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German Pages 245 [248] Year 1995
Erwin Panofsky Herausgegeben von Bruno Reudenbach
Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg Band 3
Erwin Panofsky Beiträge des Symposions Hamburg 1992
Herausgegeben von Bruno Reudenbach
Mit Beiträgen von H. Abels, O . Bätschmann, V. Breidecker, H. Bredekamp, H. Dilly, K. Herding, K. Hoffmann, H. Kugler, K. Michels, R. Prange, B. Reudenbach, W. Sauerländer, M. Warnke, U. Wendland, B. Wyss
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Karl H. Dietze Stiftung
Einbandfoto: Karte von Erwin Panofsky an seine Schülerin Adelheid Heimann. (Warburg-Archiv im Kunstgeschichtlichen Seminar, Universität Hamburg) „Liebes Frl. Heimann, vielen Dank für Ihren Brief und die wirklich schöne Allegorie auf den Objektivismus - . Leider bin ich nicht in Fehmarn*, sondern in Hamburg, wo das Semester qua Kunsthistorie sehr nett ist. Universitätspolitisch dagegen versuche ich, eine von vornherein verlorene Schachpartie möglichst anständig zu Ende zu spielen. Im dritten Reich bin ich sicher der erste, der „will be fired". Freuen wir uns aufs vierte! Herzliche Glückwünsche zur „Drucklegung"! Und viele Grüße von Ihrem E.P. + Frau 25.6.32" * Die Karte zeigt auf der Vorderseite die Süderstraße in Burg auf Fehmarn
Die Deutsche Bibliotkek - CIP-Einheitsaufnahme Erwin Panofsky : Beiträge des Symposions Hamburg 1992 / hrsg. von Bruno Reudenbach. Mit Beitr. von H. Abels... - Berlin : Akad. Verl., 1994 (Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg , Bd. 3) ISBN 3-05-002392-9 NE: Reudenbach, Bruno [Hrsg.]; Abels, Heinz; Warburg-Archiv : Schriften des Warburg-Archivs...
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1994 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into machine language without written permission from the publishers. Satz: Mitterweger Werksatz GmbH, Plankstadt Druck: Rheinhessische Druckwerkstätte, Alzey Bindung: J. Schäffer, Grünstadt Printed in the Federal Republic of Germany
Erwin Panofsky, um 1965/66 photographier! von Lotte Jacobi
Inhalt
Vorwort
IX
Das Kunsthistorische Seminar der Hamburgischen Universität Heinrich Dilly Arkadien in Hamburg. Studierende und Lehrende am Kunsthistorischen Seminar der Hamburgischen Universität Ulrike Wendland Ex nihilo: Panofskys Habilitation 31 Appendix: Gustav Paulis Habilitationsgutachten Horst Bredekamp Panofsky - Die Hamburger Vorlesungen Martin Warnke Bemerkungen zu Panofskys Sprache Karen Michels
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„Pan deus Arcadiae venit". Panofsky und Poussin Oskar Bätschmann
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Einige Fragmente einer intellektuellen Kollektivbiographie der kulturwissenschaftlichen Emigration 83 Volker Breidecker Panofsky und Suger von St. Denis Bruno Reudenbach
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VIII
Inhalt
„Barbari ad portas". Panofsky in den fünfziger Jahren Willibald Sauerländer Panofskys „Renaissance" Konrad Hoffmann
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Panofsky und das Problem der Psycho-Ikonologie Klaus Herding Stil und Medium. Panofsky O n Movies' Regine Prange Ein Druckfehler Beat Wyss
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Perspektive als symbolische Form in der mittelalterlichen Dichtung. Panofsky und die germanistische Mediävistik 201 Hartmut Kugler „Die Zeit wieder in Gang bringen". Soziologische Anmerkungen zu einer unterstellten Wirkungsgeschichte der Ikonologie von Erwin Panofsky 213 Heinz Abels Personenregister
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Vorwort
Vom 30. März bis 1. April 1992 fand in Hamburg, veranstaltet vom Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg und dem dort angesiedelten Forschungsprojekt „Emigration deutschsprachiger Kunstwissenschaftler", ein Erwin Panofsky gewidmetes Symposion statt, dessen Beiträge im vorliegenden Band versammelt sind. Anlaß für dieses Symposion war der einhundertste Geburtstag Erwin Panofskys am 30. März 1992. In einem Brief an Gustav Pauli, den Direktor der Hamburger Kunsthalle, hat Panofsky 1933 Hamburg als den Ort bezeichnet, „wo sich das Schicksal vollzieht". Das hieß für ihn im Jahre 1933, daß er, der erste Ordinarius für Kunstgeschichte an der Hamburgischen Universität, wie viele seiner jüdischen Kollegen, seiner Schülerinnen und Schüler, von der Universität verwiesen und in die Emigration getrieben wurde. Mit dem gleichzeitigen Exodus der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg nach London bedeutete dies das Ende einer modernen, aufgeklärten Kunstgeschichte in Deutschland und den Anfang von deren internationaler Durchsetzung und Verbreitung. Entscheidenden Anteil daran hatte Panofsky, der in Amerika die Vorgaben und Anregungen der Hamburger Zeit zu einer bildanalytischen Methode verdichtete, die in den folgenden Jahrzehnten die Disziplin dominieren sollte. Diese Konstellation verpflichtet das Hamburger Kunstgeschichtliche Seminar seit längerem auf eine Beschäftigung mit der Geschichte des Faches. Dazu gehört auch die Einrichtung eines Forschungsprojektes, das sich seit 1988 der Erforschung der durch die Nationalsozialisten erzwungenen Emigration so zahlreicher Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker widmet und deren Voraussetzungen, Umfang und Auswirkungen dokumentiert. Gerade in Hamburg als einem „Schicksalsort" der Kunstgeschichte mußte daher anläßlich des Panofsky-Jubiläums mit dem biographischen Datum auch die Geschichte des Seminars wie die des gesamten Faches in den Blick geraten. Wenn die Kunstgeschichte Panofsky die Ausformulierung der Ikonologie zu einem umfassenden und systematischen Interpretationsverfahren verdankt, so ist seine Leistung gleichwohl nicht darauf zu beschränken; die Wiederauflage der
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Vorwort
Ikonologie-Debatte war daher nicht Anliegen dieser Tagung, eher, auch unter Beteiligung von Nachbardisziplinen, die Korrektur und Ergänzung dieser verkürzenden Festlegung. Insbesonders wurden wissenschaftsgeschichtlich orientierte Zugänge zu Panofskys Werk erprobt. Die Interessen der Emigrationsforschung bildeten daher einen deutlich artikulierten Schwerpunkt des Symposions, indem mehrere Beiträge sich den biographischen und historischen Bedingungen, den Ausdrucksformen und argumentativen Strategien Panofskys in seiner Hamburger Zeit und in der Emigration zuwandten. Neben dem wissenschaftlichen Frühwerk, der Formung durch das intellektuelle Klima des Warburg-Kreises und die akademische Kultur der zwanziger Jahre in Hamburg wurden damit auch die Auswirkungen der Emigration, die Einflüsse eines neuen akademischen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Milieus zum Thema. Insofern ergeben sich aus der Tagung und dem vorliegenden Band Beiträge zu einer intellektuellen Biographie Panofskys; diese Historisierung macht zugleich eine Neueinschätzung der Denkweisen Panofskys und ihrer Entwicklung möglich und trifft sich mit der Gewinnung vorausweisender Perspektiven, etwa hinsichtlich der Aktualisierung oder kritischen Fortschreibung nicht nur der Ikonologie, sondern auch anderer Werkaspekte. Den Teilnehmern des Symposions sei für das offene und lebhafte Interesse an diesen Problemen herzlich gedankt, auch dafür, daß sie ihre Beiträge bereitwillig und zügig für die Publikation zur Verfügung stellten. Besonderer Dank gilt Martin Warnke, der als spiritus rector dem Unternehmen von Beginn an mit förderndem Rat und entschiedener Hilfe beistand; ebenso Ulrike Wendland, die, unterstützt von Karen Michels, mit ihrer engagierten Organisationsarbeit die Voraussetzungen für das Gelingen der Tagung geschaffen hat. Zu danken ist der Behörde für Wissenschaft und Forschung, Hamburg, der BAT-Stiftung Hamburg, der Stiftung Hermann und Elisabeth Schaedtler, Hamburg, und der Mobil Oil AG, Hamburg, die das Symposion großzügig förderten, und außerdem der Karl H. Dietze Stiftung, Hamburg, für die Unterstützung der Publikation. Gedankt sei schließlich dem Akademie Verlag, und hier besonders Herrn Dr. Gerd Giesler, für den Einsatz, mit dem die Drucklegung dieses Buches betrieben wurde, und Frau Ursula Diecke für die aufmerksame und sorgfältige Betreuung des Bandes. B. R.
Das Kunsthistorische Seminar der Hamburgischen Universität Heinrich
Dilly
Es bedurfte nicht erst der Wiederkehr des 100. Geburtstages von Erwin Panofsky bis die in Sachen Kunst und Geschichte oft gescholtene Stadt Hamburg ein Zeichen zu seinem Gedenken setzte. Bereits vor neun Jahren sorgte das hamburgische Kulturreferat dafür, daß eine Bronzetafel an ihn und seine Kollegen erinnert. Diese wurde nicht in der Alten Rabenstraße 34, wo Panofsky wohnte, angebracht. Sie wurde auch nicht in der Edmund Siemers-Allee an das Hauptgebäude der Universität montiert, in dessen Hörsaal C - auch heute noch der kunsthistorische Hörsaal - Panofsky von 1921 bis Mitte Februar 1933 wöchentlich mehrmals öffentlich las. Wissend, daß die geistige Produktionsstätte mehr zählt als die Stätte seiner auch publikumswirksamen Auftritte, befestigte man die Tafel an der Kunsthalle, in der sich das Kunsthistorische Seminar von 1921 bis 1964 befand. Die Wahl dieser Stelle ist in zweierlei Hinsicht das Zeugnis eines Willens, der wohl als spezifisch hamburgisch bezeichnet werden darf: die abstrakte Arithmetik von Geburts- und Todestagen ist hier offenbar nicht ganz so wichtig wie die allgemein historischen Daten, in diesem Fall das Jahr 1933. Und: der Arbeitsplatz rangiert hier immer noch vor dem Wohnort. Gleichwohl gibt es im Falle der Gedenktafel an Panofsky und das ehemalige Kunsthistorische Seminar der Hamburgischen Universität den sprichwörtlichen Wermutstropfen. Zum Gedenken wird zwar am entsprechenden Ort, dort aber an, wenn schon nicht falscher, so doch unpassender Stelle angehalten. Denn anders als die Tafel suggeriert, betraten weder Panofsky, noch seine Kollegen, noch die damals Studierenden das Seminar durch die Seiten- und Kellertür, neben der sich diese befindet. Wenn auch Panofskys Arbeitszimmer in einem der Räume hinter diesem Eingang lag, so ließ doch der erst 1940 berufene Nachfolger, Hubert Schrade,1 das Institut von der Bibliotheksebene der Kunsthalle in den Keller 1. Hubert Schrade (1900-1967) wurde im Dezember 1940 nach Hamburg berufen. Das Hamburger Fremdenblatt teilte die „Neubesetzung des Lehrstuhls für Kunstgeschichte" am 12. Dezember mit. Es berichtete, daß Schrade aus Alienstein in Ostpreußen stammte, sich 1926 an der Universität in Heidelberg habilitierte und dort 1936 zum ordentlichen Professor für Kunstgeschichte ernannt
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verlegen und diese Tür öffnen. Schrade änderte auch das Attribut des Seminars. Anstelle von >kunsthistorisch< hieß es nun - und bis heute - >kunstgeschichtlichKunstbetrachtung< - nicht >Kunstwissenschaft< - zu machen, was allerdings weder ihm noch seinem Nachfolger Kurt Wilhelm-Kästner gelang. 3 Damals war die besondere Qualität des Seminars aufgrund des Widerstandes bekannt, den eine Reihe von Schülern Panofskys bis 1938 insbesondere gegen die wurde, nachdem er einen Ruf nach Köln abgelehnt hatte. Schrades kunsthistorische Arbeiten wurden so vorgestellt: „Sein Buch 'Das deutsche Nationaldenkmal' wurde 1934 vom Propagandaministerium durch Aufnahme unter die >Bücher des Monats* ausgezeichnet. Unter Schrades zahlreichen Veröffentlichungen aus dem Gebiet der Kunstgeschichte nennen wir sein zweibändiges Werk über Tilman Riemenschneider, sowie seine Ikonographie der christlichen Kunst. Wichtige Aufsätze von ihm betreffen Franz von Assisi und Giotto, ferner Symbol und Realismus in der Spätgotik, frühchristliche und mittelalterliche Kunst, die romantische Idee von der Landschaft, die gegenwärtige Lage der Kunst, der religiösen Grundlagen von Dürers Schriften zur Kunst". Sich selbst stellte Schrade in der Hansischen Hochschul-Zeitung vor. Im Dezemberheft, das dem Thema „Front und Heimat" gewidmet war, schrieb er über „Die Lebenseinheit von Politik und Kultur". Seine Ausführungen gipfeln in Sätzen wie: „Zweifel am siegreichen Ende des Krieges kann nur der hegen, der von der Unvereinbarkeit von Kultur und Politik überzeugt ist. ( . . . ) Kunst und Kultur sind wie die Politik Mächte des Lebens. (...) Die Kunst hat die Macht, die Mächtigkeit des Lebens sichtbar zu machen. (...) Erst wenn auch die Kunst in den Bereich des politischen Handelns als schöpferische und mitgestaltende Macht eingetreten ist, stellt sich das politische Handeln als ein totales dar". - Obwohl „Kollegen und Schüler" Schrades 1960 eine Festschrift zu dessen 60. Geburtstag unter dem Titel Das Werk des Künstlers in Stuttgart veröffentlichten, konnte sich 1967 offenbar keiner von ihnen zu einem Nachruf entschließen. Eine kurze, treffende Kritik von Schrades Buch über Das deutsche Nationaldenkmal enthält der Aufsatz von Hans-Joachim Kunst „Architektur und Macht. Überlegungen zur NS-Architektur" in Reichsautobahn. Pyramiden des Dritten Reiches, hrsg. von Rainer Stommer, Marburg 1983, S. 193-98. 2. Schrade hat sich die Verlegung der Seminarräume und die Trennung der Seminarbibliothek von der Kunsthalle in seinen Berufungsverhandlungen im Juni 1940 u. a. ausbedungen. Vgl. Staatsarchiv Hamburg, Hochschulwesen II, Ai 3/27, S. 126-148. Die baulichen Veränderungen wurden in der Zeit zwischen dem 16. September und Ende November 1940 ausgeführt. Vgl. Staatarchiv Hamburg Hochschulwesen II, Gd 13, S. 8 - 1 5 . Die Trennung der seminareigenen Bibliothek von der der Kunsthalle dauerte auf jeden Fall bis ins Jahr 1943. 3. Hubert Schrade folgte bereits im Juli 1941 einem Ruf an die Universität Straßburg. Zum Nachfolger wurde Kurt Wilhelm-Kästner (1893-1976) aus Greifswald berufen. Das Hamburger Tageblatt begrüßte am 17. Juni 1942 die Berufung wie folgt: „Seit Juni dieses Jahres hat die Hansische Universität in Professor Kurt Wilhelm-Kästner wieder einen Ordinarius für Kunstgeschichte. Diese Tatsache ist umso erfreulicher, als dieser Lehrstuhl seit einer Reihe von Jahren, abgesehen von dem kurzen Intermezzo Prof. Hubert Schrades, verwaist gewesen ist. Wenn Professor Wilhelm-Kästner auch kein Norddeutscher ist - er stammt aus Gröbern in Sachsen - so ist er doch durch seine bisherige Lehrtätigkeit gut mit der Kultur der Hansestädte vertraut. Beide Städte, an deren Universitäten er vorher Dozent war, gehörten dem Bund der Hanse an: Von 1924 bis 1936 war Professor Wilhelm-Kästner in Münster (seit 1934 lehrbeauftragt), von 1936-1942 Ordinarius in Greifswald, außerdem ab 1938 Rektor der dortigen Universität. ( . . . ) Überhaupt besteht eben die Besonderheit seiner kunstwissenschaftlichen Methode darin, die Kunst nicht nur in ihrer zeitlichen Entwick-
Das Kunsthistorische Seminar der Hamburgischen Universität
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W i l l k ü r des P r i v a t d o z e n t e n W e r n e r B u r m e i s t e r geleistet h a t . 4 H e u t e r ü h m t m a n das Seminar aus a n d e r e n G r ü n d e n . M a n n e n n t es die P f l a n z s t ä t t e der I k o n o l o g i e u n d b e t o n t gern, wieviel w e l t w e i t b e k a n n t e K u n s t h i s t o r i k e r u n d K u n s t h i s t o r i k e r i n n e n aus i h m h e r v o r g e g a n g e n , z u r E m i g r a t i o n g e z w u n g e n w o r d e n sind u n d d e n in H a m b u r g g e w o n n e n e n H a b i t u s der G e l e h r s a m k e i t in A u s t r a l i e n , E n g l a n d , F r a n k reich, Israel u n d in d e n Vereinigten Staaten v o n A m e r i k a gepflegt u n d sicher a u c h verbreitet h a b e n . I c h w ü r d e m i c h d e m gern anschließen u n d a u ß e r d e m der Schüler P a n o f s k y s gedenken w o l l e n , deren L e b e n s w e g a u f g r u n d w e n i g e r , oft grauenvoller Zeugnisse n u r z u ahnen ist. Z u B e g i n n dieser T a g u n g , auf der U l r i k e W e n d l a n d anschließend ü b e r die Schüler Panofskys
spricht,
meine
ich j e d o c h ,
etwas
weiter
ausholen,
auf das
Fach
K u n s t g e s c h i c h t e u n d i n s b e s o n d e r e auf die Sache s o w i e d e n Begriff des Seminars n ä h e r eingehen z u m ü s s e n . D e n n das K u n s t h i s t o r i s c h e Seminar der H a m b u r g i s c h e n U n i v e r s i t ä t repräsentierte u n t e r E r w i n P a n o f s k y - erstens - an der a u c h damals s c h o n g r o ß e n U n i v e r s i t ä t s m a s c h i n e m i t ihren e b e n s o selbstherrlichen w i e z e r s t r i t tenen Instituten einen letzten A b s c h n i t t der E p o c h e unserer H o c h s c h u l g e s c h i c h t e , in d e r m a n ü b e r die in den Seminaren gepflegte E i n h e i t v o n F o r s c h u n g u n d L e h r e
lung zu sehen, sondern in ihrer räumlichen, durch die stammeskundliche Herkunft gekennzeichneten Ausprägung zu erkennen. (...) Professor Wilhelm-Kästner hat bisher in seiner Wirksamkeit als Lehrer viel Wert auf die praktische Anschauung gelegt, hat viele Studienfahrten mit seinen Schülern zu den großen deutschen Kunststätten und Museen unternommen und er ist überhaupt nicht nur Gelehrter, sondern Lehrer seiner Studenten. Seine Schüler werden es ihm danken, und es ist anzunehmen, daß sich in Hamburg bald wieder auf dem Gebiete der Kunstgeschichte eine lebhafte Wirksamkeit entfalten wird". Weil jedoch Wilhelm-Kästner alsbald als Offizier eingezogen wurde, betreute lediglich die Assistentin Leni Münscher die wenigen Studierenden am Seminar. 1942 sind 6 und 1944 etwa 15 Studierende verbürgt. Zwischen 1940 und 1945 fand keine Promotion statt. Kurt Wilhelm-Kästner wurde im Laufe des Sommes 1945 seines Amtes enthoben. 1950 wurde er rehabilitiert. Ein Extra-Ordinariat wurde für ihn an der Universität Hamburg geschaffen, das er bis 1966 innehatte. Emeritiert zog sich Wilhelm-Kästner nach Müllheim an der Bergstraße zurück. Dort starb er 1976. - Leni Münscher blieb bis 1950 am Kunstgeschichtlichen Seminar. Danach soll sie in den Dienst des Auswärtigen Amtes getreten sein. 4. Werner Burmeister (1895-1945) wurde 1923 aufgrund einer Dissertation über Die Wandmalerei in Mecklenburg bis 1400 bei Max Hauttmann in Rostock promoviert. 1931 habilitierte er sich in Hamburg mit einer Schrift über Die norddeutsche mittelalterliche Backsteinkunst und ihre Beziehungen zu Westeuropa. Er blieb als Privatdozent bis zur Berufung Schrades am Seminar und war nach 1933 zeitweilig mit der Leitung des Seminars beauftragt. Zusammen mit dem Archäologen Eugen von Mercklin versuchte er, wie er sich 1937 ausdrückte, „den Aufbau eines jungen Seminars im nationalsozialistischen Sinne". Vgl. Staatarchiv Hamburg, Hochschulwesen II, Pf S. 24. Gegen Burmeisters Hetze über das „Emigrantengesindel" und seine Diffamierung des ehemaligen Seminars als „ausgezeichnetes Instrument zur Gehirnverkleisterung und Schwächung völkischen Instinkts" wehrten sich die am Seminar verbliebenen Studierenden und der 1933 nach Hamburg zurückgekehrte Schüler Erwin Panofskys Ludwig Heinrich Heydenreich, der bis 1937 als Privatdozent ebenfalls zeitweilig die Geschäfte des Seminars führte. Über Burmeisters weiteren Lebensweg ist nicht mehr bekannt, als daß er von 1940 als Offizier der Wehrmacht diente, zeitweilig in Griechenland stationiert war und 1945 ums Leben kam.
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zwar selten sprach, umso mehr jedoch für sie tat. Es nahm - zweitens - unter den kunsthistorischen Instituten Deutschlands eine besondere Stelle ein. Dadurch daß es im Bibliotheksbereich der Kunsthalle eingerichtet war, war es enger als andere deutsche Institute mit einem der kunsthistorischen Berufszweige verbunden. - Daß es zunächst auf die Geschichte des Kunstgewerbes, dann auf die kunstgeschichtliche Typologie focussiert war, ist nicht in gleichem Maße außerordentlich.5 Hatten sich doch auch bereits andere Seminare bzw. Institute spezialisiert. - Es geht mir also um eine wissenschaftshistorische Topographie der Einrichtung >kunsthistorisches Seminars dabei zunächst um dessen Genese im ausgehenden 19. Jahrhundert und dann um dessen sozialisierende Funktion, die bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts mit der einer Familie verglichen werden konnte. Daher gilt es zuerst einem möglichen MißVerständnis vorzubeugen. Denn unter einem Semniar verstand man bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts sehr viel mehr als eine akademische Lehrveranstaltung, einen Bildungskurs am Wochenende oder ein Internat zur Ausbildung katholischer Priester. Und die Pro-, Haupt- und Oberseminare der heutigen Universitäten wurden bis in die dreißiger Jahre schlicht Übungen genannt und oft mit Hilfe von Zusätzen wie >für Anfängen bzw. >für Fortgeschrittene< näher qualifiziert. Seminar dagegen hießen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst die philologischen Übungsstätten, die die zahlreichen älteren >Deutschen Gesellschaften ablösten. Im Rahmen der Universitäten hatten diese seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert als Vereine gewirkt und ihren Mitgliedern Übungen in Stilistik und Rhetorik angeboten.6 Die damals neuen Seminare entsprachen den vier und bald mehr Laborwänden, um die zum Beispiel Justus von Liebig von seinen Gießener Kollegen beargwöhnt mit dem Darmstädter Kanzler jahrelang rang.7 Es war nämlich auch nach der Humboldt'schen Universitätsre-
5. Wie Martin Warnke auf der Tagung gezeigt hat und in seinem Beitrag hier darlegt, breitete Erwin Panofsky in seinen Vorlesungen zunächst das tradierte Grundlagenwissen über das jeweilige Gebiet aus. Entsprechend arbeiteten wohl auch seine Kollegen am Seminar. Forscht man nach einem die >Übungen< und die Dissertationen prägenden Schulbeispiel - einem >Paradigma< des Seminars - so findet sich dieses am ehesten in Panofskys Aufsatz über die >Imago PietatisSchmerzensmannes< und der >Maria MediatrixMadonna mit Kind und acht Heiligen< von Andrea del Sarto, in Notizbuch Gesellschaft,
Museum,
III,
Kunst,
hrsg. von Horst Kurnitzky, 1980, S. 1 4 1 - 1 5 6 .
15. Pierre Bourdieu, Satz und Gegensatz.
Über die Verantwortlichkeit
des Intellektuellen,
Berlin 1992,
S. 9. 16. Reinhard Rürup, Friedrich Theodor Vischer und die Anfänge der Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins
C X I I I , 1965,
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Heinrich Dilly
Vorlesungen gewöhnlich das tradierte Wissen über die unterschiedlichen Malerund Bildhauerschulen des Mittelalters und der Renaissance mit. Sie berichteten darüber, was man allgemein über die Baudenkmäler der Welt wußte, und flochten in die Ausführungen ihre eigenen Einsichten ein, die sie auf ausgedehnten Reisen, durch Lektüre und Gespräche mit Kennern der Materie, insbesondere regionalen Kulturhistorikern gewonnen hatten. So hielten sie auch die Studierenden zu Erkundungen auf Reisen an. 17 Ihre Erinnerungen und Notizen veranschaulichten sie anhand von Abbildungen - Reproduktionsstichen und photographischen Abzügen auf Papier - , die sie selbst gesammelt hatten, in Mappen zur Vorlesung brachten, dann erläuterten und zur näheren Betrachtung herumreichen ließen. Weil das Bildmaterial handlich und relativ unempfindlich war und weil sich der Hörerkreis entgegen höherer Erwartungen in Grenzen hielt, benötigten sie anfänglich bestenfalls winzige Abstellkammern neben den Hörsälen. 18 Wenn man guten Geschmack und Allgemeinbildung auch am besten ohne darüber zu diskutieren vermittelte, so sprach doch bereits in den ersten Jahren die Konkurrenz zu den Historikern und den Philologen dafür, in Form von Seminaren wenigstens ein Zeichen der Autonomie des Faches zu setzen. Das Mißtrauen insbesondere der Historiker gegenüber einem wohl populären, wissenschaftlich jedoch noch keineswegs selbständigen Fach war begründet. Denn, wenn die Historiker auch - ganz abgesehen vom materiellen Wert dieser Dinge - ebenso wie das gebildete Publikum vom Gefühlswert und von der nationalen Bedeutung der historischen Kunstwerke überzeugt waren, so mußten sie den ersten Handbüchern der Kunstgeschichte etwa von Franz Kugler und Carl Schnaase doch die deutlichen Signale dafür entnehmen, daß die Kunsthistoriker auch noch andere Interessen als die höhere Geschmacksbildung pflegten. Sie begnügten sich weder mit der Rolle der Geschmackräte an den Universitäten noch mit der der bescheidenen Hilfswissenschaftler einer allgemeinen Geschichtswissenschaft, die etwa der der Paläographen, Sphragisten und Heraldiker entsprechen konnte. Sie sprachen sich vielmehr dafür aus, den Studierenden auch zu demonstrieren, daß der Prozeß der Geschichte nicht allein an schriftlich gefaßten Quellen abzulesen ist. Und die Bilder, Bildwerke und Architekturen des Mittelalters, das Leben bestimmter Künstler der Renaissance und des frühen Barock, deren Werke sowie die historisch greifbaren Persönlichkeiten, S. 4 1 5 - 4 2 7 ; Johannes Zahlten, Florenz am Neckarstrand? Zur Wiedergeburt der Künste und zu ihrer Geschichte an der Polytechnischen Schule in Stuttgart, in: 125 Jahre schichte Universität
Stuttgart,
Institut für
Kunstge-
hrsg. von Johannes Zahlten, Stuttgart 1991, S. 4 3 - 8 2 (Universität
Stuttgart, Reden und Aufsätze 41). 17. Gemeinsame Exkursionen wurden meines Wissens erst von Paul Clemen und Cornelius Gurlitt im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts unternommen. 18. Vgl. August Schmarsow, Das kunsthistorische Institut, in: Festschrift zur Feier des Bestehens
der Universität
Leibzig.
500jährigen
Hrsg. von Rektor und Senat. Leipzig 1909, IV, 1, S. 173, w o
Schmarsow erwähnt, daß sich A n t o n Springer, ab 1873 Ordinarius in Leipzig, mit solch einer Kammer begnügt und auch vom geplanten Universitätsneubau nicht mehr erwartet habe.
Das Kunsthistorische Seminar der Hamburgischen
Universität
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die diese in Auftrag gegeben hatten, vermittelten kein ungefährliches Geschichtsbild. Dieses ließ sich daher auch nicht in den Rahmen politischer Willensbildung, militärischen Geschicks, technischer Erfindungen sowie nationalwirtschaftlicher Expansionskraft zwängen. Die bildlichen und die architektonischen Quellen machten vielmehr auf ganz andere historische Potenzen aufmerksam: Uber die Phantasie vergangener Zeiten Rechenschaft zu geben; zu sagen, was diese und jene Meister und Schulen für eine Vision der Welt vor sich gehabt haben, war nicht allein Burckhardts, sondern auch der Burckhardt verehrenden Kollegen Wunsch. Wie Jacob Burckhardt waren die ersten kunsthistorischen Professoren Erben einer älteren Kulturhistoriographie, die sich seit der Aufklärung als alternativ zur Geschichte der Haupt- und Staatsaktionen und als Oppositionswissenschaft zur Ereignis- und Faktengeschichtsschreibung verstand. Zwar hatten sich die Kulturhistoriker des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts immer wieder auch auf Gegenstände konzentriert, die eher alltäglichen Verdruß, denn ästhetischen Genuß bereiteten.19 Doch wiesen es die Kunstgeschichtler des 19., die längst nicht so weit wie ihre außeruniversitären Vorfahren gingen, ebenfalls weit von sich, lediglich als Hilfswissenschaftler der politisch focussierten Geschichtswissenschaft oder als Illustratoren der unterschiedlichen Philologien zu dienen. Ihre Quellen - die Kunstwerke - waren Monumente! Nicht Dokumente. „Die Kunst" hatte „ihr eigenes Leben und ihre eigene Geschichte".20 Daher erwarten sie, in der akademischen Community ebenso ernst genommen zu werden, wie dies im allgemeingesellschaftlichen Rahmen geschah. Die stärkste Uberzeugungskraft gewannen die ersten Fachvertreter jedoch auf zwei Teilbereichen ihres schwer ermeßbar großen Gebiets: im Bereich der Künstlerbiographie und dem der Zuschreibung einzelner Werke an bestimmte Meister. Erinnert sei hier nur an Carl Justis Bücher, etwa an seinen Winckelmann (1866) oder Diego Velazquez und sein Jahrhundert (1888), die weit mehr als Biographien - eben: Kultur- und Sozialgeschichten des 17. und 18. Jahrhunderts waren. Uberzeugt hatte auch das Ergebnis im sogenannten Dresdner Holbeinstreit (1871): Aufgrund des maltechnischen und stilkritischen Vergleichs war es den jungen Philologen des Auges gelungen, mit Sicherheit auszumachen, daß ein in Dresden ausgestelltes Madonnen-Gemälde, das ebenso hoch wie Raffaele Sistina geschätzt wurde, die Kopie eines in Darmstadt bewahrten Bildes von Hans Holbein dem Jüngeren war. Erst mehr als ein Jahrzehnt nach dieser Erkenntnis wurde der optische Befund durch die Entdeckung schriftlich fixierter Dokumente bestätigt.
19. Vgl. Heinrich Dilly und James Ryding: Kulturgeschichtsschreibung vor und nach der bürgerlichen Revolution von 1848, in: Ästhetik und Kommunikation, Heft 21, 1975, S. 15-32. 20. So Jacob Burckhardt im Manuskript für seine Vorlesungen über die außeritalienische Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts aus den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Vgl. Werner Kaegi, Jacob
Burckhardt.
Eine Biographie,
VI, 2, Basel/Stuttgart 1977, S. 460.
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Aufgrund zahlreicher entsprechender Fälle möchte man wohl annehmen, die Kunsthistoriker hätten ihren Anspruch auf eigene Seminare mit dem Wunsch verbunden, diese in den Museen oder in den Akademien, wo die damals gefeierten Künstler ihre Meisterateliers unterhielten, einzurichten. Es fehlte auch nicht an Vorschlägen seitens der Ministerien, Seminarräume in nächster Nachbarschaft zu den Originalen zu beziehen und somit eine, wenn auch schmale Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft zu schlagen. Tatsächlich wurden jedoch die kunstgeschichtlichen Seminare im Einzugsbereich der Philosophischen Fakultäten angesiedelt. Während die Geschichte der Jurisprudenz und die der Medizin in den entsprechenden Forschungs- und Lehrgebieten ihre vier Wände fanden, hielt sich die Kunsthistoriographie - später auch die Musik- und Theaterwissenschaft - wie die Literaturwissenschaft in wissenschaftlicher Distanz zur ästhetischen Praxis in den Museen und Akademien. Wiederholt ist diese Distanzierung als Indiz für Berührungsängste ausgelegt worden. Sie kann aber auch als ein Zeichen dafür gelesen werden, daß man aller fachlichen Differenzierung zum Trotz den sachlichen Zusammenhang zu wahren wünschte, den Burckhardt die verschiedenen Gebiete der geistigen Welt< nannte und Wilhelm Dilthey in eben diesen Jahren als >Geisteswissenschaft< und >Geistesgeschichte< zu definieren begann. Zum zweiten: Die Selbstbehauptung gegenüber der allgemeinen Geschichtswissenschaft und die besonderen Brennpunkte der Kunstgeschichte bereiteten auf die Einrichtung eigener Seminare jedoch nur vor. Zur Einrichtung selbst zwang erst das speziell kunsthistorische Unterrichtsmaterial. Denn auf Dauer war es den Fachvertretern nicht zuzumuten, die vielfältigen Reproduktionsstiche, -lithographien, Heliogravüren und Photographien von ihrer Wohnung zum Hörsaal und wieder zurückzuschleppen. Als dann in den neunziger Jahren bestimmte Firmen relativ billige >Glasphotogramme< anboten, als sich diese Lichtbilder als sehr viel empfindlicher denn die herkömmlichen Reproduktionen erwiesen, und weil die damals monströsen Vorführgeräte fest installiert werden mußten, bauten die Kunstgeschichtler ihre Hörsäle zu recht eigentümlichen geistigen Werkstätten aus und nutzten diese zuerst auch als Seminarräume. Den wohl raffiniertesten Raum richtete August Schmarsow in Leipzig ein. Unmittelbar neben dem Katheder stand die zweite Autorität: das Projektionsgerät, auch Skioptikon oder bezeichnenderweise - worauf Adolf Max Vogt vor kurzem aufmerksam machte - >Bildwerfer< genannt. 21 Vor dem Gerät und vor der linken Wand waren Stellagen angebracht, auf denen die herkömmlichen Reproduktionen von Stunde zu Stunde neu arrangiert 21. „Man mag die Technologie des ... An-die-Wand-Werfens und die Philosophie der Geworfenheit als zwei völlig verschiedene Bereiche einstufen - sicher ist immerhin, daß beiden durch Wurf ihre Proportion oder ihr Maß abgestreift wird: das projizierte Bild kann beliebig klein oder groß an die Wand geworfen werden, technische Reproduzierbarkeit dieser Art bedeutet gleitende Skala anstelle befestigter Masse. " Adolf Max Vogt, Das interesselose Wohlgefallen am Fach Kunstgeschichte, in: 125 Jahre Institut für Kunstgeschichte Universität Stuttgart, hrsg. von Johannes Zahlten, Stuttgart 1991, S. 43-82 (Universität Stuttgart, Reden und Aufsätze 41).
Das Kunsthistorische Seminar der Hamburgischen Universität
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wurden. 22 Die Fenster in der rechten Wand waren fix zu verdunkeln. Die Rückwand des Raumes war frei und weiß, denn auf sie projizierte Schmarsow die Lichtbilder. Bei der Einrichtung hat er auch solche Probleme bedacht: Wie kann er die Unhöflichkeit auf ein Minimum reduzieren, die darin bestand, daß er die Kommilitonen im Dunkeln von hinten anzusprechen gezwungen war? Und wie kann er den Lärm, den das Rücken der Stühle verursacht, dämpfen? Mit der Anschaffung von Drehstühlen umging er diese Schwierigkeiten. 23 Der Berliner Seminarraum unterschied sich davon nur wenig. Allerdings hatte dort Herman Grimm die Reproduktionsstiche von Giovanni Volpato nach Raffaels Fresken im Vatikan fest montiert. Sie bildeten so etwas wie eine dauernde ästhetische Norm. Die Fachliteratur stand wie in Leipzig zunächst in Vitrinen auf dem durch Glaswände geschlossenen Flur vor dem Seminarraum, in dem sich auch einige Gipsabgüsse fanden; bald kamen Regale für die Kästehen der Diapositive hinzu, von denen man in Berlin um 1910 immerhin schon 10.000 besaß, so daß auch für sie ein eigener Raum benötigt wurde. Selbstverständlich war es sinnvoll, die Spezialliteratur so aufzustellen, daß man sich an Arbeitstischen in sie vertiefen konnte. Es dauerte nicht lange, bis aus den >Apparaten< Bibliotheken, Foto- und Diatheken wurden, an die sich das Arbeitszimmer des Professors anschloß. Assistenten und Sekretäre gab es noch nicht. Zum dritten: Daß die technische Reproduktion von Kunstwerken einen Wandel im Stil kunsthistorischer Vorlesungen und Übungen brachte, ist inzwischen fast ebenso weit bekannt wie, daß mit dem Erscheinungswandel einer Sache auch eine Veränderung ihres Sinns vollzogen wird. Stichworte genügen: Kunstgeschichte wurde nun nicht mehr in Erinnerung an die eigene Erfahrung im Umgang mit Kunstwerken, sondern im Dunkeln vor anscheinend gegenwärtigen Bildern und Gebäuden vorgetragen. Zwei Projektoren erlaubten den Vergleich entlegenster Dinge. Die verschiedenen Grauwerte der Diapositive reduzierten die Komplexität farbiger Originale. Die originalen Größenverhältnisse wurden nivelliert und die ursprünglich verwendeten Materialien sowie Techniken erst für ein ausdauernd trainiertes Auge am Diapositiv unterscheidbar. Die Rahmung der Bilder, die unmittelbare Umgebung von Skulpturen, das Ambiente von Architekturen und des Kunsthandwerks wurden der Leuchtkraft ihrer Reproduktionen geopfert, was übrigens nicht nur für die Darbietung im Seminarraum, sondern auch für die Bücher galt, die zu gleichen Zeit immer häufiger photographisch illustriert wurden. Doch gewann man mit den photographischen Reproduktionen den Blick für Details, für ausgesprochene Gegensätze und ein nicht gerade unbändiges, so doch großes
22. Während Jacob Burckhardt die Reproduktionen herumreichen ließ, bereitete August Schmarsow seine Vorlesungen und Seminare so vor, daß er die Reproduktionen für jede Sitzung neu montierte. Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas hatte also auch in solchen Arrangements seine Vorbilder! 23. August Schmarsow, Das kunsthistorische Institut, in: Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig. Hrsg. von Rektor und Senat. Leipzig 1909, IV, 1, S. 173-178.
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Verlangen, einmal die Originale selbst zu sehen. Daher ist es auch nicht von ungefähr, daß es Schmarsow war, der mit den Studierenden wiederholt für ein ganzes Semester den perfekten Leipziger Seminarraum verließ, in Florenz eine bereits 1888 angemietete Wohnung bezog und so zum Gründer des ersten kunsthistorischen Auslandsinstituts wurde. Selbstverständlich war dabei auch die Konkurrenz zu den Archäologen im Spiel, die seit 1829 in Rom und seit 1874 in Athen Institute im Status einer Reichsanstalt besaßen. Was Jacob Burckhardt vierzig Jahre zuvor noch für sehr bedenklich gehalten hatte, trat infolge von Profilierungs- und Sachzwängen ein: Kunstgeschichte wurde Teil des gelehrten Studiums und wurde Beruf, damit aber auch sich selbst problematisch. Denn den jungen Doktoren des Faches boten sich - erstens inzwischen weitere Chancen: Je mehr Museen von den Parlamenten kontrolliert wurden, desto argumentativer mußte die Arbeit in ihnen geleistet und gerechtfertigt werden. Bald sollten die staatliche Denkmalpflege und die freie Kunstkritik als Berufsfelder folgen. Uber die Diskrepanz zwischen gelehrtem Studium und Berufsausbildung mußte ebenso diskutiert werden wie über die Schwierigkeiten von den Reproduktionen auf die Originale zu schließen.24 Dies sowie die altbekannte Tatsache, daß man in Gesprächen mehr und schneller lernt als bei der Lektüre bzw. in der Vorlesung, ließ die Seminare zum derart selbstverständlichen Instrument kunsthistorischer Sozialisation werden, daß man inzwischen ihre kurze Geschichte kaum mehr kennt und über ihre Zukunft erst recht nicht mehr nachdenkt. An den Universitäten bildeten sich unerwartet schnell Schulen, von denen die historisch-philologisch orientierte Wiener Schule, die formgeschichtliche Heinrich Wölfflins und schließlich die ikonologische Hamburger Schule Aby Warburgs und Erwin Panofskys die bekanntesten sind. Sie blieben bekannt, weil ihre Verfahrensweisen, Begriffsbildungen und Erkenntnisse bis heute zu fruchtbaren Diskussionen und plausiblen Ergebnissen führen. Andere Schulen werden dagegen nur noch selten gerühmt, weil ihre Einsichten, wie etwa die des Kreises um August Schmarsow, entweder den fachspezifischen Auseinandersetzungen nicht standhielten, oder, wie etwa im Falle der Schulen von Anton Springer und Adolph Goldschmidt, zum derart festen Bestandteil des Faches wurden, daß man sie als Resultate ehemaliger Schulung nicht mehr wahrnimmt, wie man überhaupt über die Arbeit in dieser zuerst umstrittenen und dann hoch gepriesenen Erfindung deutscher Universitätslehrer - dem Seminar - seltsamerweise von einigen Anekdoten abgesehen wenig mehr weiß, als daß die Anzahl der Studierenden winzig klein war und daß demzufolge der persönliche Kontakt, das vielzitierte kollegiale Verhältnis, sehr eng gewesen sein muß. Skizzen, wie sie zum Beispiel Erwin 24. Diese Diskussionen wurden auch öffentlich ausgetragen.Vgl.Wilhelm Bodes Kritik an der „Neueren Kunstgeschichte auf der Berliner Universität" in: Preußische
Jahrbücher
LXV, 1890, S. 481 ff. und
Herman Grimms Antwort „Das Universitätsstudium der Neueren Kunstgeschichte" in: Rundschau
L X V I , 1891, S. 3 9 0 - 4 1 3 .
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Panofsky vom 1908 gegründeten Freiburger Seminar machte, vermittelten einen Eindruck davon: „Das kunsthistorische Seminar", so schrieb Panofsky 1958 seines Lehrers Wilhelm Vöge gedenkend, „war damals in der von einem klaren Wasserlauf begleiteten Bertholdstraße untergebracht, und zwar in der sogenannten >Alten Bibliothekdem Erdboden gleichgemacht oder in ihn hineingestampft ist. Der Seminarraum selbst war sehr lang, und jeder der älteren Studenten saß, wie Dürers Heiliger Hieronymus, an einem quer zur Wand gestellten Fenstertisch, von dem aus er im Sommer das Blumen- und Insektenleben eines bäuerlichen Gartens beobachten konnte. Ganz hinten führte eine kleine, immer knarrende Treppe zu Vöges Sanctum, das er, die Morgenpost in der Hand (...) nur nach Passierung aller Fenstertische zu erreichen vermochte. Ich werde nie vergessen, wie er bei einer solchen Gelegenheit, ein zierliches, noch ungeöffnetes Briefchen wie die Oriflamme emporhaltend, mir im Vorbeigehen zurief: >Sie nennt mich Paul!< Erst sehr viel später stellte sich heraus, daß die >sie< eine Studentin war, die sich zum Studium in Freiburg anmelden wollte; sie erschien auch für ein oder zwei Semenster, aber Vöge hat ihr den >Paul< nie völlig verziehen". 25 Entsprechendes ist von den Hamburger Schülern Panofskys überliefert. Willi Meyne etwa erinnerte sich daran, daß Panofsky vormittags durch die Bibliothek zu seinem Arbeitszimmer ging, jeden der Studierenden persönlich begrüßte und sich dabei jeweils erkundigte, in welcher Weise er behilflich sein könne. Alle beteuerten: Wir waren so etwas wie eine Familie! Und sie machten sofort darauf aufmerksam, daß Panofsky als Lehrer am Seminar ja nicht allein war. Gustav Pauli, der Leiter der Kunsthalle, der Panofsky nach Hamburg empfohlen hatte, Richard Stettiner und Max Sauerlandt vom Kunstgewerbemuseum waren da. Sie, Fritz Saxl und - nach dem Tode Aby M. Warburgs - Karl von Tolnay führten die Studierenden vom ersten Semenster an in Gesprächen in die Probleme ein, die sie selbst gerade zu lösen versuchten.26 Daß die Anzahl der Studierenden ausgerechnet in den Notjahren der Weimarer Republik im Verhältnis von fünf zu einem Dozenten stand, war den Schülern Panofskys so selbstverständlich, daß der Vergleich mit den aktuellen Daten einer drittstärksten Industrienation nur Kopfschütteln und das Wort >unmöglich< auszulösen vermochte. Lebhafter jedoch als das Seminar in der Kunsthalle war fast allen ehemaligen Studentinnen und Studenten eine andere Einrichtung in Erinnerung, - eine soziale Institution, die bis dato mit vollem Recht immer zuerst genannt wird, wenn über die Kunsthistoriographie in Hamburg die Rede ist: Die Kulturwissenschaftliche 25. Erwin Panofsky, Wilhelm Vöge. 16. Februar 1868 - 30. Dezember 1952, in: Wilhelm Vöge, Bildhauer des Mittelalters. Gesammelte Studien von Wilhelm Vöge. Vorwort von Erwin Panofsky, Berlin 1958, S. XXIII. 26. Werner Burmeister, der sich im Februar 1931 habilitierte, spielte bis 1933 im Seminar, wie er später selbst gestand, keine Rolle.
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Bibliothek Warburg! An sie sei auch hier abschließend erinnert. Sie nämlich garantierte dem so familiären Kreis der zukünftigen Berufsmenschen und Fachleute aus der Kunsthalle einen sachlichen Zusammenhang, den schon damals weder die Philosophische Fakultät noch die Kunsthalle, geschweige denn die von Warburg vorausgesehene >Universitätsmaschine< zu bieten vermochten: Die Kunstgeschichte erforschte lediglich einen Teil der Formen, die Warburg die nervösen Auffangorgane der Menschheit genannt und Cassirer als symbolisch bezeichnet hat. Hier galt es, wie es im Votum für die Berufung Erwin Panofskys stand, „das bildhafte Material der Kunstgesichte zu einer Dokumentensammlung für vergleichende Kulturwissenschaft umzugestalten." Und es kam darauf an, „das Bildwerk mit dem historisch oder psychologisch dazugehörigen Gedanken zusammenzuschauen. Dieser Gedanke muß aus dem Wort herausgeholt werden, einerlei ob es sich in urkundlicher Form darbietet, oder erst in der Wunschregion der philosophischlehrhaften Forderung oder der dichterischen Sehnsucht gesucht sein will. Erst wenn das Bildelement durch das dazugehörige Wort bereichert ist, verkündet das Kunstgebilde Aussagen über den Sinn des Phänomens bildhafter Orientierung in Zeit und Raum". 2 7
27. Staatsarchiv Hamburg, Hochschulwesen II, Ai 3 / 2 7 , S. 3. Es handelt sich offenbar um die Begründung dafür, weshalb die Fakultät allein Erwin Panofsky für den Lehrstuhl vorgeschlagen hat.
Arkadien in Hamburg Studierende und Lehrende am Kunsthistorischen Seminar der Hamburgischen Universität Ulrike Wendland
Zwölf Jahre lang lehrte Erwin Panofsky am Kunsthistorischen Seminar1 der 1919 neugegründeten Hamburgischen Universität. So läge es nahe, anläßlich des 100. Geburtstages nur seine Bedeutung für die Hamburger kunstgeschichtliche Schule2 hervorzuheben. Doch hatten an ihr auch andere Personen entscheidenden Anteil neben Aby Warburg vor allem Fritz Saxl, weitere Hochschullehrer und nicht zuletzt die Studenten. Das Hamburger Seminar wurde in den Jahren vor 1933 nicht allein von einem Ordinarius bestimmt, sondern von einer Gemeinschaft der Wissenschaftler und Studenten. Ihnen gilt die folgende Spurensuche. Erwin Panofsky hat die Hamburger Jahre wiederholt als seine glücklichsten bezeichnet. Ebenso geraten ehemalige Studenten jener Zeit ins Schwärmen über die einmalige Konstellation der Lehrer und Gelehrten sowie über die anregenden und prägenden Studienjahre. Und dies, obwohl die äußeren Bedingungen der Lehre und Forschung an der in Notzeiten gegründeten Universität nicht üppig waren, obwohl die letzten Jahre der Weimarer Republik von heftigen politischen Auseinandersetzungen geprägt waren, die auch in die Hamburgische Universität hineinwirkten. Die Wirtschaftskrise und die hohe Akademiker-Arbeitslosigkeit jener Jahre forderten auch von der Hamburger scientific community Opfer. Was also machte das Faszinosum der Hamburger Schule aus?
Räume Räumlich existierte das Kunsthistorische Seminar praktisch nicht. Die Mittelknappheit bei Gründung der Universität hatte eigene Räume nicht zugelassen, so daß es in der Kunsthalle untergebracht wurde. In der Nachbarschaft der dortigen 1. Bis 1940 hieß es Kunst historisches Seminar; eine ideologisch bedingte Eindeutschung führte zu dem bis heute gültigen Namen Kunstgeschichtliches Seminar. 2. Der Begriff Hamburger Schule taucht ab ca. 1930 in verschiedenen Äußerungen auf. U. a. im Gutachten Panofskys über Walter Horns Dissertation vom Juni 1933, in: Chronik des Kunsthistorischen Seminars der Hamburgischen Universität. Zusammengestellt und kommentiert von Heinrich Dilly et al. (Mscr.) Hamburg 1989, 20. Juni 1933.
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Bibliothek hatte Panofsky sein Arbeitszimmer, über andere Räume ist nichts bekannt. Diese Symbiose beschreibt Panofsky 1927: „Das Kunsthistorische Seminar mußte der Kunsthalle angegliedert werden. Infolgedessen mußten sich die Öffnungszeiten denen der Kunsthalle anpassen..." Das doppelte „mußte" ist ein deutlicher Hinweis auf die Unzufriedenheit mit diesem Zustand. Doch im nächsten Satz lenkt Panofsky ein und erwähnt Vorteile: „Den Studierenden steht in den Räumen des Seminars eine Photographie- und Reproduktionssammlung von schätzungsweise 50.000 Blatt zur Verfügung aus dem Eigenbesitz des Seminars und dem Besitz der Kunsthalle, ferner die Bibliothek der Kunsthalle von etwa 23.000 Bänden, deren Benutzung in derselben Weise geregelt ist wie bei den im Eigenbesitz des Seminars vorhandenen Büchern. Vor allem bedeutet die räumliche und auch geistige Vereinigung des Seminars mit der Kunsthalle die Möglichkeit einer dauernden Fühlungnahme mit den Originalen, die in der Gemäldegalerie, in der graphischen Sammlung und in der Handzeichnungensammlung bewahrt werden".3 So war die Symbiose nicht die schlechteste Lösung, zumal da der Kunsthallendirektor Gustav Pauli Panofsky und dem Seminar freundschaftlich verbunden war, ja, die Seminargründung und Berufung Panofsky mit auf ihn zurückgegangen waren.
Seminarbetrieb 1926 wurde Erwin Panofsky Inhaber des neugeschaffenen Lehrstuhles. Seit 1921 war er Privatdozent und - unbezahlter - Direktor des Kunsthistorischen Seminars gewesen, nach 1923 zudem sein eigener „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter", um ein regelmäßiges Gehalt zu bekommen.4 Nun, als Ordinarius, verbesserten sich zwar Status und Gehalt, nicht aber der Aufgabenbereich: wie zuvor hielt er Lehrveranstaltungen und Prüfungen ab, aber auch die Sekretariats- und Hilfskraft-Arbeiten blieben ihm - denn die Hilfsarbeiterstelle wurde nicht neu besetzt. So beschriftete er weiterhin seine Diapositive selbst, erledigte Buchbestellungen und kämpfte mit den Tücken universitärer Administration. Briefe, Gutachten und Manuskripte schrieb er selbst - oder seine erste Frau Dora. Ihrer, die Panofskys Karriere stützte und förderte, sei an dieser Stelle ausdrücklich gedacht. Spielte doch auch sie im Seminarleben eine wichtige Rolle. Aus den Institutsakten wird immer wieder die Not der Weimarer Jahre deutlich. Der geringe Etat des Kunsthistorischen Seminars reichte oft nicht bis zum Ende des Jahres, um die gewünschten und nötigen Bücherkäufe tätigen zu können. 3. Erwin Panofsky, D a s Kunsthistorische Seminar, in: Die Universität Hamburg in Wort und Bild. Hrsg. im Auftrag d. Akademischen Senates. Bearb. v. W. Weygandt. Hamburg o.J. (1927). S. 96. 4. Erwin Panofsky, Epilog. Drei Jahrzente Kunstgeschichte in denVereinigten Staaten. Eindrücke eines versprengten Europäers, in: ders., Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Köln 1978, S. 404 f., A n m . 6.
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Eine Erleichterung brachte hier die enge Zusammenarbeit des Seminares mit der Kunsthalle und der privaten Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (KBW). Die Buchanschaffungen wurden abgesprochen: Kunsthalle und Seminar kauften kunstgeschichtliche Veröffentlichungen im engeren Sinne, die KBW kultur- und religionsgeschichtliche Literatur sowie die vielen Rara für ihre Spezialabteilungen.5 Es mag ein Grund dafür, daß die Abteilung Kunstgeschichte in der Bibliothek des Warburg Institutes in London auch heute nur ein Stockwerk einnimmt, darin liegen, daß in Hamburg die Kunsthalle dieses Feld abdeckte.
Lehrer Erwin Panofsky, seit 1926 als ordentlicher, und Fritz Saxl als außerordentlicher Professor hielten Vorlesungen, Seminare und Übungen. Aby Warburg bot zwischen 1924 und 1929, seinem Todesjahr, Übungen oder die „Beratung einzelner Studierender" an. Karl von Tolnai, der sich 1929 in Hamburg habilitierte, hielt als Privatdozent Lehrveranstaltungen. Vor den Originalen der Kunsthalle übte Gustav Pauli, während Richard Stettiner und Max Sauerlandt im Museum für Kunst und Gewerbe ihre Übungen abhielten. Die Bedeutung dieser kunstgewerblichen Lehrveranstaltungen gerät in der Rückschau und neben dem ruhmreichen Triumvirat Warburg - Panofsky - Saxl etwas ins Hintertreffen. Sie sollte jedoch nicht unterschätzt werden, da dieser Schwerpunkt eine Besonderheit im kunstwissenschaftlichen Ausbildungsangebot in Deutschland war. Auch Vertreter anderer Fächer aus dem Umfeld der KBW waren Lehrer der Kunstgeschichts-Studenten: die Philosophen Ernst Cassirer und Edgar Wind, der Historiker Richard Salomon in den Historischen Hilfswissenschaften, Hans Liebeschütz in Mittellateinischer Philologie. Eugen von Mercklin, der mit der KBW nicht verbunden war, lehrte Klassische Archäologie. Gertrud Bing hielt zwar keine Lehrveranstaltungen ab, stand aber durch fundierte fachliche Beratung den Studenten, die an der KBW verkehrten, fördernd zur Seite.
Studium Wer es als Kunstgeschichtsstudent ermöglichen konnte, studierte an mehreren Orten - zwei bis drei Universitäten während eines Studiums zu besuchen, war fast die Regel, vier oder fünf Studienortswechsel waren keine Seltenheit. Die reine Studienzeit überschritt trotzdem selten acht Semester. Da zum Lebensunterhalt noch hohe Kosten durch Studiengebühren und Kolleggelder entstanden, exmatrikulierten sich die Studenten während der Vorbereitung der Dissertation bereits wieder. Die Finanzierung des Studiums war für etliche 5. Erwin Panofsky, Das Kunsthistorische Seminar (s. Anm. 3) S. 96.
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Studenten oder deren Eltern ein großes Opfer - waren doch viele bürgerliche Familien durch Krieg und Inflation verarmt. So ist mehr als einer der Hamburger Kunstgeschichtsstudenten gezwungen gewesen, Geld hinzuzuverdienen oder das Studium aus wirtschaftlichen Gründen zu unterbrechen. In den Promotionsakten finden sich Gesuche auf Erlaß der hohen Prüfungsgebühren oder des Druckes der Pflichtexemplare. Doch gab es auch in der Weimarer Republik die Kinder wohlhabender Eltern, deren Monatswechsel ein sorgloses Studium, die nötigen Reisen, eine aufwendig gedruckte Dissertation und nach der Promotion ein Privatgelehrtendasein ermöglichte. Viele Studiencurricula ähneln sich: der Beginn mit einem allgemeinen, geisteswissenschaftlichen Studium oder anderen Hauptfächern, die Verlegung des Schwerpunktes auf die Kunstgeschichte nach einigen Semestern, oft schon mit einem Dissertationsprojekt vor Augen. Für die Abfassung dieser Arbeiten war dann zumeist eine Reise nötig. Das Studium mehrerer Nebenfächer war üblich; erst zum Schluß wurden zwei für das Rigorosum ausgewählt. Von den Studenten seines engeren Kreises erwartete Panofsky die Belegung von Paläographie und Mittellateinischer Philologie, während Philosophie und Archäologie sowieso klassische Nebenfächer der Kunsthistoriker waren.
Studenten Durchschnittlich waren vor 1933 in Hamburg 30 Kunstgeschichtsstudenten immatrikuliert, davon circa 15 Hauptfachstudenten. Was motivierte Kunstgeschichtsstudenten, hierher zu kommen? In jenen Jahren studierte „man" eigentlich in Berlin oder München, Heidelberg oder Freiburg, allenfalls noch in Marburg, Halle oder Bonn - also bei berühmten Ordinarien wie Goldschmidt oder Pinder, Neumann oder Jantzen, Hamann, Frankl oder Clemen. Pilgerfahrten führten nach Zürich „zu" Wölfflin. In München waren die faszinierende Stadt mit ihrer Umgebung und ihren Kunstschätzen ein zusätzlicher Anreiz, in Berlin die einmaligen Sammlungen und das Weltstadtflair der 20er Jahre; Freiburg bot die schöne Lage, Heidelberg die Romantik der alten Universitätsstadt. .. Was hatte Hamburg dagegen zu bieten? Die Universität war neu und noch im Aufbau begriffen, der Ordinarius jung und noch nicht berühmt, attraktive Kunstsammlungen oder Bauten fehlten. So zog es, neben den ortsansässigen Studenten, auch nur eine kleine Avantgarde hierhin. Und diese kam nicht, um einen „Starkunsthistoriker" zu hören, sondern um Teil einer intellektuellen Gemeinschaft zu werden. Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg war ein ebenso wichtiger Anziehungspunkt. Schließlich hatte es sich herumgesprochen, daß hier in Hamburg die Kunstgeschichte mit der ikonographischen Methode betrieben werde.
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Lehrveranstaltungen Panofskys Vorlesungen waren für ein größeres Publikum gedacht: Hugo Buchthal bezeichnet sie als „nicht brillant, dafür aber überaus gehaltreich und konzentriert". „Seinem engeren Kreis riet er immer ab, die Vorlesungen zu besuchen, die nicht für uns, sondern für ein ,allgemeines Publikum' gedacht seien". Doch, so Buchthal, „wir befolgten diesen Rat aber nicht; jede Vorlesung brachte so viel Neues und Unerwartetes, daß es schade gewesen wäre, sie zu versäumen".6 Die Vorlesungen fanden dreimal wöchentlich, in der Regel montags, mittwochs und freitags am Spätnachmittag im Hörsaal C des Hauptgebäudes der Universität statt. Eine in der deutschsprachigen Kunstwissenschaft jener Jahre wohl einmalige Angelegenheit waren die Seminare, die Panofsky und Saxl am Donnerstagabend in der Kunstwissenschaftlichen Bibliothek gemeinsam hielten. Sie dauerten offiziell von 20 bis 22 Uhr, gingen aber praktisch bis in die Nacht hinein. Die Eingangsschwelle war hoch: Kenntnisse des Griechischen, Lateinischen und Italienischen wurden vorausgesetzt, die Teilnehmerzahl war auf 15 begrenzt. Hugo Buchthal dazu: „Die akkumulierte Gelehrsamkeit der beiden Professoren war in ihrer Art einmalig, gerade weil die beiden von so verschiedenen Hintergründen herkamen, und die meisten Studenten waren fortgeschritten genug, um das, was ihnen dort geboten wurde, zu verstehen und zu verarbeiten".7 Auch sonst ist der jeweilige Anteil Panofskys und Saxls an der Ausbildung der Studenten schwer zu trennen. Zeitzeugen berichten, daß Saxl der bessere Lehrer war, Panofsky dagegen der sprühendere Geist. Studienpläne existierten nicht; zwischen Anfängern und „Vorgeschrittenen" wurde nicht unterschieden, so daß die Lehrveranstaltungen, abgesehen von den hochgesteckten Eingangsvoraussetzungen, für Studenten aller Semester zugänglich waren. Ein Gespräch mit dem Hochschullehrer ging der Teilnahme voraus.
Lehrer-Schüler-Beziehungen Zu den prägenden Schüler-Lehrer-Erlebnissen am Hamburger Seminar gehörten nicht allein die Vorlesungen und Seminare, sondern auch individuelle Gespräche. Sie fanden in den donnerstäglichen Sprechstunden Panofskys in der Kunsthalle statt, mit Saxl abendlich in der leeren KBW oder spontan in privater Runde. Hugo Buch thai erinnert sich an Panofskys Sprechstunden: „Wenn er schlecht aufgelegt war oder etwas anderes im Kopf hatte, dauerten sie nur wenige Minuten; aber meist gab er sich die größte Mühe, den Gedankengängen des Schülers zu folgen 6. H u g o Buchthal, Memorabilia. Persönliche Erinnerungen eines Achtzigjährigen an sein Studium bei Panofsky in Hamburg, in: Wiener S. 210. 7. E b d . , S. 209.
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für
Kunstgeschichte
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1991, S. 2 0 5 - 2 1 3 ;
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und ihm mit eigenen Ideen weiterzuhelfen. Dann konnten diese Besuche auch mehrere Stunden dauern, und seine manchmal ganz unerwarteten Assoziationen eröffneten neue Ausblicke in unbekannte Gebiete". Für Buchthal waren „die Sprechstunden die eigentlichen Höhepunkte im Hamburger Studium", da man dort „an einem Vormittag mehr als in den Vorlesungen eines ganzen Semesters" lernte. 8 Waren die Studenten und Doktoranden vielversprechend, wurden sie offensichtlich wie Kollgegen behandelt. In diesem Sinne beschreibt Niels von Holst Panofskys Verhalten im Seminar im Gegensatz zu dem Pinders: „Mir ist erinnerlich, daß Pinder auch im Oberseminar gerne das letzte Wort behielt, die glänzendsten Formulierungen gerne selbst von sich gab. Panofsky war objektiver: er freute sich, wenn seine Schüler Einfälle hatten, gut beobachteten".9 Und noch 1952 spricht Panofsky in einem Brief an den in Hamburg gebliebenen Freund und Kollegen Bruno Snell von einem „wechselseitig befruchtenden" Verhältnis zwischen Studenten und Lehrern, das er in Amerika vermißte. Daß die Lehrer sogar trotz eigener Skepsis Schülerleistungen anerkennen konnten, wird im folgenden Satz Saxls aus dem Gutachten für Hugo Buchthals Dissertation über den byzantinischen Codex Parisinus Graecus 139 deutlich: „Der Kandidat konnte nicht leicht ein spinöseres Thema wählen als das im Vorliegenden behandelte. Denn das uns überhaupt noch erhaltene Miniaturen-Material ist so gering und das wenige bereits von so vielen Gelehrten untersucht, daß die Aussicht, Neues darüber aussagen zu können, zu Anfang recht gering war. Der Korreferent, der aus diesem Grund anfangs die Chancen der Arbeit etwas skeptisch beurteilte, überzeugte sich jedoch bei deren Fortgang, daß Herrn Buchthals Versuch trotz dieser Schwierigkeiten Erfolge brachte, vor allem Klarheit in die Hauptfrage, wie weit die Miniaturen der byzantinischen ,Renaissance-Maler' von spätantikfrühchristlichen Vorbildern abhängig sind". 10 Es war in jener Zeit durchaus üblich, daß Professoren und Studenten auch privaten Umgang miteinander hatten. Von einem solchen Ereignis schreibt ein damaliger Student in einem Brief nach Hause: „Ich war also letzten Sonntag bei Prof. Panofsky, wo zusammen 12 Personen zu Tee und 2 Flaschen Weißwein geladen waren. Außer mir waren noch die 3 Hauptschüler von Panofsky da und ein Dr. Brinkmann, der 1. Flötist des hiesigen Philharmonischen Orchesters mit seiner Frau. Es wurde musiziert und dann eigentlich nur Witze erzählt über Kunsthistoriker etc. Panofsky erzählte andauernd über die merkwürdigsten kunsthistorischen Ereignisse, was ihm mit seinem ungeheueren Wissen nicht schwer fiel". 11 8. Ebd., S. 210. 9. Brief Niels von Hoists von 1981, in: Chronik des Kunsthistorischen Seminars (s. Anm. 2) 13. Juli 1929. 10. Gutachten Fritz Saxls vom 12. Juni 1933, in: Chronik des Kunsthistorischen Seminars (s. Anm. 2) 12. Juni 1933. 11. Franzsepp Württenberger, Das Ich als Mittelpunkt der Welt. Karlsruhe 1986, S. 247 f.
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Ciaire Lachmann charakterisierte diese Gemeinschaft 50 Jahre später so: „Die Anregungen waren unendlich, das Zusammenleben aller um eines Zweckes willen, nämlich Dienst an der Wissenschaft, der Lösung von Problemen dank dieser Vielheit der Mitarbeiter: jeder aus seinem Standpunkt das gebend, was er verstand. Wir waren eine große Familie, unsere Professoren waren nur zehn Jahre älter als wir. Wir lebten zusammen, es war eine ganz nahe, menschlich warme Gemeinschaft, diese Menschlichkeit strahlte Saxl aus mit der Bing im Hintergrund. Der weise Berater war Warburg selbst. Der sprühende Geist, der sich an seinen eigenen Paradoxen berauschende Dynamo war Panofsky". 12
Gemeinschaft mit der KBW Der Seminarbetrieb an der Universität wurde von Panofsky bewußt nicht als ein eigenständiger angesehen. 1927 schreibt er über das Zusammenwirken mit der KBW: „Die beiden Institute stehen also im wesentlichen im Verhältnis wechselseitiger Ergänzung, was gerade der in Hamburg gepflegten Richtung der kunstgeschichtlichen Forschung einen besonderen Charakter gibt: es befinden sich unter den hier bearbeiteten Themen relativ viel ,ikonographische', bei deren Bearbeitung aber nach Möglichkeit eine gleichmäßige Berücksichtigung des Formalen erstrebt wird". 13 Die Lehrveranstaltungen des Seminars in der KBW und umgekehrt Saxls an der Universität festigten die intensive Beziehung. Im Tätigkeitsbericht der KBW für die Jahre 1930/31 bestätigt Fritz Saxl dies: „Durch die Zusammenarbeit zwischen der Universität und unserer Bibliothek scheint sich eine Art ,Hamburger Schule' der Kunstgeschichte zu bilden, die eine Anzahl von tüchtigen Studenten hierherzuziehen im Stande ist". 14 Jedoch betont Saxl auch den Vorteil der Eigenständigkeit der KBW: „Es hat sich gerade in den letzten Jahren wieder sehr bewährt, daß die Bibliothek außerhalb der Universitätsverbandes geblieben ist, denn sie leidet dadurch nicht unter allen jenen Erscheinungen, unter denen die deutschen Universitäten heute leiden (Uberfüllung, politische Kämpfe innerhalb des Instituts usw.). Und sie kann eben dadurch ihrer Aufgabe, auch der jungen Generation - vor allem dieser - und ihrer rein wissenschaftlichen Erziehung zu dienen, umso besser gerecht werden".15 Doch gab es auch Hamburger Kunstgeschichts-Studenten, die nicht mit der KBW verbunden waren, ja, die sie niemals betreten haben. Sei es, daß sie Themen bearbeiteten, die nicht zum Forschungsfeld des Privatinstitutes gehörten, sei es, daß 12. Brief Ciaire Lachmanns vom 18. Mai 1981, in: Chronik des Kunsthistorischen Seminars (s. Anm. 2) 22. Februar 1930. 13. Erwin Panofsky, Das Kunsthistorische Seminar (s. Anm. 3) S. 96 f. 14. Bericht über die Tätigkeit der Bibliothek Warburg in den Jahren 1930 und 1931. S. 33. 15. Ebd. (s. Anm. 14).
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sie nicht die unerläßliche humanistische Bildung hatten oder nicht begabt genug waren, um in diesem immens gelehrten, intellektuell geprägten Milieu Aufnahme und Anerkennung zu finden. Waren manche Studenten vielleicht auch zu scheu, um dort Fuß zu fassen? Daß auch die Gruppe der nicht an der KBW verkehrenden Studenten Förderung durch Panofsky erfuhr, zeigt das Beispiel Willy Meynes. Über den Weg der Kleinen Matrikel, also ohne Abitur, konnte der Volksschullehrer aus Moisburg in der Nordheide an der Hamburgischen Universität studieren. Panofsky betreute Meynes Dissertation über die Werke der Holzplastik im Bezirk Stade bis 1530 mit Anteilnahme und beurteilte sie, trotz ihrer regionalen Begrenztheit, gerecht und sehr wohlwollend. Noch in den 50er Jahren nahm er brieflich Anteil an Willy Meynes Lebensweg. Meyne verdanken wir im übrigen die einzig bisher bekannten Mitschriften der Hamburger Panofsky-Vorlesungen.
Dissertationen 32 Doktorarbeiten wurden in den sieben Jahren zwischen der offiziellen Gründung des Seminars und der Annullierung des Lehrstuhls durch die Nationalsozialisten verfaßt. Werner Burmeister, Privatdozent am Seminar und bereits vor 1933 Nationalsozialist, dessen psychopathische Haßtiraden auf die Hamburger Schule und ihre Protagonisten sich in etlichen Dokumenten finden, beschimpfte dieses Phänomen nach 1933 als „die blühende Doktorfabrik des PanofskySeminars".16 Heute klingt diese Bezeichnung eher wie ein Kompliment. Neun Doktorarbeiten können als ausgesprochen ikonographisch oder ikonologisch angesehen werden, so Annie Mainz' über Den Gebetsgestus in der bildenden Kunst des Abendlandes, Edgar Breitenbachs typengeschichtliche Untersuchung über das Speculum humanae salvationis, Waclaw von Reybekiels Dissertation über die Typengeschichte des Fons Vitae oder Lothar Freunds Studien zur Bildgeschichte der Sybillen in der neueren Kunst. Schaut man auf die Themen gleichzeitig im deutschsprachigen Raum entstehender Dissertationen, so wird einem die Besonderheit des ikonographischen Schwerpunktes erst recht bewußt - die Hamburger Doktorarbeiten sind nahezu die einzigen, die sich mit Bildinhalten beschäftigen. Andere Dissertationsthemen beziehen sich auf Fragestellungen, die die Hamburger Kunsthistorikergemeinschaft darüber hinaus interessierten. Einer dieser Schwerpunkte war der Manierismus, wozu Otto Härtzsch seine Arbeit über Cosimo Tura und Günter Arnolds eine über Santi di Tito beitrugen. Panofsky regte auch Dürer-Arbeiten an: Carl Schellenbergs über Die Illustrationsprinzipien der Dürer-Apokalypse oder Elisabeth Brauers über Jacopo de Barbari's graphische Kunst. 16. Chronik der Kunsthistorischen Seminars (s. Anm. 2) 24. März 1937.
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Schließlich gab es „klassische" Dissertationsthemen wie Künstlermonographien. Zwei von ihnen wurden zu Standardwerken: Bella Martens' Arbeit über Meister Francke und Jan Lauts' Dissertation über Antonello da Messina. Von zwei der damaligen Studenten haben wir Hinweise, wie es zur Wahl des Dissertationsthemas kam. Deutlich wird dabei, wie früh im Studium die Themenwahl erfolgt. Hugo Buchthal suchte schon in seinem ersten Hamburger Semester gemeinschaftlich mit Panofsky nach einem Dissertationsthema. „Mehrere Renaissancethemen, die Panofsky vorschlug, sagten mir nicht zu; aber dann erwähnte er den byzantinischen Psalter, der kurz vorher, als ich noch in Hamburg war, Thema einer Seminarübung gewesen war. Dieses Thema sprach mich sofort an und hat mich viele Jahre meines Lebens beschäftigt". Das Zusammenwirken der beiden Professoren und eine heute kaum vorstellbare Intensität der Betreuung wird an Buchthals Arbeit deutlich: „Es fügte sich gut, daß auch Saxl daran besonders interessiert war und regen Anteil am Fortschritt der Arbeit nahm; oft ist er am Abend stundenlang mit mir durch die leere Bibliothek gegangen und hat mich auf Bücher und ganze Themenkreise hingewiesen, die mir noch unbekannt waren".17 Ciaire Lachmann kam in ihrem zweiten Studiensemester nach Hamburg. „Ich ging - nicht wissend, wie unverfroren das war - zu Dr. Saxl, ins Privathaus von Prof. Warburg und bat ihn, mich in sein Seminar aufzunehmen. Er lachte und meinte, das wäre fürs zweite Semester zu früh, schlug mir aber gleichzeitig eine Aufgabe vor, herauszufinden, woher die merkwürdige Schöpfungsgeschichte in Modena komme, vielleicht Beziehung zu den katalanischen Bibeln... - kurz, diese Aufgabe verfolgte ich fünf Jahre".18 Ikonographie und Ikonologie standen also nicht allein im Mittelpunkt der Lehre und Forschung und wurden keinesfalls dogmatisch als einzig zulässige Methode der Kunstwissenschaft angesehen. Der formengeschichtliche Betrachtungsweise wurde viel Raum gegeben, ihre Beherrschung ausdrücklich verlangt. Die Prüfungsthemen der Rigorosen zeigen, daß auf die „handwerkliche" Kunsthistorikerausbildung mit Stilanalyse, Datierung und Zuschreibung großer Wert gelegt wurde. Wie sehr gerade Aby Warburg auf eine Ausrüstung der Studenten mit kunsthistorischen Grundkenntnissen Wert legte, zeigt ein in strengem Ton gehaltener, allerdings nicht abgesandter Brief an Panofsky von 1927: „Nachdem, was ich gehört habe, haben die Studenten nicht den Eindruck, daß die kunsthistorische Lehrerschaft ihnen eine planmäßige Einführung in das Gesamtgebiet der Kunstgeschichte zu Teil werden läßt, und wenn Sie auch die kollegiale Güte haben, in Ihren Vorlesungen die Gebiete zu behandeln, die wir nicht behandeln, so ist damit doch nur ein sehr mittelbarer Stil der Planmäßigkeit gefunden. Vor allem müßte versucht werden, ein Pro-Seminar und ein Ober-Seminar zu organisieren, 17. Hugo Buchthal, Memorabilia (s. Anm. 6) S. 210. 18. Chronik des Kunsthistorischen Seminars (s. Anm. 2) 22. Februar 1930.
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wodurch die Lehrarbeit erst richtig differenziert werden könnte. Ich gebe diese Beispiele, die sich häufen ließen, nur damit sie sehen, daß mein Wunsch keinen Eingriff in Ihre Funktion als Ordinarius bedeuten würde, sondern nur ein Gentlemen's Agreement zwischen den Leuten, die es nun mal auf sich genommen haben, die Jugend heranzuziehen". 19
„Et in Arcadia ego" Diejenigen Literaten, die das Zitat mit „Auch ich lebte in Arkadien" und damit nicht korrekt übersetzten, „beschwören", so Panofsky, „die rückwärts gewandte Vision eines unübertrefflichen Glücks herauf, das in der Vergangenheit genossen wurde, danach für immer unerreichbar und dennoch in der Erinnerung dauerhaft lebendig blieb: ein vom Tod beendetes vergangenes Glück..." 2 0 Auch die wenigen Jahre der Hamburger Schule erscheinen heute als „die rückwärts gewandte Vision eines unübertrefflichen Glücks". Viele Äußerungen und Erzählungen der Beteiligten sprechen dafür, daß es annähernd so war, wenn auch ein gewisser „Verklärungszuschlag" berücksichtigt werden sollte. Aus jenem Zuneigungsgefühl heraus, das sich bei größerem räumlichen oder zeitlichem Abstand einstellt, schrieb im Juni 1930 Lothar Freund von einer Italienreise an seinen Lehrer Fritz Saxl in Hamburg. Zunächst beschreibt er Vorkommnisse, Funde und Forschungen. Dann erwähnt er die zufällige Begegnung mit zwei Hamburger Kommilitonen: „Sehr lustig war es, als ich im Museo Nazionale in Neapel plötzlich den beiden europareisenden Herren Härtzsch und Lauts begegnete". Härtzsch erzählte Freund „einige merkwürdige und unerfreuliche Dinge vom Florentiner Institut, von nicht vorhandener Kameradschaftlichkeit und dergleichen, die leider den Eindruck, den ich schon in der Hertziana bekommen hatte, daß die deutschen Kunsthistoriker in Italien nicht zusammenarbeiten, die meisten einen häßlichen Spezialistendünkel entwickeln und die besten sich isolieren, bestätigten". Schließlich fügt Freund eine bemerkenswerte Erkenntnis an: „Es ist mir wieder einmal am Kontrast bewußt geworden, was die Hamburger Arbeitsatmosphäre, uns allen so gewohnt und selbstverständlich, im Grunde bedeutet". 21 In diesem und anderen Zitaten wird deutlich, daß der engere Kreis der durchschnittlich 15 Hauptfächler mit ihren Lehrern nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Lebensgemeinschaft bildeten. In ihr nahm man Anteil aneinander und diskutierte aktuelle wissenschaftliche Fragen. Dies belegt auch Franzsepp 19. Brief Aby Warburg an Erwin Panofsky vom 31. Mai 1927 (nicht abgeschickt), in: Warburg Institute, Archive, Correspondence, File P/Q 1927. 20. Erwin Panofsky, Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen, in: derselbe, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Köln 1978. S. 351 f. 21. Brief Lothar Freund an Fritz Saxl vom 9. Juni 1930, in: Warburg Institute, Archive, Correspondence, File F, 1930.
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Württenberger: In einem Referat in Tolnais Seminar hatte er eine kühne These über die Ableitung des Chartreser Westportals gebracht, verbunden mit einer neuen Datierung. Schon während des Referates gab es Proteste, in der folgenden Sitzung wurde seine These heftig diskutiert und von Tolnai widerlegt. Dieses Ereignis zog so weite Kreise, daß Panofsky Interesse daran fand und Württenberger einlud, um sich seine These anzuhören. Schließlich wurde auch anläßlich der „Einladung zu einer Bowle bei Frl. Dr. Sudeck" heftig über Chartres und die neue Theorie diskutiert. 22 Diese Episode wirft ein Licht auf das Engagement und die Leidenschaftlichkeit, mit der kunstwissenschaftlichen Fragen nachgegangen wurde, außerdem einmal mehr auf die Gesprächsbereitschaft der Lehrer mit den Studenten. William Heckscher spricht sogar von „Kunstgeschichte als Religion" in diesen Hamburger Jahren. 23 Es ist wohl nicht zu gewagt, die beschriebene sdentific community als eine Zufluchtsstätte in mehrfacher Hinsicht zu charakterisieren: Auf fachlichem Gebiet wurde eine paradiesische Konzentration hochgelehrter Wissenschaftler sowie ungewöhnlicher Arbeitsmitteln geboten. Die Atmosphäre war geprägt durch den engen, zuweilen freundschaftlichen Kontakt zwischen den Lehrern und Schülern sowie zwischen den Studenten untereinander. Pädagogisch zeichnete sich das Hamburger Seminar durch die individuelle Betreuung und Förderung aus, verbunden mit dem Stellen hoher wissenschaftlicher Anforderungen. Auch in politischer Hinsicht war hier Frieden zu finden - Seminar und KBW waren weitgehend frei von den an anderen Instituten üblichen politischen Auseinandersetzungen. In den desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit wurde den zum Teil mittellosen Doktoranden oder gerade Promovierten Hilfe geboten: die Lehrer setzten sich bei der Universität für den Erlaß von Prüfungsgebühren und Druckauflagen ein, kleine Einkünfte durch Hilfskraftstellen an der KBW wurden ermöglicht und es wird überliefert, daß Panofsky auch zuweilen in die eigene Tasche griff, um bedürftigen Studenten zu helfen. Seminar und KBW wirkten - für einige Doktoranden - sinnstiftend über die Promotion hinaus: durch Arbeits- und Forschungsmöglichkeiten wurde eine Zuflucht vor der Tristesse der großen Akademikerarbeitslosigkeit jener Jahre geschaffen. Ein besonders wichtiger Aspekt war schließlich der an beiden Institutionen herrschende tolerante Geist. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus an den Universitäten waren Seminar und KBW Refugien, an denen „rassische Abstammung" oder religiöses Bekenntnis kein Thema waren. So schreibt Panofsky 1932: „I am lecturing on French art of the 17. and 18. centuries before about 120 people without having been attacked for treason against the country, and almost all the new students studying art history as a
22. Franzsepp Württenberger, Das Ich als Mittelpunkt der Welt. Karlsruhe 1986, S. 245-247. 23. „We treated art history as religion.We were fanatical". Zitat aus: Elizabeth Sears: The Life and Work of William S. Heckscher. Some Petites Perceptions, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 5,1990, H. 1, S. 118.
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Hauptfach who have appeared at Hamburg after my return from New York, are runaways from Munich, the main stronghold of nationalism in art history". 24
Et in Arcadia ego - Ereignisse nach 1929 Auch die nach Panofsky korrekte Interpretation des Satzes als „Selbst in Arkadien gibt es mich" - d. h. den Tod - trifft auf die Hamburger Kunst- und Kulturwissenschaft bis 1933 zu: Sie war ein „vom Tod bedrohtes, gegenwärtiges Glück". 25 1929 gab es das erste einer Serie von Beben, die das wissenschaftliche Arkadien erschütterten und deutlich machten, wie fragil das Gebilde Hamburger Schule war. Da war zunächst der unerwartete Tod Aby Warburgs am 29. Oktober 1929. Der Bibliothek, ja, der ganzen Gemeinschaft um die KBW, war der Mittelpunkt genommen, wenn er auch nicht dauernd sieht- und spürbar gewesen war. Zeitweise war unklar, ob die Familie Warburg die hohen finanziellen Aufwendungen für die KBW weiter tragen würde. Sie tat es, doch brachte das zweite Beben jener Jahre, die Weltwirtschaftskrise, für Kunsthistorisches Seminar und KBW erhebliche Einschränkungen der Mittel. Ebenfalls 1929 waren Befürchtungen aufgekommen, Panofsky könne einem Ruf nach Heidelberg folgen - den lehnte er jedoch ab. In das Dekanat Panofskys 1930/31 fielen bereits massive politische Auseinandersetzungen an der Universität. Panofskys Gastsemester in New York brachte ebenfalls Unruhe ins Seminar - obwohl Fritz Saxl die Vorlesungen übernahm. Der zunehmende politische Einfluß der Nationalsozialisten erhöhte die Befürchtungen Panofskys, als Jude abgesetzt zu werden.26 Es blieb nicht bei den Beben. Aus den Vorahnungen wurde bitterer Ernst. Am 7. April 1933 erließt die vom deutschen Volk gewählte nationalsozialistische Regierung das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Es ermöglichte, was in einem Beamtenstaat wie dem Deutschen Reich bislang undenkbar gewesen war, Beamte zu entlassen und zielte insbesondere auf „nicht-arische" sowie „politisch unzuverlässige" Staatsdiener ab. Das Gesetz hatte im ganzen Reich den Zwangsruhestand oder die Entlassung vieler tausender Beamte zur Folge. Im universitären Bereich wurde die Regelung auch auf alle nichtbeamteten Hochschullehrer angewandt. Die perfide Diktatur hatte mit den Mitteln eines vermeintlichen Rechtes ihr Unrechtssystem durchgesetzt. 24. Erwin Panofsky an Margret Barr am 7. Mai 1932, in: Princeton University Library. Panofsky, Erwin: Letters to Margaret Barr. 25. Zum Entstehungszusammenhang des „Arcadia"-Aufsatzes mit den aktuellen, politischen Ereignissen in jener Zeit siehe Oskar Bätschmanns Ausführungen in diesem Band. 26. „In unserem Universitätle ist auch großer politischer Krach; ich habe mich ziemlich exponiert und werde wohl unter den ersten sein, die bei der endgültigen Regierungsübernahme durch die Idioten gegangen werden". Aus einem Brief Panofskys an Walter Friedlaender vom 2. Juni 1932, in: Nachlaß/ Friedlaender, L e o Baeck Institute N e w York.
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Für die deutschsprachige Kunstwissenschaft waren die nationalsozialistischen Rassegesetze und ihre Folgen personell wie inhaltlich ein schwerer Schlag. Ab 1933 wurden in Deutschland und Osterreich mindestens 270 Kunsthistorikter aus ihren Stellen entlassen oder verloren ihre Arbeitsmöglichkeiten. 42 davon waren Hochschullehrer, darunter vier ordentliche Professoren. Mindestens 233 Kollegen emigrierten, mindestens acht wurden in den Konzentrationslagern ermordet. Die übrigen lebten, zum Teil unter schwierigsten Bedingungen, in der sogenannten „inneren Emigration". Für das Kunsthistorische Seminar und die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, für die ganze Hamburger Gelehrtengemeinschaft, bedeuteten der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft das Ende. Die Fakten sind bekannt: Erwin Panofsky, Fritz Saxl und Edgar Wind wurden im April 1933 beurlaubt und zum Ende des Sommersemesters in den Ruhestand versetzt oder entlassen. Panofsky verließ am 24. Juli 1934 Hamburg endgültig nach New York. Karl von Tolnai, der nicht unter die Rassegesetze fiel, kehrte aufgrund der politischen Lage von einem Paris-Aufenthalt nicht mehr nach Hamburg zurück und bat um seine Entlassung. Die KBW wurde am Ende des Jahres 1933 komplett nach London transferiert, mit ihr gingen Saxl, Bing und Wind. Der brutale Kahlschlag traf auch die benachbarten Fächer: Richard Salomon und Ernst Cassirer wurden zwangsemeritiert, Hans Liebeschütz entlassen, und emigrierten in der Folgezeit. Die Liste ließe sich fortsetzen. Das wissenschaftliche Arkadien war radikal vernichtet worden. Kaum, daß Spuren zurückgeblieben wären. Denn sofort nach seiner Emeritierung wurde Panofskys Lehrstuhl umgewidmet in denjenigen für Uberseegeschichte. Doch eine Spur hielt sich in Hamburg noch einige Jahre: sieben PanofskySaxl-Schüler blieben zurück, da ihre Dissertationen 1933 noch nicht weit genug gediehen waren: Erna Mandowsky, Ursula Hoff, Wilhelm Heckscher, Lotte Brand-Philip, Pia von Reutter, Lise Lotte Möller und Horst Woldemar Janson. Zu ihnen dürfen auch Klaus Hinrichsen und Wolfgang Lötz gerechnet werden, obwohl sie erst 1933 zum Studium nach Hamburg gekommen waren. Mentor dieser im Lauf der Jahre kleiner werdenden Gruppe war Ludwig Heinrich Heydenreich, selbst ein Panofsky-Schüler, Privatdozent und „mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Direktors beauftragt". Unter seiner Anleitung und Protektion gelang es den Doktoranden, sogar ausgesprochen ikonographische oder kunsttheoretische Dissertationsthemen fertigzustellen und promoviert zu werden. Und dies unter schwierigsten Bedingungen: das Hauptarbeitsmittel für solche Themen, die KBW, fehlte, die anregenden Lehrer fehlten und massiven Angriffen von nationalsozialistischer Seite war zu widerstehen.
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Vertriebene Das Emigrationsschicksal von Panofsky, Saxl und den anderen Mitarbeitern der KBW ist bekannt. Was geschah den Schülern? Lotte Brand-Philip wurde nach einer langen, fachfremden Zwischenphase Professorin am Queens College in New York. Edgar Breitenbach, der nach seiner Promotion eine Bibliothekarsausbildung absolviert hatte, landete nach mehreren Stationen beim amerikanischen Geheimdienst, war nach dem Krieg mit wichtigen Aufgaben für die amerikanische Besatzungsregierung in Deutschland betraut und wurde schließlich Abteilungsleiter der Library of Congress in Washington. Hugo Buchthal gelang es, am Warburg Institute, später auch am Institute of Fine Arts der New York University, als Forscher und Hochschullehrer Fuß zu fassen. Er ist einer der bekanntesten Experten für byzantinische Kunst. Ingeborg Fränckel emigrierte mit ihrem Mann, dem Künstler Johannes Auerbach, nach England - wissenschaftliche Spuren sind nicht auffindbar. Lothar Freund floh nach Paris und lebte dort unter erbärmlichsten Bedingungen, ohne sich eine neue Existenz aufbauen zu können. Er wurde wahrscheinlich Opfer der Deportationen der 40er Jahre. William S. Heckscher emigrierte 1936 in die USA und wurde schließlich Hochschullehrer in Iowa, Utrecht, Pittsburgh und an der Duke University. Adelheid Heimann konnte ihre hoffnungsvoll begonnene WissenschaftlerinnenKarriere im Londoner Exil nicht fortsetzen. Sie arbeitete in der Photosammlung des Warburg Institutes und als Kunstkritikerin. Klaus Hinrichsen floh nach England, verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit einer eigenen Firma, beschäftigte sich aber nebenbei in vielfältiger Weise mit Kunst. Ursula Hoff verschlug es über England nach Australien, wo sie schließlich stellvertretende Direktorin der National Gallery of Victoria wurde. Walter Horn, der im Sinne der damaligen Gesetzgebung „Arier" war, Deutschland aber aus Gründen mangelnder politischer Ubereinstimmung .verließ, gelangte auf Umwegen an die University of California in Berkeley, wo er das erste kunsthistorische Department „westlich des Mississippi" auf- und zu einem renommierten Institut ausbaute. Auch Horst Woldemar Janson gelang, als freiwilliger Emigrant, eine große Karriere in den USA: er promovierte an der Harvard University, wurde schließlich Professor am Institute of Fine Arts der New York University und mit seiner Basic History of Art der wohl erfolgreichste kunstgeschichtliche Autor, was Auflagenzahlen anbelangt. Adolf Katzenellenbogen konnte von Freunden und Kollegen im Ausland 1939 in letzter Minute aus dem Konzentrationslager befreit werden und wurde schließlich Professor an der Johns Hopkins University in Baltimore.
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Dorothee Klein konnte nach mehreren Jahren Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie und der Deportation in ein Konzentrationslager im Untergrund überleben. Sie starb jedoch früh an den Gesundheitsschäden dieser Belastungen. Auch Ciaire Lachmann kostete die Ubersiedlung mit ihrem Mann nach Palästina die begonnene, wissenschaftliche Laufbahn. Sie wurde Journalistin, Kunstkritikerin und Dozentin in der Erwachsenenbildung. Annie Mainz emigrierte nach Palästina, wo sich zumindest wissenschaftlich ihre Spur weitgehend verliert. Erna Mandowsky wurde nach vielen Umwegen Hochschullehrerin an verschiedenen englischen und amerikanischen Universitäten und Colleges. Waclaw von Reybekiel, der zugleich eine künstlerische Ausbildung hatte, schaffte den Sprung nach Schweden. Seit den 30er Jahren arbeitete er als freier Künstler, als Kunst- und Kunstgeschichtsdozent in der Erwachsenenbildung sowie als Touristenführer. Zeitweise betrieb er eine eigene Kunstschule in Stockholm. Helen Rosenau, die am Anfang einer vielversprechenden Bauforscherinnenlaufbahn gestanden hatte, deren für das Sommersemester 1933 geplante Habilitation aufgrund der Rassegesetzte unmöglich geworden war, emigrierte nach London, hatte verschiedene Dozentenstellen inne und publizierte zu verschiedenen Themenbereichen. Emmy Rosenbacher fand in Palästina Zuflucht und wurde Mitarbeiterin an der Hebrew Biblical Encyclopaedia. Herta Schubart ging zunächst ins spanische Exil, wo sie in den Bürgerkrieg verwickelt wurde. Über Stationen in Frankreich und England kam sie nach dem Krieg zurück nach Deutschland und wurde Rundfunkredakteurin. Die Themen und Methoden, der Geist der Hamburger Schule, die Freundschaft, Hilfsbreitschaft und das Interesse ihrer Mitglieder aneinander lebten im Exil weiter, wenn auch über die ganze Welt verstreut. Das Warburg Institute in London, aber auch Erwin Panofsky in Princeton, wurden in kurzer Zeit zu inoffiziellen Anlaufstellen für viele aus Deutschland und Österreich vertriebene Kunstwissenschaftler. Zusammen mit den englischen und amerikanischen Hilfsorganisationen für emigrierte Gelehrte haben die selber vertriebenen Mitglieder der Hamburger Schule nach 1933 Enormes geleistet, um Kollegen neue Stellen und Arbeitsfelder zu verschaffen. So endete eine der auf- und anregendsten Epochen der deutschsprachigen Kunstwissenschaft mit ihrer weitgehenden Vernichtung. Uns bleibt, die „rückwärts gewandte Vision eines unübertrefflichen Glückes heraufzubeschwören, das in der Vergangenheit genossen wurde, danach für immer unerreichbar und dennoch in der Erinnerung dauerhaft lebendig blieb..."
Ex nihilo: Panofskys Habilitation Horst Bredekamp
Vorbemerkungen „When I wrote him my first letter, to enquire whether I could study with him, he was not yet,habilitated' but he took me on - at the advice of the university - in a private capacity, to await consummation after his inaugural lecture. So I had the rare privilege of listening to the Probevorlesung of my instructor. It was a highly dialectical exercise, a comparison of Leonardo da Vinci and Michelangelo as artistic types, in which the antitheses exploded like firecrackers (.. ,)". 1 Mit diesen Worten beschrieb Edgar Wind auf Anfrage William S. Heckschers seine erste Begegnung mit Erwin Panofsky. Sie fiel in die Zeit von Panofskys Etablierung an der Hamburger Universität, die durch das Habilitationsverfahren besiegelt wurde. Über die Habilitation selbst ist bislang nichts bekannt, was angesichts der Bedeutung dieses akademischen Ritterschlages, der schließlich eine nicht unwichtige Etappe von Panofskys Laufbahn darstellte, verwundert. Selbst Wind ist in seiner Erinnerung an das Verfahren der Fehler unterlaufen, die Probevorlesung mit der Antrittsvorlesung zu verwechseln. Die Habilitation selbst scheint unwiederbringlich verloren, alle Nachforschungen über den Verbleib des eingereichten Manuskriptes sind ergebnislos verlaufen, und nicht einmal der Titel hat sich zweifelsfrei erschließen lassen. Dafür sind indirekte Zeugnisse aufgetaucht. Karen Michels hat in der Kunsthalle das Gutachten gefunden, das Gustav Pauli, der damalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, als Mitglied der Habilitationskommission verfaßt hat. Daneben hat sie unter den im Staatsarchiv lagernden Fakultätsakten auch eine Reihe von Dokumenten gesichtet, die den formalen Ablauf des Verfahrens betreffen. Da Paulis Gutachten das Zentrum meiner Ausführungen bildet, hätte es statt „ex nihilo" auch heißen können „ex iudicio". 1. Edgar Wind, in: William S. Heckscher, Erwin Panofsky: A Curriculum Vitae, in: ders., Art and Architecture. Studies in Relationship (Hg.: Egon Verheyen), Baden-Baden 1985, S. 339-362, hier: 346.
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Für das Verfahren, einen Gegenstand aus der Begründung eines Urteils zu erschließen, gibt es Vorbilder. Von den Sekten des Mittelalters und den Hexen der frühen Neuzeit wären kaum Nachrichten überliefert, hätten nicht die Protokolle und Urteilssprüche der Inquisitoren ihre Bekenntnisse und Aussagen festgehalten. Bei ihnen müßte es eher heißen: „ex negativo", denn die Gewichte der Urteilsfindung waren in diesen Vorgängen von Beginn an klar verteilt, und zumeist ging es allein um eine nur mühsam objektivierte Bestätigung einer bereits von vornherein feststehenden Verdammung, oft auch unter Folter abgepreßt. Die Texte der Inquisitoren können also nicht für sich genommen werden, sondern sie müssen, und dies macht die hermeneutische Finesse des Umganges mit dieser Spezies aus, „ex post" gegen eine bereits feststehende Verdammung gelesen werden. 2 Bei Gustav Pauli trifft eher das Gegenteil zu. Sein Gutachten könnte mit „ex benevolentia" charakterisiert werden; bei aller abwägenden Betrachtung wird doch deutlich, daß er gegenüber dem Kandidaten von vornherein positiv eingestellt war und daß, will man es gewichten, eher der Sympathievorschuß abgezogen werden muß, auf den Panofsky bei Pauli rechnen konnte. Das Gutachten ist ohne Berücksichtigung der besonderen Beziehung zwischen Pauli und Panofsky kaum zu verstehen. Ihr soll der Beginn der folgenden Ausführungen gewidmet sein. In einem zweiten Teil soll das Gutachten erörtert werden, um die Möglichkeit zu bieten, schließlich in einem dritten Abschnitt die Habilitation aus späteren Schriften zu rekonstruieren.
1. Gustav Pauli und Erwin Panofsky Im Juli 1914 hatte Panofsky bei Wilhelm Vöge in Freiburg mit einer Arbeit über „Die theoretische Kunstlehre Albrecht Dürers" promoviert; ein Teil dieser Schrift kam noch im selben Jahr heraus.3 Im August meldete er sich zwar freiwillig zum Militärdienst, wurde aber nach einem, wie er schrieb, fünftägigen Kampf gegen Wanzen, neue Pferde und Unteroffiziere durch einen Leistenbruch zunächst vom Militär befreit. Bereits promoviert, setzte er sein Studium in Berlin fort und publizierte seine Dissertation in ganzer Länge im folgenden Jahr 1915. 4 Dies könnte ihm die Aufmerksamkeit Aby Warburgs eingebracht haben, der ihn im Dezember 1915 zu einem Treffen mit anderen Goldschmidt-Schülern in die Warburg Bibliothek einlud.5 Bei dieser Gelegenheit hat Pauli, der im Jahr zuvor Direktor der Kunsthalle geworden war, Panofsky kennengelernt. Während dieser im Jahre 1918 erneut 2. Carlo Ginzburg, Der Inquisitor als Anthropologe, in: Freibeuter, 3. Erwin Panofsky, Die theoretische
Kunstlehre
49, 1991, S. 3 - 1 1 , hier: 7
Albrecht Dürers (Dürers Ästhetik), Phil. Diss., Berlin
1914 („zweiter Hauptteil" der gesamten Schrift) 4. E r w i n Panofsky, Dürers
Kunsttheorie,
vornehmlich in ihrem Verhältnis zur Kunsttheorie der
Italiener, Berlin 1915 5. Hans Kauffmann, E r w i n Panofsky, in: Kunstchronik,
21, 1968, S. 2 6 0 - 2 6 6 , hier: 264
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Militärdienst ableistete, wurde im „Repertorium für Kunstwissenschaft" eine mehr als dreißig Seiten umfassende Besprechung der „Dürer-Literatur der letzten drei Jahre" aus der Feder Paulis gedruckt. Sie wirkt im Rückblick, als habe sie den einen Zweck gehabt, das Erstgeburtsrecht am Ruhm Panofskys reklamieren zu können. Pauli berichtet unter anderem über Giehlows grandiose Studie über die „Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance" und Wölfflins große Arbeit über „Dürers Handzeichnungen", der er einen „geläuterten Ausdruck" attestiert, „der in seiner Knappheit und Anschaulichkeit literarischen Wert behält".6 Er beginnt nach einleitenden Bemerkungen aber mit der Dissertation des Zweiundzwanzigjährigen: „Die weitaus wichtigste Veröffentlichung der letzten Jahre über Dürer ist Panofskys Buch über Dürers Kunsttheorie".7 Er freue sich, fährt Pauli fort, „hier einmal - goethisch gesprochen - mit vollen Backen loben zu können. Der Autor brachte für seine Arbeit die erwünschten Gaben des kritischen Scharfsblickes, der klaren Darstellung und einer guten, unter Kunsthistorikern weder verbreiteten noch begehrten mathematischen Schulbildung mit". 8 Der Bericht umfaßt dann sechs Seiten, womit er in der gesamten Besprechung den weitaus größten Raum einnimmt. Neben einer Wiedergabe von Panofskys Text erwähnt Pauli, daß dort „nebenbei" eine Behauptung Wölfflins widerlegt worden sei;9 sofort also wird Panofsky zum Zeugen einer Frontstellung von Hamburg gegen München, die Pauli wohl schärfer betont hat als Warburg es möglicherweise getan hätte.10 In anderem Zusammenhang heißt es wie eine Kurzfassung des hanseatisch - skeptischen, aber auch neokantischen Credo: „Anders als im modernen Wortsinn und anders als bei Wölfflin und Müller, die unter, Kunst' (hier) die absolute Schönheit verstehen wollen, wird unter Hinweis auf den Sprachgebrauch zu Dürers Zeit,Kunst' als »Kenntnis' (d.h. der schönen und richtigen Form) erklärt".11 Pauli hatte offenbar instinktiv erkannt, daß Panofsky alle Voraussetzungen bot, eine zukünftige Hamburger Kunstgeschichte zu stärken. In der ersten Gründungswelle der Disziplinen der philosophischen Fakultät war die Kunstgeschichte zunächst nicht berücksichtigt worden; inzwischen aber wurde die Aktivität eines Kunstgeschichtlichen Seminares schmerzlich vermißt. Pauli begann ab Sommersemester 1919 Lehrveranstaltungen abzuhalten, ebenso wie Richard Stettiner, Museumsmann und Denkmalpfleger, und Max Sauerlandt, Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe. 1920 kam dann Otto Lauffer, 6. Gustav Pauli, die Dürer-Literatur der letzten drei Jahre, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, X L I , N . F . V I , 1918, S. 1 - 3 4 , hier: 25 7. Ebd., S. 2 8. Ebd. 9. Ebd., S. 2f 10. Martin Warnke, Warburg und Wölfflin, in: Aby Warburg. Akten des internationalen Symposions Hamburg 1990 (Hg.: Horst Bredekamp, Michael Diers, Charlotte Schoell-Glass),Weinheim 1991, S. 7 9 - 8 6 11. Pauli, Dürer Literatur (s. Anm. 6), S. 6
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Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte hinzu, der ab 1919 den Lehrstuhl für Volkskunde bekleidete. Diese von externer Seite erbrachten Angebote konnten trotz allen Einsatzes einen ordentlichen Lehrbetrieb natürlich nicht ersetzen, und so beantragte der studentische Fakultätsausschuß der Universität im August 1919 die Anstellung einer kunstgeschichtlichen Lehrkraft.12 Im November stellte daraufhin der frühere Darmstädter Privatdozent Damman einen Antrag auf Habilitation.13 Das Habilitationsgesuch wurde aber offenbar nicht mit viel Vertrauen begleitet, denn schon eine Woche später erhielt Lauffer den Auftrag, gemeinsam mit Stettiner und Sauerlandt nach einem auswärtigen Dozenten Ausschau zu halten.14 Vermutlich stellte aber Pauli, der in die Habilitationskommission Damman gewählt worden war, die Weichen. Knapp sechs Wochen später, am letzten Tag des Jahres 1919, fragte er brieflich bei Panofsky an, ob er „gegen ein angemessenes Honorar hier Vorlesungen über Kunstgeschichte" halten würde.15 Bereits eine Woche darauf mußte er sein Angebot einschränken: da die Stadt kein Geld habe, könnten die etwaigen Vorlesungen auch nicht entlohnt werden. Sei es als ein Akt der Wiedergutmachung oder sei es, was wahrscheinlicher ist, als ein Schritt in einer längerfristig angelegten Strategie, konnte er aber etwas anderes anbieten. Pauli war offenbar zur Kenntnis gekommen, daß Panofsky an einer Habilitationsschrift saß, die er in Tübingen einzureichen beabsichtigte. Nun versuchte Pauli, das Verfahren nach Hamburg umzupolen: „Ihnen (wird) anheimgestellt, sich zu Ihrer Habilitation in derselben Form wie in Tübingen zu betragen". Und dann kommt der entscheidende Satz: „Es würde mich sehr freuen, wenn es gelingen sollte, Sie nach Hamburg zu ziehen".16 Das Timing dieser Briefe ist insofern nicht ohne Pikanterie, als vier Tage später das Habilitationsgesuch Dammans abgelehnt wurde, offenbar, weil er keine besondere Schrift vorgelegt hatte und sich allein kumulativ hatte habilitieren wollen, ohne daß die Schriften ausgereicht hätten.17 Ob die Aussicht auf einen offenbar besseren Kandidaten für den zukünftigen Lehrbetrieb bei der Ablehnung mitgespielt hat, kann nicht mehr geklärt werden. Panofsky jedenfalls war gewarnt. Er erhielt nun zwar einen offiziellen Brief vom Dekan der philosophischen Fakultät, dem Historiker Max Lenz, daß er sich in Hamburg habilitieren möge und daß die Aussicht bestünde, einen später dort einzurichtenden Lehrstuhl zu besetzen. Bevor er sich entschied, beriet er sich aber mit dem Berliner Kommilitonen Hans Kauffmann, um sich über „Stimmungslagen
12. 13. 14. 15. 16. 17.
Protokolle, 4. 8. 1919 Protokolle, 15. 11. 1919 Protokolle, 22. 11. 1919 Nachlaß, Brief vom 31. 12. 1919 Nachlaß, Brief vom 6. 2. 1920 Protokolle, 10. 1. 1920
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an deutschen Universitäten zu informieren". 18 Als er schließlich zum 13. März 1920 - offenbar kurzentschlossen, sein Gesuch ist ein Nachtrag zur Tagesordnung - sein Habilitationsgesuch vorlegte, reichte er nicht nur seine bisherigen Publikationen, sondern auch den Torso einer Habilitationsschrift ein. In die Kommission wurden Dekan Lenz als Vorsitzender sowie neben Lauffer und Pauli auch der Philosoph Cassirer gewählt. Offenbar waren sich die Kommissionsmitglieder entweder von vornherein einig, oder sie haben sich innerhalb einer Woche eine einhellige Meinung gebildet - oder Pauli war ein Hasardeur. Jedenfalls ermunterte er Panofsky genau eine Woche nach jener Fakultätssitzung, in der die Kommission festgesetzt worden war, „vertraulich, die in Aussicht genommene Wohnung (in Hamburg) zu nehmen". 19 Wieder drei Wochen später, am 10. Mai 1920, schickte er sein Gutachten an den Kommissionsvorsitzenden Lenz. O b hier nun wieder eine Strategie waltete - ähnliches soll vorgekommen sein oder nicht: jedenfalls fügte sich, daß Lauffer, der ja selbst kunstgeschichtliche Vorlesungen hielt und ein hohes Interesse an der Gewinnung eines habilitierten Kunsthistorikers hatte, am 5. Juni sein Dekanat antrat. Schon am 19. Juni legte die Habilitationskommission ihren Bericht vor, und das Gesuch wurde sofort genehmigt. Immerhin war Panofsky noch unbekannt genug, daß sein Name im Protokoll statt mit „f" mit „w" und am Ende statt des „y" mit einem „i" auftaucht, also in jener Schreibweise, in der ihn 1927 auch Hugo von Hofmannsthal ansprechen wird, als er Walter Benjamin an die Warburg-Bibliothek vermitteln wollte. 20 Panofsky, der akribische Philologe, wird hierdurch nicht eben positiv angesprochen gewesen sein. 21 Als Tag der Probevorlesung wurde der 3. Juli festgesetzt; erst am 26. 6. aber bestimmte die Fakultät das Thema: „Die Entwicklung der Proportionslehre als Abbild der allgemeinen Stilentwicklung" . 2 2 Nach Panofskys Vorlesung am 3. 7. war es wieder Pauli, der die Diskussion eröffnete, die dann von dem Philosophen Stern 23 und Lauffer fortgeführt wurde. Danach wurde Panofsky die Venia legendi erteilt. Er war Privatdozent: mit Lehrverpflichtung, aber ohne Einkommen.
18. Kauffmann (s. A n m . 5), S. 264 19. Nachlaß, Brief vom 20. 3. 1920 2 0 . Momme Brodersen, „Wenn Ihnen die Arbeit des Interesses wert e r s c h e i n t . . . " Walter Benjamin und das Warburg-Institut: einige Dokumente, in: Akten
(s. A n m . 10), S. 8 7 - 9 4 , hier: 91
2 1 . Das Endungs-„i" hat ihm im übrigen noch lange nachgehangen; als Benjamin seinen Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit" im Pariser Exil unter anderem mit Hilfe der „Perspektive als symbolische F o r m " verteidigt, schreibt er ihn immer noch in der Art, die Hofmannsthal vorgegeben hatte (Chryssoula Kambas, Walter Benjamin von Literaturpolitik
und Ästhetik,
im Exil. Zum
Verhältnis
Tübingen 1983, S. 176).
22. Protokolle, 26. 6. 1920. Im Jahr darauf gedruckt: Erwin Panofsky, Die Entwicklung der Proportionslehre als Abbild der Stilentwicklung, in: Monatshefte
für Kunstwissenschaft,
Bd. XIV,
1921, S. 1 8 8 - 2 1 9 23. W. Weygandt, Die Universität Psychologe aufgeführt.
Hamburg
in "Wort und Bild, Hamburg 1927, S. 90. Dort auch als
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Die weiteren Fakultätsprotokolle zeigen, daß Panofsky nun wirklich in Hamburg angekommen ist. Seine erste Äußerung in der Fakultät am 23. Oktober 1920 bezieht sich darauf, daß mehr Mittel für Lichtbilder zur Verfügung gestellt werden müßten.24 Am 10. November hält er seine Antrittsvorlesung: „Michel Angelo und Lionardo. Ein Gegensatz der künstlerischen Weltanschauung",25 aber dies berührt seinen Antrag auf Diamittel nicht. Wie ihm zunächst eine Vergütung seiner Lehrtätigkeit in Aussicht gestellt worden war, diese dann aber in die Ehre der Habilitation verwandelt wurde, so wird der Antrag auf Geld für Lichtbilder abgelehnt, aber dafür erhält er den immateriellen Lohn, im Fakultätsprotokoll erstmals richtig geschrieben zu sein.26 Als er jedoch im Januar 1921 mitteilt, daß er einen Ruf an die Universität Dorpat erhalten habe, wird er wieder mit dem kreischenden „i" am Ende seines Namens festgehalten.27 Desungeachtet ruft die Aussicht, den frisch gewonnenen Panofsky gleich wieder zu verlieren, erneut Pauli auf den Plan. Er wendet sich an den Universitätsgründer Werner von Melle, um ihn dazu zu bewegen, Panofsky angemessene Räumlichkeiten zu verschaffen, ihm ein erstes Salär zu gewähren und nach einer gewissen Probezeit ein Ordinariat in Aussicht zu stellen: um „eine auch außerhalb Hamburgs geschätzte Kraft, die ganz allgemein als eine der tüchtigsten des jüngeren kunsthistorischen Nachwuchses angesehen wird, hier zu fesseln".28 Er selbst tut das seinige, indem er das Kunstgeschichtliche Seminar in der Kunsthalle aufnimmt.29 Im Juni 1921 wird Panofsky die Leitung des Seminares übertragen,30 am 29. 10 erhält er die Prüfungserlaubnis und wird damit de facto zum Ordinarius für Kunstgeschichte, aber immer noch ohne Gehalt, so daß die Fakultät am 13. Mai 1922 ein Einkommen zumindest als „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter"31 und am 17. Juni die Besoldung eines Lehrauftrages beantragt.32 Im selben Zeitraum schreibt Pauli wieder an den Universitätsrektor, Panofsky sei ein „tüchtiger und gründlicher Gelehrter, vortrefflicher Lehrer", um den Antrag zu unterstützen.33 Tatsächlich erhält Panofsky das Hilfsarbeitergehalt wie auch einen besoldeten Lehrauftrag. Da ihm eher ein Status als Privatgelehrter vorgeschwebt hatte, der durch die inflationsbedingte Vernichtung des elterlichen Vermögens aber unmöglich geworden war, werden ihm all diese Vorgänge zuwider gewesen sein. Als er seine Würdigung Wölfflins anläßlich von dessen sechzigstem Geburtstag fast bewun24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.
Protokolle, 23. 10. 1920 Vgl. Wind (s. Anm. 1) Protokolle, 20. 11. 1920 Protokolle, 22. 1. 1921 Protokolle, 19. 11. 1920 Protokolle, März 1921 Protokolle, 26. 6. 1921 Protokolle, 29. 10. 1922 Protokolle, 17. 6. 1922 Protokolle, 3. 6. 1922
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dernd damit schließt, daß der Münchner Gelehrte, der sich kurz zuvor von seiner umfeierten Lehrtätigkeit zurückgezogen hatte, gezeigt habe, „daß er an sich selbst genug hat", 3 4 so wird der zunächst unerfüllbare Wunsch, es ihm gleichzutun, mitgeschwungen haben. 1925 wird dann aber das Ordinariat für Kunstgeschichte bewilligt, das zum 1.1.1926 mit Panofsky besetzt wird. Damit ist eine fast zehn Jahre währende Aktivität Paulis zugunsten von Panofsky zu einem Abschluß gekommen. 35 In ihr bestätigt sich, was Karen Michels bereits in anderem Zusammenhang angemerkt hat: 36 Offenbar war Pauli die treibende und auch entscheidende Kraft, Panofsky nach Hamburg zu holen. Er hatte Panofskys überragendes Talent sehr früh erkannt, er wollte ihn von Beginn an nach Hamburg ziehen, und er setzte alles daran, ihn dort auch, wie er schrieb, zu „fesseln". Um so schmerzlicher wurde der erzwungene Abschied. Schon im Sommer 1932 hielt Panofsky „den Sieg der allgemeinen Barbarei für entschieden", und er war sich klar, daß er „bei der endgültigen Regierungsübernahme durch die Idioten" „unter den ersten sein" würde, die „gegangen werden". 3 7 Er flüchtet „vor Hakenkreuz und Kunstgeschichte" nach Bornholm und arbeitet an „Et ego in Arcadia". 38 Vom Schiff nach Amerika schreibt er am 24. Januar 1933 zum Geburtstag von Pauli, dieser möge sich wegen der Lage nicht aus der Bahn werfen lassen, denn: das Übel „wird ja nicht immer akut sein; und während die Wanzen vergänglich sind, sind die Empfindungen und Wünsche Ihrer Freunde unveränderlich". 39 Pauli war als Sohn eines Bremer Bürgermeisters ein durchaus konservativer Hanseat, 40 der sich aber kompromißlos für die moderne Kunst einsetzte und aus diesem Grund von den Nationalsozialisten in den Ruhestand versetzt wurde. 41 Für Heckscher erschien er
34. Erwin Panofsky, Heinrich Wölfflin (zu seinem 60. Geburtstag am 21. Juni 1924), in: ders.: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft (Hg.: Hariolf Oberer u. Egon Verheyen), Berlin 1980, S. 4 5 - 4 8 , hier: 48 35. In seinen „Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten" bezeichnet er ihn als eine „hervorragende Lehrkraft für Kunstgeschichte" (Gustav Pauli, Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten, Tübingen 1931, S. 341), zu der er „die angenehmsten Beziehungen" gehabt habe (S. 348). 36. Karen Michels, Erwin Panofsky und das Kunsthistorische Seminar, in: Arno Herzig (Hg.), Die Juden in Hamburg 1590 bis 1990: Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg" (= Die Geschichte der Juden in Hamburg 1590-1990, Bd. 2), Hamburg 1991, S. 3 8 3 - 3 9 2 ; vgl. auch: Lise Lotte Möller, Erwin Panofsky, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, 14/15, 1970, S. 7 - 2 0 , hier: 9 37. Leo Baeck Institute, New York, Nachlaß Walter Friedländer, Brief an Walter Friedländer vom 2. 6. 1932 38. Exzerpt Karen Michels, Sommer 1932. Siehe dazu den Beitrag von Oskar Bätschmann in diesem Band. 39. Nachlaß, Brief vom 24. 1. 1933 40. Bei dem sich bisweilen betont deutsche Töne finden (Gustav Pauli, Die Kunsthalle zu Hamburg 1914-1924, Hamburg 1925, S. 5). 41. Charles deTolnay, Erinnerungen an Gustav Pauli und an meine Hamburger Jahre, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, 19, 1974, S. 7 - 1 2 , hier: 12
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im Rückblick als die „Inkarnation hanseatischer Noblesse", 4 2 und dasselbe wird für Panofsky gegolten haben. In der unermüdlichen Betonung der autoritären und obrigkeitshörigen Züge der Deutschen ist das Bewußtsein dafür verlorengegangen, daß sich die Bezeichnung „deutsch" auf das Gegenteil dessen beziehen konnte, was die deutschnationale Inbesitznahme daraus gemacht hat. Man wird sich dies vergegenwärtigen müssen, um Panofskys im April 1933 aus New York an Pauli gerichtete Äußerung zu verstehen, dieser sei das Symbol eines „deutschesten Deutschland"; mit diesem durch Pauli verkörperten Land sei er „so tief verwachsen, daß eine Trennung sehr ans Leben gehen würde, und nicht nur im Sinne der ,Kultur' (die wichtig ist, aber doch nur im Sinne des Akzidens), sondern gerade auch im Sinne des Gefühls". 4 3 Nochmals nach Hamburg zurückgekehrt, schreibt er im November 1933 an Walter Friedländer, daß seine Freunde noch zu ihm stehen: „Der alte Pauli und der in meinem Haus wohnende Philologe Snell haben den Mut gehabt, für mich in einem hiesigen Privathaus einen Zyklus von 6 ,ikonographischen' Vorträgen zu arrangieren und ganz offiziell dazu einzuladen und das hat mir - von einer kleinen Einnahme abgesehen - wirklich Spaß gemacht. Ich hatte nie ein so gutes Publikum, 60-70 Leute ( . . . ) , der Mathematiker Hecke, der eigentlich unser bester Freund hier am Ort ist, der alte Stadtbaumeister Schumacher, die beiden klass. Philologen, der Anglist ( . . . ) , allerlei ehemalige Schüler und etwas höhere Kaufmannschaft. Zum Schluß hielt der alte Pauli eine richtige Leichenrede, die das versammelte Volk richtig rührte (mich sogar auch), und dann waren die ,Allernettesten' noch bei uns zu einer kleinen Abschiedsfeier zusammen". 4 4
2. Das Habilitationsgutachten In der Beziehung zwischen Pauli und Panofsky nimmt das Gutachten über die Habilitation insofern die Schlüsselstellung ein, als sie erst die Möglichkeit bot, um Panofsky, wie Pauli sich später ausdrückte, an Hamburg „zu fesseln". Es beginnt mit einer Aufzählung der von Panofsky bis dato publizierten und auch eingereichten Schriften. Dann geht Pauli auf die gesondert eingereichte Habilitationsschrift ein. Es handelt sich um einen Torso: Nur zwei von drei Kapiteln („Abschnitten"). Insgesamt aber ist das Eingereichte als für die Erteilung der Venia legendi „als hinreichend anzusehen". 4 5 Den Titel der Schrift nennt Pauli nicht, aber aus seiner ersten, grundsätzlichen Würdigung geht bereits hervor, daß Michelangelo das Thema war. Zunächst 42. Heckscher (s. Anm. 1), S. 346 (10) 43. Nachlaß, Brief vom 12. 4. 1933; abgedr. in: Hanna Hohl, Saturn Melancholie Genie. Erwin Panofsky zu Ehren (Hg.: Uwe M. Schneede), Ausstellungskat., Hamburg 1992, S. 60f, hier: 60 44. Leo Baeck Institute, New York, Nachlaß Walter Friedländer, Brief vom 30. 9. 1933 45. Gutachten, [2]
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paraphrasiert er aus der Einleitung, „daß es sich in diesem Falle nicht sowohl um eine genetische Untersuchung der Kunst Michelangelos handele oder um eine Erörterung ihrer Auswirkung, als um eine Charakterisierung ihres Wesens, ihrer formalen und geistigen Eigentümlichkeiten". 46 Daß hiermit aber keine hermetische Fixierung gemeint ist, wird wenig später deutlich: „Die Eigentümlichkeit Michelangelos wird hier durch eingehende Vergleichung mit jenen Meistern veranschaulicht, die im Verhältnis der Gebenden oder Empfangenden ihm nahe gestanden haben", 47 und dies schließt das gesamte Instrumentarium der bis in die Antike zurückreichenden Rezeptionsgeschichte mit ein; neben der Kunst Raphaels „Motive anderer Meister, namentlich Donatellos, Quercias, Signorellis und der Antike, die wiederum von Michelangelo aufgegriffen und abgewandelt worden sind". 48 Pauli hat einige Probleme, hier positive Worte zu finden, denn: „die meisten dieser Beziehungen waren bekannt; eine mehrfach erörterte zwischen Donatellos sitzendem Johannes im Florentiner Dom und Michelangelos Moses bleibt auffallenderweise unberührt". 49 Als originellen Beitrag wertet er den Nachweis einer Wirkung von Signorellis Orvietaner Fresken auf Michelangelos Zeichnungen; 50 das Ergebnis erscheint aber so schmal, daß Pauli dem gesamten ersten Teil „nicht ein wesentliches Verdienst der Arbeit" zuzuerkennen mag. 51 Um so ausführlicher geht er auf den zweiten Teil des ersten Kapitels ein, der „in einer Antithese der Körpergestaltung durch Raphael und Michelangelo" gipfelt. 52 Leider gibt Pauli nirgends Beispiele; in seiner sehr summarischen Darstellung mag auch eine gewisse Enttäuschung mitgeschwungen haben, denn was er zu referieren hat, klingt den verwendeten Begriffen nach eher münchnerisch denn hanseatisch. Panofsky hatte sich, wie erwähnt, kritisch zu Wölfflin geäußert, dann aber hatte er in seinem 1919 publizierten Aufsatz zur Scala Regia des Vatikan mit Wölfflinschen Kategorien operiert, 53 und auch jetzt nutzt er Wölfflins im Jahre 1915 in den „kunstgeschichtlichen Grundbegriffen" entwickelten Gegensatzpaare von offen und geschlossen, Fläche und Tiefe. 54 Hans Kauffmann hat die Habilitationsschrift offenbar gelesen; er charakterisiert sie in seinem Nachruf auf Panofsky bezeichnenderweise als „Michelangelostudien - nach heutiger Terminologie eine Art Strukturforschung in Wölfflinscher Konfrontation mit Raphael". 55 Paulis Gutach46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53.
Gutachten, [3] Ebd. Gutachten, [4] Ebd. Ebd. Ebd. Gutachten, [5] Erwin Panofsky, Die Scala Regia im Vatikan und die Kunstanschauungen Berninis, in: Jahrbuch
Preußischen Kunstsammlungen, 40, 1919, S. 241-278 54. Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. neueren Kunst, München 1915 55. Kauffmann (s. Anm. 5), S. 264
Das Problem
der Stilentwicklung
der
in der
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ten zufolge erkennt Panofsky in den Figuren Raphaels „eine freie um eine Mittellinie ausschwingende Formgebung", also eine in Wölfflinscher Terminologie offene Form, während Michelangelos Figuren, im Einklang mit Wölfflins Begriff der geschlossenen Form, in ihrem immanenten „Bewegungsdrang durch die unsichtbaren Ebenen einer kubischen Begrenzung gehemmt" 56 werden. Daraus ergibt sich „ein von innen her spannungsvoll aufgebautes „Formleben", das „in einem sehr fühlbaren Kampfe mit den konstitutiven Ebenen der Begrenzung besteht". 57 Hier ist ein entscheidendes Kriterium angesprochen: das innere, nach außen drängende Formleben, das durch äußere Verblockung gebremst wird. Aus dieser von innen her aufgespannten Begrenzung ergibt sich dann auch die „Einansichtigkeit" der Skulpturen Michelangelos, was allerdings nicht bedeute, daß diese keine Tiefe besäßen. 58 Aus all dem resultiert eine historische Bestimmung der Rolle Michelangelos. Während „die Frührenaissance die unbewußte Freiheit von der Regel darstellte, die Hochrenaissance die bewußte harmonische Norm und das Barock ihre bewußte Negierung", ist Michelangelo nicht einzuordnen - er tritt nicht als ein „Vater" des Barock auf, sondern als dessen unabhängiger „Bruder". 59 Diese Bestimmung wird im zweiten Kapitel unter anderen Vorzeichen nochmals abgewickelt. Es geht zunächst um nichts geringeres als einen Vergleich zwischen „der Stellung des Menschen zum Weltganzen in den klassischen Perioden der Antike[n] und der Renaissance mit der des Mittelalters". 60 In der Antike seien Körper und Seele des Menschen als ungeschiedene Einheit erachtet worden, der Mensch sei durch „Autonomie" gekennzeichnet. Im Mittelalter habe dagegen die „Heteronomie" gesiegt; Körper und Seele hätten sich getrennt. In der Renaissance dann sei für einen Moment lang die Entzweiung wieder aufgehoben worden: „eine aus körperlich natürlichem und seelischem Wesen harmonisch verbundene Persönlichkeit" . Diese Synthese sei in der Spätrenaissance aber in einen neuen Dualismus auseinandergebrochen, „der innerhalb des Seelenlebens eine höhere Seele von der niederen körperverwandten Vitalität scheide". 61 Wie Pauli einräumt, wird diese Entwicklung nur summarisch referiert; erst mit der „Anwendung auf die bildende Kunst, namentlich zur Deutung der Formgebung des Barock und Michelangelos (wird) Neues beigetragen". 62 Das Zwiespältige barocker Kunstwerke, ganz von Gefühl, aber zugleich auch stark von einer sehr äußerlichen Rhetorik bestimmt zu sein, entsteht aus „jenem Antagonismus eines höheren und niederen Seelenlebens". Der barocke Künstler bedarf also einer 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62.
Gutachten, [5] Ebd. Ebd. Ebd. Gutachten, [6] Gutachten, [7] Ebd.
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„äußeren Motivierung", die er „sogar besonders lebhaft hervorhebt": 63 also, so ist zu vermuten, Anstöße wie Martyrien, Erleuchtungen oder Engelspfeilen wie bei der Hl. Theresa Berninis. Bei Michelangelo dagegen ist es umgekehrt: Bei ihm ist der Konflikt innerlich motiviert, „in der Psyche der Dargestellten wurzelnd". 64 Ohne daß Pauli dies expliziert, wird in seinem Bericht sichtbar, daß Panofskys Epochen-Konstrukt zwar etwas Mechanisches an sich hat, daß es aber mit höchster Finesse aufgebaut ist. Denn im zweiten Kapitel klärt sich auf formpsychologischer Ebene, was zuvor der Anwendung Wölfflinscher, form immanenter Begriffspaare entsprungen zu sein schien. Panofskys im ersten Kapitel getroffene Beobachtung, daß die Figuren Michelangelos aus innerer Motorik angetrieben werden und an äußere Grenzen stoßen, wird nun psychomotorisch bestätigt. Und zugleich wird bekräftigt, daß Michelangelo nicht Vorläufer, sondern Bruder des Barock sei, weil die Motorik seiner Figuren eine innere und nicht etwa eine äußerlich angestoßene sei. Wenn Panofsky schließlich an Hand von Michelangelos Hauptwerken ausführt, daß bei seinen frühen Werken noch ein äußerliches Motiv vorhanden sei, während dies „später ganz wegfällt", 65 so wäre vielleicht an den Kontrast zwischen dem David zu denken, der als florentinischer Stadtpatron eine eminent politische Bedeutung besitzt, und der Pietà Rondanini, bei der bis heute noch nicht einmal geklärt ist, welche und wieviele Personen skulptiert worden sind. Das inhaltliche Referat der Habilitation ist damit abgeschlossen. Pauli weist noch darauf hin, daß das dritte Kapitel der Arbeit nicht eingereicht worden sei, die Arbeit auch in Fragmentform aber „richtig", „fruchtbar" und gut komponiert erscheine, die Methode als „gründlich und genau anzuerkennen" sei und daß der Autor über eine beeindruckend knappe Sprache verfüge. Trotz Paulis Kritik an manchen zu überzogenen Deutungen und an manchen Auslassungen kommt er zum Schluß, daß die Arbeit „jenen Ansprüchen vollauf genügt, die die Fakultät stellen muß". 6 6 Versuchen wir ein Gutachten des Gutachtens. Angesichts des abstrakten Entwicklungsschemas und der partiellen Verwendung Wölfflinscher Kategorien hat Pauli offenbar Probleme, seine grundsätzlich positive Meinung über Panofsky mit ebenso „vollen Backen" zu posaunen wie er es bei der Dissertation getan hatte. Wir spüren den Hauch des „ex benevolentia", aber dennoch bleibt nie ein Zweifel an Paulis grundsätzlich positiver Bewertung von Panofskys Habilitationsschrift. Hinsichtlich des sachlichen Gehaltes ist festzuhalten, daß Panofsky ein bis zum Barock gültiges Entwicklungsschema zu begründen versucht, als dessen Motor, aber auch Querschläger Michelangelo auftritt. Er ist ein Künstler des Konfliktes. 63. 64. 65. 66.
Ebd. Ebd. Ebd. Gutachten, [9f]. Es folgt schließlich eine summarische Würdigung der Eigenschaft Panofskys als Lehrer sowie seiner bereits publizierten Schriften [11].
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Seine Formen sind nicht, wie die Raphaels, malerisch und ausgreifend, sondern plastisch und konzentriert; sie stoßen an von innen erzeugte und nicht etwa von außen gesetzte Grenzen. Die Einspannung in kubische Umgrenzungen bedingt, daß sie sich rechtwinklig und nicht etwa durch diagonale Verkürzungen in die Tiefe erstrecken. Und schließlich sind sie in ihrer Motorik nicht durch äußere Anlässe, sondern durch innere Spannungen angetrieben.
3. Habilitationssplitter Daß Habilitationsschriften nicht gedruckt, sondern als Steinbrüche für spätere Arbeiten genutzt werden, ist nicht selten. Da sich Panofsky in den zwei Jahren nach der Habilitation insgesamt fünfmal, in drei aufwendigen Rezensionen zur jüngeren Michelangelo-Literatur, in zwei schmalen Heften zur Sixtina-Decke und zu Handzeichnungen Michelangelos geäußert hat, soll daher zum Abschluß gefragt werden, ob sich Spuren der Habilitation in diesen Schriften der Jahre 1921 bis 23 finden lassen. Wir werden sofort fündig. Was Pauli als ein Verdienst des ersten Kapitels genannt hatte, die Ableitung der Michelangelo zugeschriebenen Oxforder Zeichnung kämpfender Männer von einem Motiv der Signorelli-Fresken in Orvieto, erscheint groß aufgemacht in der Sammelbesprechung von 1923.67 Dasselbe gilt für sämtliche Kategorien des zweiten Kapitels. Die Entgegensetzung von malerisch und plastisch bestimmt Panofskys kleines Heft über die Decke der Sixtina von Beginn an. Die gemalte Architektur wirkt für ihn „weniger im Sinne einer malerischen Raumerweiterung, als einer plastischen Raumverengerung":68 sie reißt für ihn nicht illusionär auf, sondern sie zwingt sich zu einer Art Pulsieren zwischen Expansion und Zusammenziehung. Hierin liegt auch der in der Habilitation entwickelte Begriff der von Michelangelo entwickelten „rechtwinkligen" Formen. In der ausgeführten Fassung fallen gegenüber den früheren Entwürfen alle schwingenden und konkaven Linien weg: „die Sitzfiguren sind nicht mehr in konkaven Nischen untergebracht, sondern vor planer Wand, zwischen rechtwinklig zugeschnittenen Vorlagen". Dadurch „tritt der gekrümmten und ausgezackten Form des ursprünglichen Gewölbes ein rektanguläres Koordinatensystem gegenüber, das dennoch durch den Wechsel schmaler und breiter Kompartimente ein kräftiges und rhythmisches Leben erhält".69 67. Karl Frey, Die Handzeichnungen Michelangelos Buonarotti, 3 Bde., Berlin 1909-11, Nr. 76, 157; Erwin Panofsky, Die Michelangelo-Literatur seit 1914, in: Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. I (XV), 1921/22, IV. Heft, S. 1-64, hier: S. 5f. Die Zeichnung gehört nicht mehr zum Oeuvre Michelangelos, sondern Daniele da Volterras: Alexander Perrig, Michelangelo's Drawings. The Science of Attribution, New Haven/London 1990, S. 103ff, 146, Anm. 14 68. Erwin Panofsky, Die Sixtinische Decke, Leipzig 1921, S. 6 69. Ebd., S. 5
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Eine solch gebundene, in sich vor Leben aber geradezu pulsierende Form definiert für Panofsky das Plastische schlechthin; in seiner 1921 verfaßten Rezension von Dagobert Freys Studien über die Architektur Michelangelos heißt es: „Die Mauermasse wird nicht mehr als passiv-bildsam, sondern als aktiv-lebendig aufgefaßt, erscheint nicht mehr durch Aushöhlung und Knetung, sondern durch ihre eigene Expansion und Kontraktion geformt". 70 Dies ist mehr als ein expressionstischer Vitalismus. Panofsky erweist sich, dem Begriffssystem der Habilitation entsprechend, sowohl als Monadologe wie auch als Formdialektiker. Das Monadologische bestimmt auch die Bipolarität von malerisch und plastisch. Ist Correggio „der extrem malerisch empfindene Künstler, der jede Form am liebsten ganz in Licht und Luft zergehen lassen möchte (...) und ihr gewissermaßen nur notgedrungen einen Rest von Substanzialität belassen muß, so ist Michelangelo (...) der extrem plastisch empfindende Künstler, der jede Form am liebsten völlig isolieren möchte und sie gewissermaßen nur notgedrungen (durch Beleuchtung und Beschattung) mit dem Freiraum in Verbindung setzen muß". 71 In diesem monadologisch auf sich fixierten Gegenstand wirkt zugleich eine dialektische, spannungsvolle Motorik, die nicht von außen, mechanisch, injiziert ist, sondern von innen aufzubrechen droht, „in der Psyche der Dargestellten wurzelnd", wie es Pauli zufolge in der Habilitation heißt. So ist für Panofsky, in bewußter Auseinandersetzung mit Freuds anonym vorgelegter Analyse, die Muskelanspannung des rechten Armes des Moses nicht etwa durch das äußere Abgleiten der Gesetzestafeln motiviert. Es ist vielmehr, wie er in der Rezension von 1923 schreibt, „ein Grundgesetz der michelangelesken Kunstauffassung, daß jeder Bewegungswille spontan und ohne äußere Begründung eine mit ihm in Konflikt tretende Gegentendenz erzeugt, wie umgekehrt jedem Ruhebedürfnis ein ebenso ursachenloser Bewegungsdrang entgegenwirkt". 72 Panofsky beeindruckt an den Formen Michelangelos, was diese an innerer Spannung fassen und aushalten, ohne daß ihnen Grenzen oder Anstöße von außen gegeben würden: „Nicht als ummanteltes Raumstück, sondern als plastisch ausgestaltetes Stück Materie", 73 in der sich ein „Kräftekonflikt" 74 abspielt. Diese Grundannahme erläutert alle in der Habilitation entwickelten Gegensatzpaare, und so auch die rätselhafte Auffassung, Michelangelo habe auf „Einansichtigkeit" hin gearbeitet. Sie entsteht aus eben dieser Beobachtung, daß „der Tendenz 70. Erwin Panofsky, Bemerkungen zu Dagobert Frey's „Michelangelostudien", in: Monatshefte für Baukunst und Städebau, Bd.V, 1920/21, Archiv für Geschichte und Ästhetik der Architektur (Hg.: Paul Zucker), S. 35-45, hier: 42 71. Panofsky, Michelangelo-Literatur (s. Anm. 67), S. 40, Vgl. Erwin Panofsky, Handzeichnungen Michelangelos, Leipzig 1922, S. 6 72. Panofsky, Michelangelo-Literatur (s. Anm. 67), S. 33. Vgl. Panofsky, Handzeichnungen (s. Anm. 71), S. 5 73. Panofsky, Bemerkungen (s. Anm. 70), S. 41 74. Ebd., S. 42
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zur dreidimensionalen Expansion eine ebenso starke Tendenz zur Einbindung in die Ebene begegnet".75 (Ich bin grundlegend anderer Auffassung, aber aus denselben Gründen, mit denen Panofsky zur relativen Flächigkeit der Figuren Michelangelos gelangt. Es sind gerade die inneren Konflikte, die aus den Gestalten sich auch in den Raum drehende und damit extrem mehransichtige Figuren machen. Der von Panofsky oftmals angesprochene „Sieger" triumphiert nicht wirklich; er windet sich einerseits im Niederzwingen des Alten, aber psychomotorisch sprechen die Augen von der Gewißheit, daß das Rad der Fortuna auch ihn selbst mit Gewißheit zu Boden bringen wird. Als Medici-Allusion hat dies auch politische Bedeutung. Aber die Frage der Mehransichtigkeit kann man von verschiedenen Seiten betrachten.) Schließlich wird auch Michelangelos in der Habilitation angesprochene Distanz zum Barock in den späteren Schriften immer wieder angesprochen: „So wenig er , Klassiker' ist, so wenig identifiziert er sich mit dem Barock. Denn der Barock gibt die Tatsache - gewordene, ungehemmte, dramatische Bewegung - Michelangelo gibt den nie zum Ausbruch kommenden, verhaltenen und gerade deshalb tragischen ,inneren' Konflikt". 76 Soweit zu den Arbeiten von 1920-23. Als Panofsky aus Anlaß von Wölfflins sechzigstem Geburtstag im Jahr 1924 in der Würdigung des Münchner Antipoden seine eigene Position schärfte, klingt dies wie ein methodologischer Rückblick auch auf seine Habilitation, die auf überraschend enge Weise Wölfflins Sehkategorien entlehnt, um sie aus dem Feld des rein Formalen und der Unbedingtheit der künstlerischen Autonomie durch historische und psychologische Offnungen zu führen. Einerseits wird die Wölfflinsche Sehschule, so Panofsky, „an Klarheit und Schlagkraft wohl nie überboten werden". 77 Schon in der martialischen Wortwahl aber mag im Lob eine verhaltene Kritik an der hermetischen Striktheit von Wölfflins Begriffen anklingen, und wenig später benennt Panofsky deren Defizite: „Zugleich verzichtet Wölfflin immer mehr auf alle psychologischen Erklärungsversuche".78 In seiner Habilitation, so wäre zu folgern, hat sich Panofsky an Kategorien Wölfflins orientiert, um deren Begrenzungen auszugleichen und durch die Psychomotorik eine wesentlich neue Sicht einzubringen: Form als ein in sich geschlossenes, aber zugleich spannungsvoll erfülltes und dadurch der Außenwelt vermittelt verpflichtetes Ereignis.79 75. Panofsky, Michelangelo-Literatur (s. Anm. 67), S. 8; vgl. 9 76. Panofsky, Bemerkungen (s. Anm. 70), S. 36. Vgl. Panofsky, Handzeichnungen (s. Anm. 71), S. 8 sowie Panofsky, Michelangelo-Literatur (s. Anm. 67), S. 6 77. Panofsky, Wölfflin (s. Anm. 34), S. 46 78. Ebd. 79. Diese überraschend enge, affirmative wie kritische Rezeption Wölfflins wäre der Arbeit an den Kategorien von Alois Riegl, die von Renate Heidt (Erwin Panofsky. Kunsttheorie und Einzelwerk, Köln/Wien 1977) analysiert worden ist, zur Seite zu stellen. Zum Verhältnis zu Wölfflin vgl. auch Michael Ann Holly, Panofsky and the Foundations of Art History, Ithaca/London 1984, S. 57ff.
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Mit dem Hauptgegenstand seiner Habilitationsschrift, Michelangelo, hat sich Panofsky noch in einer rein auf Zuschreibungsfragen von Zeichnungen bezogenen Arbeit von 1927 beschäftigt, 80 aber danach kommt er erst in den „Studies in Iconology" auf ihn zurück. Indem Michelangelo hier als Kronzeuge des „Neoplatonic Movement" inszeniert ist, scheint ein anderer Künstlertyp aufzutreten als er aus Panofskys Habilitation und den folgenden Schriften zu rekonstruieren ist. Aber das Gegenteil trifft zu. Eine im wörtlichen Sinne „dekonstruktivistische" Lesart dieser wissenschaftsgeschichtlich hochbedeutenden Abhandlung könnte zeigen, daß der Neoplatonismus nicht etwa ein neues Michelangelo-Bild hervorbringt, 81 sondern daß er mit dem Auseinanderfallen von himmlischem Aufstreben und Versinken in der Materie lediglich die von Wölfflin entlehnte und in der Habilitation formpsychologisch aufgeladene Doppelpoligkeit des Plastischen zwischen Expansion und Kontraktion neu aufspannt und intellektuell aufrüstet. Als These sei formuliert, daß die ersten Seiten mit ihren insgesamt fünfzehn formanalytischen Absätzen aus der Habilitation von 1920 stammen. Dort ist nicht nur die Motivadaption von Signorellis Orvieto-Fresken aufgenommen, sondern auch jene aus Gegenpolen aufgebaute Begriffsbildung, die Pauli in seinem Gutachten in knapper Form abhandelt: der Widerspruch im Plastischen zwischen Expansion und Kontraktion, 82 die Vorstellung rechtwinkliger Tiefenbildung, 83 die These von der Einansichtigkeit 84 und der im Verhältnis zu Renaissance und Barock abseitigen Stellung Michelangelos. 85 Bei allem Respekt vor der Lebensleistung Karl von Tolnays, der von 1930 bis 33 als Privatdozent in Hamburg lehrte und von 1939 bis 48 Panofskys Kollege am Institute for Advanced Study in Princeton war, empfindet man doch ein gewisses Bedauern darüber, daß Panofsky das Thema Michelangelo zwar immer wieder behandelt, als Hauptstoff aber an Tolnay abgetreten hat und daß die „Studies in Iconology" auch eine Art Abschied an die in der Habilitation entwickelten Gedanken waren. Ein letztes Echo vermittelt das in den „Renaissance and Renascenses in Western Art" entfaltete Entwicklungsgerüst mit seiner Dreiteilung von Antike, Mittelalter und Renaissance. Wenn Panofsky in der Antike „Autonomie" erkennt, die im Mittelalter durch die „Heteronomie" der Entzweiung abgelöst worden sei, 86 so 80. Erwin Panofsky, Bemerkungen zu der Neuherausgabe der Haarlemer Michelangelo-Zeichnungen durch Fr. Knapp, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. 48, 1927, S. 2 5 - 5 8 81. Vgl. Horst Bredekamp, Götterdämmerung des Neuplatonismus, in: Die Lesbarkeit der Kunst. Zur Geistes-Gegenwart der Ikonologie (Hg.: Andreas Beyer), Berlin 1992, S. 75-83, hier: 79f 82. Erwin Panofsky, Studies in Iconology. Humanist Themes in the Art of the Renaissance, New York 1939 [1967], S. 172 83. Ebda., S. 172, 176 84. Ebda., 173f 85. Ebda., 173, 176 86. Gutachten, [7]
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klingt dies nach dem „principle of disjunction" des Renaissancenbuches, 87 und wenn die Renaissance als eine „für den Augenblick versöhnte Zweiheit" charakterisiert war, 88 so erscheint dies wie die Vorformulierung des „schicksalhaft günstigen Augenblicks", in dem der Panofsky der sechziger Jahre eine unbelastete Auferstehung der Seele der Antike erkannte, die nun weder mehr nur äußerlich benutzt noch dämonisch gefürchtet wurde. 89 In diesem Sinn bleibt die Renaissance, was sie in der Habilitation gewesen war: Eine Epoche der Synthese und des glücklichen, weil harmonischen Ausgleichs unüberbrückbarer Gegensätze. Der Grund für die lang anhaltende, offene oder verhaltene Wirkung der verlorenen Habilitationsschrift mag in Panofskys besonders angespannter, aber auch angefeuerter Situation gelegen haben, die ihm in kürzester Zeit eine konzentrierte und zugleich die abendländische Kunstgeschichte insgesamt überspannende Leistung abverlangte. Panofsky war vielleicht niemals empfindlicher für die inneren Spannungen von Formen als in jener Zeit, als er sich, Michelangelo im Kopf, Hamburg näherte und seine Habilitationsschrift in unvollendeter Form, wie dies Michelangelo angemessen war, vorlegte, um diese dann über eine Reihe von Artikeln auszubreiten. Immer wieder ist die vereinfachte Klarheit der Sprache Panofskys gerühmt worden, nachdem er sich im Englischen auszudrücken gelernt hatte. Erinnert werden aber dürfte wohl auch daran, daß ihm in den Schriften, in denen seine Habilitation aufgegangen ist, eine selten wieder erreichte, spannungsvolle Beseelung der Sprache gelungen ist. Der Schlußsatz des Heftes über die Sixtina-Decke, der ausgerechnet den sonst weniger beachteten Vorfahren Christi gewidmet ist, kann auch und gerade nach der Restaurierung der Fresken noch bestehen: „Michelangelo, der nie Bewegung ohne Hemmung geben kann, kann auch die Ruhe nicht ohne Belastung geben. Das Beisammensein der Eheleute ist trübe und stumm, die Kinder bedrängen die Eltern mehr, als daß sie sie beglückten, und selbst der Schlaf naht sich nicht milde und lösend, sondern überfällt die Ermatteten als eine jähe Erstarrung, die die Körper in gewaltsamen und gebrochenen Stellungen festhält - in Stellungen, die oft weniger dem Schlummer, als dem Tode anzugehören scheinen". 90 Insgesamt drängt sich eine These auf. Daß die Habilitationsschrift nicht in Panofskys Nachlaß zu finden war, verwundert nicht. Was heute die Deleat- und Insert-Tasten besorgen, hat Panofsky vermutlich mit der Schere vollzogen: auf Kosten des Manuskriptes. Xerokopien gab es noch nicht. Die Schrift wurde offenbar, wann immer Michelangelo zur Sprache kam, als Gedankenreservoir genutzt. Die Habilitation ist auf diese Weise zwar verschwunden, aber sie ist dennoch, auf insgesamt fünf Publikationen verteilt, erschienen. Aus dem Abstand 87. 88. 89. 90.
Erwin Panofsky, Die Renaissancen der europäischen Kunst, Frankfurt/M. 1990, S. 90, 115 Gutachten, [7] Panofsky, Renaissancen (s. Anm. 87), S. 116 Panofsky (s. Anm. 68), S. 10
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ist es, als würde man sie durch ein Prismenglas betrachten: Zersplittert, aber funkelnd.
Abkürzungen Gutachten = Gustav Pauli, Gutachten betreffs des Habilitationsgesuches des Herrn Dr. Erwin Panofsky aus Berlin, 10. 5. 1920 (Hamburger Kunsthalle, Nachlaß Gustav Paulis); hier abgedruckt als Appendix. Zitiert wird nach der jeweiligen N u m m e r der Absätze in eckigen Klammern. Nachlaß = Hamburger Kunsthalle, Nachlaß Gustav Paulis Protokolle = Staatsarchiv Hamburg, Universität, Philosophische Fakultät, Protokolle vom Mai 1919 bis August 1922
Appendix: Gustav Paulis Habilitationsgutachten 10. Mai 1920
Gutachten betreffs des Habilitationsgesuches des Herrn Dr. Erwin Panofsky aus Berlin [1] Herr Dr. Erwin Panofsky aus Berlin hat unter dem 11. März unter Beifügung einer Lebensbeschreibung, der erforderlichen Zeugnisse und einer Habilitationsschrift ein Gesuch um Erteilung der venia legendi an der Hamburger Universität eingereicht. Dem Gesuche sind ferner die folgenden im Druck erschienenen Arbeiten beigelegt: 1.) Die theoretische Kunstlehre Albrecht Dürers (Dissertation. Freiburg i. B. 1914). 2.) Dürers Kunstlehre. Berlin 1915. (1913 mit dem Preis der Grimmstifung ausgezeichnet). 3.) Das perspektivische Verfahren Leone Battista Albertis. Kunstchronik N F XXVI 1915. 505. 4.) Uber das Zeichnen mit farbiger Feder (bei Virgil Solis und Dürer). Monatsh. f. Kunstwissensch. VIII. 166 5.) Der Statuenschmuck der Piazza della Signoria. Archiv f. Geschichte und Ästhetik der Architektur, I. 1919. 7. 6.) Raffael und die Fresken der Dombibliothek zu Siena. Repertorium f. Kunstwiss. XXXVII. 1915. 267. 7.) Die Scala Regia im Vatikan und die Kunstanschauungen Berninis. Jahrb. d. preuss. Kunstslg. 1919. 241. 8.) Der Westbau des Doms zu Minden. Repertorium f. Kunstwiss. XLII. 51. 9.) Das Problem des Stils in der bildenden Kunst. Zeitschr. f. Aesthetik u. allgem. Kunstwissensch. X. 460. [2] Als Habilitationsschrift hat der Bewerber die ersten beiden Abschnitte einer im ganzen auf drei Abschnitte bemessenen Arbeit über Michelangelo eingereicht. Für die erforderliche Beurteilung der Eignung des Verfassers für eine Lehrtätigkeit an der Universität ist das Vorgelegte als hinreichend anzusehen; denn hieraus ergibt es sich zur Genüge, daß man es mit einer wertvollen selbständigen wissenschaftlichen Leistung zu tun hat.
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[3] In der kurzen einleitenden Bemerkung wird ausgeführt, daß es sich in diesem Falle nicht sowohl um eine genetische Untersuchung der Kunst Michelangelos handele oder um eine Erörterung ihrer Auswirkung, als um eine Charakteristik ihres Wesens, ihrer formalen und geistigen Eigentümlichkeit. Die Problemstellung allein entbehrt nicht der Kühnheit angesichts der Tatsache, daß sich die Kunstgeschichte seit ihren Anfängen als selbständige Wissenschaft in einer Reihe angesehenster Vertreter mit Michelangelo als einem ihrer grossesten Gegenstände der Forschung beschäftigt hat. Abgesehen von alljährlich erscheinenden Abhandlungen liegt eine Reihe umfänglicher Monographien in allen Kultursprachen über Michelangelo vor, die - so sollte man meinen - alles erschöpft haben dürften, was zu dem vorliegenden Thema zu sagen wäre. Um so mehr ist es anzuerkennen, daß hier eine weitere Förderung unserer Erkenntnis geleistet worden ist. Diese Förderung ist nicht sowohl in der Aufdeckung einzelner neuer objektiver Tatsachen zu erblicken als vielmehr in der Eigenart der Problemstellung. Die Eigentümlichkeit Michelangelos wird hier durch eingehende Vergleichung mit jenen Meister veranschaulicht, die im Verhältnis der Gebenden oder Empfangenden ihm nahe gestanden haben. Daß hierbei sein Zeitgenosse (und Rivale während eines kurzen Zeitraumes) Raphael, vorzugsweise bedacht wurde, liegt nahe. [4] In dem ersten Teile wird das Material der Vergleichung zusammengestellt: Motive Raphaelischer Gestalten, die auf Michelangelo zurückgehen und Motive anderer Meister, namentlich Donatellos, Querelas, Signorellis und der Antike, die wiederum von Michelangelo aufgegriffen und abgewandelt worden sind. Die meisten dieser Beziehungen waren bekannt; eine mehrfach erörterte zwischen Donatellos sitzendem Johannes im Florentiner Dom und Michelangelos Moses bleibt auffallenderweise unberührt; neue Beobachtungen, namentlich die einer Übernahme eines Motivs aus Signorellis Orvietaner Fresken in mehrere spätere Zeichnungen Michelangelos werden hinzugefügt. Der Abschnitt enthält also abgesehen von eingehender Kritik bekannter Beziehungen neue Forschungsergebnisse. Doch beruht in ihnen nicht ein wesentliches Verdienst der Arbeit. Bedeutsamer sind vielmehr die im zweiten Teile entwickelten stilkritischen Folgerungen. [5] Diese gipfeln in einer Antithese der Körpergestaltung durch Raphael und Michelangelo. An einer Reihe von Vergleichspaaren wird die freie um eine Mittellinie ausschwingende Formgebung Raphaels der eigentümlich gebundenen Michelangelos gegenübergestellt, bei der ein immanenter Bewegungsdrang durch die unsichtbaren Ebenen einer kubischen Begrenzung gehemmt wird. Die normative Kraft dieser Bindung wird durch den Hinweis auf die rechtwinklig zueinander gestellten Richtungssätze in der Bewegung der Figuren anschaulich gemacht. Diese Richtungsgegensätze begleiten ein Formleben, das in einem sehr fühlbaren Kampfe mit den konstitutiven Ebenen der Begrenzung besteht. Von hier aus wird die Frage der Einansichtigkeit der Skulpturen Michelangelos erörtert und bejahrt, wobei freilich in einer Auseinandersetzung mit Adolf Hildebrands Theorie im „Problem
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der Form" betont wird, daß die Einansichtigkeit durchaus nicht gleichbedeutend sei mit der reliefmäßigen Erscheinung der Freiskulptur. Vielmehr verbinde sich gerade bei Michelangelo die betonte Frontalansicht mit starkem plastischem Anregungswert der Richtung in die Tiefe. Die Untersuchung durchziehen gelegentliche vergleichende Betrachtungen der Formgebung der Frührenaissance, der Hochrenaissance und des Barock. In ihnen wird der generelle Unterschied auf die knappe Formel gebracht, daß die Frührenaissance die unbewußte Freiheit von der Regel darstellte, die Hochrenaissance die bewußte harmonische Norm und das Barock ihre bewußte Negierung. Die Stellung Michelangelos zu dieser Entwickelung wird so gedeutet, daß er nicht der Begründer des Barock, sondern eine neben ihm auftretende Sondererscheinung darstelle, mithin nicht sowohl als „Vater" sondern vielmehr als „Bruder" des Barock gelten möge. [6] Der zweite Abschnitt der Arbeit behandelt das allgemeine Verhältnis vom Barock zu Renaissance und Michelangelos Stellung dazu in Hinsicht auf ihre psychischen Ausdruckswerte. In einleitenden Betrachtungen, die von einer guten Kenntnis der Geschichte der Philosophie zeugen, wird die Auffassung von der Stellung des Menschen zum Weltganzen in den klassischen Perioden der Antiken und der Renaissance mit der des Mittelalters verglichen. [7] Der Autonomie, wie sie in der antiken und modernen Klassik dem Menschen zugesprochen wird, stellt der Verfasser die mittelalterliche Heteronomie gegenüber, die von der Trennung von Körper und Seele ausgehend, den ersteren als das symbolhafte Substrat transzendenter seelischer und göttlicher Vermögen darstelle, während die Antike den Menschen als eine „noch nie geschiedene Einheit", die Renaissance ihn als eine „für den Augenblick versöhnte Zweiheit" schildere, eine aus körperlich natürlichem und seelischem Wesen harmonisch verbundene Persönlichkeit. Des weiteren wird darauf hingewiesen, wie in der Anschauung der Spätrenaissance sich ein neuer Dualismus melde, der innerhalb des Seelenlebens eine höhere Seele von der niederen körperverwandten Vitalität scheide. - Die Grundgedanken dieser Entwicklung werden referierend vorgebracht und enthalten eben deswegen nichts Neues, wohl aber wird in ihrer Anwendung auf die bildende Kunst, namentlich zur Deutung der Formgebung des Barock und Michelangelos Neues beigetragen. Die Erklärung der Zwiespältigkeit des Ausdrucks gewisser barocker Kunstwerke aus jenem Antagonismus eines höheren und niederen Seelenlebens ist einleuchtend und wertvoll. Die Eigentümlichkeit des seelischen Ausdrucks bei Michelangelo wird nun so erklärt, daß bei ihm jener Konflikt als ein innerlich motivierter erscheint - in der Psyche der Dargestellten wurzelnd während der typische Barockkünstler der äußeren Motivierung bedarf, sie sogar besonders lebhaft hervorhebt. Diese Auffassung wird erfolgreich durch Erörterung der Hauptwerke Michelangelos belegt, wobei eine Entwicklung insofern nachgewiesen wird, daß der in Frühwerken noch vorhandene Hinweis auf ein äußerliches Motiv später ganz wegfällt.
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[8] Ein dritter - nicht vorgelegter - Abschnitt soll dem Plane nach die Organisation des Kunstwerkes im Ganzen, d. h. die Komposition bei Michelangelo und den ihm vergleichbaren Meistern behandeln. [9] Die Grundgedanken der Arbeit sind nicht nur richtig, sondern auch, worauf Gewicht zu legen ist, fruchtbar, d. h. anregungskräftig für unsere kunstwissenschaftliche Betrachtung, die nach diesem Beispiel in anderen Fällen verfahren mag. Der Stoff ist wohl gegliedert, so daß, obschon es sich in dem Vorgelegten nur um ein Fragment handelt, ein guter Aufbau des Buches offenbar wird. Die Methode der Arbeit ist als gründlich und genau anzuerkennen. Ohne überflüssige Worte zu machen, wird jeder von den vielen Einzelfällen geprüft und erörtert. Meiner Uberzeugung nach ist in den herangezogenen Abhängigkeitsverhältnissen im ersten Teil hier und da zu weit gegangen, da es sich um zufällige Analogien spontan gewählter Motive handeln mag. Dagegen wäre m. E. über die Beziehungen zwischen Donatello und Michelangelo noch etwas mehr zu sagen gewesen. Doch brauche ich mich auf eine Auseinandersetzung hierüber nicht einzulassen. (Jeder Kunsthistoriker würde in diesem Falle sein Material mit gewissen individuell motivierten Abweichungen zusammenstellen). [10] Somit fasse ich mein Urteil über die Habilitationsschrift dahin zusammen, daß sie jenen Ansprüchen vollauf genügt, die die Fakultät stellen muß. Insbesondere sei es hervorgehoben, daß auch die Bedeutung des gewählten Stoffes für die Universität von Wert ist. Denn es kommt für den akademischen Lehrer gerade jetzt in Hamburg darauf an, daß er der studierenden Jugend über die grossesten Gegenstände und Persönlichkeiten der Kunstgeschichte Wesentliches mitzuteilen verstehe. Das Bearbeiten von Spezialgebieten mag gepflegt werden, sobald und sofern diesem ersten Erfordernis Genüge geschehen ist. [11] Nun erweisen es auch die übrigen gedruckten Arbeiten Panofskys, daß er die Fähigkeit besitzt, Themen von hervorragender Bedeutung gerecht zu werden. Uber die wertvollste dieser Arbeiten, Dürers Kunstlehre, kann ich hier schweigen mit einem Hinweis auf die ausführliche und anerkennende Besprechung, die ich ihr im Repertorium für Kunstwissenschaft 1918, Nf. VI, Heft 1/2 gewidmet habe. Im Zusammenhang mit diesen Studien steht Panofskys Aufsatz über das perspektivische Verfahren bei L . B . Alberti. Die Aufsätze über Raphaels Zeichnungen für die Fresken Pinturicchios in der Libreria zu Siena, über die Scala Regia des Vatikan und über den Westbau des Domes zu Minden erweisen zum mindesten eine unter jungen Gelehrten nicht häufige Ausgedehntheit der Interessen, sowie kritischen Scharfblick. [12] Zum Schluß möchte ich hervorheben, daß Panofskys Kenntnisse in der Mathematik und Philosophie, wie sie sich in dem Buch über Dürer, in der Habilitationsschrift und in dem Aufsatz über L. B. Alberti erweisen, eine für den Akademiker sehr erwünschte und nicht alltägliche Ergänzung seiner Fachgelehrsamkeit bedeuten.
Panofsky - Die Hamburger Vorlesungen Martin Wamke
Erwin Panofsky gehört zu einem Gelehrtentypus, von dem man, ohne auf Widerspruch zu stoßen, behaupten kann, daß die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung Geltung beanspruchen, unabhängig von zeitlichen oder persönlichen Umständen. Dies entspricht dem uns nahegebrachten Ideal wissenschaftlicher Arbeit: Wahrheit unabhängig von Anniversarien und Dispositionen, asketisch errungen unter Ausschluß der Person. Man denke an den Satz Wilhelm Vöges: „Viollet-le-Duc war vielleicht eine zu lebendige Persönlichkeit, um ein Historiker ersten Ranges sein zu können." Die wissenschaftliche Tätigkeit, so könnte man mit einer Lieblingswendung Panofskys sagen, vollzieht sich sub specie aeternitatis. Jan Bialostocki hat einmal beiläufig eine persönliche und merkwürdige Eigentümlichkeit darin gesehen, daß alle Bücher und viele Aufsätze von Panofsky aus seiner Zeit in Amerika aus Vorlesungen oder Vorträgen hervorgegangen sind. Diese Tatsache ist deshalb verwunderlich, weil Panofsky in Princeton fern aller Lehrverpflichtungen forschen konnte, und dies auch nach eigenem Bekunden als ein Privileg empfunden hat. Man stellt es sich doch gerne so vor, daß hier wenigstens einmal einer von allen Ablenkungen durch ein zu bedienendes Publikum befreit war und unangefochten allein seinen wissenschaftlichen Publikationszielen lebte. Wir verdanken diesem Umstand, daß die späten Schriften Panofskys allesamt Redetexte sind, die großzügige didaktische Anlage der Texte, ihre kommunikative Verbindlichkeit, in der der Leser sich direkt angesprochen und einbezogen fühlt. Wenn also die Folgen einer vorgängigen oralen Mitteilung positiv sind, darf man dennoch über die Ursachen dieses Konnexes zwischen Vortrag und Veröffentlichung nachdenklich werden. Panofsky selbst hat ja den Wandel seines sprachlichen Stils hin zu einer größeren Einfachheit als eine Akkulturationsleistung gegenüber der englischen Sprache bezeichnet. Diese These einer heilsamen Anpassung kann manche stilistische Glättung und Vereinfachung, so das Verschwinden der Schachtelsätze und Anakoluthe erklären, nicht aber die Tatsache, warum die wissenschaftliche Veröffentlichung für Panofsky nicht ein Ziel an sich war, sondern warum eine solche Veröffentlichung immer den Umweg über eine lebendige Übermittlung suchte.
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Ich möchte hier eine Erklärung anbieten, die sich unter dem Eindruck der Hamburger Vorlesungen Panofskys ergeben hat. Von fünf Vorlesungen verfügen wir über recht detaillierte Nachschriften des Lehrers Willy Meyne, der 1930 bei Panofsky promovieren wird. Mein Eindruck und mein Referat ist beschränkt durch die Grenzen dieser Nachschriften. Diese erlauben aber doch als eine einfache und plausible Erklärung für das Wechselverhältnis zwischen Vortrag und Veröffentlichung bei Panofsky die Nachwirkung eines Anspruches der deutschen Universität anzugeben, und zwar des Anspruchs einer Einheit von Lehre und Forschung. Diese Einheit von Lehre und Forschung hat Panofsky seit seinem achtundzwanzigsten Lebensjahr praktiziert. Der Anspruch an Lehre und Forschung war nicht nur durch die Gründungsemphase einer neuen Universität und durch eine entsprechende Kollegenschaft getragen, sondern auch durch die Tatsache, daß hier jüdische Wissenschaftler ein Universitätsinstitut aufbauten, das immer aufs Neue nicht nur durch besondere Leistungen und Anstrengungen zu rechtfertigen war, sondern_das über Jahre hin auch durch die wachsame Aufmerksamkeit und Anteilnahme Aby Warburgs wachgehalten wurde. Dreizehn Jahre lang, von seinem 28. bis zu seinem 41. Lebensjahr, war Panofsky diesem Anspruchsdruck ausgesetzt. Man könnte in Anlehnung an eine im Warburgkreis geläufige Terminologie sagen, daß sich Panofsky das Postulat der Einheit von Forschung und Lehre in seinen jungen Jahren wie ein Engramm so eingeprägt hat, daß er in späteren Jahren die beiden Tätigkeitsformen nicht mehr unabhängig voneinander ausüben konnte; daß ihm Forschung erst im Zusammenhang mit einem Lehrakt überhaupt realisierbar war. Vieles hat Panofsky in der Emigration ausgeführt, was er in den Hamburger Jahren lehrend sich erarbeitet hatte. Man braucht nur einige der Vorlesungstitel zu nennen, um festzustellen, daß hier Lebensthemen angegangen worden waren, die dann später ihre wissenschaftliche Ausarbeitung gefunden haben: „Die Anfänge neuzeitlicher Kunst um 1400", „Altniederländische Malerei", dreistündig, vier Mal; eine dreistündige „Einführung in die bildende Kunst der italienischen Renaissance", „Albrecht Dürer und seine Zeit" zwei Mal, „Michelangelo im Rahmen seiner Zeit", „Raffael-Michelangelo-Correggio", „Italienische Cinquecentisten", zwei Mal „Beispiele sepulkraler Plastik". Aus dem späteren Forschungsrahmen heraus fällt eine Vorlesung über „Altdeutsche Malerei", über „Spätgotische Plastik in Deutschland", über „Französische Kunst im 18. Jahrhundert". Originelle Vorlesungstitel, in denen sich Lieblingsideen oder auch fixe Ideen niederschlugen, und das Hamburger Seminar singulär machten, sind „Künstler und Denker" oder auch „Spätwerke großer Meister und Spätphasen großer Stile". Panofsky ist also in der amerikanischen Emigration vielen Themen aus seiner Hamburger Vorlesungszeit treu geblieben, indem er sie dort zu den fundamentalen Veröffentlichungen ausarbeitete, die uns dann alle in den fünfziger Jahren wieder erreicht haben; sie waren in Amerika noch einmal durch die Probe der Lehre gegangen, bevor sie mit Anmerkungen versehen und gedruckt wurden.
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Man kann diesen Befund ergänzen durch Hinweise auf Einzelmotive oder Ideen, die aus den Vorlesungen in die späteren Publikationen eingegangen sind. So erscheint in der Vorlesung über Altniederländische Malerei schon die Genesis der ars nova entwickelt aus der Buchmalerei und aus der Skulptur; nirgends freilich ist die originelle spätere Theorie von der simplistischen Stilhaltung von Regionalschulen ins Spiel gebracht, die bei van Eyck wirksam geworden sei; den Gedanken findet man jedoch in einer Mittelaltervorlesung 1922, wo es über die Hl. Fides in Conques heißt: „Provinzielle Kunst kann, wie hier, manchmal fortschrittlicher sein". Aus diesem Aperçu ist dann später eine der tragenden Ideen von „Early Netherlandish Painting" geworden. Nirgends ist übrigens in der Vorlesung schon von jenem „disguised symbolism" gehandelt, in dem sich lange die Leistung des Buches zu erschöpfen schien. - Wenn es von Donatello 1923 heißt: er „mußte erst einen möglichst großen Abstand von der Antike nehmen, um sie zu erkennen", und wenn festgestellt wird: „Die Epigonen Donatellos waren eben reinere Renaissancekünstler als er selbst", dann sind das Denkfiguren, die später immer wiederkehren und die eine Grundtendenz von „Renaissance änd Renascences" ausmachen werden. Das „Disjunktionsgesetz" aus dem gleichen Buch taucht, merkwürdig verkehrt, auf, wo in der Vorlesung über die Cinquecentisten an Bronzinos Bildnis des Andrea Doria als Neptun folgendes beobachtet wird: „In fürstlicher Haltung, trotzdem Nacktheit Freiheit voraussetzen müßte. Entkleidet bewahrt der Dargestellte die Art, die er bekleidet zeigen würde". In dieser Beobachtung, daß der Herrscher nackt sich nicht anders als bekleidet verhält, ist jenes Gesetz wirksam, das im Mittelalter den antiken Göttern zeitgenössische Kleider verpaßt, aus welcher Verfremdung sie erst in der Renaissance herauskommen, in die aber der Doria/Neptun unwillkürlich wieder zurückfällt. Diese antizipatorische Bedeutung gewinnen die Hamburger Vorlesungen aus der postumen Perspektive des Gesamtwerkes. Aus damaliger Sicht, etwa aus der Sicht damaliger Hamburger Studenten, hatte das Lehrprogramm des jungen Dozenten mit seinen vorliegenden und erscheinenden Veröffentlichungen wenig zu tun. Weder der Herkules am Scheideweg, noch auch Kunsttheorie, noch Proportion und Perspektive haben in der Lehre eine nennenswerte Rolle gespielt. Das gilt vor allem von der ikonographischen Methode, die im Hamburger Lehrprogramm überhaupt nicht vorkommt, offensichtlich auch nicht in den gemeinsam mit Saxl in der Warburg-Bibliothek veranstalteten quellenkundlichen Übungen. Die Meinung, damals sei in Hamburg eine Art Spezialschule für ikonographische Forschung etabliert worden, ist offensichtlich irrig. Das Lehrprogramm und die Lehrinhalte gehen keine methodischen Risiken ein, kennen keine Geistesgeschichte, keine Symbolischen Formen, mehr Wölfflin als Warburg, mehr Dehio als Cassirer, kurz: mehr Dokumente als Dokumentensinn. Auch in der Gesamtanlage waren die Vorlesungen recht handfest aufgebaut, so wie wir sie etwa auch von Goldschmidt her kennen: Eine kurze generelle Einführung mit einem Uberblicksschema und einer oft beträchtlichen Literaturli-
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ste, dann ein Durchgang durch die Denkmäler Stück für Stück, in penibler Einzelvorführung nach Gattungen und Ländern und Stilphasen, die die einzigen verfügbaren Gliederungsformen gewesen sind. Aus damaliger Sicht also absolvierte man in Hamburg ein relativ konventionelles Kunstgeschichtsstudium. Über seine Vorlesungen hat sich auch Panofsky selbst den Stoff seines Fachgebietes erst angeeignet; so bekennt er Warburg gegenüber einmal, daß er über seinen bevorstehenden Vorlesungsgegenstand, die französische Kunst des 18. Jahrhunderts, noch gar nichts wisse. In kaum eine andere Vorlesung hat Panofsky so viel Arbeit investiert wie in die Jahresvorlesung über das Deutsche Mittelalter. Wenn man nach den Hamburger Vorlesungen zu urteilen hätte, wäre aus Panofsky ein Mittelalterforscher geworden. In der Vorlesung zum Deutschen Mittelalter spielt Dehio eine wichtige Rolle, dessen Geschichte der Deutschen Kunst ein Jahr zuvor erschienen war. Während Dehio das deutsche Volk zum Helden seiner Kunstgeschichte erklärt, verfolgt Panofsky eine ganz andere Idee, mit der er eine „Unterschicht" des Mittelalters, wie er sagt, zu erschließen sucht. Gleich einleitend heißt es: „Unsere Auffassung: das Mittelalter umfaßt die Zeit, in der sich die Völker, die nicht zum Mittelmeerkreis gehören, mit der Kunst dieses Kreises auseinandersetzen". Die Auseinandersetzung mit Byzanz bleibt ein immer wieder aktiviertes Leitmotiv der Vorlesung, so daß es etwa zum 12. Jahrhundert heißen kann: „Byzanz wieder das Sprungbett des Neuen, der französischen Gotik, die erst eintritt nach Vorbereitung des Bodens durch byzantinische Kunst (Gesetz der Affinität)". „Byzanz - so heißt es an anderer Stelle - hat nun immer wieder auf das Abendland eingewirkt. Es hatte dieselbe Bedeutung wie später Italien für den Norden. Die Byzantiner Kunst gehört nicht zum Mittelalter, sondern hier hellenistische Uberlieferung oder Fortsetzung". Es war offensichtlich eines der großen Projekte des jungen Panofsky, die Einwirkung von Byzanz auf die mittelalterliche Kunst und Kultur als eine Form hellenistischer Nachwirkung zu verstehen und somit das Mittelalter für das Forschungsprogramm der Warburg-Bibliothek zu sichern. In der Emigration hat Panofsky in Princeton und New York in den Dreißiger Jahren über deutsche Skulptur und Malerei des Mittelalters und des Spätmittelalters mehrfach Vorlesungen gehalten. Aber er hat darüber nicht mehr publiziert; lediglich das Buch über die „Grabplastik" läßt erkennen, wie sehr er sich hier zuhause fühlte. Es ist nicht leicht, den Verlust zu bilanzieren, aber die Vorlesungsnachschriften regen immer wieder zu der Frage an, was wohl aus der einen oder anderen Idee hätte werden können, wenn Panofsky in gleicher Intensität beim Mittelalter geblieben wäre. So wenn es über die Lettnerreliefs in Naumburg heißt: „Die Auffassung des Judas jedenfalls merkwürdig, die der übrigen widerspricht. Es hat im Mittelalter eine Sekte gegeben, die Judas für den gläubigsten der Jünger hinstellte. Die bösen Mächte wollten verhindern, daß Jesus starb. Judas opferte sich selbst, indem er den Heiland verriet. Diese Sekte hatte ein besonderes Judasevangelium, das Judas als zweiten Heiland hinstellte". Der Vergleich mit der zeitge-
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nössischen Literatur würde ergeben, wie neuartig eine der wenigen ikonologischen Passagen in den Vorlesungen den Bernwardleuchter in Hildsheim analysierte: „Aufstieg der Seele zum Licht, zuerst gefesselt an dämonische Gewalten, durch das Licht von oben befreit. (Licht der heiligen Kerze Symbol des Lichtes von oben, nach dem der Mensch strebt). Auf dem Fuß drei Figuren, die auf Drachen reiten. Bis zum Knauf: die Seele, die der Sünde bewußt ist, steigt nach oben, Löwen klettern nach. Oben: Zustand des Gerettetseins: Weinranken mit Trauben (Wein Symbol für Jesus selbst)." Die frühen Vorlesungen zeigen den ganzen vorikonographischen Panofsky, und sie legen unwillkürlich die müßige Frage nahe, was sich daraus vielleicht hätte entwickeln können. Auf dem mühsamen Weg stilgeschichtlicher Verrechnungen und Ableitungen bieten die Vorlesungen immer wieder glückliche Einfälle und Beobachtungen, sprachliche und gedankliche Charakterisierungen, die jedenfalls den Hörer Meyne aufhorchen ließen, und von denen man sich manch eine aufbewahrt oder ausgeführt wünschte. Im Programm der Hildesheimer Bronzetüren wird die Zuführung Evas zu Adam als eine Situation des Findens und ihr Pendant, die Frauen vor dem Grabe, als eine Situation des Nichtfindens gedeutet. Über die Perspektive bei Uccello notiert Meyne: „Landschaft und Perspektive zuvor feindlich, aber beide verlassen den unendlichen Raum, Perspektive rational, Landschaft irrational". Die Manierismusvorlesung im Sommer 1926 betrat vielfach Neuland: In Anlehnung an Walter Friedländers soeben erschienen Aufsatz wird definiert: Der Manierismus „wendet sich gegen die klassische Renaissance und nimmt Tendenzen des Quattrocento und des Mittelalters auf... Das Barock am Ende des 16. Jahrhunderts greift die Hochrenaissance auf..." Fast manisch verfolgt Panofsky den Einfluß Dürers auf die italienischen Cinquecentisten. Das manieristische Porträt wird wie folgt charakterisiert: „Wesentlich für dieses: Der Ausdruck von herrischem und traurigem Wesen. Innere Duplizität charakterisiert den Manierismus. Recht des Individuums, sich zu behaupten, aber Zuflucht zu Gott (Zeit der Gegenreformation). Diese Zeit hat auch den modernen Geniebegriff geschaffen. Isoliertheit und Trauer. Das Figurenbild unruhig, das Porträt starr." Oder: „Alle großen Manieristen waren nicht normal im bürgerlichen Sinne. Pontormo aber doch ein liebenswerter Mensch". Rossos Kreuzabnahme in Volterra von 1521 wird so vorgestellt: „Von der klassischen Anordnung abgewichen. Keine Symmetrie. Fügung der Figuren zu rhythmischem Kranz. Prismatische Gestalt der Falten noch stärker betont. Farben nach psychologischen Werten abgestuft. Betonung der Art des Schmerzes durch die Farbe: Maria dunkelgrün bis schwarz, Magdalena karmin mit gelbem Grütel, Johannes weiß, Schatten holzartig braun, Christus grüne Leichenfarbe, wie nur Nordländer es wagten (Grünewald). Das Ganze vor tiefblauem Nachthimmel. Die Malweise des changeange angewendet, d.h. für die Schatten gegensätzliche Farben verwendet. Schon durch Sarto eingeführt. Massysschule verwendet es im Norden. Dürer dagegen. Auch die Manieristen um 1400, Lorenzo Monaco etc., wenden es an. Der Manierismus will
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den Farbengegensatz, die irrationale Buntheit der Farben als solche. Fast bengalischer Eindruck, wie wenn eine Figur von verschiedenen Seiten mit verschiedenfarbigem Licht beleuchtet wird. Das kann leicht äußerlich wirken. Im zweiten Manierismus wird es perlmutterartig, bei Rosso pfefferartig." - Man konnte sich in einer Vorlesung von 1928 schon dem reifen Hauptwerk von 1953 nahefühlen, wenn Rogier van der Weyden so charakterisiert wurde: „Besondere, vornehme Persönlichkeit, Vornehmheit des Gemütes. Gepaart mit einer bitteren Strenge. Rogier der Erfinder. Von innen nach außen gemalt, hat innere Gesichte. Die geniale Konzeption, nicht die Beobachtung wichtig. Er konnte auch realistisch malen, es interessierte ihn nicht so. Bei ihm Pathos und Adel. Pathos dem Eyck entgegengesetzt. Adel bei ihm verborgen. Flemalle hatte Pathetisches, aber keinen Adel. Rogier büßt den malerischen Duft, die Dichtigkeit der Welt ein, das Atmosphärische ist weggeblasen. Die geniale Konstruktion bleibt. Die Linie das Edlere, weil Geistigere von der Kunsttheorie genannt". Gelegentlich lassen die Nachschriften auch erkennen, daß anekdotenreifer Esprit am Werke war, etwa wenn es von einem Heiligen Michael aus der Adagruppe heißt, daß hier der „Kampf mit dem Bösen selbst für einen Engel ein schwerer ist". Panofsky stellt ihm einen Engel aus „syrisch-ägyptischer Zeit" gegenüber dessen „edle Einfalt und stille Größe" eine „ruhige Weltherrschaft" repräsentiere, gegenüber der offenbar nervösen karolingischen. Der alte karolingische Dom in Mainz wird als „ein aus dem Gleichgewicht gebrachter Zentralbau" charakterisiert. Oder bei van Eycks neu disponierter Ölmalerei wird der Vorteil vermerkt, daß durch sie der „starke Geruch verhindert" wurde. Die Wissenschaftstradition, die Panofsky zu verkörpern scheint, sieht Wissenschaft und deren Ergebnisse als objektiv begründet an, als Annäherung an eine objektive Wahrheit. Zwiespältig wirkt dieser Anspruch bei Kunsthistorikern schon deshalb, weil sie dieses Ideal, sobald sie es mit Künstlern zu tun haben, über Bord werfen: Hier ist ihnen Wahrheit umso gültiger, je persönlicher sie geprägt ist. In der Wissenschaft auf objektive Wahrheit vereidigt, akklamieren wir vor Kunstwerken der subjektiven. In der Wissenschaft erscheinen subjektive Bedingtheiten wie Eintrübungen der Wahrheit, während sie ihr erst ein humanes Gesicht geben. Durch Panofsky ist ein Lehrstuhl an einer Universität der Weimarer Republik frei wahrgenommen worden: Der Hochschullehrer nahm sich die Freiheit, in der Vorlesung Konventionen zu pflegen, Neues zu versuchen, Geist und Witz zu entfalten, Wissen zu erarbeiten, selbst zu lernen, Erkenntnis zu fördern, kurz: Lehre und Forschung als eine Einheit zu vollziehen. Offensichtlich hat Panofsky das Wechselverhältnis von Forschung und Lehre so habitualisiert, daß er sein Leben lang nicht mehr von dieser Form der Erkenntnis hat loskommen können und auch in Amerika immer nur forschen und schreiben konnte, wenn er wußte, daß lebendige Hörer ihn erwarteten.
Bemerkungen zu Panofskys Sprache Karen
Michels
Fragt man nach besonderen Charakteristika, die Panofskys Lehrveranstaltungen möglicherweise von denen seiner Kollegen unterschieden, so stößt man in den Erinnerungen seiner Schüler immer wieder auf einen Punkt: Auf die etymologischen Exkurse nämlich, die er sich gern und in ausführlicher Weise gestattete. Diese Exkurse waren, wie sich denken läßt, äußerst gelehrt und so perfekt, daß der eine oder andere Hörer manchmal an ihrer Spontaneität zweifelte. Daß Panofsky präzise Begriffsbestimmungen und etymologisches Hintergrundwissen als wesentliche Grundlage seiner eigenen kunsthistorischen Arbeit galten, läßt sich deutlich noch in der Einleitung zum 1960 erschienenen Renaissance-Buch erkennen, die mit Definitionen aus dem „Oxford Dictionary", etwa zu Schlagworten wie „history" oder „innovation" gespickt ist. Wollte ich also meinen Beitrag mit einer Verbeugung vor dem heute Geehrten beginnen, so müßte ich zunächst den Titel ändern: Nicht Panofskys Sprache, also das gesprochene Wort, ist mein Thema, sondern vielmehr sein literarischer Stil, wobei Stil nach Grimms Wörterbuch seit dem 15. Jahrhundert im Sinne von „literarischer Darstellungsweise" definiert wird. Enger gefaßt, bezeichnet Stil seit dem 16. Jahrhundert die „durch eine Einzelpersönlichkeit geprägte, ihr charakteristisch zugehörige Ausdrucksform". Auch mit der Uberschrift „Panofskys literarischer Stil" aber wäre die von ihm selbst geforderte Genauigkeit noch nicht erreicht: Panofsky sind, wie von ihm selbst und anderen schon beobachtet worden ist, nicht eine, sondern zwei Ausdrucksformen „charakteristisch zugehörig": Diese unterschiedlichen Ausdrucksformen traten nicht neben- sondern nacheinander auf und bezeichnen wesentlich die Periode vor und nach der erzwungenen Emigration in die Vereinigten Staaten. Man müßte von „literarischen Stilen" sprechen. Faßt man den Begriff noch enger und behauptet, mit Goethe, - dessen geflügelte Worte auch Panofsky gerne einflocht - daß „schon der Stil eines Schriftstellers der ganze Mann" oder, mit Scherer, „der Stil ein Abbild des Charakters" sei, dann darf man wohl schließen, daß mit dem grundlegenden Wandel des literarischen Stils auch der Wandel des Schreibenden selbst, seines Charakters, seiner Konstitution, ja seines Denkstils einher geht.
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Der formale Aspekt dieses Wandels ist, wie Panofskys Sprachgebrauch überhaupt, in Rezensionen und Nachrufen häufig erwähnt worden. Die Bewertungen sind widersprüchlich, je nachdem, ob es sich um den deutsch oder den englisch schreibenden Panofsky, um einen deutsch- oder englischsprachigen Verfasser oder um eine aus den 50er oder den 70er Jahren stammende Beurteilung handelt. Deutschsprachige Rezensenten vor 1933 erkennen zwar in der Regel Panofskys präzise Gedankenführung und sein Bemühen um „neue Begriffsbildungen" an, bemängeln aber auch, und dies zu Recht, „wahre Ungeheuer von Sätzen", „schwere Lesbarkeit" 1 und manierierte Formulierungen wie „Aufschrieb" und „renaissancistisch" 2 , - was bei Wölfflin übrigens „renaissancemäßig", bei Vöge „renaissancehaft" heißt. Der neue, leichtere Prosastil, den Panofsky nach der in den Vereinigten Staaten erfolgten „Katharsis" entwickelt hat, entsprach jedoch ebenfalls nicht den Gepflogenheiten der deutschen akademischen Welt: „Das Hineintragen moderner Begriffe in die mittelalterliche Welt Sugers ist zuweilen amüsant, spritzig und belebend, aber in der Anhäufung doch peinlich", heißt es 1948 in der Kunstchronik. Auch die Charakterisierung des Abtes als „parvenu" oder „gentleman architect" gilt dem Rezensenten 3 (Otto Lehmann-Brockhaus) als „unrein". Mit anderen Worten: Wer einen wissenschaftlichen Sachverhalt unterhaltend präsentiert, verstößt hier gegen ungeschriebene Gesetze, - eine Ansicht, die der junge Panofsky vielleicht auch noch selbst vertreten hätte. Erst in den 60er und 70er Jahren finden auch deutsche Rezensenten Gefallen an Panofskys „funkelndem Witz", seinem subtilen Humor und den im Text verstreuten „amüsanten Zitaten", Anekdoten und Alltagserfahrungen, die es seinen Lesern leicht machen. 4 Sein Tonfall gilt als „oft sarkastisch und immer ironisch", sein Prosastil als flüssig, elegant und geradezu musikalisch, seine Sprache als von „lateinischer Präzision". 5 Englischsprachige Kollegen konnten später nicht oft genug die meisterhafte Beherrschung einer Sprache hervorheben, die nicht Panofskys eigene war. 6 Sie sei beschämend für diejenigen, die Englisch zur Muttersprache hätten.
1. Hermann Beenken, Rezension zu : Erwin Panofsky, Die deutsche Plastik des 1 1 . - 1 3 . Jahrhunderts. München 1924, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, Beilage „Die Kunstliteratur", Heft 1, April 1925, S.1. 2. Gustav Pauli, Die Dürer-Literatur der letzten drei Jahre, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. X L I (1919), S. 1 - 3 4 . Vgl. seine Anmerkung 2: „Bei einem so gut zu lesenden Autor berühren nur Wortgebilde wie „renaissancistisch" und „Aufschrieb" einigermaßen peinlich". 3. Otto Lehmann-Brockhaus, in: Kunstchronik I, 12, 1948, S. 11 ff. 4. Vgl.W. S. Heckscher, Der Forensische Humanist. Ein Jahrhundertwerk der Kunstgeschichtswissenschaft endlich auf deutsch, in: Die Zeit, 23. Juni 1978, S. 47 und Wilfried Wiegand, Dürer, der denkende Künstler. Erwin Panofskys Werk endlich auf deutsch, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 10. 1977, Nr. 234. 5. Nachruf in der Süddeutschen Zeitung, 18. 3. 1968, Nr. 67, S. 14. 6. Martin Davies, His activity was dedicated to the life of the mind, in: Gazette des Beaux-Arts 71 (1968), S. 258.
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Die Bandbreite dieser Beurteilungen zeugt von einer Entwicklung, die wohl jeder schon am eigenen Leibe erfahren hat: Der Entwicklung Panofskys vom Autor schwer verdaulicher, mit einer verschraubten Terminologie gespickter Texte zum Verfasser von Schriften, deren Präzision ihrer Allgemeinverständlichkeit in nichts nachsteht. Panofsky hat diesen Wandel an sich selbst als Befreiung erlebt, als Abstreifen der Fesseln der deutschen Akademikersprache. Auslöser war der Wechsel in einen neuen, den angelsächsischen Sprachraum. Daß die Anpassung an amerikanische Spracherfordernisse zu einer neuen Klarheit und Deutlichkeit im Ausdruck, aber auch im Denken führen konnte, haben wie er viele andere Emigranten, etwa Richard Krautheimer, an sich selbst erfahren. Was Panofsky von ihnen unterscheidet, ist die Intensität und die Konsequenz, mit der dieser Wandel vollzogen wird, und die Vollkommenheit, mit der er gelingt. Panofskys Verhältnis zum sprachlichen Medium war schon in Deutschland ein besonderes gewesen. William Heckscher hat beobachtet, daß bei ihm „die Notwendigkeit, sich mit sprachkundlichen und literaturhistorischen Problemen auseinanderzusetzen (so vielen Fachgenossen ein Greuel!), (...) einer inneren Veranlagung entgegen(kam)".7 Die Inschrift auf Panofskys geträumtem Grabstein charakterisierte ihn schon ante mortem nicht nur als eine hunde-liebende, aber kinderhassende Person, sondern auch als jemanden, der Worte liebte („he loved a few adults, all dogs, and words"), wobei es psychologisch vielleicht interessant ist, daß Kunstwerke auf seinem Grabstein keine Rolle spielen.8 In diesem Zusammenhang fällt auf, daß Panofskys Vorlesungen, Vorträge und Aufsätze häufig mit einer ausführlichen Begriffsgeschichte beginnen, daß also der Einstieg in ein kunsthistorisches Thema über das Wort geschieht, - angefangen mit dem 1920 erschienen Aufsatz über den „Begriff des Kunstwollens"9 bis zu einer seiner ersten Vorlesungen aus dem Jahr 1922, die nicht etwa mit der Vorstellung eines Kunstwerks, sondern mit zwei unterschiedlichen Varianten des „Mittelalter"-Begriffs beginnt. Dieses linguistische Interesse äußert sich in Deutschland zunächst in einem differenzierten Prosastil, der zumindest in den frühen Jahren oft gedrechselt und bemüht wirken konnte. Lange Sätze, unendliche Parenthesen, Ver- und Einschränkungen ließen (und lassen) den Leser der frühen Veröffentlichungen leicht den Faden verlieren. Beobachtungen und Erkenntnisse werden in philosophierender Manier möglichst abstrakt verpackt, etwa wenn er in Idea (1924) von dem „invektiven und normativen Charakter der gerade durch diese doppelte Gegnerschaft zum Bewußtsein ihrer selbst gelangten klassizistischen Kunstanschauung" 7. Vgl. Anm. 4. 8. S. Brief Panofskys an Harry Bober vom 18. 9. 1945, in: A Commemorative Gathering for Erwin Panofsky at the Institute of Fine Arts (...), 1968, S.18 ff. 9. Der Begriff des Kunstwollens, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 14 (1920), S. 321-339.
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spricht. Oder wenn er, um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen, über Michelangelo schreibt: „Die Kunst, soweit die religiöse Inbrunst eines Greisenalters sie nicht, wie alles Irdische, als solche verwarf, hat ihm, wie es den Anschein hat, im Grunde doch als eine Möglichkeit gegolten, die Kluft zwischen der Idee und der Wirklichkeit zu überbrücken; und nicht ohne Absicht dürfte er den Terminus concetto dem bei anderen gleichzeitigen Autoren schon einigermaßen abgegriffenen, dagegen gerade für ihn, als wirklichen Kenner des Neuplatonismus, im Sinne einer transzendenten Auffassung verpflichtenden Ausdruck Idea vorgezogen haben: (...)". Ein eindrucksvolles Beispiel für die der deutschen Sprache eigene Tendenz zu Schachtelsätzen. Dies und die Neigung zu, wie er später selbstkritisch zugibt, „scheinbarer Tiefgründigkeit" ist auch, obgleich vielleicht weniger ausgeprägt, bei anderen Wissenschaftlern der Zeit zu beobachten. Recht unverwechselbar ist jedoch der merkwürdig altväterliche Ton, der Panofskys frühen Schriften eigen ist und der dem tatsächlichen Alter des Autors so gar nicht entspricht. „Dürer" wird im Dativ grundsätzlich zu „Dürern", 10 und wo etwa Wölfflin vom „ganzen Verlauf unserer Darlegungen"11 spricht, heißt es bei dem 22-jährigen Panofsky „am Anfang unserer ganzen Besinnung". 12 Damals wie heute seltene Wendungen wie „prävalierend", „odiös", „inkonzinn" oder gar „traumhaft-kimmerisch" verleihen den Texten eine archaisierende Färbung. Sprachliche Vorbilder sind nicht eindeutig zu bestimmen. Die vor der Emigration entstandenen Texte erscheinen vielmehr wie Amalgame, deren Zusammensetzung sich beständig (leicht) verändert. So ist in die kunsttheoretischen Schriften, was schon thematisch nahe liegt, mit Begriffen wie optischen und haptischen Flächenund Tiefenwerten zu einem beträchtlichen Teil Riegl'sche Terminologie eingeflossen. Daneben tauchen natürlich, und ich nenne sie hier nur stellvertretend, Wölfflins Grundbegriffe auf. Mit „Dokumentsinn" und „symbolischer Form" kamen Übernahmen von Karl Mannheim und Ernst Cassirer hinzu, die nicht nur formaler, sondern auch inhaltlicher Natur waren. Das Bemühen um eine präzise Begriffsbestimmung, um eine deduktive, rational nachvollziehbare Argumentation und um strenge Objektivität rückt Panofskys frühe Schriften in die Nähe der Philosophie. Formal und inhaltlich steht ihm hier vielleicht Edmund Husserl am nächsten.13 Beide verband unter anderem das
10. Erwin Panofsky, Die Theoretische Kunstlehre Albrecht Dürers (Dürers Ästhetik), (Phil. Diss. Freiburg/Brsg.), Berlin 1914, etwa S. 6, 13. 11. Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst. Basel/Stuttgart 1984 (1915), S. 271. 12. Vgl. Anm. 10, S. 48. 13. Panofsky zitiert ihn gelegentlich in den frühen Schriften. Der Philosoph war ausgebildeter Mathematiker. Sein Ziel war es, mit Hilfe der phänomenologischen „Grundlagenforschung" die
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Interesse an einer von der vordergründigen Aussage, sei sie nun sprachlich oder künstlerisch, unterschiedenen „Bedeutung". 14 Daß Panofsky in seinen kunstphilosophischen Schriften dem einzelnen Kunstwerk sprachlich oft weniger gerecht wird als etwa Kollegen, die das Kunstwerk als eine eigenständige, besondere Kategorie in den Mittelpunkt stellen, versteht sich eigentlich von selbst. Man hat gelegentlich angenommen, daß Panofskys Prosastil auch durch den vielbewunderten Lehrer Wihelm Vöge geprägt worden sei, - eine Vermutung, die sich meiner Beobachtung nach nicht bestätigen läßt. Panofsky hat in seiner Würdigung, die ein eigenes sprachliches Meisterwerk ist, selbst erkannt, daß in „Vöges Stil, zugleich poetisch und präzis, gefühlvoll und geistreich", dessen sprachschöpferische Phantasie den Gedanken mit der Anschauung und die Anschauung mit dem Klang zu Prägungen verbinde, an denen nichts geändert werden könne. 1 5 Die zwanglose und doch prägnante Formulierungskraft des Lehrers galt ihm als unerreichbar. Dessen Stil entziehe sich nicht nur der Übersetzung, sondern auch der Paraphrase. Wirkung zeigt das Vorbild Vöge vielleicht indirekt: Einerseits da, wo Panofskys oben erwähnte Neigung zu Archaismen zutage tritt, die er selbst bei Vöge bemerkt hatte, wenn dieser etwa von „ward" statt „wurde" sprach. Andererseits dort, wo neue Wortschöpfungen und kurvenreiche Umschreibungen besonders auffällig sind, etwa in dem Band zur Deutschen Plastik. Trotz sorgfältiger Konstruktionen bleibt der Text hier aber spröde und abstrakt: Mit Begriffen wie „Dingfarben", „Aufschwellung", „masse- und körpermäßiger Stil" oder gar Wendungen wie „die durch ein pseudotektonisches Scheingerüst verhehlten Wände" lassen die Ausführungen genau das vermissen, was Panofsky später bei Vöge, aber auch bei Arpad Weixlgärtner, so rühmen sollte: Natürlichkeit. Gleichzeitig ist bei Panofsky eine ausgesprochene Vorliebe für Probleme der Grammatik, besonders der lateinischen, und für Ubersetzungsfragen zu beobachten. So ist es kein Zufall, daß seine einzige öffentliche Äußerung zur modernen Kunst einen lateinischen Bildtitel betrifft: „Vir heroicus sublimus", ein in den Art
Philosophie zu einer „exakten" Disziplin zu machen. Dasselbe wollte Panofsky für die Kunstgeschichte. 14. Heckscher erwähnt in seinem Nachruf darüber hinaus Panofskys eindringliche Beschäftigung mit Kants Kritik der reinen Vernunft, mit Theodor Lipps' Grundlegung der Ästhetik und vor allem dessen Beeinflussung durch Viktor Lowinsky (Raum und Geschehnis in Poussins Kunst). Lowinsky ist für Heckscher die Quelle für den „highly formalized and encapsuled style" des jungen Panofsky. (William S. Heckscher, Erwin Panofsky: A Curriculum Vitae, in: Art and Literature. Studies in Relationship, Hg. EgonVerheyen. Saecula Spiritalia 17. Durham (Duke Univ. Press), Baden-Baden, 1985 (1969) S. 345. 15. Wilhelm Vöge, 16. Februar 1868-30. Dezember 1952, in: Wilhelm Vöge, Bildhauer des Mittelalters. Gesammelte Studien von Wilhelm Vöge. Berlin 1958, S. X .
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News 1961 veröffentlichtes Gemälde von Barnett Newman, das nach Panofskys Auffassung korrekterweise „Vir heroicus sublimis" hätte betitelt sein müssen.16 Als Ubersetzer schließlich tritt Panofsky in einem Buch ans Licht: In der 1946 erschienenen Übertragung der Schriften von Abt Suger aus dem Lateinischen. Ein anderes, weniger bekanntes Beispiel seiner Vorliebe für Sprachtüfteleien ist ein Briefwechsel17 mit dem - ebenfalls emigrierten - Romanisten Leo Spitzer, der die Auslegung des Mörike-Gedichts „Auf eine Lampe" zum Gegenstand hat. Spitzer hatte Panofsky im Oktober 1951 um seine Meinung zur Auslegung der letzten Zeile dieses Gedichts gebeten, die lautet: „Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst", - und zwar wohl deshalb Panofsky, weil dieser in „Idea" die Zeile selbst als gleichsam kunsttheoretisches Statement zitiert hatte.18 Auch Emil Staiger und Martin Heidegger (für Panofsky der „Weserich im Garten der Philosophie") waren an der Kontroverse beteiligt, wobei der eine „scheint" als „videtur", also im Sinne von „es scheint als ob", der andere es als „lucet", im Sinne von leuchtet, verstanden haben wollte.19 Spitzer war mit beidem nicht einverstanden, und Panofsky Schloß sich ihm an. Besonders Heideggers Variante - „Die schon erloschene Lampe leuchtet noch, indem sie als schöne Lampe lichtet" - wies er aufs Entschiedendste zurück: „Warum sagt Heidegger nicht lampt" ? Als „alter Mörikianer" konnte er aber selbst eine neue Interpretation vorschlagen: „(...) claret, der bis auf Ficino allgemein übliche Ausdruck für jenen inneren Glanz, der nach Pseudo-Dionysios Areopagita das eigentliche Wesen der Schönheit ausmacht". („Das Schöne", so würde die Deutung Panofskys dann lauten, „habe Glanzes genug an ihm selbsten"). Für ihn enthält Mörikes Gedicht damit eine eindeutig neoplatonische Aussage: Mörike „proklamiere" (...) in gut neuplatonischem Stil eine dem Kunstwerk innewohnende und von ihm „ausstrahlende" claritas, die ihm eignet, nicht insofern es eine Lampe, sondern insofern es schön ist". Mit dieser durch Spitzer angeregten Deutung korrigiert Panofsky somit seine eigene, früher in Idea geäußerte Sichtweise, nach der Mörikes Gedicht „in schneidendem Gegensatz" zur ästhetischen Anschauung des Neuplatonismus stehe. Spiritus rector für diese Neuinterpretation war eine Persönlichkeit, der Panofskys Forscherinteresse schon seit langem galt: Abt Suger von Saint-Denis, der „Proto-Humanist", in dessen
16. Art News 2 (1961), Abb. 6 sowie Panofskys Leserbrief in Art News 4 (1961) („Editor's letters"). Nach einer mündlichen Mitteilung von Meyer Schapiro an Verf. war er es, der, von Panofsky unerkannt, den befreundeten Maler für dessen Briefstreit mit dem berühmten Gelehrten mit den notwendigen (grammatikalischen) Argumenten versah. Vgl. den Beitrag von Beat Wyss in diesem Band. 17. Im Archiv des Getty-Center for the History of Art and the Humanities, Santa Monica, CA. Den Hinweis verdanke ich Martin Warnke. 18. Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie. Berlin 1985 (1924), S. 17. 19. Vgl. Emil Staiger, Die Kunst der Interpretation. München 1982 (1971), S. 14-28.
Studien zur deutschen
Literaturgeschichte,,
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Schriften - wenige Jahre zuvor von Panofsky selbst herausgegeben - die Vokabel „clarere" eine Schlüsselrolle spielt: „Nobile claret opus, sed opus quod nobile claret clarificet mentes..." („Leuchtend ist das edle Werk; doch edel leuchtend sollte das Werk die Geister erleuchten, so daß sie durch die wahren Lichter hinziehen mögen, zum wahren Licht..."). 20 Seinem tiefwurzelnden Sprachinteresse ist es wohl auch zu verdanken, daß es Panofsky nach dem erzwungenen Wechsel vom deutschen in den angelsächsischen Sprachraum nicht, wie man leicht vermuten würde, die Sprache verschlagen hat, sondern daß im Gegenteil seine Bibliographie keinerlei Lücken zeigt, - während andere Emigranten, wie etwa Paul Oskar Kristeller, erst einmal mehrere Jahre verstreichen ließen, bevor sie es wagten, auf Englisch zu publizieren, und vielen die englische Sprache einfach als „Desperanto" erschien.21 Schier am Englischen verzweifelt ist, um nur ein besonders herausragendes Beispiel zu nennen, Paul Frankl, der wie Panofsky in Princeton Aufnahme gefunden hatte. Als 1960 endlich sein Werk über „The Gothic" erschien, schrieb Pevsner22 eine ausführliche Rezension, deren erster Teil den Ubersetzungsfehlern gilt, die den Text für englischsprachige Leser unverständlich machen, ja geradezu zerstören: Der deutsche Terminus „Raumbild" wird bei Frankl zu „View of Space", Wölfflins „Klassische Kunst" zu „Klassizismus". Dies alles, so Pevsners Trost an seine Leser, sei nicht „nonsense but sense lost in transit". Dennoch ist auch Panofskys Verwandlung vom deutsch- zum erfolgreichen englischsprachigen Autor nicht über Nacht geschehen. Daß im Gegenteil der Transformationsakt auch für ihn mühsam war, bezeugen zahlreiche Briefstellen, in denen er beispielsweise über die Qualen der Ubersetzung seiner eigenen Vorlesungstexte23 (1931) berichtet. Noch 1939, etwa sieben Jahre nach dem Eintritt in den neuen Sprachraum, ist er von einer Tatsache überzeugt: Daß es ihm trotz vielfältiger Hilfeleistungen von Mitarbeitern und Freunden nicht gelingen werde, seinen Schreibstil von einem gewissen fremden, grundsätzlich un-englischen Beigeschmack zu befreien.24 In einem etwa gleichzeitigen Brief an den befreundeten Romancier Booth Tarkington heißt es aber dann: „Ich konnte es niemals über mich bringen, meine Sachen auf deutsch zu schreiben und sie von anderen übersetzen zu lassen, - eine Prozedur, die man mit der ruinösen Gewohnheit der meisten modernen Bildhauer vergleichen kann, die ihre Werke gerade noch in Ton 20. Erwin Panofsky, Abbot Suger on the Abbey Church ofSt. -Denis and itsTreasures (ed., translated and annotated by Erwin Panofsky), Princeton (Princeton Univ. Press), 1979 (2. Aufl. von Gerda Panofsky-Soergel), (1946), S. 23. 21. Hans Helmut Christmann, Deutsche Romanisten als Verfolgte des Nationalsozialismus, in: Exilforschung 6 (1988), S. 79. 22. Nikolaus Pevsner, The Gothic System, in: The Times Literary Supplement, 7. 4. 1961, S. 209. 23. Brief an W. Friedländer aus New York, 17. 11. 1931. 24. Brief an Abraham Flexner, Kennebunkport, 16. 7. 1938, in: Archiv des Institute for Advanced Study, Princeton.
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modellieren, um die Ausführung dann einem 'Techniker' zu überlassen. 25 Da für Panofsky gerade der Stil integraler Bestandteil des transportierten Inhalts war und jede Ubersetzung somit eine Zerstörung oder Verfremdung bedeutete, gab es nur eine Alternative: die möglichst vollständige Metamorphose. Diese Metamorphose vollzog sich auf zwei Ebenen: eine der aktiven, eine der passiven Aneignung. Die aktive Spracherfassung geschah mit Hilfe von „native assistants", die Panofsky bei der stilistischen Überarbeitung seiner Texte zur Hand gingen: 26 Mal war es ein Mitarbeiter der Oxford Press, mal Daisy Barr, Frau von Alfred Barr, und lange Jahre Roxanne Sanossian, später Heckscher, die diese Aufgabe wahrnahmen. Dazu gehörte auch die Anlage eines „kunsthistorischen Wörterbuchs", in dem das technische Vokabular der eigenen Disziplin - die Muttersprache der Kunstgeschichte war deutsch, wie Panofsky sagt - ins Englische übertragen wurde. Daß die Ubersetzung von Ausdrücken wie „taktil" oder „malerisch" sehr problematisch sein konnte, weil sie viele Bedeutungen in sich bargen, hat Panofsky ja bekanntermaßen in seinem Aufsatz zur Kunstgeschichte in Amerika selbst ausgeführt. 27 Die passive Sprachaneignung vollzog sich mit Hilfe englischsprachiger Lektüre, deren Wortschatz und Syntax Panofskys Prosatexte bald anreicherten. Waren es unter den deutschen Schriftstellern Jean Paul, 28 Fontane und Mörike, denen er sich besonders verbunden gefühlt hatte, so gehörten jetzt doch auch Verfasser von Kriminalromanen, vor allem Conan Dyle und Dorothy Sayers, zu seinen Lieblingsschriftstellern. Daneben las er in den Vereinigten Staaten, zumindest zu Anfang, bevorzugt Henry James, 2 9 an dessen Gesellschaftsromanen ihn wohl nicht nur deren psychologische Vielschichtigkeit und die anspruchsvolle sprachliche Gestaltung, sondern auch die Thematik - Begegnung zwischen Europa und Amerika - interessierte. Gelegentlich wurden Texte auch mit Fragmenten aus Shakespeares Sonnetten versetzt, - etwa wenn es über Erasmus von Rotterdam heißt, daß seine Persönlichkeit mit der „wiry concord", der vibrierenden Harmonie eines Saiteninstrumentes zu vergleichen sei, so ist dies eine direkte Übernahme aus 25. Brief an Booth Tarkington aus Princeton, 20. 10. 1939, in: Dr. Panofsky and Mr. Tarkington. An Exchange of Letters 1938-1946 (Hg. Richard M. Ludwig), Princeton (Princeton Univ. Library), 1974, S. 11 f. 26. Vgl. Anm. 24. 27. in: Epilog. Drei Jahrzehnte Kunstgeschichte in denVereinigten Staaten. Eindrücke eines versprengten Europäers, in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1978 (DuMont KunstTaschenbuch; 33), (1955), S. 387. Auch der ursprüngliche Titel des Buchs, „Meaning in the Visual Arts", ist, wie man sieht, nicliWeicht zu übersetzen und muß in zwei Worte gesplittet werden: „Sinn und Deutung". 28. Heckscher erwähnt in seinem Nachruf (vgl. Anm. 14) Panofskys detaillierte Lektüre von Jean Pauls .Vorschule der Ästhetik". 29. Ein regelrechtes Henry-James-Zitat findet sich in: Erwin Panofsky, Grabplastik, Vier Vorlesungen über ihren Bedeutungswandel von Alt-Ägypten bis Bernini (Hg. Horst W. Janson), Köln 1964, S. 105 f.
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Shakespeares Sonett Nr. 128, 4. Zeile: „The wiry concord that mine ear confounds".30 Die Verwandlung, die all diese Bemühungen schließlich bewirkt haben, ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam gewesen: Zum einen hinsichtlich des literarischen Stils, der eine elegante, sehr persönliche Färbung annahm, und zum anderen hinsichtlich des literarischen Zugriffs. Zum letzteren hat Panofsky selbst auf den „heilsamen Zwang"31 aufmerksam gemacht, den die englische Sprache und der häufige Umgang mit einer nicht-professionellen Hörerschaft für ihn und viele andere emigrierte Kollegen bedeutete. Vor einem „matter-of-fact"32-Publikum, das durch Rhetorik nicht zu blenden war, mußte man sich verständlich und präzise ausdrücken, - und fand dadurch, wie er schreibt, plötzlich den Mut, Bücher über ganze Meister oder Epochen zu schreiben anstelle der (in Deutschland) üblichen Spezialaufsätze zu Spezialproblemen. Alle in den USA verfaßten Bücher Panofskys basieren auf Vorträgen oder Vorlesungen,33 - die sich übrigens mehr und mehr zu kulturgeschichtlichen Manifestationen ausweiten. Immer weniger hat er es für nötig gehalten, diese gesprochenen Texte mit ihrem einfachen Satzbau, den Wendungen an die Hörer und den eingeflochtenen persönlichen Bemerkungen in eine „literarische Fassung" umzuwandeln („lecture style"). Trotz aller Vorteile, die der Wechsel in den angelsächsischen Sprachraum für ihn mit sich brachte, hat Panofsky doch auch einen Verlust empfunden: So hat er in der Würdigung für Vöge darauf hingewiesen, daß es für das deutsche Wort „Greis" in keiner Sprache ein Äquivalent gibt:34 old man, vieillard, vecchio, - alle Ubersetzungen ließen den würdevollen Ton des Deutschen vermissen. Auch die Differenzierung zwischen „schreiten" und „wandeln" läßt sich im englischen nicht nachbilden. Die Schlüsselbegriffe seines ikonographischen „Schemas" müssen im englischen kompliziert umschrieben werden und drücken auch dann noch nicht dasselbe aus:35 „Allgemeine Geistesgeschichte" wird zu „history of cultural symptoms or symbols in general" und „weltanschaulich möglich" zu „the manner in which essential tendencies of the human mind were expressed by specific themes and concepts". 36 30. Briefl. Hinweis von W. S. Heckscher. 31. Vgl. Anm. 27. 32. Brief an W. Friedländer, Princeton, 2. 7.1937, in: Nachlaß Walter Friedländer, Leo-Baeck-Institute, New York. Vorträge vor einem amerikanischen Publikum, so berät er den Freund, dürften nicht zu „theorizing in character" sein; ein Thema wie das vorgeschlagene „Gibt es eine französische Kunst als Einheit" eigne sich wenig. Besser dagegen: „Stoa", „Poussin-Iconographie" oder „Manierismus". 33. Jan Bialostocki, Einführung, Studien zur Ikonologie nach vierzig Jahren, in: Erwin Panofsky; Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance, 1980, S. 8. 34. Vgl. Anm. 15, S. X . 35. Zu den „unübersetzbaren" gehört beispielsweise auch der Begriff des Gesamtkunstwerks. 36. So beobachtet schon von Rudolf Zeitler, Kunstgeschichte als historische Wissenschaft, in: ders., Aufsätze zur Kunstwissenschaft, Uppsala 1977, S. 22 f.
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Ein weiteres Beispiel mag die Vereinfachung seines Stils illustrieren: So beginnt in Idea das von Michelangelo und Dürer handelnde Kapitel mit dem Satz: „Es bedarf nach den Untersuchungen Ludwig von Schefflers, Borinskis und Thodes keiner Erörterung mehr, daß die in den Dichtungen Michelangelos zum Ausdruck gelangende Weltanschauung im wesentlichen durch die neoplatonische Metaphysik bestimmt ist, die sowohl mittelbar als unmittelbar (mittelbar durch die Beschäftigung mit Dante und Petrarca, unmittelbar durch den nicht abzuleugnenden Einfluß der florentinischen und römischen Humanistenkreise) in sein Denken Eingang gefunden hat". 3 7 In dem Aufsatz über „Die neoplatonische Bewegung und Michelangelo"38 heißt es zu demselben Sachverhalt dann einfach: Daß Michelangelos Dichtung voller 'platonischer' Ideen ist, wurde schon von seinen Zeitgenossen beobachtet und wird nahezu einhellig in der modernen Forschung anerkannt. Als Florentiner sei seine Verehrung und gelehrte Kenntnis Dantes sprichwörtlich gewesen, und seine Schriften seien von Reminiszenzen an Petrarca geradezu übergequollen... Verweise auf die Literatur werden jetzt summarisch, en détail nur noch in den Fußnoten erledigt, der Satzbau ist einfacher geworden, distanzschaffende, einschränkende Wendungen wie „es bedarf keiner Erörterung mehr" oder „es gelangt zum Ausdruck" können ganz wegfallen. Durch Vergleiche, etwa mit Alltagssituationen der Gegenwart, oder kleine Einschübe, etwa daß Michelangelo mit Dante die florentinische Herkunft teilt, wird das Gesagte bildkräftiger und eindringlicher. Dürers, wie es in Idea heißt, „Einsicht, daß der eine in einer unscheinbaren kleinen Zeichnung Bedeutenderes zu leisten vermöge als der andere in einem großen Gemälde, das ihn Monate und Jahre beschäftigt hat" wird in der amerikanischen Fassung mit einem Beispiel erläutert: „Wir halten es für ausgemacht, daß eine Skizze, mit Feder und Tinte von Rembrandt gezeichnet, mehr wert ist als eine fünf mal sieben Ellen große Leinwand von Ferdinand Bol". 3 9 Ein anderes Entgegenkommen an die Leser ist die Übersetzung lateinischer und griechischer Zitate, die jetzt fast immer in den Text integriert wird. 40 Nach der Emigration hat Panofsky in deutscher Sprache nur noch fünf Texte verfaßt, und fast alle sind persönliche Würdigungen: einige Seiten im „GoetheKalender auf das Jahr 1938", 4 1 „Goldschmidts Humor", 4 2 die Hommage an Vöge
37. Vgl. Anm. 18, S. 64. 38. Erwin Panofsky, Die neoplatonische Bewegung und Michelangelo, in: Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance. Köln (DuMont-Dokumente), 1980 (1939), S. 256. 39. Erwin Panofsky, Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. München 1977 (1943), S. 376. 40. Dagegen war Panofsky stolz darauf, daß es ihm - vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte der amerikanischen Literatur überhaupt - gelungen war, griechische Zitate in Fußnoten ohne Übersetzung erscheinen zu lassen, Vgl. David Coffin, in: vgl. Anm. 8, S. 15. 41. Diese Angaben entnehme ich einem Brief von Gerda Panofsky. Erwin Panofsky, im Aufsatz von George Madison Priest, Das Goethe-Bild von Sebbers in Amerika, in: Goethe-Kalender auf das Jahr 1938, hrsg. vom Goethe Museum Frankfurt, 1937, S. 191-195.
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von 1958,43 die Würdigung von Max J. Friedländer44 und eine Erinnerung an Arpad Weixlgärtner von 1961.45 Auch in diesen Texten macht sich die „neue Lockerheit", die größere Ungezwungenheit bemerkbar, die hier stärker als früher mit einem humoristischen Einschlag gepaart ist. Meisterhaft formuliert, merkt man ihnen nicht an, was Panofsky dem Freund Walter Friedländer in einem Brief gestand: Daß es ihm inzwischen schwer falle, auf deutsch zu schreiben. Viele seiner Kollegen sind in der neuen Sprache immer ein Gast geblieben. Panofsky ist in ihr heimisch geworden; er konnte sich nicht nur nachahmend, sondern wirklich kreativ in ihr bewegen, er hat in ihr einen eigenen Stil entwickelt. Den meisten vertriebenen Schriftstellern ist dies nicht gelungen. Thomas Mann, noch berühmterer „Botschafter" des Deutschen, blieb in der deutschen Sprache verwurzelt, - obwohl auch sein Prosastil sich unter dem Eindruck Amerikas verändert hat. Seine berühmte, 1945 in Washington gehaltene Rede über „Deutschland und die Deutschen" war in deutsch geschrieben, und: „Nie werde ich aufhören", so bekannte er, „mich als deutscher Schriftsteller zu fühlen, und bin auch in den Jahren, als meine Bücher nur auf englisch ihr Leben fristeten, der deutschen Sprache treu geblieben, nicht nur, weil ich zu alt war, um mich noch sprachlich umzustellen, sondern auch in dem Bewußtsein, daß mein Werk in deutscher Sprachgeschichte seinen bescheidenen Platz hat". 46 Panofskys Bücher haben in der deutschen Sprache erst in jüngerer Zeit ihren Platz gefunden. Seine Hamburger Schülerin Liselotte Möller war es, die mit der Ubersetzung der Dürermonographie und von „Grabplastik" den ersten Schritt dazu unternommen hat, daß mit den Büchern auch der verlorene Geist zurückgeholt wurde. Gerade ist „Die Büchse der Pandora" endlich auf deutsch erschienen, während im Gegenzug die frühe Arbeit über die Perspektive als symbolische Form in den USA ins Englische übersetzt wird. All dies sind Anzeichen dafür, daß sich in der Person Panofskys zwei Pole einander annähern. Er hat nicht, wie der metaphysische Esel in Jean Pauls „Schulmeisterlein Wuz", den Kopf zwischen zwei Heubündeln ratlos hin und her gedreht. Er hat sie sich, möchte man sagen, beide einverleibt. Seine in den Vereinigten Staaten entstandenen Arbeiten sind, was Sprache, aber auch Denkstruktur betrifft, Produkte einer echten KulturverSchmelzung.
42. Erwin Panofsky, Goldschmidts Humor, in: Adolph Goldschmidt zum Gedächtnis, Hamburg 1963, S. 3 5 - 4 1 . 43. vgl. Anm. 15, S. I X - X X X I I . 44. Glückwunsch an einen großen Kunsthistoriker. Max J. Friedländer, ter Ere van zijn Negentigste verjaardag, The Hague, 1957, S. 11-18. 45. Erwin Panofsky, Zum Geleit (S. 5 - 6 ) und Nachtrag (S. 42), in: Arpad Weixlgärtner, Grünewald. Wien 1962. 46. Thomas Mann,Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe, in: Essays, Band 2, Politische Reden und Schriften (Hg. Hermann Kurzke), Frankfurt/M., 1977 (1945), S. 305 f.
Pan deus Arcadiae venit". Panofsky und Poussin Oskar Bätschmann
I. Poussin - eine Marginalie? Poussin als Thema von Panofsky ist gegenüber den möglichen großen Themen Dürer, Tizian und vielleicht Michelangelo nur eine Marginalie. Dürer wurde Panofskys Künstler seit der Freiburger Dissertation von 1914, den wichtigen Arbeiten der zwanziger Jahre und durch die zweibändige Monographie, die nicht zufällig mitten im Zweiten Weltkrieg, in Amerika geschrieben und 1943 von der Princeton University Press gedruckt wurde.1 Der am meisten geliebte Maler war Tizian, the greatest ,colorist' who ever lived. Uber ihn hat er wenig geschrieben. Die Diskussion von ikonographischen Problemen bei Tizian, die posthum erschien, steht unter dem ausdrücklichen Verzicht auf den Anspruch, keinesfalls - im Gegensatz zur Monographie über Dürer - ein Gesamtbild der Entwicklung und Bedeutung entwerfen zu wollen.2 Dürer hat Panofsky bewundert als deutschen universalen Künstler, Tizian hat er geliebt, Michelangelo hat er in Faszination umkreist und gefürchtet.3 Poussin war dagegen wenig mehr als der Urheber einiger Gemälde, die für Panofsky vor allem - wie es zunächst scheint - ikonographisch/ikonologisch interessant waren. Tatsächlich wurden ihm die Stellung des französischen Künstlers in Rom und Paris, seine Tätigkeiten und Ideen, seine Entwicklung und seine künstlerischen Probleme nie Gegenstand einer weitergefaßten Untersuchung. 1. Erwin Panofsky, Albrecht Dürer, 2 vol., Princeton, N.J.: Princeton University press, 1943; dt. Das Leben und die Kunst Albrecbt Dürers, München: Rogner Sc Bernhard, 1977. 2. Erwin Panofsky, Problems in Titian mostly iconographie (The Wrightman Lectures, vol. 2), London: Phaidon, 1969. 3. Panofsky ist, nach den vorläufigen, kaum befriedigenden Bibliographien, zuerst 1920 in einem kurzen Artikel, dann 1921 und 1922 innerhalb der Bibliothek der Kunstgeschichte in zwei kleinen Bändchen auf Michelangelo zu sprechen gekommen. Darauf folgten Rezensionen 1921/22, 1927, 1932 und 1934. Eigene Arbeiten erschienen 1927 und 1928 über das Problem der Zeichnungen Michelangelos, 1937 über die Projekte zum Grabmal von Julius II., dann folgte 1939 innerhalb der Studies in Iconology der Beitrag ,The Neoplatonic Movement and Michelangelo'.
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Poussin taucht bei ihm in einer Fußnote zum Kapitel Giovan Pietro Bellori in der Idea 1924 auf. Belloris Vortrag in der Accademia di San Luca von 1664 über L'Idea del Pittore, dello Scultore e dell'Architetto, dem Panofsky den Titel seines Buches entnahm, hatte erstmals explizit formuliert, daß die künstlerische Idee der sinnlichen Anschauung entstamme. Dagegen schien Poussin einen rein neuplatonischen Standpunkt eingenommen zu haben, als er in seine Notizen einen Passus über die idea della bellezza aufnahm, der sich auf Ficino und Lomazzo bezog. Poussins Notizen, die nicht für eine Publikation vorgesehen waren, wurden von Bellori 1672 im Anschluß an die Vita Nicolò Passino erstmals veröffentlicht, versah Panofsky mit der generellen, an Gerstenberg gerichteten Warnung, Aussprüche eines Künstlers ohne weitere Prüfung zur Deutung seines Kunstwollens beizuziehen.4 Die Akademierede von 1664 des jungen und ehrgeizigen Bellori geht vermutlich in wesentlichen Teilen auf die Ansichten und Instruktionen des berühmten französischen Malers zurück. Bei Poussin holte sich Bellori in allen wichtigen Fragen seiner Unternehmungen Rat. In den fünfziger Jahren arbeitete er an der Auslegung von Annibale Carraccis Galleria Farnese und an der Beschreibung von Raffaels Fresken im Vatikan.5 Das Problem, wie Kunstwerke zu beschreiben seien, wurde Poussin vorgelegt. Bellori gibt den Rat des Malers ausführlich wieder im Vorwort der Vite de pittori, scultori e architetti moderni von 1672 und verfuhr danach.6 Nicht als Inspirator oder graue Eminenz der wichtigsten kunsthistorischen Abhandlung des Klassizismus, oder als Ratgeber in methodologischen und kunsttheoretischen Fragen erscheint Poussin jedoch bei Panofsky, sondern als Anhänger einer neoplatonischen Tradition, die gegenüber der modernen von Bellori als etwas altertümlich wirkt. Poussin hatte als Kunsttheoretiker für Panofsky nicht genug zu bieten. Das wenige, das sich aus den Briefen, den 4. Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie (Studien der Bibliothek Warburg, hrsg. von Fritz Saxl, Bd. 5), Leipzig und Berlin: Teubner, 1924, 2. verb. Auflage Berlin: B. Hessling, 1960, Anm. 261, pp. 117-118. - Kurt Gerstenberg, Die ideale Landschaftsmalerei. Ihre Begründung und Vollendung in Rom, Halle: Max Niemeyer, 1923, p. 108. - Belloris Akademierede erschien erstmals 1672 als Einleitung zu der ersten Edition von Le vite de'pittori, scultori et architetti moderni, Rom: Success. Mascardi, 1672, dann in allen folgenden Editionen; vgl. die von Evelina Borea edierte Ausgabe Turin: Einaudi, 1976; Giovanni Pietro Bellori, Die Idee des Künstlers, dt. Übertragung von Kurt Gerstenberg, Berlin: Schriftgießerei H . Berthold, 1939. 5. Giovan Pietro Bellori, Argomento della Galleria Farnese dipinta da Annibale Carracà disegnata e intagliata da Carlo Cesio, nel quale spiegansi e riduconsi allegoricamente alla mortalità le favole poetiche in essa rappresentate, Rom 1657; vgl. Annibale Carraca e i suoi incisori. Katalog der Ausstellung in Rom, Villa Farnesina, 1986, Nr. X L I I , pp. 111-201. - Giovan Pietro Bellori, Descrizzione delle imagini dipinte da Rafaelle d'Urbino nelle camere del Palazzo Apostiolico Vaticano, Rom: G.G. Komarek, 1695. 6. Bellori, Vite, ed. 1672 (wie Anm. 4), Al lettore, ed. 1976 (wie Anm. 3), pp. 8 - 9 ; vgl. Oskar Bätschmann, Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik. Die Auslegung von Bildern, 4. Auflage, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992, pp. 5 0 - 5 4 .
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Nachrichten der Biographen und den Literaturnotizen der Osservazioni erschließen läßt, hat Anthony Blunt im wesentlichen 1937/38 dargelegt.7 Poussins Arbeit als Künstler war im Gegensatz zu Dürer nicht von einer adäquaten theoretischen Arbeit begleitet. Poussin bot Panofsky Probleme, die er zur Sprache brachte in seiner Beschäftigung mit der Stellung von Erasmus von Rotterdam zu Dürer und Holbein in einem Aufsatz, der posthum, 1969, im Journal of the Warburg and Courtauld Institutes erschien: der Zugang des Humanisten zur Kunst, der philologische und literarische Zugang zu Werken der Malerei, die Wertung des Malers über seine literarischen Fähigkeiten. 8
II. Arkadia Panofsky entschuldigte sich in einem Brief an Walter Friedländer vom 22. März 1932, daß er auf der Rückkehr von New York nach Hamburg in Southhampton nicht ein Schiff ausgelassen habe, um ihn an der Londoner Ausstellung über französische Malerei zu treffen. Von dieser Ausstellung habe er in Amerika nichts erfahren: Lieber guter W.F.! Heißen Dank für Ihren lieben Brief! Es ist wahnsinnig blöd, daß wir uns in London nicht gesehen haben, denn ich hätte so leicht in Southhampton ein Boot überschlagen können. Aber (stellen Sie sich das bloß vor!) ich wußte einfach nichts von der Londoner Ausstellung! In Amerika war ich nun mal der Mann für Dürer und „Classical Mythology in medieval art" (als welche jene gleich in drei Zeitschriften abdrucken wollten, aber es wird wohl das Metropolitan Bulletin werden), und kein Hund dachte daran, daß ich mich auch für Poussin und Watteau interessieren könnte. Sie interessieren sich dort übrigens selbst nicht dafür, da alle Sammelei auf „italienische Primitive" und „Spanien", und die Wissenschaft fast ganz auf Mittelalter bis 1200 konzentriert ist. So habe ich also eine der schönsten Gelegenheiten, η Bilder und 1 Menschen (nämlich Sie) zu sehen, einfach verschlafen, und nun sitze ich in Hamburg und kann nicht weg, da ich mich mit den Behörden um meine einzige Hilfskraft, die man mir inzwischen abgetrieben hat, sowie um Lehrauftäge für Tolnai (der natürlich in London war und jetzt in Paris ist) herumbalgen muß und Kolleg preparieren müßte, wenn ich nicht so gewissenlos wäre. [.. .p Die Ausstellung, um die es geht, fand in der Royal Academy in London statt unter dem Titel French Art 1200-1900.10 Die Passage, die Poussin und Watteau 7. Anthony Blunt, ,Poussin's Notes on Painting', in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1, 1937/38, pp. 344-351. 8. Erwin Panofsky,,Erasmus and the Visual Arts', in: Journal of the Warburgand Courtauld Institutes, 32, 1969, pp. 200-227. 9. Ich verdanke die Kenntnis dieser Briefstelle und aller weiter zu zitierenden aus dem Leo Baeck-Institute, New York, der kollegialen Hilfe von Dr. Karen Michels, Hamburg. 10. Der Katalog erschien ein Jahr später: Commemorative Catalogue of the Exhibition of French Art, 1200-1900, Royal Academy of Arts, London, January-March 1932, Oxford and London, 1933.
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erwähnt, dürfte das früheste Dokument für Panofskys Interesse am Thema des Grabes in Arkadien sein. Die erste ausdrückliche Erwähnung des Arkadia-Themas findet sich in einem Brief Panofskys vom 30. August 1932, der wiederum an Walter Friedländer gerichtet ist. Panofsky schrieb diesen Brief nach der Rückkehr von einem zweiwöchigen Aufenthalt auf der Insel Bornholm, wohin er sich vor Hakenkreuz und Kunstgeschichte geflüchtet hatte. Offenbar hatte er während der glücklichen zwei Wochen in Bornholm versucht, sich mit dem Thema des Grabes in Arcadia zu beschäftigen. Über seine Arbeit schrieb er: Ich selber bin, was die „produktiveα Seite anlangt, gänzlich auf dem Hund. Die Arcadia-Sache hockt an einer nicht aufzufindenden Reynolds-Zeichnung nach Guercino, und anderes mag ich nicht anfangen}1 Walter Friedländer, der 1914 seine große Poussin-Monographie publiziert hatte, muß auf Panofskys Ideen über das Thema der Et in Arcadia ego-Bilder mit Skepsis reagiert haben.12 Panofsky nahm auf seine Reserve mehr als ein Jahr später Bezug in einem Brief vom 20. November 1933, den er ihm aus Hamburg schrieb. Der Passus lautet: [...] im übrigen habe ich nur etwas über ikonographische Problemchen bei Michelangelo räsuminiert und das von Ihnen etwas skeptisch beurteilte Steckenpferd des „Et in Arcadia ego " geritten; es ist doch etwas daran, ich weiß nur noch nicht was. Ich glaube es wird - wenns dazu kommt - ein kleines Etwas über die Vergänglichkeitsidee bei Poussin und Watteau. Panofsky war zu diesem Zeitpunkt seit einem halben Jahr seiner Professur in Hamburg enthoben. Die kleine Bemerkung über Poussin steht zwischen dem Bericht über die Rede Gustav Paulis zu seinem Abschied - eine richtige Leichenrede, die das versammelte Volk fürchterlich rührte (mich sogar auch) - und der mißvergnügten Wahrnehmung, daß für die Nachfolge bereits zwei Kollegen ihre Aufwartung in Hamburg gemacht hätten: Nicht nur Bauch, sondern auch Jantzen ispsissimus haben hier ihre „apparition " gemacht. Ich habe beide natürlich nicht gesehen, von ehemaligen Schülern, die da waren, ziemlich abfällige Berichte gehört. Aber die Abfälligkeit kommt vielleicht, oder sogar wahrscheinlich, auf Rechnung alter Sympathien für den „ci-devant". Daß einer der beiden mein Nachfolger wird, glaube ich kaum; die Stelle wird zunächst wohl gar nicht wieder besetzt, und im nächsten Semester wird sich wahrscheinlich Heydenreich hier habilitieren, was ich selber vorgeschlagen habe (die Tatsache darf bekannt werden; daß es mit meinem Segen oder sogar auf meinen Wunsch geschieht, natürlich nicht!) Durch diesen Brief wird mehr an persönlicher Verwicklung in der Beschäftigung mit dem Thema Arkadien erfahrbar, als Panofsky in den Publikationen zeigte. Die Verwicklung geht weit über das hinaus, was Panofsky in seinem Aufsatz über die 11. Brief an Walter Friedländer vom 30.8.1932, Leo Baeck-Institute, New York (vgl. Anm. 9). 12. Walter Friedländer, Nicolas Poussin. Die Entwicklung seiner Kunst, München: R. Piper, 1914. 13. Panofsky an Walter Friedländer, 20. Nov. 1933, Leo Baeck-Institute, New York (vgl. Anm. 9).
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Inhaltsdeutung von 1932 an subjektiver Ausrüstung des Interpreten gefordert und gebilligt hatte.14 Die Beschäftigung mit den bildlichen und literarischen Darstellungen von Arkadien, die 1932 mit den als Rückzug vom nationalsozialistischen Geschrei erfahrenen Ferien in Bornholm ernsthaft eingesetzt hatte, schien in den Jahren nach 1933 die wissenschaftliche Verarbeitung der Vertreibung aus Deutschland und Europa zu ermöglichen. Es ist klar, daß Panofskys Aufsatz, der 1936 in der Festschrift für einen gleicherweise Exilierten, Ernst Cassirer, publiziert wurde, darauf nicht eingeht.15 Es kam ihm auch nicht darauf an, daß Poussins zweite Version dieses Themas möglicherweise für den Auftraggeber Giulio Rospigliosi eine ähnliche Rolle gespielt hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach bestellte Giulio Rospigliosi, der spätere Papst Clemens IX. bei Poussin drei Bilder vor oder nach dem Aufenthalt des Malers in Paris 1640/41, drei Allegorien der Zeit. 16 Zu dieser Zeit war Rospigliosi Höfling der Barberini, war angesehen als Dichter und Opernlibrettist, hatte aber nur den verhältnismäßig niedrigen Rang eines Prelato erreicht und besaß kaum noch Aussichten, zu Lebzeiten von Urban VIII. zum Kardinalsamt zu gelangen und so seine Stellung zu sichern vor der absehbaren Beendigung des Barberinischen Pontifikats. 1644 wurde Rospigliosi vom Papst Innocenz X. Pamphili wie alle Anhänger der Barberini aus Rom entfernt. Rospigliosi empfand die Abschiebung als Nuntius nach Madrid, die neun Jahre dauerte, als Verschickung in die Wüste. Poussins zweite Version des Arkadien-Themas, die damals in seinem Besitz war, dürfte mit ihm nach Madrid gekommen sein.17 Die Insel, auf die Panofsky 1932 vor Hakenkreuz und Kunstgeschichte flüchtete, um sich mit Arkadien zu beschäftigen, war die Philologie. Im Aufsatz Et in Arcadia Ego von 1936 präsentierte sich Panofsky als Philologe und beanspruchte ein philologisches Ziel. Dieses war die Unterscheidung der grammatikalisch korrekten 14. Erwin Panofsky, ,Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst', in: Logos, 21,1932, pp. 103-119; vgl. E.P., Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hrsg. von Hariolf Oberer und Egon Verheyen, Berlin: Bruno Hessing, 1964, 2. Auflage Berlin: 1974. 15. Erwin Panofsky, ,Et in Arcadia Ego. On the Conception of Transience in Poussin and Watteau', in: Philosophy and History. Essays presented to Ernst Cassirer, hrsg. von R. Klibansky und H.J. Patón, Oxford: Clarendon Press, 1936, pp. 222-254, 2. Ausgabe New York, Evanston and London: Harper Tochbooks, 1963. 16. Bellori, Vite (wie Anm. 4), ed. 1976, pp. 463-646: II ballo della vita umana (London, Wallace Collection), La Verità scoperta dal Tempo (verschollen), La felicità soggetta alla morte (d.h. Et in Arcadia Ego II, Paris Louvre). - Anthony Blunt, The Paintings of Nicolas Poussin. A Criticai Catalogue, Lodon: Phaidon, 1966, no. 120, pp. 8 0 - 8 1 , mit Datierung auf 1650-55, was sich weder aus stilistischen Gründen noch aus Gründen der Biographie des Auftraggebers halten läßt. Friedländer, Poussin (wie Anm. 12) p. 58, schlug eine Datierung 1639 oder 1642 vor. - Zu den andern Gemälden: Blunt, Catalogue, nos. 119, 121, 123, pp. 8 0 - 8 4 . 17. R. Meloncelli, Art. ,Clemente IX, papa', in: Dizionario biografico degli Italiani, voi. 26, Rom: Instituto della Enciclopedia Italiana, 1982, pp. 2 8 2 - 2 9 3 .
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Übersetzung der lateinischen Wendung mit ,Even in Arcadia, there (am) Γ (Selbst in Arkadien gibt es mich) vom unkorrekten aber historisch höchst folgenreichen Verständnis ,1, too, was in Arcadia' (Auch ich war in Arkadien). In der Fassung des Aufsatzes, die 1955 in Meaning in the Visual Arts erschien, gab Panofsky seiner Untersuchung ein weiteres präzis bestimmtes Ziel: Finally, I shall try to fix the ultimate responsibility for this change, which was of paramount importance for modern literature, not on a man of letters but on a great painter.18 Damit war der Maler vom strengen Philologen eines grammatikalisch falschen Verständnisses überführt, doch konnte diese, weil sie die fruchtbare elegische Tradition begründete, als felix culpa gerechtfertigt und entschuldigt werden. Panofsky verband die richtige und die falsche Ubersetzung mit den beiden unterschiedlichen Interpretationen des gleichen Bildes von Bellori und André Félibien. Bellori hatte 1672 die Inschrift so erläutert: „Et in Arcadia Ego", cioè che il sepolcro si trova ancora in Arcadia, e che la morte ha luogo in mezzo la felicità (das heißt, daß sich das Grab selbst in Arkadien findet, und daß der Tod inmitten des Glücks auftritt). Dagegen verstand André Félibien, Poussins französischer Biograph, 1688 die Inschrift anders: L'Arcadie est une contrée dont les Poetes on parlé comme d'un Pais délicieux: mais par cette inscription on a voulu marquer que celui qui est dans ce tombeau, a vécu en Arcadie, & que la mort se rencontre parmi les plus grandes felicitez. (Arkadien ist eine Gegend, von der die Dichter als köstliches Land gesprochen haben: doch hat man durch diese Inschrift betonen wollen, daß derjenige, der sich in diesem Grab befindet, in Arkadien gelebt hat, und daß der Tod inmitten der größten Glückseligkeiten anzutreffen ist).19 Der schlechte Lateiner Félibien habe, wie Panofsky es nicht ohne resignierten Triumph aufzeigt, sehr wohl Pousssins Bild verstanden, während der gelehrte Bellori zwar die Inschrift korrekt übersetzt, aber den neuen Sinn des Bildes verfehlt habe.
III. Dialektik und intrinsic meaning Panofskys philologische Arbeit über Et in Arcadia ego hat sich, besonders in der revidierten Form von 1955, sowohl in der Literaturwissenschaft wie bei den Poussinisten durchgesetzt nach anfänglichem vereinzeltem Widerstand. Werner Weisbach war 1937 so unvorsichtig, Panofsky als Philologen zu kritisieren, erhielt
18. Panofsky, Erwin, ,Et in Arcadia Ego: Poussin and the Elegiac Tradition', in: E.P., Meaning in the Visual Arts, Garden City, New York: Doubleday, 1955, pp. 340-367; dt.: ,Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen', in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln, DuMont, 1975, pp. 351-377. 19. Bellori, Vite (wie Anm. 4), p. 464; André Félibien, Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellenspeintres anciens et modernes, 6 vols.,Trévoux: Imprimeri de S.A.S., 1725, vol. IV, p. 88. Félibiens Entretien über Poussin erschien erstmals 1688.
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aber umgehend schlechte Lateinnoten.20 Bis 1981 hat niemand mehr Panofskys Unterscheidung zwischen dem grammatikalisch korrekten Verständnis und der falschen Übersetzung und die entsprechende Zuordnung der Bilder angezweifelt. 1981 hatte Louis Marin diese Kühnheit in einem Aufsatz, der seinerseits Modellcharakter erhielt.21 Die zweite Version, die Panofsky in die Aufsatzsammlung Meaning in the Visual Arts 1955 aufnahm, unterscheidet sich beträchtlich von der ersten. Die zweite Version ist strikter als die erste auf das philologische Ziel ausgerichtet und von ikonographischen Grenzen bestimmt. Nicht nur das Kapitel über Watteau fiel weg (wie es auch der neue Titel anzeigt), sondern auch die Ausführungen über Poussins Darstellungen der Zeit und über die Ruinen, die in der ersten Version das Kapitel II mit den Illustrationen 7-13 gebildet hatten.22 Der Anhang über Poussin und seine drei Bilder für Rospigliosi schrumpfte zu einer Anmerkung. Die äußeren Gründe für die beiden letzten Veränderungen sind einfach zu nennen: Poussins Thema Die Wahrheit, von der Zeit entdeckt war in der Festschrift Cassirer 1936 von Fritz Saxl in seine Untersuchung ,Veritas Filia Temporis' einbezogen worden, während das dritte Bild für Rospigliosi, Der Tanz zur Musik der Zeit zusammen mit dem Berliner Bild Phaeton erbittet von Helios den Sonnenwagen den Abschluß von Panofskys Abhandlung ,Father Time' in den Studies of Iconology von 1939 bildete.23 Auf den Zusammenhang der beiden Bilder Et in Arcadia ego und Tanz zur Musik der Zeit war Panofsky zu Beginn seiner Arbeit über Poussin bereits gekommen. Am 6. Juni 1932 schrieb er an Walter Friedländer über den Zeitentanz nach der Hypnerotomachia Poliphili, und das Motiv des Putto mit der Seifenblase: Das Ganze ist eigentlich ein klassizistisch rhythmisiertes, aktiviertes und anthropomorphisiertes Fortuna-Rad; insofern eine amüsante Parallele zu dem „Et in Arcadia 20. Werner Weisbach, ,Et in Arcadia Ego', in: Gazette des Beaux-Arts, 79, 1937, pp. 2 8 7 - 2 9 6 ; Erwin Panofsky, ,Et in Arcadia Ego et le tombeau parlant' in: Gazette des Beaux-Arts, 80, 1938, pp. 305f. 21. Louis Marin .Toward a Theory of Reading in the Visual Arts: Poussin's The Arcadian Sheperds', in: The Reader in the Text. Essays on Audience and Interpretation, ed. by Susan R. Suleiman and Inge Crosman, Princetown N.J.: University Press, 1980, pp. 2 9 2 - 3 2 4 ; dt. (teilweise): ,Zu einer Theorie des Lesens in den bildenden Künsten: Poussins Arkadische Hirten', in: Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, hrsg. von Wolfgang Kemp, Köln: DuMont, 1985, pp. 110-136, 2. erweiterte Ausgabe Berlin: Reimer, 1992, pp. 142-168. 22. David Carrier, ,Panofsky, Steinberg, Carrier. On the Problem of Objectivity in Art Historical Interpretation', in: Journal of Aesthetics and Art Criticism, 47, 1989, pp. 333-347. 23. Fritz Saxl, ,Veritas Filia Temporis', in: Philosophy and History. Essays presented to Ernst Cassirer, hrsg. von R. Klibansky und H.J. Patón, Oxford: Clarendon Press, 1936, pp. 197-222, bes. pp. 2 1 2 - 2 1 5 und Anm. 2, p. 215. - Erwin Panofsky,,Father Time', in: Studies in Iconology. Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, Oxford: University Press, 1939, pp. 6 9 - 9 4 ; Reprint: New York: Harper Torchbook, 1962; dt.: .Vater Chronos' in: Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance, Köln: DuMont, 1980, pp. 109-152.
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Ego", an dem ich noch herumdoktere.24 Im Aufsatz ,Father Time' interpretierte Panofsky Poussins Tanz zur Musik der Zeit als eine dialektische Einheit der Zeit als schöpferische Ewigkeit (Aion) mit der Zeit als Zerstörerin (Saturn). Chronos spielt auf der Leier zur Drehung des Fortuna-Rades, Putti vergnügen sich mit den Zeichen von Vergänglichkeit und Eitelkeit, und der unbeirrbare Lauf der Sonne im Zodiak beherrscht die Szene. Panofsky nahm mit dem Aufsatz ,Father Time' das zentrale Thema des Warburg-Kreises auf. Poussin erscheint in dieser Abhandlung als derjenige, der mit seinen Darstellungen der Zeit als einer kosmischen Macht die divergierenden Vorstellungen in eine dialektische Synthese brachte: In the visual arts a calmer, nearly Cartesian mind, was to create the unsurpassable images of Time as a cosmic power: Nicolas Poussin.2* Dieser Vorstellung von Poussin als einem Maler, der Gegensätze zur dialektischen Einheit bringt, folgen die beiden Aufsätze von Dora und Erwin Panofsky, die im Abstand eines Jahres 1949 und 1950 über zwei Bilder des französischen Malers erschienen.26 Offensichtlich haben sich die beiden Panofsky zur gleichen Zeit der Arbeit über die Bilder Geburt des Bacchus und Apollo und Daphne gewidmet. Vom ikonographischen Standpunkt haben beide Bilder dieselbe Problematik: beide entwinden sich der traditionellen ikonographischen Schemata und erreichen eine völlig neue Darstellung und Auffassung der Themen. Von Cambridge Mass. schrieb Dora Panofsky am 16. September 1948 an Walter Friedländer: Erwin hat Ihnen wohl schon geschrieben, daß ich mich hier in das phantastisch schöne Bild, genannt „Birth of Bacchus" richtig verliebt habe und versuche herauszufinden, was Bacchus bei den Nymphen mit dem sterbenden Narciss zu tun hat.27 Im Aufsatz sah Dora Panofsky in der Geburt des Bacchus den grundsätzlichsten Gegensatz ausgedrückt, den von Leben (der zum zweiten Mal geborene Bacchus wird zu den Nymphen von Nysa gebracht) und Tod (Narziss und Echo sterben bzw. werden verwandelt). Mit Poussins vorausgehenden Darstellungen von Narziss und Echo und mit dem Dresdner Reich der Flora versuchte Dora Panofsky zu zeigen, daß diese mythologischen Figuren komplementäre Symbole eines großen Prinzips, das gleicherweise über das menschliche Leben und die Natur herrscht, seien, während im späten Bild des Fogg Art Museum der Mythus von Narzissus im Kontrast zu dem von Bacchus gebraucht werde, die Idee des Gegensatzes von Leben und Tod herbeizuführen. 28 24. Brief Panofsky aus Hamburg an Walter Friedländer vom 6.6.1932, N e w York, Leo Baeck-Institute, N e w York (vgl. Anm. 9). 25. Panofsky, .Father Time' (wie Anm. 23), p. 92-93, dt. p. 124. 26. Dora Panofsky,,Narcissus and Echo. Notes on Poussin's Birth of Bacchus in the Fogg Art Museum', in: The Art Bulletin, 31, 1949, pp. 112-120. - Erwin Panofsky, , ,Poussin's Apollo and Daphne in the Louvre', in: Bulletin de la société Poussin. Troisième cahier, 1950, S. 27-41. 27. Brief Dora Panofskys an Walter Friedländer vom 16.9.1948, Leo Baeck-Institute, N e w York (vgl. Anm. 9). 28. Dora Panofsky, ,Birth of Bacchus' (wie Anm. 26), p. 116.
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Im Aufsatz über Poussins letztes Bild postulierte Panofsky, daß derartige Gegensätzlichkeiten zum late style von großen Meistern gehören würden. Mit Berufung auf Michelangelo, Beethoven, Goethe, Shakespeare und selbst Mozart deklarierte Panofsky den Wandel von Aktion und Gleichgewicht zu Spannungszuständen, von dramatischer Zuspitzung zu lyrischem Fluß, von geregelter Komposition zu Diskontinuität und komplexer Ungeordnetheit als Charakteristika der ultima maniera. Entsprechend habe Poussin im Spätwerk zwar die Aktionen reduziert, aber die Spannungen zwischen den Dimensionen (links-rechts, vornhinten, unten-oben) erhöht und in den späten mythologischen Bildern verschiedene Episoden, die offensichtlich nicht zusammengehören, miteinander kombiniert. Diese Disparatheit rief offensichtlich geradezu danach, sie für oberflächlich zu erklären und nach einer Einheit in einer underlying idea zu suchen. Die Lösung lieferte in beiden Fällen das gleiche Buch, die umfangreiche, von Blaise de Vigenère kommentierte Ausgabe der Images der beiden Philostrat, die seit 1614 mit Illustrationen ausgestattet war. Dora Panofsky berief sich auf diese Ausgaben für Poussins Zusammenfügung der Geburt des Bacchus und des Todes des Narziss in einer dionysischen Umgebung. Erwin Panofsky entdeckte seinerseits die zugrundeliegende Idee von Apollo und Daphne durch die Kombination der Illustration des Merkur und Vigenères Kommentar zu Hyazinth, wo der Dialog Lukians zwischen Apoll und Merkur abgedruckt war: Je suis si malheureux et infortuné en amour (Ich bin so voll Pech und voll Unglück in der Liebe).29 Diese Zeile führt, wie Panofsky durch die Identifikation des Motivs im Mittelgrund als Tod des Hyazinth annahm, nicht nur zum Innersten von Apolls Charakter, sondern auch zum Innersten von Poussins letztem Bild. Den Scherz des Malers mit Merkur, der Apoll den Pfeil stiehlt, zählte Panofsky zu den charakteristischen Lizenzen von Spätwerken, analog zum Verhältnis von Sarastro und Pagageno in Mozarts Zauberflöte, analog zu den Gegensätzen von Prospero und Trinculo, Miranda und Caliban in Shakespeares Sturm. Der kritische Punkt, auf den ich hier aufmerksam machen möchte, ist nicht das Eruieren von literarischen und visuellen Referenzen von Bildern. Wir sind, mehr durch lange Übung als durch Reflexion von der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens überzeugt. Die eine Frage ist, wie diese Referenzen in der Interpretation von Bildern zu verwenden sind, die andere und wichtigere ist allerdings, wie die Zusammenstellung von Disparatem zu interpretieren wäre. Pan und Dora zogen die Referenzen aus Vigenères Büchse, um die oberflächlich fehlende Einheit der Bilder Poussins im Zugrundeliegenden zu postulieren. Diese Einheit nannte Panofsky 1950 emphatisch the very heart of meaning oder nach den Aufsätzen von 1939 und 1955 intrinsic meaning. Das Problem, das die beiden Panofsky an Poussins letzten 29. [Philostrate] Les Images ou Tableaux de platte Peinture des deux Philostrates Sophistes Grecs, Mis en François par Biaise de Vignère Bourbonnois Enrichis d'Arguments et Annotations, Paris: Veuve Mathieu Guillemot, 1629.
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Werken aufgriffen, war ein quasi surrealistisches: die mythischen Fragmente, die in den Bildern zusammengestellt sind, haben miteinander anscheinend so wenig zu tun wie die Gegenstände von surrealistischen Assemblagen. Daß die Zusammenhangslosigkeit nur der oberflächliche Schein ist, wollen die Untersuchungen der Spätwerke Poussins von Dora und Erwin Panofsky zeigen, indem sie den verborgenen Sinn, den Logos, ausfindig machen. Beide identifizieren diesen Sinn im gedruckten Wort des gleichen Buches. Die zeitgenössische Aktualität dieser Versuche, den zugrundeliegenden Logos gegen den oberflächlichen Anschein der Zusammenhangslosigkeit zu behaupten, ist nicht zu verkennen. Am Ende der dreißiger Jahre wurden die USA vom europäischen Surrealismus eingeholt. 1936 zeigte Alfred J. Barr im Museum of Modern Art in New York die Ausstellungen Cubism and Abstract Art und Fantastic Art, Dada and Surrealism.30 Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges exilierten eine große Zahl der europäischen Surrealisten nach New York. Jungen amerikanischen Malern wie Jackson Pollock erschien die Gegenwart der europäischen Surrealisten als das wichtigste Ereignis der amerikanischen Kunstszene zu sein.31 In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre schickten sich Künstler wie Pollock, Rothko, Newman und Still an, aus der Distanzierung zum europäischen Surrealismus die großflächige, gegendstands- und logoslose amerikanische Form der neuen Malerei zu entwickeln, unter erbitterter Anteilnahme von Freunden und Gegnern.32 Die Behauptung eines Logos, die Bemühung um den Sinn, die Herstellung der Einheit durch die intrinsic meaning hat in diesen Vorgängen, ähnlich wie 1932/33 in Deutschland, ihren zeitgenössischen Hintergrund.33 Noch die Schelte, die Panofsky meinte 1961 Newman wegen eines grammatikalischen Fehlers erteilen zu müssen oder zu dürfen, bezog ihre Schärfe aus der umfassenderen, die Philologie übersteigenden Bemühung und Besorgnis um den Logos, um den Sinn der Bilder, mit dem der Sinn der Geschichte verknüpft ist. Diesem Logos widerstritten Newmans Bilder - ob sie nun vir heroicus sublimus oder vir heroicus sublimis oder auch Word heißen, indem sie ihn weder zu zeigen noch zu verbergen schienen.34
30. The Museum of Modern Art, New York. The History and the Collection, New York: Harry N . Abrams and The Museum of Modern Art, 1984, pp. 8 - 4 1 . 31. Jackson Pollock, Answers to a questionnaire, in: Arts and Architecture, 61, 1944 (february), abgedruckt in: Bryan Robertson, Jackson Pollock, New York; Abrams, 1961, p. 193; vgl. auch: Herschel Β. Chipp, Theories of Modern Art. A Source Book by Artists and Critics, Berkeley, Los Angeles and London: University of California Press, 1968, pp. 546-548. 32. Bradford R. Collins, ,Life Magazine and the Abstract Expressionists, 1948-51: A Historiographie Study of a Late Bohemian Enterprise', in: The Art Bulletin, 73, 1991, pp. 2 9 3 - 3 2 2 . 33. Oskar Bätschmann, ,Logos in der Geschichte. Erwin Panofskys Ikonologie', in: Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900-1930, hrsg. von Lorenz Dittmann, Stuttgart: F. Steiner, 1985, pp. 8 9 - 1 1 2 . 34. Zum Streit zwischen Panofsky und Barnett Newman (dem insgeheim Meyer Schapiro die Argumente lieferte) vgl. den Beitrag von Beat Wyss im vorliegenden Band.
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IV. Inspiration des Dichters Daß bei den Werken des Abstract Expressionism die Voraussetzung einer Idea, eines Logos als intrinsic meaning zu Schwierigkeiten führt, liegt auf der Hand. Im Fall von Poussin hatte die Ikonologie als Erklärung der Bilder aus einem vorausoder zugrundeliegenden Logos ihre Erfolge und ihre wissenschaftsgeschichtlichen Folgen. Die Wiedereinführung der Ikonologie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg leistete Willibald Sauerländers Aufsatz über Poussins Jahreszeiten, der 1956 im Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst erschien.35 Panofsky kam 1960 noch einmal auf Poussin zurück. Was er mit seiner Analyse eines mythologischen Bildes aufgriff, war das ungelöste Problem der Interpretation von 1950.36 Es ging zwar um die Umwandlung einer Bacchus-Darstellung in die eines numen mixtum, Bacchus-Apollo. Für die Analyse dieses Vorgangs und seine ideengeschichtliche Verankerung bot Panofsky das Maximum seiner Erudition auf. Vielleicht gehören derartige ausgebreitete Kenntnisse der antiken, humanistischen und mythologischen Literatur der unwiederholbaren Vergangenheit an. Doch dieses Gewebe, das Panofsky aus den Texten herstellt, dient nicht zur kurzschlüssigen Identifikation der intrinsic meaning in einem vorgegebenen Logos. Die Interpretation der Umwandlung des Stockholmer Bildes in eine Bacchus-ApolloDarstellung mit Muse gibt die Möglichkeit, auf Poussins drei Parnass-Bilder zu kommen. Damit war ikonographisch bestimmt, was methodologisch das ungelöste Problem war: die Frage der Erfindung des Dichters und des Malers. Bacchus und Apollo, die beiden Herrscher des zweigipfligen Parnass, erhalten nach Panofsky in den beiden Inspirations-Bildern in Paris und in Hannover die Funktionen, den lyrischen bzw. epischen Dichter zu inspirieren und zu krönen. Panofsky hat die Allegorien der Dichterinspiration nicht übertragen auf die Malerinspiration. Vielleicht war es etwas kühn von Marc Fumaroli, diesen naheliegenden Schritt zu tun und im Bild von Hannover auch ein allegorisches Selbstbildnis des jungen Poussin in Rom zu erkennen.37 Der Anspruch des Malers als Erfinder, als Produzent von Logos, wäre demzufolge von Poussin vorgetragen im Bild des göttlich inspirierten Dichters.
35. Willibald Sauerländer, ,Die Jahreszeiten. Ein Beitrag zur allegorischen Landschaft beim späten Poussin', in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, 7, 1956, pp. 169-184. 36. Erwin Panofsky, A Mythological Painting by Poussin in the Nationalmuseum Stockholm (Nationalmusei Skriftserie, Nr. 5), Stockholm 1960. 37. Marc Fumaroli, üinspiration du poète de Poussin. Essai sur l'allégorie du Parnasse (les dossiers du département des peintures, 36). Katalog der Ausstellung im Louvre 1989.
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Oskar Bätscbmann
V. Arkadiens Gott Auf Arkadien kam Panofsky ein letztes Mal zurück in dem zusammen mit Gerda verfaßten Aufsatz von 1968: ,The „Tomb in Arcady" at the "Fin-de-Siècle"'. 38 Poussin spielt darin gegenüber der Idylle von Alfred Stevens mit dem Sujet des Grabes von Philippe Pot nur eine untergeordnete Rolle. Vielleicht erlaubt dieser letzte Aufsatz aber, die Frage nach der intrinsic meaning von Panofskys lebenslanger Beschäftigung mit dem Thema von Arkadien zu beantworten. Das innerste Motiv des eminenten Philoikonologen muß philologisch sein. Es ist zu finden in der letzten der Eklogen Vergils, im 26. Vers der zehnten der Bucolica. Zu den Gästen, die von überall her kommen um den Tod des Gallus zu beweinen, zählt auch der Herrscher, der Gott von Arkadien: Pan. Die Zeile heißt: Pan deus Arcadiae venit, quem vidimus ipsi.39
38. Erwin und Dora Panofsky, ,The „Tomb in Arcady" at the „Fin-de-Siècle"' in: Wallraf-RichartzJahrbuth, 30, 1968, pp. 287-304. 39. [Vergil] Les Eglogves de Virgile, tradvites en carme François, la première par Clement Marat, & les neuf autres par M. Richard le Blác, Paris: Charles l'Angelier, 1555, fol. 37r.
Einige Fragmente einer intellektuellen Kollektivbiographie der kulturwissenschaftlichen Emigration Volker Breidecker
George L. Mosse zum 75.Geburtstag „Ins Paradies vertrieben", wie Erwin Panofsky nach Princeton, wurden die wenigsten. Und kaum einem anderen unter den unzähligen Wissenschaftlern, Gelehrten und Intellektuellen, die Deutschland nach 1933 - und Österreich 1938 — aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder politischen Uberzeugung verlassen mußten, war trotz des Exils eine annähernd vergleichbare - internationale Erfolgsgeschichte und folglich auch eine halbwegs geglückte „Heimholung" - wenn auch nicht der Person, doch immerhin des hinterlassenen Œuvres - beschieden wie Erwin Panofsky. Daß gleichwohl nicht einmal die „Heimholung" des Erwin Panofsky nach 1945 ganz selbstverständlich und reibungslos vonstatten ging, sondern im wesentlichen erst in dem Zeitraum erfolgte, der seit seinem Todesjahr 1968 vergangen ist, und daß sein englischsprachiges Werk erst mit notorischer Verspätung ins Deutsche übersetzt wurde (und zum nicht geringen Teil noch immer darauf wartet, übersetzt zu werden), sollte - nach Maßgabe dieser für Deutschland also nach wie vor höchst problematischen „Erfolgsgeschichte" - zu denken geben: erst recht darob, was daneben alles abgerissen, verdrängt, verspätet wahrgenommen oder noch längst nicht wieder aufgenommen worden ist. Der dazu gewöhnlich herbeibemühte Refrain vom „Aderlaß" - er ist ohnehin von zweifelhafter Metaphorik - , den die Wissenschaft in Deutschland nach 1933 „erlitten" habe, trägt allenfalls zur fortdauernden Verharmlosung des Geschehens bei. Bei näherer Betrachtung ergibt sich nämlich eine weitaus gravierendere Verlustbilanz, die keineswegs die Wissenschaften allein, sondern sehr viel mehr umfaßt: Zum einen waren die meisten derer, die als Wissenschaftler vertrieben wurden, keine „einsamen Gelehrten" im Sinne des geflügelten Wortes, sondern Angehörige prominenter und heute legendärer „Schulen" und „Kreise" oder sonstiger intellektueller Zirkel. Als solche waren sie Teilhaber einer, in intellektueller ebenso wie in
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künstlerischer Hinsicht für dieses Jahrhundert einmaligen, kreativen Zusammenballung, die der Nationalsozialismus unwiederbringlich ausgelöscht hat. Zum zweiten war dieselbe Konzentration von wissenschaftlicher, intellektueller und künstlerischer Kreativität, die im angelsächsischen Sprachraum noch immer den emphatischen Namen Weimar Culture trägt - und über den evozierten Ort zugleich an die Geschichte und das Schicksal der universalen Bildungs- und Humanitätsidee in Deutschland gekoppelt ist-, Bestandteil einer deutsch-jüdischen Säkularkultur, die durch die nationalsozialistische Barbarei ebenfalls ein für alle Mal ausgelöscht worden ist.1 Zum dritten ist schließlich auch das historische Bewußtsein von der Greifbarkeit und potentiellen Sprengkraft eines intellektuellen Programms, das die Verteidigung des Humanen als Einheit von Kulturwissenschaft und Humanitätsidee postulierte, abgerissen. Ob der historischen Verwerfungen dieses Jahrhunderts, vor deren Horizont und unter deren unmittelbarer Einwirkung dieses Programm heranreifte und auch unvermeidliche Korrekturen in Kauf nehmen mußte, hat es, statt Zusammenfassung und Vollendung, Abbruch und Versprengung erfahren. Was derart abgerissen ist und - diesseits des Exils - zertrümmert wurde, läßt sich weder „heimholen" noch wiederherstellen. Einer historischen Faktizität eingedenk, die weder vergehen will noch revidierbar ist, bleibt es dem Bedürfnis nach Wiederaneignung freilich anheimgestellt, die zersplitterten Fragmente miteinander zu koordinieren und verblaßte wie ausgetretene Spuren - sprich: die enorme Hinterlassenschaft der Texte - wieder und wieder neu zu lesen. Dergleichen erinnernde Rekonstruktionsarbeit sollte sich freilich lohnen: nicht nur um des Profils einer verschütteten Wissenschaft willen, sondern auch deswegen, weil hinter ihrem Programm die Umrisse eines von früheren Defiziten bereinigten, neuen politischen Humanismus hervortreten könnten, welcher seine Aktualität und seine Resistenz auch künftig noch erweisen dürfte.
I. Als „gleichsam ein Experiment an eigener Person" begriff Edgar Wind in der vielleicht deutlichsten und polemischsten wissenschaftspolitischen und programmatischen Stellungnahme, die jemals aus dem Hamburger Kreis um die Bibliothek Warburg kam, deren Programm einer „universellen Kulturwissenschaft". Was an scheinbar abgelegener Stelle formuliert wurde, nämlich in der Einleitung zur 1934 1. Dazu: Peter Gay, „Weimar culture.The outsider as insider", in: The intellectual migration. Europe and America, 1930-1960, hrsg. v. Donald Fleming/Bernard Bailyn, Cambridge/Mass. 1969, S. 11-93; ders., Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur in der Weimarer Zeit 1918-1933, Ffm. 1970; George L. Mosse, German Jews beyond Judaism, Bloomington/Ind. 1985 (dt.: Jüdische Intellektuelle in Deutschland, Ffm. 1992). Vgl. neuerdings auch Gert Mattenklott, Über Juden in Deutschland, Ffm. 1992.
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erschienenen Kulturwissenschaftlichen Bibliographie zum Nachleben der Antike, liest sich wie ein Vermächtnis der Ende 1933 nach London emigrierten WarburgBibliothek und der ihr Angehörenden.2 Nachdrücklich mobilisiert Wind darin das - Warburgsche - „Problem der historischen Gedächtnisfunktion",3 das er ebenso gegen die Ideologen der heimatlichen „Bodenständigkeit" 4 wie gegen eine desavouierte Geistesgeschichte Diltheyscher Provenienz wendet, um es - samt einer geschichtsphilosophischen - einer existentiellen Radikalisierung zuzuführen: Denn um „kein gleichgültiges, ,beliebiges' Paradigma" gehe es hier, sondern um etwas ungleich Universaleres, das „insofern unersetzbar (ist), als unser eigenes Schicksal, das der Forschenden selbst, darin enthalten ist". 5 Das nationalsozialistische Deutschland hatte diese Botschaft offenbar verstanden, denn das Zentralorgan der NSDAP, der Völkische Beobachter, antwortete 2. Kulturwissenschaftliche Bibliographie zum Nachleben der Antike, Bd. 1: Die Erscheinungen des Jahres 1931, hrsg. v. d. Bibliothek Warburg, Leipzig/Berlin 1934, S.V-XVII (wiederabgedruckt in: Kosmopolis der Wissenschaft. E.R. Curtius und das Warburg Institute. Briefe und andere Dokumente, hrsg. v. Dieter Wuttke, Baden-Baden 1989, S. 281-293), X(286) u.V (281). An den Buchhandel wurde der von „Winds viel umstrittener Einleitung" (Gertrud Bing, Brief vom 22.1.1935, in: Kosmopolis der Wissenschaft, S. 18) begleitete Band vom Verlag (Teubner) nicht mehr ausgeliefert. 3. Wie Anm. 2, S. X (286). Vgl. Martin Warnke, ,„Der Leidschatz der Menschheit wird humaner Besitz'", in: Werner Hofmann/Georg Syamken/ders., Die Menschenrechte des Auges. Uber Aby Warburg, Ffm. 1980, S. 113-186. 4. Wie Anm. 2, S. XVI (292): „,Humanitas', ,Ratio': - dies sollen, als allgemeinverbindliche Forderungen, Relikte einer .überalterten' Tradition sein, - Fremdkörper, die ausgeschieden werden müssen, um das Kulturleben zur Gesundung, und das heißt: zur Bodenständigkeit zurückzuführen. (...) So führt denn die scheinbar .akademische' Frage nach der Bedeutung des Nachlebens antiker Elemente mitten hinein in den Kulturkampf unserer Tage, mitten hinein in den Streit um die Erhaltungs- und Wachstumsgesetze geschichtlicher Formen, in deren Bestimmung sich Historiker und Hygieniker den Rang ablaufen..." - Winds Aufsatz, der einmal eine ausführlichere Würdigung verdiente, läßt überdies deutlich werden, daß das kulturwissenschaftliche Paradigma Warburgscher Provenienz sich von der in Deutschland verbreiteten antinomischen und erst recht ideologisch aufgeladenen Fixierung der Begriffe Kultur und Zivilisation - wenn es denn je sich davon beeindruckt zeigte - verabschiedet hatte. 5. Wie Anm. 2, S. X (286). Bemerkenswert-etwa als Revision geschichtsteleologischer Positionen oder im Vergleich mit Walter Benjamins späteren „Thesen über den Begriff der Geschichte" (W.B., Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Ffm. 1974, I. 2, S. 691-704) - ist Winds kategorische Abwendung von der Idee einer „schlichte(n) Kontinuität" der Geschichte: „Die Geschichte ,rollt' nicht einfach ,ab', sondern sie vollzieht sich in Krisen, und ihre entscheidenden Ereignisse sind die .Pausen der Besinnung', denen das Wagnis der Handlung folgt. Gerade in diesen Krisen aber muß sich die gestaltende Macht der Erinnerung bewähren ... .Erinnerung' ist ... für den Historiker des Symbols das zentrale geschichtsphilosophische Problem: nicht nur weil sie selbst das Organ geschichtlicher Erkenntnis ist, sondern weil sie - in ihren Symbolen - gleichsam das Reservoir der Kräfte schafft, die sich in einer gegebenen Situation geschichtlich entladen." (Ebd.) Über Wind siehe ansonsten Bernhard Buschendorf, „.War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern'. Edgar Wind und Aby Warburg", in: IDEA. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle IV (1985), S. 165-209.
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darauf mit einer ausführlichen Rezension des Bandes unter der Überschrift „Juden und Emigranten machen deutsche Wissenschaft": Was hier betrieben werde, schreibt der Rezensent, sei „fast schon Wissenschaft über die Wissenschaft und damit typisch jüdisches Denken". 6 Wer derart denunziert - und darin erweist sich die, bei aller Illogizität, psychologische Konsistenz und Schlagkraft des antisemitischen Stereotyps 7 - , steht offenbar unter der mythischen Furcht (oder macht sich diese zunutze), daß ihm von Seiten dessen, den er oder was er denunziert, das sprachlich-expressive Instrumentar solcher Denunziation entrissen und zunichte gemacht werden könnte. Nur so kann „Wissenschaft über die Wissenschaft" anders ausgedrückt: Aufklärung über den Prozeß der Aufklärung selbst - als „typisch jüdisches Denken" gebrandmarkt werden. Das - bei aller Ungleichheit und Unvergleichbarkeit der Waffen - so zum symbolischen Kriegsschauplatz gewordene Paradigma vom Nachleben der heidnischen Antike umfaßte nämlich zweierlei: „den Fortbestand primitiver Ängste, Leidenschaften und Ekstasen im zivilisierten Menschen" (und wo, wenn nicht in Gestalt des bald zur Massenvernichtung gesteigerten antisemitischen Rassen- und Massenwahns, sollte derselbe im 20.Jahrhundert gewaltsamer und katastrophaler wirksam gewesen sein?) nicht minder wie den „Fortbestand in Gestalt einer kulturellen Uberlieferung ..., als künstlerische Formen, Vorstellungen und Bilder, in denen jene Gefühle ihren besonders prägnanten Ausdruck gefunden hatten" (Henri Frankfort 8 ) - und, im gelungenen Falle, ihre Umwandlung und Absorption. Erst aus der unauflösbaren, Kunstgeschichte mit Anthropologie, Psychologie, Ethnologie und Religionswissenschaft verbindenden - im Schnittfeld von Wissenschafts- und politischer Geschichte dennoch abgerissenen - Einheit beider Dimensionen mag auch deutlich werden, warum es sich dabei um „kein gleichgültiges, ,beliebiges', Paradigma" handelte, das sich aus seiner konkreten Gegenwart verabschiedet, von seinen eigenen Befindlichkeiten unbeeindruckt gezeigt und demgegenüber bewußtlos verhalten hätte. „Jüdisch" an der im Warburg-Kreis und unter seinen vorwiegend jüdischen Teilnehmern betriebenen Wissenschaft war vor allem die Wunde, die der Antisemitismus als solcher - und nicht erst seit 1933 - geschlagen hatte; doch mochte dies zur Seismographie befähigen. Keinem , beliebigen' wissenschafts- und gelehrtengeschichtlichem Interesse folgt auch meine Absicht, einige Fragmente einer künftigen intellektuellen Kollektiv6. Norddeutsche Ausgabe, Nr. 5, 5.1.1935, S. 5 (verfaßt von Martin Rasch); wiederabgedruckt in: Kosmopolis der Wissenschaft (wie Anm. 2), S. 2 9 6 - 2 9 8 . 7. Vgl. schon Leo Löwenthal, „Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation" (1948), in: ders., Untergang der Dämonologien. Studien über Judentum, Antisemitismus und faschistischen Geist, Leipzig 1990, S. 144-203 (151). 8. „The Dying God" (= Frankforts Antrittsvorlesung als Direktor des Warburg Institute, vom 10.11.1949), in: The Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 21 (1958), S. 141-151 (141; meine Ubersetzung).
Fragmente einer intellektuellen Kollektivbiographie
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biographie der kulturwissenschaftlichen Emigration aus dem deutschsprachigen Raum der dreißiger Jahre vorzulegen. Denn es geht hier in der Tat um jenen kritischen, von Edgar Wind 1933/34 präzise wahrgenommenen Punkt in der Berührung von Wissenschaft, Kunst, Weltanschauung und Geschichte. Genauer noch handelt es sich um den krisenhaften Zusammenhang, der das seit Beginn dieses Jahrhunderts betriebene Projekt einer universalen, integrativen und nach keiner Seite hin abgrenzbaren Kulturwissenschaft mit den in demselben Jahrhundert gemachten traumatischen und existentiellen Fragen verbindet - verbindet im übrigen auch mit der ästhetischen Moderne und den literarischen und künstlerischen Avantgarden, so daß in der doppelten Konsequenz nicht nur die künstlich gezogenen Grenzen entlang der wissenschaftlichen Disziplinen abgebaut wurden, sondern darüber hinaus auch die Wasserscheide zwischen Kunst und Erkenntnis konterkariert wurde. Dasselbe Projekt, das seine wohl prominenteste Ausbildung in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg fand, ist mit dieser allein und deren heute wiederhergestellten und erneuerten Rezeption 9 freilich noch längst nicht hinreichend umrissen - um so weniger als es unvollendet geblieben ist und, durch äußere Gewalteinwirkung abgebrochen und auseinandergerissen, samt denen, die es in wechselhaften Berührungen und Zusammenhängen trugen, in alle Welt versprengt wurde. Das von den Nationalsozialisten angerichtete intellektuelle und wissenschaftliche Trümmerfeld droht unter einem rein fachwissenschaftlich motivierten Zugriff heute jedoch um so mehr zu veröden und spätestens dann in Vergessenheit zu versinken, wenn die letzten Bruchstücke einmal abgetragen sind. Um so angebrachter wäre es deshalb, dasselbe Feld endlich in seiner ursprünglichen Vielgestalt und realen Ausdehnung auszumessen. Wissenschaftstopographie fiele dann zusammen mit der Vermessung der Abgründe, die sich in diesem Jahrhundert unter der dünnen Hülle der Zivilisation aufgetan haben. Die Rekonstruktion einer derart fragmentierten Geschichte bedarf des Experiments an ihren versprengten Splittern, von denen ich einige provisorisch miteinander kombinieren und koordinieren möchte. Das dabei angewandte, vorwiegend bio-bibliographische Verfahren dient indes keiner neutralen Bestandsaufnahme. Kollektive Biographie und Bibliographie werden vielmehr als Nahtstellen von wissenschaftlichem (eventuell auch künstlerischem) Tun, von kritischer Reflexion der Voraussetzungen desselben Tuns und, schließlich, von - als in jeder aufeinanderfolgenden Generation existentiell verschärftem - Krisenbewußtsein begriffen. Die Versuchsanordnung besteht konkret darin, daß ich zunächst exemplarisch auf eine intellektuelle Gestalt rekurriere, die zum Warburg-Kreis in deutlicher räumlicher wie akademischer Distanz stand: auf den Wiener Hermann Broch, 1886 9. Zum Stand der Warburg-Forschungen siehe zuletzt: „Aby Warburg. Akten des internationalen Symposions Hamburg 1990, hrsg. v. Horst Bredekamp/Michael Diers/Charlotte Schoell-Glass, Weinheim 1991.
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dort geboren und 1951 in New Haven/Connecticut gestorben, der im allgemeinen nur noch als Dichter bekannt ist, der aber bei weitem mehr war, nämlich Geschichts-, Kunst- und Kulturphilosoph, Mathematiker, Politologe, Sozialpsychologe und politischer Publizist, also das, was man einmal einen „Polyhistor" nannte. Dahinter steht die Absicht, Broch die Züge eines ,Aby Warburg der nachfolgenden Generation' zu verleihen - dies nicht, um einen ,zweiten' oder ,neuen Warburg' zu kreieren, sondern um Warburg (1866-1929) selbst implizit in einen intellektuellen Kontext zu rücken, von dem aus die nicht nur ungebrochene, sondern sich historisch und existentiell verschärfende, krisenhafte Aktualität seiner Fragestellungen sichtbar wird. Dies geschieht schrittweise darüber, daß ich im Anschluß auch Broch wiederum in einen personalen und biographisch verbürgten Kontext stelle, der sich zunehmend ausdehnt, bis er sich jenseits des Atlantiks mit den nach dort versprengten Angehörigen des ehemaligen Warburg-Kreises sowie mit solchen aus dessen näherem oder fernerem Umfeld berührt, wenn nicht überschneidet. Es wird deshalb häufig von Begegnungen und von Freundschaften die Rede sein, die gleichwohl von mehr als nur episodischer und persönlich-biographischer Bedeutung sind, denn stets handelt es sich dabei um zumal werkgeschichtlich bedeutsame Berührungen und Symbiosen. Zu den „Begegnungen" rechne ich im übrigen auch solche, deren leibhaftiges oder durch gegenseitige Lektüre vermitteltes Zustandekommen zunächst nicht nachweisbar ist, deren Potentialität oder Virtualität von dennoch wissenschaftsgeschichtlicher Relevanz wäre. Vielleicht wäre das englische Wort encounters dafür angemessener, um zudem nicht den Anschein zu erwecken, als sollten ob aller möglichen Berührungen die Unterschiede eingeebnet werden - und dazu zählen nicht zuletzt diejenigen der persönlichen Individualitäten, die sich, erst recht durch die unerwartete oder unerwünschte Nähe, einander womöglich fremder waren oder fremder bleiben wollten, als uns dies heute recht sein mag. Der Sinn dieses Experiments besteht schließlich darin, daß hierüber auch die potentielle oder virtuelle Reichweite der Ikonologie und des kulturwissenschaftlichen Paradigmas sichtbarer werden mag als in manchen Werken ihrer Protagonisten und Nachfolger. Um encounters, um ebenso überraschende wie vielleicht nicht immer ausgeschöpfte Begegnungen handelt es sich schließlich auch deswegen, weil ich hier nur stichwort-, mosaik- und reigenartig sowie in gelegentlich beschleunigter Abfolge von signalhaften Namen, Werken und Ideen verfahren kann.
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einer intellektuellen
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Kollektivbiographie
II. „ U n d ich v e r m a g auch nicht ruhig im H a u s e z u s i t z e n u n d eine i m
Grunde
d o c h n u r ä s t h e t i s c h e A r b e i t z u leisten, w ä h r e n d das D a c h bereits b r e n n t ; dies h ä n g t m i t d e r Ü b e r f l ü s s i g k e i t des Ä s t h e tischen,
besonders
des
s c h e n in G r a u e n s e p o c h e n
Schriftstellerizusammen."
( H e r m a n n Broch, Brief v o m 6. Juni 1939 a n A l b e r t E i n s t e i n in P r i n c e t o n )
Eröffnet sei der Kreis mit einem Zitat aus Brochs frühen, 1912 verfaßten Notizen zu einer systematischen Ästhetik, dem Produkt seiner - die Wiener intellektuelle und künstlerische Atmosphäre um 1910 einatmenden10 - Auseinandersetzung mit u.a. Nietzsche, Schopenhauer, Karl Kraus, Adolf Loos' Polemik wider das Ornament (1908) und Kandinskys soeben (1912) erschienener Schrift Über das Geistige in der Kunst:
„Alle Ekstase des Primitiven drückt sich im Rhythmus aus. (...) Zuckend und stampfend dröhnen die Volkstänze, unter Beckenschlägen entsteht der Gott, aber die Kriegstrommeln ziehen dem Blute voran und Lust des Kampfes ist größer denn die des Tanzes. Alle Ekstase ist dem Primitiven durch den Stampfrhythmus gegeben... Der Rhythmus wird ... zur primitiven Ausdrucksmöglichkeit der ekstasierten Persönlichkeit und zwar als Schreie seiner Stimme, als Bewegungen seines Körpers. Der Wilde tanzt, und es erwacht die erste Kunst, wild, ekstatisch und sexuell. Dionysos, Vater aller Kunst!"11
10. Dazu allgemein: Werner Hofmann, „Palimpseste. Zum Problem von Antikunst und Antiliteratur in Wien um 1910", in: ders., Gegenstimmen.
Aufsätze zur Kunst des 20. Jahrhunderts,
F f m . 1979, S.
9-41. 11. Hermann Broch, Kommentierte
Werkausgahe
(im folgenden: KW), hrsg. v. Paul Michael Lützeler,
Ffm. 1976 (4. Aufl. 1986), Bd. 9 / 2 (Schriften zur Literatur.Theorie), S. 1 1 - 3 5 (20).Wenn Broch den Dionysos hier zum „Vater aller Kunst" erklärt, so weist dies freilich über Nietzsche hinaus (vgl. A n m . d. H r s g . , S. 34). Doch bleibt Broch dabei nicht stehen, sondern folgt alsdann den Wegen, worin sich „die Kunst vom Körper (löst) und das Kunstgewerbe ... als Anfang bildender Kunst (entsteht)" (ebd., S. 21). Zum impliziten Vergleich mit Warburg siehe dessen „Kreuzlinger Vortrag" von 1923 über die 1896 unternommene Reise zu den Ureinwohnern Nordamerikas Ein Reisebericht,
mit einem Nachwort v. Ulrich Raulff, Berlin 1988).
(Schlangenritual.
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Hannah Arendt, die Brochs essayistisches Werk postum (1955) herausgab, nannte den langjährigen Exilfreund einen „Dichter wider Willen", 12 den es stets zur strengen philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnis getrieben habe. Dies ist nur bedingt richtig. Vielmehr noch ging es Broch in konstanter Befragung und gelegentlicher Bezweiflung der Legitimität der jeweiligen Bereiche von ,Poesie und Wissen' 13 darum, die Ausdehnung und die Grenzen des jeweils einen Bereichs mit den medialen und methodischen Möglichkeiten des jeweils anderen Bereichs auszuloten und zu erweitern. Von daher rührt die enorme Spannbreite seines nach keiner literarischen Gattung bzw. wissenschaftlichen Disziplin hin abgrenzbaren Œuvres. Was nach einer von beständigem Scheitern bedrohten Quadratur des Kreises aussieht, die Broch in der Tat sein Leben lang mit wechselndem Erfolg vollzog, zeugt für ein Werk, das in seinen sämtlichen Bestandteilen permanent in progress war 14 und folglich vielfach fragmentarisch und unvollendet blieb. Freilich könnte es so auch ein gegenüber der Kunst und der wissenschaftlichen Erkenntnis atavistisches Programm verbergen. Dem steht jedoch entgegen, daß Broch niemals auf das Aufweichen und Verwischen autonomer Bereiche zielt, sondern sich auf diese gerade in ihrer modernen Autonomie und Komplexität bezieht. In seiner Dichtung wendet Broch deshalb ebenso radikal deren moderne Möglichkeiten an,
12. „Einleitung" in: H.B., Dichten und Erkennen. Essays, Bd. 1 (= Gesammelte Werke, Bd. 6), Zürich 1955, S. 5-42 (5). Arendt, die 1941 aus einem französischen Internierungslager in die USA floh, lernte Broch dort über die gemeinsame Freundin (und Brochs zweite Gemahlin) Anne Marie Meier-Graefe, die Witwe des Kunsthistorikers und -kritikers Julius Meier-Graefe, kennen. Vgl. Elisabeth Young-Bruehl, Hannah Arendt. Leben, Zeit und Werk, Ffm. 1986, S. 276 ff. u. passim. Meine Angaben über Brochs Leben und Ausführungen zu seinem Werk stützen sich - außer auf die KW - insbesondere auf Paul Michael Lützeler, Hermann Broch. Eine Biographie, Ffm. 1985; daneben habe ich herangezogen: Erich Kahler, Die Philosophie von Hermann Broch, Tübingen 1962; ders., „Hermann Broch (1886-1951)", m Social Research 19 (1952), S. 105-115; Elias Canetti, Das Augenspiel. Lebensgeschichte 1931-1937, München/Wien 1985, S. 25-49; Rudolf Koester, Hermann Broch, Berlin 1987; Hermann Broch, hrsg. v. P.M. Lützeler, Ffm. 1986; Brochs theoretisches Werk, hrsg. v. P.M. Lützeler, Ffm. 1988; Wolfgang Rothe, „Einleitung" in: H.B., Massenpsychologie (= Gesammelte Werke, Bd. 9), Zürich 1959, S. 7-34; Maurice Blanchot, „Der Gesang der Sirenen. Essays zur modernen Literatur, München/Wien 1982, S. 152-172; Monika Ritzer, Hermann Broch und die Kulturkrise des frühen 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1988; sowie (die für Broch im Kontext der geistigen und wissenschaftlichen Strömungen der 10er und 20er Jahre sicherlich wichtigste Arbeit) Friedrich Vollhardt, Hermann Brochs geschichtliche Stellung, Tübingen 1986. 13. Vgl. Heinz Schlaffer, Poesie und Wissen. Die Entstehung des ästhetischen Bewußtseins und der philologischen Erkenntnis, Ffm. 1990. 14. Dahingehend aufschlußreich: Brochs „Autobiographie als Arbeitsprogramm" (1941), deren Bestandteile in der KW leider unter thematischen und gattungsgemäßen Gesichtspunkten auseinandergerissen wurden; siehe (in Brochs chronologischer Reihenfolge): KW 10/2, S. 195-203, 9/2, S. 247 f., 11, S. 233-237, 4, S. 464 f., 11, S. 72-79 u. S. 91-108, 12, S. 274-330.
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entwickelt sie fort und sucht sie gar noch zu überbieten, so wie sein Denken andererseits stets nach strengen heuristischen Distinktionen strebte. Dennoch gehen Brochs Denken und Dichten keine disparaten Wege, wenn beispielsweise der dritte Teil seiner berühmten Romantrilogie Die Schlafwandler (1930-1932) mit ästhetischen, historischen, kunst- und' religionsgeschichtlichen sowie geschichtsphilosophischen und erkenntnistheoretischen Essays kunstvoll verwoben ist, oder wenn andererseits Ergebnisse seiner wissenschaftlich rigoros angelegten und dennoch immer wieder mit den Mitteln poetischer Sprachverdichtung arbeitenden Massenwahntheorie (1939-1948) in das essayistische und literarische Werk eingehen, so etwa in die Abschnitte über „Traum" und „Symbol" seines späten Wiener Epochenporträts Hofmannsthal und seine Zeit oder in die Massenszenerien zu Beginn seines Exilromans Der Tod des Vergil (1945). Was andererseits das Distinktionsbedürfnis angeht, so operiert Broch im Gesamtwerk durchgängig mit begrifflichen Gegensatzpaaren und Polarisationen zentral beispielsweise die Pole „Rationalität" und „Irrationalität" oder im massenpsychologischen Zusammenhang jene von „Ekstase" und „Panik" - , die jedoch, wie schon bei Warburg, nicht als Antinomien, sondern als dynamische Größen begriffen werden, deren Auseinandersetzung, so Broch, von „polar-dialektischen Wellenbewegungen durchzogen" ist, wobei dies keine Dialektik im Hegeischen Sinne verheißt, sondern stets nur „Schwerpunktsverlegungen" andeutet. 15 Logos und Ratio lösen deshalb, anders als im Denken der Neukantianer, niemals Mythos und Irratio ab, sondern wissen sich diese allenfalls anzuverwandeln und günstigstenfalls zu absorbieren. Gleichermaßen geht das letztgenannte Paar dem erstgenannten nicht einfach voraus, sondern enthält es selbst schon in sich, weshalb „selbst Magie ... rationale Grundlagen (hat)". 16 Dies hat Konsequenzen nicht nur für die Epochenphysiognomie, wie Broch sie am Vorabend des Nationalsozialismus in der Schlafwandler-Trilogie ausbreitet. Emblematisch mag dafür der Titel des dritten Bandes stehen: Huguenau (ein Name und Anagramm) oder die Sachlichkeit. Von den architektonischen „Zeitstile(n)" als den „Interferenzerscheinungen" solcher unzähligen „polar-dialektischen Wellenbewegungen" 17 schließt Broch auf den „Lebens-" wie „Denkstil" und sinngemäß
15. KW 9/1, S. 113. Brochs Hofmannsthal-Essay wird häufig zitiert (v.a. die berühmte Wendung von Wiens „fröhlicher Apokalypse"), wurde aber bislang auch in der umfangreichen Broch-Literatur und -Forschung kaum beachtet (zu den wenigen Ausnahmen gehört: George Steiner, „Brochs ,Hofmannsthal und seine Zeit' im Kontext des Gesamtwerks", in: Hermann Broch, hrsg. v. P.M. Lützeler, wie Anm. 12, S. 320-329). Einer sorgfältigen Lektüre könnte er sich freilich sowohl als verhüllte Autobiographie wie als eine Art „Summa" des Brochschen Œuvres erweisen, weshalb ich ihn hier als Schlüssel zum Gesamtwerk betrachte. 16. KW 9/1, S. 113. 17. Ebd. Vgl. KW 1, S. 435 ff. („Die Schlafwandler")
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auf einen dominanten Habitus der Epoche, 1 8 welcher, außer der profanen sozialen und der ästhetischen Neuen Sachlichkeit, höchst ««sachliche, nämlich mythische und magische und dennoch sachlich-gebieterische Abgründe offenbart: so etwa die Sehnsucht nach dem kommenden „Führer" oder den De-facto-Kriegszustand der wie auch immer „rationalen"/„irrationalen" Weltanschauungen, von Broch „Wertsysteme" genannt. Bemerkenswert ist, daß Broch dabei in durchaus originärer Erweiterung - außer Riegls Stilfragen (1893) und dessen Begriff eines überindividuellen „Kunstwollens", das sich in der schier unendlichen Vielzahl enthierarchisierter Ausdrucksformen manifestiere - Karl Mannheims Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation, die erstmals 1923 im Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte erschienen sind, aufnimmt. 1 9 Mannheim ( 1 8 9 3 - 1 9 4 7 ) , aus dem berühmten Budapester „Sonntagskreis" um den Philosophen Georg Lukács, den Filmtheoretiker Béla Balács und den Kunsthistoriker Lajos Fülep stammend (zu den weiteren Mitgliedern gehörten die Kunsthistoriker Antal, Hauser und Tolnay), war unter dem ungarischen HorthyRegime 1920 zunächst nach Wien geflohen, wo er (mit Lukács zusammen) auch Broch begegnete. 20 Seine Wissenssoziologie entwickelte er erstmals in dem
18. „...wenn es Stil gibt, so sind alle Lebensäußerungen von ihm durchdrungen, dann ist der Stil einer Periode ebensowohl in ihrem Denken vorhanden, als in jeder Handlung, die von den Menschen dieser Periode gesetzt wird. " (KW 1, S. 444 f.) Vgl. ebd., S. 435 ff., 461 ff., 495 f. u. 533 ff., sowie KW 9/1, S. 111 f. Letztlich zielt Broch auf eine durchaus platonische Anagrammatik der Kunst aus der Einheit von „Stil", „Sichtbarkeit" und „Sittlichkeit"; siehe KW 9/1, S. 213 ff., wo es an zentraler Stelle des Hofmannsthal-Essays heißt: „Die pythagoräische Kosmogonie - Erkenntnis und Sittlichkeit und Kunst zu gemeinsamer Architektonik zusammenfassend - ist sowohl vom Mathematischen wie vom Musikalischen her bedingt." 1947 und unter der Nachwirkung des von Broch an gleicher Stelle wiederholt thematisierten Auschwitz-Traumas verfaßt, geht es gleichwohl um mehr als bloße metaphysische Spekulation, sondern um die an der Gestalt des Dichters exemplifizierte „Selbstbehauptung" (ebd., S. 221) des Individuums und seiner Persönlichkeit sowie - im Künstlerischen - um das Zentralproblem einer Ästhetik nach Auschwitz, darum, „das Verstummen der Sprache gelten" zu lassen, „um dem Schweigen mit neuen, fruchtbareren und sogar magischen Mitteln wieder zur Sprache zu verhelfen" (ebd., S. 217 f.). Zur gleichzeitigen ikonologischen Brisanz platonischer und neuplatonischer Positionen vgl. den Aufsatz von Bruno Reudenbach im vorliegenden Band sowie - aus anderer Sicht- Horst Bredekamp, „Götterdämmung des Neuplatonismus", in: Die Lesbarkeit der Kunst. Zur Geistes-Gegenwart der Ikonologie, hrsg. v. Andreas Beyer, Berlin 1992, S. 75-83 (76 f.). 19. Bd. 1 (XV), 1921-1922 (Wien 1923), S. 236-274, sowie in der Reihe Kunstgeschichtliche Einzeldarstellungen, Bd.2,Wien 1923; wiederabgedruckt in: K.M., Wissenssoziologie, ausgew. u. hrsg. v. Kurt H. Wolff, Berlin/Neuwied 1964, S. 91-154. Für Broch nicht minder wichtig war Mannheims berühmtestes und zeitgenössisch umstrittenstes Werk Ideologie und Utopie von 1929, das sich nicht zuletzt dem Problem der Kontrolle der in der „Vielfalt von Denkstilen" wahrnehmbar werdenden „kollektiv-unbewußte(n) Motive(n)" sowohl nach seiner wissenschaftlichen wie nach seiner politischen Relevanz stellte (6. Aufl., Ffm. 1978, S. 30 u. ff.). 20. Vgl. KW 13/1, S. 44 f. sowie Lützeler, H.B. Eine Biographie (wie Anm. 12), S. 71. Zum Budapester „Sonntagskreis" siehe: Georg Lukács, Karl Mannheim und der Sonntagskreis, hrsg. v. Eva Karádi/Erzsébet Vezér, Ffm. 1985.
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g e n a n n t e n A u f s a t z , außer an p s y c h o l o g i s c h e m , a n t h r o p o l o g i s c h e m u n d religionswissenschaftlichem Material, v o r allem entlang d e r damaligen k u n s t - u n d k u l t u r wissenschaftlichen Begriffsbildung. So k o m m t es, d a ß M a n n h e i m daselbst E r w i n P a n o f s k y s f r ü h e A u f s ä t z e Das Problem Der Begriff
des Kunstwollens
J a h r e später, in Zum der
bildenden
Scholasticism. Middle
Kunst
Problem
(1920)
des Stils in der bildenden
rezipiert,21
der Beschreibung
w ä h r e n d P a n o f s k y seinerseits, z e h n und Inhaltsdeutung
( 1 9 3 2 ) u n d , viel später n o c h , in Gothic
An inquiry
into the analogy
( 1 9 1 5 ) und
Kunst
of the arts, philosophy,
von
Werken
architecture
and
and religion
in the
Ages ( 1 9 5 1 ) heuristisch auf M a n n h e i m r e k u r r i e r t . 2 2 O b im letzten Fall auch
B r o c h s Schlafwandler
P a n o f s k y z u r A u f n a h m e des H a b i t u s - B e g r i f f s
inspiriert
haben k ö n n t e n , m ö c h t e ich als offene, m e i n e A r g u m e n t a t i o n in gar keiner W e i s e beeinflussende F r a g e an die E r f o r s c h u n g seiner Privatbibliothek w e i t e r g e b e n . D e r Titel Die
gilt d e n F o r m e n des D e n k e n s , E m p f i n d e n s u n d
Schlafwandler
H a n d e l n s in habitueller, freilich b e w u ß t l o s e r Sicherheit u n d enthält selbst s c h o n den
Ubergang
Massenwahntheorie
zu
Brochs
im
Exil
enstandener,
obgleich
Torso
gebliebener
als einer „ P h ä n o m e n o l o g i e des D ä m m e r z u s t a n d s " , 2 3 für die es
n a c h eigenem E r m e s s e n „ w o h l kein W i s s e n s g e b i e t " gab, „das n i c h t auf die eine o d e r andere W e i s e in das U n t e r s u c h u n g s g e b i e t h i n e i n r e i c h t ( e ) " . 2 4 I m U n t e r s c h i e d z u diffusen T h e o r i e n ü b e r die E x i s t e n z einer „ M a s s e n s e e l e " 2 5 verfährt B r o c h streng 21. Panofskys Aufsatz von 1915 erschien erstmals in der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft X , S. 460-467 (wiederabgedruckt in: E.P., Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hrsg. v. Hariolf Oberer/Egon Verheyen, Berlin 2 1974, S. 19-27), jener von 1920 im Jahrgang XIV derselben Zeitschrift (wiederabgedruckt in: Aufsätze, S. 29-43). Mannheim sah seinen Begriff des „Dokumentsinns" bei Panofsky bereits im Ansatz ausgebildet (wie Anm. 19, im Wiederabdruck S. 123, 129 u. 140). Programmatisch - und dies gleichermaßen auch für Brochs wie Panofskys künftiges Schaffen - stellt Mannheim sich gleich am Eingang die Aufgabe, „die methodologische Struktur und den logischen Ort des Weltanschauungsbegriffs innerhalb der historischen Kulturwissenschaften zu bestimmen" (ebd., S. 191). 22. Der Aufsatz von 1932 erstmals in: Logos X X I , S. 103-119 (wiederabgedruckt in: Aufsätze, S. 85-97; ebd., S. 93 u. Anm. S. 97 führt Panofsky den Mannheimschen Begriff des „Dokumentsinns" in die eigene Methodologie ein). Ein Rekurs auf Mannheims Aufsatz von 1923 findet sich bei Panofsky auch schon an früherer Stelle, in „Uber das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie. Ein Beitrag zu der Erörterung über die Möglichkeit kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe'" (1925), wiederabgedruckt in: Aufsätze, S. 49-75 (S. 74 Anm. 28). In Gothic architecture and Scholasticism ist der Bezug auf Mannheim nicht mehr explizit, liegt dafür aber um so mehr auf der Hand in der Leitfrage nach der Lokalisation von „intrinsic analogies between such overtly disparate phenomena as the arts, literature, philosophy, social and political currents, religious movements, etc." (TB-Ausgabe, N.Y. 1976, S. 1) in einer zentralen („mental"-) „habit-forming force" (ebd., S. 21). Zu den Einflüssen Mannheims auf Panofsky vgl. im übrigen: Lubomir Konecny, „On the track of Panofsky", in: The Journal of Medieval and Renaissance Studies 4 (1974), S. 29-34 (33 f.), sowie Hubert Damisch, „Panofsky am Scheidewege", in: Erwin Panofsky. Cahiers pour un temps, hrsg. v. Jaques Bonnet, Paris 1983, 101-116 (113 f.). 23. KW 12, S. 69. 24. KW 13/2, S. 339 (Brief an Daniel Brody, Brochs Verleger). 25. Deren klassische Formulierung: Gustave Le Bon, La psychologie des foules, Paris 1895.
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demystifizierend und verneint auch die Existenz einer „Masse" als selbständiger Realität. Sein Ausgangspunkt ist, wie schon für Freud, das Individuum samt den bewußten wie unbewußten Anteilen, die es mit sich herumträgt. Über Freud hinaus entwickelt Broch jedoch an anthropologischem, ethnographischem und religionsgeschichtlichem Material eine höchst originelle Begrifflichkeit. Aus dem Gegensatzpaar „Wachsein" und „Träumen" löst Broch den Begriff des „Dämmerzustands" heraus, als den nicht nur für Triebregungen und prähumane Instinkte, sondern auch für die soziale Massenerfahrung und den pathologischen Massenwahn empfindlichen und empfänglichen, gleichsam - im heutigen sozialanthropologischen Sprachgebrauch26 - liminalen Zwischenzustand des individuellen Bewußtseins. „Massenwahn" entsteht daher dort, wo das komplizierte psychische Gleichgewicht des Individuums vorübergehend oder dauerhaft suspendiert wird und wo sich dieser Vorgang darüber hinaus sozial multipliziert, so daß am Ende nicht nur individuell, sondern auch kollektiv „das Dahindämmern die Oberhand gewinnt": „Wenn der Mensch sich im Dämmerzustand befindet, kann er nicht zwischen den Gegebenheiten von Natur und Kultur unterscheiden. Seine Einstellung gegenüber der Kultur ähnelt dann der des Tieres gegenüber der Natur." 27 Und zur spezifischen „deutschen Wahn- und Traumesorganisation" während der NS-Zeit, als deren Kern Broch den Antisemitismus ausmacht, lautet der Befund: „Wer es versteht, Träume zu organisieren, der vermag die furchtbarste Macht über Menschen zu gewinnen."28 „Dämmerzustand" heißt für Broch nicht nur Realitäts- und Rationalsuspension, sondern auch Personalitäts- und Individualitätsverlust. Dementsprechend erkennt er im Vorgriff auf Hannah Arendt, die hierüber die zentrale Morphe ihrer The Origins of Totalitarianism (1951) aufbaut,29 in der Existenz der Konzentrationsund Vernichtungslager die letzte und ,zivilationsbrechende'30 Steigerung des
26. Dazu (im Anschluß an Arnold van Gennep, Les rites de passage, von 1909, dt.: Übergangsriten, Ffm./N.Y. 1986): Victor Turner, „Betwixt and between. The Iiminal period in rites de passage", in: ders., The forest of symbols. Aspeas ofNdembu ritual, Ithaca/N.Y. 1967, sowie ders., The ritual process. Structure and anti-structure, Chicago 1969 (dt.: Ffm./N.Y. 1990). 27. KW 12, S. 69 f. 28. KW 12, S. 427. 29. Dt.: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Ffm. 1955. Zu Arendts Verfahren vgl. Seyla Benhabib, „Hannah Arendt und die erlösende Kraft des Erzählens", in: Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, hrsg. v. Dan Diner, Ffm. 1988, S. 150-174. 30. Ich folge Dan Diners Topos vom „Zivilisationsbruch", der Auschwitz - das eigentliche „Kernereignis des Nationalsozialismus" - „als ein universelles, als Menschheitsproblem" begreift: als „Widerlegung einer Zivilisation, deren Denken und Handeln einer Rationalität folgt, die ein Mindestmaß antizipatorischen Vertrauens voraussetzt; ein utilitaristisch geprägtes Vertrauen, das
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untersuchten Phänomens und zugleich die Wiederkehr einer magischen und „aasfressenden Gottheit" sowie einer „Magie-Religion der Versklavung".31 Der Weg, der da wieder herausführe, bestünde in der erneuten „Entdämonisierung der Welt", 3 2 die für Broch (ähnlich wie schon für Warburg) gleichwohl zunächst über die extreme Freisetzung von Urängsten führt - bis hin zu deren geglückter Absorption. Als ein künstlerisches Symbol steht ihm dafür die spezifische Ausdrucksintensität, die Picassos Guernica in radikaler Uberbietung eines jeden - von der Realität des Schreckens selbst längst überflügelten - formalen Realismus und Naturalismus erreicht, indem der Maler nämlich „selbst das Vieh vom Wahnsinnsgrauen erfaßt werden läßt". 33
eine gleichsam grundlose Massentötung, gar noch in Gestalt rationaler Organisation, schon aus Gründen von Interessenkalkül und Selbsterhaltung der Täter ausschließt." (Zivilisationsbruch, wie Anm. 29, Vorwort d. Hrsg., S. 7, 9 u. 12). Vgl. die nachfolgende Anm. 31. KW 12, S. 485. „Das Konzentrationslager", so Broch, „ist die letzte Steigerung dieser Versklavung, jeder Versklavung. Der Mensch wird seines letzten Ich-Bewußtseins entkleidet; statt seines Namens erhält er eine Nummer und soll sich auch nur mehr als Nummer fühlen. Er ist zur Leiche geworden, bevor er noch gestorben ist ..., abschiedslos, weil er keine Welt mehr besitzt. ... was einmal ein Mensch gewesen war, ist untertierisch geworden, kaum mehr vegetativ, eine Sach-Leiche, Kehricht, der nocht stöhnt. Und es ist die Anonymität des Kehrichts, so daß sein Verrecken nicht einmal mehr dem Abschreckungsterror dient. ... das deutsche Lager ... wollte nichts anderes als Vernichtungsanstalt sein und bleiben, wartend, daß ihm für solchen Unzweck stets neue Ware eingeliefert werde. Der Unzweck war Selbstzweck, aber er war der des Sklavenhalters : Magie hat ihre eigene Kausalität, und wer von ihr umfangen ist, muß sie unaufhörlich und bis zum letzten fortsetzen, damit er nicht selber ins Nichts geschleudert werde ..." (ebd.) Broch schrieb diese Sätze 1948, hatte aber - das belegen seine Briefe (KW 13/1-3) - das nationalsozialistische Vernichtungsprogramm schon in den dreißiger Jahren vorausgesehen. 32. KW 12, S. 376. 33. „... wenn Picasso in , Guernica' selbst das Vieh vom Wahnsinnsgrauen erfaßt werden läßt, so ist die künstlerische Übertreibung nicht einmal so überaus realitätsfremd, denn was hier geschieht, ist mehr als bloßer Mord ..., es ist gegen die Kreatur schlechthin gerichtet, ist nicht mehr Beeinträchtigung irgendeines Lebens, sondern Aufhebung der Schöpfung als solcher..." (KW 12, S. 376) Zur künstlerischen "Übertreibung" als einem Modus des „Überbietens" vgl. Max Imdahl, Picassos Guernica, Ffm. 1985, v.a. S. 85-96. Imdahls Interpretation von „Picassos Ausdrucksfigurationen", in denen - in Überwindung „vorgetäuschter Augenzeugenschaft" - „die wirklichen Schrecken und Leiden der wirklich Getroffenen vor jedem bildlichen Als-Ob geschützt (sind)" (S. 85) und in denen „das Mythische ... die Unfaßlichkeit dieser Untat in ihrer Unfaßlichkeit faßbar (macht)" (S. 96), kommt der Brochschen Thematisierung denkbar nahe.
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III. „Selbst im Griff eines Nachtmahrs konnte Dürer nicht anders, als die Anzahl von Meilen festzustellen, die ihn von dem geträumten Ereignis trennten, und aus der anscheinenden Geschwindigkeit der fallenden Wassermassen Rückschlüsse auf die Entfernung, aus der sie kamen, zu ziehen." (Erwin Panofsky, Albrecht Princeton 1943)
Dürer,
In den zwanziger Jahren war Broch, der erst spät sein Studium aufnahm (als gelernter Ingenieur leitete er - und verkaufte er noch vor der Weltwirtschaftskrise das väterliche Unternehmen), durch die Wiener erkenntnistheoretische (Rudolf Carnap) und phänomenologische (Moritz Schlick) Schule, mithin durch den berühmten „Wiener Kreis" gegangen. Außer mit Musil, Canetti, Alban Berg und anderen Künstlern und Intellektuellen aus der „Café Herrenhof-Generation" verkehrte er im prominenten Wiener Salon der Bertha Zuckerkandl. Darüber hinaus war er sowohl mit dem Psychologen Alfred Adler als auch mit namhaften Psychoanalytikern gut bekannt oder befreundet: so mit Paul Federn, der ihn im künftigen Exil analysieren sollte, vor allem aber mit René Spitz (1887-1974), der zu den wenigen gehörte, die sowohl in der akademischen Psychologie, nämlich im Wiener Kreis um die Bewußtseinspsychologen Karl und Charlotte Bühler, als auch im davon streng abgesetzten - und akademisch ausgegrenzten - Freud-Kreis beheimatet waren. Im Exil begegneten Broch und Spitz sich wieder und tauschten sich fortan über massenpsychologische Fragen aus.34 Was die bildende Kunst als einen weiteren Pol in Brochs Denken angeht, so gehörte Broch - wie Karl Kraus und Adolf Loos - nicht nur zu den enthusiastischen Bewunderern der Malerei des Wieners Kokoschka, sondern hörte wenigstens ein Semester lang auch eine Vorlesung Julius von Schlossers, des Nachfolgers von Max Dvorák, über „Gotik - Renaissance".35 Bei Schlosser vermutlich lernte er einen jungen Dvorák-Schüler kennen, mit dem ihn fortan eine enge Freundschaft verband: George Saiko (1892-1962), ein bis vor kurzem zu Unrecht vergessener Kunsthistoriker und - auch - Dichter. Unter den Nazis erhielt Saiko Schreibverbot 34, Zu Spitz und zum Bühler-Kreis im amerikanischen Exil: Lewis A. Coser, Refugee scholars in Amerika, New Haven/Conn. 1984, S. 3 7 - 4 7 , sowie Marie Jahoda, „The migration of psychoanalysis", in: The intellectual migration (wie Anm. 1), S. 4 2 0 - 4 4 6 . Die Biihlersche Bewußtseins- und Experimentalpsychologie befaßte sich insbesondere mit den Zusammenhängen psychischer und körperlicher Prozesse. 35. Vgl. Lützeler, Broch (wie Anm. 12), S. 98.
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und wurde an die Albertina dienstverpflichtet, wo er - nicht ganz ungefährlich weiterhin Zeichnungen von Klimt und Schiele ausstellte. Außer zwei Romanen (Auf dem Floß und Der Mann im Schilf), die an die Musilschen und Brochschen Epen anknüpfen, verfaßte er zahlreiche Essays zur modernen Kunst, die er in den dreißiger Jahren zumeist in englischsprachigen Zeitschriften veröffentlichte. Sie lesen sich als durchaus originelle Synthese von Riegischem „Kunstwollen", Dvorákscher „Kunstgeschichte als Geistesgeschichte", Schlosserschen ricorsi, Freudscher Psychoanalyse, Cassirerscher Symboltheorie, Warburgscher Ikonologie - und Brochschen Ideen. So heißt es beispielsweise: „Die ,primitiven' Kunstwerke faszinierten (die ,Modernen'; v.b.) durch die Unmittelbarkeit und Konzentration heftigster psychischer Ausdrücke", und sie boten zugleich die Möglichkeit, „die traditionellen Bildtypen fortzusetzen", in gelungener Weise dann, wenn „die primitiven Vorbilder in individuelle Ausdrucks'iqmvAzntt" umgeschmolzen werden konnten.36 Der Austausch zwischen Kunstgeschichte und (Tiefen-)Psychologie37, der in Wien einen besonders fruchtbaren Boden vorgefunden hatte, war mit dem Anschluß Österreichs an Nazi-Deutschland ebenso abrupt abgerissen wie der Austausch zwischen ästhetischer Moderne und avancierter Wissenschaft, für den Broch, Musil und andere einstanden. Broch selbst flieht aus Kerkerhaft und mit Hilfe von James Joyce, der ihm ein Visum besorgt, im Sommer 1938 zunächst nach Schottland und von dort, unterstützt durch Thomas Mann und Albert Einstein, die die obligate Bürgschaft aufbringen, weiter in die USA. Von New York aus reist er häufig nach Princeton zu Besuchen bei Mann, der von 1938 bis 1941 dort lebt, und Einstein, der seit 1933 dem Institute for Advanced Study angehört und den er für sein Massenwahnprojekt als einflußreichen Förderer gewinnt. In Einsteins Haus verbringt Broch bei Kriegsausbruch im Spätsommer 1939 einen ganzen Monat und läßt sich danach mehrmals für längere Zeit und von 1942 bis 1948 ganz in Princeton nieder. Seine dortigen Aktivitäten konzentriert Broch vor allem auf den Versuch, das Projekt der Gründung eines „Instituts für die Erforschung des Massenwahns" an der Universität selbst oder am Institute for Advanced Study zu etablieren. Zwar kommt es zu keiner gesonderten Institutsgründung, doch kann Broch seine Studien individuell mit Hilfe von Stipendien der Rockefeiler- und Bollingen-Stiftungen 36. „Die Bedeutung des Primitiven in der modernen Kunst" (1934), in: George Saiko, Sämtliche Werke (in fünf Bänden), hrsg. v. Adolf Haslinger, Salzburg/Wien 1986 ff., Bd. IV, S. 157-167 (160). In Picasso erkennt Saiko den modernen Künstler par excellence, der - via „Absorbierung" präzivilisatorischer Formen - „in ein seelisches Zwischenreich, zwischen Bewußtem und Unbewußtem" vordringt (ebd., S. 167; vgl. Brochs „Dämmerzustand"). Zu Saiko: Adolf Haslinger, „Der Dichter als Denker. George Saiko - Kunsthistoriker und Komödiendichter", in: ebd., S. 285-293; ders., „Nachwort" in: ebd., Bd. I, S. 6 1 5 - 6 2 3 . Eine kleine Ausstellung über Saiko fand 1992 im Wiener Palais Palffy statt (vgl. F.A.Z. v. 7.2.1992, S. 34). 37. Siehe dazu in diesem Band den Beitrag von Klaus Herding.
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betreiben sowie von 1942 bis 1944 als freier Research Fellow am Office of Public Opinion Research der Princeton University, einer Einrichtung, der auch schon das legendäre Princeton Radio Project angehörte, für welches Theodor W. Adorno von 1938 bis 1941 (allerdings in New York) unter der Leitung des Wiener BühlerSchülers Paul Lazarsfeld gearbeitet hatte.38 Einher gehen politische und publizistische Initiativen die europäische Katastrophe und die kritische Weltlage betreffend, sowie organisatorische und karitative Aktivitäten zur Rettung und Aufnahme von Flüchtlingen und Verfolgten. Brochs Betriebsamkeit in diesen Angelegenheiten lassen gewiß die Annahme zu, daß er, zumal als Mitstreiter der American Guild for German Cultural Freedom und als Mitinitiator einer Declaration on World Democracy, für seine zahlreichen Initiativen auch und gerade die in Princeton lebenden Emigranten zu gewinnen suchte.39 Jedenfalls kommt er darüber weiterhin mit Einstein und Thomas Mann zusammen, auch mit Frank Aydelotte, dem damaligen Direktor des Institute for Advanced Study, sowie mit seinen künftig engen Freunden Christian Gauss und Alvin Johnson. Gauss war der Dekan des Princeton College sowie der geistige Inspirator der berühmten Gauss Lectures, an denen gelegentlich auch Erwin Panofsky teilnahm;40 Alvin Johnson, in den späten zwanziger Jahren Initiator der sodann unter hochkarätiger internationaler Beteiligung erschienenen Encyclopedia of the Social Sciences, war der Gründer und Direktor der New Yorker New School for Social Research, die 1933 um eine neugeschaffene Graduate Faculty unter dem Namen University in Exile erweitert worden war. Noch vor Kriegsende entwickelte Broch eine weitere Initiative, diesmal zur Gründung einer International University, die aus dem Zusammenschluß der beiden Oasen der Wissenschaftsemigration, dem Princetoner Institute for Advanced Study und der New School for Social Research, hervorgehen sollte. Letztere, die Brochs Aufruf unterstützte, zählte damals u.a. Rudolf Arnheim, Emil Lederer, Claude 38. Dazu: Theodor W. Adorno, „Scientific experiences of a European scholar in America", in: The intellectual migration (wie Anm. 1), S. 338-356, sowie Paul F. Lazarsfeld, „An episode in the history of social research. A memoir", in: ebd., S. 280-337 (276 u. 303-26). 39. Zu Brochs Tätigkeit für die von den deutschen Emigranten Volkmar von Zühlsdorff und Hubertus Prinz zu Löwenstein gegründete Guild siehe sein Memorandum in: KW 11 (Politische Schriften), S. 399-410. Die Declaration on world democracy erschien 1940 in New York unter dem Haupttitel The dty of Man. Broch verfaßte den nationalökonomischen Teil des Manifests (KW 11, S. 81 -87). Zu den Mitunterzeichnern der vorangestellten und gemeinsam verfaßten Declaration gehörten, neben Broch, u.a. Frank Aydelotte, Guiseppe Antonio Borgese, Christian Gauss, Alvin Johnson,Thomas Mann, Lewis Mumford, Reinhold Niebuhr und Gaetano Salvemini. Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb Broch eine Initiative zur Verabschiedung einer Internationalen Menschenrechtsdeklaration durch die Vereinten Nationen; siehe: „Bemerkungen zur Utopie einer,International Bill of Rights and of Responsibilities'", in KW 11, S. 243-276; vgl.: H.B. Menschenrecht und Demokratie, mit einer Einleitung v. P.M. Lützeler, Ffm. 1978. 40. Vgl. Robert Fitzgerald, Enlarging the change. The Princeton seminars in literary 1949-1951, Boston/Mass. 1984, S. II u. 28 ff.
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Lévi-Strauss, Alfred Schütz, Hans Speier und Leo Strauss zu ihren Fakultätsmitgliedern.41 Beiden Einrichtungen stellte Broch die Diagnose, daß ihr „europäisierende^) Charakter" nach Kriegsende obsolet sein werde, und sah die Lösung dieses Problems42 in einem künftig gemeinsam zu tragenden „,Institut zur Wissenschaftssynthetisierung'", das, neben der Grundlagen- und Methodenforschung sämtlicher Disziplinen, „das Gesamtgebiet der Geisteswissenschaften ... von der Anthropologie bis zur Philosophie" umfassen und auf der Grundlage einer „Verbindung von Humanitäts-Politik und Wissenschaft" integrieren sollte.43 Nun endlich zu einer implizit schon angelegten Frage: Brochs umfangreiche Korrespondenz ist nur zum kleineren Teil, Erwin Panofskys Briefwechsel noch nicht veröffentlicht, und an ein und demselben Ort verkehrt man nicht unbedingt brieflich - verkehrt man aber vielleicht gar nicht - miteinander. Demzufolge bin ich vorerst nicht in der Lage, eine wie auch immer beschaffene Verbindung zwischen Broch und Panofsky nachzuweisen - doch führen beinahe alle Spuren in diese Richtung, um so mehr als sich beider Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreise in dem viktorianischen 12.000-Seelen-Städtchen mehrfach überschnitten: so zumindest mit Einstein, Gauss und dem Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, gewiß auch mit dem Mathematiker Hermann Weyl und dem Kunsthistoriker Charles Tolnay. Eine besonders enge Symbiose entstand darüber hinaus zwischen Broch und dem ursprünglich aus Prag stammenden Gelehrten Erich von Kahler (1885-1970), der wiederum Thomas Manns engster Princetoner Intimus war. Broch lebte seit 1942 in Kahlers Haus (1 Evelyn Place) und vollendete dort auch seinen zweiten großen Roman Der Tod des Vergil über die letzten 18 Stunden im Leben des römischen Dichters, der an der Frage nach der Legitimität seiner Kunst 41. Zur N e w School for Social Research: Coser, Refugee
scholars (wie A n m . 34), S. 1 0 2 - 1 0 9 .
42. Dazu schrieb ein anderer Emigrant - Siegfried Kracauer, den ich an anderer Stelle ausführlich in den hier beschriebenen Kontext einbinden werde - in einem Brief vom 2 5 . 7 . 1 9 4 8 : „Inzwischen habe ich mich nach jobs umgesehen, und muß leider berichten, daß die Aussichten sehr schlecht sind. Aus einem bestimmten Grunde: Ich hatte auf die Rockefeller (-Foundation; v.b.) spekuliert, und die Rockefeller gibt vorläufig nichts mehr an Leute wie mich, sondern wohl alles für heimkehrende Soldaten. Für uns ist der Trend jetzt nicht gut. Ein Mann von Princeton University, der das Office of Public Opinion Research dort leitet ( = Hadley Cantril, unter dessen Direktion zuvor Broch als Fellow arbeitete; v.b.), wollte für mich ein dreijähriges research project durchsetzen und ist damit gescheitert . . . " (abgedruckt in: „Siegfried Kracauer 1 8 8 9 - 1 9 6 6 " , bearb. v. Ingrid Belke u. Irina Renz, Marbacher
Magazin
17/1988, S. 105).
43. „Bemerkungen zum Projekt einer 'International University", ihrer Notwendigkeit und ihren Möglichkeiten" (1944), in: KW
11, 4 1 4 - 4 2 5 . Broch dachte an ein zweigliedriges System von
Forschungsinstitut (mit dem Princtoner Institute
als bereits vorhandenem, um die Gebiete von
Geschichtstheorie, Anthropologie und Psychologie v.a. zu erweiterndem Nukleus) und Universitätsbetrieb (den die N e w Yorker New School organisieren sollte). Einem Brief Brochs (KW 13/3, S. 24) zufolge war das Projekt in modifizierter F o r m (siehe „Gründungsaufruf für eine Internationale Universität", in: KW9,
6 7 - 1 1 2 ) noch 1948 im Gespräch und hatte die Unterstützung von Christian
Gauss sowie der Princeton University Press. Siehe auch: H . B . , Zur Universitätsreform, einem Nachwort v. G ö t z Winold, Ffm. 1969.
hrsg. u. mit
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Volker
Breidecker
zweifelt - keine leichte, doch für einen Gelehrten von humanistischer Inspiration, wie Panofsky, gewiß eine hochinteressante Lektüre. 4 4 Ebenso wäre Brochs Freund Kahler - Broch nannte ihn einmal ironisch seinen „Ambassador to the Court of Princeton" 4 5 - , dem man im übrigen dasselbe wie Panofsky nachsagt, daß er einer der letzten Vertreter des klassisch-universalen Bildungsideals war, für Panofsky wiederum gewiß kein uninteressanter Gesprächspartner gewesen, mit dessen Bekanntschaft dieser auch an Broch nicht vorbeigekommen wäre. In Deutschland, wohin Kahler nach dem Krieg gelegentlich zu Vorträgen kam und wo er wieder publizierte, ist er heute beinahe vergessen oder sind seine Werke, an denen sich der hier gezogene Kreis nochmals nachvollziehen ließe, entweder längst vergriffen oder gar nicht erst übersetzt worden. 4 6 Außer an der New School for Social Research und der Cornell University lehrte er in Princeton Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft und war zumindest 1949 Mitglied des Institute for Advanced Study. Hochbetagt, hielt er in Princeton noch 1967, ein Jahr vor Panofskys Tod, Vorlesungen zum Thema The Disintegration of Form in the Arts am Beispiel Braque, Klee, Rothko, Newman und anderen. 47 „Princetonia", genauer, Überlegungen, die durch die Fenster jener Denkfabrik des Institute for Advanced Study blicken lassen und zugleich Kahlers Dialog mit Hermann Broch festhalten, finden sich in seinem Werk zahlreiche: In der Begründung eines
44. Brochs „Vergil" (KW 4) erschien 1944 gleichzeitig in deutscher und englischer (übersetzt von Jean Starr Untermeyer) Sprache im New Yorker Pantheon Verlag des Exil-Verlegers Kurt Wolff. Der mit Broch befreundete Wolff war ein Pionier des deutschen Verlagswesens, in dessen Leipzig/Münchener Verlag in den 10er und 20er Jahren nicht nur die literarische Avantgarde erschien, sondern wo auch ein neuer Typus auf dem Gebiet der Kunstbuchproduktion geschaffen wurde: Die von Carl Georg Heise und Hans Mardersteig herausgegebene Zeitschrift Genius erschien dort ebenso wie die Reihe Deutsche Plastik in Einzeldarstellungen (darin 1924: Erwin Panofsky, Die deutsche Plastik des 11. bis 13. Jahrhunderts). In Wolffs New Yorker Verlag erschienen von 1943 an auch di t Bollingen Series als prominentes Forum der Begegnung von Kunstgeschichte, Psychologie, Anthropologie, Ethnologie, Religionswissenschaft und klassischer ebenso wie moderner Literatur und Philologie. Siehe: Kurt Wolff, Autoren, Bücher, Abenteuer. Betrachtungen und Erinnerungen eines Verlegers. hrsg. v. Klaus Wagenbach, Berlin 1965. Als Band LII der Bollingen Series erschien, erstmals 1956, von Dora und Erwin Panofsky, Pandora's box (dt.: Ffm. 1992). 45. KW 13/2, S. 273 (Brief an Hadley Cantril). Zu Kahler: Anna Kiel, Erich Kahler. Ein ,uomo universale' des zwanzigsten Jahrhunderts, Bern u.a. 1989; Harry Zohn, „Introduction" in: E.K., The Jews among the nations, New Brunswick/Oxford 1989, S.VII-XIII; Joseph Frank, „Foreword" in: E.K., The inwardtum of narrative, Princeton 1973 (= Bollingen Series, LXXXIII), S.VII-XVI; Ilsedore B. Jonas/Klaus W. Jonas, „Das Werk Erich von Kahlers. Eine Bibliographie", in: Modern Austrian Literature 19 (1986), S. 63-93. 46. In deutscher Sprache liegt neuerdings wieder vor: E.v.K., Judentum und Judenhaß. Drei Essays, Wien 1991. Eine Auswahl seines deutschsprachigen Werks seit den 10er Jahren verzeichnet Kiel, Kahler (wie Anm. 45), S. 285 ff. Vgl. a. Anm. 47 u. 48. 47. New York 1968 erschienen; dt.: Die Auflösung der Form. Tendenzen der modernen Kunst und Literatur, München 1971.
Fragmente einer intellektuellen Kollektivbiographie
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universalwissenschaftlichen Programms, das die „Feststellung homologer und konvergenter Entwicklungen in den verschiedenen Wissenschaften" zum synthetischen Postulat erhebt, rekurriert Kahler, außer auf Niels Bohrs Komplementaritätsbegriff (auch Bohr wirkte zeitweilig in Princeton), auf die Beziehungen zwischen Physik und Psychologie in den Studien von Wolfgang Pauli, der wiederum Panofskys engstem Princetoner Freundeskreis angehörte. 48
Abb. 1. Ex libris Erich Kahler. Nach einer Zeichnung von Ben Shahn.
War es demnach, mit Panofsky gesprochen, die durch umfassende historische, philologische und symbolische' Kenntnis kontrollierte .„synthetische Intuition'" des Polyhistors, oder war es weniger und zugleich mehr als dies, was Kahler dazu veranlaßte, sich für das Exlibris seiner Bibliothek (Abb. 1 ) - ausgerechnet - Tizians 48. E.K., „Der Verfall des Wertens", in: ders., Die Verantwortung des Geistes. Gesammelte Aufsätze, Ffm. 1952, S. 258-298 (295 f.). Zu Panofsky und Pauli in Princeton: vgl. im vorliegenden Band die Beiträge von Klaus Herding und Bruno Reudenbach sowie Dr. Panofsky & Mr. Tarkington. An exchange of letters, 1938-1946, hrsg. ν. Richard M. Ludwig, Princeton 1974, S. I l l ff. Zur naturwissenschaftlich-theoretischen Forschung in Princeton: Ed Regis, Einstein, Godei und Co., Basel u.a. 1989.
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Volker Breidecker
dreiköpfige, den Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kombinierende und synthetisierende Prudentia zu erwählen (Abb. 2)? Der Maler und Graphiker Ben Shahn, der dazu den Entwurf lieferte, griff damit auf ein Bild zurück, das, erst in den zwanziger Jahren entdeckt, durch Panofsky und Saxl erstmals (1926) beschrieben und durch die Reproduktion und den Wiederabdruck in Panofskys Meaning in the Visual Arts (1955) überhaupt erst einem größeren interessierten Publikum bekannt geworden ist. 49
Abb. 2. Tizian, Allegorie der Klugheit. London, National Gallery.
IV. Um den Kreis zu beschließen, möchte ich noch einer weiteren Spur folgen, die überdies zur psychohistorischen 50 Erforschung und zur politischen Mythographie des Massenwahns - als dem, neben dem biographischen und mit diesem aufs engste verwoben, zweiten roten Faden meines Experiments - zurückführt: Kahler war seit dem Ersten Weltkrieg mit Ernst H . Kantorowicz (1895-1963) befreundet. Beide gehörten dem George-Kreis an, obgleich Kahler bald auf Distanz zum Personenkult des „Meisters", auf Distanz auch zu seinem Lehrer Friedrich Gundolf ging. 49. Zu Kahler und Ben Shahn: Kiel, Kahler (wie Anm. 45), S. 167 f., sowie Kahler selbst (wie Anm. 47, S. 79 u. 116). Zu Shahn: Contemporary Artists, Chicago/London 3 1989, S. 866 f.; sein berühmtestes Werk ist The Passion of Sacco and V&s heran, und erst 1960 sollte The Gothic dann gedruckt vorliegen.3 So lange mußte Panofsky sich nicht gedulden. Schon 1943 stellte er einen Aufsatz fertig, in dem er einige Passagen aus Sugers Schriften kommentierte. Dieser Aufsatz war für einen Henri Focillon gewidmeten Band der Gazette des Beaux-Arts bestimmt, der 1944 erscheinen sollte, dessen Erscheinungstermin sich jedoch bis mindestens 1947 verzögerte. Als Vorstudie gedacht, folgte der Aufsatz so der eigentlichen Edition. 4 Doch auch diese lag nicht pünktlich zum Jubiläum vor; erst 1946 erschien das Buch über Abbot Suger in der Princeton University Press. Unter das Vorwort setzte Panofsky das Datum des achthundertsten Jahrestages der Chorweihe, den 11. Juni 1944. 5 Die Verzögerung des Erscheinungstermins in Hinblick auf das Jubiläum ging dabei nicht zu des Autors Lasten. Vielmehr waren die Kapazitäten der Princeton Press anderweitig beansprucht. Am 6. August 1945 erfolgte der Atombomben-Abwurf über Hiroshima. Sechs Tage später wurde der auf Veranlassung von General Leslie Groves, dem Befehlshaber des Manhattan Project, wie seit 1942 der Tarnname des Atombomben-Projekts lautete, angefertigte offizielle Bericht über die AtombombenEntwicklung in Los Alamos, den ersten Bombentest vom 16. Juli 1945 in Neu-Mexiko, den Panofskys Sohn übrigens in einem der beobachtenden Β 29-Bomber miterlebte, und den Bombenabwurf über Hiroshima freigegeben. Verfasser dieses Reports, der Entwicklung und Perspektiven der Nutzung von Atom-Energie für militärische Zwecke darlegte, war der an Manhattan Project beteiligte Chairman des Department of Physics der Princeton-University, Henry DeWolf Smyth, und Princeton Press druckte nun vorrangig nicht Suger, sondern
3. Paul Frankl, The Gothic. Literary Sources and Interpretations through Eight Centuries, Princeton (N.J.) 1960. Im Vorwort (S.V) heißt es: „(This book) is concerned with the question of what has been thought and written about the phenomena of Gothic as a whole since Suger ... It was originally planned to close the book with the year 1944, the eight hundredth anniversary of Suger's document." 4. Erwin Panofsky, Note on a Controversial Passage in Suger's De consecratione ecclesiae sancti Dionysii, in: Gazette des Beaux-Arts 6. ser., 26, 1944, S. 95-114. Über die kriegsbedingten Gründe für die Verzögerung des Erscheinens („the interval between the serial date of the volume and the actual date of publication") berichtet der Herausgeber Georges Wildenstein am Beginn des Bandes. Da einige der Beiträge noch in das Jahr 1947 datiert sind, kann der Band frühestens gegen Ende dieses Jahres erschienen sein. Daher kann Panofsky auf S. 100 Anm. 8 seines Beitrages das 1946 erschienene Suger-Buch zitieren, in dem entsprechend der Aufsatz als noch im Druck befindlich angegeben ist (Suger I, S. 142). 5. Suger I, S. I X . Zum Datum der Chorweihe Suger I, S. 166 (Suger II, S. 168) Anm.48, 27.
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den Smyth-Report, von dem im November 1945 schon die fünfte Auflage erschien.6 So verzögerte das amerikanische Atombomben-Programm das Erscheinen des Suger-Buches, was Panofsky am 18. September 1945 in einem Brief an Harry Bober mit der trockenen Bemerkung kommentierte, nachdem die Welt nun 800 Jahre auf die englische Ubersetzung des Textes gewartet habe, könne sie sich auch noch ein wenig länger gedulden.7 Zwei Tage später schreibt er ähnlich an den eng mit ihm befreundeten Schriftsteller Booth Tarkington, dem das Suger-Buch gewidmet ist: „since the world has waited 801 years for a translation, it can just as well wait some more", um dann hinzuzufügen: „unless the whole question becomes irrelevant in view of further developments in the atomic field".8 Weihnachten 1945 heißt es dann, wieder an Tarkington, nur noch: „The Princeton Press is still so clogged up with its unexpected atomic best-seller that I have long ago given up even asking about the fate of Suger".9 Abbot Suger mußte also hinter dem amerikanischen NuklearwaffenProgramm zurückstehen, und man möchte diese Kollision, die den Abschluß von Panofskys Arbeit an den mittelalterlichen Texten unübersehbar überschattete, für eine in ihrer Zufälligkeit dennoch signifikante Pointe halten, an der schlaglichtartig aufscheint, wie nachhaltig die Beschäftigung Panofskys mit den Quellen des 12. Jahrhunderts dem Zugriff von Zeitgeschichte und aktueller Politik ausgesetzt war. Doch ist dies eine eher verborgene Dimension von Panofskys Buch. Panofsky selbst wollte vor allem eine Ubersetzung von Quellen liefern, die, wie er im Vorwort schrieb, jedem Studenten mittelalterlicher Kunstgeschichte vertraut, die aber nie in extenso übersetzt worden seien.10 Aus vorliegenden Suger-Editionen wählte er dazu drei Werke aus, die er teils vollständig, teils in Auszügen mit lateinischem Text und englischer Ubersetzung wiedergab. Sie werden ergänzt durch einen fast einhundertseitigen Kommentar, in dem Panofsky Sacherklärungen liefert, philologische Fragen und Fachtermini, überlieferungsgeschichtliche Probleme und kunst- und bauhistorische Konsequenzen von Text und Ubersetzung erörtert. Das erste Anliegen Panofskys war demnach ein quellenkundlich6. Henry DeWolf Smyth, Atomic Energy for Military Purposes. The Official Report on the Development of the Atomic Bomb under the Auspices of the United States Government, 1940-1945, Princeton (N.J.) 1945. - Dazu Panofsky - Tarkington S. 80 f.; Brief Panofskys vom 20. September 1945 (S. 83): „The bomb, incidentally, has hit Suger, among other things: the Princeton Press prints untold numbers of the Smyth report and had to shelve everything else for the time being." 7. Abdruck des Briefes vom 18. September 1945 an Harry Bober, in: A Commemorative Gathering for Erwin Panofsky at the Institute of Fine Arts in Association with The Institute for Advanced Study, March the Twenty-First, 1968, S. 18-20. 8. Panofsky - Tarkington S. 83. 9. Ebd. S. 116. 10. Suger I, S.VII (Suger II, S. XI): „The Texts reprinted and translated in this volume have long been familiar to every student of medieval art and civilization ... Yet these wellknown texts have never been translated in extenso
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philologisches: Übersetzung und Kommentierung der auf den Bau der Abteikirche zu beziehenden Textquellen, die zum einem fruchtbar gemacht werden sollten für die Interpretation von Baugeschichte und Baubestand, die aber auch zum anderen wegen ihrer überragenden Bedeutung einem breiteren Publikum durch die Ubersetzung leichter zugänglich gemacht werden sollten. Auf diesen Adressatenkreis zielt wohl auch die berühmte Einleitung, in der Panofsky im Bemühen, einem Leser des 20. Jahrhunderts eine Persönlichkeit des Mittelalters nahezubringen, ein farbiges und anschauliches Porträt Sugers bietet, das den mittelalterlichen Abt mit seinen Eigenschaften und Anschauungen in seiner Lebenswelt zeigt.11 Eine ungewöhnlich günstige Quellenlage stand für dieses Vorhaben zu Gebote, und sie wird von Panofsky virtuos genutzt. Angeregt durch eine regelmäßige Porträt-Kolumne in der Zeitschrift New Yorker,12 durchbricht er fachwissenschaftliche Beschränkungen, verläßt das im engen Sinne editionstechnische und quellenkundliche Feld und liefert unter völligem Verzicht auf Anmerkungen und Nachweise eine psychologisierende biographische Skizze, die zu einem seiner suggestivsten Texte gehören dürfte.13 Es ist demnach kaum möglich, Panofskys Abbot Suger eindeutig einer bestimmten Gattung wissenschaftlicher Literatur zuzuweisen. Es ist keine wirklich historisch-kritische Quellenausgabe, woran sich schon Otto Lehmann-Brockhaus in seiner etwas mißmutigen Rezension in der Kunstchronik stieß.14 Es ist keine zusammenhängend argumentierende Abhandlung über mittelalterliche Kunsttheorie oder gotische Architektur und ebensowenig eine Biographie - aber es enthält von alle dem etwas. Und aller teilweise berechtigten Kritik zum Trotz: bis heute ist Panofskys Buch nicht durch eine bessere Edition abgelöst. Gemessen an seiner Vielschichtigkeit, ja Heterogenität hat dieses Werk nun eine überraschend eindimensionale, aber höchst folgenreiche Resonanz gefunden. Dazu gehört weniger eine Diskussion der zahlreichen technischen und bauhistorischen Details.15 Ihnen widmete Panofsky viele Passagen seines Kommentars und 11. Suger I/II, S. 1 - 3 7 . 12. Karen Michels, Die Emigration deutschsprachiger Kunstwissenschaftler nach 1933, in: Aby Warburg. Akten des internationalen Symposions Hamburg 1990, hg. von Horst Bredekamp Michael Diers - Charlotte Schoell-Glass [Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, 1] Weinheim 1991, S. 293-298, bes. S. 296 13. Nicht zuletzt deshalb nahm Panofsky diesen Text wohl auch in seine Aufsatzsammlung Meaning in the Visual Arts. Papers in and on Art History, Garden City (N.Y.) 1955, S. 108-145 (Abbot Suger of St.-Denis) auf; deutsche Ausgabe: Suger III. 14. Kunstchronik 1, 1948, H . 12, S. 11-13. 15. Diese im Mittelpunkt des Interesses zuletzt bei: Gabriele Annas - Günther Binding, „Arcus superiores". Abt Suger von Saint-Denis und das gotische Kreuzrippengewölbe, in: WallrafRichartz-Jahrbuch 50,1989, S. 7 - 2 4 , bes. S. 8f.; Jan van der Meulen-Andreas Speer, Die fränkische Königsabtei Saint-Denis, Darmstadt 1988, S. 2 5 6 - 2 9 8 ; vgl. dazu auch die Rezension von Robert Suckale, Neue Literatur über die Abteikirche von Saint-Denis, in: Kunstchronik 4 3 , 1 9 9 0 , S. 6 2 - 8 0 , bes. S. 77-80.
Panofsky und Suger von St. Denis
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versicherte sich dazu auch der Hilfe Frankls und des St. Denis-Ausgräbers Crosby doch letztlich behielt er zu dieser für ihn sperrigen Materie ein eher distanziertes und von ihm ironisch betrachtetes Verhältnis, das noch 1957 in einem Brief an Frankl anklingt, wo er von „that austere and esoteric group known as , architectural historians'" einerseits und dem „profanum vulgus of art historians" andrerseits spricht. 16 Diese Einschätzung zeigt sich auch, als er noch kurz vor Erscheinen des Buches durch Crosby darauf aufmerksam gemacht wurde, daß er in der Grundrißskizze eine Tür an einer Stelle placiert hatte, wo Crosby einen durchgehenden und soliden Mauerzug ergraben hatte. Dank der Verzögerung des Druckes konnten dem Text glücklicherweise noch Addenda und Corrigenda hinzugefügt werden, in denen Panofsky diesen ihm ungeheuer peinlichen Fehler behob, 1 7 und zwar, indem er, wie er scherzhaft an Tarkington schrieb, die Tür nun an eine Stelle versetzte, wo niemals, solange Saint-Denis bestünde, irgend jemand werde nachgraben können. 18 Doch erlangte das Buch nicht aufgrund derartiger Detailfragen seinen unbestreitbaren Rang, sondern eigentlich aufgrund einer nicht einmal zehn Seiten umfassenden Passage in der Einleitung. Man wird vielleicht sagen können, daß ein überaus populäres, auch in der Fachwissenschaft weit verbreitetes Deutungsmodell der gotischen Kathedrale letztlich auf diese Passage in Panofskys Buch zurückgeht, die den teilweise genauer argumentierenden und mit Nachweisen versehenen Aufsatz in der Focillon-Gedenkschrift resümierend und variiert wieder aufgreift. 19 Dieses Modell besagt, daß gotische Architektur eine Umsetzung neuplatonischer Lichtmetaphysik sei, eine Lichtarchitektur, in der das überirdische göttliche Licht in irdischer Materialität aufscheine und die dem menschlichen Intellekt den Aufstieg zur Erkenntnis Gottes möglich mache. Schon vorher angebahnt, nach Panofsky, allerdings mit ganz anderer Intention und in anderen Begründungszusammenhängen, etwa bei Sedlmayr, noch ausgebaut, bezog dieses Modell doch seine 16. Brief Panofskys an Paul Frankl vom 15. April 1957. „(I) agree with you in feeling that this particular question ... is of real interest only to that austere and esoteric group known as architectural historians'. As long as the sculptures on the transept (exclusive, of course of the porches) remain in the second decade of the thirteenth century, the profanum vulgus of art historians will look upon the controversy with comparative equanimity." Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Archiv für Bildende Kunst, Nachlaß Frankl. 17. Suger I, S. 243. 18. Brief an Tarkington vom 22. Februar 1946 (Panofsky - Tarkington S. 125-128) S. 128: „Suger proceeds, fortunately slowly - fortunately, because it was thus possible for me to expunge a terrific boner kindly brought to my attention (though I should have caught it myself) by Mr. Crosby of Yale, who had done excavations and could thus prove that I had placed a door into an absolutely and unalterably solid wall. Now I have put it into a place where no excavation can be started as long as St. Denis exists and feel fairly safe; but I have naturally to confess the whole thing on the Addenda et Corrigenda page." 19. Suger I/II, S. 18-26; entsprechend Panofsky, Note (wie Anm. 4) S. 106-114.
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ursprüngliche Überzeugungskraft wesentlich aus Panofskys Buch, 20 und es gehört heute zum Standardrepertoire nicht nur der Kunstgeschichte, sondern auch der Nachbardisziplinen.21 Hier geht es im folgenden nicht darum, dieses Modell ausführlicher zu falsifizieren. Ohnehin ist die Ausgangslage komplizierter. Es läßt sich nämlich zeigen, daß sich das Modell so, wie eben skizziert, bei Panofsky gar nicht findet, daß aber das, was bei Panofsky steht, gleichwohl, wie wir heute wissen, unzutreffend ist. 22 Dann aber ist nach den Gründen zu fragen, warum Panofsky auf einem Feld, für das er nach allgemeiner Uberzeugung größte Kompetenz besaß, eine so folgenschwere Fehleinschätzung unterlaufen konnte. Es geht darum zu verstehen, wie, warum und mit welchen Folgen Panofsky zu diesen Vorstellungen gelangte. Zunächst: Was steht bei Panofsky? Er beschreibt Suger als einen Theologen, der sich intensiv mit der neuplatonischen Philosophie des sog. Ps.-Dionysius beschäftigt habe. Die mittelalterliche Uberlieferung hatte diesen griechisch schreibenden christlichen Philosophen des sechsten Jahrhunderts mit dem Paulusschüler Dionysius Areopagita und diesen wiederum mit dem Märtyrer Dionysius, dem Patron von Sugers Kirche, identifiziert.23 Diese verzwickte Zusammenschmelzung von drei Personen zu einer führte dazu, daß die Handschrift des in St. Denis aufbewahrten Hauptwerkes von Ps.-Dionysius, De caelesti hierarcbia, als Werk
20. Insofern gilt Sauerländers zutreffende und auf Panofskys Aufsatz in der Focillon-Gedenkschrift gemünzte Feststellung ebenso für die entsprechende Passage aus der Einleitung des Suger-Buches (vgl. oben Anm. 4): Willibald Sauerländer, Gothic Art Reconsidered: New Aspects and Open Questions, in: The Cloisters. Studies in Honor of the Fiftieth Anniversary, hg. von Elizabeth C. Parker - Mary B. Shepard, New York 1992, S. 2 6 - 4 0 , bes. S. 27: „The impact of this article on the interpretation of Gothic architecture and stained glass can scarcely be overrated. For several decades of art history, Neoplatonism replaced the rib as the generative force of Gothic architecture." Genannt seien nur die beiden wichtigsten Werke: Hans Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 1950; Otto von Simson, The Gothic Cathedral. Origins of Gothic Architecture and the Medieval Concept of Order, New York 1956; deutsch: Die gotische Kathedrale, Darmstadt 1968, 2. Aufl. 1972. 21. Vgl. etwa Werner Beierwaltes, Negati Affirmatio: Welt als Metapher. Zur Grundlegung einer mittelalterlichen Ästhetik durch Johannes Scottus Eriugena, in: Philosophisches Jahrbuch 83, 1976, S. 237-265, bes. S. 237 ff.; Wilhelm Perpeet, Ästhetik im Mittelalter, Freiburg-München 1977, bes. S. 68-72. 22. Martin Gosebruch, Rez. von Hans Sedlmayr, Die Enstehung der Kathedrale, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 208,1954, S. 232-265, bes. S. 252-256; John Gage, Gothic Glass: Two Aspects of a Dionysian Aesthetic, in: Art History 5, 1982, S. 36-58; Martin Büchsei, Ecclesiae symbolorum cursus completus, in: Städel-Jahrbuch N.F. 9, 1983, S. 69-88, bes. S. 74 f.; Peter Kidson, Panofsky, Suger and St. Denis, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 50, 1987, S. 1 - 1 7 ; Paul Crossley, Medieval Architecture and Meaning: The Limits of Iconography, in: The Burlington Magazine 130, 1988, S. 116-121, bes. S. 119 f.; Conrad Rudolph, Artistic Change at St-Denis, Princeton 1990; Sauerländer (wie Anm. 20) S. 31 f. 23. Lexikon des Mittelalters, Bd.3, München - Zürich 1986, Sp.1076-1087, s.v. Dionysius, hl.
Panofsky
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eben des in St. Denis bestatteten Märtyrers galt. Dieses Werk war von Johannes Scottus Eriugena für Karl den Kahlen im 9. Jahrhundert ins Lateinische übertragen und kommentiert worden. Panofsky sieht nun Passagen in den Schriften Sugers von der Lichtmetaphysik des Ps.-Dionys geprägt und konstatiert dort die vielzitierte „Orgie an neuplatonischer Lichtmetaphysik". 24 Diese sei bis in einzelne Formulierungen hinein aus Ps.-Dionys oder dem Kommentar des Eriugena - hier unterlaufen ihm Verwechslungen25 - entlehnt. Damit bot sich Panofsky eine bezwingende, ja betörende historische Konstellation dar, von der sich sagen läßt, daß sie - forschungsgeschichtlich gesehen - wohl wirklich erst so entwickelt werden mußte, um später überwunden werden zu können: Suger, in den Augen vieler Kunsthistoriker der Initiator der ersten gotischen Architektur, der Auftraggeber bedeutender Werke der Schatzkunst und der Verfasser der einschlägigen Tituli agiert als ausgewiesener Neuplatoniker im Geiste einer Philosophie, die Ps.-Dionysius, dem seit Jahrhunderten am Ort verehrten Hausheiligen, verdankt wird, und die am Ort nachweislich in Manuskripten greifbar war. An keiner Stelle aber geht Panofsky nun den argumentativen Schritt, den man erwartet und den nach ihm und unter fälschlicher Berufung auf ihn noch viele gegangen sind: Nirgends spricht er explicit davon, daß diese Philosophie und die spezifische Architekturform der Gotik analoge Erscheinungen seien oder gar in einem ursächlichen Zusammenhang stünden. Er legt diesen Zusammenhang nahe, ohne ihn wirklich herzustellen, und verbindet assoziativ die philosophischtheologischen Lichtspekulationen mit dem Glanz der Schatzkunst und den leuchtenden Glasfenstern. Eher vage werden die Bezüge zur Lichtfülle der neuen Architektur am Wortlaut der neuplatonisch inspirierten Chorinschrift, nicht aber durch eine Analyse der Architekturform entwickelt. 26 Erst Otto von Simson sollte später, indem er Suger „Lichttrunkenheit" bescheinigte, die Behauptung aufstellen, daß ohne die Philosophie des Ps.-Dionys die gotische Architektur nicht entstanden
24. Suger I/II, S. 21; Suger III, S. 148. 25. Grover A. Zinn, Jr., Suger, Theology, and the Pseudo-Dionysian Tradition, in: Abbot Suger and Saint-Denis. A Symposium, hg. von Paula Lieber Gerson, New York 1986, S. 33—40, bes. S. 37, Anm. 3. 26. Suger I/II, S. 22; Suger III, S. 149. - Einen ebenso vagen Hinweis in diese Richtung bietet die Korrespondenz mit Frankl, dem Panofsky in einem Brief vom 23. November 1943 (Nachlaß Frankl [wie Anm. 16]) das umgeschriebene „Lichtkapitel" ankündigt - es handelt sich wohl um das für die Buch-Einleitung modifizierte Kapitel aus dem Aufsatz in der Focillon-Festschrift. Der größte Teil des Briefes gilt aber Einzelheiten der von Frankl angefertigten Schnittzeichnung des Suger-Chores mit den Ostpartien des Vorgängerbaus (Suger I, S. 221; Panofsky, Note [wie Anm. 4] S. 99). In diesem Zusammenhang heißt es : „Ich sehe eben in Crosby, daß es für den Vierungsturm absolut keine maßstäblichen Anhaltspunkte gibt. Man weiß nur, daß einer da war, er kann aber sogar aus Holz gewesen sein. Wir können also, wenn wir wollen, ruhig noch etwas höher gehen (im Interesse der claritas)." Die claritas, nach Panofsky ein Schlüsselbegriff der Lichtmetaphysik Sugers, hätte also in der Architektur ein Äquivalent, eine große Lichtfülle, die durch die erwogene Erhöhung des Vierungsturmes gewährleistet wäre.
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wäre.27 Das, was von Simson dann mißlingt, versucht Panofsky erst gar nicht, nämlich den Nachweis einer formalen Wirksamkeit dieser Philosophie zu führen. In Panofskys Buch spielen derartige Überlegungen höchstens in einem Halbsatz eine Rolle. Formanalyse ist nicht sein Thema; die Verbindung zwischen Phänomenund Bedeutungssinn, wenn es erlaubt ist, Panofskys Systematik auf Architektur zu übertragen, diese Verbindung wird als Problemstellung nicht wirklich entfaltet. Dabei ist auffällig, daß Panofsky in Gothic Architecture and Scholasticism entschieden anders argumentiert. Beläßt er es im Sugerbuch bei der wirkungsvoll inszenierten und dem suggestiven Stil der Einleitung angemessenen Assoziation, so analysiert er im späteren Werk das gotische Architektursystem und führt es auf das intellektuelle Profil der Epoche, auf einen kollektiven Habitus zurück. Gotische Architektur verdankt sich danach den Denkformen der Scholastik; die Regularien und Verfahrensweisen scholastischer Argumentationsformen finden eine Entsprechung in der Formbildung gotischer Architektur.28 Der vergleichende Blick auf Gothic Architecture and Scholasticism lenkt damit die Aufmerksamkeit unversehens auch auf das Verhältnis von Individuum und Epoche. Ist im Theorem von der Genese der Gotik aus der Scholastik der individuelle Baumeister hinter dem Epochenprofil nahezu zum Verschwinden gebracht, so regiert in der Einleitung des Suger-Buches allein der mittelalterliche Abt, aus Künstlergenie und Auftraggeber zu einer Person verschmolzen. Panofsky macht sich hier kaum gefiltert den Blickwinkel der Quellen, der Suger-Viten und der autobiographischen Texte Sugers,29 zu eigen und bleibt somit ganz einer individualhistorischen Perspektive verpflichtet. Dies hat Folgen insofern, als das SugerPorträt damit letztlich seinen historisch vorgegebenen Maßstäben entgleitet. Hier agiert ein übergroß gezeichnetes Individuum als Staatsmann und Theologe, als Ratgeber und Freund der Monarchie, als Gegenspieler Bernhards von Clairvaux oder Abaelards. Trotz der überaus farbig instrumentierten und mit witzigen Aperçus gespickten Schilderung Panofskys bleibt aber dabei eine Erklärung der Denk- und Handlungsweisen Sugers weitgehend immanent, psychologisierend aus bestimmten Charaktereigenschaften abgeleitet, auf die Person selbst und ihre engste Umgebung bezogen. Ohne damit wirklich in seinem weiteren historischen Bezugsfeld verstehbar zu werden, gerät Suger streckenweise zu einem außerhalb der
27. von Simson (wie Anm. 20) S. 151 f., 169. Dazu Dieter Kimpel - Robert Suckale, Die gotische Architektur in Frankreich 1130-1270, München 1985, S. 89 ff. 28. Erwin Panofsky, Gothic Architecture and Scholasticism. An inquiry into the analogy of the arts, philosophy, and religion in the Middle Ages, Latrobe 1951, New York 1957; deutsch: E.P., Gotische Architektur und Scholastik, Köln 1989. Panofsky spricht ausdrücklich davon, daß „in contrast to a mere parallelism, the connection (between Gothic art and Scholasticism) which I have in mind is a genuine cause-and-effect relation." (S. 20; deutsche Ausgabe S. 18). 29. Georg Misch, Geschichte der Autobiographie, Bd. 3, 2, Frankfurt Î959, S. 3 1 6 - 3 8 7 .
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Zeit stehenden Genius. 30 Ein deutliches Indiz für dieses Durchbrechen der zeitlichen Distanzen sind die zahlreichen Vergleiche aus anderen Epochen, vor allem aber aus der Gegenwart, die Panofsky in das Suger-Porträt einbringt. Sugers Identifizierung der Abteiinteressen mit denen der Monarchie entspricht einem modernen Ol- oder Stahlmagnaten, der eine für seine Firma günstige Gesetzgebung der Wohlfahrt des Landes gutschreibt. Die Prozessionen und Weihezeremonien arrangiert Suger mit der Schaustellerkunst moderner Filmproduzenten oder Weltausstellungsorganisatoren; er antizipiert die selbstlose Habgier des modernen Museumsdirektors, und die Baumaßnahmen in der Abteikirche sind so, als ließe der Präsident der Vereinigten Staaten das Weiße Haus von Frank Lloyd Wright umbauen. 31 Vordergründig sind dies alles rhetorisch-literarische, vielleicht sogar journalistische Mittel der Verlebendigung und Vergegenwärtigung, die Lehmann-Brockhaus nur peinlich findet. 32 Man kann sie jedoch auch als Indikatoren einer neuen und eher verborgenen Verständnisperspektive lesen. In diesen Metaphern wird spürbar, daß die Fixierung auf einen seiner Zeit immer mehr entrückten Suger zu einem Uberspielen von dessen historischer Gebundenheit führen mußte. Insofern nimmt nicht wunder, daß Panofsky im Lichtkapitel gerade den spezifisch mittelalterlichen Kontext nicht wahrnahm, ja nicht wahrnehmen konnte. 33 Seinem Sensorium mußten die Einbindung der Sugerschen Lichtmotive in hergebrachte exegetische Topoi und theologische Muster und die Parallelen zur traditionellen theologischliturgischen Sprache verborgen bleiben, so daß ihm bei Sugers „hartnäckigem Spiel mit den Wörtern ciar ere, clams, clarificarea eher Ps.-Dionys und Johannes Scottus einfielen als schlicht das Johannesevangelium, etwajoh. 17,4 f. Sugers Denken war für ihn weniger aufschließbar in seinen mittelalterlichen Bedingungen, als vielmehr in einem Erklärungsmodell, das seinerseits ohne spezifischen historischen Ort war: dem Neuplatonismus. 34 Panofskys starkes Interesse für die Fortführungen und Umformungen der platonischen Philosophie geht noch zurück auf seine Hamburger Zeit, speziell auf entscheidende Anregungen Cassirers und den übergreifenden Warburgschen
30. Auch Crossley (wie Anm. 22) S. 119 meint zu Panofskys Suger: „... the dimension of history is curiously absent." Vgl. auch die signifikante Passage unten Anm. 42. 31. Suger I, S. 3, 14, 27; Suger III, S. 128, 140, 154 32. Lehmann-Brockhaus (wie Anm. 14) S. 13. 33. Dazu vor allem Zinn (wie Anm. 25); Büchsei (Anm. 22); Hinweise verdanke ich auch Martin Büchseis Vortrag vom 2.11.1991 am Liebieghaus, Frankfurt. 34. Horst Bredekamp, Götterdämmerung des Neuplatonismus, in: kritische berichte 14, 1986, H . 4, S. 3 9 - 4 8 ; hier zitiert nach der erweiterten Fassung in: Die Lesbarkeit der Kunst. Zur GeistesGegenwart der Ikonologie, hg. von Andreas Beyer (Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek, 37) Berlin 1992, S. 7 5 - 8 3 .
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Fragenkomplex vom Weiterleben der Antike. 35 Idea von 1924 rührt von diesen Impulsen her, und es ist aufschlußreich zu beobachten, daß schon in diesem Buch, freilich vor allem im Dunkel der Anmerkungen, die Lichtmetaphysik als eine das abendländische Denken durchziehende Konstante erscheint: bei Augustinus und seinen Nachfolgern, bei Dante, bei Ficino und später bei Männern wie Giordano Bruno und Patrizzi „leidenschaftlich wiederaufgenommen". 36 Dazu fügt sich dann „die selige Begeisterung, mit der Suger die neuplatonischen Lehren aufgenommen haben muß", wie es im Suger-Buch heißt. 37 Im weiteren Sinne reicht die platonische Uberlieferung noch bis zur modernen Physik, mit der sich Panofsky Mitte der 40er Jahre intensiv beschäftigte, im Gedankenaustausch mit Einstein, vor allem aber mit dem Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, mit dem er eng befreundet war. 38 Nicht von ungefähr sieht Panofsky im schon erwähnten Brief an Bober in der Quantenmechanik, die er leichter verständlich fand als seine Schulphysik, das Bibelwort von der Ordnung der Welt nach Maß, Zahl und Gewicht bestätigt und sieht in der modernen Physik Piaton und Aristoteles aufscheinen.39 Mit dem neuplatonisch-lichtmetaphysischen Erklärungsmuster gelang also die Einholung des mittelalterlichen Individuums in eine epochenüberspannende, Epochengrenzen einebnende, zeitlos aktuelle abendländische Geistes-Tradition. So gesehen ist Suger bei Panofsky weniger ein Staatsmann und Denker des Mittelalters, als Exponent einer das Mittelalter übersteigenden Kontinuität, in der die ungebrochenen Wirkungen antiker Philosophie ebenso aufgehoben sind wie die bis auf Christus zurückreichenden Traditionen einer Abtei oder die Quantenmechanik. Derart aus historischer Bindung entlassen, wird die Figur Suger dann frei für eine moderne Inanspruchnahme und aktuelle Aufladung. Dies äußert sich nicht allein in den eben angesprochenen Vergleichen. Das Einfangen der mittelalterlichen Persönlichkeit in eine aus der Antike herrührende, aber letztlich die Zeiten übergreifende und bis in die Gegenwart wirksame geistige Tradition läßt sich lesen als Abwehrhaltung gegenüber den Gefährdungen, denen eben diese Tradition ausgesetzt war. 40 Panofskys Suger-Porträt erweist sich als ein 35. Ebd. S. 75 f. 36. Erwin Panofsky, ,Idea'. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie (Studien der Bibliothek Warburg, 5) Leipzig - Berlin 1924, S. 52, S. 81 Anm. 68; s. auch Personenverzeichnis S. 140 f., s.v. Augustinus und Dionysius Areopagita. 37. Suger I/II, S. 24; Suger III, S.151. 38. So sprach Panofsky am Institute for Advanced Study bei einer Feier am 10. Dezember 1945 anläßlich der Verleihung des Nobel-Preises an Wolfgang Pauli; Abdruck der Rede in: Panofsky - Tarkington, S. 112—116. 39. Brief an Harry Bober vom 18. September 1945 (wie Anm. 7) S. 19: „I used this leisure to bone up a little bit on modern physics (which I find easier to understand that the one I learned at school, for now everything is again, as in Plato and Aristotle of yore, ,determinated by measure, number and weight,'...)" 40. Generell zum neuplatonischen Interpretationsmuster in diesem Sinne Bredekamp (wie Anm. 34) S. 76 f.
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dem abendländischen Humanismus verpflichteter Gegenentwurf zur Barberei, mit der Hitler und die Deutschen Europa und die Welt überzogen hatten. Schon 1940 hatte Panofsky programmatisch Überlegungen zu humanitas und Humanismus an den Anfang seiner Abhandlung Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin gestellt. Humanismus wird dort verstanden als eine „Einstellung, die sich definieren läßt als Überzeugtsein von der Würde des Menschen", und humanitas ist die Eigenschaft, „die den Menschen nicht nur vom Tier, sondern ebenso und sogar noch entschiedener von demjenigen abhebt, der zwar zur Spezies homo gehört, doch ohne den Namen homo humanus zu verdienen: von dem Barbaren oder Banausen, dem pietas und paideia abgehen, nämlich Ehrfurcht vor sittlichen Werten und jene gefällige Mischung aus Bildung und Urbanität, die wir mit dem in Verruf geratenen Wort ,Kultur' umschreiben können". 41 In diesem Sinne wird Suger durch Panofsky zu einer humanistischen Identifikationsfigur; er ist, um einige der Attribute, die Panofsky ihm im Verlaufe des Textes zuweist, hintereinanderzureihen, eine überragende Gestalt, er ist völlig aufrichtig und ehrlich, gottesfürchtig, für Disziplin und Mäßigung, doch ganz und gar gegen Unterwerfung und Asketentum, sehr menschlich und anregend, schwer arbeitend und umgänglich, voller Güte und bon sens, eitel, witzig und unbezähmbar vital; er ist friedliebend, sucht seine Ziele nicht durch militärische Gewalt zu erreichen, und die Siege seiner Laufbahn sind unblutig. Diese beschwörende Charakterisierung muß zusammengesehen werden mit dem Anfang des Vorwortes, wo Panofsky Suger als einen Mann vorstellt, „not only famed and much beloved in this day but also recognized as one who helped to shape the course of European history" - und wer dächte da im Jahre 1944 nicht auch an die zeitgenössische Geschichte Europas. In Suger nimmt so ein Gegenbild zu den zeitgeschichtlichen Verwerfungen und Katastrophen Gestalt an; mit Suger ruft Panofsky eine Art humanistischen Gegen-Führer aus, den er gegen die faschistische Barbarei mobilisiert. 42 Der fundamentale Unterschied zwischen den beiden „Führern" wird in historischer Verbrämung dargelegt, wenn Panofsky Sugers durch Demut gebrochene Eitelkeit abhebt von der Ruhmsucht des Renaissancemenschen, der seine Person zentripetal geltend mache und die Welt um sich herum 41. The History of Art as a Humanistic Discipline. Erstmals 1940 publiziert, dann als Einleitung aufgenommen in die Aufsatzsammlung Meaning in the Visual Arts (wie Anm.13); hier zitiert nach der deutschen Fassung: Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin (E.P., Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1975, S.7-35) S.7 f. 42. Suger I/II, S.29: „...when we hear him speak of himself as the .leader' (dux) under whose guidance the church had been enlarged and ennobled, we feel as though we listened to some of Jacob Burckhardt's evidence for, the modern form of glory, ' and not to the words of an abbot of the twelfth century. "
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schlucke. So erhält Sugers Spott über den furor Teutonicus, den Panofsky zitiert, eine neue Dimension, und eine ausführlich zitierte Passage aus Sugers Vita Ludovici Grossi Regis erscheint in diesem Lichte wie eine aktuelle politische Devise: „Laßt uns kühn ihre Grenze überschreiten, damit sie nicht, wenn sie sich zurückziehen, ungestraft mit dem davonkommen, was sie hochmütig gegen Frankreich, die Herrin der Erde, vorgehabt haben. - Laßt sie den Lohn ihrer Beleidigungen nicht in unserem Land, sondern in ihrem spüren."43 Die Gegenwart hat also Panofskys so nüchtern erscheinende Quellenarbeit und das mit spürbarer Anteilnahme und warmherziger Sympathie geschriebene SugerPorträt fest im Griff - so fest, daß Suger in der Korrespondenz mit Tarkington als „our mutual friend" firmiert.44 Damit erlangt das Thema zusätzlich zu seiner beschwörend-politischen eine - teilweise ironisch gebrochene - private Dimension. Die besondere Affinität der Kunstgeschichte zum Humanismus, wie sie in Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin postuliert wurde, scheint in dem zum eigenen Spiegelbild modellierten Porträt des mittelalterlichen Abtes eingelöst. Beim Aufrufen der humanistischen Tradition in der Figur Sugers - Suger als Proto-Humanist, als Neuplatoniker, als Kenner Ciceros und Ovids - klingt so als Nebenstimme auch ein Plädoyer in eigener Sache mit. Beziehungsreich wird daher auf die kleine Statur des Abtes, die er u.a. mit Napoleon, Mozart, Lucas von Leyden, Erasmus von Rotterdam und General Montgomery gemeinsam habe, verwiesen; ebenso ist dies das Thema, wenn Panofsky mit dem mittelalterlichen Biographen Sugers staunt, daß eine so kleine Gestalt einem so kraftvollen und lebhaften Geist standhalten könne, wenn schließlich der Zweizeiler aus dem Nachruf Sugers dem Buch als Motto vorangestellt ist: Er weigerte sich, in seiner Kleinheit, ein kleiner Mensch zu sein.45 Züge eines Selbstporträts durchsetzen mithin das idealisierte Sugerbild. Wie einst die mittelalterlichen Hagiographen sich ihren Dionysius aus drei Gestalten montierten, so verband Panofsky den mittelalterlichen Abt mit einem zeithistorischen Entwurf und einem Selbstporträt zu einem Idealbild. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, daß dieses Bild, kaum entworfen, als Gegenmodell zur Kriegszeit schon überholt schien und, im Zeichen des Atoms, selbst gänzlich neuen Gefährdungen ausgesetzt war. Dabei mutet beklemmend an, daß auch das atomare Fanal von sakraler Lichtspekulation begleitet war. J.Robert Oppenheimer, Leiter
43. Suger I/II, S. 31 £.; Suger III, S. 159. 44. Panofsky - Tarkington S. 78; Brief Panofskys an Tarkington vom 12. Juni 1945. 45. Suger I/II, S. 32 f.; Suger III, S. 159 f.
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des Manhattan Project wurde später Direktor des Institute for Advanced Study und wird von Panofsky als ein außerordentlich kultivierter und kunstinteressierter Mann beschrieben.46 Es wird berichtet, daß Oppenheimer bei der ersten atomaren Testexplosion am 16. Juli 1945, angesichts der unvorstellbaren, alle Berechnungen übertreffenden Wucht der Explosion, des grellen Lichtblitzes und Feuerballs im Beobachtungsbunker die Bhagavadgita, den heiligen Gesang der Hindus, erinnerte: Wenn das Licht von tausend Sonnen / am Himmel plötzlich bräch' hervor / Zu gleicher Zeit - das wäre gleich dem Glanz des Herrlichen.47 Wir wissen nicht, ob diese Anrufung des göttlichen Lichtes Panofsky bekannt wurde. Immerhin erwähnt er in seinem Brief an Tarkington vom 3. Okt. 1945 die lyrischen Beschreibungen der an der Testexplosion beteiligten Physiker und Militärs.48 Doch nicht nur er erkannte in diesen Nuklearblitzen ein apokalyptisches Feuer und sah die Welt auf die nukleare Selbstvernichtung zusteuern. Die gerade die Forschergemeinde in Princeton bewegenden Diskussionen um die Folgen der Atombombenentwicklung, um die weitere Nuklearpolitik und die Verantwortung der Wissenschaftler finden in nahezu jedem der Briefe des Briefwechsels Panofsky-Tarkington in der zweiten Jahreshälfte 1945 ihren Niederschlag. Noch 1955 klingt das Thema nach in Pandora's Box, wo der Bedeutungswandel dieses mythischen Symbols bis zu Max Beckmann verfolgt wird, dessen Gouache die Schrecken der Atombombe zur Darstellung bringt, indem die Pandorabiichse „ein
46. Panofsky - Tarkington S. 107; Brief Panofskys an Tarkington vom 5. Dezember 1945: „Oppenheimer is a very fine, cultured man, enormously rich, interested in horses, Impressionists and mediaeval French . . . " 47. Robert Jungk, Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher, Bern - Stuttgart 1963; zitiert nach der Ausgabe Reinbek 1964, S. 186. Oppenheimers Kenntnis der Bhagavadgita ist belegt, vgl. Richard Rhodes, Die Atombombe, oder die Geschichte des 8. Schöpfungstages, Nördlingen 1988 - Berlin 1990, S. 670; Rhodes berichtet von einer anderen Textstelle der Bhagavadgita, die Oppenheimer anläßlich der Testexplosion zitiert habe (S. 683). Unabhängig davon gibt es von den Beobachtern der Explosion zahlreiche Beschreibungen gerade der ungeheuren Lichteffekte (S. 679 ff·)· 48. Panofsky-TarkingtonS. 86 f.: „After the test explosion of July 16,when the various witnesses were asked about what they had seen, and everybody waxed lyrical descriptions of the ball of fire, the colors and the plume of smoke, Major General Groves, the military chief of the project, is said to have answered: ,1 saw only three stars.' This is, of course, a joke, for the printed statement of the Major-General was the most lyrical of all. But in spite, or because, of this (lyrical Generals are never above suspicion) the man seems to be a danger because he can make, and does make, extremely doubtful public statements whereas the experts are still muzzled by the enforcement of military secrecy."
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kleiner, rechteckiger Gegenstand (ist), der mit einem unwägbaren Energiequantum geladen ist und in ein Chaos berstender Formen explodiert".49 Als 1945 mit dem Aufschub der Publikation von Abbot Suger Atombombe und nukleares Lichtfeuer in direkte Konkurrenz zu den Lichtspekulationen Sugers traten, war somit die zeitgeschichtliche Uberblendung des mittelalterlichen Porträts für Panofsky in eine letzte und verstörende Phase getreten. Ihm schien die Logik der Geschichte zwangsläufig auf die Vernichtung der Welt hinauszulaufen, so daß nur noch die Hoffnung auf ein höchstes Wesen blieb. Im Brief vom 3. Oktober 1945 schrieb er an Tarkington: „Our chief hope seems to rest in the fact that history often proceeded against logic, and that there may be, after all, a Supreme Being outside the material universe (which is, at present, finite almost as in the Middle Ages and has room for such a Supreme Being again)".50 49. Dora und Erwin Panofsky, Pandora's Box (Bollingen Series 52) New York- London 1956; deutsch: Die Büchse der Pandora. Bedeutungswandel eines mythischen Symbols, übersetzt und mit einem Nachwort von Peter D. Krumme, Frankfurt - New York 1992, S. 123 f. - Im Nachwort S. 174 deutet Peter D. Krumme einen Zusammenhang mit dem Fall Oppenheimer an. 50. Panofsky - Tarkington S. 89.
Abkürzungen: Suger I: Abbot Suger on the Abbey Church of St.-Denis and Its Art Treasures, edited, translated and annotated by Erwin Panofsky, Princeton (N.J) 1946. Suger II: Abbot Suger on the Abbey Church of St.-Denis and Its Art Treasures, edited, translated and annotated by Erwin Panofsky. Second edition by Gerda Panofsky-Soergel, Princeton (N.J.) 1979. Suger III: Abt Suger von St.-Denis (Erwin Panofsky, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1975, S. 125-166). Panofsky - Tarkington: Dr. Panofsky and Mr. Tarkington. An Exchange of Letters 1938-1946, hg. von Richard M. Ludwig, Princeton 1974.
„Barbari ad portas" Panofsky in den fünfziger Jahren
Willibald Sauerländer
Panofsky in den fünfziger Jahren - angesichts dieses mir übertragenen Themas muß ich Sie sogleich vor einer Enttäuschung warnen. Ich kann über dieses Sujet nicht aus persönlicher Erinnerung berichten. In den fünfziger Jahren, als ich teils noch ein Münchner Student und teils ein Pariser Reiseführer war, hatte ich noch keinerlei direkten Kontakt mit Panofsky. 1957 sandte ich ihm meinen PoussinAufsatz und erhielt daraufhin von ihm einen allzu schmeichelhaften Brief. Diese Korrespondenz wurde wieder aufgenommen, als ich Panofsky 1959 meine Besprechung der Aufsätze Vöges, die Panofsky mit einer bewegenden Erinnerung an seinen Freiburger Lehrer eingeleitet hatte, übersandte. Getroffen aber habe ich Erwin Panofsky erst im späten Frühjahr 1960 in der Pariser Poussin-Ausstellung und erst ab September 1961, als ich auf seine Einladung Visiting Member am „Institute for Advanced Study" in Princeton wurde, bin ich in näheren und von nun ab bis 1967 regelmäßigen Kontakt mit ihm gekommen. So kann ich Sie hier nicht - und ich möchte sagen, Gott sei Dank - mit Anekdoten aus einer privaten „Oral History" unterhalten und belügen. Trotzdem hat das Thema „Panofsky in den fünfziger Jahren" mich bald lebhaft interessiert. Denn: mindestens für den engeren Kreis unserer Disziplin ist das Phänomen: Panofsky „in the Fifties" ein zentrales Problem wissenschaftlicher und auch politischer Mentalitätsgeschichte, und ich möchte versuchen, dieses Problem wenigstens zu skizzieren. Mehr als Versuch und Skizze ist derzeit nicht möglich. Erst die Edition von Panofskys Briefen, die gegenwärtig in Vorbereitung ist, wird eine breitere und solidere Grundlage für eine wirkliche intellektuelle Biographie Panofskys schaffen. Beginnen möchte ich, auch auf die Gefahr hin, Bekanntes zu wiederholen, mit einigen biographischen Daten. 1950 wird Panofsky 58 Jahre alt. Seit 15 Jahren ist er Mitglied des „Institute for Advanced Study" in Princeton, der damals angesehensten gelehrten Institution in der Welt. Hier steht er im engen Kontakt mit berühmtem Physikern und Mathematikern wie Einstein, Goedel, Neumann und Oppenheimer. Die Flucht aus Hamburg liegt mittlerweile 17 Jahre zurück und seit 11 Jahren ist Panofsky amerikanischer Staatsbürger, worauf er vor allem in
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Erinnerung an den von ihm wegen seines frühen Engagement gegen HitlerDeutschland verehrten und bewunderten Präsidenten Franklin Delano Roosevelt sehr stolz war. Panofskys erstes amerikanisches Buch „Studies in Iconology. Humanistic Themes in the Art of the Renaissance" war 1939, elf Jahre zuvor, erschienen. Während es in Europa zunächst so gut wie unerreichbar blieb, hatte diese Veröffentlichung in Amerika Panofskys Stellung als die des brillantesten und prominentesten unter den vor Hitler nach Amerika geflüchteten, ehemals deutschen Kunsthistorikern endgültig bestätigt. In den vierziger Jahren hatte Panofsky eine erstaunliche Produktion entfaltet: 1940 erschien das Buch „The Codex Huygens and Leonardo da Vinci's Art Theory". 1943 - mitten im Krieg gegen Deutschland - folgte die große, zweibändige Dürer-Monographie, 1946 die Edition der kunsthistorisch interessanten Teile der Schriften des Abtes Suger mit einer folgenreichen Einleitung und ausführlichem Kommentar. So ist Panofsky 1950 ein berühmter Kunsthistoriker, sicherlich der berühmteste in den Vereinigten Staaten. Die fünfziger Jahre werden diesen Ruhm auf die ganze westliche Welt und bis nach Polen ausweiten. Jetzt kehrte Panofsky auch verschiedentlich zu Besuchen in die Alte Welt zurück, freilich nicht nach Deutschland. 1952 nimmt er am Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte in Amsterdam teil, im gleichen Jahr unterrichtet er auf Schloß Gripsholm in Schweden, 1954 ist er zu gemeinsamen Seminaren mit Paul Coremans in Brüssel. Der Panofsky der fünfziger Jahre steht im Glanz und unter dem Rollenzwang eines weltweiten Ruhmes. Freilich hat die geistige und emotionale Situation, in der sich der in Amerika eingebürgerte, jüdische Flüchtling Panofsky 1950 befindet, auch resignative, düstere und bedrohliche Züge. Die Wunde, welche die deutschen Monstrositäten ab 1933 geschlagen hatten, war unverheilt und sie reichte mitten hinein in das wissenschaftliche Werk des ehemaligen Hamburger Professors. Sein Verständnis von Geschichte und Uberlieferung wurzelt tief in einer spezifisch deutschen Philosophie der Kultur und hatte sich von diesen Wurzeln auch in der neuen Umgebung nicht gelöst und doch war es das gleiche Deutschland gewesen, das ihn, den Juden, verstoßen und dem Rassenwahn bis zum Massenmord gefrönt hatte. Hier war ein Riß in der Biographie des Emigranten, der sich wohl nie schließen ließ. So wurde der alternde Panofsky zum Erasmianer angesichts der nicht begreiflichen, rational nicht verarbeitbaren Barbarei des Jahrhunderts. Aber 1950, das war auch das Jahr des Korea-Krieges und der antikommunistischen Hexenjagd des republikanischen Senators McCarthy in Amerika. Panofsky fühlte sich wie viele Vertreter des liberalen Establishments in den Staaten angesichts des McCarthyismus zur Stellungnahme im Zeichen der Toleranz herausgefordert. Das „Institute for Advanced Study" war unmittelbar betroffen und beteiligt. Es gab Pressionen, die das Institute zwingen wollten, sich von seinem damaligen Direktor, dem Atomphysiker Robert Oppenheimer, der sich geweigert hatte, die zweite Bombe zu bauen, zu trennen. Die Mitglieder des Instituts haben diesem Druck
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widerstanden. Als der Historiker Ernst Kantorowicz, der eine Professur in Berkeley inne hatte, sich weigerte, den in Californien damals verlangten „Oath of Loyalty" zu leisten, hat das Institute in Princeton den Entlassenen berufen. Er wurde zum engen Freunde von Dora und Erwin Panofsky. Panofsky hat seinen Standpunkt angesichts dieser Vorgänge selbst mit großer Nachdrücklichkeit formuliert: Als er 1953 zu dem Band „Cultural Migration. The European Scholar in America" einen Beitrag schrieb mit dem Titel: „Three decades of Art History in the United States. Impressions of a transplanted European", Schloß er folgendermaßen: „There is only one point which it would be disingenuous not to touch upon, though it may seem indelicate to do so: the terrifying rise of precisely those forces which drove us out of Europe in the 1930s: nationalism and intolerance. We must, of course, be careful not to jump to conclusions. [...] The same virus produces different effects in different organisms [...]. But we cannot blind ourselves to the fact that Americans may now be legally punished, not for what they do or have done, but for what they say or have said, think or have thought. And though the means of punishment are not the same as those employed by the Inquisition, they are uncomfortably similar: economic instead of physical strangulation, and the pillory instead of the stake. Once dissent is equated with heresy, the foundations of the apparently harmless and uncontroversial humanities are no less seriously threatened than those of the natural and social sciences.[...] The academic teacher must have the confidence of his students. They must be sure that, in his professional capacity, he will not say anything which to the best of his belief he cannot answer for, nor leave anything unsaid which to the best of his belief he ought to say. A teacher who, as a private individual, has permitted himself to be frightened into signing a statement repugnant to his moral sense and his intellect, or, even worse, into remaining silent where he knows he ought to have spoken, feels in his heart that he has forfeited the right to demand this confidence." Am Schluß zitiert Panofsky den calvinistischen Apostaten Sebastian Castellio: „To force conscience is worse than cruelly to kill a man. For to deny one's convictions destroys the soul." 1 Ich habe dieses ausführliche Zitat eingeführt, weil es zeigt, daß Panofskys wissenschaftliche Arbeit, daß seine Beschäftigung mit der humanistischen Tradition auf einer tiefen und noch völlig ungebrochenen Uberzeugung von der Möglichkeit und der ethischen und politischen Signifikanz der Meinungsfreiheit beruhte. Auch wenn wir ein solches Bekenntnis heute nicht mehr ohne nachdenklichen methodischen Vorbehalt unterschreiben können, wird man ihm den neidvollen Respekt nicht versagen wollen. Der Panofsky der fünfziger Jahre war nach den bitteren und zerstörerischen Erfahrungen seiner eigenen Biographie überzeugt von der Verpflichtung, die Sache der reinen Wissenschaft gegen Aberglauben, Intoleranz und Ideologien ohne Abstriche vertreten zu sollen, und auch seine kunsthistorischen 1. E . Panofsky, Meaning in the Visual Arts, Garden City 1955, S. 344-346.
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Arbeiten müssen in diesem Zusammenhang und unter diesem Telos gesehen werden. „Barbari ad portas", wie es in einem der lateinischen Gedichte Panofskys heißt, das ist eine Devise, die sich als Schatten auch hinter seinen gelehrten Büchern aus den fünfziger Jahren ausbreitet.2 Ich möchte versuchen, einige der wichtigsten Publikationen Panofskys aus den fünfziger Jahren unter diesem Gesichtspunkt ins Auge zu fassen, ehe ich am Ende kurz auf die Panofsky-Rezeption während dieses Jahrzehnts eingehe. Das erste Buch, welches Panofsky in den fünfziger Jahren veröffentlicht hat, war der schmale Band über „Gothic architecture and scholasticism", der 1951 erschien und auf die Wimmer Lectures, eine von amerikanischen Benediktinern eingerichtete Vortragsfolge zurückging. Der erste Wimmer-Lecturer war der bekannte katholische Philosoph Jacques Maritain gewesen, der über das Thema „Man's Approach to God" gehandelt hatte.3 So finden wir Panofsky überraschenderweise im Umkreis jener für die ersten Nachkriegs jähre charakteristischen katholischen Mittelalternostalgie, aus der ein Jahr zuvor auch Hans Seldmayrs viel diskutiertes Buch über „Die Entstehung der Kathedrale" hervorgegangen war. Aber während Sedlmayr eine umfassende, man möchte fast sagen, Wagnerianische Vision von der gotischen Kathedrale als Gesamtkunstwerk vor seinem überwältigten Leser ausbreitete, ging es Panofsky darum, die Gliederungsweise der gotischen Baukunst und ihre wechselnde Entfaltung im 12. und 13. Jahrhundert in Analogie zum „Modus operandi" und zur „disputatio de quolibet" der scholastischen Philosophie als einen rationalen Disput unter Architekten zu beschreiben. Die Archi tekturspezialisten - allen voran Robert Branner und Ernst Gall - haben wissenschaftstechnische und positivistische Einwände gegen Panofskys Versuch erhoben.4 Aber um diese Mikroskopie geht es hier nicht. Vielmehr gilt es, die intellektuelle Operation Panofskys zu beschreiben, welche die sinnliche Klarheit der gotischen Architektur sowohl gegen die mystifizierenden Interpretationen der Romantiker und ihrer Nachfolger - etwa „Raum als Symbol des Raumlosen" - wie gegen den nackten Rationalismus der Funktionalisten und Ingenieure zu retten und sichtbar zu machen bemüht ist.5 Gotische Architektur, so schrieb er, ist weder Rationalismus noch Illusion im modernen Sinne. Wir stehen vielmehr etwas gegenüber, das visuelle Logik genannt werden könnte und etwa dem Satz des Thomas von Aquin entspricht: „nam et sensus ratio quaedam est". 6 Dieses abwägende Ergebnis ist 2. Dieses Gedicht ist mitgeteilt in: Herbert von Einem, Erwin Panofsky zum Gedächtnis. WallrafRichartz-Jahrbuch X X X (1968), S. 11. 3. Ich entnehme diese Auskünfte dem Vorwort von Quentin L. Schaut O. S. B., in: Erwin Panofsky, Gothic Architecture and Scholasticism, 1967 5 , S. V. 4. Besprechung von E. Gall, in: Kunstchronik VI (1953), S. 4 2 - 4 4 und 49. R. Branner, in: Journal of the Society of Architectural Historians XIII (1954), S. 30 f. 5. Für die Formulierung „Raum als Symbol des Raumlosen" siehe H . Jantzen, Über den gotischen Kirchenraum, München 1951, S. 20. 6. Panofsky, wie Anm. 3, S. 58.
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bezeichnend. Jeder, der die Schriften Panofskys kennt, weiß es: dieser subtile Leser des Erasmus hat seine Vorstellungen von den historischen Erscheinungen der Vergangenheit immer gerne nach Äquivalenzen, nie nach Ausschließlichkeiten geordnet. Panofsky war ein zutiefst antitotalitärer Geist. Während Sedlmayr die gotische Kathedrale als ein monumentales Heilsgebäude feierte, das jenseits der Grenzen der Vernunft aufragt, beschrieb Panofsky für die amerikanischen Benediktiner die Dispositionen der gotischen Architektur als ein Beispiel mittelalterlicher Rationalität. Die Gliederung der gotischen Pfeiler und Triforien wird variiert in einem Disput, der dem scholastischen „videtur quod", „sed contra" und „respondeo dicendum" entspricht. So wird die gotische Architektur entmystifiziert und der Geschichte der philosophischen Vernunft zugeschlagen. Der Ansatz von „Gothic architecture and scholasticism" knüpfte an ein geistesgeschichtliches Analogieverfahren an, das seine Hamburger Ursprünge nicht verleugnen kann. So heißt es in der Einleitung: „If the historian wishes to verify [the unity of a period] instead of merely presupposing it, he must needs try to discover intrinsic analogies between such overtly disparate phenomena as the arts, literature, philosophy, social and political currents, religious movements, etc.". 7 Die Herkunft des in diesem Satze niedergelegten methodischen Postulats von Ernst Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen" ist so evident, daß sie nicht eigens erläutert zu werden braucht. Das Vorbild Cassirers ist noch offensichtlicher präsent an der zentralsten Stelle von Panofskys großem und folgenreichsten Buch aus den fünfziger Jahren: dem 1953 erschienenen Werk „Early Netherlandish Painting", dem wir uns jetzt zuwenden müssen. Die stupende Leistung von Panofskys „Opus Magnum" aus den fünfziger Jahren ist bekanntlich darin zu sehen, daß für Panofsky - im Unterschied zu all seinen großen Vorgängern auf dem gleichen Terrain von Waagen bis zu Max J. Friedländer - die altniederländische Malerei ein kohärentes kunstgeschichtliches Phänomen ist, das sich zeitlich von den Pariser Illuminatoren unter den ersten Valois-Königen bis zur Brügger Schule am Ende des 15. Jahrhunderts erstreckt. Für Panofsky beginnt altniederländische Malerei mit den kleinen Stundenbüchern des Jean Pucelle, die er im Gespräch als „Arenakapelle des Nordens" zu bezeichnen liebte, erreicht ihren Höhepunkt bei Jan van Eyck und Roger van der Weyden und klingt aus bei Memling und Gerard David. Eine vergleichbare Synopse der nordeuropäischen Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts hatte es in der Forschung zuvor nicht gegeben. Aber die mit Panofskys ungewöhnlichem Buche aufgeworfenen Probleme sind nicht allein solche einer größeren Quantität - einer bloßen Erweiterung des Stoffes - , sondern sie haben den Charakter eines qualitativen Sprungs. Panofsky kann die winzigen Miniaturen Pucelles und die vergleichsweise monumentalen Tafelbilder Jan van Eycks als Stufen eines zusammenhängenden historischen Prozesses betrachten, weil er in beiden die anschauliche Welt nach dem gleichen symbolischen 7. Panofsky, wie Anm. 3, S. 1.
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Prinzip wiedergegeben oder widergespiegelt sieht. Indem er dieses Prinzip als „concealed or disguised symbolism" bezeichnete, führte er nicht nur eine ebenso verführerische wie spitzfindige Abwandlung des Cassirer'schen Symbolbegriffs in die kunsthistorische Literatur ein, sondern bot der Forschung gleichzeitig eine spiritualisierende Deutung des Realismus oder Naturalismus der altniederländischen Malerei an, die in dem restaurativen und nostalgischen Klima der frühen fünfziger Jahre auf fruchtbarsten Boden fallen mußte und sich alsbald als eine wahre methodische Pandora-Büchse erweisen sollte.8 Erinnern wir uns einen Augenblick daran, wie Ernst Cassirer in den ebenfalls sinnsuchenden und aufgewühlten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg seinen Begriff der symbolischen Form definiert hatte. 1923, in der Einleitung zur „Philosophie der symbolischen Formen" heißt es: „In jedem sprachlichen ,Zeichen', in jedem mythischen oder künstlerischen ,Bild' erscheint ein geistiger Gehalt, der an und für sich über alles Sinnliche hinausweist, in die Form des Sinnlichen, des Sicht-, Höroder Tastbaren umgesetzt".9 Noch präziser formuliert Cassirer das gleiche Verstehensmodell in dem Vortrag „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften", den er 1921/22 im ersten Band der Vorträge der Bibliothek Warburg veröffentlichte. Dort sagt er: „Unter einer symbolischen Form' soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird".10 Nun kann es nicht die Aufgabe dieses mit Panofsky in den fünfziger Jahren befaßten Vortrages sein zu zeigen, wie nachhaltig die kunsthistorische Operationsweise Panofskys von der berühmten Abhandlung über „Die Perspektive als symbolische Form" aus dem Jahre 1924/25 über den Logos-Aufsatz „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst" aus dem Jahre 1932 bis hin zu dem „disguised symbolism" der „Early Netherlandish Painting" von 1953 von Themen und Begriffen der Kulturphilosophie Cassirers inspiriert ist und diese für die Ziele der kunsthistorischen Interpretation adaptiert, aber gelegentlich auch philologisch reduziert. Genüge es zu behaupten, daß die gestanztere Begrifflichkeit Cassirers für die verschiedenen Operationen Panofskys wichtiger und nützlicher gewesen sei als das „wilde Denken" Aby Warburgs. Für eine Erörterung der spezifischen Struktur und vor allem der Genese des in der „Early Netherlandish Painting" entwickelten Begriffes des „concealed or disguised symbolism" aber ist der Rekurs auf Cassirer ohnedies nicht zu umgehen.
8. E. Panofsky, Early Netherlandish Painting, Harvard University Press 1953, S. 141. 9. E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. I, Berlin 1923, S. 41. 10. E. Cassirer, Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften, Vorträge der Bibliothek Warburg 1921/23. Hier zitiert nach: Ernst Cassirer, Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 1969, S. 175.
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Machen wir uns zunächst klar, daß der Begriff des „disguised symbolism" als historisches Verstehensmodell erneut jenem Prinzip der Äquivalenzen, des vergleichenden Abwägens folgt, das vorhin im Zusammenhang mit der Schrift über „Gothic architecture and scholasticism" benannt worden ist. Und wie dort handelt es sich hier im Cassirer'schen Sinne um ein Äquivalent oder besser ein Amalgam von Geistigem und Sinnlichem. Panofsky selbst nennt es „The principle of disguising symbols under the cloak of real things". 11 Aber - unterschieden von der Schrift über „Gothic architecture and scholasticism" - handelt es sich bei dem „disguised symbolism" in „Early Netherlandish Painting" um ein historisches Verstehensmodell, das Äquivalenzen im geschichtlichen Prozeß der steigenden Wirklichkeitserfahrung der europäischen Malerei am Ausgang des Mittelalters freilegt. Ich zitiere die m. E. entscheidende Stelle aus Panofskys Buch: „There could be no direct transition from St. Bonaventure's defenition of a picture as that which instructs, arouses pious emotions and awakens memories' to Zola's definition of a picture as ,un coin de la nature vu à travers un tempérament'. A way had to be found to reconcile the new naturalism with a thousand years of Christian tradition; and this attempt resulted in what may be termed concealed or disguised symbolism as opposed to open or obvious symbolism". 12 Uberflüssig zu betonen, daß der Begriff des Symbolismus, wie er hier von Panofsky angesetzt wird, nichts zu tun hat mit dem Symbolismus im Sinne von Huysmans oder Odilon Redon. Es handelt sich um den kühnen Versuch eines weit gespannten historischen Brückenschlags, einer Vermittlung, Abwägung und Versöhnung zwischen scheinbar antagonistischen, sich gegenseitig ausschließenden Epochen und Phänomenen. Der progressive Naturalismus eines Jan van Eyck, den ein Forscher wie Karl Voll vor dem Ersten Weltkrieg noch ohne Vorbehalt gefeiert hatte, wird spirituell gedeutet - man ist fast versucht zu sagen, geadelt - , indem er als Träger einer traditionellen metaphysischen Botschaft interpretiert und sozusagen versiegelt wird. 1 3 In dieser Operation wird erneut die Behutsamkeit, Klugheit des Kunsthistorikers Panofsky erkennbar, der historische und anschauliche Phänomene nie unmittelbar, sondern immer vergleichend, relativierend und abwägend beobachtet. Der Naturalismus der altniederländischen Malerei wird vergeistigt, er ist nicht nur widergespiegelte Wirklichkeit, sondern ein subtiles und geheimnisvolles System von Zeichen und Verweisungen. Und Panofsky ist offensichtlich noch immer erfüllt von der Erinnerung an die Philosophie der symbolischen Formen Cassirers, wenn er schreibt: „The more the painters rejoiced in the discovery and reproduction of the visible world, the more intensely did they feel the need to saturate all of its elements
11. Panofsky wie Anm. 8, S. 141. 12. Panofsky, wie Anm. 8, S. 141. 13. K. Voll, Die altniederländische Malerei von Jan van Eyck bis Memling, Werke des Jan van Eyck, Straßburg 1900.
Leipzig 1906; ders., Die
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with meaning".14 Auch heute noch wird jeder unbefangen Urteilende einräumen, daß ungeachtet aller inzwischen geäußerten Bedenken und methodischen Vorbehalte Panofskys Vorstellung von „disguised symbolism" ein hermeneutisches Modell für das erleuchtende Verständnis wichtiger Seiten der altniederländischen Malerei bleibt, hinter das die Forschung nicht ungestraft zurückfallen kann. Aber das ändert nichts an der unübersehbaren Tatsache, daß die Vorstellung vom „disguised symbolism" der neuen niederländischen Malerei Züge einer Exculpation des Sinnlichen durch das Geistige, einer Domestikation des Modernen durch das Traditionelle trägt, die im Rückblick von heute zeitgebunden erscheinen. Schon indem Panofsky das Phänomen des verkleideten Symbolismus, das der Zeit des Nikolaus von Cues angehört, unter ein Motto aus der „Summa Theologiae" des Thomas von Aquin stellte - „Spiritualia sub metaphoris corporalium", „Geistiges unter den Gleichnissen des Körperlichen" - gerät seine Deutung unfreiwillig in die Nähe einer neothomistischen Restauration.15 Und wenn er an anderer Stelle der „Early Netherlandish Painting" schreibt: „In the end, the whole universe,shone' as Suger would say, ,with the radiance of delightful allegories'", so befindet er sich nicht mehr in Ubereinstimmung mit dem weltanschaulich fundierten Symbolbegriff Cassirers, sondern strebt einer Auffassung zu, welche die im altniederländischen Gemälde widergespiegelte, physische Welt zu einem retrospektiven ikonographischen Rebus deformiert.16 Wenn ich vorhin von der methodischen Pandorabüchse sprach, die Panofsky mit der Einführung des „disguised symbolism" geöffnet habe, so wären jetzt wenigstens zwei Verführer zu benennen, die dieser Büchse entstiegen sind. Der eine dieser Verführer war die Retrospektive, die Lust, die Geschichte rückwärts zu lesen und in jedem Morgen das aufbewahrte Gestern zu erkennen, jede Neuerung an die bewahrenden Kräfte der Tradition zu binden. Diese rückwärts gewandte Perspektive entsprach den resignativen, restaurativen, spritualisierenden Stimmungen und Wünschen der Nachkriegsjahre angesichts der kaum überstandenen Barbarei und neuer Bedrohungen. Man meint Parallelen in bedeutenden Büchern benachbarter Disziplinen zu erkennen. Ich denke an Ernst Robert Curtius' „Lateinische Literatur und Europäisches Mittelalter" wie an Karl Loewiths damals viel gelesene „Weltgeschichte und Heilsgeschehen". Zu unserer eigenen Disziplin seien nur zwei deutschsprachige Beispiele genannt. Hans Sedlmayrs Aufsatz über den Ruhm der Malkunst von Vermeer von 1951 und Hans Kauffmanns „Romgedanken in der Kunst Berninis" von 1953.17 Wäre es nicht unbescheiden, könnte ich als Nachläufer meinen eigenen Aufsatz über Poussins
14. 15. 16. 17.
Panofsky, wie Anm. 8, S. 142. Panofsky, wie Anm. 8, S. 142. Panofsky, wie Anm. 8, S. 142. H. Sedlmayr, Der Ruhm der Malkunst. JanVermeer's „De schilderkonst", in: Festschrift H.Jantzen, Berlin 1951, S. 169-177. H. Kauffmann, Romgedanken in der Kunst Berninis, in: Jahrbuch der Max Planck-Gesellschaft, 1944, S. 55-80.
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Jahreszeiten von 1956 anfügen, der in ähnlicher Weise argumentiert. 18 Der zweite Verführer, welcher der methodischen Pandorabüchse des „disguised symbolism" entstieg, war ein leicht handbares und kritisch kaum steuerbares methodisches Vehikel - ja geradezu ein Zauberstab - , das fortan jedem Kunstgelehrten erlaubte, die in Artefakten ab- oder nachgebildete Dingwelt so zu lesen, als ob es sich um eine Illustration des „Mundus Symbolicus" von Picinelli handeln würde. Für alles konnte nun eine symbolische Bedeutung supponiert werden. Die weitreichenden Folgen sind bekannt und die „longue durée" dieser Inflation des „disguised symbolism" hält, wie etwa der Katalog der Berliner Rembrandt-Ausstellung des Jahres 1991 zeigte, bis heute an. 19 In den fünfziger Jahren brach eine wahre Flucht in die Symbole aus, die offenbar tief sitzenden Affekten gegen das bloß Natürliche, Konkrete und Gewöhnliche entsprach, das durch symbolische Deutung überhöht, geweiht oder verdrängt werden sollte. Sedlmayr verglich bekanntlich den mehrfachen Bildsinn, der die Interpretation des Kunstwerks aufschlüsselt, mit der vierfachen Schriftauslegung der Kirchenväter und dem Verfahren, das Dante in seinem Brief an Can Grande Scaliger für die Exegese der „Divina Commedia" empfohlen hatte. 20 Aber damit sind wir auf ein doktrinäres und reaktionäres Terrain geraten, auf dem wir Erwin Panofsky, den „homo ludens", der mit den Aquivalentien spielt und balanciert, gewiß nicht mehr suchen dürfen. Als er 1953 die Pandora-Büchse des „disguised symbolism" öffnete, schwante ihm bereits, wie schwer die Geister zu bändigen sein würden, die er damit freisetzte. Resigniert schrieb er: „There is, I am afraid, no other answer to this problem than the use of historical methods tempered, if possible, by common sense". 21 Ob diese Gegenmittel ausreichten? 1962 war sein Vertrauen in „Common sense" und „Temperantia" erheblich gemindert. Nun meinte er - und mit diesem Zitat begebe ich mich nun doch auf das schlüpfrige Gelände der „Oral History": „Wenn ich für das bestraft werde, was ich mit der Kunstgeschichte angerichtet habe, komme ich in die siebte Stufe der Hölle". Er dachte, wie aus dem Gesprächszusammenhang hervorging, genau an diesen Punkt. Panofsky war ein so beweglicher, behender und spielerischer Geist, daß ihn die banale Schematisierung und die inflationierende Wiederholung seiner gewitzten Einfälle und flinken Operationen schon durch ihre Langeweile in wehrlose Verwunderung versetzten. So sollte man seinen „disguised symbolism" stehen lassen als das, was er mit ihm bereitstellen wollte: Ein hermeneutisches Modell, das der altniederländischen Malerei ihren Platz in der Geschichte der kulturellen Symbole zuwies.
18. W. Sauerländer, Die Jahreszeiten. Ein Beitrag zur allegorischen Landschaft beim späten Poussin, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, 3. F., Bd. 7, 1956, S. 169-184. 19. Vergi. Rembrandt, Der Meister und seine Werkstatt. Kat. Ausst. Berlin 1991, 2 Bde., München 1991. 20. H. Sedlmayr, Kunst und Wahrheit, Hamburg 1958, S. 169/70. 21. Panofsky, wie Anm. 8, S. 142.
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„Early Netherlandish Painting" war zwar ohne Zweifel das größte und sicher das folgenreichste Buch Panofskys aus den fünfziger Jahren, doch würde man Panofskys intellektuelle Statur und sein wissenschaftskritisches Engagement in sträflicher Weise verkürzen, wenn man ihn allein auf die zum Mittelalter zurückgewandte Perspektive des „disguised symbolism" festlegen wollte. Seine leidenschaftliche Stellungnahme zu der inquisitorischen Praxis des McCarthyismus, die ich eingangs zitiert habe, erschien im gleichen Jahr wie „Early Netherlandish Painting", und sie zeigt einen anderen Panofsky, der mit moralischer Stringenz für die Unabhängigkeit, nur der Wahrheit verpflichteter Wissenschaft eintritt. 1954 publizierte er einen schmalen Band über „Galileo as a critic of the Arts". Das Thema, ein Brückenschlag zwischen Kunsttheorie und Physik, könnte noch einmal als Cassirerisch erscheinen, dürfte aber auch durch den täglichen Umgang mit Physikern und Mathematikern am Princetoner Institut angeregt sein. Es ist, soweit ich sehe, das einzige Mal, daß Panofsky einen Text Einsteins zitiert.22 Aber nicht nur brilliert Panofsky hier beim Vergleich zwischen Galileo und Kepler abermals als der Historiker, der mit Aquivalentien spielt, der illuminiert, indem er relativiert, sondern er zeigt sich auch als der gemäßigte Aufklärer und Rationalist, dessen Sympathien weniger Kepler als Galileo gelten, dem Erforscher der physikalischen Gesetze, der sich von den Mystizismen der neoplatonischen und neopythagoreischen Kosmologien verabschiedete und in seinen ästhetischen Anschauungen ein Klassizist war. Keine Schrift Panofskys aus den fünfziger Jahren aber hat so bekenntnishaften Charakter wie das 1960 erschienene Buch „Renaissance and Renascences". Die Genese dieser Publikation reicht weit zurück bis an das Ende der Hamburger Jahre. 1933 hatte Panofsky zusammen mit Saxl einen Aufsatz über „Classical Mythology in Medieval Art" publiziert, einen Versuch für das Mittelalter nachzuholen, was Aby Warburg für die Renaissance gezeigt hatte.23 Als Panofsky 1944 dann in der Kenyon Review seinen berühmt gewordenen Aufsatz über „Renaissance and Renascences" veröffentlichte, hatte sich die Perspektive verschoben. Jetzt ging es nicht mehr darum, das Nachleben der Antike im Mittelalter aufzuzeigen, sondern dieses Nachleben von der Wiederbelebung der Antike durch die Renaissance zu unterscheiden.24 Die Vorträge, die Panofsky dann 1952 auf Schloß Gripsholm in Schweden hielt und schließlich 1960 als Torso veröffentlichte, haben dieses Thema weiter ausgearbeitet. Panofskys Kriterium für die Unterscheidung zwischen den mittelalterlichen „renascences" und der italienischen Renaissance - das Prinzip der Disjunktion von antiker Form und antikem Stoff im Mittelalter und der Prozeß der Reintegration von antiker Form und antikem Stoff in der Renaissance - ist ein 22. E. Panofsky, Galileo as a Critic of the Arts, Den Haag 1954, S. 24, Anm. 3. 23. E. Panofsky und E Saxl, Classical Mythology in Medieval Art, in: Metropolitan Museum Studies, IV (1935), S. 2 2 8 - 2 8 0 . 24. E. Panofsky, Renaissance and Renascences, in: Kenyon Review VI (1944), S. 2 0 1 - 2 3 6 .
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weiteres Beispiel für seine erhellenden Äquivalentien. Es hat neuerdings allerhand Kritik an diesem Konstrukt gegeben, als prinzipielle, sozusagen hermeneutische Unterscheidungsmöglichkeit scheint es mir immer noch unerschüttert.25 Aber nicht darum geht es hier. Panofsky's „Renaissance and Renascences" ist eine leidenschaftliche Apologie der historischen Einmaligkeit der italienischen Renaissance und des von ihr begründeten neuzeitlichen Humanismus. Panofsky, der Erasmianer, der dankbare Schüler des Joachimsthal'schen Gymnasiums in Berlin, versteht sich als Repräsentanten und Defensor der durch den Humanismus in die europäische Kultur eingeführten Werte. An keiner Stelle ist das „Barbari ad portas" in Panofskys Schriften aus den fünfziger Jahren so vernehmlich als dort, wo er sich nun gegen jene vorhin erwähnten neokatholischen Denker wie Maritain oder Gilson oder gegen jene Wissenschaftshistoriker wie Thorndike wendet, welche die italienische Renaissance entweder als ein das fromme Mittelalter zerstörendes Unglück oder aber - weil von eben diesem frommen Mittelalter vielfach antizipiert - als nicht existent ansahen.26 Ein aufklärerischer, rationaler Impuls ist dieser Verteidigung der Renaissance gegen einen obskuratistischen Panmediaevalismus wohl kaum zu bestreiten. Es ist der gleiche Impuls, der Panofsky eher Galileo als Kepler sich zuneigen ließ. Es spricht übrigens für die Vergeßlichkeit, mit der heute Bücher von Gestern auf den Markt gekippt werden, daß die neuere deutsche Übersetzung von „Renaissance and Renascences" schon durch ihren nuancenlosen Titel „Die Renaissancen in der europäischen Kunst" Panofskys Schrift buchstäblich um ihr Argument bringt.27 Aber was nun den aufklärerischen Aspekt von Panofskys Argumentation angeht, so ist das eine komplizierte und widersprüchliche Geschichte. Seit der Renaissance, so schrieb Panofsky, „the classical element in our civilization could be opposed [...], but it could not entirely disappear again. ... Since the Renaissance the Antique has been constantly with us, whether we like it or not. It lives in our mathematics and natural sciences. ... And it is firmly entrenched behind the thin but thus far unbroken glass walls of history, philology and archaeology".28 Diese Sätze wurden vor wenig mehr als dreißig Jahren geschrieben und scheinen doch unendlich weit zurückzuliegen. Wir vernehmen eine alternde Stimme aus den fünfziger Jahren, die sehr fern von der damals modernen, teilweise sogar der damals schon gestrigen Welt, sich erhebt, um den Humanismus der alten Gymnasien, der alten philosophischen Fakultäten, der traditionellen „humanities" 25. See N. Himmelmann-Wildschütz, Nudità ideale, in: Memoria dell'antico nell'arte italiana,Torino 1986, Bd. 2, S. 199-278. Ders., Ideale Nacktheit, in: Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, LXXIII (1986), S. 1-136. S. Settis, Continuità, distanza, conoscenza. Tre usi dell'antico, in: Memoria dell'antico nell'arte italiana, vol. III, Torino 1986, S. 375-486, bes. S. 404. 26. Panofsky, Renaissance and Renascences, Stockholm 1960, S. 6, bes. Anm. 1. 27. E. Panofsky, Die Renaissancen der europäischen Kunst, Frankfurt 1979. Vgl. auch Rez. Sauerländer, in: Süddeutsche Zeitung v. 2./3.2.1980. 28. Panofsky, wie Anm. 26, S. 108.
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über eine sich abwendende Gegenwart hinwegzuretten. Man empfindet Sympathie für diese nostalgische Äußerung, aber es läßt sich nicht übersehen, daß auch diese Apologie der kulturellen Einmaligkeit der italienischen Renaissance und ihrer bis in die eigenen Tage fortdauernden Bedeutung auch von einer Angst nicht nur vor der bitter erfahrenen Barbarei, sondern vor der Veränderung und vor der Moderne zeugt.29 Ich habe eingangs versprochen, mit einigen Überlegungen zu der Rezeption Panofskys in den fünfziger Jahren zu schließen. Nun ist es nicht ganz leicht, von einer Retrospektive aus dem Centenarjahr 1992, wie ich sie hier zu entwickeln versucht habe, zurückzugehen auf jenen diffusen Bewußtseinshorizont der fünfziger Jahre, in denen der ikonologische Panofsky ein neu oder wieder zu entdeckender Autor, ein faszinierender Verführer und wissenschaftlicher Zauberer und - last but not least - ein für den akademischen Durchschnitt leider viel zu intelligentes Ärgernis war. Auch muß ich mich bei diesen Bemerkungen auf zufällige Erinnerungen und flüchtig angelesenes Wissen verlassen. Eine fundierte Rekonstruktion der Wirkung Panofskys in den fünfziger Jahren würde ein Maß an Quellenforschung voraussetzen, das ich nicht leisten konnte. Um 1950 war Panofsky in der deutschen Erinnerung gegenwärtig als der junge und freche Hamburger Professor der zwanziger Jahre, der scharfsinnige Exeget Riegls, der Theoretiker, der Verfasser des Melancholie-Buches und der „Idea", aber auch der deutschen Plastik. Gegen die Schnelligkeit seines Verstandes, gegen sein blitzendes Spiel mit dem besseren Argument, seine journalistischen Ausflüge in den „Querschnitt" gab es trübe Vorbehalte und Ressentiments, deren antisemitischer Bodensatz schwer zu übersehen war. Die „Studies in Iconology" waren noch, wie ich schon erwähnte, so gut wie unbekannt. Die ikonologische Wende, die Panofsky mit dem 1930 erschienenen „Hercules am Scheidewege" vollzogen und in dem Logos-Aufsatz von 1932 - seiner letzten in Deutschland erschienenen Publikation hermeneutisch begründet hatte, war, wenn ich recht sehe, offenbar nicht mehr wirklich wahrgenommen worden. Von Panofskys erstaunlicher Wirkung, seinem beispiellosen Ruhm in Amerika wußte man in dem abgeschnittenen Deutschland noch wenig oder nichts. Eine Wende, ja eine Umkehr trat erst gegen Mitte der fünfziger Jahre ein. Jetzt wuchs Panofsky fast über Nacht die Autorität des leuchtendsten Geistes zu, der auf dem wissenschaftlichen Territorium der Kunstgeschichte anzutreffen war. Nun war das natürlich nicht nur ein neues Beispiel des gelehrten und im speziellen Falle noch wiedergutmachenden Personenkults, sondern durchaus eine methodische und mentale Wende. Und hier gilt es, genau zu unterscheiden. Die Hinwendung zu 29. Siehe hierzu auch S. Radnóti, Die wilde Rezeption. Eine kritische Würdigung Erwin Panofskys von einem kunstphilosophischen Gesichtspunkt aus, in: Acta Historiae Artium, XXIX (1983), S„ 143/144. Siehe weiter auch den aufschlußreichen Beitrag von Beat Wyss in diesem Sammelband.
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Panofsky in den fünfziger Jahren konzentriert sich geographisch auf Länder mit einer betont konservativen und stark deutsch geprägten Wissenschaftstradition: Schweden, Holland, auch Polen und natürlich die Bundesrepublik Deutschland. Die ganz anders ausgerichtete, strukturalistische Panofsky-Rezeption in Frankreich, die eine methodisch sehr eigenwillige Aktualisierung und Ausbeutung Panofskys betrieb, gehört erst in die sechziger Jahre. Weiter ist der Zeitpunkt der Neuentdeckung Panofskys wichtig. Er fällt, wenn ich recht sehe, ziemlich genau zusammen mit dem Erscheinen von „Early Netherlandish Painting". Das aber heißt: es war nicht die humanistische Spielart der Ikonologie, wie sie Panofsky 1939 in den „Studies in Iconology" entfaltet hatte, sondern die christlich eingefärbte Krypto-Ikonologie des „disguised symbolism", die zum methodischen Modell der Panofsky-Renaissance in den fünfziger Jahren wurde. „Disguised symbolism" breitete sich nun wie eine Geheimlehre aus, die das Mysterium der Entschlüsselung der sinnlich versiegelten Kunstwerke versprach, ihre Spiritualisierung. So wurde die Rezeption der Ikonologie in den fünfziger Jahren weniger zu einem Vorgang der Aufklärung als des restaurativen Irrationalismus, Panofsky wurde der Gefangene eines Ruhmes, den er, der Humanist und Erasmianer, so nicht verdient hatte. Es ist wieder nicht ganz leicht, die verschiedenen Varianten des Widerspruchs zu analysieren, der sich damals gegen den Triumphzug der Panofsky'schen Ikonologie erhob. Auch muß ich abermals daran erinnern: Ich beschränke mich hier allerdings mit einer Ausnahme - auf den Widerspruch gegen die Ikonologie während der fünfziger Jahre. Die Abwendung von der Ikonologie in den achtziger Jahren, die ganz andere, jüngst von Jutta Held analysierte Motive hat, ist nicht mein Thema. 3 0 Der heftigste Einwand gegen die Panofsky'sche Ikonologie, der in den fünfziger Jahren erhoben wurde, nährte sich aus einem tiefen Affekt gegen die Annahme von der Lesbarkeit des Bildes. Dieser Einwand denunziert die Panofsky'sche Ikonologie als eine Art intellektualistischen Ikonoklasmus, der sich am eigentlichen Wesen von Kunst vergehe. Es ist zu vermuten, daß in diesem Affekt gegen die Lesbarkeit des Bildes Einstellungen fortleben, die mindestens bis in die Präromantik des 18. Jahrhunderts zurückreichen und die Heftigkeit des Widerspruchs macht deutlich, daß es sich hier um einen Fall verletzter Innerlichkeit handelt. Otto Pächt, der diesen Widerspruch am entschiedensten und brillantesten formuliert hat, hielt Panofsky 1956 vor: er verfüge „a rational structure of artistic creation, a view which is the complete reversal of that formerly prevailing among students of cultural history according to which even ,Weltanschauungen' are not produced by thinking". 31 Die letzten Worte sind ein Dilthey-Zitat, und daß Pächt sich bei seiner Kritik an der ikonologischen Bildinterpretation Panofskys auf den 30. Jutta Held, Von der Ideologiekritik zur Akklamation der freien Marktwirtschaft, in: Kritische Berichte, 18, Heft 3, S. 2 1 - 2 6 . 31. O. Pächt, Besprechung von E . Panofsky, Early Netherlandish Painting, in: Burlington Magazine XCVIII (1956), S. 110-116, 267-279, bes. S. 276.
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Gründungsvater der Geisteswissenschaften und den Verfasser von „Das Erlebnis und die Dichtung" beruft, ist symptomatisch. Bei Dilthey, der gelehrt hatte: „So ist in allem Verstehen ein Irrationales, es kann durch keine Formel logischer Leistung repräsentiert werden", suchte man Schutz gegen die angebliche rationalistische Entäußerung der traditionellen Kulturgeschichte unter dem zersetzenden Einfluß Panofskys. 32 Aber nichts ist einfach in diesem Zusammenhang. Von ganz anderer Warte aus distanzierte sich Ernst Gombrich von jener Expansion der Ikonologie, die seit den fünfziger Jahren durch Panofskys Modell des „disguised symbolism" in Gang gesetzt worden war. Auf das Ressentiment gegen die Lesbarkeit des Bildes hat sich ein kunsthistorischer Denker von der intellektuellen Statur und der Skepsis Gombrichs gar nicht erst eingelassen. Die Lesbarkeit des Bildes steht für ihn genauso außer Frage wie für Panofsky. Aber Gombrich, der sich schon 1948 in seiner Abhandlung „Icones Symbolicae" mit der Geschichte des Symbolbegriffs kritisch auseinandergesetzt und zwischen dem Aristotelischen Verständnis des Symbols als einer illustrierten Metapher und der neoplatonisch-romantischen Auffassung vom Symbol als dem Gegenbild der diskursiven Vernunft unterschieden hatte, mißtraut der mysteriösen Verschlüsselung von Panofskys „disguised symbolism". 33 In seinem Referat über „Ziele und Grenzen der Ikonologie" von 1970 - und die Benutzung dieses Textes ist die eine Ausnahme, mit der ich die Grenzen der fünfziger Jahre überschreite - erinnert Gombrich an jene Formen der mittelalterlichen theologischen Exegese, für die jedes Symbol eine Fülle von möglichen Bedeutungen umschloß, welche Meditation und Studium immer nur teilweise enthüllen konnten, und fuhr dann - nun in offener Anspielung auf Panofskys „disguised symbolism" - fort: „Für den Ikonologen ist die Versuchung in der Tat groß, mit dieser Technik der Exegese zu wetteifern und sie auf die Kunstwerke der Vergangenheit anzuwenden". 34 Ich zitiere diese Kritik Gombrichs, weil sie mir in einem paradoxen, geradezu spiegelverkehrten Verhältnis zu der von Pächt 1956 geäußerten zu stehen scheint. Wo Pächt Panofsky eines unangemessenen Rationalismus anklagt, sieht Gombrich gerade umgekehrt eine unangemessene Mystifizierung von offen zu Tage liegenden, unverhüllt lesbaren Befunden. Aber ich meine, daß im Lichte von Gombrichs szientifizistischer Kritik die wissenschaftsgeschichtliche und mentale Position des Panofsky der fünfziger Jahre noch einmal wie in einem Brennspiegel sichtbar werde. Dieser Panofsky trieb nämlich genau das, dessen Unterlassung ihn Pächt 32. W. Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Hier zitiert nach der Suhrkamp-Ausgabe Frankfurt a.M. 1981, S. 269. 33. E. H. Gombrich, Icones Symbolicae. The visual Image in neoplatonic Thought, in: Journal of the Warburgand CourtauldInstitutes 11 (1948), S. 163-192.Wiederabgedruckt als „Icones symbolicae. Philosophies of Symbolism and their Bearing on Art, in: Symbolic Images. Studies in the art of the Renaissance, London 1972, S. 123-195. 34. E. H. Gombrich, Symbolic Images. Studies in the art of the Renaissance, London 1972, S. 15.
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geziehen hat: traditionelle deutsche Kulturgeschichte, Kunstgeschichte als Gestalt gewordene Philosophie der symbolischen Formen. Die Ikonologie ist für ihn ein Mittel, um die Kunstwerke der Vergangenheit als umfassende kulturelle Symbole deuten zu können, wogegen sie für Gombrich nur noch eine Art rhetorischer oder exegetischer Technik ist. Und hier liegt vielleicht eine Tragik des Panofsky der fünfziger Jahre. Je dringlicher sich nämlich die Frage nach den Mechanismen der visuellen Kommunikation unserer Disziplin aufdrängte, um so mehr mußte Panofskys Auffassung von der Kunstgeschichte als einer Geschichte der umfassenden kulturellen Symbole einer nicht mehr einholbaren Vergangenheit verhaftet erscheinen. Und hier liegt auch der Grund, warum der beispiellose Erfolg des späten Panofsky - übrigens nicht zuletzt gerade in Deutschland - so restaurative, nostalgische Züge trägt und oft wie eine Flucht vor der Gegenwart und der Moderne wirkt. Freilich der alternde Weise in Princeton würde, hörte er heute abend zu, darauf wohl mit den Sätzen antworten, die sein geliebter Erasmus der Torheit in den Mund legte: „Ich möchte meinen Kritikern nahelegen, sich einfach vorzustellen, ich hätte nur zu meinem eigenen Vergnügen Schach gespielt oder wäre auf dem Steckenpferd meiner Schreibfeder spazieren geritten. Es wäre auch eine Ungerechtigkeit, da doch jedem Stand der Gesellschaft seine Spiele und Scherze zugestanden werden, gerade den Gelehrten jenen spielerischen Spaß zu untersagen, besonders wenn sie mit tieferer Bedeutung scherzen, und ihre Lustigkeit einen derart ernsten Hintergrund hat, daß ein Leser, dessen Verstand nicht ganz verkümmert ist, daraus mehr Nutzen zieht als aus den trocken-feierlichen Darlegungen pedantischer Wissenschaftler" . 3 5
35. Erasmus von Rotterdam, Lob der Torheit, Frankfurt a.M. 1979, S. 11. „Proindesividebitur, fingant isti me laterunculis interim animi causa lusisse, aut si malint, equitasse in arundine longa. Nam quae tandem est iniquitas, cum omni vitae instituto suos lusos concedamus, studiis nullum omnino lusum permittere, maxime si nugae seria ducant, atque ita tractentur ludiera, ut ex his aliquanto plus frugis referat lector, non omnino naris obesae, quam ex quorumdam tetricis ac splendidis argumentis?" Vgl. Desiderii Erasmi Roterodami, Encomium Moriae sive Declamatio in laudem Stultitae, Lugdunum Batavorum MDCXLI, Praefatio, S. 2.
Panofskys „Renaissance" Konrad
Hoffmann
In E r w i n Panofskys Lebensarbeit läßt sich die Bemühung um einen historischen Begriff der Renaissance als Kulturepoche leitmotivisch verfolgen. Das Buch „Renaissance and Renascenses in W e s t e r n A r t " (1960) entfaltet in begrifflicher Pointierung die leitende These, die, 1933 mit Fritz Saxl in dem A u f s a t z über „Classical M y t h o l o g y in Medieval A r t " bekanntgemacht und 1 9 3 9 im Einleitungskapitel der „Studies in Iconology" an zentraler Stelle exponiert, 1 9 6 0 in die Formel v o m „Principle of disjunction" zusammengefaßt w o r d e n w a r . 1 Die These definiert die Eigenständigkeit der Renaissance als Re-Integration der im Mittelalter nur separat rezipierten und rezipierbaren Elemente der A n t i k e , F o r m und Inhalt, d. h. als erstmalige und neuartige Konstitution des „klassischen Altertums" im Sinne eines geschlossenen kulturellen „Systems" b z w . W e r t s . 1. Erwin Panofsky, Die Renaissancen der europäischen Kunst. Ubers. H. Günther, Frankfurt/M.: 1979 (Taschenbuchausg. 1990). Die dt. Übersetzung des Originaltitels „Renaissance and Renascenses in Western Art" Stockholm (1960) verfälscht Panofskys signifikante Pointe, die Unterscheidung zwischen der (ital.) Renaissance und den (mittelalterlichen) Renaissancen, mit der nivellierenden Gleichstellung im Plural: „Die Renaissancen". Erwin Panofsky - Fritz Saxl, Classical Mythology in Mediaeval Art, Metropolitan Museum Studies IV, 1932-33, New York 1933, S. 228-280. Erwin Panofsky, Studies in Iconology. Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, Ν. Y. 1939 (Harper Torchbook Edition, N.Y. 1962). Kap. I: Introductory, §11, S. 18-31. Erwin Panofsky, Renaissance and Renascenses, The Kenyon Review, VI, 1944, S. 201-236 (Wiederabdruck in: W. E. Kleinbauer, Hg., Modern Perspectives in Western Art. An Anthology of 20th Century Writings on the Visual Arts, Ν. Y. 1971, S. 413-431. Bei der ersten Veröffentlichung 1933 erscheint Saxl als Mitautor. Sein Anteil an der Konzeption, die 1960 als Panofskys „Principle of disjunction" monumentalisiert wird, ist fundamental trotz aller späteren damnatio memoriae. Die entscheidenden Gesichtspunkte (Spannung zwischen Form und Inhalt, Antike und Christentum, Distanz und elegische Verklärung) hat Saxl 1927 formuliert in der Einleitung zu seiner Neuausgabe von Jacopo Zucchis „Discorso sopra li Dei de' Gentili, e loro Imprese (Fritz Saxl, Antike Götter in der Spätrenaissance. Ein Freskenzyklus und ein Discorso des Jacopo Zucchi. Stud. d. Bibl. Warburg, VIII. Leipzig-Berlin 1927, vgl. nur etwa S. 29 mit der Hervorhebung der Spaltung)." Hier liegt auch ein Impuls zu Panofskys „Arkadien"-Arbeit (in den Ausführungen zu Signorellis „Pan").
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Konrad
Hoffmann
Im Mittelalter fehlte, so das Argument, das Bewußtsein des historischen Abstandes, der Blickwinkel auf die Antike als innere, notwendige Einheit: demgemäß war die Aufnahme antiker Form nur in nicht-antiken Inhalten bzw. vice versa klassischer Stoffe in zeitgenössischer Form möglich - eine Verschränkung jeweils also zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zwischen „Heidentum" und Christentum. Ich formuliere dazu die Thesen: 1. Panofsky wendet hier das Begriffsinstrumentarium der Ästhetik des Deutschen Idealismus an, die Verhältnisbestimmung von „Form" und „Inhalt" ebenso wie die Kategorie der Ganzheit (Totalität, Einheit, Harmonie). 2. Diese Begriffsübernahme aus der Philosophie des 19. Jh. für ein Quellen- und Faktenmaterial aus Mittelalter und früher Neuzeit ist ein Aspekt von Panofskys uneingestandener Modernität, seiner Prägung im Neu-Idealismus (Cassirer). 3. Panofsky überträgt das Begriffsmodell vom ästhetischen Produkt auf die geschichtliche Entwicklung, er ästhetisiert damit also einen historischen Prozeß. Eine explizite Illustration des Denkansatzes liefert er darin, daß er das Geschichtskonzept der Humanisten mit der Erfindung der Zentralperspektive parallelisiert: als Distanzbewußtsein des Subjekts in Raum (Bild) wie Zeit. 4. Mit dem dominanten Aspekt einer zielgerichteten historischen Entwicklung steht Panofskys Renaissance-Arbeit im Kontext seiner an Riegl gewonnenen Position: Kunstgeschichte als Geschichte von Problemlösungen; der letztlich von Hegels Geschichtsphilosophie bestimmte Zugang, den Panofsky in seinen frühen methodenkritischen Studien in der Debatte um Riegls „Kunstwollen" theoretisch fundierte, eröffnet die Vorstellung der universalgeschichtlichen Einheit eines dialektischen Experiments: innerhalb der Rahmenkoordinaten künstlerischer „Grundbegriffe" (Haptisch-Optisch u. ä.) ermöglicht das Prinzip „Kunstwollen" die analytische Plazierung eines jeden nur vorstellbaren Kunstprodukts in systematisch-entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht, mit der an Naturwissenschaft und Technik professionell geschulten Effizienz und Durchsichtigkeit einer flexiblen Versuchsanordnung (E. Wind, Experiment). Panofsky geht nach Riegl hier also, wieder uneingestanden, von den Prämissen aktueller Modernität aus, indem er die Emanzipation vom subjektiven Geschmacks- und Werturteil auf den Begriff des Objektiven gründet: „Kunstwollen" als Hebelkraft einer „unendlichen" Problemgeschichte. In Panofskys Standpunkt zeichnet sich der Konflikt ab zwischen der „technokratisch" entwicklungsmäßigen Problemgeschichte von „Kunstwollen" (Riegl, Hegel) und dem an der ästhetischen Spekulation gebildeten Epochenideal der Renaissance als harmonischer Reintegration von (antiker) Form und (antikem) Inhalt. Die mit der Renaissance erreichte Balance soll durch den weitergehenden Prozeß nicht als Wert in Frage gestellt werden können, sondern unverlierbar bleiben als Grundlage und Ausgangspunkt der modernen Kultur in Gegenwart und Zukunft. Das Disjunktionsprinzip hebt für Panofsky - in Abwehr des „Aufstands
Panofskys „Renaissance"
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der Mediaevisten" (Haskins u. a.) - die Renaissance der Neuzeit grundsätzlich ab von den mittelalterlichen Renaissancen und markiert sie (wie für Burckhardt) in ihrem weltgeschichtlichen Stellenwert als Durchbruch der eigenen Kultur. Dieser „fortdauernde Charakter der italienischen Renaissance" (S. 111), den Panofsky mit Stichworten der Alltagsgewöhnung benennt (Lehnworte in der Wissenschaftsterminologie), spiegelt die aus dem historischen Abstand erwachsene Totalität einer unerreichbaren, verlorenen, toten Welt, eines im Traum und Wissen wieder ersehnten Ideals. Panofskys Sprache verrät in ihrer emotionalen Färbung die auch in leichter Ironie spürbar gehaltene mythische Verpflichtung der eigenen kulturellen Identität: „Das Mittelalter hatte die Antike unbeerdigt gelassen und ihren Leichnam abwechselnd galvanisiert und exorziert. Die Renaissance stand weinend an ihrem Grab und versuchte ihre Seele auferstehen zu lassen".2 Wenn Panofsky sein vom humanistischen Gymnasium genährtes Credo in der sakralisierenden Form äußert: „Auferstandene Seelen sind unberührbar, aber haben den Vorteil der Unsterblichkeit und Allgegenwart", so fällt demgegenüber an seinen Belegstücken der unverbindlich beliebige Charakter, das Element der Gemeinplätze und Kuriositäten auf, vor allem aber der Umstand, daß er selbst dem aus der Erfahrung des zeitlichen Abstands entwickelten modernen Antikenbild gegenüber kein Distanzbewußtsein aufbringen kann. Hierin zeigt sich Panofskys Identifizierung mit „dem Humanisten" zugleich als Abkehr von dessen historischer Triebfeder, das im ästhetischen Idealismus vorgeprägte Stillstellen eines mit modern geschärftem Differenzbewußtsein (Hegel, Riegl) beobachteten Prozesses formaler wie symbolischer Problemlösungen: die erreichte Lösung wird festgehalten als überdauerndes Ideal. Der Autoritätenkonflikt in Panofskys intellektueller Sozialisation (CassirerKant vs. Riegl-Hegel) läßt historisches Bewußtsein, das er als Kriterium der italienischen Renaissance definiert, in dessen ästhetische Verdrängung als Wert umschlagen. Gegenüber diesem Interessenskern und Bekenntniszentrum seiner Arbeit war Panofsky unzugänglich für Diskussion und Kritik. So hat er sich nie mit den - bei aller Vorsicht der Formulierung - weitreichenden Einwänden Gombrichs anläßlich der ersten Publikation seines Renaissancekonzepts auseinandergesetzt. Gombrich schrieb in der - von der späteren Forschung leider ziemlich vernachlässigten - Forschungsbibliographie des Warburg Institute 1938 zu Panofsky-Saxls Aufsatz „Classical Mythology in Medieval Art" von 1933: „Aber das Verhalten zum Bild kann doch wohl nicht direkt dem Verhalten zur Wirklichkeit gleichgestellt werden, so wenig sich das historische ,Distanzbewußtsein' der Renaissance dem 2. Diese bildhafte Zusammenfassung verfehlte nicht ihre Wirkung in der Fachdiskussion, vgl. als sehr frühe Rezeptionsbelege dazu Walter Paatz, der für das Mittelalter statt von „Renaissancen" von „Renovado" spricht: W. P., Renaissance oder Renovado? Ein Problem der Begriffsbildung in der Kunstgeschichte des Mittelalters, in: Beiträge Deutschen
Kunsthistorikertagung
Bandmann, Mittelalterliche
zur Kunst
auf Schloß Brühl
Architekturals
des Mittelalters.
Vorträge
der
Ersten
1948, Berlin 1950, S. 1 6 - 2 7 , cf. S. 26; Günter
Bedeutungsträger.
chend s . u . A n m . 12 Camille, Anm. 56, Cantor S. 185.
Berlin 1951, S. 49, Anm. 19. Entspre-
142
Konrad
Hoffmann
optischen der Perspektive zuordnen lassen muß. An solchen Stellen bleibt es in Schwebe, ob genetische Zusammenhänge, geistesgeschichtliche Parallelen oder nur Gleichnisse gemeint sind".3 In dem Aufsatz von 1933 ist der Vergleich zwischen historischem Distanzbewußtsein und Zentralperspektive auf einen einzigen Satz beschränkt, im Buch von 1960 weiter entfaltet.4 Und bei Panofskys fortwährender Verfeinerung und Pointierung seiner Argumentation blendet er auch zum „Disjunktionsprinzip " von Gombrich angeführte Relativierungen aus. Panofsky ignoriert einfach die entsprechende Kritik: „Unabhängig von antiken Inhalten werden antike Formen vom Mittelalter assimiliert, aber diese Formen dienen nur zur Veranschaulichung ethischer, nicht körperlicher Inhalte. Hier hätte man neben Beispielen der religiösen Sphäre (Reims, Pisa) gerne auch ein Beispiel aus dem engsten Bereich des Themas selbst gesehen. Der Quedlinburger Teppich etwa, der den Urtypus aller mythographischen Texte, Martianus Capella, illustriert, neigt doch wohl auch formal auf die Seite antiker Gestaltungsweise. Ganz allgemein verdient es vielleicht überdacht zu werden, ob die Prämissen dieser Uberschau zu so genereller Deutung hinreichen".5 Zugespitzt kann man sagen, bei der im „Principle of disjunction" kulminierenden Formulierung, Verfeinerung und Ziselierung des Panofskyschen Leitmotivs über 30 Jahre hinweg bleibt das historische Distanzbewußtsein, der italienischen Renaissance gegenüber der Antike, in der Verabsolutierung neuhumanistischer Ideale auf der Strecke. Entsprechend verrät Panofsky seiner eigenen geschichtlichen Lage gegenüber keine Bemühung um die Reflektion der Zeitgebundenheit - der Aktualität und Risiken. Das Insistieren auf der Permanenz und Unzerstörbarkeit des humanistischen Antikenbesitzes wehrt gerade dessen historische Realisierung ab. Nur so läßt sich seine beharrliche Ignorierung paralleler Forschungsansätze verstehen, die aus einem historisch-soziologischen Blickwinkel heraus das Distanzbewußtsein der Florentiner Renaissance-Humanisten gegenüber dem „klassischen Altertum", ihre Isolation „der Antike" als eines Kulturwertes „an sich" und den Anachronismus der Restauration des klassischen Lateins als Gegenwartsflucht in eine romantische Traumwelt und die Renaissance nicht als „rinascita", Wiederge-
3. Ernst Gombrich, Bespr. von Panofsky-Saxl, Classical Mythology in Mediaeval Art Metropolitan Mus.-Studies, 4, 1933, in: Bibliography of the Survival of the Classics, Warburg Institute. Bd. II, London 1938, S. 100f., Nr. 395. Panofsky trug mehrere Rezensionen zu der „Bibliography" des Warburg Institute bei und zitiert im „Renaissance" Buch eine Besprechung (Hugo Buchthal zu Schoenebeck) daraus. 4. Wie wichtig Panofsky diese Analogie nahm, zeigt der Umstand, daß er sie selbst in einer komprimiertesten Kurzversion seines „Principle of disjunction" vorbringt. The History of Art as a Humanistic Discipline (1940), vgl. die dt. Fassung in: E. P., Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln, 1975, S. 7 - 3 5 , cf. 29f., Anm. 6. 5. Seine ausführliche Erörterung über spezifische „Ausnahmen" und „Differenzierungen" des Disjunktionsprinzips (Panofsky, 1990, S. 9 0 - 1 0 4 ) erwähnt den berühmten Quedlinburger Teppich nicht.
Panofskys „Renaissance"
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burt, sondern als irreversible Abschnürung und Mortifikation des vorchristlichen Kulturerbes analysieren.6 Panofsky selber geht es um Distanz nicht von der Vergangenheit, sondern von seiner Gegenwart. Der Aufsatz von 1933 mündet in das vertrauensvolle Bekenntnis, bisher habe noch fast jede - künstlerische und kulturelle - Krise durch die Rückbesinnung auf die Antike bewältigt werden können.7 Angesichts der gleichzeitigen Antikenrezeption des Faschismus (NS, Italien) läßt sich kaum eine zynischere Desillusionierung dieses ästhetisch-konservativen Humanistentrosts vorstellen.8 Aber gerade Panofskys Wunschbild der dauerhaften gesicherten Renaissance beruht auf einer idealistischen Loslösung der Vergangenheit wie der eigenen Person von ihrer historischen Dimension, die das „klassische Altertum" jederzeit für jeden politisch beliebig manipulierbar werden läßt: „Wenn Piaton und Thukydides, Caesar, Tacitus(!) und Horaz zu Kronzeugen des Faschismus und seiner kultur- und machtpolitischen Ambitionen werden konnten, dann nicht zuletzt aufgrund der ahistorischen Verherrlichung des ,Klassischen', welche die einem als modellhaft angesehenen Werk innewohnenden Humanisierungseffekte brutal in ihr Gegenteil verkehrte".9 Panofsky hat die Problemgeschichte seiner Antikensehnsucht im Gewände historisch-kritischer Forschung als hegelianische Konstruktion geschrieben; die Re-Integration der im Mittelalter in Form und Inhalt zerstückelten „Antike" setzt seine entsprechenden Längsschnitte fort: zu „Idea", Perspektive als symbolischer Form und besonders zur Renaissance-Wiedergewinnung der antiken Virtus aus den mittelalterlichen virtutes (im „Herkules am Scheideweg" 1930 - analog bis zur pointierten' Entgegensetzung von Singular und Plural wie bei „Renaissance and 6. Alfred von Martin, Soziologie der Renaissance. Zur Physiognomik und Rhythmik bürgerlicher Kultur. Stuttgart 1932; Bespr.v. Felix Gilbert, Bibliography (s.o. Anm. 3), S. 234f. Nr. 875.Vgl. auch den 1. Band der Bibliography 1934, S. 205, Nr. 835 (vorbereitender Aufsatz Α. ν. Martins dazu bespr.) vgl.v. Martins Buch in der 3. Α.: Soziologie der Renaissance, München 1974, S. 8 2 - 9 3 „Humanismus als Romantik und Restauration", spez. S. 84 f. 7. Panofsky-Saxl 1933 (s.o. Anm. 1) S. 278 Schlußsatz: „We can understand why... down to the crisis of our own days, which, among other phenomena, has given rise to the classicism of Picasso, almost every artistic and cultural crisis has been overcome by that recourse to antiquity which we know as classicism". 8. Ab 1939 (Studies in Iconology [s.o. Anm. 1] (S. 27, Anm. 26)) bezieht Panofsky in kurzen Analogien zum Antikenverständnis die mittelalterliche Ambivalenz gegenüber dem Judentum ein (1990, S. 113 f.) - eine morphologisch beiläufige Motivassoziation aus dem „Elfenbeinturm" vis-à-vis dem Holocaust. Im Aufsatz v. 1944 (vgl. Abdruck 1971 [s.o. Anm. 1] S. 426, Anm. ) weist Panofsky auf den „amusing" Umstand hin, daß „even the Nazis" die „classical script" akzeptieren mußtenü Vgl. dagegen nur H . Berve, Hg., Das neue Bild der Antike, 1942 (2 Bde., mit Beitr. u.a. v. Gadamer). 9. Egidius Schmalzriedt, Inhumane Klassik. Vorlesung wider ein Bildungsklischee. München, 1971, S. 28. Unter den (auf dem Umschlag dieser Schrift angekündigten) „wichtigsten Dokumenten zur Tradition eines fragwürdigen Begriffs" finden sich auch (S. 84 f.) die einschlägigen Äußerungen Hitlers.
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Konrad, Hoffmann
Renascenses" ab 1944!). Dabei erscheint der Ausschluß der eigenen Situation und Subjektivität10 als Kehrseite einer ersehnten und fiktiv konstruierten Überlieferungshomogenität (der „unsterblichen und allgegenwärtigen" Renaissance). Die historische Distanz11 gegenüber der Renaissance hätte von Panofsky Selbstdistanzierung gegenüber seiner neuhumanistischen Erziehung und die Einsicht in die Renaissance als Mortifikation der Antike verlangt: statt der verfeinerten Affirmation Burckhardts die Auseinandersetzung mit Alfred von Martin und Walter Benjamin. 12
10. Gilbert (s. o. Anm. 6) kritisiert von Martin mit dem Vorwurf, „daß (sein) Bild der Renaissance in seinen Grundzügen von der zur Zeit der Abfassung des Buches in Deutschland bestehenden politischen Situation geformt ist". Seine eigene aktuelle Erfahrung dieser Jahre, wie er sie so eindrucksvoll in seinen Memoiren geschildert hat (F. Gilbert, Lehrjahre im alten Europa Erinnerungen 1905-1945. Berlin 1989), spaltet er von seiner professionellen Retrospektive als Historiker grundsätzlich ab. 11. Eine sehr instruktive Quellenanalyse dazu bietet Peter Burke, The Renaissance sense of the Past, London 1969. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Diskussionsstand informativ August Bucks Einleitungsaufsatz in dem von ihm herausgegebenen Band „Zu Begriff und Problem der Renaissance", in: Wege der Forschung, CCIV, Darmstadt 1969. 12. v. Martin (s. o. Anm. 6) 1931 (1974) S. 84: Latein durch Humanisten - aus einer immer noch lebenden erst zu einer toten Sprache und die ebenso anachronistische Isolation der Antike: „wodurch die Blutwege, die sie bis dahin mit dem Organismus der Gesamtkultur immer noch verbanden, unterbunden wurden". Vgl. dagegen Panofskys methodisches Selbstbekenntnis: „Die Geisteswissenschaften haben zu beleben, was andernfalls tot bliebe" (der Aufsatz v. 1940 [s. o. Anm. 4] in: „Sinn und Deutung" 1975, S. 27). Dagegen zu Benjamin und Warburg: Michael Camille, Walter Benjamin and Diirer's Melencolia I: The Dialectics of Allegory and the Limits of Iconology, in: Idea and Production, 1, 1986, S. 58-79, cf. 66f.: „Benjamin and Warburg: Renaissance as Mortification". Der hiermit angedeutete Gedankengang wird ausführlicher behandelt werden. Vgl. auch die kritische Würdigung Panofskys als Formalist bei Norman F. Cantor, Inventing the Middle Ages. The lives, works and ideas of the great Medievalists of the Twentieth Century. New York 1992, Ch. 5.
Panofsky und das Problem der Psycho-Ikonologie Klaus
Herding
„Wer wie ich die bösesten Dämonen, die unvollkommen
gebändigt
in
einer
menschlichen Brust wohnen, aufweckt, um sie zu bekämpfen, muß darauf gefaßt sein, daß er in diesem Ringen selbst nicht unbeschädigt bleibe." (S. Freud, 1905, Studienausgabe B d . V I , S. 175)
Wie werden psychische Faktoren bei der Analyse von Kunstwerken behandelt und welche Modelle gibt es dafür? Diese Frage einzuholen, scheint um so mehr geboten, als Psycholinguistik und Psychohistorie florieren,1 während die Kunstgeschichte immer noch zögert, das von den Nationalsozialisten verwüstete Gebiet einer tiefenpsychologischen Kunstanalyse erneut zu betreten. 2 An Panofsky gerichtet, ist unsere Frage von doppeltem Interesse. Zum einen berufen sich heutige „Psycho-Ikonographen" (wie sie sich selbst bezeichnen) auf ihn, so daß ein gegenwärtiges Erkenntnisproblem angerührt wird; 3 zum anderen ist damit Panofskys Verhältnis zu Warburg tangiert - weniger das persönliche als das methodische. Der erste Eindruck ist, daß Warburgs Umgang mit Pathosmodellen und magischen Dimensionen bildender Kunst bei Panofsky erhöhter rationaler 1. Vgl. ζ. B. Hans Hörmann, Einführung in die Psycholinguistik, Darmstadt 1991 3 ; zur Psychohistorie Anm. 101. 2. Hilfreich für diesen Aspekt war mir ein Gespräch mit Sigrid Schade-Tholen; vgl. dies.: Unbewußte Ästhetik - Ästhetik des Unbewußten. Zur psychologischen und psychoanalytischen Deutung von Kunst und Kreativität, in: Fragmente. Schriftenreihe zur Psychoanalyse 20/21, hg. vom Wissenschaftlichen Zentrum II der Gesamthochschule Kassel, 1986, S. 327-344. 3. Vgl. Mary Mathews Gedo.The Grande Jatte as the Icon of a New Religion: A Psycho-Iconographic Interpretation, in: The Art Institute of Chicago, Museum Studies, Bd. 14, Nr. 2, 1989, S. 223-237; vgl. dazu meinen Aufsatz „Warburgs ,Revenants' - psycho-ikonographisch gezähmt, in: Kritische Berichte, N . F. Jg. 18, 1990, H. 3, S. 2 7 - 3 7 .
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Klaus Herding
Kontrolle und philologischer Auslegung unterworfen wird. In Wahrheit verhält sich die Sache weit differenzierter: Kaum ein Kunsthistoriker hat sich so intensiv mit psychischen Kräften bildender Kunst auseinandergesetzt wie Erwin Panofsky, aber kaum einer hat diese Dimensionen zugleich so vehement abgewehrt. Beides, Zuwendung und Abwehr, soll im folgenden rekonstruiert und am Ende über Panofsky hinausgeführt werden. Freilich hat dieser Versuch vorläufigen Charakter schon deshalb, weil die Namen, die sich in den psychologischen Abschnitten von Panofskys Schriften und Briefen finden - William und Henry James, Sigmund Freud, Carl Gustav Jung, Theodor Lipps, Wilhelm Worringer, Ernest Jones, Alfred Winterstein, Ludwig Binswanger und Ernst Hans Gombrich - nur einen Bruchteil des tatsächlich Verarbeiteten ausmachen und wir bisher nur eine Auswahl der Briefe kennen. 4 Auch sind die Begriffe, die Panofsky anwendet, problematisch, was wiederum daher rührt, daß jedenfalls in der Weimarer Republik nicht einheitlich von Psychoanalyse gesprochen wurde, auch nicht von Tiefenpsychologie, sondern von „moderner Psychologie". Doch zum ersten Teil meiner These (kaum ein Kunsthistoriker habe sich so intensiv mit psychischen Kräften bildender Kunst auseinandergesetzt). 1915, in „Dürers Kunsttheorie", fällt zuerst die Fülle emotionsspezifischer Beobachtungen auf. Von Dürers Bitterkeit, von seiner Verachtung des menschlichen Urteils ist in einem fast vorwissenschaftlichen Sinne die Rede; die „Kapitulation vor der Nicht-Rationalisierbarkeit des Wirklichen", heißt es, „bedeutete für Dürer einen Verzicht ...". 5 Psychologisch gedeutet wird auch Dürers Wort: „...daß Manicher etwas mit der Federn in eim Tag auf ein halben Bogen Papiers reißt oder mit seim Eiselein etwas in ein klein Hölzlein versticht, das würd künstlicher und besser dann eins Andern großes Werk, daran derselb ein ganz Jahr mit höchstem Fleiß macht." Darin steckt eine ganze Genietheorie. 6 Doch Panofsky schließt daraus nicht primär auf den Künstler als vielmehr - und das ist wohl der produktivere Zugang - auf das Werk oder (in diesem Falle) auf die werkbezogene Kunstlehre Dürers. Auf den ersten Blick verwandt wirkt es, wenn in „Renaissance and Renascences" 1960 von der „Entstehung des gefühlsbezogenen Subjektivismus" im Quattrocento und der „neuen Betonung der Leidenschaft" die Rede ist, „die im Fries des
4. Von Warburg ausgehend, wird man Panofsky möglicherweise auch über die sozialpsychologisch orientierte französische Soziologie genauer verstehen können, über Emile Durkheim, Maurice Halbwachs, Marcel Mauss. Vgl. auch Marc Bloch, Mémoire collective, traditions et costumes, in: Revue de synthèse historique 1925, Heft 118-120. 5. Dürers Kunsttheorie, vornehmlich in ihrem Verhältnis zur Kunsttheorie der Italiener, Berlin 1915, S. 12, 20, 34. 6. „... darin offenbart sich der tiefere psychologische Sinn der ganzen Überlegung...". Für Panofsky heißt dies, „daß der eine aus einem häßlichen Vorwurf ein künstlicheres und besseres' Bild zu gestalten vermöge als der andere aus einem schönen, daß des einen in jahrelanger Bemühung entstandenes Gemälde schlechter werden kann als des andern kleine und rasch vollendete Federzeichnung". Ebd., S. 42 f.
Panofsky und das Problem der Psycho-Ikonologie
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Pergamonaltars und in der Laokoongruppe gipfeln sollten". 7 Aber mit der Feststellung, daß es Plinius zufolge Aristides von Theben war, der als erster „Gemüt und Gefühle des Menschen (...) ebenso wie seine Leidenschaften" ausdrückte 8 , sind die Warburgschen Probleme der pathetischen Neubelebung vergangener Stoffe fast schon abgestreift. Das Antikenzitat verbürgt nicht mehr Erneuerung, es wirkt nur noch als „Steigerungsmittel".9 Ausgespart wird die Frage, warum ein Merkur, als Mönch verkleidet, überhaupt noch dargestellt wird, wenn nicht nur, um Sicherheit durch die Einbindung antiker Götternamen zu gewinnen. Gerät aus dem Blickfeld, daß der antike Gott mit dem Verlust der Andersartigkeit auch seine Beeindrukkungsqualität und Macht einbüßt? Der Ausdruck „Disjunktionsprinzip" (d. h. Auseinandertreten von Bedeutung und Aussehen)10 läßt in der Tat kaum erkennen, was die Besteller fasziniert haben könnte; der Ausdruck bezeichnet die Einsargung der vom Aufschrei erfüllten Warburgschen Inversion. Im Kapitel über das Quattrocento ist eher beiläufig vom Pathos und der erregten Bewegung des Gewandes von Andrea del Castagnos „David" die Rede. Für Panofsky sind nur noch die Falten „erregt", so daß dieser Warburgsche Ausdruck (der eine solch äußerliche Erregung als Indikator tiefenpsychologischer Motorik verstand) im Grunde gar nicht mehr paßt. 11 Auch wird Warburg bedeutet, daß er das eigentliche Problem nicht erkannt habe - nämlich das einer im Vergleich zur Bildhauerei und Kunsttheorie verspäteten Antikenadaptation in der Malerei: „Wo Paris und Helena (...) von Philipp dem Guten und Isabella von Portugal nicht mehr zu unterscheiden waren, 12 (...) ist der Widerspruch zwischen dem Stil der Hauptfiguren und dem ihrer Umgebung so offenkundig geworden, daß etwas getan werden mußte: die Maler sahen sich selbst vor die Aufgabe gestellt, ihren Gestalten eine ebenso ungezwungene Lebenskraft zu verleihen, wie sie die Werke der zeitgenössischen Bildhauer beseelte. Warburg hat gezeigt, daß eines der wirkungsvollsten Mittel, diese Beseelung hervorzurufen, in der Betonung und oft Uberbetonung des ,bewegten Beiwerks' liegt(...) Aber es ist zu betonen, daß diese verlockenden Motive" - damit wird das Problem bereits verabschiedet - „den Malern (...) schon (...) von (...) Alberti empfohlen (...), tatsächlich erst im 6. und 7. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zu einer wirklichen Mode in der Malerei
7. Renaissance and Renascences (1960), dt. Ausg. unter dem verfälschenden Titel „Die Renaissancen der europäischen Kunst", Frankfurt 1979, S. 122. 8. „... animum et sensus hominis, quod vocant Graeci ethe, item perturbationes", ebd., S. 122. - Schon S. 34 hatte Panofsky Vasaris Urteil über Masaccio, er habe als erster die Gemütsbewegungen dargestellt, hervorgehoben. 9. Ebd., S. 50. 10. Ebd., S. 90. - Zu der hier angesprochenen Darstellung - Merkur in Verzückung, in: Abu Ma'sar, Liberastrologiae(angeblichvon GeorgiusZothoriZapariFenduli, um 1403), fol. 4 8 - v g l . Panofsky, ebd., Abb. 90. 11. Ebd., S. 180. 12. Ebd., S. 136.
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Klaus Herding
wurden."13 Fast kompensatorisch werden Ausdrucksqualitäten eines bestimmten Malers, und zwar zunächst seiner Person, aufgerufen: „Dieser Maler war der köstliche und exzentrische Piero di Cosimo, der, obwohl ein ,sehr braver und eifriger Mann', an seinem Totenbett keinen Priester empfing, Arzte und Pflegerinnen nicht weniger haßte als singende Mönche, aber gern einem richtigen Platzregen lauschte, der ,verrückt vor Liebe' zu Tieren und voller Bewunderung für alles war, was die Natur ,aus Laune oder durch Zufall' geschaffen hat". 14 Und über der quattrocentesken Erkenntnis, „daß Pan tot ist" 15 , daß, entgegen mittelalterlichen Renovationshoffnungen, keine Rede von einer kontinuierlichen Fortdauer der Antike sein kann, läßt Panofsky die Warburgsche Frage nach den paradoxen Gründen für das Festhalten an magischem Antikenglauben beiseite. Aufschlußreich ist der Passus über Prudentius' „Psychomachia". In früheren Schriften16 hatte Panofsky diesen Seelenkampf noch wie einen persönlichen Konflikt geschildert. 1960 heißt es, hier sei „der Kampf zwischen den Tugenden und Lastern nach Art römischer Seeschlachten dargestellt" und „die Verschwendung in der Gestalt der Venus" gegeben, von Scherz und Amor begleitet.17 Diese Veräußerung der „Psychomachia", die nur noch wie ein brauchbares Nachschlagewerk erscheint, diese Unerschütterlichkeit gegenüber allem Erschütternden, ist für das Spätwerk kennzeichnend und hat auf die Panofsky-Nachfolge in Deutschland zurückgewirkt.18 Dennoch ist das Interesse an psychologischen Fragen auch dem Panofsky von 1960 nicht fremd.19 Zunächst fällt im Buch über die Renaissance und die Erneuerungsbewegungen in der europäischen Kunst die gar nicht neuplatonische Einführung des Neuplatonismus auf. Panofsky argumentiert selbst gegen jene
13. E b d . , S. 181 f. 14. E b d . , S. 185. 15. E b d . , S. 116. 16. Vor allem in „Dürers Stellung zur Antike", Wien 1922. In dieser Schrift wird übrigens die Identifizierung Panofskys mit Dürer am deutlichsten. Dürer ist ihm auch Vorbild hinsichtlich der „typenbildenden
Kraft der antiken Kunst",
die er als „zugleich allgemeinverbindlich
und
wirklichkeitsgesättigt" begreift - offenbar eine A r t Lebenshilfe : Worringer habe eben diese Qualität der Allgemeinverbindlichkeit verkannt (vgl. die Polemik ebd., S. 24, A n m . 95). 17. Renaissance
and Renascences
(s. A n m . 7), dt. Ausg. S. 63; vgl. auch S. 9 7 f .
18. Vgl. dagegen Adolf Katzenellenbogen, Die Psychomachie
in der Kunst des Mittelalters,
Hamburg
1933. - Panofskys Ideal ist nun erklärtermaßen, „daß es nötig sei, die Einheit von klarem Gedanken und literarischem Ausdruck, Vernunft und Beredsamkeit, ratio und oratio zu bewahren" (ebd., S. 78). - Panofsky begreift z. B. „convenienza" als Konvention, aber er wertet sie als Harmonie (z. B. S. 38), ohne etwa zu dem Urteil vorzudringen, daß Harmonie (als verkündete Harmonie) auch eine subtile Form der Unterdrückung
sein kann. Überhaupt:
er problematisiert oder kritisiert
vorgefundene Auffassungen kaum; Ideologiekritik ist seine Sache nicht. 19. A m Ende des Buches werden gelehrsame Erörterungen plötzlich vertauscht mit Gefühlsbegriffen, die unterschiedliche Antikenrezeptionen definieren sollen: Französische Lässigkeit wird gegen die
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idealistische Grundhaltung, mit der er sich sonst identifiziert: Für Marsilio Ficino ist Plato zugleich Moses und Orpheus, Hermes Trismegistos und Zarathustra, der neuplatonische Kosmos ein „göttliches Tier". 2 0 Mit anderen Worten: Die Philosophie des Lichts hat für ihn durchaus auch dunkle Seiten. Nicht zufällig wird der Erfolg dieser Philosophie mit dem der Psychoanalyse verglichen. Das Bindeglied ist offenbar nicht nur die Anerkennung und Bearbeitung des Irrationalen, sondern auch der umfassende Charakter dieser so unterschiedlichen Wissenschaften. So bleibt eine scheue Faszination durch die Psychoanalyse erhalten; sie berührt sich mit der Kunstgeschichte, so wie Panofsky sie definiert21, darin, daß sie Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften zusammenführt. Darum greifen wir hier, fast reiner als in den beiden Buchpublikationen zur Melancholie, das Interesse an dem „Begriff eines saturnischen ,Genius'(...), der einen einsamen und gefährlichen Weg auf hohem Grat über der Menge verfolgt und von den gewöhnlichen Sterblichen durch seine Fähigkeit getrennt ist, unter göttlicher Inspiration schöpferisch' zu sein." 22 Im übrigen bewegen Panofsky in diesem Buch Probleme, die man heute der Psychohistorie zurechnet. So stellt er sich etwa die Frage, ob Piero di Cosimo „in (...) Naivität (...) zurück(fällt) oder die Respektlosigkeit eines Daumier (...) vorweg(nimmt)", wenn er „Bacchus als breit grinsenden Burschen vom Land
schwermütige Unruhe der Deutschen und die sehnsüchtige Vision der Italiener gehalten (ebd., S. 215). - Oft allerdings meint man eher Spott zu spüren über Ausdruckspotential, offenbar immer dann, wenn das Niveau der Antikenzuwendung darunter leidet; so ist die Rede von „Hroswitha von Gandersheims rührenden Versuchen ..." oder den „noch persönlicheren Ergüssen eines Mannes wie Rather von Lobbes..." (S. 65). Daß das Quattrocento den „Gefühlsgehalt der antiken Mythologie ... wiederbelebt" (S. 103), wird sachlich berichtet, aber auch nicht mehr. 20. Renaissance and. Renascences (s. Anm. 7), dt. Ausg. S. 189f. 21. Im Epilog zu „Meaning in the Visual Arts" (Cambridge/Mass. 1955, S. 324 f., 328) heißt es, daß die amerikanische, durch Immigranten aufgeforstete Kunstgeschichte sich nähre aus klassischer Philologie, Theologie, Philosophie und klassischer Archäologie, und es wird kein Zweifel daran gelassen, daß dies - durchgeführt mit einer eigentümlichen „mixture of enthusiasm and detachment" das eigene Ideal verkörpert. - Auch erwähnt Panofsky hier zwei Lehrer, einen, der in subtilster Weise auf jedes Komma achtete, und einen, den er als witzigen erasmischen Geist bezeichnet. Beide achtete Panofsky gleich hoch, und beide Qualitäten sah er offenbar in sich selbst vereinigt, wohl mit Recht. Denn wenn er auf ein Manuskript, eine Publikation reagierte, so fast immer auf diesen beiden Ebenen, auf der streng philologischen und auf der anspielungsreichen, humanistisch-erasmischen. 22. Renaissance and. Renascences (s. Anm. 7), dt. Ausg. S. 194 f. - Aber die Folgerung, daß etwa Marsilio Ficino „der weltlichen Kunst Gefühlsbereiche öffnete, die bisher der religiösen Verehrung vorbehalten waren", überläßt Panofsky ausdrücklich Gombrich (Botticelli's Mythologies, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes VIII, 1945, S. 7-59, hier S. 43). - Mehr scheint ihn die praktische Durchsetzung des Neuplatonismus zu interessieren, etwa in einer Büste (Renaissance and Renascences [s. Anm. 7], dt. Ausg. Abb. 143), die in einem Medaillon Piatos Vergleich der Seele mit einem Paar geflügelter Pferde wiedergibt, von denen eines störrisch, eines willig ist.
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darstellt und Ariadne als ein etwas einfältiges Mädchen, das den Kranz ihres Liebhabers mit schüchtern gerecktem Zeigefinger untersucht". 23 Ferner kommt es zu Ausblicken auf William James 24 , dessen berühmtes Handbuch „The Principles of Psychology" von 1890 25 auch die Protosurrealisten um 1907 angeregt hatte. Und Henry James, Williams Bruder, wird nicht nur als Verfasser der Novelle „The Ivory Tower", sondern auch als Begründer des psychologischen Romans eingeführt.26 Das Buch über „Dürers Kunsttheorie" von 1915 und das über „Renaissance and Renascences" von 1960 bezeichnen die Eckpfeiler, zwischen denen sich Zugriff und Abwehr, in jedem Falle die fortwährende Auseinandersetzung Panofskys mit psychologischen Fragen entfaltet. Doch wird dieses Interesse erst deutlich, wenn wir die Gegenkräfte bedenken. Das entscheidende Hindernis einer konsequenteren Hinwendung zu (tiefen)psychologischen Problemen war ohne Zweifel der gerade auch bei Ernst Cassirer vorherrschende Neukantianismus, dessen antipsychologische Einstellung aus dem Wunsch nach einem von zufälliger Empirie gereinigten Erkenntnisprozeß rührte 27 - Cassirer, der ja seine „Begriffsform im mythischen Denken" als erstes Heft der Bibliothek Warburg veröffentlicht hat. Bereits in der Dissertationsschrift von 1914 wird die Suche nach Schönheit als eine intellektuale, im kantschen Sinne kritische Fähigkeit gefaßt. „Damit aber ist der
23. Renaissance and Renascences (s. Anm. 7), dt. Ausg. S. 187. - Damit wird Grundsätzliches angeschnitten: Was bedeutet Naivität, was Persiflage? Unter Naivität verstehe ich die überfordernde Übernahme von Standards, die entweder nicht mit Leben erfüllt oder nicht verarbeitet werden können, und zwar bei gleichzeitiger Fortdauer früherer oder niederer Vorbilder - so, wie die von Panofsky zitierten flämischen Buchmaler die Kenntnis des antiken Mythos mit völliger Unkenntnis antiker Konvenienz verknüpften. Bei einer Satire aber wäre eine auf das Vorbild oder auf die Zeitgenossen (oder beides) abzielende streitbare Absicht vorauszusetzen. Ich halte es für denkbar, daß bei Piero sowohl Naivität im Sinne einer ungereimten Kontamination von Vorbildern als auch eine Persiflage des Umgangs mit antiken Mythen vorliegt, eine Tendenz gegen pure Antikenverehrung oder gegen eine Stilisierung antiker Mythen auf arkanen Höhen. 24. Ebd., S. 50. - Wahrscheinlich lag Panofsky der experimentelle Pragmatismus von William James. 25. Nachdruck Cambridge/Mass. 1983. 26. Renaissance and, Renascences (s. Anm. 7), dt. Ausg. S. 200. 27. Einem Gespräch mit Jörg Zimmermann verdanke ich Anregungen zu diesem Punkt. Im Grunde hat nur Ernst H. Gombrich, durch seine Wiener Herkunft geprägt und von philosophischem Purismus nicht angekränkelt, dieser Versuchung widerstanden. Allerdings - eine Verknüpfung von Tiefenpsychologie und Kunst ist es nicht, was Gombrich betreibt; eher könnte man seinen Ansatz als wahrnehmungspsychologisch einstufen. Was Cassirer betrifft, so ist in unserem Zusammenhang wichtiger als sein dreibändiges Hauptwerk, die „Philosophie der symbolischen Formen" (1923-29), die darauf vorbereitende Schrift „Die Begriffsform im mythischen Denken", die 1922 als erster Band der „Studien der Bibliothek Warburg" erschien. Man glaubt Warburg zu lesen, wenn Cassirer nach Begriffen sucht, die „einer tieferen Schicht des mythischen Denkens angehören" (S. 20), wenn er „der totemistischen Struktur des Raumbewußtseins die astrologische Struktur des Raumbewußtseins unmittelbar an die Seite"
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deutsche Denker" - gemeint ist Dürer - „der einzige seiner Epoche, der das Problem der Schönheit in einer Weise betrachtet hat, die wir kritisch nennen dürfen." 2 8 Während Leonardo zum „unkritischen Skeptiker" desavouiert wird, habe „Dürers wahrhaft kritische Art zu denken", ihn dazu befähigt, Kunst „nicht in der Phantasie eines Einzelnen ( . . . ) begründet" zu sehen, 29 sondern „über die bloß phantasiemäßige (,eigne') Vorstellung von der Natur" hinauszugelangen. 30 Neben Cassirer wird übrigens auch der Zürcher Exilkantianer Daniel Henry erwähnt (von dem Panofsky kaum ahnen konnte, daß es Picassos Entdecker Henry Kahnweiler war). So ergibt sich in den 20er Jahren ein zwiespältiges Bild. In „Dürers Stellung zur Antike" (1922) stehen Fragen des Körperausdrucks obenan: „Aber wie das italienische Quattrocento die , tragische Unruhe' der Antike früher und lebendiger erfaßte als ihre ,klassische Ruhe'", 3 1 „so ist auch der junge Dürer, bevor ihn die Schönheit des belvederischen Apollo begeisterte, von der Leidenschaft wilder Todes- und Entführungsszenen ergriffen". Als Beispiel dient der „Raub der Europa". 3 2 „Früher und lebendiger" - das ist bereits eine wesentliche Korrektur von Warburgs Aussage, wonach „die klassisch-veredelte, antike Götterwelt" überhaupt erst eine „Neuschöpfung der gelehrten humanistischen Kultur" ist. 3 3 Als wolle er zu einer Bändigung Warburgs aufrufen, fährt Panofsky fort: „Selbst die wildeste
28.
29. 30. 31. 32.
33.
setzt (S. 24 f.) oder wenn er äußert: „Alle Magie wurzelt in der Voraussetzung, daß, wie die Ähnlichkeit der Dinge, so auch ihr bloßes Beieinandersein, ihre räumliche Berührung, geheimnisvolle Kräfte in sich birgt" (S. 42). Zugleich aber, und dies ist für das Verhältnis zwischen Warburg und Panofsky von Belang, kommt es zu einer kantianischen Widerlegung oder Zurückweisung des astrologischen Denkens, da dort nichts „zur eigentlichen Selbständigkeit seines Begriffs" gelange (S. 36; S. 41 f. explizite Berufung auf Kant). Nach wie vor aber ist Warburgs Zusammenschau von Mathematik und Dämonenfurcht Grundlage des eigenen Denkens (S. 46); auch die enge Verbindung zu der (noch unpublizierten) Melancholie-Arbeit von Panofsky und Saxl wird deutlich (S. 30, 44). Inhalt und Erscheinungsort belegen eindrucksvoll die enge Zusammenarbeit im Warburg-Kreis. Die theoretische Kunstlehre Albrecht Dürers (Dürers Ästhetik). Diss. Freiburg [bei Wilhelm Vöge], Berlin 1914, 61 S., hier S. 17 (beide Zitate). Erwin Panofsky, am 30. März 1892 in Hannover geboren, legte 1910 die Reifeprüfung in Berlin und im Sommer 1914, also mit 22 Jahren, in Freiburg die Doktorprüfung ab. In der Ausgabe von 1915 (in der die Seiten 122-181 mit der Fassung von 1914 identisch sind) findet sich die Angabe, daß dieser Arbeit 1913 der Preis der Grimm-Stiftung zuerkannt wurde. Ebd., S. 24. Ebd., S. 58. Unter Hinweis auf Warburg: Kunstchronik XXV, 1914, S. 491; Hervorhebung des Textes von Panofsky von mir. Dürers Stellung zur Antike, Wien 1922, S. 2. - Zur Zeichnung „Der Raub Europas; Apollo; Alchemist; Drei Löwenköpfe", um 1495,Wien, Albertina, L. 456, vgl. Erwin Panofsky, Das Lehen und die Kunst Albrecht Dürers (1943), dt. Ausg. München 1977, Abb. 57. Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (1920), in: Gesammelte Schriften, Bd. 2, Nachdruck Nendeln 1969, S. 487-558, hier S. 491.
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Raserei der Mänaden (...) bleibt in den Grenzen des Natürlichen, die gleichzeitig die Grenzen (...) der Schönheit sind. Man mag, mit Recht, die Polarität der griechischen Seele betonen und der Winckelmannschen Formel von der ,edlen Einfalt und stillen Größe' das Nietzschewort vom Kampf des Dionysischen wider das Apollinische entgegensetzen: In der antiken Kunst treten diese beiden Prinzipien nicht feindlich oder auch nur gesondert einander gegenüber, sondern sie sind (...) zur Einheit verbunden: (...) das Apollinische (ist) der Anlage nach schon dionysisch und das Dionysische der Grundlage nach noch apollinisch" .34 Was Panofsky sucht, ist also ein Ausgleich der Gegensätze. Ihn findet er in der Renaissance allenthalben: „Die ganze Renaissancemalerei bedeutet einen Ausgleich zweier (...) feindlicher Tendenzen". 3 5 Dem gegenüber schränkt er „das Psychologische" (wie er schreibt) auf Phänomene ein, in denen er keinen Ausgleich entdeckt. Aber auch hier wird die visuelle Ausdruckskraft aus literarischen Quellen bezogen: Dürers „Sol iustitiae" sei aus Petrus Berchorius 36 mit kühner Wortgenauigkeit übertragen: „Das ,inflammatus' gab er (Dürer) durch die gleichen Augenflammen wieder, die schon den Apokalypsevers ,und seine Augen wie eine Feuerflamme' veranschaulicht hatten (...), die Ortsbestimmung ,in leone' wird als ein Sitzen auf dem Löwen ausgedeutet, und um den Christus-Sol als einen ,homo ferus ac leoninus' zu kennzeichnen, verlieh er ihm jenen gleichzeitig zornigen und schreckhaften Ausdruck, der sein Gesicht in einer fast grauenerregenden Weise der schmerzlich-wilden Physiognomie des - seinerseits anthropomorphen - Tiers angleicht: es ist (...) die Signatur des ,lewischen Menschen'." Darin erblickt Panofsky eine „Wendung des sonst (...) rein physiologisch gefaßten Gedankens von der Entsprechung zwischen manchen Menschen und bestimmten Tieren ins Psychologische". 3 7 U m die Kunstform geht es weniger; man begreift von hier aus Panofskys „Epitaph", in dem er sich nicht als Liebhaber von Kunstwerken, sondern von Wörtern bezeichnet. 38 An einer anderen Stelle wird von der Literatur, 34. Dürers Stellung... (s. Anm. 32), S. 25. 35. Ebd., S. 32. Die Rede vom „Ausgleich" ist Zeittendenz, verweist aber auch auf eine A r t „Lebensziel". Das Vehikel ist die offenkundige Identifikation mit Dürer, der bereits in „Dürers Kunsttheorie" 1915 als Ausgleichskünstler apostrophiert wird: Dürer, heißt es dort, sucht eine Synthese zwischen Natur und Gesetz, zwischen Mannigfaltigkeit und Idealform; er versucht, diesen Gegensatz zu überwinden. Dürer allein sieht das Problem und die Notwendigkeit einer solchen Vereinigung der Gegensätze (S. 32). Und im Schlußabschnitt wird nochmals Dürers Absicht bekundet, den „Gegensatz zwischen Natur und Gesetz zu überbrücken" (S. 61). 36. Repertorium morale (neu erschienen bei Dürers Pate Koberger 1498/99). 37. Dürers Stellung ... (s. Anm. 32); S. 22, Anm. 82; Hervorhebungen von Panofsky. - Zum Kupferstich „Sol Iustitiae" ( 1 4 9 8 - 9 9 , B. 79) vgl. auch Panofsky, Das Leben und die Kunst...{%. Anm. 32), Abb. 101. 38. Brief an Heckscher v. 2 . 1 2 . 1 9 5 0 : „He hated babies, gardening, and birds,/ and loved some adults, all dogs, and words" (Archives of American Art, The Getty Center for the History of A r t and the Humanities, Santa Monica/Cal.).
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nicht aber von der bildenden Kunst behauptet, daß sie „ihrem Wesen nach dazu neig(e), das Seelische im Menschen als Selbstwert zu betrachten und darzustellen". 39 Einen Schlüssel für das fortwährende Interesse am Irrationalen, Dämonischen, an tiefenpsychologischen Sachverhalten, soweit sie anschaulich werden, enthält das Melancholie-Buch. Für unsere Absicht ist vor allem die erste, 1923 erschienene Ausgabe von Panofsky und Saxl entscheidend, zu der Panofsky selbst tiefen- und wahrnehmungspsychologische Beobachtungen beigetragen hat. 40 So wird aus Aristoteles die einzige Stelle zitiert, die Panofsky „psychologisch" nennt: „wenn sie (die Saturnkinder) sich nicht in acht nehmen, (...) verfallen sie leicht den melancholischen Erkrankungen, sie werden heimgesucht von Epilepsie, von gewaltigen Depressionen, von Furchtanfällen, und umgekehrt von Anwandlungen der Tollkühnheit". 41 In der gesamten Abhandlung werden Seelenkräfte beschworen; unter diesem Aspekt könnte man die Untersuchung als psychohistorisch und zugleich, mit dem von Panofsky wiederverwendeten Fachausdruck, als „iatromathematisch" 42 bezeichnen. Tatsächlich näherte sich Panofsky der Renaissance insgesamt unter zutiefst psychologischer Perspektive. Nun „war auch psychologisch (...) der Augenblick gekommen", heißt es etwa, „in dem die hohe Auffassung vom Wesen des Saturn aufs neue Wurzel fassen (...) konnte". 43 Bemerkt wird, „daß Petrarca sich melancholisch fühlte, ehe er sich melancholisch nannte" , 44 und „daß gerade diese Doppelempfindung von Unglücklichsein und Genialsein, dieses dauernde Wandeln am Rande des Abgrunds, den Selbstgenuß erhöhte: ,1a mia allegrezz' è la malinconia'", wird Michelangelo zitiert. 45 (In der späteren Bearbeitung ergänzt um
39.
40. 41.
42. 43. 44. 45.
Eine Fixierung an Schriftquellen und Sprachfragen wird früh ersichtlich (vgl. etwa in „Dürers Kunsttheorie" den Passus über Dürers Irrealis, S. 11), desgleichen die Eigentümlichkeit, sehr lange und verschlungene, vielfach durch Klammern und Parenthesen unterbrochene Perioden zu bilden. In der Dissertation bildet S. 9 ein 20zeiliger Absatz eine einzige Satzperiode; S. 31 ein 14zeiliger Satz mit langer Parenthese; S. 58/59 ein 16zeiliger Satz mit drei Klammereinschüben; S. 60 zieht sich ein Satz über 23 Zeilen hin. So in der späteren Bearbeitung (Raymond Klibansky, Erwin Panofsky, Fritz Saxl, Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, dt. Frankfurt 1990 [640 Seiten und 1348 Anmerkungen!], S. 320). Erwin Panofsky/Fritz Saxl, Dürers ,Melencolia Γ. Eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung, Leipzig/Berlin 1923 (160 S. und 68 Abb., ab S. 77 Anhänge). Ebd., S. 18. Auch aus Ficino wird der Passus herangezogen, wonach Saturn „selten gewöhnliche Charaktere und Schicksale bezeichnet, sondern Menschen, die von den anderen verschieden sind, göttliche und tierische, glückselige oder vom tiefsten Elend darniedergebeugte" (ebd.). Ebd., S. 54. Panofsky/Saxl (s. Anm. 40) , S. 30. Ebd., S. 31. Ebd., S. 31 f. - Wir greifen damit wohl ein Stück Identifikation; heißt es doch in einem Brief an Heckscher: „Beata solitudo, sola beatitudo." Ein verwandtes Phänomen habe ich am Beispiel
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Hugos Zeile: „La mélancolie, c'est le bonheur d'être triste"46). Und in „Studies in Iconology" (Erstfassung 1939) werden Stilprinzipien und neoplatonische Lehre aus der Isolierung Michelangelos erklärt, eines Mannes, „der vor Berührung mit seinen Mitmenschen zurückschreckte und dessen Neigung zu Menschen seines eigenen Geschlechts stark genug war, um die normalen Formen von Liebe aufzuheben, doch nicht stark genug, sie zu ersetzen." Das Entscheidende ist, daß selbst hier nicht die Person, sondern das Werk bedacht wird; so notiert Panofsky denn auch, daß die .„Bewegung ohne Fortbewegung', die so charakteristisch für Michelangelos Stil ist, ... den Psychoanalytikern zufolge ... bei normalen Personen zu Agoraphobie führen kann, weil jeder Impuls, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen, von einer Reaktion im entgegengesetzten Sinne aufgehalten wird"47 - eine Theorie von psychisch bedingter Kraft und Gegenkraft, die, wie Horst Bredekamp (in diesem Band S. 43f.) gezeigt hat, ausbaufähig ist. Für Marsilio Ficino stellte es eine hohe Sublimationsleistung dar, Saturn als oberstes Gestirn anzunehmen, d. h. sich zu seiner eigenen melancholischen Disposition zu bekennen. Gleichwohl hat Ficino „die Bitterkeit der Melancholie und die Bösartigkeit des Saturn zu sehr am eigenen Leibe erfahren", um es dabei bewenden zu lassen.48 Die Depression schlägt durch. Auch Dürers Stich „Melencolia I" (1514) verrät die „tiefe Depression" der Hauptfigur trotz aller Schöpferkraft.49 Andere Motive des Stichs hätte der Künstler ebenfalls „im Sinne dieser neuen stimmungsmäßigen Empfindung umgedeutet",50 etwa die saturnische „facies nigra", die er in ein beschattetes Gesicht umwandelt, oder den Hund, der in einen „hoffnungslos traurigen Dämmerzustand" versetzt ist. „Und wenn das Tier gewissermaßen an der psychischen Stimmung der Hauptfigur Anteil hat, so das Kind an ihrer intellektuellen Tätigkeit".51 Dürers Größe wird darin gesehen, „daß er es verstanden hat, die scheinbar nicht zu vereinenden psychologischen Gegensätze dennoch zu einer künstlerischen Einheit zusammenzuschließen".52 Schließlich
Delacroix' untersucht: Kunst aus hochgemuter Düsternis. Über Delacroix' Paradoxien, in: Städel-Jahrbuch, N . F. 12,1989, S. 2 5 9 - 2 7 8 . - Das „Psychologische" erscheint an dieser Stelle sogar als die raison d'être aller quellenkritischen Bemühungen um die Renaissance: „Es ist nun ungewöhnlich aufschlußreich, zu sehen, wie auf dieser individuell-psychologischen Grundlage Ficinos Anschauung vom Wesen des Saturn und der Melancholie erwächst" (Panofsky/Saxl [s. Anm. 40], S. 32). 46. Klibansky/Panofsky/Saxl (s. Anm. 39), S. 13 (aus: Les travailleurs de la mer). 47. Studies in Iconology (1939), dt. Ausg. unter dem Titel: Studien zur Ikonologie, Köln 1980, S. 256 und 292, Anm. 18. 48. Panofsky/Saxl (s. Anm. 40), S. 37. 49. Ebd., S. 50. 50. Ebd., S. 58. 51. Ebd., S. 69f. 52. Heinrich von Gent, heißt es weiter, habe Dürer „ins Transzendental-Psychologische hinausgeführt ... [und] tief hinein in das, was wir als den Sinn des Dürerschen Stiches empfinden dürfen: das
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Psycho-Ikonologie
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plädiert Panofsky dafür, „darin auch Dürers Züge wiederzuerkennen", denn dieser selbst habe „unter gewaltigen Depressionen" gelitten - oder genauer: „unter den ,gewaltigen Depressionen^...), die das Melancholieproblem des Aristoteles beschreibt" , 53 Ein bezeichnender Zusatz, denn damit wird der tiefenpsychologische
Aspekt der Autorität des antiken Philosophen
anvertraut.
Wenig später muß die wirre psychoanalytische Deutung des Dürerstichs von Alfred Winterstein 54 Panofsky von weiteren Ausflügen in dieses Gebiet abgeschreckt haben. Da ihn Wintersteins Opus noch mehr als fünfundzwanzig Jahre später in einem Brief an Alfred Neumeyer bekümmerte 55 , hier einige Stichworte dazu. Der Text projiziert Lehrsätze. einer noch ganz auf sexuelle Symptome fixierten Psychoanalyse auf Dürer: Die Hauptfigur zeige eine Vereinigung männlicher und weiblicher Geschlechtsmerkmale; unbewußt gestaltender Faktor sei der Kastrationskomplex gewesen. 56 Die Leiter verweise auf den Geschlechtsakt; Wasser und Fledermaus zeugten von einer Geburtsphantasie. 57 Der Hund sei Vaterersatz 58 - was Winterstein nicht hindert, das Blatt als Trauerarbeit sowohl für den 1502 verstorbenen Vater als auch für die 1514 verstorbene Mutter Dürers zu deuten. Vielleicht ist es Wintersteins Fehlleistung zuzuschreiben, daß die große Buchfassung der „Melancholie" von 1964 59 in der Deutung der Ausdrucksqualitäten noch zurückhaltender ist als die bescheidene Erstfassung von 1923. Die Erörterung „psychologischer Einflüsse" 60 bleibt nun im Banne der Medizin oder der von Klibansky besorgten literarischen Quellen. 61 Indessen setzt auch diese Neubearbeitung des Melancholiestoffes tiefenpsychologisch ein; 62 „Angstzustände, tiefe Depression und Lebensüberdruß" werden nun
53. 54.
55. 56. 57. 58. 59. 60. 61.
62.
tragische Geschick eines Menschengeistes, der sich ... in Schranken eingeschlossen sieht, die er nicht überfliegen kann und die er dennoch überfliegen möchte, - schwermütig grübelnd in dem Gefühl einer unheilbaren inneren Insuffizienz" (ebd., S. 71 ff; Hervorhebungen von Panofsky). Ebd. Alfred Winterstein, Dürers „Melancholie" im Lichte der Psychoanalyse, Leipzig/Wien/Zürich 1929 (= Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Natur- und Geisteswissenschaften, hg. von Sigmund Freud, Bd. XV, 1929). Brief vom 14. November 1955 (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum). Winterstein (s. Anm. 54), S. 49, 51. Ebd., S. 59. Ebd., S. 48, 52. Klibansky/Panofsky/Saxl (s. Anm. 39). So z. B. S. 84. Vor allem textkritisch wird ein neuer Standard gesetzt, z.B. mit der Neuexegese des Problems X X X , 1 von Aristoteles bzw. Theophrast und der Einbeziehung der Urschrift der „Philosophia occulta" von Agrippa von Nettesheim. Dadurch erscheint auch der Teil über Dürer von einer Klarheit, die selbst über die Dürer-Monographie weit hinausgeht. Daß Melancholie noch in einem medizinischen Wörterbuch von 1876 ähnlich wie bei Theophrast als „andauerndes Gefühl von Angst, Entmutigung und Niedergeschlagenheit" bezeichnet wird, bildet einen der Ausgangspunkte; Klibansky/Panofsky/Saxl (s. Anm. 39), S. 14.
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im Kontext von Ludwig Binswangers Melancholiekritik erörtert. (Binswanger war der Arzt, der Warburg in Kreuzlingen betreut hatte).63 Der Übergang zur mittelalterlichen Psychopathologie unter Rückgriff auf die Spätantike, der Selbstmorddrang, den schon Stagirius, die Verzweiflungsanfälle, die bereits Chrysostomus hervorhebt, werden benannt, die Humoralpathologie 64 des Avicenna nicht minder als Offhuys' süffisante Analyse der Depressionen des Hugo van der Goes 65 oder Melanchthons Antizipation des melancholischen Humoristen. 66 Sogar vom „Ich-Bewußtsein" des Melancholikers als „Korrelat des Todes-Bewußtseins" ist die Rede - unverkennbar Freudsche Begriffe. 67 Aber die „psycho-physischen Konstitutionstypen" 68 werden nicht nach ihrer Ausdrucksform befragt. Der Verzicht, auf anschauliche Ausdruckswerte näher einzugehen, kann kaum mit Kompetenzschranken begründet werden; denn die Legitimation der Kunstgeschichte hierfür stand für Panofsky ebenso wie für Warburg und Saxl außer Frage. Die Melancholie, die im 15. Jahrhundert wirr und mit zerzaustem Haar auftritt, eröffnet ja gerade dadurch, daß sie der Vernunft gegenübergestellt wird, die Affekterfahrung neu. Melancolía steht hier offenbar ganz allgemein für Emotionen, die enthemmt über sich selbst hinaustreiben, während Ragione eine in sich befangene Enthaltsamkeit verkörpert, die zur Lustlosigkeit neigt. Die Lehre daraus ist eindeutig: Erst beide zusammen verkörpern den gesunden Seelenhaushalt.69 Hier wie etwa bei
63. Ebd.,S. 37,ähnlich S. 5 4 . - V o n Empedokles' Versuch, eine „psychophysiologische Charakterlehre aufzustellen", ist die Rede (ebd., S. 43), von der übermäßigen „Irritabilität" des melancholischen Charakters ebenso wie von der Großzügigkeit, die Aristoteles und Archigenes dem Melancholiker attestieren (ebd., S. 83, 88, 100). 64. S. 167 wird nochmals „das Grundprinzip der humoralen Temperamentenlehre" erläutert, „die Vorstellung, daß das Vorwalten des einen oder anderen Grundsaftes die charakteristischen Eigenschaften der unterschiedlichen Menschentypen bestimme...". 65. Ebd., S. 143 ff., 151. 66. Ebd., S. 155-Antizipation, da Schmerz und Lust zusammen erst im Barock gezeigt werden können (S. 341); erst da werden „zugleich Genuß und Wehmut" (343) vorstellbar. 67. Ebd., S. 339. - Ein subdominantes Interesse an Tiefenpsychologie zeigt sich nicht zuletzt im Blick auf Dürer, über den sich Panofsky immer wieder in Ausdrücken äußert wie: „Er besaß die Kühnheit, das zeitlose Wissen und Wirken einer freien Kunst in den Bereich menschlichen Strebens und Versagens herabzuziehen, aber auch die animalische Dumpfheit eines .traurig, erdhaften' Temperaments in die Sphäre eines Ringens um geistige Probleme emporzuheben" (ebd., S. 448 f.). Aber die Ausdrucksqualitäten von Darstellungen des Melancholikers oder der Melancholie werden nicht erörtert. Dabei gibt es, längst vor Cesare Ripa, visuelle Angebote, in denen die Melancholie als „bleich, mager, in ärmliche oder gar zerlumpte Gewänder gehüllt" oder „mit zerzaustem Haar, dünn und runzelig" auftritt, gekennzeichnet durch „bleierne und erdhafte Farbe" oder „hängende Lippe" (ebd., S. 326f.). 68. So S. 166. 69. Die bildende Kunst erschien ihm dafür offenbar weniger geeignet als die Literatur. So wird S. 320 von der Literatur, nicht aber von der bildenden Kunst behauptet, daß sie „ihrem Wesen nach dazu neig(e), das Seelische im Menschen als Selbstwert zu betrachten und darzustellen ..." - Ich beziehe
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Rosso gilt: Panofsky läßt viele psychologische Momente an sich herankommen, dann aber gibt es ein Objektivierungs- und Synthetisierungsbedürfnis, das Schranken setzt. Um das von Martin Warnke angeführte Beispiel von Rosso (in diesem Band S. 57) aufzugreifen: Panofsky erkennt den Farben der Kreuzabnahme eine psychologische Dimension zu, dann aber müssen sich diese Farben einer von Panofsky erdachten abgestuften Ordnung fügen, die dem tatsächlichen, aufgewühlten, Befund widerspricht - ein offenkundiger Rationalisierungsversuch. Oder: Dürers „Vier Apostel" werden durchaus in ihrer unterschiedlichen psychischen Verfassung begriffen. Aber zugleich werden sie.(unter Berufung auf den zeitgenössischen Nürnberger Schriftsteller Johann Neudörffer und dessen Rekurs auf die Temperamentenlehre) so weit festgelegt, daß Panofsky die Ausdrucksgewalt des Bildes unabhängig von diesen Traditionen kaum mehr zu erkennen vermag. Neudörffer und Panofsky zufolge ist Johannes, da „milde und freundlich" gegeben, der Sanguiniker, während Markus u. a. durch „seine grüne, ,gallige' Haut" als Choleriker gekennzeichnet ist; Paulus, „gebieterisch, abweisend streng" und von dunklem Aussehen, verkörpert den Melancholiker, Petrus „hat ein blasses, fleischiges, ermattetes Aussehen, das (...) den Phlegmatiker anzeigt". 70 Panofsky ist zwar bewußt, daß Dürer nicht etwa die vier Temperamente gemalt, sondern vier heilige Männer charakterisiert und vier Grundformen religiöser Erfahrung geschildert habe, doch über diese vier Individuen und ihre Gebärdensprache, über deren Ausdrucksgehalt und den mimetischen Verlaufsprozeß ihres Gedankenaustausche verlautet nichts. Indes wäre dadurch - also durch eine argumentative Loslösung von der traditionellen Fixierung - gerade der von Panofsky betonten Modernität Dürers Gerechtigkeit widerfahren. In diesem Diskussionsprozeß werden auch andere Qualitäten wie Schüchternheit (Johannes), Einsamkeit (Petrus), Uberredungsabsicht (Markus) und Durchsetzungswille (Paulus) angesprochen - Qualitäten, die den Ubergang von typologischer Festlegung zu einer ikonographisch offenen, von Temperamentenlehre und Heiligenvita unabhängigen, subjektiven Differenzierung zeigen. Das Konfliktpotential, das in diesen Überlegungen steckt, wird theoretisch ausgelotet in den zwischen 1915 und 1932 entstandenen Essays zu Grundfragen der Kunstwissenschaft. 71 Sie können hier, trotz ihrer überraschend vielfältigen tiefenpsychologischen Aussagen, nur stichwortartig behandelt werden. Im ersten
mich auf Alain Chartier, Melancholie und Vernunft, um 1525-30, New York, Pierpont Morgan Library, MS 438, fol. 1; vgl. Klibansky/Panofsky/Saxl (s. Anm. 39), Abb. 66. 70. Panofsky, Das Leben und die Kunst... (s. Anm. 32), S. 313. 71. Unter dem hier verfolgten Gesichtspunkt am wichtigsten: „Das Problem des Stils in der bildenden Kunst" (1915), „Der Begriff des Kunstwollens" (1920), „Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie" (1925), „Das Problem der historischen Zeit" (1927) und „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst" (1932); sämtlich abgedruckt in: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1974 2 .
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Aufsatz („Das Problem des Stils in der bildenden Kunst") 72 wehrt sich Panofsky gegen Wölfflins Loslösung des Stils von der „Psychologie einer Zeit", gegen die Definition des Auges als eines „so ganz unpsychologische(n) Instrument(s)", will zum „ausdrucksmäßig interpretierbaren Stimmungsgehalt", zur „inneren Gesinnung" gelangen.73 Aber nachdem er jede „Ausdrucksdifferenz der Darstellungsmodi" zurückgewiesen hat,74 wählt er, überraschend genug und doch ganz folgerichtig, eine Formel, die „den Begriff der Ausdrucksbedeutsamkeit ganz aus dem Spiele läßt": Die Unterscheidung zwischen Form und Gegenstand. Nur sie könne der Entleerung des Formbegriffs vorbeugen; da der Inhalt selbst Form sei, tauge die Wölfflinsche Unterscheidung zwischen Form und Inhalt nicht. In der Form realisiere sich der „Einfluß eines allmächtigen und ihm (dem Künstler) daher unbewußten Zeitwillens", der in einer, auf eine bestimmte Epoche bezogen, „grundsätzlich gleichen Verhaltensweise der Seele ... begründet" sei.75 Dem folgt der skeptische Satz: „Es ist nun gewiß nicht zu leugnen, daß ... eine wirkliche Erklärung, die in der Aufzeigung einer Kausalität bestehen müßte, wohl niemals möglich ist; sie würde eine so tiefe zeitpsychologische Einsicht... voraussetzen, daß weder die ... Ausdeutung kulturgeschichtlicher Parallelen, noch auch die mit dem Geist der verschiedenen Epochen sich gleichsam identifizierende ,Einfühlung' jemals zum Ziele führen dürfte". 76 Gegen Wölfflin zieht sich Panofsky zwar auf einen „metahistorischen und metapsychologischen Sinn" des Kunstwerks zurück.77 Aber in dem Aufsatz „Der Begriff des Kunstwollens", einem kantianischen Versuch, den Riegischen Begriff zu retten und ihn „rein kritisch",78 d. h. mit a priori gewonnenen Grundbegriffen aufzufüllen, stoßen tiefenpsychologische und philosophische Dimensionen unvermittelt aufeinander. Gerade für diesen Essay gilt unsere These: Kaum ein Kunsthistoriker hat so viele apperzeptions- und tiefenpsychologische Informationen aufgenommen und sich so intensiv mit ihnen auseinandergesetzt, aber auch kaum jemand hat so sehr dagegen polemisiert. Indem Panofsky den Begriff des Kunstwollens bei Wölfflin allzu sehr „auf das psychologisch Willensmäßige"79 zugespitzt sieht, erkennt er die tiefenpsychologische Grundkategorie des Unbewußten an - um dann wieder vor diesem Abgrund innezuhalten. 72. In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft X , 1915, S. 4 6 0 - 4 6 7 ; Aufsätze (s. Anm. 71), S. 19-27. 73. Vgl. Aufsätze (s. Anm. 71), S. 21, 19, 20 (in der Reihenfolge der Zitate). 74. Ebd., S. 23. 75. Ebd., S. 23 ff. 76. Ebd., S. 25. 77. Ebd., S. 25f. 78. Der Begriff des Kunstwollens, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft XIV, 1920, S. 3 2 1 - 3 3 9 ; Aufsätze (s. Anm. 71), S. 37. - Was Panofsky hier vorschwebt, ist eine .„transzentendal-kunstwissenschaftliche' Betrachtungsweise" (ebd., S. 38), die schon viel von der zehn Jahre später geführten Diskussion um eine „strenge Kunstwissenschaft" vorwegnimmt. 79. Ebd., S. 30.
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Doch geht es hier nicht nur um Riegl, sondern um „psychologistische" Auffassungen überhaupt, vor allem von Theodor Lipps, 80 der von dem Streben des Künstlers nach einer „sich verlierenden" inneren Betätigung und von der Genuß erzeugenden Einfühlung des Betrachters sprach.81 Panofskys Vorbehalt ist deutlich: In Beobachtungen wie denen von Lipps sieht er nur ein je gegenwärtiges „Eindruckserlebnis" bestätigt; Gegenstand solcher Beobachtungen sei „die Psyche eines heutigen Betrachters, in der sich die Neigungen des persönlichen Geschmacks mit den durch Erziehung und Zeitströmung bedingten Vorurteilen ... werden kreuzen müssen". 82 In diesem Sinne vermengten sich bei Lipps klassizistisch festgelegte Wertungen mit wahrnehmungspsychologischen Anschauungen der Gegenwart. Zugleich geht es Panofsky um die Gegenoffensive von Hans Tietze und um die Konstituierung einer „sinngeschichtlich eingestellten Kunstwissenschaft", die zwar die Kunstwerke „auf bestimmte von vornherein festgelegte Begriffe abhören" will, doch ohne sie einem „Schema" zu unterwerfen. 83 Darin steckt ein polemischer Seitenhieb gegen tiefenpsychologische Lehrsätze, wie aus einer Polemik gegen Ernest Jones hervorgeht, auf die gleich einzugehen ist. Aber zunächst zieht Panofsky gegen Wölfflin zu Felde: der Begriff „Kunstwollen" sei dem Mißverständnis ausgesetzt, nur den „Gemütszustand des Künstlers" aus seinen Werken erschließen zu wollen. 84 Dies sei aber methodisch unzulässig. Selbst die bewußt geäußerte Absicht eines Künstlers könne nur als „ein der Deutung fähiges und bedürftiges Parallelphänomen"85 begriffen werden. Warum Panofsky diese Differenz nicht nutzt, um den Widerspruch zwischen Absichtserklärung und künstlerischem Produkt auszuloten, versteht man nur, wenn man seine Einwände gegen „zeitpsychische" Projektionen nachvollzieht. Auch die Auffassung von Daniel Henry (Kahnweiler), der in den Stimmen der Zeitgenossen eine verläßliche Quelle zur Interpretation zeitpsychischer Phänomene sah, wehrt Panofsky ab, obwohl er dieser Methode im Blick auf Dürer doch selbst einen hohen Stellenwert eingeräumt
80. Gemeint ist Theodor Lipps, Ästhetik, 2 Bde., Hamburg/Leipzig 1903-6. 81. Theodor Lipps, Einfühlung und ästhetischer Genuß, in: Die Zukunft Bd. XIV, 1906, Nr. 14, S. 100-114. - Panofsky wendet sich ferner gegen die deduktive Anwendung eines Allgemeinbegriffs auf Einzelphänomene; so sei ζ. B. die Rede vom „gotischen Menschen" eine bloße Hypostase, ihr Inhalt nur zu erfahren aus dem Kunstwerk, das mit eben jenem Begriff a priori erklärt werden solle. Ferner wendet er sich dagegen, daß Wertungen aus Kunstkritik und Theorie für die Absicht des Künstlers genommen werden. 82. Der Begriff des Kunstwollens, in: Aufsätze ... 1974 (s. Anm. 71) , S. 33 f. 83. Ebd., S. 38. 84. Ebd.,S. 30 f. - Dagegen hält Panofsky, „daß die in einem Kunstwerk verwirklichten künstlerischen Absichten von den gemütszuständlichen Absichten des Künstlers ebenso streng geschieden werden müssen, wie von der Spiegelung der Kunsterscheinungen im Zeit-Bewußtsein..." (ebd., S. 34). 85. Ebd., S. 32.
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hatte. Panofskys Dilemma besteht darin, daß er gegen die von außen herangetragenen Projektionen wiederum einen psychologischen Terminus benutzt, eben den von Riegl übernommenen des „Kunstwollens", als ein(en) die eigentliche Wurzel (der Kunstwerke) bloßlegende(n) Grundbegriff, der allein ihren „immanenten Sinn enthüllt".86 Die individuelle und zugleich epochale „Sinnbefragung" soll daher durch dokumentierende Arbeit ergänzt werden; sie sei dazu „berufener als die psychologisierenden Überlegungen, die, das geschichtliche Bild nur scheinbar vertiefend, in Wahrheit Künstler und Kunst, Subjekt und Objekt, Wirklichkeit und Idee miteinander vermengen".87 Was man auch von Panofskys Aufsatz heute halten mag - A. Dorner hat postwendend dagegen polemisiert88 - im Vergleich zu seinem erkenntnistheoretischen Anspruch erscheinen die späteren Methodenbeiträge wie ein gelehrter Appendix. Wenn Panofsky bei Wölfflin lobend hervorhebt, er verzichte „immer mehr auf psychologische Erklärungsversuche", so war dieser Verzicht bei ihm jedenfalls ein Verlust. In der Untersuchung „Uber das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie" 89 (einer Entgegnung auf Dorners Reaktion) sind alle psychologischen Begriffe eliminiert. Panofsky definiert hier den Begriff des Kunstwollens als „die Summe der (in einem Kunstwerk) sich offenbarenden schöpferischen Kräfte,, des Individuums und seiner Epoche, mithin als Summe der Produktivkräfte.90 Schon in dem Artikel über "Die Entwicklung der Proportionslehre als Abbild der Stilentwicklung"91 wird ein solcher Rationalisierungsversuch unternommen. Hier heißt es, „daß die Proportionslehre das häufig nicht ganz leicht in Begriffe zu fassende ,Kunstwollen' in klarerer oder mindestens in bestimmbarerer Form zum Ausdruck bringt, als die Kunstwerke selbst".92 Den Höhepunkt der Annäherung an tiefenpsychologische Fragen stellt wohl der Essay über „Die Perspektive als symbolische Form'" dar, wo sich der junge Forscher voller Begeisterung der „Region des im höchsten Sinne Psychologischen"
86. Ebd., S. 34 f. 87. Ebd., S. 38. - Diesem Vorwurf setzen sich tiefenpsychologische Methoden gelegentlich auch heute noch aus. Michel Thévoz, Π académisme et ses fantasmes. Le réalisme imaginaire de Charles Gleyre, Paris 1980, führt hierfür konkrete Beispiele an. 88. Alexander Dorner, Die Erkenntnis des Kunstwollens durch die Kunstgeschichte, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft XVI, 1920, 216 ff. 89. Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie: ein Beitrag zu der Erörterung über die Möglichkeit kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe', in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft XVIII, 1925, S. 129-161 (Aufsätze ... [s. Anm. 71], S. 4 9 - 7 5 ) . 90. Ebd., S. 49. 91. In: Monatshefte S. 169-204). 92. Ebd., S. 169.
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Kunstwissenschaft
XIV,
1921, S. 188-219 (Aufsätze ... [s. Anm. 71],
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hingibt. 93 Aber in dem Beitrag „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst" 9 4 kommt das alte Dilemma wieder zum Vorschein. Die Stufenleiter des Erkennens steigt danach vom Phänomensinn über den Bedeutungssinn zum Wesenssinn oder auch Dokumentsinn auf. Mit dem letzten, so objektiv erscheinenden Begriff wird ganz psychologisch verfahren: Die Quelle für die Erkenntnis des Dokumentsinns soll nämlich in einem „eigenen weltanschaulichen Urverhalten des Interpreten" bestehen, d. h. in einer „absolut persönlichen Erkenntnisquelle", die ihrerseits ein „objektives Korrektiv" hervortreibt. 95 Aber kaum ist dies ausgesprochen, naht auch schon die Furcht vor dem Rationalismus dieses Gedankensystems. Bei aller persönlichen Reserve Panofskys vor der (auch) zerstörerischen Macht tiefenpsychologischer Aussagen muß man insgesamt wohl konzedieren, daß es nicht schiere Antipathie, sondern der höchst unbefriedigende Zustand der psychologischen und psychoanalytischen Forschung war, der ihn auf Distanz zu diesem Gebiet hielt. Unter dem Eindruck des amerikanischen Pragmatismus scheint sich diese Abwehr in den 50er Jahren noch verstärkt zu haben. Zwei Briefe 96 zeigen dies exemplarisch. In dem schon genannten Schreiben an Alfred Neumeyer 9 7 heißt es (im Rahmen einer von diesem erbetenen Kritik an seinem Manuskript zu „Victory Without Trumpet" 9 8 ): „... Ich meine, daß Sie, trotz Ihrer eigenen Vorbehalte, der Psychoanalyse das Tor allzu weit öffnen. Ich meine, daß die Psychoanalyse in der
93. Vorträge der Bibliothek Warburg, Leipzig/Berlin 1927, S. 228-330; abgedruckt in: Aufsätze... (s. Anm. 71), S. 99-167, hier S. 126. - Gerade diese Stelle offenbart freilich wieder die Ambivalenz der Panofskyschen Gedankenführung: Durch die Perspektive soll sich die Region des Psychologischen erschließen; sie verschließt der religiösen Kunst aber zugleich die Region des Magischen. Psychologie wird im Grunde als eine Art Profanierung und Rationalisierung der Magie eingeführt. 94. „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst", in: Logos X X I , 1932, S. 103-119 (Aufsätze ... [s. Anm. 71], S. 85-97). 95. Beschreibung und Inhaltsdeutung, ebd., S. 94. 96. Unter den Briefen, die in Hamburg eingesehen werden können, enthalten die beiden nachstehend zitierten bemerkenswerte tiefen- und wahrnehmungspsychologische Überlegungen. Es sind zugleich die einzigen Briefe, in denen sich der emigrierte Panofsky ausführlich methodischen Fragen widmet, so daß es gerechtfertigt erscheint, sie hier in extenso zu behandeln. 97. Brief vom 14. November 1955; vgl. Anm. 55. 98. Im Brief als „the Harper's article" bezeichnet. Der Aufsatz erschien in: Frontiers of Knowledge, hg. von Lynn White Jr., New York: Harper's, 1956,wieder abgedruckt in: College ArtJournal, Jg. XVI, 1957, Nr. 2, S. 198-211. - Offenbar hat Neumeyer Panofskys Kritik berücksichtigt, denn in den gedruckten Fassungen wird Psychoanalyse nur noch mit aller Vorsicht eingeführt: Zum einen fragt sich Neumeyer, ob Epochenstile „do not point - just as in human beings - to conscious intentions, inherent ideas and unconscious meanings" (S. 203); zum anderen meint er, daß „the results of modern methods of scientific psychology are rarely used", fügt dem aber sogleich die Kritik hinzu: „... the approach of the psychoanalysts has suffered from the unhistorical and materialistic trend of thoughts of the analysers" (S. 205).
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Kunstgeschichte nur dort einen legitimen Ort hat, wo andere Quellen zur Deutung fehlen oder unklar sind - es sei denn, daß Künstler wie Dali und andere sich mit Absicht auf psychoanalytische Quellen berufen, so wie man sich im Mittelalter auf das Speculum berief. Aber dann entsteht natürlich ein interessantes Problem: Wenn es ihnen gelingt, alles Dunkle aus ihrem Unterbewußtsein auf die Ebene bewußter Realisierung zu heben, was bleibt dann in ihrem Unterbewußtsein zurück? Ich führte darüber einmal eine Diskussion mit Dali selbst, der schließlich zugab, daß er nun wahrscheinlich ein Heiliger sei. Angewandt auf Menschen und Traditionen, von denen wir auf der Ebene des Bewußtseins hinreichend informiert sind (wie z . B . bei Dürer und Michelangelo), führt die Interpolation der Psychoanalyse schlimmstenfalls zu Verdrehungen (so in Wintersteins Buch über Dürers Melencolia), im besten Fall zu einer Schwächung des Individualcharakters. Wenn mir jemand sagt, daß die merkwürdige Art, in der Michelangelos Figuren sich gewaltsam bewegen ohne Raum zu finden, auf einem ,Komplex' beruhe, der bei anderen Leuten zu Agoraphobie führt, so meine ich, daß solch eine Erklärung Michelangelo auf die Ebene von Mr. Jones" hinabzieht, ohne die weiterführende Frage überhaupt zu berühren, daß im letzten Falle ein solcher Komplex zu Agoraphobie führt, im ersten aber zur Notte."100 Ein spannender Brief - nirgends sonst ist von Dali die Rede. An seinem Beispiel entfaltet Panofsky die These, daß alles Schöpferische sich im „Unterbewußtsein" vollziehe und, ins Bewußtsein gehoben, verfalle. Der Künstler, der alles ins 99. Panofsky spielt hier an auf den Psychoanalytiker Ernest Jones. Von ihm u. a.: Andrea del Sartos Kunst und der Einfluß seiner Gattin, in: Imago II, 1913, S. 468-480 (engl. 1923). - Die Empfängnis der Jungfrau Maria durch das Ohr, in: Jahrbuch der Psychoanalyse VI, 1914, S. 135-204 (engl. 1923). - Uber analerotische Charakterzüge, in: Internationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse V, 1919, S. 69-92. - Zur Psychoanalyse der christlichen Religion (1928), neu hrsg. mit Nachwort von Helmut Dahmer, Frankfurt (Suhrkamp), 1970. -Das Leben und Werk von Sigmund Freud, 3 Bde., Bern 1962. - Die Theorie der Symbolik (zuerst engl. 1916) und andere Aufsätze, mit einem Vorwort von Peter Krumme, Frankfurt/Berlin/Wien 1978 (mit ausf. Bibliographie). 100. „P. 11 : Here a personal prejudice comes in: I feel that, even with all your restrictions, you open the door too wide to psychoanalysis. I feel that psychoanalysis has a legitimate place in the history of art only where other sources of interpretation are either lacking or obscured. Except, of course, where people like Dali etc. deliberately use psychoanalytical sources as the mediaevals used the Speculum. But then, of course, there arises the interesting problem: if they succeed in lifting all the dirt in their «¿¿»consciousness to the level of conscious realization, what, then, remains in their subconsciousness ? I had a discussion about this with Dali himself, who finally admitted that he was now probably a saint. When applied to people and traditions of whom we are well enough informed on the plane of consciousness (for example, Dürer and Michelangelo), the intrusion of psychoanalysis leads to distortion at worst (see Winterstein's book on Dürer's Melencolia) and to a weakening of individual character at best. If someone tells me that the curious way in which Michelangelo's figures move violently without getting any place is based on a ,complex' which in other persons leads to agoraphobia, I feel that such an explanation drags Michelangelo down to the level of Mr. Jones without even touching the relevant question that in the latter case an analogous complex leds to agoraphobia but in the former to the Notte."
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Bewußtsein hebt, wäre demzufolge unschöpferisch oder ahuman, ein Teufel oder ein Engel. Heutige Psychoanalytiker hüten sich freilich, die Frage, wie weit das Produktive im sogenannten „Unterbewußtsein" angesiedelt werden kann, zu beantworten; sie sei, hört man, genau so sinnvoll wie die Frage, iii'welchen Regionen Gott seinen Sitz habe. (Übrigens ist „Unterbewußtsein" ein ontologischer, Jungscher Terminus, der im Unterschied zum Freudschen „Unbewußten" auf dräuende Gefahren verweist). Die Michelangelo betreffende Aussage, 1939 noch ganz objektiv vorgetragen, wird hier polemisch gewendet (man möchte meinen, unter amerikanischem Einfluß). Die Polemik beruht auf einem von der Psychoanalyse gar nicht behaupteten Umkehrschluß: Wenn man Michelangelos figúrales Insichkreisen mit einem Zwang im außerkünstlerischen Leben zusammenbringt, so gilt deswegen noch nicht umgekehrt, daß jede Agoraphobie sich, wenn überhaupt künstlerisch, so und nicht anders manifestieren müsse - das hieße, die Vielfalt der Antriebskräfte und ihrer Ausformungen zu vernachlässigen. Psychoanalytiker sehen keine Schwierigkeit in der Annahme, daß hohe Formbegabung eine Art Gefährt sein kann, das jemanden über die Misere eines erworbenen psychischen Problems hinwegzutragen vermag. 101 - Aus welchem Grund Ernest Jones, Freuds erster Biograph, ein bedeutender Psychoanalytiker und Theoretiker des Symbolbegriffs, auf den sich auch Meyer Schapiro und Gombrich berufen, so verächtlich behandelt wird, bleibt übrigens offen. 102 (Wahrscheinlich liegt der 101. Mit dieser Frage beschäftigten sich z.B. Régis Michel (L'illusion biographique. Psychanalyse et histoire de l'art: un exemple d'obstacle épistémologique, in: Problèmes et méthodes de la biographie. Actes du colloque Sorbonne 3-4 mai 1985, Publications de la Sorbonne, Paris 1985, S. 51-59), und, an der Universität Hamburg, Hedwig Röckelein im Fachbereich Geschichte (Probleme der Psychohistorie, SS 1992). Den unscharfen und diffamierenden Ausdruck „Komplex" benutzt übrigens die moderne Psychoanalyse so gut wie gar nicht mehr. 102. Ernst-Hans Gombrich, Psycho-Analysis and the History of Art, in: The International Journal of Psycho-Analysis, vol. XXXV, 1954, S. 401-411 - zuerst als „Ernest Jones Lecture" gehalten. Gombrich gelangt schließlich zu einem negativen Ergebnis: „But while I think that taste may be accessible to psychological analysis, art is possibly not" (S. 410) - womit er seinen eigenen Beitrag im Grunde ad absurdum führt. Gombrich bezieht sich vor allem auf Jones' Symbolismustheorie, aber auch auf seine Aufsätze über Andrea del Sarto und über die Empfängnis durch das Ohr (vgl. Anm. 99). Hierauf bezieht sich auch Meyer Schapiro in: Leonardo and Freud. An Art-Historical Study, in: Journal of the History of Ideas, vol. XVII, 1956, S. 147-178, S. 155. Keiner der beiden Autoren zitiert Panofsky. In einem Brief an Heckscher muß Panofsky offenbar Beziehungen zwischen Wolfgang Pauli und C. G. Jung aufgedeckt haben, denn Heckscher schreibt am 28. Dezember 1958 zurück: „Daß er (Pauli) sich in seinen letzten Lebensjahren so sehr zu Jung hingezogen fühlte, hat mich sehr interessiert, wenngleich (oder gerade weil) mich Jung zugegebenermaßen verwirrt": „His (Pauli's) curious gravitation toward Jung in his last years interested me very much although (or because) I am admittedly baffled by Jung" (Archives of American Art, The Getty Center for the History of Art and the Humanities, Santa Monica/Cal.). Dazu im Brief an Tarkington v. 5.12.1945: „Incidentally, a few weeks ago a new Nobel Prize descended upon one of our dearest friends and collegues here - Mr. [Wolfgang] Pauli, the discoverer of the ,neutrino' and the famous ,Pauli exclusion principle'...", in: Richard M. Ludwig
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Grund in der latenten Affinität, die jede Abwehr enthält. Selbst Gombrich sah in Jones „a dangerous rival in my own proper field - the history of art." 1 0 3 Ein tiefenpsychologisches Interesse, wenn auch verbunden mit einer kuriosen Polemik gegen abstrakte Kunst, spiegelt schließlich der folgende Passus aus einem Brief an Heckscher vom 22. April 1957: ,,(...)das Erlebnis mit Betsy, dermalenden Schimpansin, hat uns allen gut gefallen (...). Entfernt man das Element der Vernunft und Vorüberlegung aus dem künstlerischen Schaffensvorgang, dann ist es methodisch unmöglich, die Produktionen von Betsy von denen, sagen wir, Jackson Pollocks zu unterscheiden (...). Ich konnte Betsy am Fernseher beobachten, und es war wunderbar zu notieren, wie sie vorging, abwechselnd zwischen tiefer Überlegung, Versuchen, sich der Leinwand zu nähern, bald (wie van Gogh) auf ihren Pinseln kauend, bald von einer Art furor divinus erfüllt, in der sie endlich Füße und Hände zum Malen benutzte (...). Im Ernst - der ganze Vorgang liefert tendenziell den Nachweis dessen, was ich mein Leben lang geglaubt habe, nämlich daß gerade die angeblich niedere Funktion der „gegenständlichen" Nachahmung, das heißt die Herstellung einer Dreiecksbeziehung zwischen Künstler, Gegenstand und Darstellung, menschliche Wesen von Tieren unterscheidet. Tiere können (...) menschliche Verfahren nachahmen (...); sie können auch wundervolle Bauten aufführen, wie etwa Biber und Singvögel es tun; das einzige aber, was sie nicht leisten können, ist, einen Gegenstand A (ein Kunstwerk) herzustellen, das den Gegenstand Β (ein von der Natur oder vom Menschen hervorgebrachtes Ding [...]) zu reproduzieren beabsichtigt. So gibt der Künstler, der sich in der Hoffnung auf Selbstbefreiung kopfüber in die Ungegenständlichkeit stürzt, tatsächlich eben jene Freiheit preis, die Gott dem menschlichen Verstand gewährt, aber den Tieren offensichtlich vorenthalten hat." 1 0 4
(Hg.), Dr Panofsky and, Mr [Booth] Tarkington. An Exchange of Letters, 1938-1946, Princeton University Library, 1974, hier S. 106. Diese Briefsammlung ist im übrigen unergiebig für unseren Aspekt. Gerühmt werden P.s „store of anecdotes, ... his quick wit and sharp tongue", seine Definition des Humanisten: „one who rejects authority but respects tradition". Panofsky, heißt es weiter, habe die Kunstgeschichte zu einer humanistischen Disziplin befördert (S. XV). Panofsky äußert sich gegen „formalistic interpretations" (S. 12), bekennt aber zugleich: „In reality, my methods are reactionary rather than revolutionary" (S. 12). Im Brief anTarkington vom 1 . 1 0 . 1 9 4 3 kommt abermals seine Literarizität zur Geltung: „I am sorry that I am not a critic or historian of literature." Verwirrung über die A-Bombe, Angst vor Untergang der Menschheit führt zu Positionen wie: „...our only hope of survival would be to destroy Russia within the next two years . . . " (S. 101, am 3 1 . 1 0 . 1 9 4 5 ) . - Ähnlich äußerte sich damals allerdings auch Bertrand Russell. Panofsky erlag in dieser Hinsicht der amerikanischen Propaganda. 103. Gombrich (s. Anm. 102), S. 401. 104. „... we are all extremely pleased by the incident of Betsy, the painting chimpanzee. This kind of thing ultimately had to happen; for, if you eliminate the element of reason and premeditation from the production of works of art, there is, in fact, no methodical possibility of distinguishing the productions of Betsy from those of, let us say, Mr. Jackson Pollock (God rest his soul). I had a
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Es kommt mehr auf das Interesse an solchen Fragen als auf einzelne Schlußfolgerungen an. Man könnte dagegen halten, daß gerade das Nichtkonstruierenwollen, die Absicht, nicht den Biberbau zu errichten, sondern über Dinge, Begriffe und psychische Erfahrungen in einer nicht verdinglichten Form zu meditieren, wie Pollock es tat, eine schöpferische Möglichkeit bildet, die anderen Lebewesen fehlt. So zeigt der Brief auch, daß ohne Hilfe tiefenpsychologischer Kriterien weite Abschnitte der Moderne unverstanden bleiben. So abwehrend diese Spätphase sich darstellt, so sehr gilt doch, daß Panofsky von kaum einem Kunsthistoriker der Nachkriegszeit im Interesse an wahrnehmungsund tiefenpsychologischen Fragen übertroffen wurde. Gleichzeitig aber fürchtete er im Umgang mit Kunstwerken ebenso die Unmittelbarkeit (daher das „gelehrte Gespinst", das er dem Betrachter mitunter zumutet 1 0 5 ) wie andererseits das Schema (daher die Furcht, aus seiner eigenen Methode könne ein Schema werden 1 0 6 ).
Beides, unmittelbaren Zugriff und schematische Verfestigung, sah er aber vor allem in der Psychoanalyse gefährlich wirksam werden.
Insgesamt hat mein Thema zweifellos mehr mit der „leidenschaftlichen SeelenErregung" Warburgs zu tun als mit dem einfühlenden Scharfsinn Panofskys. 1 0 7 So darf sich der von den Amerikanern erfundene Terminus Psycho-Ikonographie auch wenn man ihn (als „Psycho-Ikonologie") historisch-prozessual wendet - nur dann auf Panofsky berufen, wenn man dessen Methode psychohistorisch erwei-
chance to observe Betsy on television, and it is wonderful to observe how she proceeds, alternating between somber meditation, tentative approaches to the canvas, chewing her brushing (as van Gogh did) and finally being inspired by a kind of furor divinus which induces her ultimately to employ her feet as well as her hands - as, presumably, would also have happened to Mr. Pollock had he been spared long enough by destiny.To be serious, the whole incident tends to demonstrate what I have believed in all my life, namely, that it is precisely the allegedly inferior function of,objective' imitation, that is to say, the establishment of a triangular relationship between artist, object, and representation, which distinguishes between human beings and animals. Animals can, as we all know, imitate human procedures (...); they can also perform wonderful feats of-construction, as do beavers and bower birds; but just the one thing they cannot do is to construct an object A (the work of art) which is intended to reproduce the object Β (some thing, either produced by nature or man, which has objective existence). So it is just in a headlong flight into nonobjectivity that the artist, hopefully believing he is freeing himself, actually abandons that freedom which God has bestowed on the human mind but has apparently withheld from that of animals" (Archives of American Art, The Getty Center for the History of Art and the Humanities, Santa Monica/Cal.). 105. Vgl. Martin Warnke, Kunst, zu einer schönen Erinnerung geworden, in: Neue Zürcher Zeitung, 20.3.1992. 106. So Willibald Sauerländer, „Barbari ad portas". Panofsky in den fünfziger Jahren, Festvortrag zum Panofsky-Symposion am 31. 3.1992; im vorliegenden Band S. 131. 107. So von Panofsky zitiert im Nachruf auf Warburg, in: Hamburger Fremdenblatt, 28.10.1929; abgedruckt in: Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. 51, 1930, S. 1.
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tert. 108 Panofsky meinte offenbar, „the inward wits" 109 einzubüßen, wenn er seine Erkenntnisse dem strengen Schema (wie er es sah) einer psychoanalytischen Doktrin unterwerfen würde. Aber gerade Panofsky hat, indem er auf „unconscious meaning" und „disguised symbolism" verwies, die Affinitäten betont, und mit dem Begriff der „synthetischen Intuition" 110 auch ein wenigstens partiell analoges Verfahren beschrieben. In einem Falle nur, in einem theoretisch weniger anspruchsvollen (bezeichnenderweise nur in Vortragsform überlieferten) Aufsatz ist Panofsky selbst schon zu einem Verfahren vorgedrungen, das man psychohistorisch nennen könnte: in dem 1920 entstandenen Manuskript über „Rembrandt und das Judentum". 111 Die Wandlung, die Panofsky in der Beziehung Rembrandts zu den nach Holland eingewanderten spanischen und portugiesischen Juden feststellt, wird dort aus den Wandlungen von Rembrandts künstlerischen Interessen begründet. Zunächst habe diesen an den Juden das bemerkenswert Charakteristische (der Typus) fasziniert, in der mittleren Periode habe Rembrandt die Stimmung des einzelnen jüdischen Mitbürgers erfaßt (den individuellen Ausdruck, aber auch die jüdische „Unausdrückbarkeit" der Gefühle), und schließlich habe er - analog zu Spinoza - das soziale Gedächtnis, also die in den Gesichtern sedimentierte orientalische Erfahrung, in den Physiognomien seiner jüdischen Zeitgenossen auszudrücken verstanden. Wie immer man im einzelnen zu diesen Thesen stehen mag - man kann diesen erst 1973 postum publizierten Vortrag wohl unter die tiefsinnigsten Verlautbarungen dessen rechnen, was unter dem Aspekt tiefenpsychologischer Ausdrucksdeutung in den 20er Jahren hervorgebracht worden ist. Inzwischen ist es überfällig, den Aspekt „Psychische Dimensionen bildender Kunst" - dieses seit der Emigration von Ernst Kris brachliegende Gebiet 112 , das weltweit nur von wenigen Autoren wie Meyer Schapiro, Michel Thévoz oder Régis
108. Ich modifiziere damit meine Formulierung in den Kritischen Berichten 1990 (s. Anm. 3), S. 31 („Psycho-Ikonologie darf sich auf ihn nicht berufen"), die etwas apodiktisch anmuten könnte. Gleichwohl bin ich der Uberzeugung, daß sich der Begriff der Psycho-Ikonologie nicht halten läßt: In ihm ist ein materieller Festlegungsversuch enthalten, mit der Tendenz, den Prozeßcharakter zu vernichten. Vgl. Saxls Forderung nach einer „Psychologie des Ausdrucks, die den Ausdruck selbst zum Problem macht..." (Fritz Saxl, Die Ausdrucksgebärden der bildenden Kunst [1932], wieder abgedruckt in: Dieter Wuttke [Hg.], Aby M. Warburg. Ausgewählte Schriften und Würdigungen, Baden-Baden 1979, S. 419-431, hier S. 431). 109. So der Titel des Buches von E. Ruth Harvey (London 1975). 110. Studies in Iconology (s. Anm. 47), Ausg. 1980, S. 39. 111. Postum (von Gerda Panofsky redigiert) publiziert, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 18, 1973, S. 75-108. 112. Darüber kann auch „Psychoanalytic Explorations in Art" (New York 1952, 19642; deutsche Teilausg. unter dem Titel: Die ästhetische Illusion. Phänomene der Kunst in der Sicht der Psychoanalyse, Frankfurt/M. 1977) nicht hinwegtäuschen, hat diese Schrift doch auf die deutsche Kunstgeschichte kaum Einfluß ausgeübt.
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Michel, 113 innerhalb des deutschen Sprachraums allenfalls von Peter Gorsen oder Sigrid Schade-Tholen114 fast ohne Beachtung seitens der Kunstgeschichte aufgegriffen wurde - neu zu bearbeiten und dafür Bausteine zu nutzen, die Panofsky bereits geliefert hat. Er selbst hat sich nie als reinen Sach-Ikonologen verstanden; noch in einem Brief aus den 50er Jahren verwahrt er sich dagegen.115 Daher darf man unter Berufung auf ihn auch jene Qualitäten aufrufen, die sich der ikonographischen Nomenklatur entziehen. Ein solches Projekt könnte, auf ausgewählten Teilgebieten, folgende Felder bearbeiten: 1. Ausdrucksmomente bildender Kunst, nicht so sehr an der Tradition von Ausdruckslehren als vielmehr an deren Kritik orientiert, was Fritz Saxl schon 1932 in seinen auf Warburg basierenden „Ausdrucksgebärden",116 und neuerdings Judith Wechsler, 117 zuletzt Willibald Sauerländer118 unternommen haben. Tagtäglich reden wir über Ausdrucksformen, als könnten wir mit Hilfe geformter Gesichtszüge Charakterzüge beschreiben. Hier dürften tiefenpsychologische Erkenntnisse hilfreich sein. Der Pariser Verlag Henry Dougier gibt eine Publikationsreihe heraus, in der einzelne Emotionsbereiche wie tristesse, courage, patience, angoisse 113. Zu Meyer Schapiro vgl. Anm. 102; ders.,The Apples of Cézanne: An Essay on the Meaning of Still-Life, in: Art News Annual 34, 1968, S. 34-53; dt. in: Moderne Kunst, 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1982, S. 7-48. - Zu Michel Thévoz s. Anm. 87. - Zu Régis Michel s. Anm. 101. 114. Peter Gorsen, Kunst und Krankheit. Metamorphosen der ästhetischen Einbildungskraft, Frankfurt/M. 1980.-Zu Schade-Tholen s. Anm. 2.-Vgl. auch Gunter Schweikhart, Psychoanalyse und Kunstgeschichte, in: Fragmente. Schriftenreihe zur Psychoanalyse 20/21, hg. vom Wissenschaftlichen Zentrum II der Gesamthochschule Kassel, 1986, S. 33-70. 115. Dies würde nur denen passen, „who like to file me away under that heading", heißt es im erwähnten Brief an Neumeyer (s. Anm. 55). Außerdem habe nicht er allein die Ikonographie in die USA importiert; man müsse wenigstens noch Stechow, Janson, Katzenellenbogen und Heckscher nennen. 116. Saxl (s. Anm. 108, S. 421) beruft sich auf Warburgs Projekt, einen „Atlas der Gebärdensprache in der bildenden Kunst des klassischen Altertums und der Renaissance" zu erstellen. Er ringt geradezu um psychologische Kriterien und fragt nach der „psychologischen Gesetzlichkeit", die „der historischen Konstanz" und „gelegentlichen Restitution" von Pathosformeln zugrunde liegt; er versucht mit Warburg, „in die Tiefe triebhafter Verflochtenheit des menschlichen Geistes mit der geschichteten Materie hinabzusteigen." Die Kunstgeschichte sieht er „zu psychologischen Fragestellungen genötigt" und „doch in einem gewissen methodischen Gegensatz selbst zur modernen Psychologie" (S. 430). Dieser Gegensatz basiert auf einer Skepsis gegen unmittelbare Rückschlüsse „von der objektiven Darstellung" auf das „subjektive Bewußtsein". Ihm geht es darum, Symbol oder Ausdruck „nicht als Endprodukt der seelischen Energie", sondern „innerhalb des psychophysischen Prozesses" zu sehen und so „den Ausdruck selbst zum Problem" zu machen (S. 431). - In einem Brief an Panofsky vom 27.10.1961 schreibt Heckscher, daß er gerade diese Schrift Saxls studiert habe, „and thus I was reminded of Warburg's plan of an ,Atlas der Gebärdensprache in der Bildenden Kunst'." 117. Judith Wechsler, A Human Comedy. Physiognomy and Caricature in 19th Century, Paris, London 1982. 118. Willibald Sauerländer, Überlegungen zu dem Thema Lavater und die Kunstgeschichte, in: Idea Bd. 8, 1989, S. 15-30.
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oder colère gerade nicht in physiognomischer, sondern in historisch-psychologischer Absicht behandelt werden - vorerst noch ohne Beteiligung der Kunstgeschichte. Sie könnte aber nicht nur dazu, sondern auch zur Bearbeitung der historischen Differenz im emotionalen Haushalt beitragen, zur Frage, ob z.B. Trauer oder Begeisterung im 16. Jahrhundert genau so und mit Hilfe der gleichen Zeichen begriffen wurden wie im ausgehenden 20. Jahrhundert.119 2. Psychoanalytische Deutungen bildender Kunst. Freuds Analysen von Leonardos „Anna Selbdritt" und von Michelangelos „Moses", um nur zwei grundlegende Arbeiten zu nennen, sind bis heute zwar unter Teilaspekten von Meyer Schapiro und Franz Verspohl aufgegriffen worden (schon Panofsky hatte zwar Freuds Michelangelo-Ansatz ausdrücklich recht gegeben, seine psychologische Erklärung aber paradoxerweise als „zu rationalistisch" verworfen! 120 ). Doch verdient es Freuds Kunsttheorie insgesamt, neu beleuchtet zu werden.121 Überhaupt geht es mir um die Geschichte des Traumbegriffs bezogen auf bildende Kunst,122 um Ausdrucksmomente, die sich programmatisch, nicht nur motivisch, auf Traum beziehen (also die Frage einschließen: Wann und wo wird Traum zur 119. Auch jüngst behandelte Probleme wie Trauerarbeit in bildender Kunst gehören hierher; vgl. Ellen Spickernagel, „Poetische Freiheit" und „prosaische Beschränkung". Zur geschlechtsspezifischen Form von Grabmal und Denkmal im Klassizismus, in: Kritische Berichte N. F. 17, 1989, H. 4, S. 60-76. - Vgl. ferner: John Sarn, Angst in der Natur, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 43, 1980, S. 181-195. 120. Vgl. Erwin Panofsky, Die Michelangelo-Literatur seit 1914, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, 1,1921/22, S. 33. Freud hatte (in: Imago, 1914) die Haltung des Moses als „ursachlose(n) Bewegungsdrang im Konflikt" gekennzeichnet und den Ablauf der emotionalen Beherrschung in filmartigen Sequenzen aufzeichnen lassen. - Zu Meyer Schapiro s. Anm. 102. Vgl. ferner Franz Verspohl, Der Moses des Michelangelo, in: Städel-Jahrbuch, N. F. 13, 1991, S. 155-176. 121. Bei dieser Aufgabe wären zugunsten einer Synthese von Kunstsoziologie und Kunstpsychologie personenfixierte Verflachungen, wie in der neueren amerikanischen Forschung üblich, zu vermeiden. Ich spiele an auf die Publikationen von Mary Matthews Gedo und von Mary Louise Krumrine, die sich (wie mir scheint, zu Unrecht) auf Panofsky berufen und ein Gemisch aus psychoanalytischen und wahrnehmungspsychologischen Kriterien anwenden, um - gerade in der Kunst des späten 19. und 20. Jahrhunderts, wo wir mit psychologischen Äußerungen noch am besten bedient sind - Künstlerviten auf einzelne Werke zu projizieren. Dabei verselbständigen sich Kindheitserlebnisse, die keinen Transfer von der Künstlerpersönlichkeit zum Werk garantieren: Die zerstückelten Kompositionen von Picassos analytischem Kubismus werden von Gedo z. B. auf ein Erdbeben bei der Geburt seiner Schwester zurückgeführt. Vgl. Herding 1990 (s. Anm. 3). 122. Auf diesem Feld könnte man anschließen an Publikationen zu Dürers „Traum des Doktors" und seiner expliziten Sintflut-Traumphantasie, zu Raffaels „Traum des Scipio", zu Traumbildern des 17. Jahrhunderts (hierzu Jean-Luc Gautier, Rêver en France au XVIIe siècle: une introduction, in: Revue des sciences humaines 1988, Nr. 3, S. 7-24; JacquesThuillier, La peinture française du XVIIe siècle et le rêve, ebd., S. 201-211); an Arbeiten über Goyas Capricho 43; über Grandville; über den Surrealismus (vgl. u. a. Revue de l'art 92, 1991). Uberhaupt geht es hier um alle Bereiche, in denen Kunst nicht als Ausdruck von Wiedergabe oder Handlung, sondern als Ausdruck von beherrschenden, irrationalen, magischen Kräften gefaßt werden. Der Bogen dieser Überlegungen spannt sich von Aby Warburg über Sixten Ringbom zu Werner Hofmann und Ernst H. Gombrich (der in psychoanalytischen Zeitschriften publiziert hat, s. Anm. 102).
Panofsky und das Problem der Psycho-Ikonologie Form?):
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bei V i c t o r H u g o , R e d o n , den S y m b o l i s t e n u n d den S u r r e a l i s t e n , 1 2 3 o d e r in
den p s y c h o g r a p h i s c h e n A r b e i t e n des f r ü h e n P o l l o c k , m ö g l i c h e r w e i s e aber a u c h in der K u n s t v o r 1 8 0 0 . 1 2 4 3 . Ü b e r l e g u n g e n z u r G e s c h i c h t e des therapeutischen A n s p r u c h s v o n K u n s t . D a s letzte gewichtige Beispiel ist B e u y s ' lapidarer A u s s p r u c h , K u n s t sei T h e r a p i e . 1 2 5 V o n da aus lassen sich therapeutische K u n s t k o n z e p t e z u r ü c k v e r f o l g e n z u F r e u d s T h e o r i e v o n bildender K u n s t als K o m p e n s a t i o n o d e r z u r P r a x i s antiker mittelalterlicher K u n s t t h e r a p i e . 1 2 6
Hierher gehören auch
und
Entlastungsstrategien
ü b e r bildende K u n s t , v o r allem K a r i k a t u r e n (nicht zufällig hat K r i s
darüber
p u b l i z i e r t 1 2 7 ) , u n d u m g e k e h r t die T a t s a c h e , d a ß v o r allem M a l e r des 1 9 . J a h r h u n derts ihre K u n s t als entlastenden A u s d r u c k p e r s ö n l i c h e n L e i d e n s b e n u t z t e n . 1 2 8
123. Zu den Surrealisten zuletzt: Gerd Bauer, in: Funkkolleg Moderne Kunst, Reinbek bei Hamburg 19922, Bd. 1, S. 309-328. - Zu diesem Bereich zählt das „optisch Unbewußte", ein Problem, das Rosalind Krauss in: Les Cahiers du MNAM, 37, 1991, neu behandelt hat. 124. Vielleicht hat Panofsky jedoch recht darin, das Traumthema in der Renaissance vorwiegend literarisch bearbeitet zu sehen. Gombrich (s. Anm. 102), S. 401 behauptet generell „that to this approach literature proved a more rewarding field than painting." 125. Vgl. Armin Zweite, in: Joseph Beuys, Natur - Materie - Form, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1991, S. 20. 126. Hier stellt sich ζ. Β. die Frage, seit wann speziell bildende Kunst therapeutisch eingesetzt wird. Es ist ja aufschlußreich, daß man ζ. B. einem bildenden Künstler wie Hugo van der Goes eine andere als seine eigene Kunst, eben die traditionelle Musik, als Therapie empfiehlt. Vgl. Klibansky, Panofsky, Saxl (s. Anm. 39), S. 143 f.; Günter Bandmann, Melancholie und Musik. Ikonographische Studien. Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 12, Köln/Obladen 1960. - Diderot spielt die beiden Künste in ihrer therapeutischen Wirkung gegeneinander aus: „...il est assez curieux de voir comment dans un homme dont la musique étoit, pour ainsi dire, devenue l'âme par une longue & continuelle habitude, les concerts ont rendu peu-à-peu aux esprits leur cours naturel. Il n'y a pas d'apparence qu'un peintre pût être guéri de même par des tableaux; la peinture n'a pas le même pouvoir sur les esprits, & elle ne porteroit pas la même impression â l'âme." Encyclopédie, 2. Ausgabe, Bern/Lausanne 1781, Bd. 2, S. 322, s. v. âme. 127. Alfred Adlers Lehre von Kunst als produktiver Aggressionsumwandlung (Der Aggressionstrieb im Leben und in der Neurose, in: Fortschritte der Medizin, 26. Jg., 1908, Nr. 19, S. 577-584) eröffnet dafür einen historischen Zugang. 128. Künstler wie Blechen, Delacroix, Meryon, van Gogh, Ensor, Munch. - Blechen ζ. B., so schlug Bettina von Arnim vor, solle wegen seiner Depressionen noch einmal nach Italien reisen; seine Frau wußte es zu verhindern. Die Gefahr besteht, und Michel Thévoz (s. Anm. 87) hat darauf klar hingewiesen, „daß man unvermerkt vom Werk zum Künstler hinüberwechselt und ihm alle Bedeutungen unterlegt, deren bloßer Ableger dann das Werk wäre, als habe der Künstler darüber voll und ganz (und jenseits seiner historischen Kondition) verfügen können. " Das Werk wäre dann nur ein Epiphänomen, und es wäre dekontextualisiert. Dies kann nicht der Preis für eine schärfere Artikulation der psychischen Qualitäten des Kunstwerks sein. - Auch die isolierte Präparation nur eines kontextuellen Faktors wäre fatal. Thévoz führt als Beispiel an: Wenn Lucien Goldmann Chagalls Werk als Resultat der sozialen Umschichtung des Künstlers begreift oder Lucien Bonaparte das literarische Schaffen Poes aus dem vorzeitigen Tod seiner Mutter, dann sagen sie nichts von dem aus
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Am 17. Mai 1924 hatte Panofsky Warburg einen Brief in die Heilanstalt Kreuzlingen geschrieben, der die Liebe zu literarischen Quellen als das tiefste Band ihrer Gemeinsamkeit darstellt. Diese Zeilen sind überaus erhellend für Panofskys Umgang mit tiefenpsychologischen Kategorien: „Für die so gütige Ubersendung Ihres Schifanoja-Aufsatzes (...) glaube ich Ihnen nicht besser danken zu können, als durch die Abschrift einer Jean Paul-Stelle, die mir zufällig (...) wieder in die Hände kam: ,Noch mangelt eine rechte Geschichte des Wunder-Glaubens oder vielmehr des Glaubens-Wunders - von den Orakeln, Gespenstern an bis zu den Hexen und sympathetischen Kuren; - aber kein engsichtiger und engsüchtiger Aufklärer könnte sie geben, sondern eine heilige dichterische Seele, welche die höchsten Erscheinungen der Menschheit rein in sich und in ihr anschauet, nicht außer ihr in materiellen Zufälligkeiten sucht und findet.' Möchten diese Worte dem, der ihre Forderung erfüllte und dennoch - oder vielmehr gerade dadurch - der Wissenschaft diente, eine kleine Freude bereiten!"129 Vielleicht darf man behaupten, daß Distanz kaum je wärmer zum Ausdruck gebracht wurde. Aber indem Panofsky Warburg über Jean Paul zu einem Hölderlin der Kulturgeschichte verklärt, setzt er sich von ihm ab als jemand, für den literarische Quellen in erster Linie nützliche Schönheiten darstellen. Dieser Rationalisierungsvorgang stellt gewiß eine Differenz zwischen den beiden Forschern dar, die bis heute fortwirkt. Panofsky bietet allen Anlaß, und es wäre wohl in seinem Sinne, über diese Polarität hinauszugelangen. Die heutige Forschung aber wird Wüsten und Meere überwinden müssen, ehe sie, kunst- und literarhistorische Fragen mit Hilfe tiefenpsychologischer Methoden verknüpfend, zu solchen Erkenntnissen vorstoßen kann.
was das Werk auf seinen Schöpfer zurückstrahlt. Es gibt nicht die einseitige Verursachung eines Werks - die Suche danach entspringt nur dem Bedürfnis nach einer positivistischen Grundlage „'au delà' du réel équivoque de l'oeuvre..." 129. London, The Warburg Institute, Kasten 71, Nr. 071/041685; Hervorhebung von Panofsky. Den Hinweis auf diesen Brief verdanke ich Michael Diers.
Stil und Medium. Panofsky O n Movies' Regine Prange
1. Einleitung „Basis für alle neue kommende Kunst ist das Kino", schrieb Yvan Göll 1920 1 , und unbestreitbar ist der Film ein Medium, das die Kultur des 20. Jahrhunderts wie kein anderes geprägt hat. Seinen Charakter als „illegitime Kunst" hat der Film trotzdem nicht verloren. Weniger noch als die Fotografie ist er zum Gegenstand der institutionellen Kunstwissenschaft gemacht worden. Panofskys 1936 anläßlich der Neugründung der Film Library des Museum of Modern Art in New York verfaßter Vortrag O n Movies', später unter dem Titel 'Style and Medium in the Motion Picture(s)' mehrfach überarbeitet und veröffentlicht, stellt die berühmte Ausnahme von der Regel dar, die es noch erstaunlicher macht, daß diesem frühen Versuch einer kunsthistorischen Annäherung an das neue Medium kaum weitere gefolgt sind und Panofskys Ausführungen zu diesem Thema relativ unbekannt geblieben, ja offenbar für vernachlässigbar gehalten worden sind. 2 Die Auseinandersetzung mit einem als ephemer eingeschätzten Essay, der den üblichen wissenschaftlichen Apparat, selbst die mindeste Einarbeitung in die 1936 durchaus vorhandenen theoretischen Stellungnahmen zum Thema Film vermissen läßt, ist dennoch oder gerade deshalb von Wichtigkeit. Denn die stillschweigende Ubereinkunft, daß es sich hier um eine eher feuilletonistische Gelegenheitsarbeit Panofskys handele, affirmiert die Grenzscheide zwischen den ernsten und den unernsten Gattungen der Wissenschaft wie der Kunst, deren kritische Befragung doch zu fordern wäre. Panofskys Filmaufsatz sollte weder marginalisiert werden, noch soll er hier Anlaß zu einer simplen Falsifizierung oder Historisierung seiner 1. Yvan Göll: Das Kinodram, in: Die neue Schaubühne, 2. 1920, H.6, S. 142 2. Hinweise auf den Aufsatz Panofskys finden sich sporadisch im Zusammenhang einer auf antike und mittelalterliche Bildsequenzen zurückgreifenden Traditionsbildung des Films, so bei Georg Kauffmann, Die Macht des Bildes - Über die Ursachen der Bilderflut in der modernen Welt (37. Jahresfeier der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften) Opladen 1987, S. 31 f. und bei Karl Clausberg,Wiener Schule - Russischer Formalismus - Prager Strukturalismus. Ein komparatistisches Kapitel Kunstwissenschaft, in: Idea, 2. 1983, S. 151 und S. 176 f.
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Aussagen sein. Die Bedeutung dieses Textes liegt gerade darin, daß er unverhüllter als die genuin kunsthistorischen Arbeiten Prämissen und Problematik der neukantianisch geprägten Kunstgeschichtsschreibung, besonders im Blick auf die Moderne, deutlich werden läßt. Die kritische Rückführung von Panofskys Thesen zum Film auf seine theoretischen Schriften und ihren geistesgeschichtlichen Hintergrund steht hier daher im Mittelpunkt.
2. Panofskys These - Der Film als alternative Moderne Verblüffend erscheint die bei aller Nonchalance der Darstellung ausführliche und geradezu überschwengliche Würdigung des Films angesichts der kärglichen und zudem verstreuten Anmerkungen Panofskys zur modernen Kunst. Der euphorische Ton, den er gegenüber seinem Thema anschlägt, geht über eine höfliche Replik auf den gesellschaftlichen Anlaß seines Vortrages weit hinaus; Panofsky will nicht nur, wie viele seiner Zeitgenossen, den Film als Kunst legitimieren - dies mit durchaus hohem theoretischen Aufwand - darüberhinaus ist seine Intention unverkennbar, die proklamierten künstlerischen Qualitäten des Films gegen die moderne bildende Kunst ins Feld zu führen: „Today, there is no denying that movies are not only art ... but perhaps the only art actually alive. The movies, and only the movies, have established a dynamic contact between art-production and art-consumption ...". 3 Es scheint, als habe Panofsky im folgenden Jahrzehnt die Rigorosität dieser Einschätzung dämpfen und zugleich den unterschwelligen Vorwurf an die Hermetik der Avantgarde argumentativ noch verstärken wollen. 1937 schränkt er ein, auch die Architektur müsse zu den lebendigen Künsten gezählt werden 4 . 1947 werden außerdem „cartooning and 'commercial design'" 5 in die Reihe der lebendigen Künste aufgenommen, zum Gegner im Ausschlußverfahren mithin die zeitgenössische abstrakte Bildkunst erklärt. Panofsky spricht in dieser letzten, von ihm offenbar für endgültig angesehenen und mehrfach abgedruckten Fassung nun den Konkurrenzgedanken offen aus in dem Zusatz, daß der Film jenen dynamischen Kontakt zwischen Kunstproduktion und -rezeption wiederherstelle, der „auf vielen
3. Ρ 36, S. 6 4. Erwin Panofsky, Style and Medium in the Moving Pictures, in: Transition, 26. 1937 (S. 121-133) S. 121 5. Erwin Panofsky, Style and Medium in the Motion Picture, in: Critique, 1. 1947, Nr. 3 (Jan./Febr.) zit. nach dem Wiederabdruck in: Film. An Anthology, von Daniel Talbot, New York 1959, (S. 15-32) S. 15
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anderen Gebieten künstlerischer Tätigkeit sehr gelockert, wenn nicht gänzlich unterbrochen" sei.6 Mit dem Argument der Popularität richtet sich Panofsky dezidiert am kommerziellen Erzähl-Kino aus, das in den Dreißiger Jahren mit dem Beginn des Tonfilms zum wichtigsten Faktor der Kulturindustrie geworden war. Die ökonomischen Bedingungen des Kinos als Massenunterhaltung werden nicht etwa problematisiert, sondern als Voraussetzung einer auf Mitteilbarkeit beruhenden lebendigen Kunst bejaht.7 Daß Panofsky aus der Breitenwirkung des Mediums seinen Kunstcharakter hervorgehen sieht, wirkt durchaus liberal im Sinne einer Erweiterung des kunstwissenschaftlichen Gegenstandsbereiches, zumal wenn man sich die 16 Jahre früher publizierten Äußerungen des Tübinger Kunsthistorikers Konrad Lange vor Augen hält, der keinen Zweifel ließ an der Grenzziehung zwischen einer dem Gebildeten zugänglichen hohen Kunst und dem Film als einer Vergnügungsindustrie für die proletarische Klasse.8 Dagegen bekennt Panofsky in seiner ersten Textfassung, daß er seit 1905 ein regelmäßiger Kinogänger sei und datiert seine Erkenntnis der künstlerischen Möglichkeiten des Films bereits auf das Jahr 1912, sich ausdrücklich nicht auf die von bürgerlicher Seite einzig für wertvoll erachteten Bildungsfilme berufend („educational films as the Married Life of the Starfish"), aber offenbar auch nicht auf die Filmexperimente eines Hans Richter oder Léger.9 Panofsky schildert in dieser später gestrichenen autobiographischen Passage als entscheidendes Moment jener Frühzeit des Kinos eine Art von Gemeinschaftser-
6. Ρ 47, S. 344. Die zwischen 1936 und 1947 gesteigerte Gegnerschaft zur Moderne läßt sich als Etappe einer homogenen gedanklichen Entwicklung begreifen. Während Panofsky 1932 noch glaubt, Cézanne und Marc in sein universales ikonologisches Modell integrieren zu können, wird diese Intention schon in der Version von 1939 relativiert; siehe Adolf Max Vogt, Panofskys Hut, in: Architektur als Sprache, hg. von Carlpeter Bragger, München 1982, S. 279 ff.. Der Ikonologie der abstrakten Kunst wie der Architektur hat Panofsky den Weg geebnet, ohne diesen dann selbst zu beschreiten, ein wissenschaftsgeschichtlich äußerst aufschlußreiches Dilemma, das in der Nachkriegsära eskalierte. Siehe dazu den Beitrag von Beat Wyss in diesem Band. 7. Die Apologie des Kommerziellen als Garant des 'Lebendigen' fehlt allerdings in den ersten beiden Fassungen noch. Erst 1947 verstärkt Panofsky mit Hinweisen auf Dürers z.T. auch käufliche Druckgraphik und Shakespeare Dramen die Strategien zur Integration des Kinos in die Geschichte der Kunst (P 47, S. 354). 8. Konrad Lange, Das Kino in Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 1920, S. 299: „Wir gönnen dem Arbeiter jede Erleichterung seines Loses. Wir wünschen aber nicht, daß er in geistigen Dingen ... die Führung übernehme"; dazu auch Karsten Witte in seiner Neuübersetzung von Siegfried Kracauer, Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Princeton University Press 1947, in Auszügen abgedruckt bei Dieter Prokop (Hg.), Materialien zur Theorie des Films. Ästhetik - Soziologie - Politik, München 1971, S. 158-194, S. 176, Anm. 5 9. Ρ 36, S. 5 f.
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lebnis, das zeige, wie genau der Film, anders als die 'höhere' Kunst der letzten 150 Jahre, das menschliche Seelenleben kenne. 10 In dieser Verquickung eines neuen künstlerischen Mediums mit dem Ideal eines jenseits der realen gesellschaftlichen Gegensätze angesiedelten Kollektivs ist ein Reflex des romantischen Sozialismus der expressionistischen Generation spürbar, der bruchlos in die funktionalistische Verklärung der materiellen Basis zur mystischen Formquelle überging. Auch nur vor dem Hintergrund der verbreiteten Idealisierung wirtschaftlicher Monopolisierungs- und Mechanisierungsprozesse, die als Aufhebung individueller Profitinteressen zugunsten einer neuen kollektiven Kunst verstanden wurden, 11 ist Panofskys Annahme verständlich, die industrielle Produktion und der kommerzielle Erfolg des Erzählkinos spiegelten die wahren Bedürfnisse des Volkes. In derselben geistesgeschichtlichen Tradition, die in jene Theorie einer ursprünglichen Kunst den Künstler als Erzieher und Stifter einer neuen Gesellschaft integrierte, steht schließlich die Schlußfolgerung Panofskys, Hollywood solle und könne durch qualitätvolle Produktion den Geschmack des Publikums bilden.12 Als zeitgleiche Gegenposition zu diesen idealistischen Vorstellungen zum Kino ist Benjamins Analyse des Films im Rahmen seiner Essays zu nennen, besonders der ebenfalls 1936 erstmals publizierte Aufsatz 'Das Kunstwerk im Zeitalter seiner 10. Ebd., S. 6: „I sensed soon an untold wealth of entirely new possibilities of artistic expression, and also felt that the early cinemas were filled with what may be called a 'community-feeling', a feeling which seemed to indicate that the movies had hit that vital spot in common human psychology which the higher form of artistic production had mostly failed to hit during the last 150 years 11. siehe z.B. Karl Scheffler,Vom Beruf des Architekten, in: Die Architektur der Großstadt, Berlin 1913, S. 129: Die Entpersönlichung des Kapitals im großen Trust sollte dem Architekten die Freiheit zurückgeben, so daß er nicht mehr den durch gewissenlose Unternehmer getragenen „Parvenueinstinkten der Menge" dienen, sondern dem „Kulturwillen des ganzen Volkes das sichtbare Kleid schaffen" könne. Die Vergleichbarkeit von Rationalisierung der Produktion zum einen, Architektur und Film im Hinblick auf eine neue kollektive Kunst zum anderen behauptete exemplarisch Adolf Behne, Die Stellung des Publikums zur modernen deutschen Literatur, in: Die Weltbühne, 1926, S. 774-777, wiederabgedruckt bei Anton Kaes (Hg.), Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929, Tübingen 1978, S. 160-163, bes. S. 161 : „Wir haben eine, vielleicht sehr bedeutende, Kunst, die nicht zum Faktor der Kultur wird, da sie die Massen nicht berührt. Unsre Kunst schwimmt irgendwo oben - und ergreift Keinen." Dies legt Behne am Problem der mehrheitlich als 'Zuchthäuser' klassifizierten funktionellen Siedlungsbauten dar, um als Problemlösung das Ubergehen von der „Luxus-Produktion zur Bedarfs-Produktion ..., wie Ford es, demokratisch denkend und handelnd, im Automobil-Bau getan hat" vorzuschlagen, dem Funktionalismus also mit funktionalistischen Argumenten begegnend. Während Panofsky den Film als legitimen Nachfolger der traditionellen Bildkünste auffaßt, feiert Behne, mit ganz ähnlichen Argumenten, den Film als „Dichtung unserer Zeit", der das Buch als 'Transportmittel' ablöse. Edison sei „der neue Gutenberg" (S. 162) und Chaplin der erste neue Dichter (S. 163). So erschließt sich der aus dem ehemaligen „Pöbel-Theater" (ibid.) abgeleitete demokratische Charakter des Films zwanglos aus den Zwängen der industriellen Massenproduktion. 12. Ρ 47, S. 354.
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technischen Reproduzierbarkeit'. Die emanzipativ-künstlerischen Möglichkeiten des neuen Mediums werden hier nicht als Fortsetzung, sondern als krasser Bruch mit dem bürgerlichen Kultur-Erbe verstanden und an die politische Emanzipation der Arbeiterklasse gebunden, so daß der bestehenden Filmindustrie keinerlei Relevanz zukommt. Die Entwicklung des Tonfilms ist vielmehr für Benjamin zunächst abhängig von den Interessen des Faschismus, die, vorgeblich national bestimmt, auf größere internationale Wettbewerbsfähigkeit abzielten.13 Allenfalls in der konsequenten Parteilichkeit des russischen Revolutionsfilms und des ähnlich interpretierten amerikanischen Groteskfilms sah Benjamin den Ansatz zur Realisierung der progressiven Möglichkeiten des Films. 14 Für Panofsky löst der Film hingegen gerade in seinen weitgehend konventionell gestalteten Gattungen wie dem Zeichentrickfilm, dem Western-, Gangster- und Kriminalfilm das ein, was in der zeitgenössischen bildenden Kunst verloren ging.15 Es ist evident, daß die Nouvelle Vague und der Neue deutsche Film wie die mit ihnen wiederbelebte Montage-Technik solchem Interesse zuwiderlaufen und auch für den Film triviale und avantgardistische Möglichkeiten deutlich machten. Trotzdem hat Panofsky auch 1967 anläßlich der deutschen Ubersetzung des Essays seine Argumentation nicht revidiert.16
3. Synthesen - Verzeitlichter Raum und verräumlichte Zeit Die spezifischen Möglichkeiten des Films beschreibt Panofsky in einer griffigen Formel: Wesentlich an ihm sei zum einen die Dynamisierung oder Verzeitlichung des Raums („Dynamization of Space"), also der durch die Schnittechnik ermöglichte ständige Perspektivwechsel. Zum andern gelte umgekehrt die Verräumlichung der Zeit („Spatialization of Time"). 17 Unter dem Begriff Zeit versteht Panofsky das Medium rein psychologischer Phänomene, vor allem Gefühle und Gedanken, die auf der Bühne auch unabhängig von der visuellen Inszenierung in der 13. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Frankfurt a.M. 1977, S. 144, Anm. 9 14. Walter Benjamin, Erwiderung an Oscar A . H . Schmitz. Eine Diskussion über russische Filmkunst und kollektivistische Kunst überhaupt, in: Literarische Welt, 11.3. 1927, wieder abgedruckt bei Prokop (wie Anm. 8) 15. Panofsky befaßt sich nicht nur auch mit Hollywood, wie Beat Wyss ('Ein Druckfehler. Panofsky versus Newman-Verpaßte Chancen eines Dialogs', in: Kunstforum, 119.1992, S. 125) wohlwollend gegenüber Benjamins 'idealistischer' Enthaltsamkeit gegen den Trivialfilm vermerkt; Hollywood ist mehr oder weniger Ausgangspunkt und Maßstab für Panofskys 'Filmtheorie'. 16. Als „Revival of Aesthetic Symbolism" findet sich im übrigen noch in einem von Henry P. Raleigh publizierten Artikel des Journal of Aesthetics and Art Criticism' (32, 1973/74, S. 219-237) Panofskys Gedanke wieder, der Film gleiche die semantische Unzulänglichkeit der modernen Kunst aus. 17. Ρ 36, S. 8. Diese Kennzeichnung bleibt auch in den späteren Fassungen erhalten, wird 1947 jedoch ergänzt, wie weiter unten ausgeführt wird.
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Sprache vermittelt werden könnten, während der Film niemals das gesprochene Wort dominieren lassen dürfe.18 Anders als im Theater müsse es stets angebunden sein an die sichtbare Bewegung, an die 'Raum' benannte äußere Handlung, wie z.B. die Großaufnahme den Monolog oder Dialog durch die visuelle mimische Ausdrucksbewegung zu ergänzen in der Lage sei. Ein Filmmanuskript dürfe daher nicht poetischen Wert beanspruchen, der sich nur im Medium 'raumloser Zeit' vermittle. Die für notwendig erachtete organische Beziehung des Textes zur Handlung unterstreicht übrigens an dieser Stelle zum ersten Mal ein Vergleich mit der gotischen Pfeilerfigur, die wie das Filmmanuskript nicht selbständigen Wert beanspruchen könne, sondern im Zusammenhang mit dem Architekturganzen beurteilt werden müsse.19 Kunsthistorische Parallelen dieser Art zu suchen, war nicht unüblich, um dem Film auratisch-kultische und damit künstlerische Bedeutung zu verschaffen. Zum Beispiel ist Panofskys Argumentation, der Stummfilm habe wie die mittelalterliche Kunst sich das Verständnis des Publikums erst erarbeiten müssen, durch Tituli und Schriftbänder dort, durch Zwischentitel und Kommentar hier,20 in gewisser Weise vorgebildet bei Abel Gance 1927, der die Filmkultur auf die Ausdrucksebene der Ägypter zurückversetzt sah. „Die Bildsprache ist noch nicht zur Reife gediehen, weil unsere Augen ihr noch nicht gewachsen sind. Noch gibt es nicht genug Achtung, nicht genug Kult für das, was sich in ihr ausspricht".21 Dieser noch expressionistisch tönende Ruf nach einer neuen Religion als erhoffter Stifterin einer allgemeingültigen Sprache der Kunst weicht bei Panofsky dem Vertrauen in das durch Gewöhnung herstellbare alltägliche Verstehen. Außerdem wird der in die Zukunft gerichtete Blick abgelöst durch eine historisierende Rückschau. Panofsky beschreibt den Stummfilm bereits als eine abgeschlossene Periode, die als solche mit dem Mittelalter in Vergleich tritt: „Devices like these (Zwischentitel oder Kommentare, R.P.) became gradually less necessary as the public became more accustomed to interpret the action by itself".22 18. Ebd., S. 9 19. Ebd., S. 10 20. Ebd., S. 12. Panofsky versucht hier außerdem, eine Ikonographie des Films zu etablieren. Ahnlich wie z.B. die Attribute von Fortitudo oder Fides lesbar seien blaues oder grünes Filmmaterial als Hinweis auf Nachtszenen, das karierte Tischtuch als Symbol für ein ärmliches, doch anständiges Milieu, der schwarze Schnurrbart als Zeichen für einen zweifelhaften Charakter etc. 21. Abel Gance, L'art cinématographique. S. 149 22. Ρ 36, S. 13
Ic, Paris 1927 S. 100 f., zit. η. Benjamin (wie Anm. 13),
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Dennoch ist unübersehbar, daß beide Standpunkte austauschbar sind, die auf unmittelbare Erkenntnis pochende „Schau" dem Positivismus in der Form ikonographischer Empirie also nur das Fundament liefert. Diese Beziehung wird unterstützt durch eine weitere, sich als Parallele aufdrängende Gedankenfigur, nämlich Panofskys bekannte Argumentation anläßlich des Mandrill-Bildes von Franz Marc, dessen abstrahierende, das Motiv verfremdende künstlerische Struktur Panofsky durch die allmählich sich bildende Sehgewohnheit aufgehoben wissen will.23 Die von Gance im Kult aufgerufene unmittelbare Welterfahrung muß als ideologische Vorstufe für die Nobilitierung der Alltagserfahrung in dem 1932 von Panofsky erarbeiteten Modell zur Inhaltsdeutung von Werken der bildenen Kunst24 gelten. Was moderne Bilderfindungen spätestens seit dem Expressionismus kennzeichnet - die provokative Negation der herrschenden Alltagserfahrung - war für Panofsky offenbar nicht als intellektuelle Arbeit zu verstehen, sondern nur als ihr Gegenteil, als unzivilisierte ja animalische Triebäußerung registrierbar. Der am Bild des Mandrill deutlich scheiternde Versuch, die semantisch nicht auflösbare ungegenständliche Form durch den Verweis auf Gewöhnung nun doch noch im Inhaltlichen aufgehen zu lassen, setzt sich also im Ersatz des Objektes, als verstärkte Abwehrhaltung gegen die nicht codifizierten ästetischen Äußerungen der Zeit fort. Bei Mickey Mouse und Charly Chaplin scheint die Forderung nach Allgemeinverständlichkeit besser zu greifen als beim Marcschen Mandrill, denn die Distanzierung vom natürlichen Wahrnehmungsbild tritt, etwa im Zeichentrickfilm, kaum als Konkurrenz einer unbekannten Form mit einem bekannten Inhalt auf, sondern bleibt stets auf den lesbaren Ausdruck gerichtet. Die Integration des Films in die Kunstgeschichte dient, so läßt sich schlußfolgern, Panofskys Absicherung seiner Ikonologie im einfachen Sinn-Verstehen, das zunächst noch grundbegrifflich verklausuliert in der Synthese von Raum und Zeit eingeklagt wird. In dem niemals in die kunsthistorischen Sammelpublikationen aufgenommenen Filmtext definiert Panofsky ganz offen seine Bedingungen an Kunst, die sich nur vordergründig auf die Ebene des Films beschränken. Daß er diesen vor allem benutzt, um die seiner Methodik zugrundeliegende Prämisse der Kongurenz von Form und Inhalt auch für die Moderne durchzusetzen, zeigt schon die gewaltsame Terminologie. So ist der zweite Teil der Formel - Verräumlichung der Zeit - dem Phänomen Film aufoktroyiert, um ihn dem problemgeschichtlichen
23. Erwin Panofsky, Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, in: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1964 (S. 85-97) S. 88 24. Zu diesem Komplex siehe Oskar Bätschmann, Beiträge zu einem Ubergang von der Ikonologie zur kunstgeschichtlichen Hermeneutik (1978), in: Bildende Kunst als Zeicbensystem. Ikonographie und Ikonologie. Theorien - Entwicklung - Probleme, hg. von Ekkehard Kaemmerling, Köln 4 1987, S. 4 6 0 - 4 8 4
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Ansatz von 1925 gefügig zu machen. 25 Daß die Verräumlichung der Zeit in diesem Sinne nur in Panofskys kunsthistorischem Denksystem Sinn macht, zeigt sich zum Beispiel darin, daß Kracauer in seinem Buch 'Von Caligari bis Hitler' die Passage bezeichnenderweise ohne den bei Panofsky akzentuierten zweiten Teil zitiert. 26 Durch die Herleitung dieser Formel aus dem Vergleich zwischen Film und Theater wird zudem indirekt angeknüpft an einen noch älteren kunsthistorischen Diskurs - die traditionelle Unterscheidung zwischen den zeitlichen Künsten (Musik, Literatur) und der statischen bildenden Kunst. Panofsky beschränkt, wie oben ausgeführt, das Bühnenstück auf die in der Zeit sich erstreckende Rede, während er allein im Film die visuelle Umsetzung - denn darin erfüllt sich die Raumbindung der Zeit - für notwendig erachtet. Diese Transformation des Theaters zum Hörspiel ist freilich kaum aufrechtzuerhalten. Doch führt die darin ausgesprochene Mängelrüge Panofskys auf einen Topos, wenn nicht den Topos seines theoretischen Werks überhaupt. Störend wird offenbar erlebt, daß auf der Bühne von Dingen die Rede ist, die räumlich oder zeitlich getrennt von der sichtbaren Handlung stattfinden. Der Film hebt diesen Mangel auf, zum Beispiel durch die von Panofsky besonders geschätzten Möglichkeiten der Rückblende, alle Arten von Tricktechniken, die, wie er 1947 hinzufügt, eine direkte Projektion von Gefühlen und Vorstellungen einer im Film auftretenden Person erlauben. 27 Diese Definition der filmischen Qualitäten über die Abgrenzung gegen das Theater macht deutlich, daß Panofsky weniger den Film als Bewegungsdarstellung meint als vielmehr in ihm die anschauliche Einheit von Bild und Bedeutung, geradezu ein Stillstellen des Bildes, erreichen will. Dies motiviert die statische Verdoppelung der Raum-Zeit-Formel und definiert die Position des Filmaufsatzes in Kontext des genannten Diskurses über das Zeitmoment in den bildenden Künsten, der sich an Hans Kauffmanns Buch über Albrecht Dürers 'rhythmische Kunst' und Panofskys ausführlicher Rezension festmachen läßt. 28 Sein Anliegen ist es dort, im Sinne von Lessings Laokoon den Topos des fruchtbaren Augenblicks für die Bewegungsdar25. Zur Bestimmung von Raum und Zeit als empirischer Verifikation der stets zur Synthese drängenden Antithesen Fülle und Form (nach Edgar Wind) siehe Erwin Panofsky, Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie. Ein Beitrag zur Erörterung über die Möglichkeit 'kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe', in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. 18. 1925, S. 129 ff. 26. Siefried Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Schriften, hrsg. von Karsten Witte, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1979, S. 12. Ohne den grundbegrifflichen Ernst Panofskys sieht im übrigen auch Arnold Hauser in der Verbindung der räumlichen und zeitlichen Formen ein wesentliches Moment des Films. Unter der „Verräumlichung der Zeit im Film" versteht er allerdings „das Erlebnis der Gleichzeitigkeit verschiedener, räumlich getrennter Vorgänge", was dem Einheitswillen Panofskys eher entgegengesetzt ist (Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, Bd. 2, München 1953, S. 499). 27. Ρ 47, S. 246 28. Hans Kauffmann, Albrecht Dürers rhythmische Kunst, Leipzig 1924. Erwin Panofskys Rezension erschien im Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1926, S. 136-192
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Stellung verbindlich zu erhalten gegenüber der kinematographischen Zerlegung in Teilphasen, wie sie Kauffmann an Dürers Bildern konstatiert hatte. Es ergibt sich die merkwürdige Schlußfolgerung, daß Panofsky 1936 den Film eben der Forderung dienstbar macht, das Vorher und Nachher im Gegenwärtigen anschaulich zu machen, während das Theater der im Sinne Schmarsows peiorativ beurteilten 'kontinuierenden Darstellung' zugeordnet wird. In einer Bemerkung zum 'zweifach zeitbelasteten' Raum im Kriminalfilm, seiner Eigenart, den Zuschauer nach Zukunft und Vergangenheit des sich abspielenden Geschehens fragen zu lassen, ist der Rekurs auf den 'prägnanten Augenblick' ganz deutlich.29 Der Film ist für Panofsky vor allem als Syntheseleistung relevant, nur als solche kommt ihm das Prädikat Kunst zu. Damit rückt er an die Seite der Perspektive als 'symbolischer Form', an welcher Panofsky mehr als ein Jahrzehnt zuvor bereits seine kunstwissenschaftlichen Grundbegriffe erprobt hatte. Auch legt die von Panofsky eigens erwähnte Nähe der neuzeitlichen Perspektivkonstruktion zur Fotografie sowie die Bemerkung zur visionären Qualität des perspektivischen Bildes30 einen Vergleich mit dem Filmtext nahe. Das Beispiel der gotischen Pfeilerfigur als Teileinheit des homogenen architektonischen Ganzen dient in diesem Aufsatz der Verdeutlichung einer vorbereitenden Stufe zur vermeintlich unendlichen Ausdehnung der neuzeitlichen Perspektive, „innerhalb derer Körper und Freiraum als die gleichwertigen Ausdruckformen einer homogenen und untrennbaren Einheit zu gelten"31 begonnen hätten. Jene Riegischen Antithesen gelten wie Zeit und Raum im Filmaufsatz als empirische Modifikationen des künstlerischen Urproblems, das in der stilbildenden Einigung von Fülle und Form durch das jeweilige Kunstwollen geortet wird.32 So hermetisch diese Synthesen anmuten, dienten sie letzten Endes der vollständigen Eliminierung ästhetischer Kriterien aus der kunsthistorischen Deutungsarbeit. Der Film als suggestives Erlebnis scheint von sich aus die ästhetische Grenze zu überschreiten und kommt so dem Impetus der Ikonologie entgegen. Panofsky bildet in seinem Text Strategien aus, die im zweiten Entwurf zur Ikonologie 1939 29. Ρ 36, S. 10. Vgl. G.E. Lessing, Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Leipzig 1875, S. 99: „Es bleibt dabei: die Zeitfolge ist das Gebiet des Dichters, wie der Raum das Gebiet des Malers." Die Unterscheidung von sukzessive sich erschließenden künstlerischen Strukturen und solchen, die direkt anschaulich sind, verkennt aber grundsätzlich die Rolle der intrapsychischen Repräsentanz. Eine Melodie ebenso wie ein gesprochener oder gelesener Satz werden ja nicht in der Reihenfolge des Gehörten oder Gelesenen verstanden, sondern enthüllen am Ende erst, schlagartig, ihre Bedeutung, indem der Rezipient die im Gedächtnis gespeicherten Eindrücke verbindet. Ebenso kann umgekehrt auch die Rezeption eines Bildes stets nur in einem zeitlichen Prozeß stattfinden. Es scheint also, als ob in diesem alten, in der Formel der verräumlichten Zeit idealisierten Topos des fruchtbaren Augenblicks eine Verwechslung des Inhaltes mit der Mitteilungsform vorliegt. 30. Erwin Panofsky, Die Perspektive als 'symbolische Form', in: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hg. von Hariolf Oberer und Egon Verheyen, Berlin 1964 (S. 99-167) S. 126 31. Ebd., S. 115 32. Panofsky 1925 (wie Anm. 25)
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insofern ihren Niederschlag fanden, als mit dem Beispiel des Hutabnehmens dort ein sozialer Akt als solcher, nicht seine Darstellung, zum Schlüsselmotiv erhoben wird.33 Das Anliegen einer gänzlichen Entästhetisierung wird in der Neubearbeitung des Filmaufsatzes von 1947 durch die schlichte Übersetzung von 'Raum' und 'Zeit' in Bild und Ton vollends deutlich: „Im Film bleibt, im guten wie im schlechten, das Gehörte unlösbar gebunden an das Gesehene; der Ton, artikuliert oder nicht, kann nicht mehr ausdrücken als die gleichzeitig sichtbare Bewegung. Ein guter Film versucht das auch gar nicht". Die Formel vom dynamisierten Raum und der verräumlichten Zeit ergänzt nun der eingängigere Terminus des 'kombinierten Ausdrucks'.34 Der Film als Einheitsstiftung von Form (Bild) und Inhalt (Ton) gewinnt so tatsächlich ähnlich ideale Ausmaße wie vor ihm die Zentralperspektive und später die Renaissance als Uberwinderin des 'principle of disjunction'. Schon die postulierte Verschmelzung von Raum und Zeit als den anschaulichen Pendants zu Fülle und Form rettet in den scheinbar wertneutralen Kriterien der Stilgeschichte die klassizistische Norm einer im Kunstwerk vermittelten zweiten Natur. Zugleich zeigt die Austauschbarkeit des Begriffs Zeit mit dem Filmton, seinem 'Text' also, die Kontinuität zwischen Panofskys stilgeschichtlichen Ansätzen und seinem Modell der Ikonologie. Die anvisierte Lösung des künstlerischen Urproblems im Erzählfilm bestätigt, daß 1932 im Aufsatz zur Inhaltsdeutung kein neuer methodischer Ansatz erfolgt war, sondern der Begriff der Fülle bzw. der Zeit nur durch die ikonographische Bedeutung ersetzt werden mußte. So wie die organische Einheit von Bild und Ton in der Handlungsratio bzw. in kollektiven psychischen Dispositionen aufgeht, ebenso sind die Formen und Motive dem 'letztendlichen Sinn' oder 'Gehalt' des Kunstwerks subsummiert.35 Vor allem aber, weil der Erzählfilm zeichenhaft bleibt, Sprache und Handlung durch Bilder illustriert und insofern ikonographischer Entschlüsselung offensteht,
33. Erwin Panofsky, Introductory, in: Studies in Iconology. Humanistic Themes in Art of the Renaissance, New York 1939, S. 3 ff.; dt.: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung in die Kunst der Renaissance, in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 2 1978, S. 36 ff., vgl. auch Anm. 6 34. Ρ 47, S. 347 35. Eine Art von ikonologischer Deutung, als „unbeabsichtigte Symbolqualität" angesprochen, gibt Panofsky der Schlußsequenz eines Films der Marx Brothers ('Night in Casablanca'). Harpos Vordringen zum Pilotensitz des großen Flugzeugs, von dem aus er vergnügt Verwüstung stiftet, gilt ihm als „ein großartiges und schreckliches Symbol des menschlichen Verhaltens im Atomzeitalter" (P 47, S. 354, Anm. 2).
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findet er bei Panofsky volle Anerkennung als einzig legitimer Nachfolger der traditionellen Bildkunst. Diese letzte Konsequenz legt der Vergleich des Films mit der Entwicklung des Mosaiks oder des Kupferstichs nahe, die jeweils in dauerhafterem bzw. billigerem Material die Malerei fortgesetzt hätten36.
4. Erfahrung statt Analyse ein Ursprungsmythos der Kunstgeschichte In Panofskys Hochschätzung der populären, auf konventionalisierten Aussagen beruhenden Filmsprache ist die auch heute nicht grundsätzlich revidierte Prämisse unverdeckt, daß die kunsthistorische Arbeitsweise auf ganzheitlicher Erfahrung und nicht auf Reflexion beruhe. Nicht in seiner Struktur und gesellschaftlichen Verflochtenheit, allein in seinem positiven Erlebnischarakter scheint der Film überhaupt für Panofsky relevant, was über seinen Kunstbegriff einigen Aufschluß gibt. Die auf Kant zurückgehende Trennung zwischen ästhetischem und kritischem Urteil wurde von ihm wohl über das Vorbild Theodor Lipps rezipiert, der die ästhetische Lust am Gegenstand in seiner qualitativen Einheitlichkeit abgrenzt von der intellektualen Lust. 37 Zwar grenzt sich Panofsky 1920 gegen Lipps psychologische Auffassung des Kunstwollens ab 38 , beruft sich 1926 aber direkt auf dessen Grundannahme, wenn er der Phantasie des Kunstbetrachters nur eine Sinnerfüllung, nicht aber eine Sinnvermehrung zuerkennt.39 Die Kennzeichnung der im Film angeblich zu geläutertem Ausdruck gelangenden Volkskunstmentalität, der Sensationslust, derber Humor und pornographische Neigungen attestiert werden,40 zeigt, daß Panofskys Einwand nur einem individualpsychologischen Ansatz galt. Mit der Verankerung des Films in einer kollektiven Mentalität und den Darlegungen zu einer Ikonographie des Films kompensiert Panofsky geradezu seine früheren Versuche, impressionistische oder expressionistische Bilder dem Gesetz eines positiven gestalthaften Sinnverstehens zu beugen. Das Gründen der Ikonologie in der Alltagswahrnehmung, der bescheideneren Kehrseite des 'Erlebnisses', ist dafür verantwortlich, daß Panofsky den Stoff des Films zum dominierenden Faktor erhebt, wie in der Ikonologie schließlich die Ikonographie den Sieg davon trug. Die Einheit der geschlossenen Romanhandlung, die Korrespondenz zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit und die klare Handlungsdynamik mit Anfang, Ende und 36. Ρ 36, S. 11 f. 37. Theodor Lipps, Grundlegung der Ästhetik, l.Teil, Leipzig und Hamburg 2 1914, S. 24 38. Erwin Panofsky, Der Begriff des Kunstwollens (1920), in: Aufsätze (wie Anm. 30, S. 33-47) S. 37 f., Anm. 9 39. Panofsky 1926 (wie Anm. 28) S. 141 40. Ρ 36, S. 7 f. In der Weiterentwicklung des Volkskunstcharakters, nicht in dem Versuch, durch Anleihen beim Theater den Film mit 'höheren Werten' auszustatten, sieht Panofsky den richtigen Weg des Films, der bei den Gattungen der Filmtragödie, der Filmkomödie und der Filmromanze endet.
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Schluß, die Panofsky in der modernen Literatur ausdrücklich vermißt,41 realisiert der populäre Film. Dieser Auffassung konträr entgegengesetzt ist diejenige Eisensteins, der den Ton wie das Bild als voneinander unabhängige Montageelemente betrachtete, weder in einer literarischen Vorlage, noch im abgefilmten Gegenstand selbst Bedeutung suchte, sondern in der konfrontierenden Abfolge zweier Einstellungen einen neuen gedanklichen Inhalt schuf und damit die Filmbfetrachtung der über die Anschauung hinausgelangenden begrifflichen Erkenntnis öffnete.42 Am ehesten ist Kracauers Filmtheorie den Gedankengängen Panofskys verwandt. Die Gemeinsamkeit zeigt sich zum einen in der gleichwohl unterschiedlich akzentuierten These vom Film als dem Spiegel des kollektiven Unterbewußtseins, welche die Abhängigkeit der Produktion vom Bedürfnis des Volkes voraussetzt und den arbeitsteiligen Herstellungsprozeß, in Analogie zum kollektiven Erleben des Films, als Team-Arbeit versteht.43 Diese schon angesprochene Vorbildlichkeit industrieller Produktionsformen, zielend auf eine ideale Gemeinschaft, unterstreicht Panofsky 1947 durch den Vergleich des Filmwerks mit dem Bau einer gotischen Kathedrale,44 ein Bild, das den Film in die Nachfolge des romantisch-expressionistischen Syntheseideals stellt, welches von C.D. Friedrich bis Gropius die Option auf Einheit von Kunst und Leben offenhielt. Das in der ersten Fassung beschworene Gemeinschaftserlebnis der Filmbetrachter, 1947 um das Bild des diesem nachgebildeten gemeinschaftlichen Produzierens bereichert, stellt das Unbewußte ganz im Gegensatz zur IchPsychologie Freuds als archetypisch vor, so daß eine Opposition der Kunst gegen die Gesellschaft kaum in den Blick kommen kann. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch die Bewertung der Technik, die Panofsky zu Anfang seines Essays spielerisch gegen das Kunstwollen ausgespielt: „It was not an artistic urge which gave rise to the discovery and gradual perfection of a new technique, but a technical invention with gave rise to the discovery and gradual perfection of a new art."45 41. Ρ 47, S. 350. Allerdings nur in dieser späten Fassung rügt Panofsky auch noch die moderne Literatur, die durch die Aufhebung der aristotelischen Regel dazu beigetragen habe, „das allgemeine Publikum den höheren Sphären der modernen Literatur zu entfremden". 42. Sergei Eisenstein, Dialektische Theorie des Films (1929), in: Prokop (wie Anm. 8) S. 65-81 43. Kracauer (wie Anm. 8) S. 159 f. 44. Ρ 47, S. 353. In der ersten Fassung fehlt der Hinweis auf die Kollektivität der Filmproduktion überhaupt, 1936 erscheint an dieser Stelle (P 36, S. 131 f.) lediglich der Vergleich des Regisseurs mit dem Architekten, der die Einzelarbeiten koordiniere. Das Bild der Gotik idealisiert wie die anderen 1947 eingefügten kunsthistorischen Vergleiche den arbeitsteiligen Produktionsprozeß zu einem ganzheitlichen, während 1936 das Gemeinschaftsgefühl der Zuschauer den holistischen Entwurf liefert. 45. Ρ 36, S. 5
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So wie die Mentalität des Volkes erscheint auch die Filmtechnik selbst als ein natürlicher Urgrund; ein Bergsonscher Elan vital, in dem das betrachtende Subjekt mit der Weltbewegung in eins fällt, verkörpert den dynamisierten Raum: „Aesthetically, he (der Zuschauer, R.P.) is in permanent motion, as his eye identifies itself with the lens of the camera which permanently shifts in distance and direction. And as movable as the spectator, is the space presented to him. N o t only solid bodies move in space, but space itself does, changing,
turning, dissolving and recrystallizing as it appears through cutting and editing of the various shots - ...", 4 6 Die Reihung der Filmsequenzen durch die Schnittechnik scheint einen natürlichen Prozeß anverwandelt, von dem der Betrachter 'ergriffen' wird. Nichts anderes als die Form des 'Erlebnisses' ist hier beschrieben, welches unverkennbar expressionistische Züge trägt. Die Eigenbewegung des Raumes und seiner Elemente erinnert bis in die Wortwahl hinein an Tauts Filmphantasie 'Der Weltbaumeister' (1920) und findet sich noch in Klees Idee einer Genesis des Werks 47 - seine Ursprünge liegen aber schon in Schmarsows dynamischem Rhythmusbegriff. 48 Es nimmt nicht wunder, daß Panofsky im Disneyfilm die spezifischen Möglichkeiten des Films zu Entfaltung gebracht sah, da er Inhalt und Form alias Zeit und Raum durch eine auf schlechthin alles ausgedehnte Beweglichkeit verbinden kann. Panofsky sieht etwa eine gelungene Verräumlichung eines Zeitphänomens, nämlich der Musik, in einer Reihe von Seifenblasen verschiedener Größe, welche beim Zerplatzen Töne von sich geben, die in Höhe und Volumen genau ihrer relativen Größe entsprechen.49 Die Einführung der menschlichen Figur in den späteren Disneyfilmen wird kritisiert, weil sie der Natur des Zeichentrickfilms (animated cartoon), Unbelebtes zu beleben, Metamorphosen von Pflanzen, Wolken, Eisen-
46. Ρ 36, S. 9, Hervorhebung von R.P.. Diese von Kracauer akzentuierte Passage des Aufsatzes faßt die Identifikation des Zuschauers mit der Kameralinse als authentische Wahrnehmung auf. In letzter Konsequenz zerstört diese Gleichsetzung des ästetischen und des wirklichen Erlebens die Möglichkeit konkreter, alltäglicher Erfahrung, in gleichem Maße wie die aristotelische Regel absolut gesetzt wird. 47. Zu diesen Aspekten ausführlich Regine Prange, Das Kristalline als Kunstsymbol - Bruno Taut und Paul Klee. Zur Reflexion des Abstrakten in Kunst und Kunsttheorie der Moderne, Hildesheim 1991 48. August Schmarsow, Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, Leipzig und Berlin 1905, S. 91. Bezeichnend ist das Bild vom entfesselten Gebirgsstrom, der Geröll etc. mit sich reißt wie der Rhythmus die anderen Darstellungselemente (Symmetrie und Proportion). Panofsky (wie Anm. 28) bezieht sich 1926 ausdrücklich auf diese Stelle bei seiner Beschreibung des „rhythmischen Erlebnisses", in dem „die Glieder des ... Ganzen stets miteinander verbunden bleiben, ... daß in denselben eine ununterbrochene, von einheitlichem Schwünge getragene, sich immer wieder aus sich selbst erneuernde, kurzum „lebendige" Bewegung empfunden werde. 49. Ρ 36, S. 11. Gelobt werden die Trickfilme auch wegen ihres Volkskunstcharakters.
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bahnzügen hervorzubringen, zuwiderlaufe.50 Genau diese Wertung gilt auch für den Spielfilm, dessen wahrer Ursprung im lebendigen Bild, in der nachahmenden Inzenierung von Postkartendarstellungen, Wachsfiguren und Historiengemälden gesichtet wird.51 Bewegung als Belebung, als Wachsen und Werden schließt dabei die Konfliktempfindung der zeitlich aufeinanderfolgenden Eindrücke aus, welche Eisenstein dem trivialen Begriff des Bewegungsbildes entgegengestellt hat.52 Damit ist die Brücke geschlagen zu der anfänglich dargelegten verdeckten Intention Panofskys auf Stillstellung des Bewegungsbildes in der anschaulichen Einheit von Bild und Bedeutung.
5. Rettung der Wirklichkeit - Panofskys 'Materialismus' Der 'Naturcharakter' des Filmwerks erhält in der Fassung von 1947 einen weiteren Akzent; wie Kracauer53 verweist Panofsky nun auf eine 'objektive Realität', die der Film entschleiere. Hier verbindet sich die Sicht auf den Film im übrigen wieder mit der Interpretation der Zentralperspektive, der vollendeten 'Objektivierung des Subjektiven', obwohl doch die Schnittechnik des Films gerade den einen Betrachterstandpunkt aufhob und die künstlerische Parallele zu dieser kinematographischen Destruktion des einheitlichen Bildraums eher in der Polyperspektivität des Kubismus gesucht werden dürfte. Panofsky geht den umgekehrten Weg, indem er Bedingungen stellt, gewährleistet sehen will, daß die aufgehobene perspektivische Einheit im Film durch die Logik der Handlung ersetzt wird, der Schnitt also die Illusion nicht aufhebt. Die Dynamisierung des Raums muß unbedingt wiedergutgemacht werden in der Raumbindung der Zeit. Um den Film derart als Gipfelpunkt einer homogenen Entwicklung der Bildkunst darzustellen muß freilich auf den direkten Vergleich mit der Malerei verzichtet werden, den Benjamin zum Angelpunkt seiner These vom Auraverlust machte. Die gleichwohl bis zu steinzeitlichen Höhlenmalereien reichenden kunsthistorischen Vergleiche Panofskys zielen stets auf partielle Analogien, ohne strukturelle und technische Unterschiede auch nur zu streifen. Ihr gemeinsamer Nenner ist die 'Natur des Mediums', die der Film wie die anderen ihm vorausgegangenen Bildkünste befolgen müsse, um Stil hervorbringen zu können. Diese Formel tritt gleichgewichtig neben die frühere Raum-Zeit-Gleichung und 50. Ρ 47, S. 355, Anm. 1 51. Ρ 36, S. 7: ... the earliest films added movement to stationary works of art, so that the technical invention could achieve a triumph of its own." (Hervorhebung von E.P.) 52. Eisenstein (wie Anm. 42), S. 69 53. Siegfried Kracauer: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Schriften, Bd. 3, hrsg. von Karsten Witte, Frankfurt a.M. 1975, bes. S. 384 ff.. Wie Panofsky versteht Kracauer die Dynamisierung des Raums im Film als ein direktes Ausgreifen in den natürlichen Raum, als Entdeckung der Bestandteile der Welt. Explizit bezieht er sich hier nicht nur auf Panofskys Film-Aufsatz, sondern auch auf persönliche Äußerungen.
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ihre Erneuerung im 'kombinierten Ausdruck'; sie unterstreicht die dem Film zugewiesene Hauptrolle im modernen Leben, der im Unterschied zu „anderen Kunstformen ... nicht Verzierung, sondern Notwendigkeit" sei, 54 und zwar dadurch, daß, von „der Sonderform des Zeichenfilms abgesehen, ... „der Stoff des Films ... die äußere Realität als solche " sei. 55 Das künstlerische Problem wird nun wieder etwas anders definiert, es bleibt jedoch bei der Synthese gedachter Antipoden: So wie sie sich zwischen Raum und Zeit, Bild und Ton herstellen muß, soll nun auch der als physische Realität geltende Filmstoff mit der jeweiligen Filmtechnik verschmelzen. So habe der Stummfilm den Darstellungsstil „organisch in Beziehung" gesetzt zum „technischen Verfahren der Bewegungsfotografie - wie in Dürers Druckgraphik die Farbe entbehrlich geworden ist.durch eine organische Beziehung zwischen der Zeichnung und dem technischen Verfahren des Kupferstichs und Holzschnitts"; der „Stil dieser 'alten Meister' ... war im Vergleich zum Bühnenstil notwendig übersteigert - genau wie die scharf geschnittenen ... Formen des Holzschnitts ... übersteigert sind im Vergleich zu Bleistift- und Pinselstrichen ...". 5 6 Wandte die ältere Definition das stilgeschichtliche Modell der Grundbegriffe an, entspricht das neuere Konzept der 'Natur' des Mediums und der 'Natur' des Filmbildes einem geradezu funktionalistisch orientierten gleichfalls evolutionären Denken. Die Technik der Montage wie überhaupt der apparative Aspekt des Filmbilds, und somit die subjektive Berechnung des Wahrnehmungsbildes, bleiben, wie auch die neue Qualität der Reproduzierbarkeit, die beim Film in der Technik seiner Produktion selbst wurzelt, 5 7 unberücksichtigt, da Artefakt, technisches Medium und Wirklichkeit für Panofsky denselben Realitätsgrad besitzen. 58 In gut idealistischer Manier eines 'Raffael ohne Hände' stößt die Kamera zur 'wahren' Natur vor, während sie Panofsky einem aktuellen „materialistischen Weltverständnis gerecht" werden sieht. 59 Die vom Zuschauer verlangte Einfühlung in den Apparat, die Augenzeugenideologie des Kinos also, die es tatsächlich in die Tradition der Perspektive und ihrer modernen Nachfolgetechniken - Panorama und Diorama - stellt, kann Panofsky im Rahmen seines subjektiv-idealistischen Weltbildes nicht reflektieren. Seine vordergründige Ablehnung eines den Film begründenden Kunstwollens wie die Einwände gegen einen literarischen Wert des Drehbuchs sollen nur die 'Natürlichkeit' des Filmwerks bekräftigen. 54. 55. 56. 57. 58.
Ρ 47, S. 354 Ebd. Ρ 47, S. 351 Vgl. Benjamin (wie A n m . 13), S. 144 £., A n m . 9 Die „äußere Wirklichkeit" bezieht Panofsky bezeichnenderweise auf .Versailles im achtzehnten Jahrhundert - gleichgültig, ob es sich um das Original handelt oder um ein Hollywood-Faksimile, das sich ästhetisch praktisch nicht davon unterscheiden läßt ..." (P 47, S. 354) 59. Ebd., S. 354
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Auf den ersten Blick stehen sich die 1947 postulierte reine Apperzeption von Natur im Filmbild und die ja auch gerade dem Zeichentrickfilm zukommende semantische Qualität diametral gegenüber. Die Auflösung des Widerspruchs liegt im 'typologischen', auch die partiellsten Analogien aufsuchenden Denken Panofskys: Sowohl die im Zeichentrick gefundene Selbstbewegung der Form wie die abgefilmte äußere Wirklichkeit stellen 'Natur' vor und garantieren somit die bei der modernen Kunst vermißte einsinnige Inhaltlichkeit. Ein Film soll „zugleich natürlich und bedeutungsvoll wirken"60 und „mit der unstilisierten Realität so ... verfahren ..., daß das Ergebnis Stil hat." 61 Der aus Natur hervorgehende und diese doch überwindende Stil aber entspricht genau der klassizistischen Vereinbarungsformel, wie sie Panofsky an Belloris Schriften gezeigt hat.62 Die Metamorphose der Realität zum Filmstil wäre im Sinne Panofskys die äußerste Konsequenz aus Belloris Verlegung der Idee in die sinnliche Anschauung, die als Objektivierung des Subjektiven jede Diskrepanz zwischen Bewußtsein und Welt, mithin auch zwischen künstlerischer Produktion und Wirklichkeit aufhebt. Mit dem Verzicht auf eine Berücksichtigung des technischen Mediums wird die Realität selbst zum Regisseur erkoren.63 Errettung der physischen Realität durch die 'Natur' des Mediums Film, Kracauers wie Panofskys Argument, meint nach wie vor, unter Rekurs auf die Idee psycho-physischer Entsprechung, die Lesbarkeit des Filmwerks und seiner Elemente als Zeichen. Das ihr zugrundeliegende Verständnis des Films als quasinatürlicher Metamorphose des Raums und der Dinge in ihm, als organisch belebtes Anorganisches, um es mit Worringer auszudrücken, hebt sich ab gegen Benjamins metaphorische Beschreibung des Films als chirurgischem Eingriff und steht ebenso seinem Vergleich mit der Psychoanalyse entgegen.64 Der Unterschied ist nur oberflächlich erfaßt in der Feststellung, daß Benjamin einen unmittelbaren Zugang zur Wirklichkeit durch den Film, wie ihn Panofsky hypostasiert, ausschließt. Denn die vermeintliche Natürlichkeit des Filmbildes ist wie ausgeführt ja nur eine Überformung des Wunsches nach unvermittelter visueller Entäußerung eines Inhalts und widerstrebt gerade sinnlicher Erfahrung. Diese Grundlage des einfachen Sinnverstehens hebt Benjamin auf. Ihm geht es um die andere Natur des im Film Sichtbaren, um die Aufhebung des optisch Unbewußten durch die Zerglie-
60. Ebd., S. 351 61. Ebd., S. 355 62. Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Berlin2 1960, S. 59 ff. 63. Auch Kracauer, der Panofskys Rede vom dynamisierten Raum das Bild des Elektronenstrahls an die Seite stellt (wie Anm. 26, S. 12), der „die gesamte sichtbare Welt" abtastet, meint die Natur als solche, nicht eine durch die Filmkamera kommentierte Wirklichkeit und bleibt so einem mystischen Wahrnehmungsmodell, das psychophysische Entsprechungen sucht, verbunden. 64. Benjamin (wie Anm. 13) S. 158, Anm. 22 und S. 160 f.
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derung der visuellen Wirklichkeit, also um das, was der Schnitt und nicht das Sujet zeigt, die Form und nicht der Stoff. Panofskys Bestehen auf einer ideologiefreien Konkretion der Realität im Film impliziert das Paradoxon, daß er als Kunst gilt, solange er nicht als Kunst auftritt, nämlich, wie z.B. im deswegen mißbilligten 'Kabinett des Doktor Caligari',65 die Formgebung vom Realismus der Filmaufnahme emanzipiert. Die mögliche Auflösung dieser Paradoxie liegt in der Pointe, daß der traditionelle Kunstbegriff meistens das Außerkünstlerische meinte.66 Panofsky benutzt den Film, um an ihm die von der Moderne abgesetzte Natur als Lehrmeisterin wiedereinzusetzen, zur Rehabilitierung einer ahistorischen Norm des Künstlerischen, während Benjamin an den neuen Reproduktionstechniken die Wandlung des Begriffes von Kunst verfolgt.
6. Rettung der Aura - Panofsky und Benjamin Panofskys Ausführungen zur Arbeit des Schauspielers in Film und Theater erhärten nicht nur die oft geäußerte Kritik an der Ikonologie als einer auf Konventionalität angewiesenen Betrachtungsweise; sie zeigen auch ihre restaurativen Ambitionen, legt man Benjamins auf Lukács zurückgehende Analyse zugrunde, die grundsätzlich zwischen dem Hier und Jetzt der Theateraufführung und dem apparativ gefilterten, zusammengesetzten Filmbild unterscheidet, in dem die Aura des Dargestellten wie des Darstellers und mit ihm die kontemplative Haltung des Zuschauers verschwindet zugunsten einer begutachtenden und zugleich zerstreut genießenden Aufnahme. Daß auf der Bühne eine authentische Handlung sich abspielt, während der Film als solcher Reproduktion ist, wäre Grund genug, eine Vergleichbarkeit überhaupt in Frage zu stellen. In der Beurteilung des Darstellers wird bei Panofsky hingegen geradezu eine Verkehrung des empirischen Sachverhalts deutlich. Der technische Herstellungsprozeß des Films, der die Arbeit des Filmschauspielers zerstückelt und sie auch für den Rezipienten nicht mehr als Totalität erfahrbar macht, wird von Panofsky als Anreiz zur Verstärkung der Identität zwischen Schauspieler und Rolle begriffen. Der Bühnendarsteller habe wie der Pianist ein stets abrufbares Repertoire einstudiert, wird als lediglich ausführend verstanden, während der Filmdarsteller mit dem unmittelbar sich im Werk
65. Während in der ersten Version (P 36, S. 10) dieser Film noch als expressionistisches Meisterwerk zitiert wird, kann er 1947 (P 47, S. 355) „nicht mehr sein ... als ein anregendes Experiment". 66. Ein zeitgenössischer Versuch, zwischen außerästhetischen und autonomen künstlerischen Phänomenen zu unterscheiden und so einer Biologisierung der Kunstentwicklung entgegenzuwirken, findet sich bei Ernst Michalski, Die Bedeutung der ästhetischen Grenze für die Methode der Kunstgeschichte, Berlin 1932
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entäußernden bildenden Künstler vergleichbar sei. 67 Die Präsenz des Theaterdarstellers wird damit zur Entfremdung, die apparative Kommentierung der Schauspielarbeit durch die Kamera zur werkschaffenden unmittelbaren Identifikation zwischen Darsteller und Rolle umgedeutet. Es zeigt sich hier auch, wie weit Panofsky davon entfernt ist, literarische Werte für den Film auszuschließen. Die Beobachtung, daß die Filmrolle im Unterschied zur Figur eines Theaterstücks keine Existenz außerhalb des Darstellers besitzt, führt ihn nicht, wie Eisenstein und andere, zu dem Schluß, daß die Darsteller im Film wie Requisiten zu behandeln seien, die Filmaufnahme nicht nur dem Rollenspiel, sondern grundsätzlich jedem Menschen in seiner alltäglichen Arbeit zukomme. 68 Eine solche Abwertung des Sujets, wie sie die bildenden Künste schon längst vollzogen hatten, war Panofskys kunstwissenschaftlicher Systematik per se fremd. Das Verblassen der literarischen Vorlage gewährte für ihn vielmehr die Chance zu ihrer gesteigerten Vergegenwärtigung durch die Präsenz des Darstellers, exemplarisch in Laughtons Verkörperung des hühnerbeinessenden Heinrich VII. 6 9 Clausbergs hierzu geäußerte Kritik am personenzentrierten Naturalismus Panofskys ist daher um die Nuance zu ergänzen, daß dieser in einer Absolutsetzung der Wahrnehmung ruht und damit idealistisch konzipiert ist. Für Panofsky sind die reproduzierten Wirklichkeiten im Film nicht Material, sondern Gegenstand der Darstellung. Die filmische Reproduktionstechnik dient so lediglich der Erhöhung des sinnlichen Scheinens der Idee, nicht aber als Mittel der Verfremdung und kritischen Kommentierung von Wirklichkeit, wie es die Montage-Theorie vorsah. Anstelle der Liquidierung von Tradition begrüßt Panofsky im Kino ihre Errettung.
7. Die Antimoderne Gerade als kommerzielles Medium nähert sich der Film dem idealistischen Kunstverständnis. Seine Massenverbreitung wird bejaht als Wiedereinsetzung eines 67. Dieser die Kontinuität der Malerei im Film betonende Gedanke gehört zu den wenigen Neuerungen der Fassung von 1937 (wie Anm. 4) S. 131. In der Endfassung wird der Filmschauspieler wie der Regisseur mit dem Bildhauer oder Architekten verglichen, denn hier ist der Arbeitsvorgang in den Mittelpunkt gestellt, der beim Theater (gemeint ist nicht das Proben, sondern die Vorstellung selbst) diskontinuierlich aber flüchtig, beim Film diskontinuierlich, dafür aber dauerhaft sei (P 47, S. 353). Somit wiederholt sich trotz veränderter Vergleichs-'Staffage' die Option auf ewige Kunst im Film. Der diskontinuierliche Aufbau endet mit der Fertigstellung und Ablösung des Produkts vom Produzierenden, freilich nur auf Grund der Verwechslung von Inhalt und Mitteilungsform in der Nachfolge Lessings (vgl. Anm. 29). 68. Dazu auch Rudolf Arnheim, Film als Kunst, München 1974, S. 177 ff. Lukács beobachtete in diesem Sinne im Film „das Dekorativwerden des unpathetischen, des gewöhnlichen Lebens" (Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos (1913), in: Theorie des Kinos. Ideologiekritik der Traumfabrik, hg. von Karsten Witte, Frankfurt 1972 (S. 142 ff.) S. 144) 69. Ρ 36, S. 14. Eben diese unnachahmliche Szene ist kaum als Interpretation einer Rolle zu verstehen.
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Kunstpublikums und mit ihm einer klassizistischen Norm auf der Ebene von 'Volkskunst'. 70 Als Voraussetzungen für Panofskys Mythos vom Kino wurden die apriorische Abgrenzung der ästhetischen wie der kunstwissenschaftlichen Erfahrung gegen die intellektuelle Reflexion und die hierin begründete Gleichsetzung von künstlerischen und natürlichen Objekten herausgestellt. Die für die Ikonologie verallgemeinerbare Ausgrenzung kritischer Potentiale richtet sich dabei nicht gegen die hochintellektuellen Inhaltsexegesen eines Gegenstandes in seiner „qualitativen Einheit", um den Terminus von Theodor Lipps zu verwenden, sondern gegen eine aus der Zergliederung des Gegenstandes gezogene, in der Beziehung zwischen dem Werk und der Erfahrung des Rezipienten gegründete Erkenntnis. Zwei Anmerkungen Panofskys aus anderen Schriften mögen dies noch veranschaulichen. In dem Aufsatz 'Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin' bemerkt er selbst, daß seine Methode keine Differenzierung zwischen Kunstwerken höheren und niederen Ranges erlaube und überläßt das Urteil darüber einer automatischen Evidenz, worin sich letzten Endes das Schweigen Belloris vor dem Schönen wiederholt. Eine weitere diesen Punkt berührende Notiz findet sich in der kurzen Abhandlung zum 'Problem der historischen Zeit'. Panofsky versucht hier den Streit zwischen Kenner und Kunstwissenschaftler beizulegen, indem er postuliert, das Kennerurteil enthalte potentiell schon das, was in der kunstwissenschaftlichen Analyse ausgeführt werden könne. 71 Beide Anmerkungen bezeugen die Vorstellung einer stets ganzheitlichen und widerspruchsfreien kunsthistorischen Arbeit, ob diese nun positivistisch das Werk in Zeit und Raum bestimmt oder ob sie intuitiv seine Bedeutung erkennt. Das Richtige im Falschen des Filmaufsatzes von Panofsky ist das hier noch offenliegende Problem, daß die Kategorien der Stilgeschichte und die hieran knüpfenden der Ikonologie bei der modernen Kunst nicht greifen, dafür ironischerweise jedoch in bestimmten Bereichen trivialer Ästhetik Realisierung finden. 70. Mit ähnlich immanenten Methoden und geistesgeschichtlichen sowie ikonographischen Begründungen arbeitete Leo Spitzer in seinem 1956 veröffentlichten Aufsatz über die Sunkist-Reklame 'Amerikanische Werbung - verstanden als populäre Kunst', in: Eine Methode Literatur zu interpretieren," München 2 1970, S. 79-99. Man erinnere sich, daß Panofsky neben den Film die Gebrauchsgraphik als lebendige Kunst stellte. Die Parallele zeigt eine für die Ikonologie wie für die Hermeneutik ähnlich liegende Problematik. Doch während Spitzers Aufsatz in der Literaturwissenschaft zu einer Methodendiskussion führte, d.h. das Funktionieren der hermeneutischen Methode am Gegenstand der Werbung als Desavouierung ihrer Prämisse des autonomen Kustwerks begriffen wurde, blieb die ihr nahestehende Ikonologie von dem Verdacht weitgehend frei, daß sie von vornherein das Gesellschaftliche des Kunstwerkes ausklammere. Für diese Kritik wurden hier einige Gründe angeführt. 71. Erwin Panofsky, Zum Problem der historischen Zeit, in: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hg. von Hariolf Oberer und Egon Verheyen, Berlin 1964 (S. 77-83) S. 78 f., Anm. 2. Zum Stichwort der automatischen Evidenz siehe ders., Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin (1940), in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1978, S. 22, Anm. 13
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Es ist die Frage, ob die Erweiterung und kritische Ergänzung der ikonologischen Methodik in der Nachfolge Panofskys dieses Problem nicht eher verdeckt und damit die antimodernistische Stoßrichtung erst wirksam gemacht hat. Panofsky fand im Film etwas, was ihm die Moderne verweigerte, die deshalb nicht zum Gegenstand seiner kunstwissenschaftlichen Betrachtung wurde. Diese Ablehnung der modernen Kunst bedient sich dabei derjenigen weltanschaulichen Positionen, die auch der zur Klassizität sich erhebenden Avantgarde selbst eigneten. Die antimoderne Assimilation an die Tradition muß als ein Phänomen der Epoche insgesamt gesehen werden, was hier abschließend nur angedeutet werden kann: 72 Die beiden Seiten der Raum-Zeit-Gleichung Panofskys zum Film sind mit den beiden wesentlichen Strategien jener Assimilation kongruent. Mit dem Terminus der Dynamisierung des Raums versucht Panofsky, die Destruktion des einheitlichen perspektivischen Bildraums aufzuheben durch die Denkfigur der Selbstbewegung. 73 Die Verräumlichung der Zeit meint die konventionelle Lesbarkeit, negiert also die antinarrativ eingesetzte Montage ebenso wie die Selbständigkeit von Farben und Formen in den bildenden Künsten. Panofskys Abspaltung des TechnischFormalen erweist sich dabei, und dies ist vielleicht die entscheidende Konsequenz, als notwendig verknüpft mit der Abspaltung der gesellschaftlichen Verflochtenheit des kunstwissenschaftlichen Gegenstandes, in diesem Fall der extremen Eingebundenheit des kommerziellen Kinos in den ökonomischen Verwertungsprozeß. In der Vernachlässigung der Technik bzw. der künstlerischen Form als Faktoren selbständiger inhaltlicher Stellungnahme zeigt sich zudem das Erbe der Stilgeschichte. Eine konstruktive Rezeption von Panofskys Filmaufsatz könnte also darin bestehen, die negierten Qualitäten des Films, z.B. die Montage, das Nicht-Identische also, als abgewehrte Qualität der Moderne systematisch ins Licht zu rücken und so ein Bild dessen zu zeichnen, was die Moderne ohne ihre Klassizität ist. 72. Eine Steigerung der Abwehrhaltung Panofskys in der Ära des Abstract Expressionism (siehe dazu den Beitrag von Beat Wyss) folgte wohl notwendig, denn Panofsky war in den Theorien der amerikanischen Avantgarde sozusagen mit der Wiederkehr des Verdrängten konfrontiert - der Ikonologie der Abstraktion als historischer Wurzel und Resultat seiner eigenen Theoriebildung. Zu letzterem Aspekt Regine Prange, Die erzwungene Unmittelbarkeit. Panofsky und der Expressionismus, in: Idea, 10. 1991, S. 221-251 73. Ahnlich im übrigen Dorners evolutionäres Konzept der Selbstveränderungskräfte u.a. vorgeführt an Wilhelm Büschs Bildserien. Alexander Dorner, The Way beyond 'Art'. The Work of Herbert Bayer, New York 1947. Für die Anregung zu dieser Studie und zahlreiche Literaturhinweise danke ich Konrad Hoffmann. - Zur Zitierweise: Die zweite Fassung des Filmaufsatzes stimmt im wesentlichen mit der ersten überein, auf welche daher vorzugsweise Bezug genommen wird. - Erwin Panofsky: On Movies, in: Bulletin of the Department of Art and Archaeology of Prìnceton University, Juni 1936, S. 5 - 1 5 (= Ρ 36). Die stark veränderte Version von 1947 wird, wenn dem englischen Originaltext nicht eine besondere argumentative Relevanz zukommt, nach der Übersetzung von Helmut Färber zitiert - Erwin Panofsky: Stil und Stoff im Film, in: Filmkritik, 11. 1967, S. 3 4 3 - 3 5 5 (= Ρ 47)
Ein Druckfehler Beat Wyss
Panofskys Bekanntschaft mit aktueller Kunst war kurz, heftig und endgültig im Verstummen. Sie begann mit einem Zufall. Im Februarheft der New Yorker Kunstzeitschrift ARTNews von 1961 war eine Besprechung des Renaissance-Buchs erschienen.1 Diesem Sachverhalt ist es zu verdanken - oder besser: anzulasten - , daß Panofsky ein Heft in die Hand nahm, das ein Sprachrohr der neuesten Tendenzen in der amerikanischen Gegenwartskunst ist. Panofsky war offenbar so verblüfft von dieser Zuwendung von unerwarteter Seite, daß er einen Leserbrief schrieb, in dem er sich für die Rezension bedankte. Dieser wurde im Aprilheft gedruckt. Doch der alte Herr von Princeton erwiderte nicht nur sein Geschmeicheltsein, er hatte auch den Rotstift gezückt. „I find it increasingly hard to keep up with contemporary art", bekennt er freimütig und gibt den aktuellen Grund an: ein Druckfehler im Artikel über Colourfield Painting, der im gleichen Heft erschienen war wie die Rezension seines Buchs. Panofsky brauchte den Text des jungen Kunstkritikers Robert Rosenblum nicht einmal zu lesen, um seine überlegenen Lateinkenntnisse offensiv anzuwenden: „Vir Heroicus Sublimus" prangte als Legende unter einer Abbildung von Barnett Newmans also betiteltem Werk. Panofsky mochte sich in seinen Vorurteilen über die Künstler der Gegenwart vollauf bestätigt sehen und holte mit bissiger Ironie gegen Newman aus: „I find myself confronted with three different interpretations of the curious form ,Sublimus': Does Mr. Newman imply, that he, as Aelfric says of God, is ,above' grammar"; or is it a misprint: or is it plain illiteracy? In the optimistic assumption that the first of these possible interpretations are true, and with my best thanks... Erwin Panofsky". O b er selber seine Institutsadresse darunterschrieb, oder ob es der Herausgeber tat, um den Professor so zum Abschuß freizugeben - es stand darunter, wie das Pünktchen auf dem i: „The Institute for Advanced Study, Princeton, New Jersey". 1. In keiner Bibliothek Nordrhein-Westfalens war (im M ä r z 1992) der Jahrgang 1961 von A R T N e w s greifbar. Mein Dank geht an Denise Bratton, die mir die einschlägigen Seiten in der Bibliothek des Getty Center, Santa Monica, fand und kopierte - meiner mangelhaften Quellenangabe zum Trotz!
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Die Standpauke ex cathedra hatte nicht den gewünschten Effekt. Panofsky glaubte wohl, einem Halbwilden zu begegnen, der sich von der Ubermacht seines Gebildetseins füglich einschüchtern ließe. Doch da kannte er einfach die amerikanische Kunstszene zu wenig, die aus höchst gebildeten Leuten bestand. Barnett Newman entstammte zudem einem mit dem Panofskys vergleichbaren Milieu. Die Neumanns waren als jüdische Emigranten 1900 aus dem russisch-polnischen Lomza eingewandert. In der damals noch gutbürgerlichen Bronx übte sich Barnett in Hebräisch und dem Pianospiel, studierte Philosophie am City College und arbeitete in Vaters Geschäft für Männerbekleidung. Der Bankrott von 1929 beförderte den Entschluß, sich der Kunst zuzuwenden. Newman - dreizehn Jahre jünger als Panofsky - gehört also zu den älteren Künstlern im Kreis der „Irascibles"; von diesen war er geschätzt als ein guter Schreiber, mischte sich in Debatten ein und verfaßte Katalogtexte für seine Freunde. Er verkörperte innerhalb der Künstlergruppe eine intellektuelle Autorität, mit der sich nun ein Kunsthistoriker, Panofsky, angelegt hatte. Newman parierte die drei professoralen Vermutungen - übrigens aufgebaut wie die ikonologische Analyse: das Bonmot nach Aelfric entspräche dem Wesenssinn; der Druckfehler dem Bedeutungssinn; die „illiteracy" des Künstlers dem Phänomensinn - souverän und systematisch, Punkt für Punkt. Er beginnt mit dem Einfachsten: Hätte Panofsky den Aufsatz nämlich gelesen, hätte er sofort gemerkt, daß hier ein blanker Druckfehler vorlag; denn im laufenden Text steht die korrekte Fassung: „Vir Heroicus Sublimis". Panofsky der Oberflächlichkeit zu bezichtigen, reichte noch nicht. Er wollte ihn auf dessen eigenem Feld schlagen. Die Ehre der Setzer und Korrektoren von ARTNews zu verteidigen, wies er etymologisch nach, daß „Sublimus" tatsächlich auch möglich wäre als archaisierende Form, wofür er als Quellen die römischen Schriftsteller Accius und Cicero angibt. Nicht nur wegen nachlässiger Überprüfung, sondern auch wegen „poor scholarship" müsse Panofsky bei ARTNews in Latein durchfallen. Newman erweist dem journalistisch geprägten Namen der „Irascibles" alle Ehre, denn sein Zorn des Gerechten ist nicht zu bremsen. Er bezichtigt den Kunsthistoriker der Arroganz und Bösartigkeit. „This violation of the ethic of science, must, it seems to me, make his scholarly findings suspect." Dem gelehrsamen Bonmot von „Gott steht über der Grammatik" dreht er die Spitze um. Er weiß natürlich, wer Aelfric ist (oder zumindest, wo er nachschlagen mußte, um es herauszufinden)2 und entgegnet: „The tenth-century monk had a greater sensitivity for the meaning of the act of creation than does Panofsky. One would think that by now Prof. Panofsky would know the basic fact about a work of art, that for a work of art to be a work of art, it must rise above grammar and syntax - pro gloria Dei." Geschickt verknüpft so Newman seine Schelte mit einem Grundsatz 2. Nach mündlicher Mitteilung von Karen Michels war es Meyer Schapiro, der Newman im Hintergrund tatkräftig beraten hat.
Ein Druckfehler
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künstlerischer Kunsterfahrung: Diese vollzieht sich im Akt ästhetischer Erhebung als schweigender Vollzug. Professorale Wortklauber haben in diese Region keinen Zutritt. Der Sommer 1961 ging ins Land, ein Quartal Pause für ARTNews. Doch pünktlich zur Rentrée der Künstler von Montauk, Long Island oder Cape Cod, erschien Panofskys Antwort auf Newman. Der Selbstironie, daß sein RenaissanceBuch nur an Pedanten gerichtet sei, wird er durchaus gerecht. Denn auch jetzt geht es ihm nur um eine korrekte lateinische Endung. Verrät sich hier der Pferdefuß der Ikonologie, die verdächtigt wird, auf Begriffen zu stehen, statt auf Bildern? Merkwürdig ist schon, daß der Hauptangriff von Newman, der Kunsthistoriker habe keinen Sinn für Kunsterfahrung, Panofsky nicht trifft. Was ihn trifft, ist einzig die angetastete Ehre des Lateiners. Panofsky muß einlenken, daß die archaische Form „sublimus" korrekt ist, doch sei sie nur für die Bezeichnung von körperlich „erhabenen" Dingen verwendbar, wie etwa: „erhabene Lettern", „erhabene Bossenquader". Für das Erhabene im geistigen Sinne stehe „sublimis". Nach vielen Fallbeispielen, die er, wie ein Schulmeister, von einem altklugen Schüler in die Enge getrieben, an der Wandtafel explizierte, Schloß er: „I shall extend my apologies to the compositors and proof-readers of ARTNews and be glad to think of Mr. Newman as a PICTOR SUBLIMUS". (Das vertrakte Kompliment gleicht dem von Napoleon an einen hochgewachsenen Bibliothekar, der dienstfertig ein Buch vom Regal holen wollte, „car je suis plus grand - au moins plus long", soll der kleine Kaiser geantwortet haben.) Der joviale Tonfall zur Güte verfing nicht. Nicht ein Lob, sondern eine Entschuldigung habe er von Panofsky erwartet. Newman schöpfte selbstverständlich den Heimvorteil aus, den ihm der Herausgeber der Zeitschrift, Alfred Frankfurter, gewährte. Frankfurter hatte dem Künstler Panofskys Brief vor der Drucklegung zugespielt, daß dieser gleich anschließend replizieren konnte. Wieder attackierte Newman die Attitüde der Gelehrsamkeit direkt, indem er nachwies, aus welcher Lateingrammatik (Kuhner's) Panofsky seine Beispiele abgeschrieben hatte. Humanistische Versiertheit war als Bluff hingestellt. Newman ließ sich auf die Philologie ein, um zu zeigen, daß man damit das Problem verfehlt, daß das Verständnis von Kunst wirklich jenseits der Grammatik liege. Newman beanspruchte für sich die „potestas audendi", wie er in Nachahmung humanistischer Attitüde schreibt. Das Poetische entstehe im Wagnis, konventionelle Regeln überschritten zu haben. Der Pedant ist daher unfähig zur ästhetischen Erfahrung. Panofsky habe gezeigt, „to be unfeeling towards any work of art since Dürer". Mit diesem Wink zeigte Newman, daß er Panofskys Dürer-Monografie kannte, und gab damit zugleich zu verstehen, daß ein Kunsthistoriker, der ihn und die Gegenwartskunst nicht kennt, von Kunst nichts versteht. So war die Begegnung eines bedeutenden Kunsthistorikers mit einem bedeutenden Künstler gescheitert. Die Schuld lag beim Kunsthistoriker. Newman nahm die Kunst zu ernst, als daß er den Streit beigelegt hätte mit Panofskys Angebot, in
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höflicher Unverbindlichkeit auseinanderzugehen. Der Streit sollte unversöhnt bleiben.3 Panofsky waren zwei Chancen gegeben, einen Dialog aufzunehmen. Er hat sie nicht wahrgenommen und verscherzt. Die erste Chance war die Buchbesprechung in ARTNews von George Kubler. 4 Es handelte sich keineswegs nur um eine Gefälligkeitsarbeit. Schon der ambitionierte Titel: „Disjunction and Mutational Energy" bezeugt den Versuch Kublers, das Zeitgemäße an Panofskys Buch über die Renaissance hervorzuheben. Natürlich muß er für die New Yorker-Trendsetterszene die Vorwarnung machen, daß bei Panofsky die Moderne um 1600 beginne: aber „although he discusses old arts and ideals, never alluding directely to contemporary works of art or artists, his discoveries bear upon the innermost chronographic sensations of intellectually productive persons. The book is possibly a signpost in the difficult reorientation that our actual periodical change requires". Obwohl der Autor die Bezüge nicht herstellte, nimmt sich der Kritiker die Mühe, das Wegweisende im Renaissance-Buch zu dolmetschen. Als ersten zentralen Punkt greift er Panofskys Analyse von der disjunction, der Zerlegung des antiken Erbes im Mittelalter auf. Das „Disjunktionsprinzip" besteht in der Scheidung von antiker Form und antikem Inhalt, von Bild- und Texttradition - nach Panofsky eine „Allergie des Hochmittelalters ..., diejenigen seelischen Erfahrungen und kulturellen Tätigkeiten aufzuteilen, die sich in der Renaissance vereinigen oder miteinander verschmelzen sollten". 5 Die neoplatonische Leistung des Verschmelzens von Wissenschaft und Kunst sieht Kubler - und hier denkt er Panofsky weiter - als den Beginn neuzeitlich-moderner Künstlerphilosophien, die auf einen Holismus von Erkennen und Schöpfen abzielen. Und solche Ideen waren damals im Gespräch. Der Technikglaube der restaurativen Fünfzigerjahre wurde einer Kritik unterzogen. Kublers Rezension kann als Stimmungsbarometer abgelesen werden für die intellektuelle Mentalität im Umkreis der Zeitschrift, welche die eigene Zeit in ihrem instrumentellen, materialistischen Verhalten als ebenso „zerlegend" empfand, wie das Mittelalter, das Panofsky beschrieb. Kubler versteht Panofskys Darlegung des Neoplatonismus als historische Herleitung der modernen Zivilisationskritik, einer 3. Die Herausgeber von Newmans Schriften haben die Debatte um einen Druckfehler für immerhin so wichtig erachtet, daß die Leserbriefe an ARTNews neu abgedruckt wurden in: Barnett Newman, Selected Writing and Interviews, ed. by John P. O'Neill, Text Notes and Commentary by Mollie McNickle, Introduction by Richard Shiff, Berkeley, Los Angeles, New York, Knopf, 1990, pp. 216-220. Die Ausgabe zitiert auch ein Dankesschreiben Newmans an Schapiro (siehe Anm. 2) für die Unterstützung in der ersten Runde im Kampf mit Panofsky: „I'm sending you a copy of my letter. Panofsky has written another one in an attempt do weasel out, which I will refute in the next ARTNews. The fun continues ... I want to thank you again for your .sublime' help." (op. cit., S. 218). Eine französische Übersetzung von Pierre Brochet: La correspondence Panofsky/Newman, in: Macula 2, 1977, S. 147-149. 4. ARTNews, Februar 1961. 5. Zit. nach der deutschen Fassung: Die Renaissancen der europäischen Kunst, übers, v. Horst Günther, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1979, S. 109.
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oppositionellen Haltung zur Wissenschaft und Technik der Sachzwänge, die dank Panofskys Buch von der Renaissance über die Romantik zur Moderne klar zu verfolgen sei. Kubler schreibt von einer gegenwärtigen Phase des Umbruchs, der Orientierungshilfen brauche. Vielleicht war der Titel des Buchs: „Renaissancen" - dieser Plural! - überhaupt die Motivation des Kritikers, das Buch für ARTNews zu besprechen, in der Erwartung, über die Gesetzmäßigkeit von Umbrüchen zu lesen gewissermaßen herauszuhören, was die aktuelle Kunstszene bereits selber schon erwartete: nämlich daß nach der karolingischen, der ottonischen, der humanistischen nun die Renaissance der Avantgarde in New York sich erfülle. Und damit hängt das zweite Stichwort zusammen, das Kubler aufgreift: „mutational energy". Einem amerikanischen Intellektuellen war es Balsam, aus dem Buch eines Exileuropäers herauszulesen, daß eine neue Synthese kultureller Traditionen „is likely to happen not in the old and saturated centers of a society..., but in crafts and places where nothing of importance has occurred for some time". So habe die italienische Malerei in ihrer Rückständigkeit nach 1300 europaweit die Führung übernommen; aus der unproduktiven Isle-de-France sei die Gotik entstanden, aus dem im Mittelalter zerfallenen Rom das Barock. „Yet the most important systems of events will surely occur elsewhere, and not on the spot where tradition is seated". Wo die Tradition saß, das wußte jeder amerikanische Maler: in Paris. Aber auch wo elsewhere sei: New York. Panofskys Buch konnte also gelesen werden als Bestätigung für die Richtigkeit, sich vom Pariser Diktat abgewandt zu haben und sich auf die eigene künstlerische Potenz zu verlassen: ein kollektives Umdenken, das während des Zweiten Weltkriegs begonnen hatte und nun anfangs der sechziger Jahre seine Früchte trug, als mit dem Export der US-Kunst an die europäischen Kunsthallen und Museen deren Zeit der internationalen Dominanz begann. Was will ein Kunsthistoriker mehr, als von Seiten einer künstlerischen Bewegung im Aufwind das Kompliment, sein Werk sei „Wegweiser" für sie von der Vergangenheit her? Die Kunstszene um die New Yorker ARTNews hat Panofsky als einen Verbündeten aufnehmen wollen; natürlich war er zu alt und doch ein bißchen zu gelehrsam, der Wilhelm Worringer des Abstract Expressionism zu werden; aber er hätte wenigstens die geschenkte Aufmerksamkeit mit Wohlwollen annehmen können. Die intellektuelle Sprödigkeit gegenüber dem Neuen zeigt eine schwache Seite an diesem doch bedeutenden Forscher. Panofsky bekennt denn auch, er fühle sich „a little uneasy", weil „this kind words (die netten Worte des Rezensenten) seem to encourage contemporary artists to read my book or even to invest the outrageous sum of $19 in it". 6 Mit solcher Scheinbescheidenheit entwertet Panofsky in der Tat das intellektuelle Engagement der Künstler. Hinter seiner dürren Arroganz blitzt die Angst vor Aktualität, die mit Widerspruch und Verantwortung rechnen muß. 6. Leserbrief in ARTNews, Februar 1961.
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Ein alter Mann ist von der jungen Gegenwart angesprochen worden, und der zieht sich unter fadenscheinig ironischen Ausflüchten zurück in den Elfenbeinturm. Diesen hatte er bereits acht Jahre zuvor als Vorrecht des Intellektuellen beschworen. Anläßlich eines Graduierten-Panels an der Universität Princeton zum Thema: „Soziale Verantwortung der Künstler und der Kritiker" 7 entledigte sich Panofsky der Aufgabe, indem er den Topos vom „Elfenbeinturm" entlang einer beeindrukkenden Parade von literarischen Belegen auf das Hohelied zurückführte: „Collum tuum sicut turris eburnea" (Dein Hals ist wie ein Turm aus Elfenbein). 8 In diese Wehr- und Fluchtburg habe der Intellektuelle sich zurückzuziehen. Der vita contemplativa verpflichtet, sei er bestimmt, die Welt zu überblicken, und von der Turmzinne aus gegebenenfalls die Menschen am Boden („men on the ground") laut zu warnen („raise his voice in alarm and lament"). 9 Gewiß hat Panofsky recht, wenn er für eine Gewaltentrennung zwischen Denkenden und Handelnden plädiert. (Viele Visionen der Moderne wären vielleicht nicht so kläglich gescheitert, wenn dieser Grundsatz von Montesquieu auch kulturpolitisch befolgt worden wäre.) Doch kann dieser Elfenbeinturm auch zu hoch gebaut sein, daß der Mann im Turm den Boden, auf dem sein Wachtposten steht, nicht mehr sieht. Oder war die warnende Stimme von der humanistischen Höhe her in seiner sibyllinischen Form nicht mehr zu verstehen, wenn Panofsky 1930 den „Herkules am Scheidewege" publizierte, 1 0 ein Jahr vor seiner ersten Gastprofessur in New York, vier Jahre vor seiner endgültigen Übersiedlung nach den USA? Der Name „Hitler" 1 1 taucht meines Wissens schriftlich bei Panofsky in der Apologie des Elfenbeinturms 1953 zum ersten Mal auf. Daß Panofsky fähig war, auf Phänomene der Gegenwartskultur originell und geistreich - ohne unnötig abgespreizten Humanistenfinger — einzugehen, hatte er unter dem Eindruck der neuen, US-amerikanischen Umwelt bewiesen mit seinem Aufsatz „On Movies". Verglichen mit Walter Benjamins idealisierendem Rückblick auf den Stummfilm zeigt Panofsky hier eine Aufgeschlossenheit, die auch Mickey Mouse nicht verschmäht und im Zeichentrickfilm eine Fortführung von erzählerischen Bildprogrammen der Renaissance erkennt. Der Essai wurde nach seiner Publikation 1936 mehrmals wiederaufgelegt 1 2 und noch 1967 auf deutsch übersetzt für die Cinéastenzeitschrift „Filmkritik". 1 3 7. Publiziert in: The Association of Princeton Graduate Alumni (3), Report of the Third Conference Held at the Graduate College of Princeton University on January 1-3, 1953, S. 76-85. 8. op. cit., S. 79f. 9. op. cit., S. 83 10. Hercules am Scheidewege und andere Bildstoffe in der neueren Kunst (Studien der Bibliothek Warburg, 18) Leipzig, Berlin, 1930. 11. op. cit., S. 81. 12. On Movies, in: Princeton University, Department of Art and Archaeology, Bulletin (1936), S. 5-15; Style and Medium in the Moving Pictures, in: Transition, 26 (1937), S. 121-133; dasselbe in: Critique (New York), 1,3 (1947), S. 5-28; s. dazu im vorl. Band den Beitrag von R. Prange. 13. Stil und Stoff im Film, übersetzt von Helmut Färber, in: Filmkritik, 11 (1967), S. 343-355.
Ein Druckfehler
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Daß man über die Rezension seines eigenen Buchs mit einer gewissen Scheu hinwegliest, ist nachzuvollziehen. Doch weniger verzeihlich ist die zweite Chance, die Panofsky vertan hat. Barnett Newmans Arger entzündete sich an der Rechthaberei eines Wissenschaftlers, der, statt auf den Inhalt des Textes einzugehen, bei der Feststellung eines Druckfehlers stehen bleibt. Rosenblums Artikel14 ist nicht irgend ein Journalistentext, sondern eine Inkunabel zur Rezeptionsgeschichte des Abstract Expressionism. Man könnte an ihm modellhaft darstellen, wie der Bildsinn der Gegenwartskunst entsteht im Dialog zwischen Künstler und Kunstkritiker. Mit dem Titel „The Abstract Sublime" setzt Rosenblum den Begriff des Erhabenen als ästhetisches Signet der Moderne - fast zwei Jahrzehnte bevor er durch François Liotard Gemeingut wurde. Ganz im Sinne des nachmals postmodernen Konzepts der Moderne legt Rosenblum die zeitliche Klammer der Epoche des Erhabenen vom ausgehenden 18. Jahrhundert zur eigenen Zeit, wo das Sublime seinen abstrakten Höhepunkt findet. Hätte Panofsky sich die Mühe genommen, „The Abstract Sublime" zu lesen, hätte er entdecken können, daß hier ein junger Kunstkritiker die Ikonologie auf abstrakte Kunst anwendet - und so die Methode befreit vom Einwand, sie beschränke sich nur auf figürlich-narrative Kunst. Ein Blick auf das Layout des Artikels erinnert an Aby Warburgs Mnemosynekatalog. Wir sehen eine Collage von Beispielen, die den semantischen Typus des „Erhabenen" belegt.15 In Rosenblums Aufsatz finden sich alle drei Stufen der ikonologischen Interpretation angewandt. Der ersten Stufe, dem Phänomensinn, entsprechen Bildbeschreibungen, die von der unmittelbaren Anmutung ausgehen. So wird etwa Clifford Stills 1956-D verglichen mit Naturerlebnissen: „We move physically across such a picture like a visitor touring the Grand Canyon or journeying to the center of the earth". Für die zweite Stufe des Bedeutungssinns werden Texte beigezogen. Ikonographisch ist der Typus der Erhabenen belegbar in der romantischen Reiseliteratur. Rosenblum zitiert den irischen Dichter Thomas Moore, der anläßlich einer Reise nach Buffalo 1804 sein Erlebnis der Niagarafälle beschreibt. (Es ist bezeichnend,
14. ARTNews, Februar 1961. 15. Bewußt sei der Begriff „Typus" und nicht etwa „Ikonogramm " verwendet, da Rosenblums Methode eher in der Nachfolge von Warburgs „Typologie" steht. Im Typus verschränken sich Phänomensinn und Bedeutungssinn, erste und zweite Stufe von Panofskys Interpretationsmodell. Der Typus faßt eine Figur, eine Konfiguration als Zeichen mit veränderlich aufladbarer Bedeutung. Erik Forssmann hat für die „Typologie" plädiert mit der Begründung, damit auch Architekturgeschichte und nicht-abbildende Kunst der Methode zu erschließen. Dazu siehe: E. F.: Ikonologie und allgemeine Kunstgeschichte, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Bd. 11, 1966, S. 132-169. Neuauflage in: Ekkehard Kaemmerling (Hg.), Bildende Kunst als Zeichensystem 1, Ikonographie und Ikonologie, Theorien, Entwicklung, Probleme, Köln, DuMont, 1979, S. 2 5 7 - 3 0 0 .
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daß nicht etwa auf die Europäern geläufige Alpenerfahrung als Initiation in das Gefühl des Erhabenen verwiesen wird, sondern auf ein amerikanisches Naturspektakel.) Als belesener Typologe leitet Rosenblum den Begriff des Erhabenen von der Philosophie her und skizziert den Weg des Worts von Longinus über Edmund Burke zu Immanuel Kant. Die Philosophen des 18. Jahrhunderts entfalten die Polarität einer Ästhetik des Schönen und einer Ästhetik des Erhabenen. Rosenblum greift dabei auf Kants Kritik der Urteilskraft, § 23: „Das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenstandes, die in der Begrenzung besteht; das Erhabene dagegen ist auch an einem formlosen Gegenstand zu finden, sofern Unbegrenztheit (boundlessness) an ihm ... vorgestellt und doch Totalität derselben hinzugedacht wird". 16 Als Gegenbegriff zum „Schönen" löste das „Erhabene" an der Schwelle zum 19. Jahrhundert die Idee des Decorum in der Kunst ab. Das Sublime bildete „a flexible semantic container for the murky new Romantic experiences of awe, terror, boundlessness and divinity". Im Ubergang von der Romantik zum abstrakten Expressionismus wandelte sich die typologische Form des Erhabenen. Stellen die Künstler des 19. Jahrhunderts die Konfrontation des Grenzenlosen mit dem Begrenzten noch im Bild dar, wird im abstrakt Sublimen der Betrachter selber zum Gegenüber dessen, „was über alle Vergleichung groß ist": 17 „We ourselves are the monk before the sea, standing silently and contemplatively before these huge and soundless pictures as if we were looking at a sunset or a moonlit night." Ikonologie der Gegenwartskunst kann sich auch auf mündliche Quellen stützen; gemeinsame Gespräche und gemeinsame Lektüren verbinden den Künstler und den Interpreten direkt. Rosenblum berichtet, Newman habe ihm den Wunsch mitgeteilt, die Tundra zu besuchen, um auf vier Horizonten räumliche Unermeßlichkeit zu erleben. Dieser Wunsch sei in das Bild eingeflossen. „In its all width (114 l/i inches) Newman's Vir Heroicus Sublimis (sic!)18 puts us before a void as terrifying, if exhilarating, as the arctic emptiness in the tundra". . Die Bilderfahrung sei ein Gewahrwerden von „cosmic energy", und „the sublime chaos". So steht zu Polloks Number One zu lesen: „We are almost physically lost in this boundless web of inexhaustible energy." Die Darstellung des künstlerisch Sublimen sei „Pictorial heresy" : eine ästhetische Religion, die sich von mythologischen Kontexten befreit hat. Rosenblum veranschaulicht in seinem „Mnemosynekatolog" moderne ästhetische Erfahrung als bildlichen Typus, in dem die Pole geschürzt sind: Ich und All - romantisch gesprochen - in einer Kahlheit, aus der alle narrativen Formen verdunstet sind und zurückbleibt eine riesige Fläche und ein dünner Strich. 16. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 165. 17. op. cit., S. 171. 18. Diese Stelle hat Panofsky übergangen!
2. Aufl., (1793), Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1974,
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Damit sind wir bei der dritten Stufe ikonologischer Deutung angelangt; um aber dem „Wesenssinn", der - nach Panofsky - überhistorische Geltung haben soll - auf seine geschichtlichen Rezeptionsbedingungen zurückzustutzen, klinge ein Echo auf Rosenblums Artikel nach. Ein Leserbriefschreiber mokierte sich im Aprilheft demselben Heft, in dem Panofsky den Druckfehlerstreit vom Zaun brach - über die Verwechslung des erhabenen Gefühls in der Natur und in der Kunst. „Has he ever looked out over the sea from a plain 30,000 feet in the air? I'm afraid, Still couldn't hold a candle to that." Der Unterzeichner, Don David, rührte in der Tat an das Problem der Colourfield Painting, das schließlich bei Ad Reinhard gelöst werden sollte. Vor seinen schwarzen Bildflächen verweigert er Erinnerungen an Mythologie und philosophische Topoi. Vielleicht hat Rosenblum die Entwicklung zur Minimal Art vorausgeahnt, wenn er sagt, der abstrakte Expressionismus bedeute einen Schritt vom Pantheismus zum „paint-theism". Der Artikel „The Abstract Sublime" ist die Programmschrift für eine Renaissance in Amerika. Newman, Still, Rothko und Pollock schilderten „the Post-WorldWar-II myth of Genesis". In ihrem Werk sei Kunst aus der Asche des Kriegs wiedererstanden. „The sublimities of British and German Romantic landscape ... have only been resurrected after 1945 in America, where the autority of Parisian painting has been challenged to an unprecedented degree." (Aus diesem Geschichtsverständnis erklärt sich übrigens auch die Ablehnung des Kubismus und der konkreten Ideologien als europäischen Kolonialguts.) Die Renaissance in Amerika läßt das Sublime der Romantik wiedererstehen 19 , deren Erinnerung unterbrochen wurde „by the international domination of the French tradition". 20 Der gleich doppelt vorgetragene Angriff auf die europäische Bevormundung ist eine späte Antwort auf André Breton im Exil, den die New Yorker Künstler als ebenso arrogant und schulmeisterlich empfanden wie Panofsky mit seinem Leserbrief. Was haben die Besprechung eines Buchs über die Renaissance, eines Artikels über eine neue Kunstbewegung und ein Schlagabtausch von Leserbriefen über einen Druckfehler gemeinsam? Die zeitgleiche Mentalität der intellektuellen Interessen, hier noch zusammengehalten durch den publizistischen Rahmen einer Zeitschrift über Kunst. Das besprochene Buch und der Artikel handeln von der Wiedergeburt. Doch dieses gemeinsame Kunstwollen äußert sich in kontroversen Gestalten: bei Panofsky im beschreibenden Festhalten am neuzeitlichen Decorum, dem „Schönen"; bei Newman in der künstlerischen Erneuerung des „Sublimen". Wie man es schreibt, darüber wurde gestritten.
19. Rosenblum hat diesen Gedanken später ausgebaut zu einem Buch: Modern Painting and the Northern Romantic Tradition, Friedrich to Rothko, London, Thames & Hudson, 1978. 20. Zum polemisch vollzogenen Ablösungsprozeß der N e w Yorker Kunstszene siehe Serge Gibaut, How New York Stole the Idea of Modern Art, Abstract Expressionism, Freedom and the Cold War, transi, by Arthur Goldhammer, Chicago, London, Univ. of Chicago Press, 1983.
Perspektive als symbolische Form in der mittelalterlichen Dichtung Panofsky und die germanistische Mediävistik Hartmut
Kugler
I. Einleitung Auf dem germanistischen DFG-Symposion zum Thema ,Text und Bild, Bild und Text' im Jahr 1988 nahmen eine Reihe von Referenten in verschiedenen Zusammenhängen auf Panofsky Bezug, zwar respektvoll, aber durchweg kritisch. So distanzierte sich zum Beispiel Frank Büttner von den „allzu künstlich und allzu hoch" aufgetürmten ikonologischen „Interpretationsgebäuden" Panofskys und seiner „zahllosen Nachfolger" und stellte fest, daß „manche der Sockel, auf die unsere ikonologischen Fachvertreter als Götter gestellt wurden", bedenklich bröckelten. 1 Robert Suckale nahm Abstand von „der berühmten (aber falschen) Definition des Andachtsbildes durch Erwin Panofsky", Alfons Reckermann wendete sich gegen einen „nach dem Vorbild Panofskys" allzu einseitig gefaßten Ideebegriff der Hochrenaissance. 2 Solche Äußerungen sind - trotz und wegen ihrer kritischen Intention - Zeugnisse einer langen und intensiven Auseinandersetzung mit Panofskyschen Positionen. Bei genauer Durchsicht des Dokumentationsbandes merkt man freilich, daß diese Zeugnisse so gut wie ausschließlich von den am Kongreß beteiligten Kunsthistorikern beigetragen wurden. 3 Auf literaturwissenschaftlicher Seite fiel der Name Panofsky nicht. Das Schweigen ist symptomatisch. Denn in der Literaturforschung ist Panofsky eine ferne Größe geblieben, eine systematische Auseinandersetzung mit seinem Oeuvre hat auch in den Ubergangsbereichen von Literatur- und Kunstwissenschaft kaum stattgefunden, ausgenommen einige Spezialstudien zur Renaissance und zur Antikenrezeption. Als Dieter 1. Text und Bild, Bild und Text. DFG-Symposion 1988, hrsg. von Wolfgang Harms, Stuttgart 1990. Darin Frank Büttner, Einleitung zur ersten Sektion, S. 10. 2. Ebd., Robert Suckale, Süddeutsche szenischeTafelbilderum 1420-1450, S. 1 5 - 3 4 , hierS. 1 6 . - A l f o n s Reckermann, Das Bild als Bedeutungsträger im philosophischen Diskurs, S. 9 6 - 1 0 9 , hier S. 105. 3. Die in einer Bemerkung angedeutete „Götterdämmerung" (man bezog sich bei diesem Ausdruck auf einen früheren Aufsatz Horst Bredekamps) sollte im besonderen der Ikonologie Panofskys und seines Kreises gelten, genauer: der auf den Neuplatonismus fixierten Ideologie. - Horst Bredekamp, Götterdämmerung des Neuplatonismus, in: Kritische Beuchte 14, H. 4 (1986), S. 39-48.
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Wuttke in den späten fünfziger Jahren für seine Schwenter-Studien die Arbeiten Panofskys heranzog, kam das einer Neuentdeckung gleich. Noch 1964 mußte er feststellen, daß die wichtigsten Ergebnisse von Panofskys 1930 erschienenem Buch ,Herkules am Scheidewege' „bis heute der Literaturwissenschaft so gut wie unbekannt geblieben" seien. 4 Seitdem hat sich die Situation nicht grundlegend gewandelt. Schon in der Germanistik vor 1933 hatte man sich außerhalb der Kunstwissenschaft mit Panofsky - wie auch mit anderen Arbeiten aus dem Warburg-Kreis - nicht ausdrücklich auseinandergesetzt, obwohl Kunst- und Literaturwissenschaft in der Weimarer Zeit noch relativ nah beieinander waren und, was im besonderen die Mediävistik angeht, das Verhältnis der Dichtung zur Kunst von führenden Fachvertretern thematisiert wurde. 5 Die Idee der „wechselseitigen Erhellung der Künste" hatte andere Orientierungspunkte, namentlich Heinrich Wölfflins ,Kunstgeschichtliche Grundbegriffe'. 6 Daß auch in der Nachkriegsgermanistik die Rezeption aufs Ganze gering geblieben ist, mag sich zum Teil aus mangelnder Kenntnis und aus der schlechten Zugänglichkeit vieler Panofskyscher Arbeiten erklären lassen. Vielleicht wirkt darin auch auf eine komplexe Weise etwas von den Berührungsverboten und Berührungsängsten aus der Zeit des Nationalsozialismus fort. Die indirekten Aus- und Einwirkungen Panofskys auf die Literaturwissenschaft, speziell auch auf die mediävistische, dürften freilich stärker gewesen sein als auf den ersten Blick erkennbar. Arbeiten von Hugo Kuhn, auch von Friedrich Ohly, zeigen Vertrautheit mit kunsttheoretischen Positionen Panofskys und haben mittelbar für ihr Weiterwirken gesorgt. 7 Die Spuren einer verdeckten Wirkungsgeschichte hier zusammenzutragen ist nicht sinnvoll und nicht möglich. Ergiebiger erscheint es mir, die Aufmerksamkeit auf einige Punkte zu 4. Dieter Wuttke, Die H istori Herculis des Nürnberger Humanisten ... Pangratz Bemhaubt gen. Schwenter, (Archiv für Kulturgeschichte, Beihefte 7), Köln/Graz/Wien 1964, S. X . 5. Julius Schwietering, Mittelalterliche Dichtung und bildende Kunst, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 60, 1923, S. 113-127. - Der von Schwietering verfaßte Mittelalterband in Oskar Walzeis „Handbuch der Literaturwissenschaft" bietet eine kunsthistorisch orientierte Kapiteleinteilung („I. Karolingische Dichtung, II. Frühromanik, III. Romanik, IV. Spätromanik und Gotik") und einen von reichem Bildmaterial begleiteten Text. 6. Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundhegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 1915, 9. Aufl. 1948. 7. Hugo Kuhn, Zur Deutung der künstlerischen Form des Mittelalters, in: Studium Generale Bd. 2 (1949), S. 114-121; ders., Struktur und Formensprache in Dichtung und Kunst, in: Atti del Quinto Congresso Internationale die Lingue et Letterature Moderne Firenze 1951, Firenze/Valmartina 1955, S. 3 7 - 4 5 . Beide Beiträge sind, teilweise verändert, wieder abgedruckt in: H . Kuhn, Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, 2. Aufl. 1969. - Kuhn bezieht sich allerdings, wo er kunsthistorische Autoritäten zitiert, auf Hans Sedlmayr und Dagobert Frey. Panofskys Name ist nicht genannt. - Friedrich Ohly läßt, ohne ausdrücklichen Bezug, Bekanntschaft und Verwandtschaft mit Panofsky anklingen, so etwa bei Aussagen über aggregathafte Textstruktur. Vgl. F. O., Die Kathedrale als Zeitenraum. Zum Dom von Siena, in: Frühmittelalterliche Studien 1972; wieder in: F. O., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 171-273, hier bes. S. 173-175.
Perspektive als symbolische Form in der mittelalterlichen
Dichtung
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konzentrieren, an denen die wieder oder neu aufgenommene Lektüre Panofskyscher Schriften ihre Aktualität in der (mediävistischen) Literaturwissenschaft zeigen kann. Ich lasse dabei die ikonologischen Studien beiseite und gehe auf die früheren kunsttheoretischen Arbeiten zurück. Unter dem Eindruck von Cassirers ,Philosophie der symbolischen Formen' sind dort wahrnehmungs- und zeichentheoretische Probleme erörtert und Positionen erarbeitet, die aus zwei Gründen für die gegenwärtige Mediävistik interessant sind. Sie enthalten prinzipielle erkenntnistheoretische und methodologische Überlegungen und sind, wiewohl mit Themen und Gegenständen der Renaissance beschäftigt, doch nicht renaissance-fixiert. Die derzeit erforderliche und im Gang befindliche Neuorientierung der mediävistischen Literaturforschung, die nötige Auseinandersetzung mit neuen Formen der Interdisziplinarität, der Text-, Zeichen- und Medientheorie rücken Panofskys Arbeiten neu ins Licht und vielleicht auch in ein neues Licht. Es wäre möglich, daß sich hier gewissermaßen als Ausgleich für die bröckelnden Götterstatuensockel im Reiche der kunstwissenschaftlichen Ikonologie, ein anderer kleiner Sockel' aufmauern ließe, freilich nicht, um ein Standbild oder eine Ikone daraufzustellen, sondern einen Arbeitstisch. Um der Kürze und Übersichtlichkeit willen konzentriere ich Ihre Aufmerksamkeit auf den Aufsatz über die „Perspektive als symbolische Form". 8 Er wurde im Jahr 1924 gehalten und 1927 publiziert und bildet gewissermaßen die Schnittmenge zwischen den Arbeiten zur Kunsttheorie der Renaissance und denen zur Plastik des 11.-13. Jahrhunderts. Der Aufsatz ist seinem Titel nach allgemein geläufig, doch scheint er mir den größeren Teil seiner Wirkungsgeschichte noch vor sich zu haben.
II. Perspektivische Konstruktion des Mittelalters Die Abhandlung analysiert die Erfindung der zentralperspektivischen Konstruktion mitsamt ihren Vorstadien und Voraussetzungen. Der Hauptteil der Darstellung gehört eindeutig dem Mittelalter. Dennoch entsteht aber eigentlich kein Bild der mittelalterlichen Gegebenheiten, sondern es ergibt sich eine energisch abstrahierende Konstruktion. Die Eckpunkte der Konstruktion liegen außerhalb des Mittelalters: Zielpunkt des Ganzen ist das vollständige und geometrisch begründete Regelwerk der perspektivischen Verkürzung mit den Festlegungen von Fluchtpunkt und Augenpunkt, wie es die Renaissancekunst gefunden und praktiziert hat. Ausgangspunkt ist die „Fast-schon-Zentralperspektive" der Spätantike, die Tatsache nämlich, daß spätan8. Erwin Panofsky, Die Perspektive als symbolische Form', in: Vorträge der Bibliothek Warburg 1924/25, Leipzig/Berlin 1927, S. 2 5 8 - 3 3 0 . Wieder in: E. P., Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1980, S. 9 9 - 1 6 8 (hiernach zitiert).
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tike Wandgemälde bereits illusionistische Tiefenräumlichkeit zeigten, nur noch nicht mit mathematisch-geometrischer Konsequenz durchsystematisiert waren. Zwischen diesen beiden Eckpositionen liegt der gewaltige Zeitraum des Mittelalters, dessen komplexe Erscheinungswelt im ausschließlichen Hinblick auf die Frage durchleuchtet wird, welche Bedingungen erfüllt und welche Änderungen eingetreten sein mußten, damit ein Problem, an dem die Antike gescheitert war, in der Renaissance gelöst werden konnte. In diesem strikt problemgeschichtlichen Konzept ist das Mittelalter auf eine einzige Funktion reduziert, nämlich auf die „kunstgeschichtliche Mission", von der antiken Fast-Perspektive zur korrekt konstruierten Zentralperspektive der Neuzeit hinüberzuführen. Es ist sozusagen des Mittelalters perspektivische Sendung. In diesem Zuhörerkreis sind die Grundlinien des Panofskyschen Aufsatzes bekannt, ich muß sie nicht rekapitulieren. Betonen will ich nur das Faktum, daß trotz der Materialfülle, die Panofsky ausbreitet, kein Bild der mittelalterlichen Verhältnisse entsteht und auch nicht entstehen soll. Seine Darstellung kommt ohne Rekurs auf mittelalterliche Lebenswirklichkeit aus, ohne jeden Rekurs auf Fürstentümer, Bauhütten, Malerschulen, Auftragsverhältnisse u. a. m. Weil allein die Komponenten herausdestilliert und begrifflich gefaßt werden, die zum Erreichen der zentralperspektivischen Konstruktion zusammenkommen mußten, ist die mittelalterliche ,Realität' nur in gleichsam skelettierter Form präsent, oder abstrakter noch: nur in Form eines geometrischen Liniengerüstes. Gerade in dem erreichten Abstraktionsgrad liegt aber eine Grundqualität des Aufsatzes: Er hat die Zentralperspektive nicht nur zum Gegenstand, sondern ist selbst zentralperspektivisch angelegt. Im gleichen Zuge, in dem der Autor seinen Betrachterstandpunkt, seinen ,Augenpunkt', so festgelegt hat, daß alle Betrachtungslinien in der exakten Punktperspektive der Renaissance zusammenliefen, hat er implizit klargemacht, daß auch eine andere Wahl des Betrachterstandpunktes möglich gewesen wäre. Spätere Schriften Panofskys verweisen wiederholt darauf, daß die wissenschaftliche Betrachtung selbst, wie ihre Gegenstände, dem Relativitätsgesetz unterworfen sei, und daß damit auch die wissenschaftlichen Bestimmungen (wie ζ. B. der Renaissance-Begriff) nur relative Geltung haben könnten. Das Vorwort zur Aufsatzsammlung ,Renaissance and Renascences' vermerkt die Wichtigkeit der perspektivisch relativierten Sichtweise: Die vom Verfasser vorgelegte Forschungsskizze könne, so Panofsky, für sich nur das Verdienst in Anspruch nehmen, daß sie konsequent auf den Blickpunkt eines. Betrachters zugeschnitten sei („has its focus in the point of view of one observer"). 9
9. Erwin Panofsky, Renaissance and. Renascences in Western Art, Stockholm 1960 (Icon Edition 1972), Preface S. XVIII: „What could be attempted was, at best, to reduce an immense panorama (sc. der Forschungen zur „Renaissance Question") to a small, rough outline drawing whose only claim to merit rests on the fact that it has its focus in the point of view of one observer".
Perspektive als symbolische Form in der mittelalterlichen Dichtung
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Aus der perspektivischen Anlage des ,Perspektive'-Aufsatzes ergibt sich der für den hier erörterten Zusammenhang wichtige Schluß, daß Mittelalter und Renaissance einen einzigen, durchgehenden, homogenen Betrachtungsraum bilden können, mithin die traditionelle Epochenscheide nicht als ein Fixum behandelt wird. Das ist bedeutsam für die vieldiskutierte Epochenfrage nach dem Beginn der Neuzeit - auch und gerade im Blick auf die Anwendbarkeit Panofskyscher Positionen im Bereich der Mediävistik. Indem Panofsky die Perspektive über den kunsttechnischen Sinn des Wortes hinaus als eine symbolische Form' aufgefaßt wissen will, erhebt er sie, angelehnt an Ernst Cassirers 'Philosophie der symbolischen Formen', zu einer Denk- und Anschauungsform, die einerseits dem historischen Wandel unterliegt, andererseits eine Rückführung auf erkenntnistheoretische Prämissen erlaubt.
III. Perspektivenforschung und mediävistische Forschungsperspektiven Die virtuose Komposition des ,Perspektive'-Aufsatzes, die raschen Wechsel der Abstraktionsebenen, das bewegliche Hin und Her zwischen detailscharfen Einzelbeobachtungen und prinzipiellen theoretischen Überlegungen hat gelegentlich Kritik gefunden, 10 doch sorgt der Aspektreichtum dafür, daß die Abhandlung sich mit jeder neuen (d. h. von neuen Situationen und neuen Erkenntnisinteressen motivierten) Lektüre gleichsam selbst zu erneuern vermag. Panofskys Aufsatz macht in der Darstellung eines kunsttechnischen Spezialproblems, der Erfindung zentralperspektivischer Bildkonstruktion, allgemeine Prinzipien der geistigen Wahrnehmung und Darstellung zum Thema. Das Problem zeichnerischer Raumdarstellung wird zur generelleren Problematik der Raumvorstellung und damit Weltvorstellung hin transparent. Mit dem Anschluß an Cassirers Philosophie der symbolischen Formen ist eine Abstraktionsebene erreicht, auf der alle „Formungen des menschlichen Geistes", Dichtkunst ebenso wie Bildkunst und mathematische und physikalische Zeichen, als „symbolische Formen" gleichartig nebeneinanderstehen; und zwar mit der ihnen allen gemeinsamen Grundqualität, daß sie nicht „Nachahmungen der Wirklichkeit" sind, sondern gedankliche Setzungen, Produkte des Denkens. Damit hat Panofskys Argumentationsführung über den kunsttheoretischen Sektor hinaus einen prinzipiellen Aussagewert für andere geisteswissenschaftliche Disziplinen und kann bis zu einem gewissen Grad Vorarbeit und Vorbild sein auch für mediävistische Untersuchungen im gegenwär10. Michael A. Holly, Panofsky and the Foundations of Art History, Ithaca/London 1984; über den Perspektive'-Aufsatz S. 130-157; ebd. S. 137f.: „Initially focusing his essay on the perceptual „accuracy" of linear perspective, he has leapt in a few pages from curvilinear retinal perception to a survey of changing styles of spatial depiction. ... In no way has Panofsky justified linking perception, depiction, and expression."
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tigen Problemhorizont der Epochengliederung, der Zeichentheorie, der Kognitionswissenschaft. a) Perspektive in mittelalterlichen Texten Einen in mancher Hinsicht paradigmatischen Versuch, von Panofsky erarbeitete Positionen für die mediävistische Literaturwissenschaft aufs neue nutzbar zu machen, hat vor kurzem Thomas Cramer auf dem Berliner Symposion zur Epochenproblematik vorgelegt. Cramers Beitrag hatte den programmatischen Titel: „Uber Perspektive in Texten des 13. Jahrhunderts - oder: wann beginnt in der Literatur die Neuzeit?"11 Mit ausdrücklichem Bezug auf Panofsky macht Cramer eine Grundaussage zur mittelalterlichen Ästhetik zu seinem Ausgangspunkt: Die mittelalterliche Kunsttheorie und Kunstpraxis akzeptiere, weil auf die alleinige Wirklichkeit von Gottes Schöpfungsidee verpflichtet, keinen Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt, was besonders in den mittelalterlichen Tafelbildern deutlich werde. „Das Fehlen der Subjekt-Objekt-Beziehung manifestiert sich im Bild durch das Fehlen der Zentralperspektive".12 Mit dem Kunsthistoriker bestimmt hier der Literaturhistoriker ein Wesensmerkmal des mittelalterlichen Kunstwerks also aus einer Negation heraus und mit negierenden Wendungen: Kennzeichen ist die [/«getrenntheit, die Noch-nicht-Getrenntheit von Subjekt und Objekt. Und mit Panofsky faßt Cramer diese Ungetrenntheit als Ausgangspunkt eines Trennungsprozesses, der in der völligen Autonomie des schöpferischen Subjekts und seines frei geschaffenen Objekts, mithin im autonomen Kunstwerk der Moderne seinen Kulminationspunkt finde. Indem Cramer dann aber die Problemstellung in den literarischen Bereich überträgt und sie auf die Konstitution von Texten anwendet, kommt er zu Ergebnissen, die mit denen Panofskys auf den ersten Blick schwer vereinbar erscheinen. Denn er findet mehr oder weniger verborgene .Bruchstellen', die ein Auseinandertreten von Subjekt und Objekt anzeigen, bereits in der mittelhochdeutschen Dichtung des späten 12. Jahrhunderts. Ein Indiz dafür sieht er in den mehrstrophigen Liedern. Die Reihenfolge der Liedstrophen sei von vielen mittelalterlichen Autoren bewußt offen und frei kombinierbar und damit polyperspektivisch und polyvalent gehalten worden.13 Dementgegen sei „seit Beginn des 13. Jahrhunderts das Bestreben" erkennbar, „die Beliebigkeit in der Anordnung der 11. Thomas Cramer, Über Perspektive in Texten des 13. Jahrhunderts oder: wann beginnt in der Literatur die Neuzeit?, in: Wege in die Neuzeit, hrsg. von Thomas Cramer, (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur Bd. 8) München 1988, S. 100-121. 12. Ebd. S. 102. 13. Ähnlich Friedrich Ohly, Die Kathedrale als Zeitenraum (wie Anm. 7), S. 174. - Hugo Kuhn beobachtet in der Thidreksaga eine Szenenregie, die an die „springenden Neueinsätze" der Volksballade erinnere. Hugo Kuhn, Über nordische und deutsche Szenenregie in der Nibelungendichtung, in: Ders., Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959/1969, S. 196-219, hier S. 202 f.
Perspektive als symbolische Form in der mittelalterlichen Dichtung
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Strophen zu verhindern, d. h. dem Gedicht eine eindeutige, definitiv festgelegte Perspektive zu geben und damit einen Subjekt-Objekt-Gegensatz auch zwischen Werk und Rezipienten herzustellen". 14 Ein weiteres Indiz sei in einem „typischen Merkmal mittelalterlichen Erzählens", der „episodischen Struktur" gegeben. Auch wenn eine Erzählhandlung insgesamt zielgerichtet sei, also etwa den Lebenslauf eines Romanhelden wie Alexander, Lanzelot und Eulenspiegel schildere, ließen sich die einzelnen Episoden ohne weiteres umstellen oder auswählen, „d. h. die der Handlung mitgegebene Ordnung, ihre Perspektive ist relativ frei". Anders in den höfischen Romanen Chrestiens von Troyes und Hartmanns von Aue: Darin seien die ritterlichen Abenteuer „nach heilsgeschichtlichem Muster organisiert" und somit in Struktur und Abfolge eindeutig und unverrückbar festgelegt. Der Autor habe also seine Erzählung von einem bestimmten Standpunkt aus entworfen und zwinge den Rezipienten, sich denselben Standpunkt, dieselbe „Perspektive" zu eigen zu machen. Mit der freien Wahl des Standpunktes oder „Blickpunktes" sei „die Distanz zwischen schaffendem Subjekt und erschaffenem Objekt... gegeben". Wenn dennoch der hochmittelalterliche Romanautor mit seiner „schöpferischen Einbildungskraft" nicht völlig frei schalten und walten könne, weil er seinen Gegenstand nach einem scheinbar „übersubjektiven" Weltmodell, nämlich dem Ablauf der Heilsgeschichte glaube ausrichten zu müssen, befinde er sich damit in derselben Zwangslage wie noch 300 Jahre später der Renaissancemaler, der auch nur partiell frei arbeite. Denn er wähle zwar seinen.eigenen Standpunkt souverän, sehe sich aber einer Objektstruktur gegenüber, die nicht von ihm beeinflußbar, sondern nach mathematischen bzw. „natürlichen" Gesetzen organisiert sei. Cramer übernimmt also Positionen, mit denen Panofsky das Subjekt-ObjektVerhältnis der Renaissance-Perspektive charakterisiert hatte, verlagert aber den historischen Geltungsbereich beträchtlich. Nun soll bereits für Kunstwerke um 1200 gelten können, was als wesentliches Merkmal erst an Kunstwerken des 15. Jahrhunderts bestimmt worden war. Wenn Cramers Beobachtungen zutreffen, so muß die Verlagerung oder richtiger: die Ausweitung der perspektivbildenden Periode erklärt werden. Zwei Erklärungen sind möglich. Erstens ließe sich ein zeitlicher Entwicklungsvorsprung der Dichtkunst vor der Bildkunst ins Feld führen. 15 Ungleichzeitigkeiten in der Entwickung von Ausdrucksmöglichkeiten der verschiedenen Künste sind nichts Ungewöhnliches. Die zweite Erklärung ist indes ergiebiger und steht, meine ich, Panofskys Arbeit näher. Demnach können die im Blick auf das 15. Jahrhundert gewonnenen Bestimmungen deshalb auf die Zeit um 1200 ausgeweitet werden, weil der Zeitraum des 12.-15. Jahrhunderts unter
14. Cramer (wie Anm. 11), S. 106. Die folgenden Zitate ebd. S. 108 f. 15. Am Beispiel von Darstellungen der Maria lactans im 1 2 . - 1 4 . Jahrhundert hat Julius Schwietering (Dichtung und bildende Kunst im Mittelalter; wie Anm. 5) beobachtet, die literarischen Ausdrucksmöglichkeiten für persönliches Empfinden seien den bildnerischen Möglichkeiten zeitlich weit voraus gewesen.
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Kugler
perspektivgeschichtlichem Aspekt ein Kontinuum darstellt und die Erfindung der Zentralperspektiv-Konstruktion nicht Bruch und Uberwindung der mittelalterlichen Anschauung bedeutet, sondern ihre extreme Weiterentwicklung. Eine solche Sicht der Dinge befindet sich mit Panofskys Perspektiven-Analyse, genau besehen, nicht im Widerspruch, sondern findet dort Unterstützung. Bereits in seinem Buch über die,Deutsche Plastik des 11.-13. Jahrhunderts', dessen Ergebnisse im Aufsatz über die ,Perspektive als symbolische Form' aufgenommen sind, hatte Panofsky eine wahrnehmungsgeschichtliche Kontinuität vom Hochmittelalter zur Neuzeit festgestellt, indem er schrieb: Die „in der gotischen Epoche" begründete Raumvorstellung sei „bereits die spezifisch neuzeitliche", weil sie „das Dasein eines einzigen, sowohl die leeren als die stofflich erfüllten Raumteile in sich begreifenden Kontinuums" voraussetze.16 Ein erstes Fazit: In Panofskys frühen kunsttheoretischen Abhandlungen namentlich denen zur Perspektive' und zur ,Proportionslehre' - ist ein sehr aktuelles, ein gleichsam dynamisches Mittelalter-Verständnis angelegt. Im Umgang mit ,Epochen'merkmalen, im besonderen mit den Zuordnungen und Abgrenzungen von Mittelalter und Renaissance, zeigt sich ein Pragmatismus und eine Beweglichkeit, wie sie in kulturgeschichtlichen Forschungen erst der jüngsten Zeit sich allgemeiner durchzusetzen beginnt. Zwar sind Panofskys Abhandlungen von ihrer Thematik her auf die Renaissance zentriert, doch geht damit keine besondere Heraushebung und Abgrenzung der Renaissancezeit einher. Die Untersuchungen lassen sich in ein starres Zwei-Kammern-System Mittelalter/Neuzeit nicht pressen. b) Aggregat und System Im ,Perspektive'-Aufsatz wird als ein wichtiger oder sogar als der entscheidende Schritt auf dem Weg zur,neuzeitlichen' Raumkonzeption die Systematisierung von Raumaggregaten herausgearbeitet. Demonstriert wird der Ubergang vom Aggregat- zum Systemraum am Wandel vom romanischen zum gotischen Kirchenbau: Die vielteiligen und verschiedenförmigen Aggregate des romanischen Kirchenraumes wurden umgewandelt und integriert in den nach einheitlichen Grundmaßen durchsystematisierten Gesamtraum der gotischen Kathedrale. Zugleich traten die Statuen, die im romanischen Aggregat noch Teil des Gebäudes und plastisch ausgestaltete Baumasse waren, aus ihrer Einzelwand oder Nische heraus und wurden - unter Baldachinen und Bogenbedachungen - dem umbauten Gesamtraum verbindlich zugeordnet. Der Prozeß der Systematisierung, des Übergangs vom Aggregat- zum Systemraum, scheint, da er im Rahmen von Panofskys Abhandlung auf die Zentralperspektive der Renaissance hinführt, verbindlich auf ein zeitliches Nacheinander 16. Erwin Panofsky, Die deutsche Plastik des elften bis dreizehnten Jahrhunderts. 1924, Bd. I, S. 45.
2 Bde., München
Perspektive als symbolische Form in der mittelalterlichen Dichtung
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festgelegt und im besonderen auf die Zeitschiene Mittelalter-Neuzeit, auf ein fortschreitendes Verneuzeitlichen verpflichtet zu sein. 17 Es ist demgegenüber jedoch zu betonen, daß weder von der Definition noch von Panofskys Wortgebrauch her Aggregat und System zwingend als zeitlich nacheinander folgend verstanden werden sollen. Es handelt sich eher um komplementäre Begriffe, zwei unterschiedliche Organisationsstrukturen bezeichnend, die nebeneinander auftreten und einander ergänzen oder miteinander konkurrieren können. Das Begriffspaar Aggregat/System ist insoweit nicht notwendig an bildliche oder architektonische Räumlichkeit gekoppelt. Es bietet die Gewähr dafür, daß die Perspektive (d. h. das perspektivische Konstruieren) über den immanent kunstwissenschaftlichen Kontext hinaus als eine „symbolische Form" aufgefaßt und auch in anderen Bereichen der geistigen Produktion thematisiert werden kann. So verstanden, besteht die Möglichkeit, auch in der hochmittelalterlichen Literaturentwicklung nach Merkmalen der ,Aggregat-' und der ,Systembildung' zu fragen. Panofskys Erklärung über das Zustandekommen des gotischen ,Systemraums' hat von vornherein eine Affinität zur Literatur. Den im Perspektive-Aufsatz angelegten Argumentationsgang hat er breiter ausgebaut in seinem mehr als zwei Jahrzehnte später verfaßten Essay über gotische Architektur und Scholastik. 18 Panofsky zeigt darin, wie er den systematischen Aufbau des gotischen Kathedralraums und den systematischen Aufbau scholastischer Traktate in einer gemeinsamen Denkgewohnheit („mental habit") begründet sieht. Insoweit die Gegenüberstellung von Aggregat- und Systemraum zur Verständigung über Denkgewohnheit gebraucht werden kann, halte ich es für aussichtsreich, sie auch bei der Analyse von Texten einzusetzen. Allgemeiner bekannte Texte des Mittelalters, an denen sich das Verhältnis von Aggregat- und Systemstruktur erörtern läßt, sind die Artusromane Chrétiens von Troyes und Hartmanns von Aue. 19 Etliche Aventiure-Episoden haben dort den Charakter von Raumzellen, denen ein bestimmtes Personal zugeordnet ist mit 17. Das ist auch dort zu beobachten, wo das Begriffspaar Aggregat/System in anderen Wissenschaftsbereichen verwendet worden ist. Vgl. Kosellecks geschichtstheoretisches Plädoyer für „den Uberschritt von der (augustinischen) Universalgeschichte als Aggregat zur Weltgeschichte als System, womit die Theoriebedürftigkeit der Geschichte begrifflich erfaßt und auf den Globus als Aktionsraum bezogen" werde. Reinhart Koselleck, Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen, in: Geschichte - Ereignis und Erzählung, hrsg. von Reinhart Koselleck und Wolf-Dieter Stempel, (Poetik und Hermeneutik 5) München 1973, S. 211-222, hier S. 220. 18. Erwin Panofsky, Gothic architecture and Scholasticism, Latrobe 1951,14. Aufl. 1971. Eine deutsche Übersetzung (übers, von Helga Willinghöfer, hrsg. von Thomas Frangenberg) erschien erst 1989 unter dem Titel .Gotische Architektur und Scholastik: zur Analogie von Kunst, Philosophie und Theologie im Mittelalter' (DuMont-Taschenbuch 225). 19. Eine detaillierte Untersuchung habe ich auf dem Düsseldorfer Symposion,Personenbeziehungen in der mittelhochdeutschen Literatur' (März 1992) vorgelegt unter dem Titel „Über Handlungsspielräume im Artusroman und im Maere". Der Berichtsband des Symposions, hrsg. von Helmut Brall, Barbara Haupt und Urban Küsters, befindet sich im Druck.
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Hartmut Kugler
einem sehr begrenzten und strikt ortsgebundenen Handlungsrepertoire. So erzählt ζ. B. in der Eingangspartie des Iwein-Romans 20 der Ritter Kalogreant, wie er einst, vor zehn Jahren, auf einer Rodung einen sonderbaren Waldmenschen antraf, der ihm den Weg zur Brunnenaventiure wies. Man konnte dort einen Stein begießen und damit ein Gewitter auslösen, was den Verteidiger des Brunnenreiches auf den Plan rief. Diesen Verteidiger, einen gewaltigen Ritter, galt es zu besiegen. Dem erzählenden Ritter Kalogreant war der Sieg nicht gelungen, er hatte schimpflich abziehen müssen. Der Erzählung lauschte neben anderen Rittern Kalogreants Vetter Iwein und unternahm es daraufhin, die Aventiure ebenfalls auszuprobieren. Es gelang ihm, und es gelang ihm nur, weil er alles genauso antraf wie Kalogreant zehn Jahre vorher: Wiederum oder immer noch stand der Waldmensch auf seiner Rodung, wieder und immer noch stürmte der Brunnenhüter heran, um den Eindringling zu besiegen und zu verjagen. Waldmensch und Brunnenritter sind auf einen festen Ort und auf ein festes, eng umrissenes Handlungsmuster verpflichtet und treten nur innerhalb ihrer engen Grenzen als Romanfiguren in Erscheinung. Sie sind ein fester Bestandteil des Ortes, an dem sie handeln, und erinnern mit dieser Bindung an die Qualität von Bauplastiken der romanischen Raumaggregate. Der Artusritter Iwein demgegenüber demonstriert Beweglichkeit. Er kann die Orte der Handlung frei wechseln und besteht im Verlauf des Romans weitere Aventiuren, die sich ähnlich wie die vorgenannte als aggregathafte Einzelzellen charakterisieren lassen und die er durch siegreiche Zweikämpfe öffnet. So betätigt er sich gleichsam als Systematiker und sorgt mit seinen Aventiure-Wegen dafür, daß letztlich alle Aggregaträume einer übergreifenden Systematik zugeordnet sind, wobei der Artushof als eine Bezugsgröße fungiert. Im weiteren Fortgang der Analyse (die ich hier aus Zeit- und Platzgründen nicht im Detail weiterführen will) kann man mit dem behutsamen Einsatz des Begriffspaares Aggregat/System fast wie mit einem Röntgengerät Binnenkonturen im Romangefüge erfassen, die auf andere Weise nur schwer zu beobachten wären. Insoweit die Begriffe Aggregat und System etwas Wesentliches einer mittelalterlichen ,Denkform' treffen, können sie nicht nur in Werken der Bildkunst und der Architektur, sondern auch in Texten bestimmte Organisationsmuster erkennbar machen helfen. Es sind vielleicht im besonderen solche Organisationsmuster, in denen sich Denkgewohnheiten auswirken, die nicht vordringlich im Umgang mit der linearen Abfolge der Schrift, sondern stärker im Umgang mit räumlichen Gebärden und Bildern geprägt wurden. Der fundamentale Unterschied zwischen Text- und Bild- bzw. Architekturanalyse ist hierbei stets im Auge zu behalten. Die Kunstwissenschaft hat es mit wirklichen Raumgebilden und mit geometrischen Konstruktionen zu tun, wogegen von „Raumvorstellungen" und „räumlicher 20. Hartmann von Aue, Iwein, hrsg. von Georg Friedrich Benecke/Karl Lachmann, Berlin (6. Aufl.) 1964.
Perspektive als symbolische Form in der mittelalterlichen
Dichtung
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Organisation" in Texten immer nur im übertragenen Sinn gesprochen werden kann. Zwar das Gestalten von Texten wie die Verständigung über Textgestalten kommen ohne eine mit Raummetaphern besetzte Sprache nicht aus, doch ist diese Raummetaphorik dem Bereich der Architektur und Bildkunst nicht ohne weiteres benachbart, sie liegt näher dem „kognitiven Kartieren", dem „mental mapping" der Kognitionswissenschaft, der es um die Strukturen mentaler Modelle geht. 21 Nicht zuletzt im Blick auf diesen Zusammenhang hat Panofskys PerspektiveAbhandlung ihre Aktualität. Indem sie sowohl die wahrnehmungsgeschichtlichen als auch die physiologischen Bedingungen des perspektivischen Sehens und Darstellens in ihren Fragehorizont einbezogen hat, verweist sie auf die Notwendigkeit des disziplinenübergreifenden Herangehens an erkenntnis- und zeichentheoretische Probleme, wie sie sich der gegenwärtigen Literaturwissenschaft stellen. In dem Aufsatz über die Perspektive ist die Komplexität der humanistischen Studien noch merkbar, aus denen heraus sich die Kunstwissenschaft erst spät als eine eigene Disziplin separiert hat. 22 Es ist darin etwas vom alten Verständnis der Kunstgeschichte als einer „Philologie des Auges" wirksam geblieben, die auch den Augen der Philologen beim Sehen behilflich sein kann.
21. Rolf Mayer, Mentale Modelle und Sprache, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 112 (1990), S. 3-25; zum „kognitiven Kartieren" ebd. S. 6. -Samuel Y. Edgerton Jr., From Mental Matrix to Mappamundi to Christian Empire: The Heritage of Ptolemaic Cartography in the Renaissance, in: Art and Cartography. Six Historical Essays, hrsg. von David Woodward, Chicago & London 1987, S. 10-50. 22. Vgl. den Beitrag von Heinrich Dilly im vorliegenden Band.
„Die Zeit wieder in Gang bringen" Soziologische Anmerkungen zu einer unterstellten Wirkungsgeschichte der Ikonologie von Erwin Panofsky
Heinz Abels
1. Einleitung: Ein erstaunlicher Satz und eine merkwürdige Erläuterung Gegen Ende seiner Vorlesung aus dem Jahre 1940 über „Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin" überraschte Panofsky seine Zuhörer mit dem Satz: „Es gibt nichts, was weniger wirklich wäre als die Gegenwart". 1 Dieser Satz hatte für mich zunächst einen hohen Wiedererkennungswert, schlägt er doch einen Bogen zu einer soziologischen Diskussion, für die seinerzeit Namen wie Georg Simmel und Karl Mannheim standen und heute Namen wie Peter Berger und Thomas Luckmann stehen. Sätzen mit Wiedererkennungswert, zumal dann, wenn sie aus einer ganz anderen Wissenschaft stammen, folgt man gerne ein Stück weit, wohl auch in der Hoffnung, für eigene Annahmen weitere Bestätigung zu finden. Umso mehr überraschte mich das Beispiel, mit dem der Professor für Kunstgeschichte seinen Zuhörern den Satz über den Zweifel an der Wirklichkeit erläuterte: „Vor einer Stunde", heißt es, „gehörte diese Vorlesung der Zukunft an. In vier Minuten wird sie der Vergangenheit angehören". 2 An dieser Erklärung bin ich hängengeblieben: sie klingt zu banal und gefährdet wegen dieser Banalität die Reputation des Arguments; auch scheint nichts von dem, was Panofsky bis dahin behutsam entwickelt hatte, auf Anhieb zu einer solchen Erklärung zu passen; schließlich läßt sich der Rest des Vortrags ohne weiteres verstehen, wenn man diesen Satz überliest. Da ich aber davon ausgehe, daß sich bei einem so gebildeten Gelehrten wie Erwin Panofsky kein Satz wirklich verirrt, vermute ich, daß dieser Satz eine tiefere Bedeutung hat als es auf den ersten Blick scheint. Ich vermute, es geht um die Lagerung eines Ereignisses oder Phänomens in seiner Zeit. Für diese Vermutung spricht, was er gleich anschließend als das Ziel der Geisteswissenschaften nennt: Sie dringen „in eine Region ein, wo Zeit von sich aus
1. Panofsky (1940), S. 26 2. Panofsky (1940), S. 26 f.
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Heinz Abels
stehengeblieben ist, und sie versuchen, die Zeit wieder in Gang zu bringen". 3 Die Geisteswissenschaften blicken auf jene „erstarrten, ruhenden Zeugnisse", die „aus dem Strom der Zeit auftauchen", und versuchen, „der Prozesse habhaft zu werden, in deren Verlauf diese Zeugnisse entstanden und zu dem wurden, was sie sind". 4 Ich vermute, daß das Bild der stehengebliebenen Zeit mit Schopenhauers Betrachtungen über die Welt als Wille und Vorstellung zusammenhängt, wo es heißt: „Die Kunst ist immer am Ziel". 5 Begründet wird dieser Satz so: Die Kunst „reißt das Objekt ihrer Kontemplation heraus aus dem Strome des Weltlaufs und hat es isoliert vor sich: und dieses Einzelne, was in jenem Strom ein verschwindend kleiner Theil war, wird ihr ein Repräsentant des Ganzen, ein Aequivalent des in Raum und Zeit unendlich Vielen: sie bleibt daher bei diesem Einzelnen stehen: das Rad der Zeit hält sie an: die Relationen verschwinden ihr: nur das Wesentliche, die Idee, ist ihr Objekt". 6 Der Gedanke der Repräsentation ist in zweierlei Hinsicht zu verstehen: zum einen drückt sie etwas aus, ist Stellvertretung, zum anderen ist sie - vorab schon Art der Erkenntnis des Vertretenen. Die Kunst, „das Werk des Genius", ist die Erkenntnisart, die „den wahren Gehalt" der Erscheinungen betrachtet. 7 Bei Bourdieu wird es später heißen, daß sich „in den Kunstwerken die sozialen Denkformen einer Epoche am elementarsten und vollständigsten" ausdrücken. 8 Liest man Panofskys Anspruch, „die Zeit wieder in Gang zu bringen" mit Blick auf den gerade skizzierten doppelten Begriff der Kunst - Erkenntnis und Repräsentanz - , dann kann man ermessen, was Panofsky in methodologischer Hinsicht seiner Wissenschaft abverlangte und anderen Wissenschaften, vermutlich auch der interpretativen Sozialforschung, auf die ich mich beziehe, letztlich gegeben hat. Ich sage vermutlich, weil es meines Wissens in den letzten drei Jahrzehnten nur eine einzige Arbeit in der deutschen Soziologie gibt, die explizit Panofsky gilt, den Beitrag von Albin Hänseroth, der ihn im Sammelwerk von Alphons Silbermann9 als Klassiker der Kunstsoziologie würdigt. Hänseroth beklagt auch, „daß Panofskys Interpretationsschema erst im Jahre 1968 von einem Soziologen ,beim Wort' genommen wurde". 10 Gemeint ist Pierre Bourdieus Aufsatz „Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung". 11 Obwohl die interpretative
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Panofsky (1940), S. 27 Panofsky (1940), S. 27 Schopenhauer (1819), I, 3. Buch §36, S. 251 Schopenhauer (1819), I, 3. Buch §36, S. 251 f. Schopenhauer (1819), I, 3. Buch §36, S. 251 Bourdieu (1970b), S. 118 Silbermann (1979) Hänseroth (1979), S. 196 Eigentlich hat Bourdieu die soziologische Relevanz dieses Schemas schon im Nachwort zu seiner
Die Zeit wieder in Gang bringen"
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Sozialforschung seit langem Hochkonjunktur hat, findet sich Panofskys Name nur äußerst selten in den Literaturlisten. Das hat mehrere Gründe. Einer liegt sicher in der Emigration, durch die ja immer zuerst die Fäden zwischen den Fächern zerrissen werden. Ein anderer Grund liegt in der Profilierung der Soziologie nach 1945, die sich auf die Beschreibung sozialer Fakten oder die Kritik eben dieser Fakten beschränkte. Als die Soziologie vor einigen Jahren begann, soziologische Fakten historisch zu reflektieren und nach Strukturen hinter den Phänomenen zu suchen, ging sie zu ihren eigenen Gründervätern zurück. Wenn ich dennoch auch Panofsky - ähnlich wie das Deutsch12 für einen anderen großen Hamburger Gelehrten dieser Zeit, den Psychologen William Stern getan hat - eine „verborgene Aktualität" attestiere, dann deshalb, weil Panofsky im Zentrum eines Paradigmadiskurses stand, an dem auch Riesen der Soziologie wie Max Weber, Georg Simmel oder Karl Mannheim beteiligt waren. Dieses Paradigma nenne ich Strukturverstehen. Aus der Sicht der qualitativen Sozialforschung ist die ikonologische Methode eine besonders entwickelte Form des Strukturverstehens, gleichzeitig aber auch die Form, die höchste intellektuelle Anstrengungen verlangt und umfassende Bildung wie selbstverständlich voraussetzt. Das Letztere hängt mit der ausgreifenden Belesenheit Panofskys und seiner Empfänglichkeit für das zusammen, was die besten Wissenschaftler seiner Zeit dachten. Wenn Sie nun bedenken, daß ich kein Kunsthistoriker bin und ich dennoch über eine Zentralgestalt der deutschen Kunstgeschichte reden soll, dann können Sie ermessen, wie erschrocken ich war, als ich versuchte, den Paradigmadiskurs im ersten Drittel dieses Jahrhunderts nachzuzeichnen. Es waren wahrlich Riesen, die sich über die Grenzen ihres Faches hinweg verständigten und verstanden. Nimmt man nur einen Aufsatz eines dieser Riesen vom Format eines Weber oder Cassirer oder eben Panofsky, dann beginnt man schon nach den ersten Sätzen in der Flut möglicher Referenzen unterzugehen. Ich spreche aus leid-, aber auch genußvoller Erfahrung, nachdem ich versucht habe, einigen impliziten Referenzen allein in der Zeitschrift Logos nachzugehen. Dieses Problem wurde auch nicht dadurch wirklich geringer, daß ich mich von vornherein nur auf methodologische Überlegungen konzentrierte.
2. Sedimente und implizite Strukturannahmen Am seinerzeitigen Diskurs haben mich drei Dinge fasziniert: die subtile Art des Denkens, die ausgewiesene Belesenheit in den Nachbarfächern und die impliziten Konsense. Mir geht es vor allem um diese Konsense intellektueller und künstlerifranzösischen Ubersetzung von Panofskys Werk „Gothic Architecture and Scholasticism" (1951) erkannt, die ein Jahr früher, 1967, erschienen war. 12. Deutsch (1991): Über die verborgene Aktualität W. Sterns; diesen Hinweis verdanke ich Helmut Lück (1991)
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Heinz Abels
scher Arbeit. Konsense sind Sedimente von Diskursen, die längst gelaufen sind und sich gegenüber alternativen durchgesetzt haben. Die Dynamik dieser Konsense hat Bourdieu in das Bild des Kräftefeldes gefaßt, in dem die geistige Arbeit eines jeden bewirkt wird und selbst wirkt. 13 In diesem Kräftefeld „stellt das Werk stets eine Ellipse dar, die das Wesentliche ausläßt: es setzt seinen Nährboden, die implizit gesetzten Postulate und Axiome, stillschweigend voraus". 14 Uber Konsense braucht man sich nicht explizit zu verständigen. Doch ebenso sicher gilt, daß niemand und nichts wirklich verstanden werden kann, wenn man diese stillschweigenden Ideologien nicht kennt. Sedimente und Konsense gehören zum „kulturell Unbewußten", wie Bourdieu es genannt hat. Auf die Sedimente geistiger Gehalte und die Kräfte, die hinter dem Wissen der Handelnden - seien es Intellektuelle, Künstler oder Wirtschaftende - wirken, richtete sich seinerzeit der Strukturblick vieler Wissenschaftler. Sie suchten nach Lesarten zur strukturellen Lagerung von Phänomenen - seien es Ideologien oder Kunstwerke oder wirtschaftliches Verhalten - in der sozialen Zeit. So ging es Mannheim um Standorte der Denkgeschichte, und Panofsky sprach wie gesagt von Regionen, „wo Zeit von sich aus stehengeblieben ist". 15 Diesen Lesarten haben - das ist meine These - implizite Strukturannahmen die Richtung des Denkens vorgegeben. Ich werde fünf behandeln. 2.1 Bildungsgeschichte Eine durchgängige Frage, auch wenn sie nicht immer expliziert wurde, war die Frage nach der wirklichen Freiheit des Handelns. Aus der Sicht der Soziologie ging es um die Frage, wie sich die Gesellschaft ihre Mitglieder zurichtet - nicht nur im sozialen Verhalten, sondern auch im Denken. Näher am konkreten Handeln eines Künstlers ergibt sich daraus die Frage, ob der Künstler dieser Zurichtung als einziger entgehen kann. Steht es Malern und Dichtern tatsächlich frei, die Dinge nach ihrem Belieben darzustellen, wie Horaz es behauptet hat?16 Diesbezügliche Zweifel stehen hinter der Grundannahme von Erwin Panofsky, die lautet: „Die Zeichen und Gebilde des Menschen sind Zeugnisse, weil, oder eigentlich: insofern sie Ideen artikulieren, die vom Vorgang des Zeichengebens und Bildens, auch wenn sie dadurch realisiert werden, doch unterschieden sind". 17 Panofsky nennt diese Ideen oder Prinzipien, „die dem Künstler selber häufig unbekannt sind und die sogar entschieden von dem abweichen können, was er bewußt auszudrücken suchte", mit Cassirer „symbolische Werte". 18 13. 14. 15. 16. 17. 18.
Bourdieu (1970b), S. 76 Bourdieu (1970b), S. 116 Panofsky (1940), S. 27 Horaz: Dichtkunst, Vers 9/10 Panofsky (1940), S. 11 Panofsky (1939), S. 40
Die Zeit wieder in Gang bringen"
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Diese Ideen der Zeit sind die strukturellen Bedingungen der individuellen Bildungsgeschichte. Dieser Zusammenhang wird sehr schön in einem Aufsatz von Georg Simmel im ersten Band von Logos im Jahr 1910/11 über „Michelangelo" deutlich. Dieser Aufsatz trug den Untertitel „Ein Kapitel zur Metaphysik der Kultur". Simmel kommt zu dem Schluß, daß die Figuren Michelangelos „die Idee eines bestimmten Lebens" 19 darstellen und daß hinter einer titanischen Vollkommenheit eine „furchtbare Unerlöstheit" 20 bestehen bleibt. Auf diese Verbindung zwischen einer kulturell generierten Idee und individueller Verarbeitung zielt die Strukturannahme, die ich mit dem Etikett „Bildungsgeschichte" versehe.
2.2 markante Spuren Neben dieser Grundannahme der strukturellen Bedeutung von Zeitideen in allem, was der Mensch tut, also auch in seiner künstlerischen Produktion, ist mir eine zweite aufgefallen, die ich als Strukturannahme der markanten Spur bezeichnen möchte. Was ich damit meine, möchte ich mit einem wissenschaftsgeschichtlich höchst interessanten Fall schildern, auf den ich in einem ganz anderen Forschungszusammenhang gestoßen bin. Im Jahre 1914 erschien in der Zeitschrift Imago, also dem Forum der Psychoanalytiker, ein Beitrag mit dem Titel „Der Moses des Michelangelo". Als Autor waren drei Sternchen angegeben. Der Anonymus beginnt seinen Beitrag mit dem Satz: „Ich schicke voraus, daß ich kein Kunstkenner bin, sondern Laie." Er fährt dann fort, daß Kunstwerke eine starke Wirkung auf ihn ausüben, er sich aber nicht im Klaren sei, wodurch sie wirken. Das aber lasse ihm keine Ruhe. Um sich die Wirkung des Moses nun zu erklären, richtet er seinen Blick auf Details, die ihm merkwürdig erscheinen. In dem Zusammenhang erwähnt der Autor einen russischen Kunstkenner, Ivan Lermolieff, der Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts „die charakteristische Bedeutung von untergeordneten Details" hervorgehoben habe, durch die sich Fälscher von Kunstwerken verrieten. Mit dieser Methode konnten viele Fälschungen entlarvt werden. Fast dankbar berichtet der Autor, daß sich hinter dem russischen Pseudonym der italienische Arzt Morelli verbarg. Das Geheimnis der drei Sternchen ist übrigens ebenfalls gelüftet worden, und zwar im Jahre 1924. Es war Sigmund Freud, der sich von der Identifizierung unwillentlich hinterlassener Spuren beeindrucken ließ. 21
19. Simmel (1910/11), S. 214 20. Simmel (1910/11), S. 219 21. Carlo Ginzburg hat gezeigt, daß Freud die Arbeiten Morellis schon Mitte der 90er Jahre, also einige Jahre vor der Abfassung der Traumdeutung kennengelernt haben muß. (vgl. Ginzburg [1983], S. 86 f.)
218
Heinz Abels
Ich könnte mir vorstellen, daß das „alte Interesse Panofskys an dem Grab Julius II.", 2 2 von dem Bialostocki berichtet, auch mit diesen beiden Aufsätzen von Simmel und Freud zusammenhängt.
2.3 treibende
Kraft
Eine auffällige Konvergenz zeigen die damaligen Diskurse auch in der Annahme einer treibenden Kraft, die hinter dem Rücken der Subjekte wirkt. Ein Hintergrund dieser Annahme ist zweifellos Schopenhauers Buch „Die Welt als Wille und Vorstellung" (1819), wo er das Unbewußte als treibende Kraft bezeichnet. Bei Mannheim heißt es: „Aus dem Schöpfer strömt dasjenige, was vom Kunstwerk als dokumentarische Sinnschicht sich abheben läßt, ,triebartig', d. h. in keiner Weise ,gemeint', in das Werk ein." 23 Dem Schöpfer ist die treibende Kraft also unbewußt. Diesen Gedanken der treibenden Kraft identifizierte Mannheim auch bei Panofsky, der an die Kunsttheorie eines Künstlers nicht die Frage gerichtet habe, ob sie richtig sei bzw. was er gemeint habe, sondern sie als ein Dokument „für jenes bewußtseinsjenseitige, den Künstler treibende Kunstwollen"24 (was zumindest so nicht bei Panofsky steht!), aufgefaßt habe. Der Gedanke des Getriebenwerdens findet sich aber auch in Simmels nachgelassener Arbeit „Zur Philosophie des Schauspielers", die im Jahre 1923 veröffentlicht worden ist. Er spricht von einer „Tiefenschicht", in die man hinabsteigen müsse, um die „letzte Bedeutung" dieser Kunst zu verstehen: „Der Künstler fühlt eine Notwendigkeit, die jede Willkür eindämmt und jeden Zufall der Subjektivität ablehnt. (..) Von innen her entspricht dem das Gefühl der Nötigung des Getriebenund Gezogenwerdens, des unausweichlichen Müssens, das die Künstler so oft als die subjektive Färbung ihres Produzierens angeben".25
2.4
Dokument
Mit diesem Gedanken verbindet sich eine vierte Grundannahme, die ich als Strukturannahme des Dokuments bezeichnen möchte. Schopenhauers Satz, daß Kunst immer am Ziel ist, wurde schon zitiert. Zu diesem Satz hat sich Simmel in 22. Bialostocki spricht von „Panofsky's old interest in the tomb of Julius II and its genealogy", das zu seinem Buch Grabplastik (1964) geführt habe. (Bialostocki [1970], S. 82) Wie Horst Bredekamp gezeigt hat, muß sich Panofsky in der verschollenen Habilitationsschrift (1920) u. a. mit dem Moses des Michelangelo auseinandergesetzt haben. Klaus Herding hat mich freundlicherweise auf eine Rezension Panofskys aufmerksam gemacht, in der er sich in der Tat mit den Thesen des „ungenannten Verfassers" auseinandersetzt. (Panofsky [1921/22], S. 32) 23. Mannheim (1921/22), S. 252 24. Mannheim (1921/22), S. 255 25. Simmel (1923), S. 90 f.
Die Zeit wieder in Gang bringen"
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seinem Aufsatz „Vorformen der Idee", der im 6. Band von Logos (1916/17) erschien, ausdrücklich bekannt. Ich nehme an, daß er auch Hintergrund für Max Weber war, der im nächsten Band von Logos seinen berühmten Aufsatz über den „Sinn der Wertfreiheit der Sozialwissenschaften" veröffentlichte. Dort beschränkte er den Begriff des Fortschritts in der Kunstgeschichte auf die Feststellung technischer Mittel.26 Deutlicher hat er es dann in seinem Vortrag „Wissenschaft als Beruf" aus dem Jahre 1919 ausgedrückt, wo es heißt: „Auf dem Gebiete der Kunst (..) gibt es keinen Fortschritt. (..) Ein Kunstwerk, das wirklich ,Erfüllung' ist, wird nie überboten, es wird nie veralten; der Einzelne kann seine Bedeutsamkeit für sich persönlich verschieden einschätzen; aber niemand wird von einem Werk, das wirklich im künstlerischen Sinne ,Erfüllung' ist, jemals sagen können, daß es durch ein anderes, das ebenfalls ,Erfüllung' ist, ,überholt' sei". 27 Ich interpretiere Schopenhauer und Weber so, daß Kunst Dokument ihrer Zeit ist. Das ist sie, weil der Künstler Kind seiner Zeit ist. Diese Gebundenheit hat Panofsky Habitus genannt. Und genau diese Gebundenheit macht es erforderlich, Kunst zu interpretieren, hinter dem Präsentierten das Repräsentierte zu suchen. Allgemeiner kann man sagen: Phänomene sind Symptome oder wie Mannheim sagt „in Stellvertretung daseiend". Wofür sie stehen, läßt sich nach Mannheim nur durch dokumentarische Interpretation28 ergründen. Dabei gilt es, Sinngebilde in Hinsicht auf drei Sinnschichten zu betrachten: objektiver Sinn, Ausdruckssinn, Dokumentsinn.29 Auch Panofsky unterscheidet zwischen drei Formen der Bedeutung bzw. drei Schichten in einem Kunstwerk, wobei er Mannheims Begriff des Dokumentsinns ausdrücklich übernimmt.30
2.5
Unbewußtes
Die vier Strukturannahmen, ich habe sie „Bildungsgeschichte", „markante Spuren", „treibende Kraft" und „Dokument" genannt, laufen schließlich auf eine fünfte hinaus, die dann eine strukturelle Methode wie die ikonologische eigentlich 26. Weber (1917/18), S. 286 27. Weber (1919), S. 315 28. Mannheim bringt das Beispiel, wo der Freund einem Bettler Geld gibt. Den objektiven Sinn dieser Handlung (Hilfe) versteht man, wenn man das Ganze kennt, in dem das einzelne Phänomen Sinn macht. Der Ausdruckssinn (Mitleid) ist der vom Handelnden gemeinte Sinn. Der Dokumentsinn könnte dagegen Heuchelei sein. Er gibt an, was sich in der Handlung über den Handelnden dokumentiert. Es kommt nicht darauf an, „was er durch seine Tat ausdrücken ,wollte', sondern was durch seine Tat, auch von ihm unbeabsichtigt, sich für mich über ihn darin dokumentiert." Was sich dokumentiert ist nicht ein „irgendwie intendierter Gehalt", sondern die Tat gilt „nur als Beleg für sein substantielles Wesen." Wenn ich nun darangehe, alle seine Objektivationen so aufzufassen, gelingt es, seinen „gesamt-geistigen .Habitus' ins Auge zu fassen". (Mannheim (1921/22), S. 246) 29. Mannheim (1921/22), S. 244 30. Panofsky (1932), S. 115
220
Heinz Abels
erst rechtfertigt. Es ist die Annahme, daß die wirklichen Gründe des Handelns hier des Künstlers - nur von außen erfaßt werden können. Der dokumentarische Gehalt seines Werkes, schreibt Mannheim, ist für den Künstler „als Schöpfer der Intention nach nicht gegeben. Die dokumentarische Sinnschicht ist also nur vom Rezeptiven aus erfaßbar". 31 Albert Einstein hat das Problem in die Frage gekleidet: „Was weiß ein Fisch schon vom Wasser?" Ich nenne es die Strukturannahme des Unbewußten. 32
3. Strukturverstehen Mit der Identifizierung dieser fünf Strukturannahmen wollte ich einen Grundzug der geisteswissenschaftlichen Diskussion zu Anfang dieses Jahrhunderts skizzieren, den Anspruch nämlich, hinter die Phänomene zu sehen. Ich greife nun drei soziologische Beiträge heraus, die zeigen, wie nahe sich Soziologen und Panofsky in methodologischer Hinsicht waren. Ein wichtiger Beitrag für die Methode des Strukturverstehens ist zweifellos Max Webers Aufsatz über „Die ,Objektivität' sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse" (1904). In diesem Aufsatz entwirft er ein Instrument des Verstehens, den sog. Idealtypus. „Er wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von (..) Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbild". 33 Der Idealtypus kommt also durch die systematische Prüfung von Lesarten zu einzelnen Phänomenen und durch ihr strukturelles Zuendedenken zustande. Erst wenn sich alle Phänomene unter dieser gedachten Utopie subsumieren lassen, kann von einem Idealtypus gesprochen werden. Georg Simmel forcierte das Strukturverstehen durch eine Fülle von geistvollen Analogien, mit denen er seine Leser dazu brachte, das Gemeinsame, das sich durch die einzelnen Phänomene zieht, selbst zu entdecken. Siegfried Kracauer hat kurz nach Simmeis Tod in einem eindrucksvollen Aufsatz in Logos (1920/21) über Simmel gesagt, er habe nach der Idee gesucht, die die Schöpfung eines Menschen wie ein roter Faden durchzieht. Simmel wollte „den Schleier von der Kernschauung (..) ziehen, auf der sich das Schaffen der von ihm gerade behandelten Künstler oder auch einer ganzen Epoche, wie z. B. der Renaissance, aufbaute." Er rang „nach Formeln,
31. Mannheim (1921/22), S. 252 32. „Unbewußt" wird hier natürlich nicht im engeren Verständnis Freuds gebraucht, also nicht auf Verdrängtes beschränkt, obwohl es darin enthalten ist. Unbewußtes ist vor allem das, was später als Habitus, und zwar im Sinne einer fortlaufenden symbolischen Sozialisation bezeichnet wird und außerhalb unserer Reflexion bleibt. 33. Weber (1904), S. 235
„Die Zeit wieder in Gang bringenK
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die den eigentümlichen Gehalt der betreffenden Phänomene in sich zu bergen fähig sind". 3 4 Bei Karl Mannheim will ich nur den Gedanken in Erinnerung rufen, daß jedes Sinnfragment Teil einer Ganzheit ist. Diese Ganzheit schreibt sozusagen das „Schema, den stets der weiteren Erfüllung offenstehenden Rahmen, die Richtung der Angliederung der ferneren Elemente" vor. 3 5 Daß Mannheim sich bei der Entwicklung von Exaktheitskriterien der Soziologie Hilfe von den Methoden der Kunstgeschichte als Stilgeschichte versprach, wobei er vor allem an die Methode der Datierung und Zurechnung der verschiedenen Kunstwerke dachte, 36 darf nach seiner ausgiebigen Beschäftigung mit dieser Wissenschaft nicht verwundern. Wenden wir uns schließlich Erwin Panofsky selbst zu. Bialostocki würdigt seine Parallelisierung von gotischer Architektur und Scholastik als „Übung in Strukturanalyse". 37 Panofsky suchte nach der „gemeinsamen Grundtendenz", 38 nach intersubjektiven, vom Individualbewußtsein der Künstler gleichsam „überdeckten Inhalten". 3 9 Panofsky nennt das die eigentliche Bedeutung oder den Gehalt, eine Formulierung, die an Schopenhauer erinnert, der vom „wahren Gehalt" 4 0 als dem Objekt der Kunst spricht. Die eigentliche Bedeutung wird erfaßt, „indem man jene zugrunde liegenden Prinzipien ermittelt, die die Grundeinstellung einer Nation, einer Epoche, einer Klasse, einer religiösen oder philosophischen Uberzeugung enthüllen, modifiziert durch eine Persönlichkeit und verdichtet in einem einzigen Werk". 4 1 An dieser Stelle möchte ich nun Linien der damaligen Diskussion bis zu einer aktuellen soziologischen Diskussion ausziehen, die einigen sicher in Teilen bekannt ist, bis zu Pierre Bourdieu und Ulrich Oevermann. Auch das kann ich nur skizzenhaft tun. Bourdieu knüpft an Panofskys Annahme einer Grundeinstellung an. Zur Bezeichnung dieser Grundeinstellung, die man auch als spezifische kulturelle Disposition bezeichnen kann, verwendet Bourdieu den Begriff des Habitus. 42
34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.
Kracauer (1920/21), S. 311 Mannheim (1921/22), S. 263 Mannheim (1929), S. 263 Bialostocki (1970), S. 82 Panofsky (1920), S. 331 Panofsky (1915), S. 466 Schopenhauer (1819), I, 3. Buch § 3 6 , S. 251 Panofsky (1939), S. 40. Uber diesen Ansatz schreibt Bourdieu: „Was Erwin Panofsky der je konkreten und besonderen Textur entnehmen möchte (..), ist letzten Endes vielleicht jene ,innere Form', wie sie Wilhelm von Humboldt genannt hat, d. h. der modus operandi, der es ermöglicht, sowohl die Gedanken des Theologen wie die Bauformen des Archtitekten hervorzubringen." (Bourdieu [1967], S. 143) 42. Bourdieu verweist darauf, daß der Habitus-Begriff von Panofsky stammt, der ihn aus der Scholastik übernommen habe. Das Gotik-Buch von Panofsky, auf das sich Bourdieu in diesem Zusammenhang
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Obwohl er ausdrücklich erwähnt, daß er diesen Begriff von Panofsky übernimmt, wird er in der soziologischen Diskussion durchgängig nicht mit dessen Namen verbunden. Mit Blick auf die damit verbundenen Bildungsprozesse bezeichnet Bourdieu den Habitus in der Terminologie der generativen Grammatik von Chomsky als „ein System verinnerlichter Muster". 4 3 Diese verinnerlichten Muster erlauben es, „alle typischen Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen einer Kultur zu erzeugen - und nur diese". 44 Habitus ist das Kollektive im Individuellen. Der Habitus im Sinne Panofskys verbinde „den Künstler mit der Kollektivität und seinem Zeitalter" und weise, „ohne daß dieser es merkte, seinen anscheinend noch so einzigartigen Projekten Richtung und Ziel". 4 5 Bourdieu nutzt das Konstrukt des Habitus als Schlüssel zum Strukturverstehen. Der deutsche Soziologe Ulrich Oevermann, der sich vor allem mit sprachlichen Äußerungen befaßt, geht ganz ähnlich vor. Seine Methode, die er strukturale Hermeneutik nennt, ist zweifellos die interessanteste Methode des Strukturverstehens, zumal sie neben anderem eine reflektierte dialektische Theorie mit der hermeneutischen Tradition der deutschen Geisteswissenschaften verbindet. Auch Oevermann betont, daß die Struktur eines sozialen Gebildes das „Ergebnis eines historischen Bildungsprozesses" ist. 46 Er versteht Habitus als „zeitgeistgebundene latente Sinnlogik", 47 die ihre strukturierende Kraft entfaltet, ohne daß sie subjektiv bewußt oder intendiert wäre. 48 Der Habitus erfährt seine besondere Prägung in der individuellen Bildungsgeschichte. Der ins Individuelle übersetzte historische Bildungsprozeß wirkt als generative Struktur hinter allem, was der Mensch sagt oder tut. Damit komme ich zu der Frage, wie man diese generative Struktur oder - in Panofskys Worten - die „eigentliche Bedeutung" herausfinden kann. Die Antwort will ich mit einer Skizze der Kunst der Interpretation 49 geben.
43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.
bezieht, stammt von 1951. Max Weber hat diesen Begriff ebenfalls benutzt und zwar in seinem Aufsatz „Der Sinn der ,Wertfreiheit' der Sozialwissenschaften", der zuerst in Logos Band VII, 1917/18 erschienen ist. (1964, S. 300) Auch Mannheim verwendet diesen Begriff (1921/22, S. 246). Bourdieu (1967), S. 143 Bourdieu (1967), S. 143 Bourdieu (1967), S. 132 Oevermann (1983), S. 270 Oevermann (1985), S. 464 Oevermann u. a. (1979), S. 380 Die Anleitung zur Interpretation, die Bätschmann (1988) vorgelegt hat, verfolgt - soweit ich sehe in methodischer Hinsicht in ähnlicher Strenge, was im folgenden skizziert wird.
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4. Die Kunst der Interpretation 4.1 Subsumtion oder: die Pflege der Gewißheit Im Alltag werden Interpretationen, wenn sie spontan einleuchten und sich gar noch in ein plausibles Klassifikationsschema fügen, hoch geschätzt. Das hat viel mit Wiedererkennung und noch mehr mit der Pflege von Gewißheit zu tun. Zur Struktur eines Verhaltens, eines Textes oder eben eines Kunstwerkes dringt eine solche Interpretation aber nicht durch, sie verdoppelt nur die Fakten, wie es Adorno genannt hat. 50 Dieses Verfahren bezeichnet Oevermann als Subsumtion, ein Begriff, den auch Schopenhauer 51 , später dann Panofsky 52 und auch Mannheim 53 benutzt haben.
4.2 Bewegliches Denken Mannheim setzt gegen die Einordnung des Neuen in ein Vertrautes das „bewegte Denken". Eine strukturelle Voraussetzung für dieses Denken hat Simmel in seinem berühmten Exkurs über den Fremden geschildert: der Fremde ist gleichzeitig nah und fern; da er nicht durch die Geschichte der Gruppe festgelegt ist, kann er die besondere Attitüde des „Objektiven" einnehmen. 54 Da er aus eigener Erfahrung Alternativen kennt, ist sein Denken im Prinzip offen. Die Forderung, die sich aus all dem an den Prozeß der Interpretation stellt, lautet: sie muß nah an das Objekt herantreten, das heißt kenntnisreich und interessiert, andererseits muß sie weit von ihm zurücktreten, das heißt es in größeren Rahmen und im Kontrast zu denkbaren Alternativen sehen. Oevermann nennt das die Produktion von Lesarten. 55 Auch Panofskys Forderung, die „potentielle Form für ein Kunstwerk von der aktuellen Form eines Kunstwerkes" zu unterscheiden 56 , läßt sich als die Suche nach kontrastiven Lesarten verstehen. So berichtet Bialostocki, daß Panofsky Verbindungen, die er aufgezeigt hatte, gerne wieder rückgängig machte, um so die Strukturelemente noch einmal sichtbar zu machen, oder seine Argumente durch konstante Vergleiche mit kontrastiven Konzepten herausforderte. 57 Oevermann verlangt, auch unwahrscheinlichsten Lesarten zuzuhören, sie aber auch unnachsichtig auf ihre Begründungen abzuklopfen, um so auch den letzten Erkenntnisgewinn herauszufiltern. 50. 51. 52. 53. 54. 55.
zit. nach Oevermann (1983), S. 271 Schopenhauer (1819), I, 3. Buch § 3 6 , S. 255 Panofsky (1915), S. 461 Anm. 1 Mannheim (1927), S. 496 Simmel (1908), S. 65 Lesarten entsprechen dem, was Bätschmann „Konjekturen, gegründete Vermutungen" nennt (a. a . O . , S. 209) 56. Panofsky (1915), S. 466 57. Bialostocki (1970), S. 86
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Heinz Abels 4.3 Intuition
Nun wissen wir spätestens seit Lichtenberg, daß ein Buch - man könnte natürlich auch ein Kunstwerk oder eine Landschaft nehmen - ein Spiegel ist: „wenn ein Affe hineinguckt, so kann freilich kein Apostel heraussehen". 58 Wie vieles, was Lichtenberg der Welt mit auf den Weg gegeben hat, sollte auch diese Warnung bedacht werden, besonders natürlich, wenn es um eine Interpretation vom Anspruch Panofskys geht. Vor dem Hintergrund dieser Warnung - die ja manche, die sich berufen fühlen, gar nicht als Warnung, sondern als Ermunterung verstehen! - will ich auf zwei Formen spontanen Verstehens eingehen, Intuition und physiognomischer Blick. Mannheim betont, daß beim Akt der Erfassung des Dokumentsinns die unmittelbare Intuition eine große Rolle spielt. Mithilfe dieser Intuition wird die Ganzheit eines Kulturgebildes erfaßt, von der aus jedes einzelne Fragment seinen Sinn bekommt. Panofsky nennt diese spontane Erfassung „synthetische Intuition". 59 Seine Bemerkung, daß diese Fähigkeit bei einem begabten Laien eher vorhanden sein kann als bei einem gebildeten Fachmann, sollte die Fachleute nicht schmerzen, sondern herausfordern, das Denken beweglich zu halten, auch der Überraschung eine Chance zu geben. Peirce hat diesen nicht mit der Logik des Vertrauten belasteten, spontanen Erkenntniszugewinn als abduktives Schließen bezeichnet. Es ist ein blitzartiges Aufleuchten einer neuen Verbindung von verschiedenen Hypothesen, die vorher in unserem Kopf waren, ohne sich zu einem Bild gefügt zu haben. 60 Ein ganz ähnlicher Gedanke findet sich auch bei Panofsky, wenn er sagt: „Es ist tatsächlich so: um ein Kunstwerk, und sei es auch rein phänomenal, zutreffend beschreiben zu können - müssen wir es - wenn auch ganz unbewußt und in dem Bruchteil einer Sekunde - bereits stilkritisch eingeordnet haben". 61 Einen ganz ähnlichen Mechanismus nahm auch Panofskys Kollege in Hamburg, der schon erwähnte Psychologe William Stern, an, der von der Erfassung einer Gestalt sprach. Auf diesen Modus des abduktiven Schließens setzt auch die strukturale Hermeneutik. 62 Oevermann spricht von der „intuitiven Treffsicherheit des physiognomischen Blicks", 63 den er für einen entscheidenden Zugang zur generativen Struktur einer Äußerung hält. Dieser Gedanke findet sich auch bei Mannheim, der ihn wiederum von Schopenhauer übernommen haben dürfte. 64 58. Lichtenberg (1775), S. 97 59. Panofsky (1939), S. 48 60. Peirce (1903), S. 243. Dieses Bild findet sich auch bei Droysen, der Verstehen als unmittelbare Intuition bezeichnet, die wie ein Lichtfunken erfolge, (zit. nach Schnädelbach 1983, S. 152) 61. Panofsky (1932), S. 108 62. Oevermann (1983), S. 245 63. Oevermann (1983), S. 278 64. Schopenhauer (1851): Zur Physiognomik, S. 648 ff. Schopenhauer erwähnt auch die Anekdote, nach der ein Kind aus einer Gruppe ihm unbekannter Männer spontan Petrarca herausfand. (S. 653 f.)
Die Zeit wieder in Gang bringen"
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Nach Mannheim erfaßt der physiognomische Blick eine Ganzheit, von der aus „jedem Fragment Teilfunktion und dadurch Sinn und Gehalt" 65 verliehen werden. 4.4 subjektive
Verzerrung
Interpretation hat - auch wenn man es nicht so kraß wie Lichtenberg ausdrücken will - immer etwas mit der Ideologie der Interpreten zu tun. Panofsky drückt es so aus: In jede Intuition gehen die besonderen, individuellen Denkformen des Interpreten ein.66 Nietzsche spottete über das „Dogma der unbefleckten Erkenntnis", und Bourdieu spricht von der „Brille der Bildung",67 die man als Instrument gar nicht mehr wahrnehme. Aus dieser Perspektive erhält Panofskys Bemerkung über den gebildeten Fachmann noch einmal Gewicht.68 Eine entscheidende Voraussetzung für jede Interpretation ist, das Vor-Verständnis „ins Offene" 69 zu stellen. In der strukturalen Hermeneutik wird das u. a. durch einen Gruppenprozeß gefördert, in dem phantasiereich Kontexte erfunden werden, in denen eine Äußerung Sinn machen könnte. Damit ist gleichzeitig die Verpflichtung verbunden, jede Lesart auch gegen alle Einwände in der Gruppe zu begründen. 4.5
Korrektive
In seinem Aufsatz „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst" (1932) hat Panofsky ein Schema der kunsthistorischen Deutungsarbeit entworfen, das den Gegenstand, die subjektive Quelle und das objektive Korrektiv der Interpretation enthält. Dieses Schema listet in wenigen Worten auf, was dem Interpreten abverlangt wird. Panofsky spricht von Grenzkämpfen zwischen subjektiver Gewaltanwendung"70 und objektiver Geschichtlich-
65. 66. 67. 68.
Mannheim (1921/22), S. 263 Panofsky (1939), S. 48 Bourdieu (1968), S. 164 Schmidt macht darauf aufmerksam, daß sich Panofsky durchaus der Gefahr der Phantasterei bewußt war, weshalb er auch „eine strenge Anwendung der historischen Korrektivprinzipien gefordert" habe (vgl. Schmidt [1989], S. 45). Für Wuttke sprechen die Fehler, die mit der ikonologischen Methode gemacht werden können, auch nicht gegen die Methode, sondern gegen die Personen, die sie falsch anwenden, (zit. nach Schmidt [1989], ebd.) 69. Gadamer, zit. nach Schneider (1991), S. 37 70. Nach Heidegger, auf dessen Kantbuch sich Panofsky hier ausdrücklich bezieht, muß jede Interpretation Gewalt anwenden, wenn sie dasjenige sichtbar machen will, was über eine ausdrückliche Formulierung hinaus gesagt worden ist: „...wie denn überhaupt in jeder philosophischen Erkenntnis nicht das entscheidend werden muß, was sie in den ausgesprochenen Sätzen sagt, sondern was sie als noch Ungesagtes durch das Gesagte vor Augen legt.... Um freilich dem, was
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keit. 71 Es ist die Gewalt, die auch - wie eingangs angesprochen - der Gegenwart und der Wirklichkeit grundsätzlich Lesarten zumutet. Das kann natürlich nicht heißen, ein künstlerisches Werk oder auch ein Interview mit kecker Phantasie zu traktieren. Statt flinker Attacken sind fachliche Kompetenz und eine dreifache Erkenntniskompetenz vonnöten, die Panofsky „vitale Daseinserfahrung", „literarisches Wissen" und „weltanschauliches Urverhalten" nennt. 72 Eine ähnliche Qualifikation verlangt auch die Theorie der strukturalen Hermeneutik. Dort heißt es, Subjekte, deren Sozialisationsprozeß noch nicht abgeschlossen ist, sollten nicht interpretieren, die Interpreten sollten mit der Lebenswelt des Datenmaterials und mit der Theoriediskussion gut vertraut sein und sie sollten die „Befähigung zur intuitiv angemessenen Primärerfassung" mitbringen. 73 Die Frage ist nun, wie sichergestellt werden kann, daß Interpretation sich weit weg von dogmatischen Denkformen hält und auf die Struktur eines Kunstwerkes oder einer Äußerung durchgreift. Das wichtigste Korrektiv besteht zweifellos in der Prüfung einer Strukturlesart an allen Details. Interpretationen müssen so lange geprüft werden, bis die ganze Reihe einen Sinn ergibt und somit alle Einzelbeobachtungen mit umschließt. Dies nennt Panofsky den circulus methodicus. 74 Mit diesem Prinzip scheint mir die interpretative Sozialforschung am stärksten herausgefordert zu werden. Mit der Forderung des circulus methodicus, so Bourdieu, „setzt die strukturalistische Interpretation (..) die ganze bereits gewonnene Wahrheit für jede noch zu gewinnende ein. Denn die ganze Wahrheit steht und fällt mit der Wahrheit des Ganzen". 7 5 Ahnlich heißt es bei Oevermann, daß sich die Strukturierungsgesetzlichkeit „bis in die unscheinbarsten Vorgänge hinein, die kleinsten Poren des Alltagslebens durchdringend, nachweisen lassen" 76 muß. Deshalb gibt es auch keine „schönen Stellen" und auch das kleinste Partikel ist wichtig. Wo sich alle Details einer einzigen Lesart fügen, nimmt Oevermann eine „generative Strukturformel" an. 77 In heuristischer Hinsicht erfüllt das Konstrukt der „generativen Strukturformel" die gleichen Bedingungen wie der „Idealtypus" bei Weber oder die „eigentliche Bedeutung" bei Panofsky.
die Worte sagen, dasjenige abzuringen, was sie sagen wollen, muß jede Interpretation notwendig Gewalt brauchen." (zit. nach Panofsky [1932], S. 113) 71. Panofsky (1932), S. 119 72. Panofsky (1932), S. 118 73. Oevermannu. a. (1979), S. 392 f. Mit diesen Forderungen wird die Warnung verbunden, „besonders neurotisch Veranlagte" sollten sich nicht ausgerechnet dieses Arbeitsgebiet auswählen. 74. Panofsky (1939), S. 63 f. A n m . 3 75. Bourdieu (1967), S. 134 76. Oevermann (1983), S. 2 7 7 77. Oevermann (1983), S. 271
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Ein zweites Korrektiv sieht die Strukturale Hermeneutik durch die Interpretation in der Gruppe. Dort werden Lesarten erfunden und geradezu streitsüchtig gegeneinander verteidigt, damit, wenn eine Lesart scheitert, der Informationsgewinn möglichst hoch ist. 78 Ich denke, daß dieses Gruppenkorrektiv in der Kunstwissenschaft durch den fortlaufenden öffentlichen Diskurs der Lesarten zu einem Kunstwerk gewährleistet wird. 79
5. Lesarten zu zwei Zeiten Ich habe meinen soziologischen Kommentar zur Ikonologie unter ein Wort von Panofsky gestellt: „Die Zeit wieder in Gang bringen". Jetzt muß ich auch den soziologischen Schluß aus meinem Kommentar ziehen. Er lautet: mit der ikonologischen Methode wird ein Doppeltes in Gang gebracht. Es werden die Kräfte noch einmal in Bewegung gebracht, die sich in einem Kunstwerk als Lesart seiner Zeit manifestieren. Zweitens wird mit dieser Strukturlesart eine Lesart zur Zeit des Interpreten selbst geschaffen. Wie anders machte Panofskys Forderung nach immer neuer Interpretation eines Kunstwerkes auch Sinn? Insofern hält sie auch die Zeit in Gang - für die, die wie Panofsky für neue Lesarten der eigenen Wirklichkeit offen sind. Ich fürchte nur, daß es nicht viele sind, die das als Chance der Moderne begreifen. 78. Oevermann u. a. (1979), S. 393 79. vgl. dazu auch die Ausführungen Bätschmanns zur Validierung von Interpretationen in der Kunst ( a . a . O . , S. 215ff.).
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Personenregister Kursive Seitenzahlen verweisen auf Anmerkungen
Abaelard, Petrus 116 Accius 192 Adler, Alfred 96, 169 Adorno, Theodor W. 98, 223 Aelfric 191, 192 Agrippa von Nettesheim 155 Alberti, Leon Battista 48, 51, 147 Alciatus, Andrea 103 Annas, Gabriele 112 Antal, Frederick 92 Antonello da Messina 23 Archigenes 156 Arendt, Hannah 90, 94 Aristides von Theben 147 Aristoteles 118, 153, 155,156 Arnheim, Rudolf 98 Arnim, Bettina von 169 Arnold, Günter 22 Auerbach, Johannes 28 Augustinus 118 Avicenna 156 Aydelotte, Frank 98 Bätschmann, Oskar 26, 37, 72, 80, 177, 222, 223, 227 Balács, Béla 92 Bandmann, Günter 141, 169 Barbari, Jacopo de' 22 Barr, Alfred 66, 80 Barr, Margret (Daisy) 26, 66 Bauch, Kurt 74 Bauer, Gerd 169 Beckmann, Max 121 Beenken, Hermann 60 Beethoven, Ludwig van 79 Behne, Adolf 174 Beierwaltes, Werner 114 Bellori, Giovan Petro 72, 76, 186, 189 Benhabib, Seyla 94
Benjamin, Walter 35, 85, 104, 144, 174, 175, 184,185, 186, 187, 196 Berchorius, Petrus 152 Berg, Alban 96 Berger, Peter 213 Bernhard von Clairvaux 116 Bernini, Giovanni Lorenzo 41, 48, 130 Beuys, Joseph 169 Beyrodt, Wolfgang 6 Bialostocki, Jan 53, 67, 218, 221, 223 Binding, Günther 112 Bing, Gertrud 17, 21, 27, 85 Binswanger, Ludwig 146, 156 Blanchot, Maurice 90 Blechen, Carl 169 Bloch, Marc 146 Blunt, Anthony 73, 75 Bober, Harry 61, 111, 118 Bode, Wilhelm 12 Bohr, Niels 101 Bol, Ferdinand 68 Boll, Franz 106 Bonaparte, Lucien 169 Bonaventura 129 Borgese, Giuseppe Antonio 98 Borinski, Karl 68 Bourdieu, Pierre 7, 214, 216, 221, 222, 225, 226 Boureau, Alain 103 Brackmann, Albert 104 Brand-Philip, Lotte 27, 28 Branner, Robert 126 Braque, George 100 Brauer, Elisabeth 22 Bredekamp, Horst 45, 92, 117, 118, 154, 201, 218 Breitenbach, Edgar 22, 28 Breton, André 199 Brinkmann 20 Broch, Hermann 87-100, 108
230
Personenregister
Brodersen, Momme 35 Brody, Daniel 93 Bronzino, Agnolo 55 Bruno, Giordano 118 Buchthal, Hugo 19, 20, 23, 28,142 Buck, August 144 Büchsei, Martin 114, 117 Bühler, Charlotte 96 Bühler, Karl 96, 98, 107 Büttner, Frank 201 Burckhardt, Jacob 6, 7, 9, 10,11, 12,119, 141, 144 Burke, Peter 144 Burke, Edmund 198 Burmeister, Werner 3, 13, 22 Busch, Wilhelm 190 Buschendorf, Bernhard 85 Caesar 143 Camille, Michael 141, 144 Canetti, Elias 90, 96 Cantor, Norman F. 104, 141, 144 Cantril, Hadley 99 Carnap, Rudolf 96 Carracci, Annibale 72 Carrier, David 77 Cassirer, Ernst 14, 17, 27, 35, 55, 62, 75, 77, 97, 105, 106, 107, 117, 127, 128, 129, 130, 140, 141, 150, 151, 203, 205, 215, 216 Cassirer, Toni 106 Castagno, Andrae del 147 Castellio, Sebastian 125 Cézanne, Paul 107, 173 Chagall, Marc 169 Chaplin, Charlie 174, 177 Chartier, Alain 157 Chipp, Herschel B. 80 Chomsky, Noam 222 Chrestien von Troyes 207, 209 Christmann, Hans Helmut 65 Cicero 120, 192 Clausberg, Karl 171, 188 Clemen, Paul 8, 18 Clemens IX. 75 Coffin, David 68 Collins, Bradford R. 80 Coremans, Paul 124 Correggio 43, 54 Coser, Lewis A. 96, 99, 107 Cramer, Thomas 206, 207 Crosby, Sumner McKnight 109, 113, 115 Crossley, Paul 114, 117 Curtius, Ernst Robert 130 Dagobert 109 Dalí, Salvador 162
Damisch, Hubert 93 Damman 34 Daniele da Volterra 42 Dante Alighieri 68, 118, 131 Daumier, Honoré 149 David, Don 199 David, Gerard 127 Davies, Martin 60 Dehio, Georg 55, 56 Delacroix, Eugène 154 Deutsch, Werner 215 Diderot, Denis 169 Diers, Michael 104, 170 Dilly, Heinrich 7, 9, 15, 211 Dilthey, Wilhelm 10, 85, 135, 136 Diner, Dan 94 Dionysius (Areopagita) 64, 109, 114, 115, 117, 118, 120 Donatello 39, 49, 51, 55 Dorner, Alexander 160, 190 Dove, Alfred 5 Doyle, Arthur Conan 66 Droysen, Johann Gustav 224 Dürer, Albrecht 2, 13, 22, 32, 33, 48, 51, 54, 57, 62, 68, 71, 73, 96, 124, 144, 146, 148, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 159, 162, 168, 173, 178, 179, 185, 193 Durkheim, Emile 146 Dvorak, Max 96, 97, 107 Edgerton Jr., Samuel Y. 211 Edison, Thomas A. 174 Einem, Herbert von 126 Einstein, Albert 89, 97, 98, 99, 118, 123, 132, 220 Eisenstein, Sergej 182, 184, 188 Eisler, Colin 107 Eitelberger, Rudolf 7 Empedokles 156 Erasmus von Rotterdam 66, 73, 120, 127, 137 Erben, Wilhelm 4 Eyck, Jan van 55, 58, 127, 129 Federn, Paul 96 Félibien, André 76 Ficino, Marsilio 64, 72, 118, 149, 153, 154 Fitzgerald, Robert 98 Flexner, Abraham 65 Focillon, Henri 110, 113,114, 115 Fontane, Theodor 66 Ford, Henry 174 Forssmann, Erik 197 Fränckel, Ingeborg 28 Francke, Meister 23 Frank, Joseph 100
Personenregister Frankfort, Henri 86 Frankfurter, Alfred 193 Frankl, Paul 18, 65, 110,' 113,115 Franz von Assisi 2 Freud, Anna 107 Freud, Sigmund 43, 94, 96, 97, 107, 145, 146, 163, 168, 169, 182, 217, 218, 220 Freund, Lothar 22, 24, 28 Frey, Dagobert 43, 202 Frey, Karl 42 Friedländer, Max J. 69, 127 Friedländer, Saul 102 Friedländer, Walter 26, 37, 38, 57, 65, 67, 69, 73, 74, 77, 78 Friedrich, Caspar David 182 Fiilep, Lajos 92 Fuhrmann, Horst 103 Fumaroli, Marc 81 Gadamer, Hans-Georg 143, 225 Gage, John 114 Galilei, Galileo 132, 133 Gall, Ernst 126 Gance, Abel 176, 177 Gauss, Christian 98, 99 Gautier, Jean-Luc 168 Gay, Peter 84 Gedo, Mary M. 145, 168 Gennep, Arnold van 94 George, Stefan 102, 103, 104 Gerstenberg, Kurt 72 Gibaut, Serge 199 Giehlow, Karl 33 Giesey, Ralph E. 103, 104, 105 Gilbert, Felix 143, 144 Gilson, Etienne 133 Ginzburg, Carlo 32, 217 Giotto 2 Goedel, Kurt 123 Goes, Hugo van der 169 Goethe, Johann Wolfgang von 59, 68, 79 Gogh, Vincent van 164 Goldmann, Lucien 169 Goldschmidt, Adolph 12, 18, 32, 55, 68, 69 Göll, Yvan 171 Gombrich, Ernst H. 106, 107, 108, 136, 141, 142, 146, 149, 150, 163, 164,168, 169 Gorsen, Peter 167 Gosebruch, Martin 114 Goya, Francisco de 168 Grandville 168 Grimm, Herman 11,12 Gropius, Walter 182 Groves, Leslie 110,121 Grünewald, Eckhart 103, 104 Grünewald, Mathis 57
231
Guercino 74 Gundolf, Friedrich 102 Gurlitt, Cornelius 8 Gutenberg, Johannes 174 Halbwachs, Maurice 146 Hamann, Richard 18 Hänseroth, Albin 214 Härtzsch, Otto 22, 24 Hartmann von Aue 207, 209, 210 Harvey, E. Ruth 166 Haskins, C. H. 141 Haslinger, Adolf 97 Hauser, Arnold 92,178 Hauttmann, Max 3 Heckscher, William (Wilhelm) 25, 27, 28, 31, 37, 38, 60, 61, 63, 66, 67, 152, 153, 163, 164, 167 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 91, 140, 141 Heidegger, Martin 64, 225 Heidt, Renate 44 Heimann, Adelheid 28 Heinrich VII. 188 Heinrich von Gent 154 Heise, Carl Georg 100 Held, Jutta 135 Henry, Daniel 151, 159 Herding, Klaus 97, 101, 145, 168, 218 Heydenreich, Ludwig Heinrich 3, 27, 74 Hildebrand, Adolf 49 Himmelmann-Wildschütz, Nikolaus 133 Hinrichsen, Klaus 27, 28 Hitler, Adolf 104, 119, 124,143, 196 Härtzsch, Otto 22, 24 Hölderlin, Friedrich 170 Hörmann, Hans 145 Hoff, Ursula 27, 28 Hoffmann, Konrad 190 Hofmann, Werner 89, 168 Hofmannsthal, Hugo von 35 Hohl, Hanna 38 Holbein d. J., Hans 9, 73 Holly, Michael Ann 44, 205 Holst, Niels von 20 Horaz 143, 216 Horn, Walter 14, 28 Hotho, Heinrich Gustav 7 Hroswitha von Gandersheim 149 Hugo, Victor 154, 169 Humboldt, Wilhelm von 221 Husserl, Edmund 62 Huysmans, Joris-Karl 129 Imdahl, Max 95 Innozenz X. 75
232
Personenregister
Jahoda, Marie 96, 107 James, Henry 66, 145, 150 James, William 146, 150 Janson, Horst Woldemar 27, 28, 167 Jantzen, Hans 18, 74, 126 Jean Paul 66, 69, 170 Jesinghausen-Lauster, Martin 106 Johannes Chrysostomus 156 Johannes Scottus Eriugena 115, 117 Johnson, Alvin 98 Jonas, Ilsedore B. 100 Jonas, Klaus W. 100 Jonas, Ernest 146, 159,162, 163, 164 Joyce, James 97 Julius II. 71 Jung, Carl Gustav 146, 163 Jungk, Robert 121 Justi, Carl 9 Kaegi, Werner 6, 9 Kahler, Erich (von) 90, 99, 100, 101,103 Kahnweiler (siehe Henry, Daniel) Kambas, Chryssoula 35 Kandinsky, Wassily 89 Kant, Immanuel 141, 181, 198, 225 Kantorowicz, Ernst H. 102, 103, 104, 105, 125 Kany, Roland 106 Karl der Kahle 115 Katzenellenbogen, Adolf 28, 148, 167 Kauffmann, Georg 171 Kauffmann, Hans 32, 34, 35, 39, 130, 178, 179 Kepler, Johannes 132, 133 Kidson, Peter 114 Kiel, Anna 100, 102 Kimpel, Dieter 116 Kinkel, Gottfried 7 Klee, Paul 100, 183 Klein, Dorothee 29 Klibansky, Raymond 153, 154, 155, 157, 169 Klimt, Gustav 97 Knapp, F. 45 Koester, Rudolf 90 Kokoschka, Oskar 96 Konecny, Lubomir 93 Koselleck, Reinhart 209 Kracauer, Siegfried 99, 173, 178, 182, 183, 184, 186, 220 Kraus, Karl 89, 96 Krauss, Rosalind 169 Krautheimer, Richard 61 Kris, Ernst 107, 166, 169 Kristeller, Paul Oskar 65 Krumrine, Mary Louise 168 Kubler, George 194, 195
Kugler, Franz 8 Kuhn, Hugo 202, 206 Kunst, Hans-Joachim 2 Lachmann, Ciaire 21, 23, 29 Ladenburg, Alfred 4 Lange, Konrad 173 Lauffer, Otto 33, 34, 35 Laughton, Charles 188 Lauts, Jan 23, 24 Lazarsfeld, Paul 98 Le Bon, Gustave 93 Lederer, Emil 98 Léger, Fernand 173 Lehmann-Brockhaus, Otto 60, 112, 117 Lenz, Max 34, 35 Leonardo da Vinci 31, 124, 151, 168 Lepenies, Wolf 5 Lermolieff, Ivan 217 Lessing, Gotthold Ephraim 178,179 Lévi-Strauss, Claude 99 Lichtenberg, Georg Christoph 224, 225 Liebeschütz, Hans 17, 27 Liebig, Justus von 4 Liotard, François 197 Lipps, Theodor 63, 146, 159, 181, 189 Löwenstein, Hubertus Prinz zu 98 Löwenthal, Leo 86 Loewith, Karl 130 Lomazzo, Giovanni Paolo 72 Longinus 198 Loos, Adolf 89, 96 Lorenzo Monaco 57 Lötz, Wolfgang 27 Lowinsky, Viktor 63 Lucas van Leyden 120 Luckmann, Thomas 213 Lübke, Wilhelm 7 Liick, Helmut 215 Lützeler, Paul Michael 90, 92, 96 Lukács, Georg 92, 187 Lukian 79 Mainz, Annie 22, 29 Mandowsky, Erna 27, 29 Mann, Thomas 69, 97, 98, 99 Mannheim, Karl 62, 92, 93, 213, 215, 216, 218-225 Marc, Franz 173, 177 Mardersteig, Hans 100 Marin, Louis 77 Maritain, Jacques 126, 133 Martens, Bella 23 Martianus Capella 142 Martin, Alfred von 143, 144 Masaccio 147
Personenregister Mattenklott, Gert 84 Mauss, Marcel 146 Mayer, Rolf 211 McCarthy, Joseph Raymond 124 Meier-Graefe, Anne Marie 90 Meier-Graefe, Julius 90 Meister von Flémalle 58 Melanchthon, Philipp 156 Melle, Werner von 36 Meloncelli, R. 75 Memling, Hans 127 Mercklin, Eugen von 3, 17 Meulen, Jan van der 112 Meyne, Willy 13, 22, 54, 57 Michalski, Ernst 187 Michel, Régis 163, 167 Michelangelo 31, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 48-51, 54, 62, 68, 71, 74, 79, 153, 154, 162, 163, 168, 217, 218 Michels, Karen 31, 37, 73, 112, 192 Misch, Georg 116 Möller, Lise Lotte 27, 37, 69 Mörike, Eduard 64, 66 Montesquieu, Charles de 196 Montgomery, Bernard 120 Moore, Thomas 197 Morelli (siehe Lermolieff, Ivan) Mosse, George L. 84 Mozart, Wolfgang Amadeus 79, 120 Münscher, Leni 3 Mumfort, Lewis 98 Musil, Robert 96, 97 Naber, Claudia 106 Napoleon 120, 193 Neudörffer, Johann 157 Neumann 123 Neumann, Carl 18 Neumeyer, Alfred 155, 161, 167 Newman, Barnett 64, 80, 100, 191, 192, 193, 194, 197-199 Niebuhr, Reinhold 98 Nietzsche, Friedrich 89, 225 Nikolaus von Cues 130 Oevermann, Ulrich 221-224, 226, 227 Offhuys, Gaspar 156 Ohly, Friedrich 202, 206 Oppenheimer, J. Robert 120, 121, 123, 124 Ovid 120 Paatz, Walter 141 Pächt, Otto 135, 136 Panofsky, Dora 16, 78, 79, 80,100, 122, 125 Panofsky-Soergel, Gerda 65, 68, 82 Patrizzi, Francesco 118
233
Pauli, Gustav 13, 16, 17, 31-47, 60, 74 Pauli, Wolfgang 99, 101, 118,163 Peirce, Charles S. 224 Perpeet, Wilhelm 114 Perrig, Alexander 42 Petrarca 68, 153, 224 Pevsner, Nikolaus 65 Philostrat 79 Picasso, Pablo 95, 97, 143, 151,168 Picinelli 131 Piero di Cosimo 148, 149 Pinder, Wilhelm 18, 20 Pinturicchio 51 Piaton 118, 143, 149 Plinius 147 Poe, Edgar Allan 169 Pollock, Jackson 80, 164, 165, 169, 198, 199 Pontormo, Jacopo 57 Pot, Philippe 82 Poussin, Nicolas 71-82, 123, 130 Prange, Regine 183, 190, 196 Priesner, Claus 4 Priest, George Madison 68 Prlidentius 148 Pseudo-Dionysius, siehe Dionysius Pucelle, Jean 127 Quercia, Jacopo della
39, 49
Radnóti, S. 134 Rämisch, Waldemar 103 Raffael 9, 11, 39, 40, 42, 48, 49, 51, 54, 72, 107, 168, 185 Raio, Giulio 105 Raleigh, Henry P. 175 Ranke, Leopold von 5, 6 Rasch, Martin 86 Rather von Lobbes 149 Reckermann, Alfons 201 Redon, Odilon 129, 169 Reinhard, Ad 199 Rembrandt 68, 131, 166 Reudenbach, Bruno 92, 101, 104 Reutter, Pia von 27 Reybekiel, Waclaw von 22, 29 Reynolds, Joshua 74 Rhodes, Richard 121 Richter, Hans 173 Riegl, Alois 44, 62, 92, 134, 140, 141, 158, 159, 160 Riemenschneider, Tilman 2 Ringbom, Sixten 168 Ripa, Cesare 156 Ritzer, Monika 90 Robertson, Bryan 80 Röckelein, Hedwig 163
234
Personenregister
Rogier van der Weyden 58, 127 Roosevelt, Franklin Delano 124 Rosenau, Helen 29 Rosenbacher, Emmy 29 Rosenblum, Robert 191, 197, 198, 199 Rospigliosi, Giulio 75, 77 Rosso 57, 58, 157 Rothe, Wolfgang 90 Rothko, Mark 80, 100, 199 Rudolph, Conrad 114 Riirup, Reinhard 7 Russell, Bertrand 164 Ryding, James 9 Saiko, George 96, 97 Salomon, Richard 17, 27 Salvemini, Gaetano 98 Sanossian, Roxanne 66 Sarn, John 168 Sarto, Andrea del 57, 162, 163 Sauerländer, Willibald 81, 114, 131, 133, 165, 167 Sauerlandt, Max 13, 17, 33, 34 Saxl, Fritz 13, 15, 17, 19, 20, 21, 23, 24, 26, 27, 28, 55, 77, 102, 106, 107, 132, 139, 141, 142, 143, 151, 153, 154, 156, 157, 166, 167, 169 Sayers, Dorothy 66 Schade-Tholen, Sigrid 145, 167 Schapiro, Meyer 64, 80, 163, 166, 168,192, 194 Schaut, Quentin L. 126 Scheffler, Karl 174 Scheffler, Ludwig von 68 Schellenberg, Carl 22 Schiele, Egon 97 Schlaffer, Heinz 90 Schlick, Moritz 96 Schlosser, Julius von 96, 97, 107 Schmalzriedt, Egidius 143 Schmarsow, August 8, 10, 11, 12, 179, 183 Schmidt, Peter 225 Schmitz, Oscar A. H. 175 Schnaase, Carl 8 Schnädelbach, Herbert 224 Schoenebeck, Hans von 142 Schopenhauer, Arthur 89, 214, 218, 219, 221, 223, 224 Schrade, Hubert 1, 2 Schramm, Percy Ernst 104 Schubart, Herta 29 Schütz, Alfred 99 Schumacher, Fritz 38 Schweikhart, Gunter 167 Schwietering, Julius 202, 207 Sears, Elizabeth 25
Sedlmayr, Hans 113,114, 126, 127, 130, 131, 202 Seibt, Gustav 105 Settis, Salvatore 107, 133 Shahn, Ben 102 Shakespeare, William 66, 67, 79,173 Signorelli, Luca 39, 42, 45, 49, 139 Silbermann, Alphons 214 Simmel, Georg 213, 215, 217, 218, 220, 223 Simson, Otto von 114, 115, 116 Smyth, Henry DeWolf 110, 111 Snell, Bruno 20, 38 Solis, Virgil 48 Speer, Andreas 112 Speier, Hans 99 Spengler, Oswald 106 Spickernagel, Ellen 168 Spinoza, Baruch 166 Spitz, René 96 Spitzer, Leo 64, 189 Springer, Anton 7, 8, 12 Stagirius 156 Staiger, Emil 64 Stechow, Wolfgang 167 Steiner, George 91 Stern, William 35, 215, 224 Stettiner, Richard 13, 17, 33, 34 Stevens, Alfred 82 Still, Clifford 80, 197, 199 Strauss, Leo 99 Suckale, Robert 109, 112, 116, 201 Sudeck 25 Suger von Saint-Denis 60, 64, 109-122, 124, 130 Tacitus 143 Tarkington, Booth 65, 66, 111, 113, 120, 121, 122, 163 Taut, Bruno 183 Theophrast 155 Thé voz, Michel 160, 166, 169 Thode, Henry 68 Thomas von Aquin 126, 130 Thorndike, Lynn 133 Thuillier, Jacques 168 Thukydides 143 Tietze, Hans 159 Tizian 71, 101, 102 Tolnai, Karl von (Charles de Tolnay) 13, 17, 25, 27, 37, 45, 73, 92, 99 Tura, Cosimo 22 Turner, Victor 94 Uccello, Paolo 57 Untermeyer, Jean Starr Urban VIII. 75
100
Personenregister Vasari, Giorgio 147 Vergil 82 Vermeer, Jan 130 Verspohl, Franz-Joachim 168 Vigenère, Blaise de 79 Viollet-le-Duc, Eugène Emanuel 53 Vischer, Friedrich Theodor 7 Vöge, Wilhelm 13, 32, 53, 60, 63, 67, 68, 123 Vogt, Adolf Max 10, 173 Voll, Karl 129 Vollhardt, Friedrich 90 Volpato, Giovanni 11 Waagen, Gustav Friedrich 7, 127 Waitz, Georg 6 Warburg, Aby 11, 12, 13, 14, 15, 17, 21, 23, 24, 26, 32, 33, 54, 55, 88, 89, 91, 95, 97, 106, 107, 117, 128, 132, 144, 145, 146, 147, 150, 151, 156, 165, 167,168, 170, 197 Warnke, Martin 4, 33, 64, 85, 106, 157,165 Watteau, Antoine 73, 74, 77 Weber, Max 215, 219, 220, 222, 226 Wechsler, Judith 167 Weimar, Klaus 4 Weisbach, Werner 76, 77 Weixlgärtner, Arpad 63, 69 Wendland, Ulrike 3 Weygandt, W. 35
235
Weyl, Hermann 99 Wiegand, Wilfried 60 Wildenstein, Georges 110 Wilhelm-Kästner, Kurt 2, 3 Wind, Edgar 17, 27, 31, 84, 85, 87, 140, 178 Winterstein, Alfred 146, 155, 162 Witte, Karsten 173 Wölfflin, Heinrich 12, 18, 33, 36, 37, 39, 40, 41, 44, 45, 55, 56, 60, 62, 65, 158, 159, 160, 202 Wolff, Kurt 100 Woltmann, Alfred 7 Worringer, Wilhelm 146, 148, 186, 195 Wright, Frank Lloyd 117 Wiirttenberger, Franzsepp 20, 24, 25 Wuttke, Dieter 202, 225 Wyss, Beat 64, 80, 134, 173, 175, 190 Young-Bruehl, Elisabeth
90
Zahlten, Johannes 8 Zeitler, Rudolf 67 Zimmermann, Jörg 150 Zinn Jr., Grover A. 115, 117 Zucchi, Jacopo 139 Zuckerkandl, Bertha 96 Ziihlsdorff, Volkmar von 98 Zweite, Armin 169
A B Y WARBURG Akten des internationalen Symposions Hamburg 1990 Herausgegeben von
H . BREDEKAMP, M . DIERS
und
C H . SCHOELL-GLASS
(Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, Band 1) (Acta humaniora) 1991. XII, 344 Seiten - 108 Abb. - 170 mm χ 240 mm Hardcover DM 8 8 - / öS 686- / sFr 8 2 ISBN 3-527-17761-2 Die Publikation beinhaltet die Vorträge des ersten internationalen Warburg-Symposions (Hamburg 1990) sowie Beiträge namhafter Kunsthistoriker zu Warburgs Leben, Werk und Wirkung. Einer der Schwerpunkte ist auf die Beziehungen Warburgs zu bedeutenden Zeitgenossen gelegt: Heinrich Wölfflin, Marc Bloch, Ludwig Binswangen Das bisher in den Kunstwissenschaften vorliegende Bild der kulturwissenschaftlichen Forschung Warburgs und seiner „Schule" wird durch diese Tagungsakten wesentlich ergänzt. Zahlreiche Materialien aus dem Warburg-Nachlaß und anderen Archiven werden zum ersten Mal präsentiert. Aus dem Inhalt: Anmerkungen zur Aktualität Aby Warburgs I. Wissenschaftsgeschichte A. Zu Aby Warburg B. Zum Kreis um Warburg C. Zur Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg II. Warburg neu gelesen III. Fortführung und Revision IV. Projekte Mit Beiträgen von: H. Bredekamp, K.W. Forster, P. Burke, M. Diers, U. Raulff, F. Zöllner, M. Warnke, M. Brodersen, J. Grolle, S. Settis, H. Dilly, D. Wuttke, Ch. Schoell-Glass, K. Lippincott, M. R. Deppner, K. Hoffmann, A. Beyer, M. Iversen, K. Michels, B. Götz, U. Fleckner
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MICHAEL DIERS
Warburg aus Briefen Kommentare zu den Kopierbüchern der Jahre 1905 bis 1918 (Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, Band 2) (Acta humaniora) 1991. VIII, 251 Seiten - 70 Abb. - 170 mm χ 240 mm Hardcover DM 84,- / öS 655,- / sFr 8 0 ISBN 3-527-17762-0 Das Buch von Michael Diers stellt erstmals den Briefautor Warburg vor. Grundlage ist die vollständige Transkription der Briefe der,Kopierbücher' Warburgs der Jahre 1905 bis 1918, die sämtlich unveröffentlicht sind. Die zirka sechzig ausgewählten Briefe werden unter biographischen und werkgeschichtlichen Gesichtspunkten vorgestellt. Darüber hinaus gibt das Buch eine Übersicht über den Verlauf der Rezeptionsgeschichte, soweit sie sich aus der Geschichte der Publikation von Warburgs Schriften ablesen läßt. Schließlich übernimmt es der Autor, einen zentralen Aufsatz Warburgs aus dem Jahr 1907 mit Hilfe der Briefe der Kopierbücher neu zu lesen und in seinen vielfältigen Facetten zu entfalten. Aus dem Inhalt: 1. Vom Warburg-Bild in der Literatur - zu Rezeption und Wirkung 2. Vom Alltag des Privatgelehrten - zum Briefcorpus der Kopierbücher 3. Vom Handwerk des Kunsthistorikers - zu Warburgs Studie „Arbeitende Bauern auf burgundischen Teppichen" Statt eines Nachworts Anhang A. Zur Kopiertechnik B. Zur Transkription C. Aby Warburg „Arbeitende Bauern auf burgundischen Teppichen" (1907)
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