vgl. Drahtbericht Hoffmann, Dienststelle Berlin, 10.5.1967, PA, B8, Bd. 1048.
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germeister, Heinz Striek, den ASTA persönlich bitten, die Veranstaltung zu vertagen.47 Auch die Humboldt-Stiftung versuchte auf Anregung des Auswärtigen Amtes ihren Stipendiaten davon zu überzeugen, die Diskussion nicht vor oder während des Besuchs abzuhalten. Nirumand blieb bei seiner Teilnahme und begründete sie mit der Möglichkeit, so »einer allzu radikalen Ausartung der Diskussion entgegentreten zu können«.48 Später attestierte das Landesamt für Verfassungsschutz Nirumand in der Tat eine Rolle als Schlichter. Er habe die Studenten aufgefordert, anders Denkende ausreden zu lassen.49 Trotz aller Verhandlungen beharrte der ASTA auf dem Termin für die Diskussionsveranstaltung, zeigte sich aber bereit, einen Vertreter der iranischen Botschaft mit aufs Podium zu nehmen und auf Demonstrationen während des Besuchs zu verzichten.50 Letztlich fand die Veranstaltung am 1. Juni im Audimax der Freien Universität ohne einen Vertreter der iranischen Botschaft statt, da dieser eine Teilnahme abgelehnt hatte.51 Der Politologe Ekkehart Krippendorff leitete die Diskussionsrunde, bei der nach einleitenden Worten der Politischen Referentin des ASTA, Gabriele Kuby, neben Bahman Nirumand auch Hans-Heinz Heldmann und Rudi Dutschke sprachen. Die Veranstaltung richtete sich nicht nur gegen den Schah, sondern man kritisierte auch den Vietnam-Krieg, die Notstandsgesetzgebung sowie die Politik der Westmächte – vor allem der USA – gegenüber so genannten Entwicklungsländern.52 Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelte auf dieser Veranstaltung viele Informationen über geplante Aktionen der Studenten. Für den 2. Juni rief der Berliner ASTA zu Protesten um 12 Uhr vor dem Schöneberger Rathaus, um 15 Uhr vor dem Kranzler-Eck während der Stadtrundfahrt des Herrscherpaares und um 19.30 Uhr vor der Deutschen Oper auf. Der SDS werde Papiertüten verkaufen, die mit Bildern des Schahs bedruckt waren und als Tarnkappen dienen sollten. Des Weiteren werde eine Protestkundgebung am 3. Juni trotz Verbots stattfinden. Darüber hinaus wollten die Studenten auch vor der Militärmission der ČSSR demonstrieren, um den tschechoslowakischen Empfang des Schahs zu kritisieren.53 Die Studenten hielten sich nicht an ihre Zusage, auf Demonstrationen während des Besuchs zu verzichten. Damit war die zuvor bewährte Strategie staatlicher Stellen, Protestformen und 47 Vgl. Drahtbericht Hoffmann, Dienststelle Berlin, 11.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 48 Vermerk Gehlhoff, 17.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 49 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 2.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 50 Vgl. Vermerk Gehlhoff, 17.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 51 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 24.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 52 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 2.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. Vgl. zu der Veranstaltung auch Richter, S. 35. 53 Vgl. Fernschreiben aus Köln, 2.6.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 13–16. Schon vorher hatte man Hinweise auf Demonstrationen an ausgewählten Punkten der Reiseroute in West-Berlin, vgl. Drahtbericht Hoffmann, Dienststelle Berlin, 23.5.1967, PA, B8, Bd. 1050.
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das Auftreten von Interessengruppen auszuhandeln, gescheitert. Die Straßenöffentlichkeit ließ sich nicht mehr auf erprobtem Wege kontrollieren. Zwar standen auch beim Besuch des Schahs Menschen am Straßenrand, die den vorbeifahrenden Staatsgästen freundlich applaudierten, doch bestimmten sie nicht mehr allein optisch und akustisch das Straßenbild.54 Die Demonstranten hatten erheblichen Einfluss auf die Atmosphäre beim Staatsbesuch. Vor dem Rathaus Schöneberg dominierte eine kleine, »dafür aber recht lautstarke Gruppe von Demonstranten« mit einem Pfeif konzert, das bis in die Amtszimmer vordrang, den Empfang.55 Diese Veränderungen in der Straßenöffentlichkeit ließen sich auch in anderen westdeutschen Universitätsstädten beobachten. An allen Stationen ihrer Reise trafen der Schah und Farah Diba auf Demonstrationszüge und Kritik. Am Tag vor dem Eintreffen der iranischen Gäste demonstrierten nach Polizeischätzungen 200 Personen in Bonn gegen den Besuch des Kaiserpaares.56 Am 27. Mai konnte die Polizei Demonstranten zwar in den Hofgarten abdrängen, einen Sitzstreik aber nicht verhindern.57 Während der Kranzniederlegung am Bonner Ehrenmal am 28. Mai befanden sich zwischen 30 und 40 westdeutsche und iranische Studenten unter den 2 000 Zuschauern, die Flugblätter gegen den Schah verteilten und lautstark protestierten. Doch ihre Rufe und Pfiffe gingen im Beifall der Zuschauer unter.58 Einen Tag später hinderte die Polizei Studenten daran, Kränze für die Opfer des Schah-Regimes am Ehrenmal niederzulegen.59 Als der Schah bereits weitergereist war, demonstrierten am 1. Juni rund 1 500 Personen in Bonn.60 Für Köln organisierte der SDS eine Demonstration am ersten Tag des Besuchs, einen Protestzug während des Aufenthalts des Kaiserpaares in Köln sowie weitere Protestaktionen.61 Die Studenten der Technischen Hochschule Aachen richteten am 26. Mai eine öffentliche Versammlung mit Nirumand aus. Verschiedene Hochschulgruppen verteilten Flugblätter und riefen zu Schweigemärschen auf, an denen sich zwischen 130 und 250 Personen beteiligten.62 Eine Demonstration in Düsseldorf war ver-
54 Vgl. zum Straßenbild auch BA, B145, Bild-F024944-0028A u. Bild-F024944-0029A (Hamburg) sowie Bild-F024946-0008 (Berlin). 55 Vermerk Gehlhoff, 2.6.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 12. 56 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 24.5.1967, PA, B8, Bd. 1050 u. 27.5.1967, 15.32 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 57 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 28.5.1967, 13.42 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 58 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 28.5.1967, 21.41 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 59 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 29.5.1967, 20.20 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 60 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 1.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 61 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 24.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 62 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 27.5.1967, 15.32 Uhr; 28.5.1967, 21.41 Uhr, PA, B8, Bd. 1049; 1.6.1967; 3.6.1967, PA, B8, Bd. 1050.
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Abb. 16 u. Abb. 17: Straßenöffentlichkeit in Berlin beim Schah-Besuch 1967
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boten worden. Aber während sich die iranischen Gäste am 30. Mai in Schloss Benrath auf hielten, verteilten dort Studenten Flugblätter.63 Zwar erhoben auf der weiteren Reise auch im beschaulichen Rothenburg ob der Tauber Menschen ihre Stimme gegen das iranische Staatsoberhaupt, doch waren die Proteste bis zur Ankunft in München nur Vorboten der massiven Kritik, mit der sich der Schah und die Schahbanu in der bayerischen Landeshauptstadt, West-Berlin und Hamburg konfrontiert sahen. In München verteilten Studenten Schah-kritische Flugblätter, bestückten Bauzäune mit Plakatwänden und versammelten sich während des Staatsbesuchs täglich zu Kundgebungen.64 Sie protestierten zum einen gegen den Umgang der westdeutschen Sicherheitsbehörden mit iranischen Studenten65 und zum anderen gegen die Herrschaft des Schahs. Neben einer Demonstration und einer Kundgebung organisierte der SDS München am 30. Mai zusätzlich eine Kranzniederlegung an einem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus: »Den Opfern des Schah-Regime« lautete die Aufschrift der Kranzschleife. Die Veranstaltung zitierte standardisierte Formen staatlichen Gedenkens, wie sie auch bei Staatsbesuchen üblich waren, und präsentierte sie mit neuem politischen Inhalt. Rund 1000 Personen, darunter einige Maskierte, wohnten diesem Akt bei.66 Missfallenskundgebungen, Demonstrationen und Sprechchöre auf dem Lenbachplatz, vor der Staatskanzlei und vor dem Rathaus umrahmten die Ankunft der iranischen Staatsgäste in München; Beifallskundgebungen für das Kaiserpaar blieben aus.67 Wie für den Aufenthalt in West-Berlin suchte die iranische Botschaft auch für München iranische Staatsangehörige aus, »deren Aufgabe es sein wird, dem Herrscherpaar zuzujubeln«.68 Doch nichts konnte »den unfreundlichen Empfang der Bevölkerung […] übertönen«. Demonstranten klagten mit Sprechchören und Spruchbändern das iranische Kaiserpaar an. Vor dem Rathaus rief eine aufgebrachte Menschenmenge: »Schah, Mörder!« und »Jagt den Schah aus Deutschland ›raus‹«. Die Polizei versuchte, Pfeif konzerte mit Polizeilautsprechern und dem Motorengeräusch der Hubschrauber, welche die Wagenkolonne überwachten, zu übertönen.69 Wenngleich es zu keinen ernsthaften Zwischenfällen kam, bewertete Protokollchef Schwarz63 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 29.5.1967, 20.20 Uhr, PA, B8, Bd. 1049; 31.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 64 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 29.5.1967, 20.20 Uhr; 30.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 65 Vgl. »Bei Staatsbesuchen Sperre der Autobahn nicht zu verantworten«, Die Welt, 31.5.1967. 66 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 31.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 67 Vgl. Immer stärkere Kritik am Schah-Rummel, Stuttgarter Nachrichten, 1.6.1967; Demonstranten gegen den Schah, FAZ, 2.6.1967. 68 J. Freudenreich, Perseraustausch zum Schahbesuch, SZ, 30.5.1967. 69 Vgl. Auch München pfeift den Schah aus, FR, 2.6.1967; vgl. Verbot politischer Betätigung unzulässig, Stuttgarter Zeitung, 2.6.1967.
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mann die Ereignisse in München als »recht schlimm«.70 Wie in vielen anderen Städten erreichten die Demonstrationen auch in München einen weiteren Höhepunkt am 2. Juni, als 500 bis 600 Personen johlend und pfeifend ihren Unmut über den Schah-Besuch öffentlich kundtaten.71 In Berlin eskalierte der Staatsbesuch in zweierlei Hinsicht. Zum einen prügelten sich am Mittag des 2. Juni Schah-Gegner und eigens von iranischer Seite organisierte und mit großen Knüppeln bewaffnete Schah-Anhänger.72 Zum anderen eskalierte die Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei. Bei Ausschreitungen vor der Deutschen Oper, in deren Folge Benno Ohnesorg getötet wurde, wurden mehrere Menschen, darunter sechs Polizisten, von Steinwürfen schwer verletzt. Die Polizei setzte ihre Schlagstöcke ein, nahm 32 Personen fest, darunter Fritz Teufel, Mitglied der Kommune 1, als »Rädelsführer«.73 Auch in Hamburg, der nächsten Station des Staatsbesuchs, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten. Klaus Weinhauer stuft den Polizeieinsatz beim iranischen Staatsbesuch als »bis dahin wohl größten und härtesten […] im Nachkriegs-Hamburg« ein.74 Der Hamburger SDS stimmte die Hansestadt mit Flugblättern und Plakataktionen auf die Ankunft der iranischen Monarchen ein.75 Am 2. Juni zogen Hamburger Studenten schweigend zum iranischen Generalkonsulat und übergaben dort eine Protestresolution.76 Während sich das Kaiserpaar am 3. und 4. Juni in Hamburg auf hielt, waren rund 6000 Polizisten im Einsatz. Vor allem auf dem Rathausmarkt und vor der Staatsoper kam es zu gewaltsamen Konfrontationen zwischen Demonstranten und Polizisten.77 Lediglich in Lübeck, das die iranischen Gäste zuletzt besuchten, blieben Demonstrationen offenbar aus.78 Es regten sich auch Proteste an Orten, die nicht auf der Fahrtroute lagen. In Clausthal, Darmstadt, Erlangen, Frankfurt am Main, Gießen, Heidelberg, Karlsruhe, Mainz und Saarbrücken fanden Anti-Schah-Demonstrationen oder Schweigemärsche statt.79 In Braunschweig besuchten nach Polizeischätzungen 70 Aufzeichnung Protokoll für StS, 1.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 71 Vgl. Demonstranten gegen den Schah, FAZ, 2.6.1967. 72 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 2.6.1967, PA, B8, Bd. 1050; vgl. auch E. Ney, Mit Rauchbomben gegen Schah-Fotos, WAZ, 3.6.1967; zu den genauen Abläufen Soukup. 73 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 3.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 74 Weinhauer, S. 304. 75 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 24.5.1967, PA, B8, Bd. 1050; 28.5.1967, 13.42 Uhr, PA, B8, Bd. 1049. 76 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, 31.5.1967; 1.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 77 Vgl. Weinhauer, S. 305. Vgl. Funkübermittlung, BKA, 3.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 78 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 4.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. Allerdings erwartete das Bundeskriminalamt, dass in Lübeck Flugblätter verteilt würden, vgl. Funkübermittlung, BKA, 30.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 79 Die Teilnehmerzahlen lagen zwischen 100 u. 400, vgl. Funkübermittlungen, BKA, 27.5.1967, 15.32 Uhr, PA, B8, Bd. 1049; 1.6. 1967; 3.6.1967, PA, B8, Bd. 1050.
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150 Personen eine Veranstaltung mit Nirumand.80 Flugblattaktionen bezogen auch Städte in die Proteste ein, in denen keine Demonstrationszüge geplant waren, so etwa Bochum, Goslar und St. Ingbert.81 Erstmals brachten Menschen bundesweit ihren Protest gegen einen Staatsgast öffentlich zum Ausdruck. Die unterschiedlichen Beobachtungen anlässlich des Staatsbesuchs fasste das Bundeskriminalamt in seinen Berichten zu einem Text zusammen. Am 25. Mai etwa übermittelte die für den Staatsbesuch zuständige Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes in dieser Reihenfolge, dass bislang 891 Iraner in die Bundesrepublik eingereist seien, ein Aushilfskellner von möglichen Anschlägen erzählt habe, der ASTA München eine Demonstration plane und Busse für Iraner bereit stelle, ein Grieche und ein Türke jeweils einen »Offenen Brief gegen den Schah-Besuch« verteilt hätten, der Münchener Oberbürgermeister sowie der Polizeipräsident Postkarten erhalten hätten, die den Schah beschimpften etc.82 Schon die Quantität der aufgelisteten Punkte suggerierte eine Bedrohung. Der Bericht verlieh zudem auch Demonstrationen einen bedrohlichen Charakter, tauchten sie doch in demselben Text auf, der über Attentatsdrohungen berichtete. Für die zeitgenössischen Verfasser und Leser dieser Berichte standen die einzelnen Punkte in Zusammenhang. Von diesen Berichten lassen sich keine unmittelbaren Rückschlüsse auf das Verhalten der Polizisten auf der Straße ziehen, doch dokumentieren sie, wie der Eindruck einer umfassenden Bedrohungssituation bei den Sicherheitsbehörden entstehen konnte. Jede Handlung erschien verdächtig. Das unterstrich ein zuständiger Polizeipräsident zu Beginn des Schah-Besuchs. Er erklärte, die Polizei bemühe sich um ein angemessenes Verhalten, doch falle die Entscheidung der Polizisten darüber, wie sie sich verhalten sollten, im Einzelfall schwer. Wenn sich etwa ein Demonstrant vor einen Zug setze, könne es sich um einen harmlosen Sitzprotest oder um den Teil eines Attentats handeln.83 Wie sich Schutzpolizisten im Großeinsatz gegenüber den große Menschenansammlungen verhielten, erklärt sich zudem aus einer bis zur preußischen Polizei zurückreichenden Tradition, Menschenmassen als »akute Masse« wahrzunehmen.84 Bis in die frühen siebziger Jahre bestimmte dieses Modell, das von der Massenpsychologie Gustave Le Bons geprägt wurde, das Denken der Polizei. In der »akuten Masse« schwinde die Persönlichkeit des Einzelnen und gehe in einem Kollektiv auf. Die Polizei könne, skizziert Weinhauer die damalige Auffassung der Polizei, einer solchen Masse »durch sicheres Auftreten sowie durch körperliche Disziplin imponieren«. Polizeiführer gingen davon 80 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 30.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 81 Vgl. Funkübermittlungen, BKA, SG, 30.5.1967, PA, B8, Bd. 1049; 31.5.1967; 1.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 82 Vgl. Funkübermittlung, BKA, 25.5.1967, PA, B8, Bd. 1050. 83 Vgl. J. Freudenreich, Perseraustausch zum Schahbesuch, SZ, 30.5.1967. 84 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Weinhauer, S. 275–277.
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aus, dass »intensive Überwachung« und die »Demonstration staatlicher Machtmittel« eine Vermassung verhindern könnten.85 Wenn die Vermassung bereits eingetreten sei, gelte es, Anführer, so genannte Rädelsführer, und deren Anhang von der Masse zu trennen. Auch während des Schah-Besuchs setzte die westdeutsche Polizei auf Überwachung, demonstrative Präsenz und gewaltsames Einschreiten. Dabei variierte das Verhalten der Polizei von Ort zu Ort. Während es etwa der Süddeutschen Zeitung aufgrund der »Fernsehaufnahmen der Tagesschau« schwer fiel, »anzunehmen, die Berliner Polizei sei mit den geringstnötigen Mitteln des Zwangs vorgegangen«, schien die Münchner Polizei »Lehren« aus den »nun schon historischen ›Schwabinger Krawallen‹« gezogen zu haben. Sie verfolgte beim Schah-Besuch und bei einem Schweigemarsch zum Gedenken an Ohnesorg mit Erfolg eine weniger konfrontative »mittlere Linie«.86 Andernorts übten Polizisten wiederholt Gewalt gegen Studenten aus; einige der Betroffenen erstatteten Strafanzeige.87 Studentenvertreter protestierten schriftlich gegen das Verhalten der Polizei gegenüber Demonstranten.88 Die polizeilichen Maßnahmen gaben selbst Anlass zu Demonstrationen, so etwa in Bonn, wo am 2. Juni 800 Studenten gegen das Auftreten der Polizei protestierten.89 b) Absperrungen und der Ausschluss der Bevölkerung Eine weitere Maßnahme zum Schutz der Staatsgäste bestand darin, Straßen und Plätze, an denen sich der Schah und Farah Diba auf halten würden, weiträumig für den Straßenverkehr und Passanten abzusperren. Bereits in den fünfziger Jahren gehörte es zur Aufgabe der Schutzpolizisten, das Straßenpublikum von den ausländischen Gästen zu trennen. Auch Verkehrswege wurden für die Durchfahrt von Staatsgästen gesperrt. Ihr Ausmaß und der deutliche Unmut der Bevölkerung verliehen jedoch den Absperrungen Mitte der sechziger Jahre eine neue Qualität.90 85 Zit. n. Weinhauer, S. 276. 86 M.-M. jr., Respekt vor Polizei und Studenten, SZ, 7.6.1967. 87 Vgl. Immer stärkere Kritik am Schah-Rummel, Stuttgarter Nachrichten, 1.6.1967; Untersuchung gegen Polizisten, FR, 13.6.1967. Die Anzeige einer Hamburger Studentin wegen der schlechten Behandlung durch die Polizei endete in einem Vergleich, bei dem das Gericht das Verhalten der Polizei bedauerte, vgl. Klage der Studentin endete im Vergleich, Hamburger Abendblatt, 1.3.1968. 88 Vgl. ASTA Uni Erlangen an BP, 30.5.1967, BA, B122/5475, Faszikel 2, p. 488; »Bei Staatsbesuchen Sperre der Autobahn nicht zu verantworten«, Die Welt, 31.5.1967. 89 Vgl. Der Schah-Besuch ist nicht zu aufwendig, Kölnische Rundschau, 2.6.1967. 90 Bisweilen monierten die Bonner Sperrungen des Verkehrs bereits in den fünfziger Jahren, vgl. Aufzeichnung Göllner, 16.10.1956, PA, B8, Bd. 132.
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Das Verständnis für die Sicherheitsvorkehrungen der Polizei schwand. So beschwerte sich etwa die Altstadt-Gemeinschaft Düsseldorf 1965, dass für den Besuch Hassans von Marokko in der Vorweihnachtszeit ein ganzer Parkplatz gesperrt werde.91 Zwei Jahre später hatte sich der Kreis der Kritiker erweitert. Wegen Beschwerden über die Absperrmaßnahmen beim Staatsbesuch aus Tschad 1967 regte der nordrhein-westfälische Innenminister Willy Weyer an, Staatsgäste zukünftig mit Hubschraubern und Sonderzügen zu transportieren,92 worauf Außenminister Brandt erklären ließ, dass Hubschrauber aus Sicherheitsgründen nicht regelmäßig zum Einsatz kommen könnten und dass auch für den gerade ablaufenden Schah-Besuch Straßen abgeriegelt würden.93 Die Einsatzleitung im nordrhein-westfälischen Innenministerium ließ Autobahnen für die Durchfahrt der iranischen Gäste räumen.94 Das Bundesverkehrsministerium kritisierte diese mehrstündigen Sperrungen noch während des Schah-Besuchs und verlangte, wie zuvor Weyer, auf Züge und Hubschrauber umzusteigen sowie zukünftig an den Besuchsplanungen beteiligt zu werden.95 Auch in den Tageszeitungen wuchs die Kritik an den Absperrungen.96 Neben der Behinderung des Straßenverkehrs monierten die Pressekommentatoren vor allem die Abriegelung der Staatsgäste von der westdeutschen Straßenöffentlichkeit. In Aachen etwa wurden die iranischen Gäste am 30. Mai 1967 »hermetisch von der Bevölkerung getrennt«.97 Die leere Autobahn, die alle 50 bis 100 Meter Polizeibeamte säumten, und die Aachener Innenstadt, wo »mehr uniformierte Polizisten als Bewohner auf den Bürgersteigen« standen, boten einen gespenstischen Anblick.98 Hubschrauber kreisten über der Stadt. Polizeibeamte hielten Aachen wegen der Grenznähe für besonders gefährlich und agierten nervös. Menschen, die an der Besichtigungsroute der Gäste wohnten, durften ihre Fenster nicht öffnen.99 Der Dom und das Rathaus waren teils dreifach mit Absperrgittern abgeriegelt. Zuschauer mussten mindestens 150 Meter Distanz zum Kaiserpaar wahren.100 Auf ihrem Fußweg vom Aachener Dom zum Rathaus schirmten vier berittene Polizeibeamte den 91 Vgl. Schillinge an Polizeipräsident Klein, 16.12.1965, PA, B8, Bd. 550. 92 Vgl. Weyer an Brandt, 12.5.1967, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633; vgl. auch Seehafer an Weyer, 13.4.1967, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633. 93 Vgl. Schütz an Weyer, 29.5.1967, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633. 94 Vgl. Einsatzleitung Innenministerium NRW, Seeling, 18.5.1967, PA, B8, Bd. 1049. 95 Vgl. BMVerkehr an AA u. BMI, 1.6.1967, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633. 96 Vgl. Vermerk o.D., PA, B8, Bd. 1049. 97 Persisches Kaiserpaar wird in sicherer Entfernung vom Publikum gehalten, Nürnberger Nachrichten, 30.5.1967. 98 W. Kuballa, Demonstrationen gegen den Schah, SZ, 30.5.1967; vgl. Aachen: Leere Straßen zum Schah-Besuch, Westfälische Rundschau, 30.5.1967. 99 Dies galt auch für München, vgl. Verbot politischer Betätigung unzulässig, Stuttgarter Zeitung, 2.6.1967. 100 Vgl. H. Schweden, Enttäuschung und Nervosität um das Kaiserpaar, RP, 30.5.1967.
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Schah und seine Ehefrau vor den Blicken der Zuschauer ab.101 Nie zuvor lag so große Distanz zwischen westdeutschen Staatsgästen und den Menschen auf der Straße. Dieser »Ausschluss der Öffentlichkeit«, kritisierte die Westdeutsche Zeitung, raube dem Besuch »jeden Sinn«.102 Die Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung beschrieb den Besuch als »Ausnahmezustand« und »Heimsuchung der Bevölkerung«.103 Die Bundesbürger reagierten enttäuscht, »kritisch und verärgert«;104 der Jubel, mit dem de Gaulle, Kennedy und Elizabeth II. empfangen worden waren, blieb aus.105 Nur rund 2000 Zuschauer folgten dem Ruf der Lautsprecherwagen in die Aachener Innenstadt.106 Sie »beschränkten sich auf höfliches Winken«.107 Das Resümee dieses Besuchs bei den Aachenern lautete: »Unmut statt Jubel, schwindendes Interesse statt Begeisterung«.108 Auch einen Tag später gaben sich die Bundesbürger angesichts der Sicherheitsmaßnahmen zurückhaltend. In Duisburg, Düsseldorf und Benrath standen inklusive der Schulkinder lediglich zwischen einigen Hundert und 2 500 Zuschauern am Straßenrand. Fliegende Händler verkauften nur wenige Postkarten mit dem Konterfei der Staatsgäste.109 c) Kritik am Staatsbesuch und am demokratischen Selbstverständnis der Bundesrepublik Der Staatsbesuch des Schahs geriet bereits vor den ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten in die öffentliche Kritik. An der Jahreswende 1966/67 befand sich die westdeutsche Wirtschaft in einer Rezession. Die Große Koalition reagierte darauf u.a. mit einem Sparprogramm. Steuervergünstigungen wurden abgebaut, die Gelder in den Bereichen Landwirtschaft, Verteidigung, Entwicklungshilfe und Soziales gekürzt.110 Angesichts dieser wirtschaftlichen Lage erwartete das Protokoll im Auswärtigen Amt nicht, dass die Bundesbürger Verständnis für hohe Ausgaben bei einem Staatsbesuch auf bringen würden. Daher sollte das Programm für den Präsidenten von Elfenbeinküste, Houphouët-Boigny, gestrafft werden und das Ge101 Vgl. W. Kuballa, Demonstrationen gegen den Schah, SZ, 30.5.1967. 102 H. Eich, Ungeschickt, Westdeutsche Rundschau, 31.5.1967. 103 H.-J. Langner, Der Schah-Schock, NRZ, 31.5.1967. 104 Das Kaiserpaar in Nordrhein-Westfalen, FAZ, 31.5.1967. 105 Vgl. Nur ein Schabernack, WAZ, 31.5.1967; W. Sonne, Jubel fand nicht statt, KStA, 3.6.1967. 106 Vgl. H. Schweden, Enttäuschung und Nervosität um das Kaiserpaar, RP, 30.5.1967. 107 Persisches Kaiserpaar wird in sicherer Entfernung vom Publikum gehalten, Nürnberger Nachr ichten, 30.5.1967. 108 H. Schweden, Enttäuschung und Nervosität um das Kaiserpaar, RP, 30.5.1967. 109 Vgl. Die Wartenden wurden gefilmt, Westdeutsche Rundschau, 31.5.1967. 110 Vgl. Görtemaker, S. 447–450.
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schenk für die iranischen Gäste möglichst bescheiden ausfallen.111 Doch diese Selbstbeschränkung des Protokolls konnte öffentliche Kritik nicht verhindern. Tages- und Boulevardzeitungen kritisierten den finanziellen Aufwand für die Staatsgäste;112 Bürger erkundigten sich vor dem Hintergrund der Finanzkrise nach den Gesamtkosten des Schah-Besuchs.113 Auch bei Demonstrationen kam mitunter die Finanzfrage, etwa über Gesänge »Wer soll das bezahlen?«, zur Sprache.114 Nach dem Staatsbesuch beschäftigte sich auch der Bundestag in einer Fragestunde mit den Kosten.115 In einigen Äußerungen mischte sich die Kritik an den Kosten mit dem Unmut über die polizeilichen Maßnahmen. So fragten einzelne Bürger und der SPD-Bundestagsabgeordnete Günther Müller nach den Kosten der Sicherheitsabsperrungen.116 Der Unmut über Kosten und Aufwand für diesen Staatsbesuch fiel auch deshalb so groß aus, weil das iranische Kaiserpaar den Westdeutschen durch die seit den fünfziger Jahren kontinuierliche Berichterstattung in der Boulevardpresse und Illustrierten besonders vertraut schien.117 Doch der Staatsbesuch machte die Kluft zwischen der Märchenwelt der Illustrierten und der Realität deutlich.118 Die Absperrungen spalteten nach Ansicht des SPD-Landtagsabgeordneten Hans Nehrling die westdeutsche Bevölkerung »in Prominente und Proleten«.119 Die Kritik richtete sich auch dagegen, dass die Bundesbürger diese Spaltung bzw. ihren Ausschluss mit ihren Steuergeldern finanzierten. Die Polizei geriet als Exekutivorgan der geschilderten Absperrmaßnahmen – vor Berichten über verletzte Demonstranten – in die Kritik. Die Süddeutsche Zeitung sprach von einem »Polizeistaat«.120 Die Stuttgarter Nachrichten beobachteten »überperfektionierte Polizeiarbeit« und eine »Diktatur auf Zeit«.121 Die zurückhaltendere Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab zu bedenken, dass Absperrungen »selten populär« seien, forderte jedoch, für künftige Staatsbesuche »ein bißchen mehr Maß« ins Auge zu fassen.122 111 Vgl. Drahterlass Schwarzmann, 30.1.1967, PA, B8, Bd. 1146; Noebel an Bach, 6.4.1967, PA, B8, Bd. 1048. 112 Vgl. Zuviel Aufwand, Trierischer Volksfreund, 31.5.1967. 113 Vgl. die Schreiben in PA, B8, Bd. 1048. 114 Vgl. Verbot politischer Betätigung unzulässig, Stuttgarter Zeitung, 2.6.1967. 115 Vgl. die Dokumente in PA, B8, Bd. 1048. 116 Vgl. Immer stärkere Kritik am Schah-Rummel, Stuttgarter Nachrichten, 1.6.1967; Woelk an BPamt, 29.5.1967, PA, B8, Bd. 1048. 117 Vgl. dazu Blank; Derix, Soraya. 118 Vgl. M. Meisner, In Einklang bringen, Main Post, 3.6.1967. 119 Nehrling an Brandt, 26.6.1967, PA, B8, Bd. 1048. 120 Das Streiflicht, SZ, 31.5.1967. Der Spiegel zitierte diese Bewertung in einem Artikel über den 2. Juni 1967, in dem der Schah-Besuch als »totaler Staatsbesuch« charakterisiert wurde, Tod vor der Oper, Der Spiegel, 5.6.1967. 121 Der persische Bahnhof – oder die »Diktatur auf Zeit«, Stuttgarter Nachrichten, 1.6.1967; vgl. C.M. Lankau, Anmerkung zu einem Besuch, Lübecker Nachrichten, 1.6.1967. 122 W. Henkels, Der Staatsbesuch – etwas zuviel des Guten, FAZ, 2.6.1967.
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In der Kritik an polizeilichen Maßnahmen stimmten Tageszeitungen bisweilen mit den Studenten überein. Die Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung etwa kritisierte ebenso wie der Verband deutscher Studentenschaften,123 dass die Polizei Demonstrationsteilnehmer filmte. In den Augen des Journalisten rückten diese Aufnahmen Bundesbürger in die Nähe von Verbrechern.124 Die Zeitungen berichteten, dass einige Demonstranten misshandelt worden seien, und machten sich in dieser Hinsicht zum Anwalt der studentischen Interessen.125 Umgekehrt kritisierten die Studenten in Resolutionen nicht nur das Schah-Regime und die Ausweisungen iranischer Studenten, sondern wandten sich auch gegen den Ausschluss der Bundesbürger von dem Staatsbesuch.126 Die Polizei reagierte auf diese Kritik auf zweierlei Weise. Repräsentanten der Polizei verteidigten das Verhalten der Polizisten gegenüber Demonstranten.127 Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Werner Kuhlmann, hielt hingegen die öffentliche Kritik an den Sicherheitsmaßnahmen für berechtigt. Er erklärte, dass die Polizisten – etwa als Claqueure für die Staatsgäste – missbraucht worden seien.128 Noch während des Staatsbesuchs wurde die Verantwortung für dessen Misslingen von der Polizei auf die staatlichen Gastgeber verlagert.129 Diese Akzentverschiebung ging parallel zu einer öffentlichen Diskussion über die Demokratie in der Bundesrepublik vonstatten. Die Kritik der Studenten wie der Medien kreiste um das Thema »Demokratie«. Die studentischen Proteste richteten sich gegen den Schah als Despoten und damit als Nicht-Demokraten. Zudem schienen die Ereignisse des 2. Juni einen »Prozeß der Entdemokratisierung« der Bundesrepublik »sinnlich« zu bestätigen, welchen die Außerparlamentarische Opposition in Aktionen gegen die Notstandsgesetzgebung bereits theoretisch antizipiert hatte.130 Auch die Klage der Medien, dass die Bevölkerung auf Distanz zum Staatsgast gehalten werde, berührte das Thema Demokratie. Denn mit der Bevölkerung schlossen iranische und westdeutsche Besuchsplaner den Souverän der Bundesrepublik vom Staatsempfang aus. Dies stellte das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik in Frage. Bereits in den ersten Tagen des Staatsbesuchs entwickelte sich wegen der polizeilichen Maßnahmen eine Diskussion um die »demokratische Selbstach123 Über Proteste des Verbandes deutscher Studentenschaften berichtete: »Bei Staatsbesuchen Sperre der Autobahn nicht zu verantworten«, Die Welt, 31.5.1967. 124 Vgl. H.-J. Langner, Der Schah-Schock, NRZ, 31.5.1967. 125 Vgl. W. Kuballa, Kritik an der Organisation des Schah-Besuchs, SZ, 31.5.1967. 126 Vgl. Resolution der Studenten der Ruhr-Universität Bochum an BP, an Regierung, an Fraktionen BT, 31.5.1967 [600 Unterschriften], BA, B122/5475, Faszikel 2, p. 487. 127 Vgl. J. Freudenreich, »Fünfzig berufsmäßige Wirbelmacher«, SZ, 3.6.1967. 128 Vgl. Der Schah-Besuch ist nicht zu aufwendig, Kölnische Rundschau, 2.6.1967. 129 Vgl. M.-M. jr., Nach dem Schah-Besuch, SZ, 3.6.1967. 130 Richter, S. 46–48, Zitat S. 48.
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tung« der Bundesrepublik. Als Erster brachte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer im nordrhein-westfälischen Landtag, Nehrling, diesen Begriff auf. Er erklärte, dieser Staatsbesuch gehe »weit über das vertretbare Maß der Angemessenheit, der Gleichbehandlung von Staatsoberhäuptern und der Selbstachtung des deutschen Volkes hinaus«.131 Der nordrhein-westfälische Innenminister Weyer machte im Landtag die Bundesregierung für den Polizeiaufwand verantwortlich.132 Die Presse griff Nehrlings Kritik auf und diskutierte, was der Staatsbesuch des Schahs für das westdeutsche demokratische Selbstverständnis bedeute. Klaus Bölling forderte am 31. Mai die Bundesbürger in der SPD-nahen Westfälischen Rundschau dazu auf, über die »Selbstachtung der Demokratie« nachzudenken.133 Die staatlichen Erklärungen konnten den Eindruck erwecken, dass die »besondere Freizügigkeit der Ausländer-, Versammlungs- und Demons trationsgesetze in der Bundesrepublik« die Polizei »zur Härte« zwinge. Würde diese Freizügigkeit eingeschränkt, wäre auch kein Polizeieinsatz nötig, so die dahinter stehende Denkweise. Der Journalist Hans-Joachim Langner empörte sich: »So soll am Ende noch die Demokratie schuld daran sein, wenn aus dem Schah-Schutz dieses Staatsbesuches ein Schah-Schock für die Besuchten wird.«134 Diese Kommentare attestierten den Regierungsbehörden mangelnden Respekt für die Demokratie.135 Nach dem Besuch bewertete die Züricher Zeitung Die Tat umgekehrt die Studentendemonstrationen als Proteste »gegen die mangelnde Fähigkeit der Polizei, demokratische Rechte als absolute Werte zu erkennen« und damit als Verteidigung der Demokratie.136 Die Neue Ruhr Zeitung beschrieb das Demonstrieren als »Kunst für Demokraten«, in der sich »Regierende und Regierte« noch »üben« müssten.137 Mit den Diskussionen über das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik gerieten die Bundesregierung und das Bonner Protokoll als Besuchsarrangeure in den Blickpunkt der Kritik. Während für Teile der Springer-Presse die Demonstranten den »Druck auf der Straße« allein verursacht hatten,138 machte Die Tat die westdeutschen staatlichen Gastgeber für den Tod Benno Ohnesorgs und 24 Verletzte verantwortlich. Sie hätten den Schah »ohne Rücksicht auf die Stimmung im deutschen Volk« eingeladen. Daher seien die Demonstrationen »weniger gegen die Gäste als vielmehr gegen die Gastgeber
131 Zit. n. H. Schweden, Enttäuschung und Nervosität um das Kaiserpaar, RP, 30.5.1967. 132 Vgl. Immer stärkere Kritik am Schah-Rummel, Stuttgarter Nachrichten, 1.6.1967; Landtag erörtert Schah-Besuch, Weser Kurier, 1.6.1967. 133 K. Bölling, Teurer Gast, Westfälische Rundschau, 31.5.1967. 134 H.-J. Langner, Der Schah-Schock, NRZ, 31.5.1967. 135 Vgl. auch Totaler Staatsbesuch, FR, 31.5.1967; H.S., Wir danken, Vorwärts, 8.6.1967. 136 Bonns skandalöser Staatsbesuch, Die Tat, 5.6.1967. 137 H.-J. Langner, Bittere Lehre, NRZ, 5.6.1967. 138 Der Schah in Deutschland, Der Tagesspiegel, 3.6.1967.
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gerichtet« gewesen, um weitere Besuche von Diktatoren zu verhindern.139 Der ASTA der Universität Bonn richtete seine Kritik unmittelbar an das Protokoll. Man habe mit Demonstrationen rechnen und die Polizei entsprechend vorbereiten müssen, »Pfiffe und Buhen zu tolerieren«. »Eine Eskalation« sei »zumindest für Berlin vorhersehbar« gewesen. Das Protokoll müsse »beweglich genug sein, um kurzfristig Programmänderungen vorzunehmen und so Zusammenstößen auszuweichen«, es müsse eine »feiertägliche Gewächshausstimmung« vermeiden, an der sich »der Widerstand der Studenten« entzünde. Zudem wäre eine langfristige und sorgfältige Informationspolitik angeraten gewesen, in der die staatlichen Stellen darauf hätten achten müssen, »nicht als Propagandains trumente des Schahs zu erscheinen«.140 Die bereits erwähnte Kritik des nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Nehrling gab den ersten Anstoß für ein Debatte über den Schah-Besuch im Bundestag am 9. Juni 1967, welche die bereits angesprochenen Kritikpunkte bündelte. Die SPD kritisierte die Absperrungen; die Regierungsvertreter verteidigten die Maßnahmen, indem sie das Szenario einer umfassenden Bedrohung entwarfen. Die volkswirtschaftlichen Verluste durch den Staatsbesuch und die Angemessenheit des Aufwands kamen ebenso zur Sprache wie die Bedeutung des Besuchs für die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik.141 Vor allem der SPD-Bundestagsabgeordnete Günther Müller rückte die polizeilichen Maßnahmen in einen verfassungsrechtlichen Kontext und stellte zur Diskussion, ob es mit den Grundrechten der Unverletztlichkeit der Person und der freien Meinungsäußerung vereinbar sei, »daß staatliche Organe […] auch dort gegen Schaulustige und Demonstranten vorgingen, wo eine Gefährdung der persönlichen Sicherheit der Besucher von vorneherein ausgeschlossen war«.142 Müller thematisierte zudem die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gegenüber iranischen Staatsangehörigen, da Meldeauflagen und Ausweisungen ebenfalls Verletzungen der Grundrechte darstellten. Als Regierungsvertreter zog sich Ernst Benda, Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, darauf zurück, dass das Polizeirecht die genannten Grundrechte einschränke, und führte zudem den Paragraphen 103 des Strafgesetzbuches an, demzufolge die Beleidigung eines Staatsgastes eine strafrechtliche Handlung sei. Als Müller eine Gesamtprüfung der Vorfälle forderte, regte Benda eine Besinnungspause an. Zwar applaudierte die Regierungsseite diesem Vorschlag, doch hatten einige Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion bereits ihre Schlüsse gezogen. 139 Bonns skandalöser Staatsbesuch, Die Tat, 5.6.1967; vgl. M.-M. jr., Respekt vor Polizei und Studenten, SZ, 7.6.1967. 140 ASTA Uni Bonn an Gehlhoff, 8.6.1967, PA, B8, Bd. 1048. 141 Vgl. 113. Sitzung, 9.6.1967, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 64, S. 5481– 5484. 142 Ebd., S. 5482.
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Während der SPD-Abgeordnete die freiheitlichen Grundrechte der Bundesrepublik gefährdet sah, befürchteten Abgeordnete des konservativen Lagers, dass umgekehrt gerade die Freizügigkeit, welche die Grundrechte einräumten, die eigentliche Gefahr darstelle. CSU-Abgeordnete zeigten sich darüber besorgt, dass Ausländer die Grundrechte für fremde Zwecke missbrauchen könnten bzw. sich hinter den Demonstrationen eine politische Infiltration durch Agenten verberge. Für den CSU-Abgeordneten Max Schulze-Vorberg potenzierten die Massenmedien die Gefahr, die von der Straßenöffentlichkeit ausging. Der Rundfunk und vor allem das Fernsehen ermöglichten »verhältnismäßig kleinen Gruppen […], weit über ihre Bedeutung hinaus bei solchen Anlässen Wirbel zu machen, Dinge zu entfachen, die in keinem Verhältnis zur Ursache stehen«.143 In diesen Äußerungen stellte die mangelnde Kontrollierbarkeit der Straßenöffentlichkeit die eigentliche Bedrohung dar. In der Bundestagsdebatte vom 9. Juni 1967 zeigte sich, dass der iranische Staatsbesuch, unter dessen Eindruck die Abgeordneten und Regierungsbeamten standen, grundlegende Fragen zum Selbstverständnis der Bundesrepublik aufgeworfen hatte. Während sich die Regierungsbeamten auf vage Antworten und Versprechen zurückzogen, legten Abgeordnete ihr unterschiedliches Verständnis der Grundrechte und von Öffentlichkeit dar. Der Verteidigung der Freizügigkeit stand die Angst vor einer Öffentlichkeit gegenüber, die unter den Bedingungen medialer Berichterstattung kaum mehr kontrollierbar erschien. Der Tod Benno Ohnesorgs, der an diesem Tag in Hannover beerdigt wurde, kam in der Sitzung nicht zur Sprache. d) Die Zuspitzung des Konflikts Eine Note der iranischen Botschaft vom 13. Juni 1967 verschärfte den Konflikt zwischen Staatsräson und demokratischem Selbstverständnis. Die Iraner forderten, dass die Bundesregierung juristisch gegen jene Personen vorgehe, die den Schah während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik beleidigt hatten.144 Zur selben Zeit sprach der iranische Botschafter Malek Protokollchef Schwarzmann auf die Demonstrationen an. Die Regierung in Teheran sei »sehr traurig« wegen des Staatsbesuchs und habe auch Malek Vorwürfe gemacht.145 Seine Ausführungen verdeutlichten, dass sich die deutsche Botschaft in Teheran mit ihrer Prognose irrte, die »Erinnerung an die Zwischenfälle« würde »verblassen«.146 Den Plan 143 Ebd., S. 5484. 144 Vgl. Sprechzettel, Sitzung Auswärtiger Ausschuss, Lage im Nahen Osten, 4.9.1967, PA, B8, Bd. 1050. 145 Vermerk Schwarzmann, 14.6.1967, PA, B8, Bd. 1048. 146 Bericht Grahn, Teheran, 10.6.1967, PA, B8, Bd. 1048.
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der iranischen Regierung, einen Sonderbotschafter nach Bonn zu entsenden, um ihr Missfallen zum Ausdruck zu bringen und eine Bestrafung der Demonstranten zu fordern, so Malek, habe er auf eine Note umlenken können.147 Aus seinem Gespräch mit dem iranischen Botschafter schloss Schwarzmann, dass es für die Beziehungen zum Iran wichtig sei, der Note rasch Folge zu leisten. Bereits vor der iranischen Note hatten sich einige politische Repräsentanten in der Bundesrepublik von den Demonstranten distanziert. So dankte der Hamburger Bürgermeister Weichmann in einer Presseerklärung am 4. Juni 1967 der Hamburger Bevölkerung, Presse und Polizei für ihr Verhalten beim Staatsbesuch. Dass der Staatsbesuch zum »schwarze[n] Tag in der Geschichte Hamburgs« wurde, lag laut Weichmann in der Verantwortung der Demons tranten. Sie hätten das Prinzip staatsbürgerlicher Freiheit verletzt: An die Stelle »der erlaubten Diskussion« seien »die Trillerpfeife, der beleidigende Zuruf, die Absicht der Ordnungsstörung« getreten. Weichmann benannte einen »kleine[n] und bestimmte[n] Kreis von Studenten« als »Störenfried des Rufes unserer Stadt« und als »Störenfried an der Wahrung und Würde eines freiheitlichen Volkes«.148 Auch das Auswärtige Amt hätte des Hinweises durch die iranische Botschaft nicht bedurft. Dort hatten Mitarbeiter am 5. und 6. Juni 1967 ein Handschreiben des Bundespräsidenten Lübke an den Schah vorbereitet, von dem die westdeutsche Presse nichts erfahren sollte.149 In diesem Schreiben distanzierte sich der Bundespräsident von den Demonstrationen. Er »bedauere und verurteile« die Demonstrationen, deren »Rädelsführer« inzwischen in Haft genommen worden seien. Die »höchst unerfreulichen Kundgebungen« würden »von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung verurteilt werden«.150 Das Schreiben dokumentiert die Bereitschaft staatlicher Stellen, sich schon vor Eingang der iranischen Note von den Demonstranten zu distanzieren und sie juristisch zu belangen. Während der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Helmut Schmidt, zu einer »Selbstprüfung« in der Bundesrepublik aufrief 151 und einzelne Bürger eine Stellungnahme des Bundespräsidenten zu den Vorwürfen gegen die Polizei einforderten,152 standen in den Überlegungen der Regierungsbeamten die beschädigten Beziehungen zum Iran im Vordergrund. In einem Gespräch mit dem iranischen Botschafter sollte der Pressesprecher der Bundesregierung, von Hase, das westdeutsche Presseecho relativieren – die Presse könne »nicht als unfreundlich« bezeichnet werden – und Verständnis für 147 Vgl. Vermerk Schwarzmann, 14.6.1967, PA, B8, Bd. 1048. 148 »Das Gesetz der Gastfreundschaft wurde verletzt«, Presseerklärung Weichmann, Staatli che Pressestelle Hamburg, 5.6.1967, PA, B8, Bd. 1048. 149 Vgl. Aufzeichnung Schwarzmann, 5.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 150 BP an Schah, 6.6.1967, PA, B8, Bd. 1050. 151 Schmidt spricht von überflüssiger »Superschau«, Stuttgarter Nachrichten, 10.6.1967. 152 Vgl. etwa Schrader an BP, 11.6.1967, BA, B122/5475, Faszikel 2, p. 563.
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die »erhebliche innenpolitische Belastung« wecken, welche die Ausschreitungen in München, Berlin und Hamburg für die Bundesrepublik bedeuteten.153 Der Bundeskanzler beschäftigte sich ebenfalls mit dem Staatsbesuch und brachte dem iranischen Botschafter Malek am 15. Juni 1967 in einem persönlichen Gespräch »sein großes Bedauern« über die Demonstrationen zum Ausdruck, das er in einem Schreiben an den Schah vom 24. Juli 1967 wiederholte.154 Zwei Tage später erfuhr die westdeutsche Öffentlichkeit erstmals von der iranischen Note vom 13. Juni 1967.155 Die Tagesschau machte die iranischen Forderungen zufällig wenige Minuten vor der Ausstrahlung der Fernseh-Dokumentation »Der Polizeistaatsbesuch« von Roman Brodmann publik, die den Staatsbesuch kritisch beleuchtete, und ließ damit die Debatte um das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik neu aufleben.156 Das Schreiben des Bundeskanzlers war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Westdeutsche Tageszeitungen wandten sich mehrheitlich gegen die Forderungen des iranischen Herrschers, gerichtlich gegen die Demonstranten vorzugehen.157 Der Süddeutschen Zeitung erschienen die iranischen Forderungen, Demonstranten strafrechtlich zu belangen, mit Blick auf die gewalttätigen iranischen ›Jubelperser‹ »wahrhaftig ungeheuerlich«. Die Bundesrepublik trage mit dem Tod Benno Ohnesorgs und den damit verbundenen Ermittlungen ohnehin schwer an den Folgen des Staatsbesuchs. Zudem kritisierte die Zeitung das iranische Verständnis von Öffentlichkeit und forderte, die Bundesregierung müsse dem iranischen Verlangen »widerstehen«.158 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung bezeichneten die Forderungen des Schahs als »Zumutung«.159 Die Frankfurter Rundschau empörte sich über das Verhalten der Bundesregierung. Es sei unvorstellbar, »daß eine deutsche Bundesregierung, nach allem, was während dieses unglückseligen Staatsbesuches geschehen ist, dieses Ansinnen der persischen Regierung nicht längst höflich, aber kühl zurückgewiesen hat«.160 Wie die Presse reagierten auch Politiker mit Empörung auf die Nachricht von der Note. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, William Borm, gab das Verlangen nach einer Entschuldigung angesichts 153 Vermerk Grütter, 22.6.1967, BA, B145/3107, Bd. 2. 154 Gespräch des Bundeskanzlers Kiesinger mit dem iranischen Botschafter Malek, Dokument 221, AAPD 1967, Bd. II, S. 911–917, Zitat S. 911; vgl. Ministerbüro, Wilke, über StS an DI, 19.6.1967; Kiesinger an Schah, 24.7.1967, PA, B8, Bd. 1048. 155 Vgl. E. Mörbitz, Schah-Note löst Mißfallen aus, FR, 28.7.1967. 156 Vgl. Persische Perversionen, FR, 28.7.1967. 157 Vgl. ebd.; Schah und kein Ende, Wiesbadener Kurier, 27.7.1967; W.P., Protest des Schah, Hessische Allgemeine, 28.7.1967; Der Schah hätte besser geschwiegen, Mittag, 28.7.1967; C.M. Lankau, Peinlicher Nachklang, Lübecker Nachrichten, 28.7.1967. 158 Seltsame persische Wünsche, SZ, 28.7.1967. 159 Eine Zumutung, FAZ, 28.7.1967; O. Ihlau, Zumutung, NRZ, 28.7.1967. 160 Persische Perversionen, FR, 28.7.1967.
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der Behinderungen der Bundesbürger während des Besuchs an den Iran zurück. Das Auftreten der Jubelperser in Berlin böte »allen Grund […] zu schweigen«. Er forderte die Bundesregierung zur Skepsis auf, bedauerte, dass die westdeutsche Diplomatie die Note nicht verhindert habe, und stellte demokratisches Selbstverständnis vor außenpolitische Staatsräson. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, der SPD-Abgeordnete Hermann Schmitt-Vockenhausen, wählte vorsichtigere Formulierungen. Er bedauerte die erneute Unruhe, welche die Note bei den Westdeutschen hervorrufe, und empfahl der Bundesregierung, im Iran Verständnis dafür zu wecken, dass es nicht zu strafen gelte. Deutlichere Worte wählte der stellvertretende Vorsitzende der Jungsozialisten, Peter Corterier. Das SPD-Vorstandsmitglied bezeichnete die iranischen Forderungen als »ungeheuerliche Zumutung für jede demokratische Regierung« und riet der Bundesregierung, diese »eindeutig zurückzuweisen«. Generell erwarteten parlamentarische Kreise, so die Frankfurter Rundschau, dass die iranische Note dazu führen werde, dass sich der Bundestag »intensiver als bisher« um eine Auf klärung der Rolle der Jubelperser bei dem Besuch bemühen werde.161 Tatsächlich thematisierten mehrfach Bundestagsabgeordnete die Zusammenhänge zwischen den iranischen Diplomaten, dem iranischen Staatssicherheitsdienst SAVAK und den Jubelpersern. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Georg Kahn-Ackermann fragte, ob der Bundesregierung bekannt sei, dass der iranische Konsulardienst in der Bundesrepublik zu großen Teilen mit Offizieren des SAVAK besetzt sei.162 In einer Fragestunde des Bundestags am 8. September 1967 problematisierte der FDP-Abgeordnete Karl Moersch die Rolle der »offensichtlich im amtlichen Dienst« stehenden Iraner beim Staatsbesuch und erkundigte sich, ob möglicherweise der Umstand, dass irrtümlich »mehrere Dutzend« persischer Geheimpolizisten in der Bundesrepublik festgesetzt worden waren, zur Trübung der deutsch-iranischen Beziehungen beigetragen habe.163 Einen Monat später musste Innenminister Paul Lücke einräumen, dass ein iranischer Gesandter, der bis Mitte 1967 in der Bundesrepublik tätig war, zuvor »eine leitende Funktion im iranischen Sicherheitsdienst« bekleidet hatte. Die Bundesregierung sei jedoch nicht darüber unterrichtet gewesen, dass er während seiner Zeit an der iranischen Botschaft einen Posten im iranischen Geheimdienst bekleidete. Moersch kommentierte diese Aussage mit der rhetorischen Frage, ob er daraus schließen dürfe, dass die Bundesregierung auch über »andere Funktionen von Persern nicht so genau unterrichtet war« und 161 Zit. n. E. Mörbitz, Schah-Note löst Mißfallen aus, FR, 28.7.1967; vgl. Schah-Forderung – eine Zumutung, Bild, 28.7.1967; Unmut über persische Note, SZ, 28.7.1967; S. Michel, SPD und FDP verurteilen den Schah, KStA, 28.7.1967; Gegen Unbekannt, Der Spiegel, 31.7.1967. 162 Vgl. Vermerk, o.D., PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 64. 163 120. Sitzung, 8.9.1967, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 64, S. 6080f.
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es zutreffe, dass von westdeutschen Sicherheitsbeamten »versehentlich ProSchah-Demonstranten verhaftet worden sind«. Moerschs Beitrag blieb unbeantwortet und löste »Heiterkeit« im Saal aus.164 Während westdeutsche Journalisten und Bundestagsabgeordnete das scheinbar zögerliche Verhalten der Bundesregierung kritisierten – Kiesingers Schreiben an den Schah war noch nicht bekannt –, setzten die Diplomaten des Iran die westdeutschen staatlichen Stellen ihrerseits unter Druck. Der iranische Botschafter beschwerte sich mehrfach beim Auswärtigen Amt über eine iranfeindliche »Kampagne« in der westdeutschen Presse, im Rundfunk und im Fernsehen und forderte, dass die Bundesregierung den negativen Schlagzeilen durch positive Berichte entgegenwirke.165 Die westdeutsche Berichterstattung über das iranische Kaiserhaus führte »seit jeher« zu »Verstimmung[en]« beim Schah und der iranischen Regierung. Bereits 1964 waren zwei Redakteure des Kölner Stadt-Anzeigers wegen beleidigender Karikaturen zu höheren Geldstrafen verurteilt worden.166 Die Iraner monierten nun neben der Dokumentation »Der Polizeistaatsbesuch« Glossen und Karikaturen, etwa die Darstellung einer Schlafzimmerszene des iranischen Kaiserpaares in der Zeitschrift Pardon, die im Iran als anstößig und beleidigend empfunden wurden. Zudem missbilligte der Iran die negativen Äußerungen der SPD- und FDP-Abgeordneten über die iranische Note und verlangte auch hier ein klärendes Wort der Bundesregierung. Maleks wiederholte Interventionen setzten die staatlichen Stellen unter Zugzwang.167 Doch machte es die innenpolitische Situation der Regierung nahezu unmöglich, den iranischen Wünschen nach Prozessen gegen Demonstranten nachzukommen. Denn auch die seriöse westdeutsche Presse, so die Erkenntnis im Referat Strafrecht der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, vertrat den Standpunkt, dass es dem Schah nicht anstehe, eine Bestrafung seiner Beleidiger zu fordern. Die westdeutsche Öffentlichkeit werfe den staatlichen Stellen vor, den Schah in seinem Verhalten zu unterstützen. Der Leiter des Referats Strafrecht, Gawlik, war zwar überzeugt, dass »die deutsche öffentliche Meinung in dieser Frage […] nicht gebilligt werden« dürfe und die außenpolitische Staatsräson Vorrang habe. Doch teilte er die Befürchtungen des Bundesjustizministers, dass Prozesse »eine erneute schwere Pressekampagne und Demonstrationen gegen den Schah und diesmal auch gegen die Bundesregierung auslösen« und damit die Situation verschlechtern würden. Deshalb unterstützte das Auswärtige Amt das Justizministerium in der Absicht, auf die Landesjustizverwal164 121. Sitzung, 4.10.1967, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 65, S. 6129. 165 Vermerk Mayer-Lindenberg, 27.7.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 31; vgl. Aufzeich nungen Lahr, 1.8.1967 u. 8.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 48–51. 166 Gesprächsunterlagen für den iranischen Staatsbesuch, BA, B136/3072, Fiche 4. 167 Vgl. Aufzeichnung Lahr, 8.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 51.
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tungen dahingehend einzuwirken, dass sie möglichst viele der eingeleiteten Beleidigungsverfahren fallen lassen möge.168 Den Verzicht auf Strafverfolgungen erklärte das Justizministerium Mitte August 1967 in der Öffentlichkeit damit, dass die iranische Note vom 13. Juni keine konkreten Fälle benannte und damit kein förmliches Strafverlangen darstellte. Offene Fragen mit dem Iran sollten auf diplomatischem Wege gelöst werden.169 Neben der verbreiteten ablehnenden Haltung gegenüber den iranischen Forderungen hatten vor allem die potentiellen Angeklagten dazu beigetragen, dass der westdeutsche Staat versuchte, die Prozesse zu verhindern. Bevor die Bundesregierung sich zu der iranischen Note öffentlich positionierte, hatten einige westdeutsche Staatsanwaltschaften Ende Juli 1967 schon Verfahren gegen Demonstranten eingeleitet.170 Die Anti-Schah-Demonstranten konterkarierten diese juristische Eilfertigkeit durch eine Umarmungsstrategie. Binnen weniger Tage bekannten sich viele der Anti-Schah-Demonstranten als »Aktionsgemeinschaft Paragraph 103« – der Paragraph 103 des Strafgesetzbuches behandelt die Beleidigung eines fremden Staatsoberhaupts – schuldig, den Schah beleidigt zu haben.171 Allein in Frankfurt gingen innerhalb der ersten 24 Stunden der Aktion 200 Selbstbezichtigungen ein.172 Eine Woche später hatten sich 2000 Bundesbürger an dem Massengeständnis beteiligt.173 Letztlich blieben Strafverfahren die Ausnahme.174 Die Bundesregierung musste sich in einem weiteren Punkt der öffentlichen Kritik stellen. Als die iranische Botschaft weitere Belege für Beleidigungen des Schahs vorbrachte sowie ein Machtwort der Bundesregierung forderte und sich die Schah-Beleidiger massenhaft schuldig bekannten, machte die iranische Botschaft zeitgleich Kiesingers Schreiben an den Schah vom 24. Juli publik, in dem der Bundeskanzler sein Bedauern über die Vorfälle während des Besuchs zum Ausdruck brachte. Unbekannt blieb hingegen, dass Kiesinger gegenüber dem iranischen Botschafter Malek bereits am 15. Juni deutlich gemacht hatte, dass man nur »innerhalb der Rechtsordnung unseres Landes« gegen die Demonstranten einschreiten könne und »in Deutschland mit einer so weitgehenden Pressefreiheit […] einiges in Kauf nehmen« müsse.175 Wäh168 Aufzeichnung Gawlik, Abt. V, 4.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 37–40. 169 Vgl. Kein Verfahren gegen Schah-Feinde, FR, 16.8.1967; M.-M. jr., Der Schah und unsere Chefdilettanten, SZ, 17.8.1967. 170 Vgl. F. Mörschbach, Staatsanwalt ermittelt schon gegen Schah-Gegner, FR, 29.7.1967. 171 Vgl. B. Schütze, »Ich nenne den Schah einen Mörder und bitte um Strafe«, FR, 2.8.1967; D. Lau, »… und bitte um gerechte Bestrafung«, SZ, 3.8.1967. 172 Vgl. Aktion der »Schah-Beleidiger« findet viel Widerhall, FR, 3.8.1967. 173 Vgl. Schah-Beleidiger machen Ernst, Stuttgarter Zeitung, 10.8.1967. 174 Vgl. als Ausnahme: Persischer Student zu Geldbuße verurteilt, FAZ, 17.1.1968. 175 Gespräch des Bundeskanzlers Kiesinger mit dem iranischen Botschafter Malek, Dokument 221, AAPD 1967, Bd. II, S. 911–917, Zitate S. 914 u. 916.
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rend die CDU-nahe Rheinische Post das Schreiben als Vermittlungsversuch des Bundeskanzlers verstand und zum Vertrauen in die Justiz der Bundesrepublik aufrief,176 erschien es in der öffentlichen Wahrnehmung vornehmlich als Entschuldigung und damit als Ausdruck eines »totalen Verzicht[s] auf nationale Selbstachtung der Deutschen«.177 Die iranische Note verstärkte das Bedürfnis in der westdeutschen Öffentlichkeit, die Verfasstheit der Bundesrepublik und die eigene Selbstachtung neu zu reflektieren. Besonders eindringlich und umfassend schilderte Christian Schütze den Konflikt zwischen Grundgesetz und Staatsräson am 10. August 1967 in der Süddeutschen Zeitung. Der Konflikt sei zuvor nicht aufgebrochen, weil die Bundesrepublik diplomatische Kontakte und Besuchsaustausch nur mit befreundeten Staaten gepflegt habe. In den sechziger Jahren habe sich die Situation gewandelt, als Länder, die zum »freien Westen« gerechnet wurden, »Staats- und Herrschaftsformen entwickelten, die mit Demokratie nichts mehr zu tun« hatten. Verbündete der Bundesrepublik regierten als Despoten und seien gleichwohl Freunde geblieben. Nachdem die Ost-West-Ideologie an Gewicht eingebüßt habe, seien die Bundesbürger »empfindsamer für innenpolitische Verhältnisse bei […] traditionellen Freunden« geworden und kritisierten, »was früher notgedrungen hingenommen wurde, weil man auch in Kalten Kriegen glaubt, mit den Bundesgenossen nicht allzu wählerisch sein zu dürfen«. Asylsuchende aus diesen Ländern hätten zudem Erfahrungen in die Bundesrepublik getragen, die in einem deutlichen Widerspruch »zur orientalischen Märchenpracht« stünden, die westdeutsche Illustrierte beschrieben. Aus diesem Wandel sei eine »Konfliktsituation« erwachsen, in der die »Staatsraison der Außenpolitik und Deutschlandpolitik […] in Widerspruch zu unserer demokratischen Selbstachtung« geraten sei. Indem ein ausländisches Staatsoberhaupt von der Bundesregierung verlange, ein demokratisches Grundrecht, das Recht der freien Meinungsäußerung, außer Kraft zu setzen und die Demonstranten gerichtlich zu belangen, offenbare es sein »Unverständnis für das Wesen einer Demokratie« sowie »Mangel an Rücksichtnahme auf Souveränität und Selbstwertgefühl« der Bundesrepublik. Das Verhalten des Schahs zwinge den westdeutschen Staat zu einer »›Güterabwägung‹ zwischen außenpolitischen Interessen und den Gefühlen vieler Deutscher«. Schütze lehnte eine diplomatische Antwort im Interesse der außenpolitischen Staatsräson nicht per se ab, hätte sie jedoch vom Bundespräsidenten oder Außenminister erwartet. Stattdessen habe der Bundeskanzler durch seine Geste »gegen die Gefühle der von ihm Regierten« entschieden und damit gegen einen Grundsatz verstoßen, nach dem »das nationale demokratische Wohlbefinden jedes einzelnen Deutschen« gegenüber dem »internationale[n] politische[n] Wohlverhalten jedes einzelnen Deutschen« »nicht zu kurz kommen« 176 J. Sobotta, Schah – und kein Ende, RP, 9.8.1967. 177 Konsequent, FR, 8.8.1967.
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dürfe. Doch bei Kiesinger rangiere die Wahrnehmung durch das Ausland vor der Binnenwahrnehmung.178 Der Vorsitzende des innenpolitischen Arbeitskreises der FDP-Fraktion im Bundestag, Wolfram Dorn, empörte sich ebenfalls über den »Entschuldigungsbrief« des Kanzlers »angesichts des verbürgten Demonstrationsrechts«. Er erwartete, dass sich die Beziehungen zwischen Studenten und Regierung weiter verschlechtern würden. Der Sozialdemokratische Hochschulbund verlangte, dass Kiesinger sein Schreiben zurücknähme.179 Das vehemente Pochen westdeutscher Politiker und Massenmedien auf das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik mag den Willen dazu dokumentieren, besonders demokratisch und kosmopolitisch zu erscheinen, und kann damit als eine Überkompensation der Diktaturerfahrung und der Rassenverfolgung in der NS-Zeit gedeutet werden.180 Die zitierten eindeutigen Bekenntnisse zur Demokratie belegen aber in jedem Fall einen Demokratisierungsprozess. Zwar entwarf das Auswärtige Amt am 9. August 1967 eine öffentliche Erklärung, in welcher der Bundeskanzler oder der Außenminister sich zur Freundschaft mit dem Iran bekennen sollte,181 und der deutsche Botschafter in Teheran zeigte sich äußerst besorgt um die deutsch-iranischen Beziehungen.182 Doch Kiesinger gab der westdeutschen Stimmungslage nach und verzichtete auf eine öffentliche Stellungnahme. Er ließ Regierungssprecher von Hase erklären, dass er sich nicht beim Schah entschuldigt, sondern lediglich sein Bedauern über die Vorfälle geäußert habe.183 An Stelle des Bundeskanzlers gab der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Gerhard Jahn, die geplante Erklärung in einer Fragestunde des Bundestages am 8. September 1967 ab.184 Er wiederholte, dass aus Sicht der Bundesregier ung kein förmliches Strafverlangen vorliege, und kam dann zu grundsätzlichen Überlegungen. Politische Demonstrationen seien »ein erlaubtes Mittel, politischen Anschauungen öffentlich Ausdruck zu geben«, doch schränkten allgemeine Gesetze
178 C. Schütze, Der Schah und unsere Selbstachtung, SZ, 10.8.1967. 179 Kanzler bedauert Anti-Schah-Demonstrationen, Stuttgarter Nachrichten, 9.8.1967. 180 Vgl. zu diesem Gedanken Jarausch/Geyer, S. 242f. 181 Vgl. Aufzeichnung Böker, 9.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 42; Entwurf Erklärung, IB4, 9.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 43–45; Vermerk Lahr für AM, 9.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 46f. 182 Vgl. Bericht Bach, Teheran, 10.8.1967, PA, B8, Bd. 1050. 183 Vgl. Der Kanzler »bedauert«, Nürnberger Nachrichten, 11.8.1967; Kiesinger will sich beim Schah nicht entschuldigt haben, Stuttgarter Nachrichten, 11.8.1967. 184 Vgl. 120. Sitzung, 8.9.1967, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 64, S. 6078f.; vgl. Aufzeichnung D V, D I i.V., 16.8.1967, PA, B36, Bd. 295, p. 58f.; Entwurf für Beantwortung der drei Fragen des Abgeordneten Dorn (nach Absprache mit BM Justiz), PA, B8, Bd. 1050. Vgl. zur Vorgeschichte: Aufzeichnung Thierfelder, 29.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 76.
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und das »Recht der persönlichen Ehre« dies ein.185 Gerade in der Bundesrepublik habe die Gastfreundschaft stets »in Ehren gestanden«, da kaum ein Land »Freunde so nötig« habe »wie wir«. Jahns Argumentation blieb in diesem Punkt einer Ideologie des Kalten Krieges, die zu diesem Zeitpunkt bereits an Bedeutung verloren hatte, verpflichtet, nach der Westdeutschland Verbündete gegen den Osten und Fürsprecher für die Wiedervereinigung suchte. Gastfreundschaft schließe Demonstrationen nicht aus, doch es gehe zu weit, den Gast grob zu beleidigen und seine Begleiter mit Tomaten zu bewerfen. Demonstranten und »Teile der deutschen Öffentlichkeit« hätten sich »die Beurteilung der Verhältnisse im Iran zu einfach gemacht«. Gerade den »Deutschen stünde es wohl an, in der Rolle des politischen Sittenrichters Zurückhaltung zu üben«. Jahn lobte den Schah für sein »bedeutendes Reformprogramm« und forderte von seinen Mitbürgern eine »ruhige[…], sachkundige[…] […] Betrachtungsweise« des Iran. Mit dieser Erklärung, die vor allem auch nach Teheran gerichtet war, bekannte sich die Bundesregierung zwar zu den demokratischen Grundrechten der Bundesrepublik, doch distanzierte sie sich deutlich von den Protesthandlungen, die tatsächlich stattgefunden hatten, und nahm gegen den Rat Justizminister Heinemanns186 Partei für den iranischen Gast. Die iranische Botschaft wertete Jahns Stellungnahme positiv. Außenminister Willy Brandt wies – einem Rat Botschafter Maleks folgend – seinen iranischen Amtskollegen Ardeshir Zahedi darauf hin, dass diese Stellungnahme den Wunsch bekräftige, die wechselseitigen Beziehungen zu bewahren und zu stärken.187 In den Augen der Bundesregierung reichten Jahns Stellungnahme und bedauernde Schreiben politischer Repräsentanten der Bundesrepublik nicht aus, um die iranische Regierung mit der Bundesrepublik zu versöhnen. Schon Anfang August zog das Auswärtige Amt in Erwägung, einen Sonderbevollmächtigten nach Teheran zu entsenden.188 Im September reiste Innenminister Paul Lücke nach Iran. Offiziell unternahm Lücke eine »archäologische[…] Besichtigungsreise«,189 doch war das Gespräch mit dem Schah zentrales Anliegen seiner Reise. Laut dem deutschen Botschafter, den der verbitterte Schah zwei Monate lang nicht empfangen hatte, habe es Lücke verstanden, »den Stau dieser Grollgefühle zu lösen und eine Aussprache zu erzwingen«. Der Schah erklärte, er sei als Person und Staatsoberhaupt beleidigt und getroffen. Lücke bedauerte die Vorfälle, schilderte die Untersuchungen in der Bundesrepublik und auch die Nachteile öffentlicher Verhandlungen, die neuen Beleidigungen Raum böten. Dabei versicherte er, dass lediglich eine kleine Minderheit auf diesem Wege 185 Für die folgenden Zitate, sofern nicht anders ausgewiesen: 120. Sitzung, 8.9.1967, in: Ver handlungen/Stenografische Berichte, Bd. 64, S. 6078f. 186 Vgl. DV an Gehlhoff, 30.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 73. 187 Vgl. Notiz Schwarzmann, 19.9.1967; Brandt an Zahedi, 26.9.1967, PA, B8, Bd. 1048. 188 Vgl. Aufzeichnung Gawlik, Abt. V, 4.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 39. 189 121. Sitzung, 4.10.1967, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 65, S. 6128.
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versuche, die Freundschaft zwischen dem Iran und der Bundesrepublik zu zerstören. Aufgrund dieser Ausführungen verzichtete der iranische Herrscher auf eine Strafverfolgung. Er machte der Bundesrepublik aber den Vorwurf, ihre Gäste nicht schützen zu wollen, und betonte, dass sein Land nicht auf gute Beziehungen zur Bundesrepublik angewiesen sei. Lücke, der von der Tiefe der Verstimmung getroffen war, warb um Verständnis für die Lage der Bundesrepublik. Lückes Aufrichtigkeit habe den Schah beeindruckt, so Botschafter Bach, doch konnte dies die Ereignisse nicht vergessen machen. Gespräche mit dem iranischen Ministerpräsidenten sowie mit dem Außenminister verliefen ähnlich. Bach attestierte den Gesprächen eine reinigende Wirkung. Nun sei es an der Bundesrepublik, jene Kräfte – Presse, Öffentlichkeit und Studenten – zu kontrollieren, welche die deutsch-iranischen Beziehungen trüben könnten. Ostblockländer warteten nur darauf, die Stellung der Bundesrepublik im Iran einzunehmen.190 Am 4. Oktober stand Lücke dem Bundestag Rede und Antwort zu der Reise.191 Einige Abgeordnete versuchten zu ergründen, welche Position Lücke gegenüber den Demonstrationen eingenommen hatte. Karl Moersch fragte, wie schon zuvor, ob Lücke den Schah »auf das bildlich nachweisbare Verhalten« der Jubelperser hingewiesen habe, die mit dem Schah nach Deutschland eingereist seien, und ob er deren Rolle als Provokateure »bestimmte[r] Demonstrationen« angesprochen habe. Lücke bat, ihm die Antworten zu erlassen, verwies aber darauf, »daß in diesem harten, offenen Gespräch nichts unausgesprochen geblieben« sei.192 Deutlicher als Lücke berichtete der CDU-Abgeordnete Gustav Stein, der Lücke auf der Reise nach Teheran begleitet hatte, von den Verstimmungen des Schahs.193 Während die Stuttgarter Zeitung Steins von Staatsräson geprägte Sorge wenige Wochen später teilte, der Iran könne sich aufgrund der Ereignisse politisch neu orientieren, rügte Die Zeit Steins »Sonderkotau« vor dem iranischen Herrscher.194 Wie deutlich die Bundesregierung zu außenpolitischer Staatsräson tendierte, belegt auch Willy Brandts Verhalten. Der Außenminister nahm eine Gedenkstunde für Walther Rathenau zum Anlass, um zu den Ereignissen während des Schah-Besuchs öffentlich Stellung zu beziehen. Jeder Gast des Bundespräsidenten habe, so die Zusammenfassung der Kölnischen Rundschau, das »Recht auf eine anständige Behandlung«, der Schah 190 Bericht Bach, Teheran, 13.9.1967, PA, B8, Bd. 1048. 191 Lücke nutzte aktiv die Presse, um Ablauf u. Ergebnis seiner Reise öffentlich zu machen, vgl. P. Lücke, »Was ich mit dem Schah besprach«, WamS, 8.10.1967. 192 121. Sitzung, 4.10.1967, in: Verhandlungen/Stenografische Berichte, Bd. 65, S. 6128. Vgl. Lücke: Hartes Gespräch mit dem Schah, SZ, 5.10.1967. 193 Vgl. »Der Schah ist tief verstimmt«, SZ, 6.10.1967; G. Stein, Unser gutes Verhältnis zu Persien hat schwer gelitten, Berliner Morgenpost, 25.10.1967. 194 Vgl. R. Strobel, Persien kann auf deutsche Hilfe leicht verzichten, Stuttgarter Nachrichten, 2.12.1967; Bußfahrt, Die Zeit, 13.10.1967.
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jedoch sei »nicht anständig empfangen« worden. Die Zeitung wertete diese Stellungnahme zustimmend »als offizielle Distanzierung von den Demonstranten« und berichtete über ergänzende Gesten der Bundesregierung. So werde etwa das Bonner Orchester der Beethovenhalle nach Teheran zu Krönungsfeierlichkeiten entsandt.195 Mit dieser Haltung ging Brandt nicht nur auf Distanz zu den Anti-Schah-Demonstranten, sondern auch zu jenen Parteigenossen, die dem Besuch kritisch gegenüberstanden. Ebenso distanzierte er sich von der Kritik, welche die Parteizeitung Vorwärts an dem Besuch geübt hatte.196 Der offene Konflikt zwischen Staatsräson und gesellschaftlichem Selbstverständnis prägte auch die Folgebesuche und zog grundlegende Veränderungen in der Gestaltung künftiger Deutschlandreisen nach sich.
2. Räumliche Trennung von Staat und Gesellschaft – Der Rückzug der Staatsgäste von der Straße nach 1967 Aus den Erfahrungen des Schah-Besuchs resultierten unterschiedliche Reflexionsprozesse. Außenminister Brandt kündigte an, dass die Kritik an den Kosten des Staatsbesuchs Konsequenzen nach sich ziehen werde. Die Aufwendungen lägen zwar »weit unter« den in Europa üblichen Beträgen, und es bestünde »in der Öffentlichkeit ein weitgehend verzerrtes Bild«. Gleichwohl »werden wir uns um einen Stil zu bemühen haben, der den besonderen deutschen Gegebenheiten gerecht wird«.197 Die Ausgaben für den Staatsbesuch und sein »PseudoGlanz« stellten aus Sicht der Presse zudem die Glaubwürdigkeit der westdeutschen Entwicklungshilfe in Frage.198 Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Wischnewski zog daraus den Schluss, dass »Häufungen stark beachteter Staatsbesuche von Repräsentanten der Entwicklungsländer […] vermieden werden« sollten. Aufwand und Dauer seien so zu bemessen, »daß unsere entwicklungspolitischen Bemühungen in der Öffentlichkeit nicht unglaubwürdig werden«. Und schließlich sollten bei Staatsbesuchen keine entwicklungspolitischen Zusagen gemacht werden, damit in der Öffentlichkeit »Gedankenverbindungen zwischen Entwicklungshilfe und Gastgeschenken gar nicht erst entstehen«.199 In außenpolitischer Perspektive geriet die Rolle des Nahen Ostens im Kalten Krieg neu in den Blick, und einige politische Akteure und Beobach-
195 R. Heizler, Das Ende einer Affäre, Kölnische Rundschau, 8.10.1967. 196 Vgl. H.S., Wir danken, Vorwärts, 8.6.1967. 197 Brandt an Nehrling, 24.7.1967, PA, B8, Bd. 1048. 198 Peinlich, Bremer Nachrichten, 2.6.1967. Vgl. C.T. Kommer, Schahbesuch: Protest …, Rheinischer Merkur, 2.6.1967. 199 Wischnewski an Kiesinger, 2.8.1967, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633.
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ter fürchteten, den Iran an die ideologischen Gegner zu verlieren.200 Die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten gaben einer juristischen Diskussion über das Demonstrationsrecht Nahrung.201 Darüber hinaus dachten die Innenminister der Länder sowie der Bundesinnenminister darüber nach, wie die Polizei bei Großdemonstrationen agieren sollte.202 Die Vorschriften für den Einsatz der Polizei bei Staatsbesuchen suchten nach dem richtigen Maß des Schutzes der Staatsgäste, der zugleich die »Belange des öffentlichen Lebens […] gebührend […] berücksichtigen« solle.203 Das Auswärtige Amt erhielt zudem aus Ländern und Ministerien Anregungen, um Straßensperrungen bei zukünftigen Staatsbesuchen auf ein notwendiges Maß zu beschränken. So sollten verstärkt andere Transportmittel wie Hubschrauber oder Sonderzüge bei Besuchen eingesetzt und Programmpunkte zusammengefasst werden, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.204 Die gravierendste Folge des Schah-Besuchs, für die Durchführung der Staatsbesuche sowie die dabei entstehenden Tableaus der Gesellschaft, stellte jedoch der Rückzug der staatlichen Inszenierungen von der Straße dar. Die Erfahrungen des Schah-Besuchs wirkten bei den Folgebesuchen nach: Sowohl staatlichen Vertretern als auch der Mehrzahl der Bevölkerung schien daran gelegen, öffentliche Konfrontationen zwischen Staat und Gesellschaft wie zwischen Staatsgast und Bundesbürgern zu vermeiden. Beim Besuch des Präsidenten von Elfenbeinküste, Houphouët-Boigny, dem ersten Staatsgast nach dem Schah, bewährte sich mit Blick auf den Straßenverkehr der »Grundsatz des Mindesteingriffs«.205 Eine vergleichbare Zurückhaltung legten sich offenbar Bevölkerung und Journalisten auf, die sich »reserviert« bzw. »bemerkenswert höflich und zurückhaltend« verhielten.206 Auch die Deutschlandreise des Staatspräsidenten von Birma fand in der Bundesrepublik nur ein »geringe[s] Echo«, was bei den Gästen »gewisse Erwartungen enttäuschte«. Zugleich schienen »die Birmanen nicht unzufrieden darüber zu sein, dass ihr Besuch in
200 Vgl. Schäfer an Gehlhoff, 22.8.1967, PA, B36, Bd. 295, Fiche 1, p. 65–67; H. Vocke, Gefahren für die deutsch-persische Freundschaft, FAZ, 6.6.1967. 201 Vgl. H. Barnert, Der Staatsbürger als Demonstrant, SZ, 12.8.1967; E. Müller-Meiningen jr., Die Demonstrationswelle und das Recht, SZ, 22.2.1968; H. von Hannover, Proteste und Polizei, Die Zeit, 3.5.1968; Bayer. 202 Vgl. Kommuniquévorschlag, o.D., PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633. 203 Vorschrift für den Einsatz der Polizei bei Staatsbesuchen und sonstigen Besuchen. Ausgabe 1968, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633. 204 Vgl. Weyer an Brandt, 6.6.1967; BMI, i.A. Osterhelt, an BMVerkehr, 23.6.1967; Brandt an Weyer, 27.6.1967; BMI, i.V. Gumbel, an AA, 2.8.1967, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.633; Weniger Aufwand bei neuen Staatsbesuchen, Hamburger Abendblatt, 4.7.1967; Gegen Kontrolle bis zum Exzeß, FAZ, 5.7.1967. 205 Entwicklungshilfe aus Stuttgart, Stuttgarter Nachrichten, 13.7.1967. 206 Vermerk Axenfeld, 19.7.1967, PA, B34, Bd. 682.
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der deutschen Öffentlichkeit und Presse keinen ihnen ungelegenen politischen Akzent erhielt«.207 Den Gast auf den Straßen vor der Bevölkerung zu exponieren, galt fortan als Sicherheitsproblem. Vor allem für Staatsmänner nicht-demokratischer Staaten fürchtete das Auswärtige Amt Demonstrationen und Attentate und räumte der Sicherheit der Staatsgäste oberste Priorität ein. Im Gegenzug wahrte die Mehrheit der Bevölkerung Distanz zu ihren Gästen. Das Sicherheitsproblem, das ein Staatsbesuch mit sich brachte, war zugleich auch ein Problem der Sichtbarkeit. Zum einen nahm man nun deutlicher wahr, dass seine Sichtbarkeit den Gast angreif bar machte. Im Blickmittelpunkt des Interesses zu stehen, brachte die Gefahr mit sich, ins Visier der Kritik von innen und außen oder gar ins Fadenkreuz möglicher Angriffe auf Leib und Leben zu geraten. Zum anderen kristallisierte sich in zunehmendem Maße heraus, dass die staatlichen Akteure die Oberhand über die Lenkung der Aufmerksamkeit verloren. Die mediale Aufmerksamkeit richtete sich nicht mehr nur auf die geplanten Inszenierungen um Gast und Gastgeber, sondern nahm nun auch die Straßenproteste in den Fokus. Der Straßenrand war nicht mehr nur Kulisse und Peripherie, sondern konkurrierte zunehmend erfolgreich mit der staatlichen Inszenierung. Um Kritik und Störungen, also die staatlich nicht kontrollierte Nutzung der Staatsbesuche als Bühne, soweit wie möglich zu reduzieren, wurde die staatliche Repräsentation allgemein, so der Journalist Friedrich Karl Fromme, »vorsorglich reduziert und gleichsam nach innen gewendet, damit man von außen nicht so leicht herankann«. Er konstatierte 1969 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Staat sei ernüchtert und bereit, auf öffentliche Festveranstaltungen zu verzichten, wenn eine Störung befürchtet werde. Tatsächlich seien viele staatliche Akte nicht zeitgemäß, doch sei ein solcher Verzicht »im gekränkten ›Dann-eben-nicht‹-Stil« auf Dauer schädlich. Ganz im Sinne der smendschen Integrationslehre argumentierte Fromme, bei mangelnder Sichtbarkeit des Staates falle die Loyalität der Bürger weg. Gerade für einen demokratischen Staat sei »das pure Durchsetzen der Repräsentation mit äußeren Machtmitteln weder äußerlich noch prinzipiell wünschbar«. Ginge man mit polizeilicher Gewalt vor und weiche in »Zonen der Stille« aus, wähle man den »Ausweg in die Illusion«, dass alles wie einst sei. Stattdessen benötige die Bundesrepublik »eine nicht schlechthin neue, aber in vielem erneuerte […] Darstellung des Staates«. Frommes Kommentar lässt sich auch auf die Staatsbesuche übertragen. Die staatliche Selbstdarstellung zog sich u.a. als Reaktion auf die Erlebnisse beim Schah-Besuch von der Straße zurück und musste alte Stilelemente der Besuche aufgeben, ohne sofort neue, die an ihre Stelle treten sollten, präsentieren zu können.208 207 Aufzeichnung W. Hoffmann, 21.10.1968, PA, B37, Bd. 377. 208 F. K. Fromme, Der ernüchterte Staat, FAZ, 10.7.1969.
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Für den Rückzug der Staatsbesuche von der Straße, der in besonderem Maße Gäste betraf, deren demokratische Haltung umstritten war, bedienten sich die Regierungsbeamten unterschiedlicher Strategien. Ein Weg, die Gäste vor möglichen Attentaten zu schützen und beleidigende Demonstrationen von ihnen fernzuhalten, bestand darin, die Gäste an geheime Plätze zu führen oder an Orte, an denen man keine Gefahren vermutete, wie bei den Besuchen Suhartos 1970 und Stroessners 1973.209 Erst nach dem Besuch Suhartos dokumentierten Fotografien in der Presse den zuvor unsichtbaren Besuch. Die Süddeutsche Zeitung stellte ein Foto mit Fähnchen schwenkenden Kindern neben ein Bild, das sichtbar bewaffnete Polizisten ablichtete,210 und zeigte damit zwei zentrale Facetten des Besuchs: Unter Polizeischutz und im Verborgenen erlebte der Gast einen nach Sicherheitskriterien ausgewählten Ausschnitt aus der westdeutschen Gesellschaft. Beim Stroessner-Besuch ging die Strategie des Protokolls, den Gast gezielt in die bayerische Provinz zu führen, um Demonstrationen zu umgehen, nicht auf. Denn die Kritiker des Paraguayers waren auch bereit, aufs Land zu reisen, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. In anderen Fällen wichen die Organisatoren möglichen Demonstrationen durch zeitliche Umlegungen des Besuchs aus. So erreichten der deutsche Botschafter in Kinshasa, Neumann, und der CSU-Bundestagsabgeordnete, Aigner, gemeinsam, dass der kongolesische Präsident Joseph-Désiré Mobutu seine Deutschlandreise vom November 1968 auf das Jahr 1969 verschob. Grund für die westdeutschen Bemühungen war die Verhaftung und Hinrichtung des kongolesischen Guerillakämpfers Pierre Mulele – trotz Amnestie und Garantieerklärungen – im Oktober 1968. Zum einen habe die »Art und Weise der Verhaftung Muleles […] bei zahlreichen afrikanischen Regierungen einen schlechten Eindruck gemacht«. Zum anderen »sei aber zu befürchten, daß radikale Kreise in Deutschland (SDS usw.) den Besuch zum Vorwand nehmen und diesen dadurch zu einem Mißerfolg machen könnten«. Da man auch noch für 1969 öffentliche Angriffe auf Mobutu und Demonstrationen erwartete, schlugen Neumann und Aigner vor, »den Besuch in die Oste[r]- oder die Sommerferien der Universitäten [zu] legen, um die Gefahr von Studentenunruhen zu vermindern«.211 Mobutu besuchte die Bundesrepublik während der Semesterferien im März 1969. Im Nachhinein resümierte Neumann, dass lediglich in Stuttgart »etwa 100 Studenten und APO-Anhänger« demonstriert hätten.212 Auch der zweite Staatsbesuch des Jahres 1969, aus Malaysia, fiel in die Semesterferien und barg daher in der Sicht des Auswärtigen Amtes kein Demonstrationsrisiko.213 209 Vgl. Zweites Kap., IV.2. 210 Vgl. Programm für Suharto aus Sicherheitsgründen geändert, SZ, 5.9.1970. 211 Aufzeichnung Abt. I, IB3, 27.10.1968, PA, B8, Bd. 1601. 212 Aufzeichnung Neumann, 31.3.1969, PA, B8, Bd. 1602. 213 Vgl. Aufzeichnung Fischer, 6.2.1969, PA, B8, Bd. 1607.
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Mit den räumlich und zeitlich veränderten Besuchsprogrammen versuchte man, Demonstrationen zu vermeiden. Dazu trat als dritte Strategie, dass die Gäste sich nur in eingeschränktem Maße auf Straßen und Plätzen öffentlich zeigten. Die wenigen Ausnahmen von der Regel stießen im Vergleich zur ersten Hälfte der sechziger Jahre auf eine schwache Resonanz in der Bevölkerung, was auch darauf zurückzuführen ist, dass Staatsbesuche mittlerweile zur politischen Routine gehörten. Europäischen Monarchen war die Begeisterung der Westdeutschen in den Anfangsjahren der Bundesrepublik sicher gewesen. Doch 1971 löste der belgische König Baudouin nur verhaltenen Jubel aus. Sein Besuch bot keine Sensation und eröffnete keine Märchenwelt, so Der Spiegel, obwohl einige Rheinländer den Straßenrand säumten und »das Bonner Textilhaus Bilder der Brüsseler Spitzen neben Strumpf hosen ins Schaufenster gelegt« hatte.214 Der Rückgriff auf eine Werbemaßnahme, die in der ersten Hälfte der sechziger Jahre noch Umsätze hatte steigern können, schien nunmehr eine Reminiszenz an vergangene Staatsbesuche mit Jubelfahrten und begeisterten Westdeutschen und machte den Wandel der Zeiten offenkundig. Als im selben Jahr die niederländische Königin Juliana die Bundesrepublik bereiste, plante das Protokoll zwar langsame Fahrten mit dem Wagen ein,215 doch zeigte das Straßenpublikum mit wenigen Ausnahmen kaum Interesse.216 Erfolgreicher gestaltete sich das so genannte Bad in der Menge des norwegischen Königs 1973,217 jedoch erreichte kein Gast in dieser Zeit den öffentlichen Zuspruch wie zuvor de Gaulle, Kennedy und Elizabeth II. Immer mehr Gäste reisten innerhalb der Bundesrepublik per Hubschrauber.218 Damit reduzierten sich die Möglichkeiten für einen unmittelbaren Kontakt zwischen Gast und westdeutscher Bevölkerung auf wenige Momente. Mehr als jemals zuvor gestalteten sich Staatsbesuche als Politikertreffen in nicht-öffentlichen Räumen. Gäste und Gastgeber betrachteten Anfang der siebziger Jahre die neue Gestalt der Staatsbesuche auch positiv. Durch den Rückgang der öffentlichen Auftritte boten Staatsbesuche mehr Raum für politische Gespräche und Verhandlungen und ähnelten immer mehr Arbeitsbesuchen.219 Angesichts der »peinlich wirkenden Sicherheitsmaßnahmen« beim Staatsbesuch Suhartos 1970 votierte 214 De Prinz kütt, Der Spiegel, 3.5.1971. 215 Vgl. Notiz Schwarzmann, 17.9.1971, PA, B8, Bd. 1624. 216 Vgl. etwa K. von den Driesch, Königin Julianas Besuch findet wenig Echo, Stuttgarter Nachrichten, 27.10.1971. 217 Vgl. M. Rehm, Ein Bummel durch die Fußgängerzone, SZ, 7.6.1973. 218 Vgl. BMI an Schwarzmann, 9.9.1969, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.632; Labrenz an AA, 27.8.1970, PA, B8, Bd. 1617; J. Berg, Staatsbesuch ohne Risiko, RP, 27.4.1971; Sadats reisen per Helikopter, Frankfurter Neue Presse, 31.3.1976; D. Goos, Die Polizeikapelle spielte die falsche Hymne, Die Welt, 25.11.1975. 219 Vgl. die Bemühungen um eine Vereinfachung des Zeremoniells ab 1970, Erstes Kap., II.3.
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die westdeutsche Presse dafür, die öffentlichkeitswirksamen und damit für Störungen anfälligen Staatsbesuche durch »weniger spektakuläre Arbeitsbesuche« zu ersetzen.220 Zwar kamen auch weiterhin die Staatsoberhäupter in die Bundesrepublik, zumal mit Ostblockstaaten durch die Ostpolitik der Brandt-Regierung erstmals ein Besuchsaustausch auf höchstem protokollarischem Niveau möglich wurde und das auch für die Welt deutlich werden sollte. Doch orientierten sich diese Besuche im Ablauf und in der Darstellung nach außen an Arbeitsbesuchen. Der rumänische Staatschef Ceauşescu wünschte sich, so die Süddeutsche Zeitung, 1973 »lieber Gespräche als Ausflüge«.221 Vor ihm war Leonid Breschnew 1973 als erstes Staatsoberhaupt eines Ostblockstaates zu einem Staatsbesuch nach Westdeutschland gereist. Die sowjetische Seite hatte ein Besuchsprogramm nach dem Vorbild von Willy Brandts Besuch in Oreanda gewünscht, d.h. »so viel Zeit wie möglich sollte der Erörterung politischer und wirtschaftlicher Fragen gewidmet« und der Besichtigungsteil auf ein bis zwei Programmpunkte beschränkt werden, die nicht zu weit von Bonn entfernt liegen sollten.222 Bisherige Standards des Besuchsprogramms wie eine Rheinfahrt oder auch eine große Gala am Abend entfielen. Die Gäste aus der Sowjetunion unterstrichen diese Ausrichtung des Besuchs dadurch, dass sie kurzfristig eine geplante Visite bei den deutsch-sowjetischen Kulturtagen in Dortmund ausfallen ließen, damit die politischen Gespräche weitergeführt werden konnten.223 Doch schon zuvor hatte sich der bundesrepublikanischen Presse die Grundtendenz zum Arbeitstreffen erschlossen. Thomas Meyer beschrieb den Charakter des Besuchs so: »sprechen, arbeiten, weitgehende Abstinenz von Pomp und Zeremoniell«.224 Auch die Tageszeitungen und Zeitschriften spiegelten in ihren Titeln die Reise als Arbeitsbesuch.225 Karikaturen zeigten Brandt und Breschnew in einer Gesprächssituation auf dem Sofa, die konzentriertes Arbeiten und Intimität suggerierte.226 Trotz der grundlegenden inszenatorischen Verlagerung der Staatsbesuche in Innenräume, integrierten einige Gäste den Kontakt mit der westdeutschen Bevölkerung in ihren Besuch bzw. richteten ihn darauf aus. So bildete etwa die kurze Visite des amerikanischen Präsidenten Nixon in Bonn und Berlin 220 R. Appel, Arbeitsbesuche von Fachministern wären nützlicher gewesen, Stuttgarter Zei tung, 7.9.1970; vgl. W. Höpker, Suharto als Buhmann der Linken, Christ und Welt, 11.9.1970. 221 O. Ihlau, Die Manager haben Vortritt, SZ, 28.6.1973. 222 Vermerk Schoeller, 2.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. 223 Vgl. G. Hammer, Die Absage aus Bonn, Westfälische Rundschau, 21.5.1973. 224 T. Meyer, Ein Besuch zwischen Erinnerung und Hoffnung, FAZ, 19.5.1973. 225 Vgl. S. Martenson, Statt eines Touristenprogramms ein »Arbeitsbesuch«, Stuttgarter Nachrichten, 12.5.1973; Intensive Gespräche über engere Zusammenarbeit, General-Anzeiger, 19.5.1973; Breschnew und Brandt meist unter vier Augen, Bonner Rundschau, 19.5.1973; Leonid Breschnew und Willy Brandt: »Unsere Arbeit dient der Vernunft«, Bunte, 24.5.1973. 226 Vgl. Die Welt, 19.5.1973.
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eine Ausnahme von der geschilderten Entwicklung. Seine Reise stand in der Tradition der vorangegangenen Besuche amerikanischer Präsidenten, vor allem jenem publikumswirksamen Besuch John F. Kennedys 1963. Wie Adenauer bemühte sich Bundeskanzler Brandt um die Aufmerksamkeit der Westdeutschen für die amerikanischen Gäste. Er erinnerte daran, dass es zu den Aufgaben des Protokolls gehöre, »die Bevölkerung an offiziellen Besuchen zu interessieren«. Ebenfalls ganz in der Tradition seines konservativen Amtsvorgängers lag Brandt daran, die Kulisse, die sich Nixon bot, zu planen. Er legte »besonderen Wert darauf, dass der Besucher sowohl am Flugplatz als auch an den Straßen […] von der Bevölkerung begrüsst wird«.227 Das Protokoll engagierte darauf hin über das Bundespresseamt »ein Werbeunternehmen«, das dafür sorgen sollte, dass genügend Kinder schulfrei bekämen.228 Ähnlich wie 1963 sollte der Bundeskanzler die Westdeutschen in einer Fernsehansprache auf den Gast vorbereiten.229 Bestanden hier Ähnlichkeiten zu den Staatsbesuchen der fünfziger und frühen sechziger Jahre, trugen die Planer des Nixon-Besuchs in anderen Aspekten der gewandelten Situation auf der Straße Rechnung. Polizei und Bundeskriminalamt rechneten im Rheinland wie in Berlin für die Zeit des Besuchs mit Demonstrationen. Go-ins, Sit-ins und das Eindringen auf die Fahrbahnen sollte die Polizei unterbinden und richtete eine eigene »Sammelstelle« für jene Personen ein, die sie in Gewahrsam nahm.230 Demonstrationen sollten nicht unterbunden werden, aber wie Karl Carstens 1962 für den Besuch de Gaulles erdachten die Planer des Besuchs auch 1969 einen Weg, »die angekündigte Nixon-Demonstration der Apo auszugleichen«. Die Bonner PR-Agentur Hass und Hoenisch heuerte mit Hilfe des Bonner Studenten-Schnelldienstes 25 Studenten an, die für fünf Mark in der Stunde »vor der Einfahrt ins Bundeskanzleramt Schilder und Transparente mit Pro-Nixon-Parolen in die Kameras« hielten.231 In diesem Fall inszenierte der Staat eine Gegenöffentlichkeit gegen jene kritische Öffentlichkeit, die sich auf den Straßen formierte. Auch Leonid Breschnew verzichtete 1973 nicht auf den öffentlichen Auftritt vor der westdeutschen Bevölkerung, obwohl seine Reise in die Bundesrepublik als Arbeitsbesuch erscheinen und für die Bevölkerung primär durch Stauungen und Umleitungen – Breschnew lehnte Hubschrauberflüge ab232 – sowie Demonstrationen und ein Aufgebot von 26 000 Polizisten bemerkbar
227 Vermerk Schwarzmann, 19.2.1969, PA, B8, Bd. 1610. 228 Randvermerk zu Vermerk Schwarzmann, 19.2.1969, PA, B8, Bd. 1610. 229 Vgl. Drahtbericht Pauls, Washington, 18.2.1969, PA, B8, Bd. 1610. 230 Befehl Nr. 1, Polizeipräsident Bonn, 21.2.1969, PA, B8, Bd. 1610; vgl. Einsatzverfügung, BKA, 21.2.1969, PA, B8, Bd. 1610. 231 Fünf Mark pro Stunde, Der Spiegel, 3.3.1969. 232 Vgl. Vermerk Schoeller, 2.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186.
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werden sollte.233 Die sowjetischen diplomatischen Vertreter in der Bundesrepublik drängten im Vorfeld des Besuchs auf starke Sicherheitsmaßnahmen.234 Kurz vor Beginn der Reise beanstandete die sowjetische Seite eine mit zehn Teilnehmern angemeldete Demonstration von Amnesty International gegen die Internierung sowjetischer Intellektueller. Tatsächlich demonstrierten nur zwei Frauen vor der Botschaft, die von zwanzig Polizisten bewacht wurden. Das Protokoll vermutete dahinter die Absicht, »ein Verbot aller Demonstrationen während des Breschnjew-Besuchs durchzusetzen«.235 Zwar sollten Schulkinder dem sowjetischen Staatschef bei seinen Fahrten durch Bonn zuwinken, doch sollte Breschnew bei seinen Durchfahrten – im Unterschied zu seinen Jubelfahrten im offenen Wagen in Paris 1971 und Ost-Berlin 1973 – kaum zu sehen sein. Auch die Journalisten standen stets mindestens fünfzig Meter entfernt von Breschnew.236 In Dortmund sollte sich der Besuch »in einem hermetisch von der Polizei abgeriegelten Sperrbezirk« abspielen.237 Diesem Sicherheitsbedürfnis stand Breschnews Wunsch nach Sichtbarkeit entgegen. Dieser entsprang zum einen dem »Drang des Parteichefs«, »mit der Bevölkerung seines Gastlandes in Verbindung zu treten«238 und zum anderen wohl auch dem Ziel, den Besuch in der Bundesrepublik im eigenen Land als Erfolg darzustellen. Zwar wurden, anders als zehn Jahre zuvor beim Kennedy-Besuch, nur einige Ausschnitte »direkt vor den Augen der sowjetischen Öffentlichkeit« im Fernsehen übertragen.239 Doch stieß die Reise in der Sowjetunion auf großes Interesse. Vor diesem Hintergrund widersetzte sich Breschnew während seines Besuchs bisweilen den Sicherheitsvorschriften. So öffnete er bei einem Tempo von achtzig Stundenkilometern die Tür seiner Limousine, um den Menschen am Straßenrand zuwinken zu können. Solche Handlungen versetzten die Planer kurzzeitig in Schrecken, aber grundsätzlich waren sie auf ein solches Verhalten vorbereitet. Breschnew traf bei seinen Bädern in der Menge auf ein arrangiertes Straßenpublikum, das zu gleichen Teilen aus Polizisten, Leibwächtern und Fotografen bestand.240 Besonders deutlich trat der Konflikt zwischen Sicherheitsanspruch und Darstellungsbedürfnis beim Besuch der britischen Königin 1978 hervor. Ihre Selbstdarstellung beruhte in hohem Maße auf dem Wechselspiel zwischen per233 Vgl. Leonid Breschnew wird viele Wege in Bonn mit dem Wagen zurücklegen, GeneralAnzeiger, 18.5.1973; H. Lerchbacher, Sechs Tage Sicherheitsstufe I, FR, 18.5.1973. 234 Vgl. Meyer-Landrut an Ref. 118 u. 700, 30.3.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. 235 Aufzeichnung stv. Prot. Chef, 15.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.187. 236 Vgl. H. Riehl-Heyse, Der Gast aus Moskau rät zum Optimismus, SZ, 19.5.1973; S. Martenson, Ein Empfang wie mit Schalmeienklängen, Stuttgarter Zeitung, 19.5.1973. 237 Zuschauer haben keine Chance, Ruhr-Nachrichten, 19.5.1973. 238 C.-C. Kaiser, Drei Kreuze hinterm Kremlchef, Die Zeit, 25.5.1973. 239 Direktübertragung vom Besuchsabschluß, FAZ, 23.5.1973. 240 Vgl. H. Riehl-Heyse, Der Gast aus Moskau rät zum Optimismus, SZ, 19.5.1973.
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sönlicher Unnahbarkeit und öffentlichkeitswirksamen, mediengerechten Auftritten. Kurz vor dem Besuch der Queen hatte Breschnew die Bundesrepublik ein zweites Mal besucht, wobei die Bevölkerung auf Distanz zum sowjetischen Staatschef gehalten worden war. Ein britisches Vorauskommando hatte den Ablauf beobachtet und lehnte eine ähnliche Gestaltung für den Besuch der Königin ab. Sie solle »Land und Leute möglichst ganz nahe« sein. Es stellte sich damit aber die Frage, wie die Gastgeber »bei fast völliger Unsichtbarkeit [der Sicherheitsmaßnahmen, d. Verf.] totale Sicherheit« gewährleisten sollten. Für den Aufenthalt der Königin in Mainz erdachten die Sicherheitsbeauftragten »eine Art von potemkinscher Öffentlichkeit«. Die Fahrtwege waren so kurz wie möglich, zudem wurde an »besonders uneinsichtigen Stellen« der Route »die ›Bevölkerung nur von Staatsschützern mit ihren Familien dargestellt‹«.241 Auch beim Besuch des jugoslawischen Staatschefs Tito 1974 standen Sicherheitsinteressen gegen den jugoslawischen Wunsch nach einem öffentlichen Auftritt. Da Titos Reise in die Bundesrepublik sich zeitlich mit der Fußballweltmeisterschaft überschnitt, boten ihm die Planer des Besuchs einen Platz für das Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft im Frankfurter Waldstadion am 13. Juni 1974 an, bei dem auch der Bundespräsident, Titos offizieller Gastgeber, anwesend sein würde. Nachdem diese Einladung bereits ausgesprochen war, meldete das Bundeskriminalamt Bedenken wegen der Gefahren an, »die den Gästen gerade bei dieser Veranstaltung durch extremistische jugoslawische Exilgruppen drohen«. Die Erfahrungen der Olympischen Spiele 1972 in München, das Attentat auf israelische Sportler, hätten gezeigt, »daß Extremisten Veranstaltungen, die im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehen, für ihre Vorhaben durchaus geneigt sind auszuwählen«.242 Innenminister Maihofer teilte diese Bedenken.243 Doch die jugoslawische Regierung beharrte auf einer Teilnahme und erinnerte an das Ziel des Besuchs, »dem Vertrauen, der Verständigung und der Freundschaft weitere Impulse zu geben«.244 Das Auswärtige Amt fürchtete die politischen Konsequenzen einer Ablehnung. Aus westdeutscher Sicht habe der Besuch einen »außerordentlich hohen Stellenwert«, er bilde den »Höhepunkt in unseren bilateralen Beziehungen« und bedeute die »Erledigung der früheren jugoslawischen Wiedergutmachungsforderungen«. Würden ihre Wünsche abgelehnt werden, könne die jugoslawische Regierung dies als »grundsätzliche Änderung unserer Einschätzung der Bedeutung des Besuches« bewerten, die auf den Regierungswechsel von Brandt zu Schmidt zurückgehe, und den Besuch verschieben.245 Auch Außenminister Genscher befürchtete, 241 Queen-Besuch: Ganz nahe, Der Spiegel, 15.5.1978. 242 Fritsch an von Podewils, 22.5.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 243 Vgl. Maihofer an Genscher, 29.5.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 244 Vermerk Arnot, 27.5.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 245 Vermerk Graf Brockdorff, 29.5.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199.
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dass Tito seinen Besuch möglicherweise verschiebe, wenn die Bundesrepublik an ihren Sicherheitsbedenken festhalte. Er bat den Bundeskanzler um eine Entscheidung.246 Schmidt entschied gegen Titos Stadionbesuch.247 Zwar gelang es der Bundesregierung diese Nachricht so zu übermitteln, dass Tito dennoch in die Bundesrepublik reiste, doch führte das westdeutsche Sicherheitsdenken zu Verstimmungen. Die vom Schah-Besuch bekannten Absperrmaßnahmen und die damit verbundene verhaltene Reaktion in der Bevölkerung wiederholten sich ebenso wie die Vergleiche mit einem Polizeistaat und der TotalitarismusVorwurf in der westdeutschen Presse. Anders als Breschnew gelang es Tito und seiner Ehefrau nicht, die Sicherheitsmaßnahmen zu durchbrechen. Wie andere Gaststaaten aus dem Ostblock legte auch Jugoslawien großen Wert auf öffentliche Sympathiebekundungen und Ehrerweise durch die Gastgeber und reagierte entsprechend enttäuscht und verärgert auf Sicherheitsmaßnahmen, die das verhinderten.248 Während die Staatsbesuche sich hauptsächlich in gesicherten Räumen abspielten und die Gäste für den Zuschauer am Straßenrand nahezu unsichtbar blieben, trat der Staat für den Bürger auf der Straße primär durch Polizeipräsenz in Erscheinung. Inszenatorisch beherrschten nicht mehr die politischen Repräsentanten das Straßenbild, sondern andere gesellschaftliche Akteure. Zumeist initiierten Studentenorganisationen und Menschenrechtsgruppen den Protest gegen Staatsgäste, vor allem gegen Diktatoren, die in die Bundesrepublik kamen. Die Mehrzahl der Demonstrationen waren politisch links orientiert. Doch belegen etwa die Geschehnisse auf westdeutschen Straßen während des Breschnew-Besuchs, dass es keines staatlichen Zutuns, keines arrangierten Publikums bedurfte, um unterschiedliche politische Überzeugungen und Meinungen im öffentlichen Raum zu repräsentieren. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) plante eine große Freundschaftskundgebung für Breschnew mit 25 000 bis 30 000 Teilnehmern – tatsächlich beteiligten sich 15 000 Personen 249 – , die u.a. die Deutsche Friedensunion (DFU), die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), der Marxistische Studentenbund »Spartakus« (MSB Spartakus), der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB) und der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) unterstützten. Maoistische Gruppen verteilten Flugblätter gegen den Besuch und riefen zu Protestdemonstrationen auf. Das bürgerliche Lager machte ebenfalls mobil. Die Junge Union veranstaltete einen Schweigemarsch und eine Kundgebung mit 7 500 Teilnehmern. Politisch rechte Gruppen wie die NPD oder die »Aktionsge246 Vgl. Genscher an Schmidt, 29.5.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 247 Vgl. Aufzeichnung van Well, 30.5.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.199. 248 Vgl. Pressestelle Polizeipräsident, Dokumentation zu Tito-Besuch 24.-27. Juni 1974, 5.7.1974, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.200. 249 Vgl. C.-C. Kaiser, Drei Kreuze hinterm Kremlchef, Die Zeit, 25.5.1973.
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meinschaft für ein freies, wiedervereinigtes Deutschland« kündigten gleichfalls Aktionen an.250 Neben politischen wurden vor allem religiöse Gruppierungen gegen den Besuch aktiv, so das »Aktionskomitee für Juden in der Sowjetunion«, die »Hilfsaktion Märtyrer-Kirche« und das »Aktionskomitee verfolgte Brüder«, die sich jeweils gegen die Verfolgung ihrer Glaubensbrüder wandten. Auch wenn der Gast selbst unsichtbar blieb, beherrschte seine Anwesenheit thematisch die westdeutschen Straßen.251 Durch die Trennung der Sphären von Staat und Gesellschaft – gesicherte Räume versus Straße – hatte sich der Konflikt zwischen Staatsräson und demokratischer Moralität sowie Meinungspluralität nicht aufgelöst. Im Gegenteil spitzte sich dieser Konflikt zu, als die beiden höchsten Ämter im Staat, das Amt des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten, von Sozialdemokraten bekleidet wurden. Die Ereignisse während des Schah-Besuchs ließen sich – stark vereinfachend – noch als Konflikt zwischen konservativ geprägtem Staat und auf bruchswilliger, links orientierter Jugend deuten. Doch nun empfingen Heinemann und Brandt Despoten mit staatlichen Ehren. Anlässlich eines Besuchs des vietnamesischen Staatspräsidenten Nguyen Van Thieu im April 1973 thematisierte Brandt den Widerspruch zwischen der eigenen Überzeugung und dem aus staatlicher Sicht erforderlichen Verhalten mit den Worten: »Es gibt Besucher, die man lieber gehen als kommen sieht«.252 Doch bereits zuvor war diese Widersprüchlichkeit deutlich geworden. Im Vorfeld des indonesischen Staatsbesuchs 1970 wandte sich der Parteinachwuchs der sozial-liberalen Koalition an Außenminister Scheel. Suhartos brutale Verbrechen erinnerten »an die unseligen Jahre des Naziterrors in unserem eigenen Lande«, daher könne man den Besuch nicht »unwidersprochen« hinnehmen. Die Schreiber appellierten an die Grundüberzeugungen der Bundesregierung: Wenn sie Hitler und seine Politik ablehne, sei es unglaubwürdig, Suharto zu empfangen.253 Auch andere nahmen den Empfang Suhartos als Widerspruch zu politischen Grundüberzeugungen wahr. Der gesellschaftliche Protest reichte weit über die bis dato aktiven studentischen und APOKreise hinaus. Namhafte westdeutsche Intellektuelle, darunter der Politologe Wolfgang Abendroth, der Philosoph Ernst Bloch, der Soziologe Leo Kofler, 250 Vgl. Lagebericht »Innere Sicherheit«, BMI, i.A. Parteina, 7.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. 251 Vgl. Lageberichte »Innere Sicherheit«, BMI, i.A. Parteina, 7.5.1973; 9.5.1973; 10.5.1973; 11.5.1973 u. 14.5.1973; Polizeipräsident, Befehl Nr. 1, 15.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. Vgl. Im gepanzerten Mercedes zum Petersberg, FAZ, 19.5.1973; C.-C. Kaiser, Drei Kreuze hinterm Kremlchef, Die Zeit, 25.5.1973. 252 Demonstranten gegen den Breschnew-Besuch 1973 griffen dieses Diktum in Transparenten auf, vgl. Brandts Gespräche mit Breschnew, NZZ, 22.5.1973. 253 Deutsche Jungdemokraten u. Deutsche Jungsozialisten, Frankfurt am Main, an Scheel, 25.8.1970, PA, B8, Bd. 1617.
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die Theologen Helmut Gollwitzer, Martin Niemöller und Dorothee Sölle sowie die Schriftsteller Heinrich Böll, Erich Kästner, Martin Walser und Gerhard Zwerenz, schlossen sich zur »Aktion politisches Nachtgebet« zusammen. Sie riefen zum Widerstand gegen jede wirtschaftliche und politische Unterstützung Indonesiens auf. Neben dem Aufruf organisierten sie ein zweitägiges Programm parallel zum Staatsbesuch, das Straßenproteste mit christlichen Ritualen verknüpfte. Es umfasste Vorträge, ein politisches Nachtgebet zum »Faschismus in Indonesien«, eine Totenfeier für die indonesischen Regimeopfer und eine Demonstration.254 Auch bei späteren Besuchen meldeten sich prominente Intellektuelle kritisch zu Wort. So wandten sich Bloch, Gollwitzer, der französische Philosoph Jean-Paul Sartre sowie die Schriftsteller Günter Grass und Erich Fried anlässlich des Staatsbesuchs Cedvet Sunays 1970 in einem offenen Brief gegen die »Unterdrückung kritischer Kräfte in der Türkei«.255 Vor allem durch die Proteste gegen Suharto geriet auch Heinemann ins Visier der westdeutschen Öffentlichkeit, der als »Sozialdemokrat und Bundespräsident […] seinem Gast die freundschaftlichen Gefühle der Deutschen bekundet« hatte. Gollwitzer und Niemöller waren mit Heinemann befreundet, so dass der Staatsbesuch nicht nur einen Keil zwischen Staat und Gesellschaft, sondern auch zwischen Freunde trieb. Heinemann schien selbst hin und her gerissen zwischen Staatsräson und privater Diktaturkritik. Ähnliches galt für den Bundeskanzler, der sich gegen sozialdemokratische Überzeugungen verhielt, indem er Indonesien als »Faktor der Stabilität in Asien« beschrieb, während der Bundesvorstand der Jungsozialisten zu Demonstrationen gegen die »›Militärdiktatur‹« aufrief. Diese »Schizophrenie der Sozialdemokraten« galt der Welt als Gefahr für »das Ansehen unseres Landes und seiner Regierung«.256 Das Boulevard-Blatt Express versuchte zu ergründen, was Heinemann, »der sich immer für die Rechte Andersdenkender einsetzte«, beim Empfang Suhartos »empfunden haben« mochte. »Aus Staatsräson« höre man in Bonn nichts über die »größte Ausrottungskampagne von Regierungsgegnern« nach dem Krieg, doch brauche die öffentliche Meinung nicht zu schweigen.257 In dieser Sichtweise schienen die Aufgaben klar verteilt: Staatsvertreter verhielten sich nach internationalen Konventionen und außenpolitischer Staatsräson, während gesellschaftliche Gruppen die Kritik an den Gästen übernahmen. Doch Heinemann wollte es offenbar nicht bei einer Orientierung an der Staatsräson belassen; es war bekannt, dass Elisabeth Heinemann Amnesty International unterstützte. Entsprechend erwartete man, »daß die Heinemanns bei ihren Gesprächen [mit
254 Prominente protestieren gegen Suharto, General-Anzeiger, 2.9.1970. 255 Türkischer Präsident in Berlin, SZ, 23.10.1970. 256 Verwirrung um Suhartos Besuch, Die Welt, 5.9.1970. 257 Staatsbesuch, Express, 5.9.1970.
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Suharto, d. Verf.] auch die Themen berührt haben, die sie bewegen«.258 Tatsächlich plante Frau Heinemann im Vorfeld des Staatsbesuchs, »Soeharto [sic] auf die Freilassung politischer Gefangener anzusprechen«.259 Das Auswärtige Amt wusste, dass Amnesty International Frau Heinemann gebeten hatte, sich für einzelne Gefangene zu verwenden und stand »dem humanistischen Anliegen von Amnesty International grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber«, zumal wegen der »besonnene[n], kooperative[n] Haltung der Bonner Gruppe«.260 Es schlug daher vor, dass Frau Heinemann inoffiziell Frau Suharto die allgemeinen Ziele von Amnesty International erläutern sollte. Sie könne zudem darum bitten, ihr eine Person zu nennen, die Petitionen mit Gewissheit prüfe. Der Bundespräsident beließ es nicht bei dem Gespräch, sondern lud einen Vertreter der Menschenrechtsgruppe zum Abendempfang nach Brühl ein. Auf Heinemanns Wunsch vermittelte das Auswärtige Amt ein Gespräch mit einem juristischen Berater Suhartos, das zur Zufriedenheit des Menschenrechtsaktivisten verlief.261 Der Konflikt zwischen Staatsräson und Überzeugung bzw. demokratischer Selbstachtung war damit freilich nicht beigelegt. Doch indem Heinemann eine Interessengruppe, die seinen Positionen nahestand und bei anderen Besuchen auf der Straße protestierte, in eine gesellschaftlich exklusive Veranstaltung einbezog, hob er die Trennung von staatlichen Repräsentanten und Kritikern der Staatsgäste zeitweilig auf und ermöglichte so, dass die Kritik ihren Adressaten erreichen konnte. Auch Ende der siebziger Jahre trat der Widerspruch zwischen sozialdemokratischer bzw. liberaler Gesinnung und Staatsräson offen zu Tage. Als der brasilianische Militärdiktator Ernesto Geisel 1978 zum Staatsbesuch in die Bundesrepublik kam, rief Uwe Holtz, SPD-Mitglied und Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, seine Partei zu Demonstrationen auf;262 und die Jungsozialisten bezeichneten Geisels Anwesenheit in Westdeutschland als »Provokation für alle Demokraten«.263 Gleichzeitig, so kritisierte die Frankfurter Rundschau, charakterisierte der sozialdemokratische Bundeskanzler Schmidt das Verhältnis zu Brasilien als »vorbildlich« und würdigte der liberale Bundespräsident Scheel die Toleranz der »Rassendemokratie«.264
258 R. Appel, Arbeitsbesuche von Fachministern wären nützlicher gewesen, Stuttgarter Zeitung, 7.9.1970. 259 Vermerk StS von Braun, 24.8.1970, PA, B8, Bd. 1617. 260 Sprechzettel für den Herrn Minister, Betr.: Die Lage der politischen Gefangenen in I, PA, B37, Bd. 544. 261 Vgl. Vermerk Schwarzmann, 2.9.1970; Vermerk Berendonck, 16.10.1970, PA, B37, Bd. 544. 262 Vgl. W. von Tiesenhausen, Erwartet – und abgelehnt, Allgemeine Zeitung, 4.3.1978. 263 Zit. n. Staatsbesuch Geisels stößt auf Kritik, Westfälische Rundschau, 9.3.1978. 264 A.-A. Guha, Peinlicher Kotau, FR, 9.3.1978.
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3. Im Schutz der Scharfschützen – Die Rückkehr der Staatsgäste zur Bevölkerung Die bundesrepublikanische Bevölkerung kam den Staatsgästen der Bundesrepublik nie wieder so nah wie in der ersten Hälfte der sechziger Jahre. Die westdeutschen Sicherheitsbehörden stuften die Gefährdung eines Gastes zwar je unterschiedlich ein, doch konnte, angesichts der Anschläge und Entführungen durch westdeutsche Terrorgruppen wie die Rote Armee Fraktion oder die Bewegung 2. Juni, in den siebziger Jahren kein Gast die Bundesrepublik unbeschwert bereisen. Gleichwohl zeigten sich die ausländischen Staatsgäste ab Mitte der siebziger Jahre – bisweilen ohne Resonanz der Bevölkerung265 – wieder häufiger öffentlich auf Straßen und Plätzen. Dies erklärt sich zum einen aus ihren eigenen Darstellungsbedürfnissen. Der staatliche Rückzug von der Straße stand im Widerspruch zum »passiven Aufmerksamkeitsprivileg«, zur Notwendigkeit, gesehen zu werden. Denn darauf basierte die eigene Prominenz, die eine wichtige Grundlage der Herrschaftssicherung im 20. Jahrhundert darstellte. Zum anderen entwickelten die westdeutschen Sicherheitsbehörden durch die permanent empfundene Bedrohung der Gäste im öffentlichen Raum Routinen des Schutzes. Fahrten im offenen Wagen erschienen als gefährlich, da sie eine große Angriffsfläche für Attentate boten. Doch etablierte sich Ende der siebziger Jahre ein Spaziergang der Staatsgäste in einem eingegrenzten Areal der Städte, die sie besuchten. Scharfschützen sicherten das Gelände, in dem sich die Gäste bewegten, und wurden in dieser Funktion zum gängigen Gegenstand der Bildberichterstattung.266 Vor allem die Anreise zu den einzelnen Besichtigungspunkten barg in den Augen der Sicherheitsbehörden Gefahren. Das Protokoll arrangierte die Fahrten der Gäste daher so, dass diese während ihrer Durchreisen nicht zu sehen waren. Bei Fahrten im Wagen sperrte man weiterhin die Straßen weiträumig ab. Oftmals reisten die Gäste unbemerkt im Hubschrauber.267 Der Ort der Landung und der Ort des öffentlichen Auftritts der Staatsgäste lagen oftmals nah beieinander, so dass auch hier der Schutz gewahrt blieb. An ausgewählten Punkten traten die ausländischen Reisenden öffentlich in Erscheinung, um nach einer Besichtigung und einem Bad in der Menge unter den Augen der Scharfschützen wieder zum nächsten Ort der Begegnung mit der Bevölkerung abzuheben. Der Luftraum schien im Unterschied zum Aufenthalt auf dem Boden Schutz zu bieten. Daher gestaltete sich die Reise der
265 Vgl. Vermerk von Podewils, o. D. [1974], PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.205. 266 Vgl. z.B. Scharfschützen für den Staatsbesuch, KStA, 9.2.1977; Präsident scharf bewacht, KStA, 10.3.1978. 267 Vgl. Salut, Ehrenbataillon und fünfzehn Weiße Mäuse nur für Staatsbesucher, GeneralAnzeiger, 16.7.1976.
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Gäste aus einem Wechsel zwischen Flug und Unsichtbarkeit sowie punktuellem Bodenkontakt und öffentlicher Exposition.268 Eine weitere Innovation in der Ausgestaltung der Staatsbesuche in den achtziger Jahren lässt sich ebenfalls als Kompromissformel zwischen Sicherheitsbedürfnis und Kontakt mit der Bevölkerung verstehen. Seit 1978 begrüßte der Bundespräsident ausländische Staatsgäste nicht mehr am Bahnhof oder Flughafen, sondern auf dem Gelände der Villa Hammerschmidt. Dort und, in der Amtszeit Richard von Weizsäckers, im Park von Schloss Augustusburg nahmen die Staatsoberhäupter gemeinsam die militärischen Ehren entgegen. Beide Orte ließen sich vergleichsweise gut gegen Anschläge schützen. Zugleich fehlte das Publikum, das sich vor dem Bahnhof und an den Flughäfen von selbst eingefunden hatte. Der Park der Villa Hammerschmidt wie auch der Park des Brühler Schlosses waren nicht öffentlich zugänglich, weshalb die Bevölkerung zeitweilig nicht repräsentiert war. Von Weizsäcker schuf erstmals 1985 Abhilfe, indem er zwei Schulklassen des Bonner Beethoven-Gymnasiums als Zuschauer zum militärischen Zeremoniell bat und ähnliche Kulissen auch für die Zukunft einplante.269 Fortan stellten die westdeutschen Besuchsregisseure für jeden Besuch eine passende Zuschauerkulisse zusammen. Als Chaim Herzog 1987 die Bundesrepublik besuchte, empfingen ihn neben Mitgliedern der israelischen Botschaft Schüler aus Koblenz, Mitglieder der evangelischen Gemeinde Bad Salzuflen und die Unterprima des Einstein-Gymnasiums in St. Augustin. Sie riefen vereinzelt »Shalom« und winkten mit Fähnchen in den israelischen Farben.270 Oberstufenschüler begrüßten das französische Staatsoberhaupt Mitterrand vor der Villa Hammerschmidt und überreichten Geschenke, während Schüler der Unter- und Mittelstufe einem Empfang im Bonner Rathaus beiwohnten.271 Die genannten Gruppen sollten nicht nur als Zaungäste die westdeutsche Bevölkerung repräsentieren, sondern auch zum Gespräch bereit sein. Für die Begrüßung Michael Gorbatschows in der Villa Hammerschmidt hatte das Auswärtige Amt Ingenieurstudenten aus der UdSSR und zwei Schulklassen aus Bonn und Dortmund als mögliche Ansprechpartner ausgewählt.272 Diese Arrangements kamen den medialen Anforderungen sehr entgegen, da sie direkt vor den Kameras der Medienvertreter einen zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Staatsmann und Bürger herbeiführten und
268 Vgl. den Besuch des spanischen Königspaares 1977. 269 Vgl. Schwarzwälder Schüler als Gäste beim Bankett im Brühler Schloß, General-Anzeiger, 3.9.1985. 270 Vgl. Zertifikat vom Rabbiner für das koschere Menü, General-Anzeiger, 7.4.1987; BA, B145, Bild-F074903-0002. 271 Vgl. Brot für François Mitterrand, General-Anzeiger, 20.10.1987. 272 Vgl. J. Bischoff, Gorbatschow versteht sich auf das Staatsschauspiel, Stuttgarter Zeitung, 13.6.1989.
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so eine perfekte Bildvorlage lieferten.273 Mit der Auswahl von Bürgern für die Begrüßung ausländischer Staatsoberhäupter gelang den Planern der Besuche nicht nur die Kombination von Sicherheit und Repräsentation der Gesellschaft. Zugleich gaben die ausgewählten Gruppen einem militärischen Zeremoniell einen zivilen Rahmen. Die nicht ausgewählte Masse der Bevölkerung konnte ihre Staatsgäste weiterhin nur aus der Ferne betrachten, aus der Distanz, die Sicherheitsbehörden als angemessenen Sicherheitsabstand einstuften.274 Proteste und Demonstrationszüge fanden zwar zeitgleich mit den Besuchen statt, bildeten jedoch ein räumlich abgetrenntes Ereignis. Darüber konnten sich die Staatsgäste selbst zumeist nur in den Medien informieren.
273 Vgl. zum Besuch Gorbatschows: BA, B145, Bild-F081840-0010. 274 Ein eindrückliches Bild bietet ein Foto, das die Distanz zwischen Gorbatschow u. der Straßenöffentlichkeit vor dem Stuttgarter Rathaus zeigt, BA, B145, Bild-F081795-0025.
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IV. Mediale Tableaus II Der Rückzug der Staatsbesuche von der Straße vollzog sich aus staatlicher Perspektive unter einem gesteigerten Diktat der Sichtbarkeit. Da sich die Möglichkeiten der direkten Begegnung zwischen Gast und westdeutscher Bevölkerung reduzierten, rückten die Massenmedien in eine exklusive Wahrnehmungsposition. Der interessierte Bundesbürger war nahezu ausnahmslos auf die Berichterstattung in den Printmedien, Funk und Fernsehen angewiesen, um sich über Staatsbesuche zu informieren. Bereits vor dem Rückzug der Staatsgäste von der Straßenöffentlichkeit variierten die Bilder je nach Medium und Genre. Wie der Bundesbürger einen Besuch wahrnehmen konnte, hing nicht zuletzt davon ab, welche Medien er nutzte. Die Lektüre von Illustrierten zeigte andere Bilder und evozierte andere Vorstellungen als Tageszeitungen oder das Fernsehen. Auch innerhalb eines Mediums variierten die Genres der Berichterstattung. Die beiden westdeutschen Fernsehsender bedienten neben dem Bedürfnis ihrer Zuschauer nach Informationen und kritischen Kommentaren etwa beim Schah-Besuch auch das Interesse am Boulevard. Die Fernsehsender »wollten auf der Gesellschaftsebene gross berichten, etwa im ›Illustriertenstil‹«.1 Anders als bei bedeutenden Besuchen bis 1965 berichteten ARD und ZDF 1967 außer bei der Ankunft nicht live von der Straße, sondern übertrugen nur den Empfang des Bundespräsidenten direkt in westdeutsche Wohnzimmer. Ansonsten zeigten sie zusammenfassende Berichte in den Nachrichtensendungen.2 Gerade beim Schah-Besuch offenbarte sich aus Sicht der staatlichen Akteure die Doppelgesichtigkeit des Fernsehens, das zwar einerseits das Ereignis den Bürgern nahe brachte, aber andererseits auch von allen Massenmedien am deutlichsten Kritik an den Geschehnissen übte.3 Roman Brodmanns Dokumentarfilm »Der Polizeistaatsbesuch«4 zeigte nicht nur die logistischen Vorbereitungen des Schah-Besuchs in einem kritischen Licht, sondern dokumentierte auch die Demonstrationen 1 Vorbesprechung zum Besuch des iranischen Herrscherpaares, Presseclub, 17.5.1967, Kostka, 18.5.1967, BA, B145/9276, Bd. 1. 2 Vgl. Hör zu 22 (1967), 27.5.-2.6.1967. Die Fernsehberichterstattung analysiert Vogel, Fernsehen. 3 Der Iran kritisierte vor allem die negative Fernsehberichterstattung, vgl. Gespräch des Bundeskanzlers Kiesinger mit dem iranischen Botschafter Malek, Dokument 221, AAPD 1967, Bd. II, S. 914. 4 Der Polizeistaatsbesuch. Beobachtungen unter deutschen Gastgebern, R: Roman Brodmann, SDR 1967.
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in West-Berlin und frischte damit Erinnerungen an die von Polizeipräsident Duensing als »Leberwursttaktik« titulierten Polizeimaßnahmen und den Tod Benno Ohnesorgs auf. Für Gerd Langguth stellte Brodmanns Film den »medialen ›Gründungsakt‹ der Studentenrevolte« dar.5 Aber, wie gesehen, reichte die Wirkung bei der Erstausstrahlung weiter, da diese auf den Tag fiel, an dem die iranische Note vom 13. Juni in der Bundesrepublik bekannt wurde. Nach den Erfahrungen des Schah-Besuchs schränkte das Protokoll Auftritte der Staatsgäste vor der Presse im öffentlichen und daher schwer zu schützenden Raum ein6 und wünschte sich für demonstrationsgefährdete Besuche möglichst wenig mediale Aufmerksamkeit, zugleich sollte über andere Besuche wiederum prominent berichtet werden.7 Mediale Einblicke in die Staatsbesuche konnten zwar mit Kritik einhergehen, stellten jedoch für die Staatsgäste und Gastgeber zugleich eine Möglichkeit dar, den Ausschluss der Bevölkerung von der direkten Teilnahme an den Besuchen zu kompensieren. Entsprechend stimmten die Ausrichter der Besuche ihre Visualisierungsstrategien nun noch stärker auf die Bedürfnisse und technischen Möglichkeiten von Foto- und Fernseh-Kameras ab. Sie versuchten, je nach Sicherheitslage und eigenen Darstellungsinteressen, »aufgrund der Bedeutung der publizistischen Medien [Presse, Funk, Fernsehen]« deren Wünschen »so weit wie möglich« entgegenzukommen.8 Zum einen sollten möglichst viele Journalisten den Besuch selbst beobachten und dokumentieren können.9 Entsprechend sollten für den Besuch Titos 1974 »[i]nformationspolitische Ereignisse […] nach Möglichkeit an Orte verlegt werden, die für eine größere Anzahl von Pressevertretern Platz bieten«.10 Zum anderen nahmen sich die Besuchsregisseure vor, der »Objektgestaltung (Motivauswahl) besondere Aufmerksamkeit« zu widmen und die Presse minutiös zu begleiten. Anlass dafür war der Besuch Margrethes von Dänemark 1974. Wegen des gedrängten Programms habe, so die Überzeugung im Bundespresseamt, »der grosse Wurf, um eine Titelgeschichte zu bekommen«, gefehlt.11 Das Auswärtige Amt, das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt und das Bundespresseamt hatten sich vorgenommen, bei Vorbereitungen für Staatsbesuche ohnehin enger zusammenzuarbeiten. Das Bundespresseamt forderte 5 Langguth, S. 192. 6 So gehörte das Begrüßungsstatement des Staatsgastes 1968 nicht mehr zum regulären Ablauf seiner Ankunft, vgl. Protokollarische Merkmale für Besuche ausländischer Staatsoberhäupter in Deutschland, 16.8.1968, BA, B136/6167. 7 Vgl. Bayerische Staatskanzlei an BPA, 1.4.1969; Vermerk Koch, 14.5.1969, BA, B145/8348. 8 Vermerk Reichelt, 1.10.1973, BA, B145/9276, Bd. 1; vgl. Vorwort zu Fragebogen über Zusammenarbeit zwischen Protokoll und Presse, Erlass an Botschaften London, Paris, Brüssel, Den Haag, Luxemburg, Dublin, Rom, Kopenhagen, 8.1.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 167.628. 9 Vgl. Arbeitsgruppe Staatsbesuche, Protokoll der ersten Sitzung, Stoldt, 4.7.1974, BA, B145/9276, Bd. 1. 10 Vermerk Pressebetreuung beim Besuch Tito, 17.7.1974, BA, B145/9276, Bd. 1. 11 IV A4 an LIV, 4.7.1974, BA, B145/9276, Bd. 1.
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in diesem Zusammenhang, an den Programmplanungen beteiligt zu werden. Dies sei »insbesondere für eine angemessene Orts- und Motividentifikation wichtig«, damit »bekannte, typische Landschafts- und Ortskennzeichen (z.B. Kölner Dom, Hamburger Michel) im Interesse der Bildpresse angemessen bei der Placierung des Staatsbesuchers berücksichtigt werden«.12
1. Bilder der Nähe Die staatlichen Akteure bedurften der medialen Aufmerksamkeit zudem, um Gegenbilder zu den Demonstrationen und gewaltsamen Auseinandersetzungen verbreiten zu können, die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre einen festen Platz in der Bildberichterstattung einnahmen. Mit ihrem Gang auf die westdeutschen Straßen und Plätze hatten die Protestierenden die mediale Bühne betreten und wurden von den Kameras der Fernsehmacher begleitet. Über den gezielten Einsatz eigener Darstellungsstrategien, von Plakaten über Maskierungen bis hin zu bestimmten Bewegungsabläufen und Skandierungen, war es den studentisch geprägten Gruppen seit Mitte des Jahrzehnts gelungen, die Straßenöffentlichkeit als staatlich gesteuerte Kulisse zu zerstören.13 Neben die Bilder lächelnder und freundlich grüßender Staatsgäste und Gastgeber traten Bilder von Polizisten und Demonstranten – die Gewalt auf den Straßen hatte einen hohen Nachrichtenwert. Beide Bildtypen konnten denselben Zeitungsartikel illustrieren.14 Die Verlegung der Staatsbesuche in geschützte Räume ging einher mit einem ikonographischen Wandel. Zusätzlich zu den fotografischen Standards – den obligatorischen Fotos von der Begrüßung der Staatsmänner, der Aufnahme von Gast und Gastgeber auf der Treppe der Villa Hammerschmidt oder von Schloss Brühl, dem so genannten »Staatsfoto«15 – ließen sich die Gäste und Gastgeber nun in Nahaufnahmen bei alltäglichen Handlungen und bei Gesprächen und Verhandlungen ablichten. Diese Fotos und Fernsehbilder stellten ein alternatives Bildprogramm zu jenen Aufnahmen dar, die bei Protesten gegen Staatsbesuche auf westdeutschen Straßen entstanden. Fotos großer Menschenansammlungen kontrastierten mit Aufnahmen kleiner Personengruppen. Der Ikonographie der Demonstrationen, die Bewegung, Gewalt und Unübersichtlichkeit evozierten, stand eine Ikonographie der Nähe, Konzentration und Ruhe gegenüber. 12 Vermerk Reinelt, Arbeitsgruppe Staatsbesuche, o.D., BA, B145/9276, Bd. 1. 13 Vgl. zur Performanz der Stundentenbewegung Klimke/Scharloth. 14 Vgl. prototypisch: Persisches Kaiserpaar wird in sicherer Entfernung vom Publikum gehalten, Nürnberger Nachrichten, 30.5.1967. Ein Foto zeigt das winkende iranische Kaiserpaar 1967 u. ein Foto Polizisten, die Demonstranten verhaften. 15 Interview mit Detlef Gräfingholt, 29.10.2003.
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Eine Möglichkeit, durch Bilder Nähe zu erzeugen, bestand darin, dass Staatsgäste die Neugierde der Menschen befriedigten, indem sie sich bei alltäglichen Handlungen in ihren Privaträumen beobachten ließen. Ein Foto aus der Illustrierten Bunte dokumentiert exemplarisch, wie die Staatsgäste Einblicke in ihr Privatleben inszenierten.16
Abb. 18: Farah Diba im Salonwagen 1967
Es zeigt Farah Diba auf einem Polstersessel bei der Lektüre einer Illustrierten. Das wohnliche Ambiente, gerahmt von einem Beistelltisch mit Blumendekoration und Gebäckteller im vorderen linken Bildteil und einem Radiomöbel im hinteren rechten Bildteil, suggeriert neben der Handlung den Einblick in die Privatsphäre der Königin. Doch die elegante Kleidung und die perfekte Frisur Farah Dibas, die in den sechziger Jahren als Modeikone galt,17 deuten auf die Inszeniertheit des Bildes – ebenso wie Farah Dibas Lektüre. Die Iranerin betrachtet in der Bunten vom 7. Juni 1967 einen Artikel über ihre und ihres Gatten Ankunft in der Bundesrepublik. »Herzlich willkommen« kann man als Titel-Schriftzug erkennen. Das Foto ist in hohem Maße selbstreferentiell: Es 16 Ein weiteres Bild aus der Serie, BA, B145, Bild-F024972-0012, das Farah Diba beim Eintrag in das Gästebuch des Sonderzuges zeigt, veröffentlichte die Bunte in der selben Ausgabe sowie die Schöne Welt im November oder Dezember 1967. 17 Vgl. etwa Farah und Sirikit: Hoheiten der Mode, Bunte Illustrierte, 7.6.1967, S. 52–54.
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setzt in Szene, wie Farah Diba sich selbst als Gegenstand der Medienberichterstattung rezipiert, und zugleich, wie dieser Akt wieder zum Gegenstand medialer Wahrnehmung wurde. Das Foto ist in einem Sonderzug lokalisiert, der das Kaiserpaar wie viele andere Gäste zuvor durch die Bundesrepublik fuhr und Rückzugsmöglichkeiten, Privatheit und Schutz vor medialen Blicken während des Reisens gewährleisten sollte. Ein Mitarbeiter des Bundespresseamtes fotografierte Farah Diba am 30. Mai im Auftrag der Bunten, die das Bild in der Ausgabe vom 14. Juni 1967 veröffentlichte. Das Foto suggeriert, die Zone der Privatheit, den vermeintlichen Alltag der Kaiserin, zu erfassen. Diese vordergründige Nähe und Intimität mit der Kaiserin auf dem Foto kontrastierte mit einer nahezu vollkommenen Unsichtbarkeit des Kaiserpaares für die westdeutsche Bevölkerung. Farah Diba war nur als mediales Surrogat erfahrbar, umgekehrt konnte sie die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, selbst nur medial z.B. durch das Interesse von Fotografen und Kameramännern und deren veröffentlichten Arbeiten ermessen. Das Foto belegt eine Variante der Selbstinszenierung, die zwischen den fünfziger und siebziger Jahren als Alternative zu einer Ikonographie der Distanz an Bedeutung gewann. Die unterschiedlichen Inszenierungen werden im Vergleich des englischen Staatsbesuchs 1965 mit dem iranischen Staatsbesuch 1967 deutlich. Elizabeth II. zeigte sich den Menschen auf der Straße in öffentlichen Reden und Fahrten im offenen Wagen, wahrte aber auf Fotografien eine Ikonographie der Distanz. Die Königin durfte nur in königlichen Positionen, nicht etwa beim Treppensteigen, fotografiert werden. Ein Einblick in die intimsten Gemächer der Queen versuchte das Bundespresseamt noch 1965 zu unterbinden.18 Beim iranischen Staatsbesuch 1967 hingegen konnten die Medien intime Räume der Gäste in die Berichterstattung einbeziehen. So wurden etwa Toiletten und Schlafzimmer des iranischen Kaiserpaares auf Fotos und Fernsehbildern gezeigt.19 Vor allem Illustrierte hatten nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und den USA den Blick ins Privatleben von prominenten Persönlichkeiten (re) etabliert, den bereits Adolf Hitler und sein Fotograf Heinrich Hoffmann propagandistisch genutzt hatten.20 In der fotografischen Darstellung von Hollywood-Schauspielern lösten »Fotos, die nicht gestellt waren« bzw. so erschienen, die zuvor gepflegte Glamour-Fotografie mit Pin-up- und Porträt-Aufnahmen ab.21 Sid Avery bildete Hollywood-Stars in den fünfziger Jahren in seinen Auf18 Vgl. Raederscheidt an Noebel, 20.4.1965, PA, B8, Bd. 912. 19 Vgl. etwa ein Foto des französischen Bades in der Schah-Suite in Rothenburg ob der Tauber: Die große »Schah-Schau« im fränkischen Rothenburg, Nürnberger Nachrichten, 30.5.1967. Die Dokumentation »Der Polizeistaatsbesuch« von Roman Brodmann zeigte auch die Schlafzimmer der iranischen Gäste in Rothenburg. 20 Vgl. dazu Hennig. Die ikonographischen Kontinuitäten vor u. nach 1945 bedürften eingehenderer Studien. 21 Sennett, S. 139.
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nahmen für das Buch »Hollywood at home« als liebevolle Familienmitglieder und gute Gastgeber ab.22 Auch Politiker nutzten diese Formen der Inszenierung in den fünfziger Jahren. Adenauer etwa gab sich vor den Kameras als Rosenzüchter und Boccia-Spieler. John F. Kennedy inszenierte gemeinsam mit seiner Frau Jackie Anfang der sechziger Jahre ein auf die Bildmedien abgestimmtes, scheinbar transparentes Privatleben, das eng mit seinem Arbeitsleben verwoben war.23 Sinnfällig kam dies vor allem in Fotografien zum Ausdruck, die Kennedy bei der Arbeit im Oval Office zeigten, während sein Sohn unter dem Schreibtisch spielte.24 Lediglich Monarchen wie etwa die britische Königin hielten im Vergleich mit gewählten staatlichen Repräsentanten in der öffentlichen Inszenierung ihr Privatleben zurück. Auch bei Staatsbesuchen verknüpften politische Amtsträger ungefähr ab Mitte der sechziger Jahre ihre repräsentativen Aufgaben mit inszenierten Einblicken in ihr Leben als Privatpersonen. Dieser Darstellung für die Kameras muss die Überzeugung zugrunde gelegen haben, dass Aura nicht durch technische Reproduktion verloren gehe,25 sondern – so eine These Michael Camilles – »daß die Reproduktion eines Bildes tatsächlich seine Aura erhöhen kann – ebenso wie die mehrmaligen Photographien den Glamour eines Filmstars eher vermehren, als daß sie ihn schmälern würden«.26 Fotos wie jene Aufnahme von Farah Diba im Salonwagen belegen einen Wandel in der Ordnung von Herrschaft. Staatsrepräsentanten rückten mit einigen Ausnahmen wie der britischen Königin davon ab, sich als distanzierte Elite darzustellen, die sich durch Unsichtbarkeit und Entrücktheit auszeichnete. Ihre Selbstdarstellung zielte auf Prominenz. Mit Thomas Macho heißt Prominenz, »erreicht zu haben, daß einem alle Blicke folgen und folgen wollen. Der Wille zur Prominenz schließt also die konstitutive Zustimmung ein, sich verfolgen zu lassen.«27 Prominent sein bedeutet, sich nach außen so darzustellen, dass man vertraut aussieht und damit Nähe zum Betrachter erzeugt.28 Die Inszenierung des Privaten wendete den Kontakt mit der Bevölkerung, den zuvor beim Fabrikbesuch und beim so genannten Bad in der Menge gepflegten »demotische[n] Herrschaftsstil« nach innen.29 Auch wenn die Gäste dem unmittelbaren Kontakt nie ganz entsagten, rangierte nun die massenmedial vermittelte virtuelle Nähe über Bild- und Fernsehberichterstattung deutlich vor der direkten körperlichen Begegnung von Gast und Bevölkerung. Die 22 Vgl. A. Marguier, Werbung für den rechten Weg, FAS, 14.7.2002. Eines der bekanntesten Fotos Averys zeigt Humphrey Bogart u. Lauren Bacall im Idyll mit ihrem Sohn u. Hunden. 23 Vgl. Hoopes. 24 Vgl. Dherbier/Verlhac, S. 272. 25 Vgl. Benjamin. 26 Burke fasst diese These Camilles so zusammen, S. 19. 27 Macho, Von der Elite, S. 768. 28 Vgl. ebd., S. 769. 29 Burke, S. 80.
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politischen Amtsträger traten nicht mehr aus ihrer Privatheit heraus nach außen und zeigten sich den Menschen auf der Straße, sondern begegneten ihnen in Fotos und Filmsequenzen, wobei Nahaufnahmen der Gesichter Nähe suggerierten.30 Einige, etwa Nixon 1969 oder Königin Juliana 1971, luden ausgewählte Bundesbürger als Vertreter der westdeutschen Bevölkerung zum Gespräch und gewährten damit eine repräsentative Nähe, die sich wiederum massenmedial dokumentieren ließ.31 Auf andere Weise stellte Königin Juliana eine solche Nähe mit den Westdeutschen her, als sie 1971, wie Raissa Gorbatschowa 1989, eine Familie in Begleitung ausgewählter Medienberichterstatter in deren Wohnung besuchte. In den siebziger Jahren gewannen politische Gespräche gegenüber Besichtigungsreisen an Bedeutung und damit auch die Bundeskanzler als politische Verhandlungspartner sowie die Räume, in denen die Gespräche stattfanden. Der stellvertretende Protokollchef beobachtete im Vergleich der sechziger mit den siebziger Jahren international einen »Trend vom mehr zeremoniellen zum Arbeitsbesuch«.32 Entsprechend gewährten die Besuchsregisseure den Fotografen und Kameramännern häufiger als zuvor Einblicke in Konferenz- und Arbeitszimmer und verschafften damit dem Bundesbürger Zugang zu einem weiteren Arkanbereich der Politik. Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist die Einbeziehung des Kanzlerbungalows in die Besuche. Der zwischen 1963 und 1964 erbaute Bungalow barg einen tiefen Widerspruch in sich: Als lichtdurchlässige Kons truktion aus Glas und Metallbändern war er grundsätzlich von außen einsehbar und konnte somit als Symbol für demokratische Transparenz dienen. Doch den Blick auf und den Einblick in den Kanzlerbungalow verstellten Hecken und alte Baumbestände des weiträumigen Parks, der den Bungalow umgab. Trotz baulicher Transparenz war der Bungalow anfänglich ein Arkanum geblieben. Mit der Innenwendung der Staatsbesuche wurde er für gemeinsame Mahlzeiten, Gespräche, als Unterkunft der Gäste und damit auch für die Augen medialer Öffentlichkeiten geöffnet.33 30 Macho bezeichnet in Anlehnung an Manfred Fassler Gesichter als »Medien der Fernanwesenheit«, Macho, Das prominente Gesicht, S. 172. 31 Vgl. Programm, Stand: 20.2.1969, PA, B8, Bd. 1610; Pressemitteilung des BPA, Nr. 1155/71, 20.10.1971, BPA-DOK 5695 u. »Privataudienz« für 20 junge Deutsche, General-Anzeiger, 28.10. 1971. 32 Holzheimer, o.S. 33 Ein abendliches Treffen zwischen dem Staatsoberhaupt von Birma u. Bundeskanzler Kiesinger wurde im Programm explizit ausgewiesen, vgl. Entwurf Programm, 25.9.1968, PA, B8, Bd. 1603; BA, B145, Bild-F027890-0029. Ab März 1970 sollten alle offiziellen Essen des Bundeskanzlers u. des Außenministers im Kanzlerbungalow stattfinden, vgl. Schwarzmann an Ehmke, 10.3.1970, BA, B136/6167. Als Unterkunft diente der Bungalow etwa beim belgischen u. japanischen Staatsbesuch 1971. Königin Juliana der Niederlande nutzte den Bungalow für ihr Treffen mit deutschen Jugendlichen, vgl. BA, B145, Bild-F035166-0009A.
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Auch die Konferenz- und Arbeitsräume dominierte eine Ikonographie der Nähe. Gesprächspartner saßen sich in Polstermöbeln gegenüber oder rückten auf Sitzgruppen zusammen. Schon Adenauer ließ sich bisweilen auf vergleichbare Weise mit Staatsmännern ablichten,34 doch entwickelten sich diese Fototermine nun zum Standard bei Staatsbesuchen. Entsprechend gewann auch die Wandgestaltung der Räume an Aufmerksamkeit, wurde die Wand doch als Bildhintergrund zum Bedeutungsträger. In den siebziger und achtziger Jahren zeigten sich Helmut Schmidt und Helmut Kohl mit ihren Gästen in einem holzgetäfelten Zimmer auf Ledersofas vor Gemälden des Expressionisten Erich Heckel.35 Bisweilen stellten sie sich den Kameras auch in ihren Arbeitszimmern, vor Orden, Ehrenzeichen und expressionistischen Drucken in der Ära Schmidt, vor einer Mineraliensammlung in der Ära Kohl.36 Schmidt ließ sich zudem häufig zusammen mit Staatsgästen in dunklen Ledersofas vor den transparenten Fensterfronten des Bundeskanzleramts fotografieren.37 Diese Inszenierungen zeitigten die gewünschte Wirkung. Ein solches Foto versah die Münchner Abendzeitung mit der Bildunterschrift: »Intensive politische Gespräche schon zu Beginn des Carter-Besuches. Die beiden Außenminister Genscher […] und Vance[,] Schmidt und Präsident Carter unterhielten sich in entspannter Atmosphäre.«38 Einige Fotografien, die Politiker im Gespräch zeigten, wurden zu Ikonen der Geschichte der Bundesrepublik, etwa die Bildserien der FAZ-Fotografin Barbara Klemm und des Bundespresseamts-Fotografen Engelbert Reineke beim Staatsbesuch Breschnews 1973. Die Fotos zeigen Brandt und Breschnew, umringt von ihren Beratern, einander zugewandt und ins Gespräch vertieft.39 Oftmals unterstrich eine einander zugewandte und leicht nach vorne gebeugte Körperhaltung die Intimität der Gesprächspartner bzw. die Intensität und Ernsthaftigkeit, mit der diskutiert wurde. Bilder, die als Gegenschuss die zahlreichen Fotografen zeigten, denen die abgelichteten Politiker gegenübersaßen, legen den inszenatorischen Charakter dieser Bilder offen. Die medienerfahrenen Besuchsausrichter setzten Intimität und Ernsthaftigkeit für die Kameras in Szene. Umgekehrt verfügten die Fotografen seit Anfang der siebziger 34 Vgl. z.B. BA, B145, Bild-F002222-0005. 35 Vgl. für Schmidt etwa BA, B145, Bild-F050233-0011, Bild-F058638-0013, für Kohl: BA, B145, Bild-F065613-0009, Bild-F070090-0002, Bild-F074942-0021. Vgl. zu Kunstwerken als Porträthintergrund Ullrich, Mit dem Rücken zur Kunst; S. Wilhelmi, Die Bilder der Mächtigen, FAS, 29.12.2002 u. die Fotos in Kahnert. 36 Vgl. BA, B145, Bild-F053886-0029 u. Bild-F078806-0011A. 37 Vgl. BA, B145, Bild-F053165-0013 u. Bild-F053873-0006. 38 Bildunterschrift unter Foto zum Artikel: Carter u. Schmidt sprachen 100 Minuten unter vier Augen, Abendzeitung (München), 15.7.1978. 39 Vgl. zu den Aufnahmen Klemms Koetzle, S. 136–141; das Negativ der Bilder Reinekes findet sich unter BA, B145, Bild-F039767.
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Abb. 19 u. 20: Schuss und Gegenschuss: Hans Blix, König Carl XVI. Gustaf von Schweden, Helmut Schmidt und Johannes Rau am 21. März 1979 im Bundeskanzleramt
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Jahre über die technischen Möglichkeiten, solche Arrangements der Nähe adäquat zu dokumentieren. Die Bilder der Nähe korrespondierten mit den technischen Entwicklungen der Zeit. Das Auf kommen extremer Tele-Objektive mit einer festen Brennweite ermöglichte Detailaufnahmen auch aus großer Distanz und beförderte die Tendenz der Fotografen zu Nahaufnahmen.40 Auch die Fernsehberichterstattung schuf solche Bilder der Nähe, die den Blick der Zuschauer und Pressekommentatoren stärker als zuvor auf Mimik und Gestik lenkten.41 So entdeckten Journalisten mit Blick fürs Detail 1973, dass sich Brandt und Breschnew nicht umarmten oder dass sich beim Abschied Brandts Miene auf hellte.42 Von der Gestik und Mimik der Politiker schlossen Journalisten auf Nähe und Distanz zwischen den Gesprächspartnern.43 Bisweilen fiel das Urteil über diese Inszenierung und Ikonographie ambivalent aus: Obwohl er den sichtbaren Details interessante Facetten abgewinnen konnte, kritisierte Godehard Uhlemann, die Fernsehbilder von Begrüßung und Händedruck der Staatsmänner spiegelten »ein falsches Bild« vor und hätten »nur pseudoinformatorischen Charakter«. Zur Information über den Besuch bedürfe es »andere[r] Mittel« »als das voyeurhafte Dabei-sein-Müssen oder -Wollen in allen Phasen des Besuchs«.44 Treffen in Privaträumen der westdeutschen Gastgeber unterstützten den Eindruck einer Vertraulichkeit zwischen Gast und Gastgeber. Das machte sich Helmut Schmidt beim Besuch Breschnews 1978 zunutze, den er zu sich nach Hause lud. Schon Adenauer hatte Staatsgäste in seinem Privathaus in Rhöndorf empfangen, um Nähe herzustellen bzw. zu suggerieren. Doch standen diese Treffen nicht im Fokus des medialen Interesses wie etwa Willy Brandts Zusammenkünfte mit ausländischen Staatsgästen im Garten seines Bonner Privathauses. Er nutzte das private Ambiente vor allem, um eine vertrauliche und entspannte Atmosphäre für Gäste aus Warschauer-Pakt-Staaten zu schaffen und durch die mediale Dokumentation öffentlich zu signalisieren, dass man sich näher kam. Fotografien zeigen Willy Brandt etwa im Gespräch mit Ceauşescu 1973 oder Tito 1974, als Brandt schon nicht mehr Kanzler war, aber dennoch einen wichtigen Gesprächspartner für den Staatsmann darstellte.45 Mit Bresch40 Vgl. Interview mit Detlef Gräfingholt, 29.10.2003. Es handelte sich um 800mm-Objektive. 41 Gestik u. Mimik spielen seit Beginn des Medienzeitalters eine tragende Rolle für die Wahrnehmung eines öffentlich vollzogenen politischen Ereignisses, vgl. Diers, Das öffentliche Bild. Doch im Zuge der technischen Entwicklung erschlossen sich dem Mediennutzer immer mehr Details. 42 Vgl. K. Hofmann, Bedenklicher Stil, Die Rheinpfalz, 23.5.1973; W. Diederichs, Beim »Auf Wiedersäähn« löste sich Brandts düstere Miene, Die Welt, 23.5.1973. Vgl. zu den Nahaufnahmen, die auch im Ausland genau studiert wurden: Moskau in Bonn. Bilder von einem geplanten geschichtlichen Ereignis, FAZ, 26.5.1973; Determined Suitor, Time, 4.6.1973. 43 Vgl. z.B. T. Meyer, In Bonn beginnen die Stunden der Nachdenklichkeit, FAZ, 23.5.1973. 44 G. Uhlemann, Der Besuch im Bild, RP, 23.5.1973. 45 Vgl. etwa BA, B145, Bild-F040399-0009 u. Bild-F043231-0043.
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new entstanden 1973 ebenfalls Fotografien im Grünen. Sie zeigen Breschnew mit dem Ehepaar Brandt in freundschaftlich-vertraulichem Umgang. Breschnew stand zwischen Rut und Willy Brandt und hatte sich bei ihnen untergehakt.46 Der Vorwärts bezeichnete dieses Motiv als »Familienbild«.47 Auch mit anderen Gästen entstanden nun häufiger Fotoaufnahmen in Gärten und Parks.48 Der gemeinsame Spaziergang im Park zwischen Bundeskanzleramt, Bungalow und Bundespräsidialamt avancierte zumindest für die Bildberichterstatter zu einem festen Programmpunkt der Besuche. Denn mit den Räumlichkeiten änderten sich zugleich die Praktiken bei Staatsbesuchen. In der europäischen ikonographischen Tradition versinnbildlichen Gärten geschützte und friedvolle Räume (Garten Eden, hortus conclusus, locus amoenus); sie gelten als Räume der Freizeit und Erholung. Dass Gast und Gastgeber dort gemeinsam spazieren gingen, förderte den Eindruck eines freundlichen und vertraulichen Umgangs miteinander. Dass sie ihre politischen Konsultationen auch an Orten der Freizeit und Erholung fortsetzten, verlieh ihren Treffen Intensität. Auch andere Handlungen standen im Dienst der Ikonographie der Nähe und Intensität. Neben den großen Galaveranstaltungen am Abend, von denen weiterhin Teile live im Fernsehen übertragen wurden, gab es zunehmend intime Mahlzeiten im kleinen Kreis.49 Oftmals nahm ein Staatsgast nun schon das Frühstück gemeinsam mit politischen Repräsentanten der Bundesrepublik ein und ließ sich dabei ablichten. Das unterstrich außer der menschlichen Nähe der Politiker vor allem den Arbeitscharakter des Besuchs. Aus Sicht des stellvertretenden Protokollchefs Holzheimer resultierten diese Treffen nicht aus inszenatorischen Erwägungen, sondern aus dem wachsenden Termindruck der Zusammenkünfte.50
2. Staatliche Unterhaltung – Abendveranstaltungen und Gästelisten Ein weiterer bedeutender inszenatorischer Wandel vollzog sich bei der Zusammensetzung der Gästelisten für die zentralen gesellschaftlichen Veranstaltungen der Staatsbesuche, die sich den Nichtgeladenen von jeher nur über die mediale Berichterstattung erschloss. Zeitgenössische Beobachter verstanden das Personal der staatlichen Galas als gesellschaftliches Tableau, das sich zwar auf die Darstellung der gesellschaftlichen Eliten beschränkte, gleichwohl aber der 46 Vgl. etwa KStA, 21.5.1973; BA, B145, Bild-F039771f. 47 Vorwärts, 24.5.1973. 48 Vgl. zum Staatsbesuch Margrethes von Dänemark: BA, B145, Bild-F043103-0027. 49 Ein Kommentar wertete die Essen im kleinen Kreis als Zeichen dafür, dass es Heinemann gelungen sei, den Umgang zwischen Staatsmännern »ein wenig persönlicher, menschlicher« zu gestalten, U.K. Kremer, Das Protokoll – von Bonn bis Washington, RP, 18.3.1972. 50 Vgl. Holzheimer, o.S.
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gesellschaftlichen Selbstvergewisserung dienen konnte.51 Abendgesellschaften blieben exklusiv und schufen ein selektives Bild der gehobenen Gesellschaft, während die Straße – ergänzend dazu – jedem Bürger offen stand. Als sich jedoch die Staatsgäste in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zunehmend von öffentlichen Auftritten fernhielten bzw. die Bundesbürger auf Distanz zu ihren Gästen gehalten wurden, geriet diese Ordnung ins Wanken. In dieser Zeit öffneten das Protokoll und die höchsten staatlichen Repräsentanten die Gästelisten für neue Bevölkerungsgruppen. Die Gastgeber schufen damit ein eigenes, zunehmend an medialen Bedürfnissen geschultes Gegenbild zu jenen Bildern der Gesellschaft, die von Protesten gezeichnet waren. Bevor die medialen Tableaus bei Staatsempfängen ab Mitte der sechziger ausführlicher zur Sprache kommen, zeigt ein Blick auf Gästelisten vor 1965 die Vorgeschichte dieser Bilder der Gesellschaft. Neben den ausländischen Gästen und Diplomaten waren in den fünfziger Jahren die Funktionseliten aus Staat, Politik, Justiz, Militär, Wirtschaft, Kirche, Kultur, Interessenverbänden und den Medien zu Gast bei Abendgesellschaften und den zumeist vorangehenden festlichen Abendessen. Mit zunehmender Professionalisierung fächerte das Protokoll die Einladungslisten für Empfänge explizit nach diesen Kategorien auf. Auch Journalisten sortierten ihre Eindrücke bei den Galas nach Gesellschaftsgruppen.52 Vereinzelt fanden sich auch Künstler auf den Einladungslisten des Protokolls, die aber oftmals absagten, wie der Bildhauer Gerhard Marcks oder der Schauspieler und Regisseur Gustaf Gründgens.53 In den fünfziger Jahren dominierten vor allem Politiker, staatliche Beamte und Vertreter aus Industrie und Wirtschaft die Empfänge der Bundesrepublik und deren Wahrnehmung.54 Die Mehrzahl der, je nach Besuch, 400 und mehr Gäste stammte aus der weiteren Umgebung von Bonn. Viele der Gäste erhielten eine Einladung zu jeder größeren Gesellschaft und trafen so häufig aufeinander.55 Bereits in den fünfziger Jahren berichtete das Fernsehen über diese Abendveranstaltungen.56 Ein Platz auf den Gästelisten entschied über den Zugang zu einem exklusiven Kreis. In der konstitutiven Phase der Bundesrepublik bemühten sich vor allem politische Amtsträger und Regierungsbeamte darum, diesem Zirkel anzugehören. Politische Akteure sowie Teile der westdeutschen Presse erwarteten von den Gästelisten, dass sie über die Repräsentanten der einzelnen 51 Vgl. W. Henkels, Du Aethiopien, sei glücklich …, FAZ, 11.11.1954. 52 Vgl. ders., Mehr als ein Staatsbesuch, Stuttgarter Zeitung, 13.11.1954. 53 Vgl. Ab- u. Zusageliste Theater Bad Godesberg, 9.11.1954, PA, B8, Bd. 42; Ab- u. Zusageliste, Empfang Brühl, 27.6.1960, PA, B8, Bd. 239. 54 Vgl. auch R. Strobel, Bonn kennt nur noch »große Bahnhöfe«, Stuttgarter Nachrichten, 11.10.1956. 55 Vgl. G. Salzmann, Zuflucht unterm Türkenzelt, FR, 10.5.1958. 56 Vgl. Die Türken in Bonn, Vorwärts, 16.5.1958.
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staatlichen Organe und Institutionen die neue staatliche Ordnung der Bundesrepublik widerspiegelten. Die föderale Ordnung der Bundesrepublik zeigte sich unter anderem darin, dass das Protokoll das Präsidium des Bundesrates zu allen Staatsbesuchsempfängen lud. 1956 erhielten die Länderbevollmächtigten beim Bund einen festen Platz auf den Einladungslisten.57 Oftmals bat das Protokoll auch die Ministerpräsidenten der Länder, die der Gast bereiste, zu den Empfängen.58 In den sechziger Jahren sollten umgekehrt oft gerade jene Ministerpräsidenten den Gast bei Abendgesellschaften treffen, deren Länder nicht auf der Reiseroute lagen. Die neue demokratisch-parlamentarische Ordnung fand in der Beteiligung von Parlamentsmitgliedern einen sichtbaren Ausdruck. Über Einladungen und Platzierungen bei Staatsempfängen wurde symbolisch der Stellenwert des Parlaments – und jedes einzelnen Parlamentariers59 – in der Staatsrepräsentation ausgehandelt. 1954 monierte ein Journalist, dass die Abgeordneten »ungebührlich behandelt« würden, wenn bei der Platzierung, die in der Hand von Regierungsbeamten lag, Abgeordnete »geringer« eingeschätzt würden als Beamte. Letztere besäßen nicht den Takt, »sich zurückzuhalten«; doch die Abgeordneten seien »mit Recht nicht gesonnen, gleichsam im Schatten der Ministerialbürokratie zu sitzen«.60 Zwei Jahre später beklagte ein Mitarbeiter des Bundespräsidialamts das repräsentative »Mißverhältnis« zwischen den Bundestagsfraktionen und westdeutschen Pressevertretern. Von den Fraktionen werde nur der engere Vorstand geladen und damit »insgesamt von der CDU-Fraktion weniger als z.B. von der Bundespressekonferenz oder von der Auslandspresse«.61 Auch die Bundestagsabgeordneten beschwerten sich beim Bundespräsidenten darüber, »dass das Parlament bei Empfängen nicht genug eingeladen würde«.62 Sogar in den Fraktionen werde darüber gesprochen. Daher bat Heinrich Lübke 1960, mehr Bundestagsabgeordnete bei den Einladungen zu berücksichtigen. Lediglich bei gesetzten Essen, also Mahlzeiten mit fester Bestuhlung und Sitzordnung, sei das Parlament durch den Bundestagspräsidenten bzw. seinen Stellvertreter und den Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses hinreichend repräsentiert.63 In dieser Auffassung vom Bundeskanzler bestärkt, regte Lübke an, dass zusätzlich zu den auf den Listen gesetzten Parlamentariern »eine größere Anzahl von Abgeordneten – etwa 50 – eingeladen werden, die weni57 Vgl. Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Baden-Württemberg an Globke, 1.9.1956, BA, B136/6167; Klaiber an Heyden, o.D., BA, B122/540, Fiche 3. 58 Vgl. Vermerk Bach, Vorlage BK, 22.6.1960, B136/2074, Fiche 1. 59 Vgl. zu einer Beschwerde Carlo Schmids: Aufzeichnung von Holleben, 11.12.1964, BA, B136/6167. 60 F. Wesemann, Wo sitzen die Abgeordneten?, FR, 8.11.1954. 61 Heyden an StS, 21.8.1956, BA, B122/540, Fiche 3. 62 Aufzeichnung von Braun, 4.7.1960, PA, B8, Bd. 238. 63 Vgl. Vermerk Röhrig, 4.7.1960, BA, B122/5500, p. 416.
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ger bekannt sind und bisher nicht zu solchen Anlässen herangezogen wurden«. Mit der Erhöhung der Anzahl der geladenen Parlamentarier verband Lübke eine grundlegende Umgestaltung des gesellschaftlichen Tableaus bei Staatsempfängen. Er kündigte an, dass er »das Schwergewicht […] gern mehr auf die politische Ebene verlegen möchte und die Teilnahme der Wirtschaftler einschränken will«.64 Daher versuchte Lübke nicht, die hohe Zahl der Industriellen durch Gewerkschaftsvertreter als Repräsentanten der Arbeitnehmer auszugleichen,65 sondern rekrutierte den Teilnehmerkreis der Abendgesellschaften stärker aus dem Parlament. Beim Empfang für den senegalesischen Staatspräsidenten Senghor 1961 standen auf der 1432 Personen umfassenden Gästeliste 90 Industrielle und 170 Parlamentarier.66 Lübkes Änderungswünsche setzte das Protokoll erstmals im Juli 1960 beim Staatsempfang für Bhumibol und Sirikit von Thailand um. In die bestehende Einladungsliste nahm es weitere fünfzig Abgeordnete und deren Ehefrauen auf.67 Damit fügte sich das Protokoll den Wünschen des Bundespräsidenten, obwohl es die Erfahrung gemacht hatte, dass sich die Parlamentarier zwar gerne einladen ließen, dann jedoch zu großen Teilen absagten. In den Augen des Protokollchefs von Braun verkörperte der ehemalige Innenminister Gustav Heinemann prototypisch diese Haltung. Eine Einladung des Bundespräsidenten habe Heinemann nicht als Weisung verstanden und da er ein schlechtes Verhältnis zu Heuss gehabt habe, sei er den Einladungen nie nachgekommen. Unverbindlichkeit signalisierten Bundestagspräsident Gerstenmaier und Bundestagsdirektor Trossmann auch für den Empfang der Thailänder: »Kein Abgeordneter könne gezwungen werden, während der Ferien nach Bonn wegen einer solchen Sache zu kommen.« 68 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass primär Parlamentarier aus der näheren Umgebung eingeladen wurden, da sie zumindest nicht eine weite Anreise an der Teilnahme hinderte. Gleichwohl war ihr Interesse verhalten. Zum Empfang für den pakistanischen Präsidenten Ayub Khan sagten von 86 geladenen Parlamentariern lediglich 26 zu. 36 sag-
64 Röhrig an von Braun, 4.7.1960, PA, B8, Bd. 228. Auch 1961 fragte Lübke nach, ob man nicht weniger Industrievertreter einladen könne, vgl. Aufzeichnung von Braun, 18.10.1961, PA, B8, Bd. 273. Lübke wurde auch aktiv, indem er die Einladungslisten selbst überprüfte, vgl. Vermerk Röhrig, 24.4.1961, BA, B122/5352, p. 162. 65 Zwar gehörten Gewerkschaftsvertreter von Beginn an zu den Stammgästen bundesrepublikanischer Galas, doch überstiegen die Einladungen für Wirtschaftsvertreter jene für Gewerkschaftsvertreter um ein Vielfaches. 1967 machte Bundesminister Heck das Protokoll auf dieses Missverhältnis aufmerksam, vgl. Osterheld an Schwarzmann, 17.1.1967; Schwarzmann an Osterheld, 24.1.1967; Knieper an Heck, 17.1.1967, BA, B136/4234, Fiche 4, p. 162–164. 66 Vgl. Ab- u. Zusageliste Empfang Beethovenhalle, PA, B8, Bd. 274. 67 Vgl. von Braun an Trossmann, 7.7.1960; Ab- u. Zusageliste, Empfang Brühl, PA, B8, Bd. 228. 68 Aufzeichnung von Braun, 4.7.1960, PA, B8, Bd. 238.
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ten ab und 24 ließen ihre Antwort offen.69 1964 sorgte die SPD für Aufsehen, als sich beim Empfang für den österreichischen Staatspräsidenten und Vorsitzenden der SPÖ, dem österreichischen Pendant zur SPD, lediglich zwei sozialdemokratische Abgeordnete einstellten. Die »Prominenz der Partei« befand sich auf einem Betriebsausflug.70 Das schwankende Interesse an den Staatsbesuchen bereitete dem Protokoll generell Probleme: Beim togoischen Staatsbesuch 1961 lag die Absagequote insgesamt bei 40 Prozent,71 so dass das Protokoll für den folgenden Staatsempfang eine Nachladungsliste vorbereitete, um einer als peinlich empfundenen Leere vorzubeugen. Auch beim Staatsbesuch aus Somalia 1965 tat das Protokoll alles, um die afrikanischen Gäste nicht zu brüskieren. Es bat die drei Fraktionen im Bundestag um eine »angemessene Vertretung bei den gesellschaftlichen Veranstaltungen« und stellte zugleich sicher, »dass sonstige Gäste so reichlich da sind, dass sie den Konzertsaal füllen«.72 Der Zurückhaltung bei Besuchen weniger bekannter Staatsmänner stand auch von Seiten der Parlamentarier und Regierungsmitglieder ein ausgeprägtes Interesse an den Empfängen für Vertreter der Siegermächte und die engsten Verbündeten der Bundesrepublik gegenüber. So fragte Bundesminister Lücke eigens beim Bundeskanzleramt an, warum er nicht auf der Einladungsliste für das Essen stehe, das der Bundeskanzler Charles de Gaulle zu Ehren gebe.73 Der Bundespräsident richtete für den französischen Staatspräsidenten ein Abendessen mit 99 und einen Empfang mit 1 800 Personen aus.74 In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigte sich Jürgen Tern darüber verwundert, dass die Partei- und Fraktionsführer der SPD und FDP nur zum Empfang geladen wurden. Das sei in Großbritannien und den USA undenkbar und deute auf ein unausgereiftes westdeutsches Demokratieverständnis hin, könne doch »die Opposition von heute die Regierung von morgen sein […] und umgekehrt«. Sicher habe das Protokoll die Gäste für das Abendessen des Bundespräsidenten mit den Listen für das Essen des Bundeskanzlers abgeglichen, doch falle eine Einladung des Staatsoberhaupts mehr ins Gewicht.75 Durch Terns Kommentar wurde das Bundespräsidialamt darauf aufmerksam, dass diese Einladungspraxis Erich Ollenhauer, Carlo Schmid und Erich Mende verstimmt hatte.76 Der 69 Vgl. Vermerk Michelsen, 3.2.1961, BA, B122/5494, p. 236 u. PA, B8, Bd. 243; vgl. Steltzer an Bindewald, 24.10.1961, BA, B122/5384, p. 247f. 70 C.H. Meyer, Der Wiener Abend auf Schloß Brühl, Stuttgarter Zeitung, 25.7.1964. 71 Vgl. Steltzer an Bindewald, 24.10.1961, BA, B122/5384, p. 247f. 72 Vermerk von Holleben, 22.3.1965, PA, B8, Bd. 1051. 73 Vgl. Vermerk Selbach, 29.8.1962, BA, B136/2080, Fiche 6, p. 245. 74 Vgl. D. Schröder, Charles de Gaulle hält Einzug in Bonn, 5.9.1962. Henkels schätzte die Anzahl der Gäste sogar auf 2 000 Personen, vgl. W. Henkels, Blauweißrot und Schwarzrotgold, FAZ, 5.9.1962. 75 J. Tern, Kaum verständlich, FAZ, o.D., BA, B122/5522, p. 318. 76 Vgl. Vermerk Röhrig, 6.9.1962, BA, B122/5522, p. 317
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Bundespräsident zog die von Tern angedeuteten Konsequenzen und bestimmte, dass die Vorschlagsliste für die von ihm ausgerichtete Veranstaltung wegen des »besondere[n] Gewicht[s]« einer Einladung des Staatsoberhaupts »die Spitzen der Bundesrepublik und insbesondere die profilierten Persönlichkeiten des politischen Lebens berücksichtigen« müsse.77 Bei der Vorbereitung des Kennedy-Besuchs 1963 baten die Bundestagsabgeordneten um eigene Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten.78 Im Ergebnis richtete der Bundestag, vertreten durch den Bundestagspräsidenten, eine Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche aus, dem Sitz des ersten deutschen Parlaments. Von den 776 geladenen Gästen gehörten 150 dem Deutschen Bundestag an.79 In den sechziger Jahren gestalteten sich die Gästelisten nicht nur zunehmend parlamentarischer, sondern nahmen auch versuchsweise bürgernahe Züge an. Unter den rund 3 000 Gästen, die der Bundespräsident zum Staatsempfang für die englische Königin 1965 nach Schloss Augustusburg lud,80 befanden sich auf Wunsch Lübkes je zwanzig Bürger aus jedem Bundesland, das nicht auf der Reiseroute der Königin lag. Sie sollten nicht nach Rang und Würden ausgewählt werden, vielmehr sollten – wie schon beim Geburtstag des Bundespräsidenten – Personen zum Empfang gebeten werden, »die auf unteren Stufen ihre Pflicht tun und sonst nicht zu solchen Veranstaltungen herangezogen werden«. Dieser Vorstoß des Bundespräsidenten erklärt sich auch aus dem harmonischen Zusammenspiel zwischen staatlicher Inszenierung und Straßenöffentlichkeit der vorangegangenen Jahre, deren letzter Höhepunkt der britische Staatsbesuch 1965 wurde. Soziale Schranken wollte Lübke ignorieren. Die Kleiderordnung sollte keine Rolle spielen. Die Bürgervertreter könnten »im schwarzen Kirchgangsanzug, im Gehrock oder in der Kleidung erscheinen, die sie als Festtagskleidung zur Verfügung haben«. Sie würden auf Kosten der Länder per Omnibus gemeinsam zum Empfang anreisen.81 Die Ministerpräsidenten der betroffenen Länder, Schleswig-Holstein, Bremen und das Saarland, sprachen sich gegen dieses Vorhaben aus. Die Zeit für die Auswahl sei zu kurz, und die Länder könnten die Kosten nicht tragen. Der Bürgermeister von Bremen, Wilhelm Kaisen, befürchtete zudem, dass bei den Bürgern wegen ihrer schlichten Kleidung »Minderwertigkeitsgefühle sowie der Eindruck des ›fehl am Platze Seins‹ mit der damit unvermeidlichen Verbitterung auf kommen« könne. Dadurch würde »der an sich gute Gedanke ins Gegenteil verkehrt« werden.82
77 Röhrig an von Holleben, 10.9.1962, BA, B122/5522, p. 316. 78 Vgl. Für Gespräche mit Kennedy, Deutsche Zeitung, 15.5.1963. 79 Vgl. Vermerk Trossmann über Besprechung mit Gerstenmaier, 28.5.1963, PA, B8, Bd. 498. 80 Vgl. O. Weissach, »Elisabeth, Elisabeth«, schallte es im Chor, Münchner Merkur, 20.5.1965. 81 Aufzeichnung von Holleben, 3.5.1965, PA, B8, Bd. 913. 82 Vermerk Einsiedler, 30.4.1965, BA, B122/5528, p. 222f.
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Letztlich benannte Bremen zwanzig, Schleswig-Holstein 22 und das Saarland 17 Teilnehmer für den Empfang in Brühl.83 Aus dem Saarland waren schließlich 15 Männer und eine Frau, »Berg- und Hüttenleute, Handwerker, Angestellte, ein Landwirt und eine Sportlerin«, der Einladung nach Bonn gefolgt. Ein Obersteiger hatte standesgemäß eine Knappenfesttracht angelegt und damit das Interesse der Königin erregt, die nachfragte, ob er tatsächlich Bergmann sei. Die Sportlerin Helga Hoffmann resümierte den Abend: »Ein bißchen kamen wir uns wie ein verlorener Haufen vor unter all den Diplomaten in großer Gala. Aber Spaß machte es, die Prominenten zu identifizieren, die man aus der Zeitung und vom Fernsehen kennt«.84 Die geladenen Vertreter der »einfachen« Bürger nahmen demnach an diesem Abend die Rolle der teilnehmenden Beobachter ein. Auch in den Augen des Gastgebers hatte sich offenbar diese Einladungspraxis nicht bewährt, denn sie konnte sich in Lübkes Amtszeit nicht etablieren. Ende der sechziger Jahre agierte das Protokoll bei der Zusammenstellung der Gästelisten flexibler als zuvor. Besondere Interessengebiete der Gäste wurden nun stärker in die Planung der Abendveranstaltungen einbezogen, unabhängig davon, ob die ausländischen Staatsoberhäupter diesen auch bei den Rundreisen durch die Bundesländer nachgehen konnten.85 Zudem erschien der Teilnehmerkreis bei Staatsempfängen zu festgelegt. Protokollchef Schwarzmann kritisierte im November 1968, dass »im grossen und ganzen stets derselbe Kreis von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur geladen« werde. Trotz möglicher Kritik aus der »etablierten ›Gesellschaft‹« wollte er das »zu starre Auswahlsystem« auflockern und die »Universitäten Bonn und Köln«, die »Künstlerschaft« und die Wirtschaft »über den Raum Bonn hinaus« stärker einbeziehen.86 Bereits ein Jahr zuvor hatte das Protokoll in Zusammenarbeit mit Willy Brandt begonnen, grundsätzlich bei gesellschaftlichen Einladungen des Bundeskanzlers neben dem Kabinett verstärkt »Vertreter der Wirtschaft, der Industrie und vor allem auch der Kultur zu erfassen«.87 Auch Bundespräsident Heinemann gestaltete die Gästelisten der von ihm ausgerichteten Staatsempfänge neu. Er integrierte nicht nur nach Bedarf ausgewählte Vertreter von Protestgruppen und Bürgerbewegungen, sondern erweiterte grundsätzlich das gesellschaftliche Spektrum, aus dem das Protokoll die Gäste lud. 1965 waren auf Einladung Lübkes die an fest83 Vgl. die Schreiben der jeweiligen Landesvertretungen beim Bund, 10.5.1965, 13.5.1965 u. 14.5.1965, PA, B8, Bd. 913. 84 Zit. n. Knicks vor der Queen. Sechzehn Saarländer vertraten ihr Bundesland, Saarbrücker Zeitung, 20.5.1965. 85 So sollte z.B. der Präsident von Niger 1968 zusätzlich zur Besichtigung eines Atomreaktors auch beim Staatsempfang mit Vertretern der Kernforschung zusammentreffen, vgl. Aufzeichnung Prot. 1, 4.3.1968, PA, B8, Bd. 1589. 86 Aufzeichnung Schwarzmann, 15.11.1968, BA, B136/6167. 87 Vermerk Schwarzmann, 27.6.1967, BA, B136/6167.
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liche Gesellschaften gewöhnten Eliten und »einfache« Bürger unvermittelt aufeinander getroffen. Trotz der Erfahrungen von 1965 wiederholten Protokoll und Bundespräsident 1970 diese als problematisch erkannte Einladungspraxis. Zum Empfang des türkischen Präsidenten Sunay bat Heinemann den Vorsitzenden des Vereins türkischer Arbeitnehmer in Bonn und 15 so genannte Gastarbeiter, die sehr gut deutsch sprachen und sich »sozial-politisch« engagierten. Von den Geladenen sagten drei Arbeiterinnen ab, »weil sie sich genierten in ihren gewöhnlichen Kleidern vor dem Staatspräsidenten zu erscheinen«.88 Erst Richard von Weizsäcker lud in den achtziger Jahren Schüler und damit wieder Personen ohne öffentliches Amt und Vertretungsanspruch zu einem Staatsempfang.89 Ansonsten wählte Heinemann einen anderen Weg, um mit den Gästelisten ein Abbild der Gesellschaft zu schaffen. Beim Abendempfang für Kenneth David Kaunda 1970, Heinemanns erstem Staatsgast, variierte er das bis dahin übliche Bild u.a. durch die Einladung berufsständischer Organisationen der Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Patentanwälte und Notare. Das starke Übergewicht katholischer Würdenträger glich Heinemann durch Einladungen an Vertreter des evangelischen und jüdischen Glaubens aus. Darüber hinaus berücksichtigten die Gästelisten stärker als zuvor die sozialdemokratische Klientel. Neben dem Vorstand des DGB erhielten nun auch die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften eine Einladung. Für künftige Empfänge erwog Heinemann, auch Betriebsräte einzuladen. In der Rubrik Banken stand nun die Bank für Gemeinwirtschaft auf der Einladungsliste, die 1958 aus den Gemeinwirtschaftsbanken der Gewerkschaften hervorgegangen war und einen Großteil des Grundkapitals des DGB verwaltete. Auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung der SPDRegierung scheint sich widerzuspiegeln, etwa das Ziel einer Bildungsreform. Neben den Universitäten sollten auch die pädagogischen Akademien sowie der Deutsche Bildungsrat Repräsentanten zu den Galas entsenden. Des Weiteren plante Heinemann, in Zukunft »aktive Sportler und junge Sportler« einzuladen.90 Für den Besuch Suhartos begrenzte Staatssekretär Spangenberg die Zahl der geladenen Spitzensportler allerdings auf zwei bis drei Personen.91 Den neuen Namen auf den Gästelisten mussten alte weichen. Die Ära Adenauer endete nun auch auf diesen Listen. Konrad Adenauer hatte in den fünfziger Jahren seiner Familie feste Plätze auf den Gästelisten eingeräumt; erst Gustav Heinemann nahm sie, mit Ausnahme Max Adenauers, 1970 von den Listen. Nur wenige der altgedienten Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes behielten ihren Listenplatz, unter ihnen Erica Pappritz. 88 Heinemann gab Empfang für General Sunay, General-Anzeiger, 20.10.1970. 89 Vgl. Schwarzwälder Schüler als Gäste beim Bankett im Brühler Schloß, General-Anzeiger, 3.9.1985. 90 Zimmermann an AA, 10.4.1970, PA, B8, Bd. 1241. 91 Vgl. Zimmermann an von Rhamm, 12.8.1970, PA, B8, Bd. 1617.
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Obwohl diese Umbrüche auf dem Papier deutlich wurden, erschlossen sie sich dem zeitgenössischen Beobachter nicht sofort. Walter Henkels etwa betrachtete die erste Staatsgala nach Heinemanns Amtsantritt als »Synthese Heuss-Lübke-Heinemann«: »Aus Tradition war kein Neues geworden, und das Neue stellte sich dar wie ein Heuss-Empfang der fünfziger Jahre«.92 Der Spiegel bemerkte zwar beim Staatsempfang für König Baudouin, dass der Vorsitzende des Wandervereins Eifel-Ardennen dem König persönlich vorgestellt wurde und dass eine rheinische Jugendgruppe »den Querschnitt des deutschen Volkes vervollkommnen sollte«.93 Doch beobachtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung ebenfalls 1971, dass die »Komparserie, die sich zum Staatsempfang […] drängte«, weiterhin »Deutschlands Establishment« repräsentierte: »Minister, Parlamentarier, Diplomaten, hohe Bürokratie, Industrie, Handel, Lobby und Professoren«. Dazu gesellten sich 82 Fotografen, 50 Journalisten und 400 Beamte der Kriminalpolizei.94 Beim Studium der Gästelisten fällt eine weitere Veränderung ins Auge: Das Protokoll öffnete sie im Übergang zu den siebziger Jahren für die Unterhaltungsprominenz. Darunter fielen etwa Film- und Fernsehschauspieler oder Schlagersänger, deren Bekanntheitsgrad und »passives Aufmerksamkeitsprivileg« offenkundig an die Massenmedien geknüpft war. Diese Öffnung für die aus Presse, Funk und Fernsehen bekannte Prominenz fiel zeitlich mit einem ähnlichen Wandel in der Regenbogenpresse zusammen. Ab 1970 zogen die Macher der westdeutschen Illustrierten bei der Titelgestaltung die Schauspieler den Monarchen und Adligen vor, die zuvor das Bild bestimmt hatten.95 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Staatsempfänge in den siebziger Jahren, vor allem während der Präsidentschaft des im Umgang mit Medien geübten Liberalen Walter Scheel, zunehmend Showelemente in ihren Ablauf integrierten, die sie für eine audiovisuelle Übertragung attraktiver machten.96 Ebenso steigerte anwesende Unterhaltungsprominenz die Attraktivität solcher Veranstaltungen. Durch diese Einladungen zollte das Protokoll willentlich oder unwillentlich den vermutlichen Interessen der westdeutschen Fernsehzuschauer Tribut und sicherte den Veranstaltungen und damit den Gästen und Gastgebern die gewünschte mediale Aufmerksamkeit. In der Tat übertrug das Fernsehen jene Abendempfänge, die Fernsehmacher für interessant erachteten, weiterhin live oder in Zusammenfassungen, etwa die Gala für das japa-
92 W. Henkels, »Feuervogel für Kaunda«, FAZ, 29.4.1970. 93 De Prinz Kütt, Der Spiegel, 3.5.1971. 94 W. Henkels, Bonns Establishment als Komparserie, FAZ, 13.10.1971; vgl. ähnlich ders., Staatsbankett für den Schwedenkönig, FAZ, 10.5.1972. 95 Vgl. Hilgenstock, S. 150. 96 Vgl. Zweites Kap., IV.2.
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nische Kaiserpaar 1971 oder für Königin Juliana im selben Jahr.97 Vom Galaempfang für Elizabeth II. 1978 sendete das Fernsehen vier Stunden.98 In der zeitgenössischen Wahrnehmung der frühen sechziger Jahre bildeten Prominente von Soraya, »der prominentesten unter den Prominenten«, bis Brigitte Bardot eine an »Publicity« gebundene »synthetische Oberschicht«.99 Ihr gegenüber stand eine Leistungselite, die sich aus Künstlern, Wissenschaftlern, Beamten, Politikern und Schriftstellern zusammensetzte und öffentlich kaum wahrgenommen wurde. Erst Ende der sechziger Jahre baten der Bundespräsident und das Protokoll auch die »synthetische Oberschicht« der Unterhaltungsprominenz zu Staatsempfängen und reflektierten damit die wachsende Bedeutung der Massenmedien für die Gesellschaft und für die Politikvermittlung. Zuvor hatte die SPD, die nunmehr Bundeskanzler und Bundespräsident stellte, die Unterhaltungsprominenz schon als Wahlhelfer für sich gewonnen.100 In dieser Hinsicht stellten Einladungen zu Galas auch eine Anerkennung für den Einsatz dar, zu dem sich unter anderen Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld, Inge Meysel, Grethe Weiser, Lore Lorentz und Dieter Hildebrandt bereit gefunden hatten.101 Der TV-Showmaster Kulenkampff und die Schauspielerin Weiser erhielten 1970 eine Einladung zum Empfang für den Indonesier Suharto, sagten aber ab.102 Zum Empfang für den japanischen Kaiser Hirohito 1971 lud das Protokoll den österreichischen Schlagersänger Udo Jürgens nach, nachdem etwa der Schriftsteller Günter Grass und der Komponist Karlheinz Stockhausen ihre Teilnahme abgesagt hatten.103 1971 zählte Udo Jürgens nicht zu dem erwählten Kreis jener Künstler, die dem Kaiserpaar persönlich vorgestellt wurden, fand dafür aber die Aufmerksamkeit der Bild-Zeitung.104 Auch weiterhin standen Dirigenten und Sänger klassischer Musik auf den Gästelisten, doch fanden diese sich nicht so häufig zur Teilnahme bereit wie die Fernseh- und Illustrier-
97 Vgl. Juliana. Tagebuch eines Fernsehers, FAZ, 28.10.1971. 98 Vgl. F. Weckbach-Mara, Wie kam der Mende zum Staatsempfang, Bild, 11.6.1978. 99 J.L., Apropos Prominenz, SZ, 31.8.1961, abgedruckt in: Sprachendienst 1961, S. 190f. Ähnlich zeitgleich aus soziologischer Perspektive Dreitzel. Vgl. zur Prominenz Sorayas Derix, Soraya. 100 Die Nähe zwischen SPD u. Fernsehstars missfiel dem konservativen Lager. So beklagte etwa die CSU 1971, dass einige Quiz- u. Showmaster, darunter Hans-Joachim Kulenkampff, Rudi Carell u. Dietmar Schönherr in ihren Sendungen Werbung für die Ostpolitik betrieben, vgl. U. Pretorius, CSU-Großangriff auf die Showmaster, NRZ, 23.12.1971. 101 Vgl. zum Wahlkampf 1969 Merseburger, S. 569f.; Münkel, Willy Brandt, S. 256–272. 102 Vgl. W. Henkels, Suhartos gefährliches Leben in Bonn, FAZ, 7.9.1970. 103 Vgl. Vermerk Bahn-Flessburg, 19.8.1971, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.197; Vorschlagsliste mit Ab- u. Zusagen, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.197. 104 Vgl. Minister kommen nur zum Essen …, BamS, 17.10.1971.
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tenprominenz.105 Beim Staatsbesuch Leonid Breschnews standen die aus Film und Fernsehen bekannten Schauspieler Heinz Rühmann, Uschi Glas, Hildegard Knef, Dietmar Schönherr und Vivi Bach auf der Einladungsliste für die Gegeneinladung von russischer Seite sowie die Kabarettisten Kai und Lore Lorentz.106 Zusätzlich nannte das Auswärtige Amt den russischen Gastgebern die Schauspieler Inge Meysel, Erik Ode, Charles Regnier, Lis Verhoeven, den Sänger Ivan Rebroff sowie den britischen Ballettchoreographen John Cranko als mögliche Gäste.107 Unter den Gästen beim Staatsempfang für Margrethe von Dänemark befand sich die dänische Schlagersängerin Gitte Henning.108 Zusätzlich zum Diplomatischen Korps verliehen die teils ausländisch klingenden Namen der Unterhaltungsprominenz den Abendgesellschaften eine internationale Note. Ende der siebziger Jahre goutierte der General-Anzeiger, dass »Stars der Leinwand« wie Hildegard Knef, Curd Jürgens und Heinz Rühmann und der aus Presse und Fernsehen bekannte ehemalige Fußballbundestrainer Helmut Schön beim Staatsempfang für Jimmy Carter erschienen. Leistungselite und Unterhaltungsprominenz wurden nicht mehr in starkem Kontrast zueinander wahrgenommen, sondern als »bunte Mischung aus Politik, Kultur, Show und Wirtschaft«, die »auf Wunsch des Gastgebers gemixt worden« sei, »damit man nicht immer die gleichen Gesichter sieht«.109 Der stellvertretende Protokollchef, Hermann Holzheimer, erklärte, diese Mischung sei auch in den USA üblich. Anders als Udo Jürgens 1971 wurde Curd Jürgens die Ehre zuteil, am Tisch des Präsidenten zu speisen. Die Unterhaltungsprominenz war bis ins Zentrum der Aufmerksamkeit bei Staatsbesuchen vorgestoßen. Carter wechselte, von der Kölnischen Rundschau genau beobachtet, einige Worte mit Fußballtrainer Schön.110 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung verzeichnete die feinen Rangunterschiede innerhalb der Unterhaltungsprominenz: »Das Protokoll differenziert den Schauspielerruhm; Rühmann ist nicht wie Curd Jürgens an der Tafel des Präsidenten, sondern in einem Nebenraum untergebracht worden«.111 Sieben Jahre später traf Ronald Reagan, selbst ehemals Schauspieler, ebenfalls auf eine 105 Zum Empfang für den Österreicher Jonas sagten etwa der Dirigent Christoph von Dohnanyi, der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau, der Schauspieler Will Quadflieg, die Sängerin Elisabeth Flickenschild u. der Sänger Hermann Prey ab, vgl. Vorschlagsliste Abendessen Brühl mit Zu- u. Absagen, 7.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 102.218. 106 Vgl. Vermerk 700, 15.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. 107 Vgl. Vermerk Schoeller, 14.5.1973, darauf Vermerk Schoeller, 16.5.1973, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.186. 108 Vgl. Vorschlagsliste Mittagessen/Abendessen/Empfang, PA, Zwischenarchiv, Bd. 103.205. 109 Deutsche Filmstars sorgen für eine bunte Mischung beim Festbankett im Barockschloß, General-Anzeiger, 13.7.1978. 110 Vgl. E. Keil, »Gut gemacht,« sagte Carter zu Helmut Schön, Kölnische Rundschau, 15.7.1978. 111 W. Henkels, Glory, Glory, Halleluja, FAZ, 17.7.1978.
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Mischung aus Prominenten. Neben Golo Mann und Hermann Prey habe er laut dem General-Anzeiger bei einem Galabankett »Sportidole« wie Franz Beckenbauer112 und Max Schmeling sowie den damals populären Astronauten Ulf Merbold begrüßt. Erst danach führte die Tageszeitung auch anwesende politische Prominenz auf, darunter die Ex-Bundespräsidenten Scheel und Carstens sowie die ehemaligen Bundeskanzler Brandt und Schmidt.113 Beim Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik 1987 gewann Udo Lindenberg einen großen Teil der medialen Aufmerksamkeit durch seine Bemühungen, den DDR-Staatschef zu treffen, was ihm letztlich vor dem Friedrich-Engels-Haus in Wuppertal gelang. Beinahe hätte er Honecker auch bei einem Festbankett, als Begleiter der Grünen-Politikerin Waltraud Schoppe getroffen, doch die Gastgeber, die Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und Johannes Rau, luden ihn nicht ein.114 Den hier skizzierten Wandel spiegelt auch die zeitgleiche Veränderung der wissenschaftlichen Wahrnehmung von Elite wider: Anfang der sechziger Jahre beobachtete Hans Peter Dreitzel ein »Spannungsverhältnis von Elite und Medienprominenz«,115 das Suzanne Keller in den achtziger Jahren dahingehend auflöste, dass auch politische Eliten den Charakter von Unterhaltungsprominenz annahmen. Sie unterschied »praktische[…] Eliten« mit konkreter Führungsleistung von »expressiven Eliten«,116 die ein »öffentliches Drama« aufführten, in dem sie »Sicherheit, Orientierung, Vertrauen und universelle Handlungskompetenzen« vermittelten.117 In diesen Dramen würden Prominente zu »Surrogat-Vertrauten«. Auch die politischen Eliten seien in diesen »Sog der Expressivität« geraten. An die Stelle der Arkanpolitik trete die Kon trolle des Images. Die Studie zur Prominenz in der Bundesrepublik von Birgit Peters bestätigte 1996 die Wirkung der massenmedialen Öffentlichkeit auf die Eliten, beleuchtete aber nicht, wie Prominenz entsteht.118 Das Protokoll öffnete die Abendveranstaltungen auf eine weitere Weise für die Massenmedien, indem es die Medienmacher nicht nur als Beobachter, sondern auch als Teilnehmer in die festlichen Gesellschaften integrierte. Im Laufe der sechziger Jahre stieg der Anteil der Journalisten, die als Gäste und nicht als 112 Beckenbauer war schon 1975 beim Staatsbesuch Schiwkows zum Defilee geladen, vgl. BA, B145, Bild-F047100-0014A. Ab Mitte der siebziger Jahre gehörte Beckenbauer zu den bekanntesten lebenden Westdeutschen weltweit, vgl. Winkler, Sporterfolge, S. 109. 113 Vgl. Beckenbauer und Max Schmeling beim Galadiner für Reagan, General-Anzeiger, 1.5.1985. 114 Vgl. R. Voss, Vor Engels’ Haus traf Udo den »Oberindianer«, FR, 10.9.1987; K. Dreher, Der Einschnitt – feierlich zelebriert, SZ, 8.9.1987. 115 Wenzel, S. 455. Wenzel bezieht sich auf Dreitzel. 116 Keller, Celebrities, S. 9, zit. n. Wenzel, S. 456. 117 Auch für die Folgezitate Wenzel, S. 456f. 118 Vgl. Peters u. dazu die Kritik von Wenzel, S. 458f.
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Berichterstatter an Galas und Essen bei Staatsbesuchen teilnahmen, im Verhältnis zu anderen geladenen Gruppen deutlich an. Journalisten in gehobenen beruflichen Positionen wie Intendanten, Chefredakteure, Studioleiter wurde zunehmend auch das Privileg des Defilees zuteil, d.h. sie wurden dem Gast persönlich vorgestellt. Der Leiter des Bonner ARD-Studios Friedrich Nowottny oder der Spiegel-Chef Rudolf Augstein brachten es gar zu Essenseinladungen im kleineren Kreis.119 Auf diese Weise veränderte sich die Beobachterposition der Journalisten merklich; sie näherten sich immer mehr einer Position an, die man heute mit dem Schlagwort »embedded journalists« kennzeichnet. Die mediale Durchdringung der Abendveranstaltungen konnte genauso wenig wie die Bilder der Nähe verhindern, dass die staatliche Repräsentation einer gesellschaftlichen Darstellung gegenüberstand. Denn die Proteste auf der Straße setzten sich fort, wenngleich auch nicht jeder Besuch von öffentlichen Demonstrationen begleitet wurde. Bild- und Printmedien hielten sie fest, und damit blieben sie als Bildkonkurrenz zu den offiziellen Bildern bestehen. Die Protestierenden betrieben eigene erfolgreiche Strategien der Aufmerksamkeitslenkung. Es mag den staatlichen Akteuren zwar gelungen sein, sich weiterhin die mediale Aufmerksamkeit zu sichern, aber die nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit genossen sie nicht mehr. Die Bilder konkurrierten vor einem anonymen Publikum um Aufmerksamkeit und darum, die Emotionen ihrer Betrachter zu wecken. Nach dem Verlust der Kontrolle über die Straßenöffentlichkeit war spätestens Ende der sechziger Jahre auch die staatliche Kontrolle über die medialen Bilder der Besuche verloren gegangen und einer Pluralisierung der medialen Bilder von Staat und Gesellschaft gewichen.
3. Politik im Fernsehzeitalter Der Erfolg des Fernsehens in den sechziger Jahren veränderte das Verhältnis von Politik und Massenmedien grundlegend. Die anfängliche Abhängigkeit des neuen Massenmediums von der Bereitschaft der Politiker, sich filmen zu lassen, verschob sich: Politiker konkurrierten mit prominenten Schauspielern oder Journalisten um die Aufmerksamkeit der Fernsehzuschauer und damit um die Aufmerksamkeit der Medienmacher. Siegfried Maruhn, Gast auf dem 119 Seit 1968 wurden zu jedem Essen des Bundeskanzlers zwei Journalisten geladen u. zwei auf die Reserveliste gesetzt, vgl. Thomas an Sanne, 27.6.1974, BA, B145/9276, Bd. 1. Auch auf anderem Gebiet wird die wachsende Berücksichtigung des Fernsehens deutlich. So wollte der Bundeskanzler ab 1968 drei statt bisher zwei Fernsehvertreter auf seine Auslandsreisen mitnehmen, vgl. Vermerk Freibüter, 26.9.1968, BA, B145/8348. Vgl. zu Augsteins Teilnahme an Abendessen für Staatsgäste: BA, B145, Bild-F039796-0020 u. Bild-F050553-0031; zu Nowottny: BA, B145, Bild-F045100, Bild-F047940, Bild-F050540, Bild-F053331, Bild-F052965-0034 u. Bild-P081777C.
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Staatsempfang für Elizabeth II., schilderte 1965 die Wirkung der Kameras auf die Gäste: Bei der Anfahrt »fühlt sich der Gast noch als Auserwählter. Zuschauer stehen dichtgedrängt am Wege«. Doch sei er nur ein Gast unter 3000 anderen. Einige davon verfolgten das Ziel, »sich so zu placieren, daß man im Blickpunkt der Fernsehkameras bleibt« und richteten danach ihr gesamtes Verhalten aus. »In dem Augenblick, in dem die rote Betriebslampe an der Elek tronenkamera aufleuchtet, ordnet sich das farbenprächtige Bild plötzlich neu.« Menschen »erscheinen als Mitwirkende einer Schau, die […] zum überwiegenden Teil aber für jene Öffentlichkeit veranstaltet wird, die ausgeschlossen bleibt, aber durch das Fernsehen mehr Details mitbekommt als jeder einzelne im Raum«. Der Gast vor Ort möge überlegen, wie lange er noch den Vorsprung haben werde, das Ganze in Farbe zu erleben. »Und auch die letzte Enttäuschung des Statisten bleibt rund 2950 Gästen nicht erspart. Noch wochenlang werden sie gefragt werden: ›Waren Sie auch wirklich da? Ich habe Sie im Fernsehen doch gar nicht gesehen!‹«120 1977 beschrieb Dieter Wenz die Auswirkungen von Fernsehkameras auf Politiker so: »Körper straffen sich ruckartig. Gesichter geraten schrecklich wichtig, bis dahin wenig aufsehenerregende Gesten verwandeln sich auf einen Schlag in überaus bedeutende Bewegungen.«121 Die Bedeutung, die der sichtbaren Anwesenheit von Massenmedien für die Atmosphäre der Besuche beigemessen wurde, macht auch ein Zeitungsartikel von Walter Henkels 1975 deutlich. Er behauptete, dass auf Veranlassung des Protokolls Staatsbesuche, an denen das Fernsehen kein Interesse hatte, von ausrangierten Fernsehkameras blind gefilmt worden seien.122 In dieser Zeit lebte eine Diskussion um den Staat bzw. Politik als Show neu auf.123 Aus diesen Beobachtungen wird erkennbar, dass sich der Charakter staatlicher repräsentativer Veranstaltungen mit der Anwesenheit und dem Bedeutungszuwachs des Fernsehens in der Öffentlichkeit veränderte. Nicht mehr die rituelle Begegnung bzw. das Handeln zwischen Staatsmännern vor Ort stand im Vordergrund, sondern die Wirkung in der medialen Vermittlung. Entsprechend veränderte sich die Arbeit des Protokolls: Was früher nur einige 100 Menschen unmittelbar und die Bevölkerung nur auf Lichtbildern oder in verspäteten Wochenschauen miterlebten, wird heute Millionen von Menschen über den Bildschirm direkt ins Haus gebracht. Die Anforderungen an einen ungestörten und in der Bildwirkung harmonischen Ablauf aller Staatsakte und sonstigen Zeremonien vervielfachen sich und mit ihnen auch die Möglichkeiten für unliebsa120 S. Maruhn, Statist im Frack beim Galaempfang, WAZ, 20.5.1965. 121 D. Wenz, Der Staat als Show, FAZ, 9.5.1977. 122 Vgl. W. Henkels, Blind gefilmt, ist halb gewonnen, Osnabrücker Zeitung, 31.5.1975. 123 Zum Thema »Politik als Schauspiel« fehlt für die Nachkriegszeit bislang eine eingehendere wissenschaftliche Analyse, vgl. für die Zeit bis zum Nationalsozialismus Blackbourn. Vgl. für die späten siebziger u. die achtziger Jahre etwa Ortheil; Schwartzenberg; A. Rathke, Politik als Showbusiness, Dt. Zeitung, 13.7.1979.
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me Zwischenfälle und böswillige Störungen. […] Oft sind es nicht die Demonstranten, die den harmonischen Eindruck eines für Millionen Fernsehempfänger bestimmten Bildes trüben, sondern die Fernsehteams selbst mit ihren Hilfskräften.124
Das Zeremoniell selbst ging funktional in der Berichterstattung durch die Massenmedien auf.125 Des Weiteren brachte der wachsende Einfluss der Massenmedien eine Verkehrung der zeremoniellen Ordnung mit sich. Die öffentliche Aufmerksamkeit orientierte sich nicht an zeremoniellen Hierarchien, sondern folgte den Regeln der Prominenz. Prominente Schauspieler gelangten durch hochrangige Sitzplätze und Defilees ins Blickfeld der Kameras und konnten so die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihnen zukam, erhöhen. Damit weiteten sie das »passive Aufmerksamkeitsprivileg« aus, das zu ihrer Einladung geführt hatte. Politiker mussten dahinter oftmals zurückstehen. Die Integration von Showelementen und Showprominenz in die Besuche lässt sich als »unterhaltende Politik« lesen. Sie bildet neben der »politische[n] Unterhaltung« eine Ebene der »enge[n] Koppelung zwischen Politik und Entertainment«, die Andreas Dörner für die Gegenwart als »Politainment« untersucht hat.126 Zwar lenkten die medialen Anforderungen die politischen Inszenierungen, doch erlangten die politischen Akteure in beschränktem Maß umgekehrt auch Macht über das Fernsehen. Denn das Fernsehen war auf politische Ereignisse und Repräsentanten als Gegenstand der Berichterstattung und der Unterhaltung angewiesen. Dörner hat mit Bezug auf die Fernsehunterhaltung die zweite Facette des Politainment, die politische Unterhaltung, so beschrieben: »Die Unterhaltungsindustrie verwendet gezielt politische Figuren, Themen und Geschehnisse als Material zur Konstruktion ihrer fiktionalen Bildwelten, um so ihre Produkte interessant und attraktiv zu gestalten.«127 Neben dem Anspruch, politisch zu informieren, entschied auch immer die Attraktivität eines Themas oder Ereignisses darüber mit, ob es gefilmt wurde. Zwar variierte das Interesse der Medien von Staatsbesuch zu Staatsbesuch, doch galt dem Ereignistyp stets ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit. Das kam etwa 1970 darin zum Ausdruck, dass das ZDF eine Dokumentation über das »Protokoll aus Anlaß eines [beliebigen] Staatsbesuchs« produzieren wollte. Die ARD drehte im selben Jahr einen Film über den Besuch des Bundespräsidenten in Norwegen, bei dem der Schwerpunkt auf der Arbeit des Protokolls lag.128 Der WDR hatte bereits die Filme »Ein Präsident kommt« und »Diplomatenjagd« angefertigt und 124 H.A. Weseloh, Zu simpel und nicht immer korrekt?, FAZ, 22.3.1975. 125 Dies beobachten die Herausgeber eines Sammelbands zum Zeremoniell in der Krise am Beispiel der Trauerfeier für Princess Diana, vgl. Jahn, S. 14f. 126 Dörner, Politainment, S. 31. »Unterhaltende Politik liegt immer dann vor, wenn politische Akteure auf Instrumente und Stilmittel der Unterhaltungskultur zurückgreifen, um ihre jeweiligen Ziele zu realisieren.« 127 Ebd., S. 32. 128 Vgl. Vermerk von Rhamm, o.D., BA, B136/4234, Fiche 8, p. 365f.
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plante 1970 einen unterhaltenden Film über Staatsgeschenke, »angelegt als gezieltes Feuilleton, weder manipuliert noch bewußt entstellt«. Dieses Vorhaben lehnten Protokoll und Bundeskanzleramt jedoch mit dem Hinweis ab, dass die Öffentlichkeit über dieses Thema – die Bundesregierung stand stets in dem Verdacht, zu teure Geschenke zu verschenken und entgegenzunehmen – bereits durch Anfragen im Bundestag 1959 und 1962 informiert worden sei.129 Bisweilen gerieten die beiden westdeutschen Sender bei der Berichterstattung in Konkurrenz zueinander. Beim Breschnew-Besuch 1973 habe sich das ZDF etwa gegenüber der ARD zurückgesetzt gefühlt, da das Erste Fernsehen den sowjetischen Staatschef vorab hatte interviewen dürfen. Dieses Interview habe sich dann zu einer zwanzigminütigen Ansprache Breschnews ausgeweitet. Doch die ARD habe nicht nur mit dieser Sendung einen Vorteil für sich verbuchen können. Denn zudem sei der WDR-Intendant von Bismarck zum Souper mit Breschnew geladen worden, der ZDF-Intendant Holzamer jedoch nicht.130 Aus der Sicht eines anderen journalistischen Kommentators, Rupert Neudeck, hatte die Bundesregierung hingegen der ARD Breschnews Fernsehrede »wie selbstverständlich« aufgedrängt und damit die Freiheit der Berichterstattung eingeschränkt. Das ZDF habe indessen aus Gründen der Staatsräson eine geplante Sendung in der Reihe »Apropos Film« kurzfristig abgesetzt. Die Sendung hätte einen Film über einen russischen Intellektuellen, der in die Psychiatrie eingewiesen wurde, vorgestellt. Dieser Beitrag, so die offizielle Begründung des ZDF, »hätte am Tag der Ankunft Breschnews einen ›politischen Affront‹ gegen den Gast dargestellt, sicher aber eine ›grobe politische Ungeschicklichkeit‹ bedeutet«. Eine weitere Programmänderung regte laut Neudeck die französische Tageszeitung Le Monde beim ZDF an, indem sie die geplante Ausstrahlung eines Films über die Besetzung der ČSSR durch sowjetische Truppen vor der Ansprache Breschnews am 22. Mai 1973 als außenpolitisch nicht opportun wertete.131 Diese Beispiele zeigen eindrücklich, dass sich nicht nur die Politik nach den Medien, sondern ebenso die Medien nach der Politik richteten. Der wechselseitige Einfluss reichte weiter als es der funktionalistische Ansatz des Politainment vermuten lässt. Bei dem Versuch, sich gegenseitig zu instrumentalisieren, gingen Politik und Medien eine enge Verbindung ein, die einen bloßen Zweckcharakter überschritt. Es lässt sich nicht nur ein fortschreitender Strukturwandel der Öffentlichkeit beobachten, wie ihn Jürgen Habermas 1961 für die bürgerliche Öffentlichkeit beschrieben hat,132 sondern damit einhergehend eine Transformation von Staatlichkeit bzw. von 129 Schwarzmann an Zimmermann u. Sanne, 14.9.1970, p. 367f.; Wulffen, WDR, an Schwarzmann, 6.10.1970, p. 369f.; Fischer an Schwarzmann, 21.10.1970, p. 370. 130 Vgl. E. von Loewenstern, »Eine Art Wohlverhalten zu erreichen …«, Die Welt, 24.5.1973. 131 R. Neudeck/FSD, Das Fernsehen und die Staatsräson, Deutsche Tagespost, 8.6.1973. 132 Vgl. Habermas.
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Politik. Denn Staatlichkeit und Politik entstehen in der öffentlichen Wahrnehmung dadurch, dass staatliches Handeln und politische Akteure in den Medien gezeigt bzw. konstruiert werden. »Das mediale Setting der Massenkommunikation […] prägt in hohem Maße den symbolischen und performativen Charakter von politischer Öffentlichkeit«, so Bernd Weisbrod, indem nämlich »Darstellung und Herstellung von Politik« und – hier ließe sich ergänzen – Staatlichkeit zusammenfallen.133
133 Weisbrod, Medien, S. 282f.
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Schluss
Am Beispiel von Staatsbesuchen zwischen 1949 und 1990 beleuchtete diese Studie drei Dimensionen der politischen Inszenierung in der Bundesrepublik: erstens auf der Planungsebene die Arrangeure der Besuche, den Fundus zeremonieller Formen und die Suche nach einem bundesrepublikanischen Stil staatlicher Repräsentation; zweitens die Bilder, mit denen die Bundesrepublik zwischen geplanter Inszenierung und tatsächlicher Performanz nach innen und außen dargestellt wurde; und drittens die Tableaus der Gesellschaft, in denen das Verhältnis von Staat und Gesellschaft sowie die besondere Bedeutung der Massenmedien zum Ausdruck kamen. Nach der Gründung der Bundesrepublik entstand auch das Protokoll neu. Seine Mitarbeiter entwickelten als ästhetische Praktiker die repräsentativen Formen der Bundesrepublik. Dieser Gestaltungsprozess verlief als fortdauernde Suche nach Repräsentationsformen zwischen Tradition, Adaption und Konvention. Das Protokoll erfasste das bestehende Wissen über deutsches Zeremoniell. Rhetorisch verwies man zwar auf positiv besetzte Weimarer Traditionen, doch die zurückhaltende Besuchspraxis der Weimarer Republik konnte letztlich nicht als Vorbild dienen. Das Protokoll versuchte in einem steten Balanceakt, diskreditierte Formen der NS-Zeit zu umgehen und gleichzeitig Formen staatlicher Repräsentation wieder zu etablieren. Wichtige Orientierungspunkte stellten die Repräsentationsformen der westlichen Siegermächte dar, doch sammelte das Protokoll auch Informationen über europäische Nachbarn und andere Staaten, die zugleich Orientierung boten und Konkurrenten waren. Die genaue Beobachtung anderer Staaten erklärt sich nicht allein daraus, dass die eigenen Formen staatlicher Repräsentation als defizitär wahrgenommen wurden. Vielmehr stellte die Abstimmung auf die Formensprache der anderen auch einen Schlüssel zur Rückkehr auf das internationale politische Parkett dar. Indem das Protokoll Informationen über möglichst viele Länder zusammentrug, holte es einerseits einen Wissensrückstand über das internationale Zusammenspiel der Staaten auf, der durch die Isolation Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden war. Andererseits legte es mit dieser »nachholenden Modernisierung« paradoxerweise die Grundlage für einen Wissensvorsprung in Fragen des Zeremoniells, der die Bundesrepublik zur treibenden Kraft für eine Vereinfachung des Zeremoniells innerhalb der EG werden ließ. 359
Gleichwohl war die Staatsrepräsentation der Bundesrepublik nicht so bescheiden, wie häufig angenommen wird. Sie vollzog sich vielmehr als Gratwanderung zwischen Zurückhaltung und Pomp mit offenen Widersprüchen. Die Vereinfachung zeremonieller Formen konkurrierte mit dem Bestreben, auch aufwändig repräsentieren zu können. Die bundesrepublikanische Formensprache war nur vordergründig starr und variierte de facto je nach Gast und Darstellungsinteresse. Vier Bilder dominierten die Darstellung der Bundesrepublik bei Staatsbesuchen. Wiederaufgebaute Städte und prosperierende Industrieunternehmen visualisierten die Erfolge des jungen Staates. Wie die Besuche bei Krupp in Essen zeigen, schufen staatliche Planer und nichtstaatliche Gastgeber vor Ort gemeinsam variable Bilder vom »Wirtschaftswunder«, der sozialen Marktwirtschaft, des leistungsstarken Außenhandelspartners, der Integration von Ausländern und technologischer Zukunftsorientierung. Während die Bundesrepublik bis zur Erlangung der Souveränität vornehmlich Bilder des Erfolgs und den Wandel zur Demokratie demonstrierte, gelangte nach 1955 auch die deutsche Teilung als Problem der Bundesrepublik bei Staatsbesuchen zur Anschauung. Berlinreisen machten die deutsche Teilung sowie die Ost-West-Konfrontation für ausländische Gäste erlebbar und verdeutlichten den Bundesbürgern, dass sich die Bundesregierung – auf symbolischer Ebene – für die Wiedervereinigung einsetzte. Die Besuchsausrichter inszenierten in den sechziger Jahren in Berlin den Kontrast zwischen Ost und West. Berlin wurde nicht zuletzt durch diese Inszenierungen zu dem Bekenntnisort im Ost-West-Konflikt, auf den viele Gäste in hohem Maße emotional reagierten, indem sie entweder die Erwartungen der Bonner Gastgeber übererfüllten oder sich ihnen verweigerten. Mit den Ostverträgen Anfang der siebziger Jahre verlor Berlin diesen Schaucharakter als Ort der Teilung. Erst Ende des Jahrzehnts fuhren die Gäste wieder an die Mauer; zur selben Zeit gewann Berlin als Anschauungsort der NS-Vergangenheit an Bedeutung. Die NS-Vergangenheit thematisierten die westdeutschen Gastgeber anfangs nur zögerlich. Die Initiativen dazu gingen von den Gästen aus, wie bei der Rede Charles de Gaulles vor der Münchner Feldherrnhalle 1962 oder dem Besuch des italienischen Staatsoberhauptes im ehemaligen KZ Dachau 1963. Die Bundesrepublik überließ KZs wie Friedhöfe mit den Gräbern ausländischer Soldaten ihren Gästen für das eigene nationale Gedenken und öffnete sie so potentiell für das Gedenken aller Nationen. Diese Form des Gedenkens bedurfte keines expliziten Schuldbekenntnisses der Deutschen, denn ein ausländisches Staatsoberhaupt ehrte seine Landsleute. Der originär westdeutsche Beitrag zur Visualisierung der NS-Vergangenheit bestand in einem weit gefassten Opfergedenken am Bonner Ehrenmal und im Gedenken an den ab den sechziger Jahren positiv vereinnahmten Widerstand vom 20. Juli 1944. Erst der Eklat um Ronald Reagans Besuch in Bitburg verdeutlichte das Problem dieser Konstellation von Ver360
gangenheitsbildern: Die Bundesrepublik hatte sich zwar in Gedenkriten für die Opfer eingebunden, aber keine ritualisierte Form für ein Schuldbekenntnis gefunden. Willy Brandts Kniefall in Warschau war die Ausnahme geblieben. Das vordergründig unpolitische und damit als unproblematisch wahrgenommene Gegenbild zur NS-Vergangenheit lieferten Rheinromantik, alte deutsche Architektur, Panoramalandschaften und Folklore. Aufenthalte auf dem Land oder in Kurorten ließen nicht nur die deutsche Vergangenheit des 20. Jahrhunderts vergessen, sondern schufen Bilder einer gemütlichen und freundlichen Bundesrepublik. Sie sollten in den sechziger Jahren zugleich Entspannung nach den teils emotional aufwühlenden Fahrten nach Berlin respektive an die deutsch-deutsche Grenze bieten. Die Bilder der Bundesrepublik waren eng miteinander verschränkt. Wirtschaftlicher Erfolg und Teilung markierten die westdeutschen Facetten der Gegenwart, während die Bilder der NS-Zeit und die Bilder der Heimat unterschiedliche Aspekte der deutschen Vergangenheit evozierten. Bei jedem einzelnen Staatsbesuch waren die Bilder der Bundesrepublik in einer dramaturgischen Anordnung miteinander verwoben; mit Blick auf alle Staatsbesuche bildeten sie die Mosaiksteine, aus denen sich die Wahrnehmung der Bundesrepublik zusammensetzte. Dabei unterlagen die einzelnen Bilder unterschiedlichen Konjunkturen, wie am Beispiel der Visualisierung der deutschen Teilung deutlich wird. Die Orte ihrer Inszenierung konnten ihre Funktionen wechseln. Der Rhein bebilderte z.B. sowohl die Verbundenheit mit den europäischen Nachbarn als auch das »ewige« Deutschland. Eine Vielzahl von Akteuren beteiligte sich de facto an diesem Visualisierungsprozess, auch wenn die staatlichen Planer und politischen Repräsentanten sich bemühten, die Kontrolle über das Gezeigte zu wahren. Das Protokoll konnte zwar oftmals über die besuchten Orte entscheiden und gab die Gesamtdramaturgie der Besuche vor. Doch Länder, Kommunen, zivilgesellschaftliche Akteure und vor allem die anwesenden Medien bestimmten das Angebot und den Rahmen, in dem die Gäste diese Orte erlebten und welche Bilder davon in die medialen Öffentlichkeiten gelangten. Die Gäste wiederum konnten sich bereitwillig in die westdeutschen Bildarrangements hineinbegeben oder sich ihnen versagen und damit eigene Bilder schaffen, die sich der westdeutschen Kontrolle entzogen. Die Geschehnisse während der Reisen entfalteten zudem eine eigene zuvor nicht kalkulierbare Dynamik, so dass die eigentlichen Bilder der Bundesrepublik erst aus der performativen Umsetzung resultierten. Bei Staatsbesuchen entstanden Ansichten der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die in den vier Jahrzehnten der Bonner Republik großen Veränderungen unterlagen. Diese Tableaus geben Auskunft über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Bis Mitte der sechziger Jahre lässt sich die bundesrepublikanische Straßenöffentlichkeit als kontrollierte und organisierte Öffentlichkeit beschreiben. Die Menschenkulisse bei Staatsbesuchen wurde von staat361
licher Seite aktiv gestaltet durch Polizei, Bundeswehr, bestellte Schulklassen sowie die Arrangements der Mobilwerbung und des VFF. Diese Gestaltung der Straßenkulisse zielte auf die größtmögliche Kontrolle des Geschehens. Aus Furcht vor der Sprengkraft der Straße versuchten die Planer der Besuche auch, die sichtbare Beteiligung nichtstaatlicher Interessengruppen durch Absprachen zu steuern. Flankierend wollten staatliche Stellen die Bilder der Massenmedien lenken bzw. durch Produktionen von Filmen und Schallplatten eigene Sichtweisen der Ereignisse massenmedial verbreiten. Doch spätestens bei den massenwirksamen Besuchen Charles de Gaulles, John F. Kennedys und von Elizabeth II. zwischen 1962 und 1965 ließen sich die Straßenöffentlichkeit und die Emotionen der Menschen nur noch begrenzt steuern. Die Menschen auf den Straßen feierten »ihre« Staatsgäste begeistert und gelangten so selbst in den Fokus der Massenmedien. Sie wurden in der Berichterstattung zu Gewährsleuten des Erfolgs der Staatsbesuche, die immer stärker auf mediale Bedürfnisse hin inszeniert wurden. Diese Erfahrungen der ersten Hälfte der sechziger Jahre stellten eine Voraussetzung für die Entwicklung ab Mitte des Jahrzehnts dar. Mit ihrem Bedeutungszuwachs emanzipierte sich die Straßenöffentlichkeit von den staatlichen Inszenierungen. Die westdeutsche Bevölkerung empfing die Staatsgäste nicht mehr nur mit Jubel, sondern nutzte den massenmedialen Bühnencharakter der Straße, um Kritik vorzubringen. Demonstranten protestierten gegen die nichtdemokratischen Regime der Staatsgäste in ihren Ländern und kritisierten zugleich die westdeutschen Staatsrepräsentanten, die solche Potentaten empfingen. Eine Schlüsselrolle für das veränderte Verhältnis von Staat und Gesellschaft nahm der Schah-Besuch 1967 ein. Der Besuch hatte Katalysatorfunktion für die Außerparlamentarische Opposition und ließ darüber hinaus das Spannungsverhältnis zwischen außenpolitischer Staatsräson und demokratischem Selbstverständnis der Bundesrepublik eskalieren. Die Empörung auf der Straße, im Bundestag und in der Berichterstattung richtete sich nicht nur dagegen, dass die Bundesrepublik mit dem Schah von Iran einen Diktator empfing, sondern dass für diesen Staatsgast die Grundregeln der Demokratie missachtet und die Bundesbürger, der staatliche Souverän, auf Distanz gehalten wurden. Aufgrund der Erfahrungen des Schah-Besuchs verlegten die Ausrichter der Besuche die politischen Inszenierungen von der Straße in geschützte Räume, um so die öffentliche Konfrontation zwischen Staat und Gesellschaft zu vermeiden. Dieser Rückzug sollte zum einen den Gast vor verbalen und körperlichen Angriffen schützen. Vor allem nichtdemokratische Staatsgäste mieden große Städte wegen der befürchteten Proteste. Zum anderen trug der Rückzug der Tatsache Rechnung, dass der Staat die Oberhand über die Bilder und die Aufmerksamkeitslenkung bei Staatsbesuchen verloren hatte. Denn die Massenmedien nahmen nunmehr die Straßenproteste in den Fokus ihrer Berichterstattung. 362
Die Staatsbesuche in den siebziger Jahren ähnelten immer mehr Arbeitsbesuchen, die nur wenige Schaumomente boten. Bei den Staatsrepräsentanten der Ostblockstaaten, die erstmals die Bundesrepublik bereisten, standen Gespräche im Vordergrund. Zwar verzichteten diese Politiker nicht gänzlich auf öffentliche Auftritte, doch spielten sich die Besuche größtenteils in gesicherten Räumen ab, während Demonstranten auf der Straße gegen die Besuche oder für andere Anliegen demonstrierten. Der Einsatz von Hubschraubern und staatlich arrangierte Zuschauer ermöglichten Ende der siebziger und in den achtziger Jahren einen Kompromiss zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Kontakt mit der Bevölkerung. Mit dem Rückzug von der Straße veränderte sich auch die Ikonographie der Besuche. An die Stelle der Bilder von umjubelten Staatsgästen auf öffentlichen Plätzen, wie sie die sechziger Jahre prägten, traten Bilder der Nähe. Mit dem Rückgang der persönlichen Begegnungen zwischen Staatsgast und Bevölkerung rückten die Massenmedien in eine exklusive Position. Die Bundesbürger erlebten die Staatsbesuche nahezu ausnahmslos in den Massenmedien. Umgekehrt konnten die Besuchsausrichter ihre szenischen Bilder, die auch Gegenbilder zu den Demonstrationen darstellen sollten, nur über die Massenmedien verbreiten. Entsprechend richteten sie die politischen Inszenierungen stärker als zuvor auf mediale Bedürfnisse aus. Die repräsentative Öffentlichkeit der Staatsempfänge und -bankette integrierte Showprominenz und Medienmacher. Die Untersuchungen zeigen beispielhaft, wie sich die visuellen Massenmedien, vor allem das Fernsehen, zum Dispositiv für die Wahrnehmung von Staat und Politik entwickelten. Die Ergebnisse dieser Studie eröffnen neue Perspektiven auf die Geschichte der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik verfügte über ein facettenreiches und dynamisches »Bildrepertoire«. Ihre vermeintliche Symbolarmut wird häufig damit belegt, dass Staatssymbole und Staatsfeiertage nicht in dem Maße identitätsstiftend gewesen seien wie in anderen Staaten. Weitet man die Perspektive auf die geschilderte Darstellung der Bundesrepublik bei Staatsbesuchen aus, ergibt sich ein anderes Bild. Die dargestellten Erfolge, das Problem der deutschen Teilung, die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit sowie die Mischung aus Volkstümlichkeit und Weltoffenheit stellten Bild- und Identifikationsangebote nach innen und außen dar, die Grundlage eines bundesrepublikanischen Selbstverständnisses wurden und bis heute die Wahrnehmung der Bonner Republik prägen. Was von der Bundesrepublik und wie es sichtbar wurde, entstand im Zusammenspiel von kalkulierten Strategien, den tatsächlichen Handlungen und deren Deutungen. Dabei lagen die Inszenierungen nicht allein in staatlicher Hand. Die staatliche Darstellung wäre ohne nichtstaatliche Akteure kaum möglich gewesen. Das, was der Gast und beobachtende Öffentlichkeiten als Selbstdarstellung der Bundesrepublik wahrnahmen, entstand in einem Aushandlungsprozess zwischen einer Vielzahl von Akteuren, zu denen 363
auch die »einfachen« Bundesbürger selbst zählten. Die Menschen am Straßenrand fügten sich nicht in ein asymmetrisches Verhältnis von Herrschenden und Beherrschten, sondern nahmen auf vielfältige Weise Einfluss auf die Ge schehnisse bei Staatsbesuchen. Die Massenmedien schufen nicht nur eigene Versionen der Ereignisse, sondern prägten die Bilder durch ihre Anwesenheit schon bei der Planung. Daher sollte die zeitgeschichtliche Forschung nicht nur die medialen Produkte, also Fotos, Filme und Fernsehsendungen, analysieren, sondern die strukturellen Verbindungen zwischen Politik, Öffentlichkeiten und Massenmedien entschlüsseln. Eine Politikgeschichte des 20. Jahrhunderts lässt sich kaum schreiben, ohne diese strukturelle Bedingtheit zu reflektieren.1 Die Analyse der Staatsbesuche macht aufmerksam auf die Rolle ausländischer Gäste und Beobachter in diesem Prozess und leistet so einen Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik unter den Vorzeichen einer Transfergeschichte. Denn der Weg zur internationalen Anerkennung des westdeutschen Staates führte nicht nur über die »Amerikanisierung« oder »Westernisierung«,2 sondern über eine weiter gehende Öffnung der Bundesrepublik. Diese Internationalisierung vollzog sich als Öffnung westdeutscher Orte für die Praktiken ausländischer Gäste. Berlin war Anschauungsort eines nationalen Problems, der deutschen Teilung, und zugleich ein internationaler Ort im Ost-WestKonflikt. John F. Kennedys berühmtes Diktum, »Ich bin ein Berliner«, das er in den Kontext des römischen »Civis romanus sum« stellte, lässt sich als ideologisches Identifikationsangebot mit der westlichen Welt lesen und gestand Berlin eine Bedeutung zu, die über die nationale deutsche Frage hinausreichte. Doch nicht nur westliche Verbündete, sondern alle ausländischen Gäste, auch unterhalb der Ebene der Staatsoberhäupter, schrieben durch ihre Handlungen die Geschichte der Stadt und der deutschen Teilung mit und gaben ihr so eine internationale Prägung. Die Aufmerksamkeit der Staatsgäste sicherte Berlin die Aufmerksamkeit der Massenmedien, die ihre Bilder der geteilten Stadt weltweit in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer trugen und zu einem international bekannten Objekt machten. Die Staatsgäste aus dem Ausland bestimmten zudem den bundesrepublikanischen Umgang mit der NS-Vergangenheit mit. Ihre Besuche in ehemaligen Konzentrationslagern und auf Friedhöfen nutzten sie für das Gedenken ihrer eigenen Toten und stellten sie so zugleich in ihren nationalen Kontext. Die Orte wurden auf diese Weise zu internationalen Orten des Gedenkens. Charles de Gaulle schuf z.B. durch seine Rede vor der Feldherrnhalle, einem durch die nationalsozialistischen Inszenierungen negativ besetzten Ort, einen transnationalen Moment deutsch-französischer Geschichte. Durch ihre Hand1 Vgl. Bösch/Borutta; Bösch/Frei; Schildt, Jahrhundert; Weisbrod, Medien; ders., Politik der Öffentlichkeit. 2 Vgl. Doering-Manteuffel, Wie westlich; zur Kritik des Konzepts der Verwestlichung Gassert.
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lungen schrieben sich die Staatsrepräsentanten anderer Nationen in das Bildrepertoire der Bundesrepublik ein. Die Westdeutschen schauten umgekehrt politisch über die Staatsgrenzen und die nationale Frage hinaus. Das westdeutsche Demokratieverständnis wurde nicht nur über innerdeutsche Belange wie etwa die Frage der Pressefreiheit im Zuge der Spiegel-Affäre entwickelt, sondern auch über die Beurteilung der politischen Regime weltweit. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft wurde nicht nur durch spezifisch westdeutsche Konfliktfelder wie die Notstandsgesetze geprägt, sondern ebenso dadurch, wie sich die Bundesrepublik und ihre staatlichen Repräsentanten zur Weltlage verhielten. Diese internationale Ausrichtung des Demokratieverständnisses der Bundesbürger und die vehementen Formen, in denen dies bisweilen zum Ausdruck gebracht wurde, lassen sich als Zeichen westdeutscher Irritation oder als Kompensation der NS-Zeit interpretieren. Die Konflikte zwischen Staat und Gesellschaft können aber zugleich als Prozess der Pluralisierung von Meinungen und damit als Teil eines Demokratisierungsprozesses gelesen werden. Dies leitet über zu einer grundlegenden Verschiebung der Perspektive auf die Geschichte der Bundesrepublik, die versucht, der Dynamik und Offenheit der Entwicklung stärker Rechnung zu tragen. Auch wenn die Blickwinkel auf die Geschichte der Bonner Republik immer vielfältiger werden,3 lesen sich Gesamtdarstellungen doch oftmals als Geschichte der politischen Entscheidungen und Entscheidungsträger, gegliedert nach Regierungszeiten, erweitert um Aspekte aus Wirtschaft und Kultur. Die Analyse der Staatsbesuche erlaubt in Ergänzung dazu, die Verquickung unterschiedlicher Bereiche des gesellschaftlichen und staatlichen Handelns zu betrachten und aus dem Blickwinkel der politischen Inszenierung einen weitreichenden Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik zu werfen. Die Geschichte der Bundesrepublik wurde im Kontext der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert in unterschiedlichen so genannten Meistererzählungen geschrieben:4 als »Erlösungsgeschichte«, in der auf die »Sünde« des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts nach einer Zeit der Buße während der deutschen Teilung die Erlösung durch die Wiedervereinigung folgte,5 als vom »Dauerzweifel an der demokratischen Substanz der Bundesrepublik« getragene »Bewährungsgeschichte«, als »Erfolgsgeschichte« des Modells Bundesrepublik6 oder als Parallelgeschichte zur DDR.7 Diese Ge3 Vgl. z.B. Calließ; Naumann, Nachkrieg; Schildt/Sywottek; Schildt, Dynamische Zeiten; Schissler, Miracle Years. 4 Vgl. Jarausch/Geyer; Jarausch/Sabrow. 5 Vgl. Jarausch/Geyer, S. 31f. 6 Vgl. Naumann, Historisierung, S. 55. 7 Letztlich zeigt diese Studie auch, dass es nach wie vor sinnvoll ist, die Bundesrepublik nicht nur im Vergleich mit der DDR zu historisieren. Sicherlich rangen die westdeutschen Staatsrepräsentanten mit der DDR um die Staatsgäste und kreierten bei Bedarf Gegenbilder zu dem, was sie
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schichten werden zumeist linear von der NS-Zeit als Ausgangspunkt bis zur Wiedervereinigung als Ende erzählt. Obwohl die fünfziger Jahre mittlerweile als ambivalent bzw. als »janusköpfig« und die langen sechziger Jahre als »dynamische Zeiten« gedeutet werden,8 geht diese Ambivalenz in den Synthesen zur Bonner Republik zugunsten eines »Stabilitätsaxioms« verloren.9 Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Studie erscheint die Repräsentationsgeschichte der Bundesrepublik dagegen dynamischer, als Suche, als Ausbalancieren zwischen teils extremen Polen. Bei der Repräsentation stand die Bundesrepublik immer wieder vor der Aufgabe, ein angemessenes Verhältnis von Pomp und Zurückhaltung zu finden. Die Besuchsregisseure konnten die Vergangenheit nicht ignorieren, gleichzeitig mussten sie Bilder für die bundesrepublikanische Gegenwart finden. Die politische Zukunft des Staatsgebildes hing auch vom Gelingen dieses Balanceaktes ab. Er wurde nicht nur durch staatliche Akteure gestaltet, sondern auch durch die Öffentlichkeiten auf den Straßen und in den Medien. Auf dieses Weise wirkten sie an einer Pluralisierung der öffentlich sichtbaren Meinungen mit. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bestand aus einem fortdauernden Suchprozess, in dem das staatliche Repräsentations- und Gewaltmonopol auf der einen Seite und gesellschaftliche Formen der Selbstdarstellung und Meinungsäußerung auf der anderen Seite wechselseitig aufeinander einwirkten. Die häufig diagnostizierte »Stabilität« der Bonner Republik ergab sich erst aus einem mühsamen Ringen um Form, Haltung und Balance zwischen unterschiedlichen Polen. Erst das permanente Ausbalancieren und Aushandeln weisen die Bundesrepublik als demokratischen bzw. sich demokratisierenden Staat aus.
hinter dem »Eisernen Vorhang« vermuteten. Doch lässt sich das Bildrepertoire der Bundesrepublik nicht nur über diesen Kontext erklären. 8 Vgl. Bollenbeck/Kaiser; Schildt/Sywottek; Schildt, Dynamische Zeiten. 9 Vgl. zum Stabilitätsaxiom Naumann, Historisierung, S. 56f.
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Danksagung Das vorliegende Buch ist die gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im April 2006 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Die Disputation fand am 11. Juli 2006 statt. An dieser Stelle bedanke ich mich bei allen, die mich beim Entstehen dieses Buches begleitet und unterstützt haben. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater und zuverlässigen Gesprächspartner, Prof. Dr. Jost Dülffer, für seine wissenschaftliche Neugierde, seine kritische Aufmerksamkeit und seine Nachfragen, durch die das Projekt immer wieder an Tiefenschärfe gewonnen hat. Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Margit Szöllösi-Janze für das Zweitgutachten und ihre Anregungen und präzisen Fragen, die der Arbeit sehr gut getan haben. Ihr und Prof. Dr. Ute Schneider danke ich zudem für die zeitlichen Freiräume während der Überarbeitung des Bandes für den Druck. Ich danke den Herausgebern für die Aufnahme in die Schriftenreihe »Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft«. Stipendien der Gerda Henkel Stiftung und des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz sowie die Zeit am Hamburger Institut für Sozialforschung schufen einen komfortablen Rahmen für die Arbeit an diesem Buch. Die Drucklegung ermöglichten die VG Wort und die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung. Ohne das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive und Bibliotheken, die ich besucht habe, wäre diese Arbeit nicht entstanden. Ich danke all jenen, die nicht auf die Uhr gesehen und mir unerschlossenes Material zugänglich gemacht haben. Ich danke meinen Interviewpartnern für ihr Vertrauen und die Einblicke, die sie in ihre Vergangenheit gewährten. Ebenso danke ich allen, die mir immer wieder Gelegenheit gaben, Teile meiner Forschungen im großen und kleinen Kreis zu diskutieren. Dr. Sabine Behrenbeck und Prof. Dr. Heinz Bude danke ich für den offenen Gedankenaustausch in der Konzeptionsphase des Projekts. Viele Freundinnen und Freunde konnten nicht genug über Staatsbesuche erfahren. Mein besonderer Dank gilt denen, die den Text ganz oder in Teilen gelesen und durch ihre Kommentare verbessert haben: Sabine Büttner, Dr. Sandra Heinen, Dr. Mechthild Hempe, Dr. Henning Hoff, Dr. Martin Kröger, Dr. Detlev Mares, Dr. Dirk Müller, Dr. Klaus Naumann und Dr. Jutta Person. Mascha Birger danke ich für das Erstellen des Registers. Mein letzter Dank gilt Dirk und meiner Familie. Ich danke ihnen für ihr Vertrauen und für ihre Zuversicht. 367
Abkürzungen AA ABC Abt. ACDP AEG AKBH APO ARD
Auswärtiges Amt American Broadcasting Company Abteilung Archiv für Christlich-Demokratische Politik Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Außerparlamentrische Opposition Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland ASTA Allgemeiner Studentenausschuss BA Bundesarchiv Koblenz BamS Bild am Sonntag Bd. Band Bde. Bände BDI Bundesverband der Deutschen Industrie BdV Bund der Vertriebenen BK Bundeskanzler BKA Bundeskriminalamt BKamt Bundeskanzleramt BM Bundesministerium BMI Bundesministerium des Innern BMVtg Bundesministerium für Verteidigung BMW Bayerische Motoren Werke BPA Bundespresseamt BPA-DOK Zentrales Dokumentationssystem des Bundespresseamtes BP Bundespräsident BPamt Bundespräsidialamt CBS Columbia Broadcasting Company CDU Christlich Demokratische Union CSU Christlich-Soziale Union DDR Deutsche Demokratische Republik DEMAG Deutsche Maschinenfabrik AG DFU Deutsche Friedensunion DGB Deutscher Gewerkschaftsbund d.h. das heißt DKP Deutsche Kommunistische Partei DLR Deutsches Luft- und Raumfahrtzentrum dpa Deutsche Presseagentur
368
DTV d. Verf. EG EGKS EWG FAZ FDP FR FRUS HAK HH IME i.V. Kap. KPD KPdSU KStA KUD LAB MSB NATO NBC Nl. NPD NRW NRZ NSDAP NWDR NZZ o.D. o.J. o.O. o.V. PA Parl. PR Prot. RAI Ref. RP SAVAK SDAJ SDR SDS SHB SPD
Deutscher Tanzlehrerverband die Verfasserin Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Frankfurter Rundschau Foreign Relations of the United States Historisches Archiv Krupp Hamburg Industriebau und Maschinenfabrik Essen in Vertretung Kapitel Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kölner Stadt-Anzeiger Kuratorium Unteilbares Deutschland Landesarchiv Berlin Marxistischer Studentenbund North Atlantic Treaty Organization National Broadcasting Company Nachlass Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nordrhein-Westfalen Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung Nationalsozialistische Partei Deutschlands Nordwestdeutscher Rundfunk Neue Zürcher Zeitung ohne Datum ohne Jahr ohne Ort ohne Verfasser Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Parlamentarische/r Public Relations Protokoll Radiotelevisione Italiana Referat Rheinische Post (iranischer Geheimdienst) Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Süddeutscher Rundfunk Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialdemokratischer Hochschulbund Sozialdemokratische Partei Deutschlands
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StS SZ UdSSR UNO US USA VDS VFF VVN WA WamS WAZ WDR WEU ZDF zit. n.
370
Staatssekretär Süddeutsche Zeitung Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organization United States United States of America Verband Deutscher Studentenschaften Volksbund für Frieden und Freiheit Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Werksarchiv (Bestände im HAK) Welt am Sonntag Westdeutsche Allgemeine Zeitung Westdeutscher Rundfunk Westeuropäische Union Zweites Deutsches Fernsehen zitiert nach
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Bundesarchiv Koblenz B 122 Bundespräsidialamt B 136 Bundeskanzleramt B 145 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Bildarchiv
Bundesarchiv/Filmarchiv Berlin Wochenschauen: Deutschlandspiegel Fox tönende Wochenschau Neue Deutsche Wochenschau Welt im Film
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Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin Dokumentationssystem: Mikrofilme und Mikrofiches der Presseausschnittsammlung (BPA-DOK) Bundesbildstelle
Landesarchiv Berlin B Rep. 002 Senatskanzlei Berlin Fotosammlung
Historisches Archiv Krupp, Essen WAK 42 Zentralbüro WAK 48 b Besuchswesen Kruppsche Mitteilungen/Krupp Mitteilungen
Archiv für Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin I-351 Nachlass Hermann Gottaut I-424 Depositum Klaus Otto Skibowski I-564 Nachlass Werner G. Krüger
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Abbildungsnachweis
Leider können einige Fotos aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlicht werden. Für die Abdruckgenehmigungen danke ich dem Bundesarchiv Koblenz. Hinweis zu den Fotos des Bundespresseamtes: In den Fällen, in denen das Bundesarchiv neue Signaturen vergeben hat, wurden diese für die Abbildungen aufgenommen, wenn der Bildausschnitt im Vergleich zum Originalnegativ nicht verändert wurde. Ansonsten beruhen die Angaben auf den alten Signaturen des Bundespresseamtes, die sich aus Negativ- und Bildnummer zusammensetzen. Abb. 1: BA, B145, Bild-F003876-0009, Fotograf: Rolf Unterberg Abb. 2: BA, B145, Bild-F003632-0011, Fotograf: Egon Steiner Abb. 3: BA, B145, Bild-F002263-0009, Fotograf: Brodde Abb. 4: BA, B145, Bild-F015831-0015, Fotograf: Ludwig Wegmann Abb. 5: BA, B145, Bild-F013788-0048, Fotograf: Ludwig Wegmann Abb. 6: BA, B145, Bild-F013928-0037, Fotograf: Simon Müller Abb. 7: BA, B145, Bild-00021281 (alte Signatur: 70198), Fotograf: Lothar Schaack Abb. 8: Bildpostkarte, Verlag Edm. von König, Heidelberg, Slg. Derix Abb. 9: BA, B145, Bild-F013182-0010, Fotograf: unbekannt Abb. 10: BA, B145, Bild-F052779-0016, Fotograf: unbekannt Abb. 11: BA, B145, Bild-F002457-0022, Fotograf: Doris Adrian Abb. 12: BA, B145, Bild-00011828 (alte Signatur: 13861), Fotograf: Simon Müller Abb. 13: BA, B145, Bild-F006853-0050, Fotograf: Simon Müller Abb. 14: BA, B145, Bild-F020261-0002A, Fotograf: Egon Steiner Abb. 15: BA, B145, Bild-00004322 (alte Signatur: 15757), Fotograf: Egon Steiner Abb. 16: BA, B145, Bild-P094993, Fotograf: wahrscheinlich Klaus Schütz Abb. 17: BA, B145, Bild-00099300 (alte Signatur: 95001), Fotograf: Klaus Schütz Abb. 18: BA, B145, Bild-00099310 (alte Signatur: 24923), Fotograf: Detlef Gräfingholt Abb. 19: BA, B145, Bild-F055619-0012, Fotograf: Engelbert Reineke Abb. 20: BA, B145, Bild-F055620-0010, Fotograf: Engelbert Reineke
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Register (Auswahl) Aachen 182, 185, 294, 300f. Abboud, Ibrahim 67, 98–101 Acheson, Dean 89, 180f. Adenauer, Konrad 27, 31, 37, 41, 46, 49, 51, 91f., 94, 135, 137f., 141, 169, 182–186, 195f., 228, 230, 233f., 239–241, 244f., 247, 252, 254, 258, 265, 269, 271, 276, 280, 322, 337, 339, 341, 349 Ahidjo, Ahmadou 69, 104f. Akihito, Kronprinz von Japan 61, 192f. Albertz, Heinrich 101f., 164 ARD 153, 332, 354, 356f. Ayub Khan, Muhammed 69, 209, 345 Bahr, Egon 101, 115, 123 Baudouin I., König von Belgien 187, 320, 350 Bayar, Celal 52f., 66, 110, 267, 284 Bayern 43, 92, 152, 176, 180, 202–218, 270 Beatrix, Königin der Niederlande 149f., 155 Bech, Joseph 196 Beitz, Berthold 69, 83, 85, 87 Berchtesgaden 175–177, 205, 210 Bergen-Belsen 150, 159, 161, 164, 167, 170, 172–175 Berlin 22, 24–26, 28, 89–133, 144–150, 154, 162–164, 170, 177, 179, 189, 199f., 203, 207– 209, 218, 228, 239–241, 248, 250, 252, 255, 260, 268f., 271f., 277, 289, 291–293, 295–297, 299, 305, 308f., 321–323, 333, 360f., 364 –– Bernauer Straße 101, 104, 115, 120–122 –– Brandenburger Tor 95, 99, 109–112, 114–119, 121, 123, 132, 239, 269 –– Checkpoint Charlie 109, 115–117 –– Deutsche Oper 126, 200, 203, 293, 297 –– Gedächtniskirche 114, 269 –– Kurfürstendamm 93, 113f., 125 –– Mauer 96–98, 102–106, 109–117, 119– 126, 128, 130–133, 149, 162f., 241, 249f., 269, 360 –– Plötzensee 108, 146–150, 158f., 162f., 169, 174, 177 –– Potsdamer Platz 111f., 115f., 121, 123 –– Reichstag 99, 101, 103, 111, 115, 119f., 162, 269 –– Schloss Bellevue 94f., 108 –– Schöneberger Rathaus 96, 250, 293
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Beyen, Johan W. 136 Bhumibol, König von Thailand 66, 68f., 73, 81, 84, 86f., 95, 188, 192, 203, 345 Bitburg 150, 160f., 166–175, 360 Bongo, Omar 215 Bonn passim –– Beethovenhalle 55, 316 –– Bundeshaus 136f., 242 –– Hofgarten 122, 144f., 294 –– Kanzlerbungalow 55, 338, 342 –– Marktplatz 56, 221, 226, 247, 282 –– Palais Schaumburg 54, 188 –– Villa Hammerschmidt 330, 334 Bourguiba, Habib 76 Brandt, Rut 342 Brandt, Willy 26, 33, 100, 108, 110, 114, 121, 153f., 156, 167, 177, 271f., 300, 314–316, 321f., 324, 326, 339, 341f., 348, 353, 361 Braun, Sigismund Freiherr von 32, 38, 55, 345 Brentano, Heinrich von 51, 90, 136 Breschnew, Leonid 57, 197, 249, 321–325, 339, 341f., 352, 357 Brodmann, Roman 308, 332f. Brühl 55, 328, 348 –– Schloss Augustusburg 55, 148, 150, 172, 330, 334, 347 Bund der Vertriebenen (BdV) 242–250 Bundeskriminalamt (BKA) 35, 290–292, 298, 322, 324 Bundespresseamt (BPA) 22, 24–27, 35, 45, 54, 65f., 96, 101, 142, 153, 199, 222f., 229f., 234–236, 248, 259, 265–268, 270–273, 280– 285, 322, 333, 336, 339 Bundesrat 37, 190, 344 Bundestag 32, 37, 40, 44, 91, 94, 128–130, 136f., 167f., 190, 244f., 272, 274, 302, 305– 310, 313, 315, 319, 328, 344–347, 357, 362 Bundesverfassungsgericht 37, 91, 280 Bundeswehr 51–53, 139f., 170, 172, 225, 362 Carl XVI. Gustaf, König von Schweden 201, 340 Carstens, Karl 103, 129f., 158, 246, 282, 322, 353 Carter, Jimmy 131f., 188f., 224, 339, 352 Casey, Richard G. 137
CDU 59, 94, 128–130, 184, 230, 237, 244, 249, 268, 272, 305, 312, 315, 344 Ceauşescu, Nicolae 57, 249, 321, 341 Chruschtschow, Nikita 56, 76, 240, 252, 275f. CSU 59, 128, 244, 272, 305f., 319 Dachau 151–153, 164f., 174, 360 Deutsche Wochenschau 25, 96, 237, 239, 265–267, 270–272, 275, 279f., 355 DKP 325 Dörnberg, Alexander Freiherr von 39 Duisburg 66, 75, 139f., 189, 290, 301 Dutschke, Rudi 288, 293 Eanes, António dos Santos Ramalho 214f. Echeverría Álvarez, Luis 205 Eisenhower, Dwight D. 53, 95, 223, 226f., 229, 232, 235, 239f., 242–245, 250, 252–255, 261, 267, 276f., 279f. Elizabeth II., Königin von Großbritannien und Nordirland 24, 53, 98, 119, 123, 125, 131, 163f., 190f., 197, 204, 216f., 223, 228, 231, 234, 248f., 252, 260, 262–264, 268, 270–276, 283, 301, 320, 323f., 336f., 347f., 351, 355, 362 Erhard, Ludwig 68, 124, 155, 209, 271f., 287 Essen 24, 28, 64f., 67–70, 74, 76–78, 81, 360 Farah Diba, Kaiserin von Iran 199, 288, 294, 299, 301, 335–337 FDP 59, 257, 308–310, 313, 346 Fechter, Peter 122 Finck von Finckenstein, Hans-Werner Graf 33, 255 Finnbogadóttir, Vigdís 177 Flossenbürg 148, 158f. Frankfurt am Main 160, 251, 275, 286, 297, 311, 324, 347 Frei, Eduardo 97 Friederike, Königin von Griechenland 51, 67, 72f., 78, 80f., 83 Frondizi, Arturo 86 Garmisch-Partenkirchen 176, 205, 207 Gasperi, Alcide De 61, 65, 182–185, 195, 221 Gaulle, Charles de 25, 53f., 66, 103, 138–143, 151, 162, 181, 183, 187, 195, 203f., 223, 225, 227, 230, 233–238, 241, 243, 245–247, 255– 260, 267f., 278, 282f., 301, 320, 322, 346, 360, 362, 364 Geisel, Ernesto 215, 328 Genscher, Hans-Dietrich 58, 130, 324, 339 Gerstenmaier, Eugen 150, 190, 345 Gierek, Edward 154 Giscard d’Estaing, Valéry 145 Goppel, Alfons 152, 213, 272 Gorbatschow, Michael 57, 133, 164, 250, 330 Gorbatschowa, Raissa 82f., 338
Gronchi, Giovanni 65 Gruber, Karl 61, 136, 185, 187 Die Grünen 167, 172, 342, 353 Habyarimana, Juvénal 130 Haile Selassie I., Kaiser von Äthiopien 45, 51, 65, 75, 78f., 81, 85, 90, 136, 185f., 188, 231, 265 Hamburg 46, 62, 95, 139, 157, 163, 178, 185, 217, 231, 257, 265f., 296f., 307f., 334, 367 Hase, Karl-Günther von 216, 222, 307, 313 Hassan II., König von Marokko 105f., 235, 300 Heidelberg 93, 192, 198, 200–202, 297 Heinemann, Elisabeth 327f. Heinemann, Gustav 33, 46, 129, 135, 153, 155–157, 194, 249, 314, 326–328, 345, 348–350 Herrenchiemsee 176, 205 Herwarth von Bittenfeld, Hans 31f., 38–40, 42, 65, 227 Herzog, Chaim 157, 159–163, 330 Heuss, Theodor 41, 45f., 51, 55, 66f., 135, 152, 185, 222, 252, 260f., 263, 345, 350 Hirohito, Kaiser von Japan 177, 191–195, 351 Hitler, Adolf 65, 108, 140f., 146, 173, 175– 177, 203, 210, 242, 257f., 326, 336 Holleben, Ehrenfried von 32, 104f., 223, 241, 247 Holtermann, Erhard 33 Honecker, Erich 58f., 65, 131, 353 Hoover, Herbert 137 Houphouët-Boigny, Félix 124, 210, 301, 317 Hussein I., König von Jordanien 94, 148, 155 Juliana, Königin der Niederlande 82, 128, 153, 155–157, 320, 338, 351 Kaunda, Kenneth David 349 Keita, Modibo 73f., 81, 98, 206, 208 Kennedy, John F. 14, 22, 25, 35, 94, 96, 108f., 114, 116–119, 121, 123, 132, 147, 151, 223, 225, 227f., 231, 233–236, 241f., 245, 247f., 250–252, 258–260, 268–272, 277, 279–283, 301, 320, 322f., 337, 347, 362, 364 Kiesinger, Kurt Georg 153, 310, 311, 313 KPD 237 Köln 39, 132, 139, 181–184, 186f., 192f., 232, 237, 252, 256, 259, 276, 290f., 294, 310, 315, 334, 348, 352 Kohl, Hannelore 164 Kohl, Helmut 59f., 146, 160, 165–170, 172, 174f., 217, 339 Krupp von Bohlen und Halbach, Alfried 65f., 69f., 74, 83, 87 Krupp (Konzern) 24, 28, 61, 64–88, 194, 360
399
Kuratorium Unteilbares Deutschland (KUD) 91, 94f., 114, 238–243, 245, 250 Lange, Halvard Manthey 136f. Lopez Mateos, Adolfo 100–104, 189 Ludwigsburg 139f., 143, 187, 232, 246 Lübke, Heinrich 94, 143–145, 151, 153, 181, 230, 258, 307, 344f., 347f., 350 Lücke, Paul 309, 314f., 346 Mahendra, König von Nepal 76, 121 Mainz 181, 189, 194, 216, 297, 324, 367 Makarios III. 96, 121 Margaret, Prinzessin von York 224f. Margrethe II., Königin von Dänemark 129, 333, 352 Maria Laach 182, 184 Menderes, Adnan 51, 137, 204 Menzies, Robert Gordon 198 Mitterrand, François 161, 165, 170, 172, 330 Mobilwerbung 229f., 232–236, 270, 280, 362 Mobutu, Joseph-Désiré 126, 206, 319 Mohr, Ernst-Günther 32, 45f. München 58, 139–143, 192f., 198, 201–204, 212f., 246, 251, 261, 290f., 296–298, 308, 324 Ne Win 204f. Nehru, Jawaharlal 62, 69 Neuengamme 157 Nirumand, Bahman 289, 292–294, 298 Nixon, Richard 148, 321f., 338 Ohnesorg, Benno 26, 289, 297, 299, 304, 306, 308, 333 Olav V., König von Norwegen 154f., 213 Olympio, Sylvanus 110, 190, 195, 199, 207, 209 Osman, Aden A. 105 Pahlavi, Mohammed Reza, Schah von Iran 11, 26, 36, 90, 95, 124–126, 176, 223, 225–227, 261, 266, 278, 288–308, 310–318, 325f., 332f., 362 Papagos, Alexandros 135, 185, 202, 227 Pappritz, Erica 24, 32, 38–40, 43, 69, 262, 349 Paul I., König von Griechenland 51, 67, 72 Peres, Schimon 162 Pertini, Sandro 148f., 157–159 Podewils-Dürnitz, Max Graf von 33f., 193 Polizei 35, 51f., 58, 125, 132, 143, 164, 174, 177, 225–229, 233, 247, 289–292, 294, 296– 300, 302–305, 307–310, 317–319, 322f., 325, 332f., 350, 362 Rabin, Itzak 159 Rau, Johannes 340, 353 Reagan, Ronald 132f., 161, 165–168, 171f., 174, 352 Reuter, Ernst 89f.
400
Rhein 46, 69, 139, 178f., 180–199, 202, 214, 217, 233f., 244, 321f., 361 Rothenburg ob der Tauber 198–200, 296 Saragat, Giuseppe 234 Schärf, Adolf 145, 201 Scheel, Walter 128f., 214, 326, 328, 350, 353 Schiwkow, Todor 65 Schmidt, Helmut 131, 146, 188f., 217, 249, 307, 324f., 328–341, 353 Schoeller, Franz Joachim 33f. Schröder, Gerhard 94, 241 Schütz, Klaus 128 Schulenburg, Werner Graf von der 33 Schuman, Robert 61, 89 Schwarzmann, Hans 11, 32f., 46, 155, 284, 306f., 348 Schwippert, Hans 137 Schwippert, Kurt 143 Segni, Antonio 151–153, 186f. Senghor, Léopold Sédar 213, 286, 345 Siekmann, Ida 121f. Silvia, Königin von Schweden 201f. Sirikit, Königin von Thailand 73, 81, 95, 188, 192, 203, 345 Smend, Rudolf 11, 40, 267, 318 Soraya, Kaiserin von Iran 176, 231, 261, 351 SPD 59, 94, 167, 172, 235, 244, 252, 271f., 302, 304–307, 309f., 328, 346, 349, 351 St. Laurent, Louis Stephen 135 Strauß, Franz Josef 58 Stroessner, Alfredo 209–212, 319 Stukenbrock 164 Suharto 176, 203, 210f., 319f., 326–328, 349, 351 Suhr, Otto 90 Sukarno 63, 80, 90, 93, 96, 201 Sunay, Cevdet 77, 127, 327, 349 Thieu, Nguyen Van 326 Tito, Josip Broz 88, 154, 212, 324f., 333, 341 Tombalbaye, François 86 Touré, Ahmed Sékou 208 Tschombé, Moïse 288 Tsiranana, Philibert 97, 106f., 120 Tubman, William 111, 116, 119 Tupou IV., König von Tonga 213 Volksbund für Frieden und Freiheit (VFF) 237f., 362 WDR/NWDR 131, 274, 282, 356f. Wehner, Herbert 129f., 258 Weizsäcker, Richard Freiherr von 58, 160– 163, 175, 330, 349 Zahir Schah, Mohammed, König von Afghanistan 208 ZDF 153, 169, 216, 332, 356f.