Bauen aus der Not: Architektur und Städtebau in Thüringen 1945-1949 9783412214173, 9783412206451


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Bauen aus der Not: Architektur und Städtebau in Thüringen 1945-1949
 9783412214173, 9783412206451

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Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 31

Ulrich Wieler

Bauen aus der Not Architektur und Städtebau in Thüringen 1945–1949

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie die Stahlwerk Thüringen GmbH, Unterwellenborn.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Studentinnen beim Arbeitseinsatz des Planungsverbandes Hochschule Weimar, um 1946. Quelle: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20645-1

Bauen aus der Not

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 31

Ulrich Wieler

Bauen aus der Not Architektur und Städtebau in Thüringen 1945–1949

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie die Stahlwerk Thüringen GmbH, Unterwellenborn.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Studentinnen beim Arbeitseinsatz des Planungsverbandes Hochschule Weimar, um 1946. Quelle: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20645-1

Inhalt

Vorwort .............................................................................................................

9

1 Vier Jahre in der Mitte Deutschlands – Das Labor hinter den Debatten ....

11

1.1 Blickrahmen und Ausschnitt .................................................................. 15 1.1.1 Beschränkung und Erweiterung auf einen Zeitraum ................. 15 1.1.2 Thüringen – eine Region auf wechselndem Gebiet ................... 19 1.2 Stand und Motive der Forschung .......................................................... 21 1.2.1 Sichtweisen vor 1989 – Der geteilte Blick auf sich selbst ........ 21 1.2.2 Sichtweisen nach 1989 – Gemeinsame Perspektiven ................ 23 1.2.3 Arbeitsweisen und eigene Vorarbeiten ........................................ 27 1.2.4 Anwendung .................................................................................... 29

2 Wie Bauen? Eine deutsche Diskussion nach 1945 ...................................

31

2.1 Die Versprechen des Neubeginns .......................................................... 2.1.1 Die Ästhetik des Mangels ............................................................. 2.1.2 Die SBZ als Schauplatz tugendhafter Not? ................................. 2.1.3 Angst und Utopie eines Jahrhunderts ......................................... 2.1.4 Meinungen zum Ende und Anfang ............................................. 2.1.5 „Verlust der Mitte“ ......................................................................... 2.1.6 Zwischen Architektur- und Gesellschaftsidealen ....................... 2.1.7 Die neue Stadt auf der tabula rasa ............................................. 2.1.8 Industrialisierung und Massenbedarf ..........................................

31 34 37 41 43 43 45 49 53

2.2 Die SBZ als eigenes Diskussionsmilieu ................................................. 54 2.2.1 Ideen um Material, Baustoffe und Bauweisen ........................... 61 2.2.2 Ausblick auf eine geteilte Debatte nach 1950 ........................... 66

6

INHALT

3 Bedingungen des Thüringer Weges ............................................................ 69 3.1 Die verschobene Mitte Deutschlands .................................................... 3.1.1 Chance der Provinz. Tradition des Provinziellen ....................... 3.1.2 Thüringen und seine Nachbarn .................................................... 3.1.3 Erstereignisse und Modellerfahrungen der SBZ..........................

73 76 78 81

3.2 Aktionsstruktur und Institutionen ......................................................... 3.2.1 Verwaltung und Gesetze des Bauens ........................................... 3.2.2 Das Bild des Planers. Berufsverbände und Interessenvertretungen ................................................................................... 3.2.3 Thüringer Architektenschaft ......................................................... 3.2.4 Generationsverschiebungen ..........................................................

84 85 86 91 97

3.3 Die „produzierende Hochschule“ in Weimar ........................................ 3.3.1 Das Bauhaus. Marke und Erinnerung .......................................... 3.3.2 Das Selbstverständnis der Weimarer Hochschule ...................... 3.3.3 Personal und Ideen ........................................................................ 3.3.4 Gustav Hassenpflug. Der gesundheitliche Städtebau ................ 3.3.5 Hermann Henselmann. Initiator, Architekt und Lehrer ............. 3.3.6 Ein Planungsverband als institutionelle Versuchsbaustelle ...... 3.3.7 Aktionsfeld Bodenreform. Neubauernprogramm in Thüringen .... 3.3.8 Aktionsfeld Städtebau. Aufbauideen und ihre Vermittlung ..... 3.3.9 Institutionelles Zwischenwesen in Hoheitskonkurrenzen ......... 3.3.10 Metamorphose eines Experiments .............................................

101 103 105 108 114 122 127 130 131 133 137

4 Erbe – Thüringer Aktionsfelder in Aufbau, Umbau und Neubau .......... 141 4.1 Aufbau. Städte suchen ein neues Bild .................................................. 4.1.1 Das doppelt verlorene Nordhausen ............................................. 4.1.2 Weimar in Nordhausen. Der Planungsverband .......................... 4.1.3 Missverständnisse und „einsetzende Baulust“ ............................ 4.1.4 Mahnen und Warten. Erste Bauten ............................................. 4.1.5 Eine Stadt sucht sich selbst .......................................................... 4.1.6 Erfurts Transformation zur Hauptstadt .......................................

142 143 147 154 157 159 162

4.2 Umbau an Symbolen, Kultur- und Erbeorten ...................................... 166 4.2.1 Alte Denkmäler im Bedeutungswandel. Der Kyffhäuser ........... 168 4.2.2 Neue Denkmäler um neue Inhalte. Buchenwald ........................ 171

INHALT 4.2.3 Klassisches Erbe in neuer Form. Das Weimarer Nationaltheater ... 4.2.4 „Entgiftung“ und „Entprovinzialisierung“. Goethe und das Jahr 1949 ................................................................................. 4.2.5 Das Kulturhaus. Perspektiven eines neuen Bautyps .................. 4.2.6 Neubau um die Maxhütte Unterwellenborn ............................... 4.2.7 Neue wirtschaftliche Vorzeichen und das Wesen „Max“ .......... 4.2.8 Heimatentwürfe. Siedlungen um die Maxhütte ......................... 4.2.9 Das Werk zwischen den Dörfern ................................................. 4.2.10 Chance für junge Planer. Wettbewerb zur Siedlungserweiterung Kamsdorf ................................................................. 4.2.11 Das Jugenddorf. Vorabversuch einer gebauten Gemeinschaft ... 4.2.12 Ausblick auf einen „Sozialistischen Realismus“ ......................

7 176 180 187 195 196 198 199 203 208 213

5 Reform – Ländliches Bauen und „Neue Dorfdemokratie“ ....................... 217 5.1 Traditionen der Agrarreform ................................................................. 5.1.1 Boden und Raum ........................................................................... 5.1.2 Bodenreform als deutscher Sonderweg ....................................... 5.1.3 Bauformen im Neubauernprogramm ...........................................

218 219 222 224

5.2 Das Neubauernprogramm – Die Thüringer Variante .......................... 5.2.1 „Neue Dorfdemokratie“ als gesellschaftliches Versprechen ....... 5.2.2 Modellgesellschaften ..................................................................... 5.2.3 Die handbuchwürdigen Dörfer. Grossfurra-Neuheide und Seega ... 5.2.4 Bandstadtprojekt Mühlhausen-Langensalza ............................... 5.2.5 Die fünfzig Tage von Bruchstedt .................................................

226 228 231 232 242 249

5.3 Zentral- und Modellschulen. Die „Demokratische Bildungsreform“ ... 5.3.1 Thüringer Traditionen der Reformpädagogik ............................. 5.3.2 Bauen gegen die Schulkaserne .................................................... 5.3.3 Zentralisieren und Gliedern. Testfeld Thüringen .......................

252 255 256 267

6

Thüringer Konstellationen und Substrate. Fazit und Thesen ............. 271

8

INHALT

Quellen- und Literaturverzeichnis ................................................................. 278 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. 300 Personenregister .............................................................................................. 301 Ortsregister ....................................................................................................... 303

Vorwort

Über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beginnt eine Zeit aus dem Bewusstsein zu verschwinden, die dem 20. Jahrhundert einen entscheidenden Charakterwechsel gegeben hat. Der Drehpunkt 1945 war es, um den sich Ideen des gesamten Jahrhunderts neu ausrichten konnten. Die ersten Jahre danach haben Orientierungen ausgelöst, deren Auswirkungen sich bis heute verfolgen lassen. Als Nachgeborener und Nicht-Thüringer nehme ich eine doppelte Außenposition ein, welcher ich jedoch gerade einen hauptsächlichen Be weggrund für das vorliegende Buch verdanke. Ausgehend von einem Anfangsinteresse für das Bauen und seine Umstände nach 1945 wuchs bei meiner Arbeit die Einsicht, einem Kapitel der Zeitgeschichte beim Übergang von der erzählten zur nur mehr geschriebenen Weitergabe beizuwohnen. Gerade die zahlreichen Gespräche mit teilweise sehr betagten Zeitzeugen oder deren Nachkommen haben dem Weiterforschen immer wieder neuen Antrieb gegeben. Die Arbeit hat sich als Dissertation in Abschnitten entwickelt. Begonnen im wissenschaftlichen Dienstverhältnis der Bauhaus-Universität Weimar, zog sich die Hauptbearbeitungszeit in die Jahre der Berufstätigkeit als Architekt. Die selbst erlebte Nähe zum Architektenalltag hat die beschreibende Distanz zum Thema schrumpfen lassen. Diese Nähe wiederum gab der Arbeit über Jahre den dauerhaften Impuls, über Grundmotivationen in planenden Berufen und ihre wiederkehrenden Eigengesetzlichkeiten nachzudenken. So haben mich Bestärkung und Unterstützung zu dieser Arbeit sowohl aus wissenschaftlichem als auch aus dem berufspraktischen Kollegenkreis erreicht. Mein Dank geht zuerst an meinen Mentor, Prof. Dr. Gerd Zimmermann, der den Werdegang der Arbeit in vielen Gesprächen mit seiner beharr lichen Teilnahme förderte, das Thema mit entscheidenden Fragen konfrontierte und dabei immer wieder weiterführte. Dank ist an die Zweitgutachter Prof. Dr. Thomas Topfstedt und Prof. Dr. Werner Durth zu richten, die in persönlichen Vorgesprächen der Suche entscheidende Ausrichtungen geben konnten. Großer Dank ist den unmittelbaren freundschaftlichen Weggefährten zu zollen, die der Arbeit einen Initialschub gaben oder die deren langsames Reifen hartnäckig, geduldig und kritisch kommentiert haben. Das waren

vor allem Dr. Marcus Gärtner, der ein wesentlicher Geburtshelfer des Dissertationsprojekts war, und in besonderem Maß Dr. Mark Escherich, ohne dessen Diskussionsbereitschaft dieser Zusammenstellung manche Perspektive fehlen würde. Dass mir meine Familie, gerade bei der Fertigstellung, mit viel Geduld einen großen Freiraum gewährte, dafür gilt meiner Frau Antje und meinen Söhnen Georg und Jobst mein tiefer Dank. Dass die „Historische Kommission für Thüringen“ das Thema in die „Kleine Reihe“ ihrer Veröffentlichungen aufgenommen hat, bedeutet nicht nur eine fachliche Anerkennung, sondern stellt mit dem Böhlau-Verlag der Veröffentlichung einen sehr kooperativen Partner zur Seite. Besonderer Dank geht darum an Herrn Prof. Dr. Werner Greiling, den Vorsitzenden der „Historischen Kommission für Thüringen“, sowie den Lektor des Böhlau Verlags, Herrn Harald S. Liehr. Das Team zur Publikation hat sich um die Gra fi kerin Nicola Siebert und die Kunsthistorikerin Elke Dallmann erweitert, die dankenswerterweise dabei halfen, das vorliegende Buch sehr beharrlich in Layout und redaktioneller Qualität zum Abschluss zu bringen. Was wäre ein solches Buchprojekt ohne die diversen Gönner, die sich sowohl privat rekrutieren ließen als auch aus thematischen Anknüpfungspunkten des Buches ergaben. So ist nicht nur herzlich meiner Familie und Schwiegerfamilie zu danken, sondern auch der Stahlwerk Thüringen GmbH, Unterwellenborn. Die wichtigste fi nanzielle Unterstützung ist dem Buchprojekt schließlich aus Mitteln der „Historischen Kommission für Thüringen“ erwachsen, die ihr vom Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur für landesgeschichtliche Grundlagenforschung zur Verfügung gestellt wurden. Dieses Engagement ist ebenfalls in Dankbarkeit zu würdigen. Wien und Weimar, im Dezember 2010

11

1 Vier Jahre in der Mitte Deutschlands – Das Labor hinter den Debatten

Das Ende des Zweiten Weltkriegs zeichnete in Deutschland ein Bild aus Zerstörung, Unordnung und Demoralisierung. Zu den ausgebrannten Hüllen der Städte gehörte ein Volk, dem das Bewusstsein fehlte, aus Bürgern zu bestehen, und das selbst den „Eindruck psychischer Ruinen“1 machte. Die ausgeglühte Stadt stand gleichermaßen für die Fragwürdigkeit des Vergangenen wie des Kommenden. Stadtferne ländliche Regionen waren von Kriegsauswirkungen weniger belastet und für viele Evakuierte, Vertriebene und Entwurzelte vorübergehend Ort individueller Überlebensstrategien geworden. Die Menschen stünden unter einem „Zwang der Reprivatisierung“2 so Theodor W. Adorno. Die alte und zerstörungsreich umkämpfte Hauptstadt Berlin war in ihrem Zentrumsstatus geschwächt. Aufgeteilt in Besatzungszonen erlebte Deutschland eine Regionalisierung, die neue Orte kulturell und geistig besetzte. Auch wenn in den ersten Jahren nach 1945 an die Teilung Deutschlands noch niemand glauben mochte, begannen die Besatzermächte, mit ihren politischen und ideologischen Absichten, verschiedene Geistesmilieus zu schaffen. Stand am Beginn die Entnazifizierung und damit eine weiter gefasste Idee, die Deutschen in die Gemeinschaft zivilisierter Gesellschaften zurück zu holen, so verschoben sich die Umerziehungsanstrengungen bald auf das Modell einer marktwirtschaftlichen Demokratie einerseits und auf den Aufbau des Sozialismus andererseits. Dazu mussten die West- und Ostzonen ihre territoriale Ausrichtung weltanschaulich neu justieren. Die Einbindung nach Westen ließ die Vereinigten Staaten zur politischen und kulturellen Projektionsrichtung der späteren Bundesrepublik werden. Die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) sah sich dagegen plötzlich einem offenen europäischen Osten gegenüber, der, und das war neu in der jüngeren deutschen Geschichte, nicht mehr Eroberungs- und Feindesraum, sondern Bundesgenosse sein sollte. In beiden Fällen wurde den Deutschen eine Haltung abverlangt, die sich scharf von lange gepflegten nationalen und kulturellen Abgrenzungsstereotypen unterschied.

1 2

Vgl. Confurius 2000, S. 215. Adorno 1949, S. 469.

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DEBATTEN

Mit der politischen Wirklichkeit der Sowjetischen Besatzungszone geriet die „alte Mitte Deutschlands“ in eine verschobene Balance. Sie befand sich nun im Süden der SBZ und im Osten eines neu geordneten deutschen Territorialgefüges. Hier lag nach 1945 nach wie vor das Land Thüringen, auf das seit dem 19. Jahrhundert das Bild vom „Grünen Herzen“ Deutschlands angewendet wurde. Was schon früh zu einem touristischen Marketing-Konzept gehörte, lieferte besonders nach 1871 eine tiefere, biologisch gefärbte Aussage zur gewünschten Rolle Thüringens in einem deutschen Reichskörper. Es war zum einen das Bild der Natur, des Waldes, das den Bezug zu einer deutschen Mystik sicherte. Zum anderen war es die in Thüringen gehäufte Verortung von Geschichte um Personen wie Johann Sebastian Bach, Martin Luther, Thomas Müntzer und Johann Wolfgang von Goethe. Mit Symbolorten wie der Wartburg oder dem Kyffhäuser sicherte sich die Region den Anspruch, ein Zentrum deutscher Kultur, wenn nicht gar eine Wiege deutscher Nation zu sein. Der deutsche Nationalismus hatte den Begriff vom „Grünen Herzen“, einer gesunden Mitte Deutschlands, sogar als Gegensatz zur als verdorben verrufenen Metropole in der Gestalt Berlins aufgebaut.3 Thüringen bot nach 1945 als großstadtfernes Land mit geringer Kriegzerstörung gute Voraussetzungen für eine funktionierende Region. Seine Lage versprach einen Brückencharakter zwischen den Besatzungszonen. Dieses Milieu verband sich mit vorhandenen und neuen Institutionen wie z.B. den Hochschulen in Weimar und Jena zu neuen personellen Netzwerken, die nur bis zur Republikgründung 1949 in dieser Zusammensetzung bestanden. Die Debatten um den Wiederaufbau, wie sie in den zerstörten Großstädten geführt wurden, schienen in Thüringen fern. Architekten wie Rudolf Schwarz, Hugo Häring oder Egon Eiermann traten als Vordenker und Ideengeber im Nachkriegsdeutschland auf. Ihre Standpunkte und Schriften hatten dennoch eine begrenzte Verbreitung in der SBZ. Thüringen wiederum hatte ein eigenes Bedarfsgemisch, in dem die Schwerpunkte Bodenreform, ländliches Bauen, Kulturversorgung oder auch der Schulbau eine größere Rolle spielten als das neue Gesicht der Stadt. Diese Arbeit will den charakteristischen Status Thüringens als Labor, als Theorie- und Experimentierfeld für Planungen und Bauprojekte prüfen, die kennzeichnend für die ersten Nachkriegsjahre in der SBZ und darüber hinaus waren. Wie sehr neue sozialistische Gesellschaftsideen sich mit übernommenen Inhalten der Zwischenkriegszeit verbanden und wo sie beide auf Gebote des Mangels trafen, muss der differenzierende Blick aufzeigen. Früh verwirklichte Projekte konnten über den Thüringer Kontext hinaus als Vorbilder nach außen strahlen. Ziel dieser Arbeit ist, architektonische Erst3

Vgl. John, in: Gibas 2003, S. 124.

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DEBATTEN

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Bild 1: Das zerstörte Weimarer Theater. Davor die noch eingehausten Standbilder Goethes und Schillers

ereignisse der Nachkriegszeit in Thüringen zu orten und die exemplarischen Eigenschaften an ihrer Wirkungsgeschichte nachzuzeichnen. Die Arbeit gliedert sich nach der Erläuterung von Blickrahmen, Forschungsstand und historischer Einbettung im ersten Kapitel in vier weitere Abschnitte. Zuerst werden die architektonischen Diskussionsfelder gesichtet, die innerhalb der Westzonen, in der SBZ und zwischen den Zonen funktionierten. Damit werden im zweiten Kapitel die Argumente geprüft, die in der deutschsprachigen Diskussion gegeneinander standen und die für die SBZ und darin für Thüringen eine Bedeutung hatten. Netzwerke und Institutionen der SBZ vollzogen einen offensichtlicheren Bruch mit dem Entscheidungsgefüge des Nationalsozialismus als es in den Westzonen passierte. Wie sehr man sich trotzdem auf robuste Strukturen verlassen konnte und wo der gesellschaftliche Wandel sich auf die Stellung von Berufsständen oder die Ausbildung des Nachwuchses auswirkte, beleuchtet das dritte Kapitel. Eine glückliche Mischung aus zugewanderten und ansässigen Protagonisten bildete in Thüringen vorübergehend für Architekten ein wichtiges schöpferisches Zentrum. Thüringen ein ländliches Image zuzumessen, wird gerade für die Jahre der SBZ bis heute schnell getan. Diese Schlagseite zurechtzurücken, macht sich diese Arbeit zur Aufgabe. Die darauf folgenden beiden Kapitel stellen unter den Begriffen „Erbe“ und „Reform“ zwei wesentliche Motive des 20. Jahrhunderts nebeneinander, die unter den Bedingungen des Mangels ihren architektonischen Ausdruck

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suchten. Die begriffliche Trennung der beiden Denkrichtungen „Erbe“ und „Reform“ kann in keinem der geschilderten Projekte hermetisch sein. Die Begriffe bedingen sich in ihrer Wahrnehmung gegenseitig. So hatte sich das Übernommene, das Geerbte, dem neuen gesellschaftlichen Rahmen zu stellen, ebenso wie Begriffe der Reform ihre historische Verankerung besaßen. Die zwei objektorientierten Kapitel befragen diese Schwerpunkte der Betrachtung gerade dort, wo sie auf thüringische Sonderthemen treffen. In Thüringen kam aus den erklärten Gründen eine auffällige Menge an symbolisch behafteten Geschichtsorten in der SBZ an, deren Erbe architektonisch umkodiert werden wollte. Neue Bildorte und Würdigungsziele wurden eingeführt, die sich auf die jüngste Vergangenheit bezogen und in der architektonischen und künstlerischen Umsetzung einen gesellschaftlichen Wandel kommunizieren sollten. Als Beispiel, wie sich eine Stadt als Ganzes einen neuen Bedeutungsrahmen schaffen konnte, wird Nordhausen, als dringlichste Wiederaufbaustadt Thüringens, herangezogen. Die Industrien der Maxhütte und vor allem ihre Siedlungsmaßnahmen stehen für die schnelle Wiederaufnahme eines Traditionsbetriebes unter geänderten Besitzverhältnissen und einem hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erwartungsdruck. Dem Hauptbegriff der „Reform“ wird das Bauen im ländlichen Raum zugeordnet. Hier wurde Thüringen zum Modell für die „Neue Dorfdemokratie“. Mit dem Ländlichen verband sich nicht nur das Ideal einer Linderung der Not abseits der Industrien. Öffentliche Bauprogramme in einem sozialistischen Bedeutungsumfeld wurden auf das Neubauernhaus, das Landkulturhaus oder die ländliche Zentralschule angewendet. Das hartnäckige Bild eines agrarischen Thüringens wurde gegen gesellschaftliche Realitäten weiter gepflegt. Die erst jüngst überwundene territoriale Kleinteiligkeit schürte den Eindruck einer vorindustriell überschaubaren Welt. In einem Fazit wollen schließlich aus der Momentaufnahme der Jahre 1945–49 Aussagen zu Handlungs- und Denkmustern in der Mitte des 20. Jahrhunderts getroffen werden, die sich auf dem Substrat Thüringens zu eigenen Phänotypen entwickelt haben. Die Kernfragen der Arbeit gelten einer Zeit im Umbruch. Wie vereinten sich in Thüringen nationale Erwartungen und gesellschaftlicher Bedarf mit den neuen politischen Maßgaben? Welche architektonischen Resultate übermittelten diese inhaltliche Konkurrenz? Wo exponierte sich Thüringen als Modellregion neben den Metropolen und welche institutionellen und personellen Voraussetzungen waren dazu vorhanden? Warum und wo erodierte diese Vorbildrolle bis zur Republikgründung 1949?

15

1.1 Blickrahmen und Ausschnitt 1.1.1 Beschränkung und Erweiterung auf einen Zeitraum Das Jahr 1945 legte in die Mitte des 20. Jahrhunderts eine verdichtete Ereigniskette, die, noch wirksamer als das Jahr 1918, einen historischen Wechsel der äußeren Umstände nach einem für die Deutschen verlorenen Krieg markierte. Die Betrachtung dieses Bruchs führt Theodor W. Adorno 1949 im Vergleich mit den Folgen des Ersten Weltkriegs zu einem enttäuschten Fazit. Wäre es damals der Expressionismus gewesen, der als „großartige Anstrengung des Bewußtseins“4 künstlerische und intellektuelle Impulse gegeben habe, so attestierte er seiner Zeit einen „zweideutigen Trost der Geborgenheit im Provinziellen“5; Niemand traue sich „so recht an das Drängende, Brennende heran“.6 Die visionäre Bereitschaft nach 1945 trug abgeklärtere, mildere Züge als das expressionistische Ungestüm des Jahrhundertanfangs, das gesellschaftliche Wunschbilder in buntgemalte Stadtkronen münden ließ. Von einer vergleichbaren Anlage ist im Wollen der zweiten Nachkriegsphase wenig zu spüren. Als wäre dem Jahrhundert das Spektrum seiner Sehnsüchte mittlerweile bekannt, setzte sich das intellektuelle Stimmungsbild „am Rande der Trümmerhaufen“7 aus Besinnung und Bescheiden zusammen. In der Aufteilung Deutschlands durch die alliierten Siegermächte ließen sich gleichwohl territoriale Folgen vermuten, die, einhergehend mit der Spaltung der politischen Systeme, eine nahezu ebenso tiefgreifende Kriegskonsequenz waren wie die Abschaffung einiger europäischer Leitmonarchien nach 1918. Was sich nach 1945 mit den territorialen Verschiebungen und dem Beginn internationaler Blockzusammenschlüsse verband, wurde erst nach Jahrzehnten und in Gänze erst mit der historischen Zäsur 1989 überschaubar. Dieses Jahr 1945, das für Deutschland die Mehrfachrolle von Zusammenbruch, Befreiung und Neubeginn einnahm, scheint der späteren Forschung den klaren Schnitt zu garantieren, der die kapitelweise Betrachtung von Geschichte vereinfacht. Schnell verschwimmt jedoch diese Deutlichkeit, wenn man in der Nahsicht die pragmatischen Kontinuitäten und bruchlosen Handlungsstränge erkennt, die sich vor und nach dem Jahr 1945 in beide Richtungen erstrecken.

4 5 6 7

Adorno 1949, S. 457. Ebd. Ebd. So überschreibt Otto Bartning seine von ihm so genannten ketzerischen Gedanken, die ihn über das Neue und dessen Erscheinung im Verhältnis zum Versunkenen nachdenken ließen, vgl. Bartning, in: Frankfurter Hefte, 1/1946, S. 63–72.

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DEBATTEN

Das Bauen als kulturelle Äußerungsform verweigert sich dem schnellen Wandel und verlässt sich auf Beharrlichkeiten. Es ist ein Gestaltakt mit langen Zyklen, dessen Voraussetzung, die Planung, einer ganzen Berufsgattung professionelle Erfüllung gibt. Diese Eigenart des Metiers stieß 1945 mit den ungeheuren und akuten Notwendigkeiten der Aufbauzeit auf eine nicht gekannte und geschwindigkeitsreiche Bedarfslage. In Bauten und Debatten verband sich nach Kriegsende die Ahnung einer neuen Denk- und Handlungsepoche. Die Idee des Neuanfangs, ob Lippenbekenntnis oder Überzeugung, deckte sich mit dem berufsbedingten Interesse des Planers am Wesen des Neuen oder einfach nur an der Perspektive eines Planungsauftrags. Im günstigen Fall traf dieses Interesse auf den Unternehmergeist von Behörden und Entscheidern. Grafik 1: Die Lage Thüringens im Deutschland der Besatzungszonen

Diese Arbeit schränkt den Betrachtungsraum ein auf das Land Thüringen, wie es 1945 bestanden hat8 und umgrenzt die betrachtete Zeit auf die vier Jahre zwischen Kriegsende April 1945 und der Republikgründung im Okto8

Die Landesbildung nach 1945 wurde erst mit der Annahme der Verfassung am 20. Dezember 1946 bestätigt, der am 20. Oktober 1946 die Wahlen zum Thüringer Landtag voraus gegangen waren.

BLICKRAHMEN

UND

AUSSCHNITT

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ber 1949. Es war eine Zeit, die für die Meinungslandschaft der folgenden Jahrzehnte eine Grundlage schuf. Thüringen lieferte auf den ersten Blick in den vier Jahren bis 1949 ein getreues und repräsentatives Bild jener Stimmung, wie sie in der gesamten Sowjetischen Besatzungszone herrschte. Der Wechselcharakter der Zeit vor der doppelten Staatenbildung in Deutschland erwies sich auch für Thüringen als Phase zwischen den Neuordnungen. Dennoch unterlagen jene Jahre einer regionalen Spezifik. Es war eine Zeit, die in Thüringen ihre eigenen Protagonisten hatte. Viele Thüringer Meinungs- und Entscheidungsträger waren nach 1949 nicht mehr verfügbar, sind in andere Besatzungszonen abgewandert und trugen das Erlebte weiter über Thüringens Grenzen hinaus. Die punktuelle Perspektive vermag den Horizont einer Heimatchronik zu verlassen, wenn sie das Vorbild benennt, das Thüringen nach außen gab und die Einflüsse kennt, die von außen wirkten. Die Jahre nach 1945 als Jahre des Übergangs verweigern sich der Eigenart eines abgeschlossenen, geschweige denn eines homogenen Kapitels. Dementsprechend fasert die Grenze des Betrachtungszeitraumes nach vorne und hinten aus. Immer ist von einem Themenbündel die Rede, dessen Wurzeln und Triebe aus dem Gehege dieser vier Jahre hinausragen. Die Arbeit muss die Vorgeschichte des Thüringer Weges auch vor 1945 soweit erfassen, wie sie zur Beschreibung des Atmosphärenwechsels nach Befreiung und Kapitulation unerlässlich ist. Ebenso sind Linien in die Entwicklung der DDR auszulegen, um Nachwirkungen zu verfolgen sowie Frühstadien nachfolgender Strukturen zu erkennen. Mit Unvoreingenommenheit ist auf die Ideen der Jahre zwischen 1945 und 1949 zu blicken, ohne stets die später wirksamen Trennungen vermuten zu wollen. Die Zeit wird eingeschätzt als Phase, in der das zentrale Interesse noch nicht auf der Indienstnahme gebauter Gestalt für eine politische Aussage lag.9 Ausdrücklich konfrontierende Beiträge, die der SBZ und den Westzonen ihre Unvereinbarkeit im Denken über das Bauen bezeugen, klangen zwar auch in jenen vier Jahren an. Sie wurden jedoch erst dann deutlich, als es den politischen Rückhalt für eine eigene Architekturrichtung der SBZ gab. Im Bauen der SBZ ist die kurze Zwischenphase nach der befehlsgeführten Erstarrung des Nationalsozialismus und vor dem verordneten Modell der „Nationalen Traditionen“ auf die Evidenz einer lernenden Gesellschaft zu befragen. Diesen Begriff führt Simone Hain in die Transformationsgeschichte des modernen Planens und Bauens ein, wenn sie am Beispiel der modernen und willentlich geplanten Stadt die Einsicht einfordert, dass planerische Interventionen immer aus Irrtümern und Revisionen von Irrtümern bestünden und

9

Vgl. Topfstedt 1979, S. 19f.

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DEBATTEN

in ihren Zeitschichten immer wieder brüchig erscheinen werden.10 Sie erlöst im Fall ihrer Analyse die Phase der stalinistischen Architektur aus den scharfen Konturen eines monolithischen Bildes zentralstaatlichen Selbstbewusstseins. So waren auch für die SBZ die Jahre nach 1945 nicht ausschließlich ein Zeitraum suchender Unsicherheit, genauso wenig wie sie sich als die erneut verlorene Schlacht des Zwischenkriegsfunktionalismus beschreiben lassen. Es war eine Besinnungsphase, in der das Gewesene geordnet und das Zukünftige erträumt wurde, wobei die Vision mangels Wirtschaftskraft ihren Wirklichkeitsgehalt nicht sofort zu beweisen brauchte. Es bleibt der Eindruck einer verspäteten „innermodernen Konfliktverarbeitung“11 als Wiederholungsklausur im Lernprozess des 20. Jahrhunderts. In dieser Phase lagen die architektonischen Standpunkte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Prüfung und Diskussion auf dem Tisch. Das „Neue Bauen“ war darunter ein Angebot, das in der Ausdehnung der gesamten SBZ eine Vielzahl von Planungs- und sogar Bauanlässen fand.12 Die Diskussion um eine neue Kunst bot ein frühes Feld der Auseinandersetzung mit dem Vorbild Sowjetunion, dessen Wirkungsmacht mit der Besetzung zu wachsen begann. So löste 1948 eine Artikelserie des Leiters der Kulturabteilung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) Alexander Dymschitz zum Begriff des Formalismus einen Kulturdisput aus, der auf deutschem Boden eine eigene Schärfe gewann. Die Auseinandersetzung zeigte neben aller Gefolgschaft zur Besatzungsmacht, wie unverdaut der Nationalsozialismus mit seinen Begriffen von Entartung und dem vermeintlich Gesunden in der Kunst war.13 Die „Formalismusdebatte“ nach 1950 kann als Abschluss einer Zeitphase gewertet werden, die in Möglichkeiten dachte und die sich eine Fortsetzung der künstlerischen Moderne, wie sie seit den Zwanziger Jahren formuliert und international entwickelt wurde, offen hielt. In Artikeln zu Kunst und Architektur baute man nach 1948 den „Formalismus“ als Feindbild auf. Als „formalistisch“ verfemte Künstler seien darauf bedacht, den Bruch zum klassischen Kulturerbe zu vollziehen, sich vom Menschlichen abzukehren und das Prinzip zu verlassen, „daß die Kunst Dienst am Volke

10 11

12

13

Vgl. Hain 1999, S. 5ff. Hain 1999, S. 10. Butter bemerkt, dass der Richtungsstreit innerhalb der Moderne in der DDR kaum Zeit hatte, in ein öffentlich wahrnehmbares Stadium zu treten, vgl. Butter 2006, S. 485. Die Eindringtiefe des Neuen Bauens in der SBZ versucht Butter über eine Defi nition jenseits eines Stils in Richtung einer Geisteshaltung zu beschreiben, vgl. Butter 2006, S. 28. Vgl. Hartmann; Eggeling 1998, S. 157ff.

BLICKRAHMEN

UND

AUSSCHNITT

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sein muss“.14 War bislang das Wesen des „Sozialistischen Bauens“, wie es sich in der Sowjetunion unter diesem Adjektiv schon seit mehr als 20 Jahren entwickelt hatte, noch im Nebelhaften geblieben, erhielt spätestens mit der Gründung der DDR die Diskussion eine eindeutigere Prägung durch sowjetische Politiker und Intellektuelle und mündete in programmatische Festlegungen der SED. Die Reise von leitenden Mitgliedern wichtiger Institutionen des Wiederaufbaus, die 1950 nach Moskau führte, hat sich in der Rückschau zur Legende verfestigt und rundet das Bild der fremdbestimmten Verhaltensvorgabe für die planenden Berufe ab. Künstler und Architekten hatten jetzt einen sichtbaren Prozess der konzeptionellen Umorientierung nachzuweisen. Der Schmerz dieser befohlenen Veränderung ließ später für manchen Protagonisten die Zeit davor in einem unbeschwerten Licht erscheinen. Auch wenn nach 1950 viele Architekten und Lehrer aus der DDR abwanderten,15 kann man den ersten Nachkriegsjahren nur eingeschränkt ein pluralistisches Diskussionsmilieu zusprechen. Es war in erster Linie eine wirtschaftsschwache Zeit. So sehr die Jahre vor 1950 in der SBZ einen freien Denkraum von Möglichkeiten garantierten, so alltagsprägend war für manchen Architekten die fehlende Bautätigkeit, die erst nach 1950 ernsthaft einsetzte. Solange konnte die Anpassung in Stilfragen zu einer nachgeordneten Sorge geraten.

1.1.2 Thüringen – eine Region auf wechselndem Gebiet Das Land Thüringen wurde 1920 gegründet. Voraus ging der Kraftakt einer Territorialreform, in der acht Herzog- und Fürstentümer zu einer Einheit zusammengeführt wurden. Der Landschaftsbegriff Thüringen hingegen war lange bekannt und stützte ein Regionalbewusstsein, das noch weit vor der Einführung einer zusammenhängenden Verwaltungseinheit bestand. Diese Arbeit nimmt den Gebietsbegriff Thüringens als Untersuchungsgegenstand auf und sucht in Bauten und Bauplanungen allgemeine historische Aussagen. Dabei sei bedacht, wie fließend und anfechtbar der Gebietsbegriff des Landes ist, das heute wieder als Freistaat firmiert. Das Land sei im staatsrechtlichen Sinn sogar eine „ephemere Erscheinung“, die sich vornehmlich anhand

14 15

So formuliert in den Beschlüssen der 5. Tagung des ZK der SED vom 15. und 17. März 1951, vgl. auch Hain 1999, S. 49. Mit Mart Stam verließ nach Amtsenthebung 1953 ein Lehrer die Kunsthochschule Berlin-Weißensee und die DDR, der als Mitglied der Gruppe May um 1930 den Wandel in der sowjetischen Architekturdoktrin miterlebt hatte, vgl. Topfstedt 1980, Anhang, S. 14. Ähnlich verhält sich der Erkenntnisweg bei Gustav Hassenpflug, vgl. Kap. 3.3.4.

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„landsmannschaftlicher Identifikation“ und weniger anhand von Landesgrenzen verfestige, so Gunther Mai.16 Der untersuchte Ausschnitt ist jedoch groß genug und liefert eine notwendige historische Dichte, um die Spielarten des Bauens zwischen Kriegsende und Republikgründung auf dem Gebiet der SBZ umfassend und stellvertretend abzubilden. Wichtiger noch als die politischen Grenzen sind die naturgegebenen Landschaften zwischen Harz und Thüringer Wald, zwischen Eichsfeld und Vogtland, die sich um die dominante Städteachse Eisenach-Gera legen und mit einer eigenen identitätstiftenden Kraft Lebensräume definieren. Das wird dann bedeutsam, wenn sich daraus lokale Bauaufgaben mit entsprechenden Traditionen ableiten lassen. Die Einschränkung auf Thüringen wiederum fordert dazu auf, das Spezifische in Geschichte und Geografie wahrzunehmen. Gleichermaßen räumlich eingegrenzt nähert sich z.B. Nerdinger in seiner Sammlung zur jüngeren Architekturgeschichte Bayerns dem Bauen im Nationalsozialismus.17 In einem objektbezogenen Ansatz katalogisiert er Beispielbauten, um an ihnen die Ideologie einer Zeit zu erklären. Sein Motiv ist es darüber hinaus, die „parzellierte Betrachtung“ des Nationalsozialismus zu verlassen, die historische Fragestellungen auf Zentren und repräsentative Bauten anwendet. Am Fallbeispiel Bayern will er das „Spektrum der AktiviGrafik 2: Feudalteilung bis 1919/20 im Umriss Thüringens von 1945–52 Preußische Provinz Sachsen 1815–1945 Sächsisch-Ernestinische Herzogtümer 1815–1920 Coburg-Gotha Meiningen Altenburg Weimar-Eisenach

Nordhausen Heiligenstadt Land Thüringen 1920–1945

Sondershausen

Fürstentümer Schwarzburg Rudolstadt und Sondershausen 1815–1920

Mühlhausen

Fürstentümer Reuß ältere und jüngere Linie 1815–1919 WE Erfurt

Eisenach

M Weimar

Gotha CG

Jena M

WE

Arnstadt WE Rudolstadt

Schmalkalden

Gera

Altenburg A

A WE Neustadt

Suhl Meiningen

Schleiz M

FEUDALTEILUNGEN BIS 1919 IM UMRISS THÜRINGENS VON 1945-52

16 17

Vgl. Mai, in: Heiden; Mai 1995, S. 19f. Vgl. Nerdinger 1994.

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täten“ abdecken, um „Struktur und Ziel der Baupolitik im Nationalsozialismus zu belegen und kartographisch zu erfassen“.18 In diesem Sinn will der Ausschnitt Thüringen ein ähnliches zusammenhängendes Gesamtbild einer Region und eines Zeitabschnittes vermitteln. Die komplexe Situation der SBZ, ihre Abhängigkeiten und ihre Unsicherheiten beeinflussten die Entwicklung in einem größeren Kontext. Dennoch ist es Thüringen, dessen territorialer Umriss sich auf die Momentaufnahme einer Zeit legen soll, welche in Unkenntnis späterer Gewichtsverlagerungen von einem ungewöhnlichen Möglichkeitssinn geprägt war.

1.2 Stand und Motive der Forschung 1.2.1 Sichtweisen vor 1989 – Der geteilte Blick auf sich selbst Die Sicht der DDR auf die Jahre vor ihrer Republikgründung und kurz danach war von der Idee zweier „Revolutionen“ bestimmt, einer „antifaschistischdemokratischen“ der Jahre 1945–49 und einer „sozialistischen“ von 1950– 52.19 Die zeitliche Aufeinanderfolge verließ sich auf eine Idee des historischen und gesellschaftlichen Fortschritts, so dass gegen Ende des Jahres 1949 die Aufgaben der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in der Sowjetischen Besatzungszone als gelöst gelten mussten. Diese Systematik im heutigen Licht zu referieren, fällt schwer, und dennoch begründete sie bis zum Ende der DDR, und gerade am Ende der DDR, eine Argumentationslinie, die zur Gegenwartserklärung bemüht wurde. Die zeitgenössischen Eliten der SBZ sahen sich demhingegen selbst eher einem Repertoire der Möglichkeiten gegenüber, das zur Verwirklichung eines neuen Deutschlands führen könnte. Auch der Blick des Architekten, der diesen Möglichkeiten eine Gestalt geben wollte, nahm darum in seiner Zeit ein fragmentarisches Bild wahr. Ältere Ideenangebote der Zwischenkriegszeit prägten ihn in wechselnden Mischungsverhältnissen und trafen auf die Ungeheuerlichkeit der Gegenwart. Eine eigene Architekturdoktrin oder eine strukturierende theoretische Leistung wurde nach 1945 in den ersten Direktiven der sowjetischen Militäradministration vernachlässigt und wahrscheinlich nicht einmal vermisst. Erst Ende der 1950er wurde der gedankliche Rahmen einer Theorie mit dem Ziel eingeklagt, die Architektur des Sozialistischen Realismus davor zu bewahren, 18

19

Nerdinger in der Einführung des selben Bandes, wo er die Schwierigkeit eingesteht, alles zu erfassen und die Versuche beschreibt, in der sachlichen Dokumentation ideologische Lesarten zu vermeiden, ebd. S. 13. Vgl. Badstübner, in: Heitzer 1987, S. 190, siehe auch Krenz 1974.

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dass man sie von der westdeutschen nicht mehr unterscheiden könne.20 Ab Mitte der 1960er kann man im Kontext der DDR von einer kontinuierlichen Beforschung der eigenen Architekturentwicklung und -geschichte sowie ihrer theoretischen Hintergründe sprechen, welche von Vertretern wie Bruno Flierl und Thomas Topfstedt21 vorangetrieben wurde. Zwar vermochten Fachpublikationen die architektonischen Stimmungswechsel und Widersprüche zu identifizieren, immer jedoch eingebettet in eine ideologisch gefestigte historische Fortschrittslinie. Die DDR wurde in ihren letzten Jahren zunehmend ihrer eigenen Geschichtlichkeit und damit auch ihrer eigenen „Architekturgeschichtlichkeit“ bewusst. So trug das Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie noch 1989 eine Publikation zusammen, die einen kompletten historischen Überblick zu Städtebau und Architektur der DDR versuchte.22 Darin fanden die Jahre der SBZ ihre Würdigung als Zeit konzeptioneller Überlegungen, denen die „gesetzlichen Voraussetzungen für einen planmäßigen Wiederaufbau fehlten“23. Anlässlich des Weimarer Bauhaus-Kolloquiums 1989 wurde schließlich gefordert, die vergangenen 40 Jahre DDR als „Teil der europäischen Nachkriegskultur“24 zu begreifen und zu erforschen. Ermutigt war man vom wachsenden internationalen Interesse an der DDR und ihrem architektonischen und städtebaulichen Werdegang. Der Blick auf die Entwicklung seit 1945 sollte daraufhin nur noch wenige Monate durch die Folie eines sozialistischen Denkmusters wahrgenommen werden. Die Geschichtsschreibung zur SBZ trat dann in eine neue Phase. Die ersten Jahre nach 1945 spielten auch im westdeutschen Kontext die Rolle einer vorbereitenden Phase. Es war auch hier eine Zeit des Weichenstellens und wurde deshalb zum Erklärungsfeld mehrerer Nachkriegsjahrzehnte. Symmetrisch zur DDR bezog die spätere BRD wesentliche Gründungsmythen aus den Jahren vor der Verkündung des Grundgesetzes als vorläufiger Verfassung.25 Welche Dynamik und wegweisende Kraft man den Jahren rückblickend zuwies, zeigte eine Ausstellung „So viel Anfang war nie“26, die ebenfalls in jenem Entscheidungsjahr 1989 in Berlin (West) stattfand.

20 21

22 23 24 25 26

Vgl. Paulick, in: Deutsche Architektur 9/1957, S. 479, vgl. auch Palutzki 2000, S. 133. Seit 1964 hat sich Bruno Flierl, Hochschullehrer und Mitarbeiter im Team von Hermann Henselmann, publizistisch geäußert, siehe Flierl 1984, Flierl 1996, siehe Topfstedt 1979 und 1988. Siehe Bauakademie der DDR 1989. Ebd., S. 11. Grönwald, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 1-3/1990, S. 152. Gemeint ist das „Bonner Grundgesetz“, das am 23. Mai 1949 verkündet wurde und als Provisorium einer später zu schaffenden gesamtdeutschen Verfassung festgelegt wurde. Vgl. Durth, in: Glaser 1989, S. 214.

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Die Aufzählung philosophischer, literarischer, künstlerischer oder architektonischer Erstereignisse der fünf Jahre nach 1945 sollte deutlich machen, wie lange die Bundesrepublik personell und intellektuell von dieser Zeit der „kulturellen Grundlegung“27 gezehrt habe. Eindeutig waren Sammlungen wie diese aus der Perspektive der damaligen Bundesrepublik angelegt. Eine ähnlich umfassende Rückschau auf die Kulturwelt der SBZ hat die DDR selbst nicht mehr hervor gebracht. Die westdeutsche Architekturgeschichte entdeckte ab ca. 1980 in den Bauten der 1950er Jahre ein Dokument der bundesrepublikanischen Gründungsphase, die als „abgeschlossene Zeitepoche“ zu schützen sei.28 Der erste Blick zeigte eine Architektenschaft, die im Überschwang des Wirtschaftswunders eine gestalterisch vielfältige, konstruktiv kühne und innovative Formgebung im Sinn einer fortgesetzten internationalen Moderne wagte.29 In der Nahsicht offenbaren sich ebenso weitergeführte Traditionen aus Heimatschutz, Regionalismen und Neoklassik, die gleichermaßen mit einem Erwartungsbild der Auftraggeberschaft, als auch mit dem erfahrungsbedingten Gestalthorizont vieler damaliger Architekten korrespondieren konnten.

1.2.2 Sichtweisen nach 1989 – Gemeinsame Perspektiven Mit dem Rückblick auf eine sich wandelnde Geschichtsbetrachtung erklärt sich für die Jahre der SBZ eine schrittweise Historisierung. Die Forschung zu den Jahren nach 1945 profitierte nach der deutschen Wiedervereinigung von Quellen- und Archivöffnungen. Sie nimmt einen gesamtdeutschen Blick ein und kann jetzt besser vergleichen.30 So sehr bis 1989 beide deutschen Systeme die Jahre nach 1945 als ihre Früh- und Vorbereitungsphase vereinnahmt haben, so wenig handelten damals die Protagonisten im Bewusstsein dieser erst später getrennten Wahrnehmung. Die Gemeinsamkeiten, die bestanden haben müssen, können nun gesichtet werden. Die Forschungen zur Nachkriegsarchitektur sind nach 1989 zahlreich und erreichen

27 28 29

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Glaser, in: Glaser 1989, S. 10. So formuliert es ein „Appell“ am Ende einer Schrift des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, vgl. Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz 1987, S. 148. Siehe Petsch; Petsch-Bahr 1983; Hackelsberger 1985. Wichtig sind hier denkmalpflegerisch sensibilisierende Erhebungen zu einzelnen Städten, wie z.B. Köln, siehe Hagspiel; Kier; Krings 1986; München, siehe Nerdinger 1984 oder Münster, siehe Gutschow; Stiemer 1982. In einer der wenigen vergleichenden Arbeiten, die vor 1989 erschienen, stellt Klaus von Beyme Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten gegenüber, vgl. Beyme 1987.

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vielerorts regionale Vertiefungen. Werner Durth und Niels Gutschow haben für Westdeutschland einen grundlegenden Quellen- und Wissensstand zur Architektur nach 1945 geschaffen.31 Durth hat darüber hinaus eine gezielte biografische Perspektive auf die Tätigkeitslinien von Architekten und Architekturschulen gerichtet.32 Diese Arbeit wurde innerhalb der letzten Jahre auf die SBZ/DDR ausgedehnt und hat die bereits bestehenden Grundlagen ergänzt.33 Mit dem Blick auf individuelle Leistungen formt sich im historischen Blick ein Bild jener Handlungsmilieus und personellen Netzwerke, die an einzelnen Werkkomplexen ablesbar werden. Damit ist die gestaltende Größe der Autorenschaft in Architektur und Kunst angesprochen, die sich über externe Erwartungen hinaus an individuellen Entscheidungssituationen entlang entwickelt.34 Für die SBZ/DDR beginnt 1945 eine langsame Rollenverschiebung des Architekten vom schöpferischen Individualisten oder selbstständigen Unternehmer zum kollektiv eingebundenen Planungsteilnehmer. Das wirft ein Licht auf die sich wandelnde Stellung des Künstlerischen im Projekt des Sozialismus. Gerade an diesem Übergang ist sichtbar, dass man dem persönlichen Entscheidungsweg des schöpferischen Individuums nicht gänzlich vertrauen darf. Nicht nur in der Extremform einer doktringeprägten Gruppenbildung, auch im scheinbar freien Entscheidungsraum steht der Einzelne im Kräftefeld gesellschaftlicher Erwartungen, ökonomischer Grenzen und diskursiver Einflüsse. Somit ist Geschichte, und in diesem Fall Architekturgeschichte, nicht die kartierte Verkettung biografischer Zufälle, sondern die Beschreibung und Interpretation des prägenden Raums, in dem Entscheidungen zu erwarten sind. Dennoch wird sich diese Arbeit aus Teilen zusammensetzen, die biografische Facetten mit strukturellen Erklärungslinien verbindet. In einer zweiten Näherungsweise tragen Fallbeispiele Ereignisabläufe zusammen und beschreiben Planungs- und Baugeschichte als Einzelkonstellation. Das muss als variierende Verfahrens-

31 32 33 34

Siehe Durth, Gutschow 1988. Siehe Durth 1986. Siehe Beyme; Durth [u.a.] 1992; siehe auch Durth; Düwel; Gutschow 1998 und 1999. Den biografi schen Hintergrund und die persönlichen Werkslinien der wichtigsten Architekten in der SBZ und DDR erfasst in stichwortartigen Lebensläufen ein Grundlagenprojekt des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung, BerlinErkner, siehe IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000. Zur Rolle des Architekten ist die Einführung desselben Bandes zu erwähnen. Vgl. Topfstedt, in: ebd., S. 9ff.

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weise tragfähig sein, um nicht schon bei der Wahl des „Methodenbestecks“ sich auf Ausschließlichkeiten der Betrachtung festzulegen.35 Im Geflecht der Zeitmeinungen ragen Einzelpersonen heraus, die für Thüringen und seine Nachkriegszeit bedeutend waren. Architekten und Künstler, wie Hermann Henselmann,36 Hanns Hopp37, Hermann Räder oder Hermann Kirchberger38 sind biografisch oder autobiografisch beschrieben oder in einzelnen Werkzusammenhängen erfasst. Ihre Rolle zu definieren, die sie in Thüringen bei der Gestaltung einer neuen Identität über ihre architektonischen und künstlerischen Werksetzungen hatten, kann ein wesentlicher Beitrag der Arbeit werden. Hermann Henselmann selbst nahm auf die Debatte um das Bauen in der SBZ publizistisch enormen Einfluss. Seine Bedeutung in Weimar zwischen 1945 und 1949 zu erfassen und zu beurteilen, kann sich die Arbeit in keinem Kapitel entziehen. Seine Allgegenwart und Einflussnahme erweist sich als wesentlicher Motor in der Debatte der beschriebenen Jahre.39 Die kritische Auseinandersetzung mit seinem Wirken ist lückenhaft. Die Betrachtung seines frühen Karriereabschnitts in Thüringen kann ein erster Schritt sein, ihn als späteren „Stararchitekten“ der DDR zu erfassen. Materialreiche ideengeschichtliche Standardwerke liegen vor, die umfassend und vergleichend Veröffentlichungen zur Architektur aus der Zeit nach 1945 bis zum Ende der „Nationalen Traditionen“ ausgewertet haben. So ist Andreas Schätzke einer Diskussion im östlichen Deutschland 1945–55 auf der Spur, die in seinen Augen spätestens 1949 ihre Vielfalt einbüßt.40 Die Arbeit von Joachim Palutzki erschließt einen Überblick zum gesamten Architekturschaffen der SBZ und der DDR. Er wertet die Unterlagen der Deutschen Bauakademie, der späteren Bauakademie der DDR aus.41 Die Arbeit von Andreas Butter katalogisiert für die gesamte SBZ das Bau35

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39

40 41

Mit dem Begriff des „Methodenbestecks“ operiert Holger Barth, der in seinem Nachwort zur „Dokumentation eines IRS-Sammlungsbestandes biografi scher Daten“ eine Lanze für den „handelnden Akteur“ bricht, vgl. Barth 2000, S. 273, in: IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000. Vgl. Henselmann 1978; Henselmann 1995, siehe auch Kapitel 3.3.5. Vgl. Wiesemann 2000, S. 284f. Die Kontroversen um Kirchbergers Wandbild von 1948 entfesseln den Formalismusstreit an einem Symbolort und führen schließlich zur kompletten Entfernung 1950, vgl. Schönfeld 1996. Zu verweisen ist auf den Beitrag Bruno Flierls zur biografi schen Aufarbeitung des Henselmann’schen Werks, vgl. Flierl, in: Feist; Gillert; Vierneisel 1996, S. 386–412. Ebenso nähert sich den Weimarer Hochschuljahren ein quellenreicher Sammelband, vgl. Winkler 2005. Siehe Schätzke 1991. Siehe Palutzki 2000.

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geschehen nach Typen. Er weist für die Jahre 1945–51 eine reiche Planungs- und Bautätigkeit nach und verfolgt besonders die Wirkungslinien der Moderne.42 Hilfreich in der methodischen Annäherung an Architekturen sind Teilbetrachtungen, die etwa das Kulturhaus als genuin sozialistischen Bautyp untersuchen, seine Verankerung in Vorläufern seit dem 19. Jahrhundert beleuchten und dabei eine Einordnung von Gebäuden sowie der Bild- und Symbolsprache unternehmen.43 Arbeiten dieser Art bauen auf Objektsammlungen auf, die bewusstseinsbildend wirken und die Sicherung des aktuellen Bestands wissenschaftlich stützen können. Vielen Arbeiten ist zueigen, dass sie ihren Forschungsschwerpunkt stark an Großstädte bzw. an die spätere Hauptstadt der DDR binden. Der Blick auf den kleinteiligen Südwesten der SBZ/DDR soll einen notwendigen Perspektivwechsel bestärken. Gleichwohl ist nach 1989 auch das Thüringen der Nachkriegsjahre bis zur Auflösung 1952 unter verschiedenen historischen Einzelaspekten untersucht worden. Hintergrund und Antrieb einiger dieser Arbeiten war es, die Kontinuität eines Landesgebildes zu suchen, wie es sich nach dem Ende der DDR wieder etablieren sollte und bis 1952 bestanden hatte. Dazu zählen aufgearbeitete Funde von Quellen, die sehr breit gestreute, auch bürgerliche, demokratische Traditionen der frühen Nachkriegszeit in Thüringen zeigen.44 Wertvoll ist die Übersicht über die Baupolitik in Thüringen im Vergleich der Jahre vor und nach 1945, wie sie von Detlev Heiden zusammengefasst wurde.45 Ebenso hilfreich sind Veröffentlichungen zur Geschichte der Hochschulen in Jena und Weimar, die als Leitinstitutionen eine Schlüsselrolle spielten.46 Obwohl seit den 1980er Jahren Gesamtdarstellungen zur Architektur in der DDR entstanden sind47, fand Gebautes auf dem Gebiet des heutigen Thüringens wenig Beachtung. Spektakuläre Einzelobjekteund Leitarchitekturen für die Jahre nach 1945 sind an anderen Orten besser

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47

Siehe Butter 2006. Siehe Hain; Schrödter; Stroux 1996; Hartung etwa versucht, bezogen auf das Kulturhaus, Trennschärfe in die Klassizismusrezeption der frühen DDR im Vergleich zum Nationalsozialismus zu bringen und erhellt damit jene Dilemmasituation im Sozialismus, innerhalb eines klassisch kanonischen Stilrepertoires einen eigenen stilistischen Weg zu gehen; Siehe auch Hartung 1997. Siehe Thüringer Landtag 1997. Vgl. Heiden 1995, S. 371ff. Für Weimar, vgl. Schädlich 1966, in: Wiss. Zeitschrift der HAB Weimar, 5/1966, S. 505ff.; Siehe auch Preiß; Winkler 1996; Winkler 2005; Für Jena, vgl. Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert (Hg.), Köln [u.a.] 2009 Siehe Topfstedt 1980; Hoscislawski 1985; Topfstedt 1988; Bauakademie der DDR 1989.

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dokumentiert.48 Aufgabe ist nun, das politische und gesellschaftliche Substrat Thüringens zu analysieren, das für die typische Architektur der SBZ genauso wie für regionaltypische Sonderformen, wie sie innerhalb der SBZ einzigartig waren, den Boden bereitete.

1.2.3 Arbeitsweisen und eigene Vorarbeiten Die Schilderung der Ideengeschichte einer kurzen Zeitphase muss ausholen können. Ihre Beschreibung muss sowohl die Vorgeschichten kennen, die das 20. Jahrhundert bis 1945 geprägt haben, als auch den Ausblick zu nachfolgenden Strömungen leisten, durch den die Jahre bis 1949 erst eine historische Kontur gewinnen. Die Beschreibung personeller und gedanklicher Milieus einer Region in der Mitte Deutschlands steckt den Aktionsrahmen ab, der überlieferte Bauten, Planungen und Schriften bestimmt hat. Schließlich sind ausgewählte biografische Studien notwendig, die Einzelpersonen im Handlungsgefüge der Zeit identifizieren. Die Nachweistiefe von Ereignissen beschränkt sich auf deutsche Archive. Erwähnt sei ein Hinweis auf die übergeordnete Fragestellung, die alle Forschungen zur SBZ/DDR betrifft: bezogen auf das Wirken der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland besteht solange eine Unsicherheit zu Entscheidungsstrukturen, solange deren Rolle aus Moskauer Sicht nicht erschlossen sei. Bis dahin könne man nur beschreiben, was geschah, nicht jedoch, wie es zustande kam.49 Dem untersuchten Thema liegt ein persönlicher wissenschaftlicher Vorlauf zugrunde. Grundlage und Einstieg zu dieser Arbeit sind Bauanalysen noch bestehender Gebäude des 20. Jahrhunderts, die im Projekt „Architekturführer Thüringen“ entstanden sind.50 Am Objekt lassen sich durch Substanz- und Bauaktenanlayse, Schriftverkehre und Protokolle beispielhaft Randbedingungen der Zeit prüfen. Der Architekturführer liefert neben der Dokumentation eine Quellengrundlage in Form eines Bautenkatalogs sowie eine aktuelle Bibliographie zur Architekturgeschichte Thüringens ab 1919, dem Gründungsjahr des Weimarer Bauhauses. Über die Beschäftigung mit dem 20. Jahrhundert hat sich in einer weiteren vorbereitenden Publikation der thematische Schwerpunkt auf die Zeit nach 1945 verlagert. Vertiefend wurde das Bauen der SBZ und der DDR auf dem Gebiet Thüringens recherchiert und seine

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Brüggemann und Schwarzkopf weisen dieses Phänomen für die kurze Zeitspanne der „stalinistischen Architektur“ nach, vgl. Brüggemann; Schwarzkopf, in: ICOMOSNationalkomitee der Bundesrepublik Deutschland 1996, S. 53ff. Vgl. Eppelmann; Faulenbach; Mählert 2003, S. 45ff. Vgl. Wieler; Weckherlin; Escherich [u.a.] 2000.

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Relevanz zu den Zentren der DDR und zur Hauptstadt Berlin beurteilt.51 Eine dritte Facette der Vorbereitung war die Beschäftigung mit Architekturideen nach 1945. Dabei diente die Wiederauflage von Walter Schwagenscheidts „Raumstadt“ als Vehikel, den architektonischen Denkraum nach dem Krieg auszuleuchten.52 Diese Arbeit führt die aufgenommenen Linien weiter. Dazu zählt der Vergleich schriftlich und zeichnerisch dokumentierter Zeitäußerungen durch Archiv- und Quellenauswertung. Für Thüringen gibt es zwei Hauptquellenbereiche. Zum einen wurden die Dokumente zentraler Institutionen gesichtet, wie das Archiv der Hochschule Weimar und die Akten der Thüringer Landesregierung. Zum Zweiten war die Umsetzungswirklichkeit zentraler Vorgaben und Ideen in den jeweiligen Kommunal- und Gemeindearchive auszuwerten. Über diese beiden Informationsrichtungen legen sich übergeordnete Quellenpunkte zentraler Institutionen, wie z.B. die Akademie der Künste, Berlin und die Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ im Bundesarchiv. Bei der Beschreibung der historischen

Bild 2: Polarisierende Gegenüberstellung anlässlich einer Ausstellung „Gebrauchsgüter aus Thüringen“ in Weimar 1949

51 52

Vgl. Escherich; Wieler 2002. Vgl. Schwagenscheidt 1949; Wieler 2001.

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Randbedingungen, u.a. in Bezug auf Gesetzestexte, politische Direktiven oder kulturelle Parallelereignisse wurde versucht, die Standpunkte im gesamtdeutschen Zusammenhang zu prüfen. Das ist dort notwendig, wo die unterschiedlichen Meinungsbiotope in Ost und West voneinander wussten und man mit einem gemeinsamen Kenntnisstand rechnen kann. Schließlich war die Befragung von Zeitzeugen ein wertvoller Aspekt in einem Themenumfeld, das langsam aus dem erzählbaren Gedächtnis verschwindet. Der Zeitzeuge, so er Architekt oder Architektin ist, repräsentiert den individuellen Eindruck. Er formuliert Erinnerung unter dem Einfluss persönlicher Teilnahme, der Autorenschaft. So transportiert das Interview ein Stimmungsbild, das sich zusätzlich immer auf weitere Quellen und Belege stützen muss.

1.2.4 Anwendung Die Arbeit will das Bild einer Zeit zusammenstellen, die in einer Region ihre architektonische Gestalt suchte. Was an Bauten und Maßnahmen überliefert ist, ist zu erfassen und zu beurteilen. In der Denkmalpflege sind Gebäude der „Nationalen Traditionen“ ab 1951 bereits seit Längerem registriert.53 Schon in der Errichtung schlossen die Großprojekte des „Nationalen Aufbauwerks“ einen denkmalhaften Anspruch, ja sogar eine denkmalpflegerische Absicht mit ein. Sie waren Erinnerungssymbole der DDR an sich selbst und standenfür die ersten Jahre der jungen Republik.54 Deren architektonischer Historismus verströmt für den heutigen Betrachter formal das nötige Maß an Geschichtlichkeit. Praktizierte Handwerkskunst und das zitierte Stilrepertoire erleichterten die schnelle Aufnahme dieser Architektur in das „bauliche Erbe“. Noch vorhandene Zeugnisse der SBZ können dieser Erfassungspraxis leicht entkommen. Die kurze Phase der Orientierung aus den vier Jahren vor der Gründung der DDR an Gebautem auch heute noch zu lesen, erschließt eine Debatte, die nicht nur eine Armutsdebatte war. „Das Schlichte“ hat sich in der Diskussion des 20. Jahrhunderts als Gestalttugend, als ästhetische Kategorie, etabliert. „Das Einfache“ schillert immer wieder durch die Diskussionen der Moderne als ein Indiz für Überthemen, deren

53

54

Nur wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung wurden beispielsweise die Stalinallee in (Egon Hartmann, Hermann Henselmann, Hanns Hopp, Kurt Leucht, Richard Paulick ab 1951) oder die Lange Straße in Rostock (Joachim Näther ab 1953) von einer ideologisch geführten Denkmalpflege für denkmalwürdig erklärt. Vgl. Wirth 1997, S. 161, in: Thesis, Wissenschaftliche Zeitschrift der BUW 5/ 1997, S. 158ff.

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Suchrichtungen ebenso „Sachlichkeit“ oder „materielle Ehrlichkeit“ heißen können. Abweichend von der minimalen Eleganz der klassischen Moderne, müssen jene beschriebenen Nachkriegsbauten in ihrer kargen Eigenart neu gewürdigt werden.55 Das Erfassen und Bewerten von Bauten und Ensembles ist direkter Nutzen und Grundlage für das zweite und eigentliche Erkenntnisziel der Arbeit. Neben dem Bild einer Zeit sollen die Umstände dargestellt werden, unter denen ein solches Bild entstand.

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Im Programm „Stadtumbau Ost“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen werden Bauten bis 1949 als Altbauten gefördert. Bauten von 1949–1959 nur, wenn sie unter Denkmalschutz stehen, vgl. Deutscher Bundestag, Kabinettsvorlage des Deutschen Bundestags vom 15. August 2001.

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2 Wie Bauen? Eine deutsche Diskussion nach 1945

Das Kriegsende löste in Europa eine emotionale Polarisierung zwischen Siegern und Besiegten sowie deren Verbündeten aus. Deutschland stand direkter unter dem Eindruck eines selbst verschuldeten und verlorenen Krieges als zum Ende des Kaiserreiches 1918. Die „Unwirklichkeit des Entsetzlichen“56 wirkte nach 1945 unmittelbar. Wie sehr der Wandel wahrgenommen wurde, den der politische Zusammenbruch vorgab, ist für die Architektur, die Gestaltdisziplin des Bauens, unterschiedlich beurteilt worden. Das Bauen als Komplementärphänomen zur Zerstörung war unmittelbar nach Kriegsende keine rein architektonisch-künstlerische Kategorie. Im Begriff „Aufbau“ verdichteten sich sämtliche Handlungsbedingungen des Kommenden. Im folgenden Kapitel werden die Versuche beschrieben, die eine „Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit“57 im Rahmen der Architekturdebatte thematisieren. Auf der Suche nach dem Labor hinter den Debatten sind die Debatten selbst zu orten. In einer Umschau sei darum das Geschriebene und Diskutierte skizziert. Über den ersten Reizbegriff des Neubeginns, der sich plakativer noch als „Stunde Null“ ausgeben will, wird weiter ausgeholt zu den Hoffnungen und Bedrohungen, die das Jahrhundert bis 1945 in die Architekturdiskussion mitgebracht hat. Sie formten die ungenaue Kontur zwischen Gestaltung und Gesellschaft, mit der sich nach Kriegsende die Architektur auf der Suche nach ihren Grundlagen konfrontiert sah. Schließlich will die SBZ als eigener Meinungskosmos auf dem Weg in eine geteilte deutsche Debatte erfasst sein.

2.1 Die Versprechen des Neubeginns Wie sehr das Planen und Bauen in Deutschland um die Schwelle des Jahres 1945 in Kontinuitäten gebettet war, hat Werner Durth umfassend analysiert. Er ermittelte die nahtlosen Übergänge innerhalb von Berufskarrieren deutscher Architekten. Mit diesem Wissen sei das Bild von der „Stunde Null“ aufgeweicht zugunsten einer Situation, die zwischen Diktatur und Nachkriegsdeutschland Fortsetzungen und Fortschritte innerhalb eines personalen

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Glaser, in: Glaser; Pufendorf; Schöneich 1989, S. 10. Thomas Mann in einer Rundfunksendung der BBC am 10. Mai 1945; Zit. n. Mann 1970, S. 148.

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WIE BAUEN? EINE

DEUTSCHE

DISKUSSION

NACH

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Œuvres ermöglichte.58 Die Anhänger einer monumentalen Feierlichkeit unter den Architekten konnten trotz des untergegangenen Nationalsozialismus mit einem ebenso beharrlichen Geschmacksempfinden zahlreicher Auftraggeber rechnen. Argumentationsmuster, in denen bereits vor 1945 der Wiederaufbau vorbereitet wurde, flossen nach 1945 in die Planungen ein. Der Berufsstand des Architekten steht damit rückblickend unter dem Verdacht, sich vor 1945 in eine selbst definierte fachliche Redlichkeit zurückgezogen zu haben, um sich über die Systeme hinweg verfügbar zu machen. Winfried Nerdinger hat in seinen Untersuchungen Indizien nachgespürt, die neben den weitergeführten Themen dennoch einen Neubeginn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschreiben können. Wie sonst lasse sich erklären, dass es einen inhaltlichen und gestalterischen Fortschritt im Bauen nach 1945 gebe. So seien Architekten, die in den 1920er ausgebildet worden waren, in der Lage gewesen, zurückliegende Werkstufen zu verdrängen, um nach mehrfachem persönlichem Stilwechsel eine genuine Nachkriegsarchitektur zu prägen.59 Dass im gebauten Deutschland nach 1945 trotz kontinuierlicher Lebenslinien etwas Neues entstehen konnte, führt Nerdinger auch darauf zurück, dass es hinter dem deutschen Horizont das Repertoire einer international weiterentwickelten Moderne gab, auf die man zurückgreifen

Bild 3: Wettbewerbsbeitrag von Johannes Schreiter und Hans Schlag zur Universitätserweiterung Jena 1948

58 59

Unter der Überschrift der biografi schen Verflechtungen zeichnet Durth die planungsrelevanten und baupolitischen Netzwerke vor und nach 1945 nach, siehe Durth 1986. Siehe Nerdinger 1990, S. 38–49.

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Bild 4: Hans Schlag, Entwurf Stadtzentrum Jena 1967

konnte. Die Radikalität des Bauhauses habe seit 1930 z.B. durch Beiträge von Richard Neutra, Arne Jacobsen oder Alvar Aalto Interpretations- und Reifestufen durchschritten. Zusätzlich habe das Westdeutschland unter Kanzler Konrad Adenauer mit seiner bekennenden Bindung an die USA u. a. den „International Style“ als zeitgemäß unterstützt und somit im konservativen Architektenlager eine Kehrtwende begünstigt.60 Wenn Nerdinger hier für die junge Bundesrepublik der Fünfzigerjahre spricht, so treten die Einflüsse in der SBZ weniger klar zutage. Der Blick auf die ersten Jahre nach Kriegsende kann die deutsche Nachkriegsarchitektur nicht vollständig erklären. Der demographische Wirbel, den Evakuierte, Ausgebombte, Ost-West-Abwanderer, Kriegsheimkehrer sowie Flüchtlinge und Vertriebene auslösten, provozierte biografische Brüche und eine erst langfristig wirksame Neuordnung. Schließlich beschleunigte sich mit dem zeitweisen Kompetenzvakuum nach dem Krieg ein Generationenwechsel, der neue Namen hervorbrachte und bei der Betrachtung der Lage in Thüringen eine wesentliche Rolle spielen wird. Mit dem Bewusstsein um eine „Stunde Null“ hat die DDR rückblickend die Tragweite des Neuanfangs besonders gepflegt, auch immer in Abgrenzung zu Westdeutschland. Dass auch in der SBZ personelle Durchgängigkeiten unter Architekten und Entscheidungsträgern möglich und geduldet waren, tat diesem Bekenntnis keinen Abbruch.

60

Vgl. Nerdinger 2005, S. 14.

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2.1.1 Die Ästhetik des Mangels Die Analyse der Jahre 1945–49 erfasst mit besonderem Interesse eine Ästhetik des Bescheidenen oder sogar der gebauten Buße. Karl Jaspers sprach von der „Selbstdurchhellung“, die jeder Einzelne in sein Selbstbewusstsein als Grundzug einzubauen habe. „Demut und Maßhalten ist unser Teil.“61 Es sei die Not der Menschen zugleich ihre Chance, „um aus echtem Ursprung vor dem Nichts das Leben ergreifen zu können.“62 In der Ernüchterung und der Mangelsituation des Kriegsendes war damit einerseits die Abkehr von den ortlosen Visionen der früheren Moderne gemeint. Andererseits schien in der Suche nach dem Einfachen ein Konsens zu liegen, den man dem Pathos und Machtgebaren der Architektur des „Dritten Reiches“ entgegenstellte. Im unmittelbaren Eindruck der überwundenen 12 Jahre lag der Schluss nahe, die Bauten Hitlers mit der „Plakatierung imperialistischer Ansprüche mit Hilfe von Fassaden“63, so Hans Scharoun, gleichzusetzen. Vom Schlichten als Gestaltprinzip erhoffte man sich den sichtbaren Neuanfang als ästhetischen Bußweg. Aus Besinnung sollte Bescheidung erwachsen. Die Protagonisten dieses Gefühls suchten eine persönlich motivierte Handlungsweise, die unter einem starken gemeinschaftlichen Empfinden stand, ohne sich an politische Machtstrukturen zu binden. Die emotionalen Bekenntnisse zum einfachen Bauen müssen im Meinungsspektrum der Zeit neben jenen Standpunkten wahrgenommen werden, die für eine Rückkehr zur Zwischenkriegsmoderne plädierten. An anderer Stelle nannte man es den „Grund der Dinge“, der in „aller Einfalt neu begriffen werden“ müsse, so der Nachkriegsaufruf des Deutschen Werkbundes von 1947. Diese Schrift war getragen von der Überzeugung, dass man dem „Ausdruck geistiger Zerrüttung“ nur mit dem „GültigEinfachen“ begegnen könnte.64 Der 1907 gegründete Werkbund glaubte jetzt, einen Bewusstseinsschub in seinem Sinn zu erkennen und beschwor ein Denken, das möglicherweise noch vor den polarisierenden Grabenkämpfen um das „Neue Bauen“ und den Heimatstil geherrscht haben mochte. Es ist darum schwierig, die Motive des bescheidenen Bauens ohne die bereits erwähnten Themen der Architektur nach 1900 zu beschreiben.

61 62 63 64

Jaspers 1946, S. 106. Ebd., S. 29. Scharoun, in: Aufbau 2/ 1946, S. 43. Vgl. „Nachkriegs-Aufruf“ oder auch „Lützelbacher Manifest“ von 1947, Conrads 1964, S. 14.

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Neben der Suche nach grundlegenden Gestaltprinzipien erschienen nach 1945 gleichwohl bekannte Inhalte, die zum Forderungsrepertoire der Architekten des „Neuen Bauens“ gehört hatten. Jetzt lag es nahe, die „Reduktion der architektonischen Form auf das Knappste, Notwendigste, Allgemeinste“65, die Ludwig Hilberseimer 1927 meinte, mit den Notwendigkeiten der Zeit zu verbinden. Wie fremd oder schwärmerisch klangen dennoch die Slogans der Zwischenkriegszeit, die damals den Anspruch der Avantgarde in sich trugen. Die Geistesverfassung nach dem Zusammenbruch ließ jegliche Neigung zur übermäßigen Gefühlshitze vermissen. Gerade in ihrem Feuereifer schienen sich die lauten Forderungen der funktionalistischen Architekten nach 1920 und die nationalsozialistische Baupropaganda zu gleichen. Die Beschränkung auf den Vorstellungsraum des direkt Benötigten, des Notwendigen schloss die Abkehr von einem allzu kämpferischen Avantgardebegriff mit ein, der eine unbedingte Gestaltungsuniversalität beanspruchte. In der Architektenschaft glaubte man, einen direkteren Weg zum Einfachen oder Alltäglichen finden zu müssen, einen Weg, gegen den eine Stildiskussion fehl am Platz wirkte. Die SBZ suchte sehr früh ihr eigenes Profil im Vermeiden intellektueller Alleingänge einzelner Personen. Die Gesellschaftsschicht der Intelligenz, zu der Architekten zählten, hätte sich darin vorsätzlich von werktätigen Gesell-

Bild 5: „Typ B“ der evangelischen Notkirche, Nordhausen-Niedersalza, Architekt Otto Bartning, 1949–50 65

Hilberseimer 1978, S. 103.

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schaftsgruppen entfernt. In der SBZ begründete sich der Aspekt des Einfachen im Bauen aus seiner umweglosen und schnellen Umsetzung. Was zuerst gebaut wurde, war aus der Not geboren und orientierte sich am verfügbaren Material und den verfügbaren Fertigkeiten. Das eilige Bauen wurde zu einem wirksamen Rechtfertigungsmuster gegen eine Formdiskussion und damit wieder zu einem eigenen architektonischen Ausdruck. Die Idee der Bescheidenheit im Bauen war angesichts der Trümmer in allen Besatzungszonen unterschiedlich besetzt. Das hing von der jeweiligen Vorstellung des veranschlagten Hochmuts ab, gegen den man sich jetzt zurückzunehmen habe. Die Aufrufe, vor dem Baubeginn des Neuen in eine Phase des Besinnens zu treten66, befolgten viele Architekten bis zur doppelten Staatsgründung zwangsläufig. Umso länger fanden diese Themen Zeit, diskursiv gegeneinander anzutreten. In einer der ersten politisch bedeutsamen Baumaßnahmen, der Ausgestaltung der Paulskirche in Frankfurt a. Main (1947–48), versuchte Rudolf Schwarz, das Prinzip der Zurückhaltung auf ein öffentliches Gebäude zu übertragen. Das Beispiel, das mit einer gesamtdeutschen Tragweite und Unterstützung rechnen konnte, sei erwähnt, weil man bei Schwarz eine Bildsprache der Bescheidenheit nachvollziehen kann, die er wissentlich einsetzte. Die Umsetzung, die nach seinem Entwurf bis zum 100-jährigen Jubiläum der ersten deutschen Nationalversammlung am 18. Mai 1948 fertig gestellt wurde, hatte ihre Gegner, die den historisch getreuen Wiederaufbau erwartet hatten. An Bauprojekten dieser Art, noch dazu mit einem nationalen, identifikatorischen und dadurch exemplarischen Gewicht, gewann die Kontroverse um die Gestaltung im Wiederaufbau an Schärfe.67 Hilfreich ist es, den Werdegang des einfachen Bauens als Parole und Metapher im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts zu verfolgen, um an den Kern einer getrennten Begriffsauslegung vorzudringen. Anlässlich einer Würdigung des architektonischen Werks von Max Bill weist Stanislaus von Moos auf Bills Suche nach dem „Essentiellen“ hin, die direkt aus der Kriegserfahrung herrühre und weniger aus einer Mies’schen Vereinfachungsästhetik.68 Gerade am heutigen Blick auf Bill erkläre sich ein Verständnis oder auch einfach nur die Wunschfigur vom „Minimalen“. Dabei bleibt jedoch das

66 67

68

Vgl. Confurius, Gerrit, in: Scheer; Kleihues; Kahlfeldt 2000, S. 223. Weitere bekannte Bauten mit gesellschaftlicher Relevanz, wie der Umbau der ehem. Pädagogischen Hochschule Bonn (Regierungsbaumeister Witte, 1931) zum Bundeshaus (Hans Schwippert, 1950) oder der Aufbau der zerstörten Alten Pinakothek München (Hans Döllgast, 1957) fallen ebenfalls in diese Kategorie. Vgl. Moos, in: Bundesamt für Kultur 1996, S. 9–32.

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„Reduit“ als reines künstlerisches Verfahren übrig und blendet das unzeitgemäße und geradezu verrufene Motiv der Moderne aus, „die Gesellschaft mitzuverändern“.69

2.1.2 Die SBZ als Schauplatz tugendhafter Not? Welchen Ausdruck suchten nach 1945 die gestalterischen Implikationen des Mangels in der SBZ? Gab es hier ein Sensorium für den ästhetischen Mehrwert der Bescheidenheit, oder stand hier die zu verändernde Gesellschaft an erster Stelle? Gab es hier eine besondere Einsicht in eine historisch notwendige Architektursprache, wie es der Potsdamer Regierungsbaurat Karl Josef Erbs in seinem Ausspruch anmahnte: „Man kann nicht zwei Kriege verlieren und bauen, als ob man sie gewonnen hätte.“70 Hermann Henselmann wiederum zitierte sich gerne selbst mit einem Ausspruch: „Habt den Mut zur Armut, und ihr werdet aus der Armut die Anmut gewinnen“71, der ihm später als klassenkämpferische Erklärung dafür diente, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg Architekt und Künstler „zu den Bedürfnissen der breiten Massen der Bevölkerung“72 hinwenden sollten. In der Rückschau Henselmanns schien damals ein antikapitalistisches Aktionsprogramm seine eigene Gestalt automatisch nach sich zu ziehen. In Äußerungen der Zeit können die Zwischentöne und die Selbsteinordnung in der Debatte um das Einfache, um das Angemessene, besser verfolgt werden. Ein ausgeführter Kleinhausentwurf des Weimarer Dozenten für „moderne Baukunst“ Emmanuel Lindner, einem Mies von der Rohe-Schüler des ehemaligen Dessauer Bauhauses, stellte sich dem zeitgenössischen Anspruch, auch im einfachsten Bauen Teil eines modernen Ideals zu bleiben. Sein Entwurf einer größeren Pultdachlaube mit dicken Lehmwänden fand über die bereits erwähnte Kulturzeitschrift „Athena“ den Weg auf die Lesetische einer intellektuellen Zielgruppe, die mit der Überschrift „Das Haus für 3000 Mark“73 für eine Kleinversion eines offenen Villengrundrisses begeistert werden sollte. Aus

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Frei, in: Bundesamt für Kultur 1996, S. 129. Erbs, in: Messeamt Leipzig 1947, S. 36; Auch wenn Erbs’ Rede von Appellen an die eine Schlichtheit, ohne „verliebte und rückschauende Baugestaltung“ wiederhallt, gibt er zum zweiten Auskunft darüber, wie er im Land Brandenburg den Aufbau gerne gesteuert sehen will, nämlich „daß der allgemeine bauliche Ablauf des gesamten Wiederauf baues durch ein gesamtdeutsches Aufbauprogramm allgemein verpfl ichtend geregelt wird.“ ebd., S. 36. Henselmann 1981, S. 244. Ebd. Vgl. Lindner, in: Athena 7/ 1946/47, S. 81ff.

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Bild 6: Pultdachhaus, Arch. Emmanuel Lindner 1946

Geboten der Sparsamkeit wurden Ideen der Zwischenkriegsmoderne neu interpretiert. Ein raumhohes Terrassenfenster findet sich ebenso wie der fließende Einraumgrundriss: „Da das Haus klein ist, kann auf die Glaswand im Süden nicht verzichtet werden.“ und: „Wesentlich mitbestimmend für den aufgelockerten Grundriß dieses Hauses war die Forderung, das Haus von einer einzigen Feuerstelle beheizen zu lassen.“74 Mit Lindners Entwurf verband sich sogar eine Grundsatzdiskussion um das Pultdach als dem dritten Weg in der Auseinandersetzung um Flach- oder Pultdach. Unter dem Titel: „Bescheidene Häuser im reichen und im armen Land, oder: Das mißachtete Pultdach als Tugend ohne Not“75 stellt Hans Josef Zechlin in der Neuen Bauwelt ein Schweizer Wochenendhaus (Arch. 74 75

Ebd., S. 82. Siehe Zechlin, in: Neue Bauwelt 2/ 1948, S. 23ff.

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Bild 7: Schweizer Wochenendhaus, Arch. Jean Suter

Jean Suter) eines „sicher nicht unbemittelten Schweizers“76 und den Entwurf Lindners eines Hauses für Neubürger gegenüber. Beide verfügten als eingeschossige Planungen über ein leicht geneigtes Pultdach, das bis zu diesem Zeitpunkt einen mehrfachen Bedeutungswandel zurückgelegt hatte. Von der Armseligkeit eines Nebengebäudes bis zur modernen Öffnungsgeste zu Licht, Luft und Landschaft, das in den Zwanziger Jahren auch reiche Bauherren als Stilmittel wünschten, reichte das Spektrum der Meinungen. „Das ging aber in Deutschland nur so lange gut, bis das ‚Behelfsheim’ kam. Seine Form wurde nun einem jedem zum Inbegriff des ‚Ersatzes’ der Billigkeit und also wieder der Armseligkeit. Der Architekt weiß, dass es nicht so ist, der Wohnungslose aber bleibt bei seinem Irrtum.“77 Spannend ist Zechlins Gegenüberstellung deswegen, weil er die interpretatorische Kluft zwischen der reichen Schweiz und dem „armen Land“, in diesem Fall die SBZ, überbrückt, indem er zuerst die elegante Ausstrahlung des Schlichten am Vorbild eines Ferienhauses mit Spielhalle, Schankraum und zwei Badezimmern schildert. Im Umkehrschluss will er dann die architektonische Ehre jener Behausung für Flüchtlinge retten, die als Minimalhaus unter unausweichlicher Notwendigkeit entstehen musste. Wenngleich im Fall Lindner nur ein Entwurf besprochen wurde, so war es ein anderer Weimarer Lehrer, Peter Keler, der eben solch ein Pultdachhaus als Wochenendhaus 1950 in der Nähe von Weimar verwirklichte. Im beschränk76 77

Ebd., S. 23. Ebd.

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Bild 8: Wochenendhaus bei Weimar, Peter Keler 1950

ten Rahmen des privaten Selbstbaus, fern jeglicher Repräsentationspflichten und nicht selten in einem Schrebergartenkontext, überlebten die modernen Konzepte des Existenzminimums, der Gartenstadt oder des Wohnens in Licht, Luft und Sonne. Eine präzise und fast wörtliche Synthese aus den Mangelbedingungen der Zeit ist eine Entwurfsidee von Gustav Hassenpflug für ein „Reihenhaus mit gewölbter Decke“, die er 1946 entwickelte.78 Auch wenn Hassenpflug einräumte, technologisch nicht sonderlich innovativ zu sein, sprach er davon, kein Behelf und kein Provisorium zu wollen, sondern eine zeitgemäße Erscheinung. Darin lag er nicht falsch, findet man doch nahezu identisch und ohne Notgebote dieselbe Gestaltlinie bei Le Corbusiers Wochenendhaus in La CelleSaint-Cloud in der Nähe von Paris (1935), das als Feriendomizil eine ähnliche Form der addierten, gewölbten Joche erreicht hat. Hassenpflugs ungebauter Haustyp vermied vorbildhaft sämtliche Materialien, die seiner Zeit fehlten: Zinkblech, Stahl, Dachpappe, Zement und sogar Holz. Dass Hassenpflug in seinem Entwurf eine Gestaltähnlichkeit im Sinn der aktuellen Architektursprache traf, führt zur Doppelfrage, wie die moderne Bewegung Reduktion und Abstraktion in Deckung bringt und wo die Mangelepochen des 20. Jahrhunderts vor allem der Reduktion zwangsweise Anlässe boten.79 Ob bei Neu78 79

Vgl. Hassenpflug, in: Der Bauhelfer 5/1946, S. 13f., vgl. auch Grohn 1985, S. 68. Eine umfassende Sammlung zu Gewölbehausentwürfen der Zeit und ihren Vorbildern der frühen Moderne gibt Butter, vgl. Butter 2006, S. 164ff.

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bauernhöfen oder Landschulneubauten, es war immer ein Mangel im Spiel, aus dem heraus Planer zwischen dem Willen und dem Zwang zur Gestalt schwankten. Darüber hinaus hatten sie wenig Zeit, in diesem Dilemma das Selbstbewusstsein einer Mangelästhetik zu entwickeln.

2.1.3 Angst und Utopie eines Jahrhunderts Der Nationalsozialismus mit seinem Hobbyarchitekten Adolf Hitler vermied und unterdrückte bis zu seinem Ende eine öffentliche Debatte über das Planen und Bauen. Der Krieg lähmte den Austausch unter Architekten in Europa zusätzlich. Unterschiedliche Positionen zur Architektur, wie sie vor 1933 formuliert und publiziert wurden, waren mit ihren Vertretern aus Deutschland ausgewandert oder im Land verstummt. Der Staatsbaustil des „Dritten Reiches“ war Frucht offizieller Befehle und stützte sich bei der monumentalisierten Auslegung des Klassizismus mehr auf politische Absichten als auf stiltheoretische Grundlagen.80 Diese Erstarrung löste erst der Bruch, der Wendepunkt von 1945. Die Zerstörungen in Deutschland und Europa und die geänderte politische Ordnung entfesselten jetzt eine Auseinandersetzung in der Architektenschaft, die in ihrem Ausmaß neu und für die kommenden Jahrzehnte prägend war. Der folgende Exkurs will die Begleitumstände der Zeit sichten und das überlieferte Meinungsbild deutschsprachiger Schriften und Beiträge zum Bauen nach 1945 vergleichen. Bei der Recherche wurde sichtbar, wie sehr die Rezeption der beschriebenen Standpunkte in den nachfolgenden Jahrzehnten von der deutschen Trennung beeinflusst war. Ost- und westdeutsche Denklinien haben sich erst nachträglich verfestigt und kannten in den Jahren 1945–49 den freien Austausch. Das Ausmaß der zonenübergreifenden Verbreitung von Büchern und Artikeln kann gleichwohl nur vermutet werden. Darum gliedert sich die folgende Schilderung in zwei Teile, wenn zuerst in die deutschsprachige Debatte außerhalb der SBZ vertieft wird und dann der SBZ als eigenem Diskussionsmilieu nachgegangen wird. Das Jahr 1945 war für das gleichermaßen unterworfene und befreite Deutschland ein ambivalenter Angelpunkt bezogen auf das Meinungsbild unter Architekten. Der Zusammenbruch des alten Systems ließ nicht zwangsläufig neue Themen entstehen. Er schuf jedoch neue Anlässe für das Gedeihen verschütteten Gedankenguts, das die Diskussionslandschaft seit der Jahrhundertwende geprägt hatte. Der empfundene Mangel an Orientierung schien jetzt einigen Utopien des 20. Jahrhunderts eine zweite Chance 80

Vgl. Kruft 1995, S. 451f.

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zu geben. Ganz gleich, aus welchem Meinungslager Architekten kamen, man wollte im mitreißenden Schwung eines vermuteten Umbruchs möglichst viele Forderungen unterbringen. „Die Trümmerfelder des Krieges haben, zumal in der Zeit zwischen den Zeiten, [...] die Träumer auf den Plan gerufen.“81 So Walther Schmidt in einem der ersten Entwurfslehrbücher nach dem Krieg mit dem Titel „Ein Architekt geht über Feld“ (1946). Gerade Architekten empfanden damals eine besondere Verantwortung, als gesellschaftliche Neuerer mitzuwirken. Über alle Lager hinweg konnten sich kurzzeitig weite Kreise der Architektenschaft zu Konsensmeinungen zusammenfinden. Unter dem Schock der Trümmer schien man sich einig zu sein. Den oben erwähnten „Nachkriegsaufruf“ von 1947 unterschrieben u. a. Hermann Tessenow, Bruno Taut, Egon Eiermann, Otto Bartning und Rudolf Schwarz. Der Nachkriegsaufruf verstand sich als ein moralischer Appell an die „Werk- und Werkstättengemeinschaft“ aller, „die guten Willens sind“82 und gab einen Querschnitt der Denkgemeinschaft wieder, die hauptsächlich in den westlichen Besatzungszonen den Aufbau inhaltlich stützte. Die gebaute und projektierte Naziarchitektur war ad acta zu legen. Ob man wie Walter Gropius den Staatspomp Nazideutschlands als „angewandte Archäologie“83 verlachte oder zumindest von der unfachmännischen Übernahme klassischer Kanonik angewidert war: Der pathetische Historismus der Staatsbauten des „Dritten Reiches“ spielte in den meisten Köpfen der Architektenschaft schnell die Rolle eines unangenehmen Zwischenfalls. Nach 1945 lag es nahe, die Inhalte und Formen des „Neuen Bauens“ wieder aufzunehmen. Allein die Ablehnung durch Nazis genügte als Rechtfertigung zu ihrer Rehabilitierung.84 Die „unschuldig gebliebene Moderne“, so nennt es der Architekturtheoretiker Gerrit Confurius85, war andererseits keinesfalls der genuine Nachkriegsstil. Neben der Beschwörung der Zwischenkriegsmoderne durch ehemalige Bauhäusler wünschten sich auch Architekten jenseits dieser Gruppe eine Rückbesinnung auf unbescholtene Bautraditionen, die eine verschüttet geglaubte abendländische Wertewelt verkörperten. An die Polarisierungen der Zwischenkriegszeit wollte man nicht mehr anknüpfen. Die Grabenkämpfe, die eine Entscheidung zu Flach81 82 83 84

85

Schmidt 1946, S. 115. Zit. n. Conrads 1964, S. 14. Gropius 1945, S. 49. Anja Baumhoff spricht sogar von einem „Glücksfall der unterbrochenen Tradition“, die der Sachlichkeit nach dem Krieg zu neuer Blüte verhalf, vgl. Baumhoff, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 16. Februar 2002, S. 52. Vgl. Confurius 2000, S. 225.

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oder Steildach, Flach- oder Hochbau zum Inhalt ideologischer Bekenntnisformeln gemacht hatten, waren nicht mehr vorrangig. Gleichwohl standen alle Protagonisten der Debatte unbewusst oder nicht im Verhältnis zu einer Denkrichtung oder Ausbildung, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die deutsche Architektur geprägt haben.

2.1.4 Meinungen zum Ende und Anfang Innerhalb der Positionen zum Wiederaufbau, die nach 1945 in deutschsprachigen Reden und Schriften geäußert wurden, sind übergreifende Strömungen zu erkennen. Zu welchen Anteilen in den verschiedenen Militärverwaltungsbereichen Deutschlands Positionen vor- und ausgetragen wurden, muss ein Vergleich der Inhalte leisten. Zum einen sind die systemabhängigen Randbedingungen der Diskussion von Interesse, zum anderen verläuft quer dazu eine Untergruppe von Meinungen innerhalb der Architektenschaft. Wo nach Erklärungen für die vergangene Katastrophe gesucht wird, schlossen sich auch Planer dem Standpunkt an, der Krieg sei ein Urteil gewesen, das einer entwurzelten und verirrten Welt gegolten habe. Dimension und Unausweichlichkeit des Neuanfangs wurden jenseits von Stilfragen in den Zeitkommentaren entsprechend hoch eingeschätzt. Erstaunlich ist, wie auch unter Architekten der Nationalsozialismus nicht als politische, sondern als zivilisatorische Katastrophe wahrgenommen wurde. In der damaligen Meinung der Intellektuellen passierte es, dass sich der „Irrtum Hitler“ einer vermuteten Verblendung unterordnete, die historisch tiefer angelegt sei. Das Schuldbekenntnis, gegen höhere, natürliche oder göttliche Ordnung verstoßen zu haben, vermischte sich mit einer bekannten Kritik an der Industrialisierung und ihren „physischen und moralischen Schäden“.86

2.1.5 „Verlust der Mitte“ Ein Buch, von einem Kunstwissenschaftler geschrieben, traf mit seinem Erscheinen 1948 den Nerv der Zeit und drang tief ins Bewusstsein deutscher Intellektueller und damit auch vieler Architekten. Mit dem „Verlust der Mitte“ stellte der österreichische Kunsthistoriker Hans Sedlmayr seiner Zeit die Diagnose, das Ergebnis eines bereits weit vor der Französischen Revolution begonnenen Krankheitsprozesses zu sein. Er belegte anhand von Phänomenen in Architektur und Kunst das Abweichen der Zivilisation vom „ewigen Gehalt“. Beginnend bei den „autonomen Architekturen“ eines Nicolas Ledoux 86

Rainer 1947, S. 18.

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über die Entwürfe Karl Friedrich Schinkels, denen er bereits Wurzellosigkeit attestierte, lieferte Sedlmayr schließlich eine Abrechnung mit der klassischen Moderne als Endpunkt dieser Entwicklung. Polemisch wurde er in seinem Vorwurf, die moderne Architektur stehe auf dem „niedersten Niveau, dem des materiellen Zwecks, [...] auf einem Niveau, das unterhalb der Sphäre des Menschen liegt, in den Häusern der Maschine“.87 Wie weit Sedlmayr von Positionen zeitgenössischer Architekten entfernt war, zeigte sein Ideal einer Welt, die zum „einheitlichen Stil“ zurückkehren solle. Diesen Stil finde man „nur dort, wo sich die Kunst in den Dienst einer Gesamtaufgabe stellt“. Er schwärmte von „sakral gebundenen Gesamtkunstwerken“ und der „unerschütterlichen Stilsicherheit der Romanik“.88 Mit einem historisch weit ausholenden Blick entlastete er die Geisteswelt seiner Tage von der Unerträglichkeit der Gegenwart. Die Ereignisse der vergangenen zwölf Jahre schrumpften zu einer Episode vor dem großen Zusammenhang. Seldmayr enthielt sich einer politischen Position zum Zustand Europas. Sein Anliegen siedelte er gerne über den Standpunkten an, und doch war sein Buch bei genauer Lektüre die Argumentationsquelle für einen klerikal gefärbten Konservativismus, der die Zeit der Hitlerherrschaft historisch relativierte.89 Seldmayrs Schlussfolgerung blieb unbestimmt. Als Gebrauchsanweisung funktionierte das Buch nicht. Dennoch deckte es sich mit der diffus empfundenen Auffassung vieler seiner Leser, in einer „krank gewordenen Welt“ zu leben. Wie bereit eine Nachkriegsgesellschaft war, ein Buch wie Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ zu empfangen, erinnert an den Erfolg von Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte“, das in zwei Bänden 1918 und 1922 erschienen war. Mit ähnlicher Betriebsamkeit, mit der die gebildeten Deutschen den Kriegsbeginn 1918 und auch 1939 zum Moment der Bewährung erklärt haben mochten, verspürten sie in der selben Gemeinschaft eine Sehnsucht, sich nach den Niederlagen unter dem Wort großer Epochenerklärer zu sammeln.

87 88 89

Sedlmayr 1948, S. 74. Ebd., S. 62. Sedlmayrs Text setzt sich zusammen aus Vorlesungen, die er zwischen 1934 und 1944 in Wien gehalten und niedergeschrieben hat. Anmerkungen zur Zeit des Nationalsozialismus beschränken sich auf ein mild tadelndes Urteil zum Neoklassizismus und seinem „halb bewußte(n) Drang nach etwas ‚Mehr’ unter einer humanistischen Stilmaske“, Sedlmayr 1948, S. 75.

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2.1.6 Zwischen Architektur- und Gesellschaftsidealen Die Jahre 1945–49 waren für Deutschland eine Zeit, in der sich die Menschen im Nebel fühlten und gerade deswegen nach Leitpunkten suchten. Die Trümmer rauchten nicht mehr und das, was kommen würde, zeigte seine Gestalt noch nicht. Was in den Jahren nach 1945 trotz Papierknappheit und unsicherer Vertriebsverhältnisse als Buch oder Artikel in Umlauf geriet, war von Leidenschaft, manchmal auch von aufdringlichem Pathos getragen. Wer dem ersten Nachkriegsjahrzehnt „theoretische Unsicherheit“ oder sogar „Theorielosigkeit“ 90 nachsagt, so Hanno Walter Kruft in seiner „Geschichte der Architekturtheorie“, übersieht leicht, dass die improvisierten Stellungnahmen, die Reden und Pamphlete ein wirkungsreicher und beachtenswerter Niederschlag eines in Jahren gereiften Nachdenkens waren. Gerade die Hast des Gesagten und das Ungestüm des Geschriebenen vermittelten das Seelenbild einer Zeit, die an den besseren Neuanfang glaubte. Das Meinungsspektrum der Architekten und Stadtplaner macht in der Zusammenschau auf den heutigen Betrachter einen verwirrenden Eindruck. Kaum einer der genannten Autoren konnte eine übergreifende Tendenz prägen. Mancher hingegen nahm in den Zeiten der verhinderten Baupraxis die Gelegenheit wahr, über sein eigenes, kommendes Werk Auskunft zu geben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war der Wiener Architekt Roland Rainer (1910–2004) Verfasser eines der ersten Architekturbücher im deutschsprachigen Raum.91 Mit seiner Schrift „Die Behausungsfrage“ (1947) nahm er ein Reizthema der Zwischenkriegszeit auf. Sein Standpunkt im Streit um „Flachbau oder Hochhausbau“ war eindeutig. Rainer hatte schon im Krieg in einer Untersuchung für das Deutsche Reich den Wiederaufbau mit grundstücksgebundenen Reihenhäusern untersucht.92 Modifiziert verteidigte er jetzt in Diagrammen und Berechnungen den Aufbau in Flachbauweise vorauseilend gegen jene, die den Massenwohnbedarf mit einem Aufruf zum Hochhausbau gleichsetzen wollten. Skandinavische, britische und holländische Beispiele illustrieren in seinem Buch die jahrhundertealte Praxis ebenerdigen, städtischen Wohnens. Mit bekannten Argumenten beschrieb Rainer die Mietskaserne als Ergebnis

90 91

92

Vgl. Kruft 1995, S. 505f. Österreich hat schon am 27. April 1945 seine Unabhängigkeit mit dem Wiederinkraftsetzen der Verfassung von 1920 erklärt. Die Architekturdiskussion fi ndet schnell ihren österreichinternen Rahmen. Dennoch sprachen Rainer und Schuster ein Publikum in allen Besatzungszonen des ehemaligen Reiches an, vgl. Achleitner 1996, S. 124. Siehe Rainer 1944.

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von Bodenspekulation und verfehlten Baugesetzen.93 Seine Kritik verschonte ebenso wenig den sonnengerichteten Zeilenbau, der zwar die Blockrandbebauung überwinde, dem er die entscheidende Innovation im Wohnen jedoch absprach. Rainer stellte dem allzu rationellen Wohnungsbau jenen „natürlichsten Trieb“ des Menschen gegenüber, einen Hausstand zu gründen, der sich an Haus und Garten binde.94 Im Verlauf seines Buches „Die Behausungsfrage“ verhehlte auch er sein Unbehagen an der Großstadt nicht. Die Folgen des Bombenkriegs bestärkten ihn, den Groß- und Riesenstädten nachträglich „Unwirtschaftlichkeit, Empfindlichkeit und Anfälligkeit“ zu attestieren. So empfahl er, die zerstörten Stadtballungen als Chance zur Verkleinerung zu nutzen: „Nur wenn wir uns fähig erweisen, das Verlorene durch Besseres zu ersetzen, [...] werden wir die Katastrophe in den Beginn einer glücklicheren Entwicklung wenden, den Opfern und Verlusten nachträglich Sinn verleihen können.“95 Eine zweite Stimme Österreichs war ein Schüler des deutschen Architekten Heinrich Tessenow, der Wiener Architekt Franz Schuster (1892–1972), der vor dem Krieg als Sozialdemokrat den Siedlungs- und Schulbau der Stadt Wien prägte. Ihn, der nach 1938 in Österreich geblieben war, ließ das Kriegsende gleichermaßen verunsichert zurück. Auch Schuster interpretierte die Zerstörung des Krieges samt nachfolgender Konfusion als direkte Folge einer „Verwirrung, die schon lange vorher warnend erkennbar“96 gewesen sei. Das Buch „Der Stil unserer Zeit“ (1948) war seine Abrechnung mit der Gestaltungswirklichkeit des 20. Jahrhunderts. Das Ende des Nationalsozialismus und der Abstand zur Zwischenkriegszeit gaben ihm Argumente an die Hand, sowohl Dekorstile des Neuklassizismus als auch Stilexperimente des „Neuen Bauens“ zu entlarven. In beiden diagnostizierte er „Trugformen“, Abweichungen von der „natürlichen Ordnung“. Er beschwor eine „neue Formkultur“, die sich auf „Ur- und Grundformen“ besinnen müsse. Schusters Sendungswille spitzte diese Entscheidung zur „moralischen Frage“ zu, deren historischer Zeitpunkt jetzt gekommen sei: „Wie selten sonst im Weltgeschehen, hat dieser vernichtende Krieg ein Vorher und Nachher geschaffen. Nur weniges auf den Gebieten des materiellen Lebens wird ungeprüft und unverändert in die neue Zeit hinüber genommen werden können; auf geistigem und kulturellem Gebiet muss alles neu gedacht, geordnet und geformt werden“.97 93 94 95 96 97

Vgl. Rainer bezieht sich dabei auf die Argumentation Rudolf Eberstadts in dessen Buch „Spekulation im neuzeitlichen Städtebau“, siehe Eberstadt 1907. Vgl. Rainer 1947, S. 34ff. Ebd., S. 121. Schuster 1948, S. 7. Ebd., S. 13.

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Eine Schlüsselfigur in der deutschen Wiederaufbaudebatte war Rudolf Schwarz (1897–1961). Schwarz, der als Kirchenarchitekt im Rheinland schon vor dem Krieg in Erscheinung getreten war, hoffte wie viele Intellektuelle seiner Zeit, aus der Not der Gegenwart eine Weisheit des Handelns zu ziehen. Er erweiterte die Situation der Deutschen zu einer Menschheitsentscheidung zwischen der technisch-modernen Welt und dem „älteren Plan des einfachen Lebens“.98 Wo beides nicht mehr funktioniere, müsse man über die Gegensätze hinweg einen dritten Plan befolgen. In den Schriften von Rudolf Schwarz spiegelte sich ein tief verwurzelter katholisch-klerikaler Standpunkt wieder. Sein Buch „Von der Bebauung der Erde“ (1949) trug in seinem Kern Planungen für die Stadtlandschaft Diedenhofen (Lothringen) aus dem Jahr 1942, die er damals im Auftrag der dortigen Zivilverwaltung erarbeitet hatte.99 Um diese organische Siedlungsidee kleidete Schwarz sein neues Meinungsbild. Er beschrieb die Nachkriegssituation als historischen Gipfelpunkt in einer Entwicklung der Maßlosigkeit oder sogar Gottesferne. Nun sei die „Wiederherstellung der Dinge“ an der Zeit, nachdem der „liberale Mensch [...] im Rausch seiner eingebildeten Freiheit hochmütig gewesen“100 war. Seine Ausführungen beschworen die

Bild 9: Ordnungsprinzipien der Natur und Wuchsformen von Siedlungen, aus: Rudolf Schwarz: Von der Bebauung der Erde, 1949

98 Vgl. Schwarz 1949, S. 103. 99 Vgl. Durth; Gutschow 1993, S. 402ff. 100 Schwarz 1949, S. 9.

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Rückkehr in eine Zeit vor einer vermeintlichen Entwurzelung. Der Architekt könne dazu beitragen, indem er den Raum, die Landschaft mit Städten und Dörfern neu und harmonisch ordne. Die Kriegszerstörung der deutschen Städte kam auch für Schwarz dem Ende der Großstadt gleich. Das Wesen der städtischen Siedlung sollte nun von einer „Durchgemeindung“ getragen sein und das „allgegenwärtige Dorf [...] die gedunsene Großstadt, wieder leibhaft gliedern“.101 In einem Plan für den Wiederaufbau Kölns (1946) setzte Schwarz auf die Heilung einer „formlosen Massenstadt“, deren Quartiere sich wieder um Pfarrkirchen ordnen sollten. Das Buch bemühte sich, Begriffe wie „Bodenverbundenheit“, „Heimatlichkeit“, „Landschaftsständigkeit“ vor dem geschehenen nationalsozialistischen Zugriff auf ein höheres Geistesniveau zu retten. Aus der Überzeugung, am schicksalhaften Wendepunkt einer gefallenen Welt zu stehen, versuchte er die Klärung der Verhältnisse nach vorindustriellen Gesellschafts- und Siedlungsbildern. Dort glaubte Schwarz Werte zu erkennen, die viel zu lauter und zu ewig seien, als dass sie durch Missbrauch während der zwölf Jahre ins Unrecht hätten gesetzt werden können. Dabei hielt er an einem Denkmuster der Deutschen als Handlungs- und Pflichtengemeinschaft fest. Aus der Verstrickung hätten sie, die Deutschen, einen „unendlichen Auftrag“ auf sich geladen. Größte Schuld und größte Gnade zeichne dieses Volk vor den anderen aus, so formulierte Schwarz seine eigene Lesart deutschen Sendungsbewusstseins.102 Auch Hugo Häring (1882–1958) nahm die Situation nach 1945 als „entscheidende krise der entwicklung der menschheit“103 wahr. Programmatisch war seine „Ansprache an die architekten des ‚neuen bauens’ 1946“, die in einem Schriftenband mit dem Titel „Neues Bauen“ 1947 erschien. Diese Sicht verband ihn mit vielen Zeitgenossen, die Krieg und Niederlage in Deutschland als Indiz einer verirrten Zivilisation erlebt haben wollten. Härings Urteil konnte grundsätzlicher nicht sein. Zerstörung und Untergang repräsentierten für Häring das Strafgericht, das den „zusammenbruch des abendländischen Menschen samt seinem technischen kulturapparat“.104 beweise. Er stellte die technische Welt gegen eine geistige, höhere Welt, deren Herrschaft es wieder aufzurichten gelte. Historisch-geografisch argumentierte Häring, dass das Kräftefeld beider Welten zwischen Ost und West liege, zwischen Amerika und Russland. Er geriet in ein gefährliches Ent101 102 103 104

Ebd., S. 207. Vgl. Pehnt 1997, S. 112ff. Vgl. Häring 1947, S. 23–44. Ebd., S. 31.

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schuldigungsmuster, wenn er Deutschland den Schauplatz zuwies, wo die von ihm diagnostizierte Krise, deren letzte Konsequenz der Krieg war, unausweichlich “dank seiner lage zwischen ost und west nur ausgelöst worden ist“105. Ebenso sei Deutschland nach der Katastrophe des Krieges beauftragt, den „prozess der umkehr“106 als Erster zu vollziehen. Hier näherte sich seine Argumentation dem Motiv vom auserwählten Volk, das Rudolf Schwarz in „Von der Bebauung der Erde“ zwei Jahre später skizzieren würde. Eine zweite Polarisierung in seinem theoretischen Koordinatensystem nahm Häring zwischen „rückwärts- und vorwärts gewandten“ Entwurfsprinzipen vor. Auf eine kleinliche Stildebatte im Horizont seines Jahrhunderts wollte auch er sich nicht einlassen. Wie Sedlmayr holte er weit in der Geschichte aus, wenn er zwischen Gotik und Renaissance den frühen Pendelschlag zwischen „Organik“ und „Geometrie“ vermutete und die Gegenwart zur erneuten historischen Umbruchsepoche erklärte. Hugo Häring schrieb: „Es geht also darum, über die geometrie zur organik zu kommen. Das ist das pensum des abendlandes. (Denn wir haben ein genaues pensum vor uns, das mächtiger ist als wir, und das wir uns nicht aussuchen können)“.107 Wie er jedoch Gestaltwillen geografisch verortete und die Organik „im traditionsraum der nordischen völkerschaften“108 ansiedelte, erinnert an eine bedenkliche Gleichsetzung von Boden und Schicksal. Das Spiel mit Gegensatzpaaren prägte die gesamte Schrift und umschreibt Härings Wunsch nach Einordnung in einer Zeit, die auch ihm haltlos schien.

2.1.7 Die neue Stadt auf der tabula rasa Für die Architektenschaft nach 1945 gebot das Phänomen der Stadt, der vergangenen, zerstörten Stadt, einen gewandelten oder zumindest reflektierten Standpunkt im Bauen. Die Stadt in einer neuen Form zu erschaffen, bot für viele Architekten, Städteplaner und Politiker den Anlass, ebenso die Gesellschaft als Ganzes neu zu denken. Die aufgelockerte Stadt, die als Slogan seit der Jahrhundertwende das Bild einer neuen Zeit befruchtet hatte, war jetzt nicht mehr nur eine Theorie. Für manchen Architekten wurde sie zwischen den Trümmern direkt lesbar. Die sichtbare Zerstörung ließ Visionen blühen. Es war die schnell gewachsene Stadt der Industrialisierung, die nach 1900 den Humus für Reformideen, den Gartenstadtgedanken und 105 106 107 108

Ebd., S. 32. Ebd., S. 33. Ebd., S. 14. Vgl. ebd.

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die Forderung nach „hygienisch“ optimalen Lebensbedingungen bereitet hatte. So verheerend sich der Krieg gerade in jenen dichtesten Quartieren ausgewirkt hatte, so gelegen kam manchem Anhänger einer neuen Stadtidee die plötzlich geänderte Ausgangssituation. In den Vorstellungen vieler Planer entstand jetzt die Stadt als großzügig durchgrünter Siedlungsraum. Gesucht wurde das Gegenbild zum „Moloch“, zur Stadt als einer verschlingenden Macht. Die Vorstellung von der Metropole war aufgeladen genug, um sowohl die Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“, als auch heimatbewegte Konservative mit Unbehagen zu versorgen. In der „Charta von Athen“ hatte Le Corbusier 1943 die Hauptgedanken der C.I.A.M. zusammengefasst, wie sie seit dem Athener Kongress 1933 formuliert waren.109 Der Diskurs, den das Papier anregen wollte, erklärte ein Gemeininteresse zum inhaltlichen Zentrum, dem ein übergreifendes Ordnungsprinzip folgen müsste. Die Trennung von Wohnung, Fabrik, Freizeitstätte und Verkehr habe die gesamte Stadt als „funktionelle Einheit“ zu erfassen und setzte radikale Handlungsinstrumentarien voraus. Die „Charta von Athen“ lag erst 1962 in vollständiger deutscher Übersetzung vor und kann nach 1945 noch keineswegs als Allgemeingut angenommen werden. Die ersten Ideen für den Wiederaufbau Berlins, wie sie im „Kollektivplan“ von einem Team um Hans Scharoun 1945/46 entworfen wurden, trifft in diesem Geist das Bild einer Landschaft, in der eine solche aufgelöste Stadt ihre alte Form gänzlich verlässt. Das Planungsmotiv der entflochtenen Stadt, wie sie die „Charta von Athen“ zeichnete, deckte sich überdies verblüffend mit luftschutzrelevanten Planungen, die schon während des Krieges die deutsche Reichsregierung eine neu organisierende Städteplanung betreiben ließ. Die Stadtlandschaft, in der Siedlung und Natur ineinander fließen, war als Gedanke über Jahrzehnte in sehr verschiedenen Köpfen gereift und traf nach Kriegsende zum ersten Mal auf die Voraussetzungen, um verwirklicht werden zu können. Eine einfache volkswirtschaftliche Näherung an das Thema stellte der in die USA ausgewanderte Stadtbaurat Berlins Martin Wagner an. In seinem Statement „Wenn ich Baumeister von Deutschland wäre“ fragte er, woher die Kapitalbildung für den benötigten Wohnraum in Deutschland kommen solle, wenn eine Stadt Investitionen pro Bewohner tätigen müsse, die weit über denen der Zwischenkriegszeit lägen. „Woher [...] soll ein verarmtes Deutschland das Kapital für Millionen von neuen Wohnungen nehmen,

109 Den Wortlaut, die Geschichte der Übersetzung ins Deutsche und die Rezeptionsgeschichte der „Charta von Athen“, siehe Hilpert 1984.

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wenn das ‚reiche’ Deutschland im Jahre 1928 nur einen Reinzuzug von 310.000 neuen Wohnungen finanzieren konnte?“110 Damit schloss er allein aus ökonomischen Gründen Städtebau in „feudaler Palast-Architektur“111 aus. Er konnte 1946 noch nicht auf Projekte wie die Berliner Stalinallee anspielen, das nach 1950 die Wohnbauressourcen der DDR verschlingen sollte. Gemeint war vielmehr das bekannte Feindbild der wilhelminischen Architektur als Inbegriff des Bauens in kostspieliger Handarbeit. Ebenso im amerikanischen Exil lebte der ehemalige Bauhausdirektor Walter Gropius, der 1945 im Exil die Schrift „Rebuilding our communities“ verfasste. Er schrieb nicht ausdrücklich über den Aufbau Deutschlands. Sein Buch beklagte vielmehr generell den mangelnden Gemeinschaftsgeist der schnell wachsenden Großstadt und suchte nachvollziehbare Lebenszusammenhänge in erster Linie in einem neuen Siedlungsmodell. Seine Pläne einer überschaubaren Gemeinschaftseinheit setzte Gropius gegen die unkoordinierte Verstädterung, die er aus der Anschauung in den U.S.A. in weit dramatischeren Formen kannte als seine deutschen Berufskollegen.112 Der beendete Krieg war auch für ihn der Anlass, nicht nur die Stadt, sondern das Zusammenleben in der Stadt zum Ziel der Kritik zu machen. Mit Martin Wagner, Hugo Häring und Walter Gropius meldeten sich externe Stimmen zu Wort. Ein Gemisch aus einer inneren Gedankenwelt und Berufsroutine mögen jene Architekten in sich getragen haben, die in Deutschland geblieben waren. Der Architekt und Städteplaner Hans Bernhard Reichow (1899–1974) konnte im Jahr 1945 auf eine Werkkontinuität zurückblicken. Nach 1933 war er in Planungsstäben tätig und hatte schon in den 1930er mit Entwürfen für Brandenburg und Stettin den Begriff der „Stadtlandschaft“ geprägt. Auch er rechnete in seinem Buch „Organische Stadtbaukunst“ (1948) zuerst mit der Großstadt ab. Am Bild der Stadt indizierte er die Schieflage, die „Naturwissenschaft und Technik zusehends in ein vordem geordnetes Weltbild“113 gebracht haben. Die Großstadt war bei Reichow gleichbedeutend mit einem anonymen, naturentrissenen Lebenswandel in einer rauchverpesteten Atmosphäre. Schon 1944 hatte er angesichts der Kriegszerstörungen in Hamburg eine ideale Bandstadt, eine begrünte Stadtlandschaft vorgeschlagen, in der die „Lebenseinheit“ zwi-

110 Wagner, in: Aufbau 9/1946, S. 881. 111 Ebd., S. 880. 112 Gropius nennt das „The sense of community spirit lost in the chaos of the fast-growing metropolis“, Gropius 1945, S. 52. 113 Reichow 1948, S. III.

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schen Mensch und Natur wieder hergestellt werden solle.114 Was damals noch in die Ideologie des „Dritten Reiches“ integriert war, wurde abgewandelt, nach 1945 zum Begriff der „organischen Stadt“ umformuliert. Die historische Gelegenheit der flächenhaften Zerstörung wertete auch Reichow als Chance, die Großstadtkultur hinter sich zu lassen. Mit Vergleichen aus der Biologie bebilderte er die funktionalen Zwangsläufigkeiten einer Stadt, die sich dem Fluss unterschiedlicher Medien unterwirft, sich Landschaften anpasst und mittels einer festgelegten Trennung von Arbeit, Wohnen, Bildung und Freizeit zu einem „Stadtorganismus“ gefügt wird. In der Debatte bezog der Architekt Walter Schwagenscheidt (1886–1968) eine absichtliche Zwischenposition. In seinem Buch „Die Raumstadt“ (1949) nahm er das Kriegsende nicht zum Anlass, über das Schicksal der Menschheit im Allgemeinen nachzudenken. Zur Theorie verwies er auf Werke seiner Kollegen, auch aus der Zeit vor dem Krieg, auf die Raumtheorien Hermann Sörgels, auf Adolf Loos, auf Le Corbusier und auf Heinrich Tessenow. Unumwunden attestierte er den zerbombten Innenstädten Deutschlands im Trümmerzustand „reizvolle Durchblicke“ und sprach von einer „begeisternden Schönheit“ der neu entstandenen Raumbezüge.115 Auch wenn er eine solche Bemerkung rein künstlerisch verstanden wissen wollte, sprach er aus, was viele Städtebauer der Zeit als Meinung teilten. Die aufgelöste Stadt war in der zerstörten Stadt greifbar geworden. Schwagenscheidt misstraute jenen Umständen, die zum Wieder-Aufbau, d.h. einem wiederholten Aufbau, des Alten führen könnten. Für ihn war klar, dass „die zerstörten Städte vollständig anders“116 aufgebaut werden. Wie Schwagenscheidt begegnete auch Otto Bartning (1883–1959) dem Begriff „Wiederaufbau“ in einem damals viel zitierten Artikel mit Skepsis. In den Frankfurter Heften hielt er 1946 unter der Überschrift „Ketzerische Gedanken am Rand von Trümmerhaufen“117 alles was nach Wiederholung klang, für seelisch unmöglich. Es wäre die Wiederherstellung schmerzlich überwundener Zustände. Räume von eindeutiger Klarheit sehnte er sich herbei, die den Neuanfang architektonisch umsetzen, um das Vergangene weit zurückzulassen.

114 115 116 117

Vgl. Durth; Gutschow 1993, S. 260. Schwagenscheidt 1949, S. 54. Ebd. Vgl. Bartning, in: Frankfurter Hefte 1/1946, S. 63–72.

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2.1.8 Industrialisierung und Massenbedarf Die kommenden Bauaufgaben verknüpften Architekten und Ingenieure nach Kriegsende mit der Unausweichlichkeit industrialisierter Fertigung im Bauwesen, eine Schlüsselthematik im Bauen nach 1900. Was unter den Umständen des großen Bedarfs zu bauen war, musste schnell und rationell zu bauen sein. Das könne in seiner Menge nur über typisierte Systeme geschehen. Ausgerechnet aus der neutralen Schweiz wurde schon 1945 allen späteren Meinungen von einem jungen Architekten, Max Bill (1908–94), ein Buch vorausgeschickt, das mit dem schlichten Titel „Wiederaufbau“118 die weltweiten Beiträge zu Siedlungs- und Konstruktionsweisen nach Zerstörungen zusammentrug. Als ehemaliger Dessauer Bauhausstudent war Bill mittlerweile ein Experte in der Industrialisierung des Bauens geworden. Er ordnete die verschiedenen Methoden für schnell zu errichtende, typisierte und normierte Konstruktionen und berücksichtigte Wiederaufbauprojekte für Rotterdam, London und Stalingrad. Das Buch verstand den offensichtlichen Zwang zum schnellen Bauen in der Not als Gelegenheit, neue Produkte und Patente aus Europa und den USA vorzustellen. Ein erfahrener Kopf auf dem Gebiet der Vorfertigung war auch Ernst Neufert (1900–86), der seit der ersten Auflage seiner „Bauentwurfslehre“ (1936) die Standardisierung zum Leitmotiv seiner Lehrbücher machte. Die Mitarbeit in deutschen Normungsgremien garantierte ihm während des Nationalsozialismus eine intensive Beschäftigung mit den Fragen der standardisierten „Hausproduktion“.119 Mit mathematisch-technischen Argumenten konnte Neufert nach 1945 seine Erkenntnisse zur Normierung direkt weiter verwenden und zur Grundlage fortgesetzter Forschungen im rationalisierten Bauwesen machen. Für Architekten wie Bill oder Neufert war es der Umstand des Zwangs, der sie beflügelte, nach neuen technischen Lösungen im Bauen zu suchen. Standardisierung und Vorfertigung sowie Experimente mit neuen Materialien oder Halbzeugen lagen für beide nahe und wurden in höchst unterschiedlichen politischen Kontexten mit ähnlichen Heilserwartungen besetzt. Ebenso wie der Mangel zum Förderer vereinheitlichender bautechnischer Rationalisierung werden konnte, legte er widersprüchlicherweise den Rückzug in eine regionale Bauproduktion nahe, die mit vorgefundenen Ressourcen, Arbeitskräften und Fertigkeiten haushalten musste. Der von Laien bereinigte Trümmerziegel wurde als Rohstoff geradezu zum Symbol des Wiederaufbaus. Wie 118 Siehe Bill, 1945. 119 Neufert in einem Vortrag zum I. Congrès de l’Union Internationale des Architectes (UIA) in Lausanne vom 28. Juli 1948, zit. n. Prigge 1999, S. 384.

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weit sich Typisierung im Entwurf und Dezentralisierung im Bauen ergänzten oder in einen Konflikt traten, wird nicht nur im Zusammenhang des Neubauernprogramms in der SBZ zu erörtern sein.

2.2 Die SBZ als eigenes Diskussionsmilieu Die Sammlung der genannten Zeitstimmen hält sich an den kurzen Zeitausschnitt dieser Arbeit. Alle erwähnten Schriften füllten den Gesprächsraum bis 1949. Auch wenn die zitierten Bücher in die gesamtdeutsche Auseinandersetzung geschickt wurden, kann nur gemutmaßt werden, was davon auf den Tischen der Architekten in der SBZ gelegen hat. Beleuchtet man die publizierten Beiträge zum Bauen der Zeit, so vermittelt sich der Eindruck, sie seien vorwiegend außerhalb der SBZ entstanden. Zu dominant in Zahl und Verbreitungsgrad sind die Meinungsäußerungen aus den westlichen Zonen, als dass man von einem ausgeglichenen Austausch mit der SBZ sprechen kann. Dass man es nicht mit einem symmetrischen Debattenbild zu tun hat, ist nur teilweise mit den verschiedenen Gebietsgrößen der SBZ und dem westlichen Zonenverbund erklärlich. Wohl fanden Architekten in der SBZ Gelegenheit, in Zeitschriftenartikeln oder in einer Rede, Gedanken zum Aufbau in eine Publikation zu kleiden. Es gab öffentlich verhandelte Standpunkte, besonders dann, wenn es um „reformerische und revolutionäre Strömungen, für das junge, aus tatsächlichen oder vermeintlichen gesellschaftlichen Umwälzungen hervorgegangene Staatswesen“120 ging. Dennoch veröffentlichte man in der SBZ eher Handlungsanweisungen, Leitfäden oder Ratgeber für das Bauen als Theorien und kümmerte sich um das „lebenspraktisch Diesseitige“.121 Schätzke wagt eine Charakterisierung einer eigenständigen Diskussion in der SBZ und ihrer ausdrücklich nutzbezogenen Suche nach den „Möglichkeiten und Aufgaben, die der Architektur einschließlich des Städtebaus zugetraut und abverlangt“122 werden konnten. Und doch lassen sich Gedankenlinien über die Zonengrenzen hinweg studieren. Der oben erwähnten Schrift „Ein Architekt geht über Feld“ von Walther Schmidt (1946) kann das Buch „Grundlagen für den Aufbau in Stadt und Land“ von Karl-Josef Erbs aus dem Jahr 1948 als Äußerung aus der SBZ gegenüber gestellt werden. Auch Erbs, damals Regierungsbaurat in Potsdam, zeichnet das Bild einer neuen Stadtlandschaft und kann selbst auf Überlegungen zurückgreifen, die er schon vor 1945 in diese Richtung getan 120 Schätzke 1991, S. 10. 121 Hain, in: Institut für Auslandsbeziehungen e.V. 2004, S. 27. 122 Schätzke 1991, S. 10.

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Grafik 3: Schaubild zur Unterbringung von Flüchtlingen, aus Karl Josef Erbs: Grundlagen für den Aufbau in Stadt und Land, 1948

hatte. Aus einem „tiefen Gefühl der Einfügung“ beschwor Erbs einen „nüchternen und zweckhaften“ Bauausdruck, der sich sowohl der „Altromantik“ als auch „modischen Torheiten“ enthalte.123 Jörn Düwel untersucht beide Bücher auf ihre Gemeinsamkeiten und unterwirft sie der Frage, wie sich das Gedankengut des späteren Bauens nach „Nationalen Traditionen“ vorbereitete und wo sowohl Schmidt als auch Erbs jene zeitlose Architektursprache beschworen, nach der auch der Nationalsozialismus gesucht hatte. Düwel bemerkt, dass in beiden Büchern die offizielle Repräsentationsarchitektur unter Hitler ihrer Maßlosigkeit und Proportionsschwäche überführt wurde, während sich in der Alltagsarchitektur zwischen 1933 und 1945 jene vereinfachte und schlichte Traditionalität durchgesetzt habe, die beide Auto123 Vgl. Erbs 1948, S. 49. Das Buch erschien 1948 und bestand aus Lehr- und Forschungsinhalten, die der Herausgeber als Kriegshilfsdozent in den Abschlusssemestern der Hochbauabteilung an der Ingenieurakademie Strelitz in Mecklenburg in den Jahren 1942/45 zusammengestellt hatte.

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ren als erhaben und ewig umschreiben würden.124 Was in diesem Fall wie ein Konsens wirkt, soll nicht davon ablenken, dass in der SBZ eine eigene reflektierende Rolle zur nationalsozialistischen Architektur zu finden ist. Diese intellektuelle Leistung müsste hier schärfer und konsequenter als in den Westzonen geschehen sein, geht man davon aus, dass die Gesellschaft der SBZ gründlicher entnazifiziert worden ist.125 Auf der Suche nach Unterschieden und Deckungsgleichheiten zwischen der SBZ und den Westzonen erscheint in Heinrich Tessenow (1876–1950) eine Person, die eine Brücke zwischen den Debatten vermuten lässt. Er galt in Fachkreisen als Integrationsfigur, als altersweiser und geachteter Lehrer. Für Tessenow schien die eigene, in Jahren gereifte Sichtweise des Einfachen gut in die Stimmung der Orientierungslosigkeit nach 1945 zu passen. Jetzt hatten Themen erneut ihre Konjunktur, welche sein Werk schon vor dem Ersten Weltkrieg gekennzeichnet hatten, wie z.B. eine ländliche und bodennahe Siedlungsweise und eine daraus abgeleitete Architektursprache. Tessenow empfahl, von der Abwesenheit einer eindeutigen Herrschaft zu profitieren und die „sehr heilige Unklarheit“126 zur Selbstbesinnung zu nutzen. Auch wenn er nach 1945 nicht mehr publizierte, war er über die Zonengrenzen hinweg immer noch öffentlich präsent. Seine Position nach 1945 legte er z.B. in einem später gedruckten Vortrag dar, den er am 13. November 1947 im

Bild 10: Heinrich Tessenow, Studie zu einer Straßenkreuzung mit geschlossener Bebauung, 1946

124 Vgl. Düwel 1995, S. 104. 125 Vgl. Weber 1999, S. 62f. 126 Zit. n. Wangerin; Weiss 1976, S. 61.

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Museum für Hamburgische Geschichte hielt. Hier führte auch er den Wandel der großstädtischen zu einer „nachgroßstädtischen Kulturwelt“ aus.127 Der Aufbau nach dem Krieg sollte sich in Trümmerlandschaften einpassen, die in seinen Augen eine neue, gegebene Topografie geformt haben. Gerade in diesem Vortrag jedoch erwies sich Tessenow mehr ratlos als belehrend, selbst wenn ihm dieses Uneindeutige von seinen Zeitgenossen auf die positive Botschaft hin interpretiert wurde, „wach zu sein und immer wacher zu werden im Erwarten und Erkennen und in der Bereitschaft, dem Kommenden gefasst entgegenzutreten“.128 Für die Wiederaufbauplanung Rostocks war Tessenow als gebürtiger Sohn der Stadt schon 1946 beauftragt worden. Eine „Stadt unter Bäumen“ sollte hier die alte Blockrandstruktur aufbrechen,129 was er in ähnlicher Form ebenfalls für den Wiederaufbau Wismars vorschlug. Diese Ideen entsprachen seiner Angst, in alte, zu groß gewordene Strukturen zurückzukehren. Heinrich Tessenow starb 1950. Er hatte keine Gelegenheit mehr, die Baumaßnahmen in Rostock oder Wismar über das Projektstadium hinaus zu begleiten. Er hatte dennoch fünf Jahre Zeit, das Ideengut aus den Jahren von Lebensreform und Gartenstadtbewegung direkt in die ersten Nachkriegsjahre zu tragen. Dass er über eine gesamtdeutsche Bühne verfügte, zeigte sein Engagement als Gutachter in der Aufbauplanung von Lübeck 1947 und die Wiederberufung auf seinen alten Lehrstuhl an der TU Berlin-Charlottenburg im selben Jahr. Einen stellvertretenden Nachruf auf Tessenow schrieb der junge Architekt Hermann Henselmann zu dessen Tod 1950 in der Zeitschrift „Planen und Bauen“ voller Hochachtung und schlug überdies einem Ton an, der den Altmeister als Wegbereiter der „Nationalen Traditionen“ in die aktuelle Architekturlinie einbaute.130 Dieser Versuch, Tessenow posthum zu einem DDR-Architekten zu machen, musste tönern klingen. Während Tessenow eine eindeutige Rolle für den gesamtdeutschen Gedankenaustausch spielte und seit Jahrzehnten als Leitfigur galt, trat in Henselmann eine neue Generation auf den Plan, die der Debatte in der SBZ ein eigenes Profil geben konnte. Hermann Henselmann war wohl der architekturpublizistisch betriebsamste Geist der SBZ. Er sah sich in einer Position, die ihm zu erlauben schien, sich mit markigen Worten von der Zeit vor 1945 abzugrenzen. Sein kritischer Blick erfasste die bekannten Repräsentationsbauten des untergegangenen Reiches, die man allein schon aus der Eigenpropaganda des Regimes als Leitbauten im Gedächtnis hatte. In der Zeitschrift „Aufbau“ schickte er schon 127 128 129 130

Vgl. ebd., S. 61. Zit. n. Spörhase, in: Baurundschau 1,2/1948, S. 4. Vgl. Durth; Gutschow 1993, S. 330. Vgl. Henselmann, in: Planen und Bauen 12/1950, S. 425.

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1945 seine Analyse der „Nazibauten“ in die Diskussion und war damit sicherlich einer der Ersten unter den deutschen Architekten.131 Er nimmt dabei den Standpunkt des überzeugten modernen Architekten ein, dem die Baukunst der Nazis nichts als „Blechmusik übertriebener Repräsentation“132 bedeutete. Mit der Absicht, große Volksmassen mit Bauten auszustatten, sei das Paradoxon der dazu notwendigen Bautechnik unauflösbar gewesen, einer Technik die Beton und Stahl einschloss und gleichzeitig Stilmittel des Handwerklichen bemühte: „Säulen, die außen recht solide und kalksteinern aussahen und deren Kern aus Eisen und Beton waren“.133 Der Begriff „nationalsozialistische Baukunst“ sei ein Widerspruch in sich und tarne nur den Versuch, „die Maßlosigkeit in die Welt des Maßstabes zu übertragen“.134 Henselmann wollte Begriffe wie „Ordnung“ und „Schönheit“ dem Zugriff falscher Vereinnahmung entwinden und fühlte sich dem Denkmilieu des „Neuen Bauens“ besonders verhaftet, wenn er seine eigenen zeitgleichen Entwürfe, etwa den neuen Typ eines Kulturhauses, mit Vokabeln wie „Heiterkeit“, „Transparenz“ und „Luftigkeit“ belegte.135 Henselmann hatte in Thüringen seinen Wohnund Wirkungsort bis 1949, war Sprachrohr und Urteilsinstanz und nutzte das Land während der vier Jahre bis zur Republikgründung als Bühne und Schauplatz seiner Positionsbestimmung. Henselmann war es auch, der stellvertretend für den erst gegründeten Planungsverband Thüringen antwortete, nachdem Hubert Hoffmann, schon im Herbst 1945 seine Denkschrift der Deutschen Akademie für Städtebau mit dem Titel „Raumordnung und Wiederaufbau der Städte“ aus Magdeburg in die SBZ hinaus gesandt hatte. Diese Denkschrift Hoffmanns war ein bemerkenswerter und früher Fall, wie in der SBZ eine breite Diskussion zum Aufbau nach dem Krieg entfacht werden wollte. Hoffmann, auch er Dessauer Bauhausabsolvent, plädierte in seinem Papier für die Schrumpfung von Großstädten um bis zu 50% und eine „lockere und weiträumige Bebauung“.136 Hoffmanns Vorstoß konnte die Stimmung sechs Monate nach Kriegsende noch nicht einschätzen und verschaffte ihr gleichzeitig eine erste Standortbestimmung. Er setzte sich mit einem Bild architektonischer Angemessenheit auseinander und versuchte, seine Zeit unter der Überschrift „Der Ausdruck“ mit einem architekturgeschichtlichen Vergleich einzuordnen: „Wir sind arm geworden, – ärmer als wir es nach dem napoleonischen 131 132 133 134 135 136

Siehe Henselmann, in: Aufbau 2/1945, S. 129–136. Ebd., S. 133. Ebd. Ebd., S. 136. Vgl. Henselmann, in: Neue Bauwelt 46/1947, S. 725. Denkschrift der Deutschen Akademie für Städtebau; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 124.

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Bild 11: Anschreiben Hubert Hoffmanns an die Weimarer Hochschule zu seiner Denkschrift „Raumordnung und Wiederaufbau der Städte“, Herbst 1945

Abenteuer vor 130 Jahren waren. Unsere Bauten werden dafür noch sparsamer und bescheidener sein, als in den Zeiten des Biedermeier. Sie brauchen darum nicht weniger würdig zu sein. Es sollen aber keine Nachahmungen des Biedermeier werden, sondern Bauten, die aus den Lebensnotwendigkeiten und den technischen Voraussetzungen unserer Zeit entwickelt werden. [...] Wir verzichten auf hohle Repräsentation, auf barocke Achsen und entliehene Symbole früherer Zeiten.“137 Seine Vision ging bis zum proklamierten Abbau der Industrien, wonach „erhebliche Teile der städtischen Bevölkerung in die Urproduktion zurückgeführt“138 werden sollten. Hermann Henselmann entgegnete umgehend, er fände die nivellierende Größenänderung von Großund Kleinstädten nach Zahlenschema einen „ungeheuren Rückschlag in der Entwicklung des gesamten zivilisatorischen und kulturellen Lebens“139 und verwehrte sich lapidar gegen eine metropolenfeindliche Grundsatzhaltung mit der Bemerkung: „Die Großstadt gehört nun mal zu unserem modernen Leben.“140 „Die Verewigung eines Zustandes, der sich aus der Zwangsläufigkeit der gegenwärtigen Verhältnisse ergibt, würde eine erhebliche Störung 137 138 139 140

Ebd. Ebd. Stellungnahme Hermann Henselmann (o. Datum); ThHStAW, LaThMWA, 3049, Bl. 3. Ebd.

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des gesamten europäischen Organismus bedeuten.“141 Hoffmanns agrargesellschaftliche Vision prallte auf einen eigenen Thüringer Realitätssinn. Seine Denkschrift wurde am 9. November 1945 vom Thüringer Landesamt des Innern an alle Oberbürgermeister, Hochschulen und Parteien des Landes geschickt mit der Aufforderung, eine Rückmeldung abzugeben.142 An den verordneten Stellungnahmen kann die Verbreitung von Diskussionsbeiträgen in Thüringen und die Vielfalt der Reaktionen nachgezeichnet werden. Der Inhalt löste wie bei Henselmann weitere kontroverse und fast durchgehend kritische Antworten aus. Der Jenaer Oberbürgermeister sah „wenig Neues und wenig glückliche Vorschläge.“143 Flüchtlinge auf dem Land anzusiedeln oder weiträumige Neubaumaßnahmen zur Entzerrung der Stadt zu planen, hielt er für falsch. Er verwendete das damals bekannte Argument der vorhandenen Infrastruktur im Stadtboden, die einen leistbaren Aufbau nur auf der alten Stadt nahe lege. Das Stadtbauamt von Mühlhausen wurde noch deutlicher. Man verbete sich explizit Abenteuer, welche Charakterzüge der Zwischenkriegszeit trügen: „Es wäre grundfalsch, ideellen Problemen nachzujagen, etwa Gartenstädte oder ähnliche Experimente zu propagieren.“144 In der Antwort aus dem Landratsamt des Kreises Sonneberg an das Ministerium wurden schließlich ebenfalls die industrielle Traditionen im Süden Thüringens beschworen: „Die in der Denkschrift gemachte Annahme, daß sich erhebliche Teile [der Bevölkerung, Anm. d. A.] in der Landwirtschaft unterbringen lassen, kann auf keinen Fall geteilt werden.“145 Der Fall des kommentierten Diskussionspapiers von Hubert Hoffmann liefert eine Momentaufnahme und einen ersten thüringischen Bewusstseinsquerschnitt nach 1945. Die Standortbestimmungen aus den Kleinstädten Thüringens zeigten sich selbstbewusst und mehrheitlich ablehnend einer allzu scharfen Stadtkritik gegenüber, wie sie Hoffmann aus der aktuellen Situation zu ziehen versuchte.146

141 Ebd., Bl. 2. 142 Vgl. Brief des Landes Thüringen, Landesamt des Innern vom 9. November 1945; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 123. 143 OB Jena Heinrich Troeger in einem Brief vom 19. November 1945 an das Landesamt des Innern; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 127. 144 Brief des kommissarischen Stadtbaurat aus Mühlhausen vom 27. November 45 an das Landesamt des Innern; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 129. 145 Brief des Landrates des Kreises Sonneberg vom 08. Dezember 45 an das Landesamt des Innern; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 131. 146 Hoffmanns Schrumpfungsideen waren nationalsozialistischen Denkmechanismen und der entsprechenden Terminologie noch fast unbedarft verhaftet, vgl. Durth; Düwel; Gutschow 1999 [Bd. 1], S. 234.

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2.2.1 Ideen um Material, Baustoffe und Bauweisen Die Ideenlandschaft Thüringen nach 1945 scheint von Pragmatismus, nicht von Utopien geprägt. Ohne Material und ohne Finanzen war das Altbewährte oft das Innovative, war das Naheliegende die einzige Wahl, ohne den Verdacht des lästigen Kompromisses zu zerstreuen. In dieser Stimmung etablierte sich der Lehmbau als greifbare Möglichkeit zum Bauen. Die Hochschule in Weimar tat sich besonders bei Entwicklung des Lehmbaus hervor. Lehmbaubücher galten vordergründig als reine baukonstruktive Soforthilfe. Die „Lehmbaufibel“ der Hochschule in Weimar von 1947 hielt sich darum mit Äußerungen zur Gestaltung im Bauen zurück. Wichtiger war hier die konkrete Handreichung in bildergeschichtenartigen Illustrationen. Das Buch zeigte die Architektur historischer Lehmbauten und Bauteile im Detail, als wolle es der Lehmbauweise entsprechend traditionsgebundene Bauformen gebieten. Darin lag die Botschaft des Handbuches: Aus verschütteten Fähigkeiten und nahe liegenden Baustoffen angesichts der drängenden Not sofort und ohne Architekten an die Arbeit zu gehen. So räumte auch Hochschuldirektor Henselmann im Vorwort mit dem Untertitel „Darstellung der reinen Lehmbauweisen“ ein, dass zum Dargestellten „im architektonischen Bereich [...] mit Recht Einwendungen gemacht werden könnten“.147

Bild 12: Illustrierte Arbeitsanleitung aus der Weimarer „Lehmbaufibel“, 1947

147 Miller; Grigutsch; Schulze 1947, S. 5.

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Das von den Forschungsgemeinschaften der Hochschule herausgegebene Buch wollte mit Schaubildern, Detailrissen, und Kapitelüberschriften in Frageform (“Was muss ich über den Baustoff Lehm wissen?“) dem Laien die Angst nehmen, ein Haus samt Herd und Ofen selbst zu bauen. Der Lehmbau war eine grundsätzlich bekannte traditionelle Bauweise, die in neuen Handbüchern zum Inbegriff der schnellen Hilfe wurde, welche keiner langen Planung bedurfte und eine autarke Baustelle ermöglichte.148 Die Wiederbelebung des Lehms als Baustoff war kein Spezifikum der wirtschaftlich schlechter gestellten SBZ. Seine Vorteile wurden gleichermaßen in den westlichen Besatzungszonen diskutiert.149 Toni Miller, einer der Autoren der „Lehmbaufibel“, legte bei der Verbreitung des Buches besonderen Wert darauf, Kollegen in den Westzonen, etwa Richard Döcker in Stuttgart150 und seinem ehemaligen Danziger Professor Ewald Liedecke im süddeutschen Schramberg, zu einem Statement anzuregen.151 Glaubte man, mit der Lehmbautechnik unabhängig und ohne große Kosten zu bauen, so sollte ausgerechnet im öffentlichkeitswirksamen Fall der Neubauernsiedlung Großfurra der Einsatz des Lehms zum teuren Problem werden. Groß war die Enttäuschung über die mangelnde Bereitschaft und Kompetenz der dortigen Siedler, bei der Lehmziegelproduktion mitzuarbeiten, mit der Konsequenz, dass man Fachkräfte hinzuziehen musste.152 Lag eine Grundabsicht der Lehmbautechnik darin, lokale Ressourcen sowohl materiell als auch personell zu binden, so konnte der Zwang zu externen Handwerksleistungen ihre Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Der Lehmbau war mit seiner vermeintlich einfachen diesem Sinn war eine holzsparende und holzarme Bauweise gefordert, die der Lehmbau mit sich bringe, so er nicht im Fachwerk verwendet würde.153 Dass ausgerechnet Holz im waldreichen Thüringen Mangelware war, gab den Ideen zur Schlichtbauweise nach 1945 eine bemerkenswerte Wendung. Entwickelte sich vor 1945 die Baracke als Massenprodukt zu einer Hauptlinie des schnellen und präfabrizierten Hausbaus, so war mit dem Mangel an Bauholz in den Nach-

148 Vgl. Heiden, in: Heiden; Mai 1995, S. 371. 149 Eine gute Zusammenfassung zum wissenschaftlichen Vorlauf im Lehmbau, wie er 1945 als allgemeiner Stand vorausgesetzt werden konnte, gibt Dix, vgl. Dix 2002, S. 276ff. 150 Brief Millers an Richard Döcker, 22. Februar 1947; ArBUW, C9 Lfd. Nr. 3; 1947/47 V.A.Nr. 01/009. 151 Brief Millers an Ewald Liedecke vom vom 12. Juli 1948; ebd. 152 Oberregierungsrat Czieslik in einem Schreiben der Thüringischen Landessiedlungsgesellschaft an die Landessekretärin der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB), Paula Rabetge vom 4. Juni 1947; ThHStAW, Bodenreform Bauträger GmbH, 337. 153 Vgl. Programm, Lehrgang in der Lehmbauweise, Planungsverband, 12. April 1946; ArBUW, I/01/999.

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Bild 13: „Typ KA 28-2001“ Bäuerliche Notunterkunft als Planbeispiel der FOKORAD, im Briefwechsel an den Planungsverband, Mitte Oktober 1945, aufbauend auf Konstruktions- und Montageprinzipien ehemaliger Reichsarbeitsdienstbaracken

kriegsjahren dem Holzfertigbau vorerst kein Fortschritt mehr beschieden. Wie sich die abrupt beschnittene Holzbaulobby bei der Thüringer Holzindustrie um Kontinuität bemühte, zeigt ein Brief, der schon im Oktober 1945 an den Präsidenten der Landesregierung Thüringens ging. Darin warb die „Konstruktions- und Entwicklungsgemeinschaft des Deutschen Holzbaues e.V.“ Berlin auf dem durchgestrichenen Briefpapier der „Außenstelle ‚FOKORAD’ Niesky“ für genormte Holzbauten, Baracken, Behelfsheime.154 Die FOKORAD, d.h. die „Forschungs- und Konstruktionsgemeinschaft des Reichsarbeitsdienstes und der Deutschen Holzbau-Konvention“ war das zentrale Entwurfsbüro für Normbaracken und Typenbauten des Reichsarbeitsdienstes mit Sitz in Niesky/ Oberlausitz und einer Niederlassung im thüringischen Hermsdorf. Dort war zum Ende des Zweiten Weltkrieges eine der Hauptproduktionsstätten für

154 Vgl. Brief vom 12. Oktober 1945 an den Präsidenten der Landesregierung Herrn Dr. Paul; ThHStAW, LaThMWA 3049, Bl.77. Das Konstruktionsbüro der FOKORAD fertigte 1947 für Typenhöfe des Planungsverbandes statische Berechnungen an, vgl. ArBUW, I/01/027, dort auch Plan für Notunterkunft.

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Baracken gewesen.155 Was an Fachwissen für die Unterbringung von Reichsarbeitsdienstangehörigen oder auch Zwangsarbeitern noch vorhanden war, wollte man nun umweglos auf Umsiedlerhäuser übertragen. Der Brief erwähnt „Herstellungs- und Aufbauunterlagen“ für Baracken, Behelfsheime, bäuerliche Notunterkünfte, die man in „langjähriger Tätigkeit“ genormt habe.156 Die FOKORAD begann tatsächlich, den Typ des Neubürgerhauses „Typ Weimar“ für die thüringische Gemeinnützige Heimstätte AG zusammen mit Prof. Denis Boniver im Planungsverband Hochschule zu entwickeln. Im Mai 1946 kam es zu Verstimmungen mit der thüringischen Heimstätte.157 Streitpunkt war die Forderung der thüringischen Heimstätte, die Planungsunterlagen, die auf ein Fachwerk ausgelegt waren, anstatt auf eine fabrikmäßige Konstruktion auf eine handwerkliche Herstellung zu ändern. Dieser Zwist erübrigte sich bald, da Holz trotz der langjährigen Entwicklungsarbeit der FOKORAD jetzt für keine industrialisierten Holzbauweisen zur Verfügung stand. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das unterbrechungslose Nachleben mächtiger Forschungsinstitutionen aus der Zeit vor 1945, die ihre Inhalte auf die neue Situation anzuwenden versuchten.

Bild 14: Entwürfe für Wohnhäuser in Fertigbeton für die WIFO Ges. m.b.H. Niedersachswerfen, mit vorläufigem Flachdach, Architekt Engelbert Oettelt, 1946 155 Pläne von FOKORAD Hermsdorf, ArBUW, I/01/027. 156 Beilage, verschickt am 17. Oktober 1945 an den Präsidenten des Landes Thüringen Dr. Paul, Rundschreiben Nr. 12,; ThHStAW, LaThMWA, 3049, Bl. 77f. 157 Belegt ist ein aufgebrachter Brief Denis Bonivers an den Leiter des Planungsverbandes Hermann Henselmann vom 6. Mai 1946, der die Empörung am 7. Mai 1946 an Landesamt für Kommunalwesen weiterleitet; ebd., Bl. 26f.

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In dieselbe Richtung ging ein Ansinnen des Zementwerkes der ehemaligen Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft (WIFO) m.b.H. aus dem nordthüringischen Niedersachswerfen. Hatte die WIFO hauptsächlich den Stollenbau für die unterirdischen Munitionsfabrik des Konzentrationslagers Mittelbau Dora betrieben, so reichten jetzt, im Jahr 1946, Fachleute aus derselben Betriebsstruktur Vorschläge für neue Massivbauweisen an das Land Thüringen ein. Man schlug Probebauten von Fertigbetonhäusern vor, die kein Satteldach, dafür ein Flachdach aus Beton hätten, „jedoch so geplant, dass jederzeit, wenn es wieder genug Holz gibt, ein Steildach aufgebaut werden kann“.158 In einem Kommentar wurde darauf von der angesprochenen Behörde schlicht bemerkt, man „halte den Vorschlag [...] für unmöglich“.159 Die beschriebenen Vorstöße stehen für Wirtschaftsstrukturen, die trotz der Umbrüche des Jahres 1945 eine immanente Zähigkeit an den Tag legen. Die Landesbehörden und insbesondere das Thüringer Ministerium für Wirtschaft und Arbeit waren ein Anlaufpunkt für gut gemeinte oder tollkühne Verbesserungsvorschläge.160 Materialspezifische Lobbyisten oder Privatpersonen wurden vorstellig, um die Notlage im Bauen mit wenig Material und mit Tüftlerideen zu lösen. Max Bense, Kanzler der FriedrichSchiller-Universität Jena, greift in einem Schreiben an die Landesverwaltung in Thüringen das Chaos der Verbesserungsvorschläge auf und pocht im Sinn seiner Hochschule auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Prüfung solcher Vorstöße. „Es ist verschiedentlich vorgekommen, daß die Landesämter von Pseudo-Erfindern mit Ratschlägen belästigt wurden. [Es] wird vorgeschlagen, Anträge zur Beurteilung von Erfindungen [...] an das Institut für Materialprüfung der Universität in Jena, weiterzuleiten.“161 Die Vielfalt dieser Eingaben an die Entscheider der Landesregierung steht für die Ideenlandschaft des damaligen Thüringens oder einfach auch nur für eine Atmosphäre, in der sich Viele zu Verbesserungsvorschlägen berufen fühlten. 158 So ausgeführt in einer Baubeschreibung mit Plänen eines Entwurfs des Architekten Engelbert Oettelt vom 24. April 1946, ebd., Bl. 101ff. 159 Vgl. Brief des Staatshochbauamtes Nordhausen an das Land Thüringen, Landesamt f. Kommunalwesen, vom 27. April 1946; ebd., Bl. 100. 160 Vergleichbar ist hier auch die Idee vom Schlackestein des tüftelnden Unterwellenborner Ingenieurs und zeitweisen Chefdirektors der Maxhütte Heinrich von Babo, vgl. Kapitel 4.3.2. 161 Vgl. Brief vom 29. Mai 1946 an die Präsidialkanzlei in der Landesverwaltung in Thüringen; ThHStAW, LaThMWA, 3049, Bl. 175. Max Bense, Philosoph, Mathematiker und Lyriker, der nach der Ausbombung mit seinem Hochfrequenzlaboratorium von Berlin nach Georgenthal in Südthüringen gekommen war, wurde zum 1. September 1945 zum Kurator (Kanzler) der Universität Jena berufen, wo er sich 1946 habilitierte.

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Jenseits von Theorien und Pamphleten suchten, angefeuert von Auftragsahnungen oder gut gemeinten Erlösungsmotiven, Architekten und Industrie eigene Wege zum baldigen und schnellen Bauen.

2.2.2 Ausblick auf eine geteilte Debatte nach 1950 Der SBZ als Verwaltungseinheit kann für die ersten Jahre nach dem Krieg eine innerdeutsche Austauschbereitschaft zugesprochen werden. Die Erfordernisse des Aufbaus zogen Architekten und Planer an, die trotz unterschiedlicher Besatzungspolitik und sogar trotz politischer Belastung bis 1947/48 einen beachtlichen Arbeitsspielraum vorfanden.162 So betraute man in Magdeburg und Dessau Hubert Hoffmann mit Planungsaufgaben, in die er Ideen von der Auflockerung und „Gesundung“ der Stadt einfließen lassen konnte, welche er vor 1945 im offiziellen Auftrag der Reichsregierung erarbeitet hatte.163 Ebenso konnte man einen erfahrenen und bekannten Kopf wie Otto Haesler, ein Hauptprotagonist des „Neuen Bauens“, gewinnen, ins Land Brandenburg zu kommen, wo er den beginnenden Aufbau der Stadt Rathenow planen und leiten sollte.164 Ob es die Gründung der SED 1946 war oder die erstarkende zentrale Baudoktrin der Sowjetischen Militäradministration, die planerischen Möglichkeiten und die Offenheit gegenüber neuen oder persönlichen Aufbaulösungen begann bis 1949 zu schwinden. Architekten und Städteplaner, wie Max Guther im Bauamt Wismar oder eben auch Hubert Hoffmann, verließen die SBZ/DDR in den Jahren bis 1950.165 Ebenso hielten es Entscheider, wie der Dessauer Oberbürgermeister Fritz Hesse, der einmal das Bauhaus gefördert hatte und sich für dessen Wiedereinrichtung nach 1945 einsetzte. Innerhalb der ersten Diskussion über das Bauen nach 1945 einen Schnittoder Wendepunkt festzulegen, muss den allgemeinen politischen Wetterwechsel berücksichtigen.166 Auf die Situation in Deutschland bezogen, erlebte der Austausch der Positionen durch die doppelte Staatengründung

162 Vgl. Durth; Gutschow 1993, S. 144. 163 Hubert Hoff mann war zusammen mit Johannes Göderitz Mitglied in der Deutschen Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung gewesen, vgl. Durth; Gutschow 1993, 301ff. 164 Vgl. Haesler 1957, S. 124ff., siehe auch Palutzki 2000, S. 33ff. 165 Vgl. Durth; Gutschow 1993, 145. 166 Schätzke setzt für die Zeit nach 1945 den Begriff „Diskussion“ in Anführungsstriche, wohl aus dem Zweifel heraus, die Auseinandersetzungen hätten über offene Plattformen und Verhandlungsgelegenheiten verfügt, wie man sie heute für den freien Austausch von Meinungen voraussetzt, vlg. Schätzke 1991, S. 9.

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1949 eine Zäsur.167 Waren auch schon vorher der östliche und der westliche Besatzungsteil Deutschlands immer weniger vergleichbar geworden, so sahen sich besonders in der jungen DDR viele Architekten dem staatlichen Aufbauwerk ideologisch verbunden. Spätestens mit dem „Nationalen Aufbauprogramm“ und dem ersten Fünfjahresplan ab 1951 schlug man im Osten Deutschlands einen eigenen Weg ein. Eine viel beschworene Wirkung auf die offizielle Meinung zur Architektur in der DDR hatte schon vorher eine Reise von leitenden Mitgliedern wichtiger Institutionen des Wiederaufbaus, die 1950 nach Moskau führte. Der Minister für Aufbau Lothar Bolz und eine Delegation von Architekten trafen auf sowjetische Kollegen, um die dortige Stadtplanung zu studieren. Im Gepäck hatten die deutschen Fachleute die Wiederaufbaupläne für Berlin. Sie widmeten sich besonders den Repräsentationsbauten Moskaus, die seit den 1930er unter Josef Stalin entstandenen waren und „in denen sich der Bauwille und das Wollen der Bevölkerung“168 ausdrücken sollten. Es war jenes Bauen, das Sigfried Giedion schon 1943 als den internationalen Stil einer Pseudomonumentalität zwischen Washington, Berlin und Moskau bezeichnet hatte.169 Während und nach dieser Reise legte die Gruppe der einflussreichsten Baufachleute der DDR die Grundlage zu einem Handlungskatalog, der den Aufbau in der Folge prägen sollte. Die Expertengruppe unter Minister Bolz verfasste 1950 die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“170 und betonte die Bedeutung eines Stadtzentrums und die Notwendigkeit eines kompakten Stadtumbaus. Die Ideale der aufgelockerten und aufgelösten Stadt fanden nun ausdrücklich keine Unterstützung mehr. Bezeichnend ist dahingehend Punkt 6 der „Grundsätze“: „Das Zentrum bildet den bestimmenden Kern der Stadt. [...] Das Zentrum wird mit den wichtigsten und monumentalsten Gebäuden bebaut, beherrscht die architektonische Komposition des Stadtplanes und bestimmt die architektonische Silhouette der Stadt.“171 Noch deutlicher wurde man in Punkt 12: „Die Stadt in einen Garten zu verwandeln ist unmöglich.“ 172 Damit waren auch die ersten Ideen nach 1945 von einer verländlichten Lebensweise zwischen Gartenstadtideal und Stadtlandschaft einem pragmatischeren Ansatz gewichen. Das „Gesetz über den Aufbau der Städte“ (Aufbaugesetz) vom 22. August 1950 setzte die „Sechzehn 167 Zur zonenübergreifenden Diskussionspraxis, vgl. ebd., S. 39. 168 Grigori Simonow nach Notiz aus Gesprächsprotokollen 20. April 1950, nach: Düwel 1995, S. 72. 169 Vgl. Giedion 1956, Seite 32ff. 170 Vgl. Bolz 1951, S. 87–90. 171 Bolz 1951, S. 88. 172 Ebd., S. 90.

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Grundsätze des Städtebaus“ in ein Handlungsinstrument um. Damit war die Hierarchie der Entscheidungen republikweit geklärt und dem Start des Aufbaus eine Grundlage gegeben.

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3 Bedingungen des Thüringer Weges

Mit dem Vorrücken der US-Armee wurde das Kriegsende in Thüringen ab April 1945 vollzogen. Die SS räumte vom 4.–7. April das Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen. Nach der Flucht der SS übergaben am 11. April die Häftlinge das KZ Buchenwald an die amerikanischen Truppen. Die Lager waren eng an Produktionsstätten gebunden und waren im Fall angegliederter Rüstungsbetriebe strategische Eroberungsziele der Alliierten. Ein Tag vor der offiziellen deutschen Kapitulation, dem 8. Mai 1945, war in Thüringen die Führung der Geschäfte der bisherigen Landesregierung auf Hermann Brill übertragen worden. Am 9. Juni 1945 proklamierten die amerikanischen Besatzer offiziell die „Provinz Thüringen“.173 In den Wochen nach dem Kriegsende stand Thüringen im Einflussgebiet zweier alliierter Siegermächte. Die letzten Kriegshandlungen zogen die Besetzung des Landes durch die Amerikaner nach sich, obwohl seit dem Londoner Protokoll vom 12. September 1944 die Zuordnung zur sowjetischen Einflusssphäre festgelegt war. So fiel Thüringen als einziges Land der SBZ von April bis Juli 1945 komplett unter amerikanische Besatzung.174 Eine Stimmung des Abwartens ließ neben ersten Beräumungen keine erwähnenswerten Baumaßnahmen zu. Nach weniger als 100 Tagen amerikanischer Militärverwaltung übernahmen im Juli 1945 gemäß dem Beschluss der Alliierten die sowjetischen Truppen die Besatzung Thüringens. Damit begann der Umbau der Thüringer Verwaltung durch die „Sowjetische Militäradministration des föderalen Landes Thüringen“ (SMATh). Weimar blieb die Landeshauptstadt. Die Konsolidierung der Verwaltung vollzog sich nach dem 9. Juli 1945, dem Tag, an dem die Sowjetische Militäradministration für das Land Thüringen (SMATh) anstelle der örtlichen Militärkommandos die zivile Verwaltung des Landes unter ihre Kontrolle nahm. Unter der SMATh etablierte sich erstmals in der Geschichte ein homogenes Verwaltungsgebilde namens Thüringen. Befanden sich bis 1945 die preußischen Enklaven, wie z.B. Erfurt oder der Landkreis 173 Zur Provinz Thüringen gehörten somit auch der ehemalige preußische Regierungsbezirk Erfurt, der damit seinen Inselstatus endgültig verlor, ebenso wie der preußische Kreis Schmalkalden, außerdem die im Befehlsbereich des VIII. Corps gelegenen westsächsischen Städte und Landkreise Plauen, Crimmitschau, Glauchau, Meerane, Reichenbach, Werdau, Zwickau und Oelsnitz. 174 Die Konsequenzen dieser wenigen Wochen, die auch einige Kreise Sachsens und Sachsen-Anhalts betrafen, wurden erst nach 1989 eingehend erforscht, siehe Wahl 1992.

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BEDINGUNGEN

DES

THÜRINGER WEGES

Grafik 4: Zeitgenössische Karte mit einer Übersicht der im Bombenkrieg zerstörten deutschen Städte, 1948

Schmalkalden, noch in seiner Mitte, so bot Thüringen nach deren Eingliederung erst jetzt ein einheitliches Bild.175 Thüringen befand sich auch damals nicht in unmittelbarer Nähe von Ballungsräumen, Großstädten oder Industriekonzentrationen. Kleinere und mittlere Städte des Landes hatten fast keine Bombenschäden zu beklagen. Damit schien sich das Kalkül der Nationalsozialisten zu bestätigen, die in 175 Die Zusammenlegung war schon lange vor 1945 verfolgt worden, vgl. Broszat; Weber 1993, S. 172.

BEDINGUNGEN

DES

THÜRINGER WEGES

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Grafik 5: Bevölkerungsentwicklung anhand dreier Volkszählungen 1939, 1946, 1950 Soldaten und Personen im Reichsarbeitsdienst 17.05.1939

2.402.100

29.10.1946

2.345.400

Umsiedler

2.446.300 * 1

44.200

31.08.1950

Gesamt bevölkerung

580.000

2.927.500 2.837.600

Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik * 1 nicht mitgerechnet ca. 100.000 Insassen im KZ Buchenwald und Außenlagern (1944/45)

den vergangenen Jahren aus den Gefahrenzonen des Reiches kriegswichtige Schlüsselproduktionen in die Mitte Deutschlands verlegt hatten. Die nächstgelegenen Zerstörungszentren, wie Leipzig, Leuna-Buna oder Chemnitz lagen jenseits der Landesgrenzen.176 Im Krieg hatten gleichwohl Bombardements in den größeren Städten des Landes Schäden hinterlassen. Die Stadt Nordhausen war mit einer zu 82% zerstörten Altstadt und 8.000 Toten (Angriffe am 3. und 4. April 1944) mit Abstand am stärksten betroffen. Insgesamt war indes im gesamten Thüringen mit 5% der Anteil an zerstörtem Wohnraum im Vergleich zu anderen Ländern gering. Das Hauptproblem, mit dem Thüringen zuerst zu kämpfen hatte, waren nicht Städte in Trümmern, sondern die Flüchtlingsmengen, „Umsiedler“ im offiziellen Sprachgebrauch, die schon bald fast ein Viertel der Landesbevölkerung stellten.177 Bis 1948 wurden insgesamt 700.000 Menschen innerhalb der Landesgrenzen als Flüchtlinge aufgenommen. Drei Handlungsrichtungen nahmen in der Politik der SMATh nacheinander die Form offizieller Anordnungen an. Die ersten Schritte galten der Infrastruktur, vornehmlich dem Verkehrswegebau. Der Befehl Nr. 12 der SMATh vom 31. August 1945 über den Wiederaufbau der zerstörten Brücken und Autobahnen im Land Thüringen wurde unter anderem auf 120 Straßenbrücken angewendet.178 Das war notwendig, um landesintern Güter- und Personentransporte zu sichern und um die Rolle des Landes als Durchgangsregion in der Mitte Deutschlands zu gewährleisten. Anfang 1947 wurde die Fertig-

176 Eine 1948 erstellte Übersichtskarte zeigt auf einen Blick die Zerstörungsgrade deutscher Städte und belegt die vergleichsweise geringen Schäden auf dem Gebiet Thüringens, vgl. Beyme 1987, S. 36. 177 Dieser Anteil lag mit 23% der damaligen Thüringer Bevölkerung dabei noch unter dem SBZ-Durchschnitt von 25%, vgl. Thüringer Landtag 1999, S. 109. 178 Vgl. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Bezirksleitung Erfurt 1975, S. 24.

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BEDINGUNGEN

DES

THÜRINGER WEGES

stellung der Saalebrücke bei Saalfeld angezeigt. In einer Bauzeit von nur acht Monaten war das damals größte Brückenprojekt Thüringens abgeschlossen.179 Die zweite einschneidende Verfügung betraf die Bodenreform vom 10. September 1945, angeordnet von der zentralen Sowjetischen Militäradministration. Die Bodenreform zielte auf die Zerschlagung und Verteilung ländlichen Großgrundbesitzes und verband sich mit dem großen Anliegen der Zeit, den Flüchtlingsmassen Wohn- und Wirtschaftsstellen zur Selbstversorgung zu geben.180 In der Chronologie der Monate nach dem Zusammenbruch markierte der 18. Oktober 1945 schließlich eine weitere Handlungsetappe. An diesem Tag erging das „Gesetz über den Wiederaufbau von Städten und Dörfern im Land Thüringen“, das Instrumente zur Enteignung gesetzlich festschrieb.181 So war auch für den Aufbau zerstörter Städte eine Verfahrensgrundlage ausgesprochen, selbst wenn vorerst nur Sicherungsarbeiten in Angriff genommen wurden.182 Der Beirat der Landesverwaltung für den Wiederaufbau von Städten und Dörfern trat als koordinierendes Gremium infrastruktureller und erster Notbaumaßnahmen auf. Schon am 19. November 1945 zog man hier anlässlich einer Tagung für Thüringen ein erstes Fazit. So berichtet das Protokoll u.a. von der Instandsetzung von 15.000 Wohnungen, 58 Schulen, 46 Verwaltungsgebäuden und 800 landwirtschaftlichen Gebäuden, was sich damals mit einer Gesamtbausumme von 20 Mio. Reichsmark bezifferte.183 Die folgenden Ausführungen zu den Entwicklungsgrundlagen in Thüringen vertiefen den Begriff der „Mitte Deutschlands“, um dann das Rahmenwerk aus Gesetzen und Bauregeln in seiner Zeit zu beleuchten. In den Jahren bis 1949 fand das Berufsbild des Architekten angesichts der Not sein Selbstverständnis in der Gemeinschaftsidee aller aufbauenden Kräfte wieder. Wie dieser Geist langsam in die Struktur des organisierten Kollektivs überging, um dann die schöpferische und individualistische Natur eines freien Berufes grundsätzlich in Frage zu stellen, ist in Thüringen noch vor Gründung der DDR zu beobach179 Siehe Rau, in: Bauplanung und Bautechnik 4/1948, S. 115f. 180 Vgl. John; Jonscher; Stelzner 1995, S. 272. 181 Vgl. Regierungsblatt für das Land Thüringen 2/12. Januar 1946; zum Werdegang und der Beziehung zu älteren Enteignungsgesetzen, siehe auch ThHStAW, LATHMWA, Hauptabteilung Bauwesen, 2298, Bl. 1. 182 Das Gesetz über den Wiederaufbau von Städten und Dörfern vom 18. Oktober 1945 sei laut einer Bekanntmachung des Landesamtes für Kommunalwesen vom 16. Oktober 1945 auf folgende Gemeinden anzuwenden: Crawinkel, Creuzburg, Eisenach, Erfurt, Friedrichroda, Gera, Gotha, Hermsdorf, Jena, Kaltenwestheim, Menteroda, Meuselwitz, Neuhaus am Rennweg, Nordhausen, Pößneck, Saalfeld/Saale, Sallmannshausen, Schleiz, Sondershausen, Stadtrema, Weimar. Damit sei zugleich die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten der Gemeinde ausgesprochen, vgl. ThHStAW, LaThMWA, 2386, Bl. 161. 183 Vgl. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Bezirksleitung Erfurt 1975, S. 34.

DIE

VERSCHOBENE

MITTE DEUTSCHLANDS

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ten. Dem institutionellen Doppelzentrum, d.h. der Hochschule in Weimar und dem angeschlossenen Planungsverband, gilt im letzten Abschnitt ein eigener Schwerpunkt. An die Aktivitäten des Planungsverbandes koppelte sich ein Erkenntnis- und Vermittlungsauftrag für die ganze SBZ.

3.1 Die verschobene Mitte Deutschlands Wenn man Thüringen als Verwaltungseinheit oder als Landschaftsbegriff eine formende Kraft im Werden seiner Nachkriegskultur und Nachkriegsarchitektur zuschreibt, darf nicht übersehen werden, in welchen größeren Diskussionszusammenhängen die Region mit der deutschen Entwicklung nach 1945 stand. Dennoch versuchte die Geschichtswissenschaft jüngst, den Begriff des Raumes aus einer negativen nationalistischen Bestimmungsrichtung zu lösen und nach seinen prägenden und gliedernden Eigenschaften zu benennen.184 Darum lohnt die Frage, wo Thüringen als landschaftlicher und kultureller Rahmen eine eigene Handlungskonstellation erzeugt hat. Unter dem Eindruck der Zergliederung lag gerade auf den Regionen Thüringens die besondere Erwartung, nach der Reichsgründung 1871 einer deutschen Zentrumsidee Gestalt und Ausdruck zu geben. Das Land erlebte im 20. Jahrhundert eine politisch-geografische Metamorphose. Die gewachsene Konstellation kleinster Feudaleinheiten wurde nach der simultanen Amtsniederlegung ihrer Herrschaftshäuser 1918 zu einem neuen Territorialverständnis umgebaut. Kommunikationsstrukturen konnten sich neu ordnen und begannen das homogene und gleichwohl beharrlich polyzentrische Bild einer Kulturlandschaft zu formen. Kaum gegründet sah sich das Land Thüringen, das schon 1920 als Freistaat ausgerufen wurde, Szenarien gegenüber gestellt, in denen eine noch größere Verwaltungseinheit unter dem Begriff „Mitteldeutschland“ Gestalt annahm. Der Vorschlag, der Ende der Zwanzigerjahre virulent war, ist eine heute vergessene Episode, obwohl der Begriff „Mitteldeutschland“ auch heute eine überregionale Einheit zwischen dem heutigen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beschreiben will.185 Die damalige Ablehnung einer Mitteldeutschlandidee durch die Thüringer Verwal-

184 So stellte der Deutsche Historikertag im Sinn einer ab ca. 1990 diskutierten „topologischen Wende“ seine Jahrestagung 2004 unter das Motto „Kommunikation und Raum“, siehe auch Thabe 1999. 185 Die Kernthesen der Diskussion der späten Zwanzigerjahre fi nden sich in einer Denkschrift, die der damalige Landeshauptmann der Provinz Sachsen Eberhard Hübener unter dem Titel „Mitteldeutschland auf dem Wege zur Einheit“ formulierte, vgl. Hübener 1927. Eine Einschätzung des Mitteldeutschlandbegriff s im Zusammenhang mit dem jungen Thüringen nach 1920 nehmen zwei Sammelbände vor, vgl. John 2001 und Richter; Schaarschmidt; Schmeitzner 2007; Siehe auch Kap. 4.2.

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tung dokumentiert die Einsicht in die neue und zumindest gewünschte selbstbewusste Rolle des Landes im deutschen Reich.186 Beschworen wurde damals die Vermittlerfunktion Thüringens zwischen „süddeutschem, ostdeutschem und nordwestdeutschem Wesen“.187 Parallel zur ersten Landesgründung machte sich zu der Zeit nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg eine Stimmung bemerkbar, welche die deutsche Mitte in und um Thüringen vom Geografischen ins Mythische hob. So eindeutig man jenen Jahren eine Orientierungslosigkeit zwischen Reformdenken und der Sehnsucht nach dem untergegangenen Kaiserreich nachsagen kann, so nachdrücklich beschworen deutsche Intellektuelle dieses Thüringen als eine Sehnsuchtslandschaft für Metropolenverachtung, Agrarromantik oder sogar für ins Mittelalter gerichtete Vergangenheitsträumereien. Expressionismus und Bauhaus lieferten als Avantgardebewegungen zwei weitere kulturelle Spielformen, die sich mit diesen deutschen Gemütsrichtungen verbinden ließen. Ihr Nachklingen kann nach 1945 in Thüringen verfolgt werden. Die Sinnerwartung, die man dem deutschen Kernland nach dem erneut verlorenen Großkrieg entgegenbrachte, war nun weniger schwärmerisch. Die Zonenteilung ließ neue Gewichte im deutschen Territorialgefüge ahnen. Die Vision der Zwanzigerjahre zu einem Zusammenschluss mit Namen „Mitteldeutschland“ sei deswegen erwähnt, weil ihre großräumliche Konsequenz weniger als 20 Jahre später in der Nachkriegszonierung Deutschlands politische Wirklichkeit wurde. Thüringen geriet jetzt an den Rand eines neuen Verbundes, der SBZ.188 Es war gerade die kurze Zeit nach Befreiung und Kapitulation, die dem Land Thüringen jene starke heimatbildende Aufgabe zumaß, die zu diesem Zeitpunkt das zonierte Deutschland als Territorium und Begriff nicht liefern konnte. In einem friedlichen und ganzen Deutschland könnte dieses Thüringen eine geradezu weltverbindende Kreuzung sein, so phantasierte der Landespolitiker Heinrich Hoffmann (SPD) 1945. Als Mitglied des Thüringen-Ausschusses, einer frühen Vorversion des Landtages, gab er in einem Referat mit dem Titel „Die wirtschaftliche Entwicklung Thüringens im kommenden Frieden“ das visionäre Bild einer international wahrgenommenen Freizeitlandschaft in einer ruhigen Mitte Deutschlands. „Thüringen [ist] ein ausgesprochenes Reiseland. Wir werden daher die Bäder und Kulturstätten, wie auch die Stätten des sonstigen Fremdenverkehrs und damit auch das Gaststättenwesen

186 Unter dem Titel „Thüringen und seine Stellung in und zu Mitteldeutschland“ erarbeitete das Land Thüringen 1929 eine statistisch fundierte Streitschrift zur Identität der Region, vgl. Müller 1929. 187 Ebd., S. 13. 188 Vgl. Müller 1929, S. 10.

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fördern und pflegen müssen. [...] Die Autobahnen durchschneiden unser Land nach allen Himmelsrichtungen und bieten so die Voraussetzung dafür, daß der um die Erde jagende moderne Geschäftsmann und Politiker bei uns, inmitten Europas und inmitten Deutschlands, eine Erholungs- und Ruhestätte finden kann. [...] Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Grenzen zwischen den Besatzungszonen verschwinden und ein freier Durchgangs- und Austauschverkehr nach allen Teilen Deutschlands stattfinden kann.“189 Es war derselbe Heinrich Hoffmann, der auf dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD am 7. April 1946 Thüringen als „das gesunde Wirtschaftszentrum Deutschlands“190 bezeichnete. Thüringen und seine Arbeiterklasse könnten „einen starken, guten, gesunden Blutstrom in ganz Deutschland hineinpumpen“.191 Sein Statement war gleichmäßig von einem regionalen Selbstgefühl und der Exegese Marx’scher Kapitalismuskritik durchzogen. Das Sendungsbewusstsein, aus einer aktiven Mitte nach überall hin zu vermitteln, schlug sich schließlich auch in der überregionalen Planungsdiskussion nieder. Die sehr junge Berufsgruppe der Landesplaner traf sich 1946 zu einer zonenübergreifenden Arbeitstagung in Weimar und Eisenach.192 Ein Vertreter der Stadt Berlin betonte, „daß die Lage Thüringens vorzüglich geeignet sei, die Verbindung des Ostens mit dem Süden und dem Westen des deutschen Gebietes herzustellen und planend auszubauen“.193 Im Gegensatz zu den bereits erwähnten verklärenden Facetten, die der Mittellage Thüringens im gesamten 20. Jahrhundert abgewonnen wurden, stellten die Teilnehmer der Tagung ohne Illusion fest, dass die übergeordnete Planungsarbeit von der „noch lange nicht abzuschließenden Bevölkerungsbewegung“ technisch verunmöglicht wurde. So war es kein Widerspruch, dass später mit der Konsolidierung der Situation die politische Gebietsteilung Deutschlands einherging und das Paradoxon zweier getrennter und dabei dennoch übergreifender Strukturen der Landesplanung Wirklichkeit wurde.

189 Hoff mann im Protokoll des Thüringen Ausschuss vom 27. Juni 1945, zit. n. Wahl 1997, S. 82f. 190 Hoff mann 1946, S. 12. 191 Ebd. 192 Landesplanung und Raumplanung wurden im NS-Staat verstärkt als Grundlagenwissenschaft etabliert. Mit der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“ war 1936 ein Instrument geschaffen worden, das großräumliche Interessen koordinierte und sich auf ein Netz von Landesplanungsgemeinschaften stützte. Die Doppelnatur der Disziplin erwuchs damals einer politischen Aufgabe mit ideologischen Implikationen ebenso wie der notwendig gewordenen Planungsebene einer Industrienation mit überregionalen Entwicklungen, vgl. Leendertz 2008. 193 N.N. in: Neue Bauwelt 2/1946, S. 9.

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3.1.1 Chance der Provinz. Tradition des Provinziellen. Die Tragfähigkeit des Regionalen wird in der Auflösung des Nationalen sichtbar. Galt nach dem Ersten Weltkrieg Thüringen als ruhige Mitte, in der sich die erste Nationalversammlung abseits des vom Bürgerkrieg destabilisierten Berlins treffen konnte, so bot das Land auch nach 1945 eine vergleichsweise ausgeglichene Konstitution. Thüringen profitierte wieder von einem doppelt dezentralen Zustand, der erstens in der geografischen Ferne zu den Stadtagglomerationen Deutschlands begründet ist und zweitens aus der Tradition der zahlreichen, kleinen Residenzstädte als inneres Territorialgefüge existierte. Die eroberte Reichshauptstadt Berlin erkannte sich mit dem Kriegsende nur noch in Teilen und musste jetzt ihre Rolle als politisches und vor allem kulturelles Zentrum mit anderen und neuen Orten teilen. Mitten in der sowjetisch besetzten Zone gelegen, im Viermächtestatus zusammengesetzt und in ihrem Kern zerbombt, erlebte die Hauptstadt eine Abwanderung von Film- und Theaterleuten, Modeschöpfern, Musikern oder Architekten, die in kleineren Städten Fuß fassten oder schon früher dorthin geflohen waren.194 Die Provinz als Austragungsort einer Kulturblüte ist für die Westzonen beschrieben worden195 und kann in Umrissen auch für die SBZ abgeleitet werden. Dem Land Thüringen eine fruchtbare Grundlage für den Erfolg kultureller, künstlerischer und politischer Visionen nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus nachzuweisen, ist ein Anliegen dieser Arbeit. Das neu erwachende Theaterleben der Region kann diese Beobachtung beispielhaft stützen. Eine Kulturform, die in schnelleren Zyklen funktioniert als die Architektur, präsentierte sich 1946 in einer „Frühjahrsschau der Thüringer Bühnen“. Zu diesem Anlass machte der Berliner Theaterkritiker Herbert Ihring die Bemerkung fest, es stießen „in Thüringen viele Tendenzen der Zeit zusammen“.196 So sei es die Aufgabe der kleinen Stadttheater des Landes, er nennt Nordhausen, Eisenach und Meiningen, den Großstädten Deutschlands ein Vorbild bei der Neuerrichtung eines geistigen Lebens zu sein. Dazu war die traditionell begründete Thüringer Theaterdichte eine wertvolle Voraussetzung. Allein der südwestlich exponierten Lage war es auch geschuldet, dass ab dem 1. Dezember 1945 der Landessender Weimar als einziger Rundfunksender der SBZ außerhalb Berlins ein laufendes Tagesprogramm gestaltete.197 Beide Bei-

194 Vgl. Eberlein, in: Der Tagesspiegel Berlin vom 25. November 1948. 195 Siehe zum Beispiel die Stadtportraits von Göttingen, Konstanz, Detmold etc. in: Glaser; Pufendorf; Schöneich 1989. 196 Ihring, in: Aufbau 8/1946, S. 648. 197 Vgl. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Bezirksleitung Erfurt 1975, S. 35.

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spiele bestätigen die angedeutete doppelte Dezentralität des Landes, die aus demselben Grund Züge provinziellen Kleinmuts annehmen konnte. Der Ruf kleinstaatlicher Beharrlichkeit haftet dem Landstrich, der bis zur Kreisordnung 1922 aus 80 Gebietsteilen bestanden hatte, dauerhaft an. Das Land hatte nach seiner Gründung 1920 wenig Zeit, einen Landespatriotismus zu entwickeln, wie z.B. in Sachsen, wo sich ein Landesbewusstsein mit einem ehemaligen Feudalgebiet verbinden konnte. Damit kann auch das frühe Gedeihen nationalistischer Strömungen vor 1933 in Thüringen erklärt werden.198 In Bezug auf die architektonische Kultur war 1924 das Abwandern des Bauhauses und seiner Lehrer das Zeichen für eine Landespolitik, die dem kulturellen Experiment distanziert gegenüber stand. Das Beispiel des Weimarer Bauhauses macht gleichzeitig deutlich, dass die Ursächlichkeit für derartige politische Entschei-

Bild 15: Denkmal für die Märzgefallenen, Weimar, Walter Gropius 1922

198 Beschrieben bei Gunther Mai, vgl. Mai 1995, in: Heiden; Mai 1995, S. 93ff .

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dungen über einen reinen Gebietsbegriff nur ungenau erklärt werden kann. Das Bauhaus verdankte 1919 seine Geburt einer Aufbruchsstimmung, die nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches die gesamte intellektuelle Landschaft Deutschlands erfasste. Mit dem Ausruf „Die alten Formen sind zerbrochen, die erstarrte Welt ist aufgelockert“199 sprach Walter Gropius vielen seiner Zeitgenossen aus der Seele. Jahre später war die Schließung des Weimarer Bauhauses abermals in eine reichsweite politische Motivationslage eingebettet, die der Hochschule eine andauernde Heimatlosigkeit bis zu ihrer endgültigen Auflösung 1933 bescherte. Dass in Thüringen die konservative Skepsis dem „Experiment Bauhaus“ gegenüber besonders nachdrücklich wirken konnte, ist gleichwohl auf regionale Faktoren zurückzuführen und lenkt den Blick andererseits auf den schillernden Begriff der Mustergültigkeit. Thüringen entwickelte vor 1933 eine politische und kulturelle Voreiligkeit dem Nationalsozialismus gegenüber. Das Land stellte die erste nationalsozialistische Landesregierung und nahm die NS-Diktatur in wichtigen Punkten vorweg, weswegen die Selbstdefinition des Mustergaus entstand.200 Die Suche nach der Thüringer Landesnatur als Experimentierfeld ist unter diesem Aspekt besonders heikel, weil eine abstrahierende Trennung zwischen gesellschaftlichem Anliegen und Umsetzungsgeschwindigkeit möglich zu werden scheint. Darum ist im Folgenden zu prüfen, wo sich historische Großtendenzen auf die Region in der Mitte Deutschlands abbilden und wo die Region selbst eigenständige Anstöße gibt.

3.1.2 Thüringen und seine Nachbarn Die symbolische Bauaufgabe der wieder erstehenden Paulskirche in Frankfurt a. M. bescherte Thüringen und Hessen ein bemerkenswertes Nachbarschaftserlebnis. Um dieses Projekt eines gesamtdeutschen Parlaments verdichtete sich die Idee einer demokratischen Tradition, der man 12 Jahre ferngeblieben war. Angesichts des 100-jährigen Jubiläums der ersten verfassungsgebenden Nationalversammlung in der Paulskirche am 18. Mai 1948 stand die Stadt Frankfurt a. M. unter Zeitdruck, einen Ort der Würdigung zu schaffen. Den Gestaltungswettbewerb um den Aufbau der Paulskirche entschied der Kölner Architekt Rudolf Schwarz für sich. Sein Erfurter Kollege Theo Kellner errang den 3. Preis. Anschließend startete die Stadt Frankfurt a. M. aus Materialmangel einen gesamtdeutschen Aufruf, den Aufbau der Ruine zu unterstützen. Dieser Initiative folgten außergewöhnlich viele Städte und Regionen der SBZ. 199 Zit. n. Hüter 1982, S. 206. 200 Siehe Ehrlich; John 1998.

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Bild 16: Ruine der Paulskirche in Frankfurt am Main, 1945

In einer rührenden Großzügigkeit wollten sie der Hoffnung auf die Einheit Deutschlands Ausdruck verleihen. Thüringen trug seinen Teil in einer Lieferung von Schalungsholz bei.201 Noch nahm man in Thüringen, das keine Auslandsgrenze hatte, die umliegenden Landschaften aus einem konzentrisch offenen Bewusstsein wahr. Die Trennung Thüringens von Hessen, Bayern und Niedersachsen vollzog sich langsam nach der Sperrung der Zonengrenze am 30. Juni 1946.202 Am 26. März 1948 beschloss der Thüringer Landtag gemeinsam mit den Landtagen Mecklenburgs und Sachsen-Anhalts eine Aufforderung an die Landesregierung, den Schutz der Zonengrenzen zu intensivieren. Noch gab es keine fünf Kilometer breite Sperrzone, wie nach dem 26. Mai 1952, mit den entsprechenden Umsiedlungsmaßnahmen. Hessen und Thüringen starteten im Jahr 1946 sogar den Versuch, unabhängig von den Leitlinien der Alliierten, einen Wirtschaftsvertrag aufzusetzen. Obgleich von den Ministerpräsidenten beider Länder beschlossen, wurde das Handelsabkommen schließlich von der ameri201 Vgl. ThHStAW, Land Thüringen, der Ministerpräsident, 1345, Bl. 44/4, vgl. auch Durth in: Deutscher Werkbund 1987, S. 58. 202 Ab diesem Zeitpunkt brauchte man laut den Kontrollratsbeschlüssen Nr. 43 und Nr. 49 einen „Interzonenpass“ für Reisen aus der SBZ.

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kanischen Militärregierung in Wiesbaden ausdrücklich untersagt.203 Ausgehend von solchen Bemühungen zur politischen oder wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der gleichzeitig wachsenden Abgrenzung der Ostund Westzonen voneinander ist wenig über den Austausch intellektueller Standpunkte und ihre Unterbrechung zu verzeichnen. Die Zonengrenze Thüringens verlief hauptsächlich durch ländliches und dünn besiedeltes Gebiet.204 Die direkte Konfrontation der Meinungen aus der SBZ mit Standpunkten anderen Besatzungszonen fand stellvertretend in den Städten und größtenteils in Berlin statt. Trotzdem entstand für die Thüringer Diskussion aus der Lage in Deutschland eine eigene Einflusskonstellation. Es trafen Fachleute aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten bei ihrem Zug nach Westen auf Anlässe zum Bleiben oder zum Weiterziehen. Die Flüchtlingsströme ließen die Bevölkerung wachsen und versprachen für die Aufnahmegebiete eine professionelle Bereicherung, wie sie seit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts nicht mehr stattgefunden hatte. Das Planen und Bauen in Thüringen stand einem bedingten gesamtdeutschen Meinungsaustausch offen und musste sich gleichzeitig mit den Gegebenheiten eines kleinen Landes bescheiden. Zwar entstand für Planer über die Zonengrenzen hinweg eine fachliche Kommunikation anlässlich von Wettbewerben.205 Gerade jedoch diese Möglichkeit der Einmischung und des Ideentransfers war für Architekten der SBZ im Vergleich zu ihren westlichen Kollegen nicht gleichberechtigt möglich. Materialknappheit, die sich bereits auf dem Schreibtisch bemerkbar machte, beschränkte Reisemittel, die stärkere Reglementierung der Löhne und Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Planungsunterlagen aus dem Westen legte ein frühes Missverhältnis der Chancen fest.206 Eine folgerichtige und zugleich traurige Rolle spielten die benachbarten Länder der Westzonen als Auffangbecken begabter und qualifizierter Leute aus Thüringen. Ein Phänomen, das Politiker, wie den Regierungspräsidenten Hermann Brill, ebenso betraf wie etliche Architekten. In vielen Fällen würde sich erst später, d.h. nach der schrittweisen Entkoppelung der beiden deutschen Staaten, die Endgültigkeit der Entscheidung erweisen, Thüringen verlassen zu haben. Die langsame Trennung erklärt außerdem, weshalb bis zur Republikgründung die Architekturdebatte wenige ideologische Untertöne hatte und 203 Vgl. Schneider 1990, S. 67f. 204 Eisenach und Sonneberg sind die wichtigsten größeren Städte Thüringens, die ihre unmittelbare Grenzlage wirtschaftlich und personell verkraften mussten. 205 So beschrieben bei Topfstedt mit Blick auf die später hermetisch getrennten deutschen Spielfelder der Architektur, vgl. Topfstedt, in: IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000, S. 9. 206 Beyme 1987, S. 275.

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noch nicht in den späteren Flügelkämpfen der Systeme erstarrt war. Die Berichterstattung über das Bauen in der Sowjetunion war zwar vorhanden, dennoch spielte in den ersten Jahren nach 1945 die sozialistisch-realistische Architektur noch eine nebensächliche Rolle.207

3.1.3 Erstereignisse und Modellerfahrungen der SBZ Wenn nach 1945 Fotografien von ausgemergelten Häftlingen das Elend der deutschen Konzentrationslager in der internationalen Wahrnehmung illustrierten, so handelte es sich fast immer um Aufnahmen aus dem befreiten Lager Buchenwald oder dessen Außenlagern Mittelbau-Dora und Ohrdruf. Diese Bilder des Grauens waren in Thüringen lokalisiert. Im April 1945 gingen zudem die Gesichter der Weimarer Bürger um die Welt, die sich auf Anordnung der amerikanischen Besatzer am Ort des Verbrechens von dessen Ungeheuerlichkeit überzeugen sollten. In kaum einem anderen Lager des untergegangenen Reiches konnte mit dem Einmarsch der Alliierten solch eine authentische Momentaufnahme des Grauens gemacht werden.208 Das Gezeigte stand für den Vernichtungswahn der Nazis, der in der Thüringer Provinz unweit der berühmten Weimarer Klassikerstätten, eine unfassbare Nebenwelt geschaffen hatte. Der Umgang mit einem der größten Konzentrationslager schuf neben den bekannten Erinnerungsorten der Deutschen, die sich in Thüringen über Jahrhunderte etabliert hatten, eine neue Bedeutungsebene. Das Konzentrationslager Buchenwald wurde in der späteren DDR zu einer Identitätsressource für eine politische Gruppe, die sich aus dem antifaschistischen Widerstand rekrutierte und aus ihrer Herkunft die Berechtigung zur Führung bezog. Erst nach 1989 konnte das gesamte Ideenspektrum rekonstruiert werden, das aus der Gruppe Buchenwalder Häftlinge in die Diskussion um einen demokratischen Neuanfang in der SBZ strahlte. Ein geheimes „Volksfrontkomitee“ legte schon 1944 die Grundgedanken einer staatlichen Erneuerung Thüringens fest und fühlte sich dabei in einer vorkämpferischen Rolle. „Thüringen ist sozusagen das Seminar für das ganze Reich, das in Buchenwald versammelt ist“ 209, so drückte es Ernst Thape in seinem „Buchenwalder Tagebuch“ aus. In diese Stimmung passte auch der „Thüringen-Ausschuß“ des Jahres 1945, der als beratendes Komitee zur Thüringer Landesverwaltung funktionieren sollte und direkt aus dem „Thüringer Komitee“ der Buchenwalder Häftlinge hervorgegangen

207 Vgl. Topfstedt, in: IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000, S. 10. 208 In vielen Fällen waren Lagergelände geräumt oder unter Quarantäne gestellt, vgl. Lüttgenau, in: Ehrlich; Mai 2000, S. 361. 209 Zit. n. Overesch, in: Fricke; Steinbach; Tuchel 2002, S. 80.

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Bild 17: Weimarer Bürger und Bürgerinnen im befreiten Konzentrationslager Buchenwald, April 1945

war. Der „Thüringen-Ausschuß“ war ein vorparlamentarisches Zwischenspiel und sah sich selbst als Kleinausgabe des späteren Landtages. Das Phänomen Buchenwald und seine Strahlkraft beim politischen Neustart Thüringens dürfen nicht ausschließlich regional verstanden werden. Die fußläufige Nähe des Lagers zur Landeshauptstadt legte den direkten Einfluss aus Buchenwald nach dessen Befreiung zwar nahe.210 Das Personal derer, die in Buchenwald einen Staat nach dem Tag X geplant hatten, zerstreute sich jedoch bald. Der später gefeierte Beitrag zum antifaschistischen Gründungsmythos der DDR machte sich keineswegs an der Lage Buchenwalds in Thüringen fest und bezog sich auch nicht auf die Pluralität der Ideen, die in jenem „Seminar“ geherrscht haben mochte. Dennoch zeichnete sich unmittelbar nach 1945 die Übernahme Buchenwalds als nationales Sujet noch nicht ab.211

210 Vgl. Wahl, in: Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen 1992, vgl. auch Kapitel 4.2.2. 211 Knigge beschreibt, wie dieser Bruch mit der Staatsgründung der DDR ausgelöst wurde. Erst dann sollte Buchenwald in den Rang eines Nationalmuseums rücken, vgl. Knigge, in: Bauwelt 39/1995, 2259f.

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Gerade deswegen sind die Monate bis zur ersten Landtagswahl in Thüringen am 20. Oktober 1946 einer Betrachtung wert. Dieser Zeitabschnitt spiegelt für das Land eine offene geistige Atmosphäre wider, die auch unter der sowjetischen Militärverwaltung bewusst kultiviert wurde.212 So trafen sich auch im „Thüringen-Ausschuß“ Vertreter aller Parteien. Die Arbeitsgruppe bestand jedoch nur bis zum Juli 1945. In derselben gedanklichen Linie wurde 1946 von der mittlerweile gegründeten SED ein ähnliches politisches Gremium ins Leben gerufen, das sich als beratende Körperschaft zur Landesverwaltung unter dem Begriff der „beratenden Landesversammlung“ konstituierte. Auch hier sollte ein möglichst überparteiliches Gremium beratende Vorschläge zur politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung machen. Politiker aller Parteien, Schriftsteller, Kirchenoberste oder auch der Landesbankpräsident ergaben ein buntes Bild, ohne das Hauptgewicht der SED verdecken zu können. Daran konnten Integrationsfiguren, wie Ricarda Huch und der junge Direktor der Weimarer Hochschule, Hermann Henselmann, nichts ändern. Auch dieses Forum sollte nur kurz, vom 12. Juni–25. September 1946, bestehen.213 Der Wunsch, eine möglichst breite Kulturelite an die SBZ zu binden, war in den Jahren bis 1949 mit einer großen personellen Offenheit verbunden, die auch vor ehemaligen Parteigängern der Nationalsozialisten nicht zurückschreckte.214 Zur Gewinnung der Intelligenz ordnete die sowjetische Besatzungsmacht an, auch nichtkommunistische Künstler und Intellektuelle in den kulturellen Aufbruch zu integrieren. Dahinter verbarg sich eine „elastische Taktik“, wie sie Wilhelm Pieck nannte, die dabei den langfristigen Führungsanspruch der Partei nicht aus den Augen verlor.215 Die Wochen und Monate nach dem 11. April 1945, dem Befreiungstag Buchenwalds, verleiten zu einem mikroskopischen Blick auf Thüringen. Der Eindruck einer historischen Beschleunigung, einer gestauchten Entscheidungsabfolge drängt sich auf, welcher im Verlauf dieser Arbeit besonders für die Aktivitäten des Aufbaus beschrieben werden soll. In der Geschichtsschreibung

212 Vgl. Gärtner 2000, S. 14ff. 213 Vgl. Thüringer Landtag 1994, S. 12ff. 214 Unter der Überschrift „Werben um das Bürgertum“ wird die Praxis des großzügigen Ausblendens nazistischer Vergangenheiten geschildert, die der SMAD zu dieser Zeit zueigen war und die deutsche Antifaschisten mitunter an einem sozialistischen Gestaltungswillen zweifeln ließ, siehe Hartmann; Eggeling 1998, S. 152ff. 215 Vgl. Gärtner 2000, S. 14; Die Schicht der „schaffenden Intelligenz“ im Land zu halten, schlug sich schließlich in bezifferbaren Sonderprogrammen nieder. Die Kulturverordnung der Deutschen Wirtschaftskommission vom 31. März 1949 legte z.B. allein für Thüringen fest, noch im Jahr 1949 20 Eigenheime und 300 Wohnungen für die Angehörigen dieser Gesellschaftsschicht zu schaffen, vgl. ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen, 3058, Bl. 316.

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der DDR verbanden sich wichtige Ersterfahrungen einer sozialistischen Gesellschaft mit dem Thüringen der SBZ-Phase. Die gewollte Heroisierung, z.B. des ersten Neubauerndorfes Großfurra-Neuheide oder der Aufbauaktionen um die Maxhütte Unterwellenborn, waren im allgemeinen Handlungskontext der SBZ eingebettet. Dennoch fügte die Nachwelt gerade aus Geschichten dieser Art, die im Fall des „Wunders von Bruchstedt“ buchstäblich zum Roman wurden,216 das Bild eines modellhaften Thüringens zusammen. Besonders aus der Berliner Perspektive konnten derartige Mythen gedeihen, die gleichermaßen in der sprichwörtlichen Vorzeit der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ wie in der geografischen Unschärfe des fernen Südwestens ortlos wurden. Die Abschaffung der Länder 1952 legte zusätzlich nahe, „Thüringen“ von einem Regionsbegriff zur Metapher einer vergangenen Epoche zu verschieben.

3.2 Aktionsstruktur und Institutionen Die Entwicklung im Bauen nach 1945 lässt sich als politische Wirkungsgeschichte beschreiben, bei der ein Blick auf Regelwerke, d.h. auf die einklagbaren Absprachen einer Gesellschaft, lohnt. Da viele Bestimmungen nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus noch nicht existierten oder funktionierten, musste dennoch auf die zeitaktuellen Handlungsanliegen und Ordnungswünsche der Akteure reagiert werden. Im Folgenden wird versucht, die Umstände für Architektur und Städtebau in Thüringen über Gesetze, Instanzen und Körperschaften zu erfassen. Dabei lässt sich nachweisen, wie mild sich der Epochenbruch von 1945 vollzieht. Beim Wandel der strukturellen Grundlagen herrschte das Prinzip der Novellierung, das oft mit einem rückwärts gewandten Blick auf die letzte stabile Referenz der Zwischenkriegszeit gepaart war. So sehr der Berufsstand des Planers in der Regel auf bekannte und örtlich gebundene Aktionsstrukturen angewiesen ist, so sehr sah er sich nach 1945 einer Mischung aus übernommenen Gesetzen und unklaren Zuständigkeiten gegenüber. Der Zeit kann man gleichwohl einen doppelten Veränderungsimpuls zusprechen, der in der SBZ stärker als in den Westzonen nachweisbar ist. Abgesehen von der demographischen Welle, die von Osten kommend in der SBZ zuerst und verstärkt spürbar wurde, wandelten sich die Randbedingungen von innen durch die entschlossene Entnazifizierung von Institutionen und Behörden. In Thüringen dauerte dieser Prozess wegen des hohen Anteils an NSDAP-Mitgliedern in der Verwaltung länger als in anderen Ländern.217 216 Siehe Kapitel 5.2.5. 217 Vgl. Broszat; Weber 1993, S. 178.

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3.2.1 Verwaltung und Gesetze des Bauens Mit dem Befehl Nr. 110 vom 26. Oktober 1945 verfügte der oberste Chef der sowjetischen Militärverwaltung, Marschall Schukov, dass „in Anbetracht des gegenwärtigen Fehlens einer Zentralregierung in Deutschland“218 Provinzialverwaltungen und Verwaltungen der föderalen Länder das Recht eingeräumt würde, Gesetze und Verordnungen für das jeweilige Territorium zu erlassen. In dieser Verlautbarung lag eine zwangsläufige Länderautonomie begründet, die den Handlungsrahmen für die folgenden Jahre vorgab. Der Föderalbegriff war kein politisches Grundbekenntnis der SMAD. Eher sollte sich der Neubeginn eines kollabierten Staatswesens mit einer gelähmten Hauptstadt aus der Summe getrennter Spielstätten zusammensetzen, um überschaubar und machbar zu bleiben. In derselben Richtung gaben die Länder Zuständigkeiten an Gemeinden und Kreise weiter. In Thüringen wurde im „Gesetz über den Wiederaufbau von Städten und Dörfern im Land Thüringen“ vom 18. Oktober 1945 die Schlüsselfrage der Enteignung ausdrücklich in den Verantwortungsbereich der Kommunen gestellt.219 Architektur und Städtebau suchten trotzdem ihre zentralen und zonenweiten Abstimmungsforen. So veranstaltete der Magistrat der Stadt Berlin am 12. September 1946 eine Konferenz von Stadtbauräten aus Städten der SBZ, um die unterschiedlichen lokalen Handlungsmöglichkeiten und -geschwindigkeiten aufeinander abzustimmen. Im Bewusstsein um seinen Mangel wurde ein Gesetzesarchiv beschlossen, das beim Berliner Stadtbaurat Hans Scharoun eingerichtet werden und alle Gesetze sammeln sollte, die dem Aufbau dienten und die mittlerweile lokal und regional entstanden waren.220 Aus der Tatsache, dass der Boden in der SBZ nicht sofort verstaatlicht wurde, ergab sich eine grundsätzliche Weiterführung privater Bauherrschaft mit privatem Grundbesitz.221 Das thüringische Baurecht umfasste Landesbauordnung und Landesbaupolizeiverordnung, die beide unverändert in der Fassung vom 2. September 1930 übernommen wurden.222 Am anderen Ende der Handlungskette mangelte es an der behördlichen Erfassung tatsächlicher Bauaktivität. Die alliierte Kommandatura Berlin verfügte im Mai 1946, dass alle Bauarbeiten genehmigungspflichtig und nur 218 Siehe: ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen, 2298, Bl. 186. 219 Vgl. ThHStAW, LaThMWA, 2386, Bl. 161. 220 So formuliert in einem Brief vom 23. Oktober 1946 „an die Herren Oberbürgermeister der Städte“, genannt werden dann 29 Städte der SBZ; ThHStAW, LaThMWA, 2386, Bl. 140. 221 Langsam verschob sich die Rechtslage im Bodeneigentum zur staatlichen Inanspruchnahme, vgl. Beyme 1987, S. 275ff. 222 Siehe Diez; Sommer 1946.

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dann gestattet seien, wenn sie über eine technische Bescheinigung zu Konstruktionsmethoden und eine Freigabe über Verwendung bestimmter Mengen von Materialien und Arbeitskräften verfügten. Diese Genehmigung, die von einem Bezirksbaurat zu erteilen war, musste an der Baustelle angeschlagen sein.223 Solche Ankündigungen sind nicht ohne die gleichzeitigen Klagen über wilde Selbstbaustellen zu lesen. Sie geben Auskunft über eine Ordnungssuche im Baugeschehen, das sich nach dem totalen Kontrollverlust der Bombenzerstörungen schnellstmöglich wieder einer administrativen Überwachung zu unterstellen hatte. In einem Bericht vom Februar 1946 über den gegenwärtigen Stand des Wiederaufbaus der zerstörten Städte und Dörfer in Thüringen betonte das Landesamt für Kommunalwesen in Weimar, dass die Lösung des Aufbaus im „Schwerpunkt bei den Selbstverwaltungen der Stadtund Landkreise“224 liege. Die zwangsläufige kommunale und länderspezifische Selbständigkeit konnte nichts daran ändern, dass bald die verhüllte oder auch offene Übernahme von Zuständigkeiten durch Zentralinstanzen einsetzte. In der Landesverwaltung waren Machtentzug und fortschreitende Infragestellung des Gesetzgebungsrechtes spürbar. Diese Dynamik zur Zentralisierung hat sich aus der Perspektive des Rückblicks als tragische Anlage in der Genese der DDR verfestigt. Dennoch ist den Jahren bis 1949 der Glaube an eine dezentrale Handlungsfreiheit zuzugestehen.

3.2.2 Das Bild des Planers. Berufsverbände und Interessenvertretungen Architekten und Ingenieure sahen sich nach 1945 ganz besonders in der Pflicht, die erhofften Gestaltungsmöglichkeiten in diskutierbare oder sogar visionäre Bilder zu übersetzen. Das hat das vorhergehende Kapitel gezeigt. Sie waren als Berufsgruppe in ihrer Wirtschaftsweise dennoch an eine herkömmliche Praxis gebunden. Schon die Gebührenerhebung des Architekten in der SBZ war nur eine angepasste Übernahme. So wurden Planer mit einem Erlass vom 21. Juli 1949 angewiesen, von der preisrechtlich zulässigen Baukostensumme 35% abzuziehen, um ihr Honorar sodann gemäß

223 Abschrift eines Papiers der Alliierten Kommandatura Berlin vom 29. Mai 1946, Bauarbeitengenehmigung; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen, 2298, Bl. 70. In der Thür. Landesbaupolizeiverordnung vom 2. Oktober 1930, die 1946 unverändert nachgedruckt wurde, ist nur davon die Rede, dass sich ein Bauerlaubnisschein „auf der Baustelle oder [...] in deren Nähe befinden“ müsse, vgl. Diez; Sommer 1946, S. 104. 224 Bericht des Landesamtes für Kommunalwesen in Weimar über den gegenwärtigen Stand des Wiederaufbaus der zerstörten Städte und Dörfer in Thüringen, vom 4. Februar 1946; ThHStAW, LaThMWA, 2386, Bl. 22.

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Gebührenordnung vom 15. August 1942 zu berechnen.225 Diese Anweisung war notwendig geworden, nachdem die im Befehl Nr. 63/46 der SMAD vorgegebene Preiskontrolle auf den Stand von 1944 „ständig zu Ausfällen zwischen Architekten und Auftraggebern Anlaß“226 gab. Zur gleichen Zeit suchte man nach einer berufsständischen Heimat. Für Architekten bescherten die folgenden Jahre ein gewandeltes Selbstverständnis der Profession. Es stand ihnen zum einen die Fachabteilung Bauwesen in der Kammer der Technik zur Mitgliedschaft offen, die sich zwar hauptsächlich den Perspektiven der Bauwirtschaft verschrieben hatte, aber gemäß ihrer Satzung genauso die Technische Wissenschaft, Forschung und Praxis fördern wollte.227 Damit war ein Zuständigkeitskonflikt angelegt. Für Grundlagenforschung und Ausbildung war ab 1947 das Institut für Baukunst und Bauwissenschaft an der Akademie der Wissenschaften zuständig. Die 1946 durch den FDGB gegründete „Kammer der Technik“ unterstützte ebenfalls technische Forschungen und Veröffentlichungen, z.B. im Fachausschuss Lehmbau. Damit verwischten sie die Grenzen zwischen berufsständischen Interessen und einer anwendungsbezogenen Forschung, welche sich wiederum in Konkurrenz zu den Hochschulen befand. Trotz der Nähe der genannten Institutionen untereinander ergaben sich zusätzliche Interessenunterschiede, solange immer noch Wünsche nach einer eigenständigen Architektenkammer bestanden. Ein Treffen am 13. Juni 1947 zwischen der Einheitsgewerkschaft, dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und der Thüringer Landeskammer der Technik wollte die Rollen klären. Unter der Überschrift: „Gründung einer Architektenkammer Thüringen oder korporative Überführung der Architekten Thüringens in die Kammer der Technik – Fachgruppe Bauwesen“ wurden der Kammer der Technik die Vertretung technischer Interessen zugestanden und dem FDGB die Wahrnehmung sozialer Interessen. Die Zusammenkunft wurde in einem Fazit zusammengefasst, in dem über einige Vertreter aus der „Kammer der Technik“, welche eine separate Architektenkammer forderten, der Verdacht geäußert wurde, dass sie „noch nichts aus der Vergangenheit gelernt haben und heute wieder ihre eigenen Wege neben der Solidarität grundsätzlich gehen wollen“.228 In diesem Zusammenhang ist noch die Idee zu erwäh225 Vgl. N.N., in: Industrie und Handel 23/1949, S. 157. 226 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 63 vom 26. Februar 1946 über die Verstärkung der Preiskontrolle, in: Gesetze, Befehle, Verordnungen Sachsen. 1946 vom 18. März 1946, S. 24. 227 So in §2 unter der Überschrift „Ziel“ der Satzung der Kammer der Technik in der sowjetischen Besatzungszone, vgl. Die Technik 1/1946, S. 3f. 228 Niederschrift einer Unterredung vom 13. Juni 1947, zw. FDGB und Landeskammer der Technik; ThHStAW, 2308 LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen, Bl. 54, Bl. 154f.

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nen, auch den Deutschen Werkbund in der SBZ weiter zu führen. Bis 1947 wurde, obgleich ohne Erfolg, eine Zusammenführung von Einzelverbänden des Werkbundes unter einem gesamtdeutschen Dach erwogen.229 Die frühen Auseinandersetzungen zwischen berufsständischen Interessenvertretern sind aufschlussreich, um den Voraussetzungswandel für die Berufe des Architekten und des Ingenieurs nach 1945 zu beurteilen. Der freiberufliche Architekt wurde mit dem schwindenden Privateigentum und der abnehmenden privaten Bauherrschaft zurückgedrängt. In bissigen Artikeln schürte Hermann Henselmann als Meinungsführer das Misstrauen gegenüber dem privaten Architektenberuf. Im Egoismus der Auftragsbeschaffung und des kleinlichen Wettbewerbsdenkens seinen Kollegen gegenüber verkenne der Freischaffende die Tragweite der zu leistenden gesellschaftlichen Aufgaben. Den „Unternehmer mit Reißbrett“ setzte Henselmann mit dem Schieber gleich, der aus der Not den eigenen Vorteil ziehe und der sich als Planer überdies der wissenschaftlichen Unterfütterung seines Handelns widersetze.230 Die Klage Henselmanns karikierte den Architekten als gesetzlosen Freibeuter. Zu diesem Bild trug auch bei, dass unter Planern die Berufsbezeichnung des Architekten ungeschützt verwendet werden durfte, da eine anerkannte Zertifizierungsinstanz fehlte. Architekten fanden zwar im FDGB in der „Sparte 17 Architektur“ ihre Interessenvertretung und soziale Absicherung. Dennoch wurde wiederholt ein endgültiges Architektengesetz eingefordert, das klären sollte, wie eine Zulassung entschieden würde und vor allem welcher Fachausschuss oder welche Spruchkammer diese Zulassung geben sollte. In Thüringen war es seit 1946 Regierungsbaurat Leo Stegmann, der im Landesamt für Kommunalwesen Vorschläge für ein Architektenrecht ausarbeitete und vorantrieb.231 Die danach folgenden Versuche, die Architekten im Thüringer Rahmen zum Nachweis ihrer Befähigung zu bringen, waren glücklos und dauerten ebenso lange wie die Phase der SBZ selbst. Die Thüringer Diskussion um die Zertifizierung des Berufsstandes steht hier abermals stellvertretend für eine grundsätzliche Auseinandersetzung um den Architekten in der SBZ. Dokumentiert sind zwei Begründungslinien, die den freien Architekten näher zu bestimmen wünschten. Zum einen sollten bestätigte Fachleute benannt werden, die für anspruchsvolle, zusammenhän229 Bekannt ist die Initiative um Hanns Hopp, der sich im Kulturbund engagierte und eine Gründung des Werkbundes evt. als Sektion des Kulturbundes unterstützte, vgl. Wiesemann 2000, S. 141f. 230 Henselmann, in: bildende kunst 1/1947, S. 10ff . und auch Henselmann, in: Neue Bauwelt 35/1947, S. 547f. 231 Eine große Menge von Varianten und Zuarbeitungsquellen sind dokumentiert, siehe ThHStAW, 2308 LaThMWA.

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gende und städtebauliche Planungen in Frage kämen. Ein zweites Motiv, den freien Architekten als Berufsgruppe genauer einzugrenzen, waren Rechte und auch Vorrechte, deren Missbrauch es zu beschränken galt. Treibende Kraft für die erste Initiative waren Beschwerden u.a. aus dem Hauptamt Bauwesen im Thüringer Wirtschaftsministerium, dass bei Flächenaufteilungs-, Bebauungs-, und Fluchtlinienplänen „mangelhafte Leistungen der Planverfasser“232 erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursacht hätten. Deswegen wurde eine „Durchführungsverordnung zum §1 der Landesbauordnung vom 20. September 1930 über die Zulassung zur Ausführung städtebaulicher Planungen“ angemahnt. Der Formulierungsvorschlag dazu wurde 1948/49 in etlichen Varianten diskutiert. Schon Ende 1948 bremste ein Brief der Hauptverwaltung Bauwesen in der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) die Diskussion. Die DWK war 1947 gegründet worden, um eine einheitliche Wirtschaftsplanung in der SBZ zu forcieren. Man bat um die Zuarbeit entsprechender Vorüberlegungen, da eine Regelung in dieser Sache „nur auf zonaler Ebene erfolgen“233 könne. In derselben Sache bat im Mai 1949 die Hauptverwaltung der DWK, die schon bald im Ministerium für Aufbau aufgehen würde, die Thüringer Landesbehörden noch einmal nachdrücklich, dass das Gesetz vom Land zurückgestellt werden solle, weil die Hauptverwaltung der SBZ selbst dazu Richtlinien herausgeben würde.234 Der angesprochene zweite Grund, den Architekten in seiner Berufsbezeichnung zu kontrollieren, waren Vorteile, wie das Privileg gemäß Befehl Nr. 153 der SMAD, das Personen freier Berufe von der Meldepflicht bei Arbeitsämtern und der Einsatzpflicht ausnahm.235 Mit dem Vorrecht, nicht zu Arbeitseinsätzen herangezogen zu werden, standen Architekten in der Rechtfertigungspflicht, dass ihre Arbeit dem Aufbau zu nützen habe. Der Status des freiberuflichen Architekten stand damit nach 1945 unter einem wachsenden Zweifel, der durch die unklaren berufsständischen Festlegun-

232 Brief von Hauptabteilungsleiter Hirsch aus dem Wirtschaftsministerium an die „Gesetzgebungsabteilung im Ministerium des Innern“ vom 7. April 1949; ThHStAW, 2308, LaThMWA, Bl. 19. 233 Brief der Hauptverwaltung Bauwesen in der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) in der SBZ an das Thüringer Wirtschaftsministerium vom 20. Dezember 1948; ThHStAW, LaThMWA, 2308, Bl. 106. 234 Aus einem Brief des Leiters Herr Scholz des Hauptamtes Bauwesen der DWK an den Leiter Hirsch im Hauptamt Bauwesen im Thüringer Wirtschaftsministerium vom 31. Mai 1949; ThHStAW, 2308 (A 787) LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen (6.2.), 1945-46, Bl. 13. 235 Siehe Befehl Nr. 153 der SMAD über die Sicherstellung von Arbeitskräften in den wichtigsten Industriezweigen, vom 29. November 1945, dort unter §3.

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gen genährt wurde. So schlug der Entwurf für eine „Verordnung zur Ausführung des Befehls Nr. 153 der SMAD vom 29. November 1945 betreffend Zulassung und Registrierung von freischaffenden Architekten und Städtebauern“236 vor, Architekten für eine Freistellung vom Arbeitseinsatz nur zu registrieren, „wenn sie durch einen beim Ministerium für Wirtschaft eingerichteten Fachausschuß als solche anerkannt sind“.237 Ähnlich wie in der zuvor beschriebenen Initiative blieb es lediglich bei Vorschlägen, die im Thüringer Ministerium für Wirtschaft und Arbeit zur Ablage kamen. Darin variierte die Zusammensetzung des geforderten Fachausschusses, dem in jedem Fall Vertreter aller zu beteiligenden Institutionen angehören sollten: des Ministeriums für Wirtschaft, des Landesvorstandes des FDGB, des Landesvorstandes des Kulturbundes, der Staatl. Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar sowie „namhafte Vertreter des Fachgebietes“.238 Beide Verordnungsvorstöße sind in Thüringen nicht mehr zur Wirkung gekommen. Sie waren obsolet mit sich abzeichnenden neuen Arbeitsformen für Architekten. Am 15. Juni 1949 unterrichtete der Leiter im Hauptamt Bauwesen im Thüringer Wirtschaftsministerium ein Gremium aus FDGB und dem Wirtschafts- sowie Innenministerium von der Notwendigkeit „eines zentralen Projektierungsbüros im Lande Thüringen, welches die Planungen für alle Invest-Bauten durchzuführen hat“.239 Noch stellte er den freischaffenden Architekten in Aussicht, „soweit sie nicht auftragsweise in diesem Projektierungsbüro mitarbeiten“240, mit den übrigen privaten Bauaufträgen vorlieb nehmen zu können oder zu müssen. Wie die Spezies des freien Architekten in der DDR schließlich ausstarb, ist in der Literatur beschrieben worden.241 Die Anfechtungen, denen eine freie Berufsgruppe in der SBZ ausgesetzt war, setzten sich zusammen aus einer allgemeinen Neudefinition im Verhältnis des Planers zum Bauherrn und zur Gesellschaft.242 Dass schließlich der „übersteigerte Individualismus“ in der Architektursprache des freien 236 Die Varianten liegen in mehreren Korrekturstadien vor. ThHStAW, LaThMWA, 2308, Bl. 59. 237 Das zitierte Dokument nennt z.B. keine Vertreter der Kammer der Technik als Teilnehmer im Fachausschuss, ebd. 238 Ebd. 239 Leiter Hirsch im Hauptamt Bauwesen im Thüringer Wirtschaftsministerium in einem Aktenvermerk, Betr. Einschaltung der freischaffenden Architekten in den Zweijahresplan; ThHStAW, LaThMWA, 2308, Bl. 54. 240 Ebd. 241 Vgl. Topfstedt, in: Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000, S. 10f. 242 Wie sich der freie Architekt im Sozialismus von selbst verunmöglichte, sollte in der Lesart der DDR an seinen hausgemachten Widersprüchen begründet werden, vgl. Ricken 1977, S. 157.

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Architekten aus reiner Selbstwerbung geschehe, befeuerte die bereits einsetzende Diskussion um eine „formalistische Architektur“, die ihre Indifferenz dem Gesamtwohl gegenüber schon alleine in der Erscheinung belege.243 Das staatliche Projektierungsbüro wurde ferner als Plattform herbeigewünscht, um einen gerechten Zugang zu Aufträgen zu garantieren. Anlässlich einer FDGB-Sitzung am 14. Juni 1949 prangerte der Weimarer Architekt Paul Bräunlich an, wie bei Planungen für Schulneubauten Aufträge „von Prof. Henselmann an einen engen Kreis seiner Hochschulmitarbeiter vergeben“244 worden seien. Die Gründe dafür wurden der unübersichtlichen Verteilung von Architekten und der schlechten Informationspraxis zugeschrieben. Es seien „zum Großteil [...] die Architekten über das Ausmaß der zu bewältigenden Aufgaben in Unkenntnis“.245

3.2.3 Thüringer Architektenschaft Die Architektenschaft des Landes bündelte sich in den Einzelzentren der Kreisstädte, besonders auf der West-Ost-Achse von Eisenach bis Altenburg. In Thüringen ist in den Jahren der SBZ ein Generationswechsel zu lokalisieren, der mit bis dahin ungekannten strukturellen und arbeitsorganisatorischen Wandlungen einherging. Die folgende Zusammenfassung identifiziert neben bekannten Namen ebenso Architekten aus der „zweiten Reihe“. Nahezu keiner der skizzierten Lebenswege beschritt einen linearen Verlauf. In lokalem Pragmatismus absolvierten die meisten Planer die Anpassungsleistung an drei Systeme.246 Deshalb müssen Bezugslinien sowohl in die Zeit der Weimarer Republik als auch in der DDR ausgelegt werden. In einer Liste des Jahres 1949 zur „Namhaftmachung von Facharbeitern für städtebauliche Planungen“ wurden dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft und Arbeit von den Kreisbauämtern und Staatshochbauämtern ca. 160 Architekten genannt, um als vertrauenswürdige Fachleute aktenkundig zu sein.247 An diesem Überblick wird deutlich, dass nach 1945 in Thüringen jenseits der Weimarer Hochschule kaum überregional bekannte Planer auftraten. Vergleichbare Betrachtungen zu regionalen Akteursgruppen, wie sie z.B. 243 244 245 246

Vgl. Palutzki 2000, S. 29. ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen, 2308, Bl. 54. Ebd. In diesem Sinn öff net die Arbeit von Holger Barth den Blick auf die beiden Wirkmächte, Autor und Umwelt, in seinem Fall am Beispiel des Architekten Gustav Lüdecke, vgl. Barth 2004. 247 Datiert auf den 4. Januar 1949; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen, 2308, Bl. 33.

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Peter Krieger für Hamburg vorgenommen hat,248 machen deutlich, dass die Auswertung der wichtigsten zeitgenössischen Fachzeitschriften in Bezug auf Thüringen keine breitenwirksame Methode sein kann, um persönliche Handlungslinien zu verfolgen. Hilfreich sind Zusammenfassungen, wie die besagte Architektenliste, um einen Querschnitt durch die Gruppe der angestammten Planer zu finden. Architekten der Geburtsjahrgänge bis 1900 tauchen wieder auf, die das Werden der Moderne miterlebt und mitgestaltet haben, um nach 1945 diese Prägung weiter zu tragen oder gerade zu verleugnen. Es zeigt sich ein dem Berufsstand eigenes Beharrungsvermögen an den Orten, an denen viele der genannten Namen seit Jahrzehnten wirkten. Es lassen sich Namen den größeren Städten zuordnen, wo sich Einzelgeschichten in lokale Milieus einbetten. Die folgende, kommentierte Zusammenstellung beruht auf dieser „Namhaftmachung“ des Ministeriums. Paul Schraps (1894–1961), der lokale Gegenspieler oder Berufskonkurrent des bereits 1932 nach Norwegen emigrierten Thilo Schoder, wird für die Stadt Gera aufgeführt. Schraps, der für die sozialdemokratische Tageszeitung „Volkswacht“ 1928–29 das Verlagsgebäude in Gera gebaut hatte, war im Nationalsozialismus bei der Planung von Straßenmeistereien und anderen autobahnbegleitenden Hochbauten aktiv. Ebenso ist Kurt Jahn vermerkt, der zusammen mit dem Berliner Architekten Hans Brandt 1928/29 in Gera das erste Hochhaus, den Handelshof, baute. Allein Jena kann nach Gera für Thüringen als der Ort benannt werden, wo sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Bild der modernen Großund Industriestadt architektonisch formen wollte. Gekoppelt an die ZeissWerke entstanden große Werksanlagen und einige Hochhäuser. Es tauchen auch nach 1945 bekannte Namen der Zwanzigerjahre auf. Das Duo Schreiter und Schlag war mit dem Jenaer Zeissplanetarium (1925–26) überregional wahrgenommen worden. An Hans Schlag (1890–1970), der u.a. bei Theodor Fischer in München studiert hatte, und dem älteren Johannes Schreiter (1872–1957) vollzog sich die Werkslinie eines Büros über mehr als drei Jahrzehnte.249 Der Motor für diese Kontinuität waren seit der Weimarer Republik die Zeiss-Werke als Auftraggeber bis hin zum VEB Carl Zeiss der DDR. Auch im Nationalsozialismus realisierten die beiden Siedlungen für das Werk (Ringwiesensiedlung, 1933–37; Siedlung am Schlegelsberg, 1937–39). Es war Hans Schlag, der sich nach 1945 noch über zwanzig Jahre in die Diskussion um den Wiederaufbau Jenas einmischte und dessen Hochhauskulisse 1967 im Gegensatz zu Henselmanns Vorplanung mit Turm für Jena nicht zum Zug 248 Siehe Krieger 1995. 249 Siehe Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege 1999.

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kam.250 Rolf Fricke und Horst Fischer, zwei Abkömmlinge der „Stuttgarter Schule“, meldeten sich in Jena genauso zurück wie der Dessauer Bauhausabsolvent Alfred Arndt (1898–1976). Kurzzeitig als Baurat in der Jenaer Stadtverwaltung angestellt, gibt sein Tagebuch einen aufschlussreichen Bericht über ein Architektenschicksal in den ersten Nachkriegsmonaten. Arndt hoffte, im Umfeld der Weimarer Hochschule an der Wiedererrichtung eines Bauhauses mitzuwirken und einen Lehrerposten zu erhalten.251 Der ebenfalls im Dessauer Bauhaus ausgebildete Konrad Püschel (1907–97) konnte diesen Schritt nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft 1948 tun. Püschel war in der Gruppe „Rot Front“ um Hannes Meyer 1930 in die Sowjetunion gegangen, ist dort bis 1937 geblieben und hat dabei eine Entwicklung beschritten, die ihn nach 1945 für eine Karriere in der DDR vorbereitet hat.252 Arndt oder auch der zeitweilige Weimarer Professor Gustav Hassenpflug (1907–77), beides Dessauer Bauhaus-Absolventen, waren zu sehr an der inhaltlichen Weiterführung des Bauhauses interessiert, um für länger in der SBZ/DDR zu bleiben. Arndt zieht 1948 nach Hessen, Hassenpflug 1951 nach Hamburg.

Bild 18: Entwurf Bau 36 für die Carl-Zeiss-Werke, Architekten Johannes Schreiter, Hans Schlag 1926

250 Vgl. Raschke, in: Barth; Topfstedt [u.a.] 2000, S. 196. 251 Siehe Bauhaus-Archiv 1999. 252 Vgl. Schätzke 1999, S. 130; Püschel beschreibt diese Zeit, vgl. Püschel, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB 4/1976, S. 468ff.

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Bild 19: Haus des Volkes, Probstzella, Garagen, Alfred Arndt 1927

Für Erfurt stand der Name Theo Kellner (1899–1969), der sich untrennbar mit Anlagen des genossenschaftlichen Wohnungsbaus der Zwischenkriegszeit verknüpft (z.B. ErWo-Block, 1928/29). Nach dem Krieg führte Kellner u.a. den Wiederaufbau der Erfurter Thomaskirche (1945–50) durch.253 Georg Bierbaum war in Erfurt mit Geschäfts- und Industriebauten (z.B. der Malzfabrik Wolff, 1930–36) in gediegenem, natursteinschwerem Populärmodernismus bekannt geworden. Schließlich bot sich für die Stadt Erfurt Gustav Lüdecke (1890–1976) an. Lüdecke, Mitarbeiter bei Hermann Muthesius und Heinrich Tessenow, beschäftigte sich Zeit seines Lebens mit dem Thema des Typenhauses.254 Er nahm 1931 am Wettbewerb „Das wachsende Haus“ teil, den der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner auslobte. Sein Prototyp eines ländlichen Siedlerhauses wurde anlässlich der Dresdner Jahresschau „Garten und Heim“ 1937 vom Gauheimstättenamt Sachsen der Deutschen Arbeitsfront in Auftrag gegeben und ausgestellt. Seit 1932 wirkte er als Architekt in Erfurt, baute Siedlungen für die Deutsche Arbeitsfront (DAF)

253 Vgl. Hüter [u.a.] 1978, S. 62. 254 Wie sehr sich an der Entwicklung Lüdeckes zwischen Tradition und Moderne die Uneindeutigkeit eines architektonischen Standpunktes verdeutlicht und dennoch zur berichtenswerten Personalgeschichte wird, beschreibt Holger Barth in seiner Dissertation zu Gustav Lüdecke, vgl. Barth 2004.

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und war 1945/46 kurzzeitig Mitarbeiter im Planungsverband der Hochschule Weimar.255 Er sollte in der DDR nach 1950 wiederum eine Rolle bei der Entwicklung von Typengrundrissen für den Wohnungsbau spielen.256 Das Beispiel Lüdecke zeigt eine ertragreiche und lang dauernde Werkbiografie innerhalb der Thüringer Architektenschaft.257 Die Nennungen an das Ministerium beschreiben in ihrer tabellarischen Nüchternheit den überschaubaren Kosmos Thüringer Städte mit ihren Berufsnetzwerken. Auch in den kleinen Zentren Thüringens zeigten sich intakte Konstellationen bewährter Architektennamen. Die Altenburger Siedlungsarchitekten Karl Mazukuly, Emil Möller und Herrmann Bartsch sind genannt, von denen der Erstgenannte Meisterschüler bei Joseph Maria Olbrich an der TH Darmstadt,258 der Letztgenannte Mitarbeiter bei Bruno Taut und Hermann Muthesius gewesen war.259 Im Landkreis Nordhausen empfahl sich Erwin Gericke, ein Schüler Paul Schultze-Naumburgs, der dort bald Stadtplanungsamtsleiter werden sollte. Ebenso für Nordhausen stand der Name Konrad Riemann, Absolvent der TH Hannover, welcher ab 1948 den Verwaltungsbau für die Ziegelei Zwinge als eigenwillige Plastik in Ziegelmauerwerk komponierte. Ferdinand Ehler und Arthur Dockhorn werden aus dem reichen Industriestädtchen Bleicherode gemeldet, wo sie beide nach 1920 ihr Verständnis einer ländlichen Moderne an kleinen Dimensionen baulich ausdrücken konnten. Schließlich sei im äußersten Westen die Autostadt Eisenach erwähnt, wo der Architekt Alfred Schmidt in den Zwanziger- und 1930er durch Kaufhausbauten bekannt wurde, deren eines er zusammen mit dem Hamburger Architekten Fritz Höger realisierte. Die Liste an das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit war teils Indiz für eine fehlende berufsständische Zusammenfassung von Architekten in einer eigenen Kammer (vgl. Kapitel 3.2.2) und spiegelt den Wunsch der Landesregierung wider, in der privatwirtschaftlichen Architektenschaft schnell auf ortsgebundene Fachleute zurückgreifen zu können. Indirekt nennen die Listen, wovon es noch weitere in ähnlicher Zusammenstellung gab,260 eine Elite 255 Der Rückfluss seiner lange vorher entwickelten typisierten Bauernstelle in die Planungen der Bodenreform ist nachgewiesen, vgl. Kapitel 5.2.3. 256 Vgl. Hartung in: Barth; Topfstedt [u.a.] 2000, S. 71. 257 Siehe Barth 2004. 258 Vgl. Personalbogen Karl Mazukuly, Nr. 5484 des BDA; ArchIRS. 259 So zu sehen im Altenburger „Dichterviertel“, 1929–36, an dem alle drei Architekten mitarbeiteten, vgl. Wieler [u.a.] 2006, S. 408. 260 Ähnliche Listen lagen dem Ministerium für Arbeit im selben Dokumentationszusammenhang vor, siehe ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Bauwesen 2308.

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Bild 20: Anbau an Ziegelwerk „Jacobi“, Zwinge/Eichsfeld, Konrad Riemann 1948–52

Thüringer Architekten, deren Anschluss in der ersten Jahrhunderthälfte an die Diskussion und die Denklinien der Zeit manchmal nachweisbar ist, in vielen Fällen dagegen Vermutung bleibt. Dieser Elite gehörten Mitarbeiter berühmter Meister an. Architekten trugen nach 1920 Ideen ihrer Ausbildungsstätten von Stuttgart bis Dessau in die Thüringer Provinz, die in der Geschichtsschreibung als unvereinbar geschildert werden. Die gebauten Phänotypen der Schüler zeigen sich meist milder und versöhnlicher als die Theorievorgaben ihrer Ausbildungsherkunft. Der Generation der Thüringer Vorkriegsarchitekten darum eine äußerlich unentschlossene Position zwischen Neuem Bauen, Heimatstil oder nachklingendem expressionistischen Dekorationsstil nachzuweisen, ist nicht schwer. Wichtiger ist jedoch, an den ausgeführten Bauaufgaben einen gesellschaftlichen Wissensstand abzulesen, der sich bis 1945 in Thüringen über Architektur vermittelt hat und für die Nachkriegsgesellschaft des Landes vorausgesetzt werden kann. Thüringer Planer und Ingenieure standen in ihrem Gestaltwillen ebenso zwischen Moderne und Tradition wie ihre großstädtischen Kollegen. Sie waren in ihrer Praxis mit den Schlüsselaufgaben und Maßstäben des 20. Jahrhunderts vertraut. Auf Ihren Zeichenbretternentstanden Fabriken, Staudämme, Stellwerke oder Kaufhäuser. Die soziale Frage suchten auch hier ihre Antworten in Massenwohnungsbau, Krankenhäusern und einer neuen demokratischen Repräsentationsidee von Behörden, Sozial- oder Bildungseinrichtungen. Nicht zuletzt der Typ der Villa zeitigte in Thüringen einige bemerkenswerte Beispiele zwischen modernistischem Dekor und dem Wunsch, an einen internationalen Stil angeschlossen zu sein.

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Nach 1945 präsentierte sich die alte und teilweise neue Garde von Architekten und lässt gleichwohl Namen aus der Zeit vor 1945 vermissen, die sich besonders im Bauen des Nationalsozialismus profiliert hatten. Stellvertretend sei der Weimarer Architekt Ernst Flemming genannt, der in Thüringen mit Verwaltungs- und Kulturbauten im Nationalsozialismus bekannt wurde und ein großes Büro geführt hatte. Flemming steht für eine Gruppe von Architekten, die im Nationalsozialismus engagiert waren und dem Thüringen ab 1933 ein gebautes Gesicht gegeben haben.261 Anders Georg Schirrmeister aus Jena, der ebenfalls während des „Dritten Reiches“ gebaut hatte. Er verfasste sowohl vor 1945 einen Generalbebauungsplan für seine Heimatstadt Jena als auch Wiederaufbaupläne nach 1945 für die gleiche Stadt.262 Er war nach 1945 ebenso aktiv wie Hans Lahnert (*1922) aus Gera, später Professor in Weimar. In Lahnert erschließt sich eine weitere Thüringer Architektenbiografie mit einer weiten Ausdehnung in die DDR und einer gleichzeitigen Verankerung in der Vorkriegszeit. Lahnert studierte von 1941–45 in Weimar, wo er gleichzeitig 1941–42 unter Hermann Giesler Bauführer an der Baustelle zum Gauforum war, dann im Büro Ernst Flemming arbeitete und gleichzeitig eine Stelle als Hilfsassistent bei Gerd Offenberg bekleidete.263 Flemming und Schirrmeister stehen für Planer, die im Kontext der Zeit an überregional beachteten Bauvorhaben in Thüringen teilhatten. Der Grad der Wichtigkeit, den die nationalsozialistische Regierung dem Land Thüringen zumaß, hatte einen Personalstab geschaffen, der sich insbesondere in Weimar um Hermann Giesler bildete und der sich mit dem Kriegsende zerstreute. Giesler selbst praktizierte nach einer Haft von 1945– 52 bis 1987 als Architekt in Düsseldorf.

3.2.4 Generationsverschiebungen In den Umrissen der Thüringer Architektenschaft nach 1945 bildet sich die Vorkriegszeit noch einmal als Schatten ab. Werklinien erfuhren nach dem Kriegsende ihre Fortsetzung oder ihren Ausgangspunkt, auch deswegen, weil die Weimarer Hochschule nur mit kurzen kriegsbedingten Unterbrechungen kontinuierlich Absolventen freisetzte. Der Rückblick aus heutiger

261 Ausgehend von der Publikation von Friedrich Voigt: Staatlicher Bauwille in Thüringen 1932–1937, Weimar 1938, lässt sich an öffentlichen Bauaufgaben die Stoßrichtung der nationalsozialistischen Landesregierung nachverfolgen, siehe Voigt 1938. 262 Vgl. Diers; Grohé; Meurer 1999, S. 19. 263 Siehe Karteibogen zur Aufnahme in den BDA, Bezirksgruppe Erfurt vom 15. März 1961 (Nr. 2250). ArchIRS.

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Sicht belegt jedoch auch, wie sich die wirksame Gruppe von Planern personell erneuerte. Ein zweiter Betrachtungsschritt erschließt eine Generation, die im Thüringen der SBZ eine entscheidende Prägung erhalten hat, um sie in ihr späteres Berufsleben in der DDR weiter zu tragen. Über die regionalen Gruppen der damals schon beruflich gefestigten Architekten hinaus, sind die ersten Nachkriegsjahre in Thüringen äußerst prägend für viele Studenten der Weimarer Hochschule. Die weiter gefasste Rückschau erschließt eine eigene Altersgruppe, die in den Jahren vor der Gründung der DDR ausgebildet wurde. Die praktische Mitarbeit bei Aufbauplanungen schon während des Studiums wurde immer wieder als Urerlebnis für die spätere „sozialistische Etappe des Aufbaus“264 beschrieben. Das heutige Bild der jugendlich motivierten Pionierstimmung in jenen Jahren setzt sich aus Erlebnisberichten der Generation zusammen, die nach 1915 geboren wurde. So fiel die Gründungszeit der DDR zusammen mit der Zeit der Selbstgründung mancher Architektenpersönlichkeit. Trug die ältere Generation der oben genannten Protagonisten Ausbildungserfahrungen und Hochschulabschlüsse des gesamten deutschen Reiches nach Thüringen, so beschränkten sich die Lern- und ersten Praxiserlebnisse eines neuen Kreises jüngerer und nicht mehr so junger Planer auf

Bild 21: Stadtwerke Weimar, Entwurf und Teilausführung, Leopold Wiel 1945–47

264 Wimmer, in: Architektur der DDR 10/1989, S. 46.

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die SBZ. Krieg, Vertreibung und Gefangenschaft verzögerten manche Männerbiografie, die nun an der Weimarer Hochschule eine neue Chance bekam. Dem Barmener Leopold Wiel (*1916) war der Studienabschluss in Weimar noch 1940 gelungen, so dass er sich sogar schon in der obengenannten Liste der ministeriell gemeldeten Architekten als Fachmann anbieten konnte. Er plante 1945/46 die ersten Bauten für die Weimarer Stadtwerke und führte kleinere Bauaufträge aus, u.a. eine der ersten Thüringer Einfamilienhäuser der Nachkriegszeit (Haus für Dr. med. Gülke, Am Horn, Weimar 1945–46). Demselben Jahrgang angehörig studierte hingegen Hartmut Colden (1915– 82), der in Stuttgart in den 1930er sein Studium begonnen hatte, nach dem Krieg in Weimar zu Ende. Während seiner anschließenden Assistentenzeit am Lehrstuhl für Städtebau von Gustav Hassenpflug nahm er z.B. 1948 am Wettbewerb Kulturhaus Nordhausen zusammen mit seinem Assistentenkollegen Hermann Räder teil.265 Hermann Räder (1917–1980) sollte eben diesen Lehrstuhl ab 1951 innehaben. Er selbst war ebenfalls erst 1946 Absolvent in Weimar geworden, nachdem er 1939/40 bereits in Stuttgart und München studiert hatte.266 In seiner Assistentenzeit bei Hassenpflug nahm er an einigen überregionalen Wettbewerben (u.a. Wiederaufbau Altstadt Nürnberg) teil. Ihm sollte in Weimar eine lange Professorenkarriere bis 1969 bevorstehen, wohingegen Hartmut Colden in Rostock zum Hauptakteur der Stadterweiterungen nach 1955 wurde. Wiederum ähnlich verhielt es sich mit Karl Sommerer (1918–1981), der als gelernter Zimmermann nach seinem Abschluss in Weimar Assistent im Lehrstuhl Wohn- und Gesellschaftsbauten war, um ab 1954 das Amt des Chefarchitekten im Büro für Städtebau in Gera zu bekleiden. So fand sich eine Gruppe reifer oder spätberufener Architekten, die meist schon Berufserfahrung hatten oder einen fragmentarischen Bildungshintergrund nach Thüringen hineintrugen. Der bereits an anderer Stelle erwähnte Egon Hartmann (1919–2009) setzt sein in Weimar unterbrochenes Studium in der Kriegszeit aus, um es ebendort schwer verwundet 1945 wieder aufzunehmen und abzuschließen. Danach nahm er bei seiner Arbeit in der „Staatlichen Beratungsstelle für Städtebau in Thüringen“ auf zahlreiche Aufbauplanungen des Landes Einfluss und krönte mit der Realisierung der Erfurter Landtagsbauten seinen Thüringer Planungsbeitrag.

265 Siehe auch Kapitel 4.1.1 (Aufbaustadt Nordhausen): 1. Preis: Gustav Hassenpflug und Heinrich Weiß; 2. Preis: Hermann Räder und Hartmut Colden; 3. Preis: Gustav Hassenpflug und R. Seidel, vgl. N.N., in: Bauplanung und Bautechnik 10/1948, S. 282ff. 266 Vgl. Barth; Topfstedt 2000; S. 179f.

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Die Generation der verzögerten Absolventen wurde begleitet von jungen Kollegen, die durchschnittlich zehn Jahre jünger waren und die ihre Jahre in Thüringen als negative oder positive Schlüsselerfahrung beschreiben werden. In jenen Jahren studierten in Weimar Jürgen Joedicke (*1925, Student 1946–50) und ein kurzes Semester lang Hardt-Waltherr Hämer (*1922, Student 1949), dessen Vater Walter Hämer zur selben Zeit, und ebenfalls nur kurz, den verlassenen Lehrstuhl Henselmanns innehatte. Für einen der jüngsten Weimarer Nachkriegsstudenten, Martin Wimmer, lag die Mitarbeit in der Planungsgruppe von Professor Curt Siegel zur später noch zu beschreibenden Jugendsiedlung Unterwellenborn genau in jenem Zwischenbereich, der Studieninhalte mit aktuellen Bauaufträgen zusammenführte.267 Im selben Studentenkollektiv befand sich ebenfalls Eberhard Zeidler (*1926), der 1948 Thüringen verließ, um im folgenden Jahr bei Egon Eiermann in Karlsruhe Diplom zu machen und 1951 nach Kanada auszuwandern. Naheliegenderweise wurden viele der später wichtigen Bezirks- und Stadtarchitekten Thüringens in Weimar ausgebildet. Auch jenseits der Weimarer Hochschule erwarben sich in Thüringen junge Planer der Nachkriegszeit das Rüstzeug für den späteren Beruf. Der Landarchitekt Erhardt Gißke (1924–93) war Absolvent der Staatsbauschule Gotha und betreute den spektakulären Wiederaufbau des Dorfes Bruchstedt. Er wurde 1973 Generaldirektor in der Baudirektion des Ministeriums für Bauwesen in Berlin.268 Für Manchen bot die Zeit der ersten und rasanten Bauaktivitäten sogar eine Gelegenheit, durch Praxis und ohne Studium zum Planer aufzusteigen. So war z.B. Peter Schweizer (*1921) im Team um Egon Hartmann als technischer Angestellter in Weimar tätig. Seine Arbeit beim VEB Projektierung Thüringen wurde ihm später als Architektenleistung anerkannt. Er wurde 1952 kommissarischer Chefarchitekt im Entwurfsbüro Stalinstadt und 1953/54 zum stellvertretenden Chefarchitekten von GroßBerlin ernannt.269 Das Thüringen der ersten vier Jahre nach dem Krieg bot in fast allen beschriebenen Biografien eine beschleunigte persönliche und berufsbezogene Entwicklung. Aufgeschobene Qualifizierungsschritte wurden nachgeholt, Studienarbeiten und Praxiserfahrungen vermischten sich. Dass in den Planungsaufgaben und Bauabsichten der Zeit eine ähnliche Nachholmentalität spürbar war, erfasste den akademischen Rahmen der Weimarer Hochschule ebenso wie die Landesadministration Thüringens. Dieser Dynamik entwuchs das Projekt eines Planungsverbandes. 267 Wimmer, in: Architektur der DDR 10/1989, S. 46f., vgl. Wimmer, in: Winkler 2005, S. 120ff. 268 Siehe die Autobiografie des Architekten, vgl. Gißke 1988. 269 Raschke, in: Barth; Topfstedt 2000, S. 207f.

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Bild 22: Egon Hartmann auf der Baustelle der Erfurter Landtagsbauten, ca. 1950

3.3 Die „produzierende Hochschule“ in Weimar In den Gebäuden der Weimarer Hochschule, dem Ensemble, das 1905–11 von Henry van der Velde als Kunstschule gebaut wurde, endete kriegsbedingt im Mai 1945 der Unterricht. Nach dem Einmarsch der Alliierten dienten die Weimarer Hochschulbauten zeitweise als Lazarett für die amerikanischen Truppen.270 Eine Momentaufnahme der Stimmung, wie sie in der Zeit des betriebsamen Abwartens geherrscht haben muss, geben die Tagebucheintragungen des ehemaligen Dessauer Bauhausschülers Alfred Arndt, der mit dem Interesse, an einer möglichen Anstellung die Hochschule aufsuchte. Arndt hatte 1927 im thüringischen Probstzella mit dem Haus des Volkes einen Kulturbau in konsequent sachlichem Duktus errichtet und war als Architekt im Geist des Bauhauses bekannt. Er suchte wieder die Nähe seines damaligen Auftraggebers, des sozial engagierten Industriellen Franz Itting und trat eine Anstel270 Vgl. Offenberg 1974, S. 302.

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lung als Baurat in Jena an. Im Sommer 1945 pendelte er immer wieder nach Weimar, um die Aussicht auf ein Lehramt an der Hochschule auszuloten.271 Die Idee von einem neuen Bauhaus versuchte er u.a. zusammen mit Wassili Luckhardt schon im Juli 1945 beim Thüringer Volksbildungsministerium vorzustellen. Seine Gespräche mit Hermann Henselmann272 gerieten zuerst zur Erkenntnis übereinstimmender Ideen, „er wird begeistert: Kinder wir sind ja alle einer Meinung“273, führten jedoch letztlich zu keiner Anstellung. Arndts Anwesenheit in Thüringen fällt in jene Monate, in denen über die Übernahme alter und die Einstellung neuer Professoren in Weimar diskutiert wurde.274 Die Weimarer Personalpolitik nach 1945 dokumentiert die notwendige Identitätssuche einer Ausbildungsstätte mit großer Vergangenheit. Zuerst fand das Land Thüringen in Ernst Neufert den Wunschkandidaten für den Direktionsposten. „An die Stelle der bisherigen Kunsthochschule tritt ein neues Bauhaus. Herr Architekt Ernst Neufert, Gelmeroda, wird mit der Reorganisation und Leitung der neuen Anstalt kommissarisch beauftragt. Er hat in kurzer Zeit einen Reorganisations- und Haushaltsplan vorzulegen“.275 Diese Aktennotiz geht auf ein Gespräch zurück, das der Regierungspräsident von Thüringen, Hermann Brill, und der Leiter der Landesleitung für Volksbildung, Landesdirektor Walter Wolf, am 13. Juni 1945 führten. Neufert hatte bereits von 1926 bis 1930 an der Hochschule Weimar gelehrt, war sogar zeitweise ihr stellvertretender Direktor. Seine Praxisbindung, einschließlich der Mitgliedschaft im Planungsstab Albert Speers, war ein Umstand, der ihn zwar politisch in Frage stellte, jedoch fachlich weniger belastete. Man hätte in ihm einen renommierten Protagonisten gefunden, dessen überregionaler Reputation man sich hätte sicher sein können. Neufert gibt seine Absage mit einer argumentativen Mischung aus verwaltungstechnischen Widrigkeiten276 und familiären Gründen277 am 15. August 1945 Landesdirektor Wolf bekannt und informiert gleichzeitig von der angenommenen Stelle an der

271 272 273 274

Vgl. Bauhaus-Archiv 1999, S. 12. Vgl. ebd., S. 90. Vgl. ebd., S. 90. Die gesamten Bewerbungsschreiben zur Neubesetzung der Hochschule, siehe ThHStAW, LaThMV, 3863. 275 Aktennotiz vom 14. Juni 1945, Besprechung zwischen Hermann Brill und Walter Wolf am 13. Juni 1945; ThHStAW, LaThMV, 3856, Nr. 65, vgl. Winkler 1992, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Nr. 5/6, 1992, S.278, vgl. auch Henselmann 1981, S. 210f. 276 „Nachdem es mir trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist auf legalem Wege in das russisch besetzte Thüringen und somit nach Weimar zurückzukommen“, aus einem Brief vom 15. August 1945; ThHStAW, LaThMV, 3863, Schriftstück 26/65c. 277 Neufert gibt den „Wunsch meiner 3 Kinder“ an, ebd.

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TH Darmstadt. Er erinnert an die in Weimar in Aussicht gestellte Hochschule in einer „unter der amerikanischen Besatzung vorgesehenen Form“,278 bei deren Verwirklichung er auch später zur Verfügung stünde, falls die Reisebedingungen sich besserten.279 Nach Neuferts Absage wurde noch im Juli 1945 dem Gothaer Kreisbaurat Hermann Henselmann vom Leiter des Thüringer Landesamtes für Volksbildung Walter Wolf die kommissarische Leitung und Reorganisation der Weimarer Hochschule angetragen.280

3.3.1 Das Bauhaus. Marke und Erinnerung Die Rolle der Weimarer Hochschule wurde zunächst sowohl in der Außenals auch in der Innenwahrnehmung mit dem Erbe des Bauhauses verbunden. Die ersten Ideen zur Hochschulleitung unterstreichen den Rückbindungswillen an die abgerissene Tradition der klassischen Moderne.281 Alfred Arndt notierte nach einem Gespräch mit dem damals noch kommissarischen Leiter Hermann Henselmann am 24. August 1945: „Er will Mies als Direktor haben (und da er sicher nicht kommt) Eiermann nehmen“.282 Die Berliner „Tägliche Rundschau“ titelte im September 1945: „‚Bauhaus’ wird wieder Bauhaus“283 und ließ Hermann Henselmann vorauseilend abwehren, die Hochschule könne eine weltfremde Bildungseinrichtung werden. Diese Nachrede haftete zwischen den Zeilen dem alten Bauhaus an. Henselmann hielt dagegen, er wolle „das Bauhaus mitten in die Zeit und ihre Probleme“ stellen und dabei Bautechnik und Bauwirtschaft über die künstlerischen Ziele. Derart musste der Rückblick auf die Weimarer und Dessauer Schulexperimente geschillert haben, dass deren Reputation als einsame Avantgardeinstitution mehr in Erinnerung geblieben war als die Verwurzelung in einer antiakademischen Kunstschulreform der Jahre nach 1900.284 Hier merkt man deutlich, dass in der SBZ die Ansprüche an den Wirklichkeitsbezug noch einmal neu benannt 278 Ebd. Er muss die damals ausgegebene Idee vom „Neuen Bauhaus“ gemeint haben, die in den Wochen der amerikanischen Besatzung diskutiert wurde. 279 Vgl. ebd. 280 Angegeben ist der 24. Juli 1945, vgl. auch Aktennotiz; ArBUW, Akte La/3 I/01/777, Bl. 67ff. 281 Eine vertiefende und vergleichende Sicht auf die Wiederaufnahme der Bauhaus-Lehre in Weimar gibt Martin Bober, vgl. Bober 2005, S. 101ff. 282 Alfred Arndt, in einem Tagebucheintrag vom 24. August 1945, vgl. Bauhaus-Archiv 1999, S. 90. 283 Tägliche Rundschau, Berlin, 16. September 1945. 284 Den Begriff der Bauhauspädagogik analysiert Rainer Wick gerade im Widerstreit zwischen dem Künstlerischen und dem Zwecklichen als Begriff spaar in der Diskussion um die deutsche Kunstschulreform, vgl. Wick 1982, S. 54f.

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waren, dass die Formel, das Schöne mit dem Notwendigen zu verbinden, wie es auch das Bauhaus propagierte, eine neue Erwartungsrichtung eingeschlagen hatte. Anlässlich der offiziellen Eröffnung der Hochschule am 24. August 1946 kritisierte Henselmann im Rahmen seiner Rede Gropius’ Unvermögen, im Bauhaus der Zwischenkriegszeit Intelligenz und Arbeiterklasse zusammenzuführen, um mit der polemischen Formulierung zu enden, dass man eine Gesellschaft nicht mit flachen Dächern ändern könne.285 In Dessau, wo Hubert Hoffmann, selbst Dessauer Bauhausschüler, mit dem Aufbau der Stadt betraut war, regten sich ebenfalls Ambitionen, der dortigen Lehrtradition des Bauhauses in einer Hochschulgründung nachzukommen.286 Christian Schädlich, nach 1945 Student in Weimar und später ebendort Professor für Architekturgeschichte, beschrieb 1966 die Auseinandersetzung mit den gleichzeitigen Dessauer Aktivitäten als regelrechten Markenstreit. Der wieder amtierende Dessauer Bürgermeister Hesse, führender Kopf der Dessauer Bauhaus-Ansiedlung 1924, trat im September 1945 mit Henselmann in Briefkontakt, um Ansprüche auf Namen und Konzept anzumelden.287 Für Weimar sind die Kontinuitäten und Brüche der Bauhausidee nach 1945 an den pädagogischen Wegen einzelner Lehrer identifizierbar, die trotz des zunehmenden Gegenwinds aus der Richtung eines sozialistischen Realismus’ in ihrer Lehrmethodik dem Bauhaus folgen konnten.288 Die unterschiedlichen Wiederbelebungsversuche des Bauhauses289 in allen Besatzungszonen werfen ein Licht auf die ebenso unterschiedlichen Erwartungen, mit denen die Ideen von Weimar, Dessau und Berlin nach 1945 ankamen. Die Absichten geben Auskunft über den Blickwinkel, der sich in den Köpfen der ehemaligen Bauhäusler über die zwölf Jahre gehalten oder weiterentwickelt hatte. Überdies waren die Ansätze im Exil gereift. Daran ließ sich beobachten, was sich in der Formulierung zu widersprechen

285 Vgl. Rede Henselmanns anlässlich der Hochschuleröff nung am 24. August 1946; ArBUW, Akte I/01/920, La 146, Bl. 1ff. 286 Vgl. Hoff mann 1964, S. 127ff. 287 Brief vom 23. September 1945; ArBUW, Akte Nr. 90, vgl. auch zum Markenrecht des Wortes „Bauhaus“, Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 518. 288 Klaus-Jürgen Winkler unterscheidet dabei die begriffliche Orientierung am Bauhaus in der Vorbereitung der Hochschuleröff nung und die tatsächliche Anwendung von Lehrmethoden in den Jahren bis zur Formalismusdebatte nach 1950, vgl. Winkler, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/6, 1992, S. 277ff. 289 Einen Überblick zu den deutschen Versuchen der wieder belebten Bauhauspädagogik nach 1945 gibt Rainer Wick, vgl. Wick 1982, S. 299f.

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scheint: Die Moderne war gealtert.290 Abgesehen von einer weiter geführten internationalen Diskussion innerhalb der modernen Bewegung war das 20. Jahrhundert von formal traditionellen Gegenwellen erfasst, die in sehr gegensätzlichen gesellschaftlichen Kontexten entstanden waren. Wie das Bauhaus selbst älter geworden ist, beschreibt der Werdegang seiner prominenten Emigranten, wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Marcel Breuer oder Laszlo Moholy-Nagy. Vor allem zeugt die Aussichtslosigkeit, die ehemaligen Protagonisten nach Deutschland zurückholen zu können, von einer mittlerweile unumkehrbaren Entwicklung. Für Weimar beschreibt der Rückbezug auf die eigene Tradition der Moderne nur eine von mehreren Einflüssen auf das neue Hochschulkonzept. Bei aller Ablehnung einer akademischen Isolierung wurde genauso eine verstärkte technische Ausrichtung der Hochschule diskutiert. Die Weimarer Hochschule musste sich innerhalb Thüringens sogar gegen Pläne behaupten, als Teil einer Technischen Hochschule Erfurt vereinnahmt zu werden.291

3.3.2 Das Selbstverständnis der Weimarer Hochschule Nach 1945 herrschte ein bedrohlicher Mangel in sämtlichen Baufachberufen, bei Ingenieuren, Architekten und Stadtplanern. Man war froh, auf erfahrene, auch politisch belastete, Kräfte zurückgreifen zu können und beeilte sich, Ausbildungsstätten wieder in Betrieb zu nehmen. Weimar und Dresden292 standen in einer stillen Konkurrenz um die möglichst frühe Wiederaufnahme der Ausbildung für Architekten in der SBZ.293 War man in Dresden noch mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt, so lag der Hauptverzögerungsgrund in Weimar nicht so sehr im physischen Wiederaufbau als viel mehr in der Zusammenstellung eines unbelasteten Professorenkollegiums.294 Obwohl man schon am 18. September 1945 die Eröffnung der Schule für den 15. Oktober

290 Den Begriff vom „Altern der Moderne“ führt Peter Bürger in seinem gleichnamigen Buch aus. Er nimmt Betrachtungen Theodor W. Adornos auf, der schon in den 1920er Jahren die radikale Moderne ins Verhältnis zu den gleichzeitigen neoklassizistischen Tendenzen setzte, die, so Bürger, nicht zwangsläufig einem Rückfallschema folgen, sondern ebenso Teil der Moderne sind, vgl. Bürger 2001, S. 12f. 291 Vgl. Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 508 u. S. 510ff. 292 Die Lehre begann in Dresden am 01. Oktober 1946, vgl. Sonnemann [u.a.] 1978, S. 176. 293 Nicht vergessen werden darf die Architektenausbildung an der „Kunstschule des Nordens“ in Berlin-Weißensee, die 1947 begonnen wurde. Eine parallele, obgleich nicht vergleichende, Beschreibung der ersten zehn Jahre der Weimarer und Weißenseer Schulen nimmt Aymone Nicolas in ihrer Magisterarbeit vor, vgl. Nicolas 1996. 294 Vgl. Heiden, in: Heiden; Mai 1995, S. 370.

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angekündet hatte295, wurde die Ausbildung in Weimar erst am 24. August 1946 offiziell wieder aufgenommen.296 Nach der Eröffnung der FriedrichSchiller-Universität Jena im Oktober 1945 hatte man in Thüringen den zweiten Hochschulstandort wieder in Betrieb genommen. Obgleich die Weimarer Institution seit 1860, seit der Zeit der ersten Kunstschule, zahlreichen Namensänderungen unterworfen war, schlug sich der Programm- und Personalwechsel nach 1945 vorerst namentlich nicht nieder. Von 1942–1950 hieß sie durchgehend „Staatliche Hochschule für Baukunst und Bildende Künste“. Die Professorenschaft nutzte den Anlass der Weimarer Eröffnung, die jüngst geleisteten Arbeiten aufzuzeigen. Ein „Kongreß sämtlicher führender Techniker, Architekten und Aufbaubevollmächtigter aller Zonen“ wurde durchgeführt, der auf Planungen und Bauten des Planungsverbandes verwies, einem Aktionsbündnis aus Hochschulangehörigen und Thüringer Landesbehörden. Daneben sorgte eine Ausstellung „unserer bisherigen Arbeiten und jene der großen Vergangenheit unserer Hochschule“297 für einen weiter gefassten Überblick. In die Zeit bis zur Republikgründung 1949 fiel für die Weimarer Hochschule eine später glorifizierte Blütezeit mit einer Freiheit der Ideen, die der allgemeinen wirtschaftlichen Handlungsunfähigkeit entgegenstand und gleichzeitig durch sie bedingt war. 298 Der gebotene Praxisbezug förderte den aktiv betriebenen öffentlichen Auftritt der gesamten Institution. Nicht nur Direktor Henselmann rief die Hochschule zum Instrument einer neuen Nähe zwischen Intelligenz und Arbeiterklasse aus, auch eine überregionale Presse widmete sich dem Weimarer Phänomen. Die in Berlin erscheinende Zeitschrift „Athena“, die in den wenigen Jahren ihrer Erscheinungszeit zwischen 1946 und 1948 als Kulturzeitschrift ein Sprachrohr für moderne Kunst, Literatur und Zeitfragen war, bot gelegentlich auch architektonischen Themen eine Plattform. So stellte sie 1947 in aller Ausführlichkeit das Professorenkollegium der Weimarer Hochschule vor. Mit Fotos der zwanzig wichtigsten Lehrpersonen299

295 Vgl. Briefe des kommissarischen Direktors vom 18. September 1945; ArBUW, Akte L a/3, 1/01/777, Bl. 163ff. 296 Vgl. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Bezirksleitung Erfurt 1975, S. 60. 297 Henselmann 1981, S. 233. 298 Thomas Topfstedt verwendet den Begriff der „Blütezeit“ im Rahmen eines Vergleichs der wieder eröff neten drei Hochschulen der SBZ mit einer Architektenausbildung in Weimar, Dresden und Berlin-Weißensee, vgl. Topfstedt, in: Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000, S. 11. 299 Als Fotografi n wird Marie Agnes Schürenberg genannt, die 1947 nach Berlin ging, um unter ihrem Mädchennamen Marie-Agnes Gräfi n zu Dohna in Westdeutschland in ihrem Beruf weiter zu wirken.

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wurde das Bild einer Institution vermittelt, deren Wiedereinrichtung „nach dem Zusammenbruch“ der alleinigen Initiative „verantwortungsbewußter Männer“300 zu verdanken sei. Dass sich wirklich die Besten versammelt hätten, illustrierten kurze Personenbeschreibungen der Lehrer mit ihren Herkünften. Besonders wurde unterstrichen, wenn es sich um Bauhaus-Schüler handelte, wie im Fall Gustav Hassenpflugs, Emanuel Lindners oder Peter Kelers. Die Viten der Einzelnen wurden gezielt auf ihren Bezug zu den Wurzeln im „Neuen Bauen“ befragt. Es war in diesem Fall der Blick aus Berlin, der die Weimarer Hochschule als Hoffnungsmilieu für die gesamte SBZ beschrieb. Wie unter Zeitgenossen die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Außenwahrnehmung empfunden wurde, formulierte in einem Schreiben vom 20. März 1947 Gustav Hassenpflug, Professor für Städtebau an der Weimarer Hochschule, der sich an den damaligen Direktor Hermann Henselmann mit der Klage wendete, er müsse „hier in Berlin [...] bei Vertretern der Presse gegen deren Auffassung von unserer Schule Stellung nehmen, die durch die Veröffentlichungen des Planungsverbandes entstanden sind“.301 Gemeint war

Bild 23: Die 1948 erschienene Publikation des Planungsverbandes „Grundlagen des ländlichen Siedlungswesens“

300 Vgl. N.N., in: Athena 1/1946–47, S. 26–31. 301 Brief von Gustav Hassenpflug an Hermann Henselmann vom 20. März 1947; ArBUW, Akte I/01/841.

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unter anderem der nachhaltige Eindruck, den die erste Neubauernsiedlung der SBZ und ihre Planung durch den „Planungsverband Hochschule Weimar“ gemacht hatte. Erstaunlich umfangreich war die Liste der Veröffentlichungen zum ländlichen Bauen, die zu diesem Zeitpunkt bereits vorlagen.302 „Diese Veröffentlichungen von der Seite des landwirtschaftlichen Bauens werden als Vorreiter oder Entré der Schule aufgefasst und führen immer wieder zu falschen Rückschlüssen oder zu einem falschen Bild“.303 Hassenpflugs Vorschlag, durch Veröffentlichungen, „den Charakter der Schule deutlich erkennen [zu] lassen“304, scheint in dem zitierten Athena-Artikel eingelöst, weist jedoch darauf hin, dass von außen betrachtet der in die Hochschule eingegliederte Planungsverband mit der Hochschule selbst konkurrierte. Diese eigene Instanz, der ein gesondertes Kapitel gewidmet ist, war im praktischen Wiederaufbau Thüringens aktiv. Sie war ein personelles Sammelbecken von Professoren, Architekten und Studierenden und funktionierte schon vor der Eröffnung der Hochschule.

3.3.3 Personal und Ideen Die Lehre an Thüringens einziger Gestaltungshochschule war von den Arbeitsfeldern des erwähnten Planungsverbandes kaum zu trennen. Da Professoren und Dozenten gleichzeitig in der Lehre und auch mit Aufträgen des Landes beschäftigt waren, konnten die Studierenden mit den Einkunftsmöglichkeiten realer Planungsvorhaben rechnen, um sie simultan als Studienprojekte zu betreiben. Davon zeugen die Semesterthemen der Hochbaulehrstühle, und dadurch strahlte die Hochschule gleichermaßen als Ort der Diskussion und der Planungsarbeit nach außen. Für die Weimarer Lehre nach 1945 ist eine Mischung an Lehrerpersönlichkeiten hervorzuheben, die sich aus sehr verschiedenen fachlichen Prägungen und Altersgruppen zusammensetzte. Das Kollegium der Weimarer Hochschule nach 1945 entspringt der pragmatischen Überlegung, erfahrene und bewährte Hochschullehrer mit jungen Kräften zu kombinieren. Überliefert ist die Auswahl der Professoren, die der Eröffnung 1946 vorausging. Henselmann beschrieb später die Suche nach dem Personal der neuen Schule als persönliche Suche im Repertoire des Möglichen. So schilderte er, wie er Curt Siegel (1911–2004) als Professor für Tragwerks-

302 Belegt sind bis 1947 fünf Veröffentlichungen, ausnahmslos zum ländlichen Bauen, davon allein vier von Toni Miller. 303 Brief von Gustav Hassenpflug an Hermann Henselmann vom 20. März 1947; ArBUW, Akte I/01/841. 304 Ebd.

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lehre gewann. Siegel, „der im Unterharz an einem Häuschen zimmerte, pflückte ich [...] aus dem Wald und verpflanzte ihn [...] nach Weimar als Professor“,305 wo er zwischen 1946 und 1950 wirken sollte. Zum Weimarer Team der ersten Jahre gehörten Peter Keler und Hanns Hoffmann-Lederer, ehemalige Studenten der Weimarer Bauhauszeit, die dessen Vorlehre übernahmen. Die Riege derer, die ihre Herkunft in Architekten- und Künstlerkreisen der Vorkriegsmoderne hatten, umfasste einen wesentlichen Teil der neuen Köpfe. Weder entsprach es jedoch einem ausgesprochenen Beschluss, noch war es faktisch möglich, auf Kräfte zu verzichten, die ihre Berufs- und Lehrerfahrung in der Phase des Nationalsozialismus erworben hatten. So sehr Hermann Henselmann als Direktor der Weimarer Hochschule die Freiheit gegeben war, sein Kollegium nach selbst gewählten Kriterien vorzuschlagen, so abhängig war er letztlich von der Genehmigungsgewalt der obersten Behörde in Berlin-Karlshorst.306 Hier hatte er sich zu erklären, wenn es z.B. um die Anstellung des Bruders von Arno Breker, Franz von Breek, ging oder er die NSDAP-Parteivergangenheit des Jenaer Professor Joachim Heinrich Schultze erklären musste, den er in den Planungsverband einbezog.307 Nach einem zähen, monatelangen Entscheidungsprozess erhielten zwei der fachlich markantesten Weimarer Lehrer aus den Jahren des Nationalsozialismus, Denis Boniver und Gerd Offenberg, keinen Lehrauftrag mehr.308 Offenberg war als Professor für Städtebau von 1942– 45 Leiter der Hochschule, Boniver als Dozent für Baugeschichte tätig.309 Beide kannten sich aus ihrer Stuttgarter Studienzeit und standen als Schüler von Paul Bonatz für eine konservative Architekturauffassung. Boniver war 1938 unter dem Direktorat Paul Schultze-Naumburgs nach Weimar gekommen, Offenberg erst 1942. Beide passten damals in das von Paul Schultze-Naumburg erklärte Konzept, die „Stuttgarter Schule“ in Weimar zur Richtschnur der Hochschularbeit zu machen. Seit diesen Jahren konnte sich in Weimar ein 305 Henselmann 1981, S. 259. Curt Siegel war von 1946 bis 1950 Professor für Tragwerkslehre und erhielt 1950 den Ruf nach Stuttgart auf den Lehrstuhl im selben Fachgebiet. 306 Siehe Dozentenliste vom 15. Juli 1946, die als Vorlage an die SMA Karlshorst ging, wo die Fälle Boniver und Offenberg bis zum 26. September 1946 geprüft wurden; ThHStAW, LaThMV, 3863, Bl. 130ff. 307 Siehe auch Kapitel 4.1.2. 308 Im Fall Boniver waren es die „notwendigen Voraussetzungen“ „für die Erziehung der Studenten“, die jener nicht erwarten lasse. Gegen ihn entschied seine Zugehörigkeit zur NSDAP; Siehe Schreiben von Prof. Brugsch an Hermann Henselmann, Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung vom 26. September 1946; Personalakte Boniver; ArBUW, Akte II/01/021. 309 Vgl. Offenberg 1974. Die Wirkungsgeschichte Bonivers in der Weimarer Lehre beleuchtet ausführlich Klaus-Jürgen Winkler, vgl. Winkler, in: Thesis, Wissenschaftliche Zeitschrift der BUW 2/3, 2002, S. 12-17.

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Kollegium aufbauen, das die Linie der Heimatschutzbewegung als Gegenentwurf zum Bauhaus ausgerechnet am Ort seiner Gründung über Jahre hinweg pflegte. Aus dieser Verwurzelung erklärt sich Bonivers Idee zur Neukonzeption der Hochschule vom Juni 1945, die auch als Standpunkt gegen Henselmanns gleichzeitigen Reorganisationsplan gelesen werden kann. Die Bauhauszeit umschrieb Boniver als die Jahre, in denen an der Hochschule ein „formalistischer Modernismus“ geherrscht hätte. Jetzt hätte man sich auf eine „im gesunden Sinn sachliche unromantische Haltung“310 einzustellen. Mit den Begriffen „gesund“ und „formalistisch“ sind zwei brisante Adjektive verwendet, die zum Waffenarsenal höchst unterschiedlicher Debattenfronten des Jahrhunderts gehörten. Im späteren Formalismusstreit der Jahre um 1950 sollte die offizielle Linie in der DDR diese bewährten Termini wieder zücken. Bonivers Vorschlag, so schätzte es Joachim Schädlich später ein, sei aus dem Willen, „einen progressiven Weg durchzusetzen“,311 nicht beachtet worden, selbst wenn die Gleichsetzung des Bauhauses mit Progressivität unmittelbar nach 1945 nicht jedem hätte einleuchten mögen. Dennoch waren Bonivers Hoffnungen auf eine Professorenstelle anfänglich nicht ganz unbegründet. Henselmann setzte sich für ihn ein mit der Überlegung, dass er sich als Kommunist strategisch verhalten und Boniver als bürgerliches Gegengewicht im Kollegium halten müsste.312 In der Leitung der Arbeitsgruppe „Wohnung und Unterkunft“ des erwähnten Planungsverbandes war Boniver nach 1945 für den Entwurf von Neubürgerhäusern in verschiedenen Typenvarianten verantwortlich.313 Im Vorfeld der Hochschulgründung heizte sich jedoch die Stimmung unter den ehemaligen und potentiell neuen Professoren auf, nachdem auf der Dozentenliste einige Namen vermisst wurden. Im April 1946 traten etliche Dozenten in einer Resolution gegen Henselmann auf, um ihren Unmut über Personalentscheidungen auszudrücken, die insbesondere für Offenberg und Boniver keine Stelle mehr vorsahen.314 Kurz zuvor hatte, gepaart mit Gerüchten, eine Dozentenliste die Runde gemacht,315 auf der einige Namen der Lehrenden fehlten. Henselmann wollte laut späterer Angaben 19 von 20 Professoren entlassen. In

310 Vgl. Programmvorschlag Bonivers für die Hochschulentwicklung vom Juni 1945; ThHStAW, LaThMV, 1128, Bl. 244. 311 Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 511. 312 So Henselmann in einer Einschätzung der Person Bonivers vom 21. März 1946, vgl. Personalakte Boniver; ArBUW, Akte II/01/021. 313 Vgl. Winkler, in: Thesis, Wissenschaftliche Zeitschrift der BUW 2/3, 2002, S. 18. 314 Vgl. Resolution der Dozenten an den Betriebsgewerkschaftsausschuss der Staatl. Hochschule für Baukunst und bildende Künste vom 24. April 1946; ThHStAW, LaThMV, 3873, S. 55ff. 315 Vgl. ThHStAW, LaThMV, 3863, Bl. 130ff.

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der Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin wurde ihm deswegen sogar allzu große Gründlichkeit vorgeworfen, die dem Prinzip widerspreche, gute und bewährte Köpfe für die neue Sache zu gewinnen.316 Auch wenn nach längerem Abwägen der SMAD Boniver und Offenberg nach 1946 nicht mehr gewünscht waren, wirkte auch in den Übergangsjahrgängen nach 1945 unter den Studierenden das Echo der „Stuttgarter Schule“ nach.317 Im Blick auf die Architekturdebatte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich „Heimatschutz“ und „Bauhaus“ zwar schnell als Gegenspieler aufstellen. Dennoch war bis 1945 Lehrern wie Abkömmlingen beider Schulen im Gestaltpathos des Nationalsozialismus ein weiterer gemeinsamer Gegner bewusst geworden. So erschien der Widerstreit der beiden Ausbildungsrichtungen in der Perspektive der Nachkriegszeit in einem milderen Licht. Aus der Sicht der Weimarer Studentengeneration folgte man beiden Angeboten interessiert, ohne sich einer bedingungslosen Gefolgschaft in die eine oder andere Richtung zu unterwerfen. Gleichwohl gab es nur noch eine Person, die aus dem alten Lehrkörper übernommen wurde, den Professor für Ingenieurbau und Baustoffkunde, Friedrich August Finger. Gerade weil Zurückhaltung gegenüber dem Dogmagehalt architektonischer Lehrmeinungen den Gefühlszustand der Studierenden charakterisierte, stieß z.B. die Weimarer Unterstufenausbildung unter Peter Keler auf die Kritik der Studierenden. Keler, der sich wie Hanns Hoffmann-Lederer an der BauhausVorlehre von Johannes Itten, d.h. an einer betont künstlerischen Ausbildung auch für Architekten, orientierte, wurde durch eine Resolution der Studentenschaft zu einer Änderung seiner Methoden gezwungen.318 Bestärkt durch den akuten Arbeitskräftemangel, wollten die Studierenden möglichst schnell anwendbare Fertigkeiten erwerben und fühlten sich mit abstrakten Farb- und Materialstudien vom Architektenberuf abgelenkt. Die Vorlehre stünde, so im Wortlaut der studentischen Erklärung, im „schroffen Gegensatz zu den schöpferisch fortschrittlichen Wegen, welche durch Herrn Prof. Henselmann unserer

316 So schilderte Henselmann 1981 seine Stimmung in den Monaten vor der Hochschuleröff nung 1946, wobei ihn die Erinnerung etwas trog. Die umstrittensten Entlassungsentscheidungen hat nicht er übernommen, vgl. Henselmann 1981, S. 229ff.; Siehe auch Personalakte Boniver; ArBUW, Akte II/01/021. 317 Vgl. Dass es sich in Weimar nur um ein Echo handelte, in Dresden jedoch eine Gruppe ehemaliger Stuttgarter Studenten zu Professorenwürden gekommen waren, lässt die Frage nach einem eigenen Weg der Heimatschutzarchitektur in der DDR stellen, vgl. Escherich 2007 (unveröff. Manuskript), o.S. 318 Vgl. Winkler, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/6, 1992, S. 280.

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Hochschule gewiesen werden“.319 Dieses Aufbegehren lässt sich einerseits als Indiz dafür werten, dass sich die Erwartung an die Ausbildungsgrundlagen seit dem Bauhaus gewandelt hatte. Zum anderen bildet es eine Diskussionskultur ab, in der das Weimarer Lehrkonzept in den Jahren nach 1945 formbar blieb. Der Pluralismus im Meinungsgefüge der Weimarer Hochschule war in der unmittelbaren Nachkriegszeit gleichwohl keine direkt angestrebte Qualität. Auch von Bauhäuslern und deren Jüngern konnte man so eine Absicht kaum erwarten.320 Die faktische Mischung war vielmehr das Gebot der Stunde, einen vorhandenen und heterogenen Bestand an Lehrpersonal nicht gänzlich austauschen zu müssen. Die dabei entstandene Gleichzeitigkeit der Ideen trug in jedem Fall dazu bei, eine vielschichtige und sogar freimütige Architekturdiskussion nach 1945 in Thüringen zu etablieren. Epochen gedeihen als Legende besser, wenn das Ende der verehrten Sehnsuchtsperiode eindeutig ist. Das Jahr 1949 war für die Weimarer Hochschule mit wesentlichen Veränderungen verbunden, die die lokalen Ereignisse mit dem allgemeinen politischen Wandel in der SBZ in Verbindung setzen. Um den Umbruch in Weimar und Thüringen nicht einfach als Ende der „Ära Henselmann“ zu bezeichnen, sind weitere Einflussfaktoren zu benennen, die nach 1949 den Charakter der Hochschule, aber auch der Diskussion im Land änderten. So begann sich nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949, das Entscheidungsgefüge im Bauen in Richtung der Hauptstadt zu verschieben. Jetzt war das Ministerium für Aufbau mit Minister Lothar Bolz die oberste Führungsinstanz für Städtebau, Hoch- und Tiefbau. Damit einher ging, dass die Hochschule in Weimar ab 1950 aus dem Bereich des Ministeriums für Volksbildung Thüringens in die Betreuung321 des Ministeriums für Aufbau der DDR übernommen wurde. Das politische Zentrum Berlin hatte seinen dominanten Charakter bereits vorher ausgebaut. Mit der Einrichtung des Institutes für Bauwesen an der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin 1947

319 Vgl. Resolution an den Studentenrat des Abteilungsrates 2. Semesters Abteilung Baukunst vom 29. April 1948; ArBUW, I/01/001, A1/1, Bl. 486. 320 Simone Hain beleuchtet die fast dogmatisch abgelehnte Möglichkeit eines Pluralismus im zweijährigen Versuch Mart Stams, in Dresden eine Hochschule für Werkkunst zu etablieren. Er sei beherrscht gewesen von den alten avantgardistischen Affekten wider die Akademien. Hain interessiert sich dabei besonders für das Impulshafte und Schwärmerische, aus dem heraus die Ideen der Zwischenkriegsavantgarde in der Neuerungsseligkeit der SBZ eine kurze und bald gereute Heimat fanden, vgl. Hain; Schrödter; Stroux 1996, S. 437. 321 So die Formulierung der Zeit, vgl. Planen und Bauen 9/1950, S. 306, vgl. auch IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000, S. 15., siehe auch, Beschlussnotiz, ArBUW, Akte I/04/403a, Bl. 51.

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Bild 24: Weimarer Vorlehre bei Peter Keler, 1947

begann sich die zaghaft gewachsene dezentrale Ideenlandschaft der SBZ zu bündeln. Die Grundlagenforschung wurde zunehmend in Berlin zusammengefasst. Im Zuge dessen verließ auch Hermann Henselmann 1949 die Hochschule in Weimar und wurde an das genannte Institut für Bauwesen berufen.322 In Weimar war das Jahr 1949 von zusätzlichen internen und externen Stellungnahmen geprägt, die der Hochschule gerne den Status einer Technischen Hochschule zugestehen wollten. Das zwang die künstlerischen Dozenten erwartungsgemäß zur Kritik.323 Die dennoch vollzogene Ausgliederung der Abteilung Bildende Kunst 1950 hatte zur Folge, dass die Ausbildung auf eine „Hochschule für Architektur“, mit einer einzigen Abteilung, der für Baukunst, reduziert wurde. In Thüringen schwanden die Freiräume, wie sie Hochschule und Planungsverband in den ersten Jahren geboten hatten. Die Anziehungskraft der westlichen Besatzungszonen stieg mit der schwindenden Autonomie in 322 Die offi zielle Entpfl ichtungsurkunde erhält Henselmann am 5. Dezember 1949, ArchAKDB, 120-01-194, Ind. Nr. 30. 323 Belegt ist die lange Auseinandersetzung zum Thema mit einer Reihe von persönlichen Stellungnahmen; ArBUW, Akte I/01/001, A1/1.

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Lehre, Forschung und Planung in der SBZ. Der zunehmende Einfluss der 1946 gegründeten SED bereitete die Wirkweise einer einheitlichen Meinung strukturell vor. Ohne von einer plötzlichen Erosion im Lehrkörper der Weimarer Hochschule zu sprechen, hat sich bis 1950 ein bemerkenswerter personeller Austausch vollzogen. Die Abwanderung erfasste Studierende wie Professoren. Von den Weimarer Lehrenden verließen Gerd Offenberg (1946) und Denis Boniver (1946) Thüringen in Richtung Westen, ebenso Toni Miller (1949), Gustav Hassenpflug (1950), Hanns Hoffmann-Lederer (1950) und Werner Harting (1946–49). Die Technische Hochschule in Dresden zog Professoren wie Heinrich Rettig (1950) oder Leopold Wiel (1951) an. In ihren personellen Wirkungsfeldern seien nun Gustav Hassenpflug (1907–77) und Hermann Henselmann (1904–1994) als Beispiele zweier Protagonisten ausgewählt, die auf die Thüringer Diskussion wesentlichen Einfluss nahmen. Beide gehörten derselben Generation an. Hassenpflug verkörperte mit seiner Verankerung in der Dessauer Bauhaus-Ausbildung und späteren Tätigkeit in der „Gruppe May“ eine avantgardistische Linie der Moderne. Henselmanns Entwicklung begann ebenfalls mit einem Bekenntnis zum „Neuen Bauen“ und nach 1933 mit einer wechselnden Strategie der Selbstorganisation. Hassenpflug und Henselmann hatten im Nationalsozialismus als Architekten praktiziert und dabei Kenntnisse erworben, an die sie nach Kriegsende sofort anknüpfen konnten. Während Hassenpflug nach 1945 die Kontakte weit über die SBZ hinaus pflegte und letztlich der DDR den Rücken kehrte, richtete sich Henselmann nicht etwa in den Verhältnissen ein, er wusste sie zu dirigieren und formte jene Freiräume, in denen er sich und die DDR-Architektur über Jahrzehnte bewegten. Während der Weimarer Jahre begegneten sich Henselmann und Hassenpflug in Hochachtung voreinander, was ihr reger Briefwechsel zu grundsätzlichen Fragen der Zeit belegt.324

3.3.4 Gustav Hassenpflug. Der gesundheitliche Städtebau Der Wechsel auf dem Weimarer Lehrstuhl für Städtebau, wie er sich nach Kriegsende vollzog, repräsentierte den Übergang zwischen zwei wesentlichen Hauptrichtungen in der Diskussion um die Stadt des 20. Jahrhunderts. Der bereits erwähnte Vorgänger Gerd Offenberg lehrte in Weimar von 1942–46. Er war durch seine Studienzeit bei Paul Bonatz und seine Assistententätigkeit bei Paul Schmitthenner (1925–28) im Sinn der „Stuttgarter Schule“ geprägt. 324 Hierzu gibt die Personalakte Gustav Hassenpflugs der Weimarer Hochschule Auskunft, ArBUW, Personalakte G. Hassenpflug, siehe auch ArBUW, Akte I/01/841 und I/01/863.

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Bild 25: Gustav Hassenpflug, ca. 1950

Im Städtebau folgte er dem Ideal eines künstlerischen Stadtbildes, d.h. einer eigenen ästhetischen weil raumbezogenen und traditionsverbundenen Mitteilungsebene von Stadt, die sich neben der Stadtfunktion etabliert. Offenberg knüpfte an die neue Leitung unter Henselmann die Hoffnung, weiter einen Lehrstuhl zu bekleiden, und musste allerdings schon bald feststellen, dass sich sein Wunsch nicht erfüllte, in Weimar eine eigene „Hochschule für Stadtbaukunst“325 mit ihm als Leiter einzurichten. Nach einem langen Entscheidungszeitraum bis zu Offenbergs endgültiger Entlassung brachten die Neubesetzungen des Jahres 1946 zwei Nachfolger für die Lehre im Städtebau. In Ludwig Küttner war ein Pragmatiker gefunden, ein ehemaliger Regierungsbaumeister, der einen Schwerpunkt auf die Stadt als ökonomisches System sowie auf regional- und landesplanerische Aspekte legte. In der Person Gustav Hassenpflugs trat als dem zweiten von Offenbergs Nachfolgern ein Vertreter des „Neuen Bauens“ die Professur im Fachgebiet Stadtplanung II an. Der Unterschied zu seinem Vorgänger Offenberg ist offensichtlich. Hassenpflug hatte von 1927–28 am Bauhaus Dessau studiert und war früh schon an den großen modernen Utopien interessiert. Später hatte 325 Offenberg 1974, S. 302.

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er mit Marcel Breuer (1928–31) zusammengearbeitet und war mit der Architektengruppe um Ernst May 1931–34 als Planer in Moskau tätig. Die Erfahrung seiner Moskauer Zeit hat Hassenpflug mit Projektdimensionen bekannt gemacht, die dem Traum vom großen Plan, von der Stadt aus einem Stück, sehr nahe kamen. Dabei muss sich in ihm die Überzeugung gefestigt haben, dass Planung eine umfassende gesellschaftliche Bewältigungsstrategie sein kann. Inhaltlich naheliegend, wenngleich unter den neuen politischen Bedingungen des Nationalsozialismus, war seine Mitarbeit bei Ernst Neufert, wo er 1936 maßgeblich an der Herausgabe der ersten Bauentwurfslehre beteiligt war. In den Jahren von 1935 bis 1945 beschäftigte er sich mit Möbelentwürfen, baute Einfamilienhäuser und übernahm wieder bei Neufert und auch bei Egon Eiermann Architektenleistungen.326 So entstand über die Jahre für Hassenpflug ein technisierbarer Anforderungskatalog an die Lebensumwelt des Menschen, der sich von den Leitlinien der C.I.A.M. bis zu den Normungstendenzen eines „biologisch richtigen Wohnens“ erstreckte und mit dem er als Professor in Weimar Beachtung fand. Unmittelbar vor seinem Weimarer Amtsantritt 1946 arbeitete Hassenpflug im Berliner „Sonderdezernat Krankenhausplanung“, das wiederum eine Tätigkeit ganz im Sinn eines gesundheitlichen Städtebaus war und unmittelbar an seine Tätigkeit im Büro Egon Eiermann vor 1945 anschloss, wo er Behelfskrankenhäuser entworfen hatte. Das Krankenhaus als der perfekte Urtyp funktionaler Zweckgerichtetheit wurde im gesamten Werk Hassenpflugs zu einem immer wieder vertieften Themenfeld. Gustav Hassenpflug war seit seiner Dessauer Studienzeit einer Rationalisierungslinie der Moderne durch das 20. Jahrhundert gefolgt, die Städtebau als Summe seiner technischen, physiologischen oder biologischen Maßgaben begriff. Geradezu spiegelbildlich zu Offenbergs Idee, Weimar zu einer „Hochschule für Stadtbaukunst“ zu machen, plante er 1946 mit Henselmanns Unterstützung die Gründung eines „Instituts für Bauhygiene“. Hier sollte einer Kardinalfrage des Funktionalismus unter aktuellen Bedingungen nachgegangen werden: Was sind „Die wahren Bedürfnisse des Menschen“327, so die Überschrift einer thematischen Gliederung zur Institutsidee, und wie kann man sie mit den eingeschränkten Mitteln der Gegenwart, mit einem Minimum an Gebäude, Raum und Möbeln in allen Lebensaltern befriedigen. Das Programm zum gewünschten Institut setzte sich aus einer Vielzahl von Analysekapiteln über die aktuelle, nicht funktionierende Großstadt zusammen und schlug Lerneinheiten zu den biologischen Voraussetzungen des Städtebaus

326 Selbstauskunft Hassenpflug in einem Lebenslauf vom 24. April 1946; ArBUW, Personalakte G. Hassenpflug. 327 Vgl. Manuskript vom 15. November 1946; ArBUW, Akte I/01/863.

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vor, d.h. zu den Inhalten „gesundheitlicher Bauplanung“ und „gesundheitlicher Städteplanung“.328 Hassenpflugs Programm schien ein weiterer Versuch zu sein, einen betont unideologischen Weg einzuschlagen, wobei das „Leben als Stoffwechselvorgang“ sowohl die Stadt als auch die Wohnung in einer reinen Bedürfnisgestalt entstehen ließ. In der geplanten personellen Besetzung des Instituts schimmerte der Begriff der Hygiene in seiner ganzen ideologischen Tiefe, die sich im 20. Jahrhundert zwischen sonnengerichtetem Zeilenbau und dem Auslesewahn der Eugenik aufgebaut hatte.329 Hier geriet Hassenpflug an eine Grenze im akademischen Vertiefungsspielraum Weimars. So lauter die Absicht war, in einem „Institut für Bauhygiene“ der Allgemeinheit zu nützen, so fern musste die Idee dem Vorstellungsrahmen einer Bauhochschule gestanden haben, um demzufolge auch nicht weiter verfolgt zu werden. Dennoch konnte Hassenpflug die Wirkung seiner Lehre an anderer Stelle in den Dienst anstehender Planungsaufgaben stellen. An sein Städtebauseminar wurde im Mai 1948 die „Staatliche Beratungsstelle für Städtebau in Thüringen“ angeschlossen.330 Die Thüringer Landesregierung erteilte dem Institut Aufträge für die Planung von ca. 40 Städten und Dörfern. Studenten erhielten hier, wie in den Arbeitsgemeinschaften des Planungsverbandes, den Bezug zur Praxis und eine Verdienstmöglichkeit. Wie direkt Hassenpflugs Studenten auf die Diskussion der Zeit Einfluss nahmen, zeigt nicht nur das später zu beschreibende Bandstadtprojekt Mühlhausen-Langensalza, das als Diplomarbeit Furore machte. Das Team um Hassenpflug nahm an Städtebauwettbewerben teil und überraschte z.B. die Jury des Wettbewerbs zum Wiederaufbau Nürnbergs 1948 mit einem ausdrücklichen „Gegenvorschlag zum Grundplan“, der den Wettbewerbsteilnehmern eine vorwiegend straßenbegleitende Bebauung vorgegeben hatte. Als „diagrammäßige Form“ beurteilt, wurden die vorgeschlagenen rigorosen Zeilenbaumuster im früheren Altstadtbereich als „in jeder Beziehung akademische Arbeit“331 aufgenommen und immerhin deswegen mit einem Ankauf bedacht. Dennoch wurde die bemängelte nicht lesbare Stadtraumbildung als allenfalls „methodische Form der Darstellung“ ausgelegt.332 328 Ebd., vgl. auch Grohn 1985, S. 62. 329 Belegt sind die Briefwechsel zu einer möglichen Einstellung Werner Kollaths, seit 1935 Professor für Hygiene und Bakteriologie an der Universität Rostock, aber auch des Sozialhygienikers Rudolf Neubert, dem unter den Nationalsozialisten seine Anstellung am Dresdener Hygienemuseum entzogen worden war; ArBUW, Akte I/01/863. 330 1949 wird die „Staatliche Beratungsstelle für Städtebau in Thüringen“ umbenannt in „Institut für Stadt- und Landplanung“. 331 N.N., in: Baumeister 5–7/1948, S. 200, 203. 332 Als Mitarbeiter des Wettbewerbs werden H. Räder und R. Pöschel genannt. Hermann Räder, Hassenpflugs Nachfolger auf dessen Lehrstuhl für Städtebau, sollte später in Thüringen ein Hauptvertreter der „Nationalen Traditionen“ werden, vgl. ebd.

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Bild 26: „Rekonstruktion eines Berliner Stadtviertels“, Studentenarbeit bei Gustav Hassenpflug auf der Grundlage des Scharoun’schen „Kollektivplans“, 1947

Gustav Hassenpflug suchte während seiner Weimarer Jahre eine überregionale Bühne für seine Lehre und sein Team, auch wenn die Tätigkeit der „Staatlichen Beratungsstelle für Städtebau“ auf Thüringen beschränkt war. In der Fachzeitschrift „Bauplanung und Bautechnik“ veröffentlichte er 1947 Vorschläge seines Seminars, in dem Studenten Alternativen zur „Rekonstruktion eines Berliner Stadtviertels“333 am Beispiel Berlin-Wilmersdorf erarbeiteten. Dieser Beitrag war für eine Standpunktbeschreibung Hassenpflugs als Lehrer und als Architekt beispielhaft. Der Verdienst dieser Vertiefung war, die Maßgaben des Scharoun’schen „Kollektivplans“, auf den Maßstab eines Quartiers anzuwenden. Der „Kollektivplan“ mit seiner Trennung von Wohnen, Arbeiten und Kultur folgte der Idee eines bandartigen Netzes kreuzungsfreier Autoschnellstraßen, die landschaftlich eingebettet den Stadtkörper Berlin mit einem Gerüst ausstatten sollten. Im gewählten Arbeitsausschnitt geriet die Behandlung eines jener Verkehrsknoten zur grundsätzlichen Kritik am „Kollektivplan“ selbst: „Werden durch diese neuen Straßen nicht zu viel noch erhaltene Werte, die wir z. Zt. nicht ersetzen können, vernichtet?“334 Seine Weimarer Arbeitsgruppe, die zu dieser Zeit von Egon Hartmann, damals noch Student, dominiert war, stellte eine Entwurfsvariante vor, in der das bestehende Straßennetz übernommen wurde. An 333 Siehe Hassenpflug, in: Bauplanung und Bautechnik 6/1947, S. 167-174. 334 Hassenpflug, in: Bauplanung und Bautechnik, 6/1947, S. 169.

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diesem Fall lässt sich ein spezifisch pragmatischer Standpunkt Hassenpflugs in der Meinungslandschaft der Nachkriegszeit ablesen. Ihm lag es fern, sich in eines der Lager zwischen Stadtbaukunst und Stadtlandschaft zu begeben. In seinem jungen Kollegium der „Staatlichen Beratungsstelle für Städtebau“ hatte er zudem eine unvoreingenommene Generation als Partner. Das Land Thüringen bot gleichwohl für Architekten wie Hassenpflug in grundsätzlichen Fragen zur aufgelösten, funktionsgetrennten oder landschaftlichen Stadt wenig Anknüpfungspunkte oder Arbeitsanlässe. Eine regionale Strahlkraft hatte seine Aktivität hingegen in einem anderen Maßstab, im Rahmen eines Möbelprogramms für die „Volkswohnung mit 52 qm“.335 In dieses Programm für „Aufbaumöbel“ übersetzte Hassenpflug den universellen Gestaltungsanspruch des Bauhauses, der ihn auch als Städtebauprofessor problemlos in die Details einer geformten Umwelt springen ließ. Schlüsselqualitäten waren bei der konzipierten Einrichtungsserie der geringe Holzverbrauch und die Additionsmöglichkeit aus Modulen in Erwartung wachsenden Wohlstands und ebenso wachsender Sesshaftigkeit. Angelehnt an Möbelentwürfe, wie Hassenpflug sie selbst schon vor 1933 entwickelt hatte, wurden in Thüringer Möbelbaubetrieben zerlegbare Möbel produziert. Auf mehreren Ausstellungen präsentiert, nahmen die Möbelentwürfe ihren Weg in die Öffentlichkeit. In einem Band unter dem Titel „Baukastenmöbel“ verspricht der Untertitel „Ein[en] Beitrag zum Wohnproblem für Entwerfer, Hersteller und Käufer von Möbeln“.336 Ausgerechnet das Phänomen der Baukastenmöbel sollte Jahre später Walter Ulbricht bei seiner Rede „Zum Fünfjahresplan des friedlichen Aufbaus“ ins Fadenkreuz der Verurteilung nehmen. Erstaunlich genug, dass gerade addierbare Kleinmöbel in einer Rede des Generalsekretärs zum Feindbild einer neuen Auffassung deutscher Architektur wurden.337 Ihr auf eine gebrauchsorientierte Logik abgemagertes Design schien 1951 die Metapher für eine unzeitgemäße Prachtlosigkeit geworden zu sein. Gustav Hassenpflug hat trotzdem über Jahre erfolgreich mit thüringischen Firmen Gebrauchsgüter produziert und folgte damit ähnlichen Wirkungswünschen, wie sie das Bauhaus einmal gehegt hatte. Auch unter Walter Gropius war sowohl in Weimar als auch in Dessau angestrebt, mit Entwürfen der Hochschule in die Produktion zu gehen.338 Hassenpflug wollte nach 1945 abermals auf die Not der Zeit eingehen, die es gebiete, mit transportfähigem 335 336 337 338

Vgl. Akte „Aufbaumöbel Weimar I + II“; ArBUW, I/01/864, La 90. Siehe Hassenpflug 1949. Vgl. Grohn 1985, S. 63. Vgl. Bauhaus-Archiv 2002, S. 28f.

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sowie „einfachem aber ehrlichem Möbel- und Gebrauchsgerät wieder Mensch“339 zu sein. Er hatte bei der Zusammenarbeit mit der thüringischen Industrie sogar mehr Erfolg als Gropius.340

Bild 27: Programm kombinierbarer Baukastenmöbel, Gustav Hassenpflug, 1949

339 Hassenpflug Zitat nach Grohn 1985, S. 61. 340 Vgl. Droste 1998, S. 58.

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Gustav Hassenpflug war in den Jahren 1946–50, in denen er in Weimar Station machte, für die Thüringer Diskussion aus mehreren Gründen wichtig. Er hatte die Inhalte des „Neuen Bauens“ vor 1933 verinnerlicht, weswegen er auch 1946 zusammen mit Joost Schmidt „Alle Bauhäusler in aller Welt“ dazu aufrief, ihre „Erfahrungen und Erkenntnisse der Gegenwart nutzbringend darzutun“.341 Was er in diesem Aufruf für eine BauhausAusstellung, die nie zustande kam, formulierte, war auch ein Appell an sich selbst. Er sah sich, zusammen mit anderen Bauhaus-Abkömmlingen, besonders in Weimar in der Pflicht, dieses Erbe weiterzutragen. Sein geistiger Projektionsraum ging über Thüringen hinaus. Er stand im Spannungsfeld zwischen Berlin und Thüringen, zwischen der Hauptstadt und der Provinz. Ein „Sondervertrag dahin lautend, daß ihm seine Reisekosten zwischen Berlin und Weimar als Auslagen erstattet werden“,342 stützte seine Doppelpräsenz und schloss mit der Bemerkung „Der Wohnsitz bleibt in Berlin“.343 Er nahm trotz seines Weimarer Engagements an der Berliner Diskussion teil, was alleine seine Publikationsaktivitäten dieser Zeit belegen.344 Die zahlreichen Briefe, die seine knapp dosierte Anwesenheit in Weimar ersetzen mussten, zeigen überdies, wie die Hochschule über ihn immer wieder Impulse von außen erhielt. Er vermittelte Kontakte, empfahl Bücher, die er auch beschaffte, und empfing seine Weimarer Studenten zur Konsultation in Berlin. Hassenpflug nahm an einem Treffen von C.I.A.M. Mitgliedern im August 1948 teil, lud z.B. den tschechischen modernen Architekten Bohuslav Fuchs zu einem Vortrag nach Weimar ein und schlug in diesem Zusammenhang vor, dass sich eine Gruppe Architekten aus Weimar und Berlin unter der Bezeichnung „Mitteldeutschland“345 zukünftig an den C.I.A.M. beteiligen möge. Sein Horizont erfasste die Diskussion aller Besatzungszonen. So waren Heinrich Tessenow und er die einzigen Stimmen, die im Nachkriegsaufruf des Deutschen Werkbundes als stellvertretend für die SBZ bezeichnet werden können. Hassenpflugs überregionaler und „interzonaler“ Präsenz ist es letztlich auch zuzuschreiben, dass er 1949 einen Ruf als Leiter an die Landeskunstschule Hamburg erhielt und auch annahm. Dort hoffte er, den Geist des Bauhauses getreuer verwirklichen zu können.346 341 342 343 344

Zit. n. Grohn 1985, S. 58. Zusatzvertrag, ArBUW, Personalakte G. Hassenpflug, S. 41. Ebd. Christian Grohn nennt allein 18 Veröff entlichungen zwischen 1946–49, davon die meisten in Berliner Fachzeitschriften oder Zeitungen, vgl. Grohn 1985, S. 150f. 345 Vgl. Aktennotiz vom 21. September 1948 über eine Besprechung mit S. Giedion, A. Roth und H. Schmidt, siehe ArBUW, Personalakte G. Hassenpflug. 346 Vgl. Grohn 1985, S. 86f.; Siehe auch Krieger 1995, S. 87.

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3.3.5 Hermann Henselmann. Initiator, Architekt und Lehrer Hermann Henselmann in einem eigenen Kapitel zu beschreiben, wird ihn als Akteur nur unvollständig erfassen, taucht er doch in zahlreichen anderen Abschnitten dieser Arbeit als Protagonist auf. Seine fast unheimliche Allgegenwart im Thüringer Architekturgeschehen nach 1945 lässt ihn typisch für eine Zeit erscheinen, in der sich beherzte Naturelle mit dem Phänomen des Kompetenzvakuums bestens ergänzten. Henselmann war zum Zeitpunkt der Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Thüringen. Er und seine Familie waren vor den Berliner Bombardements nach Gotha geflohen, wo er unmittelbar nach Kriegsende als Kreisbaurat eine Anstellung fand. Er verkörperte den politisch Unbelasteten, auch wenn er vor 1945 einer fast lückenlosen, professionellen Karriere gefolgt war. Er war als formulierungsgewandter Architekt erfahren und selbstsicher genug, um jetzt Führungsaufgaben zu übernehmen, und immer noch so jung, um dem Neuanfang ein neues Gesicht zu geben. So fügte es sich, dass ihm Walter Wolf, der Leiter des Landesamtes für Volksbildung, am 25. Juli 1945 die kommissarische Leitung der Hochschule Weimar antrug, nachdem, wie bereits beschrieben, eine Berufung Ernst Neuferts gescheitert war.347 Damit stand Henselmann an einer Schlüsselposition, die ihm in der Lehre eine Vermittlungsplattform sicherte und zur selben Zeit mit Fragen des praktischen Aufbaus betraute. In den Tagen der schnellen Entscheidungen ergriff er oft als Erster das Wort, was ihm in der Rolle des Hochschuldirektors auch zustand. So formulierte er am 18. August 1945 seine „Vorschläge für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte und Dörfer“348 und sprach in seinem Konzept von der Aufgabenverteilung des Aufbaus zwischen Planungsämtern in den Kreisen und dem möglichen Anteil der Weimarer Hochschule an Entwurfsaufgaben. Er appellierte an eine Baugesinnung, die Phantasie und Verantwortungsgefühl zum Grundsatz haben müsse.349 Seine Vorschläge zur „strafferen Organisation“ reichte er an sämtliche Verantwortlichen in der Landesregierung weiter und entwickelte die Idee eines Planungsverbandes.350 Henselmann profitierte in Weimar von einem Milieu, das ihm eine fast ungeteilte Öffentlichkeit sicherte, welche er auch überregional, vor allem auf Berlin, auszuweiten wusste. Der SBZ wird eine allgemeine Zurückhaltung im Chor der

347 348 349 350

Vgl. Kapitel 3.2. Vgl. ArBUW, Akte I/01/964, Bl. 10. Vgl. auch Heiden, in: Heiden; Mai 1995, S. 369ff. Vgl. Brief an die Präsidialabteilung, Abt. Wiederaufbau in der Thür. Landesregierung; ArBUW, Akte I/01/964, Bl. 20.

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Bild 28: Hermann Henselmann, 1947

gesamtdeutschen Architekturdiskussion attestiert.351 Das traf bestimmt nicht auf Hermann Henselmann zu. In regelmäßigen Veröffentlichungen nahm er seine später dominante Rolle als Koordinator und Vordenker publizistisch vorweg. Im Schreiben fand Henselmann das zu dieser Zeit richtige Werkzeug und er wurde keineswegs nur im Blickfeld der SBZ wahrgenommen. Der bei Kriegsende Einundvierzigjährige formulierte 1947 unter der Überschrift „Generation ohne Nachfolge“ die Mission seiner Altersgruppe, deren gesellschaftliche Wirksamkeit er vermisste. Es unterwiesen die Großväter die Enkel, und er meinte dabei nicht nur die künstlerische Ausbildung, sondern ein allgemeines gesellschaftliches Vermittlungsverhältnis.352 Ihm fehlte das Engagement seiner Jahrgänge, denen er die Tiefe und Leidenschaftlichkeit zutraute, um die „Epoche der Päpste“ in die „Epoche der Apostel“ zu überführen. Natürlich sah er sich selbst in der entscheidenden Generationenlücke als Träger einer Aufbruchsbereitschaft, die betontermaßen eine Entwicklung der Verhältnisse wollte, wohingegen sich die Sechzigjährigen, „die 1918 schon

351 So tut es z.B. Schätzke, vgl. Schätzke 1991, S. 24ff. 352 Henselmann, in: bildende kunst 1/1947, S. 14.

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einmal ihre Fahnen entrollten“,353 schon mit der Sicherung des status quo zufrieden gäben. Sein eigenes schmales Frühwerk als Architekt der Jahre vor 1933 machte ihn selbstbewusst. Hermann Henselmann hatte sich als junger Planer in den Zwanziger Jahren für Le Corbusier und das „Neue Bauen“ begeistert und mit seinem Haus Kenwin (1930/31) in Montreux ein „Manifest der Moderne“354 geschaffen. Zur Selbstwahrnehmung und zur professionellen Laufbahn in der Zeit nach 1933 muss man seinen eigenen Ausführungen folgen, die er später retrospektiv formulierte. So fand er nach 1933 weitere Beschäftigung u.a. im Industriebau, war „nicht dumm genug, um nicht zu wissen, dass diese Anlagen der Kriegsvorbereitung dienten“,355 wobei er nach eigenem Beteuern „hin und wieder versuchte, mich diesem Teufelskreis zu entziehen“.356 Seine berufliche Laufbahn bis 1945 war geprägt von wechselnden Geschäftspartnerschaften und Angestelltenverhältnissen.357 Als Projektarchitekt plante er ab 1940 den Aufbau „kriegszerstörte[r] Bauernhöfe für sogenannte Volksdeutsche“358 im deutsch besetzten Polen.359 Die Erfahrung in ländlichen Bauaufgaben, die Henselmann dort erworben hatte, erleichterte ihm nach der Bodenreform in der SBZ 1945 einen kompetenten Anschluss an das Neubauernprogramm in Thüringen.360 Die eigene Erinnerung Henselmanns an seine Rolle während des Nationalsozialismus erfuhr über die Jahrzehnte unterschiedliche Blickrichtungen durch ihn selbst. Diese irisierende Selbstsicht war ein Charakteristikum des Menschen Henselmann, welches ihm sein Leben lang sowohl in politi353 Ebd. 354 Schäche, in: Schäche 1995, S. 14. 355 Henselmann 1981, S. 158. Henselmanns Tätigkeit bei Godber Nissen hat Olaf Bartels untersucht, vgl. Bartels, in: Thesis, Wissenschaftliche Zeitschrift der BUW 3/4, 1997, S. 377-380. 356 Henselmann 1981, S. 158. 357 Seine Lebensdaten entnehme ich dem posthum erschienenen Buch anlässlich seines 90. Geburtstags, vgl. Schäche 1995, S. 169ff.; In seinem Personalfragebogen vom 30. Juni 1950 listet Henselmann folgende berufl iche Stationen auf: „1929–30 Architekt Nachtlicht; 1930–31 Architekt Ferenczy; 1931-34 selbständig; 1934–36 Architekt Nissen; 1936–43 selbständig; 1945 Kreisbaurat Landratsamt Gotha; ab 2. August 1945 Direktor Staatl. Hochschule für Baukunst und Bildende Künste“, ArBUW, Personalakte Hermann Henselmann. 358 Henselmann 1981, S. 159; Auftraggeber war das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Henselmann kooperierte damals mit dem Architekten und Freund Günther Wenzel. 359 Es war sein Architektenkollege Werner Harting, der ihm diese Aufträge vermittelt hatte und den Henselmann nach 1945 als Professor nach Weimar holen sollte, vgl. Henselmann 1981, S. 159. 360 Vgl. Durth; Düwel; Gutschow 1999, S. 84f.

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scher als auch in architektonischer Hinsicht anhaftete. In der „Neuen Bauwelt“ erschienen nach Kriegsende unveröffentlichte Artikel Henselmanns aus der Zeit des Nationalsozialismus, die laut Einführung der Redaktion als „Zeichen des ‚Inneren Widerstandes’ der Architektenschaft“361 geschrieben wurden. Die nachgeschickten Positionsbestimmungen tragen Züge rückwirkend gewünschter Entschuldung für einen ganzen Berufsstand und konnten in jedem Fall die intellektuelle Integrität Henselmanns stützen. In einem Lebenslauf, den er 1945 aufstellte, gab er an, „während der Nazizeit [...] einen Kreis antifaschistischer Architekten“362 um sich versammelt gehabt zu haben, „der regelmäßig in meiner Berliner Wohnung Zusammenkünfte hatte“.363 Publizistisch salopp bezeichnet er ein Jahr später die Zeit des Nationalsozialismus als persönlich erlittene Geschichtslücke mit resurrektivem Ausgang: „Am 30. Januar 1933 bin ich gestorben. 1945 bin ich wieder auferstanden inmitten von Gräbern und Ruinen.“364 An anderen Orten betonte er seine Rolle als stiller Kritiker. Ohne ausführliche Angaben zu seiner Stellung während des Nationalsozialismus zu haben, lässt sich seine Haltung im Vergleich zu seinen Zeitgenossen weder als außergewöhnlich rebellisch noch als übereifrig konformistisch zusammenfassen. Sein Naturell und sein Aktionswille haben ihm zwar eine bedingungslose Gefolgschaft verboten, sie konnten ihn jedoch ebenso wenig daran hindern, seinen Beruf fortgesetzt auszuüben, zu publizieren und bis zum Kriegsende eine vielköpfige Familie gegründet zu haben. Das Jahr 1945 war der richtige Zeitpunkt für Hermann Henselmann. Mit der Handlungsnot im Land Thüringen und der Profilsuche einer Hochschule ging das persönliche Aufblühen eines Architekten im fünften Lebensjahrzehnt einher. Es hat Momente in Henselmanns Weimarer Zeit gegeben, in denen er darunter gelitten haben muss, mit seiner Ideenproduktion der herrschenden Nachfrage nicht mehr Herr zu werden. In einem Brief an Gustav Hassenpflug erwähnte er: „Ich habe jetzt den Entwurf für ein Kulturhaus fertig gestellt. Entwürfe für ein Landtagsgebäude und ein Buchenwalddenkmal werden folgen.“365 Und dennoch müssen ihm die Thüringer Wirkungsgrenzen nach und nach bewusst geworden sein. Henselmann beschrieb seinen endgültigen Weggang aus Weimar später als Reaktion

361 Siehe Henselmann, in: Neue Bauwelt 16/1946, S. 10f. und Henselmann, in: Neue Bauwelt 6/1946, S. 7ff. 362 Lebenslauf vom 30. Oktober 1945; ThHStAW, LaThMV, 3880, Bl. 30. 363 Ebd. 364 Athena 1/1946–47, S. 26. 365 Henselmann in einem Brief vom 31. März 1947 an Gustav Hassenpfl ug; ArBUW, Akte I/01/841; Siehe auch Lüttgenau, in: Ehrlich; Mai 2000, S. 364.

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Bild 29: Entwurf Umbau Krankenhaus Nordhausen, Hermann Henselmann, 1946

auf Nachrede und Verleumdungen.366 Am 6. Juni 1949 veranlasste der Direktor der Deutschen Akademie der Wissenschaften die Übersiedlung Henselmanns.367 Gleichgewichtig zum Druck, Weimar aufzugeben, war der Sog, der ihn aus Berlin erreichte. So war der Einfluss auf die architektonischen Weichenstellungen der DDR, den er nach 1950 am Institut für Bauwesen an der Berliner Akademie der Wissenschaften und später an der Deutschen Bauakademie ausüben konnte, ungleich größer als in Thüringen. Mehr als zehn Jahre nach seinem Tod gibt es noch keinen kritischen Überblick zu Person, Wirkung und Werk Hermann Henselmanns.368 Zu nah ist der Schatten einer Person, die es im vordergründigen Verständnis der DDR 366 Henselmann 1981, S. 321f. 367 Vgl. Brief von Direktor Naas vom 6. Juni 1949; ArBUW, Personalakte Hermann Henselmann. 368 Insbesondere die Wirkung auf Mitarbeiter der wechselnden Kollektive kann ein weiter auszuwertendes Feld sein. Das rückblickende Buch „Ich habe Vorschläge gemacht“, anlässlich seines 90. Geburtstags erschienen, enthält neben zahlreichen Kommentaren bewundernder Zeitgenossen lediglich einen einzigen Beitrag eines direkten Mitarbeiters, vgl. Schäche 1995. Zur biografischen Näherung siehe Claus, in IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000, S. 107ff., Hain, in: Müller-Enbergs; Reimann 2000, S. 338ff.; Siehe auch Flierl, in: Feist; Gillert; Vierneisel 1996, S. 386–412 und Kossel 2008.

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eigentlich nicht geben konnte. Henselmann ragte über das Kollektiv hinaus und profitierte zugleich von dessen Vollzugssystem. Er genoss den Sonderstatus des ersten Kreativen, der weltmännisch an internationale Einflüsse angeschlossen war, um sie architektonisch in DDR-spezifische Ausdrucksformen umzusetzen. Das Interesse an seiner Person gilt dem Blick hinter das Klischee vom einzigen Baumeister der DDR, der zwischen Stalinallee und Bildzeichenarchitektur für ein selbständiges Œuvre steht.369 Henselmanns frühe Jahre in Thüringen bereiteten seine Rolle als Inspirator und Weltenöffner vor, die er später für die gesamte DDR übernahm. Hier offenbarte sich zum ersten Mal das Wechselspiel zwischen der Person Henselmann und einem Milieu, das Möglichkeiten schuf und wieder nahm.370 Henselmann war nicht nur in der Lage, politische Rahmenbedingungen umgehend nachzuvollziehen, er vermochte sie überdies intellektuell auszufüllen und zu durchschauen, um sodann ihre Freiräume nach eigenen Vorstellungen zu dehnen.

3.3.6 Ein Planungsverband als institutionelle Versuchsbaustelle Ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verfasste die Weimarer Staatliche Hochschule für Baukunst und bildende Künste ihre Chronik zu einem Phänomen, das sich während der Monate vor dem eigentlichen Lehrbetrieb entwickelt hatte. Der Bericht zählte einen beachtlichen Umfang von Planungen und Baumaßnahmen auf, die ein thüringenweites Aktionsbündnis aus Architekten, Ingenieuren sowie Landesbeamten bis dahin initiiert und umgesetzt hatte.371 Aus der aktuellen Bedarfslage war der „Planungsverband Hochschule Weimar“ entstanden, dessen Engagement den dringlichsten Aufbaunöten des Landes gelten sollte. Seit ihrer Gründung gab es an der Weimarer Hochschule immer wieder Versuche, den Lehrbetrieb in der Region wirksam werden zu lassen. Auch unter Walter Gropius wollte sich das Bauhaus durch wirtschaftliche Produktivität auszeichnen. Hatte man damals

369 Wie weit diese Sicht der Architektenschaft der DDR Unrecht tut, obliegt einer vertiefenden Forschung, die in einem biografi schen Sammelwerk des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner begonnen wurde, vgl. IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000. 370 Henselmanns Nachlass, seine Korrespondenzen über Systemgrenzen hinweg, seine Reputation auch im kapitalistischen Ausland und nicht zuletzt seine privilegierte Rolle jenseits der einschränkenden Reiseregelungen der DDR nähren diesen Eindruck, vgl. dazu den Nachlass in der Sächs. Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden sowie die Nachlassbibliothek bei der Akademie der Künste, Berlin. 371 Siehe Bericht „Die Arbeit des Planungsverbandes Hochschule“, in: ArBUW, Akte I/1/964, Bl. 82ff.

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gewünscht, von staatlichen Zuschüssen unabhängig zu werden, so fielen dem regionalen Außenkontakt immer auch der Wunsch und die Aufgabe zu, Inhalte der Gestaltung, der Architektur und Kunst einer direkten Resonanz auszusetzen. Zum bereits 1945 eingerichteten „Planungsverband Hochschule Weimar“ kann man den wesentlichen Anstoß bei Hermann Henselmann lokalisieren, dem damaligen kommissarischen Leiter einer Hochschule im Werden. Henselmann selbst präsentierte am 18. August 1945 einen Reorganisationsplan für die Hochschule, der die umfassende Wiederaufbauhilfe in das Lehrprogramm aufnahm und thüringenweit die „Zusammenfassung aller Forschungsaufgaben“ bei der Hochschule propagierte.372 Zeitgleich legte er dem Landesamt des Innern Vorschläge zu einer überinstitutionellen Handlungsstruktur vor.373 Noch nannte sich der Entwurf „Planungskollektiv Bauhaus“, ganz im Sinn der damaligen Diskussion, die den Geist der früheren Gestaltungshochschule wieder beleben wollte.374 In seinem Konzept führte Henselmann aus, die Arbeitsgruppe solle aus Hochschulprofessoren und den im Land Thüringen vorhandenen Spitzenkönnern ihrer Fachgebiete bestehen.375 Das Team müsse einen elitären Auftrag erfüllen und das Gegenteil einer, von ihm so genannten, Wasserkopfbehörde sein, die dann nämlich entstünde, wollte man sämtlichen planenden Institutionen des Landes eine gleichberechtigte Mitarbeit zusichern. Umso mehr Verantwortung obläge dann der Arbeitsgruppe, die sich mit der Erarbeitung von grundlegenden Planungen zu befassen habe sowie Normen festlegen müsse, welche für alle Gemeinden gelten.376 Nach Henselmanns Plan sollten Hochschulprofessoren in Planstellen der Landesverwaltung positioniert sein, wo sie ihre wissenschaftliche Arbeit gleichzeitig in den Dienst des Aufbaus stellen könnten. Auch wenn gerade dieser Konzeptpunkt zur Personalpolitik nicht übernommen wurde, begann gleichwohl die Zusammenarbeit von Landesbehörden und Hochschule mit der offiziellen Gründung des Planungsverbandes am

372 Vgl. auch Reorganisationsplan Hermann Henselmanns 1945; ArBUW, Akte La/3 I/01/777, S. 80ff. 373 Siehe Aufstellung vom 18. August 1945, Vorschläge für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Dörfer und Städte; ArBUW, Akte I/1/964, Bl. 1ff. 374 Siehe Brief an den Landesdirektor Böhme, Landesamt des Innern vom 19. September 1945; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 37. 375 Organisationsplan für die einheitliche Planung und Lenkung des technischen Wiederaufbaus in Thüringen, vom 15. September 1945; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 26ff. 376 Vgl. ebd.

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23. Oktober 1945.377 Mit vollem Titel nannte man sich „Technischer Wiederaufbau Thüringen - Planungsverband Hochschule Weimar“. Hermann Henselmann wurde zum Regierungsrat erhoben und als Leiter der Planungsgemeinschaft dem Landesdirektor Böhme direkt unterstellt, der seinerseits dem Landesamt für Kommunalwesen vorstand. Dass der Aufbau dieser Aktionsgemeinschaft so eng und schnell glückte, lag sicherlich auch daran, dass die thüringische Landesregierung noch in Weimar beheimatet war und sich Hochschule und Ministerien innerhalb der Kleinstadt persönlich über kurze Wege austauschen konnten. Angesichts des noch ruhenden Lehrbetriebs war der Planungsverband eine willkommene Übergangslösung für Lehrer und Studenten und begann als Proto-Hochschule zu funktionieren. Das schlug sich in der Ressortverteilung nieder, die mit Arbeitsgemeinschaften und den entsprechenden Leitern die späteren Lehrstühle vorwegnahm. Erst nach der Hochschuleröffnung am 24. August 1946 mussten Professoren und Dozenten als auftragnehmende Architekten den Büro- und Lehrbetrieb in Deckung bringen. Dann sollte die produzierende Hochschule378 einen propagierten gesellschaftlichen Auftrag wahrnehmen, der, so Henselmann, den Wandel zu einer Hochschule in „noch nie dagewesener Form“379 voraussetzte. Seine Distanz zu einem wörtlich neu aufgelegten Bauhausformat war mittlerweile deutlich geworden. Der Planungsverband war an die Hochschule angegliedert und gleichzeitig dem thüringischen Innenministerium untergeordnet. Das Engagement der Hochschule im Wiederaufbau mündete in fünf Projektgruppen, unter denen die Arbeitsgemeinschaft „Ländliches Bau- und Siedlungswesen“ die umfangreichste Aktivität freisetzte und über den größten Personalstab verfügte.380 Dazu kamen die Arbeitsgemeinschaften „Städtebau“, „Wohnung und Unterkunft“ und „Baustoffentwicklung“. Anfang 1946 entstand die Arbeitsgruppe „Schulbau“.381 Im Konzept vom 12. Oktober 1945 waren noch Abteilungen wie „Verkehrsbau“ und „Industriegestaltung“ gewünscht, wurden jedoch nicht

377 Siehe Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 513, vgl. auch „Aufbau und Aufgaben der Planungsgemeinschaft Wiederaufbau“ vom 20. Oktober 1945, gez. HH; ThHStAW, LaThMWA, 2385, Bl. 100. 378 Hermann Henselmann, Niederschrift vermutlich im Rahmen des Reorganisationsplans 1945; ThHStAW, LaThMV, 1145. 379 Ebd. 380 Vgl. Dix 2002, S. 58. 381 Vgl. Escherich, in: Winkler 2005, S. 81ff.; Siehe auch Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 513f.

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eingesetzt. Ebenso war, ohne realisiert zu werden, eine Abteilung „Landesplanung und Raumforschung“ vorgeschlagen, die am Institut für Raumforschung in Jena beheimatet sein sollte.382

3.3.7 Aktionsfeld Bodenreform. Neubauernprogramm in Thüringen Die ländliche Bodenreform, die am 10. September 1945 von der Landesverwaltung Thüringen beschlossen wurde, löste symbolträchtige Aktivitäten aus, um den Wandel zu einem neuen politischen System zu illustrieren.383 Schnell galt die Arbeitsgemeinschaft „Ländliches Bau- und Siedlungswesen“ des Planungsverbandes als wichtigste Institution für Neubauernhofplanungen in der SBZ.384 Der damals 31-jährige Toni Miller wurde zum Leiter der Arbeitsgruppe und führte sie mit zahlreichen Publikationen zu einem öffentlichkeitswirksamen Erfolg.385 Unter seiner Aufsicht übernahm die Hochschule ab 1946 die Projektierung des Neubauernhof-Programms für Thüringen. Im Vermittlungskonzept zwischen akademischem Lehrbetrieb in Weimar und dem Bauschaffen der Region war die Tätigkeit der „Arbeitsgemeinschaft Ländliches Bau- und Siedlungswesen“ der willkommene Brückenschlag nach außen. Henselmann bewarb die Mitarbeit des Planungsverbandes bei der Bodenreform als Instrument der Volksnähe. Das neu gebaute Angerdorf Großfurra-Neuheide bei Sondershausen war in der SBZ die erste Kleingehöftesiedlung ihrer Art und wurde als Modelldorf gefeiert. Die Aufgaben des Neubauernprogramms führten auch deswegen zur größten Arbeitsgruppe innerhalb des Planungsverbandes, weil der geringe Zerstörungsgrad Thüringer Städte im Gegensatz zum gesamtdeutschen Durchschnitt vergleichsweise wenig Handlungsanlässe zu Aufbauplanungen bot.386

382 Siehe Konzept zur Aufbau und Aufgaben der Planungsgemeinschaft Wiederaufbau vom 12. Oktober 1945; ArBUW, Akte I/1/964, Bl. 67ff. 383 Sachsen war mit dem Beschluss zur Bodenreform vom 3. September 1945 den anderen Ländern in der SBZ vorausgegangen, am 8. September rief die KPD zu einer Bodenreform auf, vgl. Weber 1999. S. 66. 384 Vgl. Dix 2001, S. 405. 385 Den Überblick über die Tätigkeiten der „AG Ländliches Bau- und Siedlungswesen“ liefert eine Rückschau auf das Jahr 1946, verfasst von Toni Miller; ThHStAW, LaThMWA, 3049, Bl. 27ff. 386 Vgl. Dix 2002, S. 58.

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3.3.8 Aktionsfeld Städtebau. Aufbauideen und ihre Vermittlung Gleichwohl war neben dem ländlichen Siedlungswesen der städtische Aufbau ein Handlungsfeld, auf dem der Planungsverband einen Standpunkt beziehen wollte. So fand die „Arbeitsgemeinschaft Städtebau“ bei der Wiederaufbauplanung ihren Tätigkeitsschwerpunkt in der Harzstadt Nordhausen, die in Thüringen mit Abstand am härtesten von Bombardements betroffen war.387 Die personelle Besetzung dieser Arbeitsgruppe spiegelte einen Pragmatismus wider, der auch „bürgerliche Experten“ zuließ. Der erwähnte Abkömmling der „Stuttgarter Schule“ Gerd Offenberg gehörte dem Weimarer Professorenkollegium vor 1945 an. Ihm wurde bis zu einer erwogenen Wiedereinstellung die Leitung der Arbeitsgemeinschaft Städtebau und damit die Planung in Nordhausen angetragen. Der Auftritt des Planungsverbandes in Nordhausen markierte im Gegensatz zum Neubauernprogramm die Grenzen des Weimarer Einflussvermögens in der Region. Der Fall Nordhausen offenbarte zudem, wie Hermann Henselmann als Direktor der Hochschule und Leiter des Planungsverbandes seine Rolle als Entscheider gegen eine Reihe von Widerständen verteidigen musste. Eine Ausstellung mit dem Titel „Wiederaufbau der Stadt Nordhausen“ vom 1.–19. Mai 1946 war die öffentliche Feuertaufe der Weimarer Vorschläge vor der Stadtbevölkerung. Die Präsentation in Nordhausen machte in ihren Reaktionen zwei getrennte Problembereiche im Wirken des Planungsverbandes deutlich. Einerseits traf die fernunterstützte Planung aus Weimar auf lokale Erwartungen, die ein begrenztes Verständnis für städtebauliche Gesamtkonzepte und die damit verbundenen verzögerten Handlungsanweisungen mitbrachten. Zum anderen wurde, ausgelöst durch Henselmanns Nordhäuser Auftritt, eine Kluft zwischen dem Hochschuldirektor und Teilen des Weimarer Kollegiums sichtbar. Dozenten um Offenberg388 verfassten im direkten Anschluss an die Präsentation ein Papier, das von tiefem fachlichem Misstrauen gegenüber Henselmann geprägt war.389 In der Stellungnahme zur Nordhäuser Ausstel-

387 Ähnliche Aufmerksamkeit genoss nur noch das südthüringische Städtchen Creuzburg an der Werra; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2417. 388 Es sind genannt die ehemaligen Professoren Boniver und der übernommene Professor Finger sowie der Leiter AG Ländliches Siedlungswesen im Planungsverband Toni Miller. Teils der Stuttgarter, teils der Münchener Schule entstammend kann man sie als die konservative Gruppe im Werden der Hochschule nach 1945 zusammenfassen. Dazu kam ein Altersunterschied von mindestens zehn Jahren, der die Genannten von ihrem jüngeren Vorgesetzten trennte. 389 Die Stellungnahme war an den Oberregierungsrat Lindemann im Landesamt für Volksbildung adressiert; ThHStAW, LaThMV, 3873, S. 53.

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lungseröffnung wird Henselmanns Rede als „Vergeudung der zur Verfügung stehenden Zeit“390 bezeichnet, wobei „Lautes Murren und plötzlich einreißendes vorzeitiges Fortgehen“391 des Publikums ihn schließlich gezwungen hätten, den Vortrag „mit ein paar saloppen Redensarten abzubrechen“.392 Daraus schlossen die Unterzeichner, die über lange Lehrerfahrung verfügten: „Für die in Nordhausen anwesenden Dozenten der Hochschule war der Vortrag von Professor Henselmann der erste über ein fachliches Thema, den sie von ihm zu hören bekommen haben. Sie sind von großer Sorge erfüllt, wie er der Verpflichtung, nach Eröffnung der Hochschule regelmäßig Vorlesungen über das weite und schwierige Gebiet der Gebäudelehre zu halten, gerecht werden will.“393 Henselmann erklärte später seine erzieherischen Absichten, die er an die Nordhäuser Rede geknüpft hatte. Gerade weil er die politische Natur des Aufbaus erläutert hätte, wären die Zwischenrufe der Haus- und Grundbesitzer erklärbar, jedoch nicht berechtigt gewesen, wohingegen die „fortschrittlichen Köpfe Nordhausens meine grundsätzlichen Ausführungen wichtig und wertvoll genug“394 gefunden hätten. Gleichwohl räumte er ein, an jenem Tag nicht in „besonders guter Form“ gewesen zu sein, da er „die ganze Nacht [hatte] durcharbeiten müssen, um die Ausstellung meines Krankenhausentwurfes für Nordhausen möglich zu machen“.395 Diese Bemerkung legt die Spur zum Rollenverständnis Henselmanns im Planungsverband, das er abschließend seinen Kritikern gegenüber klarstellen wollte: „Die gesamte Arbeit der letzten Monate im Planungsverband ist von mir massgeblich, und zwar sehr massgeblich, beeinflusst. So sehr, dass die meisten Herren eigentlich nichts weiter waren als ausführende Organe dessen, was ich plante. Ich bin der Meinung, dass gerade dieses geistige Abhängigkeitsverhältnis die tiefere Ursache für die Resolution ist. Immerhin erkennen im Grunde die meisten meiner Mitarbeiter diese positive Arbeit an. Wenn jemand diese Leistungen nicht sehen will, dann muss ich das schon als eine Art von Böswilligkeit bezeichnen.“396 Hier wird abermals die Aura des einsamen und allgegenwärtigen Initiators und Entscheiders deutlich, die Henselmann in 390 Stellungnahme zum „Vortrag Professor Henselmann anläßlich der Eröffnung der Ausstellung des Planungsverbandes in Nordhausen am 1. Mai 1946“; ThHStAW, LaThMV, 3873, S. 53. 391 Ebd. 392 Ebd. 393 Ebd. 394 ArBUW, Akte C9 Lfd. Nr.25 1947, V.A.Nr. 01/031. 395 Zum Entwurf siehe Neue Bauwelt 7/49, S. 25. 396 Stellungnahmen zu den Protokollen der Dozenten der Staatl. Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar, Weimar 24. Mai 1946; ThHStAW, LaThMV, 3873, S. 11ff.

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Bild 30: Zerstörungsbild der Stadt Nordhausen am Harz, 1945

den Jahren seiner Weimarer Wirkungszeit umgab. Seine erstaunlich ehrliche Einsicht in das „geistige Abhängigkeitsverhältnis“ in seinem Umfeld deutet darauf hin, dass er sich dem Kollegenteam kreativ überlegen fühlte und sich daraus folgend das Recht zu autokratischen Alleingängen nahm. Die Stellungnahme endet in der fast hilflosen Bemerkung, dass niemand im Stande sei, auch nur eine kurzzeitige Vertretung seiner Person zu übernehmen oder zu benennen. Tatsächlich erscheine es ihm, „dass jeder sich fürchtet, an der Arbeit, die ich leisten muss, irgendwie verantwortlich teilzunehmen“.397

3.3.9 Institutionelles Zwischenwesen in Hoheitskonkurrenzen Auch wenn der Planungsverband in der Perspektive Henselmanns zeitweise seinen alleinigen Handlungsvorgaben gefolgt wäre, so lässt sich dennoch ein personell breit gestreutes Initiativenfeld beschreiben. Der junge Toni Miller nutzte die vortreffliche Profilierungsmöglichkeit in seinem Handlungsfeld, dem ländlichen Bauen. Der erfahrene Friedrich August Finger fand im Planungsverband einen Rahmen für seine Materialforschung. Für Denis Boniver und Gerd Offenberg war es rückblickend betrachtet die Zeit des Gnadenbrotes vor ihrer Entlassung, in der sie eigenständig in eigenen Projekten arbeiten konnten. Die Faszination der gesellschaftlichen Einflussmöglichkeit erfasste 397 Ebd., S. 16.

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Lehrende und Lernende gleichermaßen. Studenten übernahmen Baupatenschaften, d.h. sie nahmen aktiv am Baugeschehen teil, wie im Fall GroßfurraNeuheide, und wurden früh in die Verantwortung ihres Berufs geschickt. Die Tätigkeit der beiden geschilderten Arbeitsgemeinschaften398 illustriert, wie die Praxisnähe des Planungsverbandes das akademische Denken der Weimarer Hochschule prägte. Studierende lernten dabei schon früh die unvermeidlichen Kompromisswege im Planen und Bauen kennen. Die Publikationsfreude der Hochschule, die Vielfalt von Forschungs- und Versuchsprojekten, die fruchtbaren Initiativen zu Ausstellungen und Veranstaltungen lassen einen ausreichenden materiellen Handlungsradius des Planungsverbandes vermuten. Problematischer war die fortwährende Identitätssuche einer Institution zwischen den Institutionen. Noch nicht mal ein Jahr nach dessen Gründung schlug Henselmann der SMAD in Berlin-Karlshorst vor, den Namen des Planungsverbandes zu ändern. Nach seiner Meinung bestehe die Gefahr, dass die klare Trennung zwischen Hochschule als solcher und dem Planungsverband als einem Institut des Landes verschwimme. Davon abgesehen müsse diese Trennung auch in der getrennten Finanzierung der Institute sichtbar sein.399 Der Gründung der Hochschule im August 1946 folgte deshalb die Umbenennung in „Forschungsgemeinschaft Aufbau“. Mit diesem Namenswechsel wollte man die Ideenhoheit des Verbandes verstärkt an die Hochschule binden. Nun lagerten sich Institute an die entsprechenden Lehrstühle an und verlangten von den Lehrstuhlleitern die gleichzeitige Koordination je zweier Funktionseinheiten einschließlich getrennter Personalstäbe. Im Entscheidungsgefüge des Landes Thüringen war die Rolle des Planungsverbandes nie gänzlich geklärt. Eine frühe und charakteristische Auseinandersetzung konkurrierender Meinungen ist als Nachspiel zum „Gesetz über den Wiederaufbau von Städten und Dörfern im Land Thüringen“ vom 18. Oktober 1945 belegt.400 Den Weimarer Hochschullehrern reichten die darin beschriebenen Möglichkeiten der Enteignung, die auf einem

398 Die Arbeit der AG „Wohnung und Unterkunft“ (Leitung: Prof. Denis Boniver) sowie der AG „Baustoffentwicklung“ (Leitung: Prof. Friedrich August Finger) sei an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. Ihre Wirkungsweise und der persönliche Beitrag ihrer Leiter wurden im Rahmen der Weimarer Forschungen zur Hochschulgeschichte recherchiert. Zu Boniver, vgl. Winkler, in: Thesis 2/3 2002, S. 14. Wer sich vom Personal des Planungsverbandes verdient gemacht hat, wird von Christian Schädlich belegt, vgl. Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 517. 399 Hermann Henselmann, Aktennotiz anlässlich eines Besuchs bei der Sowjetischen Militäradministration in Karlshorst zus. m. Prof. Dr. Rompe bei Prof. (Hauptmann) Woronoff, 30. Juli 1946; ArBUW, I/01/841. 400 Vgl. ThHStAW, LaThMWA, 2386, Bl. 161.

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Bild 31: Studentinnen beim Arbeitseinsatz des Planungsverbandes, um 1946

Gesetz von 1921 beruhte, nicht weit genug. In seinem Anschreiben meldete Henselmann Bedenken an, dass das angewendete Gesetz nur private Besitzer erfasse, wo doch „jeder erfahrene Städtebauer“ wisse, dass es „gerade der öffentlich-rechtliche Eigentümer ist, der seine Eigentumsrechte gegen öffentliche Ansprüche mit grösster Zähigkeit verteidigt“.401 Dem Landesverwaltungsamt ging darum eine Ergänzungsliste des Planungsverbandes zum Thüringer „Gesetz über den Aufbau der Städte und Dörfer im Land Thüringen“ zu, in der ein ausführlicher Handlungskatalog zu den allgemein gehaltenen Verlautbarungen des Gesetzesstextes ausformuliert wurde.402 Die Ergänzungsliste versuchte vor allem, neben den Regeln von Enteignung und Entschädigung eine inhaltliche Tiefe für den Planungsprozess festzulegen. Das begann mit der Bemerkung, dass der „wesentliche Umfang der Zerstö401 Brief von Hermann Henselmann an Reg. Baurat Stegmann, Landesamt für Kommunalwesen Weimar vom 21. März 1946; ArBUW, I/01/976. 402 Vgl. ebd.

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rung [...] auch nach städtebaulichen Gesichtspunkten zu beurteilen“403 sei. Dieses Verständnis müsste planerisch verankert sein, weil es dann notwendig sei, „wenn die Wiederherstellung des früheren Zustandes die Durchführung wesentliche notwendiger städtebaulicher Verbesserungen verhindern würde“.404 Erst nach einem genauen Schadens- und Bedarfsplan, den die jeweiligen Gemeinden nach Henselmanns Idee vorlegen sollten, hätte das Landesamt für Kommunalwesen die erforderliche Entscheidungsgrundlage. In einem darauf folgenden Votum des Landesamtes für Kommunalwesen vom 01. April 1946 wurde ein strenger Ton angeschlagen und dem Planungsverband ein zu weit reichender und unsachlicher Einspruch attestiert. „Am liebsten würde er [der Planungsverband] das Gesetz ändern oder stattdessen ein neues Gesetz machen, um selbst zu Wort zu kommen.“405 Ohne auf die einzelnen Punkte der Ergänzungsvorschläge einzugehen, fühlte man sich offensichtlich über Gebühr gemaßregelt und stellte fest, dass es unerfindlich sei, „welcher sachliche [...] Zweck mit den zahlreichen Vorschlägen verfolgt wird“.406 Der Tenor dieses Schreibens wurde von Henselmann in einer Stellungnahme erwidert, in der er empört „unsachliche Unterstellungen“ beklagte.407 Zusätzliche Schärfe brachte er in die Auseinandersetzung indem er, ohne Personen zu nennen, auf die Verstrickung der Rechtsberufe vor 1945 anspielte und anmerkte, „dass gerade die Juristen nach dem Ablauf der letzten 12 Jahre sich einiges Misstrauen von Seiten der Vertreter der Arbeiterklasse, zu denen ich gehöre, verdient haben“. Offensichtlich war sich Henselmann seiner Sache sicher, als er anfügte: „Für die alten faschistischen Methoden, Kritik gewissermaßen mit ,durch die Nase gesprochenen Formulierungen wegzunäseln’ habe ich jedenfalls kein Verständnis.“408 Er schlug einen Ausschuss vor, der sich aus Funktionären der fünf Tage zuvor, am 22. April 1946, konstituierten SED zusammensetzen und den Aktenvorgang diskutieren sollte. Der Schlagabtausch wirft einerseits ein Licht auf die konkurrierende Selbsteinschätzung von Landesbehörden und Planungsverband. Andererseits gibt der Briefverkehr den Blick frei auf die junge Instanz SED, die hier als Schlichter empfohlen oder geradezu angedroht wurde. 403 Ebd. 404 Ebd. 405 Abschrift des Votums von Oberverwaltungsgerichtsrat Sievers vom 01. April 1946; ArBUW, I/01/976. 406 Ebd. 407 Vgl. Henselmanns Schreiben vom 27. April 1946. Er bezieht sich auf einen Vermerk von Oberbaurat Graefe, Mitarbeiter im Planungsverband Technischer Wiederaufbau, vom 25. April 1946; beide Dokumente ebd. 408 Ebd.

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3.3.10 Metamorphose eines Experiments Dass die zu Beginn des Kapitels erwähnte Chronik zum Planungsverband bereits 1946 angefertigt wurde, weist nicht nur auf die erstaunliche Dichte von Aktivitäten hin, die sich innerhalb des ersten Jahres entwickelt hatten, es lässt zudem ahnen, dass schon ein Jahr später dem Furor der ersten Wochen und Monate eine vergangene, eine historisierbare Dimension zugesprochen wurde. Die Geschichte des Planungsverbandes ist die Geschichte einer interdisziplinären Arbeitsgruppe und ihrer sich wandelnden Kompetenz. Die Not nach 1945 hat die Idee eines regionalen Aktionsverbundes gefördert. Im Thüringer Rahmen hat man versucht, alle planenden Kräfte in eine flächendeckende Strategie einzubinden. Der Planungsverband konnte die gewünschte Gemeinschaft von Hochschulen, Landesbehörden und kommunaler Planungspraxis nicht dauerhaft sichern. Dazu beigetragen hat die traditionell administrative Kleinteiligkeit des Landes genau so wie die beanspruchte und verteidigte Entscheidungshoheit der Landesbehörden.

Bild 32: Kommentarspuren einer Korrespondenz zwischen Nordhausen, der Weimarer Hochschule und dem Land Thüringen zeigen die Verständnisunterschiede zwischen Wieder-aufbau, Aufbau und Neu-aufbau

Die anfängliche Handlungsgemeinschaft aus Landesbehörden und Lehrstätte nährte sich intellektuell und personell hauptsächlich aus der Weimarer Hochschule und strebte dementsprechend deren geistiger Obhut zu, ohne gleichzeitig vom Land ausreichend finanziert zu werden. Ab 1948 unterstand der mittlerweile „Forschungsgemeinschaften“ genannte Verbund nicht mehr dem thüringischen Innenministerium sondern dem thüringischen Ministerium für Wirtschaft.409 Ebenfalls 1948 trat Hermann Henselmann die Leitung des Planungsverbandes an Friedrich August Finger ab, dem Leiter der Arbeitsgemeinschaft Baustoffentwicklung, und gab seine Überlastung als Grund dazu an.410 Im darauf folgenden Jahr bereitete die erneute Namensänderung in „Institut für Planung im Stadt- und Landbau“ eine schrumpfende Wichtigkeit vor, der mit einer ebenso reduzierten Budgetierung verbunden gewesen sein musste und die 1951 zur gänzlichen Schließung des Instituts 409 Vgl. ArBUW, I/1/964, Bl. 122-123. 410 Vgl. ThHStAW, LaThMV, 1151.

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führte.411 Der letzte Institutsleiter Hermann Räder beklagte sich 1950 in einem Schreiben an den Thüringer Wirtschaftsminister, dass die Auswertung der Arbeiten bislang deswegen in unvollständigem Maß geschehen sei, da die zuständige Hauptabteilung des Ministeriums „bewusst die Mitarbeit des Instituts der Hochschule vernachlässigte und trotz der Fülle von Aufgaben keine konkreten Arbeiten an das Institut gab“412 und „weil die Leitung der Abteilungen eine ehrenamtliche Tätigkeit ist und dadurch keine personelle Bindung mit dem Ministerium für Wirtschaft entstand“.413 Die Substitute des Planungsverbandes vermochten immer weniger über die Hochschule hinaus im Baugeschehen der Region zu wirken. Umso wichtiger war der Anschub für Einzelforschungsrichtungen, die später das Profil der Hochschule prägten, wie z.B. die Baustoffforschung unter Friedrich August Finger. Genauso bezog der Thüringer Schulbau aus der „Arbeitsgruppe Schulbau“ eine bedeutende Ideengrundlage. Im Verständnis der eigenen Geschichtsschreibung hat die Weimarer Hochschule zu DDR-Zeiten die wechselnde Eigenart des Planungsverbandes nicht als Kompetenzschwund sondern als Metamorphose verstanden, die einen Fortschritt in der Absprache gesellschaftlicher Zuständigkeiten belege.414 Der Planungsverband konnte den Lehrbetrieb der Weimarer Hochschule vor ihrer Eröffnung personell und inhaltlich einüben, wobei ihm auch Lehrpersonal der Jahre des Nationalsozialismus angehörte, das später nicht übernommen werden sollte. Die Phase der Arbeitsgemeinschaften war die gedehnte Staffelholzübergabe zwischen zwei Epochen in der Architektenausbildung vor und nach 1945. Die Protagonisten repräsentierten eine Mischung, in der sich der Geist der „Stuttgarter Schule“ mit Bauhausideen kreuzte, wo konservative Altväterlichkeit auf jugendlichen Aktionismus traf. Der Planungsverband propagierte die Praxisnähe der Lehre mit Blick auf den akademischen Mehrwert der Praxis. Darüber hinaus lieferten Gruppendynamik und Abstimmungsleistungen die Urerfahrung eines Planerkollektivs, das zum bestimmenden Berufsmilieu des Architekten in der DDR werden sollte. Der wichtigste Verdienst des Planungsverbandes jedoch hat womöglich auch sein Ende impliziert. Er war die Generalprobe für eine zentralisierte Forschung und Planungspolitik, wie sie sich später auf Repu411 Vgl. Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 512ff. 412 Hermann Räder in einem Brief des Instituts für Planung im Stadt- und Landbau vom 18. April 1950 an das Ministerium für Wirtschaft; ArBUW, I/1/964, Bl. 122. 413 Ebd. 414 Vgl. Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 4/1958–59, S. 269; Schädlich verfolgt an anderer Stelle Nachfolgeinstitutionen bis in die Gegenwart, vgl. Schädlich, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar 5/1966, S. 512ff.

DIE „PRODUZIERENDE HOCHSCHULE“

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blikebene konstituiert hat und keineswegs nur auf Thüringen beschränkt bleiben konnte. Die fortschreitende Konzentration in der Verwaltung der SBZ ließ gemäß dem „demokratischen Zentralismus“ der SED Planungszuständigkeiten mehr und mehr über Kommunen und Länder hinweg wirksam werden. Seit 1946/47 reifte in der Führungsebene der Zentralverwaltung der SBZ die Idee eines Instituts, das Probleme des Bauwesens wissenschaftlich lösen möge sowie Standards und Normen entwickeln sollte. Beflügelt durch das Vorbild der Sowjetunion mit ihrer Architekturakademie415 entstand Ende 1947 das Institut für Bauwesen innerhalb der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Hans Scharoun, der damalige Berliner Stadtrat für Bauund Wohnungswesen, wurde mit den Gründungsvorbereitungen beauftragt und zum Direktor ernannt. Hermann Henselmann wollte von Weimar aus diese Einrichtung mitformen und leitete die Forschungsgruppe zum Thema Arbeitsstätten. Zwischen ihm und Hans Scharoun begann im Vorfeld ein Ideenaustausch um die Handlungs- und Denkrichtung des Instituts. Dabei konnte Henselmann auf die Erfahrung des zeitgleich agierenden Thüringer Planungsverbandes zurückgreifen und schlug Weimarer Kollegen zur Mitarbeit in Berlin vor.416 Im Gegensatz zu Thüringen waren in Berlin die vorbereitende Diskussion zu Reizthemen der Zeit, wie Typisierung und Normierung oder zum Gegensatzpaar Grundlagenforschung - Zweckforschung, sowie die personelle Besetzung um einiges ausführlicher.417 Nach der Gründung der DDR 1949 wurde in Berlin neben dem Institut für Bauwesen das Institut für Städtebau und Hochbau geschaffen, welches wie der Thüringer Planungsverband an ein Ministerium, in diesem Fall an das Ministerium für Aufbau, gebunden war. Es sollte 1950 jene Institution sein, die zur Schließung des Institutes für Bauwesen führte, um ein Jahr später seine Aufgaben in die Deutsche Bauakademie übergehen zu lassen. Unter dem Minister für Aufbau Lothar Bolz war nun in Berlin die wissenschaftliche Kontrolle und der zentrale Entwicklungsvorlauf im Bauen monopolisiert. Jetzt war jener Forschungsverbund entstanden, der sich im Einklang mit den zentralen Strukturen der jungen Republik befand und somit erfolgreicher sein würde als es die Thüringer Arbeitsgemeinschaft in 415 Es war Kurt Liebknecht, damals noch Mitglied der Architekturakademie der UdSSR und später Zentralfigur der Architekturentwicklung in der DDR, der am 29. Januar 1946 die Institution in Berlin vorstellte, vgl. Durth; Düwel; Gutschow 1999, S. 110f. 416 Er erwähnt in einer Aufgliederung der Abteilungen im Institut für Bauwesen: Friedrich August Finger, Werner Harting, Gustav Hassenpflug, Ludwig Küttner und Toni Miller, vgl. ArchAKDB, Sign. IfB I/1. 417 Zum internen Schlagabtausch zum Kurs des Instituts für Bauwesen vgl. Durth; Düwel; Gutschow 1999, S. 116ff.

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der kurzen Zeit ihrer Blüte vermochte. Träumten die Akteure des Weimarer Planungsverbandes davon, oberste Projektierer ihrer Region zu sein, so entwickelte sich aus dem Institut für Städtebau und Hochbau das zentrale Entwurfsorgan der DDR, das „faktisch für den gesamten Städtebau und Hochbau verantwortlich“418 war. Spätestens mit der Auflösung der Länder 1952 hätte einem Planungsverband Thüringen der Handlungsrahmen gefehlt. Die „Vergesellschaftung der Entwurfsprozesse“ galt nun für die gesamte Republik.

418 Topfstedt, in: Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung 2000, S. 12.

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4 Erbe – Thüringer Aktionsfelder in Aufbau, Umbau und Neubau

Thüringen war mit seinem Neubauernhofprogramm überregional bekannt geworden. Die Prägung des Thüringenbildes in den Jahren nach 1945 als einem Schauplatz ländlicher und agrarischer Siedlungs- und Wirtschaftsideen wurde im vorigen Kapitel als verbreitetes Image beschrieben. Das Land zwischen Harz und Thüringer Wald war wenig groß- oder industriestädtisch geprägt und dennoch durch sein enges Netz kleiner Städte und ehemaliger Residenzen weit davon entfernt, der ausschließliche Austragungsort stadtverachtender ländlicher Siedlerideen zu werden. Eine theoretische Auseinandersetzung um ein Ende oder die Auferstehung der alten Großstadt fand in Thüringen keinen unmittelbaren Anlass. Die größte Stadt des Landes, Erfurt, war eine der wenigen deutschen Großstädte, deren historisches Zentrum von größeren Bombenschäden verschont geblieben war. In Jena hingegen, der drittgrößten Stadt des Landes waren die Bombenlücken des Krieges noch lange Jahre sichtbar. Die Stadt und ihre Industrie genossen vorerst keine Priorität bezogen auf Unterstützungsmaßnahmen.418 Erst 1958–60 begann man im Stadtzentrum mit dem Bau von neuen Platzund Straßenräumen. Das Stadtzentrum der zweiten Großstadt Thüringens, Gera, wies erhebliche Zerstörungen auf. Dort taten sich die Planungsinstanzen ebenfalls schwer mit einem systematischen Wiederaufbau. Während im Süden und Norden Geras schon nach 1954 Wohnungsbau entstanden war, begann man im Zentrum der größten Industriestadt Thüringens erst 1957 mit einer realisierbaren Planung. Dass der städtische Wiederauf bau bis 1950 in der gesamten DDR bedenklich wenige Realisierungen zeitigte, gestand später auch die Bauakademie der DDR ein.419 Bevor sich die Untersuchung den gebauten Äußerungen ländlicher Reformen widmet, wird der Blick auf Handlungsfelder erweitert, die gleichermaßen für die Eigenart des Landes stehen. Die Dringlichkeit des Bauens erfasste

418 Vgl. Meurer, in: Diers; Grohé; Meurer 1999, S. 15–22. 419 Vgl. Bauakademie der DDR 1989, S. 11ff.; Größere zusammenhängende Baumaßnahmen, wie die Wohnzelle Berlin-Friedrichshain von Hans Scharoun (Grundsteinlegung 21. Dezember 1949) oder der Platz der Jugend, Rathenow ab 1950 (Otto Haesler) wurden im Rahmen des Zweijahresplans 1949/50 angesetzt und blieben in den Jahren vor der Republikgründung Einzelfälle.

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ebenso städtische und industrielle Aufgaben und fand im historischen Erbe eine sehr landesspezifi sche Herausforderung, wie man die Aneignung dieses Erbes neu gestalten könnte. Nach der Prüfung von Diskussionen und ihren Milieus, von Institutionen und ihren Wirkungsabsichten, wird nun an Beispielen das Bauen in Thüringen beleuchtet. Dabei stehen Orte im Mittelpunkt, die charakteristische Aussagen zu Handlungsabsichten und Aktionsradien von Akteuren in Thüringen geben. Das ist zum einen die Stadt Nordhausen, welche als die am meisten zerstörte Stadt Thüringens exemplarisch zur Folie für die Debatte um den städtischen Wiederaufbau wurde. Ein zweiter Blick gilt den Kultur- und Erbeorten Thüringens. Hier verknüpfte sich die besondere geschichtliche Verankerung in Deutschlands Mitte mit einer neuen Interpretation während der SBZ. Gerade an klassischen Stätten entfalteten sich Deutungskonfl ikte, die treffende Aussagen zu Kontinuitäten und Brüchen in der Ideengeschichte der Jahre 1945–49 machen. Am Beispiel Unterwellenborn kann schließlich der Bedeutungswandel der Industrie und ihre Rolle sowohl im Gesellschaftsbild als auch im bautypologischen Repertoire des begleitenden Städtebaus beschrieben werden.

4.1 Aufbau. Städte suchen ein neues Bild Der Zweite Weltkrieg hat in Thüringen eine wenig geschädigte Region hinterlassen. Das stadtferne Image vom „grünen Herzen Deutschlands“ entsprach schon 1946 den tatsächlichen Beschäftigungsanteilen im Land Thüringen nicht mehr.420 Dennoch bot Thüringen in seiner historisch bedingten Kleinteiligkeit nie das Bild von industrieller oder städtischer Konzentration. Das Land verkörperte vielmehr ein inneres Hinterland in Deutschland. Für die Reichsregierung lag es darum nahe, Thüringen vor und im Zweiten Weltkrieg massiven Industrialisierungsanstrengungen zu unterwerfen. „Thüringen galt wegen seiner geostrategischen Lage als auch wegen der relativ gleichmäßigen Standortverteilung als idealer Aufnahmeraum für die Verlagerung von Industriebetrieben.“421 Gerade Rüstungsindustrien wurden nach Kriegsbeginn zunehmend in Thüringen konzentriert und direkt an das Konzentrationslager Buchenwald und seine zahlreichen Außenlager gekoppelt.422 Wie die Stadt Nordhausen durch die Industrialisierung der Nationalsozialisten ins Fadenkreuz der alliierten Bomber geriet und wie aus dem

420 Vgl. auch Kapitel 5.2.1. 421 Bricks; Gans, in: Heiden; Mai 1995, S. 205. 422 Vgl. ebd., S. 204ff.

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übernommenen Anspruch der Industriestadt nach 1945 eine Auf baupriorität erwuchs, soll zuerst beschrieben werden. Der Fall Nordhausen gibt einen guten Querschnitt an Ideen und Beharrlichkeiten, wie sie ein derart großes Planungsvorhaben im Thüringer Nachkriegskontext begleiteten. Der Suche nach dem gebauten Städtischen geht am Ende des Unterkapitels ein Ausblick auf die schrittweise gewordene Landeshauptstadt Erfurt nach. Dort bereitete sich die Diskussion um das Bauen als hoheitliche Repräsentation vor, wie sie für die Zeit nach 1950 prägend sein sollte. Dieser Teil Thüringer Planungsgeschichte weist über die Eingrenzung der Arbeit hinaus, soll aber dennoch als Übergangsphänomen auf dem Weg zu einer offi ziellen Architekturauffassung der DDR skizziert werden.

4.1.1 Das doppelt verlorene Nordhausen Nach Mittelbau-Dora, das unweit der Stadt Nordhausen liegt, hatte man 1943 die Produktion von Raketen verlegt, die im selben Jahr in Peenemünde von der Royal Air Force zerstört worden war. In der Mitte des Deutschen Reiches schien ein Ort wie Nordhausen unauff ällig genug. Die militärische Relevanz der Bombardierung der Stadt am 3./4. April 1945, war gleichwohl nicht ersichtlich. Aus strategischem Kalkül wurden Militäranlagen und die Rüstungsproduktion nicht angegriffen. Der Grund der im Kriegsverlauf späten Zerstörung der Stadt muss im Zusammenhang mit der Zermürbungspolitik der Alliierten gesehen werden. Am 6. März 1949 öff nete in Nordhausen eine Ausstellung unter dem Titel „Nordhausen mahnt“ ihre Türen. Vier Jahre lagen zu diesem Zeitpunkt die Bombardierungen des Zweiten Weltkrieges zurück. Die Stadt war in Thüringen mit einem zu 80% zerstörten Zentrum und 8.000 Toten am stärksten betroffen.423 Kleinlaut schrieb die Begleitbroschüre zur Schau: „Daß unser bisheriger Aufbau im Verhältnis zum Ausmaß der Zerstörungen verschwindend gering ist, zeigt uns die Aufstellung der Bauleistungen seit 1945.“424 In Ermangelung vorzeigewürdiger Bilder wurden die Besucher mit Stadtansichten eines „Nordhausens wie es war“ empfangen. Gerade jedoch diese vergangene Stadt besetzte mehr als eine einzige Vergangenheit. Wie in anderen vom Bombenkrieg betroffenen Städten stellte sich die Frage an das Substrat, auf dem eine neue Stadtidee Wurzeln schlagen sollte und an das Bild, das zu suchen war.

423 In Thüringen besonders betroffen waren auch Gera, Jena oder das Städtchen Creuzburg bei Eisenach. 424 Stadt Nordhausen 1949, S. 8.

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Bild 33: Der Ausstellungsplan „Nordhausen mahnt“ 1949, bildet die Schwerpunkte in der Nordhäuser Wiederaufbaudebatte ab

Was ist dieses Nordhausen bis zum Jahr 1945 gewesen? Einst war es freie Reichsstadt, die mit Kirchtürmen und farbigen Fachwerkhäusern eine bergige Stadttopografie mit steigenden Straßen und Treppenwegen nachformte. Der Architekt und spätere Professor der RWTH Aachen Philipp August Rappaport beschrieb als junger Absolvent 1907 das Beispiel Nordhausen als Stadt im Wandel in einem Bändchen mit dem Titel „Eine alte Reichsstadt wie sie war und wird“425. Seine Schrift, in „Briefen an einen Freund“ gekleidet, stand ganz im Zeichen schwärmerischer Verehrung für eine mittelalterliche Stadt, die er im Moment ihres Verlustes festzuhalten versuchte: „Noch vor Jahren störte hier nichts.“426 Er beschwor eine Stadt der Bilder, der jenes „Aufdringliche und Fremde“427 fehle. Ziel seiner Verachtung war die damals jüngste Bebauung aus sichtbarem Ziegelstein mit einem Überfluss an massenfabrizierten Schnörkeln, die für ihn der Inbegriff einer ortsuntypischen städtischen Architektur waren. 425 Vgl. Rappaport 1907, vgl. auch Reinboth, in: Nordhäuser Geschichts- und Altertumsverein, Stadtarchiv und Meyenburg-Museum 2001, S. 88–93. 426 Rappaport 1907, S. 6. 427 Ebd., S. 4.

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Rappaports Betrachtungen sind ein wertvoller Kommentar zum intellektuellen Umbruch in der Architekturdebatte nach 1900, die Begriff e wie „Angemessenheit“ und „Ehrlichkeit“ für die Gedankenwelt der Moderne vorbereitete. Sicherlich überfordert Rappaport den Informationsstand der lokalen Entscheidungsträger und Baugenossenschaften, wenn er ihnen rät „hinauszufahren, [...] um sich eine der Krupp’schen Arbeiterkolonien an[zu]sehen oder gar eine der neueren englischen“.428 Dabei belegte er jedoch seine Grundlagenkenntnisse des aktuellen europäischen Bauschaff ens, vor dessen Hintergrund er die Stadt Nordhausen beurteilte. Ebenso zeugte sein Plädoyer von jenem Geist, der sich zur selben Zeit in den Ideen der Bewegung um den 1904 gegründeten Deutschen Bund Heimatschutz niederschlug. Es ist die Zeit, als später verfeindete Lager noch aus derselben Sehnsuchtsquelle der Reformbewegung schöpften. Wenige Jahre danach illustrierte Rappaport in einem weiteren Buch mit dem Titel „Steigende Straßen“ (1911) das Prinzip der bergigen Stadt am Beispiel Nordhausen im Vergleich mit den hessischen Städten Wetzlar und Marburg. Die topografi sche Belebung liest sich in seinen Texten und Bildern wie ein Voraussetzungsmuster für das Schöne. Mit Büchern wie diesem festigte sich zu Beginn des Jahrhunderts eine fast biologische Sicht auf Stadträume, die das Bauen in buchstäblich gewachsenen Städten auf Gesetzmäßigkeiten im Malerischen untersuchte und ihre Raum- und Straßenfigurationen zu kategorisieren wünschte. Sein Beitrag kann wie das damals schon berühmte „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ von Camillo Sitte (Wien 1889) vorschnell als reine morphologische Sammlung verstanden werden, die in malerischen Vedouten der Kleinstadtidylle nachspürt. Die kultur- und zeitkritische Dimension seiner Ausführungen spricht dafür. Dennoch wollte die Studie Rappaports sachlich genug sein, um in Diagrammen und maßhaltigen Zeichnungen exemplarisch die Gestaltungsgebote zu ermitteln, die einen Stadtkörper in der dritten Dimension formen. Rappaport bewunderte eine angeblich reaktionssichere Bauweise vergangener Generationen in der Herausforderung steiler Stadtlagen. In den Straßenprofi len von Städten wie Nordhausen glaubte er ein Verständnis zu erkennen, das eine Systematik und gleichzeitig ein Gespür für die dramatisierende Überhöhung einer Stadtplastik vermuten lasse. Seine Beschreibungen waren hauptsächlich einer denkmalpflegerischen Erfassung verpfl ichtet und können gleichwohl wie Handlungsempfehlungen zum zeitgenössischen Städtebau gelesen werden. Rappaports Kommentare sind aufschlussreich als akademische und 428 Ebd., S. 31.

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auch ein wenig romantisch gefärbte Meinung, die eine Stadt wie Nordhausen von außen erreichte. Nach 1945 ist seine Beschreibung ein wertvolles Zeugnis jener Anfechtungen, denen das malerische Bild der Stadt schon vor seiner Auslöschung durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt war. Seine Klage illustriert, dass die Bomben nicht ein abgeschlossenes Stadtbild auslöschten, sondern eine Stadt im Wandel trafen. Nordhausen, das im Gegensatz zu vielen Thüringer Nachbarstädten über keine feudale Pracht, keine Residenz verfügte, verlor 1945 seinen mittelalterlich strukturierten Kern nahezu gänzlich. Von 13.075 waren 10.400 Wohnungen zerstört bzw. teilweise beschädigt worden.429 Noch unter amerikanischer Besatzung, d.h. in den wenigen Wochen zwischen dem 11. April bis Anfang Juli 1945 wurde ein wirtschaftspolitisches Sofortprogramm beschlossen. Im Mai 1945 gründete die Stadtverwaltung einen Wirtschafts- und Auf baubaurat. Der setzte sich zusammen aus dem Bürgermeister, weiteren Vertretern der Stadtverwaltung, führenden Personen der Wirtschaft und Arbeitnehmerschaft.430 In einer Akte zum Wiederauf bau wurde als erste Maßnahme die Schadensbehebung in den Räumen der Besatzungsmacht anvisiert.431 Am 8. August 1945 gründete sich sodann eine städtische Arbeits- und Wiederauf baukommission. Als administrativer Anlaufpunkt und „zur Bewältigung aller mit dem Wiederauf bau zusammenhängenden Fragen“432 wurde ein eigenes Wiederaufbauamt geschaffen. Für die Planungen zog man ab Mitte Oktober 1945 die Staatliche Hochschule für Baukunst und Bildende Künste, Weimar heran, d.h. den Planungsverband der Hochschule.433 Damit war die Voraussetzung gegeben, die Nordhäuser Problemlage dem Blick durch Außenstehende auszusetzen und die Ideen zum Auf bau an die allgemeine Diskussion in der SBZ anzuschließen. Ein Organigramm vom Oktober 1945 zeigt die Wunschfi gur der gleichberechtigten Zusammenarbeit im Nordhäuser Wiederauf bau zwischen Hochschule, Landesbehörden und lokalen Verantwortlichen.434

429 Vgl. Rat der Stadt Nordhausen 1950, S. 35. 430 Vgl. Libor-Dörstel 1992, S. 24. 431 Vgl. Programm, Richtlinien und Grundsätze über den Wiederauf bau der Stadt Nordhausen i. Harz, Protokoll des Stadtplanungsamtes Nordhausen vom 28. Mai 1945; ThHStAG, Kreisrat Nordhausen, 154. 432 Stadtarchiv Nordhausen 2003, S. 417f. 433 Vgl. ebd.; S. 419f. 434 Vgl. ArBUW, Akte I/01/985, Lb. 22, o.S.

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Bild 34: Die Schienenwege der städtischen Straßenbahn und der Schuttloren kreuzen sich, 1945

4.1.2 Weimar in Nordhausen. Der Planungsverband Aus Anlass von akutem Mangel an Material und Baumaschinen formulierte im November 1945 der Oberbürgermeister Regierungsrat Karl Schultes den gewünschten wie auch den vermissten Stellenwert des Wiederauf baus seiner Stadt und die künftige Rolle der Weimarer Hochschule. Wirkungsvoll und vorbildhaft müssten die Maßnahmen zur Schadensbehebung gelingen.435 Aus dem Unglück des Krieges sah hier ein Bürgermeister die Vorbildchance seiner Stadt erstehen: „Der jetzt als Musterplan des Planungsverbandes der Hochschule Weimar vorgesehene Wiederauf bau der Stadt Nordhausen ist von einer politischen Bedeutung, welche über das Land Thüringen hinausweist. Nordhausen ist eine der am stärksten zerstörten Städte in der sowjetrussischen Besatzungszone, bei welcher im Gegensatz zu Berlin, Dresden, Magdeburg oder anderen stark zerstörten Städten sofort mit einer klaren Planung des Wiederauf baus und mit seiner Durchführung begonnen werden kann. Es kann hier ein Musterbeispiel des Wiederauf baus gegeben werden, das richtungsweisend sein soll für die gesamte sowjetrussische Besatzungs-

435 Ein Brief des Landesamtes des Innern informiert am 3. Oktober 1945 Landräte und Oberbürgermeister des Landes. Darin wurde berichtet, dass Schultes am 19. Juli 1945 als Regierungsbeauftragter für den Wiederaufbau der Stadt Nordhausen eingesetzt würde, um am 27. Juli des selben Jahres als Oberbürgermeister und Landrat des Kreises Grafschaft Hohenstein „bestellt“ zu werden; ThHStAW, LaThMWA, 2298, Bl. 170.

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Bild 35: Ein Organigramm zeigt die Wunschfigur der Zusammenarbeit im Nordhäuser Wiederaufbau zwischen Hochschule, Landesbehörden und lokalen Verantwortlichen, Oktober 1945

zone und welches propagandistisch gegenüber den Bestrebungen in der amerikanischen und englischen Besatzungszone ausgewertet werden kann.“436 Schon zu Beginn der Zusammenarbeit war jedoch eine Fachkonkurrenz zwischen dem Weimarer Planungsverband und den Architekten Nordhausens vorprogrammiert. Der Regierungsbeauftragte für Wiederauf bau Dr. Gruner warf die Frage auf, ob auch freie Architekten aus Nordhausen oder Flüchtlinge mitarbeiten könnten. In einer Sitzung des Planungsverbandes am 3. Dezember 1945 antwortete Hermann Henselmann , damals noch kommissarischer Direktor der Weimarer Hochschule, „dass alle Architekten, die am Auf bau mitarbeiten werden eine gewisse Zeit beim Planungsverband hospitiert haben müssen und mit Auftrag als freie Architekten entlassen sind“.437 Damit war ein Monopolbewusstsein ausgesprochen, das die künstlerische Hoheit des Planungsverbandes sichern sollte.

436 Brief vom 22. November 1945 Oberbürgermeister Schultes und Hermann Henselmann an den Präsidenten des Landes Thüringen; ArBUW, Akte I/01/985, Lb. 22, o.S. 437 Vgl. Protokoll zur Sitzung des Planungsverbandes am 3. Dezember 1945; ArBUW, Akte I/01/979.

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Zwei gesetzliche Ausgangspunkte waren für den Aufbau in Nordhausen bestimmend. Das „Gesetz über den Wiederaufbau von Städten und Dörfern im Land Thüringen“ vom 18. Oktober 1945 schrieb das Verfahren und die Machtmittel zur Enteignung zugunsten städtebaulicher Maßnahmen fest. In ihm wurden jene Gemeinden, „deren Wiederaufbau [...] als notwendig erkannt wird“438 ermächtigt, private Grundbesitzer zugunsten eines neu erstellten Bebauungsplanes, der dem Landesamt für Kommunalwesen vorgelegen haben müsse, zu enteignen.439 Die prekäre Wohnungssituation wollte der Kontrollrat der Alliierten im März 1946 mit Hilfe eines Wohnungsgesetzes lindern, das die Ausweisung aktiver Mitglieder der NSDAP aus ihren Wohnungen anwies, um den Opfern des Regimes Wohnraum zu verschaffen. „In erster Linie sind in jedem Falle bevorzugt zu berücksichtigen solche Personen, die dem nationalsozialistischen Regime Widerstand geleistet haben oder durch seine Maßnahmen benachteiligt worden sind.“440 Damit waren zwei Grundlagen geschaffen, den Aufbau und vor allem die Wohnungspolitik in einer Stadt wie Nordhausen zu beschleunigen. Eine gestalterische oder städtebauliche Grundidee für das Neue wurde dabei wieder nur am Rand ausgesprochen. Auch der Präsident des Landes Thüringen, Werner Eggerath, formulierte in einer eigens verfassten „Verordnung über den Wiederaufbau der Stadt Nordhausen“ keine weiteren Vorgaben, als dass neu parzellierte Ersatzgrundstücke rechtwinklig zu Straßen und Plätzen liegen sollten.441 Mit einem derartigen Stadtplanungsinstrument ausgestattet, waren zwar moderate Korrekturen im alten Bild der Stadt möglich. Von den überkommenen Straßen und Plätzen jedoch wurde offenbar grundsätzlich ausgegangen. Wie weit man sich nach 1945 an die Figur des alten Nordhausens gebunden fühlte, wie sehr man dem Selbst- und Erinnerungsbild der verschwundenen Stadt entsprechen wollte, lässt sich an den beginnenden Konzeptabstimmungen zwischen Stadtverwaltung und der Weimarer Hochschule ablesen. Die Projektgemeinschaft für Wiederaufbau des Planungsverbandes lieferte eine Flächenbedarfsermittlung,442 die zur Grundlage einer Ver-

438 § 4 aus dem „Gesetz über den Wiederaufbau von Städten und Dörfern im Land Thüringen“, Regierungsblatt für das Land Thüringen 2/12. Januar 1946, o.S. 439 Vgl. ebd., o.S. 440 Vgl. Gesetz Nr. 18, vom 8. März 1946 bezüglich des Wohnungsgesetzes, siehe Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Ausgabe Nr. 4 vom 28. Februar 1946, S. 117ff . 441 Siehe Programm, Richtlinien und Grundsätze über den Wiederauf bau der Stadt Nordhausen i. Harz, Protokoll Stadtplanungsamt Nordhausen vom 28. Mai 1945; ThHStAG, Kreisrat Nordhausen, Akte Nr. 154. 442 Siehe Ergebnisse der Flächenbedarfsermittlung für den Wiederaufbau der Stadt vom 16. November 1945; ArBUW, Akte I/01/979.

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ordnung über den Wiederaufbau wurde, welche wiederum aus Nordhausen an die Landesregierung als „zur beschleunigten Genehmigung“ zurückging.443 Eine Hauptaussage der ersten Planungen war, die Bebauung an den bereits erwähnten steilen Berglagen zwischen Ober- und Unterstadt nicht wieder aufzubauen. Die beiden Stadtebenen sollten durch einen Grüngürtel getrennt werden.444 Zu den Ironien des Anfangs zählte, dass man irrtümlich oder bequemerweise für ein Entwicklungskonzept für 80.000 Einwohner einen Wirtschaftsplan von 1941 zu Grunde legte.445 Der aktuelle Unterschied lag jedoch darin, dass der erwartete Zuwachs jetzt nicht mehr mit der Ausweitung des Garnisonsstandorts begründet wurde, sondern mit mindestens 10.000 erwarteten Neubürgern aus den Flüchtlingsbewegungen. Die Stadt hatte jedoch bis zum Kriegsende kurzfristig fast 25% ihrer Einwohnerschaft verloren, und war von 42.000 (1939) auf 32.000 (1946) Einwohner geschrumpft.446 Die Wachstumserwartungen wurden schon bald abgeschwächt. Im Planungsverband Hochschule Weimar bearbeitete eine Arbeitsgemeinschaft, „AG Städtebau“, die auch als „Projektgemeinschaft für Wiederaufbau“ auftrat, unter der Leitung Gerd Off enbergs den Fall Nordhausen als Hauptaufgabe. Seit 1942 Professor in Weimar, konnte er während der Monate des ruhenden Lehrbetriebs noch auf eine Weiteranstellung hoffen. Offenberg war wegen seiner ehemaligen Parteimitgliedschaft in der NSDAP darauf verpfl ichtet worden, die Auf bauplanung „als Sühne ohne Verdienst“447 fachlich zu betreuen. Ein weiterer ehemaliger Parteigenosse, der Jenaer Professor Joachim Heinrich Schultze , wurde in die Nordhäuser Planungen eingebunden. Schultze war als Geograph kein Unbekannter, hatte er

443 Am 26. Nov. 1945 legt Oberbürgermeister Dr. Schultes dem Landesamt für Kommunalwesen in Weimar den Entwurf einer Verordnung über den Wiederaufbau der Stadt zur beschleunigten Genehmigung vor, vgl. Stadtarchiv Nordhausen, 2003, S. 420. 444 Vgl. Schultze 1947, S. 67. 445 Vgl. Sitzung der Wiederaufbaukommission vom 7. November 1945; ArBUW, Akte I/01/985/19 (o.S.); Die Stadterweiterungsplanung wurde vom Reichsheimstättenamt der Deutschen Arbeitsfront erstellt, vgl. Siedlungsgestaltung, Heft 3, Berlin 1940. 446 Vgl. Schultze 1947, S. 25; Der Vorkriegsstand von 46.000 Einwohnern war noch 1963 nicht erreicht und überstieg auch bis 1989 die Marke von 45.000 Einwohnern nicht, vgl. Weißbarth, in: Deutsche Architektur 1/1965, S. 53f. und Hüter [u.a.] 1978, S. 137. 447 Vgl. Offenberg 1974, S. 308, allerdings ist ein Schriftwechsel erhalten, nach dem die Stadt Nordhausen Offenberg einmalig 3.000 Reichsmark bezahlte (Brief des Rates der Stadt Nordhausen, vom 19. Dez. 1946) nachdem Offenberg um eine vergütete Weiterbeauftragung gebeten hatte (Brief vom 30. Oktober 1946), diese ihm jedoch versagt wurde, vgl. Stadtarchiv Nordhausen 2003, S. 458.

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doch an der Jenaer Universität bis 1945 der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“ angehört. Er wurde trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft auf Anraten von Hermann Henselmann beschäftigt.448 Weil man ihn für eine raumplanerische Analyse im Projekt Nordhausen benötigte, verteidigte Henselmann ihn gegen Anfragen, die auf seine Vergangenheit kritisch hinwiesen.449 Schultzes umfangreiche Studie entstand zeitgleich mit den im Frühjahr 1946 präsentierten ersten Neuplanungen des Planungsverbandes für Nordhausen. Wenn ein Berater wie Schultze an seine Erfahrung als Raumforscher für Thüringen unmittelbar anknüpfen konnte, so erklärt sich auch die Unbedarftheit, die der Thüringer Städtebaudiskussion nach 1945 einen direkten Bezug zu urbanen Strategien des Nationalsozialismus erlaubte. In ihrer „Beschreibung des ersten Planungsvorschlages für den Wiederaufbau der Stadt Nordhausen“ wurde von der Planungsgemeinschaft Wiederauf bau Weimar unumwunden die Chance beschrieben, die nach der Zerstörung entstanden sei, um „alte Fehler zu beseitigen und die neu entstehende Stadt so aufzubauen, wie dies nach unseren heutigen Gesichtspunkten richtig erscheint“.450 Es sei der Krieg selbst, der die Voraussetzungen geschaffen habe und er sei es auch, der jetzt im Stadtkörper zusammenhängende Grünverbindungen erforderlich macht. So würdigte Schultze im selben Papier die „sehr erfreuliche[n] Richtlinien für den baulichen Luftschutz des Reichsarbeitsministeriums vom 5. September 1942“451 mit ihren drei Hauptforderungen nach weiträumiger Gestaltung von Stadt und Siedlungen, Trennung der stark luftgefährdeten Anlagen und Auflockerung der Bebauung. Die Studie Schultzes untersuchte 1947 die „geopolitischen [...] Lebensund Umweltbeziehungen“452 Nordhausens. Der Bericht dient heute jedoch auch als wertvolle Quelle für die im Frühjahr 1946 präsentierten ersten Neuplanungen des Planungsverbandes, d.h. der Weimarer Planerteams für den Neu- und Wiederauf bau Nordhausen. In einem Protokoll werden zwei Planungsvarianten, zum einen von Gerd Offenberg und zum anderen vom Berliner Architekten Dr. Styliaras, einem kurzzeitigen Mitarbeiter im

448 Vgl. ArBUW, Akte I/01/998; Schultze arbeitete zur Zeit des Nationalsozialismus an Studien zur wirtschaftlichen und allgemein strukturellen Perspektive Thüringens. 449 Siehe Schultze 1947, vgl. auch ArBUW, Akte I/01/998. 450 Vgl. Beschreibung des 1. Planungsvorschlages für den Wiederaufbau von Nordhausen vom 3. November 1945; ArBUW, Akte I/01/985/19. 451 Ebd. 452 Siehe Schultze 1947, S. 69.

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Bild 36: Bebauungsplan für Nordhausen von 1948 auf der Grundlage der Offenberg‘schen Idee. In der übernommenen Blockrandstruktur verweisen einzelne Zeilenreihen auf eine zaghaft gewollte Überwindung des Blocks.

Planungsverband Weimar beschrieben.453 Offenberg setzte in seinem Entwurf die Stadt aus einer Mischung von Blockrandbebauung und Zeilenfi guren neu zusammen. Das Konzept von Styliaras wurde bewusst als Gegenvorschlag ins Rennen geschickt, um „den Entwurf Offenbergs noch einmal zur Diskussion zu stellen“.454 Der Beigabencharakter von Styliaras’ Arbeit bestärkt sich darin, dass sie im Gegensatz zu Offenbergs Planungen einer Archivierung oder Dokumentation nicht würdig erachtet wurde. Bei dem

453 Laut Fragebogen des Military Government of Germany vom 28. September 1945 war Dimitri Styliaras griechischer Staatsbürger, geboren am 10. Januar 1916. Er war seit 1942 stellv. Leiter am Institut für Landes- und Stadtplanung, das er 1941 nach Tod des Lehrstuhlleiters übernahm. Seit 1935 studienhalber in Deutschland, wurde er 1944 promoviert. Er war in Weimar seit dem 1. Januar 1946 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt und wurde am 21. Februar 1946 als Leiter der „AG Städtebau, Wohnung und Unterkunft“ im Planungsverband Hochschule bezeichnet; ArBUW, Akte II/01/473. Styliaras arbeitete später als Hochschullehrer und Stadtplaner in Winnipeg, Kanada und starb 2001. 454 Hermann Henselmann: Aufgaben des Planungsverbandes in einem Brief an das Landesamt für Kommunalwesen vom 18. Januar 1946; ArBUW, Akte I/1/964, Bl. 56.

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Vorschlag Offenbergs und seines Assistenten Günter Schubert handelte es sich um den bestandskonformeren der beiden Vorschläge. „Dabei passt sich der Plan aber doch erheblich an das überkommene, aus Sparsamkeitsgründen heraus zu erhaltende Sachkapital an Kellern und Grundmauern an.“455 Dem Kommentator Schultze erschien Offenbergs Planung als „recht handfest“ 456, wobei er dennoch „hervorragend dem ganzen Typ des Nordhäuser Lebens“457 entspreche. „Wenn etwas Grundsätzliches gegen ihn einzuwenden ist, wäre es eine an manchen Stellen wohl zu weitgehende Rücksicht auf überkommene Grundstückseinteilungen.“458 Der Verfasser der Alternativplanung, Dimitri Styliaras, hatte 1944 an der TU Berlin eine Dissertation abgeschlossen, in der er dem hippodamischen Rasterschema im Städtebau neben seiner vermessungsingenieurstechnischen Qualität einen künstlerischen Wert für den Städtebau der Gegenwart nachzuweisen versuchte.459 Bei seinem Nordhäuser Vorschlag scheinen sich diese Erkenntnisse eines systematischen Städtebaus weniger in der Rigidität eines Straßenplans niedergeschlagen zu haben, als vielmehr in einer generellen Unbedarftheit im Umgang mit den vorgefundenen Nordhäuser Resten jenseits des historischen Kerns. Styliaras trennt seine Planung in die wiederhergestellte Altstadt, die „im traditionellen Sinne wieder errichtet werden soll“460 und die aufgelockert besiedelte Plateaustadt. Seinem Konzept wurde in dem besagten Kommentar des Jenaer Professors Schultze eine offensichtlich „stärkere Abkehr vom Alten“461 bestätigt. Styliaras’ Vorentwurf nehme „Abstand von einem großen Platz“462, wobei städtisches Marktleben dezentralisiert auf drei Plätze verteilt werde.463 Die Plateaustadt des Petersberges „dient einer Wohnstadt, die bis zu neun Geschossen Höhe vorgesehen ist“.464 Dazu äußerte das Gutachten Schultzes wiederum sein Unbehagen. „Die neunstöckigen Mietshäuser, auch die mit gewinkeltem Grundriß, stehen in starkem Widerspruch zu den Lebensgewohnheiten

455 456 457 458 459 460 461 462 463

Schultze 1947, S. 69. Ebd., S. 70. Ebd. Ebd. Siehe Styliaras 1944. Aus Styliaras’ Selbstauskunft anhand der vorgestellten Pläne, vgl. StArNDH, Akte 2783. Schultze, 1947, S. 71. Schultze, 1947, S. 71. Wie sehr die Idee vom großen Platz auch in Nordhausen Stadtplaner später beschäftigen würde, zeigte der städtebauliche Wettbewerb von 1953, wo das Kollektiv Egon Hartmanns den ersten Preis gewann, vgl. N.N., in: Deutsche Architektur 3/1953, S. 102–105. 464 Schultze 1947, S. 72.

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einer Mittelstadt und in ebenso starkem Widerspruch zur natürlichen Linienführung des Nordhäuser Sandsteinhügellandes“465, obgleich insgesamt mehr Menschen untergebracht würden als bei Offenberg. Wie dessen Plan sehe „auch dieser Vorentwurf eine notwendige Abkehr vom Altromantischen vor“. Styliaras’ Wirken im Planungsverband kann als kurze Episode bezeichnet werden. Noch ehe in Nordhausen weitere Planungsschritte erfolgen, scheidet er aus der Weimarer Arbeitsgruppe aus.466

4.1.3 Missverständnisse und „einsetzende Baulust“ Die Ausstellung „Wiederaufbau der Stadt Nordhausen“ wurde am 1. Mai 1946 eröff net und wurde im Zusammenhang mit den gleichzeitigen inneren Verwerfungen in der Weimarer Hochschule erwähnt.467 Von Peter Keler, einem ehemaligen Schüler am Bauhaus Dessau, gestaltet, stand sie in der Gestaltungstradition einer kargen Sachlichkeit. Die Rede, die Hermann Henselmann als Leiter des Planungsverbandes hielt, traf neben dem geschilderten Misstrauen unter seinen Kollegen auf die Ungeduld der betroff enen Nordhäuser Bürger. Henselmann schränkte ein, dass die Ausstellung noch nicht „jedes Haus an seinem Platze“468 zeige. Seine Rede erreichte die bauwilligen Nordhäuser nur bedingt. In grundsätzlichen Ausführungen über Nordhausen als Teil eines Ganzen hätte er sich, so eine empörte Bürgerstimme, in „grundsätzlichen Darlegungen zu sehr ins Europäische und Ungreifbare“469 entfernt, um sich nur langsam dem Inhalt der vorgestellten Planzeichnungen zu nähern. Auch eine weitere Veranstaltung am 11. Mai 1946, anlässlich derer Dimitri Styliaras seinen Gegenentwurf erläuterte, fand wenig Zustimmung.470 Die Reaktionen auf seinen Vorschlag waren vorwiegend ablehnend, nicht zuletzt wegen der hohen Wohnhäuser. Schon allein die Tatsache, mit zwei Alternativen konfrontiert zu sein, verunsicherte die Kommentatoren und minderte schon gar nicht die Angst, eine befolgbare Planung könnte weiter auf sich warten lassen. Henselmanns Hinweis, man würde angesichts von Alternativplanungen praktische Demokratie üben können und es sei jetzt die Aufgabe der Bürger am Aufbau und seiner Planung mitzuarbeiten, 465 Ebd. 466 Sein Ausscheiden im Oktober des Jahres 1946 (Abschlusszeugnis vom 17. Oktober 1946) „geschah auf eigenen Wunsch“; ArBUW, Akte II/01/473. 467 Vgl. Kapitel 3.3.2. 468 Rede Hermann Henselmann am 1. Mai 1945 in Nordhausen; ArBUW, Akte I /01/993. 469 Walter Huppert, Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen, vom 3. Mai 1946, vgl. StArNDH Akte S 2783. 470 Vgl. StArNDH, Akte 2783 und auch Akte 2897, Bl. 17.

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Bild 37: Mit einer Ausstellung (Entwurf Peter Keler) stellten sich die Planungen aus Weimar der Nordhäuser Diskussion

schloss die Veranstaltung ab und ließ gleichermaßen ein Ergebnis offen.471 Unter den pragmatischen und sachbezogenen Beiträgen der übrigen Redner, die zu diesem Präsentationstermin zusammenkamen, war Henselmann gleichwohl der Einzige, der mit seinen Ausführungen einen politischen Appell verband und einen Exkurs auf das Historische der Situation zu geben versuchte. Zusammentreffen wie dieses legten den Abstand zwischen dem inhaltlichen Wollen des Planungsverbandes, insbesondere Henselmanns, und den Wünschen der örtlichen Akteure offen. Der Termin warf zusätzlich ein frühes Schlaglicht auf Henselmanns Vermögen, in technokratischen Milieus eine geistige, wenn nicht sogar schöngeistige, Führerschaft zu beanspruchen, selbst wenn ihm in diesem Fall daraus kein Triumph erwuchs. Wie schleppend in Nordhausen das wirkliche Baugeschehen in Gang kam, zeigte im Folgenden das Wechselspiel von Direktiven, gepaart mit einer Entscheidungsunsicherheit zwischen Weimar und der Stadt Nordhausen. Noch vor der Präsentation der ersten Weimarer Entwürfe hatte am 471 Vgl. Beitrag Hermann Henselmann: Zur öff entlichen Diskussion über den Wiederaufbau der Stadt Nordhausen am 11. Mai 1946; StArNDH, Akte 2783.

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29. Januar 1946 der Wiederauf baubevollmächtigte Gruner in einem Brief an Hermann Henselmann klar gestellt: „Ich stehe auf dem Standpunkt, dass wir ganz dringend den neuen Straßenplan haben müssen. [...] Ich wäre Ihnen zu besonderem Dank verpfl ichtet, wenn Sie die Arbeiten beschleunigen lassen könnten“472, weil es immer schwerer sei, mit dem anrückenden Frühling „die anscheinend einsetzende Baulust zu hemmen“.473 Um Entscheidungen zu den Nordhäuser Bauanliegen in eine landesweite Verteilungspolitik zu integrieren, gab Henselmann wenig später die Auflösung des im August des Vorjahres gegründeten Wiederauf bauamtes bekannt. „An seine Stelle tritt eine Zweigstelle der noch zu bildenden Trägergesellschaft, die sowieso in den verschiedenen Kreisen Zweigstellen zu gründen beabsichtigt. Finanziert wird diese Zweigstelle von der Trägergesellschaft, die für die Durchführung der gesamten baulichen Aufgaben die entsprechenden Kredite vom Land Thüringen zur Verfügung gestellt bekommt.“474 Auf bereits ins Kraut schießende private Bauinitiativen lässt ein „Ortsstatut zum Bauverbot in den zerstörten Baugebieten“ vom 1. November 1946 schließen, dem ein weiteres „Ortsstatut zur Regelung einer einheitlichen Bebauung des zerstörten Stadtgebietes und eine Polizeiverordnung zur Lenkung des Bauhandwerks beim Wiederauf bau der Stadt“ folgte.475 Im selben Zusammenhang erging eine Verordnung, jene „öffentlichen Straßen und Plätze, die in die neuen Fluchtlinien der Stadt fallen“476 zu beräumen. Es ist offensichtlich, dass die Größe der zu bebauenden Fläche die Koordinationserfahrungen der genehmigenden Behörde überstieg. Ebenso schienen die Planungsabsprachen zwischen dem Planungsverband Weimar und der Stadt Nordhausen den Handlungsablauf zu verlangsamen. So erklären sich auch wohlmeinende und ungeduldige Eingaben von Einzelpersonen, wie der Vorschlag einer „Vorläufigen Arbeitsgemeinschaft der BaublockInteressengemeinschaften“ an den Rat der Stadt mit der Idee, die kollektive gegenseitige Hilfe in privater Initiative zu fördern.477 Aufbauend auf den offi ziellen Slogans der Zeit wolle man „im Zeichen einer echten demokratischen Selbstverwaltung“478 handeln und bezog sich auf ähnliche „Aktivitäten in Bayern“479. Ihren Eifer setzten die Initiatoren bewusst gegen die Prä472 473 474 475 476 477 478 479

ArBUW, Akte I/01/985, Lb. 22. Ebd. Protokollmitschrift vom 16. Februar 1946; ArBUW, Akte I/01/985/19. Stadtarchiv Nordhausen 2003, S. 426 und StArNDH, Akte S 2325. Stadtarchiv Nordhausen 2003, S. 426. Siehe Antrag vom 14. Mai 1947, StArNDH, Akte S 2325-1. Ebd. Ebd.

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senz des Planungsverbandes und beendete die Eingabe spitz mit den Worten: „platonische Erklärungen aus Weimar genügen nicht.“480 Ähnliches hatte ein Vorschlag des Stadtbauamtes vom 17. Dezember 1946 im Visier, der den blockweisen und gesellschaftlichen Wiederaufbau der zerstörten Innenstadt von Nordhausen anregte. Hausbesitzer sollten sich in überschaubaren Häusergruppen nötigenfalls zwangsweise zur GmbHs formieren mit dem Ziel, der Stadtverwaltung nicht als Menge von Einzelbauherren gegenüberzutreten.481 Auch wenn schließlich der Generalbebauungsplan von 1947 nach dem Plan Gerd Offenbergs dem Stadtbauamt Nordhausen als Richtlinie für alle Maßnahmen diente, wurden erst 1949–50 abgestimmte Bauplanordnungen und Bebauungspläne für fünf Teilgebiete der Stadt festgelegt, die Nutzungen, Gebäudehöhen, Dachneigungen und Traufhöhen vorschrieben.482

4.1.4 Mahnen und Warten. Erste Bauten Am 21. Juni 1949 berichtet das Nordhäuser Stadtbauamt, dass 3.568 von 10.762 zerstörten Wohnungen wiederhergestellt seien, davon 71 neu gebaute. Neben der Wiederherstellung des neuen Rathauses, der Feuerwache, dem Schlachthof und einem Kinderheim seien 95% der Schäden an der Kanalisation repariert und 4.007.000 Mauersteine zur Wiederverwendung gewonnen worden.483 Die Jahre bis zur Republikgründung 1949 boten dennoch keine weiteren bemerkenswerten Beispiele des Nordhäuser Wiederaufbaus mit öffentlicher oder städtebaulicher Wirkung. Dass sich die Stadt Nordhausen dennoch langsam in eine Normalität zurückbewegte, ließ sich neben der unscheinbaren Wiederherstellung von Wohnraum sichtbar an öffentlichen Baumaßnahmen nachvollziehen. Als allererster Schritt begann drei Wochen nach der Kapitulation in den Räumen der amerikanischen Besatzerverwaltung die Schadensbehebung, wobei das Neue Rathaus von 1937 lange vor dem historischen Rathaus als Verwaltungsbau wieder eingerichtet war. Das Stadttheater Nordhausens, ein Bau des Neoklassizismus (1913–17), war eine jener Institutionen, die als erste wieder funktionieren sollte. Wie sehr es gleich nach dem Krieg einen Bedarf nach Theater als Kulturangebot gab, belegt der erste Spieltermin am 6. Oktober 1945 mit Molières „Der eingebildete Kranke“ in einem Ersatzbau, der als Privattheater betrieben wurde. Erst ab dem 1. Januar 1947 lag der 480 481 482 483

Ebd. StArNDH, Akte S 2807. Siehe Akte zu den Bebauungsplänen 1947, StArNDH, Akte S 2786. Vgl. Stadtarchiv Nordhausen 2003, S. 438.

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Spielbetrieb wieder in städtischer Regie.484 Das Theater als Bau war schon 1946 enttrümmert, das Haus selbst wurde jedoch erst am 15. Oktober 1949 mit „Figaros Hochzeit“ von Wolfgang Amadeus Mozart eröff net. Dass sich die bürgerlichen Kulturabsichten zugunsten der Massen des werktätigen Volkes verschieben wollten, zeigt der Wettbewerb zu einem Volkshaus in Nordhausen von 1947, dem eine eigene Erörterung im Zusammenhang mit dem Kulturhaus als neuem Bautyp gewidmet ist.485 Als 1949 die erwähnte zweite Ausstellung zum Schicksal der Stadt unter dem Titel „Nordhausen mahnt“ eröff net wurde, verhieß schon ihre Überschrift weniger ein Leistungspanorama als vielmehr eine psychologische Maßnahme, um einen neuen Bewusstseinsschub in der Bewohnerschaft auszulösen. Die Schau, die eine Gegenüberstellung mit dem Nordhausen, wie es war, zum Einstiegsmotiv machte, zeigte in ihrem Auf bau eine symbolische Gewichtung zwischen Vergangenheit und Zukunft. So wölbt sich in der Raumabfolge die Wirtschaft als Dach und Zielpunkt über die Nordhäuser Teilthemen der Zeit. Das Bauen, das offensichtlich noch kein ernst zu nehmendes Gegengewicht zum Verlustschmerz bilden konnte, ordnete sich unter eines der Sachkapitel, wie Kultur und Verkehr. Die Visionen zur weiteren Entwicklung fanden dennoch verbal ihre Form. Der dargelegte Grundtenor zur künftigen Gestalt Nordhausens war eine organisatorische Trennung der Stadt in funktionale Zonen. Die gewachsene heterogene Figur, d.h. das Verwinkelte seiner mittelalterlichen Anmutung, sowie die topografi sche Teilung der Stadt, begünstigten eine organisatorische Trennungsidee. Damit war man in einer Stadtvorstellung angekommen, die nicht mehr vorindustrielle Vorbilder pflegte, wie das noch Rappaport vor dem Ersten Weltkrieg getan hatte. Anlässlich der erwähnten zweiten Ausstellung zum Wiederaufbau formulierte das Begleitheft: „Für den Wiederaufbau unserer Stadt ist eine klare Trennung der Industrie-, Gewerbe-, Geschäfts-, Verwaltungs- und Wohngebäude geplant. Dabei ist die Oberstadt für Wohngebiete und die Geschäfts- und Verwaltungsteile vorgesehen [...] Grünflächen und Kleingärten trennen die einzelnen Stadtteile und umschließen neben Baumschulen und Großgärtnereien das gesamte Stadtgebiet.“486 Bemerkenswert ist, wie die zeitgleichen Gedanken der „Charta von Athen“ auch in Nordhausen eine scheinbare Entsprechung fi nden, auch wenn belegt ist, dass sich die 1943 veröff entlichte Schrift Le Corbusiers im deutschen Sprachraum erst viel später als Meinungsgut 484 Rat der Stadt Nordhausen 1950, S. 46. 485 Siehe Kapitel 4.2.4. 486 Stadt Nordhausen 1949, S. 14.

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durchgesetzt hat.487 Es ist sogar wahrscheinlicher, dass die von Schultze im Zusammenhang mit Nordhausen erwähnten Richtlinien für den baulichen Luftschutz des Reichsarbeitsministeriums vom 5. September 1942 Paten dieses Denkprozesses waren. Sehr unterschiedliche Motive mündeten in einem deckungsgleichen Erkenntnisstand mit dem Ziel, der industrialisierten Stadt eine entflochtene Figur zuzuweisen. Auch ohne visualisierte städtebauliche Planvorstellungen war die Schau „Nordhausen mahnt“ eine Maßnahme zur Öffentlichkeitsarbeit, bewirkte Meldungen in Radiosendungen und Wochenschauen, um die Sonderstellung Nordhausens unter den anderen thüringischen Städten hervor zu heben.488 In einem Spendenaufruf bat man offen um Hilfe.

4.1.5 Eine Stadt sucht sich selbst Als Maßnahme zur geistigen Stützung der allgemeinen Motivationslage in Nordhausen war auch die Einweihung des Mahnmals für die Opfer des Krieges auf dem Sockel eines ehemaligen Lutherdenkmals am 4. April 1950 zu werten. Anlässlich des fünften Jahrestages der Bombardierung, den sich die Stadt dazu zum Termin wählte, zeigte sich das Renaissancerathaus im Hintergrund immer noch als Teilruine.489 Die DDR war mittlerweile gegründet worden. Ihre Verfassung legte im Artikel 26 fest, jedem Bürger und jeder Familie eine gesunde und seinen Bedürfnissen entsprechende Wohnung zuzusichern.490 Planung und Baumaßnahmen unterstanden jetzt dem Ministerium für Auf bau, das mit weiteren Fachministerien kooperieren konnte. Erst das Auf baugesetz von 1950 gab eine übergreifende Strategie für die SBZ bekannt, die eine Reihenfolge der Auf baustädte festsetzte. Neben den grundsätzlichen Direktiven zu funktionalen und ökonomischen Aspekten war mit diesem Gesetz das „gesellschaftliche Verfügungsrecht über Grund und Boden“491 geregelt. Zur ersten Kategorie, noch vor Erfurt, Gera oder Jena, zählte in Thüringen Nordhausen, das als eines der wichtigsten Industriezentren der Republik bezeichnet wurde.492 Die Kriterien für den Rang einer „Auf baustadt erster 487 488 489 490 491 492

Vgl. auch Hilpert 1988, S. 24f. Vgl. Stadt Nordhausen 1949, S. 12. Siehe Junker 1996, S. 9. Siehe Sekretariat des Deutschen Volksrates 1949. Topfstedt 1979, S. 23. Vgl. Auf baugesetz: Gesetz über den Aufbau der Städte in der Deutschen demokratischen Republik und der Hauptstadt Deutschlands Berlin, 6. September 1950, Abschnitt I, § 2, vgl. auch Weißbarth, in: Deutsche Architektur 1/1965, S. 53.

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Güte“ wurden nicht allein vom Zerstörungsgrad bestimmt, sondern gründeten jetzt ebenso in ihrer geplanten wirtschaftlichen Bedeutung. Nordhausen sollte noch mehrere Jahre auf seine leere Mitte blicken. Im Jahr 1956 bemängelte der Nordhäuser Architekt Friedrich Stabe in einem Rückblick auf das Jahrzehnt nach 1945, dass erst jetzt die Stadtkernprojektierung ernsthaft begonnen würde, doch „leider immer noch in Teilbebauungsabschnitten ohne die große zusammenhängende Gesamtaufgabenstellung“.493 Stabes Kommentar sei hier erwähnt, weil er als Planer für die Nachkriegsarchitektur der Stadt prägend werden sollte. Seine Kritik an der Entscheidungsunschärfe fiel deutlich aus. Als Fachmann durfte er aussprechen, dass es endlich geboten sei, „anstatt der auseinander gepflückten Einzelbearbeitung an verschiedenen Stellen immer wieder die starke Zentralisierung aller Mitschaffenden unter erstklassiger Leitung am Ort zu fordern“.494 Seine Vorstellung war geleitet vom Ideal des großen Plans, dessen Urheberschaft ihm weniger wichtig schien als die Wirksamkeit seiner Durchsetzung. So nannte er begeistert das süddeutsche Vorbild, das in diesen Jahren die Fachwelt einte. „Das gern zitierte Beispiel Wiederauf bau Freudenstadt im Schwarzwald [ab 1949] als großartig gelungener künstlerischer Gesamtentwurf zeigt für den Fachmann deutlich die straffe künstlerische Handschrift eines oder einzelner vorzüglich abgestimmter Architektenpersönlichkeiten.“495 Stabe war nicht als einziger Architekt der DDR beeindruckt von der in Freudenstadt gewährten künstlerischen Freiheit eines Architekten oder Städtebauers im Auf bau einer zerstörten Stadt. Seine Begeisterung weist möglicherweise auf seine berufliche Prägung hin. Als junger Architekt des Jahrgangs 1912 hatte er seine Karriere im Nationalsozialismus 1937–39 im Büro des Berliner Olympiaarchitekten Werner March in Berlin begründet.496 Der Traum von der Stadt aus einem Guss nährte sich an Beispielen wie diesem, wobei der Geist, den eine solche Planung voraussetzte, jetzt nicht mehr die Direktive eines Feudalherren oder einer mächtigen Bürgerschaft war. Was Architekten wie Stabe über Zonen- und Systemgrenzen hinweg faszinierte, war die Tatsache, dass ein Architekt als planender Autor eine ganze Stadt durchdringt.497 493 Stabe, in: Thüringer Heimat 2/1956, S. 155. 494 Ebd., S. 153.; Manfred Nutz führt die Untätigkeit des Wiederauf baus auch auf die ständigen personellen Wechseln im ersten Nachkriegsjahr zurück, vgl. Nutz 1998, S. 54ff. 495 Ebd., S. 155. 496 Vgl. Personalbogen Friedrich Stabe, Nr. 1740 des BDA; ArchIRS. 497 In diesem Fall war es der Schmitthenner–Schüler Ludwig Schweizer, der 1949–1956 als Stadtbaurat in Freudenstadt für den Wiederaufbau der Stadt verantwortlich war.

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Nordhausen bietet nicht das einzige Exempel einer verzögerten Aufbauleistung in der SBZ/DDR. Sein Fall spiegelt die konkurrierenden Entscheidungsrichtungen hinter den Kulissen wieder, die zwischen lokalen Initiativen sowie der Landes- und Zonenpolitik schwankten. Als etwas Besonderes ist die Einflussnahme und Mitarbeit der Hochschule Weimar zu bewerten, die Nordhausen als städtebauliches Experimentierfeld begriff, um gleichwohl nicht den ersehnten Handlungsspielraum vorzufi nden. Die Planungsgruppe im Auftrag des Landes Thüringen war kein direkter Partner der Stadt. Viele Planungsbeteiligte wollten den Auf bau auf eine gut gemeinte breite Basis stellen und verunklärten dabei den Entscheidungsweg. Zusätzlich war das chronische Missverständnis zwischen der akademischen Motivation des Weimarer Modellentwurfs und den Betroffenen in Nordhausen unauflösbar. Die Nordhäuser Planungen haben nicht mit Erwartungen der Bewohner gerechnet. Dazu kommt, dass die Stadt keine Tradition einer städtebaulichen Großidee hatte, die im Bewusstsein verankert hätte sein können, wie eine Achse oder den großen Platz oder gar eine Planstadtidee, wie im zitierten Beispiel Freudenstadt. Schon allein Straßenverbreiterungen stießen in Nordhausen auf geringes Verständnis bei den Anliegern. Die Diskussion erreichte darum in den ersten Jahren nach 1945 selten ein reflektierendes Niveau zum Selbst- und Erinnerungsbild der Stadt. Eine grundsätzliche, geschweige denn vergleichende Debatte zum Maß des Neuen hatte nur einzelne Protagonisten. Eine breitere Auseinandersetzung fand weniger innerhalb der Bevölkerung statt als vielmehr im Austausch mit von außen hineingetragenen Vorschlägen. Schlichter Kapitalmangel ließen für zehn Jahre keine fl ächenhaften Auf bauprojekte in Nordhausen zu. Einen Wendepunkt markierte der Architektenwettbewerb 1953, der sich die gesamte Innenstadt zum Planungsgebiet nahm. Das Thema des „zentralen Platzes“ als politischem Stadtmittelpunkt, wie er nach 1950 in der ganzen DDR in Wettbewerben und Entwürfen auftauchte, prägte auch hier die Ergebnisse. Ein neuer Versammlungs- und Demonstrationsort sollte mit Kultur- und Stadthalle neben der historischenInnenstadt entstehen.498 Jetzt wurde der Rich-

498 Siehe Düwel; Durth; Gutschow 1999, Bd. 2, S. 75. Dort fi nden sich Perspektivzeichnung zum städtebaulichen Wettbewerb in Nordhausen 1953. Der 2. Preis ging an den Entwurf des Kollektivs von H. Räder. Er schlug ein Turmgebäude als vertikale Konkurrenz zur Stadtkirche vor. Vgl. auch N.N., in: Deutsche Architektur 3/1953, S. 102–105. Die Idee des zentralen Platzes nördl. des heutigen Kornmarkts wurde noch einige Jahre gehegt, in ihrer gewünschten Konsequenz jedoch nie verwirklicht.

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tungswechsel sichtbar, den die Architektur in den vergangenen Jahren vollzogen hatte. Die Entwurfsverfasser schlugen für Nordhausen vor, mittels Blockrandbebauung Straßenräume zu schließen und Plätze mit hervorgehobenen Monumenten zu besetzen, ohne dabei den alten Zustand der Stadt zu rekonstruieren. Zwar wurden die Wettbewerbspläne nicht direkt umgesetzt, dennoch folgten die ersten Bauten diesen traditionellen Bildern. So überlebte der stadtbaukünstlerische Ansatz aus den Plänen Offenbergs die Zeit des Abwartens und hat als Echo der „Stuttgarter Schule“ später die stadträumlichen Planungen der Zeit der „Nationalen Traditionen“ um Engelsburg und Lutherplatz vorbereitet. Darüber hinaus übte Nordhausens Leere bis in die Gegenwart eine Auff orderung auf Planer aus, die Stadt in Teilen wieder und wieder neu zu erfi nden.

4.1.6 Erfurts Transformation zur Hauptstadt Der preußische Regierungsbezirk Erfurt ging erst 1945 im Land Thüringen auf.499 Die Handels-, Messe- und Universitätsstadt Erfurt blieb als eine der wenigen Großstädte Deutschlands trotz Kriegszerstörungen in ihrer weitläufigen, mittelalterlichen Altstadt erhalten. Als größte Stadt des Landes und einzige metropolenähnliche Stadt der Region wuchs Erfurt schrittweise in die Rolle der Landeshauptstadt hinein. Ab 1948 wurden einzelne Ministerien von Weimar nach Erfurt verlegt. Die Bedeutung Erfurts als dem – von einer Residenz unabhängigen – Standort für die Landesregierung schien sich jetzt geradezu anzubieten. Mit dem Umzug des Thüringer Landtages am 15. März 1951 waren schließlich alle Landesbehörden in Erfurt angekommen.500 Damit löste sich Thüringen von einer langen feudalen Verwaltungstradition. Die Landesregierung residierte nicht mehr in ehemaligen großherzoglichen Prachtgebäuden, wie sie es in Weimar getan hatte. Sie brauchte vielmehr einen neu gebauten Ort der Repräsentation und der sollte gleichzeitig Ort einer neuen Art von Repräsentation sein. Das war umso schwieriger, weil der geplante Standort im Süden der Stadt in unmittelbarer Nachbarschaft eines jüngst errichteten, neuklassizistischen Behördenhauses der preußischen Bezirksregierung (1936–39 Arthur Reck, Wilhelm Pook) entstehen sollte. Auf die Planungsgeschichte der Landesbauten kann hier nur ein Ausblick gewährt werden. Ihre Erwäh499 Die Zusammenlegung war schon lange vor 1945 verfolgt worden, vgl. Broszat; Weber 1993, S. 172. 500 Vgl. auch Verlegung des Regierungssitzes nach Erfurt und die Bestimmung Erfurts als Landeshauptstadt; ThHStAW, Land Thüringen, der Ministerpräsident, 452, Bl. 140/5.

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nung ist dennoch wichtig, um eine Ahnung nachfolgender Diskussionen zu geben.501 Mit dem 1949 gegründeten staatlichen Landesprojektierungsbüro Thüringen bestand die offi zielle Arbeitsgruppe, der auch die Planung für die Landesregierungsbauten zustand. Die Zusammensetzung des planenden Teams wird später mit Egon Hartmann, Hartmut Schaub, dem zeitweiligen Gothaer Stadtbaurat, und Heinrich Weiss angegeben. Dass sich im Nachhinein die tatsächliche Autorenschaft in mehrfacher Hinsicht verwischte und umkämpft war, lag auch an dem enormen Renommee, welches die größte Thüringer Baustelle der damaligen Zeit umgab. Im Vorfeld des Projekts tobten erhebliche Begehrlichkeiten auf den Planungsauftrag. So wurden 1949 erste Ideen vom Landesprojektierungsbüro verfertigt. Dafür war zuvor u.a. der bereits genannte Weimarer Absolvent Egon Hartmann dorthin eingeladen worden.502 Sowohl die Hochschule Weimar als auch die Thüringer Architektenschaft drängten daraufhin auf einen Wettbewerb, um die Planungen des Landesprojektierungsbüros noch einmal der Diskussion auszusetzen. Obgleich in großer Eile bereits mit den ersten Bauarbeiten des Entwurfes von Hartmann und Weiß begonnen worden war, schürten die Wettbewerbsergebnisse vom April 1950 die Meinungsverschiedenheiten um die endgültige Form. Die Bauarbeiten wurden eingestellt. Propagierte im Wettbewerb der erste Preis des Weimarer Hochschuldozenten Hermann Räder die traufgleiche Arrondierung des Areals um die Behördenbauten der Dreißigerjahre und einen Hofraum, so kristallisierte sich in Hartmanns Gegenentwurf (3. Preis), einer Zeilenbaufigur, bereits die Akzentuierung durch ein Punkthaus heraus. Beide Städtebauvarianten wurden zur Ausarbeitung weiter beauftragt. Von einem langsamen Stimmungsumschwung zugunsten der Hochhausidee profitierten Hartmann und Schaub, die nach einer persönlichen Entscheidung durch den Ministerpräsidenten im Mai desselben Jahres mit der Weiterplanung betraut wurden.503 Das Hochhaus selbst wurde in den folgenden Monaten zum Indikator einer Debatte, die zahlreiche Reizthemen der Zeit aufwarf. Allein ein Hochhaus zu errichten, spiegelte sowohl das neue Selbstbewusstsein des Landes Thüringen, als auch den Geltungswillen der frisch gekürten Landeshauptstadt Erfurt 501 Der Planungsvorlauf und die Konfl ikte um das Behördenhochhaus wurden umfassend gesichtet, siehe Winkler, in: Thüringer Landtag 1994, S. 43ff., vgl. auch Düwel; Durth; Gutschow 1999, Bd. 1, S. 371. 502 Die persönliche Sicht Hartmanns auf den Verlauf von Planung und Bau des Erfurter Behördenhochhauses gibt sein Bautagebuch, das er kommentierend zusammengefasst hat, siehe Hartmann, in: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 5/2004, S. 26–29. 503 Vgl. Hartmann, in: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 5/2004, S. 26ff.

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Bild 38: Wettbewerbsbeitrag Egon Hartmanns mit einem noch bescheidenen Turmhaus am südöstlichen Grundstücksrand, 1950

wieder. Der aktuelle Eisenmangel gebot jedoch einen Mauerwerksbau, mit dem Resultat, dass allein die südliche Fensterfassade als Stahlbetonskelett ausgeführt wurde. Zusammen mit dem gläsernen Aufsatz der Dachetage trat das zehngeschossige Hochhaus konstruktiv aufgelöst und nüchtern in Erscheinung. Die lauernde Kritik, die sich um das Großprojekt aufgebaut hatte, machte eben diesen Umstand zum Präzedenzfall einer als unangemessen empfundenen Architektursprache. Ausgeführt in den Jahren 1950–51, begann sich der Betrachtungswinkel auf die Architektur des Hochhauses von einer reinen Länderangelegenheit auf eine nationale Ebene zu verschieben. Seit Februar 1950 war vom „Neuen Deutschland“ eine Kampagne in die Öffentlichkeit getragen worden, die einer „neuen deutschen Architektur“ galt. Zwar erfasste jene Auseinandersetzung den Erfurter Bau nicht direkt. Dennoch geriet gerade dieses Projekt in den Verdacht, den jüngst geschaffenen Ansprüchen an eine bildreiche, traditionsgebundene Baukunst nicht zu entsprechen. In seinem Beitrag zu Hermann Henselmanns erstem funktionalistischen Vorschlag eines Hochhauses an der Weberwiese lieferte der Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ Rudolf Herrnstadt die argumentativen Waff en für eine Auseinandersetzung, die den Ausdruck im Bauen für die gesamte SBZ defi nieren wollte. Was er als „wildgewordene Eierkisten“504 brandmarkte, zielte auf einen von ihm als gewissenlos klassifi zierten Funkti504 Herrnstadt, in: Neues Deutschland, vom 31. Juli 1951.

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onalismus eines Hochhauses, der in der Erscheinung sowohl den Ort als auch den Menschen missachte. Im direkten Bezug auf Herrnstadt reagierte die Thüringer Redaktion der Zeitung „Das Volk“ prompt, griff den Berliner Tenor auf und übertrug ihn auf thüringische Maßstäbe. Unter der Überschrift „Amerikanismus in der Landeshauptstadt Erfurt“ wurde dem Erfurter Gebäude ein Mangel an architektonischen Gliederungen und fehlende Rückbindung an die „Traditionen der Landeshauptstadt Erfurt“ vorgeworfen. Der Redakteur bemühte die Schreckvokabel des „Kosmopolitismus, der die nationalen Eigenarten der Völker aufzulösen bestrebt ist“505 und sah sogar die „Würde des neuen Menschen“ grundsätzlich im architektonischen Ausdruck verneint. Einige Wochen später, nach einer Menge von Leserbriefen, schaltete sich Fritz Heilmann, der Fraktionsvorsitzende der SED im Thüringer Landtag, in derselben Zeitung ein. Er bekräftigte, dass die Komposition des Behördenhochhauses weder baukünstlerisch sei, noch „einen Hauch des Geistes und des Lebens unserer neuen antifaschistischen Ordnung verspüren“506 ließe. Was ihn jedoch eigentlich verdross, war der Ruch des Schäbigen, dem die DDR in den Jahren nach 1950 schleunigst entkommen wollte: „Zu allem kommt noch: Das ‚Hochhaus’ sieht billig aus.“507

Bild 39: Behördenhochhaus Erfurt im Bau, 1951 505 Vgl. N.N., in: Das Volk, vom 7. August 1951. 506 Heilmann, in: Das Volk, vom 30. August 1951. 507 Ebd.

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Die Schärfe der Einwürfe vermochte weniger eine tatsächliche Auseinandersetzung um architektonische Formen zu transportieren. Vielmehr lassen sich die Polemiken als Folge der ohnehin vorhandenen Zweifel an einer Hochhausgeste im Erfurter Projekt erklären. Das Gebäude selbst macht noch heute trotz jenes gitterartig aufgelösten Fassadenteils einen stämmigen Eindruck. Mit seinen massigen Seitenteilen und dem natursteinverkleideten Sockel tritt der Verwaltungsbau in einer vorsichtigen Traditionalität auf und litt trotz der gewünschten innovativen Elemente unter einem baukonstruktiven und materialabhängigen Gestaltungszwang. Auch die dick profi lierte Flachdachkante macht keinesfalls den Eindruck einer beschwingten Moderne. So kann man den Architekten auf den ersten Blick jene traditionsvergessene Geisteshaltung schwerlich unterstellen, die den Wortführern der Gegenkampagne aufgefallen sein wollte. Der Fall des Erfurter Behördenhochhauses kam in der Außenperspektive vielmehr gerade recht, um im Umschwung zu einem nationalen Stilbekenntnis ein aktuelles abschreckendes Beispiel zu geben. Erklärungen des Landes Thüringen, man habe mit angemessenen Mitteln gebaut, trafen auf eine geänderte Stimmung. Den architektonischen Ausdruck mit den Maßgaben des Mangels zu erklären, stieß mit oder ohne Bekenntnis zu moderner Reduktion auf zunehmendes Unverständnis. So kommentierte Hanns Hopp von der Berliner Bauakademie am Ende der Debatte um das Erfurter Behördenhochhaus 1952 im „Neuen Deutschland“: „Heute zur Zeit der Fertigstellung [...] sind wir in der Theorie der Baukunst und ihrer praktischen Verwirklichung viel weiter.“508 Damit war gleichermaßen gemeint und gewünscht, dass die Zeit der Not, d.h. der zaghaften und materialdiktierten Kompromisse im Bauen, endgültig vorbei sein möge. Allein der Standort des Erfurter Projekts, weit entfernt vom Stadtzentrum, widersprach den mittlerweile ausgesprochenen „16 Grundsätzen im Städtebau“, die das Zentrum der Stadt als politischen Mittelpunkt defi nierten.

4.2 Umbau an Symbolen, Kultur- und Erbeorten Um einer Thüringer Eigenart auf die Spur zu kommen, lohnt die Betrachtung von Bauten, die einen besonderen Symbolgehalt über die Schwelle des Jahres 1945 transportieren mussten. Dabei zeigen sich geschichtliche Deutungstiefen, die dem Landstrich in wechselnder und seit dem 19. Jahrhundert in wachsender Stärke eine Trägerschaft national-kultureller Inhalte zusprechen. Der Blick auf diese Mitte Deutschlands verbindet 508 Hopp, in: Neues Deutschland, vom 24. Januar 1952.

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geschichtlich auseinander liegende Ereignisse, um sich auf der Folie einer nationalen Sicht zu einem Bild vom „Wertzentrum der Nation“ zusammenzusetzen. Diese „Mythen der Mitte“509 verknüpfen sich mit Orten, Ereignissen und realen Personen, wie Martin Luther oder Thomas Müntzer, Johann Sebastian Bach oder Johann Wolfgang von Goethe. Die Lokalisierung einer Mitte Deutschlands dehnt sich über die Grenzen Thüringens hinweg. Dennoch geraten Orte wie der Kyff häuser, der Harz und der Thüringer Wald oder die Wartburg mit ihren mehrschichtigen Bedeutungen in ein Verständnis, das ein Selbstbewusstsein zwischen dem bereits beschriebenen „Grünen Herzen“ und einer verdichteten Kulturlandschaft erlaubt. 510 Zusätzlich trat in Thüringen aufgrund der traditionellen Kleinstaaterei ein national formulierter Mitte-Gedanke nicht in Konkurrenz mit territorialen Ansprüchen eines größeren Königreiches, wie etwa in Sachsen. Das Gewicht Thüringer Symbolorte im Rahmen des Betrachtungszeitraums dieser Arbeit zu erfassen, muss auslassen, was die Verwurzelung, Genese und Weitergabe dieser Mythen betriff t. Wichtig ist jedoch, diese Facette einer Region zu integrieren, die als Kontinuum und als Gestaltungsaufgabe durch die Geschichte wirkt. Hier kann die Momentaufnahme der Jahre nach 1945 Aufschluss geben über Reflexe und schnelle Umorientierungen, über Bewusstseinswege, die von der Unsicherheit eines scharfen Wandels sprechen oder schließlich über Lesegewohnheiten, die dauerhaft weiterfunktionierten. Die Frage, welches symbolische und kommunikative Repertoire die SBZ als Ganzes einforderte, geht vielleicht sogar schon zu weit, weil diese Forderung so ausdrücklich noch nicht formuliert war. Dennoch lassen sich Perspektiven von Umdeutung und Erstdeutung verbinden und in den Zusammenhang mit offi ziellen Verlautbarungen stellen, die das Erbe sowohl aus der „bürgerlichen“ als auch „proletarischen“ Geschichte einschließen. So betonte der Dichter und Politiker Johannes R. Becher am 4. Juli 1945 bei der Gründung des Kulturbundes: „Dieses reiche Erbe des Humanismus, der Klassik, das reiche Erbe der Arbeiterbewegung müssen wir nunmehr in der politisch moralischen Haltung unseres Volkes eindeutig, kraftvoll, überzeugend, leuchtend zum Ausdruck bringen.“511

509 Dieser Forschungsbegriff hat sich in Publikationen niedergeschlagen, die einen Kulturraum von „Deutschlands Mitte“ als Ideengeschichte und Praxissphäre beschreiben, siehe Gibas 2003. 510 John, in: Gibas 2003, S. 110ff. 511 Zit. n. Schätzke 1991, S. 19.

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Den Auftakt des Kapitels bilden Denkmäler mit eindeutigen Symbolaufgaben. Der Interpretationswandel und architektonisch-künstlerische Umgang mit einem übernommenen Bildort, am Beispiel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf dem nordthüringischen Kyff häuser, illustriert reine Umcodierungsversuche ohne baugestalterische Idee, wie sie die SBZ an öffentlichen Symbolträgern unternehmen wollte und musste. Dem gegenüber stehen allererste Spielarten des gestalteten Gedenkens im Umfeld von Konzentrationslagern am Beispiel des Standorts Buchenwald bei Weimar. Hier gab es nach 1945 kaum einen Halt in Lesegewohnheiten. Mit der Kenntnis der monumentale Formgebung, die in der späteren DDR dem Gedenken um die Konzentrationslager zukam, wohnt man in den ersten Jahren nach dem Krieg der Geburt einer neuen künstlerischen und freiräumlichen Gestaltkategorie bei. Die Betrachtung widmet sich dann einem weiteren traditionellen Inhalt, der Weimarer Klassik und ihrer verortbaren Form. Die Jahre nach 1945 boten auch hier eine Gelegenheit, das unzweifelhaft Dauerhafte der Klassik einer neuen Sichtweise auszusetzen und besonders den 200. Geburtstag Goethes 1949 zum Anlass einer Standortbestimmung zu nehmen. Eine bautypologische Betrachtung vervollständigt schließlich den Blick auf neue Symbolanforderungen der Zeit. In der Idee vom Kulturhaus formulierte die SBZ eine erste eigene Baugattung, die zum Ausdruck einer radikal geänderten Gesellschaft werden sollte und sich dennoch in guter Gesellschaft übernommener Typologien befand.

4.2.1 Alte Denkmäler im Bedeutungswandel. Der Kyffhäuser Der Plötzlichkeit eines politischen Vorzeichenwechsels war ein Nationaldenkmal, wie das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Kyff häuser, besonders ausgeliefert. Seine Baulichkeiten von 1896 waren mit absichtlich schwerem Bedeutungs- und Deutungsballast beladen und hatten schon mehrere Interpretationswechsel hinter sich gebracht, deren letzter von den Nationalsozialisten vorgenommen worden war. Ein Denkmal, beauftragt von Kaiser Wilhelm I. (Regierungszeit 1871–88), das einem Staufer- und Hohenzollern-, einem Barbarossa- und Kaiser-Wilhelm-Kult gewidmet war, konnte in der SBZ mit einer nur mühsamen Übernahme in den Symbolkanon rechnen. Die monumentale Anlage, die einen ganzen Berg besetzt, war nicht auf die Schnelle umzuetikettieren. Die Eindeutigkeit der Bauplastik konnte nur schwer politisch oder baulich neutralisiert werden. 512 In der Direktive Nr. 30 des Alliierten Kontrollrates vom 13. Mai 1946 war die „Beseitigung deut512 Adam, in: Schmid; Keller 1995, S. 187.

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scher Denkmäler und Museen militärischen und nationalsozialistischen Charakters“513 ausgesprochen mit der Maßgabe diese Hinterlassenschaften „bis zum 1. Januar 1947 vollständig zu zerstören“.514 Dabei solle man sich der insbesondere der als militaristisch indizierten Epoche zwischen 1914 und 1945 annehmen. Im Fall des Kyff häuserdenkmals hatte man es zwar mit einem wesentlich älteren Denkmal zu tun. Dessen Nutzung im Nationalsozialismus hat ihm jedoch eine jüngste und problematische Verherrlichungsphase aufgebürdet. Auslöser eines Schlagabtausches zum Erscheinungszustand und zur Zu kunft des Denkmals war im Jahr 1949 eine Meldung des Kreisvorstandes der SED Sangerhausen an den Landesvorstand der SED, in welcher über sichtbare Versäumnisse bei der Tilgung des alten Denkmalcharakters am Kyff häuser berichtet wurde. Man wollte sogar Angestellte gesehen haben, die „in der Uniform des verflossenen Kyff häuserkriegerbundes ihren Dienst tun“.515 Nachdem der Meldeweg die Anwürfe an die Thüringer Regierungsstellen weitergeleitet hatte, antwortet das dortige Staatshochbauamt an den Kreisrat des Kreises Sondershausen.516 Zwar beteuerte man, dass „sämtliche nazistischen und militaristischen Merkmale entfernt“517 worden seien, dem Schreiben ist jedoch ebenso zu entnehmen, dass der aktuelle Zustand noch keine neue Lesart des Denkmals zuließ. So merkt der unterzeichnende Architekt Carl Schleicher an, dass man dem Thüringer Ministerium für Volksbildung vorgeschlagen habe, im Rahmen der Nationalen Front, das Denkmal als Mahnmal der deutschen Einheit umzugestalten. Die Veranlassung dazu gäbe die Tatsache, dass der Kyff häuserberg seit jeher als Berg der Deutschen bezeichnet würde und das Denkmal als Symbol der Einheit nach Gründung des 2. Reiches erbaut worden wäre.518 So einleuchtend das gewesen sein mag, die Diskussion, die noch kommen sollte, stellte das Denkmal wesentlich gründlicher in Frage und erhellt typische Denkrichtungen der Zeit. Ein interner Aufruf vom April 1950 an alle Referenten der Hauptabteilung Bauwesen im Ministe-

513 Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Nr. 1-11, 1945–46, dort Abs II. 514 Ebd. 515 Brief des Kreisvorstandes der SED Sangerhausen an den Landesvorstand der SED und u.a. an die Redaktion des „Neuen Deutschland“ vom 13. Juni 1949; ThHStAW, LaThMWA, 2928, Bl. 16. 516 Brief vom 28. Juli 1949 vom Thüringer Staatshochbauamt (gez. Carl Schleicher) an Kreisrat des Kreises Sondershausen; ebd., Bl. 16. 517 Ebd. 518 Es schreibt jener Architekt Carl Schleicher, der in weiteren Schriften den progressiven Charakter des Barbarossa-Denkmals unterstrich, vgl. Adam, in: Schmid; Keller 1995, S. 186f.

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rium für Wirtschaft und Arbeit bittet um Vorschläge zu einen umgearbeiteten Kyff häuserdenkmal.519 Ein Referent schlägt für den Standplatz des Kaiser-Wilhelm-Reiterstandbildes vor: „Aufstellung zweier Gestalten, Überlebensgröße. Die eine stellt einen Ruhrkumpel und die andere eine Bauersfrau, mit Ähren im Arm, dar, als Verkörperung von West und Ost, die sich die Hände reichen. Als Spruch am Sockel: ‚Ein einig Deutschland wollen wir sein’.“520 Ein anderer Referent empfiehlt, „diese Zeugen einer Vergangenheit ganz abzubrechen und die Stelle einzuplanieren.“521 Als schließlich die „Volkseigene Handelszentrale Schrott“ für die Verschrottung der Metallanteile des Denkmals aufgrund knapper „BuntmetallKontingente“522 plädiert, donnert der Ministerpräsident der im Vorjahr gegründeten DDR, Otto Grotewohl höchst selbst, an den thüringischen Ministerpräsidenten Werner Eggerath: „Eine Verschrottung des Kyff häuserdenkmals kommt zur Zeit nicht in Betracht.“523 Wie schwer verdaulich das Ensemble auch in den folgenden Jahrzehnten geblieben ist, zeigt sein unveränderter Zustand, der erst in den Sechzigerjahren zugunsten einer ideologischen oder erzieherischen Aussage angepasst wurde.524 Dass in den ersten Jahren nach dem Krieg mehr gedacht als getan wurde, lag in diesem Fall an der massiven Präsenz der Anlage, die mehr war und noch ist als ein repräsentierendes Denkmal. Der überformte Berg steht für eine Natur-Skulptur-Inszenierung, bei der die beigegebenen Signets fast eine Nebenrolle spielen. Das Beispiel des Kyff häuserdenkmals kann im Rahmen dieser Arbeit als Exkurs gelesen werden, wie die SBZ auf massive und schwer manövrierbare Symbole und Symbolträger traf. Dem Temperament der ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war es geschuldet, dass man sich eine punktuelle, auf Zusatztafeln reduzierte Umwidmung, wie sie später stattfi nden sollte, nicht vorstellen konnte. Kunstgebilde, wie das Kyff häuserdenkmal, bedurften einer

519 Aufruf von Hauptabteilungsleiter Heß an alle Referenten der Hauptabteilung Bauwesen im LaThMWA im Haus, vom 5. April 1950; ThHStAW, LaThMWA, 2928, Bl. 20. 520 Interner Briefverkehr vom 14. April 1950; ebd., Bl. 22. 521 Interner Briefverkehr vom 20. April 1950 an Hauptabteilungsleiter Heß von Fritsche, ebd., Bl. 23. 522 Abschrift eines Briefes vom 7. November 1950 an das Ministerium für Volksbildung; ThHStAW, LaThMdI, 949, Bl.31. 523 Brief Otto Grotewohl an die Thür. Landesregierung, Ministerpräsident Eggerath vom 22. Januar 1951; ThHStAW, LaThMWA, 2928, Bl. 25. 524 Vgl. auch Gottwald, in: Mai 1997, S. 256ff.; erst später ergab sich eine dazu gefügte Umwidmung, die den Kern der Anlage als Zeitbeispiel einer früheren, überwundenen Denkmalspraxis belässt, vgl. Adam, in: Schmid; Keller 1995, S. 185ff .

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längeren Bedenkzeit, um sich von der nationalistischen bis nationalsozialistischen Hypothek zu distanzieren. Die Frage nach den Denkmalsabsichten der SBZ lässt sich an einem zweiten Themenkomplex, dem der Denkmalsinhalte ohne Vorbilder, weiter vertiefen. An Gedenkorten der nationalsozialistischen Verbrechen musste meist schnell und eindringlich reagiert werden. Ohne ein Bildprogramm zu kennen, mussten dennoch Bilder bemüht werden. Im Rückblick wird off ensichtlich, dass hier die Fundamente neuer nationaler Monumente gelegt wurden.

4.2.2 Neue Denkmäler um neue Inhalte. Buchenwald Wie sich Thüringen zum Ausweichterrain, zum Hinterland kriegswichtiger Produktion im Deutschen Reich entwickelt hatte, wurde im Zusammenhang mit der Stadt Nordhausen und dem nahen Konzentrationslager MittelbauDora angesprochen. Um das Lager Buchenwald war ein Netz von Arbeitslagern geschaffen, das dem Land mit dem Zusammenbruch eine düstere Hinterlassenschaft beschert hat. Die Wirklichkeit der Lager zu erfassen, d.h. in ihrem technischen Kalkül, in ihrer menschlichen Tragödie und in den offenen Fragen an einen Zivilisationsbegriff, ist wieder und wieder versucht worden, gerade aus dem wachsenden zeitlichen Abstand zum Geschehen. Ein Blick auf die Außenlager Buchenwalds verweist außerdem auf eine Zentralplanung, die mit der nationalsozialistischen Ausbeutung von Arbeitskräften und Rohstoffen die Grenzen Thüringens sprengte. Von Interesse in dieser Arbeit ist die gestaltete Verdinglichung des Vorgefallenen an eigens dafür erklärten Gedenkorten unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Die erste Memorialpraxis an den Lagern soll als Erklärungslinie dienen, wie in der SBZ und stellvertretend in Thüringen mit neuen Symbolorten verfahren wurde. In diesem Fall ging es nicht darum, übernommene Symbole neu auszulegen. Diese Dimension des Gedenkens hatte wenige Vorbilder. Seine Tragweite hingegen musste einen umgehenden greif baren Niederschlag an den Orten des Verbrechens fi nden. Das war umso mehr geboten, als dass die Namen von Buchenwald und Dora ein weltweit wahrgenommenes Bild des Grauens vermittelt hatten und mit Weimar und Thüringen assoziiert wurden. Das ehemalige KZ Buchenwald war nach seiner Befreiung bis 1949 ein „Speziallager“ der Sowjetischen Militärregierung und kam vorerst als Ort einer Memorialsetzung mit entsprechender Denkmalsarchitektur noch nicht in Frage. Die Suche nach einem Gedenkort für das Lager wurde jedoch spätestens zum ersten Jahrestag der Befreiung virulent. Hier taucht wieder der Name Hermann Henselmann im Zusammenhang mit der Frage auf, wie ein

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Gedenken für Buchenwald auszusehen und wo es zu wirken habe. Er war es, der einen Gegenentwurf zu jenem diskutierten Vorschlag lieferte, neben der Fürstengruft in Weimar, wo auch Goethe und Schiller begraben sind, ein Mahnmal einzurichten.525 Seine erste Idee darauf, das unvollendete Weimarer „Gauforum“ der Nazis (Architekt: Hermann Giesler, 1939–44) zum Ort eines Denkmals umzugestalten, wurde nach der Übernahme der dortigen Verwaltungsbauten 1945 durch die sowjetischen Besatzer unmöglich. Der ersten Jährung der Befreiung wurde darum am MärzgefallenenDenkmal von Walter Gropius auf dem Weimarer Hauptfriedhof gedacht. Nach der Schleifung in der Zeit des Nationalsozialismus war es erst in diesem Jahr wieder aufgebaut worden. Mit diesem Denkmal suchte man bewusst oder unbewusst eines der wenigen jüngeren Vorbilder für eine abstrahierende Gedenkplastik auf.526 Zur Feier des zweiten Jahrestages, am 11. April 1947, wurde ein wiederum von Hermann Henselmann entworfenes Denkmal auf dem Goethe-Platz in Weimar aufgestellt, ein plastischer Dreiflächner in Form eines auf die Spitze gestellten roten Dreiecks. Das war ein Versuch, aus einem zweidimensionalen Signet ein körperhaftes und plakatives Symbol zu machen, das groß und hoch werden sollte und doch nur so

Bild 40: Das zweite Buchenwalddenkmal (Architekt: Hermann Henselmann), wurde zu den ersten Jahrestagen der Befreiung aufgebaut.

525 Vgl. Lüttgenau, in: Ehrlich; Mai 2000, S. 364f. 526 Vgl. Knigge 1997, S. 18.

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groß wurde, wie es aus Latten und Tuch eben machbar war. Dahinter stand die Idee, dem dreiseitig aufgesetzten Wort „ Buchenwald“ einen Sockel zu geben. Dieses bespannte Gerüst wurde als saisonales „Leicht-Denkmal“ noch mehrere Jahre am Gedenktag im April aufgebaut. Der Wille zu einer dauerhaft suchtbaren Geste, einer ganzjährigen Gedenkstätte führte zu weiteren Gestaltungsversuchen. Es musste jedoch erst eine direkte Mitteilung Walter Ulbrichts im Jahr 1949 erfolgen, nach der das kaiserzeitliche Bismarckdenkmal in der Nähe des Buchenwalder Friedhofs gesprengt werden sollte, um damit den Gedenkort genauer einzugrenzen.527 Dort an der Südseite des Ettersberges sollte noch im selben Jahr der Weimarer Professor Siegfried Tschierschky im Auftrag seiner Hochschule einen „Ehrenhain“ planen. Sein Konzept sah ein 20 Meter hohes, rotes Stahlbetondreieck vor, das aus dem Gräberfeld am Ettersberg aufragen und nachts beleuchtet sein sollte.528 Auch diese Variante verwendete ein Dreieck, das von den Nazis eingeführte Signet des roten Winkels für KZ-Gefangenen, und kategorisierte damit alle Toten zu politischen Häftlingen, d.h. zu „antifaschistischen Widerstandskämpfern“. Seine in ein Großzeichen übersetzte Konstruktion, mit einem dreieckig gefüllten Schriftfeld hätte ein fortgeschrittenes Symbolverständnis beim Betrachter voraus gesetzt und sich mit der Näherung über einen „Pilgersteig“ als einem säkularen Passionsweg gemischt. Der Parkentwurf des Landschaftsarchitekten Rudolf Ungewitter hätte eine spielerische Parklandschaft um die Denkmalsachse gelegt.529 Tschierschkys Denkmalsentwurf war zu sehr ein reduziertes, auf Fernwirkung programmiertes Zeichen, und nachts ein reines Licht-Logo, als dass er den bald folgenden monumentalen und bildbetonten Denkmalswünschen hätte entsprechen können. Der Entwurf wäre tags Altar und nachts Leuchtfeuer gewesen und lag dabei fern eines Abbildes. Vielmehr wäre die Inszenierung eine symbolische Abkürzung gewesen. So geriet Tschierschkys Idee in einen Stimmungsumschwung nach 1950, in welchem einerseits die generelle Finanzierbarkeit des Denkmals anzweifelt und andererseits seine Gestalt in den Verdacht gebracht wurde, zu „formalistisch“ zu sein. Der Schmähbegriff des „Formalistischen“ umschrieb auch hier, wie z.B. bei der als nächstes zu schildernden Innengestaltung des Weimarer Theaters, ein offi zielles Unwohlsein an künstlerisch allzu autonomen Äußerungen, denen man die Rückbindung in einem Kanon absprach, welcher sich gleichzeitig zu festigen begann. 527 Vgl. Lüttgenau, in: Ehrlich; Mai 2000, S. 365. 528 Vgl. Knigge, in: Bauwelt 39/1995, S. 2259. 529 Vgl. Knigge 1997, S. 27; weitere Unterlagen, siehe: ThHStA, 2917.

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Bild 41: Denkmalsentwurf für Buchenwald von Siegfried Tschierschky. Modelle des Ehrenhains

Ende 1951 bereitete der Wettbewerb um die Gedenkstätte Buchenwald deren spätere Rolle und Wirkung als nationale Gedenkstätte vor. „Abstrakte Formen“ wurden in den Ausschreibungsunterlagen jetzt als Ausdruckswerkzeug dezidiert ausgeschlossen.530 Den beschriebenen Entwürfen, sowohl dem Henselmann’schen Provisorium als auch dem Plan Siegfried Tschierschkys, kann man aus der heutigen Perspektive eher eine gestalterische Unbeholfenheit als den selbstbewussten Umgang mit einem abgesicherten Formenrepertoire nachsagen. Dass immer wieder das Dreieck als ikonografi sches Kernelement zum motivischen Vehikel des KZ mutierte, wo es doch gleichzeitig nichts anderes war als eine direkt übernommene Markierung aus dem grafi schen Auftritt der Nazis, zeugt von der Unsicherheit der Aufgabe gegenüber. Andererseits steht das Dreieck auch für die halbherzige Überzeugung, mit Hilfe einer geometrischen Abstraktion eine irgendwie zeitgemäße, nicht-figurative und damit nicht pathetisch-militaristische Bildsprache getroff en zu haben. Dass die ersten Jahre nach 1945 außer Temporärem und Skizziertem kein bleibendes Denkmal für den Massenmord der Nazis hinterlassen haben, spricht besonders für eine Phase des Abwartens. Die Zeit war noch nicht reif, dem Vergangenen und dem Unaussprechlichen eine gesicherte Erinnerung zu geben, welche gleichzeitig Trauer und Mis530 Vgl. Knigge 1997, S. 55.

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sion ausdrücken wollte. Für die Trauer fehlte der zeitliche Abstand und für die Mission der gefestigte ideologische Rahmen. Ein Seitenblick auf Mittelbau-Dora, das zweite große Lager in Thüringen, zeigt eine gebaute Memorialkultur mit größerer Verzögerung. Auch wenn in Dora ebenfalls vereinzelte, improvisierte Gedenkaktionen stattgefunden haben – dort beging man den ersten Jahrestag der Befreiung ebenfalls am 11. April 1946 – gab es bis 1966 keine ähnlich kontinuierlichen Gestaltversuche zum Gedenken an den Ort und die Ereignisse wie in Weimar. Zwar beschloss die Stadtverordnetenversammlung von Nordhausen am 22. Januar 1948 Mittel für die Errichtung eines Ehrenmals im ehemaligen Konzentrationslager, doch abgesehen von sporadischen Gedenktagen wird sich dort erst 1964 eine Gedenkstätte etablieren.531 Nur indirekt wurde schon 1946 ein erinnernder Verweis auf das KZ in Form der Personalehrung für den dort ermordeten Kommunisten Albert Kuntz gegeben. Die drei Quader, die an Kuntz erinnern sollten und die auf dem Bahnhofsplatz Nordhausens in einer Dreiecksfigur angeordnet wurden, entstammten dabei sogar einem Denkmal für die Nazi-Märtyrer Leo Schlageter und Horst Wessel aus der Zeit vor 1945. Die umweglose Wiederverwertung eines Denkmals war eine pragmatische Antwort auf den Materialmangel der Zeit und überdies eine Umetikettierung ohne Berührungsangst. Die Erinnerungsorte um ehemalige Konzentrationslager durchliefen erst in den kommenden Jahrzehnten eine Metamorphose von den Feierstätten der Jahrestage zu den Räumen des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses. Das Denkmal als Baugattung ist kein losgelöster Träger abstrakter Inhalte oder ein reines Propagandainstrument. Es ist „eingebunden in konkrete gesellschaftliche Beziehungen“532 , wie es Charlotte Tacke für nationale Symbole beschreibt. Wo dieser Beziehungswechsel nachvollzogen oder eine neue Beziehung ausgelegt wird, kann man an den beschriebenen Fällen im Scheitern oder Glücken beobachten. Mit der Republikgründung begann sich eine gefestigtere und Stein gewordene Sichtweise auf Gedenkinhalte zu entwickeln, die dann eine staatstragende Sichtweise war. Gerade die Architektur des Gedenkens nach 1950 band sich besonders fest an Würdeformeln der „Nationalen Traditionen“, weil ihre Inhalte Teil eines nationalen Bildes wurden .

531 Vgl. Stadtarchiv Nordhausen 2003, S. 430. 532 Tacke 1995, S. 51.

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4.2.3 Klassisches Erbe in neuer Form. Das Weimarer Nationaltheater Einen unangefochtenen und ungebrochenen Gehalt des nationalen Erbes repräsentierten Bauten der klassischen Kulturpflege auch nach dem Krieg. Theater-, Konzert- und Klassikerstätten standen geradezu für den unbescholtenen Teil menschlicher Zivilisation, dessen Wiederfunktionieren es vordringlich zu sichern galt. In einem Schreiben im September 1947 an die Stadträte der Stadtkreise, Kreisräte der Landkreise und Staatshochbauämter verwies das Thüringer Ministerium des Innern darauf, dass gemäß dem Befehl der SMAD vom 16. Mai 1947 und dem Befehl vom 30. Mai 1947 nur die Ausführung gezielt benannter Bauten gestattet würde. Das Schreiben nannte die Theater von Weimar, Erfurt und Altenburg, um dann im Weiteren erstaunliche Verbote auszusprechen: „Die Ausführung von neuen Wohnbauten kann noch nicht gestattet werden, da, laut statistischen Angaben des Amtes für Kommunal- und Bauwesen in Thüringen, auf jeden Menschen 9,65 qm Wohnfl äche entfallen, was vollkommen hinreichend ist.“533 Ebenso würde „der Bau neuer industrieller Objekte [...] durch keine Notwendigkeit hervorgerufen“.534 Bauprojekte über 100.000 Reichsmark würden untersagt, sofern sie nicht den aufgeführten Prioritätsmaßnahmen entsprächen.535 Gerade das beschleunigte Wiedererrichten zerstörter Theaterbauten suchte die öffentliche Wirkung darin, Kultur trotz eingeschränkter Lebensverhältnisse wieder zugänglich zu machen. Das Theater übernahm eine frühe Rolle, noch ehe z.B. neue Filme produziert waren, Zeitthemen aufzugreifen, wie z.B. die Dilemmata der Kriegsheimkehrer, der Täter und Opfer des Nationalsozialismus. Das Theater sollte schließlich auch architektonisch in der Lage sein, den eingeschränkten Lebensverhältnissen Aspekte des Erhebenden und Erhabenen entgegenzusetzen. Das Nationaltheater Weimar, von Bomben im Inneren getroff en, war zum 199. Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes am 28. August 1948 wieder bespielbar. Man eröff nete das „erste wiedererbaute Theaterhaus in Deutschland“536 mit „Faust I“. Das Haus, 1906/07 in Renaissanceformen errichtet, wurde 1919 als Ort der Weimarer Nationalversammlung bekannt. 533 Anweisung vom 17. September 1947 vom Ministerium des Innern an alls Stadträte der Stadtkreise, Kreisräte der Landkreise und Staathochbauämter, es zeichnete der Chef der Verwaltung der SMA Thüringen, Garde-Generalmajor Kolsnitschenko; ThHStAW, LaThMWA, 3049, Bl. 192. 534 Ebd. 535 Ebd. 536 Erpenbeck, in: Neue Bauwelt 41/1948, S. 646.

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Bild 42: Das Innere des Weimarer Theaters nach der Wiederinstandsetzung 1948

An den Wiederauf bau des Hauses knüpfte sich der Wunsch „daß aber in den Formen aufgebaut werden musste, die den Forderungen eines erneuerten, zukünftigen, fortschrittlichen und sozialen Humanismus‘ entsprechen [...] müssen“.537 Gefragt war eine Modernisierung auf der Höhe der Zeit.538 Das schloss mit ein, dass alle Zeichen ehemaliger höfi scher Pracht oder gebauter Klassenunterschiede zugunsten eines einheitlichen Raumgefühls beseitigt werden sollten. Darunter fiel auch die herzogliche Loge, die 1939, über eine Freitreppe erschlossen, zur Führerloge umgebaut worden war. Der Wegfall der mittig im Foyer gelegenen Treppe erweiterte den Eingangsbereich entsprechend. Die Autoren des Weimarer Theaterumbaus wurden als „Wiederauf baukollektiv“ bezeichnet. Dennoch lassen sich Personen identifi zieren. Der Berliner Professor Kurt Hemmerling war verantwortlich für die Ausführung des Gesamtbaus, einschließlich des Bühnenhauses. 539 Der Architekt Werner Harting, der von Hermann Henselmann als Professor nach Weimar geholt worden war, wurde mit der Innenraumgestaltung beauftragt.

537 Spieß 1948, S. 38. 538 Eine genaue Beschreibung des Wiederaufbaus nach Bauakten und Planunterlagen in seinem Ablauf liefert Silvia Hoyme, vgl. Hoyme, in: Winkler 2005, S. 92–106. 539 Hemmerling war vor dem Krieg u.a. Technischer Direktor der Städtischen Oper Berlin, Charlottenburg.

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Er verzichtete in seinem Entwurf auf „dekorativ aufgetragene Ornamentik“540 und staffelte den Zuschauerraum in Segmenten, die Wand und Decke zu einer Einheit zusammenfassten. Lampenlicht wurde zur Tiefensteigerung in den abgesetzten Fugen bewusst als „Bauelement des zwanzigsten Jahrhunderts“541 eingesetzt. Harting hat in diesen Jahren als Theaterarchitekt mehrfach auf sich aufmerksam gemacht. Er reichte ebenfalls 1948 einen Entwurf zum Ausbau der Berliner Volksbühne ein, der nicht nur den Gedanken einer in den Zuschauerraum eingezogenen Raumbühne konsequent integrierte, sondern durch ein geändertes Prinzip des Eisernen Vorhangs auf das Bühnenhaus verzichten konnte.542 Ein weiterer Beitrag zum Wiederaufbau des Berliner Schillertheaters fiel durch einen noch konsequenteren Versuch auf, Bühne und Zuschauerraum zu verbinden.543 Auch wenn das Weimarer Theater ein Rangtheater blieb, wollte man im Verhältnis von Zuschauer und Bühne fortschrittliche Wege gehen und sah vor, die Bühne als Raumbühne über den abgedeckten Orchestergraben mit einer zweiten Vorhangebene erweiterbar zu machen. Mit diesem Ansatz zum „Raumtheater“, Henselmann nennt es sogar „Totaltheater“544, verhalf man Theaterreformideen der Zwischenkriegszeit zu einem späten und abgemilderten Einzug in einen Theaterraum der Jahrhundertwende, wenngleich eingeräumt wurde, dass traditionelle, klassische Stücke die Guckkastenbühnen mit dem Graben als Grenze bräuchten. Im Foyerbereich galt es die Neugestaltung ebenso sichtbar werden zu lassen. Neben der Beseitigung von Dekoren wurden die mit Mosaiken belegten Stützen zum Träger abstrahierender Collagen in plastischen Rundbildern. Bruno Quaß und Prof. Hermann Kirchberger, beide an der Weimarer Hochschule tätig, entwarfen die Mosaikarbeiten und Wandmalereien. Das große Wandbild im Foyer des dritten Ranges von Hermann Kirchberger geriet schon 1950 im Rahmen der „Formalismusdebatte“ in die Kritik. Der Anwurf des Formalismus, wie er bereits im Zusammenhang mit Tschierschkys Buchenwalder Gedenkstättenentwurf angeklungen war, sollte in den ersten Jahren der DDR eine Hexenjagd auslösen, die jede künstlerisch auff ällige Gestaltäußerung in den pauschalen Verdacht rückte, vom Primat eines „Sozialistischen Realismus“ abzuweichen. Als Folge einer an die Sowjetunion angeglichenen Kulturpolitik erwiesen sich Wandbilder, wie

540 541 542 543 544

Spieß 1948, S. 43. Vgl. ebd. S. 43. Vgl. Bonatz, in: Neue Bauwelt 25/1948, S. 389–393. Vgl. Bonatz, in: Neue Bauwelt 42/1948, S. 665. Vgl. Henselmann, in: bildende kunst 1/1947, S. 9–13.

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Bild 43: Das umstrittene Wandbild im Weimarer Theaterfoyer, das 1950 wieder abgenommen wurde.

der Kirchbergersche Beitrag, als besonders exponiert. Befeuert durch eine bereits seit der Installation des Wandbildes schwelende Meinungstendenz stand Kirchbergers Bild bald einer Kritik gegenüber, die sich gezielt einer über die Presse kommunizierten Volksmeinung bediente.545 Das Weimarer Wandbild wurde im Juli 1950 abgenommen. Kirchberger gab 1951 sein Lehramt an der Hochschule Weimar auf und siedelte nach Berlin-West um. Mit edlen Zitronen- und Makassarholzdetails spiegelte der Weimarer Bau die materielle Wirklichkeit der Zeit tatsächlich nicht wieder. Dazu lag eine zu große Aufmerksamkeit auf einer Institution, deren Leitung Goethe selbst mehr als 25 Jahre innehatte. Auch trägt der Bau als Rangtheater trotz der Umbauversuche den geänderten gesellschaftlichen Randbedingungen nur ungenügend Rechnung. Dem zeitgleich gebauten „Nottheater“ in Halberstadt, Sachsen-Anhalt (Architekt: Alfred Ludwig 1948), wird diese Eigenschaft in der zeitgenössischen Kritik schon eher zugestanden, ersetzt es doch jegliche dekorierende Hülle oder Schallverkleidung durch nichts als ein strukturiertes Oberflächenbild aus versetzt gemauerten Trümmerziegeln. Die „Neue Bauwelt“ lobte an Alfred Ludwigs Bau den parabelförmig ansteigenden Zuschauerraum mit gleichen Sichtbedingun545 Martin Schönfeld erläutert, wie gerade der gezielte Botschaftswille des Wandbildes, einem künstlerischen Lieblingsmedium der SBZ, zum Anlassgeber der „FormalismusDebatte“ wurde, vgl. Schönfeld 1996, S. 451ff.

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Bild 44: Das Innere des Halberstädter „Nottheaters“, 1948

gen und setzt diese sichtbar klassenlose Raumkategorie in Beziehung zu den klug verarbeiteten, aber weniger edlen Baustoffen, die allein durch Licht-Schattenwirkung ihre Festlichkeit bezögen.546 Der publizistische Standpunkt zu diesem Parallelbeispiel sei hier deshalb erwähnt, weil der Kommentator die Halberstädter Angemessenheit u.a. explizit gegen das Weimarer Theater verteidigte: „Damit darf aber Halberstadt für sich in Anspruch nehmen, im Gegensatz zum Nationaltheater in Weimar und zu den Planungen der Volksbühne und des Schillertheaters in Berlin, ein rangloses und damit ein echtes Volkstheater verwirklicht zu haben.“547

4.2.4 „Entgiftung“ und „Entprovinzialisierung“. Goethe und das Jahr 1949 Die Anreizwirkung des 199. Geburtstages Johann Wolfgang von Goethes gab den Grund für die pünktliche Eröff nung des Weimarer Theaters. Mit den Vorbereitungen zu Goethes 200. Geburtstag im Jahr 1949 stand für das gesamte Nachkriegsdeutschland ein umso wichtigeres kulturelles Stichdatum in Aussicht, das die Wiederauf bau- oder Instandsetzungsarbeiten an den Wirkungsstätten des Dichters sowohl in der SBZ als auch in den Westzonen unter ungeheuren Zeitdruck setzte. In Weimar wurde 546 Vgl. Ludwig, in: Neue Bauwelt 49/1948, S. 781f. 547 Ebd.

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das stark beschädigte Goethehaus am Frauenplan bis 1949 rekonstruiert. Das ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Goethe-Nationalmuseum öffnete schon am 28. August 1945 unter dem damaligen Leiter Hans Wahl seine Pforten. Auch Wahl, der das Haus seit 1918 geführt hatte, suchte jetzt das Zeitlose im Werk Goethes zu betonen. Mit Goethe verbinde man die alles überstrahlende „Ehrfurcht vor dem großen Menschentum“.548 Wie sehr man gerade im Anblick der zerbombten Goethe-Stätten Weimars der Instanz des Dichters vertrauen solle, formulierte Wahl in seinem Wunsch, dass „das geistige Erbe Goethes in seiner [...] beglückenden Wirkung durch keine Macht der Erde zerstört werden [kann]“.549 An der Person Goethes, seinem Werk oder sogar der gesamten Klassik konnte eine entpolitisierte Sehnsucht nach dem Überzeitlichen ihren Halt fi nden, die nicht nur in der bereits beschriebenen Sedlmayerschen Beschwörung des „ewigen Gehalts“ eine zeitbedingt schwärmerische Konjunktur hatte. Umso folgerichtiger schien es darum, dass mit dem Neuaufbau eine gründliche Neukonzeption des Goethehauses im Inneren vollzogen wurde, die eigentlich eine „Altkonzeption“ war. Angestrebt wurde ein historisch detailgenauer Zustand, der nicht einmal vor der Zerstörung bestanden hatte: „Kein Möbel, kein Kunstgegenstand fand Aufnahme, der nicht ursprünglich dort gewesen war.“550 Enthusiastisch bemüht sich der Innenraumentwurf, den Urzustand des klassizistischen Interieurs zu zeigen. Einerseits gönnte man sich damit eine unbewusste Gegenwartsablehnung, indem man sämtliche Nutzungsspuren der vergangenen 100 Jahre tilgte. Andererseits kam es dem Bedürfnis nach dem Schlichten und Unpompösen geradezu entgegen, den Dichterfürsten als Vorreiter einer zeitlosen Sachlichkeit zu präsentieren, die sich über anmaßende Dekorationen aller Art erhebt. Wenn zeitgenössische Kommentatoren das Arbeitszimmer Goethes als „Umgebung von schlichtester Einfachheit und vollkommener Neutralität“551 bejubeln, so stellte sich über den Umweg der wieder hergestellten Innenräume im Weimarer Goethehaus abermals die Sehnsucht nach Reduktion und Verwesentlichung ein, die sowohl das Geistesleben als auch den Gestaltungswillen der Jahre nach 1945 durchwehte. Auch in den Westzonen standen vorbereitende Baumaßnahmen zum Goethejahr an. Die vermeintliche Rückkehr zum Original löste im Fall des Goethehauses in Frankfurt a. M. eine leidenschaftliche Kontroverse aus. Der 548 549 550 551

Zit. n. Neumann 1998, S. 247. Ebd. Dexel, in: Bauen und Wohnen 4/1949, S. 154. Ebd., S. 157.

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Wiederaufbau des Geburtshauses Goethes, wo man die Bauarbeiten ebenfalls unter Zeitdruck bis zum 200. Geburtstag 1949 abschließen wollte, geriet zur Rekonstruktion aus reinen Trümmern. Wesentlich lauter als in Weimar entstand in den Westzonen eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit, wie weit man versunkene Bauwerke wieder herstellen dürfe. Der Publizist Walter Dirks warf der Frankfurter Rekonstruktion die Ehrlosigkeit eines Fälscherkunststücks vor, das angesichts der flächendeckenden Trümmerlandschaft besonders verlogen wirke.552 Die Thüringer Diskussion zur Form im Wiederaufbau des Goethehauses war dagegen nicht sehr lebhaft, zumal die komplette Renovierung der Wohnräume Goethes erst 1956 abgeschlossen sein würde. Auch repräsentierte nicht nur ein einziges Gebäude Goethes Gegenwart in Thüringen. Vielmehr wollte man sich 1949 auf das internationale Interesse vorbereiten, das sich anlässlich der Goethefeiern auf Weimar und Thüringen konzentrieren würde. Der Weimarer Goetheausschuss betonte den Wirkungswunsch und die Strahlkraft des Jubiläums in seinen „Grundsätzlichen Gedanken zum Goethejahr“. Deutschland als Gastgeber habe zu bedenken, dass „Die Beteiligung des Auslandes [...] gleichermaßen wichtig für die Ermutigung der humanistischen Strömungen im deutschen Kulturleben wie für die fortschreitende Entgiftung der Weltmeinung über das

Bild 45: Das rekonstruierte Arbeitszimmer im Wohnhaus Goethes am Weimarer Frauenplan, 1949

552 Vgl. Glaser 1989, S. 85ff.

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deutsche Volk“553 sei. In ähnlicher Weise hatte das die Schauspielerin und Schriftstellerin Inge von Wangenheim ein Jahr zuvor in einer Würdigung zur Weimarer Theaterwiedereröff nung formuliert, wo sie der Stadt Weimar die Rolle zuerkannte, im Zuge „der allgemeinen und grundsätzlichen Entprovinzialisierung ein schöpferisches Zentrum [zu] werden“554, eine Rolle, die es stellvertretend nicht nur für sich selbst, nicht für „Thüringen oder die Ostzone, sondern für Deutschland“555 zu spielen habe.

Das Projekt einer „Goethesiedlung“ Wie sehr der 28. August 1949, der 200. Geburtstag Goethes, die Entscheidungsträger des Landes über die Wahrnehmung Thüringens von außen nachdenken ließ, zeigt eine eigens zu diesem Anlass projektierte Siedlung. Über die Notwendigkeit, externe Gäste in Weimar zu beherbergen, entstand im April 1948 in Ministerialkreisen die Idee, zu diesem Zweck eine stadtnahe Siedlung zu bauen 556, die ähnlich einem „Olympischen Dorf“ nach den Veranstaltungen zu Wohnungen umgenutzt werden könnte. 557 Diskussionsforum und Entscheidungsgremium dieser und sämtlicher Planungen zum Goethejahr war ein Bauausschuss, dem abermals der Direktor der Hochschule Hermann Henselmann vorsaß. Der ausgesuchte Standort für zehn Gästehäuser „hinter der Straße am Horn“ sollte ca. 110 Gäste beherbergen. Ein erster gezeichneter Vorschlag vom 14. April 1948 aus dem Stadtbauamt Weimar des verfassenden Architekten Ewald Röllig zeigt in einem hangseitigen Grundstück an der Ecke Am Horn/Eduard-Mörike Straße zehn Doppelhäuser. Unweit davon, weiter südlich, hatte schon 1920 Walter Gropius eine ländliche Genossenschaftssiedlung für Bauhausangehörige geplant.558 Im gleichen Sinn war auch jetzt eine Modellsiedlung gewünscht, die in Planzeichnungen programmatisch als „Goethedorf für Weimar“ bezeichnet wurde. Erste Studien schlugen ein zweigeschossiges Siedlungshaus mit Walmdach vor, das zuerst als Gästehaus mit einer Haupttreppe funktionierte und in einer zweiten Ausbaustufe als Einfamilien-Doppelhaus, mittig geteilt über zwei separate Erschließun553 Der Weimarer Goetheausschuss: Grundsätzliche Gedanken zum Goethejahr, 1949; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83. 554 Zit. n. Gärtner 2000, S. 29. 555 Ebd. 556 Siehe Sitzung des Bauausschusses vom 12. April 1948; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83. 557 So beschrieb der Weimarer Stadtbaurat Nowak in einem Brief 12. März 1948 an Hermann Henselmann die Idee; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83. 558 Vgl. Scheidig, in: Dezennium 2/1972, S. 249ff.

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Bild 46: Lageplan für das geplante „Goethedorf“ mit Häusern für alle deutschen Länder

gen verfügen würde. Um alle öffentlichen Planungsinstanzen zu beteiligen, sollte die Projektierung der einzelnen Typen gruppenweise durch das Ministerium des Innern, die staatliche Hochschule für Baukunst in Weimar und die Stadtplanung Weimar vorgenommen werden. Mit dieser gewünschten Bandbreite an Akteuren war der Dissens zu Planung und Umsetzung nahezu vorprogrammiert. Ein Vorschlag vom 3. Juni 1948 erweiterte die Siedlung zu 14 Doppelhäusern, die den Ländern sämtlicher Besatzungszonen gewidmet sein sollten.559 Die Häuser sollten in ihrer Form jeweils regionale, wenn nicht sogar heimattümelnde Züge tragen. Nicht nur dieser Punkt, sondern die 559 Vorschlag vom 3. Juni 1948, übersandt an den Bauausschuss am 10. Juli 1948 vom Ministerium des Innern, Abt. Kommunal- und Bauwesen; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83.

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gesamte Konzeption geriet in die Kritik, die zuerst von außen nach Thüringen hinein getragen wurde.560 Die Präsentation im Rahmen einer Gewerkschaftskonferenz, wo der Entwurf als Programm der Industriegewerkschaft Bau vorgestellt wurde, nahm der Potsdamer Oberregierungsbaurat Heinrich Richard zum Anlass, in einem Brief an die Goethegesellschaft Weimar scharf von diesem Vorhaben abzuraten. Ihn beunruhigte allein schon die Namensgebung. „Was die äußere Gestaltung betriff t, so ist der Begriff Goethesiedlung von besonderer Verpfl ichtung. Der Gedanke, von 15 deutschen Ländern auf engem Raum 15 verschiedene Bautypen zu errichten, ist. m. E. geradezu grotesk. Die Einheit der Gesamterscheinung, auf die doch alles in erster Linie ankommt, wird vollkommen zerstört, wenn das niedersächsische Bauernhaus neben dem oberbayerischen usw. steht, und alle vermutlich nur äußerlich drapiert im Maßstab aber zu klein und verkitscht [sind].“561 Richard appellierte schließlich an den grundsätzlichen Anspruch bei den Vorbereitungen zum Goethejahr: „Es fragt sich, wie Goethe zu dieser Aufgabe sich eingestellt hätte“562, und qualifi ziert das Ganze als romantische Idee, „der Goethe als scharfer Gegner der Romantik entschlossen widersprochen hätte“. 563 Sein Fazit ist lapidar: „Es ist viel vernünftiger, sachlich, einfach und einheitlich zu bauen. Wenn die Häuser gut sind, passen sie ganz von selbst nach Weimar.“ 564 Diese unverblümte Kritik dokumentiert eine direkte Auseinandersetzung auf SBZ-Ebene, die sich in Thüringen vielleicht so nicht entwickelt hätte. Der von außen herein getragene Standpunkt deckte sich jedoch mit der Meinung Henselmanns, der Richard umgehend antwortete: „Machen Sie sich keine Sorgen! Alles was Sie schreiben ist auch unsere Meinung.“565 Spätestens jetzt sah sich Henselmann in den Zweifeln bestärkt, die er beim Anblick der Planungen selbst schon gehabt haben musste. In einem Brief an den Berliner Ministerialdirektor Herbert Gute erläuterte er die beabsichtigte Wirkung der neu zu bauenden Gästehäuser im Rahmen des Goethejahrs als Hilfsmittel, um im gesellschaftlichen Programm der SBZ eingebettet zu bleiben. Er reicht die eingegangene Kritik weiter: „Dagegen 560 Vgl. Notiz Oberregierungsbaurat Richard, Potsdam an die Goethegesellschaft Weimar, Anfang Juli 1948. Das Schreiben wird am 6. Juli an Henselmann weitergeleitet. Abschrift; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83. 561 Ebd. 562 Ebd. 563 Ebd. 564 Ebd. 565 Hermann Henselmann, Brief an Oberregierungsrat Richard vom 13. Juli 1948; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83.

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Bild 47: Fassadenstudie aus der Projektphase des „Goethedorfes“. 1948

halte ich sämtliche Bauten, die f. d. Unterbringung der Gäste durchgeführt werden sollten, im Hinblick auf die Gesamtlage für nicht erforderlich. Das bezieht sich auf die geplante Siedlung, die von der Regierung beschlossen wurde. [...] Die Siedlung, die eine Demonstration deutschen Wiederaufbauwillens darstellen sollte, ist ihrer Aufgabenstellung und Anlage nach m. E. dafür nicht geeignet, weil das Einzelhaus für Deutschland gegenwärtig kein aktuelles Thema ist und die notwendige Verschiedenartigkeit der einzelnen Häuser bei der Enge der Bebauung städtebaulich ungünstig wirken würde. Dagegen würde ich es sehr begrüßen, wenn die in der unmittelbaren Nähe Weimars durchgeführten Bauten der Bodenreform (Oberweimar) so ausgestattet würden, daß sie über die Anfangsphase der Bodenreform hin-

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aus den Gästen eine klare Vorstellung von der weiteren Entwicklung unserer Bestrebungen ein klares Bild abgeben könnten.“566 Das wiederum korrespondierte mit einer früheren Idee des Bauausschusses, Neubauernsiedlungen in Neu-Ehringsdorf oder Oberweimar als Gästehäuser zum Goethejahr zu betreiben.567 In einer Mischung aus Ernüchterung und einer nachweislichen Mehrfachbelastung ersuchte Hermann Henselmann am 6. August 1948 von seinem Posten des Vorsitzenden des Bauausschusses enthoben zu werden, um „dringend einen Erholungsurlaub an[zu]treten“.568 Die Idee der Weimarer Goethesiedlung könnte eine reine Episode sein, zumal sie planerisch nur skizzenhaft blieb. Dennoch gibt sie einen Einblick in die noch unklaren Entscheidungsstrukturen im Wechselspiel zwischen Landesregierung, Hochschule und externen Meinungsträgern. Das Konzept wirft zusätzlich ein Licht auf die damals sehr unterschiedlichen Vorstellungen von repräsentativem, modellhaften Bauen, das neben seinem Funktionsgehalt eine Vermittlungsabsicht über Thüringen hinaus verfolgen wollte. Der Gedanke schließlich, das gesamte Deutschland als Kleinhausidylle abzubilden, belegt die Sehnsucht nach identifi katorischen Bildern des Regionalen, die sich unterhalb einer nationalen Sprache bewegten. Wie sich Weimar und Thüringen zum Goethejahr darstellten, ist dann doch nicht in Neugebautem sichtbar geworden, sondern in der umfassenden Wiederinstandsetzung der Klassikerstätten.569 Schließlich unterstreichen die Ereignisse um die Person Goethes erneut die am Anfang des Kapitels umrissene, vermutete Stellvertreterrolle Thüringens für nationale Inhalte. Das Jahr 1949 war auch hier ein Wendepunkt. Gab sich anlässlich der Goethefeiern die sowjetische Besatzungsmacht betont gesamtdeutsch, so kristallisierte sich später gerade um Goethe eine Übernahme durch die DDR, die zur Abgrenzung gegen westdeutsche und amerikanische Einflüsse führen sollte.570

4.2.5 Das Kulturhaus. Perspektiven eines neuen Bautyps Wenn als letztes Teilkapitel zu Kultur- und Erbeorten das Kulturhaus als Bauaufgabe der SBZ erwähnt werden soll, dann deswegen, weil neben allem 566 Brief Henselmanns an Ministerialdirektor Herbert Gute, Berlin, vom 14. Juli 1948; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83. 567 Vgl. Protokoll 12. April 1948: Sitzung des Bauausschusses; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83. 568 Brief an das Sekretariat des Goetheausschusses vom 6. August 1948; GuSAW, Akte 150/NFG-VA 83. 569 Eine genaue Aufzählung der Baumaßnahmen liefert der zeitgenössische Bericht von Andreas B. Wachsmuth, vgl. Neumann 1998, S. 256ff . 570 Vgl. Hartmann; Eggeling 1998, S. 219.

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Verhaftetsein an Erbe und Traditionen dieser neue Bautyp die Tür zu einem neuen gesellschaftlichen Kulturverständnis aufstoßen wollte. Im Kontext der SBZ war das Kulturhaus ein gebauter Träger demokratischer Hoff nungen. Kultur sollte vor allem dort zugänglich werden, wo es keine traditionellen Vermittlungsorte dazu gab. Als klassischer Topos der Revolution ist die Kultur, neben der Bildung, ein elitäres und dazu immaterielles Gut, das es zu vergesellschaftlichen gilt. Hier ließen sich neue Gestaltungswege beschreiten. Zwar wird der Kultur, wie beschrieben, gerade in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch eine gestaltende Kraft bei der Wiederankunft der Deutschen in einer zivilisierten Gesellschaft zugemessen. Die Typenentwicklung, die sich erst später dem „Kulturpalast“ als Leitbegriff verschreiben würde, verharrt noch in einem Stadium der Orientierung. Den wenigen realisierten Fallbeispielen sieht man die Beziehung zum seit 1900 bekannten Volkshaustyp an sowie die stilistische Rückbindung an die Formensprache des „Neuen Bauens“.571 Nicht nur in Thüringen ist es zuerst das betriebliche Kulturhaus, das seine Entwicklung im Zusammenhang mit den verstaatlichten Industrien beginnen konnte. Darüber hinaus lässt sich mit dem Wettbewerb zum Volkshaus Nordhausen 1947 ein Blick auf ein städtebaulich erweitertes Projekt eines Kulturhauses werfen. Dass in einem Kulturhaus das Identifi kationsgebäude einer neuen Gesellschaft Gestalt annehmen könnte, war in der neuen Aufgabe jenseits von Bürgertheater, Kino und Tanzboden verankert. Wie ein Kulturhaus auszusehen hatte, war jedoch vor 1950 noch nicht festgelegt.572 Von den Neubauten dieser Phase sind in Thüringen zwei bemerkenswerte Beispiele erhalten. Das Kulturhaus des VEB Lederfabrik Hirschberg (Architektur: Studentenkollektiv der Hochschule Weimar unter H. Henselmann 1948–49) und das Kulturhaus des SAG Uhrenwerks, Ruhla (Architekt: Hermann Räder 1949–51) sind sachlich und schnörkellos. Diese beiden Kulturhausbauten orientierten sich an der klassischen Moderne, stehen also für die „vorpathetische“ Motivik der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dass beide Beispiele wiederum aus dem Umfeld der Weimarer Hochschule kamen, ist kein Zufall. Sie stehen für das experimentelle Gestaltungsfeld, in dem sich die Weimarer Professoren, Absolventen und Studenten zwischen 1945 und 1949 bewegten.

571 Simone Hain ortet die Idee des Volkshauses in der organisierten Arbeiterbewegung und den zeitgleichen bürgerlichen Reformbestrebungen des 19. Jahrhunderts, vgl. Hain; Schrödter; Stroux 1996, S. 89ff. 572 Später gab es Gestaltungsempfehlungen als Schema, die einen vereinheitlichten Funktionsablauf voraussetzten, vgl. Reichert; Thunert, in: Deutsche Architektur 4/1953 S. 167-172.

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Bild 48: Vorstudien zum Kulturhaus in Hirschberg/Saale, 1948-49, Architekt: Karl Kiekebusch

Bild 49: Ansicht von der Talstraße in der realisierten Fassung, Zustand ca. 1999

In Hirschberg war ein studentisches Autorenkollektiv, dem u.a. der Sohn Otto Grotewohls, des ersten Ministerpräsidenten der DDR, Hans Grotewohl, angehörte, für den Entwurf verantwortlich. Der Leiter der Arbeitsgruppe war auch hier Hermann Henselmann.573 Die glatte, weiße Putzfassade um eine abgerundete Straßenecke, die Komposition der Fensterbänder und -flächen machen den Bau zur Etüde im Stil der so genannten weißen Moderne. Bemerkenswert dabei sind die traditionellen Formen der Vorentwürfe des Werksarchitekten Karl Kiekebusch, deren Säulenvorbauten und Fassadengliederungen schließlich gänzlich weg gefallen sind. Nach einer abenteuerlichen Genese in einem Milieu des Mangels wird dieses „reine Selbsthilfeprojekt“ als das erste neu gebaute Kulturhaus der SBZ gewertet.574 Dabei fällt nicht so sehr die stilistische Einzelstellung ins Gewicht 573 Vgl. Hain; Schrödter; Stroux 1996, S. 21, 184; vgl. auch Butter 2006, S. 291f. 574 Vgl. Hain; Schrödter; Stroux 1996 S. 116.

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und auch nicht, ob es wirklich das erste Kulturhaus nach 1945 war. Bemerkenswerter ist, dass eine von den Ansprüchen der SMAD unbeeinflusste lokale Initiative eine eigene und angemessene Form gefunden zu haben schien, die in den folgenden Jahren bei betrieblichen Kulturhäusern genau deswegen nicht mehr wirksam wurde, weil es dann zentralere Institutionen waren, die projektierten und fi nanzierten. Auch im westthüringischen Ruhla projektierte ein Betrieb, die SAG Uhren- und Maschinenfabrik, ein eigenes Kulturhaus. Das Ruhlaer Projekt wird in seiner Einzelstellung als eines der letzten Beispiele im Kulturhausbau der frühen DDR beschrieben, das in einer modernen Architektur „deutlich konstruktivistischer Prägung“575 auftrat. Wie in Hirschberg wendet sich der Bau einer städtischen Straße zu. In Horizontalen legen sich zwei durchgehende Fensterbänder über ein aufgeständertes und zurückspringendes Erdgeschoss, um mit dem Überstand eines dünnen Flachdachs abzuschließen. Das Kulturhaus konnte sich in Ruhla in ein Milieu der Vorkriegsmoderne integrieren. Die kleine Industriestadt war in den 1920er um zahlreiche Gewerbe- und Wohnbauten gewachsen, welche die Formensprache der Sachlichkeit schon früh in die junge Stadt im Thüringer Wald gebracht hatten.576 Das Kulturhaus steht aber auch für eine kurze Episode im Werk des bereits vorgestellten Hermann Räder. Räders Mitarbeit im Städtebau-

Bild 50: Kulturhaus des SAG Uhrenwerks, Ruhla, 1949–51

575 Ebd., S. 120. 576 Vgl. Butter 2006, 291f.

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institut von Gustav Hassenpflug mag hier noch identifi zierbar sein. An seinen Bauten lässt sich anschaulich nachvollziehen, wie sich der baupolitische Umschwung nach 1951 mit der persönlichen Werklinie eines Architekten kreuzte. Kaum drei Jahre später gestaltete er den zentralen ErnstThälmann-Platz in Suhl und das dortige Kulturhaus im axialen Pathos der „Nationalen Traditionen“. Die in Hirschberg und Ruhla entstanden Kulturhausbauten lagen auf dem Gelände neuer volkseigener Betriebe und waren bauliche Einzelfälle, die noch keinem zonen- oder republikweiten Bauprogramm unterlagen. Sie schufen beim gemeinsamen Bau in Eigenleistung ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das eine Ahnung einer demokratischen oder selbstbestimmten Gesellschaft gegeben haben mag. Diese Motivlage hatte eine Tradition in Deutschland. Mit dem Volkshaus als proletarischem oder bürgerlichem Bautyp verband sich schon seit der Jahrhundertwende die Wohlfahrtsidee eines Bildungs- und Versammlungsortes. Immer auch flochten sich übersteigerte Visionen zwischen Palast und säkularer Kathedrale in diese Konzepte mit ein, wobei der sowjetische Arbeiterklub eine betont sozialistische Spielart des Architekturprogramms beisteuerte. Die beschriebenen kleinen Kulturhäuser bewegen sich in einer historischen Nische zwischen den Pracht- und Bildprogrammen, die das Kultur- und Volkshaus bis dahin umwehten und bald wieder umwehen würden. An anderer Stelle entstanden dagegen ebenso traditionelle Kulturhäuser, wie das Beispiel im nordwestthüringischen Geismar (Architekt: Franz Kaufmann 1949), das sich mit seiner traditionellen Fachwerkfassade in ein Dorf bild fügte und nur indirekt als gebautes Manifest einer neuen Zeit wirken konnte. Es gilt als erstes ländliches Kulturhaus der DDR.577 Dass Hermann Henselmann im Hirschberger Projekt als Kollektivleiter genannt wurde, erwuchs nicht nur aus seiner Rolle als Hochschullehrer. Schon 1947 war ihm die Aufgabe angetragen worden, für die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung in der SBZ und die junge Deutsche Film A.G. (DEFA) das übertragbare Prinzip eines ländlichen Kulturhauses zu konzipieren. Henselmanns Vorschlag begriff die Bauaufgabe als funktional addierte Komposition, die sich nach Abläufen organisiert und keiner feierlichen Hierarchieform folgen musste.578 Eine Spiel- und Lernstätte mit

577 Vgl. Hartung 1997, S. 150. 578 Der Kommentar der damaligen Fachveröff entlichung in der „Neuen Bauwelt“ zierte sich doppelt vor einem belasteten Kampfbegriff, indem der gewisse „Funktionalismus“ noch zusätzliche Gänsefüßchen erhält, siehe Henselmann, in: Neue Bauwelt 46/1947, S. 726.

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Bild 51: Variierbarer Typ eines Kulturhauses mit einem Saal im Zentrum, Hermann Henselmann, 1947

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so wörtlich genannter „Allroundverwendbarkeit“ sollte es sein, deren Saal im Kern von Zubauten, wie der Bibliothek oder Klubräumen bis hin zur Gaststätte flankiert werden sollte. Der Typenentwurf war ortsabhängig auf verschiedene Größen anzupassen, ergänzte ein Dorf aber immer um mehrere Angebote, ohne einem zentralen Gebäude die alleinige Ehre zu geben. Henselmanns Kreativität entschlüsselte sich bei diesem Typenprogramm in der Adaption der zeitbedingten Materialsituation, die mindestens den Verzicht von Stahl und Beton gebot. Die seitlich außen liegende Konstruktion am Saalgebäude war z.B. in aufgelösten Rundholzstützen gedacht und gliederte den größten Baukörper des Ensembles. Dieses eine bautechnische Detail sei stellvertretend genannt, um die gestalterische Autonomie Henselmanns zu beschreiben. Einem im selben Jahr entworfenen Arbeiterklub für Niederschmalkalden gab Henselmann ebenfalls den Charakter eines übertragbaren Vorschlags. Darum war ihm die genaue örtliche Festlegung auf den südthüringischen Industrieort Niederschmalkalden weniger wichtig als der Hintergedanke, einen vorbildlosen Typ zu schaffen, der das Dorf zum fortschrittlichsten Austragungsort einer sichtbaren sozialen Veränderung machen möge.579 Die Henselmann’schen Beiträge seien, trotz dem sie keiner Realisierung nahe kamen, deshalb genannt, weil sie einerseits mit ökonomischen Argumenten in ihrer Bautechnik und Gestalt begründet wurden und weil sie einen kurzen Blick auf ein neues funktionales und sogar mediales Kulturverständnis gewährten, das sich ebenso in eine neue Architektur kleiden wollte. Selbstbewusst setzte Henselmann den Elementekatalog der klassischen Moderne, wie Großverglasungen, Galerien oder Fensterbänder ein. Um immer noch im selben Jahr 1947 zu bleiben, ist der Volkshauswettbewerb Nordhausen zu dokumentieren, der in der SBZ sehr beachtet war, weil er das Prinzip eines neuen Kulturhauses auf ein konkretes Grundstück anwendete. Dass neben Hanns Hopp auch Hermann Henselmann in der Jury des Verfahrens saß, verknüpft dieses Beispiel umso mehr mit den bislang genannten Beispielen und stellt die Ergebnisse in einen gemeinsamen Diskussionszusammenhang. Im Raumprogramm dieses eingeladenen Wettbewerbs wollte man ausdrücklich „an die vor 1933 in Deutschland entstandenen Volks- und Gewerkschaftshäuser“580 anknüpfen, band sich also nicht etwa in die Tradition des sowjetischen Arbeiterklubs, sondern berief sich auf funktionale und typologische Vorbilder der eigenen Geschichte. Der Wett579 Vgl. Claus, in: Akademie der Künste und der Hochschule der Künste 1996, S. 629f.; siehe auch Henselmann, in: Neue Bauwelt 7/1949, S. 25-29. 580 N.N.: Bauplanung und Bautechnik 10/1948, S. 282.

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Bild 52: Wettbewerbsbeitrag Hermann Räders zum Volkshauswettbewerb in Nordhausen, 1948

bewerb nahm sich ein Schlüsselgrundstück der Nordhäuser Innenstadt vor und sollte einen Gegenstandpunkt zu jenen Städten betonen, die sich ängstlich „an überkommene[n] Stadtgrundrisse[n] und Gebäudegruppierungen“ 581 festhielten. So lag der gewünschte Bauplatz am Schnittpunkt zwischen Altstadt und Vorstadt, um für die künftige Entwicklung ein Signal zu setzen. Die ausschreibende Volkshaus GmbH wies ein Grundstück an der Rautenstraße aus, der früheren Prachtstraße der Kaiserzeit, von der aus ein Hanggelände zur Altstadt ansteigt und in der Tiefe bebaut werden sollte. Das Raumprogramm mit Kino- und Theatersaal, Verlag und Druckerei, Läden, Gaststätte, Hotel und Wohnungen war offensichtlich nicht so sehr Frucht eines stark erweiterten Kulturbegriffs als vielmehr die Wunschliste der dringlichsten Bauaufgaben in der Nordhäuser Innenstadt. So gliederten die Preisträger einmütig ihre Baukörper als Stadtstück mit einem eigenen Initialcharakter für den Stadtkern und gleichermaßen als landschaftlich motivierte Komposition in mehreren Teilen. Besonders der Beitrag des bereits erwähnten Hermann Räder, weitete die Bauaufgabe zu einem städtischen Ensemble entlang der mittelalterlichen Stadtmauer. Von der 581 Ebd.

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Idee funktionaler Trennung durchdrungen, kleideten sämtliche prämierten Vorschläge das Raumprogramm in schlicht gestaltete Verwaltungsbauten, um den eigentlichen Saalbau ohne formale Überhöhung oder zentrale Ausrichtung zu integrieren. Der erstplatzierte Entwurf Gustav Hassenpflugs bemühte sich, ein fast gleichbreites Hauskontinuum über alle Raumerfordernisse zu ziehen.582 Auch dieser Wettbewerb zog keine Bauaktivitäten und in Nordhausen wenig Resonanz nach sich. Das Volkshausprojekt wurde drei Jahre später in der Broschüre „5 Jahre demokratischer Auf bau“583 1950 mit keinem Wort erwähnt. An der selben Stelle sollten die Teilnehmer des städtebaulichen Wettbewerbs 1953 eine straßenbegleitende Wohnhausbebauung vorschlagen, um einen Kulturpalast mit zentralem Platz für 15.000 Menschen an anderer Stelle in der Nähe des Theaters anzusiedeln. 584 Mit der Gründung der DDR geriet das Kulturhaus in eine veränderte Erwartung und verlangte ein anderes gebautes Bild. Das Kulturhaus sollte dann eine bevorzugte Aufgabe für das Bauen gemäß der „Nationalen Traditionen“ werden. Dass in Unterwellenborn bei Saalfeld eines ihrer prächtigsten Exemplare entstehen würde, kann an dieser Stelle nur indirekt die Überleitung zum nächsten Teilkapitel leisten. Am Beispiel des ostthüringischen Schwerindustriestandortes soll die Siedlungsentwicklung betrachtet werden, die zeitlich vor dem Bau des Kulturpalastes der Maxhütte (Hanns Hopp, Josef Kaiser 1952–55) lag.

4.2.6 Neubau um die Maxhütte Unterwellenborn Galt in den ersten Jahren nach 1945 Thüringen als Modellregion für ländliches Siedlungswesen, so setzte sich hier ganz genauso die industrielle Entwicklung im Kontext einer neu geordneten Wirtschaftslandschaft der SBZ fort. Mit dem Befehl 167 der SMAD vom 5. Juli 1945 war die Überführung von Betrieben der Grundstoff- und Schwerindustrie in staatliches Eigentum der UdSSR, d.h. in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) angeordnet. Auf Thüringer Gebiet unterstanden Betriebe wie das Zeisswerk in Jena oder die BMW-Werke in Eisenach ab 1945/46 sowjetischem Kommando. Die Produktivität litt nach Demontagen durch die Besatzungsmacht an materiellem Substanzverlust, mit dem ein personeller Abwanderungsschwund

582 Die Verteilung der Preise erfasste zwei Entwürfe aus dem Team um Gustav Hassenpflug: 1. Preis: Gustav Hassenpflug und Heinrich Weiß; 2. Preis: Hermann Räder und Hartmut Colden; 3. Preis: Gustav Hassenpflug und R. Seidel, vgl. ebd., S. 282ff. 583 Siehe Rat der Stadt Nordhausen 1950. 584 Vgl. N.N., in: Deutsche Architektur 3/1953, S. 102–105.

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einherging. In den Kriegsjahren hatte sich infolge der nach Thüringen verlagerten Industrien eine umfangreiche Facharbeiterschaft angesiedelt, die einen Vorsprung im Wiederauf bau hätte bedeuten können.585 In den folgenden Jahren wurde jedoch die Wertschöpfung der lokalen Wirtschaft zu ca. 30% als Reparationsleistung an die Sowjetunion abgeführt.586 Begleitet von diesen Reparationspfl ichten und Enteignungsvorgängen galt es, dessen ungeachtet, zwischen „Sowjetisierung“ und Demokratisierung eine neue Arbeitsgesellschaft darzustellen. Strukturmaßnahmen, wie der Wohnungsbau, der Schulhausbau und der Kulturhausbau suchten gerade im direkten Umfeld von Großindustrien ein neues und genuines Gepräge. Die Rolle der Massenkultur der Werktätigen, wie sie absichtsvoll als Gegenmodell zu den überwundenen Verhältnissen entworfen wurde, wollte in Großbetrieben und den angegliederten Wohnstandorten heimatbildend und identitätsstiftend wirken.587 Im Blickfeld steht die Maxhütte Unterwellenborn, unweit der Stadt Saalfeld, wo sich die gewünschte Transformation von traditionellen Arbeitermilieus in das gewünschte Bild einer neuen Gesellschaft verfolgen lässt.

4.2.7 Neue wirtschaftliche Vorzeichen und das Wesen „Max“ Im Thüringer Bergbaugebiet bei Saalfeld waren schon im 19. Jahrhundert Vorkommen von Eisenerz Anlass gewesen, Eisen zu verhütten und zu verarbeiten.588 Das Werk war seit 1872/73 eine Zweigniederlassung der bayerischen Maximilianshütte Sulzbach-Rosenberg. Die Maxhütte Unterwellenborn war in ihrer Einzellage ein verhältnismäßig kleiner Betrieb deutscher Industrie ohne umliegendes „Revier“. Sie hatte zuletzt, d.h. vor 1945, einen rechnerischen Anteil von gerade mal 1,5% der Roheisenproduktion des Deutschen Reiches geleistet.589 Mit der Zonierung Deutschlands verband sich die zwangsläufige Trennung regional arbeitsteiliger Produk-

585 Vgl. Bricks; Gans, in: Heiden; Mai 1995, S. 189–221. 586 Vgl. Thüringer Landtag, Historische Kommission für Thüringen 1999, S. 104ff. 587 Die Konstruktion politischer Macht im Wechselverhältnis von Stadt und Betrieb beleuchtet ein Forschungsprojekt der TU Berlin (Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Prof. Dr. Heinz Reif) und des IRS Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung unter dem Titel „Industriestädte in der SBZ/DDR 1945–1989/90“. Stadtentwicklung, Kommunalpolitik und urbanes Leben in einer „durchherrschten Gesellschaft“ werden am Beispiel der Industriestädte Rostock, Ludwigsfelde und Schwedt verglichen. Zu Schwedt, vgl. z. B. Springer, in: Barth 2001, S. 67–81. 588 Vgl. Geschichtsverein Maximilianshütte, Maxhütte e.V. 2004, S. 7. 589 Vgl. May 1999, S. 36.

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tionsprozesse, worunter die Stahlproduktion eine Schlüsselrolle spielte. Die Maxhütte Unterwellenborn war mit dem Jahr 1945 die einzige Eisenhütte, die auf dem Gebiet der SBZ lag. Damit bedeutete die schnelle Inbetriebnahme des teilzerstörten Bestandes einen grundsätzlichen und notwendigen Schritt für den Auf bauprozess der gesamten SBZ. Losgelöst vom einstigen Mutterbetrieb musste der Standort trotz der Namensweiterführung eigenständig betrieben werden. Konnte man zu Anfang noch mit Kokslieferungen aus dem Ruhrgebiet rechnen, so mussten die Importquellen für Brennstoffe nach den Handelsbeschränkungen der Westalliierten 1948 in der Tschechoslowakei, Polen und der UdSSR gefunden werden.590 Chronischer Arbeitskräftemangel kennzeichnete den Beginn der Aktivitäten. Am 6. Februar 1946 konnte der erste Hochofen wieder betrieben werden.591 Die Neueinrichtung einer Großanlage wie der Maxhütte war streng an die Abfolge von Befehlen und Direktiven ge bunden, die sich zuerst um die Eigentumsfrage, dann um die Situation der Arbeitskräfte und fast nebengeordnet um die bauliche Entwicklung des Ortes bekümmerten. Gemäß dem Befehl Nr. 38 der SMATh vom 25. Februar 1947 wurde die Maxhütte, als einer von 22 Thüringer SAG-Betrieben, der Landesregierung in Weimar übergeben (mit Wirkung vom 1. März 1947)592 und fi rmierte fortan als landeseigener Betrieb (LEB). Zwei weitere Befehle der SMAD waren kurz danach bedeutsam für die Maxhütte. Erst der Befehl 228 der SMAD vom 28. Oktober 1947 ebnete den Weg zur umfassenden Rekonstruktion des Betriebs sowie zum sofortigen Beginn des Wohnungsbaus. Die sozialen Aspekte erfasste der Befehl 234 der SMAD vom 9. Oktober 1947 und kündigte mit einem ausführlichen Titel „Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten der Industrie und des Verkehrswesens“ an.593 Dieser Befehl verfolgte den Aufstieg der SBZ aus eigener Kraft und wollte eine Antwort auf den Marshallplan sein. Als Folge wurden für die Maxhütte Leistungslöhne und Arbeitsnormen festgelegt und erste Planungsarbeiten zum Wohnungsbauprogramm in Unterwellenborn und Kamsdorf gestartet.594

590 591 592 593

Vgl. May 1999, S. 36f. Vgl. Geschichtsverein Maximilianshütte, Maxhütte e.V. 2004, S. 36. Vgl. ebd., S. 52. Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR 1968, S. 504ff. 594 Vgl. Gesc hichtsverein Maximilianshütte, Maxhütte e.V. 2004, S. 78.

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Bild 53: Maskottchen „Max“ als allegorisches und emotionalisierendes Wesen der Thüringer Maxhütte

Noch vor der sichtbaren neuen Gestaltung als Wohnstandort trat die Maxhütte als emotionaler Ort an die Öffentlichkeit der SBZ. „Max“ oder „Mäxchen“, das Maskottchen des Werks, entstand mit der Kampagne, dem Dreiofenwerk einen vierten Hochofen anzugliedern, wofür es jedoch noch keine technischen Voraussetzungen gab. Die Aktion „Max braucht Wasser“ 1948/49 ließ einen vermenschlichten Hochofen auf zwei Beinen zum Maskottchen der SBZ-weiten Hilfsaktion werden, die den gemeinsamen Bau einer neuen Wasserleitung zum Symbol des gesellschaftlichen Zusammenhalts machen sollte. Die Kampagne für die Wasserzufuhr von der Saale zum Werk über einen bedeutenden Höhenunterschied hinweg war als Initiative der FDJ Gruppenerlebnis und Medienspektakel zugleich. Rückblickend wurde das Zusammentreffen von Studenten und Arbeitern zur programmatischen Einmütigkeit verklärt. Diese politisch verwertbare Tatkraft wurde ähnlich wie beim Wiederaufbau von Bruchstedt (vgl. Kap. 5.4.2) fortan zum Inbegriff der jungen Republik und ihrer Jugend.

4.2.8 Heimatentwürfe. Siedlungen um die Maxhütte Die ersten gebauten Entwicklungen der Maxhütte nach 1945 zeigten sich zunächst in dem Wunsch, die Werksanlagen und damit den Betrieb zu sichern und zu erweitern. Mit der sprunghaft gestiegenen Bedeutung des Werks ist nun untersuchenswert, welches Veränderungspotential sich archi-

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tektonisch und städtebaulich an die zuerst produktionsspezifi sche Erweiterung der Maxhütte knüpfte. Galt es, ein anderes Heimatbild im Umfeld eines großen Betriebes zu suchen? Vermochte dieses Bild tatsächlich den Arbeiter als den neuen Souverän auszuweisen? Zu weit gegriffen wäre es, für die Maxhütte einer fassbaren gesellschaftlichen oder gar „sozialistischen“ Vision als Gestaltungsgrundlage für die ersten Bauaktivitäten nach 1945 nachzuspüren, auch wenn gerade um die Wiederinbetriebnahme in der Maxhütte wichtige Gründungsmythen der DDR entstanden sind. Siedlungsplanerisch übernahmen das Werk und die Gemeinden der Umgebung einen Bestand noch laufender Planungen aus der Zeit vor 1945. Im Vergleich zur später neu gegründeten „Stalinstadt“ bei Fürstenberg in Brandenburg war die Maxhütte ein traditioneller Produktionsort. Die Stahlfabrik bei Saalfeld war 1945 mit einem in Jahrzehnten gewachsenen Grundbestand an Werkssiedlungen versorgt. Mit dem politischen Vorzeichenwechsel nach 1945 war es für die örtlichen Wohnungsbaugenossenschaften dennoch bedenkenswert, dem Arbeiter gegenüber ein neues und erweitertes städtisches Angebot einzuräumen. Der Seitenblick auf Eisenhüttenstadt lohnt deswegen, weil dort etwas später modellhaft jene „sozialistische“ Siedlungsbildung betrieben wurde, deren Grundidee auch in Unterwellenborn schon plausibel gewesen sein musste: Nach der Zerschlagung von Besitz- und Produktionsbedingungen muss das Lebensmilieu des Arbeiters eine andere, neue Form fi nden. Da man im Kontext der umliegenden Dörfer Röblitz, Kamsdorf sowie von Unter- und Oberwellenborn seit Jahrzehnten dörfl ich dimensionierte Teilerweiterungen betrieben hatte, gab es jedoch keinen Anlass für urbane Großbauprojekte.

4.2.9 Das Werk zwischen den Dörfern Die voraus zu schickende Episode vom tüftelnden Unterwellenborner Ingenieur und zeitweisen Chefdirektor der Maxhütte, Heinrich von Babo, wirft ein Schlaglicht auf das verbreitete Nachdenken um das rationelle Bauen, welches das 20. Jahrhundert als eines der großen Themen mit sich führte. Von Babo hatte während des Krieges mit einem Schlackestein experimentiert, einem Abfallprodukt der Stahlherstellung. Im Jahr 1946 wird das „Babo-Haus“ in Unterwellenborn „in nur 8 1/2 Tagen“ Bauzeit gebaut mit Großblöcken aus Trümmern und Hochofenschlacke. Versprach die Schnellbauweise eine Zeitersparnis von 75%,595 so fruchtete dennoch die Anregung von Babos nicht. Der damalige Direktor Hensel lehnte die Idee ab, wegen 595 Vgl. ebd., S. 52.

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zu hoher Investitionen, und schlug anstatt dessen das bewährte Hohlblockverfahren vor.596 Mit der Idee von der Stahlhütte, die ihre eigenen Baustoffe mitproduziert, d.h. sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, war ein erster und etwas hemdsärmliger Versuch gescheitert, die Wohnbaufrage für die Unterwellenborner Arbeiterschaft schnell und selbstständig zu lösen. Ein Bebauungsplan der thüringischen Gemeinnützigen Heimstätte A.G. Weimar, der auf den 30. Oktober 1945 datiert ist, zeigt bereits eine komplette Siedlungsplanung für Unterwellenborn-Röblitz, dem nördlich des Werks gelegenen Siedlungsgebiet. Es handelte es sich um keine Neuplanung, sondern um den im Plankopf aktualisierten Lageplan der bis dahin größten Siedlungserweiterung des Werkes, die 1938 angelegt worden war.597 Mit Selbstversorgergärten und Stallzubauten reihten sich ebenerdige Wohnhäuser in Dorfangerfi guren östlich des alten Röblitzer Ortskerns und ließen weitere Bauabschnitte erwarten. Diese Planung wurde ohne Änderung zur ersten Grundlage des Nachkriegswohnungsbaus in Unterwellenborn. Dabei wurden die gewachsenen ländlichen Siedlungsmuster in Wohnhausgruppen übertragen. Der Siedlungscharakter war hier weniger als Antithese zur Stadt formuliert, vielmehr wurden die nahe liegenden Dorf kerne siedlungstypologisch in Sackgassenfi guren wiederholt. Erhebungen für einen landeskundlichen Bericht vom Oktober 1946598 bestätigten, dass „in der Gemeinde Unterwellenborn-Röblitz in den letzten 10 Jahren eine [...] Industriesiedlung entstanden ist“. 599 Ohne einen geänderten Bebauungsplan abzuwarten, wurde von den beiden großen Wohnbaugenossenschaften, der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GWB) und der thüringischen Gemeinnützigen Heimstätte A.G. Weimar (ThüHAG) im gewohnten Duktus weitergebaut.600 Im Hintergrund entwickelten sich nach 1945 indes sehr wohl richtungsgebende Überlegungen für einen stärker wachsenden Wohnungsbedarf. Die Werksbelegschaft von 4.000 Menschen wuchs permanent und hauste zum

596 Protokoll einer internen Besprechung vom 5. Jan. 1948; ThHStAW, LaThMWA, 451, Bl. 104. 597 ThüHAG-Pläne von 1938; ThHStAW, LaThMWA, 3132, Bl. 84; siehe auch Bauakte der Maxhütte, wo die „Errichtung von 100 Kleinsiedlerstellen“ ab 1938 dokumentiert ist; ThHStAR, Thür. Kreisamt Saalfeld, Bauverwaltung Maxhütte BP (o. S.). 598 Gemäß dem Befehl Nr. 1922 der SMA vom 8. Oktober 1946; ThHStAW, LaThMWA, 2437, Bl. 1. 599 Ebd. 600 Die erste Finanzierung entstammte dem Neubürgerprogramm, siehe Aktennotiz zum Stand des Bauprogramms vom 3. Januar 1948; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 3132, Bl. 123.

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Bild 54: Typus des am selben Standort gebauten Mehrfamilienwohnhauses vor 1945 Bild 55: Planung von Wohnzeilen am östlichen Siedlungsrand von Unterwellenborn-Röblitz 1945, auf Grundlage des Bebauungsplans von 1938 mit ausgewiesener Zentrumsanlage

Teil in Baracken.601 Allein für das Jahr 1948 wurde ein Zuwachs von bis zu 600 Arbeitern kalkuliert. Die Betriebsangehörigen bestanden laut zeitgenössischen Angaben nur zu 50% aus Thüringern. Die andere Hälfte stellten Umsiedler oder „Dienstverpfl ichtete“ sowie Umschüler.602 Auch wenn um die Maxhütte kontinuierlich gebaut wurde, am 5. Januar 1948 wurden 140 Wohnungen im Bau gemeldet,603 drängte die Landesregierung drei Jahre nach Kriegsende auf eine höhere Geschwindigkeit. Eine Aktennotiz des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit beklagte Anfang 1948, dass der

601 Vgl. Bericht der Personalleitung der Maxhütte vom 1. Oktober 1947; ThHStAW, LaThMWA, 451, Bl. 227ff. 602 Vgl. Protokoll der Betriebsbesprechung vom 2. März 48; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2437, Bl. 25ff. 603 Vgl. Bericht über die Besprechung in der Maxhütte, am 5. Jan. 1948; ThHStAW, LaThMWA, 451, Bl. 104.

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Wohnungsbau „nicht recht vom Fleck“604 komme und begründete die Unterlassungen damit, dass die Maxhütte aus Gewohnheit immer noch Bauherr und Bauausführender zugleich sein wolle.605 Eine Denkschrift der Deutschen Wirtschaftskommission vom 28. Juni 1948 kommentierte „zum Siedlungsproblem für die Arbeiter der Maximilianshütte Unterwellenborn“606, dass die Maxhütte als „Mittelpunkt der Eisenerzeugung der Ostzone“ einen Bedarf von bei 6.000–8.000 neuen Wohnungen habe. Kurz zuvor, am 17. Juni 1948, fand eine Sitzung im Kreisbauamt Saalfeld statt, zu der auch Weimarer Professoren gekommen waren, die den Auf bau bereits mit Studentenentwürfen begleitet hatten. „Durch die Anwesenheit der Herren aus Weimar [u.a. die beiden Hochschullehrer Ludwig Küttner und Erich Flemming, Anm. d. Autors] konnte die Besprechung gleich in der erforderlichen grundlegenden Weise durchgeführt werden.“607 Entscheidend war die Beurteilung im Rahmen dieses Treffens, wonach „in dieser landwirtschaftlichen Gegend keine grosse Zentralsiedlung“608 angelegt werden könnte, obwohl man auch hier von einer maximalen Siedlungsgröße für 30.000 bis 40.000 Menschen sprach. Ausdrücklich wandte man sich gegen die Herausbildung einer erkennbaren „Arbeiterwohngemeinde“ jenseits der bestehenden Dorfkerne.609 Das Dörfl iche selbst sollte Modell für das Lebensumfeld der Stahlarbeiter bleiben. So blieb die offi zielle Linie konform mit der ohnehin angelegten städtebaulichen Maxime der späten 1930er Jahre. Noch bevor größere Siedlungsplanungen diskutiert wurden, stellte der Wettbewerb zum Siedlungszentrum Unterwellenborn-Röblitz 1948 die Frage, wie man der mittlerweile seit 1940 weiter gediehenen Wohnbebauung einen eigenen kleinen Ortskern geben könnte, der neben öffentlichen Funktionen auch ein Schulhaus integriert. Der Wettbewerb ließ mit Preisen für zwei funktional gegliederte Varianten einen neuen Duktus im planmäßig gebauten Dorf bild erwarten (vgl. Kap. 5.3.2). Dass schließlich der örtliche Architekt Werner Lonitz, ein Schüler Paul Schultze-Naumburgs, trotz Letztplatzierung im Wettbewerb den Auftrag bekam, vereitelte diese Möglichkeiten. Lonitz ließ in seinem Vorschlag den geforderten Platz an

604 Aktennotiz des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit zum Stand des Bauprogramms vom 3. Januar 1948; ThHStAW, LaThMWA, 3132, Bl. 123. 605 Vgl. Ebd. 606 Denkschrift der Deutschen Wirtschaftskommission vom 28. Juni 1948; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2437, Bl. 45ff. 607 Niederschrift über die am 17. Juni 1948 stattgefundene Sitzung im Kreisbauamt; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2437, Bl. 47. 608 Ebd., Bl. 48. 609 Vgl. ebd.

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Schule und Geschäftsbauten zu einer Einheit mit dem Siedlungsumfeld in traditioneller Form zusammenschmelzen. Der unterbrechungslose Fortgang im Siedlungsbild von Unterwellenborn-Röblitz stand für die Tragfähigkeit eines wieder aufgenommenen Gartenstadtprinzips mit Hang zu bäuerlichen Bildern. Das stämmige und rundbogenverzierte Schulhaus mit Walmdach und Türmchen schien dieses Weitermachen im Sinn einer bodenverhafteten Formensprache zu bestätigen.

4.2.10 Chance für junge Planer. Wettbewerb zur Siedlungserweiterung Kamsdorf Der zweite Siedlungskern der Maxhütte lag südlich des Werks um den Ort Kamsdorf und war vor 1945 ebenfalls bereits Schauplatz von Dorferweiterungen gewesen. Mit dem Beschluss, die neuerliche Siedlungserweiterung Kamsdorf einem Wettbewerbsverfahren auszusetzen,610 gingen Bewusstseinsschritte einher, die die Entscheidungshoheit in Siedlungs- und Baufragen vom Stahlwerk ins Innenministerium verschoben. Der Werksarchitekt Max R. Wenner wurde vom Thüringer Ministerium für Arbeit und Sozialwesen bei der DWK gemeldet, ja regelrecht angeschwärzt, er plane „ohne Rücksicht auf die künftige Gliederung des Siedlungsraumes“611 und die Geländeformation. Ebenso wenig vermöge er, die „Gruppierung der Baumassen in der Siedlung durch entsprechendes Zusammenziehen oder Auflösen gestalterisch zu fassen“.612 Die Planzeichnungen zeigen Grundstücksparzellierungen mit sich wiederholenden Doppelhäusern.613 Neben der blanken Aberkennung von Wenners Kompetenz legte dieselbe Korrespondenz zwischen dem Ministerium und der DWK anlässlich der Wettbewerbsvorbereitungen eine allgemeingültige Hoff nung in das Verfahren eines Wettbewerbs selbst. So plädierte Ende 1948 die Hauptverwaltung Wirtschaftsplanung der DWK in einem Brief an das Thüringer Ministerium für Wirtschaft und Arbeit für die öffentliche Konkurrenz der Ideen und dass es keine Ausschreibung interner Wettbewerbe aus grundsätzlicher Erwägung geben möge. Seine Meinung,

610 Vgl. Besprechung am 11. März 1948 im Ministerium des Innern; ThHStAW, LTh LaThMWA, 2437, Bl. 27. 611 Brief des Ministeriums für Arbeit und Sozialwesen, Hauptabteilung Bau- und Wohnungswesen, Ministerialrat Hirsch, vom 11. Okt 1948 an die DWK Hauptverwaltung Wirtschaftsplanung; ThHStAW, LaThMWA, 3133, Bl. 29. 612 Ebd. 613 Veröffentlicht wurden die Planungen Wenners, des Halberstädter Architekten, vgl. N.N., in: Der Bauhelfer, Sept./1948, S. 460ff.; siehe auch ThHStAW, LaThMWA, 3133, Bl. 93 und Bl. 102ff.

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„daß offene Wettbewerbe zu besseren Resultaten führen und uns darüber hinaus Überblick über Nachwuchskräfte geben,“614 ließ für den Kamsdorfer Wettbewerb neuerungsbewusste Ergebnisse erwarten. Daraufhin verfügte Hirsch, die Kamsdorfer Unterlagen an Architekten weiterzugeben, „die an städtebaulicher Planung größeren Umfangs bereits mitgewirkt haben“.615 Auch er hegte die Hoff nung, „auf diese Weise Kenntnis über junge Nachwuchskräfte im Lande Thüringen zu bekommen“.616 Der „Wettbewerb zur Erlangung von Bebauungsplänen für die Gemeinden Klein- und Großkamsdorf zum Zwecke der Ansiedlung von Arbeitskräften für die Maxhütte in Unterwellenborn“ wurde zum 21. Januar 1949 vom Land Thüringen, namentlich dem Ministerium für Arbeit und Sozialwesen, Hauptabteilung Bau- und Wohnungswesen ausgeschrieben, mit dem Ziel, Klein- und Großkamsdorf aus ihrer derzeitigen Gestaltung heraus zu einem einheitlichen Siedlungskörper von etwa 6.000–8.000 Einwohnern zu verschmelzen.617 Es wurden Städtebauer eingeladen, gezielt auch aus den

Bild 56: Heutige Hausteilung in Kleinkamsdorf. Im Süden die Schule, Arch.: Johannes Schreiter, Hans Schlag 614 Brief von Architekt Hans Mucke aus der Hauptverwaltung Wirtschaftsplanung der DWK an das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit; ThHStAW, LaThMWA, 3133, Bl. 33. 615 Vgl. ebd, Bl. 30. 616 Vgl. ebd. 617 Vgl. Protokolle des Wettbewerbs; ThHStAW, LaThMWA, 3049, ab Bl. 207; Die Wettbewerbsarbeiten selbst gingen an den Kreisrat des Kreises Saalfeld (Kreisbauamt) und von dort an die Verfasser zurück.

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anderen Ländern in der SBZ. Das Preisgericht jedoch war mit dem Weimarer Professor Küttner lediglich mit einem einzigen Mann besetzt, der nicht direkt einer Behörde entstammte.618 Fast scheint es, als ob man das Verfahren bewusst vom Weimarer Kräftefeld fern halten wollte, was sich überdies an der Juryentscheidung zeigte, die keine der aus dem Hochschulumfeld eingereichten Arbeiten bedachte.619 Scharfe Kritik übte daraufhin Gustav Hassenpflug, der in einer Aktennotiz vom 25. März 1949 der Prämierung eine Tendenz vorwarf, die „in keiner Weise den Prinzipien des fortschrittlichen Städtebaus“620 entspreche. Seiner Ansicht nach wären u.a. erstrebenswerte Ziele gewesen: die Kulturbauten und die Zentrumsbildung zusammen zu legen oder den „Begriff der Stadtlandschaft“ herauszuarbeiten. Ebenso vermisste er getrennte Wohnwege und Fahrstraßen sowie den Aspekt der Typisierung. Das Preisgericht habe offenbar alle Entwürfe im 1. Rundgang ausgeschieden, die eine Bebauung senkrecht zum Hang vorschlugen. Er verweist auf die Züricher Siedlung Neubühl (1928–32), die sich ebenfalls hangseitig entwickelte und als Werkbundsiedlung einem international beachteten Innovationsanspruch folgte.621 Wie sehr Hassenpflug am Thema Unterwellenborn selbst interessiert war, belegt ein Brief, den er wenig später ebenfalls an das verantwortliche Ministerium schickte und in dem er weitere zwischenzeitlich verfertigte Ideen zum Standort Unterwellenborn diskutieren wollte.622 Er war enttäuscht, weil keine Stellungnahmen zu seinen Vorschlägen gekommen waren. Zusammen mit Egon Hartmann und Konrad Püschel war z.B. ein Schnellbahnprojekt eingebracht worden. Er selbst hatte eigene Pläne 618 Das Preisgericht setzte sich u.a. zusammen aus den Fachpreisrichtern: Architekt Hans Mucke, DWK Berlin, Hauptabteilung Bauwesen; Ministerialrat. Hirsch, Landesbauverwaltung Thüringen; Prof. Küttner, Hochschule Weimar, Dr.-Ing. hab. Müller, Landesplanung Thüringen; Stadtbaurat Strehl, Erfurt (Vertreter des FDGB); Oberregierungsrat Becker Landesbauverwaltung Sachsen-Anhalt, Halle; Direktor der Maxhütte Helmut Hensel; ThHStAW, LaThMWA, 3049, Bl. 207ff. 619 Das waren im Einzelnen: Team 1: Gustav Hassenpflug mit Dieter Saalfeld, Bruno Gembalies; Team 2: Gustav Hassenpflug mit Egon Hartmann, Konrad Püschel, Heinrich Weiß sowie ein Team Leopold Wiel, Friedrich Schwertfeger. Die Preisträger waren: Karl Neumann, Jena (1. Preis), Werner von Walthausen, Merseburg (2. Preis); Arch. Gerhard Jäckel u. Siegfried Fehr, Berlin (3. Preis), Arch. Dr.-Ing. Schlott, Lengfeld i. Vogtl. (4. Preis), vgl. auch Juryprotokoll vom 15. März 1949; ThHStAW, LaThMWA, 3049, Bl. 220ff.; Einzelprotokolle: ThHStAR, Kreisrat Saalfeld 643. 620 Aktennotiz vom 25. März 1949; ArBUW, Personalakte Hassenpflug, Bl. 106. 621 Dabei nennt er Neubühl eine „anerkannt fortschrittliche Siedlung“; vgl. ebd. 622 Brief von Gustav Hassenpflug an Ministerialrat Hirsch im Ministerium für Wirtschaft, Hauptabteilung Bauwesen, an Ministerialrat Hirsch, vom 15. Sept. 1949; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2702, Bl. 118.

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zur Abrundung Klein-Kamsdorfs nachgeschickt. Ebenso hat er sich eine Antwort auf seine Wettbewerbskritik erhoff t. Die Erwiderung des Ministeriums war lakonisch und kurz. Das Eingehen auf den Inhalt seines Briefes erübrige sich „durch die zwischenzeitlich erfolgten Vereinbarungen“.623 Der Versuch Hassenpflugs, internationale Einflüsse des „Neuen Bauens“ als Maßstab für eine ostthüringische Siedlungserweiterung ins Feld zu führen, mochte zu hoch gegriffen erscheinen. Sein Vorstoß belegt jedoch sowohl die Orientierungsangebote einer regionalen Diskussion, als auch ihre Grenzen. Die Weichen für den Weiterbau in Kamsdorf waren gestellt. Daran rüttelte auch ein Parallelentwurf Hermann Henselmanns nicht mehr, der exakt auf den Tag nach der Jurysitzung am 14. März 1949 datiert ist. Die Zeichnungen eines großzügig verglasten, zweigeschossigen Wohnhauses sind eine der ersten Kostproben seiner späteren Nachträge zu Wettbewerben. Sein Konzept von nord-süd-gerichteten Zeilenwohnhaustypen zeigt Grundrissvariation als Zwei-, Drei- oder Vierspänner. Der Vorschlag darf lediglich als Querschuss zum Wettbewerb in Kamsdorf gelten, zu dem Henselmann weder als Teilnehmer noch als Jurymitglied eingeladen war.624 Zudem zeigt Henselmanns Planung eine Gruppe Zeilen auf der gegenüber liegenden Röblitzer Seite samt einer Schule und einem Krankenhaus. Auch heute noch erscheint das Siedlungsbild in den Dörfern um die Maxhütte eher fragmentarisch als abgerundet. Die ergänzten Dorfkerne mögen einer bewussten Dezentralisation entsprechen, wie sie im Nachgang des Wettbewerbes noch einmal formuliert wurde. Sie können jedoch auch einfach darauf hindeuten, dass, wie es Ministerialrat HIrsch ebenfalls im September 1949 aussprach, in Unterwellenborn die „Neugründung einer selbständigen Arbeiterwohnstadt [...] gegenwärtig an den Aufschließungsschwierigkeiten und den Kosten scheitern [dürfte]“.625 Was tatsächlich gebaut wurde, entsprach sowohl in Unterwellenborn-Röblitz als auch auf der gegenüberliegenden Hangseite in Kamsdorf einer schrittweisen und kaum unterscheidbaren Fortsetzung bestehender Siedlungsmuster. In Röblitz verlängerten dreigeschossige Zeilen mit aneinander liegenden Vierund Fünffamilienhäusern das Ortsbild nach Osten.626 In Kamsdorf setzte 623 Brief aus dem Ministerium, gez. Hess, vom 5. Dez. 1949; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2702, Bl. 119. 624 Vgl. Durth; Düwel; Gutschow 1999, Bd. 1, S. 80ff. 625 Stellungnahme der Landesbauverwaltung, Hauptabteilungsleiter Hirsch, vgl. Niederschrift über die Sitzung im Siedlungsstandort und Verkehrsfragen im Raume Schwarza – Saalfeld – Unterwellenborn, am 28. September 1949; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2702, Bl. 79. 626 Siehe Pläne; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 3136, Bl. 403, 405.

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Bild 57: Vorschlag Hermann Henselmanns zu Wohnbauten in Unterwellenborn-Röblitz, 1949

schließlich das Landesprojektierungsbüro, d.h. seine Zweigstelle Saalfeld unter Architekt Ernst Bauer, die Bebauung parallel zu den Höhenlinien. Auch hier ist es eine Schule (Architekten: Schreiter und Schlag 1950), die einen Quartiersschwerpunkt markiert und stilistisch, d.h. als Zeilenanlage und mit Rundfenstern, der neuen Zeit Rechnung trägt.627 Der gestalterische Pragmatismus offenbart, dass um die Maxhütte in erster Linie schnell und sehr schlicht gebaut werden musste. Die größte Wohnung, eine mittlerweile von der DWK defi nierte „Volkswohnung“, durfte nicht größer als 52 qm sein.628 Der gebauten Hast folgte die Kritik. Kaum zwei Jahre später titelte die Berliner „Tägliche Rundschau“: „In Unterwellenborn wurde schlecht gebaut.“ und enthüllte: „Es stellte sich nämlich heraus, dass die Wohnungen zu klein sind. Infolgedessen mussten nach kurzer Zeit Familien wieder ausziehen, da sie keinen Platz hatten.“629 Rügen kamen auch aus einer ganz anderen Richtung, dem 1949 gegründeten Ministerium für Aufbau. Nach einem Besuch in Unterwellenborn schrieb Hanns Hopp vom dortigen Institut für Städtebau und Hochbau, Abt. Hochbau an den Institutsdirektor Herrn Kurt Liebknecht. Hopp wollte Neubauten entdeckt haben, die offensichtlich nicht den verbindlichen Wohnungstypen630 aus dem Minis627 Planungsverlauf ab Vorentwurf 1949, siehe ThHStAW, Kreisrat Saalfeld, 735. 628 Gemäß Anweisung der DWK für die SBZ sind bis zum 31. Dezember 1949 im Industrieschwerpunkt Unterwellenborn durch Neubau 150 WE zu erstellen. Die Nutzfl äche pro Wohnung dürfe max. 52 qm sein, vgl. Niederschrift einer „Besprechung zur Durchführung des Wohnungsbauprogramms für das Jahr 1949 gemäß der Verordnung über den Volkswirtschaftsplan 1949“, vom 22. April 1949; ThHStAW, LaThMWA, 3135, Bl. 10. 629 N.N., in: Tägliche Rundschau, Berlin vom 25. Juli 1951. 630 Vgl. Durth, Düwel, Gutschow 1999, Bd.2, S. 156ff.

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terium für Aufbau entsprächen. „Es wird festzustellen sein, nach welchen Entwürfen diese Neubauten erfolgt sind.“631 Die Planungen der Maxhütte dokumentieren eine doppelte Resistenz sowohl gegenüber zeitgenössischen Diskussionen, als auch den wachsenden offi ziellen Geboten.

4.2.11 Das Jugenddorf. Vorabversuch einer gebauten Gemeinschaft Erst der zweite Blick fällt auf ein anderes Wohnprojekt, das im Siedlungskontext der Maxhütte aus dem Rahmen fällt und zentrale Themen der Zeit bündelt. Die Deutsche Wirtschaftskommission verfügte im März 1948 den Bau eines Jugendheimes oder Jugenddorfes in der Nähe der Maxhütte. Ziel war die internatsartige Unterbringung von 100–120 Jugendlichen, Jungarbeitern und Lehrlingen, die auch als „eltern- und heimatlose Kinder“632 bezeichnet wurden. Dem Betrieb waren wenig Stammarbeiter geblieben. Unter den zuströmenden, ungelernten Hilfsarbeitern stellten Jugendliche einen wichtigen und ausbildungswilligen Anteil, den es zu beherbergen und als Personalressource aufzubauen galt. Mit der Planung wurde einmal mehr die Hochschule in Weimar beauftragt, namentlich

Bild 58: Perspektive des Jugenddorfprojektes, Unterwellenborn 1948

631 Brief vom vom 21. Dezember 1950; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 3136 , Bl. 183. 632 N.N., in: Thüringer Volk vom 24. September 1948.

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die Professoren Hermann Henselmann und Curt Siegel. Der Begriff des „Jugenddorfes“ übertrug als Metapher nicht nur die Jugendlichkeit und Neuheit der zu behausenden Bewohnerschaft auf eine Siedlungsidee — der Ausdruck knüpfte sich auch an den Bauprozess, der, wie im Fall der Aktion „Max braucht Wasser“, hauptsächlich mit Studenten und FDJ-Gruppen organisiert wurde. Allein die Grundstückswahl des Jugenddorfes unterlag einem eigenen Symbolwert. Wie auf Rängen sollte eine Siedlung am Nordhang des „Roten Berges“ den Blick vom und zum Stahlwerk freigeben. Die Anordnung am Berg legte dem Projekt eine Selbstvergewisserungsidee zugrunde, die deutlich machen soll, dass hier ein neuer und nicht ein ergänzender Siedlungsversuch jenseits der Notunterkünfte und Dörfer gemeint war. Entstehen sollten 17 einstöckige Häuser mit 30° geneigtem Satteldach mit je 6 Schlafkabinen und einem jeweils eigenen Gemeinschaftsraum. In bestehenden Barackenlagern waren direkt nach 1945 um die Maxhütte die ersten Unterkünfte bereitgestellt worden. Das ehemalige „Quarantänelager“ und spätere Fremdarbeiterlager nahm 500–600 Personen auf.633 Vom Bild der Baracke oder dem kriegsbedingten Behelfsheim hatte sich demnach das „Jugenddorf“ bewusst abzugrenzen, wenngleich auch den Ideen Siegels eine typisierte Bauform sowie eine schnelle und rationelle Bauweise zugrunde lag. Die mündliche Auftragserteilung an Curt Siegel wird am 23. Mai 1948 aktenkundig.634 Als Eröff nungstermin war der 1. Mai 1949 geplant. Die Bauleitung lag bei der Maxhütte. Die Grundsteinlegung wurde am 2. Oktober des Jahres gefeiert. Der Siegel’sche Entwurf wollte ebenso den Bautyp des Internats oder Wohnheims vermeiden. Das „Jugenddorf“ wollte eine Gemeinschaft abbilden und der Zielgruppe der „heimatlosen“ Jugendlichen einen Heimatersatz bieten. Eine der ersten Planungen vom August 1948635 zeigt langrechteckige, eingeschossige Häuser mit nach Osten ausgerichteten „Schlafkabinen“ und einer Wohnstube am südlichen Kopf eines Längsbaukörpers. Die 17 Häuser bilden paarweise Gruppen am Hang, wovon „Typ 3“ mit überdachtem Sitzplatz, einseitig geschlossen und überdacht ist und ein „Typ 2“ den gemeinsamen Wohnraum 633 Vgl. Bericht der Personalleitung der Maxhütte vom 1. Oktober 1947; ThHStAW, LaThMWA, 451, Bl. 227ff. 634 Siegel kam als junger Architekt nach Weimar. Schon mit seiner Promotion an der TU Dresden mit dem Titel „Wirtschaftliche Bemessung und Formgebung von zweistieligen Rahmen des Hochbaus mit Zugband und ohne Zugband“ (1936) hatte er ein Rationalisierungsthema einer gestalterischen Erweiterung unterzogen, vgl. ArBUW, Akte La /94 I/01/868. 635 Überreicht am 21. Okt 1948; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 3134.

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Bild 59: Einzelhausgrundriss mit Schlafkabinen.

nach Westen erweitern soll. Die „Wohngemeinschaften“ mit eigener kleiner Küche versprachen den Luxus von Einzelkojen, die in einer Kabinenanordnung aus dem Schlafwagenprinzip „mit Betten in zwei Höhen“636 entwickelt sein sollten. Nur mittelbar ist Siegel und seinem Team die Umsetzung der Corbusier’schen Idee von der Kabine als einem funktionalisierten Optimalraum nachzuweisen. Die Analogie könnte sich viel direkter an jenen Schlafwagen orientiert haben, die im Umfeld der Maxhütte als Notunterkünfte bekannt waren.637 Mit Kellenputz versehene und weiß geschlämmte Außenwände in 38 cm dickem Mauerwerk gaben dem Ganzen einen soliden Eindruck. Die schlichten Bauten sollten im Detail ihre Finesse offenbaren,

636 Beschreibung des Einzelvorhabens, Kennwort: „Jugenddorf“; BArch, Ministerium für Bauwesen, HV Bauindustrie, Abt. Örtl. Bauwirtschaft, DH/1, 354. 637 Bekannt wurde der „Baustellen-Wohnzug“ mit einer Lokomotive als Heizung und 33 Waggons, der die Einsatzgruppe zum Wasserleitungsbau 1948/49 beherbergte, vgl. Geschichtsverein Maximilianshütte, Maxhütte e.V. 2004, S. 110f.

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so gab z.B. der schwarzer Schiefer als Dachmaterial eine bergseitige Aufsicht, die mit der üblichen Barackendeckung nichts zu tun hatte. Die technisch anspruchsvollen, nach außen aufklappbaren Fenster waren bei den engen Einzelzimmern notwendig und gaben den Häusern ein off enes, luftiges Gepräge. Die Tageszeitung sprach von Häusern, die „aufs modernste mit Warmluftstrahlheizungen, eingebauten Betten und Schränken, usw. eingerichtet“638 seien. Die Grünplanung wurde dem Gartengestalter Gustav Allinger übertragen, damals Gartenbaudirektor in Erfurt.639 Was an Euphorie überliefert und als Detail erhalten ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Siedlungsbild des Jugenddorfes durch seine äußerst schleppende Realisierung erst spät sichtbar, geschweige denn als Gemeinschaftsort von Anfang an erlebbar wurde. Sehr wohl ahnend, welcher Kompromissweg einem Projekt wie diesem blühen kann, schreibt Siegel schon im Juni 1948 an den damaligen Direktor des Werkes Helmut Hensel: „Ich nehme grundsätzlich zur Kenntnis, daß das heute gültige Gebot äußerster Sparsamkeit bei der vorliegenden Planung nicht übertrieben werden soll, da es sich um die Schaff ung eines richtungsweisenden Vorbildes für die gesamte Ostzone handelt.“640 Schon ab Februar 1949 fehlte Material zum Weiterbauen. Im Juni mussten Bauarbeiten eingestellt werden, weil die DWK Mittel kürzte.641 Die Maxhütte beschloss aus eigener Kraft den Bau, um erst im März 1952 alle geplanten Häuser fertig zu stellen. Die Idee eines autonomen Dorfes, das demokratische Regeln im Kleinen übt, d.h. sich selbst verwaltet, wurde von Anfang an beschworen, einschließlich einem eigenen Bürgermeister. Die Einlösung stieß jedoch an praktische Mängel. Ausgerechnet jenes gepriesene innovative Element der Schlaf kabine gerieten zum Klagepunkt: „Bei der Anordnung der Schlaf kabinen hat sich herausgestellt, dass dieselben einen viel zu geringen Luftraum besitzen, und die Bewohner [...] über Ermüdungserscheinungen beim Aufstehen infolge nicht genügender Luftmenge“642 klagen. Auch wurde noch 1951 ein fehlender zentraler Ort bemängelt. Eine kulturelle Betreuung der Jugendlichen im größeren Rah638 N.N., in: Thüringer Volk vom 24. September 1948. 639 Gustav Allinger (1891–1974) war ab 1952 Professor für Landschaftsgestaltung an der TU Berlin. 640 Brief von Curt Siegel an Helmut Hensel vom 4. Juni 1948; ArBUW, Akte La /94 I/01/868. 641 Vgl. Brief des Werksleiters Hensel an die Hauptabteilung Bau vom 20. Juni 1949, in dem er die Bauarbeiten „mit sofortiger Wirkung“ einstellen lässt, weil die bewilligten Mittel wieder zurückgezogen worden seien; ThHStAR, VEB Maxhütte Werkleitung B 31, 277. 642 Reisebericht vom 21. Mai 1951, Oberreferent Gira vom „LaThMWA, Hauptabteilung Aufbau“; ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 3134.

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Bild 60: Baustelle Jugenddorf Unterwellenborn 1949

men sei nicht möglich, wobei das gewünschte Gemeinschaftsgefühl nicht entstehen könne.643 Schon von Anfang an war im Süden des „Jugenddorfes“ ein Kulturzentrum geplant, dessen schwankende Wunschdimension einen Festsaal von 1.000 bis 4.000 Plätzen umfassen sollte.644 Was in der Planungsphase von Direktor Hensel nachdrücklich gefordert wurde, konnte zwar nie verwirklicht werden. Gebaut wurde im „Jugenddorf“ schließlich ein kleines Gemeinschaftshaus mit Dienstwohnung. Die ungenauen Angaben zu einem Kulturort mit Zentrumsfunktion belegen die wachsende Suche nach einem neuen Schwerpunkt, der für die gesamte Maxhütte wirken sollte. Keines der umliegenden Dörfer, keiner der neuen Siedlungsteile und erst recht keines der städtebaulich beziehungsreich angelegten neuen Schulgebäude vermochte dieses Gewicht bereitzustellen. Die Maxhütte bot mit ihrer Bestandsstruktur für eine urbane Begriff sbildung keinen Raum. So wuchs die Maxhütte an mehreren Stellen in dörfl ichen Mustern zu einer empfundenen Gesamtgröße an, die den Sprung in eine städtebauliche Äußerungsform ahnte, ohne zu wissen, wo und wodurch sich ein solcher Bedeutungskern manifestieren könnte. 643 Vgl. ebd. 644 Vgl. Auftragsbeschreibung für die Planung vom 9. Sept. 1948; ArBUW, Akte La /94 I/01/868 (o. S.).

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4.2.12 Ausblick auf einen „Sozialistischen Realismus“ Wer die Nachkriegsentwicklung Maxhütte als Ganzes, d.h. als IndustrieBauaufgabe und als städtebauliches, architektonisches Thema, beleuchten will, stößt sowohl beim Aufbau der Werksanlagen als auch beim Wohnungs- und Siedlungsbau auf den Begriff der Fortführung, der Kontinuität. Wurde die hallenartige und dominierende Gasmaschinenzentrale mit Blick auf den Vierofenbetrieb im bestehenden und bekannten Querschnittsprofi l lediglich um neue Achsen verlängert, so pfl anzten sich auch im Wohnungsbau die bestehenden Muster fort. Dass die DDR spätestens ab der doppelten deutschen Staatsgründung eine eigene Stahlproduktion aufbauen musste, nahm nach offi ziellem Plan der Maxhütte die Wichtigkeit als Erweiterungsstandort. Die Steigerung der Produktion war dort dann „aus technischen und logistischen Gründen nicht sinnvoll“.645 Der III. Parteitag der SED 1950 gebot im Entwurf eines Fünfjahresplans für die DDR die Steigerungsvorgabe für Roheisen von 373%.646 Dafür war ein zusätzliches Kombinat notwendig. Die zugänglichen Lieferquellen für Rohstoff e lagen nicht mehr in Bayern oder im Ruhrgebiet, sondern in der Sowjetunion und in Polen. Der Parteitag legte den Standort eines neuen Kombinats, dem späteren Stalinstadt (ab 1962 Eisenhüttenstadt), auch aus diesem Grund bei Fürstenberg an der Oder fest. Erst in dieser Dimension und erst nach der Republikgründung konnte sich mit der industriellen Größenvorgabe die Vision der „ersten sozialistischen Stadt Deutschlands“ entwickeln. Damit verschob sich auch das industriell geprägte Experimentierfeld eines „sozialistischen Menschen“ nach Brandenburg, noch ehe seine Idee in Unterwellenborn räumlich reifen konnte. Dass es sich im Stahlwerk Maxhütte um eine frühe und nicht wahrgenommene Chance gehandelt hat, Metallurgie und Urbanutopie zu verbinden, zeigt die nach 1950 einsetzende Wanderungslinie des Personals an den neuen Standort bei Fürstenberg. Die Maxhütte spielte als erster Standort der Stahlproduktion der SBZ für die Gesamtentwicklung der Schwerindustrie der späteren DDR eine fast legendäre Initialrolle. Hier war das personelle Rekrutierungsfeld für das Eisenhüttenkombinat (EKO Stahl) in Stalinstadt. Das Herkunftsbewusstsein der Stalinstädter war so tief verwurzelt, dass z.B. noch 1959 im Singspiel „Blast das Feuer an“ die Hochofenarbeit in der Thüringer Maxhütte anlässlich der ersten Hüttenfestspiele als Geburtsmy-

645 May 1999, S. 37. 646 Siehe ebd., S. 40.

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thos einer neuen Generation besungen wurde.647 Ein Mann wie Erich Markowitsch verdeutlichte stellvertretend diese Chancenwanderung weg von Thüringen. Im Jahr 1944 nach Buchenwald verlegt, war er dort Mitglied des illegalen Lagerkomitees und nach der Befreiung des Lagers am Auf bau der Thüringer Polizei beteiligt. In der Maxhütte übernahm er 1946 die Leitung der Kaderabteilung, d.h. die Personalpolitik, und stellte jenes Team zusammen, das den Betrieb wieder anschieben konnte. Ab 1954 war er der erste Generaldirektor des „EKO Stahl“ in Stalinstadt. Die Beschreibung der Personalwanderung liest sich wie die der komplette Transfer eines in sich funktionierenden Netzwerks.648 Diese Verschiebung ließ die Maxhütte dennoch weiter als Hüttenstandort funktionieren. Der Ort stand auch nach 1949 nicht für neue Siedlungsideen geschweige denn eine Stadtutopie. Dennoch sollte sich das Werk im Folgenden baulich artikulieren. Die Zeit bis zur Gründung des späteren Eisenhüttenstadt ragt über den Betrachtungsraum dieser Arbeit hinaus. Ebenso die gleichzeitige Vorbereitung in Unterwellenborn für ein Bauwerk, das der größte und wichtigste Kulturhausbau der DDR in den 1950er werden würde.649 Als Krönung und Schwerpunktsetzung im geschilderten Siedlungsbild ist der Werdegang des Kulturhauses dennoch einen Ausblick wert. Auf jenem III. Parteitag, der die Verlagerung der Stahlproduktion beschloss, wurde auch der Bau eines Kulturhauses in Unterwellenborn entschieden.650 Das Projekt beschritt in seiner Planentwicklung einen rasanten Schnelldurchlauf mehrerer Stilformen des 20. Jahrhunderts. Über den Umweg einer gegliederten, geschwungenen und funktional diff erenzierten Anlage landete der Bau schließlich als prachtvolle Symmetriefi gur mit Anleihen bei griechischen Tempeln auf einem Hügel.651 Dort füllt der Bau mit seinem nach allen vier Seiten weit sichtbaren Portikus-DreiecksgiebelMotiv eine geometrisch nachvollziehbare Mitte im Kräftefeld zweier Dörfer, ohne eine siedlungsräumliche Heimat gefunden zu haben. Hier löste sich jedoch das Versprechen des bereits erwähnten ersehnten Schwerpunktes ein, der nicht städtisch aber zumindest schwer sein sollte. Im grellen Gegensatz zum ländlichen Siedlungsbild der umgebenden Ortsteile wirkt der Kulturpalast der Maxhütte wie eine etwas zu überschwäng647 648 649 650

Vgl. Ludwig, in: Beier 1997, S. 323ff. Vgl. Schütrumpf, in: Beier 1997, S. 171ff. Vgl. Hartung 1997, S. 203. Vgl. N.N., in: Die Hütte, Betriebszeitung für die Belegschaft des volkseigenen Betriebs Maxhütte Unterwellenborn, vom 25. August 1950, S. 1. 651 Die Genese des Gebäudes ist ausführlich in der Literatur niedergelegt, vgl. Hartung 1997, S. 91ff. und S. 203; Hain; Schroedter; Stroux 1996, S. 126ff.

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Bild 61: Handskizze Josef Kaisers, in der die Lage des Kulturhauses Unterwellenborn zwischen den Dörfern sichtbar wird

lich geratene Trostgeste dem Standort Maxhütte gegenüber, der seine Entwicklungsmöglichkeiten so offensichtlich abgeben musste. Der Kulturpalast „Johannes R. Becher“ wurde 1952–55 vom Vorentwurf bis zum Detail in der Meisterwerkstatt Hanns Hopps an der Bauakademie entwickelt.652 Sein Auftraggeber war die Regierung der DDR. Mit Hanns Hopp, dem Leiter des Instituts für Städtebau und Hochbau im Bauministerium, war die oberste Instanz im Bauwesen der DDR eingebunden. Der zweite Architekt Josef Kaiser war zeitgleich Chefarchitekt in Stalinstadt. Auf der Suche nach dem „eigenen Gesicht“ sollte in den Planungen für das Kulturhaus in Unterwellenborn eine vollkommen neue architektonische Kategorie für ein kulturpolitisches Zentrum geschaffen werden, als „Geschenk des Sozialismus an den werktätigen Menschen“.653 Hanns Hopp plädierte gerade deswegen für die Übernahme des Entwurfs in Unterwellenborn durch sein Institut, weil er von nationaler Wichtigkeit sei.654 Damit war der Anspruch an ein Gebäude vor-

652 Hanns Hopp und Josef Kaiser beschritten im Planungsprozess zum Kulturhaus des VEB Maxhütte in Unterwellenborn (1952–55) beispielhaft die langsame Wandlung von der offenen Formensuche zu einer Klassizismusinterpretation. Vgl. Kaiser, in: Deutsche Architektur 3/1954, S. 102–107., vgl. auch Wiesemann 2000, S. 284f. 653 Kaiser, in: Deutsche Architektur 3/1954, S. 102. 654 Vgl. Wiesemann 2000, S. 149ff.

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Bild 62: Die Westseite des realisierten Projektes

gegeben, dessen Entwurf einer vorbildhaften systematischen Entwurfsentwicklung folgen sollte.655 Die zentral verfügte Ideenfi ndung und Realisierung einer solchen Bauaufgabe fand erst nach der Republikgründung 1949 und der Auflösung der Länder 1952 ihre Vermittlungs- und Ausführungsstrukturen. Verband sich bis 1950 die öffentliche Wahrnehmung der Maxhütte mit menschenreichen Aktionen und Produktionswettbewerben, so begann sich jetzt die gebaute Symbolik einer neuen Gesellschaft in einer eigenen Form zu etablieren. Dass sich damit auch der Stilkanon eines Neuklassizismus im Sinn „Nationaler Traditionen“ verordnen ließ, überrascht nicht und wirft ein Licht auf eine neue Verbindlichkeit nach 1950, wie sie das Bauen in der SBZ noch nicht kannte.

655 Zwei weitere große Projekte auf dem Gebiet Thüringens, die TBC-Heilstätte Bad Berka (Hanns Hopp, Joachim Sahl, 1951–58) und das Kreiskrankenhaus Saalfeld (Hanns Hopp, Werner Wolfram, Hubert Matthes, 1952–61) entstanden unter dem Einfluss der deutschen Bauakademie. Auch hier plante Hanns Hopp als Architekt in unterschiedlichen Arbeitsgruppen.

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5 Reform - Ländliches Bauen und „Neue Dorfdemokratie“

In den Planungsstäben der Alliierten tauchten noch während des Krieges Denkmodelle auf, die Deutschland als Industrienation nach seiner Unterwerfung für immer schwächen sollten. Der Plan des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau sah schon 1944 in einem 14-Punkte-Programm ein agrarisiertes Deutschland vor. Später ergab sich aus diesem Ansatz eine Verfügung, die im „Plan für Reparationen und das Industrieniveau im Nachkriegsdeutschland“ des alliierten Kontrollrates vom März 1946 seinen Niederschlag fand, mit dem ausdrücklichen Ziel der „Bestrafung Deutschlands durch De-Industrialisierung“.656 Was als dauerhafte Unterwerfungsstrategie gemeint war, korrespondierte eigentümlich mit verbreiteten Sehnsuchtsvarianten, in denen sich die Deutschen nach 1945 ein Leben ohne Stadt erfanden. Wie im zweiten Kapitel beschrieben, schien das Prinzip der Stadt in den Jahren nach 1945 abermals einem grundsätzlichen Zweifel ausgesetzt. Zur Idee, Deutschland jenseits der Städte aufzubauen, gab die aktuelle Bevölkerungsumverteilung neuen Anlass. Flüchtlinge und Bombengeschädigte wohnten in Massen auf dem Land und hatten oftmals die brennende Kulisse der Stadt als letztes Bild im Gedächtnis. Die demografi sche Momentaufnahme kann jedoch nicht davon ablenken, dass nach Kriegsende ein starker Rückstrom in die Städte einsetzte. Dennoch wurden Programme gedacht, die einer langfristigen Verarmung des Landes nur durch eine sich selbst versorgende Bevölkerungsmehrheit entgegnen wollten. Ein antistädtisches Gefühl lässt sich quer durch Bevölkerungs- und Bildungsschichten beobachten. Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch, selbst Architekt, kleidete den Zweifel und das Fremdheitsgefühl in Worte, mit dem auch die Deutschen ihren Städten wieder begegnet sein mögen. Bei seiner Reise durch das zerstörte Deutschland schrieb er im Mai 1946 über seinen Besuch in Frankfurt am Main „das Gras, das in den Häusern wächst, der Löwenzahn in den Kirchen, und plötzlich kann man sich vorstellen, wie es weiterwächst, wie sich ein Urwald über die Städte zieht [...] ein menschenloses Gedeihen [...] eine geschichtslose Erde“.657 Das gütige Überwuchern des Vergangenen, die Kraft der Natur schien dafür ein Bild des ewig Zyklischen über dem Zeitlichen zu liefern. Jenseits poetischer Vorstellung hatte in den Jahren nach dem 656 Mai, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 3. Juni 1988, S. 11. 657 Frisch 1951, S. 32.

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REFORM - LÄNDLICHES BAUEN

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„NEUE DORFDEMOKRATIE“

Krieg das Land als Gegenentwurf zur Stadtagglomeration in breiten Kreisen der Bevölkerung Konjunktur, so gegensätzlich die Motive dazu auch sein konnten.

5.1 Traditionen der Agrarreform Die tabula rasa der zerstörten Städte bewegte, wie beschrieben, manchen skeptischen Planer und Politiker dazu, die Stadt als zivilisatorischen Irrtum aufzugeben. Mancher Standpunkt schwankte darin, ob es lohne, die Stadt jenseits der Trümmer fortzusetzen oder ob das Urbane als bekanntes Prinzip am Ende war. In Dresden wünschte der Oberbürgermeister Walter Weidauer in einem Interview der „Sächsischen Zeitung“ vom 20. Oktober 1946, Dresden zu einer Gartenstadt zu machen, die ihren Wiederaufbau an einem neuen Ort neben den Resten der alten Stadt starten sollte.658 Das Modell Ebenezer Howards von der Siedlung in vorbehaltlicher Stadtferne blieb auch nach 1945 im politischen Vokabular und war gleichwohl eher Vorbild für einen urbanistisch geformten Wohnstandort und nicht so sehr für ein neues bäuerliches Ideal. So hatte sich die deutsche Diskussion nach 1945 mit mindestens zwei Interpretationenrichtungen zwischen Stadt und Land auseinanderzusetzen. Der wie auch immer begründete Stadtekel deckte sich nicht unbedingt mit der ländlichen Bodenreform. Die Gartenstadt war kein Dorf. Gleichwohl erlebten beide Themen im Nachkriegsdeutschland einen Aufschwung, hatten sie doch seit 1900 eine parallele Entwicklung durchlaufen. Zwischen der Howardschen Gartenstadt, der Selbstversorgersiedlung für das Existenzminimum aus der Zwischenkriegszeit sowie dem Neubauerndorf besteht soweit eine Verbindung, als dass gesellschaftliche Anliegen siedlungstypologische Folgen hatten. Der Traditionshintergrund lag jedoch im Fall des Neubauernhofes nicht so sehr im direkten Reagieren auf die Stadt der Industrialisierung und ihre Härten, als bereits in einer Vergangenheit der europäischen Binnenkolonisierung. Ländliches, systematisches Besiedeln war nicht erst seit dem 19. Jahrhundert Teil staatlicher Politik, sondern schon früher Teil territorialer, demografi scher oder wirtschaftlicher Strategien gewesen. Mit dem gesteuerten Siedeln im ländlichen Raum verbanden sich seit jeher Kategorien des Bauens und Wirtschaftens jenseits einer gewachsenen Erbbindung an Boden und Ort.

658 Siehe Koch, in: Barth 1998, S. 89–98; vgl. auch Bronder, in: Planen und Bauen 19/1951, S. 439.

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5.1.1 Boden und Raum Das ländliche Siedeln bezog seit der Jahrhundertwende aus dem Begriff der ländlichen „Bodenreform“ eine politische Kraft. Der Gedanke vom Land, vom „Stück Land“, als sozialer Größe war eine in Deutschland lange bekannte Idee, die der Journalist Adolf Damaschke im Jahr 1912 in seinem äußerst populären Buch „Die Bodenreform“ zum Zentrum einer zukünftigen Gesellschaftsbildung gemacht hatte. Darin verband Damaschke mit der Bodenreform, dem Verbot von Spekulation und einem „freien Bauernstand“ einen dritten Weg zwischen „Mammonismus und Kommunismus“. Es ging Damaschke um die Sicherung des existierenden Bauernstandes, weil schon er genau ahnte, dass „man [...] nur sehr schwer aus Fabrikarbeitern eine neue Landbevölkerung schaffen [kann]“.659 Er sah sich und die Bodenreformer als „Vertreter höchster Sittengesetze“ und stand in der Tradition eines anti-liberalen Konservativismus. Später war es derselbe Adolf Damaschke, der mit Begeisterung die nationalsozialistische Bewegung unterstützte 660, die anfänglich die Idee der Bodenreform wörtlich in ihrem Programm trug.661 Die Neubildung des deutschen Bauerntums durch eine den nationalen Bedürfnissen angepasste Bodenreform, so der Tenor Damaschkes, entsprach sinngemäß dem Parteiprogramm der NSDAP und versah die junge Disziplin der Landesplanung mit einem gebietsübergreifenden Ordnungsbefehl.662 Das Verständnis des Neubauernprogramms nach 1945 ist ohne die Kenntnisse nationalsozialistischer Agrarpolitik nicht möglich. Die Verherrlichung des Bauerntums als „Blutsquell der Nation“ war Metapher einer bodenfixierten Ideologie. Siedlerprogramme verfolgten vor 1945, Familien an eigenen Boden zu binden. Der ideologische Hintergrund war die Angst vor dem bindungslosen Proletarier mit einem unwägbaren Aufruhrpotential. Die offi zielle Parteimeinung setzte sich aufgeschlossen mit dem Phänomen der Bodenreform auseinander, solange sich daran eine Ablehnung des „alten Systems“ knüpfen ließ. Andererseits waren es gerade Großgrundbesitzer, die den Erfolg des Nationalsozialismus stützten und mit denen man sich nicht überwerfen konnte. Weniger als gesellschaftliche Gleichheit in der Bauernschaft war die Produktion in der Landwirtschaft zur Grundsatzfrage einer volkswirtschaftlichen Abhängigkeit geworden. Mit der Angst, sich nach der 659 660 661 662

Damaschke 1923, S. 173. Siehe Damaschke 1935. Vgl. Dornheim; Post; Stenzel 1997, S. 119. Vgl. Bricks; Gans, in: Heiden; Mai 1995, S. 191.

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Bild 63: Landarbeiterwohnhäuser in Ebeleben bei Sondershausen, um 1936

Reichsgründung allzu einseitig zum Industriestaat entwickelt zu haben, wuchs der Plan, von Agrarimporten unabhängig zu sein und die landwirtschaftliche Autarkie des Reiches anzustreben. Dabei suchte die Reichsregierung nach Instrumenten, um jene Landarbeiter, die in städtische Industrien abwanderten, zwangsweise in die Landwirtschaft zurückzuführen.663 Vor diesem Hintergrund entstanden auch in Thüringen Siedlungsprojekte, die dem Landarbeiter eine gleichberechtigte und attraktive Rolle im Vergleich zu Industriearbeitern zuweisen wollten.664 Die massive Ansiedlung von Industrien hatte schon vor Kriegsbeginn das Arbeitskräftepotential derart stark aus der Landwirtschaft abgezogen, dass in Thüringen auswärtige und ausländische Landarbeiter angeworben werden mussten.665 Auf den erwähnten Thüringer Staatsgütern, wie in Bad Frankenhausen, Ranstedt, Molsdorf oder Almenhausen waren in den Jahren nach 1933 Siedlungen mit Landarbeiterhäusern entstanden. Was die Nationalsozialisten bauten, um das Wanderarbeiterwesen zu reduzieren und Landarbeiter sesshaft zu machen, entsprach typologisch einem Siedlungshaus mit erweiterter

663 Das widersprach einer Aufhebung der „Vorläufigen Landarbeitsordnung“ von 1919, welche Landarbeiter anderen Arbeitnehmern gleichgestellt hatte, vgl. Dornheim 1997, S. 145. 664 Siehe Dornheim, in: Dornheim; Post; Stenzel 1997, S. 113–149. 665 Das Sozialamt der Deutschen Arbeitsfront (DAF) beklagte bereits 1938 ein „industriell übersättigtes“ Thüringen, vgl. Bricks; Gans, in: Heiden; Mai 1995, S. 202.

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Bild 64: Landarbeiterstelle in Hinterpommern, Wilhelm Heilig und Alfred Beidatsch-Schneidemühl, um 1931

Selbstversorgerfunktion, nicht jedoch einer eigenen Kleinlandwirtschaft.666 Weiß verputzte Einfamilienhäuser unter hohen, meist zweigeschossigen Satteldächern hoben sich von backsteinsichtigen Ökonomiegebäuden ebenso ab wie von regionalen Bauformen. In Reihe und Gruppen gestellt, glichen sie mehr dem Bild einer Vorstadtsiedlung als einem Dorf. Das Reichsheimstättenamt formulierte 1934: „Die Kleinsiedlung [...] verbindet den werktätigen Arbeiter mit dem Grund und Boden und macht ihn zu einem heimatverbundenen und politisch gefestigten Mitglied der Volksgemeinschaft“667 Wie man diese Strategie des bodenverwurzelten Siedlers erweiterte, zeigte das Programm, jungen Landwirten eine „Siedleranwärterrolle“ zuzusprechen, um ihnen Wirtschaftsland in noch zu erobernde Territorien im europäischen Osten in Aussicht zu stellen. Auch ohne kriegerisches Motiv war diese Idee, den „dünn bevölkerten Osten mit Bauernsöhnen aus dem Westen“668 zu besiedeln, in Deutschland auch schon vor 1933 bemüht worden, als es galt, Antworten auf die damaligen Gegenwartskrisen zu fi nden. In seinen Ausführungen zum Thema „Arbeitsmarkt und Siedlung“ erläuterte der Architekt Wilhelm Heilig 1932 im Publikationsorgan 666 Vgl. Voigt 1938, S. XXVIII und S. 131ff. 667 Zit. n. Mattausch; Wiederspahn 1979, S. 203. 668 Heilig, in: Baugilde 10/1932, S. 475.

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des Bundes Deutscher Architekten (BDA) den Zusammenhang zwischen neu zu schaffenden Kleinbauernstellen und der Linderung des Arbeitslosenproblems. Heilig verband mit der Ostbesiedlung, im Gegensatz zu den später gehegten Eroberungsabsichten, die Tradition historischer Wanderungsbewegungen bzw. Ansiedlungsunternehmungen unter preußischer Hoheit. Sein Beitrag ist hier überdies zu erwähnen, weil er Entwurfsvorschläge machte, wie man Großgüter in Kleinbauernstellen umnutzen kann. Obwohl er seine Anregungen hypothetisch nannte und sich auch nicht auf gesellschaftliche Umbruchszenarien stützte, illustrierte er am Beispiel Suckwitz (Mecklenburg) die Neuaufteilung von Scheune und Stall in Wohn- und Wirtschaftsräume und kalkulierte 32 neue Bauernstellen à 15 Hektar auf dem Gelände des Gutes. Dazu präsentierte er bereits gebaute Beispiele neuer Landarbeiterstellen mit einem Flachdach, „das keinerlei Störung in der Landschaft hervorruft“.669

5.1.2 Bodenreform als deutscher Sonderweg Das Neubauernprogramm nach 1945 setzte geänderte Produktions- und Besitzverhältnisse voraus. Es trug die hoff nungsvollen Züge einer neuen Gesellschaft. Die neuen Wohn- und Wirtschaftsstellen waren stadtentkoppelt. Sie unterstanden keiner Herrschaft und waren auf Eigenständigkeit programmiert. Die katastrophale Versorgungslage schien neben der neuen Eigentumssituation dem Modell der kleinteiligen, autarken Hofstelle Recht zu geben. Die überschaubare Einheit des Dorfes versprach nach dem Krieg in mehrfacher Hinsicht der Stadt überlegen zu sein. Es bot zum einen die notwendige wirtschaftliche Autarkie mit engen und wenig anfälligen Produktionskreisläufen. In einer Zeit, in der Städter Pelzmäntel gegen Schinken tauschten und Nahrungsmittel zur Schieberware wurden, war im Vorteil, wer sich mit Garten und Acker ernähren konnte. Zum zweiten war das Land infrastrukturell weniger durch Kriegseinwirkungen und Demontagen betroffen. Auch wenn die SBZ und später die DDR aus der Bodenreform eine hohe identifi katorische Kraft gezogen hat, so war die Idee von der Bodenreform nicht auf die SBZ beschränkt. In allen Besatzungszonen gab es eine verbreitete Überzeugung, dass allein der lang andauernde städtische Wiederaufbau zuerst die Schaff ung ländlicher Wirtschaftsstellen notwendig machen würde. So erhielt der hessische Staatsminister Gottlob Binder einhelligen Beifall, als er auf der Kölner Arbeitstagung „Grundfragen des Auf669 Heilig, in: Baugilde 10/1932, S. 491.

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Bild 65: Kundgebung der Bodenreform in Seehausen bei Gotha, September 1945

baus in Stadt und Land“, im April 1947 „eine Abschirmung der Städte gegen weiteren Zuzug [...] und die vorläufige Beschränkung der Wiederauf bauarbeit in den Städten auf die Erhaltung desjenigen Wohnraums, der verhältnismäßig wenig Aufwendungen“670 verlangte. Als strukturelle Begleitstrategie stellte er sich vor, „die Dezentralisation der gewerblichen Wirtschaft nachdrücklich zu fördern und das Hauptaugenmerk auf die Seßhaftmachung der Evakuierten und Flüchtlinge in den Dörfern und Kleinstädten zu lenken“.671 Sein Motto zum Wiederauf bau „vom Dorfe her“ wollte er vor allem mit einem zu aktivierenden Selbsthilfe- und Eigenleistungspotential verknüpft wissen.672 So wurden auch in den Westsektoren Kleinbauernstellen für Flüchtlinge eingerichtet. Im Osten Deutschlands fand der Enteignungsgedanke jedoch wesentlich mehr Anlässe. Erhebungen aus der Zeit vor 1945 belegen, dass die Betriebsgröße, d.h. die Konzentration im Landbesitz, in Ostdeutschland wesentlich größer war als im Westen. Der Anteil der Betriebsgrößenklasse über 100 Hektar lag auf dem Gebiet der späteren SBZ bei 28,2% gegenüber 4,8% in den drei Westzonen. Als weitere Eigenart zeigte sich 1939 der Anteil adliger Grundeigentümer in den späteren Westzonen bei 6,6%, für das Territorium der späteren SBZ hingegen bei 30,2%.673 670 671 672 673

Binder, in: Binder 1947, S. 6. Ebd. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. Trittel 1975, S. 13.

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Die Zerschlagung des ostdeutschen Großgrundbesitzes fand sogar in den Westzonen als Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaftsbildung in der SBZ Verständnis. Wie sehr die Bodenreform wiederum als deutscher Sonderweg angesehen wurde und wie weit entfernt ihre Maßnahmen vom sowjetischen Vorbild entfernt waren, zeigt die ausdrückliche Betonung des Charakters einer „demokratischen Bodenreform“. Wilhelm Pieck , damals noch KPD, unterstrich in seiner berühmten Rede „Junkerland in Bauernhand“ vom 2. September 1945, dass dabei das „bäuerliche Privateigentum [...] vollständig erhalten werden“674 soll. Er hielt daran fest, dass die Kollektivierung der Landwirtschaft nicht beabsichtigt sei, dass ferner die „demokratische Umgestaltung Deutschlands sich nicht auf einer sozialistischen Basis“675 vollziehen solle, „sondern bei Aufrechterhaltung des Kapitalismus“676 und berief sich dabei auf das Programm der KPD vom 11. Juni 1945, das er mit dem Satz zitierte: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland“.677 In Piecks Abgrenzung wird deutlich, welchen schmalen Grat die Bodenreform zwischen Neuerungsabsichten und Vereinnahmungsängsten beschritt. Der Fragestellung dieser Arbeit folgend sind die gebauten Äußerungen der Bodenreform auf eben diese Neuerungen und Vereinnahmungen, auf Traditionen und Notlösungen hin zu untersuchen. Viele technische und architektonische Teilaspekte bei der Umsetzung von Neubauernstellen waren seit Jahrzehnten bekannt und erfuhren nach 1945 lediglich neue Gewichtungen.

5.1.3 Bauformen im Neubauernprogramm Bemerkenswert ist, wie sich die Erscheinung der neu gebauten Bauernsiedlung vom Nationalsozialismus zum Neubauernhof der SBZ scheinbar bruchlos weiterzieht, so unterschiedlich die ideologischen Absichten waren. Der Begriff vom Zugang zur eigenen Scholle und zu selbständiger Arbeit, so der Gründungsaufruf der ostdeutschen CDU,678 sollte nun nicht mehr Synonym für ein völkisches oder rassisch begründetes Recht sein, sondern Garantie 674 675 676 677 678

Pieck 1945, S. 14. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Berliner Gründungsaufruf der CDU (Christlich-Demokratischen Union Deutschlands) vom 26. Juni 1945, nach: Rauch 1998, o.S.; Die CDU in Thüringen bekämpfte allerdings die entschädigungslose Enteignung, vgl. Broszat; Weber 1993, 181f.

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zur Selbständigkeit der untersten Klassen. Es kann aus unterschiedlichen Gründen naheliegend gewesen sein, in der Gestaltung des Neubauernhofs bekannte Muster zu bemühen. Sei es, um den vormals Landlosen ein neu gewonnenes Privileg in bekannten Bildern zu vermitteln, sei es um dem Entwurzelungstrauma der Flüchtlinge oder damals so genannten Umsiedler etwas Vertrautes entgegenzusetzen. Unabhängig davon kann man von einer reflexhaften Übernahme sprechen, die nicht so sehr gestalterischer als vielmehr handwerklicher und bautechnischer Natur waren. Zudem boten die äußerst schlichten Bauvoraussetzungen wenig Gelegenheit, den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen einen neuen baukünstlerischen Zug zu verleihen. Das begründet jedoch die herkömmlichen Bauformen nicht ausreichend. Ebenso folgte der formale Eindruck des Bauens für Neubauern einem einheitlichen Bild. Andreas Butter führt aus, dass technische Gebäude, wie Schuppen, Ställe und Maschinenhallen sehr wohl rationalisierten Konstruktionsmethoden und funktionellen Formen folgten, während der Neubauernhof auch nach 1950 noch der „romantischen Vorstellung vom Bauernhaus“679 entspreche. In der Formgebung des Bauernhauses herrschte das einfache Satteldach vor, ohne einer regionalen Stilübernahme zu verfallen. Eher zeigten sich Hofbauten in einer vereinfachten und übertragen verwendbaren Formelhaftigkeit und tauchen wiedererkennbar in der ganzen SBZ auf. Besonders bei den in Thüringen entwickelten Typen wird die tiefe Traufe unter einem zweigeschossigen Spitzdach zum übersteigerten Bild vom Haus, dessen hohes Dachdreieck den Bau nach unten drückt, um ihn augenscheinlich mit dem Boden zu verhaften. Weder Dekorationen oder Baukörpergliederung, weder große Dachüberstände noch Aufschiebekonstruktionen im Dachstuhl verunklären diesen Zeichencharakter. Im notbedingten Einhausprinzip vieler Neubauernhäuser der SBZ, welches Wohn- und Ökonomiegebäude zusammenfasst, steigerte sich zusätzlich die kompakte und signethafte Präsenz der Hofstelle. Am Beispiel Großfurra-Neuheide wird die Übereinstimmung mit dem Gedanken vom rationalisierten Kleingehöft weiter zu erörtern sein. Das ländliche Bauen schürte trotz oder wegen der knappen Ressourcen die Auseinandersetzung um Typisierung oder individuelle Gestaltung. Beide Strategien wurden mit wirtschaftlichen Argumenten gegeneinander verteidigt. Schon mit dem Beginn des Neubauernprogramms erkannten die Planungsverantwortlichen, dass Normierung und Rationalisierung nicht

679 Butter, in: Kluge; Halder; Schlenker 2001, S. 272.

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unbedingt die Kosten senkten. Joachim Palutzki erläutert anhand eines Artikels von Franz Jahn, der Ende 1947 erschien, wie der Befehl 117, in dem das Bauen nach Typen und Normen gefordert wurde, dem Befehl 209 widersprach, der Bauern „bei der Wahl des von ihnen gewünschten Gebäudetyps vollkommene Selbständigkeit“680 gewähren wollte. In der Praxis waren Neubauernhöfe nicht unbedingt Resultat einer rationalisierten oder typisierten Bauproduktion. Der Status des „freien Bauern auf freier Scholle“ war anfangs de facto um die Freiheit der Bauweise ergänzt, bis das Institut für Bauwesen der Akademie der Wissenschaften um 1950 einheitliche Typen entwickelte.

5.2 Das Neubauernprogramm - Die Thüringer Variante Zu den Grundsätzen des Neubauernprogramms gehörte die ursozialistische Forderung nach einem geänderten Bodenrecht und einer neu gestalteten Wirtschafts- und Siedlungsstruktur. Die Planung und Realisierung war jedoch an Fachkräfte gebunden, die das ländliche Siedlungswesen vor 1945 geprägt und entwickelt hatten.681 Die Bodenreform war, wie beschrieben, kein alleiniges kommunistisches Ideeneigentum. In ihrer flächendeckenden Radikalität war sie dennoch eine der ersten gesellschaftlichen Maßnahmen unter sowjetischer Besatzung. Das Gesetz vom 10. September 1945 sah die Zerschlagung des Großgrundbesitzes vor und änderte in den nördlichen Regionen der SBZ, in Mecklenburg und Brandenburg, die ländliche Eigentumsstruktur erheblich. In Thüringen übertrafen nur 1% der bäuerlichen Betriebe die Größe von 100 Hektar, die Grenzmarke zu Enteignung und Neuaufteilung.682 In einer Erhebung von 1939 wurde sogar ermittelt, dass zwei Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in Thüringen weniger als 5 Hektar Besitz umfassten.683 Der Grund für den geringen Anteil großflächigen Besitzes ist in der Jahrhunderte währenden räumlichen Zersplitterung Thüringens und in der üblichen Realteilung von Wirtschaftsflächen im Erbefall zu suchen. Große Fürstendomänen waren zudem schon nach 1918 aus Feudal- in Staatsbesitz übergegangen.

680 Vgl. Palutzki 2000, S. 32f. 681 Dix belegt anhand biografi scher Stränge, wie mühelos Agrar- und Baufachleute ihr fachliches Wissen von den Ostbesiedlungsprogrammen Hitlers auf die Bodenreform der SBZ übertragen konnten, vgl. Dix 2002, S. 93ff. 682 Vgl. Broszat; Weber 1993, S. 169. 683 Vgl. ebd., S. 181.

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Vor der agrartechnischen und gesellschaftspolitischen Dimension der Bodenreform stand die akute Notwendigkeit, den Flüchtlingsmengen, die sich in Thüringen aufhielten, Wohn- und Wirtschaftsstätten zuzuweisen. Die Städte waren kaum zur Absorbierung der Menschen in der Lage. Da bot die Neubauernsiedlung als Resultat der Landreform die Chance der Ansiedlung von Flüchtlingen in größeren Gruppen. Die Menschenverteilung wurde jedoch auch ohne Landgabe, d.h. als Einweisung, praktiziert. Dauerhaft auf dem Land sesshaft wollten nur Umsiedler ländlicher Herkunft werden. Gleichzeitig gewünscht und geradezu begehrt war die Integration städtisch geprägter Facharbeiter und Akademiker, deren Aufnahme ins Wirtschaftsleben an Industrie und Handwerk gebunden war. Die größten Flüchtlingsschübe kamen aus Schlesien und der Tschechoslowakei in Thüringen an.684 Zusammen mit landlosen Bauern und Kleinpächtern zählte man 1945 insgesamt 40.000 potentielle Bodenanwärterfamilien. Die Koordinationsstelle der SMATh benötigte mehr Hofstellen, als man Großgrundbesitz zerschlagen konnte. Der Befehl Nr. 209 der SMAD legte das „Neubauernprogramm“ für 3.000 Höfe in Thüringen, 2.257 davon für Umsiedlerfamilien, auf, deren Zahl jedoch in die Hunderttausende ging.685 So waren es schließlich nur 42% der enteigneten landwirtschaftlichen Betriebe, die in Thüringen nach dem Größenkriterium bewertet wurden. Der Rest der neu verteilten Wirtschaftsstellen gehörte ehemaligen Funktionären und Mitgliedern der NSDAP, die nach den Gesetzen der SMAD ebenfalls enteignet werden konnten. So lässt sich erklären, warum in einer Entschließung der Landesbauernkonferenz in Weimar am 2. September 1945 an erster Stelle die „Enteignung aller aktiven Nazibauern“686 stand und dann erst „die Enteignung der Höfe wohlbegüterter Leute“.687 Schon 1946 konnte eine Bilanz gezogen werden, wonach in Thüringen 486 Güter über 100 ha, 156 Staatsdomänen und 446 Bauernwirtschaften von „Naziaktivisten“ an 49.842 „landlose und landarme Bauern, Landarbeiter, Kleinpächter, Neubürger und nichtlandwirtschaftliche Arbeiter“ verteilt wurde.688 Bis zum 31. Dezember

684 Vgl. Broszat; Weber 1993, S. 1070f. 685 An anderer Stelle ist von 685.913 Umsiedlern in Thüringen zum Beginn des „Neubauernprogramms“ die Rede, vgl. Kaltenborn 1989, S. 44 u. 150. 686 Ebd. 687 So formuliert im Aufruf: An die Bauern des Landes Thüringen! Thüringer Bauern! Entschließung der Delegierten, Landesbauernkonferenz in Thüringen, Weimar am 2. September 1945, vgl. Pieck 1945, S. 17. 688 Hier wird Bezug genommen auf eine Beratung der Bodenreform-Beauftragten der Stadtund Landkreise am 14. Mai 1946 in Weimar, vgl. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Bezirksleitung Erfurt 1975, S. 51.

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1949 wurden 14% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Thüringens von der Bodenreform erfasst. Grundstücke wurden im Rahmen der Bodenreform zwar als vollwertiges und vererbliches Grundeigentum übertragen. Die Verwertung und Vererbbarkeit war aber deutlich eingeschränkt durch Bestimmungen der Besitzwechselverordnungen.689

5.2.1 „Neue Dorfdemokratie“ als gesellschaftliches Versprechen Die „Neue Dorfdemokratie“ verstand sich als ein Instrument, dem Landbewohner seine Rückständigkeit zu nehmen. Aus seiner Abhängigkeit befreit sollten ihm sowohl technische als auch kulturelle Möglichkeiten geboten werden. Das Bewusstsein, in den Genuss vormals verwehrter Privilegien zu kommen, steigerte die Einsicht in den Wandel und korrespondierte mit der Forderung Friedrich Engels’ nach der Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land. Maschinenausleihstationen (MAS) verkörperten den

Bild 66: Flur- und Grundstücksteilung des ersten Neubauerndorfes der SBZ, Großfurra, auf dem Gelände des Vorwerks Haidehaus

689 Die vollwertigen Rechte zur Verfüg- und Vererbbarkeit über erhaltenen Grund aus der Bodenreform regelte erst ein Gesetz nach dem Ende der DDR.

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technischen Fortschritt in der Landwirtschaft und den gemeinschaftlichen Geist unter „freien, gleich gestellten Bauern“. Die MAS oder später die Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) wurden nicht selten mit einem Kulturhaus verbunden und zogen einen eigenständig sozialistischen Bautyp nach sich. Politische Vorgaben verbanden sich mit wirtschaftlichen Absichten. Einzelne Dörfer wurden zu neuen Zentren ausgebaut, unabhängig von ehemaligen Herrensitzen oder Kirchgemeinden. In Thüringen fehlten spektakuläre Maßnahmen, den historischen Landbesitz einiger Weniger aufzubrechen. Auch war im Süden der SBZ das Feindbild jener Grund besitzenden Schicht der „Junker“ nur bedingt anwendbar, einer Gesellschaftsschicht, die im preußischen Kontext und zuletzt in der Weimarer Republik zum Inbegriff einer in hierarchischen Strukturen beharrenden Oberklasse geworden war.690 Die Absichtsbekundung des Programms unter dem Titel einer „demokratischen Bodenreform“ entsprach den tatsächlichen Entscheidungswegen nicht. Dornheim weist nach, dass Beschluss fällende Gemeindekommissionen mitunter willkürlich oder unter Druck der sowjetischen Besatzungsmacht handelten.691 Auch wenn Thüringen mit einer Enteignungsquote von 13,4% weit unter dem Durchschnitt von 30,4% in der SBZ lag, wurde das erste Neubauerndorf Großfurra-Neuheide zum zonenweiten Initialereignis. Ziel des Projektes war eine ländliche Lebensform, deren kleinste Zelle, die Neubauernstelle „allen politischen und wirtschaftlichen Krisen trotzen“692 kann, so Toni Miller, der Architekt, in seinem Dokumentarband zur Planung von Großfurra-Neuheide. Die Bodenreform fand in Thüringen wenige Großbesitztümer, um sie öffentlichkeitswirksam zu zerschlagen. Dennoch war die Ruhe des Hinterlandes in der Mitte Deutschlands ein geeignetes Experimentierfeld für die Idee der Selbstversorgerstelle, der man ein schnelles Aufnahmevermögen der Flüchtlingsströme zutraute. Das metropolenferne Thüringen schien für derartige Agrarutopien die ideale Landschaft zu sein. Doch so sehr Thüringen das Image einer ländlichen Region trug und trägt, so wenig ließ sich nach dem zweiten Weltkrieg seine Bevölkerung erfolgreich zur Agrargesellschaft umschulen.

690 Der spätere erste Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, veröffentlichte seine „Rede zur demokratischen Bodenreform“ vom 2. September 1945 in Kyritz ebenfalls unter dem Titel „Junkerland in Bauernhand“, siehe Pieck 1945. 691 Vgl. Dornheim 2001, S. 6. 692 Miller 1947, S. 9.

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Bemühte man mit mindestens vier Thüringer Thomas-Müntzer-Siedlungen693 einen regionalen klassenkämpferischen Schutzpatron für eine befreite Bauernschaft, so weist die Verbindung zu Thomas Müntzer (1490–1525) auch auf einen Widerspruch im Neubauernprogramm hin. Bot im 15. Jahrhundert der Ackerbau die einzige Wirtschaftsform für eine Bevölkerungsmehrheit so waren 1946 in Thüringen nur noch 18,6% der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt. Dagegen arbeiteten 38,9% in Industrie und Handwerk. Thüringen war demnach neben Sachsen das am wenigsten agrarisierte Land der SBZ.694 Das Ansiedeln neuer Bauern konnte nicht verhindern, dass die thüringischen Städte als Industriestandort einen Beschäftigungssog ausübten, zu dem auch ein eigenes Stück Land keine ernsthafte Alternative sein konnte. Nach offi ziellen Angaben waren Anfang 1946 90% der Betriebe wieder funktionsfähig. Thüringen war vor und im Krieg massiven Industrialisierungsanstrengungen unterworfen, die mit der Konzentration verlegter Rüstungsindustrien einen Höhepunkt gefunden hatten.695 Schon in der Zwischenkriegszeit und besonders nach der Landesgründung 1920 waren Schlüsselindustrien, wie die Feinoptik in Jena, die Metallverarbeitung in Suhl, Zella-Mehlis und Sömmerda sowie der Fahrzeugbau in Eisenach eingerichtet oder ausgeweitet worden. Das Neubauernprogramm traf in Thüringen auf eine Industrielandschaft, die vielseitig und exportorientiert war und nach 1933 zunehmend auf die Autarkie des Reiches und dessen Großstrukturen ausgerichtet wurde.696 Neubauernsiedlungen wurden dennoch zur gleichen Zeit in allen Ländern der SBZ gegründet. Insgesamt wurden bis 1951 nahezu 80.000 Höfe neu gebaut und 200.000 neue landwirtschaftliche Betriebe geschaffen. Der Anteil Thüringens ist gering. Hier wurden bis 1948 3.279 Neubauernhöfe 693 Genannt seien die Thomas-Müntzer-Siedlung auf dem ehemaligen Staatsgut Griefstedt, Kreis Sömmerda, die Thomas-Müntzer-Siedlung in Ebersdorf, Kreis Schleiz, die ThomasMüntzer-Siedlung bei Schmölln, die Thomas-Müntzer-Siedlung bei Saalfeld sowie eine gleichnamige Siedlung in Altenburg. 694 Vgl. Broszat; Weber 1993, S. 1073. Auch 1925 werden nur noch 20,9% der Bewohnerschaft des damaligen Thüringen (ohne Regierungsbezirk Erfurt) in Land- und Forstwirtschaft angezeigt, vgl. Müller 1929, S. 19; 1933 anlässlich einer „Berufszählung“ sank der Wert in Thüringen auf 17,9%, im Regierungsbezirk Erfurt auf 20,2%, vgl. Dornheim; Post; Stenzel 1997, S. 117. 695 Bricks und Gans geben detailliert Auskunft über die Verschiebungen und Auslagerungen von Betrieben nach Thüringen, das als sicher vor Bombardierungen galt, vgl. Bricks; Gans, in: Heiden; Mai 1995, S. 204ff. 696 John merkt an, dass das wirtschaftliche Erbe des Nationalsozialismus sich eher „als Belastungs- denn als Entwicklungsfaktor für die Nachkriegszeit“ erwiesen hätte, vgl. John, in: Heiden, Mai 1995, S. 245.

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errichtet und mehr als doppelt so viele Gebäude (7.209) erweitert.697 Der Bedarf war 1946 vom Ministerium des Innern mit 15.000 angegeben worden. Trotzdem wird am 13. August 1946 in einer Sitzung im Ministerium des Innern eingestanden, dass für maximal 652 Neu- und ca. 3.000 Umbauten Geld vorhanden sei.698 Um mit Hilfe zentraler Lenkung den Baubedarf zu decken, nahm am 1. April 1946 die Landessiedlungsgesellschaft für ländliche Bauten ihre Arbeit auf, um Bauten mit einer veranschlagten Einzelbausumme von 6.000 Reichsmark umzusetzen. Durchschnittlich verfügte jede Hofstelle über lediglich 2,5 Hektar Land. In vielen Fällen integrierten sich Hofstellen für Neubauern in bestehende Gutsanlagen, gingen als Einzelhöfe in einer Dorfstruktur auf oder schlugen sich in einer vergrößerten Wirtschaftsfläche für landarme Bauern nieder. Das Bodenreformprogramm wurde 1952 abrupt beendet. Hauptsächlich weil es die erhoff te Versorgung nicht zu leisten vermochte, mussten sich die Vorgaben der Politik ändern. Die anschließende Kollektivierung nach sowjetischem Vorbild versprach eine effektivere, großfl ächige Bewirtschaftung und wandelte die innere Organisation der Landwirtschaft folgenreicher als es die Einrichtung der kleinen Hofstellen getan hatte. Die mittlerweile international fortgeschrittene Mechanisierung der Landwirtschaft war zudem die Antwort auf die bereits erwähnte Abwanderung von Landbewohnern in städtische Industrien.699

5.2.2 Modellgesellschaften Der Umbruch im neuen ländlichen Wohnen und Wirtschaften schlug sich seltener in der Neugründung von Siedlungen nieder als im Kontext bestehender Gemeinden. Den lesbarsten Ausdruck einer neuen Bewirtschaftungs- und Besitzform lieferte jedoch das neue, modellhafte Dorf. Wie weit Neugründungen das komplette Dorf zum typologischen Vorbild hatten, misst sich an den gemeinschaftlichen Bauten im Bedarfsprogramm zusätzlich zu den Hofstellen. Im Fall übernommener Güter wurden Herrschaftshäuser umgewidmet und bewusst allen zugänglich gemacht. Das Gutshaus wurde zum Gemeinschaftshaus oder zur Schule, der Privatgarten des Gutshauses zum Schulgarten oder Sportplatz. Schulen, Kultur-

697 Vgl. Dornheim 2001, S. 6. 698 Vgl. Protokoll der Sitzung bei Dr. Lukaschek am 13. August 1946, siehe ThHStAW, LaThMdI, 861, Bl. 31ff., vgl. auch Heiden, in: Heiden; Mai: 1995, S. 369. 699 Zum Übergang von der Neubauernbewegung zur Kollektivierung in Thüringen, vgl. Thüringer Landtag; Historische Kommission für Thüringen 1999, S. 109f.

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häuser oder auch Maschinen-Ausleih-Stationen verbanden sich oft mit bestehenden Dorf kernen, die in der Nähe lagen. Dennoch konnten manche Siedlungsprojekte ein eigenständiges Gemeinschaftsmodell verkörpern, das im Sinn eines Vorbilds für die neue Gesellschaftsordnung publiziert und propagiert wurde. In Thüringen spielten bis 1950 drei Dörfer die Rolle eines solchen absichtsvoll verbreiteten Modells. Die nordthüringischen Dörfer Großfurra-Neuheide und Seega standen unter der wissenschaftlichen und planerischen Betreuung der Hochschule in Weimar und wurden zum Inhalt von Handbüchern. Der Wiederauf bau des überschwemmten Bruchstedts mobilisierte den Einsatz und das Interesse der ganzen DDR und wurde für Thüringen zeitweise zur Metapher eines Gemeinschaftswerkes - wie es auch der Bau der Wasserleitung für die Maxhütte oder die Kampagnen zum gemeinschaftlichen Auf bau von Dresden und Berlin wurden. Das Projekt einer Bandstadt zwischen Mühlhausen und Langensalza, vorgetragen als Abschlussarbeit an der Weimarer Hochschule, illustriert schließlich die Verschmelzungsidee einer ländlichen Industrialisierung. Die vier Fallbeispiele stehen für einen Thüringer Möglichkeitssinn, wobei sich, wie im Fall der Diplomarbeit Egon Hartmanns, die Grenzen zwischen Vision und Realisierungsangebot verwischen konnten.

5.2.3 Die handbuchwürdigen Dörfer. Grossfurra-Neuheide und Seega Anlässlich einer Sitzung des Innenministeriums über „Bauprobleme im Land Thüringen“ im Sommer 1946 umschrieb das Protokoll „den Propagandabau Großfurra, wir wollen es einmal so nennen“700, und führte Zusatzkosten auf, die aufgrund von Unachtsamkeiten bei der Grundlagenerhebung entstanden seien.701 Damit war eine Charakterisierung des bestpublizierten Neubauerndorfs und seiner hastigen Realisierung in einem Nebensatz treff end zusammengefasst. Bis heute hat sich die Beachtung der ersten eigenständigen Neubauernsiedlung in der SBZ fortgeführt.702 Auch wenn schon während der Bauzeit von Großfurra-Neuheide weitere ähnliche Siedlungsergänzungen in der SBZ entstanden, der Bau in Großfurra-Neuheide zog sich bis 1951 hin, lag ein großes publizistisches Augenmerk auf dem Angerdorf im Norden

700 Protokoll der Sitzung bei Dr. Lukaschek am 13. August 1946, siehe ThHStAW, LaThMdI, 861, Bl. 31ff. 701 Vgl. ebd. 702 Weitere größere Neubauernhofensembles in Thüringen fi nden sich u.a. in Gangloffsömmern bei Sömmerda, in Ehrenberg, Kreis Altenburger Land, in Wahlhausen, Eichsfeldkreis sowie in Oberweimar bei Weimar.

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Thüringens. Das Bild der einander zugewandten giebelständigen Hofreihen vor einem weiten Horizont stand emblematisch für das Neuland, das zu betreten war. Eine örtliche Gemeindeversammlung ordnete als Modell für den Kreis Sondershausen an, das Vorwerk Haidehaus im ehemaligen Rittergut Großfurra bei Sondershausen in 27 Bauernstellen zu acht Hektar aufzuteilen. Am 23. März 1946 begann man mit dem ersten Spatenstich den Bau der ersten fünf Hofstellen. Bis Oktober desselben Jahres war der erste Bauabschnitt fertig gestellt. Für den Entwurf des Neubauernhofes zeichnete die Arbeitsgemeinschaft für ländliches Bau- und Siedlungswesen im Planungsverband Thüringen verantwortlich.703 Ihr Leiter Toni Miller war in Weimar Professor für das gleich lautende Fachgebiet. Sein Planungsanteil ist trotz der Verwendung bekannter Typologien belegt, wobei auch Hermann Henselmann selbst zum Entwurf von Neubauernhoftypen im Planungsverband beigetragen haben dürfte. Eine alleinige Autorenschaft in Großfurra-Neuheide ist für keinen der Beiden genau festzustellen.704 Henselmann hatte schon vor 1945 Kenntnisse in der Planung von Hofstellen in der reichseigenen Gesellschaft „Bauernsiedlung Hohensalza“ gesammelt.705 Miller hingegen war von 1939–44 Assistent am Lehrstuhl für Raumordnung, Ostkolonisation und ländliches Siedlungswesen der Technischen Hochschule Danzig gewesen. Miller trug die Planungsgedanken 1946 in einem Buch mit dem Titel „Grundlagen des ländlichen Siedlungswesens“ und dem Untertitel „Erläutert an einem praktischen Beispiel“ zusammen. Der Fall Großfurra-Neuheide beanspruchte einen Mustercharakter. Das Buch wünschte sich den Rang eines Handbuchs. Hermann Henselmann betonte als Herausgeber im Vorwort, dass die Arbeit nicht nur von Seiten der Dozenten, sondern auch von den Studenten geleistet wurde. Studenten übernahmen Bau-Patenschaften. Die Hochschule war zudem um ein politisch gewolltes Bild vom Zusammenwirken historisch getrennter Gesellschaftsschichten bemüht. Miller holte in seinem Handbuch mit einem geschichtlichen Exkurs weit aus, beschrieb die schleichende Entrechtung der Bauernschaft in Preußen seit dem Mittelalter, die den Großgrundbesitzern insbesondere nach dem siebenjährigen Krieg 1756–63 vermehrt Land und Rechte zugemessen habe. 703 Vgl. Schädlich, in: Architektur der DDR 2/1989, S. 54. 704 Dix wehrt sich gegen eine Zuschreibung der Autorenschaft an Henselmann durch Durth und begründet diese Position mit Millers Publikationstätigkeit zum Thema, die ihn als Urheber ländlicher Planungen des Planungsverbandes nachweise, vgl. Dix 2002, S. 58 und vgl. Durth; Düwel; Gutschow 1999, S. 84. Andererseits kann Dix für Millers Danziger Zeit bis 1945 keinerlei Aktivitäten in der Dorfplanung nachweisen, vgl. Dix 2002, S. 87. 705 Vgl. Dix 2002, S. 85f.; vgl. Durth; Düwel; Gutschow 1999, S. 84.

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Bild 67: Großfurra-Neuheide, zeitgenössische Präsentationszeichnungen zeigen die Rastereinteilung der Hofgrundstücke im Lageplan sowie die nicht realisierten Gemeinschaftsbauten.

Wie sehr er einem eigenen historischen Standpunkt folgte, offenbart seine Vorstellung eines freien Bauerntums, die sich keineswegs an einer parteipolitisch sozialistischen Verteilungsmaxime orientierte. Vielmehr zitierte er die Dörfer Maria Theresias in Niederösterreich und Ungarn, Millers Heimat, wo eine klare Grenze zwischen der Domäne des Grundbesitzers und den unabhängigen Dörfern liege. In Millers Herleitung wird erneut deutlich, wie weit das erste Neubauerndorf der SBZ vom sowjetischen Muster der Kolchose, dem landwirtschaftlichen Großbetrieb, entfernt war, welches sich dort mit der Kollektivierung bereits ab 1928 systematisch herausgebildet hatte und für die DDR erst ab 1952 aktuell werden sollte. So konnte sich das Thüringer Neubauernprogramm auch des Wohlwollens aus äußerst konservativer Richtung sicher sein. Auf die Publikation von Millers Buch hin lobte Rudolf Pfi ster, der Schriftleiter des Münchener Baumeister, „diese

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rührige Thüringer Planungsstelle“706 und bezeichnete das Neubauerndorf explizit als die unterlassene deutsche Kolchose. Schnell springt Pfi ster in einem Atemzug in eingeübte Polemiktraditionen, wenn er die Gestaltung der Thüringer Bauernhöfe, namentlich die Dachformen, gegen „Kunstliteraten und jene Architekten, die vom Asphalt nicht weggekommen sind“707 verteidigt. Miller wusste sich in formalen Fragen weniger polarisierend in den zeitgenössischen Diskussionsstand einzuordnen. Ausführlich beschreibt er in Publikationen dörfl iche Siedlungsformen der Geschichte, verwirft sie dann wieder als Vorlage mit dem Satz: „den Geist kopieren kann man aber nicht, der die Form schuf; diesen können wir nicht mehr erwecken.“708 Dass er schließlich doch eine Angerfigur für Großfurra-Neuheide wählte, belegt die Absicht, die beschworene Urform des völlig freien Bauern durch einen traditionellen Siedlungstyp auszudrücken. Auch wenn er Wind- und Wetterschutz, Sonnenrichtung und Flurteilung als Entwurfsparameter nannte, drängt sich für Großfurra-Neuheide ein wehrhaft gemeinter Eindruck auf. Der Weiler, dessen Einzelhöfe ihre Köpfe, d.h. Wohnteile, auf einen zentralen Platz zusammenstecken, behauptete sich motivisch gegen Angriffe auf seine Eigenständigkeit, auch wenn sie nicht mehr kriegerischer Natur waren. Die Ausrichtung der Wohnbereiche auf die Mitte geschah überdies ungeachtet der Nord-Süd-Ausrichtung der Höfe. Immer jedoch liegt der Eingang zur wetterabgewandten Ostseite. Wichtiger als die Besonnungsdauer war das gebaute Bild einer Dorfgemeinschaft mit gleichberechtigten Mitgliedern. Der Hof in Großfurra-Neuheide wird als Typ „Thüringen“ in der „zweiten Ausbaustufe“ vermerkt und verzichtet auf jegliche Zusatzformen.709 Der Hofentwurf in Großfurra-Neuheide ist im Funktionsablauf rationell organisiert und beherbergt unter einem einzigen Satteldach sowohl Wohnung als auch Stall und Scheune. Sein Grundrissauf bau deckt sich mit bekannten Grundtypen, so auch mit Bauernhausentwürfen, wie sie schon 1944 in der Bauentwurfslehre Ernst Neuferts abgebildet waren.710 Das Kapitel ist bei Neufert wohl gemerkt mit „Siedlungshäuser“ überschrieben und vom Kapitel „Gehöfte“ getrennt. Er versprach darin Entwurfshilfen zur „Bäuerliche[n] Siedlung für neue Bauerngeschlechter aus gewonne-

706 Vgl. Pfi ster, in: Baumeister 9/1947, S. 281. Pfi ster gab zu bedenken, dass die Gütergröße eine Landwirtschaft auf „sehr schwachen Füßen“ bedeute. 707 Pfi ster, in: Baumeister 9/1947, S. 85. 708 Miller 1947, S. 17. 709 Vgl. Butter, in: Kluge; Halder; Schlenker 2001, S. 260. 710 Vgl. Neufert 1944, S. 129.

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Bild 68: „Halbbauernstelle“ für 7–8 ha, Wilhelm Heilig, 1932

Bild 69: Grundrisstypen von „Siedlungshäusern“ von Gustav Lüdecke, nach: Bauentwurfslehre, Ernst Neufert, 1942.

nem Brachland, Moorboden oder geteilten Großgütern“.711 Damit waren alle Anlässe genannt, die vor den Kolonisationsphantasien der Nationalsozialisten und vor der Bodenreform der SBZ den rationalisierten Neubauernhof in die Diskussion brachten. In Neuferts Standardwerk wurde z.B. der Typ eines „Bauernhofs von 25–40 preuß. Morgen“ (6,5–10 Hektar) nach dem Entwurf von Gustav Lüdecke vorgestellt, dessen Abfolge von Lager, Tenne mit Einfahrt, Stall und Wohnteil einen optimalen Einhaustyp verkörperte. Die Futterküche als Verbindungsstück wurde in Großfurra-Neuheide ähnlich dem Entwurf von Lüdecke übernommen, wobei das Neubauernhaus 711 Ebd.

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hier noch die Badewanne für die Wohnung unterbringen musste. Im rückwärtigen Wirtschaftsteil versuchte der Entwurf des Planungsverbandes, die Vorteile von Längs- und Queraufstallung, wie sie bei Neufert noch abgewägt wurden, über ein Wegekreuz in der Stallmitte zu verbinden.712 Dass sich die Entwürfe für Siedlerhäuser von Gustav Lüdecke bei Neufert als handbuchwürdig erwiesen, lag an dessen bis dahin bereits regen Publikationstätigkeit zu diesem Thema.713 Seinen Namen im Thüringer Kontext gesondert zu erwähnen, liegt nicht nur an seiner Erfurter Herkunft, sondern auch an seinem Wirken in Thüringen nach 1945. Man kann Lüdecke als Parallelereignis zur bekannteren Werklinie Miller-Henselmann für die Neubauernhofplanung in Thüringen verfolgen. Lüdecke stand für die Suche nach dem Typenhaus, erwarb sich durch den Bau zweier Siedlungen in Thüringen soviel Renommee, dass er auf Empfehlung von Hermann Henselmann schließlich in einem freien Arbeitsverhältnis der Arbeitsgemeinschaft ländliches Bau- und Siedlungswesen zugeteilt wurde. Ihm wird sogar ein Beitrag an Ideen und Zeichnungen für Millers Publikation zu den „Grundlagen des ländlichen Bauens“ zugeschrieben.714 Wie deckungsgleich die typisierte Kleinbauernstelle im Repertoire der ersten Jahrhunderthälfte war, zeigt auch der Vorschlag aus dem bereits erwähnten Artikel des Archi-

Bild 70: Erdgeschossgrundriss eines Hoftyps in Großfurra-Neuheide, 1946

712 Vgl. ebd. 713 Vgl. Barth 2004, S. 271. 714 Lüdecke hatte bereits 1941 mit seinen Wettbewerbsarbeiten für ein Um- und Neubauerngehöft in Mitteldeutschland sowie für Klein- und Siedlungstypen im Gau Thüringen einen frühen Fachbeitrag zum Thema abgegeben, vgl. Barth 2004, S. 279f.

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tekten Wilhelm Heilig aus dem Jahr 1932, dessen Variante für eine „Halbbauernstelle“ von 7–8 ha mit einer giebelseitigen Treppenlage und Schlafzimmern im Obergeschoss dem Beispiel Großfurra-Neuheide ebenfalls nahe kam. Was Heilig im selben Artikel zur Baukosten- und Materialersparnis vorschlug, schien die bauökonomischen Probleme der Nachkriegszeit und die Widersprüche im Normungswillen der Zeit vorweg zu nehmen: „Eine nicht stark genug hervorzuhebende Berücksichtigung lokaler Baustoff vorkommen ist ein Gebot der Sparsamkeit, sie verhindert eine starre Schematisierung, sie bekämpft im Voraus eine überstürzte Normung. Die Ausführung der Bauten ist dezentralisiert.“715 So wurde der Aspekt des Selbsthilfeausbaus betont, wo der „spätere Inhaber seine Eignung als praktischer Landwirt [...] beweisen [kann], zumindest überall da, wo mit einem Lehmvorkommen gerechnet werden kann“.716 Für Großfurra-Neuheide war die Lehmausfachung im Holzfachwerk eine naheliegende Maßnahme. Der Baustoff Lehm war örtlich verfügbar und konnte in Laienarbeit gewonnen und verarbeitet werden. Die Hochschule in Weimar fühlte sich dazu aufgerufen, dem Auf bau die entsprechenden Grundlagen zu liefern und gab 1947 jene Lehmbaufibel heraus, die als publizierte Diskussionsgrundlage für die SBZ bereits beschrieben

Bild 71: Lehmwand auf Natursteinsockel, Baustelle Großfurra 1945/46

715 Heilig, in: Baugilde 10/1932, S. 482. 716 Ebd.

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wurde.717 Dennoch müssen sich gerade an der Verwendung von Lehm die Geister geschieden haben. In seinem Konzept zu „Auf bau und Aufgaben des Planungsverbandes Hochschule“ betonte Hermann Henselmann, dass bei bäuerlichen Gehöften und Siedlerstellen Richtlinien für unterschiedliche Bauweisen erarbeitet werden sollen und beim Siedlungsbau sowohl „bodenständige Behelfsbauweisen“ (Lehm- und Kalktuff steinbau) aber auch „neuzeitliche Montagebauweisen“ verwendet werden sollten.718 Auch in der Zeit vor 1945 hatte in Thüringen der Lehmbau als Ausweg im Mangel gegolten, wie es Detlev Heiden in seinem Beitrag zum Bauen im Nationalsozialismus nachweist. Behelfsheime, als „Siedlungsform für Luftkriegsbetroffene“ waren damals der notgeborene Versuch, mit billigen und örtlich verfügbaren Materialien Unterkünfte zu schaffen. Die glücklosen Anstrengungen zu dieser Wohnungsbeschaff ungsmaßnahme und ihr schließliches Scheitern gerieten in den letzten Jahren des Krieges zum Indiz für einen strukturellen Mangel.719 Das Neubauernprogramm hatte kaum bessere wirtschaftliche Ausgangsbedingungen und dennoch andere Perspektiven. Seine experimentellen Anteile zu Gebäudestruktur und Konstruktion waren begrenzt. Der erste Neubauernhof der Bodenreform bezog sich als Entwurf auf Schulbeispiele und Vorbilder, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts virulent waren. Es war ein funktional optimierter Typ, der keine regionale Bindung beanspruchte. Was zählte, war die Schnelligkeit im Bauen, mehr als eine architektonische Standortbestimmung.720 Die Planung, Forschungsbegleitung und sogar die Errichtung durch die Hochschule in Weimar sollte als Brückenschlag zwischen akademischem Lehrbetrieb und dem Bauschaffen der Region wirken. Hermann Henselmann erklärte in der Presse: „Die Intelligenz will euch Bauern zeigen, daß sie Praktisches leisten kann und gewillt ist, Praktisches zu leisten“.721 Eine Bildungselite wollte sich aus der „Akademikerisolierung“722 lösen. Mit einem weiteren Fallbeispiel zur Dorfentwicklung verband die Hochschule Weimar ebenfalls eine begleitende Forschung mit entsprechender publizistischer Auswertung. Der erste Band der Schriftenreihe des Instituts für Bauwesen an der Deutschen Akademie der Wissenschaften, wieder herausgegeben von 717 Siehe Miller; Grigutsch; Schulze 1947, vgl. auch Kapitel 2.5.2. 718 Vgl. Henselmann: Aufbau und Aufgaben des Planungsverbandes Hochschule; ArBUW, Akte I/1/964, Bl. 68. 719 Vgl. Heiden, in: Heiden; Mai: 1995, S. 366. 720 Vgl. Schädlich, in: Architektur der DDR 2/1989, S. 54. 721 N.N., in: Thüringer Volkszeitung, vom 26. März 1946. 722 Henselmann; ArBUW, L a/3 1I01/777, zit. n.: Preiß; Winkler 1996, S. 238.

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Bild 72: Schematisierter Plan des ausgelagerten Siedlungsteiles Neu-Seega des „Umbaudorfes“ Seega Bild 73: Neu-Seega, Perspektive von Osten

Toni Miller, war der Neustrukturierung des „Umbaudorfes“ Seega bei Bad Frankenhausen gewidmet. Der damalige Direktor des Instituts Hans Scharoun betonte in seinem Geleitwort, dass in der Beschreibung des Beispiels Seega, „dem Auszug des Geistes aus der Technik“ Einhalt geboten werde. Damit bezog er sich auf die historisch-siedlungsgestalterischen Kenntnisse Millers, die er, Scharoun, als Grundlage zur „organhaften Gestaltgebung im ländlichen Siedlungswesen“723 für entscheidend hielt. Auch diesem Buch, das eine Sammlung von Plänen und Diagrammen war, fehlten das politische oder ideologische Bekenntnis vollkommen. In einem kurzen Vorwort Millers wurde sachlich betont, welche Arbeiten anstanden, Flure und Höfe zusammenzulegen und zu sanieren. Er schlug nach einer genauen Bestandsauf723 Scharoun, in: Miller 1949, S.VIII.

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nahme von Bauten, Bodengüte und Besitzteilungen eine neue Flurteilung und eine genossenschaftliche Bewirtschaftung vor. Zusätzlich wurde die Neuplanung eines Dorfteils Neu-Seega unweit des alten Ortskerns vorgestellt, das aus 11 Hofstellen bestehen sollte. Der Hintergedanke der Neusiedlung als Milieu für ein geändertes Wirtschaften wurde offen ausgesprochen: „Inmitten der festgefügten Gemeinschaft eines alten Dorfes wird es mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein, eine Anzahl Bauern in diese Richtung auszubilden als in einer neuen Siedlung, in der jeder von vorn anfangen muß.“724 Der neue Dorfteil folgte auch hier der Angerform mit versetzten, giebelständigen Haupthäusern, die sich mit ebenfalls giebelständigen Wirt-

Bild 74: Stallgebäude im „Weidehof der Zukunft“, Konzept, Toni Miller 1948

724 Ebd., S. 93.

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schaftsgebäuden abwechseln. Im Gegensatz zu Großfurra-Neuheide differenziert sich in Neu-Seega eine Hofstelle in zwei parallele Gebäudeteile und einen Zwischenraum. Die Gestalt der Hofeinheit wurde nach Analyse der Bewirtschaftungsgröße und der organisatorischen Zweckmäßigkeit ermittelt. Gerade in der ausführlichen Auswertung der Randbedingungen schien man jene planerische Sicherheit zu fi nden, die der Bodenreform ihre zwingende Berechtigung geben musste: „Wir können die Größe der Höfe nicht einfach aufgrund der Anzahl der auf einen Hof wartenden Neubauern oder gar nach architektonischen Gesichtspunkten festlegen.“725 Neben der realisierten Neubauernsiedlung Neu-Seega blieb das Dorf auch weiterhin im Blickfeld ländlicher Entwicklungsbestrebungen. 1949/50 wurde das Dorf zum Standort eines ambitionierten Schulprojekts von Leopold Wiel und Friedrich Schwertfeger, das im anschließenden Überblick zum Thüringer Schulbau in den Kontext der Schulreform eingeordnet wird. Dass sich das Neubauerndorf anhand der Beispiele Großfurra-Neuheide oder Seega als Bild in der Überlieferung eingeprägt hat, liegt an den Begleitpublikationen und auch an der kurzen Phase der gebauten Bodenreform bis 1952. Die zeitgenössische Forschung bemühte sich indes trotz der propagierten Kleinbauernstelle um neue, größere Wirtschaftsformen. Sei es, dass produktionssteigernde Rationalisierungsstrategien in Zeiten des Mangels forschungswürdig waren oder sei es einfach nur, um den Anschluss an internationale Entwicklungen nicht zu verpassen. Toni Miller erläuterte 1948 seinen „Weidehof unserer Zeit“ als 27-Hektar-Anlage und ging im Kapitel „Der Weidehof der Zukunft“ auf technisierte Ställe mit Melkanlage und Futtersilos ein, wobei er vorgefertigte Binderkonstruktionen für große Spannweiten vorschlägt und als Dach- und Wandbekleidung Zementplatten berücksichtigt, Materialien, deren Herstellung und Erwerb unerreichbar scheinen mussten.726

5.2.4 Bandstadtprojekt Mühlhausen-Langensalza Das Neubauernprogramm und seine Bilder stehen für das agrarische Ansehen des Landes Thüringen und für den versuchten Start in eine neue Gesellschaft gleicher Menschen. Mit der Beschreibung der bekannt gewordenen Beispiele Großfurra-Neuheide und Seega wäre jedoch nur ein Aspekt der Aktivitäten zwischen Stadt und Land erfasst. In das Kapitel um das länd-

725 Ebd., S. 81. 726 Siehe Miller, in: Bauwelt 48/1948, S. 755–759.

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liche Bauen eine komplementäre Idee zum Neubauerndorf aufzunehmen, kann den Rahmen erweitern. Das Beispiel will beschreiben, dass es trotz vergleichsweise geringer Kriegsschäden eine spezifi sche Debatte um die Zukunft der Industrie im ländlichen Thüringer Kontext gab. Fern der deutschen Großstadtregionen geriet das Städtische, das in Thüringen eher das Kleinstädtische ist, in eine eigene Nähe zum Ländlichen.727 Der im Folgenden vorgestellte Vorschlag einer Bandstadt steht im scharfen Kontrast zur Bescheidenheit der Kleinbauernstelle. Wieder trat die Weimarer Hochschule als Ausgangspunkt einer Idee auf, und wieder fällt der Name Gustav Hassenpflug, der sich der Strategie bediente, in der Lehre drängende Zeitfragen zu bearbeiten. Im Jahr 1948 stellte er in seinem Fachgebiet Städtebau eine Aufgabe für den ersten Diplomjahrgang nach 1945 unter der Überschrift: „Bebauung des Gebietes zwischen Mühlhausen und Langensalza für die nach Thüringen eingewanderten Neubürger aus der böhmischen Glasindustrie unter Ausnutzung der vorhandenen Energiequellen.“ Zu den gesamtdeutsch umworbenen Gruppen gehörten sudetendeutsche Facharbeiter und Experten der Glas- und Schmuckindustrie aus der Gegend um Gablonz an der Neiße (Jablonec) in der Tschechoslowakei. Sudetendeutsche und Schlesier stellten, nach einer Erhebung vom 1. Januar 1948 mit je ca. 200.000 Menschen die größten Flüchtlingsgruppen in Thüringen.728 Der Beitrag des Diplomanden Egon Hartmann steht für eine Studienarbeit, deren Absicht und Wirkung sich ganz in den Dienst der aktuellen Bedarfslage stellte und somit wesentlich mehr war als ein bloße Etüde über eine universitäre Aufgabenstellung. Der aus Reichenberg (heute: Liberec) stammende Hartmann (1919–2009) begann als verwundeter Soldat 1942/43 sein Studium in Weimar, unter anderem bei Schmitthenner-Schüler Gerd Offenberg, nahm weiter am Krieg teil und schloss 1948 bei Gustav Hassenpflug im Fach Städtebau mit dem Diplom ab. In Hassenpflugs Städtebauseminar hatte er 1947 an einem Wiederaufbauvorschlag für Berlin-Wilmersdorf mitgearbeitet, der sich an die Maßgaben des unter Hans Scharoun konzipierten bandartigen „Kollektivplans“ halten musste. So geriet Hartmann früh an aktuelle Wiederaufbauthemen der aufgelösten Stadt und der Bandstadt, die zu seinem Siedlungsmotiv zwischen Mühlhausen und dem heutigen Bad Langensalza werden sollte. Sowohl die Bandstadtprojekte Arturo Sorias für Madrid (ab 1894) als auch die sowjetischen „Desurbanisten“ um 1930 wurden von Egon Hartmann als Vorbild genannt. In der Grundfigur lehnte sich 727 1933 lebten rund 63% der Bevölkerung in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern, vgl. Broszat; Weber 1993, S. 168. 728 Vgl. Broszat; Weber 1993, S. 1070f.

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Bild 75: Modell der Bandstadt Mühlhausen-Langensalza, Diplomarbeit Egon Hartmann, 1948

Hartmann an das Madrider Beispiel an, indem er zwei Siedlungskerne miteinander verband. Damit endet jedoch die Parallele bereits. Für Hartmann stand eine Industrie- und Ansiedlungsidee für eine bestimmte Zielgruppe am Anfang, die auf eine ausgesprochen agrarischen Landschaft angewendet werden sollte. Er erweiterte ein städtebauliches Modell um eine raumplanerische Dimension, analysierte Bevölkerungsentwicklungen, studierte Verkehrswege und Energietrassen über ganz Thüringen. Das Rückgrat des Entwurfs ist die industrielle Glasherstellung, die sich in einem riesigen Fertigungsablauf von Mühlhausen nach Langensalza abwickeln sollte. Damit nimmt er einen wesentlichen Charakterzug damals bekannter Bandstadtplanungen auf, die Prinzipien der fl ießbandbestimmten Industrieproduktion auf ein Siedlungsschema zu übertragen. Hartmann soll zwar die sowjetischen Ideen zur Bandstadt aus der Zeit um 1930, etwa von Nikolaj Milijutin, nicht gekannt haben, sei jedoch strukturell ihnen gefolgt.729 729 Vgl. Stellungnahme Lehrstuhl Städtebau I, Prof. Ludwig Küttner, zur Diplom-Arbeit cand. arch. Hartmann, 22. Mai 1948; Privatarchiv Egon Hartmann.

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Hartmann organisierte die Funktionalität der Stadt als Fließband und legte die Fertigungsorte fest von Roh- und Walzglas bei Mühlhausen über Glas- und Schmuckwaren im Osten des neuen Zentrums bis zur Hohlglasveredelung bei Langensalza. Sein Modell einer industriellen Kolonie folgte großräumlich dem Verlauf der Unstrut und legte neben die bestehenden Bahn- und Straßenverbindungen eine neue „Autobahn der Bandstadt“ und eine Kleinbahn als verkehrstechnisches Rückgrat der Planung. Der Bauabschnittsplan verrät, dass man das Konzept neben seiner linearen Logik ebenso als untereinander verbundene Ortserweiterungen von Mühlhausen und den benachbarten Dörfern lesen kann, wobei ein dritter Kern zwischen den beiden Städten vorgesehen war. Eine komplette Füllung des Strangs mit einem Stadtkontinuum schien Hartmann zu groß, so dass Lücken zwischen den Siedlungsabschnitten blieben. Neben optimierten Prozessabläufen wollten die sowjetischen Bandstadtprojekte den Gegensatz von Zentrum und Peripherie im Geist einer egalitären Gesellschaft vermeiden. Milijutin stellte die Gleichung auf: „Die sowjetische Siedlung muss in ihrer Form ehrlich und einfach sein – so wie die Arbeiterklasse ehrlich und einfach ist.“730 Weder in Hartmanns Projekt, noch in den Kommentaren dazu wurde eine derartige Klassenmischung betont oder das Adjektiv „sozialistisch“ verwendet. Sein Siedlungsprinzip ging sogar davon aus, sudetendeutsche Arbeiter vorerst vom Rest der Bevölkerung zu trennen. Hartmann musste keine Antithese zur Großstadt formulieren. Weder Mühlhausen noch Langensalza waren von ihrer „Unform“ zu heilen. Trotzdem sah sein Konzept eine ländliche Siedlungsweise vor, die sich mit städtischen Arbeits- und Kulturangeboten verbindet. Er wies jedem Einzelhaus 1.200 qm Land als „Ernährungshilfe in der gegenwärtigen Zeit“ zu, was mehr einem Selbstversorgergarten als einer Hofstelle entsprach. Mit 2,5 Hektar wurde damals im Rahmen der Bodenreform die Teilungsgröße der kleinsten Landwirtschaftseinheit angegeben. Die Grundstückszufahrten aus Wohnstraßen erlaubten eine spätere Verdichtung um das Doppelte, dann, wenn „der Ernährung nicht mehr die gegenwärtige Bedeutung zugemessen werden braucht“.731 So umfasst eine Siedlungseinheit, die er unbedarft mit dem Terminus der „Wohnzelle“ belegt, bei ihm 1.250–2.000 Einwohner mit einem eigenen Kern. Hartmanns Modell war bodengebunden, ohne als Wohnmilieu die Geschlossenheit der Gartenstadt oder die Autarkie eines Neubauerndorfes anzunehmen. Die Siedlungsteile knüpften sich wahrnehmbar an den Fluss von Produktions- und Verkehrsbändern. Die Planung war 730 Miljutin (1930) 1974, S. 106. 731 Hartmann, in: Bauen und Wohnen 1/1949, S. 36.

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Bild 76: Diplomarbeit Egon Hartmann 1948, Verdichtung öffentlicher Bauten und Stockwerkswohnen in einer zentrumsähnlichen Zone, Bandstadt Mühlhausen-Langensalza Bild 77: Anflugperspektive desselben Ausschnitts

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auf 40.000 bis 60.000 Einwohner ausgelegt und hätte mit dem realen Bevölkerungszuwachs der Zeit in der Region korrespondiert. Das Konzept sah sogar Wohnquartiere in Zeilen mit bis zu zehn Geschossen vor und zeigte in seinem Städtebau Strukturen der klassischen Moderne ebenso wie stadtbaukünstlerische Elemente, wie gefasste Plätze und Straßenräume. Über eine Planung oder eine Diplomarbeit zu sprechen, die nie über den Status eines Vorschlags hinaus gekommen ist, muss in diesem Fall erlaubt sein. So wie die Geschichte der Bandstadt fast gänzlich die Geschichte ungebauter Visionen ist, so gilt das auch für das aufgebaute Szenario des zu diesem Zeitpunkt bereits praxiserfahrenen Studenten Hartmann. Die Arbeit wurde in ihrer Zeit weit über einen regionalen Horizont hinaus wahr- und ernst genommen. Hermann Henselmann klagte in der Zeitschrift „Bildende Kunst“ unter der Überschrift „Eine Fülle neuer Aufgaben“ darüber, wie seine Architektenkollegen bei der Jagd nach Aufträgen die „Idee einer geordneten Zukunft“ vergäßen.732 Den Artikel spickt er erzieherisch mit Bildern aus der Weimarer Ideenschmiede, so z.B. der Neubauernhäuser, dem umgebauten Weimarer Theater und eben auch mit einer Perspektive der Hartmannschen Bandstadt. Die gleichfalls überregionale Zeitschrift „Bauen und Wohnen“ gab Hartmann selbst das Wort, um seine Arbeit in einem mehrseitigen Bericht vorzustellen.733 Dass Hartmanns Arbeit sehr nah an den Ansiedlungsmodellen der Zeit ausgerichtet war, lag am Interesse Gustav Hassenpflugs, mit Diplomarbeiten Themen aufzugreifen, die ihn zeitgleich als Planer beschäftigten.734 So gab es eine Gruppe von Diplomarbeiten, die gezielt jene vom Land Thüringen vorgesehenen Gebiete für „Umsiedler und Neubürger“ beplanten.735 Das Originäre an Hartmanns Idee war, eine homogene Volksgruppe, der er übrigens selbst angehörte, in das Funktionsschema einer Siedlung zu übersetzen, die wiederum den optimierten Produktionsabläufen zu folgen hatte. Das Bebauungsmuster erinnerte an nichts, was die umworbene Zielgruppe als Heimat verlassen hatte. Seine ausführliche und bildreiche Arbeit spricht vielmehr für die Überzeugung, dass eine Bandstadt das Sündenregister des 732 Vgl. Henselmann, in: bildende kunst 1/1949, S. 10. 733 Vgl. Hartmann, in: Bauen und Wohnen 1/1949, S. 34ff. 734 Sein Städtebauseminar war ab 1948 an die „Staatliche Beratungsstelle für Städtebau in Thüringen“ angeschlossen, der die Thüringer Landesregierung Aufträge für die Planung von ca. 40 Städten und Dörfern erteilte, vgl. auch Kapitel 3.3.4. 735 In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist eine ebenfalls für die sudetendeutsche Glasindustrie gedachte Stadterweiterung für Waltershausen in der Diplomarbeit von Hartmut Colden, die ebenfalls an der Weimarer Hochschule angefertigt wurde, vgl. auch Korrek, in: Winkler 2005, S. 57ff.

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Städtischen und Ländlichen gleichermaßen vermeiden könnte sowie dass Vertreibung und Zertrümmerung vergleichbare Chancen eines Neuanfangs böten. Sein Vorschlag, die „in verschiedene Gruppen und Zonen zersplitterte Industrie“736 der übersiedelten sudetendeutschen Glasindustrie zusammenzufassen, kam allerdings zu spät, um noch brisant zu sein. Facharbeiter und Handwerker aus der Gablonzer Glas- und Schmuckwarenindustrie waren überall in Deutschland begehrt und konnten an anderen Orten, darunter auch in Thüringen selbst mit greifbareren Aufnahmebedingungen rechnen.737 Die umworbenen Facharbeiter legten einen Grundwiderspruch im Neubauernprogramm und der vorausgegangenen Bodenreform off en. Der plakative Effekt der Güteraufteilung stand in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Brauchbarkeit der daraus folgenden Hofstellen als Bleibeargument für Flüchtlinge. Im Hinblick auf Facheliten war das Neubauernprogramm eine wenig einladende oder sogar abschreckende Maßnahme und konnte jene Schicht, die einem arbeitsteiligen Kontext entstammte, wenig für die agrarische Autarkie begeistern. Insofern leisteten die städtebaulichen Studien aus dem Hochschulmilieu für Thüringen und über Thüringen hinaus äußerst notwendige Gegenentwürfe zum Neubauernprogramm. Hätte Thüringen theoretisch über Instrumentarien verfügt, die Dimension des Hartmannschen Entwurfs umzusetzen? Das „Gesetz über den Auf bau der Städte und Dörfer im Land Thüringen“ vom 18. Oktober 1945 erlaubte ein vereinfachtes Enteignungsverfahren zugunsten von Auf baumaßnahmen. Doch selbst dann lagen die Aufgaben in der Hand von Gemeinden und Kreisen. Hartmanns Entwurf wurde mittig von einer Kreisgrenze durchtrennt. Die Voraussetzungen waren für ein regionalplanerisches Besiedlungsvorhaben dieser Größe nur bedingt gegeben.738 Auch das Gesetz zur Bodenreform zielte nur auf privaten landwirtschaftlichen Großgrundbesitz. Die Neuordnung des Bodens und der daran gekoppelte sozial-reformerische Umbruch konnten dabei nur soweit gehen, wie es die übernommene Verwaltungsteilung erlaubte. In Thüringen über eine line-

736 Hartmann, in: Bauen und Wohnen 1/1949, S. 36. 737 Belegt ist eine größere Gruppe in Gotha, die dort eine Glasindustrie etablierte, vgl. Raschke, in Gothaer Allgemeine, 17. Oktober 1998. Die Regierung des Amtsbezirkes Schwaben erließ schon am 7. Dezember 1945 einen Ansiedlungsbeschluss, der die Fachleute der Gablonzer Glasindustrie gezielt ansprach. Ab dem 1. Juli 1946 begann der Auf bau von „Neugablonz“ bei Kaufbeuren/Allgäu. Dass dieses Vorhaben glückte, belegt die Kaufbeurener Stadtchronik, die am 20. Juni 1948 581 neu gegründete Betriebe mit einem Jahresumsatz von 100 Mio. Reichsmark angab, vgl. Glaser; Pufendorf; Schöneich 1989, S. 149. 738 Vgl. Fehl 1997, S. 10.

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are Stadt nachzudenken, könnte eine singuläre Idee sein, wenn das Land nicht über eine andere historische lineare Agglomerationskette verfügen würde. Die spezifi sche Landesnatur mit ihrem von Ost nach West verlaufenden Städteband zwischen Jena und Eisenach mit einem systematischen linearen Stadtmodell zu vergleichen, ist sicher falsch. Es handelt sich allenfalls um eine natürliche Bandstadt.739

5.2.5 Die fünfzig Tage von Bruchstedt Es ist auff älligerweise der Norden Thüringens, das „Thüringer Becken“, das zum hauptsächlichen Ideen- und Handlungsraum für viele der beschriebenen Themen und Fallbeispiele wurde. In jenem Landesteil, der zum Planungsgebiet für die Bandstadtidee Egon Hartmanns wurde, liegt in einer Bachsenke das Dörfchen Bruchstedt. Die zu beschreibenden Ereignisse um den Ort bei Bad Langensalza fallen ins Jahr 1950, also in die Zeit nach der Republikgründung. Als Abschluss des Kapitels zum ländlichen Bauen und als Abrundung zum Thüringenbild als gesellschaftliches Versuchsfeld, sei Bruchstedt dennoch erwähnt, zumal es in einer thematischen Linie mit der Bodenreform verbunden ist. Nachdem ein Hochwasser im Mai 1950 das Dorf in seinem Kern zerstört hatte, wurde der Wiederauf bau zum umfassend geschilderten Lehrstück an Solidarität in der jungen DDR. Die Reportagen bestätigen den Einsatz hunderter Freiwilliger. Ein Bericht zum Aufbau Bruchstedts schloss mit der Beschwörung der Gemeinsamkeit, in der „wir auch unser Leben herrlicher und schöner denn je auf bauen wollen“.740 Schicksal und Rettung Bruchstedts wurden im Kurzroman „Fünfzig Tage“ von Willi Bredel zum Drehbuch für ein Heldenstück.741 Am Exempel Bruchstedt wurde die positive Einstellung zu einer gemeinsamen Idee gefeiert. Die Euphorie des Aufbaus mag politisch instrumentalisiert worden sein, ihre Stoßrichtung beleuchtete hingegen eine ehrlich gemeinte Teilnahme der Bevölkerung, um einem Dorf, d.h. einem überschaubaren Gemeinwesen, wieder Gestalt zu geben. An Bruchstedt übte man sich, im Zeitraffer eine Problemlage publikumswirksam zu lösen, die alle Attribute damaliger ländlicher Bauaufgaben in sich trug: Infrastrukturmaßnahmen, Hofstellenneubau, kulturelle Grundversorgung und Bildungseinrichtungen.742

739 740 741 742

Vgl. ebd. Amt für Information des Landes Thüringen 1950, o. S. Siehe Bredel 1950. Siehe ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2622 und 2626.

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Bild 78: Titelblatt der Broschüre „Bruchstedt baut auf“, herausgegeben vom Land Thüringen, 1950

Besonders an Schule, Kindergarten und Kulturhaus (Architekten: Kollektiv Hartmut Schaub, Gerhard Haubenreißer, Adolf Bartholomäus), wie sie in der Eile weniger Wochen entstanden, lässt sich eine notgeborene Gewohnheitsarchitektur studieren, die in die Jahre vor dem Stilumschwung zu den „Nationalen Traditionen“ einzuordnen ist. Die drei öffentlichen Neubauten, weiß geputzte Langhäuser jeweils mit Satteldach, stehen im rechten Winkel zueinander um einen dreiseitigen Hof gruppiert. Alle drei Bauten folgten der Tradition einer schmucklosen, aber formal dem Heimatstil der 1920er und 1930er Jahre angelehnten Architektur und vermittelten eine Gewissheit, ländlich angemessen und bautechnisch erprobt zu sein. Ein langer Einhaustyp wurde bei den neuen Bauernhöfen Bruchstedts ebenfalls angewendet und erwies sich als universelles und an mehreren Stellen angewendetes Prinzip im Wiederauf bau des gesamten Dorfes.743 Allein 743 In Erinnerungen des leitenden Architekten Gißke wird von der Fertigstellung nach 50 Tagen gesprochen, die „Zehn neue Gehöfte, achtzehn Stallungen, sieben Wohnhäuser, ein Kulturhaus, eine Schule, ein Kindergarten, eine Wasch- und Duschanlage und eine Lehrküche“ betrafen, vgl. Gißke 1988, S. 17.

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Bild 79: Kulturhaus Bruchstedt im Bau

Bild 80: Derselbe Bau im heutigen Zustand

das Bruchstedter Kulturhaus könnte als Neubau zu einer vergleichenden Stilbetrachtung herausfordern. Es wendet sich mit hohen Fenstern zu dem beschriebenen Hof. Der Frontgiebel ist mit einer dreifachen Bogenstellung und darüber liegenden geschosshohen Fenstern sparsam geöff net. Schwer wiegt darüber ein profi liert gerahmter, fensterloser Dreiecksgiebel auf breiten Randpilastern, der nach Fertigstellung in seiner Mitte ein Fahnenemblem aufnahm. Ulrich Hartung umschreibt den Gebäudecharakter des Bruchstedter Kulturhauses als wieder aufgenommenen NS-Heimatstil bei durchgehend axialer Raumgliederung.744 Am Beispiel Bruchstedt wird erneut das Verfahren augenscheinlich, architektonische Gesichtspunkte dem Diktat von knapper Bauzeit und einfacher Bauweise unterzuordnen. Entscheidender war aus dem damaligen Blickwinkel die Tatsache, dass in Bruchstedt überhaupt ein Kulturhaus entstand. Mit dem Stolz auf die Errungenschaft eines bis dahin entbehrten Gemeinschaftshauses verband sich der Wille, diesem Gebäude eine allge744 Vgl. Hartung 1997, S. 138.

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mein verstandene Feierlichkeit zu geben. Neben den freiwilligen Helfern erwuchs dem Fall Bruchstedt ein weiterer Held. Der Leiter aller Bauaufgaben, der Bauingenieur Erhardt Gißke, verband mit dem Wiederaufbau Bruchstedts als 26-Jähriger eine erste berufl iche Bewährungsprobe. Rückblickend verklärte er die Geschwindigkeit und Eff ektivität seines Teams, das nach vier Tagen die Planung für den Wiederauf bau Bruchstedts fertig gestellt gehabt hätte.745 Auch Gißke steht für einen Werdegang, der in der Thüringer Provinz seine ersten Bravourstücke erfuhr, um an anderen und zentraleren Orten darauf aufzubauen. Ihn erwartete eine „Traumkarriere“ als Planer in der DDR bis hin zum Generaldirektor im Berliner Ministerium für Bauwesen der DDR „mit besonderen Freiheiten und Rechten“.746

5.3 Zentral- und Modellschulen — Die „Demokratische Bildungsreform“ In der Neuordnung des Schulwesens lag für die SBZ eine Schlüsselaufgabe.747 Nun wurden nicht nur Pädagogikkonzepte der Weimarer Zeit erneut auf ihre Verwendung geprüft, ebenso standen die damit verbundenen architektonischen Reformtraditionen wieder zur Diskussion und gingen mit international aktualisierten Bildern vom neuen Schulhaus einher. In den Fachzeitschriften der SBZ wurde der angemessene Ausdruck der erneuerten Schule im Sinn eines neuen Bautyps diskutiert. Die Schule sollte Zentrum einer „demokratischen Bildungsreform“ werden und vornehmlich den ländlichen Raum versorgen. Damit banden sich der Reformeifer und die Entwicklung im Schulbau zusätzlich an die Umwälzungen der Bodenreform. Das „Gesetz über die Demokratische Einheitsschule“ vom 9.-10. Januar 1946 forderte: „Um den Landkindern die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten wie den Kindern in der Stadt zu geben, werden die nicht vollstufi gen Schulen ausgebaut. Wo das nicht möglich ist, werden Zentralschulen und Internate eingerichtet sowie Versuchsschulen vorzugsweise in die ländlichen Gebiete gelegt.“748 Das Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule vom 2. Juni 1946 bestärkte den Grundtenor, die alte „Standesschule“ zu überwinden um Bildung frei zugänglich zu machen. Der Gesetzestext schickte voraus, dass die „deut-

745 Vgl. Gißke 1988, S. 16ff. 746 Barth; Topfstedt 2000, S. 86. 747 Diesem Thema widmen sich Butter und Escherich ausgiebig. Escherich, in: Winkler 2005, S. 80–91 und Butter 2006, S. 209ff. 748 Gesetz über die Demokratische Einheitsschule, vom 9.–10. Januar 1946, Absatz 4f.

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sche Schule [...] trotz ihrer beachtlichen Bildungshöhe nie eine wirklich demokratische Bildungsstätte verantwortungs- und selbstbewusster freier Bürger“749 gewesen sei. Die Gesetze der Zeit enthielten gesellschaftliche Zielvorgaben, jedoch kein Empfehlung einer räumlichen oder gar architektonischen Gestaltung. Deutlicher dahin gehend wurden die „Leitsätze für den Großen Pädagogischen Kongreß in Berlin vom 15.–17. August 1946“ von der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone, zum Thema „Schulreform und Landschule“. Dort begrüßte man einerseits den Architektenwettbewerb als Qualitätsstrategie und plädierte überdies für den öff entlichen Nutzen von Schulgebäuden über ihre Lehrfunktion hinaus: „Schul-, Bau- und Bodenreformbehörden haben in gemeinsamer Arbeit eine Eigenform des künftigen Landschulhauses durch Preisausschreiben, Ausstellungen usw. zu entwickeln, die unter rationeller Verwendung aller technischen Fortschritte und unter Angliederung von genügend Land auch rein baulich das Schulhaus zum Mittelpunkt einer neuen dörfl ichen Kultur bestimmt.“750 Die Zentralschule biete dabei, so Paul Wandel, der Präsident der Deutschen Verwaltung für Volksbildung auf demselben Kongress, die einzige Möglichkeit, in kürzester Frist die Landschule der Stadtschule anzugleichen.751 Dem Dorf als sozialem System wurde dabei eine moralische und erzieherische Kraft zugesprochen, ein Gedanke, der sich mit dem damals populären Misstrauen an der Großstadt bestens vertrug.752 In Thüringen wurde zum 1. Oktober 1945 der Schulunterricht wieder aufgenommen. Dem Schulbetrieb fehlten akut Räume und die Mittel, diese neuen Räume zu schaff en. Dabei kursierte die Zahl von 20.000 fehlenden Klassenzimmern für die gesamte SBZ, was immerhin einer zusätzlich unterzubringenden Schülerzahl von mindestens sechs Millionen Kindern entsprechen musste.753 Erstes und dringendes Motiv des Schulbauprogramms war darum die zu lindernde Raumnot, d.h. der

749 N.N.: Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule vom 2. Juni 1946, in: die neue schule 4/1946, S. 129f. 750 Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone 1946, Absatz X. 751 Vgl. Wandel, in: Paul Wandel, Präsident der Deutschen Verwaltung für Volksbildung auf dem 2. Pädagogischen Kongress in Berlin vom 15.–17. August 1946, in: die neue schule 15/1947, S. 533. 752 Siehe Dietz 1947. 753 Eine Bedarfszahl, die sich an der unklaren Dimension der zu erwartenden Gesamtbevölkerung orientieren musste, welche allein in Thüringen zeitweise 700.000 zusätzliche Flüchtlinge zu berücksichtigen hatte, vgl. Lenz, in: die neue schule 10/1949, S. 315.

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schnelle Bau. Damit lässt sich im Schulbau, viel mehr als beim Neubauernhaus, die Kluft zwischen einem gewünschten Bauausdruck und den Geboten des Mangels beobachten. In der dringenden Bedarfslage hat sich schon bald eine kommunale Bauaktivität verselbständigt, welche zentrale Anweisungen nicht abwarten wollte. Bei den pädagogischen und architektonischen Überlegungen zur Gestalt des neuen Bildungssystems galt es, die Lehranstalt der Kaiserzeit, die immer wieder als wilhelminische oder „hochragende Schulkaserne“754 beschrieben wurde, zu überwinden. Henselmann sprach von der „Bildung eines neuen Menschentyps“ 755. In Deutschland hatte man sich durch den Krieg von der Diskussion um den neuen Schulbau abgeschnitten gefühlt. Neue Leitbilder gebauter Pädagogik waren mittlerweile andernorts weiterentwickelt worden. Sie kamen aus den USA, aus der Schweiz oder aus Schweden. Der Berliner Architekt Robert Lenz, der selbst zeitweise in Thüringen wirkte, führte in einer Abhandlung zum Diskussionsstand in der Pädagogikzeitschrift „die neue schule“ Beispiele auf, an denen man sich ausrichten möge. Die Bell-Schule in Los Angeles von Richard Neutra (1935) und die Freiluftschule in Suresnes von Eugène Beaudouin und Marcel Lods (1934) waren bekannt für jenen Schulbau der Öff nung zum Außenraum, der ein Lernen in Verschränkung von Architektur und Natur verhieß.756 Dass diese populären Beispiele jedoch nicht jeden Architekten in der SBZ ergriff en, erläuterte Heinrich Rettig, von 1948 bis 1950 Professor in Weimar, der in der Zeitschrift „Bauen und Wohnen“ gleich drei als fortschrittlich bekannte Charakteristika dieses alten „Neuen Schulbaus“ entzauberte. Er relativierte u. a. die innovative Qualität und vor allem die Wirtschaftlichkeit sowohl der losen Bankstellung, des Stahlfensters, als auch der Flachbauschule im Gegensatz zum Stockwerksbau.757 Rettig bezog als Schüler Paul Schmitthenners und Paul Bonatz’ die Position eines gemäßigten Traditionalisten. Er hatte vor 1945 als Vertrauensmann für den Schulbau der Stadt Linz im Team von Roderich Fick bereits erhebliche Erfahrungen gesammelt.758 Zwischen Lenz und Rettig bewegte sich ein weites Meinungsspektrum, zwischen dem der Schulbau in Thüringen und der gesamten SBZ diskutiert wurde.

754 755 756 757 758

Böttner, in: Planen und Bauen 7/1950, S. 218. Henselmann, in: die neue schule 20/1949, S. 670. Vgl. Lenz, in: die neue schule 10/1949, S. 315f. Vgl. Rettig 1949, in: Bauen und Wohnen 1/1949, S. 19. Vgl. Mayrhofer; Schuster 2000, S. 923.

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5.3.1 Thüringer Traditionen der Reformpädagogik In den Jahren 1930–33 hat Thüringen anschaulich und voreilig die Umsetzung nationalsozialistischen Gedankenguts vorgelebt und war auch in den pädagogischen Zielsetzungen seiner Schulpolitik noch vor der Wahl Adolf Hitlers und vor allen anderen Ländern auf einen neuen Kurs eingeschwenkt. Schulreformerische Bestrebungen der Weimarer Republik wurden damals schon korrigiert oder beendet. Die ideologische Ausrichtung in der staatlichen Kindererziehung setzte damals die erst jüngst umgesetzten demokratische Normen und Strukturen im Schulbetrieb außer Kraft und verfolgte für den Heranwachsenden nun verstärkt das Bild vom gemeinschaftlich gebundenen „Tatmenschen“ im Gegensatz zur individuellen Bildung seiner Persönlichkeit.759 So sehr der Nationalsozialismus eine pädagogische Begriffsveränderung betrieb, so sehr gab es jedoch eine pädagogische Grundstimmung seit der Jahrhundertwende, die sowohl die Erziehung zur persönlichen Mündigkeit, als auch zur gemeinschaftlichen Bindung als Tugenden des modernen Menschen vermitteln wollte. Zu beobachten ist in der ersten Jahrhunderthälfte, wie diese Ansprüche in unterschiedlichen ideologischen Kontexten ebenso unterschiedlich gewichtet wurden. Wie die Bodenreform war die Schulreform seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Grundforderung einer bürgerlichen Gesellschaft virulent und fügte sich ebenso im Nationalsozialismus in einen neuen Rahmen. Das führte dazu, dass nach 1933 „Teilziele der reformpädagogischen Bewegung in einem dem Ursprung fremden Verwertungszusammenhang hemmungslos ausgenutzt“ 760 wurden, indem sie weiter interpretiert wurden. Thüringen selbst war Standort mehrerer bekannter Reformschulen.761 Der Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften an der Universität Jena hatte bereits nach 1923 Impulse für Versuchsschulen gegeben, deren Experimentarbeit später als „Jena-Plan“ bekannt wurde. Gerade am „Jena-Plan“ lässt sich der breite Auslegungsspielraum einer schulreformerischen Methode zwischen den Systemen beobachten. Ihr Wortführer Peter Petersen setzte sein Programm der Weimarer Zeit unter den Nationalsozialisten einem völkischen Einfluss aus und bemühte sich nach dem Krieg erneut, die Ideen des Pädagogikkonzepts den Vorstellungen der SED anzunähern, wenngleich nicht gänzlich anzupassen.762 Gerade zur Verbindung der ländlichen Bodenreform mit der Schulreform auf dem 759 760 761 762

Vgl. Lesanovsky 1995, S. 405ff. Lesanovsky 1995, S. 411ff. Genannt seien die Fröbel-Schule Keilhau und die Freie Schulgemeinde Wickersdorf. Vgl. ebd., S. 420ff.

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Land bezieht er seine eigene Position. In einer Schrift mit dem Titel „Das Dorf als Erziehungsgemeinde“, die unter Petersens Herausgeberschaft 1947 763 erschien, wird unter dem Überbegriff einer „dorfgemäßen“ Kindeserziehung die individuelle Kindwerdung im Schulgebäude beschrieben. Andererseits tauchen gleichfalls Begriffe auf, wie die „Heimatbildung“ und die „Volksgemeinschaft“, deren „Gliedschaft“ sich der junge Mensch bewusst werden solle.764 Eine kritische Stimme erhob die Schrift schließlich ausdrücklich gegen die Zentralschule der ländlichen Schulreform, die das Kind dem Erlebniskreis seines Dorfes entreiße. „Bei uns gehören Schule und Dorf zusammen.“765 Petersen wagte seine ausdrückliche Gegenrede zur offi ziellen Meinung, nach der die Unterschiede zwischen Stadt und Land im Schulwesen stellvertretend und an der Wurzel zu überwinden seien. Mit Petersen meldete sich eine überregional bekannte Stimme zur Schulreform zurück, die Motive des Kindgerechten aus anderen Quellen bezog als die offi zielle Thüringer Bildungspolitik.

5.3.2 Bauen gegen die Schulkaserne Diese Bildungspolitik wurde im thüringischen Landesamt für Volksbildung gemacht. Dort ließ anlässlich einer Sitzung im November 1946 dessen Leiter Walter Wolf verlauten, dass vier bis fünf neue Zentralschulen zu bauen seien, die, und er verwendet hier den bekannten Kampf begriff des „Neuen Bauens“, für die Abschaff ung des verpönten Kasernenstils stehen sollten. Ziel sei, die Zentralschule mit 12 Klassen und man wolle deren Bau „mit allen wissenschaftlichen Finessen beginnen und daran nötige Erfahrungen sammeln. Also: Bauen und daran experimentell kontrollieren“.766 Dass immer wieder Bildungsbauten als Labor einer neuen Gesellschaft eingerichtet werden, zeigt sich auch hier in einer äußerst neuerungsbereiten politischen Vorgabe. Zur wissenschaftlichen Absicherung erging die direkte Zuweisung der Koordinationsarbeit abermals an die Weimarer Hochschule: „Hierzu werden örtliche Architekten herangezogen, das entscheidende Wort spricht jedoch die Bauhochschule in Verbindung mit dem Landesamt für Volksbildung.“767 Für die ersten Bauvorhaben seien „aus der Literatur 763 Johann Friedrich Dietz hatte bereits 1927 den Inhalt des Buches als Dissertation veröffentlicht, vgl. Dietz 1947, S. 139. 764 Vgl. ebd., S. 142. 765 Vgl. ebd., S. 166. 766 Rede des Landesdirektor Walter Wolf anlässlich einer Sitzung im Landesamt für Volksbildung am 27. November 1946; ThHStAW, LaThMV, 3880, Bl. 232. 767 Ebd.

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heraus die Ansatzpunkte [zu] suchen und hierbei die Gedankenwelt des Westens, z.B. Frankreich und Amerika, [zu] verwenden“.768 Selten wurde in einer zeitgenössischen, öffentlichen Verlautbarung im Thüringen der SBZ so deutlich die Lernrichtung nach Westen verordnet, auch wenn die wirtschaftlichen Grundlagen weit von denen der anvisierten Vorbilder entfernt waren. Die Landesbehörden als zentrale Anlaufstelle für die Finanzierung drängten auf eine ebenso zentrale Gutachterinstanz. „Der bisherige Zustand, daß jede Gemeinde nach eigenem Gutdünken und ohne grundlegende Richtlinien nach unvollkommenen Programmen unzulängliche Planer in Schulbauentwürfen beauftragt, kann nicht belassen werden.“769 Die von Walter Wolf ausgegebene Direktive trug dazu bei, dass zum 27. November 1946 dem Planungsverband Hochschule eine Arbeitsgruppe „Schulbau“ angegliedert wurde.770 Zuerst geführt von Rudolf Büchner, bot sich bereits 1947 ein Wunschkandidat als Leiter für diese Arbeitsgruppe. Es war der erwähnte Berliner Architekt und Dessauer Bauhausschüler Robert Lenz (1907–76), der von seinem Dessauer Ex-Kommilitonen Gustav Hassenpflug in Weimar eingeführt wurde, nachdem er durch Veröff entlichungen zum Schulbau bekannt geworden war.771 Lenz hatte 1946 begonnen, für Storkow bei Berlin ein Schulkonzept zu entwickeln, das eine „ideale Erziehungsanlage“772 werden sollte und bis zum ersten Bauabschnitt realisiert wurde. Dazu kam, dass sich an die Schule auch bei Robert Lenz ein gewünschter gesellschaftlicher Nutzen knüpfte, der über die Unterrichtsfunktion hinausgehen sollte. Lenz verwendet den Begriff der „Schulstadt“, die „den Mittelpunkt des Kulturlebens für den Ort Storkow“773 bilden solle. In den Schulklassen sollten sich Fenster und Glastüren ins Freie öff nen und entsprächen damit dem Gebot, das Lernen lebens- und naturnah zu ermöglichen.774 Mit dem Ruf, der ihm aus diesem Projekt vorauseilte, kam Lenz nach Thüringen.

768 Ebd. 769 Klage des Amtes für Kommunal- und Bauwesen im Ministerium des Innern vom 2. Juli 1947; ThHStAW, LaThMWA, 2724, Bl. 193. 770 Vgl. ThüStaW MV CII Nr 1129 Bl. 224ff. Dort wird ein Hinweis auf die erste Beratung über das Schulbauprogramm am 27. November 1946 gegeben, vgl. Schädlich 1966, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HAB Weimar, 5/1966, S. 519. 771 Vgl. Brief von G. Hassenpflug an Hermann Henselmann vom 1. Februar 1947; ArBUW, Personalakte G. Hassenpflug. 772 Lenz, in: die neue schule 14/1947, S. 504. 773 Ebd.; der Entwurf enthielt eine Aula für 670 Personen, eine Turnhalle, eine Kantine für 200 Personen. 774 Vgl. Butter, in: Barth 1998, S. 183ff.

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Es war ebenfalls das Projekt einer Zentralschule, das Lenz 1948 für Gotha entwickelte und das im selben Jahr auf dem 3. Pädagogischen Kongress in Leipzig Aufsehen erregte.775 Dort konnte die Gothaer Schule als raumgreifendes Architekturmodell bestaunt werden.776 In aufgelockerter Weise reihte sein Entwurf Klassenpavillons, allerdings mit zwei Geschossen, in die Landschaft und ergänzte die Anlage mit frei angeordneten Zusatzbauten. Der Architekt sprach auch hier von einem „Schulorganismus“ und einer „Kinderstadt“777, in der „eine natürliche Atmosphäre für eine selbstverständliche demokratische Erziehung“ 778 herrsche. Wie plakativ der Gothaer Entwurf eine Summe der abzulehnenden Charakterzüge des klassischen aber auch modernen Schulbaus vereint haben mag, zeigte die massive Kritik an seiner Präsentation. Aus der Stadtverwaltung Gothas, namentlich vom dortigen Stadtbaurat und Architekten Helmut Schaub, kam ein vernichtendes Urteil, die der Idee schließlich keine Chance der Realisierung bescheren sollte. Wollten die zweigartig weggebogenen Klassentrakte ein Manifest gegen die Erziehungsanstalt sein, so kam gerade diese Form als gekünstelt und kompliziert bei den Gegnern des Konzeptes an.779 Der Gothaer Entwurf war, was seine Gliederung betraf, eine Variante des Storkower Modells. Geradezu kurios wirkte jedoch in Gotha der Versuch, durch eine Vielzahl von Rundungen, Bauchungen und Schwüngen einer strukturell funktionsgetrennten Schulfigur das Schematische auszutreiben, bis hin zur kreisrunden Turnhalle. Das machte den Entwurf tatsächlich als unzusammenhängend angreif bar und offenbarte die Lenz’sche Unsicherheit zwischen einer geahnten organischen Architektur und einem erinnerten modernistischen Formenrepertoire. Bei der Gothaer Konfrontation legten sich über die Stildiskussion weitere Anlässe zum Konfl ikt. Einerseits traf eine selbstbewusst vertretene Bauhausnachfolge auf ein traditionelles Gestaltempfi nden, zum anderen war es die von außen hineingetragene Idee des Berliners Lenz, den als Weimarer Professor zusätzlich der Ruch des Belehrenden umgab. All das stieß in Gotha, trotz der überregionalen Aufmerksamkeit für das Projekt, auf lokale Unwilligkeit. Der Gothaer Widerstand gegen das Projekt muss massiv gewesen sein. Nicht einmal der Auftrag, der im Fall dieses Projektes direkt vom Volksbildungsministerium und dort vom bereits erwähnten Walter Wolf kam, nützte dem Vorhaben. 775 Zur Öffentlichkeitswirkung und zum Scheitern des Gothaer Entwurfs, vgl. Escherich 2005, S. 82. 776 Vgl. N.N., in: die neue schule 17/1948, S. 11. 777 Vgl. Lenz, in: bildende kunst 10/1948, S. 18. 778 Ebd., S. 17. 779 Vgl. Escherich 2005, S. 82f.

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Bild 81: Modell der Zentralschule Gotha, Robert Lenz, 1948

Bild 82: Präsentation des Modells am 3. Pädagogischen Kongress Leipzig, 1948

Der Arbeitsgruppe Schulbau im Thüringer „Planungsverband Hochschule Weimar“ wurde 1947 die „vollständige Planung einer beschränkten Anzahl von Zentralschulprojekten, die vom Kulturministerium [...] zu benennen sind“780 angetragen. Das klang nach einem direkten Auftrag im Rahmen des Schulbauprogramms und zog doch wenige Bauten nach sich. Zwar hatten die Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft eine von oberer Stelle zugewiesene Lizenz zur Fortschrittlichkeit, diesem Gebot mangelte es allerdings sowohl 780 Vgl. Aktennotiz vom 19. Januar 1947; ArBUW, Akte I/01/841.

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an einer präzisen Defi nition, als auch an einer geschickten Vermittlung über den Zirkel der Fachleute hinaus. Schnell verschliss die Arbeitsgruppe ihre Führungspersonen und ihre Effektivität. Über den ersten Leiter der Gruppe, Rudolf Büchner, beklagte sich Hermann Henselmann bereits am 31. März 1947 in einem Brief an Gustav Hassenpflug: „Der Kollege Büchner, der die Schulreform machen soll, kommt nicht recht weiter“.781 Doch auch der über den im Sommer 1947 herbeigerufenen Robert Lenz zieht Henselmann schon im darauf folgenden Jahr kein gutes Fazit: „Auf die Mitarbeit Lenzens im Weimarer Lehrkörper müssen wir verzichten. Lenz’ Auftreten in Thüringen ist ein außerordentlicher Fehlschlag (Schule in Gotha etc.) und ich muss mich beeilen, dass ich die Sache wieder ausgleiche. Lenz hat soviel Terrain verloren bei den Kollegen in Gotha, dass er nicht zu halten ist. Er hat in einem Schreiben an mich auch mitgeteilt, dass er gewissermaßen nicht mehr lehrend tätig sein möchte. Es kommt hinzu, dass er auch noch nie lehrend aufgetreten ist.“782 Lenz verlässt Weimar Ende 1948. Die Tätigkeit der Arbeitsgruppe Schulbau wurde im Anschluss nicht mehr als Teil des Planungsverbandes oder seiner Nachfolgeinstitutionen wahrgenommen. Gleichwohl blühte die Planungsaktivität für Thüringer Schulgebäude durch Weimarer Lehrkräfte und Absolventen. Im Jahr 1948 schlug ein Schulbauwettbewerb im Osten Thüringens Wellen und bedachte einige Weimarer Kollegen mit Auszeichnungen. Die Ideenkonkurrenz für Unterwellenborn-Röblitz im Jahr 1948 galt dem behandelten Industriestandort, der als Inbegriff der schnell wieder aufgenommenen Produktion für die gesamte SBZ eine Strahlkraft besaß. Für die bereits beschriebene Werkssiedlung in Röblitz galt es, eine Grund- und Berufsschule zu konzipieren. Wie im Kapitel zur Maxhütte ausgeführt verkörperte diese Werkssiedlung ein ländliches Gepräge mit dörfl icher Struktur und wurde auf einer Planung der 1930er Jahre weiter ausgeführt. Dieser Bebauungsplan sah ein Zentrum vor, das mit einem Schulbau noch weitere zentrale Funktionen verbinden sollte. Demnach waren Nahversorgungsangebote zu schaffen, die mit der Schule einen Platzraum fassen sollten. Ohne einen Gewinner festzulegen, vergab die Jury zwei zweite Preise an das Team Gustav Hassenpflug, Egon Hartmann, Konrad Püschel und an Hans Schlag, Johannes Schreiter und Rolf Fricke. Einen dritten Preis erhielt der damals noch junge

781 Henselmann in einem Brief vom 31. März 1947 an Gustav Hassenpfl ug; ArBUW, Akte I/01/841. 782 Henselmann in einem Brief an den Referenten für bildende Kunst, Museen und Denkmalpflege der Zentralverwaltung für Volksbildung in Ostberlin, vom 3. November 1948; ArBUW, Akte I/01/003.

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Dozent Leopold Wiel. Die prämierten Beiträge illustrierten weitläufige und aufgelockerte Pavillon- oder Kammtypen. Der Beitrag von Hassenpflug, Hartmann und Püschel zeigt z.B. einen solchen rhythmisierten Erdgeschossgrundriss, dessen Freiraumflächen übergangslos mit den Verkehrsflächen im Inneren des Gebäudes verschmelzen wollen. Trotz des Erfolgs sehr aufgelöster Schulformen und trotz einer Dominanz der Weimarer Lehrerschaft in den Preisrängen des Wettbewerbs, ging der endgültige Auftrag zum Bau der Schule an den nur als Ankauf platzierten Entwurf des Jenaer Architekten Werner Lonitz .783 So warf das Projekt weniger ein Licht auf den aktuellen Stand der Schulbaustrategien als viel mehr auf die Widersprüche zwischen Wettbewerbsentscheidungen und lokaler Vergabepraxis.784 Ein Umstand, den Hermann Henselmann als Hochschuldirektor daraufhin in Harnisch geraten ließ. Er kritisierte am

Bild 83: Wettbewerbsbeitrag (2. Preis) für das neue Zentrum Unterwellenborn-Röblitz von G. Hassenpflug, E. Hartmann, K. Püschel, 1948

Bild 84: Die gebaute Grund- und Berufsschule von Werner Lonitz, 1950–51

783 Das Ergebnisprotokoll des Wettbewerbes, siehe ThHStAW, LaThMWA, Hauptabteilung Auf bau, 2847; vgl. auch Escherich 2002, S. 255. 784 Vgl. Henselmann, in: die neue schule 20/1949, S. 671.

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Bild 85: Projekt Zentralschule Tambach-Dietharz, Perspektiven der Klassenpavillons mit Aula, Hermann Henselmann 1949

Beispiel des Unterwellenborner Wettbewerbes, wie auch in anderen Fällen die guten Ideen der Schulbaureform nicht gedeihen könnten, wenn „einige Architekten mit guten Entwürfen ausgezeichnet werden, die Ausführung jedoch für den Schulbau einem Architekten übertragen wurde, der beim Wettbewerb durchgefallen war“.785 Dagegen wäre in manchem gebauten Exempel sichtbar, dass „die meisten Planverfasser sich mit der Schulreform überhaupt nicht beschäftigt haben“.786 Seinem Wesen als allgegenwärtigem Entwerfer wäre es Hermann Henselmann zuwider gelaufen, hätte er nicht auch zum Thema der Zentralschule seine eigene Vorstellung beigesteuert. Sein Projekt für Tambach-Dietharz ist oft publiziert worden. Es wurde nie gebaut und dennoch stand bald an dieser Stelle eine Schule des Landesprojektierungsbüros Thüringen mit seiner Außenstelle Gotha (Architekt: Gerhard Haubenreißer, 1950–51) als ebenerdige Reihung von Schulklassen um einen dreisei785 Ebd. 786 Ebd.

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tig umbauten Hof. Henselmanns nicht gebauter Beitrag zeigt eine Schar von Pultdachzeilen, die frei stehend ein dorfähnliches Gepräge formen und sich einheitlich, wie Gewächshäuser, zur Süd-Ost-Sonne ausrichten. Eine Aula thront wie ein modern interpretierter Tempel auf einem podiumartigen Sockel mit einem umlaufenden, schräg ausgestellten Kranz aus Zickzack-Stützen und markiert das gewünschte „Bindeglied zwischen Schule und demokratischer Öffentlichkeit“787. Die Idee unter dem Titel „Versuch einer neuen Schulform“788 blieb ein Projekt, obwohl der Bau seit 1949 geplant war und trotz fehlender Genehmigungsplanung mit dem Aushub begonnen wurde.789 Ob die Realisierung wirklich gewollt war, ist zu bezweifeln, verfolgt man die Bemühungen, die es Henselmann gekostet hat, das Projekt vorwärts zu treiben. In einem Brief an den Bürgermeister des Ortes drohte Henselmann geradezu mit der Hauptverwaltung Bauwesen bei der Deutschen Wirtschaftskommission, in deren höchstem Interesse es stünde, „daß einige Bauten im Rahmen der Schulreform als Anregung und Hinweis für die baulichen Maßnahmen auf diesem Gebiete mit zentraler Unterstützung durchgeführt werden“.790 In den thüringischen Ministerien blieben die Vorschläge dagegen liegen, als traute sich keiner einen Standpunkt in der Sache zu. An den Wirtschaftsminister wurde im Juli 1949 gemeldet, die Entscheidung, wie die Schule gebaut würde, sei noch nicht gefallen: „Der Entwurf von Henselmann liegt vor und ist in seiner Art neu. [...] Wir sind nicht in der Lage zu entscheiden, [...] bitten um weitere Anweisung.“ 791 Dies geschah, nachdem der Minister hilflos gefragt hatte: „Welchen Vorschlag macht Hauptabteilung Bauwesen mir?“792 Nach einer sehr viel späteren Mahnung Henselmanns, die er nun schon aus Berlin an das Thüringer Ministerium für Wirtschaft und Arbeit schickte, appellierte er noch einmal daran, „dass dieses Projekt dazu benutzt wird, um grundsätzliche Probleme des Schulbaus daraus zu klären“.793 Kurz darauf trat er von seinem Anspruch

787 788 789 790 791

Ebd. Ebd. Vgl. Notiz vom 2. Juli 1949; ThHStAW, LaThMWA, 2847, Bl. 86. Ebd., Bl. 105. Aus dem Brief der Hauptabteilung Bauwesen an den Herrn Wirtschaftsminister Willy Hüttenrauch, 15. Juli 1949; ThHStAW, LaThMWA, 2847, Bl. 91. 792 Hüttenrauch schreibt am 06. Juli 1949 diesen Satz handschriftlich auf eine Aktennotiz vom 02. Juli 1949, die an ihn ergangen war; ThHStAW, LaThMWA, 2847, Bl. 86. 793 Brief Henselmanns vom 21. Februar 1949; ThHStAW, LaThMWA, 2847, Bl. 66.

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Bild 86: Der gebaute Entwurf in TambachDietharz, Gerhard Haubenreißer, 1950–51

als Architekt zurück.794 Im Schulbauvorhaben Tambach-Dietharz ordnete darauf hin die Hauptabteilung Bauwesen im Ministerium für Wirtschaft vom Ministerium für Volksbildung sofort an, „das Landesprojektierungsbüro mit der Durchführung der Planungsarbeiten zu beauftragen und für schnellste Erstellung der Pläne Sorge zu tragen“.795 Das Projekt war während des Umzugs Hermann Henselmanns von Weimar nach Berlin aus seinem direkten Einflussbereich verschwunden. Die Übernahme durch eine mittlerweile erstarkte Institution des Landesprojektierungsbüros gibt 794 Vgl. Notiz aus dem Ministerium für Volksbildung an das MW, Hauptabteilung Bauwesen vom 28. Februar 1950; ThHStAW, LaThMWA, 2847, Bl. 22. 795 Ebd.

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ein Indiz für die allgemeine Transformation vom Individualarchitekten zum Kollektiv, wenngleich Gerhard Haubenreißer als gestaltender Leiter im Projekt identifi zierbar bleibt. Unabhängig von konzeptionellen Unsicherheiten im Thüringer Schulwesen wurden im Jahr 1949 mehrere Neubauprojekte im ganzen Land gestartet. Eine Summe von 1,6 Millionen Mark stand jetzt zur Verfügung, um in Schulneu- und Erweiterungsbauten des Landes zu fließen.796 Der Weimarer Hochschullehrer Leopold Wiel fasste ein Jahr später die Thüringer Schulbauaktivitäten zusammen und gab einen Blick auf die Forschungsbemühungen im „praktischen Schulbau“ an der Weimarer Hochschule, nachdem die AG Schulbau des Planungsverbandes nicht mehr als solche aktiv war.797 Wiel führte Beispiele auf, die aus der Weimarer Hochschule geplant und mittler-

Bild 87: Der Schulbau in Seega in der Planung mit beiden vorgesehenen Flügeln, deren östlicher nicht gebaut wurde, Leopold Wiel, Friedrich Schwertfeger, 1949–50

796 Das waren Zahlen, wie sie in Fachzeitschriften veröff entlicht wurden, vgl. N.N., in: die neue schule 14/1949, S. 472. 797 Wiel, in: Planen und Bauen 7/1950, S. 210ff.

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weile auch baulich umgesetzt wurden. Die Aufgabe der Hochschule sah er nach wie vor darin, unkoordinierte Projekte in Städten und Dörfern mit richtungsweisenden Untersuchungen zu begleiten. Grund der regen Aktivität sei auch hier die Initiative des Direktors der Hochschule Henselmann gewesen, um die Idee der Arbeitsgruppe Schulbau wieder zu beleben. Endlich konnten mehrere Baustellenbilder veröffentlicht werden, auf denen u. a. Leopold Wiel selbst sein jüngstes Schulbauprojekt in Seega präsentieren konnte (mit Friedrich Schwertfeger, 1949–50). Diesem Projekt sah man die zeitgenössische Einbettung in die Typologie kleiner Schulen an.798 Das war nicht so sehr das gebaute Bekenntnis zur programmatischen Pavillonschule, sondern die schlichte Übersetzung einer akuten Baustoff knappheit zu einem eingeschossigen Bau mit einhüftig erschlossenen Klassenräumen. Das Schulhaus von Seega kam über die Realisierung der westlichen Hälfte, dem ersten Bauabschnitt, nie hinaus und konnte trotzdem, auch in seiner Rumpffassung, die kluge Anordnung seiner hangseitigen Querbauteile zu einem homogenen Ganzen beweisen. Von der Klassenreihe parallel zur Höhenlinie knicken eine Pausenhalle, die Lehrerzimmer und eine Lehrerwohnung in den rückwärtigen Bergbereich ab und bilden dennoch eine ruhige Dachlandschaft, die alles zusammenfasst. Mit der vorgelagerten Unterrichtsterrasse war eine leise Reminiszenz an die Freiklasse gegeben. Das bereits erwähnte Modelldorf Seega bekam mit diesem Schulbau weitere Aufmerksamkeit.799 Ebenso wichtig ist der wissenschaftliche Mehrwert, der mit dem Rumpfprojekt von Wiels Schule in Seega verbunden war. Leopold Wiel hatte im selben Jahr 1949, in dem die Planung für Seega begann, schon eine Typenmatrix von „Klassenraumformen“ sowie eine „eingeschossige Pavillonzeile“ präsentiert, beides Untersuchungsgegenstände, die er im Rahmen der Forschung an der Weimarer Hochschule erstellte.800 Mit dem Begriff der „Pavillonzeile“ umschrieb Wiel einen Bautyp, der einfach eingeschossig war und dessen Außenraumbezug nicht mehr sein konnte als eine großzügige Fensterfassade. Der Zuschnitt einhüftiger Anlagen wurde weniger mit kindgerecht angemessener Kleinteiligkeit begründet als vielmehr mit Konstruktionen und insbesondere Decken- und Dachspannweiten, die „mit schwach bemessenen Hölzern“801 noch möglich waren. 798 Butter stellt den Zusammenhang zu einem kurz zuvor publizierten Schweizer Projekt her, dem vierklassigen „Kleinschulhaus“ des Zürcher Hochbauamtes (Stadtbaumeister A.H. Steiner, 1946/47), vgl. Butter, in: Barth 1998, S. 188. 799 Planstände und Bauakte, siehe ThHStAW, LaThMWA, 2837. 800 Vgl. Wiel, in: Planen und Bauen 7/1950, S. 211ff., vgl. auch Escherich, in: Winkler 2005, S. 86f. 801 Wiel, in: Planen und Bauen 7/1950, S. 211.

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5.3.3 Zentralisieren und Gliedern. Testfeld Thüringen Die Mehrzahl der um 1949 begonnenen Thüringer Schulbauprojekte stand schließlich für einen Pragmatismus der „routinierten Privatarchitekten“802 und nicht für das Experiment. Die Zentralschule in Ebersdorf von Günther Hack (Bau 1949–53) kann für Thüringen neben allen Planungen, Projekten und teilrealisierten Ausbaustufen als konsequenteste Anlage in aufgelockerter Kammanordnung angesehen werden. Die Klassenzimmer verfügten über breit verglaste Südfassaden unter auskragenden Walmdächern. Das fl ach geneigte Walmdach, das selbst kein Stockwerk bildet, war die nächstliegende Dachform, um in konventioneller Handwerkstechnik und ohne Flachdach eine horizontal betonte, kubische Gebäudewirkung zu erzielen. Diese Dachform ermöglichte zudem, den Baukörperfluss auf einem vielgliedrigen Grundriss zu erhalten, ohne die Geometrie durch Giebel zu verunklären. Im Entwurf für die Zentralschule für Fambach bei Meiningen (1950) verfuhr der Architekt Emil Schmidt auf ähnliche Weise und vermochte dem weit ausladenden Grundriss, der die Länge der Flure durch Aufweitungen zu gliedern versuchte, dennoch eine zusammenhängende Erscheinung zu geben. Ein weiteres Thüringer Beispiel dieser Zeit konfrontiert Butter mit der Frage, wie weit die Moderne und ihre internationalen Vorbilder den Schulbau der SBZ prägen konnten. Er führt die Grundschule Themar als Beispiel auf, wie eine modern wirkende einhüftige Anordnung der Klassenzeilen mit hohem Walm- und Satteldach sowie zierenden Architekturelementen versehen wurde und dabei nicht halte, was der Grundriss verspricht. 803 Butter bemerkt eine Kluft zwischen dem gegliederten, funktionsdifferenzierten Bild einer Schulanlage, die in ihrem Lageplan nicht mehr Schulhaus ist und dem traditionellen Kleid aus Erkern, Säulen und Walmdächern, das in seiner Bauzeit ab 1949 zwischen Rückgriff und Vorgriff schwankt. Am projektierten Schulbau in Thüringen und seinen realisierten Beispielen lässt sich beobachten, wie sich das Gedankengut einer reformierten Schule und einem entsprechenden Bauausdruck mit den Voraussetzungen materieller Not überlagerte. So erwuchs aus modernen Vorbildern die eingeschossige, gegliederte Gebäudeform mit flachem oder flach geneigtem Dach, die für eine optimale Besonnung, die Möglichkeit des Freiklassenunterrichts und eine übersichtliche, dem Kind angemessene Maßstäblichkeit 802 So beschreibt Escherich die Stimmung als die Gelder zum Bauen „plötzlich flossen“, vgl. Escherich, in: Winkler 2005, S. 86. 803 Vgl. ebd., S. 188.

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Bild 88: Schule Ebersdorf, Günther Hack 1949–53

stand. Wenn schon nicht die Pavillonschule, so war zumindest die eingeschossig ausgeweitete Schulanlage das gebaute Pamphlet der gegliederten Bildungsanstalt. Neben dem Wunsch, bekannten und publizierten Vorbildern im Schulbau zu folgen, gab es für den Architekten praktische Zwänge,

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die zu dem beschriebenen niedrigen und ausgebreiteten Schulbautyp führen mussten. Wie im Beispiel der Schule in Seega angesprochen, erlaubten Stahl-, Holz- und Zementmangel keine anderen Spannweiten oder Bauhöhen, als die einer kleinteiligen oder pavillonartigen Struktur. Wie beim Neubauernhof wurden örtliche Materialien, darunter auch Lehm empfohlen.804 Ebenso kamen gegliederte Bautypen einer abschnittsweisen Realisierung und der unterrichtsunabhängigen öffentlichen Nutzung von Schulbauten geradezu entgegen. Auch das fl ache Dach war mitunter mehr ein leicht geneigter Notbehelf mit Teerpappendeckung als ein bewusstes Manifest klarer Baukörpergeometrie im Sinn einer kubischen Moderne. Die Thüringer Beispiele blieben in ihrer konzeptionellen Eindeutigkeit weit zurück hinter den projektierten Entwürfen, wie z.B. den Lenz’schen oder Henselmann’schen Schulstudien oder den gern zitierten Vorbildern. Nur in Spuren, wie in durchgehenden Fensterbändern, zweiseitiger Klassenbelichtung oder überdachten Pausenhallen sind Charakteristika lesbar, die das Mittelgangprinzip im Grundriss oder den mehrgeschossigen Bau verließen. Schon die räumlichen Voraussetzungen einer wechselnden oder flexiblen Bestuhlung waren selten gegeben. Hermann Henselmann verteidigt an anderer Stelle die eingeschossige Schule vorauseilend gegen die Kritik am Barackenimage.805 So ist es nicht verwunderlich, dass in der Rückschau die überlieferten Bauten dauerhaft den Makel von Provisorien trugen und die später einsetzende verbesserte Materialsituation den Prachtreflex der „Nationalen Traditionen“ auslöste. Die Genese der ländlichen Zentralschule der SBZ vollzog sich jedoch weniger aus einer Ablehnung städtischer Großschulen. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer Konzentrierung verstreuter Dorfschulen zu Zentralschulen, die nur so die Baumasse mit sich brachten, die es dann wieder aufzulockern galt. Mit der „Zwölfklassenschule“ wollte der Dualismus zwischen Grund- und Oberschule überwunden werden, um bis zur 12. Klasse allgemeinbildend zu unterrichten. Auf dem Gebiet des Schulbaus funktionierte Thüringen als ein Testfeld für die SBZ. Im Blick auf die Geschichte der Schule in der DDR kommt ein jüngerer Überblick zu dem Schluss, dass sich hier beispielhaft „der vielleicht weitestgehende Reformversuch der SBZ“806 vollzogen habe. Aus der Schulreform einer Region sei „eine eigenständige Reformperspektive zur Lösung der systemischen Entwicklungsprobleme der Schule in der SBZ“807 geschaffen worden. 804 805 806 807

Vgl. Henselmann, in: die neue schule 20/1949, S. 672. Vgl. ebd. Benner; Kempert 2005, S. 86. Ebd., S. 78.

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In den Denkhorizont der unmittelbaren Nachkriegsjahre, der sich teils aus Ideengut der Schulreformer der Zwischenkriegszeit und teils aus den zitierten internationalen Vorbildern zusammensetzte, drangen die Prinzipien des sowjetischen Schulsystems in die Schulbauarchitektur der SBZ und auch in Thüringens politische Köpfe. Die damalige Thüringer Ministerin für Volksbildung, Marie Torhorst, wird selbst zur Mittlerin in dieser Frage.808 In der UdSSR wurde besonderer Wert auf die außerschulische Erziehung gelegt, die in Schülerzirkeln und in der Pionierarbeit die Betreuung sämtlicher Aktivitäten des Jugendlichen anstrebte. So wollte man schon früh eine fachlich ausgerichtete Berufsvorbereitung fördern und die Schule zu einer „Leistungs- und Lernschule“ machen. Ein Detail und bemerkenswertes Indiz dieser Veränderung war die wieder eingeführte Schulbank als empfohlenes Lernmöbel. Sie verdrängte die räumlichen Variationsmöglichkeiten frei gestellter Tische und Stühle. Frontal auf einen Lehrer ausgerichtete Klassen mit festgelegter Ausnutzung und eindeutigem Seitenlicht ließen sich so als feststehendes Grundrisselement wieder in größere Schulgebäude eingliedern.809 Auch das Schulgebäude war nun bereit, als einheitlicher und zentraler Normtyp entwickelt zu werden, nachdem das pädagogische Modell, welches dahinter stand, diesen Vereinheitlichungsschritt bereits vollzogen hatte.

808 Vgl. Torhorst, in: Schöpferische Gegenwart 5/1948, S. 296–299. 809 Vgl. Butter, in: Barth 1998, S. 189f.

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6 Thüringer Konstellationen und Substrate. Fazit und Thesen

Dem vorliegenden Buch einen Namen zu geben, hat immer wieder Varianten beschert, die der Grundstimmung der beschriebenen Zeitphase Rechnung tragen wollten. Mit dem Haupttitel „Bauen aus der Not” ist zuerst jene Not gemeint, die aus der moralischen Katastrophe des Nationalsozialismus erwuchs. Der Begriff der Not erfasst ebenso jene Situation des Mangels, die im Nachkriegsdeutschland alles Planen und Bauen unter den Schatten der fehlenden Ressourcen stellte. Ein gestalterischer Standpunkt musste mit oder gegen diese materiellen Nöte eingenommen werden. Auch der Verzicht auf eine mögliche Gestalt war ein Standpunkt, der sich in die Gedankenwelt der Zeit einbauen ließ. „Der Mangel” als gesellschaftliches und materielles Faktum hatte bereits in der ersten Jahrhunderthälfte architektonische Kernthemen berührt, sowohl des „Neuen Bauens”, als auch der konservativen Reformen. Fragen des Existenzminimums, des minimalen und hygienischen Hausens, des rationellen Bauens traten nach 1945 in eine neue Bewährungsphase, ebenso wie Fragen der Heimatbildung, der Bodenbindung oder der regionalen Materialwahl. Den Planern und ihren Positionen wurde einiges an Selbstbewusstsein abverlangt. Sie mussten sich in einer Ausgangslage, die wenig Alternativen bot, jenen schöpferischen Spielraum, den das Planen braucht, kultivieren. Architektonisches Denken forderte aus Gründen der Not ethische und soziale Geisteshaltungen heraus und bot dabei nur begrenzte bautechnische Entfaltungsmöglichkeiten. Das Bauen der direkten Nachkriegsjahre war neben seinen erschwerenden Randbedingungen ebenso ein Bauen aus der Not heraus, d.h. ein Bauen, um der Not zu entkommen. Nach 1949 gerieten die Jahre vor der Gründung der DDR darum besonders schnell in die Einschätzung einer Übergangsphase, einer überwundenen Zeit. Die spätere Prachtentfaltung der „Nationalen Traditionen“ verweist die Phase der Not sehr deutlich in die Vergangenheit. Mit der zusätzlichen Idee von einem Labor hinter den Debatten ordnet die Arbeit das Land Thüringen in ein eigenes Denk- und Handlungsmilieu ein. Hinter oder neben den Debatten zu stehen, lässt sich für die Region im allgemeinen Zusammenhang der SBZ erklären, die an der deutschsprachigen Diskussion um den Aufbau einen eigenständigen und aber auch eingeschränkten Anteil hatte. Den Begriff der Debatte gilt es dabei vorsichtig zu benutzen, ergaben sich doch wenige breite Plattformen des direkten oder öffentlichen

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Austausches von Standpunkten. Meinungen traten vielmehr publizistisch gegeneinander an oder entwickelten sich im brieflichen Schlagabtausch zwischen einzelnen Akteuren. Die Debatte um das Bauen nach dem Krieg stand in der SBZ in einem gesamtdeutschen Austausch, soweit man immer noch an eine deutsche Einheit glauben konnte. Ihre Austragungsorte war dennoch getrennt, da die traditionellen Teilgebiete in der deutschen Meinungslandschaft nach wie vor unabhängig und für sich funktionierten. Die publizierten Ansichten im deutschsprachigen Raum werden deshalb so breit erfasst, um Deckungsgleichheiten von Anschauungen zu ermessen, d.h. den Geist der Zeit zu schildern. Thüringen war in den beschriebenen vier Jahren gekennzeichnet durch einen eigenen Diskussionsraum. Entscheidungen waren dem Meinungszentrum Berlin noch nicht in dem Maß unterworfen, wie nach der Gründung der DDR. Gleichzeitig begannen sich indes die Nachbarregionen, die zum größeren Teil jenseits der Grenze der SBZ lagen, als Austauschpartner zu entfernen. In einer ursprünglichen Annahme hat die Arbeit die Nachbarschaft Thüringens zu den benachbarten Besatzungszonen als Standortvorteil und Ausrichtungsspezifikum belegen wollen. Im Umkehrschluss bilden die dürftigen Belege eines solchen Austausches eine Argumentationsstütze für die Hermetik des Thüringischen Handlungsraumes. Der Begriff des Labors umschreibt den Umsetzungswillen in Thüringen, der sich jenseits der Debatten äußern wollte und die Gefahr des Scheiterns nicht ausschloss. In der Selbstsicht wollte das Land Thüringen Testfall für den Aufbau einer neuen Gesellschaft sein, sowohl politisch als auch in architektonischen und städtebaulichen Konzepten. Die Sicht von außen, wie sie nun unternommen wurde, unterscheidet, welchen eigenen Weg dieses Land Thüringen gehen konnte und wo der Kontext der SBZ sein eigenes Gewicht hatte. Architektur und Städtebau eignen sich für die Beschreibung intellektueller und politischer Ideenverhandlungen der Jahre 1945–49 besonders gut, weil sie akteursreiche Querschnitte durch eine Gesellschaft im Wandel liefern. Dass für diesen Umbruch das Land Thüringen eine überschaubare und gleichwohl ergiebige Versuchsanordnung stellt, konnte sich bestätigen. Das Spektrum der Aufgaben knüpfte sich nicht nur an den übergeordneten Wunschkatalog der SBZ, sondern stand unter einem gesonderten regionalen Erwartungsdruck.

Mittenlage Thüringen findet sich in der Mitte Deutschlands in einer mehrfachen Ferne zu Ballungsräumen, Industriezentren, der Hauptstadt und den Nationalgrenzen. Diese zentrale Abgeschiedenheit wurde zuletzt vor 1945 durch die nach hier-

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her verlagerten Kriegsindustrien unterstrichen. Angesichts der überregionalen Zusammenhänge, die spätestens der Nationalsozialismus eingeführt hatte, darf jedoch die geografische Position als Anlassgeber für eigene Thüringer Themen nicht zu weit strapaziert werden. Die Lage gibt vielmehr mittelbare Indizien für den Start nach 1945. Wo sich andernorts in Deutschland vor den Trümmern zerstörter Städte Standpunkte zuspitzten, hatten die thüringischen Städte, die vornehmlich Kleinstädte waren, im Vergleich zu anderen Regionen geringen Schaden durch Bombardements zu beklagen. Wie sich das vermutete ländliche Naturell Thüringen in der Berichterstattung um die Bodenreform zum Renommee verfestigte und wie weit es ein falsches Bild war, wird in der Arbeit transparent gemacht. Eine noch tiefer verankerte Eigenart Thüringens ist die traditionelle Rolle der Region für bekannte nationale Mythen. Um Orte, wie die Wartburg, den Kyffhäuser oder um große deutsche Köpfe ranken sich Vorstellungen, die Thüringen eine besondere historische Zuständigkeit zumessen. Wo sich diese Bedeutungsüberlieferungen mit den vollständig geänderten politischen Vorzeichen der sowjetischen Besatzungszone überlagerten, etwa um die Person Johann Wolfgang von Goethes, lassen sich gewünschte und hingenommene Traditionen mit dem Umbruchwillen zu einer neuen Gesellschaft vergleichen. Der gewollte Bruch äußerte sich in Gestaltungsfragen ausgesprochen deutlich und rieb sich gleichermaßen an den Beharrungsphänomenen des Landes wie an der erstarkenden zentralistischen Einflussnahme mit sowjetischer Rückbindung. Ausgehend vom Begriff der „verschobenen Mitte” lässt sich die Neuorientierung Thüringens beschreiben, die mit der Zonierung durch die Alliierten einsetzte und mit der deutschen Teilung besiegelt wurde.

Menschenwellen Das Land Thüringen sah sich im Kontext der SBZ einem immensen Zulauf und Durchlauf von Personal ausgesetzt, was gleichzeitig eine neue Qualität von Einflüssen und individuellen Beiträgen nach sich zog. Dieses Angebot an mitdenkenden und handlungswilligen Fachleuten, gepaart mit einer grundsätzlich neuerungsbereiten Administration ergab sich aus der Menge an Flüchtlingen, die sich mit ansässigen Netzwerken mischte. Eine kleine, aber wirkungsvolle Gruppe von ehemaligen Buchenwald-Häftlingen konnte mit ihrer Vorstellung zu einem neuen Gemeinwesen für Thüringen die ersten Jahre nach 1945 beeinflussen und teilweise auch bestimmen. Aus diesem Personal kombinierte sich eine reformwillige Elite, die einer sich verfestigenden politischen Struktur gegenüberstand und gleichzeitig zu formen begann. Auch das Weiterwandern von handelnden Personen über die Zonengrenzen war der Ausdruck für eine Bevölkerung im Umbruch. In den vier Jahren bis 1949 bestand eine Konstel-

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lation von Ideen und Personen, die später mit der doppelten Staatenbildung beendet wurde. Die Menschenwellen bescherten der SBZ im Vergleich zu den westlichen Besatzungszonen den mit Abstand höchsten prozentualen Bevölkerungsanstieg. Die demografische Steilkurve nach oben war jedoch keineswegs das Ergebnis der unmittelbaren Nachkriegszeit. Schon im Krieg hatte die industrielle Produktionskonzentration in Thüringen die Bevölkerung wachsen lassen. Dazu kam die Menge an KZ-Häftlingen, sowie Ost- und Westevakuierten, welche die Einwohnerzahl schon bis 1945 um mehr als 700.000 Menschen anschwellen ließen. Dieser Ausnahmezustand bot nicht nur unvorhersehbare Personalkombinationen, die Unschärfe der Bevölkerung in Menge und Zusammensetzung führte immer wieder zu falschen Grundannahmen für den Thüringer Baubedarf. Zu hoch gegriffene Bevölkerungsprognosen waren ein Freibrief zum Träumen. Sie beeinflussten ebenso die Nordhäuser Aufbauplanung wie die vermutete Menge an Neubauernstellen oder auch die Bandstadtutopie zwischen Mühlhausen und Langensalza.

Nach dem Bauhaus Das Land Thüringen in seiner gesamten Ausdehnung für die kurzen Jahre bis 1949 beschreiben zu wollen, müsste offensichtliche Gewichtungen vernachlässigen. Auch wenn sich in Fallbeispielen das Panorama einer vielgliedrigen Region abzeichnet, bündelten sich die Entscheidungszuständigkeiten in den zentralen Städten des Landes. Die Weimarer Hochschule und die Ministerien bildeten einen Personenkreis, der federführend bei Entscheidungen wirkte. Immer dort, wo Schlüsselfragen des Aufbaus zu verhandeln waren, sah sich die Weimarer Hochschule in der Pflicht und wurde durch den bereits 1945 geschaffenen Planungsverband in die Konzeption des Neuanfangs professionell integriert. Die Nachfolgeinstitution des Bauhauses spielte die Rolle des Ratgebers mit der dauerhaften Entwicklungsmöglichkeit zum kollektiven Planungsbüro. Der aus dem ersten Bauhaus erwachsene Geist des Ortes gebot sowohl Hochschullehrern als auch Studenten ihre Beziehung zu dieser Gestaltungstradition verpflichtend oder abgrenzend zu definieren, d.h. sie mussten in jedem Fall in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine grundlegende Position zum Bauen und zum „Neuen Bauen” beziehen. Diese Standortbestimmung mündete nicht etwa in einer wieder aufgenommenen „Bauhaus-Tradition”. Vielmehr setzte sich nach Wiederbelebungsversuchen die Auffassung durch, das Bauhaus in seiner Vergangenheit zu belassen und der Gegenwart ihre eigenen Antworten auf die neuen Herausforderungen zuzugestehen. Der Rang der Hochschule ist, was ihre Vorarbeiten betrifft, für den Thüringer Aufbau belegt. Der tatsächliche Einfluss muss angesichts einer geschwindigkeitsreichen Meta-

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morphose des Planungsverbandes, der Kerninstitution des Aufbaus, relativiert werden. Innerhalb der gezielten Betrachtung der Weimarer Hochschule ergibt sich wiederum ein unumgängliches Gewicht um die Person Hermann Henselmann, dem Direktor der Hochschule bis 1949. In ihm hatte das Land nicht nur einen hochbelastbaren Organisator an die Spitze der einzigen Thüringer Hochschule für den Gestalternachwuchs gesetzt. Henselmann war ebenso ein kreativer Autokrat, dessen Ideenmaschinerie nahezu alle Planungsthemen der Zeit ausgesetzt waren. Warum seine erfindungsreichen Vorschläge in Thüringen keinen Baugrund fanden, lag oft genug an ihrem bewusst gewählten Charakter der programmatischen Skizze, die Thüringen nur als Beispielstandort für das weiter gefasste Modellgebiet der SBZ verwenden wollte. Henselmann bot in den Jahren vor seinem Wegzug nach Berlin das fruchtbare Spektrum seiner Widersprüchlichkeit zwischen Stratege und Phantast.

Erbe, Reform, Experiment Um den Themenkomplex der Kontinuitäten über das Jahr 1945 hinweg auf dem Weg in eine zentral geführte DDR kreist ausnahmslos jedes Kapitel der Arbeit. Die vier Jahre, die den Kern der Arbeit bilden, lassen sich keinesfalls als moralisch lautere Pause zwischen Nationalsozialismus und dem SED-Staat für die Architekturgeschichte retten. Zu zahlreich sind die weitergeführten Handlungsstränge. Die administrativen Stellen, sei es die SMAD oder die Thüringer Landesregierung, mussten immer wieder abwägen, ob man die politische Belastung von Akteuren vor oder hinter ihre fachliche Erfahrung stellen konnte. Dabei entsteht jedoch kein Widerspruch zur These des eigentümlichen und neuartigen Handlungsmilieus im Thüringen dieser Zeit. Vielmehr kennzeichnete diese Mischung von Einflussfaktoren die Thüringer Eigenart in den Jahren bis zur Gründung der DDR. Deshalb lässt sich der untersuchten Zeitspanne die Moderne als Geisteshaltung und das „Neue Bauen” als ihr folgerichtiger Kanon weder als sehnsuchtsdominant noch als prägend zuweisen, auch wenn die späteren Ächtungsanstrengungen der Jahre nach 1950 das vermuten lassen. Die Inventur der Ideen nach 1945 breitet wesentlich mehr davon aus, was das 20. Jahrhundert bis dahin an architektonischen Willensäußerungen auf der Suche nach dem Besseren abgeworfen hat. Dabei erschließt sich der Doppelcharakter einer bilanzierenden und antizipierenden Denkweise, der sich bei allem Bewusstsein um Rückbindung und Tradition unter dem Eindruck offener Möglichkeiten bot. Hier ist darum auch zur Frage zurückzukehren, ob dieses Thüringen seit seiner Gründung 1920 den zweifelhaften Charakter der totalitären Experimentierzone in sich trug, die gleichermaßen dem Nationalsozialismus als auch dem Staatssozialismus einen voreilig frucht-

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baren Acker bot. Der historische Vergleich der beiden Umbruchsphasen ist nicht möglich. Die ausgebreiteten Aspekte dieser Arbeit zeigen vielmehr eine Fülle von Ideen, Projekten und Planungen aus den Jahren nach 1945, die den Namen des Experiments gerade deswegen verdienen, weil sie in ihrem Spektrum keine einheitliche Linie trugen und auch nicht vorbereiteten. Das Thüringen der Nachkriegszeit hat diesem Nebeneinander von gescheiterten und geglückten Versuchen, die sich nur teilweise im institutionalisierten Rahmen der späteren DDR wiederfanden, seinen Raum gegeben.

Generalprobe DDR Dem Grundgedanken vom Labor folgend, muss sich die kurze Zeit der vier Jahre dennoch auf ihren Vorbereitungsstatus für die spätere DDR beleuchten lassen. Das Nebeneinander von Handlungsrichtungen steht für eine Zeit, die sich noch nichts anderes als eine deutsche Einheit vorstellen kann. Dennoch zeichneten sich auch vor der Gründung der DDR im Verhältnis zur Sowjetischen Militäradministration und zu ihren Thüringer Vertretern Kraftkonstellationen ab, die eine zentralisierende Dynamik innerhalb der SBZ und eine teilende Kraft im gesamtdeutschen Kontext nicht verdecken können. Am institutionellen Rahmen der planenden Berufe ebenso wie bei der Formulierung kommunaler Bauaufgaben können Verluste der Thüringer Handlungsautonomie beschrieben werden, die bereits vor 1949 einsetzten. Insbesondere an der Entwicklung des Architektenberufes in Thüringen lässt sich schildern, wie der Kollektivgedanke den individuellen Autor ablöst. Simultane Aspekte, wie das Resistenzvermögen der Provinz, die Vision eines gesamtdeutschen Staatswesens, der Generationenwechsel zwischen alten und neuen Netzwerken und die ideologische Unentschlossenheit mancher Protagonisten zeichnen die Umrisse eines werdenden politischen Organismus’ nach, den die SED nach 1946 auch in Thüringen ausbildete. Die DDR hat die Jahre von 1945–49 als „antifaschistisch-demokratische Umwälzung” mit der Logik einer Generalprobe in ihr Genesebild eingeordnet. Genauso wenig jedoch, wie eine Epoche diesen Vorbehaltstatus über sich selbst aussprechen würde, genauso ernst sind die schon früh wirkenden Machtmechanismen zu nehmen, die den vagen Demokratiebegriff der Zeit umlagerten, ihn in Frage stellten, um als erstarkendes Gerüst den Staatsapparat der DDR vorzubereiten. Dass heute ein neuer Blick auf die Jahre der SBZ nach dem Krieg eingenommen werden kann, liegt nicht nur an einem Generationenwechsel bei den Betrachtenden, sondern auch an einer mittlerweile erfassbaren „Geschichte der Geschichtsschreibung” zu dieser Phase.

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Seitenblicke und Perspektiven Die Suche nach vier ereignisreichen Jahren, einer „Zeit zwischen den Zeiten”, stößt an Grenzbereiche benachbarter Themenstellungen und möglicher neuer Untersuchungsrichtungen. Auch wenn die Arbeit immer wieder kulturgeschichtliche Exkurse eingebaut hat, um Themen des Bauens in Thüringen einzukreisen, könnte dieser noch nicht ausreichend beforschte alltagsgeschichtliche Aspekt der Jahre der SBZ neben allen existierenden statistischen und quellenintensiven Sammlungen eine wortwörtlich viel versprechende Periode erfassen. Einer lebenswirklich aufgeladenen Untersuchung scheint heimtückisch zu widerstreben, dass innerhalb der DDR die SBZ als Vorphase abgeurteilt war, um heute aus der Perspektive der nun ebenfalls vergangenen DDR in eine doppelte Vergangenheit zu rücken. Aus Fallbeispielen zusammengestellt, liefert die Arbeit keinen enzyklopädischen Blick auf einen Katalog von Bauaufgaben. Darum weisen Wunschlinien in weitere bautypologische Richtungen. Eine eigene Beachtung verdient beispielsweise der Kirchenbau der Nachkriegsjahre, der in meist traditionellen Formen als Nebenbaustelle zum offiziellen Baugeschehen funktionierte. Gemeinsam mit der Bauaufgabe des privaten Wohnhauses ließe sich ein gestalterischer Freiraum beschreiben, der als Längsschnitt durch die gesamte Geschichte der SBZ und der DDR erschlossen zu werden verdient. Mit der Verwurzelung in der SBZ, so haben die beschriebenen Fälle gezeigt, werden typologische Zusammenhänge sichtbar, die einer gebäudeanalytischen Nutzanwendung der aktuellen Denkmalpflege dienen könnten. Die spätere, aber kurze Episode stalinistischer Prachtbauten aus den frühen 1950er Jahren genießt seit langem den Vorzug in der Denkmalpflege. So wertvoll und einzigartig das Bauen dieser Zeit ist, so sehr steht die davor liegende Zeit zwischen 1945 und der Republikgründung in ihrem Schatten. Die gebauten Resultate der Jahre zwischen 1945 und 1949 waren und sind bis heute der Benutzung ausgesetzt. Die Entstehungszeit mit ihrem Selbstbewusstsein für eine Schlichtheit im Bauen ist aus dem Blickfeld verschwunden. Gerade jedoch die architektonische Kultivierung der Armut der ersten Neubauernhäuser, Zentralschulen und Landkulturhäuser schuf wertvolle Zeugnisse gebauter Angemessenheit. Der sparsame und bautechnisch reduzierte Charakter der ersten Nachkriegsbauten ist heute nicht einfach zu schützen und zu konservieren. Darum ist der Wunsch nach dem Katalog der verbliebenen Bauzeugnisse ein Anliegen, das unter anderem in der denkmalpflegerischen Erfassungspraxis seinen greifbaren Niederschlag finden möge. Dazu den Blick auf Ideen und Motive der Zeit geliefert zu haben, ist ein Anliegen dieses Buches.

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KRUFT, Hanno-Walter: Geschichte der Architekturtheorie, München 1995 KRIEGER, Peter: Wirtschaftswunderlicher Wiederaufbau-Wettbewerb. Architektur und Städtebau der 1950er Jahre in Hamburg, Diss. Hamburg 1995 LEISSLING, Wolfgang: Zeitgenössische Miniaturen. Baugeschichte im Spiegel öffentlicher Meinungen, in: Thüringer Landtag (Hg.): Der Thüringer Landtag, Erfurt 1994, S. 87–89 LEENDERTZ, Ariane: Ordnung schaffen. Deutsche Raumplanung im 20. Jahrhundert, Göttingen 2008 LENZ, Robert: Moderne Schulbauten des Auslandes und unsere Situation, in: die neue schule 10/1949, S. 315–316 LENZ, Robert: Probleme der neuen Schule, in: bildende kunst 10/1948, S. 17–19 LENZ, Robert: Storkow baut, in: die neue schule 14/1947, S. 503–507 LESANOVSKY, Werner: Schulreformerische Traditionen und nationalsozialistische Schulpolitik, in: Heiden, Detlev; Mai, Gunther (Hg.): Nationalsozialismus in Thüringen, Weimar [u.a.] 1995, S. 399–220 LIBOR-DÖRSTEL, Tatjana: Der Wiederaufbau der Innenstadt von Nordhausen. Auswirkungen sozialistischer Konzepte in Politik, Wirtschaft und Städtebau auf Planung und Realität beim Aufbau, Dipl.-Arbeit Köln 1992 LINDNER, Emanuel: Das Haus für 3000 Mark, in: Athena 7/1946–47, S. 81–83 LORENZ, Ulrike: Thilo Schoder. Ein Architekt im Spannungsfeld der Moderne, Jena 2001 LUDWIG, Alfred: Ein Nottheater in Halberstadt, in: Neue Bauwelt 49/1948, S. 781–782 LUDWIG, Andreas: Menschenbilder. Der sozialistische Mensch. Zur Konstitution eines Idealtyps am Beispiel der frühen Jahre Eisenhüttenstadts, in: Beier, Rosmarie (Hg.): Aufbau West – Aufbau Ost: die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit; Katalog Ostfildern–Ruit 1997, S. 323–331 LÜTTGENAU, Rikola-Gunnar: Buchenwald wir in die DDR eingemeindet, in: Ehrlich, Lothar; Mai, Gunther (Hg.): Weimarer Klassik in der Ära Ulbricht, Köln [u.a.] 2000, S. 359–373

MAI, Gunther: Zeithistorische Landesgeschichstforschung, in: Heiden, Detlev; Mai, Gunther (Hg.): Nationalsozialismus in Thüringen, Weimar [u.a.] 1995, S. 11–27 MAI, Gunther: Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945–1948, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament”, B23/88) vom 3. Juni 1988, S. 3–5 MANN, Thomas: Deutsche Hörer! Europäische Hörer! Leipzig 1970 MATTAUSCH,  Roswitha; Wiederspahn, Brigitte: Das Bauprogramm der Deutschen Arbeitsfront – Die Umwelt der Arbeiter, in: Frankfurter Kunstverein [u.a.] (Hg.): Kunst im 3. Reich. Dokumente der Unterwerfung, Frankfurt a. M. 1979, S. 183–216 MAY, Ruth: Planstadt Stalinstadt: ein Grundriss der frühen DDR, aufgesucht in Eisenhüttenstadt, Dortmund 1999

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MAYRHOFER, Fritz: Schuster, Walter (Hg.): Nationalsozialismus in Linz, Linz 2000 MEURER, Cornelia: Die „Stunde Null” – Jenas Wiederaufbau. 1945–1967, in: Diers, Michael; Grohé, Stefan; Meurer, Cornelia (Hg.): Der Turm von Jena. Architektur und Zeichen, Jena 1999, S. 15–22 MEURER, Cornelia: Das Architekturbüro Schreiter und Schlag in Jena. Vom Siedlungsbau bis zur Neuplanung des Stadtzentrums, in: Barth, Holger (Hg.): Planen für das Kollektiv. Handlungs- und Gestaltspielräume von Architekten und Stadtplanern in der DDR, IRS (Graue Reihe, Bd. 19), Erkner 1999, S. 115–122 MILIJUTIN, Nikolai: Sotsgorod; the problem of building socialist cities (1930), Basel [u.a.] 1992 MILLER, Toni: Dorf Seega im Umbau. Ein Planungsbeispiel. Deutsche Akademie der Wissenschaften, Berlin 1949 MILLER, Toni: Der Weidehof unserer Zeit, in: Bauwelt 48/1948, S. 755–759 MILLER, Toni: Tierzucht- und Saatgutvermehrungsbetrieb Kolba/Thür., in: Baumeister 8/1948, S. 268–275 MILLER, Toni: Grundlagen des ländlichen Siedlungswesens, Hochschule für Baukunst und Bildende Künste, Weimar 1948 MILLER, Toni; Grigutsch, Ernst; Schulze, Konrad Werner (Hg.): Lehmbaufibel, Darstellung der reinen Lehmbauweisen, Leipzig 1947 MILLER, Toni: Normen für das landwirtschaftliche Bauen: Vorschläge der Arbeitsgemeinschaft des Lehrstuhles ländliches Bau- und Siedlungswesen, Weimar 1946 MINISTERIUM FÜR AUSWERTIGE ANGELEGENHEITEN DER DDR, Ministerium für Auswertige Angelegenheiten der UdSSR (Hg.): Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945–1949, Berlin (Ost) 1968 MOOS, Stanislaus von: Recycling Max Bill, in: Bundesamt für Kultur (Hg.): minimal tradition. Max Bill und die „einfache” Architektur 1942–1996, Baden 1996, S. 9–32 MÜLLER, Johannes (Hg.): Thüringen und seine Stellung in und zu Mitteldeutschland, Weimar 1929

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NUTZ, Manfred: Stadtentwicklung in Umbruchsituationen. Wiederaufbau und Wiedervereinigung als Stressfaktoren der Entwicklung ostdeutscher Mittelstädte. Ein Raum-Zeit-Vergleich mit Westdeutschland, Stuttgart 1998 OFFENBERG, Gerd: Mosaik meines Lebens, Mainz 1974 OVERESCH, Manfred: Widerstand aus sozialdemokratischer Überzeugung: Hermann Louis Brill, in: Fricke, Karl Wilhelm (Hg.): Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder, München 2002, S. 76–83 PALUTZKI, Joachim: Architektur in der DDR, Berlin 2000 PAULICK,  Richard: Einige Bemerkungen zur Architektur-Diskussion, in: Deutsche Architektur 9/1957, S. 479–481 PEHNT, Wolfgang; Strohl, Hilde: Rudolf Schwarz, Architekt einer anderen Moderne, Katalog Stuttgart 1997 PETSCH, Joachim; Petsch-Bahr, Wiltrud: Bundesrepublik – Eine neue Heimat? Städtebau und Architektur nach ’45, Berlin (West) 1983 PFISTER,  Rudolf: Vom landwirtschaftlichen Bauwesen. Über neuere Arbeiten der Arbeitsgemeinschaft ländliches Bau- und Siedlungswesens des Planungsverbandes Hochschule und der Gemeinnützigen Gärtnerhofgesellschaft Hamburg, in: Baumeister 9/1947, S. 281 PFISTER, Rudolf: Grundlagen des ländlichen Bauwesens. Drei Veröffentlichungen des Planungsverbandes Hochschule Weimar, Arbeitsgemeinschaft des Lehrstuhles Ländliches Bau- und Siedlungswesen unter Leitung von Professor Toni Miller in: Baumeister 9/1947, S. 84–85 PIECK, Wilhelm: Bodenreform – Junkerland in Bauernhand, Berlin 1945 PREISS,  Achim; Winkler, Klaus-Jürgen: Weimarer Konzepte. Die Kunst- und Bauhochschule 1860–1995, Weimar 1996 PRIGGE, Walter (Hg.): Ernst Neufert – Normierte Baukultur, Frankfurt a. M. [u.a.] 1999 PÜSCHEL, Konrad: Die Tätigkeit der Gruppe Hannes Meyer in der UdSSR in den Jahren 1930 bis 1937, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen 4/1976, 468–472

RAINER, Roland: Die Behausungsfrage, Wien 1947 RAINER,  Roland: Die zweckmäßigste Hausform für Erweiterung, Neugründung und Wiederaufbau von Städten, Berlin 1944 RAPPAPORT, Philipp August: Der Wiederaufbau der deutschen Städte, Leitgedanken, Essen-Steele 1946 RAPPAPORT, Philipp August: Steigende Strassen; Eine Studie z. deutschen Städtebau von Philipp A. Rappaport, Berlin 1911

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RAPPAPORT, Philipp August: Eine alte Reichsstadt wie sie war und wird, in: Wie wir unsere Heimat sehen, Eine Folge deutscher Landschaftsschilderungen in Wort und Bild als Anregung zu besinnlicher Betrachtung der Heimat, Bd. 7, Leipzig 1907 RASCHKE, Helga: Vertrieben: In Gotha fingen die Gablonzer neu an, in: Gothaer Allgemeine vom 17. Oktober 1998 RAT DER STADT NORDHAUSEN (Hg.): 5 Jahre demokratischer Aufbau, Nordhausen 1950 RAT DES BEZIRKES ERFURT, BEZIRKSBAUAMT (Hg.): Bauen im Bezirk Erfurt. Weimar 1984 RAU, Rudolf: Neubau der Saalebrücke Saalfeld, in: Bauplanung und Bautechnik 4/1948, S. 115–116

RAUCH, Marcus: Der Beitrag der Bodenreform zur Integration der „Umsiedler” in der sowjetischen Besatzungszone, Diss. Tübingen 1998 REICHERT, Herbert; Thunert, Hellmuth: Schemapläne für Kulturhäuser, in: Deutsche Architektur 4/1953 S. 167–172 REICHOW, Hans Bernhard: Organische Stadtbaukunst. Von der Großstadt zur Stadtlandschaft, Braunschweig [u.a.] 1948 REINBOTH, Fritz: Philipp Rappaport – Erinnerungsblatt an einen alten Freund der alten Reichsstadt, in: Nordhäuser Geschichts- und Altertumsverein, Stadtarchiv (Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen, Bd. 26), Nordhausen 2001, S. 88–93 RETTIG, Heinrich: Zur baulichen Schulreform, in: Bauen und Wohnen 1/1949, S. 19–20 RICHTER, Michael; Schaarschmidt, Thomas; Schmeitzner, Mike (Hg.): Länder, Gaue und Bezirke. Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert, Dresden 2007 RICKEN, Herbert: Der Architekt. Geschichte eines Berufs, Berlin (Ost) 1977 SCHÄCHE,  Wolfgang (Hg.): Hermann Henselmann. Ich habe Vorschläge gemacht, Berlin 1995 SCHÄDLICH, Christian: Der Neubeginn an der Staatlichen Hochschule für Baukunst und bildende Künste Weimar im Jahre 1946, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 5/1966, S. 505–520 SCHÄDLICH, Christian: Zur Geschichte der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar seit 1945, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 4/1958–59, S. 269–280 SCHAROUN, Hans: Fragen des Bauens vor, während und nach der Naziherrschaft, in: Aufbau 2/1946, S. 40–44 SCHÄTZKE, Andreas: Rückkehr aus dem Exil. Bildende Künstler und Architekten in der SBZ und frühen DDR, Berlin 1999 SCHÄTZKE,  Andreas: Zwischen Bauhaus und Stalinallee. Architekturdiskussion im östlichen Deutschland 1945–1955, Braunschweig [u.a.] 1991 SCHEIDIG, Walter: Die Bauhaus-Siedlungsgenossenschaft in Weimar 1920–1925, in: Dezennium 2/1972, S. 249–262

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SCHMIDT, Walther: Ein Architekt geht über Feld: Betrachtungen zur Baugestaltung, Ravensburg 1947 SCHNEIDER, Axel: Hessen und Thüringen, Stichworte einer Nachbarschaft, Frankfurt a. M. 1990 SCHÖNFELD, Martin: Hermann Kirchberger – ein Künstler der „verschollenen Generation“. „woher? wohin?“ – Figuren im Raum. Gemälde, Gouachen, Zeichnungen, Glasfenster Berlin 1996 SCHÖNFELD, Martin: Das „Dilemma der festen Wandmalerei”. Die Folgen der Formalismus-Debatte für die Wandbildbewegung in der SBZ/DDR 1945–55, in: Feist, Günter; Gillert, Eckart; Vierneisel, Beatrice (Hg.): Kunstdokumentation SBZ/ DDR. Aufsätze, Berichte, Materialien, Berlin 1996, S. 444–463 SCHULTZE,  Joachim Heinrich: Die Stadt Nordhausen – eine Strukturuntersuchung ihrer geopolitischen, ihrer Lebens- und Umweltbeziehungen, Gutachten Jena Schuster, Franz: Der Stil unserer Zeit, Wien 1948 SCHÜTRUMPF, Jörn: KZ-Häftlinge, Parteilose und NSDAP-Mitglieder. Führungskräfte im entstehenden Eisenhüttenkombinat 0st, in: Beier, Rosmarie (Hg.): Aufbau West – Aufbau Ost: die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit; Katalog Ostfildern-Ruit 1997, S. 171–179 SCHWARZ, Rudolf: Von der Bebauung der Erde, Heidelberg 1949 SEDLMAYR, Walter: Verlust der Mitte, München [u.a.] 1948 SEKRETARIAT DES DEUTSCHEN VOLKSRATES (Hg.): Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1949 SENATSKOMMISSION ZUR AUFARBEITUNG DER JENAER UNIVERSITÄTSGESCHICHTE IM 20. JAHRHUNDERT (Hg.): Traditionen – Brüche – Wandlungen. Die Universität Jena 1850–1995. Köln [u.a.] 2009 SITTE, Camillo: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Wien 1889 SONNEMANN,  Rolf [u.a.] (Hg.): Geschichte der technischen Universität Dresden, Dresden 1978 SOZIALISTISCHE EINHEITSPARTEI DEUTSCHLANDS, BEZIRKSLEITUNG ERFURT (Hg.): Chronik zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Thüringen 1945 bis 1952, Erfurt 1975 SPIESS, Helmut (Hg.): Zur Eröffnung des Deutschen Nationaltheaters Weimar nach dem Wiederaufbau an Goethes 199. Geburtstag 28. August 1948, Weimar 1948 SPÖRHASE, Rolf: Heinrich Tessenow zum „Aufbau”, in: Baurundschau 1,2/1948, S. 4 SPRINGER, Philipp: Leben im Unfertigen. Die „dritte sozialistische Stadt” Schwedt, in: Holger Barth (Hg.): Grammatik sozialistischer Architekturen. Lesarten historischer Städtebauforschung zur DDR, Berlin 2001, S. 67–81 STABE, Friedrich: Gegenwärtiges Bauen in einer alten Stadt. Was war, was ist, was wird in Nordhausen, in: Thüringer Heimat, 2/1956, S. 149–161 STADT NORDHAUSEN (Hg.): Nordhausen mahnt – Nordhausen 1945–1949, Katalog Nordhausen 1949 STADTARCHIV NORDHAUSEN (Hg.): Chronik der Stadt Nordhausen, Bd. 2, Nordhausen 2003

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STYLIARAS, Dimitrios: Das „hippodamische System“ in der Antike und seine Anwendbarkeit im heutigen Städtebau, Diss. Berlin 1944 TACKE, Charlotte: Denkmal im sozialen Raum. Göttingen 1995 THABE, Sabine (Hg.): Räume der Identität – Identität der Räume (Dortmunder Beiträge zur Raumplanung: Blaue Reihe, Bd. 98), Dortmund 1999 THÜRINGISCHES LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE (Hg.): Architektur und Städtebau. Das Büro Schreiter & Schlag, 1919–1952; Jena 1999 THÜRINGER LANDTAG (Hg.): Der „Thüringen-Ausschuß” 1945, Dokumente eines vorparlamentarischen Gremiums auf Landesebene während der amerikanischen Besatzungszeit und nach dem Besatzungswechsel Juni/Juli 1945, Weimar 1997 THÜRINGER LANDTAG (Hg.): Der Thüringer Landtag 1946–1952. Ein politischer Abriß, Erfurt 1994 THÜRINGER LANDTAG;  Historische Kommission für Thüringen (Hg.): Vom Königreich der Thüringer zum Freistaat Thüringen, Erfurt 1999 TOPFSTEDT, Thomas: Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten-Architekten in der DDR, in: Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Hg.): Vom Baukünstler zum Komplexarchitekten – Dokumentation eines IRS-Sammlungsbestandes biographischer Daten, Erkner 2000, S. 9–23 TOPFSTEDT, Thomas: Städtebau in der DDR, 1955–1971, Leipzig 1988 TOPFSTEDT, Thomas: Grundlinien der Entwicklung von Städtebau und Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik 1949–1955, Bd. 1, Textteil, Diss. Leipzig 1979 TORHORST, Marie: Sowjetschule und deutsche Schulreformer, in: Schöpferische Gegenwart 5/1948, S. 296–299

VOIGT, Friedrich (Hg.): Staatlicher Bauwille in Thüringen 1932–1937, Weimar 1938 WAGNER, Martin: Wenn ich Baumeister von Deutschland wäre, in: Aufbau 9/1946, S. 875–883 WAHL, Volker: Thüringen unter amerikanischer Besatzung (April bis Juli 1945), Erfurt 2001 WANDEL,  Paul, in: Paul Wandel, Präsident der Deutschen Verwaltung für Volksbildung auf dem 2. Pädagogischen Kongress in Berlin vom 15.–17. August 1946, in: die neue schule 15/1947, S. 533–535 WANGERIN, Gerda; Weiss, Gerhard: Heinrich Tessenow. Ein Baumeister 1876–1950, Essen 1976 WEBER, Hermann: Geschichte der DDR, München 1999 WEISE, Rudolf: Das Bauen auf dem Lande: bauliche Durchführung der Bodenreform, Rostock 1947 WEISSBARTH, Adolf: Entwicklung und Planung der Stadt Nordhausen. Zur bisherigen baulichen Entwicklung der Stadt Nordhausen, in: Deutsche Architektur 1/1965, S. 53–56

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Quellen BAUHAUS-UNIVERSITÄT WEIMAR, ARCHIV DER MODERNE (ARBUW) Akten: C9 Lfd. Nr. 14; I/01/999; C9 Lfd. Nr. 3, 1947/47 V. A. Nr. 01/009; Nr. 90; I/01/001, A1/1; I/01/003; I/01/020; I/01/027; I/04/403a; La/3 I/01/777; I/01/841; I/01/863; I/01/864, La 90; La/94 I/01/868; I/01/920, La 146; I/01/964; I/01/976; I/01/979; I/01/993; I/01/985, Lb. 22; I/01/998; II//01/021; II/01/473;Personalakte Gustav Hassenpflug Personalakte Hermann Henselmann ARCHIV DER MODERNE, Bauhaus-Universität Weimar (AdMBUW)  Planunterlagen, Schriftdokumente, Leopold Wiel ARCHIV DES INSTITUTES FÜR REGIONALENTWICKLUNG UND STRUKTURPLANUNG,  Erkner (ArchIRS) Personalbögen des BDA Paul Bräunlich, Nr. 6141; Hans Lahnert, Nr. 2250 Karl Mazukuly, Nr. 5484; Konrad Püschel, Nr. 1635; Konrad Riemann, Nr. 5870; Georg Schirrmeister, Nr. 5900; Hans Schlag, Nr. 5901; Paul Schraps, Nr. 5335; Friedrich Stabe, Nr. 1740; Leo Stegmann, Nr. 5942 BUNDESARCHIV, BERLIN (BArch)  DDR, Ministerium für Bauwesen (Ministerium für Aufbau) Akten: DH 1/354; DH 1/38584; DH 1/38606 GOETHE- UND SCHILLER-ARCHIV, WEIMAR (GuSAW) Akte: 150/NFG-VA 83 PRIVATARCHIV EGON HARTMANN Planunterlagen, Schriftdokumente STADTARCHIV HIRSCHBERG AN DER SAALE Planunterlagen STADTARCHIV NORDHAUSEN (StArNDH)  Akten: S 2325, S 2783, S 2786, S 2807, 2897 STIFTUNG ARCHIV DER AKADEMIE DER KÜNSTE, BERLIN (ArchAKDB)  Akten: 120-01-194, Ind. Nr. 30; Sign. IfB I/1 THÜRINGISCHES HAUPTSTAATSARCHIV GOTHA (ThHStAG)  Kreisrat Nordhausen, Akte: 154 THÜRINGISCHES HAUPTSTAATSARCHIV RUDOLSTADT (ThHStAR)  Kreisrat Saalfeld, Akten: 643; 735 VEB Maxhütte Werkleitung, Akten: B 31, 277 THÜRINGISCHES HAUPTSTAATSARCHIV WEIMAR (ThHStAW)  Land Thüringen, Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (LaThMWA) Akten: 451; 2917; 2928 Land Thüringen, Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (LaThMWA)  Hauptabteilung Aufbau, Akten: 2385; 2386; 2417; 2437; 2622; 2626; 2702; 2724; 2847; 3049; 3132; 3133; 3134; 3135; 3136 Land Thüringen, Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Hauptabteilung Bauwesen, Akten: 3058; 2308; 2298 Land Thüringen, Ministerium des Innern (LaThMdI), Akten: 861; 949

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Land Thüringen, Ministerium für Volksbildung (LaThMV)  Akten: 1128; 1145; 1151; 3856; 3863; 3873; 3880 Land Thüringen, der Ministerpräsident, Akten: 452; 1345 Bodenreform Bauträger GmbH, Akte: 337

Zeitschriften der Jahre 1945–1950 ATHENA, Berlin (Ost), erschienen: 1946–1948 AUFBAU, Kulturpolitische Monatschrift mit literarischen Beiträgen. Herausgegeben vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Berlin/Berlin (Ost), erschienen: 1945–1958 BAUEN + WOHNEN, (Deutsche Ausgabe): Internationale Zeitschrift für die Gestaltung und Technik von Bau, Raum und Gerät, München, erschienen: 1946–1981 DER BAUHELFER, Zeitschrift für das gesamte Bauwesen, Berlin (Ost), erschienen: 1946–1950 BAUMEISTER, Zeitschrift für Architektur, München, erschienen: 1902–1944; 1946–heute BAUPLANUNG, BAUTECHNIK, wissenschaftlich-technische Zeitschrift für das Ingenieurbauwesen, Berlin (Ost), erschienen: 1947–1991 (von 1950–52 als „Planen und Bauen”) BAURUNDSCHAU, das umfassende Fachblatt für die Bau-Industrie, Hamburg, erschienen: 1910–1973 BILDENDE KUNST, Zeitschrift für Malerei, Graphik, Plastik und Architektur, Berlin (Ost) erschienen: 1947–1949 DEMOKRATISCHER AUFBAU, Zeitschr. für d. Mitarbeiter d. Organe d. Staatsmacht, Berlin, Berlin (Ost), erschienen: 1946–1962 DEUTSCHE ARCHITEKTUR, Deutsche Bauakademie und Bund Deutscher Architekten, Berlin (Ost), erschienen: 1952–1974 (Fortsetzung als „Architektur der DDR”) DIE NEUE SCHULE, Blätter für demokrat. Erneuerung in Unterricht u. Erziehung, Berlin, Berlin (Ost) [u.a.], erschienen: 1946–1954 FRANKFURTER HEFTE, Zeitschr. für Kultur u. Politik, Frankfurt a. M., erschienen: 1946– 1984 NEUE BAUWELT, Zeitschrift für das gesamte Bauwesen, Berlin, ab 1949 teils als westdeutsche Ausgabe bezeichnet, erschienen: 1946–1952 (Vorgänger und Fortsetzung als „Bauwelt”)

SCHÖPFERISCHE GEGENWART, ERSCHIENEN: 1948–1949

KULTURPOLITISCHE

MONATSZEITSCHRIFT THÜRINGENS, WEIMAR,

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Grundsätze und Gesetze DIE 16 GRUNDSÄTZE DES STÄDTEBAUS, in: Bolz, Lothar: Von deutschem Bauen. Reden und Aufsätze. Berlin (Ost): Verlag der Nation 1951, S. 32–52 GESETZ NR. 18, vom 8. März 1946 bezüglich des Wohnungsgesetzes, siehe Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Ausgabe Nr. 4 vom 28. Februar 1946, S. 117ff. GESETZ ÜBER DIE DEMOKRATISCHE EINHEITSSCHULE, vom 9.–10. Januar 1946, Absatz 4f. GESETZ ZUR DEMOKRATISIERUNG DER DEUTSCHEN SCHULE  vom 2. Juni 1946, in: die neue schule 4/1946, S. 129f. SATZUNG DER KAMMER DER TECHNIK IN DER SOWJETISCHEN BESATZUNGSZONE, in: Die Technik, Bd. 1, Nr. 1/1946, S. 3f. GESETZ ÜBER DEN WIEDERAUFBAU VON STÄDTEN UND DÖRFERN IM LAND THÜRINGEN vom 18. Oktober 1945, in: Regierungsblatt für das Land Thüringen, Nr. 2, 12. Januar 1946 DAS GESETZ ÜBER DIE BODENREFORM IM LANDE THÜRINGEN, vom 10. September 1945, vgl. Gesetz und Ausführungsverordnung zum Gesetz über die Bodenreform im Lande Thühringen mit dem Aufruf des antifaschistschen Blocks und der Resolution der Landeskonferenz der Thüringer Bauern, Erfurt 1945 BEFEHL NR. 12 DER SMATH vom 31. August 1945 über den Wiederaufbau der zerstörten Brücken und Autobahnen im Land Thüringen

Bildquellen KAPITEL 1 Bild 1: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne .....................................13 Grafik 1: Zeitgenössische Darstellung, o. J. ...................................................................16 Grafik 2: Eigene Plandarstellung, Ulrich Wieler ............................................................20 Bild 2: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne .....................................28 KAPITEL 2 Bild 3: Privatarchiv Cornelia Meurer ...........................................................................32 Bild 4: Ebd. ......................................................................................................................33 Bild 5: Foto: Ulrich Wieler; Planunterlagen: Bredow, Jürgen; Lerch, Helmut: Materialien zum Werk des Architekten Otto Bartning, Darmstadt 1983 ..35 Bild 6: Neue Bauwelt 2/1948 ........................................................................................38 Bild 7: Ebd. ......................................................................................................................39 Bild 8: Privat: Familie Findeisen ..................................................................................40 Bild 9: Schwarz, Rudolf: Von der Bebauung der Erde, Heidelberg 1949 ..............47 Grafik 3: Erbs, Karl-Josef: Grundlagen für den Aufbau in Stadt und Land, Rostock 1948 ......................................................................................................55 Bild 10: Wangerin, Gerda; Weiss, Gerhard: Heinrich Tessenow. Ein Baumeister 1876–1950, Essen 1976 .....................56 Bild 11: Stadtarchiv Nordhausen ...................................................................................59

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Bild 12: Miller, Toni; Grigutsch, Ernst; Schulze, Konrad Werner (Hg.): Lehmbaufibel, Darstellung der reinen Lehmbauweisen, Leipzig 1947 ........61 Bild 13: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne .....................................63 Bild 14: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar ......................................................64 KAPITEL 3 Grafik 4:Beyme, Klaus von: Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebau der beiden deutschen Staaten. München [u.a.] 1987 ......................................... 70 Grafik 5: Eigene Darstellung, Ulrich Wieler ................................................................... 71 Bild 15: Privatarchiv Wilfried Dallmann ......................................................................77 Bild 16: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Max Göllner ..................79 Bild 17: National Archives, Washington D.C., U.S.A. .................................................82 Bild 18: Privatarchiv Cornelia Meurer ...........................................................................93 Bild 19: Bauhaus-Archiv, Berlin .....................................................................................94 Bild 20: Eigene Darstellung, Ulrich Wieler ...................................................................96 Bild 21: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne .....................................98 Bild 22: Thüringer Landtag (Hg.): Der Thüringer Landtag, Erfurt 1994, Foto: Archiv Egon Hartmann .......................................................................... 101 Bild 23: Toni Miller: Grundlagen des ländlichen Siedlungswesens, Hochschule für Baukunst und Bildende Künste, Weimar 1948................. 107 Bild 24: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne .................................... 113 Bild 25: Bauhaus-Archiv, Berlin ................................................................................... 115 Bild 26: Bauplanung und Bautechnik 6/1947 ............................................................ 118 Bild 27: Gustav Hassenpflug: Baukastenmöbel. Ein Beitrag zum Wohnproblem für Entwerfer, Hersteller und Käufer von Möbeln, Pößneck 1949 ...........120 Bild 28: Louis Held, Weimar .........................................................................................123 Bild 29: Stiftung Archiv der ADK Berlin, Sammlung Baukunst, Nachlass Hermann Henselmann ....................................................................126 Bild 30: Junker, Jörg Michael: Nordhausen – zwischen Trümmerbahn und Stadtterrasse, Horb am Neckar 1996 ............................................................133 Bild 31: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne ...................................135 Bild 32: Stadtarchiv Nordhausen .................................................................................137 KAPITEL 4 Bild 33: Stadt Nordhausen (Hg.): Nordhausen mahnt – Nordhausen 1945–1949, Katalog Nordhausen 1949 ..............................................................................144 Bild 34: Junker, Jörg Michael: Nordhausen – zwischen Trümmerbahn und Stadtterrasse, Horb am Neckar 1996 ............................................................147 Bild 35: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne ...................................148 Bild 36: Stadtarchiv Nordhausen .................................................................................152 Bild 37: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne ...................................155 Bild 38: Thüringer Landtag (Hg.): Der Thüringer Landtag, Erfurt 1994 ................164 Bild 39: Ebd. ....................................................................................................................165 Bild 40: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora .........................172 Bild 41: Ebd. ....................................................................................................................174 Bild 42: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne ...................................177

QUELLENBild 43: Bild 44: Bild 45: Bild 46: Bild 47: Bild 48: Bild 49: Bild 50: Bild 51: Bild 52: Bild 53:

Bild 54: Bild 55: Bild 56: Bild 57: Bild 58: Bild 59: Bild 60: Bild 61: Bild 62:

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Neue Bauwelt 41/1948 ....................................................................................179 Ebd. ....................................................................................................................180 Bauen und Wohnen 4/1949 ...........................................................................182 Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar 150/NFG-VA 83 ............................184 Ebd. ....................................................................................................................186 Stadtarchiv Hirschberg ...................................................................................189 Privatarchiv Carla Fehr ...................................................................................189 Ebd. ....................................................................................................................190 Foto: Neue Bauwelt 46/1947; Plan: Neue Bauwelt 46/1947 .....................192 Bauplanung und Bautechnik 10/1948 ...........................................................194 Geschichtsverein Maximilianshütte, Maxhütte e.V. (Hg.): Die Maxhütte Unterwellenborn 1945 bis 1950. Vom schweren Anfang bis zum VEB Maxhütte, Saalfeld 2004 .............198 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar .....................................................201 Ebd. ....................................................................................................................201 Ebd. ....................................................................................................................204 Nachlass Henselmann, Akademie der Künste .............................................207 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar .....................................................208 Ebd. .................................................................................................................... 210 Ebd. ....................................................................................................................212 Deutsche Architektur 3/1954 ..........................................................................215 Deutsche Architektur 6/1955 ..........................................................................216

KAPITEL 5 Bild 63: Friedrich Voigt (Hg.): Staatlicher Bauwille in Thüringen 1932–1937, Weimar 1938 .................220 Bild 64: Baugilde 10/1932 .............................................................................................221 Bild 65: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar ....................................................223 Bild 66: Toni Miller, Grundlagen des ländlichen Siedlungswesens, Hochschule für Baukunst und Bildende Künste, Weimar 1948 ...............228 Bild 67: Oben: Baumeister 9/1947; Unten: Baumeister 9/1947 ..............................234 Bild 68: Baugilde 10/1932 .............................................................................................236 Bild 69: Neufert, Ernst: Bauentwurfslehre, Berlin 111944 .........................................236 Bild 70: Architektur der DDR 2/1989 ..........................................................................237 Bild 71: Walter Hege, Weimar .......................................................................................238 Bild 72: Baumeister 9/1947 ...........................................................................................240 Bild 73: Ebd. ....................................................................................................................240 Bild 74: Bauwelt 48/1948 ..............................................................................................241 Bild 75: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne ...................................244 Bild 76: Bauen und Wohnen 1/1949 ...........................................................................246 Bild 77: Ebd. ....................................................................................................................246 Bild 78: Amt für Information des Landes Thüringen (Hg.): Bruchstedt baut auf, Erfurt 1950 ...................................................................250 Bild 79: Privat .................................................................................................................251 Bild 80: Foto: Ulrich Wieler ..........................................................................................251 Bild 81: Privatarchiv Egon Hartmann .........................................................................259

300 Bild 82: Bild 83: Bild 84: Bild 85: Bild 86: Bild 87: Bild 88:

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS die neue schule 17/1948 .................................................................................259 Planen und Bauen 7/1950 ..............................................................................261 Foto: Ulrich Wieler ..........................................................................................261 Nachlass Henselmann, Akademie der Künste .............................................262 Foto und Plan: Mark Escherich .....................................................................264 Oben und Unten: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne ......265 Foto: Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner; Plan: Planen und Bauen 7/1950 .......................................................................268

Abkürzungsverzeichnis

BDA  C.I.A.M.  DAF  DDR  DWK   FDGB   FDJ  FOKORAD  GWB   HAB  KPD  LEB  MAS  MTS  NSDAP  SAG  SBZ  SED  SMAD  SMATh  SPD  ThüHAG  UdSSR  VEB  WIFO 

Bund Deutscher Architekten (der Deutschen Demokratischen Republik) Congrès Internationaux d’Àrchitecture Moderne Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik Deutsche Wirtschaftskommission Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Forschungs- und Konstruktionsgemeinschaft des Reichsarbeitsdienstes und der Deutschen Holzbau-Konvention Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft [Unterwellenborn] Hochschule für Architektur und Bauwesen [Weimar] Kommunistische Partei Deutschlands Landeseigener Betrieb Maschinenausleihstationen Maschinen-Traktoren-Stationen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Sowjetische Aktiengesellschaft Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sowjetische Militäradministration in Thüringen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Thüringische Gemeinnützige Heimstätte A.G. Weimar Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Volkseigener Betrieb Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft

300 Bild 82: Bild 83: Bild 84: Bild 85: Bild 86: Bild 87: Bild 88:

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS die neue schule 17/1948 .................................................................................259 Planen und Bauen 7/1950 ..............................................................................261 Foto: Ulrich Wieler ..........................................................................................261 Nachlass Henselmann, Akademie der Künste .............................................262 Foto und Plan: Mark Escherich .....................................................................264 Oben und Unten: Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne ......265 Foto: Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner; Plan: Planen und Bauen 7/1950 .......................................................................268

Abkürzungsverzeichnis

BDA  C.I.A.M.  DAF  DDR  DWK   FDGB   FDJ  FOKORAD  GWB   HAB  KPD  LEB  MAS  MTS  NSDAP  SAG  SBZ  SED  SMAD  SMATh  SPD  ThüHAG  UdSSR  VEB  WIFO 

Bund Deutscher Architekten (der Deutschen Demokratischen Republik) Congrès Internationaux d’Àrchitecture Moderne Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik Deutsche Wirtschaftskommission Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Forschungs- und Konstruktionsgemeinschaft des Reichsarbeitsdienstes und der Deutschen Holzbau-Konvention Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft [Unterwellenborn] Hochschule für Architektur und Bauwesen [Weimar] Kommunistische Partei Deutschlands Landeseigener Betrieb Maschinenausleihstationen Maschinen-Traktoren-Stationen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Sowjetische Aktiengesellschaft Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sowjetische Militäradministration in Thüringen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Thüringische Gemeinnützige Heimstätte A.G. Weimar Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Volkseigener Betrieb Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft

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Personenregister

Aalto, Alvar 33 Adorno, Theodor W. 11, 15 Allinger, Gustav 211 Arndt, Alfred 93, 101, 103 Babo, Heinrich von 199 Bartholomäus, Adolf 250 Bartning, Otto 15, 35, 42, 52 Bense, Max 65 Bierbaum, Georg 94 Bill, Max 36f., 53 Bolz, Lothar 67, 112, 139 Bonatz, Paul 109, 114, 254 Boniver, Denis 64, 109–111, 114, 133f. Brandt, Hans 92 Bräunlich, Paul 91 Bredel, Willi 249 Breek, Franz von 109 Breuer, Marcel 105, 116 Brill, Hermann 69, 80, 102 Büchner, Rudolf 257, 260 Colden, Hartmut 99, 195, 247 Damaschke, Adolf 219 Dirks, Walter 182 Döcker, Richard 62 Dockhorn, Arthur 95 Dymschitz, Alexander 18 Eggerath, Werner 149, 170 Ehler, Ferdinand 95 Eiermann, Egon 12, 42, 100, 103, 116 Erbs, Karl-Josef 37, 54, 55 Fick, Roderich 254 Finger, Friedrich-August 131, 133f., 137–139 Fischer, Theodor 92 Flemming, Erich 202 Flemming, Ernst 97 Fricke, Rolf 93, 260 Frisch, Max 217 Fuchs, Bohuslav 121 Gericke, Erwin 95 Giesler, Hermann 97, 172

Gißke, Erhardt 100, 252 Gropius, Walter 42, 51, 77f., 104f., 119f., 127, 172, 183 Grotewohl, Hans 189 Grotewohl, Otto 170, 189 Gute, Herbert 185 Hack, Günther 267, 268 Hämer, Hardt-Waltherr 100 Hämer, Walter 100 Häring, Hugo 12, 48, 49, 51 Harting, Werner 114, 177 Hartmann, Egon 99–101, 118, 153, 163f., 205, 232, 243–249, 260f. Hassenpflug, Gustav 19, 40, 93, 99, 107f., 114–121, 125, 139, 191, 205f., 243, 247, 257, 260f. Haubenreißer, Gerhard 250, 262, 264f. Heilig, Wilhelm 221, 222, 238 Heilmann, Fritz 165 Hemmerling, Kurt 177 Hensel, Helmut 199, 211, 212 Henselmann, Hermann 22, 25, 37, 57, 58–61, 83, 88, 91, 100, 102–116, 122–137, 139, 148, 151, 154–156, 164, 171f., 174, 177f., 183, 185, 187–193, 206f., 209, 233, 237, 239, 247, 254, 260–264, 266, 269, 275 Hesse, Fritz 66, 104 Hoffmann, Heinrich 74f. Hoffmann, Hubert 58–60, 66, 104 Hoffmann-Lederer, Hanns 109, 111, 114 Höger, Fritz 95 Hopp, Hanns 25, 88, 166, 193, 195, 207, 215f. Huch, Ricarda 83 Ihring, Herbert 76 Jacobsen, Arne 33 Jahn, Kurt 92 Joedicke, Jürgen 100 Kaiser, Josef 195, 215

302 Keler, Peter 39f., 107, 109, 111, 113, 154f. Kirchberger, Hermann 25, 178f. Küttner, Ludwig 115, 139, 202, 205, 244 Lahnert, Hans 97 Le Corbusier (Charles-Édouard Jeanneret) 40, 50, 52, 124, 158, 210 Lenz, Robert 254, 257, 258, 260, 269 Liebknecht, Kurt 139, 207 Liedecke, Ewald 62 Lindner, Emmanuel 37–39, 107 Lods, Marcel 254 Lonitz, Werner 202, 261 Loos, Adolf 52 Luckhardt, Wassili 102 Lüdecke, Gustav 91, 94f., 236f. Ludwig, Alfred 179 May, Ernst 19, 114, 116 Markowitsch, Erich 214 Miller, Toni 61f., 108, 114, 130, 133, 139, 229, 233–235, 237, 240–242 Morgenthau, Henry 217 Müntzer, Thomas 12, 167, 230 Muthesius, Hermann 94, 95 Neufert, Ernst 53, 102f., 116, 122, 235–237 Neutra, Richard 33, 254 Offenberg, Gerhard (Gerd) 97, 109–111, 114–116, 131, 133, 150–154, 157, 162, 243 Petersen, Peter 255 Pfister, Rudolf 234 Pieck, Wilhelm 83, 224 Pook, Wilhelm 162 Püschel, Konrad 93, 205, 260f. Quaß, Bruno 178 Räder, Hermann 25, 99, 117, 138, 161, 163, 188, 190, 194f. Rainer, Roland 44–46 Reck, Arthur 162 Rettig, Heinrich 114, 254 Riemann, Konrad 95 Röllig, Ewald 183 Schaub, Helmut 163, 250 Scharoun, Hans 34, 50, 85, 118, 139, 141, 240, 243 Schirrmeister, Georg 97

PERSONENREGISTER Schlag, Hans 92f., 260 Schmidt, Alfred 95 Schmidt, Emil 267 Schmidt, Walther 42 Schmitthenner, Paul 114, 243, 254 Schraps, Paul 92 Schreiter, Johannes 92f., 204, 207, 260 Schultes, Karl 147 Schultze, Joachim Heinrich 109, 150f., 153, 159 Schultze-Naumburg, Paul 95, 109, 202 Schuster, Franz 46 Schwagenscheidt, Walter 28, 52 Schwarz, Rudolf 12, 36, 42, 47–49, 78 Schweizer, Peter 100 Schwertfeger, Friedrich 242, 265f. Sedlmayr, Hans 43f., 49, 181 Siegel, Curt 100, 108f., 209–211 Spengler, Oswald 44 Stabe, Friedrich 160 Styliaras, Dimitri 151–154 Taut, Bruno 42, 95 Tessenow, Heinrich 42, 46, 52, 56f., 94, 121 Thape, Ernst 81 Tschierschky, Siegfried 173f., 178 Ulbricht, Walter 119, 173 Wagner, Martin 50, 51, 94 Wahl, Hans 181 Weidauer, Walter 218 Wenner, Max R. 203 Wiel, Leopold 98f., 114, 242, 261, 265f. Wimmer, Martin 100 Wolf, Walter 102f., 122, 256–258 Zeidler, Eberhard 100

303

Ortsregister

Aachen 144 Altenburg 91, 95, 176, 230 Bad Berka 216 Bad Frankenhausen 220, 240 Bad Langensalza 117, 232, 242–246, 249, 274 Berlin 11f., 19, 22, 28, 50f., 57, 63, 65, 67, 75f., 80, 84–86, 94, 100, 103–107, 109, 111–113, 116, 118, 121f., 125, 126f., 134, 139, 141, 147, 150f., 153, 159f., 165f., 177– 180, 187, 196, 207, 211, 232, 243, 252–254, 257f., 263f., 272, 275 Berlin-Charlottenburg 57 Berlin-Friedrichshain 141 Berlin-Karlshorst 109, 134 Berlin-Weißensee 19, 105, 106 Bleicherode 95 Bruchstedt 84, 100, 198, 232, 249–252 Chemnitz 71 Darmstadt 95, 103 Dessau 37, 53, 58, 66, 93, 96, 101, 103f., 114–116, 119, 154 Diedenhofen (frz. Thionville) 47 Dresden 105f., 111f., 114, 127, 147, 209, 218, 232 Düsseldorf 97 Ebersdorf 230, 267f. Eisenach 20, 72, 75f., 80, 91, 95, 143, 195, 230, 249 Eisenhüttenstadt (Stalinstadt) 199, 213f. Erfurt 69, 71f., 76, 94, 97, 105, 106, 141, 143, 159, 162–166, 176, 205, 211, 227, 230 Frankfurt am Main 36, 78f., 181f., 217 Freudenstadt 160, 161 Fürstenberg (Brandenburg) 199, 213 Geismar 191 Georgenthal 65

Gera 20, 72, 92, 97, 99, 141, 143, 159 Gotha 72, 100, 122, 124, 223, 248, 258f., 260, 262 Griefstedt 230 Großfurra-Neuheide 62, 84, 130, 134, 225, 229, 232–238, 242 Großkamsdorf 204 Halberstadt 179f. Hamburg 51, 57, 92f., 95, 121 Hannover 95 Hermsdorf 63f., 72 Hirschberg 188–191 Kamsdorf 197, 199, 203, 206 Kleinkamsdorf 204 La Celle-Saint-Cloud 40 Leipzig 37, 71, 258f. Leuna 71 Linz 254 Los Angeles 254 Lübeck 57 Marburg 145

Madrid 243 Meiningen 76, 267 Mittelbau-Dora (bei Nordhausen) 65, 69, 81, 143, 171, 175 Montreux 124 Moskau 19, 67, 116 Mühlhausen 60, 117, 232, 242–246, 274 München 23, 36, 92, 99 Neu-Ehringsdorf 187 Neuhaus am Rennweg 72 Niedersachswerfen 65 Niederschmalkalden 193 Niesky 63 Nordhausen 14, 35, 65, 69–72, 76, 95, 99, 126, 131–133, 137, 142–162, 171, 175, 188, 193–195 Nürnberg 99 Oberweimar 186f., 232 Oberwellenborn 199

304 Ohrdruf 81 Pößneck 72 Potsdam 54, 185 Probstzella 94, 101 Rathenow 66, 141 Rostock 29, 57, 99, 117, 196 Ruhla 188, 190f. Saalfeld 72, 195f., 199f., 202, 204–207, 216, 230 Schleiz 72, 230 Schmalkalden 69, 70 Schmölln 230 Schramberg 62 Schwarza 206 Seega 232, 240–242, 265f., 269 Sömmerda 230, 232 Sondershausen 72, 130, 169, 220, 233 Sonneberg 60, 80 Storkow 257f. Stuttgart 62, 96, 99, 109 Suhl 191, 230 Sulzbach-Rosenberg 196 Suresnes 254

ORTSREGISTER Tambach-Dietharz 262, 264 Thomas-Müntzer-Siedlung 230 Unterwellenborn 84, 100, 142, 195–197, 199–208, 212–216, 262 Unterwellenborn-Röblitz 199–203, 206f., 260f. Washington D. C. 67 Weimar 12f., 22, 25–28, 39f., 61, 64, 69, 72f., 75–77, 81f., 86, 90, 97–106, 116–119, 121f., 124–135, 138f., 146f., 150–152, 155–157, 162f., 171f., 175–177, 179–188, 197, 200, 202, 205, 208f., 227, 232f., 247, 254, 257, 260, 264 Weimar-Buchenwald 69, 71, 81–83, 125, 142, 168, 171–174, 214, 273 Weimar-Gelmeroda 102 Wetzlar 145 Wien 44–46 Wismar 57, 66 Zella-Mehlis 230 Zwinge 95f.