Augustus: Sein Leben als Kaiser 3805346778, 9783805346771

Augustus ist einer der bedeutendsten Herrscher der Weltgeschichte - und einer der faszinierendsten zugleich! Er setzte d

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German Pages 224 [225] Year 2013

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
1 Vom Kleinstädter zum Erben Caesars
2 Machtkämpfe und Bürgerkrieg
3 Politisches Experiment: das Prinzipat
4 Die Herausforderungen der pax Augusta
5 Augustus’ Freunde und Familie
6 Lebendige Kultur
7 Das Reich unter Augustus: Einheit und Vielfalt
8 Die letzten Tage und eine Bewertung
Stammbaum
Chronologie
Hinweis zu wichtigen antiken Quellen
Literaturverzeichnis
Personen- und Sachregister
Register der Textstellen und Inschriften
Bildnachweis
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Augustus: Sein Leben als Kaiser
 3805346778, 9783805346771

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filiis meis

Karl Galinsky

Augustus Sein Leben als Kaiser Aus dem Englischen von Cornelius Hartz

Originalausgabe: Augustus. Introduction of the life of an emperor, First Edition was originally published in English in 2012. Copyright © Cambridge University Press 2012

Deutsche Ausgabe © 2013 Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz ISBN: 978-3-8053-4677-1 Gestaltung: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Umschlagabbildung: Büste des Augustus, um 40/50 n. Chr., Marmor, 43 cm; © akg-images Druck: betz-druck GmbH, Darmstadt Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany on fade resistant and archival quality paper (PH 7 neutral) · tcf Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie unter: www.zabern.de

Lizenzausgabe für die WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt ISBN: 978-3-534-26202-1 Umschlagmotiv: Augustus von Primaporta/Kopf, Profil Bild: © akg-images Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim www.wbg-wissenverbindet.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-4725-9 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-8053-4726-6 (Buchhandel) eBook (PDF): 978-3-534-73809-0 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-73810-6 (für Mitglieder der WBG)

Inhalt Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1 Vom Kleinstädter zum Erben Caesars . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2 Machtkämpfe und Bürgerkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3 Politisches Experiment: das Prinzipat . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4 Die Herausforderungen der pax Augusta . . . . . . . . . . . . . . 96 5 Augustus’ Freunde und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6 Lebendige Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7 Das Reich unter Augustus: Einheit und Vielfalt . . . . . . . . 173 8 Die letzten Tage und eine Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Stammbaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Hinweis zu wichtigen antiken Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Register der Textstellen und Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Das Römische Reich im Jahr 14 n. Chr. Klientelstaaten Karte 1. Das Reich unter Augustus und seine Provinzen.

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Karte 2. Rom 14 n. Chr.

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Vorwort Augustus’ Lebensgeschichte ist genauso erstaunlich wie seine Leistungen. Als schwächlicher Jüngling von gerade einmal 18 Jahren betrat er die Bühne der Geschichte, als Caesar (an den Iden des März 44 v. Chr. ermordet) ihn, seinen Großneffen, der damals noch Octavius hieß, sozusagen posthum als seinen Erben einsetzte und ihn adoptierte. Hätte der junge Mann auf seine Mutter und seinen Stiefvater gehört und das Erbe ausgeschlagen – die Geschichte hätte einen anderen Verlauf genommen, und dieses Buch (und viele andere) wäre niemals geschrieben worden. Er hatte zu dieser Zeit in seinem Leben noch nichts geleistet, aber gerade einmal 13 Jahre später besiegte er Antonius und Kleopatra und hatte, in seinen eigenen Worten, „Macht über alle Dinge“. Er war der alleinige Herrscher des Römischen Reichs, das sich rund ums Mittelmeer erstreckte, und er gab dem Reich und seiner Kultur eine völlig neue Form. Im Laufe dieses Prozesses erfand er sich selbst immer wieder neu und wurde vom mörderischen Kriegsherrn, der keine Gefangenen machte, zum vorbildlichen, effektiven Führer, der Rom fast zwei Jahrhunderte politischer Stabilität bescherte. Keine Frage: Er war nicht nur eine Schlüsselfigur der klassischen Antike, sondern ist eine der wichtigsten Gestalten der Weltgeschichte überhaupt. Angesichts seines tumultartigen Aufstiegs zur Macht, der Bandbreite seiner Maßnahmen und politischen Entscheidungen, seines immensen Einflusses und der vielen verschiedenen Seiten seiner Persönlichkeit kann man kaum erwarten (oder sich auch nur wünschen), dass Biographen und Historiker einer Meinung sind, sei es hinsichtlich der Vielzahl von Einzelfragen, die sich auftun, oder in Hinblick auf Augustus’ Leistungen insgesamt. Indes wollte er nicht anderen überlassen, darzustellen, was die Nachwelt von diesen Leistungen zu halten hätte, und so ließ er zu diesem Zweck die größte Monumentalinschrift der Römerzeit anfertigen, die Res Gestae. Diese Inschrift ist jedoch keine Autobiographie (eine solche schrieb er auch, sie ist leider verloren), und der Fokus liegt auch nicht auf persönlichen Details; seine Frau Livia zum Beispiel wird gar nicht erwähnt, obwohl sie einen außerordentlich großen Einfluss auf sein Leben besaß. Das bringt mich zu der Entstehung dieses Buchs. Im Laufe der Jahre hatte ich mich mit vielen Aspekten der augusteischen Epoche beschäftigt. Für die Forschung ist dies eine äußerst faszinierende Zeit, wegen ihrer großen Kreativität, Dynamik und den vielen Dimensionen in allen Bereichen kulturellen, politischen und ­gesellschaftlichen Lebens. Als meine Freundin Beatrice Rehl von der Cambridge University Press an mich herantrat und mir von ihrer neuen Buchreihe über 9

Schlüsselfiguren der Antike erzählte, erhielt ich die Möglichkeit, mich auf Augustus’ Leben und Wirken zu konzentrieren. Davon handelt dieses Buch also größtenteils. Wie immer gab es aber auch eine besondere Herausforderung: Wie jeder Gelehrte weiß, ist es oft einfacher, längere Bücher als kürzere zu schreiben. Zu beinahe jedem Punkt in diesem Buch gibt es umfangreiche wissenschaftliche Debatten und Diskussion, angefangen mit der Herkunft und Zuverlässigkeit unserer Quellen. Jedem Satz, den ich schrieb, hätte ich drei oder vier weitere hinzufügen können, von wissenschaftlichen Fußnoten ganz zu schweigen. Die Reihe schrieb jedoch ein anderes Format vor, und so versuchte ich dem Rat zu folgen, den mir vor Jahren meine äußerst produktive Kollegin Erika Simon, die ich schon immer bewundert habe, gab: „souverän auswählen“ (und nicht zurückschauen). Das Buch hat das Ziel, eine prägnante und informative Einführung zu bieten, ein paar Akzente zu setzen und den Leser anzuregen, einzelne Themen weiter zu erforschen. Ein weiterer erfreulicher Schwerpunkt dieser Reihe ist aufzuzeigen, woher wir wissen, was wir wissen, daher die relativ große Anzahl an „Kästen“. Ein paar Monate nachdem ich den Verlagsvertrag unterschrieben hatte, erhielt ich eine gut dotierte Auszeichnung von der Max-Planck-Gesellschaft für ein multidisziplinäres Forschungsprojekt über die Rolle der Erinnerung im antiken Rom. Die Konzeption und Durchführung des Projekts, an dem inzwischen etwa 30 Stipendiaten mitarbeiten, mit den Apparaten zweier staatlicher Universitäten in verschiedenen Ländern im Hintergrund, war eine weitere Herausforderung für mich. Ich bin diesem Sponsor jedoch überaus dankbar, dass er mich eine Zeitlang mit Bezahlung freigestellt hat, wovon dieses Buches eindeutig profitiert hat. Ich möchte zudem mehreren Personen für ihre mannigfaltige Unterstützung danken: Beatrice Rehl und Amanda Smith für ihre Beratung, dem/der Gutachter/-in des Verlags für seine/ihre konstruktiven Vorschläge, Peter Wiseman für seinen Rat bei einigen der kontroverseren Punkte sowie Darius Arya, Robert Daniel, Erica Firpo, Andrea Morgan, Stefan von der Lahr und Henner van Hesberg für ihre Hilfe bei einigen der enthaltenen Abbildungen. Mein größter Dank indes geht an Dr. Douglas Boin, dessen scharfes Auge das Manuskript in vielerlei Hinsicht verbesserte und dessen effiziente Hilfe bei einigen Forschungsproblemen und bei der Koordination der Genehmigungen für die Abbildungen unbezahlbar war. Sis felicior Augusto, melior Traiano („Habe [noch] mehr Glück als Augustus und sei besser als Trajan“) – das war die Formel, mit der der Senat jeden neuen Kaiser nach Trajan bei Amtseinführung begrüßte. Ein Bereich, in dem Augustus sich nicht zu den Glücklichen zählte, waren seine Kinder. Er hatte keine Söhne und nur eine Tochter, und die bereitete ihm ebenso viele Probleme wie er ihr; umso vernarrter war er in seine Enkel, die aber beide früh starben. So bin ich ­felicior Augusto und als solchermaßen glücklicher Mensch widme dieses Buch meinen zwei wunderbaren Söhne und Freunden, Robert und John. Karl Galinsky 10

1 Vom Kleinstädter zum Erben Caesars Die Kindheit und Jugend einer Person, die man in unserer Zeit als die „prägenden Jahre“ ansieht, interessierten römische Biographen nicht annähernd so sehr wie ihre modernen Kollegen. Die Beschäftigung mit der Entwicklungspsychologie war bestenfalls gering; genau wie die meisten Figuren der antiken Literatur als voll ausgebildete Charaktere dargestellt werden, bei denen lediglich die verschiedenen Facetten ihres Charakters beleuchtet werden, so stellt auch die römische Kunst Kinder im Allgemeinen als kleine Erwachsene dar. Zuverlässige Informationen über die frühen Jahre im Leben des Augustus sind daher spärlich und konzentrieren sich auf einige grundlegende Daten, wie etwa seine Geburt, und auf bemerkenswerte Ereignisse wie die Grabrede, die er in jungen Jahren in Rom zu Ehren seiner Großmutter Julia hielt. Darüber hinaus gibt es (wie man es angesichts seiner späteren Prominenz auch erwarten darf) eine stattliche Anzahl von offenbar viel später erfundenen Ereignissen, die ihm zugeschrieben werden und von denen die meisten etwas mit Zeichen und Wundern zu tun haben – denn für solche gab es immer ein Publikum.

Augustus „erwacht zum Leben“ Doch wie immer gibt es auch hier die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel. In diesem Fall ist es die etwa um 20 v. Chr. verfasste Biographie eines Zeitgenossen des Augustus, Nikolaos von Damaskus. Nikolaos, ein äußerst gebildeter Grieche, war nicht nur ein sehr vielseitiger Autor, sondern auch ein enger Berater Herodes’ des Großen und Teilnehmer diverser diplomatischer Missionen, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass er auf einer dieser Reisen Augustus kennenlernte. Der vollständige Titel seines Werkes ist bezeichnend: Vom Leben des Caesar Augustus und seiner ago-ge-; das griechische Wort ago-ge- bedeutet „Erziehung“, „Bildung“, „Anleitung“. Angesichts der Bedeutung und des Einflusses von Augustus könnte man erwarten, dass ein solches Werk ein Bestseller geworden wäre, aber das war nicht der Fall. Tatsächlich wird es von keinem antiken Autor zitiert und verdankt 11

sein (partielles) Überleben nur einem byzantinischen Herrscher des 10. Jahrhunderts n. Chr. Er ließ es exzerpieren und dieses Exzerpt dann noch einmal exzer­ pieren – die verschiedenen (mitunter stark verkürzten) Passagen wurden 53 Themenkategorien zugeordnet, wie „Tugend und Laster“ und „Verschwörungen gegen Könige“. Das Leben des Caesar Augustus, wie wir es heute daraus rekonstruieren können, bricht mitten in den Ereignissen ein paar Monate nach Julius Caesars Tod ab. Trotzdem muss man Nikolaos’ Werk eine große Bedeutung beimessen, denn es beruhte zu einem großen Teil auf der Autobiographie, die Augustus, der ewige Innovator, nicht etwa im Greisenalter verfasste, sondern mit Mitte dreißig. Unter dem Titel De vita sua ist diese Schrift ein weiteres Werk aus der Antike, das nicht erhalten geblieben ist. Sueton benutzte es noch, hat aber in seinem Leben des Augustus nirgends direkt daraus zitiert. Nikolaos’ Leben des Caesar Augustus ist also die bei Weitem vollständigste Darstellung der frühen Jahre des Augustus, aber wie vertrauenswürdig ist es? „Bloß keinen Superlativ auslassen!“, scheint eine von Nikolaos’ Maximen gewesen zu sein, ist seine Behandlung des jungen Augustus doch geradezu hymnisch. Man erkennt darin den Tenor von Augustus’ eigener Vita: Immer wieder wird die Gerechtigkeit seiner Handlungen betont, was wohl nach 13 Jahren Bürgerkrieg auch nötig war, und sei es nur, um der Öffentlichkeit ein gewisses Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zu vermitteln, jetzt, wo er Alleinherrscher war. Aber gerade bei Augustus als Kind und Heranwachsendem ist es unmöglich zu sagen, wo Augustus’ Vita aufhört und Nikolaos’ Phantasie beginnt. Mag sein, dass Nikolaos beschloss, noch dicker aufzutragen. Das Ergebnis ist ein Junge, der so vorbildlich erscheint, dass seine Redlichkeit in keinem Moment angezweifelt werden kann. Dennoch können wir Nikolaos’ Werk verwenden, denn einige Themen, wie der Einfluss von Augustus’ Mutter, der Respekt des jungen Mannes gegenüber seinen Lehrern und seine kränkliche Verfassung – all das klingt durchaus authentisch. Es gibt genügend Material für einen Mittelweg zwischen einer nichtssagenden Zusammenfassung der feststehenden Daten und einer übertriebenen Nacherzählung von Nikolaos bzw. Augustus. Ein historisch akkurates Psychogramm wird sich daraus nicht ergeben, aber das ist nicht unbedingt ein Nachteil; der Hintergrund des späteren Kaisers wird mit Sicherheit einen Teil zu dessen Mentalität und dadurch zu bestimmten Haltungen und Handlungen beigetragen haben. Augustus kam am 23. September zur Welt – einige Wissenschaftler sind seit Kurzem der Meinung, es sei der 22. September gewesen (siehe Kasten 1.1 mit Abb. 1.) –, und zwar nicht als Augustus, diesen Namen verlieh ihm der Senat erst im Jahre 27 v. Chr., sondern als Octavius. Dies folgte römischem Brauch: Die ­Familie, in die er hineingeboren wurde, waren die Octavii, und wie es oft der Fall war, gab man dem erstgeborenen (und wie sich in diesem Fall herausstellte, einzigen) Sohn den Vornamen des Vaters, Gaius (abgekürzt C). Die Familie stammte nicht aus Rom, sondern aus Velitrae (heute: Velletri), einer kleinen Stadt in 12

­ atium, etwa 25 Meilen südöstlich der Hauptstadt. Es kann gut sein, dass OctaviL us tatsächlich dort geboren wurde, auch wenn andere Quellen seine Geburt nach Rom verlegen, unweit vom Palatin, wo er später als Kaiser leben sollte; dies mag vom Versuch zeugen, ihn von der Wiege an mit Rom in Verbindung zu bringen. Wie dem auch sei, Rom gewann diesen „Kampf“ um den Geburtsort: In der Hauptstadt zeigte man Besuchern sein Geburtshaus, und man machte eine Art Heiligtum daraus, während alles, was die Touristen in Velitrae zu sehen bekamen, ein winziger Raum in der Familienvilla war. Dennoch kann kaum ein Zweifel ­daran bestehen, dass sich zumindest ein Teil der Jugendzeit des Octavius hier, in der Kleinstadt Velitrae, abspielte.

1.1. Augustus’ Sternzeichen: Warum Steinbock?

Abbildung 1. Denarius, geprägt in Spanien ca. 17–15 v. Chr., Münzkabinett Berlin.

Augustus wurde am 22. oder 23. September geboren. Sein Sternzeichen war also die Waage. Warum aber erscheint dann auf Münzen, Gemmen (wie der Gemma Augustea, vgl. Kasten 5.8), Schmuckstücken aus Glaspaste und architektonischen Verzierungen ausgerechnet der Steinbock als das Sternzeichen seiner Geburt? Der Steinbock war sein Mondzeichen, aber es gibt kaum Belege dafür, dass die Menschen in der Antike, geschweige denn die Herrscher, 13

dem Mondzeichen Bedeutung beimaßen. Und doch bestätigen alle antiken Quellen, auch Augustus selbst, das Geburtsdatum im September – selbst Sueton (Augustus 94.12), der angibt, der Steinbock sei Augustus’ Geburtszeichen gewesen. Eine Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch ist, dass nach der durch Julius Caesar durchgeführten Kalender­reform Augustus’ Geburt rückwirkend auf die Zeit um die Wintersonnenwende gefallen wäre und somit der Steinbock sein Sternzeichen gewesen wäre. Eine andere Lösung ist, dass der Steinbock die Zeit der Empfängnis des Augustus bezeichnet, die gemäß einem antiken Arzt stets 273 Tage vor dem Geburtsdatum lag. Das könnte passen, selbst wenn wir die Tatsache berücksichtigen, die alle Eltern kennen, dass kaum ein Kind am zuvor berechneten Tag zur Welt kommt; diese Art zu rechnen war dennoch sehr selten, auch wenn sie im Zusammenhang mit Romulus’ Geburt begegnet und mit der Verbindung, die man zwischen dem Gründer Roms und Augustus herstellte. Des Rätsels Lösung mag aber auch eine ganz andere sein: Tamsyn Barton (1995, S. 44) schreibt, dass das genaue Geburtsdatum den antiken Astrologen gar nicht so wichtig gewesen sei; sie waren durchaus bereit, das Horoskop den Umständen des Kunden anzupassen. Dass das Tierkreiszeichen Steinbock so beliebt war, ist bezeichnend für die augusteische Zeit; es war polyvalent und konnte ganz verschiedene Bedeutungen haben, je nachdem, wen man fragte – so wie der Begriff der „Freiheit“ in der Politik, der in Vergils Dichtung und am Altar des augusteischen Friedens (Ara Pacis) jeweils etwas anderes bedeutete. Außerdem verhieß der Steinbock Glück; tatsächlich ist der Steinbock im Horoskop für den 22. September zwar nicht das maßgebende Sternzeichen, aber er beeinflusst die glückverheißenden Aspekte. Weitere Konnotationen sind die Herrschaft über den Westen und sogar die Rache an den Mördern Julius Caesars (über die Assoziation mit der Ermordung des Osiris, die von Horus gerächt wurde). Letzten Endes gleicht der augusteische Steinbock dem Logo in einer modernen Werbekampagne. Typisch ist auch, dass seine Darstellungen eher verspielt und nicht allzu ernst daherkommen (wie z. B. auch der pummelige Amor und die gequetschte Schnauze des Delfins zu Füßen der berühmten Augustus-Statue von Primaporta, siehe Kasten 3.4). Die oben dargestellte Münze, geprägt in Spanien zwischen 17 und 15 v. Chr., illustriert dies sehr schön: Der Steinbock hält einen Globus zwischen den dürren Vorderbeinen, und über seinem Rücken schwebt ein Füllhorn. Hauptquellen T. Barton, „Augustus and Capricorn: Astrological Polyvalency and Imperial Rhetoric“, Journal of Roman Studies 85 (1995), S. 33–51. A. Schmid, Augustus und die Macht der Sterne (Köln 2005). 14

Das war eine Erfahrung, die er mit den meisten Einwohnern Italiens teilte; wie sich herausstellte, begriff er ihre Gefühle viel besser als die meisten Politiker aus der Stadt, und sein Sieg, wie Ronald Syme mit Recht betont, war ein Sieg der unpolitischen Klassen Italiens – wenigstens zum größten Teil. Natürlich gibt es keine „typisch“ italische Stadt – man neigt vielfach dazu, Pompeji in dieser Hinsicht zu überschätzen –, und die Geschichte von Velitrae verlief nicht isoliert, sondern stand unter dem Einfluss der verschiedenen Wechselfälle, Strömungen und Völker, die das Schicksal der italischen Halbinsel bestimmten. Zuerst einmal bestand Italien nicht aus „Italienern“ bzw. Italikern, geschweige denn aus Römern. Stattdessen lebte dort eine ganze Reihe von Völkern, Stämmen und Ethnien, die alle ihre eigene Kultur und Sprache hatten. Ein solcher Volksstamm waren die Volsker. Sie gründeten Velitrae, auch wenn die Latiner später behaupteten, sie seien die Stadtgründer gewesen. Wie dem auch sei, kurze Zeit nach 500 v. Chr. trat Velitrae dem Latinischen Bund bei, zu dem etwa 30 Städte gehörten, unter anderem Rom; bereits wenige Jahre später eroberte Rom Velitrae. Es gab jedoch immer wieder Unruhen, bis die Römer im Jahr 338 v. Chr. durchgriffen, die Befestigungen von Velitrae niederrissen und die Stadtväter mit ihren Familien zwangsumsiedelten, „auf die andere Seite des Tiber“ – und das war in jenen Tagen mit Sicherheit ziemlich weit. Wie viele andere Orte wurde aus der Stadt ein municipium unter römischer Kontrolle, und die dort lebenden Männer besaßen kein Wahlrecht. Das änderte sich nach dem Bundesgenossenkrieg (90–88 v. Chr.), als sich ganz Italien aufgrund eben dieses Problems von Rom lossagte. Erst ab da wurde Italien wirklich römisch. Man darf annehmen, dass all dies – das Leben in einer Kleinstadt mit vielfältiger kultureller und politischer Geschichte, von der dort herrschenden Frömmigkeit ganz zu schweigen – die Ansichten des Octavius prägte. Das gilt auch für seine Familie, die nicht der römischen Aristokratie angehörte, weder durch Abstammung noch durch Vermögen. Es gab Mitglieder der Familie der Octavii in Rom, aber in welcher Beziehung sie zu den Octavii von Velitrae standen, wissen wir nicht. Allerdings waren Status und Snobismus keine unumgänglichen Voraussetzungen für ein bequemes Leben, und in ein solches wurde Octavius hineingeboren. Sein Großvater war „Bankier“ und Mitglied der städtischen Aristokratie von Velitrae; er hatte keine weiter gehenden Ambitionen und erreichte ein hohes, glückliches Alter. Sein Sohn, Octavius’ Vater, wollte höher hinaus. Der Reichtum der Familie qualifizierte ihn für den Senatorenstand in Rom. Der Vater begab sich auf den ehrenwerten cursus honorum (Ämterlaufbahn) und erreichte 61 v. Chr. den Rang des Prätors, das Amt direkt unterhalb der zwei höchsten römischen Beamten, der Konsuln. Er hatte den Posten für die traditionelle Frist von einem Jahr inne, dann verlieh man ihm die Würde des Statthalters von Makedonien. Auf dem Weg dorthin schlug er einen Sklavenaufstand in Süditalien nieder; noch ­größere militärische Erfolge feierte er in seiner Provinz, und sie qualifizierten ihn 15

für einen späteren Triumph in Rom. Auch seine Zivilverwaltung war muster­ gültig; Cicero betrachtete ihn in dieser Hinsicht als Vorbild, im Gegensatz zu ­seinem etwas weniger vorbildlichen Bruder Quintus, der zu jener Zeit Statthalter der benachbarten Provinz Asien (in der heutigen Türkei) war. Vater Octavius war jedoch nicht mehr in der Lage, seinen Triumph zu feiern – er starb ganz plötzlich, nach seiner Rückkehr nach Nola bei Neapel im Jahr 59 v. Chr. Er wurde etwa 42 Jahre alt. Bedenkt man die vorherrschenden Bedingungen hinsichtlich Gesundheit, Hygiene und des medizinischen Wissens – und das ist einer der wichtigsten Unterschiede zwischen der römischen Welt und der unseren –, war die Todesursache wahrscheinlich etwas ganz Banales wie eine Infektion. Im Allgemeinen nimmt man an, dass die durchschnittliche Lebenserwartung im Römischen Reich etwa 35 Jahre betrug; dass Väter und Mütter starben, als ihre Kinder noch im Säuglingsalter waren, war alles andere als ungewöhnlich (siehe Kasten 1.2). Ebenso üblich war, dass verwitwete Mütter schnell wieder heirateten. Octa­ vius hatte nach dem Tod seiner ersten Frau Ancharia, mit der er eine Tochter, ­Octavia die Ältere, hatte, wieder geheiratet. Dann hatte er Atia geehelicht und zwei Kinder mit ihr gezeugt, Octavia die Jüngere, 69 v. Chr. geboren, und Octavius; Letzterer hatte also zwei ältere Schwestern. Atia heiratete im Jahr 58 v. Chr. Lucius Marcius Philippus, ein Mitglied des römischen Adels, der 56 v. Chr. Konsul wurde.

1.2. Die Lebenserwartung im alten Rom Einer der Aspekte, in denen sich unsere Welt fundamental von der des alten Rom unterscheidet, ist die viel höhere Lebenserwartung, die wir heute in den entwickelten Ländern haben. In der Weltgeschichte ist dieser demografische Wandel eine relativ neue Entwicklung, die erst mit dem Durchbruch zum Tragen kam, den die wissenschaftlichen Entdeckungen von Forschern wie Louis Pasteur und Alexander Fleming mit sich brachten. Gerade in der letzten Zeit hat man viel zur Lebenserwartung und Sterblichkeit im Römischen Reich geforscht; aufgrund der geringen Zahl an Belegen lassen sich angesichts einer so vielfältigen Bevölkerung, die in die Millionen ging, hierzu natürlich keine genauen Angaben machen. Grabinschriften und auch Skelettanalysen sind nicht der Weisheit letzter Schluss. In Analogie zu anderen vormodernen Bevölkerungen wird die Lebenserwartung bei der Geburt wahrscheinlich zwischen 20 und 40 Jahren gelegen haben, wobei die Mehrheit wohl am unteren Ende der Skala angesiedelt war. Verantwortlich dafür ist vor allem die hohe Kindersterblichkeit in Rom; man hat errechnet, dass von 100 Neugeborenen 30 starben. Weitere Hinweise bietet uns ein Verzeichnis des römischen Juristen Ulpian (verfasst im frühen 3. Jahrhundert n. Chr.), das man als eine Art „Lebenstafel“ 16

verwenden kann. Es geht aus von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von etwa 21 Jahren ab Geburt; hatte man jedoch erst einmal das zehnte Lebensjahr erreicht, standen die Chancen gut, dass man noch etwa 35 Jahre weiterlebte. Doch galt das sicher nicht für alle Bewohner des Reichs, und es gab andererseits auch viele Menschen, die erheblich länger lebten – wie z. B. Augustus und sein Großvater. Man muss sich klarmachen – und auch dies ist nur eine ganz grobe Schätzung –, dass im Alter von 20 Jahren nur ein Fünftel der römischen Frauen noch einen Vater hatte. Die durchschnittliche Lebenserwartung wird heute meist als grundlegender Maßstab für Lebensqualität angesehen (vgl. Frier 1999, S. 89), und wenn wir vom „Goldenen Zeitalter“ des Augustus reden, sollten wir diesen Aspekt der Lebensbedingungen der Menschen nicht aus den Augen verlieren. Umso besser kann man allerdings auch verstehen, wie froh und erleichtert die Bevölkerung des Imperiums gewesen sein muss, als der jahrzehntelange verheerende Bürgerkrieg endlich beendet war. Hauptquellen B. Frier, „Roman Demography“, in: D. Potter (Hrsg.), Life, Death and Entertainment in the Roman Empire (Ann Arbor 1999), S. 85–109. T. G. Parkin, Demography and Roman Society (Baltimore 1992).

Familienbande An dieser Stelle sollten wir kurz innehalten und uns das Netzwerk ansehen, in das der junge Octavius eingebunden war. Zwar war er ignobilis loco („nichtadlig per Herkunft“), wie sein späterer Rivale Marcus Antonius spöttisch anmerkte, aber das bedeutete nicht, dass er keine Verbindungen besaß. Octavius’ Ehe mit Atia verband nicht nur die beiden führenden Familien von Velitrae und der Nachbarstadt Aricia, sondern etablierte eine Verbindung mit zwei der mächtigsten Persönlichkeiten Roms: Atias Mutter Julia war eine Schwester Julius Caesars, und die Mutter ihres Mannes Atius war die Tante von Pompeius Magnus. Der Clan der Julier hatte in Rom schon lange großen Einfluss; er führte seinen Stammbaum bis auf Julus zurück, dem Sohn von Aeneas, dem mythischen Stammvater Roms aus Troja, dessen Mutter die Göttin Venus war. Wie andere römische gentes (Familien) hatten auch die Julier ihre Höhen und Tiefen durchlebt, und gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. waren sie ein wenig in den Hintergrund getreten. Schon bald gewannen sie wieder an Profil, jedoch nur, um in den Bürgerkriegen zwischen Sulla und ihrem Verbündeten Marius einige wichtige Mitglieder der Familie zu verlieren. Ihr prominentester überlebender Spross, Julius Caesar (geb. 100 v. Chr.), ging während Sullas Proskriptionen in den Untergrund; im selben Jahr, 17

in dem der kleine Octavius zur Welt kam, 63 v. Chr., kehrte Caesar unangefochten auf die politische Bühne zurück: Er wurde zum pontifex maximus gewählt und war damit verantwortlich für den weitreichenden Apparat der römischen Religion, die ein integraler Bestandteil des römischen Staats und seiner Politik war. Zur gleichen Zeit war Pompeius nach einer Reihe atemberaubender militärischer Siege praktisch so etwas wie Roms Statthalter im östlichen Mittelmeer und im Nahen Osten geworden. Er und Caesar taten sich vier Jahre später zusammen, um mit Crassus, Roms größtem Finanzier, das sogenannte erste Triumvirat zu bilden. Das Triumvirat sollte nicht Roms Verfassung außer Kraft setzen, vielmehr war es eine Art Junta, die die Staatsgeschäfte abwickelte. Das Bündnis zerbrach im Jahrzehnt darauf, während Rom und Italien in einer Menge Schwierigkeiten steckten. Bei seiner Rückkehr aus Gallien überquerte Caesar Anfang 49 v. Chr. den Rubikon, marschierte auf Rom und besiegte Pompeius im August 48 v. Chr. bei Pharsalos in Nordgriechenland. Die Vaterfigur für den jungen Octavius, der in dieser turbulenten Zeit aufwuchs, war sein Stiefvater Lucius Marcius Philippus – auch er war alles andere als ignobilis. Die gens Marcia war eine der berühmtesten und am besten vernetzten Familien Roms. Im 3. Jahrhundert v. Chr. hatte sich eines ihrer männlichen Mitglieder anstelle des bis dahin üblichen Beinamens (cognomen) „Tremulus“ für „Philippus“ entschieden, wahrscheinlich als Hommage an Alexander den Großen, den Sohn Philipps II. Lucius Marcius war indes alles andere als ein kühner Feldherr wie Alexander; vielmehr tat er sich, als führendes Mitglied des römischen Senats, während der gefährlichen Partisanenkämpfe dadurch hervor, dass es ihm gelang, durch umsichtiges Manövrieren und sein weitreichendes Netzwerk jedem Ärger aus dem Weg zu gehen. Über Atia war er auch mit Julius Caesar verbunden, zugleich aber Schwiegervater des jüngeren Cato, eines der unerbittlichsten Feinde Caesars. Was eigentlich der Selbsterhaltung diente, sah für andere mitunter aus, als treibe er ein doppeltes Spiel; in der Öffentlichkeit aber galt er als vorsichtiger Mensch, der Fehltritte vermied und sich am Ende stets durchzusetzen vermochte. So erreichte er, dass sein beträchtliches Privatvermögen nicht der Proskription zum Opfer fiel – dem beliebtesten Mittel des politischen Fundraising im Rom der Bürgerkriege (vgl. Shakespeare, Julius Caesar, Akt 4, Szene 1). Wenn wir, ohne diesen Punkt über Gebühr zu strapazieren, beurteilen wollen, wie diese verschiedenen Aspekte den künftigen Kaiser beeinflusst haben, ergibt sich folgendes Bild, das zumindest halbwegs realistisch scheint (auf seine Mutter und seine Lehrer werden wir noch zu sprechen kommen): Er war zwar in einer italischen Kleinstadt zu Hause und kannte die Denkweise der Menschen dort sehr gut, das galt aber auch für Rom, wo er die Vorgänge in der Politik von außen beobachtete und aus erster Hand erfuhr, in welch fragilem Zustand sich die Republik befand. Sein Großvater wird ihn dadurch beeindruckt haben, wie gut er mit großen Summen umgehen konnte, und sein Stiefvater demonstrierte 18

ihm, wie man umsichtig durch politische Minenfelder navigierte und sich nicht allzu großen Gefahren aussetzte. Die Octavii gehörten nicht zum alten Adel, und Octavius’ Vater war, wie Cicero, einer der vielen „neuen Männer“ (novi homines), die aus eigener Kraft ihren Weg in höchste Regierungsposten fanden. Gleichzeitig hatte der junge Octavius über Marcius Philippus aber auch Zugang zum traditionellen Establishment. Dieser so vielfältige Hintergrund und die damit einhergehenden unterschiedlichen Erfahrungen – all das sollte ihm später zugutekommen.

Der Einfluss der Mutter Auch seine Mutter leistete ihm gute Dienste. Während die gesetzlichen Rechte von Frauen im alten Rom nach modernen Standards eher gering waren (immerhin durften sie Testamente aufsetzen, Geschäfte abschließen und Bautätigkeiten in Auftrag geben), lag ihre wirkliche, durchaus beträchtliche Macht in der auctoritas – das bedeutet nicht nur „Autorität“, sondern auch „Durchsetzungsvermögen“ oder „Einfluss“. Im Gegensatz zur potestas, der gesetzlichen Verfügungsmacht, die sie ergänzte, lag ihr kein formales Regelwerk zugrunde; die auctoritas war viel weitreichender und dynamischer, Ausdruck einer materiellen, intellektuellen und moralischen Dimension der Initiative und Überlegenheit. Diese Qualitäten waren die traditionellen Attribute einer römischen mater familias, und da die auctoritas keine rechtliche, sondern eine kulturelle Einrichtung war, musste sie immer wieder neu bekräftigt werden – und wurde so ihrem Namen gerecht, der von auge-re abgeleitet ist, was „vermehren“, „vergrößern“ oder einfach „immer weiter an etwas arbeiten“ bedeutet. Die Unterscheidung zwischen potestas und auctoritas bestand auch im öffentlichen Leben: Der römische Senat zum Beispiel war, im Gegensatz zu seinen modernen Pendants, kein Gremium mit legislativer Kompetenz, sondern übte seinen Willen mittels seiner auctoritas aus – und wie wir sehen werden, sollte die auctoritas auch zu einem entscheidenden Faktor in Augustus’ Herrschaft werden. In diesem Licht betrachtet, kann die häufige Erwähnung seiner Mutter in den Erzählungen über seine Jugend kaum überraschen. Atia war eine Figur mit starker auctoritas. Sie beteiligte sich sehr intensiv an der Ausbildung des jungen Octavius, besprach sich mit seinen Lehrern und trat selbst dann noch als seine Beraterin auf, nachdem er 48 v. Chr. die toga virilis anlegt hatte, was den formalen Beginn des Erwachsenenalters markierte. Als er sich Ende 47 Caesars Feldzug in Afrika anschließen wollte, äußerste Atia große Vorbehalte, und Octavius blieb daheim. Und als er Anfang 45 nach Spanien ging, um Caesar zu treffen, wollte Atia ihn begleiten (wovon er sie schließlich abbringen konnte). Sie war indes nicht einfach eine besitzergreifende Person: Mit der Gesundheit und Konstitution ihres Sohnes 19

stand es nicht zum Besten, und manchmal ignorierte er, wie wir sehen werden, seine Schwäche und brachte sich dadurch in Gefahr. Auch trat Atia sofort nach Caesars Ermordung mit Octavius in Kontakt, als bekannt wurde, dass er Caesars Erbe sei. Sie hatte Sorge, dass man auch ihm nach dem Leben trachtete, und bat ihn, Zuflucht bei ihr und „ihrem ganzen Haus“ zu suchen, was verschiedene Wohnsitze einschließen kann. Ihr Mann Philippus riet Octavius sogar nachdrücklich, Caesars Erbe nicht anzutreten und sich für ein ­ruhiges Leben zu entscheiden. Aber es ist bezeichnend, dass Augustus in diesem Fall der Selbststilisierung, mag sie auch durch Nikolaos’ Biographie gefiltert sein, seiner Mutter einen Ehrenplatz einräumt. Ihre auctoritas setzt sich durch; sie erkennt Octavius’ großes Potenzial, sieht aber auch die großen Risiken und Gefahren, die vor ihm liegen. Daher rät sie ihm weder dazu, das Erbe anzunehmen, noch dazu, es abzulehnen, sondern überlässt die Wahl ganz ihrem Sohn; dennoch ist sie die Erste, die sich dafür ausspricht, dass er auch Caesars Namen annimmt. Sie bleibt die ganze Zeit über präsent, bis zu dem Punkt, an dem Nikolaos’ Bericht abbricht – zuletzt bei Octavius’ Entscheidung, nach Kampanien zu gehen, um aus Caesars Veteranen eine Privatarmee zu rekrutieren. Er will sie in die Entscheidung nicht einbinden, weil er, wie Nikolaos berichtet, der Meinung ist, dass „ihre mütterliche und weibliche Zuneigung ein Hindernis für seine großen Pläne“ wären. Stattdessen tut er ihr gegenüber so, als versuche er lediglich, ein paar Immobilien seines Vaters in der Region zu verkaufen. Doch leider ist er „nicht in der Lage, sie vollständig zu überzeugen“. Bei alledem ist weniger die absolute historische Genauigkeit wichtig, als vielmehr das Bild, das Augustus von seiner Mutter und seiner Beziehung zu ihr zeichnet. Das allein verrät uns bereits einiges über den Einfluss, den sie auf ihn ausübte. Sie hatte einen wichtigen Platz in seinem Leben – selbst Tacitus, der nicht gerade ein begeisterter Anhänger von Augustus war, lobt sie dafür (Dialog über die Redner, 28.6) – und war jemand, dessen Ratschläge er sehr ernst nahm. Das Gleiche sollte in jeder Hinsicht für seine spätere Frau Livia gelten, Roms erste Kaiserin. Es kann daher kaum überraschen, dass Augustus der erste römische Staatsmann war, der Mütter und ihre Kinder auf einem öffentlichen Denkmal darstellen ließ, der Ara Pacis, dem Altar des augusteischen Friedens (vgl. Abb. 20).

Ausbildung Da er in einem aristokratischen Haus aufwuchs, erhielt Octavius selbstverständlich eine erstklassige Ausbildung. Bezüglich seiner Lehrer erfahren wir aber auch von einem eher ungewöhnlichen Detail, das erneut seinen Respekt vor den Personen spiegelt, die an seiner Erziehung beteiligt waren. Den Elementarunterricht besorgte in Philippus’ Haushalt ein griechischer Sklave namens Sphairos, aller20

dings in enger Zusammenarbeit mit den Eltern – ein altbekanntes Erfolgsrezept und alles andere als eine moderne Entdeckung. Der grammaticus Sphairos lehrte den Jungen Lesen, Schreiben und Rechnen – und Griechisch, schließlich waren die römischen Aristokraten kosmopolitisch orientiert, und die griechische Kultur war bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten integraler Bestandteil der römischen, eine Synthese, die in der Dichtung, der bildenden Kunst, der Architektur und Religion der augusteischen Zeit einen neuen Höhepunkt erreichen sollte. Wie andere Adelige auch, konnte Octavius/Augustus nie so fließend Griechisch sprechen wie ein griechischer Redner, baute aber ganz gewohnheitsmäßig immer wieder griechische Phrasen und Wörter in seine lateinische Korrespondenz ein und versuchte sich sogar an Gedichten auf Griechisch. Was Sphairos angeht, so schenkte ihm Octavius später die Freiheit und gewährte ihm im Jahr 40 v. Chr. sogar ein Staatsbegräbnis, obgleich er sich mitten in den Wirren des Bürgerkriegs befand. Als Octavius zum Teenager herangewachsen war, erhielt seine Schulbildung einen deutlichen Schwerpunkt auf griechischer Philosophie und Rhetorik. Auch für diese Zeit kennen wir die Namen seiner Lehrer – Alexander hatte seinen Aristoteles, aber Octavius hatte ein ganzes Team. Seine beiden Philosophielehrer, Areios von Alexandria und Athenodoros von Tarsos (dem Geburtsort des Apostels Paulus) waren prominente Vertreter der führenden philosophischen Schule ihrer Zeit, des Stoizismus. Die Stoa setzte unter anderem auf ethische Verantwortung und betonte die göttliche Ordnung des Universums. Typischerweise waren diese Philosophen nicht weltfremd; Augustus blieb später mit beiden in Verbindung und beauftragte sie mit diplomatischen und administrativen Aufgaben auf Sizilien und im Osten. Ein weiteres Beispiel für diese fortgesetzte Nähe war, dass Athenodoros Octavia der Jüngeren, deren Sohn Marcellus mit gerade einmal 19 Jahren starb, eine seiner Abhandlungen widmete. Eine andere bezeichnende Episode erzählt davon, dass Athenodoros, der aus einem Teil der Welt kam, der von hellenistischen Monarchen regiert worden war, Sorge hatte, dass man sich Augustus allzu leicht nähern konnte. Um die Sicherheitslücken rund um den Kaiser zu verdeutlichen, verkleidete er sich einmal als Frau und wurde in einer überdachten Sänfte in Augustus’ Zimmer gebracht. Er sprang heraus, ein Schwert in der Hand, und schrie den Kaiser an: „Hast du keine Angst, dass jemand auf diese Weise zu dir kommt und dich tötet?“ Augustus reagierte laut Dio (56.43.2) folgendermaßen: „Weit davon entfernt, wütend zu sein, dankte er ihm für die Anregung.“ Das war die übliche Reaktion auf gut gemeinte Ratschläge eines alten Lehrers, und es scheint, als habe er daraufhin keinen Befehl erteilt, den Personenschutz zu verbessern. Später stellte er eine Leibwache ein, die aus mehreren Germanen bestand, doch nach dem Germanenaufstand im Jahr 9 n. Chr. entließ er sie wieder. Eine professionelle Rhetorikausbildung war für jeden Römer, der in der Öffentlichkeit stand und eines der höheren Ämter anstrebte, eine conditio sine qua non. Ein Problem definieren und eine Rede konstruieren zu können, Vertrautheit 21

mit literarischen Tropen und verschiedene Sprechtechniken – all dies waren Bestandteile der Kenntnisse und Fähigkeiten, die ein effektiver Redner systematisch zu meistern hatte. Selbstverständlich gab es dabei miteinander konkurrierende rhetorische Schulen und Praktiken. Zunächst war die Rhetorikausbildung ein Monopol griechischer Lehrer gewesen, doch zu Octavius’ Zeit boten bereits seit mehreren Jahrzehnten lateinische Rhetoriker ihre Dienste an, und er selbst hatte einen lateinischen und einen griechischen Lehrer. Beide waren führend auf ihrem Gebiet: Marcus Epidius, der auch Antonius und vielleicht sogar Vergil unterrichtete, und der noch berühmtere Apollodor von Pergamon, dessen Lehrbuch ins Lateinische übersetzt wurde und der einen klaren, direkten Stil befürwortete, frei von Schwulst und Künstlichkeit. Dass Octavius in der Lage war, ihm ansehnliche Summen zu zahlen, kann man daran ablesen, dass Apollodor seine Schule in Rom verließ und Caesars Schützling Ende 45 v. Chr. nach Apollonia (im heutigen Albanien) begleitete. Dort wollte Octavius vor einem geplanten Feldzug gegen den größten Feind Roms im Osten, die Parther, mit Soldaten Caesars trainieren; und dort erfuhr Octavius auch von Caesars Ermordung. Diese Tatsache zeigt aber auch, dass Octavius regelmäßigen Rhetorikunterricht benötigte. Befehle zu geben und in der Öffentlichkeit zu sprechen fiel ihm nicht leicht, denn es schlug ihm leicht auf die Stimme. Doch es war typisch für ihn (und beispielhaft für sein ganzes Leben, nicht nur in Bezug auf die Rhetorik), dass er nicht aufgab und sein naturgegebenes Defizit mit Hartnäckigkeit auszugleichen verstand; Nikolaos berichtet sogar, dass Octavius ein ganzes Jahr lang auf Sex verzichtet habe, um seine Stimme und seine allgemeine Konstitution zu stärken (vgl. Kasten 1.3), vielleicht eines der besten Beispiele für den erfolgreichen Einsatz der Abstinenz, das wir kennen. Auch wenn Sueton und andere Historiker bezeugen, dass er gut aus dem Stegreif sprechen konnte, und nicht wenige der von ihm überlieferten Zitate seine Schlagfertigkeit beweisen (siehe Kasten 5.10), brachte er jede seiner Reden ganz methodisch zu Papier – im auffallenden Gegensatz zur damals gängigen Praxis. Indes war dies nicht das einzige Beispiel für seinen Hang zum Nonkonformismus. Ein weiterer Aspekt seiner Ausbildung war das körperliche Training. In den frühen Jahren oblag diese Aufgabe in Rom in der Regel den Vätern oder ihren gesetzlichen Stellvertretern, später übernahmen Profis den Sportunterricht. Römische Adlige sollten als Offiziere in der Armee dienen und mussten im Nahkampf ausgebildet werden. Die körperliche Ertüchtigung umfasste Schwimmen, Reiten, Fechten und Speerwerfen. Doch auch hier machte ihm die Natur einen Strich durch die Rechnung: Neben anderen körperlichen Schwächen hatte Octavius ein schwächeres linkes Bein, das ihn manchmal hinken ließ, und er war krankheitsanfällig und neigte zu hitzebedingter Erschöpfung. Doch auch hier blieb er hartnäckig, auch wenn er es hin und wieder übertrieb und die Anstrengung ihn überwältigte, zum Beispiel als Caesar seinem gerade einmal siebzehn­ 22

jährigen Großneffen (anstelle eines Magistrats) die Organisation der griechischen Spiele in Rom übertrug, die im Zusammenhang mit Caesars Triumphzügen abgehalten wurden. Der überlastete Octavius brach zusammen, wahrscheinlich aufgrund eines Hitzschlags, und musste einige Zeit das Bett hüten. Doch er lernte dazu: Es gab in seinem späteren Leben exponentiell mehr Fälle von großer Belastung, und dennoch lebte er für einen Römer der damaligen Zeit erstaunlich lange. Er wurde 76 Jahre alt, und das war zweifellos nur möglich mit einem gehörigen Maß Selbstdisziplin. Seine schwache Konstitution war für Octavius indes kein Hindernis für Beziehungen zum anderen Geschlecht, weder in seiner Jugend noch später in seinem Leben; Nikolaos berichtet ganz pflichtgemäß, dass Octavius’ Mutter auch in dieser Hinsicht ihre schützende Hand über ihn hielt, hübsch und begehrt, wie der junge Mann war (Kasten 1.3).

1.3. Nikolaos über den jungen Octavian „Er ging an den üblichen Tagen zu den Tempeln, aber (erst) nach Einbruch der Dunkelheit, wegen seines jugendlichen Charmes, da er wusste, dass sich viele Frauen von seinem hübschen Äußeren und seiner edlen Abstammung angezogen fühlten; auch wenn er oft in Versuchung geführt wurde, scheint es, als habe er ihr nie nachgegeben. Nicht nur das wachsame Auge seiner Mutter, die ihn beschützte und jede Herumtreiberei verbot, wachte über ihn, auch er selbst wurde vernünftiger, als er heranwuchs. Während des Latinerfestes, als die Konsuln den Albaner Berg bestiegen, um die üblichen Opfer darzubringen, und die Priester die Aufgaben der Konsuln übernahmen, saß Octavius auf dem Tribunal mitten im Forum. Und es kamen viele Menschen mit rechtlichen Fragen zu ihm und viele, die gar kein Anliegen hatten, sondern lediglich den jungen Mann sehen wollten; denn er war sehenswert, vor allem, als er die Würde eines offiziellen Amtes bekleidete.“ FGrH (= Fragmente der griechischen Historiker, hrsg. von F. Jacoby) 90 F127.5 „Octavius lebte nüchtern und maßvoll; seine Freunde wissen noch etwas anderes über ihn, das bemerkenswert ist. Ein ganzes Jahr verzichtete er, in einem Alter, in dem Jugendliche, insbesondere solche aus reicher Familie, am meisten zu Ausschweifungen neigen, auf sexuelle Befriedigung, aus Rücksicht auf seine Stimme und seine körperliche Stärke.“ FGrH 90 F129 „Danach feierte Caesar seine Triumphe für die Kriege, die er in Libyen und anderswo geführt hatte, und er befahl dem jungen Caesar, den er inzwischen adop23

tiert hatte und der in gewisser Weise auch von Natur aus sein Sohn war, aufgrund ihrer engen Beziehung zueinander seinem Wagen zu folgen, nachdem er ihm militärische Auszeichnungen verliehen hatte – ganz so, als wäre er im Krieg sein Zeltgenosse gewesen. Und auch bei den Opferhandlungen und beim Betreten der Tempel behielt er ihn an seiner Seite, und er befahl den anderen, ihm den Vortritt zu gewären. Caesar hatte bereits den Rang des Diktators inne, den nach römischer Sitte höchsten Rang überhaupt, und er war im Staat hoch geschätzt. Der junge Mann war sein Begleiter im Theater und bei Banketten, und er ­erkannte, dass Caesar sich so freundlich mit ihm unterhielt, als wäre er dessen eigener Sohn. Er gewann mehr Selbstvertrauen als viele seiner Freunde, und Bürger baten ihn, bei Caesar als Fürsprecher für sie aufzutreten, in Angelegenheiten, bei denen sie Hilfe brauchten. Er wartete auf den günstigsten Augenblick, fragte respektvoll an und hatte Erfolg; er besaß großen Wert für seine Verwandtschaft, denn er stellte sicher, dass er Caesar niemals zu einem ungünstigen Zeitpunkt oder dann, wenn es Caesar verärgert hätte, um einen Gefallen bat. Und er stellte oftmals seine Freundlichkeit und seine angeborene Intelligenz unter Beweis.“ FGrH 90 F127.8

Wie viele andere herausragende Herrscher war Augustus jedoch kein Naturtalent. Seine intellektuellen Fähigkeiten waren zwar beträchtlich, jedoch wurden sie von antiken Schriftstellern in hagiographischer Absicht maßlos übertrieben. Nikolaos bietet mit dem Wunderknaben Octavius ein genaues Gegenbild zu Lukas’ Darstellung des jungen Jesus im Tempel (2.46–47): In einer Szene beantwortet der Siebzehnjährige auf ganz fachmännische Weise juristische Fragen, als er einen Tag lang den Stadtpräfekten spielt, während sich die Konsuln außerhalb Roms aufhalten (Kasten 1.3). Er war kein begabter Redner, und seine körperliche Verfassung war alles andere als gut. Dass er dennoch so erfolgreich war, lag daran, dass er mit diesen Schwächen umzugehen lernte und sie mit Entschlossenheit und durch permanente Anstrengungen zu kompensieren verstand. Dadurch erregte der Großneffe schon bald Julius Caesars Aufmerksamkeit, der ihn schließlich als seinen Erben einsetzen sollte.

Octavius und Caesar Unsere Quellen wissen nichts von einem bestimmten Treffen oder Vorfall zu berichten, der Caesar die Qualitäten des Octavius offenbart hätte, und die moderne Forschung betont auch nicht annähernd genug, dass Caesar während dieser Jahre zumeist weit weg war von Rom. Zwischen dem Überschreiten des Rubikon in der Nacht des 11. Januar 49 v. Chr. und seiner Rückkehr aus Spanien, wo er Anfang 24

Oktober 45 die letzte Armee seiner Gegner besiegte, war er nur selten in der Stadt – Ende 47 für zwei Monate und im Jahr 46 für etwa vier Monate. Octavius schloss sich Caesar in Spanien im Juni 45 an und reiste bereits im Herbst nach Apollonia ab, wo er blieb, bis Caesar starb. Sicher war sich Nikolaos dieser Lücken bewusst, und wahrscheinlich füllt er sie deshalb mit zahlreichen lebendigen Details, die Octavius’ Nähe zu Caesar dokumentieren sollen; doch hierin sollten wir ihm besser nicht folgen. Zudem waren viele von Octavius’ profilierteren Auftritten in der Öffentlichkeit, wie die Grabrede auf seine Großmutter Julia im Alter von zwölf Jahren (bei Nikolaos ist er fälschlicherweise sogar erst neun) oder seine Position als Stadtpräfekt für einen Tag im Alter von 17 Jahren keine so seltenen Ehren, dass man Caesars Zutun hineininterpretieren müsste (außerdem befand sich Caesar beispielsweise zur Zeit von Julias Begräbnis in Gallien). Andere indes schon, wie seine Aufnahme in die renommierteste römische Priesterschaft, das Kollegium der pontifices. Die pontifices hatten die Gesamtaufsicht über die römische Religion inne, die, wie bereits erwähnt, eng mit dem politischen Leben verflochten war. Es war ein Amt auf Lebenszeit, und bei Antritt war Octavian gerade erst 16 Jahre alt. Und dann war da noch seine Aufnahme in die Reihen der Patrizier, den höchsten Rang der römischen Gesellschaft, im Alter von 17 Jahren. Ferner übertrug Caesar Octavian, wie wir gesehen haben, die Organisation der wichtigsten Spiele, die normalerweise in den Zuständigkeitsbereich eines Magistrats fielen, und nach seiner Rückkehr aus Spanien ritt er zusammen mit Brutus hinter Caesars Wagen, direkt hinter Antonius und Caesar. Das letzte und markanteste Beispiel der zunehmenden Bekanntheit und Prominenz von Octavius war, dass Caesar ihn zum magister equitum machte. Wörtlich bedeutet das „Meister der Reiterei“, und Octavius wurde ordnungsgemäß nach Apollonia geschickt, zum Manöver mit Caesars Legionen. Dennoch war dieses Amt traditionell eher ein politisches als ein militärisches. Der magister equitum war Stellvertreter des Diktators, einer Instanz in der römischen Verfassung, die für Notzeiten vorgesehen war; die Amtszeit war auf sechs Monate begrenzt. Doch wie so viele Bestimmungen der Verfassung, wie die jeweils auf ein Jahr begrenzte Amtszeit der Konsuln, war auch diese im Laufe des unruhigen 1. Jahrhunderts v. Chr. auf der Strecke geblieben; zum Zeitpunkt von Octavius’ Ernennung zum magister equitum befand sich Caesar in seinem fünften Jahr als Diktator, und an den Iden des Februar 44 v. Chr. erklärte man ihn zum Diktator für den Rest seines Lebens – das genau einen Monat später endete. Jedenfalls konnte es kaum einen Zweifel daran geben, welche Rolle Caesar Octavius zugedacht hatte. Doch als Caesar Ende 45 v. Chr. seinen letzten Willen verfasste, erzählte er ­Octavius nichts davon. Das Testament sah vor, dass Octavius drei Viertel von ­Caesars Vermögen erbte (der Rest wurde zwischen zwei Neffen aufgeteilt) und seinen Namen annahm. Voraussetzung war jedoch, dass Caesar keinen Sohn hatte (sein Sohn mit Kleopatra, Caesarion, hatte keine Rechtsansprüche); im Falle, dass 25

Octavius starb oder das Erbe ausschlug, sollte Marcus Antonius das Erbe antreten. Octavius erfuhr von all dem kurz nach den Iden des März aus einem Brief seiner Eltern. Nachdem er wieder in Süditalien gelandet war, erfuhr er weitere Details.

Erbe Caesars Die Wahl, vor der Octavius stand, war tatsächlich monumental. Caesars Erbe zu sein – was genau würde das bedeuten? Den meisten seiner Zeitgenossen muss klar gewesen sein, dass es hier um mehr ging als einen privaten Nachlass, der lediglich Caesars Vermögen beinhaltete. Das Ganze hatte nämlich eine unmittelbare offizielle und weitreichende öffentliche Dimension: Dem Erben wurde auferlegt, den Hausherren der 250.000 Haushalte der römischen Plebejer je 300 Sesterzen auszuzahlen. Das war eine ungeheure Menge Geld, die dem Jahressold von fast 85.000 Legionären entsprach – ein wahrlich beispielloses Konjunkturprogramm. Und es gab noch weitere Verpflichtungen, die den Erben mitten auf die öffentliche Bühne stellen würden. Brutus und Cassius mochten triumphieren und von Befreiung reden – Tatsache war: Caesar war ermordet worden, und sein Erbe hatte die Pflicht, ihn zu rächen und die Mörder vor Gericht zu stellen. In dieser Hinsicht wie in vielen anderen Bereichen unterschieden sich die Sitten im alten Rom von unseren (einige moderne Interpretationen der Aeneis, des augusteischen Epos schlechthin, vernachlässigen solche Unterschiede leider), und dieses Problem nimmt in unseren Quellen zu Octavius’ Entscheidung einen prominenten Platz ein. Sie geben sich alle Mühe, es so darzustellen, als habe er sorgfältig abgewogen und sich von verschiedener Seite beraten lassen. Seine endgültige Entscheidung lag zwischen zwei Extremen – das eine wäre gewesen, das Erbe auszuschlagen (wozu ihm sein Stiefvater dringend riet), das andere, sofort eine private Armee aus Caesar-Veteranen zu rekrutieren und nach Rom zu marschieren, um die Caesarmörder zu jagen. Octavius trat das Erbe an und ließ das Testament Anfang Mai ordnungsgemäß durch den zuständigen Magistrat, einen Prätor, der zufällig einer der Brüder von Marcus Antonius war, amtlich bestätigen. Allerdings hatte das Testament natürlich noch eine ganz andere Dimension: Octavius wurde zum Erben von Caesars politischem Vermächtnis. Als Caesar starb, war er nichts weniger als der Herrscher der bekannten Welt. Kein anderer Römer war jemals in der Lage gewesen, so viel Macht in seiner Person zu vereinen; zudem hatte er endlich auch in seinen militärischen Erfolgen Pompeius übertroffen, und neben seinen vielen anderen Leistungen zählte selbst Cicero ihn zu den besten Rednern seiner Zeit. Wenn das das Vermächtnis war – wie konnte irgendjemand erwarten, dass ein Achtzehnjähriger (ein „Junge“, wie Antonius und Cicero ihn sofort nannten) ohne jegliche militärische und politische Er­ fahrung, mit schwacher Konstitution und kaum überzeugendem rhetorischen 26

Abbildung 2. Marmorkopf des Octavian. Kopie aus den 30er Jahren v. Chr. eines Originals aus der Zeit seiner politischen Anfänge. Der Schleier kennzeichnet ihn als Angehörigen einer Priesterschaft. Privatsammlung in La Alcudia, Mallorca.

Geschick in diese Fußstapfen trat? Und wie würde er mit den vielen Altlasten umgehen, die der Diktator zugleich mit seinen Leistungen im Laufe der Zeit angesammelt hatte? Niemand hätte auch nur im Entferntesten ahnen können, wie sich die Dinge dann tatsächlich entwickeln würden. Natürlich wissen wir heute, was geschah; genau das ist es, was die Beschäftigung mit der Geschichte so faszinierend macht, und was nun folgte, ist noch immer eines der erstaunlichsten Kapitel der Weltgeschichte. Um es aus Octavius’ Perspektive zu betrachten: Als er in einer öffentlichen Rede später im selben Jahr vor einer teils fassungslosen Menschenmenge verkündete, er habe vor, „dem ehrenvollen Vorbild“ seines ­Vaters nachzueifern, muss ihm selbst klar gewesen sein, dass er keine Kopie von Julius Caesar werden würde. Stattdessen wollte er seinen eigenen Weg gehen, und das tat er auch. Die Dynamik zwischen den beiden Alternativen, Caesars Vermächtnis fortzuführen und seine eigene Identität zu finden, war ein wesentliches Merkmal seiner frühen Karriere als Herrscher. Da der junge Mann bis zu den Iden des März 44 v. Chr. keinerlei bemerkenswerte Leistungen vorzuweisen hatte, lag viel Wahres in dem spöttischen Kom27

mentar von Antonius: „Junge, alles hast du Caesars Namen zu verdanken“ (siehe Kasten 1.4). Wie wir gesehen haben, hatte Caesar in seinem Testament verfügt, dass sein Erbe seinen Namen annahm, und das tat Octavius auch und nannte sich umgehend „Gaius Julius Caesar“. Um Verwechslungen mit, nun ja, Gaius Julius Caesar zu vermeiden – es gab keine Möglichkeit, sich als Sohn „Jr.“ zu nennen – begannen Cicero und andere Zeitgenossen damit, ihn neben dem informellen Spitznamen „der junge Caesar“ als „Gaius Caesar Octavianus“ zu bezeichnen, nach seiner tatsächlichen Abstammung. Man muss an dieser Stelle betonen, dass Octavius diesen Namen niemals selbst benutzt hat. Wer das ebenfalls nicht tat, war Brutus, der ihn weiterhin „Octavius“ nannte und damit implizierte, dass er Caesars Testament ebenso wenig anerkannte wie seine Reinkarnation. Dennoch setzte sich der Name „Octavian“ durch, und so nannte man ihn ab dem Tod Caesars bis zum Januar 27 v. Chr., als der Senat ihm offiziell den Namen „Augustus“ verlieh, „Octavian“.

1.4. Cicero greift Antonius dafür an, dass er Octavian „Junge“ genannt hat „Aber du, der du nicht verleugnen kannst, dass du ebenfalls durch Caesar berühmt geworden bist, was wärest du, wenn er dir nicht so viele Liebenswürdigkeiten erwiesen hätte? Wohin wärest du allein durch deine eigenen Qualitäten gelangt? Wohin hätte dich deine Abstammung geführt? Du hättest dein Mannesalter in Bordellen und Spelunken zugebracht, beim Spielen und Trinken, so wie du es stets tatest, als du dein Gehirn und dein Kinn im Schoß von Schauspielerinnen zu vergraben gewohnt warst. ‚Und auch du, Junge …‘ Er nennt ihn ,Junge‘ – ihn, den er nicht nur als Mann erlebt hat und noch oft erleben wird, sondern als einen der tapfersten Männer überhaupt. Dem Alter nach wäre diese Bezeichnung durchaus passend, aber du bist der letzte Mensch auf der Welt, der sie benutzen sollte, da es doch dein eigener Wahnsinn ist, der diesem Jungen den Weg zum Ruhm eröffnet hat. ‚Alles hast du [Caesars] Namen zu verdanken …‘ Er hat ihm in der Tat alles zu verdanken, und er erweist sich seiner auf die edelste Weise würdig. Denn als er [Caesar] der Vater seines Landes war, wie du ihn nennst – ich werde später klarstellen, was ich davon halte –, warum ist dieser junge Mann dann nicht in noch höherem Maße unser Vater, er, dem wir heute unser aller Leben schulden, das er deinen verbrecherischen Händen entrissen hat?“ Philippica 13.11.24–25

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Damit war das Kapitel aber noch nicht abgeschlossen. Adoptionen funktionierten in Rom ein wenig anders als heute. Im Mittelpunkt standen dabei nicht etwa ­kleine Kinder, die ein neues Zuhause brauchten, sondern erwachsene Männer, zumeist aus Familien der Oberschicht, die mit Zustimmung der Eltern in eine andere Familie aus derselben Schicht, der ein Erbe fehlte, aufgenommen wurden. Zumeist wurde dieser Vorgang von einem Adoptivelternteil durchgeführt, das noch am Leben war. Testamentarische Adoptionen waren ungewöhnlich, aber kamen durchaus vor, und es gibt weder bei Freund noch Feind, geschweige denn seitens der Veteranen Caesars oder der Bevölkerung, einen Hinweis darauf, dass Octavians Adoption als ungültig angesehen wurde. Dennoch wollte Octavian sie formell ratifizieren lassen, von Roms ältester – wenn nicht antiquierter – Versammlung, der Comitia Curiata. Diese führte ihre Anfänge bis in die Zeit des Romulus zurück, und die meisten ihrer ursprünglichen Funktionen, wie die Wahl von Magistraten, war im Laufe der Zeit von anderen Versammlungen übernommen worden. Welche Botschaft wollte Octavian damit aussenden? Wie für ihn typisch waren es zwei: Er schuf damit eine Aura, die nachdrücklich klarmachte, dass er Caesars Erbe war; aber er unterschied sich auch von Caesar, indem er einigen alten Sitten seinen Respekt erwies. Caesar hätte bei einem solchen Verfahren nur müde gelächelt. Seine Verachtung für republikanische Traditionen war für jeden offensichtlich, in allem, was er sagte und tat, und das ihm zugeschriebene Zitat, dass „die Republik nichts war – bloß ein Name ohne Form und Substanz“ (Sueton, Caesar 77.1), war ein weiteres Mosaiksteinchen, das zu seiner Ermordung beitrug. Im Gegensatz dazu entschied sich Octavian, eine traditionsreiche Formalität zu ­beachten, obwohl er es gar nicht musste. Diese Haltung charakterisierte seinen Regierungsstil und sein politisches Programm. Zudem besaß die Comitia Curiata, die in 30 Kurien (curiae) gegliedert war, noch immer einen demokratischeren Charakter als Roms wichtigste Wahlversammlung, die ungeheuer plutokratische Comitia Centuriata. Wir werden auch sehen, dass Augustus’ Einführung einer imperialen und autokratischen Regierung (paradoxerweise) mit einer echten Beteiligung viel breiterer Bevölkerungsschichten an öffentlichen Angelegenheiten einherging. Das soll nicht heißen, dass Octavian zu diesem Zeitpunkt schon all das geplant hatte – das zu glauben wäre absurd und eine allzu bequeme nachträgliche Interpretation der historischen Abläufe. Dennoch ist es interessant, zu beobachten, wie der junge Octavian hier in seinen Handlungen vorwegzunehmen scheint, was er später in viel größerem Maßstab tun sollte – als Augustus.

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2 Machtkämpfe und Bürgerkrieg Der Erbe Caesars setzt sich durch Caesar tat einmal, nach dem Ende einer Art Blitzkrieg, den berühmten Ausspruch: „Ich kam, sah und siegte“ (veni, vidi, vici). Im Rückblick scheint Octavian mit seinem blitzartigen Debüt auf der römischen Bühne einen ähnlichen Erfolg gefeiert zu haben: Er kam im Mai 44 v. Chr. nach Rom und wurde gerade einmal 16 Monate später, im August 43 v. Chr., der jüngste Konsul der römischen Geschichte. Jene Monate sind jedoch nicht nur aufschlussreich, weil Octavian am Ende Konsul wurde, denn das war eigentlich erst der Anfang noch viel größerer Herausforderungen. Vielmehr verdeutlichen sie, dass diese Entwicklung alles andere als selbstverständlich war. Es hätte leicht ganz anders kommen können, denn die Menge der Variablen war immens. Sie waren ein Mosaik aus Berechnungen und Fehleinschätzungen, Schritten und Fehltritten, plötzlichen Wechselfällen, die eine instinktive Reaktion erforderten, von Handlungen und Ereignissen, die sich damals kaum so sorgfältig analysieren ließen, wie es spätere Historiker konnten. Sicherlich war ein wesentlicher Grund dafür, dass Octavian sich durchsetzte, seine Entschlossenheit. Gleichzeitig musste er sich Umständen fügen, die man nicht so einfach kontrollieren konnte.

Nach den Iden des März Wie war die Situation nach Caesars Tod? Wer waren die wichtigsten Akteure, die die folgenden Ereignisse beeinflussen konnten? Fangen wir mit Brutus und Cassius an. Wie Shakespeare Marcus Antonius in den Mund legt, waren die beiden ehrenwerte Männer (die Einwohner Zyperns, die Brutus für Kredite 48 Prozent Zinsen zahlen ließ, mögen anderer Meinung gewesen sein), aber ihr Handeln war beispielhaft für das für ihre Klasse typische kurzsichtige Denken – sie hatten keinerlei konstruktives Programm. Wenn Caesar erst aus dem Weg wäre, würden die glücklicheren Tage schon wiederkommen. Diese Haltung ist einer der Hauptgründe für das Scheitern der Republik und für das Scheitern ihres Staatsstreichs. Caesar war tot, 30

aber die Probleme, mit denen die römische Republik seit Jahrzehnten zu kämpfen hatte, verschwanden nicht mit ihm. In Rom war die städtische Plebs, deren Zahl in die Hunderttausende ging, weiterhin eine unberechenbare Masse, obwohl oder gerade weil es so viele mittellose Menschen gab. Das Heer, das rund 500.000 Mann zählte, hatte sich daran gewöhnt, ebenso oft in Bürgerkriegen zu kämpfen wie gegen fremde Völker, und die meisten der Soldaten fühlten sich ihren Kommandeuren, die sie bezahlten, mehr verpflichtet als der res publica, dem Gemeinwesen. Außerdem war Rom längst kein kleiner Stadtstaat am Tiber mehr, und es konnte nicht regiert werden, als ob es noch einer wäre. Das Römische Reich erstreckte sich um das gesamte Mittelmeer herum; neben erhöhten wirtschaftlichen Chancen hatte diese Erweiterung zu einem markanten sozialen Wandel in der gesamten Region geführt, und man konnte nicht erwarten, dass die Provinzen einfach nur als Steuern zahlende Anhängsel der Hauptstadt und Italiens funktionierten. Zudem waren Wirtschaft und Infrastruktur des Reichs inzwischen durch innere kriegerische Auseinandersetzungen und andere Störungen ruiniert. Irgendjemand musste diese Probleme lösen. Caesar hatte einige ziemlich aggressive Maßnahmen in die Wege geleitet; so hatte er während der wenigen Monate, die er vor den Iden des März in Rom gewesen war, die Zahl der Empfänger staatlicher Hilfen drastisch reduziert und statt der reinen Sozialfürsorge eine Arbeitspflicht eingeführt. Die Senatsoligarchie jedoch setzte weiter auf Abschottung: Ihre Mitglieder genossen ihre Privilegien und verdrängten jedes Gefühl dafür, dass man handeln musste. Mit anderen Worten: Die Senatoren waren alles andere als Visionäre. Für die riesige Bevölkerung jenseits des Senatorenstands, in Rom wie in den Provinzen, sah alles ein wenig anders aus. Insofern war das Attentat, abgesehen vom kurzzeitigen Eklat, den es bedeutete, im Grunde ein Fiasko. Die Befreier hatten kein Programm, um die schwelenden sozialen, wirtschaftlichen und anderen Probleme zu bekämpfen; sie hatten Sympathisanten, aber es gab keine Welle der Unterstützung seitens der Bevölkerung. Schon bald trieben sich Brutus und Cassius außerhalb von Rom herum, erst in Kampanien und dann in Griechenland. Beide waren in jenem Jahr Prätoren; der paralysierte Senat mit Konsul Antonius an der Spitze hatte am 17. März schnell eine Amnestie beschlossen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Aber sie verließen die Stadt schnell wieder, und trotz einiger Verbündeter hatten sie in der Hauptstadt kaum Einfluss.

Marcus Antonius Andere hatten ihn, vor allem Antonius. Es ist eine Binsenweisheit, dass Geschichte stets von den Siegern geschrieben wird, und schon von daher können wir Karikaturen von Antonius als betrunken durch Roms Straßen taumelndem Wüstling, wie Cicero ihn in seinen Philippischen Reden stilisiert (vgl. Kasten 1.4), getrost verwerfen – genau wie die reißerische Darstellung von Antonius als Reinkarna­ 31

tion des griechischen Weingotts Dionysos und Kleopatras hörigem Liebessklaven. Julius Caesar pflegte sich keine Dilettanten an die Seite zu stellen, und Antonius war seine rechte Hand gewesen, auf dem Feld wie in der Politik. Er hatte wesentlich mehr geleistet als Octavian und war 44 v. Chr. Konsul. Als solcher saß er an den Hebeln der Macht: Er konnte den Senat einberufen, er befehligte mehrere Legionen und er konnte sich der Unterstützung von Caesars Veteranen gewiss sein, die darauf warteten, Rache zu üben. Von allen Protagonisten war er in der stärksten Position, um zu bestimmen, wo es langging. Das Problem war, dass er das nur sehr zögerlich und unentschlossen tat. Auch hier können wir wieder eher einen systemimmanenten als einen persönlichen Grund ins Feld führen. So ehrenhaft die einjährige Amtszeit in der frühen Republik auch war, sie schloss eine gewisse Kontinuität in der Staatsführung in einem größeren und komplexeren Umfeld von vorneherein aus – ein weiterer Grund, warum man so viele Probleme schwelen ließ –, und da ein Konsul nach seiner einjährigen Amtszeit automatisch seine verbleibenden Jahre im Senat verbrachte, neigte er verständlicherweise dazu, keine allzu großen Umwälzungen anzustoßen, die seine eigene Zukunft gefähr­ deten; Innovationen und wirklich entschlossenes Handeln mussten oft andere Wege suchen. Antonius passte ganz und gar in das alte System, und auch er war nicht sehr weitsichtig – oder zumindest nicht weitsichtig genug. Politische Erwägungen triumphierten über konkretes Handeln, eine Haltung, die man auch bei anderen, beispielsweise Cicero, beobachten konnte. Antonius’ Ziele ergaben kurzfristig durchaus Sinn. Vor allem wollte er den jungen Erben Caesars vorführen und allen zeigen, was für ein unerfahrener Möchtegern-Caesar und Angeber er war. Antonius machte es sich zur Aufgabe, jeden Schritt des Octavian zu behindern. Schon bald kam es zu einem Treffen, bei dem der Konsul und eigentliche politische Erbe Caesars den Jungen absichtlich herablassend behandelte, und zwar so, dass es alle sehen konnten. Er verhinderte die förmliche Adoption Octavians durch Caesar seitens der Comitia Curiata. Dann trug er den Konflikt in den öffentlichsten Ort Roms, die Spiele. Als Caesar noch am Leben war, hatte der Senat ihm einen goldenen Thron gestiftet, auf dem er während seiner öffentlichen Auftritte zu sitzen pflegte. Octavian wollte diesen Thron für die Spiele im April so aufstellen lassen, dass er volle Sicht auf sie hätte – eine rituelle Verankerung der dauerhaften Präsenz seines Adoptivvaters. Die zuständigen Beamten der Stadt lehnten dies jedoch ab. Natürlich steckte Antonius hinter dieser Entscheidung. Ein paar Wochen später, Ende Juli, versuchte Octavian es noch einmal, anlässlich noch prestigeträchtigerer Spiele, die er selbst organisiert und mit Hilfe einflussreicher Hintermänner finanziert hatte – der Spiele zu Ehren von Caesars Triumph. Ihre göttliche Patronin war die Göttin Venus, die Stammmutter der Julier. Wieder durchkreuzte Antonius sein Vorhaben, auch wenn die Spiele wie geplant vonstattengingen. Manchmal jedoch kann Abwesenheit sich genauso im Gedächt32

nis verankern wie Anwesenheit: In Anbetracht der immensen öffentlichen Debatte, die die ganze Kontroverse auslöste, muss die leere Stelle, an der der Thron gestanden hätte, genauso sehr hervorgestochen haben. Aber Octavian tat noch mehr, um die Lücke zu füllen. Er ließ an die verzückten Massen Tausende von Glas­ medaillons verteilen, darauf: sein Kopf und Caesars Thron (Abb. 3, siehe Kasten 2.1).

2.1. Ein Massenmedium: Glaspasten

Abbildung 3. Glaspaste, Antikensammlung, SMB.

Selbst die billigste Münze musste von einer der offiziellen Münzstätten geprägt werden. Anders die Glasmedaillons: Sie waren kostengünstig herzustellen und konnten schnell zu Tausenden angefertigt werden. Sie waren natürlich auch vergänglicher – ein Umstand, der dazu geführt hat, dass die moderne Forschung allzu sehr die Münze als „Propagandamedium“ in der Vordergrund gerückt hat. Glasmedaillons brachten einer Zielgruppe bestimmte Botschaften weitaus effektiver nahe, und außerdem wurden sie kostenlos verteilt. In dem hier dargestellten Beispiel kombinierte Octavian drei Bilder, die jedermann ganz leicht verstehen konnte: seinen Kopf, Caesars Thron (den er während der Spiele nicht aufstellen durfte) und zwei Füllhörner, die Wohlstand symbolisierten und darauf verwiesen, dass Octavian der städtischen Bevölkerung aus Caesars Nachlass Geld ausgezahlt hatte. Medium und Botschaft waren direkt, klar und effektiv. 33

Und erstaunlicherweise taten die himmlischen Mächte das Ihre, um die Vorgänge auf Erden zu unterstützen: Während der Spiele erschien ein Komet (Kasten 2.2), und es sprach sich schnell herum, dass dies die Seele Julius Caesars sei, die sich am Himmel zeige. Caesar war jetzt divus, göttlich. Das machte Octavian zum Sohn des Göttlichen – bis heute ein ungeheures Plus für einen Politiker – und er verschwendete keine Zeit, den Stern auf Darstellungen Caesars zu verewigen und sich selbst zum divi filius zu stilisieren. Er bestand darauf, dass Caesar in der römi-

2.2. Caesars Stern Nicht weniger als dreizehn literarische Quellen bezeugen, dass Ende Juli 44 v. Chr. am Himmel ein extrem heller Komet erschien. Er war in Rom sieben Tage lang zu sehen, was genau mit den eindrucksvollen, von Octavian inszenierten Spielen zusammenfiel. Octavian hatte zwei wesentliche Änderungen vorgenommen: (1) Er verlegte sie auf Juli; ursprünglich fanden sie im September statt, dem Monat, in dem Caesar sie 46 v. Chr. eingeweiht hatte, zusammen mit dem Tempel der Venus Genetrix, der Vorfahrin der Julier, und (2) er machte ein Fest zum Gedenken Caesars daraus. Ein weiteres Ziel war es, die von Brutus gesponserten Spiele zu Ehren von Apollo zu übertrumpfen, die zuvor im selben Monat stattgefunden hatten. Hatte Octavian hellseherische Fähigkeiten? Genau dieser Komet (es war übrigens nicht der Halley’sche) war bereits im Juni in China gesichtet worden – hinsichtlich seines Erscheinens kann es keinen Zweifel geben. In jedem Fall war er ein Geschenk des Himmels. Neben seiner Wirkung auf die Bevölkerung – eine weitere Abweichung von der Tradition war die gewitzte Interpretation des Naturschauspiels als glückbringend und nicht als böses Omen und Vorbote einer Katastrophe – hatte er auch eine tiefgehende Wirkung auf Octavian selbst: „Er fand Gefallen an der Ansicht, dass der Komet seinetwegen erschienen sei und auf seinen Aufstieg hinweise“ (Plinius, Naturgeschichte 2.94). Wie das? Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass der Steinbock, sein Sternzeichen (siehe Kasten 1.1), im Aszendenten stand, als der Komet erschien. Es war nicht schwer, dies als ein Zeichen seiner eigenen „(Wieder-)Geburt“ als Julier zu interpretieren und als Zeichen seiner, des „Sohns des Göttlichen“, eigenen zukünftigen Göttlichkeit. In einer Welt, in der die Astrologie einen so hohen Stellenwert hatte, sollte Octavian für immer mit dem Stern Caesars in Verbindung gebracht werden. Hauptquelle J. T. Ramsay und L. Licht, The Comet of 44 B.C. and Caesar’s Funeral Games (Atlanta 1997). 34

schen Staatsreligion offiziell vergöttlicht wurde; auch dies versuchte Antonius zu verhindern, und so konnte die endgültige Ratifizierung, wie die Adoption, erst später erfolgen. Der Vorteil lag jedoch eindeutig auf Seiten Octavians, der Antonius immer wieder auszustechen verstand. Antonius war einfach nicht in der Lage, Octavian zu ignorieren, und nun musste er sich mit dessen ständig zunehmender Präsenz und ebenso rasch wachsender Akzeptanz als tatsächlicher Erbe Caesars auseinandersetzen.

Aufbau einer Basis Auch in anderen, noch wichtigeren Angelegenheiten lief die Konfrontation auf das gleiche Ergebnis hinaus. So im Fall der Verteilung des immensen Geldgeschenks, das Caesar der römischen Bevölkerung zugedacht hatte. Eine wichtige Rolle dabei spielten die vielen Immobilien, die Caesar nach Überquerung des ­Rubikon 49 v. Chr. von seinen Feinden konfisziert hatte. Octavian verkaufte sie kurzerhand. Natürlich musste ein Immobilienverkauf dieser Größenordnung zwangsläufig zu einem Einbrechen der Immobilienpreise in Italien führen, aber das war nicht der Grund, warum Antonius versuchte, den Prozess zu verlangsamen, indem er darauf bestand, dass die Gerichte den ursprünglichen Besitzern erlauben sollten, in jedem einzelnen Fall ihre Ansprüche geltend zu machen. Das Motiv war klar: Octavian sollte nicht an Popularität und Macht gewinnen. Bald zeigte sich, dass er sich verrechnet hatte. Caesars Anhänger und die vorgesehenen plebejischen Empfänger seines Geldes waren wütend, dass sie auf die Zahlungen warten mussten, während Antonius sich auf irgendwelche hehren Rechtsgrundsätze berief. Octavian handelte schnell. Er suchte sich Sponsoren, unter anderem die beiden anderen Erben, verkaufte diverse Immobilien der Familie Octavius, belieh sein Privatvermögen, das er von Caesar ererbt hatte, und verwendete zudem Teile von Caesars öffentlichen Mitteln, darunter seine Kriegskasse für den geplanten Feldzug gegen Roms Feinde im Osten, die Parther – immerhin hatte sein Großvater ihm gezeigt, wie man mit Geld umgeht. Im Endeffekt erhielt das römische Volk die erste Hälfte der Zahlungen sofort, und zwar genau während der Spiele zu Ehren von Caesars Siegen. Das war, wie sich herausstellte, die perfekte Dreierwette: die öffentliche Querele um Caesars Thron, der Komet und das Geld in den Taschen der Menschen – all das katapultierte Octavian ins Zentrum des allgemeinen Interesses. Einmal mehr konnte Antonius nur noch reagieren, und einmal ließ er Octavian tatsächlich durch Liktoren aus einer Immobilienverhandlung zerren. Octavian blieb souverän und nutzte die Gelegenheit, sich als Geschädigter in Szene zu ­setzen. Er suchte Zuflucht in seinem Haus und behauptete, Antonius habe sein Leben bedroht, als er, der Erbe Caesars, sicherstellen wollte, dass die Gelder, die Caesar dem Volk vermacht habe – „wenn Arme zu ihm schrien, so weinte Caesar“ 35

(Shakespeare, Julius Caesar) – die Massen auch erreichten. Der Aufruhr hatte ­einen Punkt erreicht, an dem sich viele von Caesars Anhängern Sorgen machten, und bezeichnenderweise war es Antonius’ aus 6.000 Veteranen bestehende Leibgarde, die verlangte, dass sich Antonius öffentlich mit Octavian aussöhnte. Die Beilegung des Streits wurde mit großem Pomp und einer Zeremonie im heiligsten Schrein von Rom begangen, dem Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitol (siehe Karte 2). Der klare Nutznießer davon war Octavian, der sich so noch deutlicher als Antonius ebenbürtig etablierte. Allerdings natürlich nicht in jeder Hinsicht. Octavian hatte zwar reichliche Ressourcen, aber Antonius befehligte eine Armee. Antonius hatte ein konstitutionelles Amt inne, während Octavian, trotz all seiner caesarischen Aura, nichts weiter war als ein Privatmann. Die nächsten Monate über bemühte sich Octavian, diese Lücke zu schließen, und zwar möglichst schnell. Natürlich schaffte er das alles nicht allein, und wir müssen daher einen Blick auf seine Unterstützer und Anhänger werfen und auf die Maßnahmen (oder das Ausbleiben solcher) von Institutionen wie dem Senat. Unterstützung kam von vielen Seiten. Octavians Anhänger waren eine lose zusammengewürfelte Gruppe, die durch ihr Ziel geeint wurde, aber sie waren keine Partei oder Fraktion. Als Caesars Erbe konnte er sich der Loyalität vieler von Caesars Veteranen sicher sein. Zu Caesars Lager hatten auch die Finanzaristokratie gehört und viele vermögende Freigelassene, die keinen bürgerlichen Status besaßen, aber erheblichen wirtschaftlichen Einfluss. Dann gab es noch Caesars vertraute Agenten Gaius Oppius und Cornelius Balbus, die sich während seiner häufigen Abwesenheit um Caesars Angelegen­ heiten in Rom gekümmert hatten. Als Vorläufer des kaiserlichen Führungsstabs waren sie weder gewählt noch vom Senat als Beamte bestätigt worden – Caesar hatte sie aufgrund ihres Fachwissens und ihrer Fähigkeiten ausgesucht; Balbus stammte aus einer wohlhabenden spanischen Familie, hatte die römische Staatsbürgerschaft erworben und sollte später Roms erster im Ausland geborener Konsul sein (40 v. Chr.). Ferner konnte Octavian auf einflussreiche Senatoren zählen, darunter sein Stiefvater Philippus, der sich Octavians Entscheidung, Caesars Testament zu akzeptieren, schließlich fügte und ihn in der Folge nach Kräften unterstützte. Caesar hatte den Senat in einer Weise seinen Wünschen unterworfen, von der Franklin D. Roosevelt nur hätte träumen können, als er Selbiges mit dem Supreme Court versuchte. Der Senat war auf 900 Mitglieder angewachsen, und während die Caesar verbundene Mehrheit wenig Initiative zeigte, stellte sie doch einen ziemlich zuverlässigen Machtblock gegenüber den Bestrebungen derer dar, die Octavian feindlich gesonnen waren. Allerdings waren die einzelnen Caesarianer alles andere als eine homogene Gruppe; auch Antonius besaß Anhänger unter ihnen. Das machte es für Octavian unerlässlich, mehr von ihnen auf seine Seite zu ziehen. 36

Cicero und der Senat Aber was war nun mit dem Senat, diesem Hort der auctoritas? Hier kann man sich leicht in die Irre führen lassen, durch eine wenig sorgfältige Verwendung einer unserer Hauptquellen für diesen Zeitraum: Cicero. Seine Briefe, die er in diesen Monaten schrieb, und die viel gelesenen Schmähreden, die er im Laufe des Jahres gegen Antonius hielt bzw. veröffentlichte, die berühmten vierzehn Reden, die man Philippica nennt (nach ihrem Vorbild, den Philippischen Reden des Griechen Demosthenes, der mit ihnen Philipp, den Vater Alexanders des Großen, angegriffen hatte), laufen Gefahr, einem ein ganz bestimmtes Bild zu vermitteln: als sei alles in hektischer Aktivität gewesen und Roms elder statesman ständig bemüht, dem Senat Beine zu machen. Höchst bezeichnend ist indes die Tatsache, dass Cicero, während er eifrig Briefe schrieb, zwischen dem 17. März und dem 2. September keiner Senatssitzung beiwohnte, und damit war er wohl nicht alleine. Später im Laufe jenes Jahres sollten sich die Dinge erheblich beschleunigen, aber die anfängliche Trägheit wirkte sich zu Octavians Gunsten aus. Er bemühte sich um ein harmonisches Verhältnis mit Cicero und stattete ihm im Frühjahr auf einem seiner Anwesen in Kampanien einen Höflichkeitsbesuch ab, bevor er nach Rom ging. Doch das war erst der Anfang langwieriger Anstrengungen Octavians, eine Freundschaft mit diesem Mann zu kultivieren, der äußerst empfänglich für Schmeichelei war. Und Octavian verstand dies zu nutzen. Das ist klar, obgleich wir lediglich Ciceros Briefe besitzen; Octavian mag darauf geachtet haben, dass seine eigenen Briefe nicht veröffentlicht wurden – es kann gut sein, dass er vorausschauend genug war, zu erkennen, dass er in anderer Hinsicht seine Spuren in der Geschichte hinterlassen würde. Was hätte er wohl erwidert auf Ciceros eitle Prahlereien, wie er sie ausgerechnet Brutus gegenüber äußerte, über „diesen jungen Caesar, … geboren aus dem Quell meiner Ratschläge“ (Cicero, Briefe an Brutus 24.6)? Diese Worte schrieb Cicero Ende Juli des folgenden Jahres, 43 v. Chr. – fünf Monate vor seinem Tod nach einer Proskription (vgl. Kasten 2.4), die Octavian abgesegnet hatte; seine Selbsttäuschung bezüglich der „Ratschläge“ zeigt letztlich, wie effektiv Octavian ihn zu umgarnen verstand. Es gab noch weitere Faktoren im Szenario, das sich jetzt entfaltete. Einer war der akute Mangel an echten Führungspersönlichkeiten, der auf das Blutbad der Bürgerkriege zurückging. Ein altehrwürdiges Geschlecht mit einer Aura von dignitas produzierte ja nicht automatisch Individuen mit echten Führungsquali­täten. Zwar erwuchs aus den aristokratischen Familien stets ein Pool potenzieller Macher, doch von diesen waren nicht mehr viele übrig. Im Senat mit seinen rund 900 Mitgliedern gab es ganze 17 consulares, Personen mit konsularischer Erfahrung. Das ist eine sehr kleine Zahl, wenn man bedenkt, dass in einem einzelnen Jahr oft sogar mehr als zwei Männer als Konsuln wirkten, aufgrund des (natürlichen oder gewaltsamen) Todes eines Kollegen. 37

Je länger eine politische Karriere dauert, desto größer ist natürlich der Ballast. Und diese Tatsache arbeitete gegen Antonius; er mochte noch so sehr prahlen, über wie viel Erfahrung er verfüge: Er hatte einige Leichen im Keller, was ihn nicht gerade zum Liebling der städtischen Bevölkerung und von etlichen der Caesarianer machte. Im Gegensatz dazu war Octavian vollkommen unbelastet. Er war ein neues Gesicht von außerhalb, das zu keiner der üblichen Cliquen gehörte, und für viele stand er für Hoffnung – die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es ist schwer, diese Dinge heute zu beurteilen, weil unsere schriftlichen Quellen einen ziemlich elitären Charakter haben und nicht aus dem gemeinen Volk stammen. Eins ist aber klar: Seine Ankunft sorgte für großes Aufsehen und Resonanz (wir haben Berichte über begeisterte Menschenmassen, die ihn in Kampanien begrüßten), und er konnte diese positive Stimmung für sich nutzen.

Falsches Spiel Doch in der Summe reichten diese Pluspunkte noch nicht aus. Octavian erkannte sehr bald, dass es ihm vor allem an militärischer Stärke mangelte. Verfassungsrechtlich hatte er keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern, schließlich bekleidete er keinerlei Amt. Also rekrutierte er im Oktober 44 v. Chr. eine kleine Armee aus rund 3.000 Caesar-Veteranen. Er marschierte mit ihnen Anfang November in Rom ein und hielt eine Rede, die seine politische Unreife demonstrierte. Als „Diener des Staates, der auf die Bedürfnisse des Staates hörte“ (Appian, Bürgerkriege 3.41), bot er den Einsatz seiner Truppen gegen Antonius’ Machenschaften an. Das Resultat: Viele seiner Veteranen kündigten ihm die Gefolgschaft auf, behielten aber den bereits gezahlten großzügigen Sold – sie hatten sicherlich erwartet, Rache an Brutus und Cassius nehmen zu können, anstatt an einem Verbündeten Caesars. Octavian nahm dies zum Anlass für eine dramatische Geste: Er streckte seine Hand in Richtung der Statue Caesars aus und schwor, seinen Vater mit seinen Taten ehren zu wollen. Dies war Grund genug für Cicero (Briefe an Atticus 16.15.3), ihn „jenen Jungen“ (iste puer) zu nennen – wovon er indes schnell wieder abkam, nur um Antonius umso energischer dafür anzugreifen (vgl. Kasten 1.4). Der Grund dafür war, dass der Junge schnell aus seinen Fehlern lernte. Er musste die Stadt verlassen, um Platz für den eintreffenden Antonius zu machen, aber durch Gesandte machte er sich sofort die Unzufriedenheit der Truppen zunutze, die Antonius südlich von Rom zurückgelassen hatte, um bei den anstehenden Verhandlungen mit dem Senat seinen guten Willen zu demonstrieren. Traditionell war das römische Stadtgebiet für Legionen tabu, aber dieses Gesetz war zu diesem Zeitpunkt bereits mehrmals gebrochen worden, und Antonius’ Soldaten waren in einer rebellischen Stimmung – aus demselben Grund, aus dem Octavians eingekaufte Truppen zuvor fortgegangen waren: Sie hatten einen Marsch auf 38

Rom und gegen den Senat erwartet, um den Tod ihres ermordeten Anführers zu rächen. Hätte Antonius einen solchen Marsch veranlasst, wäre die Geschichte, die wir hier erzählen wollen, an dieser Stelle sicherlich zu Ende gewesen. Antonius hätte die Stadt erobern und die Herrschaft an sich reißen können, und Octavian hätte ihm nichts entgegensetzen können. Stattdessen ließ Octavian seine Agenten ans Werk gehen und gewann zwei von Antonius’ Veteranenlegionen für sich, indem er an sie appellierte, sie sollten „seinem Vater zu Hilfe kommen“, und, was noch entscheidender war, mit großzügigen Schenkungen. Antonius hatte die Wahl – entweder seine restlichen vier Legionen gegen diese beiden ins Feld zu führen und Caesars Veteranen gegeneinander kämpfen zu lassen oder weiterzuziehen, um Norditalien zu erreichen, wo sich eine republiktreue Armee verschanzt hatte. Letzteres Szenario erschien um einiges bedrohlicher; die Region Gallia cisalpina kontrollierte den Zugriff auf das Kernland Italiens, und Antonius beschloss, sich zuerst damit zu befassen. Octavian bekam erneut eine Gnadenfrist. Zu diesem Zeitpunkt erwachte der Senat aus seinem Winterschlaf. An dieser Stelle sollen die verschiedenen Manöver und Ausflüchte des Senats nicht im Detail diskutiert werden, vielmehr wollen wir uns darauf konzentrieren, wie sich Octavian die Situation darstellte. Antonius’ Konsulat würde am Ende des Jahres auslaufen, und dann würde er vom Senat zum Prokonsul einer Provinz ernannt werden, was den Befehl über mehrere Legionen bedeutete. Die Provinz hätte eigentlich Makedonien sein sollen, aber Antonius hatte eine Volksabstimmung durchführen lassen, um sich stattdessen Gallia cisalpina übertragen zu lassen. Der dortige Kommandeur, Anfang 44 v. Chr. durch Caesar ausgewählt, war Decimus Brutus, der sich später den Verschwörern angeschlossen hatte. Er machte deutlich, dass er nicht vorhabe, seine eigenen Legionen, die ihm treu geblieben waren, Antonius zu überlassen. Antonius’ Rückendeckung im Senat begann indessen zu bröckeln; er wurde dem Senat, der mehrheitlich aus Caesar-Sympathisanten bestand, allmählich einfach zu mächtig. Octavian erkannte, dass sich eine neue Gelegenheit auftat. Mit Cicero handelte er aus, dass der Senat seine Privatarmee gegen Antonius führen durfte, als Gegenleistung für einige durch Abstimmung abgesegnete Vorteile: eine bevorzugte Mitgliedschaft im Senat, vergleichbar mit der eines consularis, und die Legitimation von Octavians Position durch Übertragung eines Kommandos, vergleichbar mit dem eines Prätors. Ein zusätzlicher Bonus war, dass man die Zeit, die er eigentlich noch auf ein Konsulat warten musste, um zehn Jahre verkürzte. Das durch die Verfassung festgelegte Mindestalter für Konsuln war 40 Jahre gewesen, und das bedeutet, dass Octavian trotz dieser Verkürzung immer noch zwölf Jahre vom Konsulat trennten; die nun folgenden Ereignisse sollten diese Regelung jedoch schnell ad absurdum führen. Nachdem der Deal unter Dach und Fach war, hielt Cicero seine verbleibenden dreizehn Philippica. 39

Es lohnt sich, hier einen Moment innezuhalten und kurz zu untersuchen, was das alles zu bedeuten hatte. Cicero handelte so, wie es für seine ganze Karriere ­typisch war: Er hatte stets mit seiner großartigen Rhetorik und schillernden Beschimpfungen brilliert, aber das alles konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er kaum Rezepte zur Hand hatte, wie man den ganz realen sozialen und wirtschaftlichen Problemen begegnen konnte. Im Grunde war Ciceros Fanatismus, wie Syme pointiert anmerkte (der nicht gerade ein begeisterter Anhänger von Octavian war), nun nichts weiter als ein letzter verzweifelter Versuch, sich zu rehabilitieren und seinen Führungsanspruch zu behaupten: „Er wusste, wie wenig er trotz seines ­Talents und seiner Beteuerungen für die Republik vollbracht hatte, wie schmählich er von seinem Posten nach dem 17. März desertiert war, als Eintracht und eine geordnete Regierung noch zu erreichen gewesen wären“ (2003, S. 151). Es ist eine traurige Ironie, dass das Programm dieses talentierten Mannes inzwischen zum genauen Gegenteil aller republikanischen Bestrebungen pervertiert war. Er sorgte dafür, dass der Senat den Einsatz der illegalen Armee eines Warlords gegen den rechtmäßig gewählten Konsul der Republik legitimierte. Er brach mit allen Konventionen, indem er den Senat sich selbst ein neues Mitglied hinzuwählen ließ. Und das tat er, indem er Octavian eine offizielle Ausnahmegenehmigung hinsichtlich des in der Republik vorgesehenen Mindestalters zur Aufnahme von Roms höchstem Amt erteilen ließ. Ziel war es, Decimus Brutus, dem Verteidiger der Republik, zu Hilfe zu kommen – aber die Mittel triumphierten am Ende über den Zweck, machtpolitische Erwägungen einmal mehr über politische Grundsätze. Was sollte Octavian von alledem halten? Auf jeden Fall war es eine prägende Erfahrung für ihn. Ihm wurde aus erster Hand vermittelt, dass die Verfassungsorgane der Republik beschädigt waren, wenn nicht sogar bankrott. Als er später die res publica als Augustus wieder aufbaute, legte er den Schwerpunkt nicht auf die Wiederherstellung aller formalen Bestimmungen, sondern konzentrierte sich auf die Substanz. Als Spross einer Familie aus Velitrae besaß er großen Respekt vor den traditionellen Werten Italiens, die er den Menschen neu zu vermitteln versuchte. Andererseits kam er auf höchst unkonventionelle Weise an die Macht, unter Umgehung des üblichen cursus honorum und des damit verbundenen bürokratischen Aufwands; er war kein Produkt des alten politischen Systems, und umso großzügiger warf er alte Konventionen über den Haufen. Die Kombination dieser zwei Aspekte – auf der einen Seite Traditionalismus, auf der anderen Aufbruch und Innovation – sollte zum Markenzeichen seiner Herrschaft werden. Im Moment jedoch waren andere Dinge wichtiger: Octavian war klar, dass seine Truppen niemals im Namen eines der Caesarmörder gegen einen von Caesars engsten Freunden kämpfen würden. Cicero ahnte das; er war damit zufrieden, dass sich in Norditalien ein Patt entwickelte – Decimus war im April 43 v. Chr. erfolgreich aus der belagerten Stadt Mutina ausgebrochen, und die Niederlage zwang Antonius, sich mit seinen Truppen weiter nach Norden zurückzu­ 40

ziehen. Cicero blieb weiterhin in Kontakt mit Brutus und Cassius. Die Republik war noch nicht tot, und es zeichnete sich ab, dass Octavian dort nicht benötigt wurde und sich vielleicht besser anderswo aufhielt. Aber wo konnte das sein? ­Cicero drückte es in koketter Zweideutigkeit so aus: „Der junge Mann sollte gelobt, geschmückt und emporgehoben werden“ (Briefe an Freunde und Familie 11.20.1.); „emporgehoben werden“ konnte zweierlei bedeuten – entweder die nächste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen oder ins Jenseits befördert zu werden. Der junge Mann antwortete, Letzteres zu erreichen habe er keine Eile. Auch wenn er dem Vorbild seines „Vaters“ nacheiferte, insbesondere darin, vergöttlicht zu werden, war er zugleich entschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen – und schon bald sorgte er dafür, dass statt seiner Cicero sein Leben aushauchte.

Octavians Staatsstreich In der Zwischenzeit demonstrierte der neunzehnjährige Octavian, dass er ein Händchen dafür hatte, zu erkennen, was die Stunde geschlagen hatte, und die Ereignisse, die ihn zu gefährden drohten, zu seinen Gunsten zu nutzen. Die beiden Konsuln des laufenden Jahres, Hirtius und Pansa, waren die Anführer der caesarnahen Anti-Antonius-Fraktion im Senat und befehligten die Legionen, die Decimus Brutus gegen Antonius zu Hilfe kamen. Der Feldzug war erfolgreich, aber beide starben in einer Schlacht, für die Octavian für seine Tapferkeit ausgezeichnet wurde. Cicero versuchte die Lücke zu füllen, indem er Brutus und Cassius ersuchte, mit ihren Truppen nach Italien zurückzukehren, und der Senat begann, Octavian geringschätzig zu behandeln. Octavian erkannte die Gefahr, und er wusste damit umzugehen. Er war der einzige Befehlshaber in Italien, der eine kampffähige Armee zur Hand hatte – acht Legionen –, und ihm war klar, dass er sich nur mit Gewalt durchsetzen konnte. Dennoch schlug er zunächst Cicero und danach dem Senat vor, dass er und Cicero die neuen Konsuln sein sollten – ein Angebot, das sowohl der Senat als auch Cicero ablehnten. Und so marschierte Octavian Ende Juli 43 v. Chr. auf Rom, ohne sich vom Senat aufhalten zu lassen, der ihm in letzter Minute immer größere Zugeständnisse machte. Die Bevölkerung Roms empfing ihn begeistert, und seine Zenturionen zwangen den Senat unter vorgehaltenem Schwert zur Zusammenarbeit. Octavian wurde unter Missachtung der üblichen bürokratischen Präliminarien am 19. August durch die Wahlversammlung zum Konsul gewählt – und nicht ganz zufällig ratifizierte die Comitia Curiata noch am selben Tag endlich seine Adoption durch Julius Caesar. Im Nachhinein wird vor allem im Hinblick auf all das, was in den Monaten zuvor geschehen war, deutlich, dass Octavians Erfolg alles andere als selbstverständlich war und dass sein Schicksal immer wieder in der Schwebe hing. Natürlich spielten der Staatsstreich und die Übernahme des Konsulats eine entscheidende Rolle, aber sie waren dennoch erst der Anfang jahrelanger erheb­ 41

licher Herausforderungen und Schwierigkeiten. Über diese Jahre wissen wir wesentlich mehr (erst beim Übergang von der Republik zur Monarchie reißen die Informationen wieder ab), und wir können die Ereignisse ein wenig schneller abhandeln, auch wenn wir die Prägnanz von Augustus’ eigener Zusammenfassung dabei nicht erreichen können. Die Res Gestae beginnen folgendermaßen (1.1–4): 1. Im Alter von neunzehn Jahren habe ich aus privater Initiative und mit meinen eigenen Mitteln ein Heer aufgestellt, mit dem ich der durch Gewaltherrschaft einer politischen Fraktion unterdrückten res publica die Freiheit wiedergab. 2. Deshalb hat mich der Senat im Jahr des Konsulats von Gaius Pansa und Aulus Hirtius mit ehrenvollen Beschlüssen in seine Mitte aufgenommen, mir das Recht verliehen, bei Abstimmungen meine Meinung kundzutun, sowie die militärische Befehlsgewalt (imperium). 3. Er verlieh mir den Rang eines Propraetors, damit ich zugleich mit den Konsuln dafür sorgte, dass die res publica keinen Schaden erlitt. 4. Als beide Konsuln jedoch im selben Jahr im Krieg gefallen waren, wählte (creavit) mich das Volk zum Konsul und zum Triumvirn, damit ich den Staat neu ordnete.

Es ist eine brillante Passage – wenige (vor allem wenige unschöne) Details und viele Wörter und Wendungen, die bestimmte Bilder heraufbeschwören. Neunzehn Jahre: Das evoziert Alexander den Großen. Der Privatmann, der sich aufmacht, um dem Staat zu helfen: Er ist der wahre Erbe des Brutus, der Roms letzten etruskischen König stürzte und die libera res publica gründete – für Staatsmänner wie Pompeius ein wahrer Ausbund an Tugend. Der Befreier des Gemeinwesens aus der Unterdrückung durch politische Fraktionen: Auch dieser Satz war, so schön er klang, zuvor von anderen verwendet worden – hier präsentiert er den jungen Octavian (und nicht etwa Brutus oder Cassius) als wahren Befreier. Mit keiner Silbe erwähnt der die chaotischen Manöver und den Militärputsch: Vielmehr war es offenbar das Volk, das den jungen Mann zum Konsul und Triumvirn machte; das Triumvirat, bei dem Octavian der Juniorpartner war, war die Junta, die er, Antonius und Lepidus im November 43 v. Chr. einrichteten. So ist diese Passage ebenso bemerkenswert für das, was sie auslässt, wie für das, was in Bronze und Stein gemeißelt ist.

Die blutigen Jahre Das gilt umso mehr für die Ereignisse von Ende 43 bis 30 v. Chr., nach denen er allein als Anführer übrig blieb. Antonius und Kleopatra waren am 2. September 31 v. Chr. in Actium unterlegen, und nach dem Selbstmord des Paars im August des folgenden Jahres eroberte Octavian Alexandria. Augustus entschloss sich, in den Res Gestae keine (wie auch immer verkürzte) chronologische Darstellung der Ereignisse dieses Zeitraums zu geben und baute nur gelegentliche Verweise darauf 42

in das gesamte Werk ein. Einer seiner Nachfolger, der wissenschaftlich interessierte Kaiser Claudius, Livias Enkel, begann seine Geschichte „mit dem Mord an Julius Caesar, dann übersprang er ein paar Jahre und setzte am Ende des Bürgerkriegs wieder ein, weil er aus den Erzählungen seiner Mutter und seiner Großmutter wusste, dass er einen freien und ungeschminkten Bericht über die Zeit dazwischen niemals würde veröffentlichen dürfen“ (Sueton, Claudius 41) – das Thema war so heikel, dass man in der Verwandtschaft damit immer jemandem auf die Füße trat. Der Grund für beider Schweigen ist, dass Octavian in jenen Jahren ein Verhalten an den Tag legte, das sich von dem seiner späteren Inkarnation als ­Augustus deutlich unterschied. Viele seiner Zeitgenossen lernten nie, dieser Transformation zu trauen, und hatten immer Angst, dass hinter den milden, gefassten und paradoxerweise stets jugendlichen Zügen der allgegenwärtigen AugustusPorträts immer noch der alte Octavian lauerte. Es war eine Zeit extremer Gewalt und Exzesse – „ohne Gesetz und Sitte“, wie Tacitus schreibt. Und gerade weil Octavian in dieser Zeit im Mittelpunkt stand und sich unter enormem Druck befand, erleben wir rohe Emotionen und Leidenschaft seinerseits eher in diesen Jahren als später, als er Zeit gehabt hatte, sich eine sorgfältig stilisierte Rolle zuzulegen. Das soll indes nicht heißen, dass wir hier endlich einmal den „echten“ Augustus erleben oder „den Mann hinter der Maske“. Doch auch wenn er sich weiterentwickelte, hinterließ sein Verhalten während dieser Zeit, in der er extremem Druck ausgesetzt war, einen unauslöschlichen Eindruck. Seine Handlungen decken dabei ein großes und faszinierendes Spektrum ab; daher werden wir uns zuerst mit einigen dieser Momente auseinandersetzen und erst später in der chronologischen Darstellung fortfahren.

Nahaufnahme Octavian: Negatives Wie wir bereits gesehen haben, war Octavians körperliche Verfassung bereits in seiner Kindheit nicht die beste. Daher waren Krankheiten seine ständigen Begleiter, vor allem in Zeiten, in denen sich Entscheidendes ereignete. Bei Philippi kämpfte er weniger gegen Brutus und Cassius, als dass er unter seiner Wassersucht litt. Seine Aufgabe war es, das Lager zu verteidigen, aber am Tag vor der Schlacht verließ er seinen Posten, sowohl auf Anraten seines Arztes – er war geraume Zeit krank – als auch aufgrund eines Traumes. Er versteckte sich ganze drei Tage in den umliegenden Sümpfen, nur um als ein „durch die Bauchwassersucht Aufgeschwollener“ zurückzukehren (Plinius, Naturgeschichte 7.148, nach Berichten von keinen Geringeren als Agrippa und Maecenas; vgl. Kasten 4.1). Die eigentliche Schlacht gewann Feldherr Antonius. Octavian kämpfte gegen die Schmach an, indem er sich auf höchst unappetitliche Weise, fast wie ein homerischer Krieger, an Brutus’ Leiche austobte – er schnitt ihr den Kopf ab und befahl, dass man ihn nach Rom schicke, um ihn dort auf dem Forum für alle sichtbar auszustellen (er kam aller43

dings nie dort an, denn das Schiff verlor im Sturm seine ganze Ladung). Hier hat Shakespeare ausnahmsweise einmal Recht: Antonius war der Großmütigere der beiden, und so legt er die Rede auf Brutus als „edelsten aller Römer“ ganz richtig Antonius und nicht Octavian in den Mund. Bei den nachfolgenden Vereinbarungen, die zwischen den Siegern getroffen wurden, erhielt Octavian eine Aufgabe, die reichlich sozialen Sprengstoff barg: Er sollte die Grundeigentümer 18 ita­ lischer Städte enteignen, um etwa 50.000–60.000 Soldaten auf deren Grund und Boden anzusiedeln; die Belastungen dieser Aufgabe mögen dazu beigetragen ­haben, dass er erneut erkrankte, sobald er in Italien eintraf. Wie stets erholte er sich jedoch und gab sich unnachgiebig, selbst als kurz darauf die Hölle los war, weil die zugewiesenen Ländereien nicht ausreichten und zusätzliche Immobilien beschlagnahmt werden mussten. Der vielleicht berühmteste Fall, dass er während einer entscheidenden Schlacht krank war, ereignete sich in Actium. Das Bild des seekranken Octavian, der in der Krankenstation des Kommandoschiffs hin- und herschwankt, ist vor allem durch Literatur und Film berühmt geworden. Tatsächlich belegt ist es natürlich nicht. Historiker sind sich inzwischen darüber einig, dass die Schlacht selbst eine eher müde Angelegenheit war, und ihr Ausgang war schon im Vorfeld lange absehbar. Da Actium jedoch einen Wendepunkt markierte, wurden Berichte über die Schlacht schnell mit immer blumigeren Bildern ausgeschmückt; „der wahre Verlauf“, stellt Syme (2003, S. 306) lapidar fest, „kann nicht mehr wiedergegeben werden.“ Das Motiv des beim Kampf abwesenden Octavian findet sich in den Texten der wichtigsten Historiker nicht; sie mag dem Bestreben seitens der Sympathisanten von Antonius geschuldet sein, Octavian zu verleumden und als Feigling darzustellen, der immer rechtzeitig krank wurde, um anderen das Kämpfen zu überlassen. Eben darauf wiederum mag Vergil reagiert haben, als er in einer der am deutlichsten der Verherrlichung dienenden Passagen der Aeneis Augustus voll ­Pathos beschreibt, wie er „am hoch aufragenden Heck“ steht (Aeneis 8.680) – eine Phrase, mit der der Dichter weiter vorne im Epos seinen Helden Aeneas beschreibt. Und mit Hilfe von Apollo und mit Caesars Stern über sich führt er „die Italier … in die Schlacht“ gegen die unzivilisierten Horden (und Götter) des Ostens. Octavian überließ dem erfahreneren Agrippa in der Schlacht das Oberkommando, während er von einer kleineren Brigantine aus Operationen leitete; die verleumderische Überlieferung mag ein Spiegel dieser Tatsachen sein. Wenn hier irgendjemand krank war, dann viele von Antonius’ Soldaten, die unter Hunger und einer Vielzahl von Krankheiten litten. Dio schildert in grellen Farben, wie eine ganze Reihe von ihnen auf ihren Schiffen verbrannte, als Octavian sie mit Feuergeschossen angreifen ließ. Andere sprangen ins Wasser und ertranken oder wurden „zerrissen von wilden Meeresungeheuern“. Offenbar beschränkte sich der Erfindungsreichtum unserer historischen Quellen nicht auf Geschichten über den kranken Octavian (siehe Kasten 2.3). 44

2.3. Szenen aus der Schlacht von Actium „Mitten [auf dem Schild] sah man bronzene Flotten, die Schlacht von Actium, sah ganz Leukate umkämpft und von der Rüstung des Kampf golden schimmernde Wellen. Caesar Augustus führt die Italier mit dem Senat und dem Volk, den Penaten und obersten Göttern in die Schlacht, er steht am hoch aufragenden Heck, da erscheint auf seinem fröhlichen Haupt ein doppeltes Licht, und es blitzt dort der Stern des Vaters auf. Etwas weiter entfernt, begünstigt durch Götter und Winde, führt der große Agrippa den Zug, auf der Stirn die Krone der Marine, mit Schnäbeln gespickt, ein prächtig funkelndes Kriegszeichen. Von hier führt mit barbarischer Kraft und verschiedenen Waffen Antonius, der Sieger über die Völker Auroras und die rote Küste, Ägypten und die Macht des Ostens und sogar das weit entfernte Baktra mit sich, und ihm folgt – welche Schmach – seine ägyptische Ehefrau … Inmitten der Schlacht befindet sich die Königin [Kleopatra]; mit dem ihr vertrauten Sistrum treibt sie zum Kampf an, doch dabei sieht sie nicht hinter sich die zwei Schlangen. All die monströsen, unförmigen Gottheiten und der Hundsgott Anubis kämpfen gegen Neptun und gegen Venus und Minerva. Mars, in Eisen gewandet, wütet inmitten der Schlacht …“ Vergil, Aeneis 8.675–688, 696–700 Dies ist eine von nur drei Stellen in Vergils Epos, wo Augustus namentlich genannt wird. Der Anlass ist der Schild, den der Gott Vulkan, Ehemann von Aeneas’ Mutter Venus, für Aeneas, Augustus’ und Roms Stammvater, schmiedet. Mit seiner Darstellung von Szenen aus der römischen Geschichte ist dieser Schild ein aktualisiertes Gegenstück zum Schild des Achilleus in Homers Ilias. Vergil beschließt die Episode äußerst geschickt, indem er schreibt, dass Aeneas (ein Zeitgenosse von Achilleus, gegen den er in Troja gekämpft hatte), obgleich er die Bedeutung der Darstellungen auf dem Schild nicht verstand, sich an ihrem Anblick erfreute und „seines Volkes glorreiche Zukunft schulterte“. Dio berichtet in Prosa (50.35.1–4), aber auch er hat durchaus einen Hang zum Dramatischen: „Als sich das Feuer auf die umlaufenden Schiffswände ausbreitete und hinabstieg in den Laderaum, erlitten die Männer das schrecklichste Schicksal. Einige, vor allem die Seeleute, starben durch den Rauch, noch bevor sich die Flammen ihnen näherten, andere verbrannten wiederum inmitten des Feuers, als 45

würden sie im Ofen geröstet. Wieder andere starben, weil sich ihre Rüstung zu stark erhitzte. Und es gab daneben auch welche, die, bevor sie einen solchen Tod erlitten oder als sie schon halb verbrannt waren, sich ihrer Rüstung entledigten und sogleich durch Geschosse aus der Ferne verwundet wurden oder ins Meer sprangen und ertranken oder von ihren Gegnern erschlagen wurden und im Meer versanken und von Seeungeheuern zerfleischt wurden. Angesichts des Leids, das herrschte, waren die einzigen, die einen erträglichen Tod erfuhren, diejenigen, die sich von ihren Kameraden im Gegenzug für den gleichen Dienst töten ließen oder sich selbst umbrachten, bevor ihnen ein solches Schicksal widerfahren konnte, denn sie hatten keine Qualen zu erleiden, und die brennenden Schiffe waren zugleich noch ihr Scheiterhaufen.“ 

Übersetzung nach E. Cary, mit Änderungen

Ein weitaus zuverlässigeres Beispiel, über das Plinius (Naturgeschichte 7.148) als Teil seiner Aufzählung der vielen Wechselfälle in Augustus’ Leben berichtet (Kasten 4.1), ist der Vorfall, als er einmal tatsächlich die Grenze seiner Belastbarkeit erreichte und Selbstmordabsichten hegte. Der Druck auf ihn war unerbittlich. Es gab anhaltende Unruhen wegen der Enteignungen, des Kriegs in Italien gegen Antonius’ Bruder Lucius und der allgegenwärtigen Bedrohung durch eine Seeblockade Italiens und seines Lebensmittelnachschubs durch Pompeius’ Sohn Sextus, der Sizilien in seiner Gewalt hatte und über eine große Flotte verfügte. All dies (und noch mehr, wie wir sehen werden) als Kampf um Leben und Tod zu bezeichnen, ist beileibe keine Übertreibung. Im Bemühen, Sextus zu besiegen, ließ ­Octavian drei seiner Legionen nach Sizilien übersetzen, aber dann erlitt er eine vernichtende Niederlage gegen Sextus’ Flotte, die ihn mehr als die Hälfte seiner Schiffe kostete (den Sieg errang er erst ein paar Wochen später, im September 36 v. Chr., vor der sizilischen Küste in Höhe von Naulochoi). Nach der Niederlage war Octavian von seinen Truppen und dem italienischen Festland abgeschnitten und völlig verzweifelt; und so bat er seinen Freund Proculeius, ihn zu töten. Proculeius weigerte sich, und schon bald erreichte Octavian wieder Italien und wurde von einem freundlichen Aufgebot von Soldaten willkommen geheißen. Es gab aber noch weitere Momente, in denen es für ihn auf Messers Schneide stand. Die Berichte über seinen auffälligen Hang zur Grausamkeit in dieser Zeit füllen ganze Bücher, und das täten sie nicht, wenn sie (bei aller Übertreibung) keinen wahren Kern hätten. Ein Beispiel dafür ist die Verstümmelung von Brutus’ Leichnam, ein anderes ebenso homerisch anmutendes war seine Antwort, als ­einige von Brutus’ prominentesten Spießgesellen vor ihrer Hinrichtung um ein ordnungsgemäßes Begräbnis baten: „Darum sollen sich die Aasvögel kümmern“ (Sueton, Augustus 13). Nach Ulpian, einem Juristen des 3. Jahrhunderts, war dies 46

2.4. Der Tod des Cicero „Inzwischen kamen die Mörder an, welches der Hauptmann Herennius und der Oberste Popilius mit einiger Mannschaft waren. Popilius war vormals selbst vom Cicero wider die Anklage, dass er seinen Vater umgebracht, verteidigt worden. Sie schlugen die verschlossenen Türen in Ciceros Hause auf, und die Leute daselbst sagten, dass sie nicht wüssten, wo Cicero wäre. Aber ein junger Mensch, den Cicero selbst in den schönen Wissenschaften und der Philosophie unterrichtet hatte, namens Philologus, ein Freigelassener seines Bruders Quintus, entdeckte dem Obersten, dass sich Cicero in einer Sänfte durch das dichte schattige Gebüsche ans Meer hin tragen ließe. Der Oberste lief sogleich mit einigen von seinen Leuten an den Ausgang des Gebüsches und Herennius durch die Gänge. Wie Cicero den Herennius herangelaufen kommen sah, befahl er seinen Sklaven, die Sänfte niederzusetzen. Er fasste sich, wie er zu tun gewohnt war, mit seiner linken Hand ans Kinn und sah seine Mörder mit einem starren Blicke an; seine traurige Gestalt sein langer Bart und der Kummer in seinem Gesichte hatten ihn ganz verstellt, und die meisten von des Herennius Gefolge wandten ihre Augen weg, als ihn Herennius, indem er eben seinen Hals zur Sänfte herausstreckte, tötete. Er war vierundsechzig Jahre alt geworden. Sein Mörder hieb ihm nach dem Befehle des Antonius den Kopf und die rechte Hand ab, mit welcher er die philippischen Reden wider den Antonius, welche noch bis jetzt diesen Namen führen, geschrieben hatte. Antonius hielt eben eine Wahlversammlung, als des Cicero Kopf und Hand nach Rom gebracht wurden, und er schrie, sobald er dieses sah: ,Die Achtserklärungen haben nunmehr ein Ende.‘ Den Kopf und die Hand aber ließ er vor der Rednerbühne aufstecken, welches für die Römer ein entsetzlicher Anblick war, indem sie nicht sowohl des Cicero Gesicht als das Bild von Antonius’ Seele zu sehen glaubten.“ Plutarch, Leben des Cicero 48–49 (Übersetzung G. B. von Schirach); vgl. Appian, Bürgerkriege 4,19–20 Dio (47.8.4) fügt noch ein Detail hinzu: „Fulvia nahm den Kopf in ihre Hände, bevor er entfernt wurde, und nachdem sie ihn schändlich misshandelt und bespuckt hatte, setzte sie ihn auf ihre Knie, öffnete den Mund und zog die Zunge heraus. Sie durchbohrte sie mit den Nadeln, die sie für ihr Haar verwendete, und stieß dabei viele grausame Scherzworte aus.“

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sicherlich eine Ausnahme von der allgemeinen bürgerlichen Konventionen, die ­Augustus in seiner Autobiographie bestätigt. Bei dieser Gelegenheit berichtet ­Sueton noch von einem weiteren Vorfall: Ein Vater und ein Sohn baten darum, dass man ihnen das Leben lasse. Octavian teilte ihnen mit, er werde einen von ihnen verschonen – und dass sie ausknobeln sollten, wer von beiden sterben müsse, mit Hilfe des römischen Äquivalents zu „Schere, Stein, Papier“. Stattdessen beschloss der Vater, sich zu opfern, woraufhin der Sohn Selbstmord beging; Octavian sah sich das ganze Schauspiel an. Das weitaus spektakulärste Beispiel für Octavians Grausamkeit fand jedoch nach der Kapitulation der Stadt Perusia (heute: Perugia) statt, nachdem Octavian Lucius Antonius und seine Anhänger belagert und ausgehungert hatte: Es heißt, er habe an den Iden des März 40 v. Chr. rund 300 Mitglieder der lokalen Oberschicht auf dem Altar des Divus Julius geopfert. Die Zahl mag hoch erscheinen, aber unsere Quellen dazu, Dio und Appian, sind einigermaßen vertrauenswürdig. Zahlreichen anderen Personen, die um ihr Leben bettelten, gab er die routinemäßige Antwort: „Es ist Zeit zu sterben.“ Der unpersönliche Charakter dieses Satzes (moriendum est) spiegelt eine emotionale Gleichgültigkeit und Kälte wider, die ebenso zu Octavian gehörte wie seine leidenschaftlichen Ausbrüche. Es herrschte eine allgemeine Atmosphäre der Gewalt, und wie es bei den antiken Historikern üblich war, brauchte eine solche Atmosphäre einen prominenten Protagonisten – da kam Octavian gerade recht. Einer der wichtigsten Aspekte dabei waren die entsetzlichen Proskriptionen. Eine Proskription bedeutete, wie ein Gladiatorenkampf, nicht automatisch den Tod; viele, die auf den Proskriptionslisten standen, retteten ihr Leben und einige sogar ein paar Besitztümer. Aber die allgemeine Stimmung wurde von den zahlreichen Hinrichtungen beherrscht und von den Horrorgeschichten darüber, die ein eigenes, ständig wachsendes und immer schillernderes Erzählgenre darstellten. Die Szenarien reichten von Ciceros Tod (Kasten 2.4) bis hin zu Klatschgeschichten wie derjenigen von einer Frau, die dafür sorgte, dass ihr Mann auf die Liste gesetzt wurde, und seine Hinrichtung in der gleichen Nacht beim Sex mit ihrem Liebhaber feierte. Aber selbst wenn wir ein wenig Sensationslust einrechnen, kann niemand bestreiten, dass die Proskrip­ tionen für ein allgemeines Trauma sorgten – und das gilt für viele grausame Vorkommnisse jener Zeit.

Nahaufnahme Octavian: Positives Wenn wir Bilanz ziehen wollen, sollten wir jedoch darauf hinweisen, dass Octavian sich niemals langfristig durchgesetzt hätte, wenn er nicht mehr gewesen wäre als ein ständig kranker, abwesender Heerführer, ein gewalttätiger Feigling und der Inbegriff unerbittlicher Grausamkeit. Der Grund dafür, dass ich seinen negativen Seiten so viel Aufmerksamkeit geschenkt habe, ist, dass sein damaliges brutales 48

Verhalten die allgemeine brutale Stimmung jener Zeit widerspiegelte. Ein solches Verhalten wollte aus der Perspektive des späteren „augusteischen“ Zeitalters gar nicht zu ihm passen, als er nicht mehr zu solchen Exzessen neigte und man versuchte, die früheren Ereignisse zu verharmlosen oder sogar komplett unter den Teppich zu kehren; Octavian ließ auffällig viele Aufzeichnungen aus jener Zeit vernichten. Das aber ist nicht der einzige Grund, warum man eine allzu einseitige Darstellung seiner Person während der Triumviratszeit vermeiden muss. Genauso viele Beispiele gibt es für seine positiven Eigenschaften, selbst in den Bereichen, in denen er negativ auffiel. Während des langwierigen Krieges Mitte der 30er Jahre v. Chr. in Illyrien (dem heutigen Serbien) beispielsweise kämpfte er an vorderster Front und wurde mindestens zweimal verwundet. Er wurde außerdem zweimal für seine militärischen Erfolge ausgezeichnet, mit einer ovatio, einer Siegesfeier nur eine Stufe unter dem Triumph. Dabei wurde er zum imperator erklärt, und Octavian nutzte die erste solche Gelegenheit im Jahr 40 v. Chr., um es besser zu machen als Caesar: Anstatt diesen Titel wie Caesar dauerhaft zu führen, nahm er ihn als Vornamen an. Fortan war sein Name Imperator Caesar Divi Filius. „Gaius Octavius“ war für immer verschwunden. Körperlich war der frühere Gaius Octavius, wie wir gesehen haben, nicht dazu bestimmt, sich im aktiven Kampf auszuzeichnen, noch war Imperator Caesar D. F. ein brillanter General. Das war auch gar nicht notwendig, denn das konnten andere übernehmen. Viel wichtiger war es für Octavian, dass seine Truppen ihn langfristig respektierten; Geld und zugewiesene Grundstücke allein vollbrachten das nicht – wohl aber seine Hartnäckigkeit. Ein gutes Beispiel dafür stammt aus der Zeit unmittelbar nach dem Sieg über Sextus Pompeius auf Sizilien im Jahr 36 v. Chr. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame militärische Operation mit Lepidus, und Octavian wollte die Gelegenheit nutzen, um sich als Heerführer durchzusetzen – dabei orientierte er sich ausnahmsweise an Antonius, der sieben Jahre zuvor und nur mit ein paar Leibwachen an seiner Seite ins Lager von Lepidus marschiert war und diesen seines Oberbefehls enthoben hatte. Aber anders als Antonius scheiterte Octavian bei seiner Aktion, die die Soldaten beeindrucken sollte, kläglich. Einige verspotteten ihn, und viele waren verärgert, dass er sie nicht die verlockende Stadt Messina hatte plündern lassen; neben ihrem Sold zählten römische Legionäre darauf, ihr Einkommen durch Plünderungen aufzubessern. Einige von Octavians eigenen Leibwachen wurden sogar getötet, er selbst entkam dem Anschlag nur knapp. Diese Episode gemahnt uns, dass die Geschichte immer lehrreich ist, sich aber nur selten wiederholt. Was folgte, war allerdings eine echte Machtdemonstration: Octavian riegelte Lepidus’ Lager ab, und schon bald begannen Lepidus’ Soldaten, an die 70.000 Mann, zu ihm überzulaufen – erst einzeln, dann in Gruppen, schließlich sogar als komplette Einheiten. Lepidus, der aus einer adligen Familie stammte und den Caesar vor allem aufgrund seiner diplomatischen Fähigkeiten ausgewählt hatte, war nicht gerade für furchtloses Handeln in 49

2.5. Octavian als Retter in der Not Die folgenden Auszüge stammen aus einer der längsten privaten römischen Inschriften in Stein. Es ist die Grabrede eines römischen Adligen aus dem späten 1. Jahrhundert v. Chr., der auf die Proskriptionsliste geraten war, auf seine Frau. Der Name der Frau ist den erhaltenen Fragmenten der Inschrift leider nicht zu entnehmen, nicht einmal der ihres Mannes; der Frau hat man aufgrund einer ganz ähnlichen Geschichte in einer anderen literarischen Quelle den Namen Turia gegeben. „Caesar [Octavian] hatte Recht, als er sagte, dass du es warst, die es ihm ermöglichte, mir mein heimatliches Stück Land wiederzugeben, denn nur aufgrund der Arrangements, die du trafst, um mich zu retten, konnte er sein Versprechen, mir zu helfen, in die Tat umsetzen … Aber ich muss sagen, dass mir das Bitterste, das mir je in meinem Leben begegnete, durch das widerfuhr, was dir geschah. Als ich dank der Freundlichkeit und des Urteilsvermögens Caesars, der außer Landes war, meinem Land als Bürger bereits zurückgegeben werden sollte, da brachte man deine Anfrage bezüglich meines Rückrufs vor Marcus Lepidus, seinen Kollegen, der sich in Rom befand; und du lagst hingestreckt zu seinen Füßen und man half dir nicht nur nicht auf, sondern zerrte dich brutal fort, wie eine Sklavin. Aber obgleich dein Körper voller blauer Flecken war, war dein Glaube ungebrochen, und du erinnertest ihn an Caesars Verfügung und den Ausdruck seiner Freude bei meiner Rehabilitation, und obwohl du beleidigende Worte hörtest und grausame Wunden erlittest, sprachst du mit lauter Stimme die Worte der Verfügung, damit bekannt würde, wer daran schuld war, dass ich in tödlicher Gefahr schwebte. Dieser Punkt sollte sich bald als nachteilig für ihn erweisen. Was hätte wirkungsvoller sein können als die Tugend, die du gezeigt hast? Du gabst Caesar Gelegenheit, seine Milde zu zeigen, und nicht nur, um mein Leben zu retten, sondern auch, um mittels deiner bewundernswerten Ausdauer Lepidus’ unverschämte Grausamkeit zu brandmarken … Als der Frieden auf der Welt und die rechtmäßige politische Ordnung wiederhergestellt worden waren, genossen wir endlich friedliche und glückliche Zeiten.“ ILS (= Inscriptiones Latinae Selectae, hrsg. von H. Dessau) 8393, ergänzt durch ein 1950 veröffentlichtes Fragment. Diese Sammlung lateinischer Inschriften ist online auf verschiedenen Websites verfügbar.

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der Schlacht, für die Nähe zu seinen Soldaten oder für seine Ausdauer bekannt. Er verlor die Unterstützung seiner Soldaten in dem Maße, wie Octavian sie gewann. Am Ende war er es, der in Trauerkleidung als Bittsteller in Octavians Lager kam. Nichtsdestotrotz demonstrierte Octavian Lepidus gegenüber nicht nur Härte, sondern war durchaus auch milde und barmherzig: Diesmal gab es kein moriendum est; stattdessen schickte er Lepidus in den Vorruhestand in der gemütlichen Küstenstadt Circeii. Wenn Menschen zu ihm kamen, die ins Visier der Proskrip­ tion geraten waren oder deren Land konfisziert werden sollte, konnten sie bei Octavian nicht unbedingt auf Barmherzigkeit hoffen, aber doch immerhin auf einen greifbaren Aufschub. Ein bewegendes Beispiel stammt aus einer langen Inschrift, dem sogenannten „Lob der Turia“ (laudatio Turiae). Es wurde von einem Mann verfasst, der auf die Proskriptionsliste kam und dessen Frau, Turia, bei Octavian eine Begnadigung bewirkte, was Lepidus zu ignorieren versuchte (Kasten 2.5). Ein weiteres bekanntes literarisches Zeugnis ist das erste Gedicht in Vergils Eklogen. In seinem Mittelpunkt steht ein „göttlicher junger Mann“, der dem Bauern Tityrus, der eigens nach Rom gereist war, sein Land wiedergibt, das eigentlich ein Veteran hätte erhalten sollen. Tityrus ist voll des überschwänglichsten Lobs, zumal sein Schicksal in krassem Gegensatz zu dem des anderen Protagonisten des Gedichts steht. Aber der junge Triumvir war keine Mutter Teresa, und seine Motive zeigen uns auch keinen sanfteren, milderen Octavian. Sie erwuchsen aus der Erkenntnis, dass man durch Gefälligkeiten Unterstützer gewinnt, und in jenen Tagen brauchte er Unterstützung mehr denn je.

Auf Freiersfüßen Als Octavian 23 Jahre alt war, fand er im Privatleben etwas dauerhaftere Unterstützung, wenn auch nicht ohne für einiges Aufsehen zu sorgen – andererseits waren die Zeiten ja ohnehin mehr als turbulent. Ehen wurden in der römischen Oberschicht zumeist aus politischen Beweggründen heraus geschlossen. Während Octavians Auseinandersetzungen mit Antonius in den Monaten nach Caesars Ermordung verlobte er sich mit Servilia, der Tochter von Publius Servilius Isauricus, einem prominenten Caesar-Unterstützer, der im Jahr 48 v. Chr. Caesars Kollege im Konsulat gewesen war. In dem Moment, als er sich Ende 43 v. Chr. mit Antonius zusammenschloss, wollten seine und Antonius’ Soldaten unbedingt eine Aussöhnung der beiden Kontrahenten sehen; sie bestanden darauf, dass Octavian Antonius’ Stieftochter Clodia heiratete, auch wenn sie noch gar nicht im „heiratsfähigen Alter“ war. Die Ehe hielt indes nicht lange – sie wurde aufgelöst, als Fulvia, Antonius’ Frau und nun Octavians Schwiegermutter, und Antonius’ Bruder Lucius zu Rädelsführern des italischen Aufstands gegen Octavian wurden, der in Perusia in der Katastrophe endete; Octavian stellte unmissverständlich klar, dass die Ehe nie vollzogen wurde. Als Nächstes heiratete er 40 v. Chr. eine wesentlich ältere 51

Frau, Scribonia, und die politischen Gründe dafür waren mehr als durchsichtig: Sie kam aus einer gut vernetzten Adelsfamilie und war die Tante von Sextus Pompeius’ Frau; indem Octavian eine familiäre Bindung zu Sextus schuf, versuchte er, die damalige doppelte Bedrohung durch Antonius und Sextus abzumildern. Wie wir bereits gesehen haben, gelang das das nicht – Sextus und seine Flotte gingen weiterhin gegen ihn vor. Das war wohl auch der Hauptgrund dafür, dass diese Ehe von so kurzer Dauer war, auch wenn sich unsere Quellen in diesem Punkt in einer wahren Orgie sexistischer Sprüche ergehen: Sie porträtieren Scribonia als mürrischen Hausdrachen und als lästige, unsympathische Xanthippe. Ein wichtiger Grund dafür war, dass eine „liebenswürdige“ (so Tacitus) und auffallend hübsche junge Frau nach Rom zurückkehrte, gerade einmal 20 Jahre alt, in die sich Octavian Hals über Kopf verliebte. Das war Livia Drusilla, die zu dieser Zeit bereits verheiratet war und seit mehreren Monaten schwanger. Unsere Berichte sind auf beiden Seiten von Bosheit und Gehässigkeit gefärbt. Für Antonius, der später seine eigene Frau Octavia, Octavians Schwester, verlassen sollte, um seine Liaison mit Kleopatra für alle sichtbar weiterzuführen, brachte die Affäre zwischen Livia und Octavian eine mehr als willkommene Ablenkung von seiner eigenen schlechten Publicity. Die Anziehungskraft zwischen den beiden Liebenden war stark, in mehrerlei Hinsicht. Sie fühlten sich physisch zueinander hingezogen, aber gleichzeitig hatte Livia als Angehörige der Claudier, einer von Roms ältesten und renommiertesten Familien, mehr als nur aristokratischen Status. Die Vorfahren der Claudii reichten in der römischen Geschichte so weit zurück, wie sich die Via Appia in die Ferne erstreckte. Im Laufe der Jahrhunderte hatte der Clan der Claudier einige herausragende Führungspersönlichkeiten hervorgebracht, aber durchaus auch ein paar kuriose Gestalten. Livia wurde im Alter von 15 oder 16 an Tiberius Claudius Nero verheiratet, der rund 20 Jahre älter war als sie; als sie Octavian kennenlernte, war sie alles andere als unerfahren. Ihr Mann hatte Antonius unterstützt und sich dann dem Aufstand von Lucius Antonius und Fulvia angeschlossen. Er, Livia und ihr gemeinsamer Sohn, der spätere Kaiser Tiberius, entkamen aus Perusia und dann noch einmal aus Neapel, wo er versucht hatte, einen Sklavenaufstand anzuzetteln. Dann ging es weiter nach Sizilien, wo Sextus Pompeius ihm die kalte Schulter zeigte, und danach nach Athen und Sparta. Während dieser Zeit war Livias Ehemann geächtet worden, aber er durfte 39 v. Chr. nach Rom zurückkehren, nachdem sich Antonius und Octavian einander angenähert und einige Amnestien ausgesprochen hatten. Livia hatte fest an der Seite ihres Mannes gestanden, aber sie war nicht die Einzige, die erkannte, dass er im Grunde nichts weiter war als ein Opportunist, der leider dazu neigte, auf den Verlierer zu setzen. Ihr prinzipientreuer Vater hatte nach Philippi Selbstmord begangen. Die Heirat von Octavian und Livia war daher alles andere als eine himmlische Verbindung, sondern vielmehr eine, die im Schmelztiegel der Nöte und Strapazen, der Machtkämpfe und Bürgerkriege zustande kam. Vielleicht dauerte die Ehe 52

deshalb 52 Jahre, bis Augustus’ Tod die beiden voneinander schied. Die Trauung fand erst statt, nachdem Livia im Januar 38 v. Chr. ihr zweites Kind, Drusus, zur Welt gebracht hatte, aber die formale Verlobung fand drei Monate zuvor statt. Das bot genug Futter für anzügliche Scherze (die Drusus beispielsweise als „Dreimonatskind“ bezeichneten), auch wenn dabei eine ganz erstaunliche Leistung eine Rolle spielte: Weit davon entfernt, wütend zu sein und Octavian Rache zu schwören, war es Tiberius Claudius Nero, der ihm Livia liebenswürdigerweise überließ. Ein wenig zuvor hatte sich Octavian von Scribonia scheiden lassen, sofort nachdem sie ihre Tochter Julia zur Welt gebracht hatte. So wurde das einzige Kind, das er jemals zeugte, unter keinem besonders glücklichen Stern geboren, und Julias weiteres Schicksal war keinen Deut besser (siehe Kapitel 5).

Die blutigen Jahre: Geschichte Das Triumvirat Doch zurück zur Chronologie der Ereignisse. Die Allianz, die Octavian im Oktober 43 v. Chr. mit Antonius einging, setzte der anomalen Situation, dass die Armee des Caesarerben einem Caesarmörder wie Decimus Brutus zu Hilfe kam, endlich ein Ende. Er stellte seine eingekauften Soldaten dem Senat zur Verfügung, nachdem dieser in aller Eile eine Amnestie für die Verschwörer verkündet hatte – Octavians temporäres Mittel dafür, sich in eine bessere rechtliche Position zu bringen. Nachdem dies vollbracht war, war es an der Zeit, den Kräften der Natur freien Lauf zu lassen. Aufgrund der vielen Auseinandersetzungen, die es in der Vergangenheit zwischen Antonius und Octavian gegeben hatte, holten sie Lepidus mit ins Boot, als eine Art Vermittler, und die drei schufen eine neue Regierungsform, die umgehend von der gesetzgebenden Versammlung ratifizierte wurde: Die nächsten fünf Jahre lang wurden aus ihnen die tresviri rei publicae constituendae – Triumvirn, die dafür zuständig waren, buchstäblich „den Staat zu ordnen“ (daher stammt unser Begriff „Konstitution“). De facto war es nichts anderes als eine dreifache Diktatur. Territoriale und andere Einflusssphären wurden skizziert, und wie zu erwarten war, zeigte sich Antonius dabei als politisches Schwergewicht; unter anderem musste Octavian sein Konsulat aufgeben, und stattdessen wurden zwei Anhänger von Antonius als Konsuln eingesetzt. Unmittelbar darauf folgte die Proskriptionswelle und dann der Rachefeldzug gegen die Mörder Caesars, auf den die Soldaten, die noch unter Caesar gedient hatten, schon so lange gewartet hatten. Ein Spaziergang wurde es nicht; Brutus und Cassius hatten beträchtlich an Stärke gewonnen, wenn auch nur durch rücksichtslose Ausbeutung der Provinzen im Osten, und ihre Armee war für den kommenden Winter viel besser ausgerüstet. Für die Triumvirn hieß es nun, alles auf eine Karte zu setzen. 53

Die Armeen trafen am 23. Oktober 42 in der Nähe des thessalischen Philippi aufeinander, wobei Octavian sich in den Sümpfen verstecken musste – Cassius war noch in noch schlechterer Verfassung und beging Selbstmord – und dann noch einmal Mitte November; diesmal trug der linke Flügel, den Octavian befehligte, entscheidend zum Sieg bei, auch wenn klar ist, dass Antonius’ militärischer Sachverstand in beiden Schlachten der entscheidende Faktor war. Insgesamt starben in beiden Schlachten rund 40.000 Mann, und auch Brutus nahm sich das Leben, woraufhin der rachsüchtige Octavian die Leiche verstümmelte.

Italien und Sextus Pompeius Anfang 41 v. Chr. kehrte Octavian nach Italien zurück und stand vor der schwierigen Aufgabe, etwa 60.000 Veteranen auf Land anzusiedeln, das rein juristisch jemand anderem gehörte – das reinste Chaos; viele Soldaten wollten nicht warten, nahmen die Dinge selbst in die Hand und vertrieben die Besitzer von den Ländereien, und zwar sogar von Grund und Boden, der gar nicht zu den achtzehn ausgewählten Städten gehörten, sondern lediglich daran angrenzten. Auf die Seite der Enteigneten schlugen sich bald Antonius’ Bruder, Konsul Lucius, und seine sich wie immer lautstark einmischende Frau, Fulvia. Mehrere Vermittlungsversuche scheiterten, und um alles noch schlimmer zu machen, blockierte Sextus Pompeius den Lebensmittelnachschub nach Italien. Lucius fand immer mehr Unterstützung in der Zivilbevölkerung, aber Octavian hatte aus seinen früheren Machtkämpfen nach Caesars Tod gelernt: Er brauchte die Unterstützung der Soldaten, und so hatten deren Bedürfnisse für ihn Priorität. Am Ende mussten sich Lucius und der Kern seiner Anhänger in Perusia verschanzen, und nach einer Belagerung, an deren Gräuel man noch lange denken sollte, ergaben sie sich. Diese Ereignisse hatten aber auch eine frivole Seite. Bleigeschosse aus Octavians Katapulten trugen Mitteilungen wie: „Lucius und Fulvia, sperrt eure Hintern auf!“, und der Dichter Martial (11.20) gibt ein paar schlüpfrige Verse wieder, die von Octavian stammen, als Mittel gegen allzu miesepetrige Leser des Lateinischen: Weil Antonius Glaphyra gefickt hatte, bestimmte Fulvia mir dies zur Strafe: dass ich wiederum sie ficke. Ich soll Fulvia ficken? … Ich? So dumm bin ich nicht. „Fick mich“, sagt sie, „oder es gibt Krieg.“ Was, wenn mir mein Leben lieber ist als mein Schwanz? Blast die Fanfare zur Schlacht!

Das ist sehr weit entfernt von dem Augustus, dessen Kriterium für die Güte von Literatur die „moralische Bekömmlichkeit sowohl im Öffentlichen als auch im Privaten“ war (Sueton, Augustus 89.2) – genau wie Octavians Teilnahme an einem Kostümfest mit Abendessen, und das in jener von Hungersnot gezeichneten Jah54

ren; er kam als Apollo und nahm an einer geradezu pubertären Essensschlacht teil. Vielleicht war es eine willkommene Abwechslung von all den Belastungen, denen er ausgesetzt war; aber die Öffentlichkeit nahm ihm dies durchaus übel. Und das aus gutem Grund: Die Lebensbedingungen in Italien waren weiterhin miserabel. Man musste gar nicht auf einer Proskriptionsliste stehen, um einen großen Teil seines Vermögens oder Grund und Bodens zu verlieren. Das Staatsdefizit war enorm, und gleich zu Beginn ihrer Amtszeit führten die Triumvirn neue Steuern ein: u. a. 50 Prozent Steuern auf das jährliche aus Vermögenswerten stammende Einkommen, 2 Prozent Reinertragssteuer auf Vermögen über 100.000 ­denarii, einen Pauschalbetrag von 25 denarii für jeden Sklaven und eine Steuer auf die Sondervermögen der 400 reichsten Frauen. Bis 31 v. Chr., dem Jahr von Actium, gab es solche Zwangsabgaben. Noch Anfang jenes Jahres mussten Freigelassene, die Eigentum im Wert von mehr als 200.000 Sesterzen besaßen, 8 Prozent davon abgeben. Gerade diese Maßnahme sorgte für großen Aufruhr; Mord und Brandstiftung waren an der Tagesordnung, und Octavian musste mit Waffengewalt dagegenhalten. Danach mussten Freigelassene, die Land besaßen, 25 Prozent von dessen Wert an den Steuereintreiber zahlen. Sie waren inzwischen so eingeschüchtert, dass sie nachgaben. Auch auf die Soldaten konnte man sich in puncto bedingungsloser Loyalität und professionellen Verhaltens nicht mehr verlassen. Stattdessen musste sich ­Octavian in diesen Jahren immer wieder mit Forderungen seitens der Soldaten und mit Meutereien auseinandersetzen. Selbst als er nach der Schlacht von Actium auf seinem Weg nach Ägypten war, musste er auf einmal mitten im Winter in aller Eile nach Italien zurückreisen, um einen Aufstand von Veteranen niederzuschlagen, die auf mehr Kriegsbeute und Grundbesitz gehofft hatten. Der junge Caesar erwies sich in solchen Situationen nicht als Schwächling. Aus offensicht­ lichen Gründen versuchte er zumeist, die Balance zwischen Zugeständnissen und Unnachgiebigkeit zu halten, soweit es die Umstände erlaubten. Es kann kaum überraschen, dass es eine seiner obersten Prioritäten als Augustus war, so schnell wie möglich den Großteil des etwa 500.000 Mann starken Bürgerkriegsheers zu entlassen, das eine ethische Herausforderung darstellte. Ersetzt wurde es durch ein Heer aus 300.000 Berufssoldaten, das zur Konsolidierung und Expansion des Reichs in den Krieg ziehen sollte. Es gibt keine schlüssigen Beweise dafür, dass Antonius den Krieg seines Bruders gegen Octavian aktiv unterstützte. Nachdem die Triumvirn nach Philippi die Aufgaben untereinander aufgeteilt hatten, war er in den Osten gegangen, um sich dort niederzulassen und, wie sich herausstellte, um eine neue und diesmal dauerhafte Affäre mit Kleopatra zu beginnen. Die Aufteilung der territorialen Kommandos zeigte sich noch deutlicher, als Antonius nach dem militärischen Fiasko seines Bruders nach Italien zurückkehrte und im Jahr 40 v. Chr. eine der Vertragsparteien von Brundisium war, wobei ihm die Kontrolle über die östlichen Provin55

zen zufiel; Octavian erhielt den Westen, Lepidus Afrika. Die Annäherung wurde durch Antonius’ Ehe mit Octavians Schwester Octavia noch verstärkt; Fulvia war ein paar Monate zuvor gestorben, und so konnte man ihr ganz bequem die Schuld für den Perusinischen Krieg in die Schuhe schieben – statt Lucius Antonius, den Octavian klugerweise mit großer Nachsicht behandelte. Der Joker in diesem Spiel war Sextus Pompeius, und Octavian weigerte sich zunächst, ihn offiziell als Beteiligten anzuerkennen. Ein Jahr später indes beugte er sich der Realität, als in Misenum ein Zusatzvertrag ausgearbeitet wurde, der Sextus die Kontrolle über Sizilien, Sardinien, Korsika und die Peloponnes gewährte; im Gegenzug sollte er seine Militärbasen in Italien räumen und die Blockade aufheben. Man betraute ihn nun sogar offiziell mit der Abwicklung der Getreidelieferungen nach Italien. Es war klar, dass das nicht lange gut gehen konnte. Bald flammten die Feindseligkeiten zwischen Octavian und Sextus wieder auf, aber Octavian hatte inzwischen massive Vorbereitungen getroffen, um Sextus’ Überlegenheit auf See etwas entgegenzustellen. Hier zeigt sich eine Eigenschaft Octavians, die während dieser Zeit typisch für ihn ist: die Fähigkeit zu delegieren. Wie wir gesehen haben, hatte er nicht genug Zeit gehabt, um umfangreiche militärische und strategische Erfahrungen zu sammeln, und er wandte sich daher an einen Freund aus seiner Jugend, der mit ihm in Apollonia gewesen war und nun zu seiner rechten Hand wurde: Marcus Vipsanius Agrippa (von dem in Kapitel 5 ausführlicher die Rede sein wird). Über seinen familiären Hintergrund wissen wir so gut wie nichts, aber wir können davon ausgehen, dass er, wie die Octavii, nicht der höchsten Adelsschicht angehörte. Viele Mitglieder dieser Klasse begegneten ihm mit Geringschätzung, obwohl (oder gerade weil) er so etwas wie Augustus’ Vizekönig wurde – auch nach so vielen Jahren war der Wandel hin zu einer Leistungsgesellschaft für die aufgrund ihrer Abstammung Privilegierten noch immer schwer zu verkraften (wir werden den Widerstand von dieser Seite später in einem größeren, sowohl politischen als auch kulturellen Zusammenhang betrachten). Auch in dieser Hinsicht erwies sich Octavian als Erbe Julius Caesars. Caesar hatte viele Einzelpersonen und Gruppen (beispielsweise eine seiner Legionen) auf der Grundlage von Fähigkeiten und Leistung begünstigt und belohnt, vor allem mit der begehrten Staatsbürgerschaft. Agrippa schuf 38/37 v. Chr. in der Nähe von Cumae einen riesigen Marinestützpunkt – ein echtes Wunderwerk der Technik, bei dem ein ganzer See umgestaltet wurde. Hier sollte eine Flotte aufgebaut und ausgebildet werden, die es mit der des Sextus aufnehmen konnte. Der endgültige Sieg erfolgte in Höhe des sizilischen Naulochoi, kurz nachdem der verzweifelte Augustus seinem Leben ein Ende setzen wollte. Die Vorbereitungen, die für diese Begegnung getroffen wurden, waren einzigartig und können als früher Triumph der Spieltheorie gelten oder doch zumindest als Beispiel für eine Überschneidung von Kriegsspielen und Wirklichkeit. Sextus und Octavian vereinbarten, dass beide Seiten über die gleiche Anzahl von Schiffen 56

verfügen sollten, nämlich dreihundert. Auf ein bestimmtes Signal hin sollten diese einander angreifen, wie zwei Gladiatoren-Mannschaften, während die beiden Generäle und ihre Armeen von Land aus zusahen. Und genau das passierte. Agrippas neue und größere Schiffe, mit effizienten Enterhaken ausgestattet, und seine gründlich ausgebildeten Truppen trugen einen deutlichen Sieg davon. Er verlor im ersten Ansturm lediglich drei Schiffe, Sextus hingegen 28; der Rest von Sextus’ Flotte verbrannte oder sank beim Versuch, zu entkommen, oder ergab sich. Agrippa wurde bei den Spielen als Sieger gefeiert, mit einer neuen Standarte in Meeresblau und einer goldenen Krone aus Schiffsschnäbeln (vgl. Vergils Hinweis in Kasten 2.3). Sextus floh und befahl seinen acht Legionen auf Sizilien, nach Messina zu marschieren, um sich mit ihm zusammen neu aufzustellen. Doch noch bevor sie dort eintrafen, geriet er in Panik und verließ Sizilien in Richtung Osten. Endlich war eine drückende Last von Octavian genommen; es gab keine Blockade Italiens mehr, und die Versorgung mit Nahrungsmitteln funktionierte wieder, mit der erfreulichen Folge, dass die Ausschreitungen in Rom allmählich ganz nachließen. Was aber genauso wichtig ist und bereits auf seinen letzten Zusammenstoß mit Antonius verweist, ist, dass Octavian in diesem ständigen Nervenkrieg mit seinen unerbittlichen emotionalen und mentalen Belastungen bei aller körperlichen Anstrengung und Erschöpfung einen kühlen Kopf bewahrte und sich rücksichtslos gegen seine von Emotionen bestimmten Gegner durchsetzen konnte.

Antonius im Osten Damit sind wir zurück bei Antonius. Er war im Osten aktiv gewesen und hatte sich dabei als äußerst kompetent erwiesen; die neu eingeführten Strukturen, sowohl in der Verwaltung der römischen Provinzen als auch im Umgang mit den Klientelkönigen, ließ Octavian nach Antonius’ Tod weitgehend intakt. Auch wenn er sich in Athen als neuer Dionysos feiern ließ – was kaum Konsequenzen für sein Ansehen in Italien hatte, denn dort waren regionale Versionen dieses Gottes sehr beliebt –, war er doch weit mehr als ein trunksüchtiger Bonvivant. Die eigentliche Crux für ihn war der Krieg gegen die Parther, die Erben des Persischen Reichs nach dem Untergang des größten Nachfolgereichs Alexanders. Die Parther sorgten direkt hinter den Grenzen Roms und der als Puffer wirkenden Vasallenkönigreiche immer wieder für Unruhe. Crassus hatte 53 v. Chr. eine spektakuläre ­Niederlage gegen sie erlitten, und die Tatsache, dass sie dabei einige römische Standarten erobert hatten, nagte sehr am Stolz der Römer. Caesar hatte eine Rache-Expedition geplant, doch seine Ermordung kam dazwischen, und so fiel es nun Antonius zu, sich mit diesem Feind zu befassen. Dazu arrangierten er und Octavian 37 v. Chr., nachdem sie das Triumvirat für weitere fünf Jahre erneuert hatten, einen Tausch: Antonius stellte Octavian 120 Kriegsschiffe zur Verfügung, und Octavian versprach ihm dafür im Gegenzug 20.000 Legionäre, die er jedoch 57

niemals losschickte. Das trug dazu bei, dass Antonius’ Feldzug gegen die Parther im Jahr 36 v. Chr. scheiterte. Allein der anschließende Rückzug kostete mindestens 8.000 Mann das Leben. Die Niederlage machte ihn zudem noch abhängiger von Kleopatra. Zwar war Antonius noch mit Octavia verheiratet, aber mit Kleopatra hatte er bereits drei Kinder gezeugt, darunter die Zwillinge Alexander Helios („Sonne“) und Kleopatra Selene („Mond“). Sie versorgte ihn mit den notwendigen Ressourcen, aber sie verlangte auch Gegenleistungen. Kleopatra, diese Königin der Königinnen, war eine echte Überlebenskünst­ lerin, die ihren Vater schon als Teenager auf diplomatischen Missionen begleitet und dabei erlebt hatte, welchen Preis er für seine Unterwürfigkeit gegenüber Rom bezahlen musste. Ihr Ziel war es jetzt, Ägypten zu stärken und in der Unabhängigkeit zu halten. Noch vor seinem Partherfeldzug hatte Antonius ihr bereits einige Gebiete übereignet, vor allem auf Kosten des Königs von Judäa, Herodes, und nach seiner Niederlage nahm das Tempo noch zu. Mit seinen neuen Ressourcen startete er einen Feldzug nach Armenien, nahm während eines Diplomatentreffens den dortigen König in Gewahrsam und kehrte 34 v. Chr. nach Alexandria zurück, um in großem Stil seinen Sieg zu feiern. Im folgenden Jahr marschierte er erneut in Parthien ein und errang zumindest einen Teilerfolg. Noch im selben Jahr, 34 v. Chr., fand jenes Ereignis statt, das Wasser auf die Mühlen von Octavians Propaganda bedeutete: In einer aufwendig inszenierten Zeremonie im Gymnasion von Alexandria saßen Antonius und Kleopatra auf einem goldenen Thron und ihre Kinder auf ähnlichen, wenn auch kleineren Thronen. Unter den Kindern befand sich auch Caesarion, Julius Caesars vierzehnjähriger Sohn, den er mit Kleopatra gezeugt hatte. Sie wurde zur Königin von Ägypten, Zypern, Kyrene und Teilen Syriens ernannt, mit Caesarion als ihrem Mitregenten. Alexander Helios und Ptolemaios, damals sechs und drei Jahre alt, erhielten weitere Gebiete, darunter das noch gar nicht eroberte Parthien. Das Problem dabei war, dass Antonius im Rahmen seiner groß angelegten Strategie für die Zukunft des Ostens einige römische Provinzen wie Zypern ausländischen Machthabern übereignete. Das bedurfte natürlich der Zustimmung des Senats, und Octavian schlug Kapital aus diesen „Schenkungen von Alexandria“ und nutzte sie für seine Propaganda. Octavian hatte nun Italien einigermaßen unter Kontrolle, nachdem Sextus fortgegangen und im Osten von einem von Antonius’ Statthaltern hingerichtet worden war. Nun brach Octavian einen Krieg in Illyrien vom Zaun (auf dem Gebiet des heutigen Serbien und Kroatien). Neben der Eroberung und Befriedung der Region verfolgte er damit das Ziel, den größeren Teil seiner Armee zu beschäftigt zu halten, damit die Soldaten nicht so bald darauf bestanden, mit Grundbesitz versorgt zu werden, und so zugleich bei der anstehenden Auseinandersetzung mit Antonius über eine möglichst erfahrene Streitmacht zu verfügen. Wie üblich erkannte Octavian viel früher, was kommen würde, als sein Triumviratskollege – und er bereitete sich in jeder Hinsicht darauf vor. 58

Endphase: Octavian gegen Antonius Kurz nach den Ereignissen in Alexandria wurden die ersten Salven abgefeuert. Sie waren zunächst rein verbaler Natur, aber es stand viel auf dem Spiel, und die Heftigkeit dieser verbalen Auseinandersetzung macht es vor allem Forschern des 20. Jahrhunderts ziemlich leicht, in ihnen einen Vorläufer moderner Propaganda und Verleumdungskampagnen zu sehen. Und natürlich war das Ziel auch eine massive Mobilisierung der öffentlichen Meinung. Nichts blieb unversucht, das unter Umständen half, den Rivalen zu diskreditieren und zu verteufeln. Für Antonius bedeutete das, Octavian als Feigling von niederer Geburt bloßzustellen, als Caesars Sexobjekt, als Frauenheld und als grausames Monster. Octavian seinerseits drosch auf Antonius ein (den er als Sklaven des Alkohols brandmarkte) und auf die Ausländerin Kleopatra, die „wahnsinnige Königin, die das Kapitol zu zerstören und das Reich zu stürzen drohte, mit ihrer von Krankheit befleckten Schar schändlicher Männer“, wie Horaz es formuliert (Oden 1.37.6–10), bevor er im Verlauf seines Gedichts einen um einiges positiveren Ton gegenüber der ägyptischen Königin anstimmt. Antonius fühlte sich sogar gezwungen, zu seiner Verteidigung ein Pamphlet mit dem Titel „Über seine Trunkenheit“ zu veröffentlichen. Bei alledem half es auch wenig, dass er im Frühjahr 32 v. Chr. öffentlich mit Octavia brach, die ihm all die Jahre die Treue gehalten hatte, und sie aufforderte, aus ihrem Haus in Rom auszuziehen, obwohl er selbst dort gar nicht wohnte. Wiederum der modernen Praxis ganz ähnlich, stellte Octavian seinem Sperrfeuer der Beleidigungen eine konzentrierte visuelle Kampagne zur Seite. Sie richtete sich vor allem an die Unterschicht, immerhin konnte die Mehrheit der Bevölkerung weder lesen noch schreiben. Die meisten der bis heute erhaltenen visuellen Zeugnisse sind Münzen, und viele Forscher haben deren propagandistische Bedeutung etwas überbetont; notwendigerweise hat man sich vor allem mit solchen haltbaren „Zeitzeugen“ beschäftigt, auch wenn der Bereich organischer Materialien in jener Zeit viel umfassender war. Ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit schafft hier die Tatsache, dass Octavians Münzen oft Monumente wie beispielsweise Statuen zeigen, die heute verloren sind, von deren Existenz wir aber aus ­literarischen Quellen wissen. Die visuelle Effektivität wurde durch eine Bildsprache unterstützt, die (im Gegensatz zu vielen früheren Bemühungen in der Republik) klar und einfach war. Die wichtigsten Themen dabei waren die Nähe des divi filius zu den Göttern, sein Sieg und die Rückkehr zu Ordnung und Stabilität (Abb. 4). Paul Zanker bemerkt dazu: „Nie zuvor waren in Rom so schöne Münzen geprägt worden“, und er fährt fort mit der Beobachtung: „Hier wurde die Ästhetik bewußt in den Dienst der Politik gestellt“ (2003, S. 62). Auch hier dürfen wir nicht glauben, dass alle Römer, und das gilt vor allem für die ärmeren Schichten, diese Münzen ständig in der Hand hatten und die darauf enthaltenen „Mitteilungen“ studierten. Die damaligen Menschen hatten Zugang zu einem breiteren Spektrum 59

visueller Kommunikation, das nur leider nicht so gut erhalten ist. Aber was in dieser letzten, weitaus intensiveren Phase geschah, konnte kaum jemanden überraschen: Bereits in seinen frühen Auseinandersetzungen mit Antonius hatte sich Octavian, wie wir gesehen haben, als Meister der Medien erwiesen, und die visuelle Kultur zählte zu den Höhepunkten der augusteischen Zeit. Beinahe täglich wurden Beschimpfungen und Beleidigungen ausgetauscht, von Spekulationen über das Liebesleben der Protagonisten bis hin zu Forderungen, bei denen von vorneherein klar war, dass der andere sie niemals akzeptieren würde. Antonius zum Beispiel bat Octavian darum, die Herrschaft über Italien mit ihm zu teilen, und prompt konterte dieser, indem er dasselbe für Armenien forderte. Mehr Sprengstoff bot das bevorstehende Ende des Triumvirats Ende 33 v. Chr., das vor allem Octavian fürchtete. Antonius schlug vor, das Triumvirat nicht fortzusetzen. Das wäre definitiv von Nachteil für Octavian gewesen, denn nach herrschender Gesetzeslage würde sich Antonius im Osten erhebliche Macht sichern können, bis er nach Rom kam – nicht gerade eine wünschenswerte Perspektive –, während sich Octavian, der bereits vor Ort war, beinahe in der gleichen Position wie in den Monaten nach den Iden des März befände: in der des Privatmannes mit Armee. Natürlich war sein Standing jetzt ein ganz anderes, und auch sein Heer war nun größer, aber die Lage war für ihn dennoch beunruhigend, denn er war gezwungen, seine fortgesetzte Rolle als Staatsmann irgendwie auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Die Konsulate für 32 v. Chr. waren bereits an zwei Anhänger des Antonius vergeben (dies war Teil der früheren Vereinbarung zwischen den Triumvirn gewesen), und andere Optionen wie die Diktatur oder die formale Fortführung des Titels „Triumvir“ waren politisch alles andere als opportun. Und auch die zusätzlichen Mechanismen, die Octavian zugutekamen und (zumal nach Naulochoi) sein öffentliches Ansehen verbesserten, brachten ihm keine sichere rechtliche Stellung ein. Zu diesen Mechanismen zählten die persönliche Unantastbarkeit eines Volkstribuns und eine Ehrung durch italische Städte, die ihn, wie Appian berichtet, „in eine Reihe mit ihren Göttern stellten“ (Bürgerkriege 5.546). Jetzt können wir auch verstehen, dass diese massiven Anstrengungen, die öffentliche Meinung zu mobilisieren, nötig waren, um den Umstand zu kompensieren, dass Octavian bald keine von der Verfassung definierte Rolle mehr spielen würde. Seine Gegner verschwendeten indes keine Zeit: Am Tag des Amtsantritts von Antonius’ Konsuln, dem 1. Januar 32 v. Chr., weigerte sich einer von ihnen, Gaius Sosius, neue Mittel für Antonius im Osten zu bewilligen, griff aber zugleich Octavian scharf an, der gar nicht anwesend war, weil er mit seinen Beratern zusammensaß. Sosius stellte den formalen Antrag, dass beide Triumvirn ihr Amt unverzüglich niederlegen sollten. Dieser Antrag hatte offenbar gute Chancen, angenommen zu werden, wurde aber durch das Veto eines Tribuns gestoppt, und die Senatssitzung wurde vertagt. Als der Senat wieder zusammenkam, war Octavian mit einem 60

Abbildung 4. Serie von drei denarii von Octavian, vor 31 v. Chr. Bibliothèque nationale de France. Auf der Vorderseite ist Octavian zu sehen, auf der Rückseite die Göttinnen Pax, Venus und Victoria. Ein Zeugnis für die außergewöhnliche Qualität dieser Bilder ist eine direkte Kopie der octavianischen Venus auf Münzen, die Kaiser Hadrians Ehefrau, Sabina, zeigen (117–138 n. Chr.).

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Kontingent bewaffneter Soldaten vor Ort und ein paar Freunden, die Dolche unter ihrem Gewand verbargen – und zwar anscheinend so, dass es jeder sehen konnte. Er setzte sich „auf einen offiziellen Stuhl“ zwischen den beiden Konsuln. Daraufhin, so berichtet Dio weiter (50.2), hielt Octavian eine lange und moderate Rede, in der er sich verteidigte und zugleich Antonius und Sosius angriff; er ließ durchblicken, er sei im Besitz „bestimmter Dokumente“, die bewiesen, welche schlimmen Untaten Antonius gegangen habe. Es gab keinerlei Widerworte. Die beiden eingeschüchterten Konsuln flohen zu Antonius, und ein Drittel der Senatoren folgte ihnen. Octavian ließen sie ziehen. Was waren das für Dokumente? Das wichtigste und spektakulärste besaß Octavian im Januar noch gar nicht, er erhielt es aber ein paar Monate später. Inzwischen war klar, dass die Ankunft hunderter Senatoren, die ihn unterstützten, für Antonius ein zweischneidiges Schwert war. Viele nahmen ihm übel, wie sehr er sich von Kleopatra beeinflussen ließ, und es kam zu Auseinandersetzungen. Einige liefen zu Octavian über, allen voran Munatius Plancus, der 42 v. Chr. Konsul gewesen war und Antonius nach Ägypten gefolgt war, wo er sein Bestes tat, um seine Gastgeber zu unterhalten (Kasten 2.6). Hätte er sich auf dieses und ähnliche Talente konzentriert (die nur wenige ehemalige Konsuln besaßen, wenn überhaupt), er hätte sich eine dauerhafte Stellung in Antonius’ und Kleopatras Hofstaat gesichert. Antonius zeigte ihm jedoch die kalte Schulter, „aufgrund untrüglicher Anzeichen von Käuflichkeit und Raffgier“, und so kehrte er nach Rom zurück. Allerdings brachte er etwas Interessantes mit: Er wusste, wo Antonius sein Testament versteckte, und hatte nichts Eiligeres zu tun, als es Octavian zu verraten – das Testament befand sich im Tempel der Vesta auf dem Forum, wo es von den Vestalinnen aufbewahrt wurde. Octavian hatte keinerlei Skrupel, es ihnen wegzunehmen. Er vertrat die Ansicht, dass es sich nicht nur um einen persönlichen letzten Willen handelte, sondern um ein politisches Testament, und er las daraus vor und zitierte es im Rahmen einer eigens einberufenen Senatssitzung; dabei hob er auf besonders dramatische Weise die Bestimmungen hervor, von denen er wusste, dass sie die Öffentlichkeit in Aufregung versetzen mussten. Und nach solchen hatte er nicht lange suchen müssen: Antonius wollte neben Kleopatra begraben werden, selbst in dem Fall, dass er in Rom starb. Ihre Kinder sollten als Erben eingesetzt werden und, ja, Caesarion war Caesars eigener Sohn. Die Auswirkungen waren unmittelbar zu spüren. Antonius’ designiertes Konsulat für 31 v. Chr. wurde aufgehoben, ebenso alle seine offiziellen Befugnisse. Seine Besitztümer wurden konfisziert – wie auch die seiner Anhänger in Italien, falls sie sich weigerten, die Seiten zu wechseln; dadurch verschaffte sich Octavian große Ländereien, die er später zur Versorgung seiner Veteranen brauchen würde. Als im Oktober offiziell der Krieg erklärt wurde, verfuhr Octavian ebenso geschickt und erklärte: Nein, dies sei kein neuer Bürgerkrieg – Antonius wurde ­nirgends mit Namen genannt –, sondern ein Krieg gegen einen äußeren Feind, 62

nämlich gegen Kleopatra. Inzwischen erzählte man sich, dass Antonius, falls er den Krieg gewinne, der Ägypterin Rom zum Geschenk machen und die Hauptstadt nach Alexandria verlegen werde. Ganz der Impresario, der er war, inszenierte ­Octavian die Kriegserklärung als eindrucksvolles Spektakel, das ein uraltes ­Ritual beinhaltete, bei dem ein Fetialpriester einen Speer ins Feindesland schleuderte. Dazu musste man nicht eigens nach Ägypten reisen – praktisch, wie die Römer nun einmal waren, hatten sie schon lange zuvor ein Teilstück des heiligen Bezirks der Kriegsgöttin Bellona als „Feindesland“ definiert, und dieses musste der Priester mit dem Speer treffen. Auf jeden Fall war es ein spannenderes Schauspiel, als wenn jemand einen Würfel geworfen hätte. Bald danach war ganz Italien seine Bühne. Nun, da Antonius’ Drittel der Senatoren das Land verlassen hatte, waren die lästigen Zweifel an Octavians rechtlichen Befugnissen verklungen. Aus ganz praktischen Erwägungen heraus regierte

2.6. Ein talentierter Senator: Munatius Plancus „Für Geld war er bereit, für alle Menschen alles zu sein. Bei einem Gelage schlüpfte er in die Rolle des Meeresgotts Glaukos und führte einen Tanz auf – nackt und mit blau angemaltem Körper, mit einem Fischschwanz versehen, auf dem Kopf eine Krone aus Schilf, kroch er auf seinen Knien herum. Nun, da Antonius ihm aufgrund der untrüglichen Beweise für seine Raffgier die kalte Schulter gezeigt hatte, war zu Caesar übergelaufen. Danach verstieg er sich sogar dazu, die Milde des Siegers als Beweis für seine eigenen Verdienste zu interpretieren und zu behaupten, dass Caesar das, was er lediglich entschuldigt hatte, gutgeheißen habe … Coponius, Schwiegervater des Publius Silius und ein würdiger Prätorianer, lag nicht ganz daneben mit seiner Erwiderung – als der gerade erst zu Caesar übergelaufene Plancus den abwesenden Antonius im Senat mit vielerlei unsäglichem Gerede in den Schmutz zog, rief er aus: ,Beim Herkules, Antonius muss aber viel angestellt haben, bevor du ihm die Gefolgschaft gekündigt hast.‘“ Velleius 2.83 (Übersetzung nach F. Shipley, mit Änderungen) Und doch war es Plancus, der 27 v. Chr. den Vorschlag einbrachte, dass Octavian „Augustus“ genannt würde, und sich so rehabilitierte. Sein imposantes Grab in Gaeta, „ein Bauwerk aus Mauerwerk mit einem Durchmesser von 29,50 Metern, das aussieht wie ein Gasometer“ (so beschreibt es Jocelyn Toynbee in ihrem Buch Death and Burial in the Roman World [Baltimore 1996], 154), wurde etwa sieben Jahre später errichtet und ist eines der am besten erhaltenen Mausoleen aus der Römerzeit. 63

er offiziell einfach weiterhin als Triumvir; zwar war das Zweite Triumvirat Ende 33 v. Chr. ausgelaufen, aber die damit verbundenen Amtsbefugnisse waren dennoch formell nie aufgehoben worden. Eine ganz einfache Lösung aller Probleme wäre seine Wahl zum Konsul des Jahres 32 v. Chr. gewesen, nachdem die beiden eigentlichen Konsuln die Stadt verlassen hatten. Aber in dieser wie auch in anderer Hinsicht verhielt sich Octavian schon ganz wie der spätere Augustus, indem er sich in gewissen Belangen an die Verfassung hielt, aber dort, wo sie zu enge Grenzen aufwies, seinen Spielraum zu erweitern wusste. Daher sorgte er dafür, dass zwei Konsuln aus angesehenen Familien, die keinen Ärger machen würden, ganz ordnungsgemäß gewählt wurden, während er selbst Bestätigung in einem weitaus größeren Kontext suchte. In den Res Gestae beschreibt er es folgendermaßen (25.2): Ganz Italien schwor mir aus freien Stücken den Gefolgschaftseid und sprach sich im Krieg, in dem ich Sieger bei Actium war, dafür aus, dass ich der Anführer würde. Den gleichen Eid leisteten die gallischen und spanischen Provinzen, Afrika, Sizilien und Sardinien.

Wie immer war Octavian jedoch umsichtig genug, nicht alle Menschen blind gegen sich aufzubringen. Er sorgte dafür, dass einige von Antonius’ Schutzbefohlenen, beispielsweise in Bononia (heute: Bologna), einer Stadt, die besonders stark unter den Enteignungen zugunsten der Veteranen gelitten hatte. Ganz allgemein sollten wir hinterfragen, wie sehr sich das Land insgesamt für einen neuen Krieg begeistern konnte – nach so vielen leidvollen Jahren. Und es war auch nicht nur eine Frage der Begeisterung; es gab auch eine weitere, geradezu gigantische Steuererhebung, bei der jedermann ein Viertel seines Jahreseinkommens abgeben musste, und Freigelassene, wie bereits erwähnt, ein Achtel des Wertes ihres gesamten Besitzes. Die Folge waren Steuerrevolten, gegen die die Boston Tea Party ein Kaffeekränzchen war (von ihren jüngeren Nachahmungen ganz zu schweigen). Zumindest in Rom wurde dies jedoch ganz schnell wieder aufgefangen, durch beispiellose Schenkungen, die von Agrippa abgewickelt wurden. Unter anderem wurden die Spiele auf 59 Tage verlängert, kostenloses Öl und Salz verteilt, es gab für Männer und Frauen freien Eintritt in die Thermen und sogar kostenlose ­Friseurbesuche. Und in ganz Italien warben Veteranen, die in Stadträten saßen, erfolgreich dafür, das Mandat des jungen Caesar zu unterstützen, die westliche Streitmacht gegen den Feind im Osten zu führen.

Actium und Alexandria Und das tat Octavian, wobei er einmal mehr aus den Fehleinschätzungen und der mangelnden Entschlossenheit seines Gegners Kapital schlug. Antonius besaß eine 64

Armee von mehr als 100.000 Legionären und 12.000 Kavalleristen, verstärkt durch Hilfstruppen, die ihm Klientelkönige zur Verfügung stellten. Seine Flotte zählte mehr als 500 Schiffe. Darunter waren ein paar wahrlich gigantische Kriegsschiffe – Triremen, wie sie in der Antike verbreitet waren, aber mit acht oder zehn Ruderern an jedem Ruderblatt. Diese schwimmenden Festungen sollten gar nicht besonders wendig sein, sondern dienten letztlich als Plattform für Soldaten und Katapulte. Bald hatte die Sicherheit dieser Flotte Vorrang vor der Entwicklung einer echten Strategie und effektiven Taktik für die Landstreitmacht, die eigentlich immer Antonius’ Stärke gewesen war. Die Flotte segelte daher zur Westküste Griechenlands; am Ambrakischen Golf war reichlich Platz, um geschützt vor Anker zu gehen, und man erreichte ihn nur durch eine Meerenge bei Actium (Abb. 5). Natürlich galt das Ganze auch umgekehrt – die Schiffe konnten den Golf nur durch diese Meerenge verlassen. Darum machte sich Antonius jedoch keine allzu großen Sorgen; er schlug sein Winterquartier ziemlich weit im Süden, in Patrai (heute: Patras), auf und verteilte seine Truppen über den Westen des griechischen Festlands und der Peloponnes, damit sie ausreichend versorgt wären. In Italien einzumarschieren hatte er augenscheinlich nicht vor. Antonius’ Flotte erschien als verlockend leichtes Ziel, und Octavian ließ sich dazu verleiten, sie im Winter an ihrem Liegeplatz anzugreifen. Der Versuch scheiterte aufgrund des für die Meerenge zwischen Italien und Griechenland typischen stürmischen Wetters; schließlich mussten seine Schiffe umkehren, und er erlitt einige Verluste. Im Frühjahr 31 v. Chr. marschierte er deshalb mit seinen Landstreitkräften, die rund 80.000 Mann plus 12.000 Reiter zählten, nach Nordgriechenland, bis knapp 200 Kilometer nördlich von Actium; damit befand er sich noch außerhalb der Gefahrenzone. Seine Flotte war etwa halb so groß wie die von Antonius und bestand überwiegend aus kleineren, aber schnelleren Schiffen. Viele dieser Schiffe setzte er bald rund um die Peloponnes und im Ionischen Meer ein, wo sie Antonius’ Versorgungswege ziemlich effektiv zu stören verstanden. Dadurch wurden bei seiner riesigen Armee und seiner Flotte, die weiterhin im Ambrakischen Golf lag, die Lebensmittel knapp. Einige seiner Truppenverbände litten unter Hunger und waren zunehmend anfällig für Krankheiten. Man muss sich an dieser Stelle klarmachen, wie viel Zeit all dies in Anspruch nahm. Bei so vielen anderen Ereignissen, die mit Augustus zu tun haben, gibt es seit jeher eine starke Tendenz, sich auf einzelne Krisenherde zu konzentrieren und dabei den größeren operativen Kontext auszublenden, in den sie eingebettet waren. So fand die eigentliche Schlacht von Actium erst am 2. September statt, und sie war nach nur vier Stunden bereits wieder vorbei – die fieberhaften Vorbereitungen auf diese letzte Konfrontation indes schleppten sich über Wochen und sogar Monate hin. Das lag zum großen Teil an Antonius’ fortwährender und eigentlich untypischer Zögerlichkeit, die Octavian zum Vorteil gereichte. „Truppenstärke“ ist heute 65

ein ganz alltäglicher Begriff, aber in diesem Fall können wir ihn ganz wörtlich nehmen. Antonius’ Soldaten waren körperlich anwesend, aber sie wurden von Tag zu Tag schwächer, durch mangelhafte Ernährung und durch Krankheit – jeden Tag gab es mehr Deserteure. Ende August war die Zahl der Schiffe, die er effektiv bemannen konnte, auf 230 geschrumpft, Kleopatras 60 Galeeren bereits eingerechnet, so dass Octavian auf einmal zahlenmäßig im Vorteil war. An Land sah es kaum besser für Antonius aus: Die 19 Legionen und ein paar tausend Kavalleristen vor Ort hatten aufgrund der hohen Ausfallraten zum Teil bereits durch Rekruten aus den Provinzen im Osten ergänzt werden müssen, denen es an Ausbildung und Erfahrung mangelte. Entsprechend wurden Antonius’ Optionen immer weniger, und am Ende gab es nur noch ein Ziel: aus der selbstverschuldeten Iso­ lation auszubrechen. Er befahl alle Schiffe, die er würde zurücklassen müssen, zu verbrennen, und bereitete seine Flotte darauf vor, Octavians marines Bollwerk zu durchbrechen. Mehrere Tage herrschten schwere Stürme, was alles wieder verzögerte. Doch am 2. September beruhigte sich das Wetter endlich, und ein starker Wind aus Nordwest begünstigte Antonius’ Vorhaben sogar; doch die Wochen, die er wie in einem Bunker hatte leben müssen, hatten sich auf seine Mentalität ausgewirkt, und so stellte er seine Schiffe in Reih und Glied auf, wie eine schwimmende Festung; beide Flotten schaukelten, kaum einen Kilometer voneinander entfernt, auf dem Wasser auf und ab. Gegen Mittag begann schließlich die Schlacht; Kleopatra und ihrem Konvoi gelang es, die feindlichen Reihen zu durchstoßen und aufs offene Meer zu entkommen. Der Rest von Antonius’ Flotte hatte nicht so viel Glück, auch wenn er selbst auf ein kleines, schnelles Schiff umstieg und sie einholte. Der Sieg gehörte Agrippa und Octavian; auch sie hatten Tote zu beklagen – immerhin rund 5.000 Mann –, aber Antonius’ Verluste waren mehr als doppelt so hoch, und er hatte die meisten seiner Schiffe eingebüßt. Unter seinen fassungslosen Streitkräften an Land herrschte große Unordnung. Einige liefen sofort zu Octavian über, der Rest, bevor sie ihren Rückzug durch Makedonien beenden konnten. Actium war nicht der Anfang vom Ende – Actium war das Ende. Die nächsten Monate waren nur noch eine Art Nachspiel. Wie bereits erwähnt, wurde Octavian daran gehindert, seinen Feinden sofort in Richtung Alexandria nachzusegeln, da er zunächst zurück nach Rom musste, um wieder einmal einen Aufstand einiger seiner Soldaten niederzuschlagen. Der Sieg hatte ihnen kein Geld eingebracht, und Octavians Schatzkammer war leer. Die Eroberung Ägyptens würde all das ganz schnell ändern, aber noch war es nicht so weit. Bald machte sich Octavian wieder auf den Weg in Richtung Osten; Antonius bäumte sich noch ein letztes Mal auf, und seine Kavallerie gewann außerhalb von Alexandria sogar eine Schlacht, dann schließlich musste Antonius sich doch Octavians Land- und Seestreitkräften geschlagen geben. Er zog sich in die Stadt zurück, und die Berichte über seine letzten Tage sind geradezu durchtränkt mit Melodramatik, wie über66

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SCHLACHT VON ACTIUM Abbildung 5. Karte der Schlacht von Actium.

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2.7. Wie sah Kleopatra eigentlich aus?

Abbildung 6. Marmorner Kopf Kleopatras VII. Vatikanische Museen, Rom.

Wie Susan Walker (2001, S. 147) ausgeführt hat, ist es zwar „ein wenig traurig für alle, die das Geheimnis ihres Reizes erforschen wollen, aber je mehr wir die erhaltenen Bildnisse der Kleopatra studieren, desto weniger sicher können wir sein, wie sie aussah“. Marmorporträts von ihr sind kaum erhalten; ein Grund dafür ist, dass Octavian sie in ganz Ägypten zerstören und durch seine eigenen ersetzen ließ. In Rom indes ließ er ihre vergoldete Statue auf dem Caesarforum stehen, und der hier abgebildete Marmorkopf mag sich an diese Statue anlehnen. Ihre Münzbilder sind eher „realistisch“ und manchmal sogar wenig schmeichelhaft, wobei ihre schnabelartige Nase so etwas wie ein Markenzeichen war. 68

Kurz: Sie war zwar nicht unattraktiv, aber bei Weitem nicht so hübsch wie Elizabeth Taylor. Das musste sie auch nicht sein: Unsere Quellen sind sich einig über ihre vielen anderen Reize, wie den Klang ihrer Stimme und ihre kommunikativen Fäigkeiten, und sie sprach sieben Sprachen. Kurioserweise war Latein laut den Quellen nicht darunter, wohl aber Troglodytisch; außerdem war sie die erste äyptische Königin der gesamten makedonischen PtolemäerDynastie, die die Sprache ihres eigenen Volkes, Ägyptisch, sprach. Quellen P. Jones, Kleopatra: A Sourcebook (Norman 2006). D. Kleiner, Kleopatra and Rome (Cambridge, MA 2005). S. Walker und P. Higgs (Hrsg.), Kleopatra of Egypt: From History to Myth (Princeton 2001).

haupt alle Geschichten über sein Verhalten seit Actium: Der Antonius, der mit starker Hand und militärischem Geschick seine Truppen angeführt hatte, war von einem manisch-depressiven Antonius abgelöst worden. Bereits ein paar Wochen zuvor hatte er sich das Leben nehmen wollen, und jetzt versuchte er es erneut – jedoch gelang es ihm auch diesmal nicht, zumindest nicht ganz, und so war man noch in der Lage, ihn auf das monumentale Grabmal zu hieven, das Kleopatra hatte bauen lassen und in dem sie sich versteckte. Er starb in ihren Armen. Man hatte Kleopatra den Krieg erklärt, und der Traum eines jeden siegreichen römischen Feldherrn war es, den besiegten Herrscher lebendig gefangen zu nehmen und in einer Parade durch die Straßen Roms zu treiben, beim großartigsten Spektakel überhaupt, dem Triumph. Allerdings lag darin auch eine gewisse Gefahr: Der besiegte Star konnte dem Feldherrn die Show stehlen, und Kleopatras Charisma und der Ruf, der ihr vorauseilte, machten sie zur idealen Kandidatin dafür (vgl. Kasten 2.7 mit Abb. 6). Es könnte durchaus sein, dass Octavian ihr erlaubte, sich das Leben zu nehmen, um dann bei seinem dreifachen Triumph im Jahr 29 v. Chr. nur mit einem Bildnis von ihr durch die Straßen zu paradieren. Immerhin traf er sich mit ihr, und unsere Quellen betonten den Charme der 39-jährigen Königin und implizieren, dass sie versuchte, ihn zu verführen. Tatsächlich handelte sich wohl um ihren letzten Versuch zu verhindern, dass Ägypten komplett von Rom geschluckt würde. Doch anders als Julius Caesar und Antonius begegnete Octavian Kleopatra mit großer Zurückhaltung; es folgte ihr Selbstmord. Wie genau sie sich umbrachte, wissen wir nicht; einige antike Schriftsteller, vor allem Plutarch und Dio, hatten ihre Zweifel an der berühmten Version mit der 69

Giftschlange und verfassten alternative Versionen. Was blieb, war ihr Einfluss auf die Kultur in Rom, den Diana Kleiner detailliert dargestellt hat und der sich in der ganzen Stadt zeigte – von der Architektur über die „Ägyptomanie“ in der Wandmalerei bis hin zu den Frisuren der Frauen. Es war typisch für Augustus und die augusteische Kultur, dass man sich bei den ehemaligen Feinden bediente – es war zugleich ein Zeichen des Siegs und der Integration. Die ägyptisch aussehenden Motive an den Wänden augusteischer Häuser sind ein gutes Beispiel dafür: Ägypten war nun ein Teil von Rom, in jeder Hinsicht. In Alexandria demonstrierte Octavian Milde und nahm keine Gefangenen. Er ließ die Stadt noch nicht einmal plündern und entschädigte seine Soldaten mit Sonderzahlungen für diesen Einkommensausfall. Einige von Antonius’ Anhängern wurden verschont, aber für die wenigen überlebenden Caesarmörder, die dorthin geflohen waren, gab es genauso wenig Gnade wie für Caesars Sohn Caesarion. Angesichts seiner langjährigen Bewunderung für Alexander den Großen gehörte ein Besuch an dessen Grab für Octavian natürlich zum Pflichtprogramm. Bereits auf seinen frühesten Porträts zeigt sich, wie sehr er sich mit dem großen Eroberer identifizierte, der die Welt verändert hatte (siehe Abb. 2). Alexanders Haar, das im Wind wehte und seine jugendliche Dynamik demonstrierte, war als markante Stirnlocke stilisiert, die (auch wenn man sie hier und da modifizierte) zum Markenzeichen aller Augustusporträts wurde – neben einer ewigen Jugend. Eine boshafte Quelle besagt, dass Alexanders Nase abbrach, als Octavian die Hände auf sein Gesicht legte. Ansonsten jedoch blieb Ägypten völlig intakt, und das aus gutem Grund: Das Land war so reich, dass Octavian alle seine Schulden auf einen Schlag bezahlen konnte. Man schmolz die riesigen Mengen an Silber und Gold, die den ptolemäischen Staatsschatz bildeten, ein und machte Münzen daraus. Weitere Mittel stammten aus einer Sondersteuer, die der ägyptischen Bevölkerung auferlegt wurde, und von ängstlichen Klientelkönigen, die dem neuen Herrscher ihre Ehrerbietung erwiesen, indem sie ihn reich beschenkten. Kurz gesagt: Die ständigen finanziellen Sorgen, die Octavian in den 30er Jahren plagten, hatten nun ein Ende. Darüber hinaus hatte der Anstieg der Geldmenge die willkommene Folge, dass die Zinssätze in Italien von 12 auf 4 Prozent sanken, eine Entwicklung, durch die Beliebtheit einer jeden Regierung fördert. Wie so oft hatte Octavian schnell dazugelernt: Ägypten blieb seine persönliche Provinz unter seiner direkten Verwaltung. Selbst Senatoren, die Ägypten besuchen wollten, mussten erst seine Erlaubnis einholen. Und Augustus wollte nicht Ägyptens Reichtümer plündern, er wollte sie erhalten. Die Erträge flossen direkt in seine eigene Kasse und nicht in die Staatskasse, aber im Gegensatz zu vielen modernen Herrschern verwendete er diese Gelder zum Wohle des Staats; der Wiederaufbau Roms beispielsweise wäre sonst kaum möglich gewesen.

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Rückblick und Ausblick Wir sind wieder an einem Punkt, an dem wir innehalten und uns nicht allzu sehr von diesem Moment blenden lassen sollten, in dem Octavian seinen bislang größten Sieg errang; vielmehr sollten wir einmal zurückschauen auf den Weg, den er bis hierher zurückgelegt hatte, und uns fragen: Was wäre, wenn …? Octavians Schicksal war alles andere als vorherbestimmt und hing immer wieder in der Schwebe – hier ein Fehltritt, dort eine falsche Reaktion auf einen der vielen Wechselfälle, und es wäre alles ganz anders gekommen. Octavian profitierte von Antonius’ Fehlern, aber allein auf der Basis der Defizite seines Gegners hätte er sich nicht durchsetzen können. Stattdessen sorgte er für eine positive Bilanz, indem er selbst die Initiative ergriff und nicht nur auf aktuelle Krisen reagierte, sondern (und da liegt der große Unterschied) sich genau orientierte und vorausplante. Dazu war mehr nötig als bloße Rechenkünste; die Forschung weist immer häufiger darauf hin, dass die 30er Jahre v. Chr. mehr waren als bloß ein chaotisches Jahrzehnt – sie waren auch eine äußerst produktive Zeit, mit vielen Inno­ vationen und Veränderungen, die man weiter systematisierte, als aus Octavian Augustus wurde. Dazu gehöre in erster Linie die Fortführung der res publica und ihrer (ungeschriebenen) Verfassung, ihrer Mechanismen und Ämter. Sie wurden nicht ab­ geschafft, sondern umgewandelt, in etwas, das man „Verfassung plus“ nennen ­könnte – wobei „plus“ die zusätzliche Führungsrolle von Octavian/Augustus meint. Ein weiterer wichtiger Punkt, der auf den ersten Blick paradox wirken mag, ist, dass die Triumviratszeit und die Bürgerkriege „Italiens Schicksal formten, indem sie die kulturelle Vereinheitlichung seiner vielen unterschiedlichen Regionen festigten“ (Osgood 2006, S. 173). Auf der ganzen italischen Halbinsel verbreiteten sich die römische Lebensart und die lateinische Sprache, was durch die Ansiedlung von Veteranenkolonien noch begünstigt wurde; ein ähnlicher Prozess begann im gesamten Mittelmeer, mit vielen regionalen Variationen. Die Eroberung des Ostens legte den Grundstein für ein griechisch sprechendes römisches Imperium und seine oikumene-. Oikumene- bedeutet wörtlich „bewohnte Welt“, aber seit der Zeit Alexanders bezeichnete der Begriff die universale und kosmopolitische Vielfalt von Völkern und Kulturen unter der Ägide einer herrschenden Macht. Im Mittelpunkt stand die Stadt Rom, wo zahlreiche Baumaßnahmen begannen; man sanierte diverse Tempel, renovierte das Forum Romanum und errichtete ein riesiges Grab, das man bald „Mausoleum“ nannte und dessen Bau Octavian initiiert hatte, um zu demonstrieren, wie sehr er sich gegenüber Rom verpflichtet fühlte. Zudem war dieses Grab ein Symbol seines Status: Es war das höchste Gebäude in der Stadt, und durch seine Statue oben auf dem Dach war Octavian den Göttern näher als jeder andere (siehe Kapitel 6). Außerdem traf Octavian zahlreiche 71

Maßnahmen, die mit der Verwaltung der römischen Religion zu tun hatten und die in der „augusteischen Zeit“ ihre volle Entfaltung erleben sollten. Neben der Renovierung von Tempeln ging es dabei um die Wiederherstellung alter Riten und Priesterämter. Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit: Genau wie nicht alles, was unter Octavian geschah, wegen Octavian geschah, so passierte auch nicht alles, was unter Augustus geschah, wegen Augustus. Sicherlich hätte es auch dann, wenn Antonius sich durchgesetzt hätte, ein Römisches Reich gegeben, in dem Ost und West verschmolzen, wenn auch wahrscheinlich auf ganz andere Art und Weise – wir werden es nie genau wissen. Octavian verwies bereits auf seine spätere Rolle als Augustus, indem er nicht nur Ereignisse selbst initiierte, sondern auch darauf achtete, welche Ereignisse sich bereits abzeichneten und im Gange waren. Oft marschierte die Parade bereits – seine Begabung lag darin, auf Entwicklungen zu reagieren und sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen und ihre Richtung zu bestimmen.

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3 Politisches Experiment: das Prinzipat Sanieren – aber wie? Ägypten war erobert; Münzen zeigen zur Feier dieses Ereignisses ein Krokodil, das keck sein Maul aufsperrt. Antonius war tot, und die lange, quälende Zeit der Bürgerkriege war vorbei. Wie es der Sieger selbst in seinen Res Gestae beschreibt (34.1), war er im Alter von 32 Jahren „im Besitz aller Macht“. Die Frage war: Was nun? Und vor allem: Wie sollte er regieren? Es gab eine breite Palette von Möglichkeiten: Er konnte eine despotische Autokratie einführen, aber ebenso gut abdanken und die Macht dem Senat und dem Volk zurückgeben – und zwischen diesen zwei Extremen gab es noch diverse weitere Optionen. Aber endlich stand Octavian nicht mehr unter Druck, und so konnte er sich Zeit nehmen, um genau darüber nachzudenken. Das wissen wir aus mehreren Quellen, aber am besten lässt man zunächst Augustus selbst zu Wort kommen, mit dem vorletzten Kapitel der Res Gestae (siehe Kasten 3.1).

Abbildung 7. Aureus des Octavian, geprägt in der Provinz Asien, 28 v. Chr. London, British Museum, Department of Coins and Medals.

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3.1. Res Gestae 34 „1. In meinem sechsten und siebten Konsulat [28/27 v. Chr.] habe ich, nachdem ich die Flammen der Bürgerkriege gelöscht hatte und mit Zustimmung der gesamten Bevölkerung in den Besitz aller Macht gelangt war, die res publica aus meiner Macht entlassen und sie wieder dem Ermessen des Senats und des römischen Volkes überantwortet. 2. Für dieses mein Verdienst wurde mir auf Beschluss des Senats hin der Name ‚Augustus‘ verliehen, und die Tür­ pfosten meines Hauses wurden auf Beschluss des Staates mit Lorbeeren geschmückt, ein Bürgerkranz über dem Tor angebracht, und ein goldener Schild wurde im julischen Senatshaus aufgestellt. Die Inschrift auf dem Schild bestätigte, dass ihn mir der Senat und das römische Volk überreicht haben, für meine Tapferkeit, Milde, Gerechtigkeit und mein Pflichtbewusstsein. 3. Nach dieser Zeit überragte ich alle Übrigen an Einfluss (auctoritas), aber ich besaß nicht mehr Amtsgewalt (potestas) als andere, die meine Kollegen in verschiedenen Ämtern waren.“

Innerhalb der Grenzen einer (wenn auch außerordentlich langen) Inschrift konzentriert sich Augustus verständlicherweise auf einen historischen Meilenstein – die zwei Senatssitzungen vom 13. und 16. Januar 27 v. Chr., bei denen die verschiedenen Maßnahmen, die er aufzählt, ratifiziert wurden. Man darf natürlich vermuten, dass dies nur die letztendliche Umsetzung zahlreicher Beschlüsse und Beratungen war, die die dreieinhalb Jahre bestimmten, die seit dem Sturz von Alexandria vergangen waren. Bis vor Kurzem konnten wir diese Annahme (wie vernünftig sie auch sein mochte) jedoch nur damit untermauern, dass Augustus das Jahr nennt, das dem Ereignis vorausging, und dass Dio (53.2.5) und Tacitus (Annalen 3.28) erwähnen, Octavian habe die ungerechten Regelungen des Triumvirats am Ende des Jahres 28 v. Chr. abgeschafft. Eine handfeste Bestätigung ergab nun der Fund einer bisher unbekannten Goldmünze, eines aureus, der 28 v. Chr. im römischen Osten geprägt wurde, wahrscheinlich in Ephesos (Abb. 7). Auf seiner Vorderseite zeigt er Octavian mit einem Lorbeerkranz und der Inschrift „IMP(erator) CAESAR – DIVI F(ilius) CO(n)S(ul) VI“. Auf der Rückseite sehen wir ihn im Stuhl eines Magistrats, der sella curulis, eine Schriftrolle in der rechten Hand und links auf dem Boden ein Dokumentenkasten. Die Inschrift hier lautet „LEGES ET IURA P(ublicae) R(ei) RESTITUIT“. Das lässt sich entweder übersetzen mit „er gab dem Staat die Gesetze und Rechte zurück“ oder „er gab die Gesetze und Rechte des Staates zurück“ – eine möglicherweise durchaus beabsichtigte Mehrdeutigkeit.

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Die „wiederhergestellte“ Republik Was verrät uns diese Münze? Auf jeden Fall mehr als viele andere. Beginnen wir mit dem Kontext: Augustus wollte nichts überstürzen – „Eile mit Weile“ könnte man sein Motto nennen. Und so führte er nicht Hals über Kopf einen verbindlichen neuen Regierungstyp ein. Nachdem Alexandria gefallen war, ging er für mehrere Monate in den Osten und verbrachte den Winter auf der Insel Samos; ganz offensichtlich haben wir es hier nicht mit einem paranoiden Tyrannen zu tun, der dringend zurück nach Rom musste, weil er sich von den dortigen Umwälzungen bedroht fühlte. Er hatte aus dem Schicksal seines Adoptivvaters gelernt, der durch die Dolche von Männern starb, deren Verwandte er begnadigt hatte, und er hatte nicht viele Gefangene gemacht. Die Zeiten des Blutdursts und des moriendum est waren nun jedoch vorbei. Wieder war dies kein Wandel, den man als selbstverständlich hätte ansehen können, und viele seiner Zeitgenossen, die den jungen mordenden Killer in Aktion gesehen hatten, waren verständlicherweise weit davon entfernt, darauf zu vertrauen, dass er sich geändert hatte; wer sagte denn, dass der alte Octavian nicht wieder zum Vorschein käme, wenn man nur die falschen Knöpfe drückte? Sein früheres Verhalten lastete sehr auf ihm, und ein paar Jahrzehnte später relativierte Seneca diesen „neuen Augustus“ in seiner an Nero gerichteten Abhandlung Über die Milde (1.11.1): Augustus „war gemäßigt und barmherzig, aber erst nachdem er das Meer vor Actium durch römisches Blut hatte erröten lassen; erst nachdem er seine eigenen und die Flotten seiner Feinde auf Sizilien zerschlagen hatte; erst nach den Menschenopfern und Proskriptionen in Perusia.“ Octavian war das alles natürlich selbst klar. Bereits 36 v. Chr. „verbrannte er so viele Schriften, wie er konnte, die den Bürgerkrieg betreffende Beweise enthielten“ (Appian, Bürgerkriege 5.132), und später untersagte er die von Julius Caesar eingeführte Veröffentlichung der Senatsaufzeichnungen. Bezeichnenderweise verband er Ersteres mit der erklärten Absicht, die res publica wiederherzustellen. Was diese Phrase genau bedeutet, ist Gegenstand endloser Diskussionen. Offensichtlich hätte sich Octavian, das Produkt einer italischen Kleinstadt und ihrer Traditionen, kaum Caesars verächtlicher Bemerkung angeschlossen, die res publica sei „nichts – ein bloßer Name ohne Form und Substanz“ (Sueton, Caesar 77), und er hatte auch nicht vor, Caesars Fehler zu wiederholen und sich zum Diktator auf Lebenszeit ernennen zu lassen. Wie wir gesehen haben, schaffte er selbst als Triumvir nie den institutionellen Apparat der Republik ab, auch wenn er viele ihrer leges et iura aussetzen ließ. Diesen Zustand wollte er nicht fortsetzen; zugleich jedoch wollte er zweifellos an der Macht bleiben und sie niemals abgeben müssen. Das Ergebnis war ein politischer Spagat, der sich mit der Zeit entwickelte. Einer der Gründe, warum Augustus dies so erfolgreich gelang, ist, dass er kein Ideologe war. Dio, der etwa zweihundert Jahre später im Dienste eines 75

­ aisers schrieb, definiert Octavians Wahlmöglichkeiten im Sinne des ideologiK schen Gegensatzes zwischen „Demokratie“ (soweit man für die Republik diesen Begriff anwenden kann) und Monarchie; dabei spricht sich Agrippa für die Demokratie aus, Maecenas für die Monarchie. Octavian hatte während seines langen Aufenthalts in den ehemaligen hellenistischen Königreichen des östlichen Mittelmeeres sicherlich genügend Zeit, sich genau zu überlegen, ob er als Monarch regieren wollte. Die berühmt gewordene Debatte füllt in Dios Historien beinahe ein ganzes Buch (52), und auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass das Gespräch (siehe Kasten 3.2) jemals in dieser Form stattfand, spiegelt es doch immerhin ein Bewusstsein dafür, dass es solche Diskussionen gab und dass die Wahl, wie auch immer sie ausfiel, eine große Tragweite hatte. Als endlich eine Entscheidung fiel, erwies sich die neue Regierungsform als eine Art Hybrid, eine „Verfassung plus“, wie ich sie bereits weiter oben genannt habe. Wie Alain ­Gowing (2005) gezeigt hat, war eine Republik, die von einem Monarchen regiert wurde, für diverse zeitgenössische und spätere Schriftsteller gar kein Widerspruch, sondern lediglich eine verbesserte Form der Republik. Doch in welcher Hinsicht hatte Octavian/Augustus dann, wie er behauptete, die Republik (res publica) wiederhergestellt (restituit)? Die Römer kannten das Wort restituit vor allem von Inschriften an Tempeln und anderen Gebäuden, die nach einer Naturkatastrophe oder altersbedingtem Verfall wieder aufgebaut worden waren. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass sie nur selten genau so wiederhergestellt wurden, wie sie vorher ausgesehen hatten – es gab immer ein paar Modifikationen. Und das gilt auch hier: Es wäre falsch, die Republik als feststehende und unveränderbare Staatsform anzusehen; sie veränderte sich immer wieder, seit Kurzem unterscheidet man mindestens sechs Phasen oder „Republiken“ (Flower 2010). Und so signalisiert die auf die Münze geprägte Phrase „leges et iura restituit“ (die sich eventuell auf einen Senatsbeschluss auf Basis einer Initiative seitens Octavian bezieht) die Rückkehr zu einer Regierung auf der Basis von Recht und Gesetz – im Gegensatz zu einer Staatsform, in der Octavians Wort automatisch Gesetz gewesen wäre. Er war klug genug, das Gerüst der Republik prinzipiell aufrechtzuerhalten; Senatssitzungen und Versammlungen fanden weiterhin statt, die Magistrate wurden alljährlich neu gewählt. Octavians Rolle innerhalb dieses republikanischen Gerüsts war die des Konsuls: Bis 23 v. Chr. ließ er sich jedes Jahr wieder zum Konsul wählen, erst dann entschied er sich für einen anderen Modus Operandi. Zwar gab es immer wieder Alternativen, und Augustus stellt sie pointiert in seinen Res Gestae dar, weist allerdings jede einzelne dieser Alternativen mit denselben Worten zurück: non recepi – „Ich habe es nicht akzeptiert.“ Ein paar Beispiele: „Sowohl der Senat als auch das Volk boten mir [22 v. Chr.] die Diktatur an“ – non recepi. „Sie boten mir an, auf Lebenszeit Konsul zu sein“ – non recepi. Dreimal „beantragten der Senat und das Volk einmütig, dass ich als Einzelperson zum Bewahrer von ­Gesetz 76

3.2. Welche Regierungsform? Ratschläge für Augustus Agrippa sagt (Dio 52.2.1–4): „Wundere dich nicht, Caesar, wenn ich versuche, deine Gedanken fort von der Monarchie zu lenken, auch wenn sie mir viele Vorteile brächte, zumindest wenn du der Monarch wärst. Und wenn du ebenso großen Nutzen daraus ziehen könntest, würde ich dir auch dazu raten; aber da die Privilegien einer Monarchie für Herrscher keineswegs die gleichen sind wie für ihre Freunde, sondern im Gegenteil zahlreiche Herrscher zur Zielscheibe von Eifersüchteleien und Gefahren werden, während ihre Freunde … alle Vorteile genießen, die sie sich wünschen können, halte ich es für richtig, in dieser Frage wie in allen anderen nicht meine eigenen Interessen zu beachten, sondern deine und die des Staates … Denn sicherlich wird niemand behaupten, dass wir uns unter allen Umständen für die Monarchie entscheiden müssen … Wenn wir uns aber tatsächlich für die Monarchie entscheiden, wird das Volk entweder denken, dass wir zum Opfer unserer eigenen glücklichen Umstände geworden sind und über unsere Erfolge den Verstand verloren haben oder dass wir die ganze Zeit über vorhatten, eine Monarchie einzuführen.“ Agrippas Argumente stimmen mit seiner Darstellung als selbstloser Freund von Augustus und „Mann des Volkes“ überein (siehe Kapitel 5). Maecenas hält dagegen (Dio 52.17.1–2): „Ich gehe davon aus, dass du längst davon überzeugt bist, dass ich Recht habe, wenn ich dazu dränge, dass du den Menschen eine monarchistische Regierung gibst. Falls dies der Fall ist, dann akzeptiere diese Rolle bereitwillig und mit Begeisterung – oder, besser gesagt, wirf sie nicht weg. Denn die Frage, die wir hier diskutieren, ist nicht, ob wir uns etwas nehmen, sondern ob wir uns entschließen, es nicht zu verlieren und dadurch zusätzlich Gefahr entstehen zu lassen. Wer wird dich denn schonen, wenn du die Kontrolle über den Staat dem Volk in den Schoß wirfst oder wenn du sie an einen anderen weitergibst – bedenkt man, wie viele du verletzt hast und dass praktisch alle diese gerne an deiner Stelle Monarchen wären? Keiner von ihnen wird hinnehmen, dass du ungestraft davonkommst für das, was du getan hast, und genauso wenig, dass du als ihr Rivale am Leben bleibst.“ Dennoch befürwortet Maecenas keine reine Autokratie und betont, dass der Monarch stets mit gutem Beispiel vorangehen sollte (52.34.1): „Was immer du möchtest, das deine Untertanen denken und tun, du solltest es auch immer selbst sagen und tun. Auf diese Weise erziehst du sie, anstatt sie durch gesetzlich vorgeschriebene Strafen einzuschüchtern. Die erstere Strategie weckt Begeisterung, die letztere schürt Angst …“ Und so (Dio 52.41.1) „beglückwünschte Caesar ihn [Maecenas] und Agrippa für den Reichtum ihrer Ideen und für ihre Offenheit, diese Ideen auszu­ drücken. Am Ende entschloss er sich aber, Maecenas’ Ratschlag zu befolgen.“ Übersetzung nach E. Cary, mit Änderungen 77

und Sitte mit höchster Machtbefugnis ernannt würde – non recepi, genau wie irgendein anderes Amt, das gegen die Sitten und Gebräuche der Vorfahren verstieß“ (Res Gestae 5–6). Schon in den frühen Jahren jedoch war jedermann klar, dass er mehr als nur Konsul war. Das beste Beispiel dafür sind die sorgfältig orchestrierten Senatssitzungen Anfang 27 v. Chr., die zweifellos das Ergebnis viel früherer Verhandlungen und Diskussionen waren. Am 13. Januar verzichtete Octavian feierlich auf alle noch bestehenden Sonderbefugnisse, einschließlich des Oberbefehls über die Provinzen und die dort stationierten Streitkräfte und die Kontrolle der Finanzen. Im Wesentlichen bedeutete das, dass der diese Befugnisse an den Senat zurückgab, und das war im Prinzip eine formale Wiederherstellung der Republik. Wir können auch davon ausgehen, dass res publica restituta sich auch auf anderweitigen Missbrauch von republikanischen Gesetzen während der Triumviratszeit bezieht (beispielsweise waren damals innerhalb eines Jahres statt der üblichen acht nicht weniger als 62 Prätoren ins Amt gehievt worden). Drei Tage später überantwortete der Senat Octavian im Rahmen einer genauso unvergesslichen Feierstunde die Hälfte der Provinzen, vor allem diejenigen, in denen die meisten Legionen im Einsatz waren, und das waren in erster Linie die Grenzprovinzen. Dennoch gab es einen ganz offensichtlichen Kompromiss: Octavian war damit einverstanden, seinen Oberbefehl auf zehn Jahre zu begrenzen (dann musste der Senat die Frist verlängern), einige der Provinzen nach ihrer vollständigen Befriedung wieder dem Senat zu überantworten (was er später auch tat) und ihm die Kontrolle über die Provinzen, die Italien am nächsten waren, und über die dort stationierten Legionen zu lassen. Durch Dios Bericht wissen wir, dass nicht jeder mit diesem Kompromiss zufrieden war. Keine der Parteien bekam den ganzen Kuchen; aber die Stücke, die Octavian fehlten, machte der Senat mit ganz außergewöhnlichen Ehrungen wieder wett, die bei Dio erwähnt werden. Sie verdienen, genauer betrachtet zu werden.

„Augustus“ Zunächst einmal der Begriff „Augustus“. Bezeichnenderweise – und das ist ein Phänomen, das die gesamte Kunst und Dichtung der augusteischen Zeit bestimmt – hatte diese Bezeichnung nicht eine einzige feststehende Bedeutung, sondern evozierte verschiedene Assoziationen. Eine solche Assoziation war eine Art „übermenschliche“ Aura, wie Dio schreibt (53.16.8), „denn als augusta bezeichnet man die am meisten verehrten und heiligen Dinge.“ Der divi filius hatte sich seine eigene Position erkämpft, und fortan führte Octavian den Namen „Imperator Caesar D(ivi) F(ilius) Augustus“ oder jede mögliche Variation davon (beispielsweise Caesar Augustus), aber stets war „Augustus“ dabei. Etymologisch stammt das Wort von auge-re („erweitern, erhöhen“) und ist mit auctoritas verwandt. Auctoritas 78

­ edeutet „Einfluss“ oder „Durchsetzungsvermögen“ und war die Eigenschaft, von b der Augustus behauptete, sie stünde im Mittelpunkt seiner Herrschaft – mit dem impliziten Vorbehalt, dass es sich dabei nicht um eine dauerhafte, gesetzlich geregelte Verfügungsgewalt handelte. Vielmehr musste man sich auctoritas ständig neu verdienen, durch vermehrten (auge-re) Aufwand. Sueton (Augustus 7.2) verbindet den Begriff „Augustus“ zudem mit dem religiösen Bereich, mit den Auguren und insbesondere dem augustum augurium, das sich beim Epiker Ennius findet, im Zusammenhang mit Romulus, der zwölf Geier im Himmel sieht, als er im Begriff ist, Rom zu gründen und sein erster König zu werden. Diese letzte Referenz ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie Augustus beide Extreme miteinander zu vereinen versuchte, indem er zunächst ein Arrangement schuf, das republikanische und monarchistische Elemente miteinander kombinierte. Wir wissen, dass man im Vorfeld des Senatsbeschlusses diskutierte, ob man Octavian den Beinamen „Romulus“ verleihen solle, um zu betonen, dass er Rom sozusagen ein zweites Mal gründete. Er war klug genug, dies abzulehnen. Ein Grund dafür war, dass die Römer keine allzu guten Erinnerungen an die Königszeit hatten – wie bereits erwähnt, waren sie stolz darauf, dass sie den letzten König vertrieben und die libera res publica eingeführt hatten. Außerdem war eine der gängigen Versionen des Romulus-Mythos ein wenig unschön, was Romulus’ Ende betrifft: Nach dieser Version fuhr Romulus nicht etwa in den Himmel auf, als eine Gewitterwolke den Senat verdunkelte, sondern wurde im Schutze der Dunkelheit von den Senatoren getötet, die seine Leiche zerteilten und die Stücke unter ihrer Toga verbargen – eine reichlich profane Erklärung für sein plötzliches Verschwinden. Augustus erteilte dem Vorhaben, ihn mit Romulus zu identifizieren, also eine Absage, ließ den Menschen aber genug Spielraum für eine Vielzahl von Reaktionen – wie wir sehen werden, ein weiteres charakteristisches Element der augusteischen Terminologie und der augusteischen Kunst und Literatur. Ab Mitte der 30er Jahre v. Chr. hatte Octavian den Bewohnern Italiens nicht nur viele Lasten wie Enteignungen und Steuern auferlegt, sondern sie von diversen Plagen befreit, wie Räubern, Banditen und aufständischen Sklaven (Appian, Bürgerkriege 5.132). Seit dieser Zeit hatte man ihn immer wieder auf außergewöhnliche Art und Weise geehrt, und nach Actium nahm die Zahl dieser Ehrungen noch einmal beträchtlich zu. Das Phänomen erreichte jeden einzelnen Haushalt: Im Jahr 30 v. Chr. beispielsweise sollte jeder bei privaten und öffentlichen Mahlzeiten ein Trankopfer für ihn ausgießen (Dio 51.19.7), und wir wissen aus literarischen und künstlerischen Zeugnissen, dass man dies auch weitestgehend tat. Diese Tendenz setzte sich fort mit der Krone aus Eichenlaub und dem Lorbeer, die ihm verliehen und als Embleme auf den Münzen verwendet wurden. Mit Ersterem ehrte man traditionell einen Bürger, der einem anderen das Leben gerettet hatte. Augustus hatte nicht nur einem, sondern allen Bürgern das Leben gerettet – so stand es auch auf den Münzen: „für die Rettung der Bürger“. Während ihn 79

das Eichenlaub also in die republikanische Tradition der Ehrung menschlicher Leistungen stellte, brachte der Lorbeer ihn den Göttern näher, insbesondere Apollo. Es war kein Zufall, dass Augustus 28 v. Chr. auf dem Palatin einen nagelneuen Apollo-Tempel weihte, direkt neben seinem eigenen Wohnkomplex. Dort ganz in der Nähe standen übrigens auch zwei bereits existierende Victoria-Tempel und die legendäre „Hütte des Romulus“ (siehe Karte 2 und Abb. 13).

Rückkehr zur verfassungsmäßigen Regierung Das in der Senatssitzung von 27 v. Chr. verabschiedete Programm brachte mitnichten eine Rückkehr zur Republik, wie sie gewesen war, bevor Caesar den ­Rubikon überschritten hatte (oder zu einer der fünf vorherigen Ausprägungen der Republik). Viel wichtiger war, dass man einen sichtbaren Abstand zur Triumviratszeit schuf, in der es, so Tacitus, „weder Sitte noch Recht“ gegeben hatte ­(Annalen 3.28). Augustus sorgte also nicht für eine „Wiederherstellung der republikanischen Verfassung“, sondern für eine „Rückkehr zur verfassungsmäßigen Regierung“ (Scheid 2007, S. 89). Und man darf durchaus fragen, wie viele Menschen sich überhaupt eine Rückkehr zur Republik wünschten – der Republik mit all ihrer Instabilität, mit ihrem aristokratischen Gerangel um die Macht und mit einer Regierung, die die Grundbedürfnisse der Menschen, wie persönliches Glück, häusliche Ruhe und ein produktives Leben für sich und ihre Familien, vernachlässigte. Folgerichtig gab es, wie Dio bei dieser Gelegenheit berichtet (53.11.2), Senatsmitglieder, „die die republikanische Verfassung ablehnten, weil aus ihr so viel Streit erwachsen war, und die mit den Änderungen in der Regierungsform zufrieden und von Caesar begeistert waren“. Wenn das schon auf die Senatoren zutraf, dann umso mehr auf die überwiegende Mehrheit der Einwohner Italiens. Sie hatten kein Interesse an der Politik in der Hauptstadt, von der sie zwar durchaus betroffen waren, an der sie sich aber nicht beteiligen konnten, außer sie gingen nach Rom, um dort bei Wahlen ihre Stimme abzugeben. Was sie sich unter libertas vorstellten, war nicht die Freiheit, sich im Klüngel um Status und Ämter in Rom zu behaupten, sondern Freiheit von den Auswirkungen, der Zwietracht und den vielen Querelen, die dieses System ihnen gebracht hatte. Deshalb verweist das Ende der Res Gestae auch auf ihren Anfang, wo Augustus behauptet, er habe die Republik aus der Tyrannei einer politischen Gruppierung befreit. Aus all dem ergibt sich aber noch ein weiterer Grund, warum Augustus das republikanische System „wiederherstellen“ wollte: eben weil es die Menschen ständig daran erinnern sollte, welche Schwächen und Risiken ihm innewohnten. Eine Republik ohne einen starken Führer – das war es nicht, was sich die meisten Leute unter einer idealen Regierung vorstellten; niemand sehnte sich nach den Exzessen und dem wirtschaftlich-politischen Chaos, die daraus entstanden waren. 80

Falls das System wieder funktionieren sollte, benötigte es jemanden wie Augustus. Überließ man es sich selbst, war eine Rückkehr zur „schlechten alten Zeit“ garantiert. Und Augustus wurde nicht müde, das Volk immer wieder daran zu erinnern. Im Jahr 23 v. Chr. ließ er zwei Zensoren miteinander ungestört vor sich hin streiten, und 19 v. Chr. blieb er untätig im Osten, während der ehemalige Prätor Egnatius Rufus, der sich im Jahr zuvor erfolglos um das Konsulat bemüht hatte und beim Volk durchaus beliebt war, für monatelange gewaltsame Unruhen sorgte, die erst endeten, als Augustus zurückkehrte und ihn als Verschwörer verurteilte und hinrichten ließ. Vielen reichten solche Episoden als mahnende Erinnerung an die überwundene Staatsform. Damals war die römische Republik noch nicht die idealisierte Abstraktion, zu der sie in der Moderne mutieren sollte.

Zeitgenössische Reaktionen Die zeitgenössischen Reaktionen auf die Ereignisse von 28/27 v. Chr. haben alle einen ganz ähnlichen Tenor. In der laudatio Turiae (vgl. Kasten 2.5) hatte Turias Ehemann ganz einfache Worte dafür gefunden: „Als der Frieden auf der Welt und die res publica wiederhergestellt worden waren, genossen wir endlich friedliche und glückliche Zeiten.“ Velleius, 20 oder 19 v. Chr. geboren, führt dies ein wenig weiter aus (siehe Kasten 3.3). Aber auch wenn er mehr Details liefert, ist die grundlegende Bedeutung der Formel res publica restituta in beiden Zeugnissen die

3.3. Alles wird gut … „Es gibt nichts, das sich Männer von den Göttern wünschen könnten, nichts, das die Götter den Menschen gewähren könnten, nichts, das ein Wunsch wahrmachen oder zu dem das Glück einem verhelfen könnte, das Augustus nach seiner Rückkehr zur Republik dem römischen Volk und der Welt nicht geschenkt hätte. Die Bürgerkriege endeten nach zwanzig Jahren, die Kriege im Ausland ruhten, Frieden kehrte wieder ein, und überall wurden die Waffen zum Schweigen gebracht; die Gesetze erhielten ihre Gültigkeit zurück, die Gerichte ihre Autorität, der Senat seine Vormachtstellung. Die Macht der Magistrate wurde auf das früher herrschende Maß reduziert, mit der einzigen Ausnahme, dass zu den bestehenden acht Prätoren zwei hinzukamen. Die althergebrachte Form der Republik wurde wiederhergestellt. Die Felder wurden wieder bestellt, die Religion respektiert, die Menschen waren wieder frei von Angst, und jeder Bürger erhielt seine vollen Rechte zurück. Alte Gesetze wurden auf sinnvolle Weise korrigiert und neue Gesetze verabschiedet, die dem allgemeinen Wohl dienten.“ Velleius 2.89.2–3 81

gleiche. Und sie findet sich auch bei Vergil wieder, der diese Phrase in seinem ­Nationalepos, das in den 20er Jahren v. Chr. erschien, lediglich einmal verwendet: Dort zitiert er seinen Vorgänger Ennius und preist Fabius Maximus, einen General im Krieg gegen Hannibal, dafür, dass es ihm gelang, restituere rem, „den Staat zu retten“ (Aeneis 6.846). Und das war für die Römer das Wichtigste. Von daher ist es geradezu abwegig, sich auf die „verfassungsmäßigen“ Aspekte von Augustus’ wiederhergestellter res publica im engeren Sinne institutioneller Mechanismen zu fixieren, auch wenn die Forschung dies jahrzehntelang getan hat. Sie waren ein wichtiger Bestandteil der ungeschriebenen römischen Verfassung, und Augustus bemühte sich nach Kräften, wie Velleius anmerkt, ihre „alte traditionelle Form“ zu wahren; eine weitere zentrale Funktion der res publica, so Velleius, war der Schutz des Privateigentums. Vor allem aber war die republikanische Verfassung ein System bestimmter Werte und Prinzipien. Auf dieser Grundlage verlieh der Senat Augustus ein goldenes Schild, auf das vier Kardinaltugenden eingraviert waren: (1) virtus, d. h. Mut und Führungsstärke im zivilen und militärischen Bereich, (2) Milde, die allerdings nie absolut war, sondern immer an bestimmte Bedingungen geknüpft (ein Beispiel ist Augustus’ Anweisung in den Res Gestae 3.2, fremde Völker zu begnadigen anstatt sie zu vernichten – aber nur, wenn man sie ohne Bedenken begnadigen könne); (3) Gerechtigkeit, unerlässlich für jeden guten Herrscher und jede gute Regierung, und (4) pietas, das heißt die Erkenntnis, dass die Götter, die res publica, und die eigene Familie wichtiger sind als man selbst, sowie die Fähigkeit, entsprechend zu handeln und andere zu ­führen. Das war ein ganz zentraler Aspekt der Wiederherstellung der Republik: Werte wie diese sollten wieder in den gesellschaftlichen Mittelpunkt rücken anstelle i­ rgendwelcher legalistischer Kleinigkeiten.

Die Wahl der richtigen Terminologie Das sich nunmehr abzeichnende hybride Konzept (republikanische Monarchie mit „Verfassung plus“) ergänzte Octavian um eine sorgfältig ausgewählte Terminologie, die seiner Rolle eine zusätzliche nichtautoritäre Note gab und mit bekannten Bezeichnungen operierte. Sein Titel war nicht „König“ oder „Diktator“, sondern princeps, „erster Bürger“. Der Begriff war schon lange in Gebrauch gewesen: Der Senatsälteste, der das Amt des Konsuls oder Zensors innegehabt hatte, war der princeps des Senats und in der Regel einer der Ersten, wenn nicht sogar der Allererste, der bei Senatssitzungen sprach. In der Republik gehörten principes zu den vornehmsten und einflussreichsten Mitgliedern der Aristokratie und ­waren aufgrund ihrer Verdienste und ihrer Fähigkeit, andere zu beeinflussen, hoch angesehen. Diese Fähigkeit nannte man auctoritas, ein weiterer wichtiger Begriff bzw. ein Konzept, das Augustus verwendete. Auch dieses Wort hatte einen 82

ganz traditionellen Klang: Der Senat verabschiedete Beschlüsse kraft seiner auctoritas (man muss an dieser Stelle wieder einmal daran erinnern, dass der Senat keine legislative, sondern lediglich beratende Funktion hatte). In der augusteischen Zeit bedeuteten die Buchstaben „S C“ auf einer Bronzemünze, dass sie per Senatsbeschluss (senatus consultum) herausgegeben worden war. Auctoritas war die Grundlage für den Einfluss auf andere; Augustus’ Mutter Atia ist, wie gezeigt, ein gutes Beispiel dafür. Es war ein Begriff mit vielen verschiedenen und ständig wachsenden Anwendungsmöglichkeiten, im privaten wie im öffentlichen Bereich; auf die enge sprachliche Verbindung zu augustus wurde bereits verwiesen. Augustus betont im letzten Abschnitt der Res Gestae (vgl. Kasten 3.1) den Unterschied zwischen der auctoritas und der potestas, der Amtsgewalt eines Magistrats. ­Letztere war institutionell und zeitlich begrenzt, die auctoritas hingegen in der Führungsqualität und Initiative einer Person verwurzelt und viel weiter reichend. Die potestas war eine statische Macht, die auctoritas eine dynamische und performative, weshalb man sie sich, wie wir gesehen haben, ständig neu verschaffen musste. Einer der zentralen Aspekte von Augustus’ Mentalität war, sich niemals auf seinen Lorbeeren auszuruhen, nicht einmal auf denen, die der Senat ihm verlieh.

Basis der Macht: die Armee? Sicherlich, das alles klingt fast schon esoterisch. Würde Augustus heute interviewt – ein Schicksal, das ihm durch den Lauf der Geschichte glücklicherweise erspart blieb –, wäre eine der ersten Fragen, die man ihm stellen würde, zweifellos: „Was, verehrter princeps, war die eigentliche Grundlage Ihrer Macht?“ Wobei der Interviewer darauf abzielen würde, Augustus das Geständnis zu entlocken, dass letzten Endes die Kontrolle über das Heer die Basis seiner Macht darstellte. Anfangs gab es dabei vorgründig noch Einschränkungen, denn die Statthalter, die in denjenigen Provinzen die Truppen befehligten, die dem Senat unterstanden, befanden sich rein formal unter senatorischer Kontrolle. Das imperium (militärischer Oberbefehl), das man Augustus gewährt hatte, übertraf die Befehlsgewalt der Senatoren jedoch, und so konnte er sich auch in den senatorischen Provinzen ins Geschehen einschalten. Die Modalitäten dieses Systems wie auch die der augusteischen Regierung im Allgemeinen (siehe unten) wurden mehrfach geändert und angepasst, aber am Ende gab es keinen Zweifel mehr, dass Augustus der Oberbefehlshaber über alle Streitkräfte war. Allerdings war es ja nicht so, dass er die Armee gebraucht hätte, um im Inland irgendwelche Aufstände zu unter­ drücken. Es gab keine. Die eigentliche Grundlage seiner Macht war indes nicht, dass Augustus die ­Armee kontrollierte. Seit über hundert Jahren, seit der Ermordung der Reformer Tiberius und Gaius Gracchus 133 bzw. 121 v. Chr., hatte die Bevölkerung unter Ausschreitungen und innenpolitischen Unruhen gelitten; sie war einfach nur 83

müde und sehnte sich danach, zu irgendeiner Art Normalität zurückzukehren. Doch obgleich Octavian gegenüber noch viel Misstrauen herrschte, zeigte er sich nach der Eroberung Alexandrias plötzlich von einer ganz anderen Seite als zuvor in den Bürgerkriegen. Zudem war Rom plötzlich reich, durch das Geld aus dem Osten, und der neue Herrscher ließ sich zu beträchtlichen Wohltaten hinreißen – ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Wirtschaftskraft wuchs, und es gab endlich eine greifbare Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Solche Umstände sind nicht gerade die Brutstätte für politische Aufstände, auch wenn es gelegentlich zu (wirkungslosen) Verschwörungen kam, die nach Augustus’ Leben trachteten. Darüber hinaus machte dieser sich daran, die Soldaten, die in den Bürgerkriegen gekämpft hatten, so schnell wie möglich zu entlassen. Insgesamt reduzierte er die Stärke der römischen Armee von mehr als einer halben Million Mann auf etwa 300.000. Diese Truppen kämpften in den laufenden Expansionskriegen zur territorialen Konsolidierung – wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, bedeutete pax Augusta nicht, dass man keine fremden Gebiete mehr eroberte. Es gab keine abtrünnigen Provinzen, die das Heer gewaltsam hätte zur Ordnung rufen müssen (der Pannonische Aufstand in den Jahren 6–9 n. Chr. war die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel). Umgekehrt war Augustus auch kein paranoider Herrscher, der sich in Rom verschanzt hätte. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er sich sicher war, „alle Angelegenheiten zu kontrollieren“, sind die vielen Jahre, die er fern von Rom verbrachte, angefangen mit einer Reise nach Gallien im Sommer 27 v. Chr. und einem langen Feldzug in Spanien, von dem er erst drei Jahre später zurückkehrte.

Eine wesentliche Grundlage der Macht So sehr das alles nach Republik aussah: Es war mehr als offensichtlich, dass Augustus eine herausragende Stellung zukam, auch wenn diese Stellung einen eher subtilen Anstrich hatte. Dazu trugen auch seine immensen Geldmittel und Besitztümer bei, die im Laufe der Zeit immer weiter anwuchsen. Er war der reichste Mann des Römischen Reichs, aber zugleich sein größte Wohltäter. Dieser Prozess begann bald nach seiner Thronbesteigung als Augustus und war für jeden sichtbar, beispielsweise durch Schenkungen an die städtische Plebs, Bau- und Wiederaufbauprogramme, den Kauf von Grundstücken für Veteranen, die Finanzierung öffentlicher Spiele und Aufführungen. Seine Ausgaben waren monumental. Auf seine res gestae, die „Leistungen, mittels derer er die Welt unter die Herrschaft des römischen Volkes brachte“, von denen das Dokument, das sie beschreibt, seinen Namen hat, folgen dort in der Präambel als zweiter wichtiger Punkt die „Ausgaben, die er für die res publica und das Volk von Rom tätigte“. Die Res Gestae bestehen zum großen Teil aus einer Auflistung dieser Ausgaben. Insgesamt ruhten seine Macht und seine auctoritas auf mehreren Säulen. So ­feierte er nach seiner endgültigen Rückkehr aus Alexandria nach Rom im Jahr 29 84

v. Chr. einen glorreichen dreifachen Triumph, für seine Siege in IIlyrien, bei Actium und in Alexandria – einen Triumph, der seinen Widerhall in einer äußerst nationalistischen Passage in Vergils Aeneis fand (siehe Kasten 2.3). Er wurde Mitte August gefeiert, in einer Zeit, in der es in Rom besonders heiß ist; man nennt diese Zeit heute „Ferragosto“, und in der Regel verlassen dann viele Römer die Stadt und fahren an Orte, wo die Hitze weniger drückend ist. Während der Feierlichkeiten wurde Octavian wieder einmal krank, machte aber dennoch weiter. Dieser Triumph markiert einen weiteren Höhepunkt seiner auctoritas, denn während seiner gesamten Regierungszeit feierte er nie wieder einen, und auch andere taten dies kaum.

Die Experimente gehen weiter Der im Januar 27 v. Chr. etablierten Regierungsform lag kein ausführliches Handbuch oder Organigramm zugrunde, sie bildete lediglich den Rahmen für eine Weiterentwicklung des Staates. Das Problem, auf welche Weise Augustus’ Rolle mit den republikanischen Institutionen zu vereinbaren sei, blieb bestehen, das Ganze war ein work in progress. Die naheliegende Lösung war, Augustus Jahr für Jahr zum Konsul zu wählen. Das funktionierte anfangs zwar ganz gut, führte dann aber doch zu Problemen. Zum einen befand sich Augustus als Konsul drei Jahre lang in Gallien und in Spanien, zum anderen hinderte die Tatsache, dass er ständig einen Konsulposten blockierte, andere daran, Roms renommiertestes öffentliches Amt zu bekleiden. Es ist typisch für Augustus’ experimentelle Ader, dass er zunächst überlegte, einen dritten Konsul einzuführen. Der Senat reagierte wie erwartet: Ein solches Arrangement verstieß gegen alles, was man unter „Wiederherstellung der Verfassung“ verstand, und außerdem besaß eine solche Form der Regierung den unangenehmen Beigeschmack eines Triumvirats. Wie von Augustus zu erwarten, hielt er nicht verbissen an der Idee fest, sondern suchte nach Alternativen. Heraus kam eine Lösung, die ebenso innovativ wie genial war und noch dazu weit weniger anstößig: Nach der Hälfte seiner elften Amtszeit als Konsul trat Augustus im Jahr 23 v. Chr. von seinem Amt zurück und ließ sich stattdessen vom Senat die Amtsbefugnisse eines Volkstribuns (tribunicia potestas) verleihen. Diese Stellung ermöglichte es ihm unter anderem, die einzige tatsächlich gesetzgebende Versammlung Roms einzuberufen und Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Und während die Tribunen früher nur zu besonderen Anlässen die Befugnis gehabt hatten, den Senat einzuberufen (was eigentlich das Vorrecht der Konsuln war), verlieh man Augustus ausdrücklich das Recht, dies jederzeit zu tun. Das war aber noch gar nicht der entscheidende Punkt, das Besondere war: Augustus musste für all das gar nicht tatsächlich Tribun sein. Vielmehr galten die tribunizischen Amtsbefugnisse für ihn unabhängig vom eigentlichen Amt. Ebenso musste Augustus nicht mehr Konsul sein, um den militärischen Oberbefehl inne85

zuhaben, der ihm, wie bereits erwähnt, die Kontrolle über die in den Provinzen stationierten Streitkräfte verlieh (das sogenannte imperium maius proconsulare; bezeichnenderweise geschah die Kodifizierung dieses Begriffs jedoch erst nach seiner Herrschaft). Immerhin: Weder die tribunizischen noch die prokonsularischen Kompetenzen widersprachen der Verfassung; sie wurden einfach auf eine neue Art und Weise genutzt. Wieder zeigt sich hier beispielhaft, wie gut Augustus die ver­ fassungsrechtlichen Grenzen auszuloten imstande war, ohne sie zu überschreiten – dass die Verfassung nicht in schriftlicher Form vorlag, trug allerdings sicherlich das Seine dazu bei. Im Rahmen dieses Verfahrens wurden die betreffenden Ämter indes nicht etwa abgeschafft; beides, Konsuln wie auch Volkstribunen, wurden wie eh und je gewählt. So bestanden zwei Systeme nebeneinander, und das spiegelte sich darin wider, dass Augustus bei Senatssitzungen zwischen den beiden Konsuln auf einem eigenen Magistratsstuhl (sella curulis; vgl. Abb. 7) Platz nahm. Dem Ganzen war etwas früher in jenem Jahr (23 v. Chr.) eine interessante Begebenheit vorausgegangen. Es begann mit dem Gerichtsverfahren gegen Marcus Primus, der angeklagt war, gegen einen thrakischen Stamm Krieg geführt zu haben, als er Prokonsul der senatorischen Provinz Makedonien war, ohne dafür die Erlaubnis des Senats einzuholen. Sein Verteidiger, Augustus’ Mitkonsul Terentius Varro, rechtfertigte Primus’ Handeln damit, dass Augustus ihm sein Placet gegeben habe – das jedoch hätte gegen das Arrangement von 27 v. Chr. verstoßen. Augustus trat vor Gericht als Zeuge auf (was äußerst ungewöhnlich war) und gab zu Protokoll, er habe eine solche Erlaubnis niemals erteilt. Primus verlor den Prozess, auch wenn einige der Richter zu seinen Gunsten abstimmten. Es war ein herber Rückschlag für Augustus’ Glaubwürdigkeit; zugleich wurde klar, dass das alte System nicht funktionierte. Terentius Varro ärgerte sich so sehr, dass er sich später einer Verschwörung gegen den Kaiser anschloss. Sie wurde aufgedeckt, aber Varros Schwester Terentia, die Frau von Augustus’ Vertrautem Maecenas, gab ihrem Bruder rechtzeitig einen Tipp, und er entkam zunächst, wurde aber bald von Soldaten gefasst und getötet. Augustus nutzte das frei gewordene Konsulat, um Calpurnius Piso, einen unerschütterlichen Republikaner, zum Konsul zu ernennen, was es dem Senat zweifellos erleichterte, den angestrebten Änderungen im Regierungssystem zuzustimmen. Diese Episode zeigt, dass Augustus nicht alles fest im Griff hatte und dass einige Kräfte weiterhin freies Spiel hatten, selbst wenn es um Menschen ging, die ihm nahestanden. Ebenfalls wenig beeinflussen konnte er auch seine stets so fragile Gesundheit. Diesmal erkrankte er so schlimm, dass er beinahe starb und schon Vorkehrungen dafür traf, die Regierungsverantwortung zu übergeben. Für eine dynastische Erbfolge war es noch zu früh; der wahrscheinlichste Kandidat zur damaligen Zeit war Augustus’ Neffe Marcellus, aber die noch immer recht unsichere Situation konnte man unmöglich schon wieder einem Neunzehnjährigen aufhalsen – Marcellus würde kein zweiter Octavian sein, der in jenem Alter die 86

Bühne der Geschichte betreten hatte. Außerdem starb Marcellus wenig später, während Augustus sich wieder erholte, dank der liebevollen Fürsorge und der kalten Kompressen seines Leibarztes, Antonius Musa. Aus Angst vor dem Tod hatte Augustus Agrippa bereits seinen persönlichen Siegelring übergeben, der passenderweise das Bild der Sphinx trug; damit war Agrippa verantwortlich für Augustus’ Privatvermögen und seine persönlichen Angelegenheiten. Die Staatsgeschäfte (unter anderem die Größe von Armee und Staatsschatz betreffend) übergab er Konsul Piso – ein klares Signal dafür, dass dieser das Staatsoberhaupt sein sollte. Hier zeigte Augustus einmal mehr seine republikanische Gesinnung, und das sollte ihm noch im selben Jahr noch zugutekommen: Die Machtbefugnisse, die ihm nun verliehen wurden, blieben bis zu seinem Tod 37 Jahre später im Großen und Ganzen unverändert und bildeten die institutionelle Grundlage seiner Herrschaft. Im Gegensatz zur Ablehnung des Triumvirats und seiner Exzesse im Jahr 27 v. Chr. konnten die Ereignisse des Jahres 23 v. Chr. als (sicherlich auch auratisches) Bekenntnis zur Republik präsentiert werden. Seine Regierungszeit zählte Augustus selbst ganz bewusst erst ab 23 v. Chr. Er manövrierte geschickt und zeigte dieselbe Hartnäckigkeit, die ihn als Octavian charakterisiert und so erfolgreich gemacht hatte.

Pater und Pontifex Was die Politik und ihre Institutionen betrifft, hatte Augustus nun tatsächlich „Macht über alle Dinge“; den diversen Wechselfällen, die sein Leben dennoch kennzeichneten, werden wir uns später zuwenden. Es war typisch für ihn, dass er dieser eigens für ihn geschaffenen Allmacht nicht mit großem Prunk und Gepränge begegnete, sondern eher reserviert. Die harmlose Terminologie à la auctoritas und princeps erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 2 v. Chr., als (in den Worten des letzten Kapitels der Res Gestae) „der Senat, der Ritterstand und das Volk von Rom mich alle zusammen als ‚Vater des Vaterlands‘ feierten und verfügten, dass dies in der Vorhalle meines Hauses, in der Curia Julia und auf dem Augustusforum inschriftlich verzeichnet werde“. In der Bezeichnung pater patriae schwang wiederum eine Menge mit: Ein römischer pater familias war eine fürsorgliche Vaterfigur, besaß aber auch die Verfügungsgewalt (potestas) über seine Familie; die Senatoren nannte man patres; pater war zudem ein Beiname des Romulus, des Gründers, und des Camillus, des Retters von Rom vor den Galliern; so wie Jupiter der Vater der Götter war, so war Augustus der Vater der Menschen (Ovid, Fasti 2.132). Diese Bezeichnung für Augustus kam nicht aus heiterem Himmel, sondern wurde in den Jahren zuvor langsam vorbereitet, wie wir aus Inschriften aus Italien und den Provinzen wissen. Dies ging Hand in Hand mit einer begrenzten Zahl offizieller Skulpturen von Augustus in kriegerischer Pose; die berühmte Statue aus der Villa der Livia in Primaporta beispielsweise, mit ihrem aufwendigen Brustpanzer, ist in 87

3.4. Der Augustus von Primaporta

Abbildung 8. Marmorstatue des Augustus aus Primaporta. Aus der Zeit des Tiberius, ca. 15 n. Chr., Kopie eines Originals von 20 v. Chr. Rom, Vatikanische Museen.

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Die wohl berühmteste Augustus-Statue überhaupt ist eine marmorne Kopie, die man in der Villa bei Primaporta (nahe Rom) fand, wo Livia nach Augustus’ Tod lebte. Das Original war aus Bronze und entstand etwa 20 v. Chr. Augustus ist dargestellt, wie er zu seinen Truppen spricht (das nennt man „adlocutio“). Das Zepter ist erst im Rahmen der Restaurierung hinzugefügt worden, ursprünglich hielt die Statue in der Linken einen Speer. Einen Mantel wie den, den er um die Hüften geschlungen hat, findet man normalerweise bei Statuen Caesars. Anderen restaurierten Statuen dieses Typs hat man einen Speer in die rechte Hand gegeben und in die linke einen Lorbeerkranz. Seine nackten Füße könnten ein Hinweis auf seine Göttlichkeit sein. Das Bildprogramm auf dem Brustpanzer vereint Geschichte und Mythologie, und wie so oft in der Kunst der augusteischen Zeit (vgl. die Ara Pacis in Abb. 10 und 11) hält es den Betrachter dazu an, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. In der Mitte nimmt ein Vertreter Roms (Mars oder Tiberius) vom Partherkönig die militärischen Standarten entgegen, die Rom 53 v. Chr. eingebüßt und sich 20 v. Chr. wiedergeholt hat; die sitzenden weiblichen Figuren zur Rechten und zur Linken stehen für verschiedene Regionen, die Rom erobert hatte. Das Ereignis hallt noch weiter nach: Ein neuer Tag beginnt, personifiziert durch den Sonnengott, der seinen Wagen unter dem Blick des Himmelsgottes lenkt, der sich am oberen Ende des Panzers befindet. Die Göttin der Morgenröte und eine andere weibliche Gottheit, möglicherweise Venus, gehen ihm voran. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Götter nach Rom zurückkehren, daher sind Apollo und Diana rechts und links unterhalb der mittleren Szene dargestellt. An der Unterseite des Panzers sieht man die zurückgelehnte Tellus, Sinnbild für die fruchtbare Erde und hier das Gegenstück zum Himmelsgott, mit dem Füllhorn, das die Rückkehr des Wohlstands ankündigt. Wie viele Skulpturen in Griechenland und Rom war diese Statue ursprünglich bemalt. Auf dieser Website kann man sich einen farbigen Rekonstruktionsversuch ansehen: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/photo/2008/05/02/ PH2008050203201.html.

eine private Umgebung eingebettet (siehe Kasten 3.4 mit Abb. 8). Weitaus öfter sehen wir Augustus in priesterlichem Gewand (Abb. 9). Während er, wie wir gesehen haben, größten Wert darauf legte, außergewöhnliche politische Ämter wie die Diktatur abzulehnen, demonstrierte er im religiösen Bereich keine solche Zurückhaltung. Er übernahm eine beispiellose Anzahl an Priesterämtern und erwähnt diese Tatsache voller Stolz in Res Gestae 7.3: Er war Mitglied der vier wichtigsten staatlichen Priesterkollegien und wurde nach Lepidus’ Tod 12 v. Chr. sogar oberster Priester, pontifex maximus. Es war kein Zufall, dass Augustus’ Vorfahr 89

Aeneas in gleicher Weise stilisiert wurde: Er war, wie er selbst sagt, nicht nach Italien gekommen, um ein Königreich zu errichten, sondern um Götter und religiöse Riten zu etablieren (wörtlich: „geben“ – nec mihi regna peto … sacra deosque dabo, Vergil, Aeneis 12.190, 192). Ein römischer pater familias war kein Autokrat, sondern beriet sich mit Freunden und Familie. Und so hatte auch der pater patriae sein eigenes kleines „Kabinett“ zu Hause; die wichtigsten Mitglieder waren Livia (mehr über sie in Kapitel 5), Agrippa und Maecenas. Agrippa, der uns bereits mehrfach begegnet ist, wurde im selben Jahr wie Augustus geboren, ihre Freundschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen reichten zurück bis in ihre Jugend. Er war Augustus’ unverzichtbare rechte Hand, ein Mann der Tat, sei es in militärischen Angelegenheiten, bei der Stadtsanierung oder in der Zivilverwaltung (vgl. Kapitel 5). Maecenas, der sich brüstete, von den etruskischen Königen abzustammen, steuerte ganz andere ­Talente bei: Er war ein brillanter Diplomat und bewies großes Geschick im Verhandeln und im Aussöhnen verschiedener Standpunkte. Außerdem war er (nicht

Abbildung 9. Statue des Augustus von der Via Labicana. Rom, Museo delle Terme.

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zuletzt aufgrund seines riesigen Privatvermögens) ein großer Förderer von Künstlern und Dichtern; im Begriff „Mäzen“ ist sein Name zum Synonym für kulturelle Wohltäter geworden. Seine Persönlichkeit bot attraktiveres Futter für antike Schriftsteller als die von Agrippa. Ein gutes Beispiel bietet Velleius (2.88): „In kritischen Notfällen kennzeichnete ihn eine schlaflose Wachsamkeit, war er weitsichtig und sich bewusst, wie er handeln musste, aber wenn er sich von seinen Geschäften entspannte, konnte er extravaganter und weibischer sein als eine Frau.“ Sicherlich sind diese Worte auch ein schönes Beispiel für eine allzu klischeehafte und stereotype Darstellung.

Selbststilisierung: civilis princeps Bei seinem Umgang mit der Bevölkerung und auch mit den Senatoren spielte Augustus auf vollendete Weise die Rolle des nichtautokratischen Herrschers, des civilis princeps. Sueton (Kapitel 52–56) bietet diverse Beispiele dafür. Gleich seine erste Episode ist äußerst aufschlussreich: Augustus wollte nicht als „Herr“ angesprochen werden, nicht einmal zu Hause (siehe Kasten 3.5). Jahrzehnte später ließ sich Kaiser Domitian „Herr und Gott“ nennen – er starb durch die Hand eines Attentäters. Erst rund 300 Jahre nach Augustus gaben sich Diokletian und sein Mitkaiser offiziell den Titel dominus, und das Dominat ersetzte das Prinzipat, nicht nur im Ton, sondern auch in der Substanz; die harten Gesichtszüge der Diokletian-Porträts sprechen Bände. Sueton fährt fort mit Beispielen für Augustus’ freundliche Haltung gegenüber dem gewöhnlichen Volk (beispielsweise nimmt er einem nervösen Bittsteller die Angst) und den Senatoren: „Als ein Senator namens Gallus Cerrinius, den Augustus kaum kannte, plötzlich blind wurde und beschloss, sich zu Tode zu hungern, kam er ihn besuchen und spendete ihm Trost, so dass Gallus seine Meinung änderte.“ Er ließ sich von den Senatoren maßregeln und anschreien, so viel sie wollten, und verließ die Sitzungen dieser erhabenen Körperschaft mehr als einmal in großer Verzweiflung – unter seiner Toga eine Schutzweste, die verhindern sollte, dass er Caesars Schicksal teilte. Wie Sueton anmerkt, unterdrückte er keinerlei freie Meinungsäußerung, auch wenn dieser in der römischen Politik immer eine gehörige Dosis Verleumdung anhaftete. Außerdem genoss und förderte Augustus viele beliebte Spielarten der Unterhaltung – auch solche, die Caesar stets gemieden hatte. So überrascht auch Suetons Fazit nicht: „Welchen Grad der Zuneigung Augustus durch ein derartiges Verhalten gewann, kann man leicht ermessen.“ Gleichzeitig wusste aber jeder darum, welch unnachgiebiger Charakter unter dieser Oberfläche wohnte. Manchmal konnte man diesen von seinen Augen ablesen: „Augustus empfand tiefe Freude, wenn jemand, den er durchdringend anschaute, den Kopf senkte, so als sei sein Blick durch die Sonne geblendet“ (79.3). Der Gesamteindruck ist der eines Mannes, der sich nicht nur seiner Umgebung gegenüber als äußerst standfest präsentierte – 91

3.5. „Augustus“ – nicht „Herr“ „Er war stets entsetzt und fühlte sich beleidigt, wenn man ihn mit ,mein Herr‘ (dominus) ansprach [so redeten Sklaven ihre Besitzer an]. Als er einmal bei den Spielen einen Mimus ansah, rezitierte einer der Schauspieler die Zeile: ,Oh gerechter und großzügiger Herr‘, woraufhin das gesamte Publikum aufstand und applaudierte. Ein zorniger Blick und eine entschiedene Geste beendeten diese grobe Schmeichelei rasch, und am nächsten Tag erließ er eine strenge Maßregel. Danach durften nicht einmal mehr die Kinder und Enkel in seinem Haushalt dieses unterwürfige Wort verwenden, selbst wenn sie scherzten und nur untereinander redeten.“ Sueton, Augustus 53.1, nach der Übersetzung von Robert Graves

e­ inige Verschwörungen nahmen ihren Lauf, ohne dass sie in irgendeiner Weise sein Verhalten beeinflussten –, sondern auch, und das ist vielleicht noch wichtiger, eines Mannes, der in sich ruhte.

Weite Horizonte Der tiefer gehende Grund für Augustus’ Erfolg lag jedoch nicht allein darin, dass er eine Atmosphäre schuf, die sich von derjenigen der 30er Jahre positiv abhob, sondern auch darin, wie er auf die sozialen und kulturellen Veränderungen reagierte, die Rom und der ganze Mittelmeerraum in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hatten. Hierin manifestiert sich ein weiteres Beispiel für den Gegensatz zwischen Augustus’ Denkweise und derjenigen des oligarchischen senatorischen Regimes der Republik. Wie wir gesehen haben, konzentrierte sich Letztere stets auf Rom und die dortige Politik. Daher definierte Syme, wie schon erwähnt, Augustus’ Sieg als Sieg der unpolitischen Klassen Italiens. Der augusteische Horizont und Augustus’ Vision gingen indes viel weiter. Sie umfassten die gesamte mediterrane Welt. Diese Welt hatte sich durch die römischen Eroberungen stark verändert. Diese Eroberungen wirkten sich nicht nur militärisch und administrativ aus, vielmehr gab es eine Fülle gegenseitiger Beeinflussungen – kultureller, religiöser, wirtschaftlicher und sozialer Art –, die ihre eigene Dynamik hatten und deren Ursprung zunehmend auch außerhalb Roms und Italiens lag. Ihre Protagonisten waren das, was ein Forscher einmal „Diaspora-Römer“ genannt hat (Purcell 2005). Natürlich bedeutet der Begriff „Diaspora“ dabei nicht, dass hier jemand gewaltsam aus der Heimat vertrieben wurde. Aber es gab eine große und stetig wachsende Anzahl Privatunternehmer, die sich die Möglichkeiten zunutze machten, die die Expan­ 92

sion Roms ihnen bot. Sie waren eine ganz heterogene Gruppe, darunter ausgewanderte römische Bürger und deren Nachkommen, Freigelassene und deren Nachkommen sowie Einheimische, denen das römische Bürgerrecht gewährt worden war. Sie stellten eine wichtige politische Zielgruppe dar – zwar waren sie nicht unbedingt der „Kitt“, der das Reich zusammenhielt, aber auf jeden Fall ein wichtiges Bindeglied zwischen den fernen Ländern und Rom. In ihren Ethnien und Kulturen spiegelte sich der gesamte Mittelmeerraum; was sie „römisch“ machte, war unter anderem ihre Beziehung zu den Personen, die in Rom am Ruder waren, wodurch sie selbst einen privilegierteren Status erhielten. Dass dort nun ein einzelner Herrscher saß, ermöglichte weitaus klarere Beziehungen, und so entwickelte sich Augustus zum Patron aller Patrone. Wir haben es hier nicht mit einer rigiden administrativen Struktur zu tun, sondern mit einem dynamischen System, das dem ähnelt, was wir heute als „Networking“ bezeichnen. Man könnte durchaus argumentieren, dass sich die eigentlich interessanten Dinge nun in der Diaspora ereigneten, weil es „jene Welt war, die die politischen Ergebnisse der damaligen Zeit bestimmte“; und so war es auch kein Zufall, dass Caesar „die Jahre, die ihn am meisten prägten, in der Diaspora verbracht hatte“ (Purcell 2005, S. 104). Dasselbe gilt für Augustus. Als Caesar ermordet wurde, befand er sich in Apollonia, und vor und nach der Eroberung Alexandrias verbrachte er mehrere Mo­ nate auf Samos, einem der wichtigsten Knotenpunkte des östlichen Mittelmeers. Bald nach seiner Ernennung zum Augustus regierte er das Römische Reich fast zwei Jahre lang von Tarraco in Spanien aus. Seine Anwesenheit dort war in militärischer Hinsicht gar nicht zwingend nötig, da entsprechende Operationen ohnehin nur sporadisch stattfanden. Und dann reiste er 21–19 v. Chr. wieder nach Griechenland und in den Osten und blieb während dieser Zeit erneut mehrere Monate auf Samos – all das im Zusammenhang mit der Ziviladministration des Reichs. Das Mittelmeer und die in der Diaspora lebenden Römer waren ein wichtiger Faktor, um den man sich aktiv kümmern musste. Der Kaiser wollte nicht warten, bis sie nach Rom kämen, stattdessen kam er zu ihnen. Dass er ihrer Rolle in jeder Hinsicht Anerkennung zollte, führte zu einem höheren Grad an Zusammenhalt innerhalb dieser Ansammlung eroberter Gebiete, die zuvor meist nur als bloßes Anhängsel Roms behandelt worden waren (vgl. Kapitel 7).

Wissen ist Macht Auf ganz ähnliche Weise nutzte Augustus eine weitere große Veränderung, die sich bereits abzuzeichnen begonnen hatte, als er auf der Bildfläche erschienen war: Sie hatte ebenfalls etwas mit Macht zu tun, aber nicht einfach mit politischer Macht. Der Verlierer war wieder einmal die zuvor herrschende Klasse, und auch diese Entwicklung (nicht nur der bloße Machtverlust in der politischen Arena) steckte hinter dem Gejammer über den „Untergang“ der Republik. Dabei ging es darum, 93

wie man das Wissen kontrollieren konnte, und zwar in fast allen wichtigen Gebieten der römischen Kultur: der Religion, dem Kalender, der öffentliche Reden, dem Recht und der korrekten Verwendung der lateinischen Sprache, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen. In all diesen Bereichen hatte die römische Aristokratie ihre Kontrolle über das Wissen Fachleute übergeben, die nun von Augustus für seine Zwecke verpflichtet wurden – und natürlich galt damals wie heute: Wissen ist Macht. Das Phänomen hat man als „römische Kulturrevolution“ bezeichnet. Lassen Sie uns einen kurzen Blick auf ein oder zwei Beispiele werfen. Ein wichtiger Bereich war der Kalender. Dabei ging es um mehr als nur um Zeitrechnung: ​​Der Kalender bestimmte den Ablauf des öffentlichen Lebens, denn er unterschied zwischen Festtagen, Werktagen und Tagen, an denen sich die einzelnen Körperschaften der Regierung treffen konnten. Darüber hinaus hoben jährliche Listen, die fasti, einzelne Personen hervor, indem sie verzeichneten, wer welches Amt innegehabt und was er geleistet hatte. Wer damit umzugehen wusste, besaß einen großen Gestaltungsspielraum. Es waren natürlich vor allem Adlige, und oft taten sie, was sie wollten; der Kalender für den nächsten Monat wurde oft nur ein paar Tage im Voraus verkündet. Der Kalenderreform Caesars markiert das Auftreten erfahrener Fachleute. Sie brachten ihre Kenntnisse ein und regulierten das dilettantische System – zum Zeitpunkt der Reform waren der römische Kalender und die tatsächliche Zeit etwa drei Monate auseinander –, und sie wurden vom neuen Staatschef angestellt und eingesetzt. Dieser Prozess setzte sich unter Augustus fort, allerdings mit der zusätzlichen Dimension, dass die fasti (genau wie die Kontrolle über den Kalender) kein Privileg der Aristokratie mehr waren, sondern überall fasti entstanden – für lokale Feste, für örtliche Richter und Funktionäre, darunter Freigelassene und Sklaven. Wie Andrew Wallace-Hadrill es kurz und bündig formuliert: „Als sie dem Adel entgleitet, wird die römische Zeitrechnung zum Eigentum aller Römer“ (2005, S. 74). Dies war aber keine singuläre Erscheinung, sondern Teil eines viel umfassenderen Phänomens, dem wir uns jetzt zuwenden wollen: Einer der wichtigsten Aspekte der augusteischen Herrschaft war genau dies – dass sich einem viel größeren Teil der Bevölkerung auf einmal Chancen öffneten, die vorher ein paar wenigen vorbehalten waren. So paradox es klingen mag: Eine Verschiebung hin zu einer autokratischen Regierung wird meist von einem authentischen Engagement viel breiterer Schichten der Bevölkerung begleitet. Jeder, nicht nur die Stadt Rom und die Konsuln, konnten jetzt ihre fasti veröffentlichen, ob Monatskalender und jährliche Funktionärslisten oder eine Kombination aus beidem. Wir finden solche fasti in Städten wie Praeneste, für die Beamten (vicomagistri) der etwa 265 Stadtteile von Rom, die allesamt Freigelassene waren, für die Sklaven einer kaiserlichen Villa und viele, viele mehr. Augustus ging sicherlich mit gutem Beispiel voran, indem er Roms offizielle fasti mit einer regelrechten Flut von Jubiläen und Gedenkfeiern für sich selbst und seine Familie anreicherte. 94

Ein weiteres ganz zentrales Beispiel dafür, wie sich Roms Kultur veränderte, ist die Kontrolle über die Sprache Roms, das Lateinische. Hierin liegt eine gewisse Ironie: Als der römische Adel im Rahmen seiner Eroberungskriege Roms ­Hoheitsgebiet vergrößerte, konnte die traditionelle Art und Weise, wie die Kenntnisse des Lateinischen weitergegeben wurden, nicht aufrechterhalten werden. In früheren Zeiten geschah dies gemäß üblicher Praxis (consuetudo) auf ganz natürliche Art und Weise, durch lateinische Muttersprachler in der Hauptstadt. Es muss kaum betont werden, dass die Bewohner weit entfernter Regionen (und sogar Italiens) von diesem Prozess ausgeschlossen waren. Für sie und viele andere musste Latein einem Regelwerk unterworfen und systematisiert werden, nach „rationalen“ Regeln (ratio). Als Vorreiter fungierte hier einmal mehr Julius Caesar, der mitten im Gallischen Krieg eine Abhandlung Über die Analogie verfasste. In der Praxis lag diese neue Systematisierung jedoch in den Händen aufstrebender Fachleute, der grammatici, die sich als „Hüter der Sprache“ etablierten. Sie nahmen das Ruder in die Hand, und von ihren Diensten profitierten weitaus größere Bevölkerungsgruppen als zu der Zeit, als in diesem Bereich noch die römische Aristokratie das Sagen hatte. Einige von Augustus’ Maßnahmen werden erst im Licht dieses Paradigmenwechsels voll verständlich. Die Senatoren konnten noch so lautstark den Verlust ihrer Privilegien, Konsulate, Provinzkommandanturen und anderer Auszeichnungen beklagen – Roms Gesellschaft hatte sich gewandelt, und die Senatoren hatten die Kontrolle über die Kultur verloren. Die Entwicklungen hatten ihre eigene Dynamik; Augustus war an ihnen zwar nicht ursächlich beteiligt, aber er erkannte, wo sich sein Umfeld veränderte, und er begann, diese Veränderungen zu steuern. Eine zentrale Frage bleibt: Jetzt, wo Augustus „Macht über alle Dinge“ hatte, übte er diese Macht um ihrer selbst willen aus oder war sie für ihn nur Mittel zum Zweck? Ganz eindeutig war Letzteres der Fall. Die verschiedenen Erscheinungsformen dieser Macht werden uns im gesamten weiteren Verlauf dieses Buchs beschäftigen, aber an dieser Stelle wollen wir mit einem frühen Beispiel schließen, denn es ermöglicht eine Öffnung der Perspektive und beleuchtet zugleich noch einmal das Experiment des frühen Prinzipats. Dabei handelt es sich um seinen Versuch, eine gesetzliche Pflicht zur Eheschließung einzuführen (ca. 27 v. Chr.). Die diversen Gründe dafür werde ich im nächsten Kapitel darstellen, und moralischer Fanatismus ist der geringste dieser Gründe. Er wollte mit dieser Maßnahme auch nicht etwa an Popularität gewinnen – es kam vielmehr zu heftigen Protesten, und Augustus machte einen Rückzieher, nur um ein paar Jahre später einen neuen Anlauf zu unternehmen, diesmal mit Erfolg. Der Punkt ist: Seine Ziele gingen über den bloßen Machterhalt und den Versuch, den Menschen ihren materiellen Wohlstand zurückzubringen, hinaus. Er war, wie wir bereits gesehen haben, kein Ideologe, aber er hatte durchaus eine bestimmte Vorstellung davon, in welche Richtung er Rom lenken wollte. 95

4 Die Herausforderungen der pax Augusta Es gibt Mythen, die sind kaum totzukriegen. Im augusteischen Kontext geht es dabei nicht um den Mythos des Goldenen Zeitalters allgemein, sondern um den Mythos des augusteischen Goldenen Zeitalters. Man hat oft den gesamten Zeitraum der Herrschaft des Augustus mit diesem Etikett versehen, das (wie die meisten Etiketten) eher bequem ist als präzise. Von dem Standpunkt aus waren die letzten kleinen Wellen, die sich auf dem augusteischen Meer kräuselten, diejenigen der Schlacht von Actium. Seither herrschte Windstille, der Wohlstand kehrte zurück, die Probleme wurden geringer oder verschwanden sogar ganz, es entstanden prächtige neue Bauten und die Künste lebten auf. Besonders wenn wir mit immer größerem Abstand zurückblicken, erscheint uns jener Zeitraum als eine segensreiche Zeit, die die Menschen späterer Epochen, vor allem in Frankreich, England und Sachsen, dazu verführte, das Siegel des augusteischen Goldenen Zeitalters für sich selbst zu beanspruchen (vgl. Kasten 8.2). Wie immer war die Realität ein wenig komplizierter. Wir haben bereits im letzten Kapitel gesehen, dass Augustus in unruhigem Fahrwasser manövrierte. Nach Actium und Alexandria wurde nicht automatisch „alles wieder gut“. Wie konnte es das auch? Die Jahrzehnte der Wirren und Unruhen machten insgesamt fast ein ganzes Jahrhundert aus, und sie hatten tiefe Wunden hinterlassen. Eine Rückkehr zur Stabilität würde viel Zeit erfordern und es war fraglich, ob sie ­jemals zum Abschluss kommen würde. Tatsächlich finden wir genau diese Denkweise in vielen Quellen jener Zeit: kein oberflächliches Eigenlob, sondern ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der laufenden Anstrengungen. Vergils Aeneis ist eines der besten Beispiele. Darin geht es zwar um die Gründung Roms, aber nicht im physischen Sinne. In seinem Nationalepos wird Rom nicht an einem Tag erbaut – es wird überhaupt nicht erbaut, das kommt erst viel später. Hier liegt der Schwerpunkt vielmehr auf den Widrigkeiten und Strapazen (labores), die Roms Gründervater zu überwinden haben. 96

Während die Beiträge von Dichtern und anderen in der Summe über die reine Parteinahme hinausgehen, können wir davon ausgehen, dass Augustus selbst in der einen oder anderen Weise den Tenor des Diskurses steuerte. Er feierte, wie wir gesehen haben, nach seiner siegreichen Rückkehr aus dem Osten im Jahr 29 v. Chr. einen spektakulären dreifachen Triumph, aber es ist umso bezeichnender, dass er im Laufe der ganzen restlichen 43 Jahre seiner Herrschaft nicht einen einzigen weiteren Triumph feierte. Der Triumphalismus hatte seine Grenzen. 25 v. Chr. akzeptierte der princeps anstelle eines Triumphs das Privileg, am ersten Tag eines jeden neuen Jahres einen Kranz und ein Triumphgewand zu tragen (Dio 53.26.5), aber das hieß nicht, dass er bereit war, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Stattdessen beobachten wir bei ihm ein Ethos des Kampfes und der Suche nach Herausforderungen – bedenkt man, welche Erlebnisse seinen Charakter seit seiner Jugend geformt hatten, ist das auch wenig überraschend. Wie Achilleus, mit dem er sich in einer seiner frühen öffentlichen Reden in Rom verglich (Appian, Bürgerkriege 3.13), hätte er durchaus ein bequemeres Leben wählen können, wenn er auf seinen wohlmeinenden Stiefvater gehört und Caesars Erbe ausgeschlagen hätte. Dann gab es da noch die ständigen Probleme mit seiner schwachen Konstitution – auch war wenig Grund zum Triumphieren. Drittens hatte er, wie wir gesehen haben, viel von seinem Erfolg der Tatsache zu verdanken, dass er (im heutigen Sprachgebrauch: proaktiv) handelte und nach vorne schaute, anstatt bloß zu reagieren. All diese Eigenschaften verschwanden ja nicht, nur weil er plötzlich alle Macht auf sich vereinte. Stattdessen formten sie den Charakter seiner Herrschaft, und sie bieten eine nützliche Perspektive, um einige Aspekte und Entwicklungen dieser Herrschaft zu betrachten.

Pax: Bedeutung und Praxis In seinen Res Gestae definiert Augustus pax kurz und bündig als „aus Siegen geboren“ (parta victoriis pax; 13.2). Pax ist ein sehr römischer Begriff (und das mag ein Grund dafür sein, dass er in der griechischen Fassung gar nicht auftaucht): Erst kommen Sieg und Eroberung, und dann gibt es einen Pakt (pax ist etymologisch mit lateinischen Wörtern verwandt, die „festmachen“, „zu einer Einigung kommen“, „einen Pakt schließen“ u. Ä. bedeuten). Dieser Pakt, pax, bedeutete Verpflichtungen für beide Seiten, die Unterworfenen wie auch die Römer. Sicher, diejenigen, die Lobeshymnen auf das Imperium (laudes imperii) sangen, übertrieben die Umstände oft in ihrem rhetorischen Überschwang, aber im Grunde war es ein Pakt, der den Besiegten im Gegenzug für die Aufgabe der eigenen Souveränität den Schutz durch Rom einbrachte – und das bedeutete Sicherheit, größere Chancen für Handel und Gewerbe, Teilnahme an und Zugang zu einem größeren Netzwerk (einschließlich sozialer Mobilität), Religionsfreiheit und ein normatives 97

Rechtssystem; was Letzteres betrifft, so ließen die Römer, wie in den meisten anderen Bereichen, die indigene juristische Praxis unangetastet, solange sie nicht im Widerspruch zu allgemein anerkannten Normen stand, und waren selbst nur für Kapitalverbrechen zuständig. Insofern war es nach Ansicht der Römer auch mehr als gerechtfertigt, hohe Steuern zu erheben, auch wenn die Praxis der Steuereintreibung immer wieder für Irritationen sorgte, auf beiden Seiten. Wenn wir im Zusammenhang mit Augustus von pax sprechen, müssen wir eine ganz wesentliche Unterscheidung treffen. Augustus brachte innenpolitisch Frieden, in dem Sinne, dass er die Bürgerkriege beendete. Sie hatten der Psyche der Nation fast irreparablen Schaden zufügt, und ihr Ende sorgte, wie im vorigen Kapitel gezeigt, für denkbar große Erleichterung und Dankbarkeit. Das stärkste Symbol dafür, dass der Krieg vorbei war, bestand im feierlichen Schließen der Türen des Janus-Tempels. Das geschah nur selten, denn Rom befand sich quasi ständig im Krieg gegen ausländische Feinde. Nach der Eroberung Alexandrias wurde diese Zeremonie sehr aufwendig inszeniert; der offizielle Feind in diesem Krieg war die ausländische Königin gewesen und nicht etwa Antonius. So konnte Vergil dies Ereignis gut für die klangvolle Prophezeiung Jupiters verwenden, die den Höhepunkt des Prologs der Aeneis bildet (1.291–296): Dann wird das Zeitalter der Gewalt in sanften Frieden übergehen: Die ehrwürdigen Fides und Vesta, Quirinus und Remus werden die Gesetze machen, die düsteren, aus Stahl geschweißten Tore des Kriegs werden geschlossen; und drinnen, auf den Waffen, sitzt, von hundert bronzenen Knoten die Hände auf den Rücken gebunden, der unheilige Furor, mit den Zähnen knirscht er und heult mit blutigem Mund.

Das Bild bezieht sich eindeutig nicht auf Kriege im Ausland, sondern auf die ruinösen Bruderkriege in Rom, beginnend mit Romulus (= Quirinus) und Remus. Das war der wirkliche Furor, und man hatte ihn endlich bezähmt. Ein Ende der Bürgerkriege war die conditio sine qua non dafür, dass sich das Römische Reich wirtschaftlich und auch in jeder anderen Hinsicht erholen konnte. Nur ein zynischer Kritiker wie Tacitus (Annalen 1.2) konnte die entstandene innenpolitische Ruhe als jene Art „Müßiggang“ (otium) und Freiheit von Sorgen anprangern, durch deren „Süße“ Augustus „alles und jeden verführt“ habe, damit sie in eine unpolitische Starre verfielen. Schon bald wurden die Türen des Janus-Tempels wieder geöffnet, aufgrund fortgeführter Kriegshandlungen, die auf einen „Frieden, aus Siegen geboren“, abzielten. Das war die andere Seite der pax Augusta, wie sie in der Überschrift der Res Gestae ganz offen zur Schau gestellt werden: „Die Leistungen des vergöttlichten Augustus, durch die er die Welt dem imperium des römischen Volks unterwarf“. Andererseits soll er am Ende seiner Regierungszeit seinen Nachfolger ganz offizi98

ell angewiesen haben, „das Reich in seinen heutigen Grenzen zu halten“ (Tacitus, Annalen 1.11; vgl. Dio 56.33.5). Trotz berechtigter Zweifel an seiner Authentizität hat es dieser Satz den Historikern angetan, nicht zuletzt da George Washington in seiner Abschiedsrede eine ganz ähnliche Formulierung verwendete, als er sagte, man solle „Verstrickungen im Ausland vermeiden“ – auch daran hielt sich niemand. Wie dem auch sei: Konstante Eroberungskriege im Ausland waren ein signifikantes Merkmal der augusteischen Herrschaft. Auch darin konnte Augustus sich als würdigen Nachfolger der Republik und ihrer Generäle präsentieren; am Ende hatte er das Territorium des Imperium Romanum weiter vergrößert als irgendjemand vor ihm, und er war stolz darauf. Doch wie genau bewerkstelligte er das und was verrät es uns über ihn? Ein übergeordnetes Merkmal haben wir bereits kennengelernt: Bei Augustus kam Pragmatismus stets vor Ideologie. Das Ziel war mitnichten eine unbegrenzte Expansion; Jupiters berühmten Ausspruch in der Aeneis: „Ich habe [den Römern] ein Reich ohne Ende gegeben“, sollte man also besser in zeitlichem als in räum­ lichem Sinne verstehen. Es gab auch technische Einschränkungen: Augustus reduzierte, aus Gründen, die wir bereits betrachtet haben, das Heer der Bürgerkriege von 500.000 auf 300.000 Soldaten – das ist beileibe keine große Zahl, wenn man ein Reich sichern wollte, das vom Nahen Osten bis an die Nordsee und von Nordafrika bis zur Donau reichte. Darüber hinaus wurden die Truppen nicht nur für defensive Zwecke eingesetzt oder um Aufstände zu unterdrücken, ein großer Teil des Heers war weiterhin mit der kriegerischen Expansion des Reichs beschäftigt. Die fortgesetzten Eroberungen zeichneten sich durch eine große Sorgfalt und Hartnäckigkeit in der Durchführung aus und demonstrierten ein feines Gespür für die Art und Weise, selbst bescheidene Erfolge oder Erfolge, die durch andere als militärische Mittel errungen wurden, in den damaligen Medien als Siege darzustellen. Und warum auch nicht? Das beste Beispiel dafür ist der „Sieg“ über die Parther, der keinen einzigen römischen Soldaten das Leben kostete. Die Parther hatten, wie bereits erwähnt, 53 v. Chr. der Invasionsarmee unter Crassus eine schwere Niederlage zugefügt. Seitdem waren in Rom die Rufe nach Rache für diese Peinlichkeit nicht mehr verstummt; Caesar hatte eine Armee gegen die Parther gerüstet, mit Octavius als magister equitum, doch kam das Attentat auf ihn dazwischen, und etwas später marschierte Antonius in Parthien ein, nur um seinerseits eine gewaltige Niederlage zu erleiden. Selbst Dichter wie Horaz und Ovid forderten nun einen umfassenden Militärschlag. Doch Augustus hatte ganz andere Pläne. Er reiste 20 v. Chr. persönlich in den Osten und nutzte die Wirkung seiner bloßen Präsenz, um mit dem Partherkönig ein Abkommen auszuhandeln, einschließlich bestimmter Regelungen, die das Königreich Armenien betrafen. Sie einigten sich auch über ihre jeweilige Einflusssphäre. Der Feind gab die Legionsstandarten zurück, die er den Römern 53 v. Chr. abgenommen hatte, und ließ die letzten überlebenden römischen Kriegs99

gefangenen frei. Augustus wusste dies in seinem Sinne zu nutzen und so sein ­Ansehen in der Öffentlichkeit zu steigern: Er stilisierte die Vorkommnisse zu einem monumentalen Sieg. In den Res Gestae (29.2) spricht er davon, er habe die Parther „gezwungen, mir Kriegsbeute und Standarten der drei römischen Armeen auszuhändigen und als Bittsteller zu mir zu kommen und um die Freundschaft des römischen Volks zu bitten“. Münzen zeigten den König der Parther auf den Knien, wie er die Standarten überreicht. Die Standarten sollten im inneren Heiligtum eines Tempels aufbewahrt werden, der sich zu dieser Zeit noch im Bau befand und bald über dem Augustusforum thronen sollte (siehe Karte 2). Dieser Tempel des Mars Ultor („Mars der Rächer“) wurde ursprünglich dem Gedenken an Octavians Rache an den Caesarmördern geweiht, jetzt kam noch die Rache an den Parthern hinzu. Ein weiteres Echo fand das Ereignis auf dem Brustpanzer der berühmten posthum angefertigten Statue des Augustus aus der Villa der Livia bei Primaporta; dort steht die Herausgabe der Standarten durch die Parther im Mittelpunkt des Bildprogramms (siehe Kasten 3.4). Die medienwirksame Verwendung solcher Neuigkeiten (und ihre visuelle Umsetzung) war bereits ein Markenzeichen von Octavian; Gleiches gilt für die Hartnäckigkeit, die Augustus immer wieder demonstrierte. Die Eroberung der zuvor unbesiegten Regionen Spaniens zum Beispiel war eine mühsame und langwierige Angelegenheit. Sie kostete viele Menschenleben und konnte erst 13 v. Chr. abgeschlossen werden. In Germanien war das Ziel die Expansion des Reichs. Der dortige Feldzug diente nicht der Konsolidierung, wie zum Beispiel in der Alpenregion, sondern dazu, Rom neue Gebiete jenseits des Rheins zu verschaffen – vielleicht war das eigentliche Ziel sogar die Elbe. Im Zuge einer solchen Expedition erlitt das römische Heer einen seiner schlimmsten Rückschläge während Augustus’ Herrschaft, als drei Legionen im Jahr 9 n. Chr. in einen Hinterhalt gerieten und in den Hügeln und Wäldern in der Nähe von Kalkriese fast komplett vernichtet wurden. Drei Legionen von insgesamt 28, das war ein beträchtlicher Verlust, und dass das Ereignis vor allem seitens patriotischer Germanen zur Sensation aufgebauscht wurde, findet seinen Nachhall in der Szene bei Sueton (Augustus 23.2), in der Augustus angesichts der schlechten Nachrichten ausruft: „Quinctilius Varus, gib mir meine Legionen zurück!“, um darauf monatelang mit zerzaustem Haar den Palast zu durchstreifen und sich zu weigern, sich zu rasieren – in etwa wie später Richard Nixon, von dem es heißt, er habe in der Zeit seiner größten Verzweiflung in undeutlichen Worten zu den Porträts seiner Vorgänger im Weißen Haus gesprochen. In Wirklichkeit ersetzte Augustus die verlorenen Legionen und erhöhte deren Gesamtzahl in Germanien von fünf auf acht, zunächst unter dem Kommando von Tiberius, dann unter Germanicus, beide hochkarätige Mitglieder des kaiser­ lichen Hauses (siehe Kapitel 5). Zwar gab man die Absicht, Germanien zu erobern, nie offiziell auf, doch der eigentliche Zweck der ständigen Übergriffe jenseits des Rheins war kaum mehr, als Stärke zu demonstrieren und es so aussehen 100

zu lassen, als könnten sich römische Truppen im feindlichen Gebiet frei bewegen. Das Gerücht ging um, Rom könne Germanien binnen eines Jahres vollständig unterjochen – wenn es nur wollte (Strabo 7.1.4). Eine weitere Vorsichtsmaßnahme seitens Augustus war, seine germanische Leibwache durch Römer zu ersetzen; immerhin hatte der Anführer der Germanen in der Varusschlacht, der Germanenfürst Arminius („Hermann der Cherusker“), als Offizier in der römischen Armee gedient und den Status eines Ritters erlangt, bevor er Hochverrat beging. Man könnte noch viele weitere solcher Beispiele aufzählen, um Augustus’ Flexibilität, Entschlossenheit und Pragmatismus zu illustrieren, einschließlich Kosten-Nutzen-Analyse (Lintott 2010, S. 160). Unterschiedliche Umstände erforderten unterschiedliche Aktionen – es wäre falsch, von „Reaktionen“ zu sprechen, denn dies minderte den Aspekt der aktiven Initiative. Eine gute Definition wäre vielleicht folgende: Augustus war fest entschlossen, pragmatisch zu handeln. Das übergeordnete Ziel war immer noch, „die Grenzen des Römischen Reichs zu erweitern“ (Res Gestae 26.1), wenn auch auf eine ebenso entschlossene wie pragmatische Art und Weise, und diese Expansion so darzustellen, als diene sie tatsächlich dazu, Roms Ruhm zu mehren, auch wenn es eine (räumlich und zeitlich gesehen) vernünftige Grenze für diese Expansion gab. Ganz folgerichtig zählt Augustus Germanien in den Res Gestae (26.2) zu den eroberten Ländern – und zwar bis zur Mündung der Elbe. Die geringe Größe der augusteischen Armee und ihre Hauptaufgabe, die Expansionskriege, zeigen deutlich, dass Aufstände innerhalb des Reichs in der Regel kein Problem darstellten. Die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel (neben den üblichen kleineren Unruhen) war der gewaltige Aufstand in Pannonien (ungefähr das heutige Ungarn, siehe Karte 1), der von 6 bis 9 n. Chr. dauerte und das Imperium auf eine harte Probe stellte. Auf dem Höhepunkt der Revolte musste ein Drittel (!) der gesamten römischen Armee in Pannonien eingesetzt werden, was natürlich wiederum anderswo die militärischen Ressourcen stark verringerte. Doch weitete sich der der Aufstand nicht auf das gesamte Reich aus, was sicherlich erhebliche Konsequenzen gehabt hätte. Germanien zum Beispiel blieb ganz ruhig, und Arminius verhielt sich abwartend, zumindest bis ein paar Tage nach dem endgültigen römischen Sieg über die pannonischen Aufständischen. Warum diese relative Ruhe? Die Herrschaft des Augustus basierte zu gleichen Teilen auf Soft Power (Kultur, Diplomatie) wie auf Hard Power (Wirtschaft, Militär), und viele Einheimische akzeptierten das römische imperium aufgrund der vielen Vorteile, die ein größeres und stabileres Netzwerk mit sich brachte, zum Beispiel mehr Sicherheit und Möglichkeiten für Handel und Gewerbetreibende; ich werde in Kapitel 7 darauf zurückkommen. Eine weitere römische Strategie, die für die hier geschilderten Zusammenhänge von noch größerer Bedeutung ist, war die psychologische Kriegsführung. Sie kostete weniger als ihre Alternative, eine erhöhte Truppenstärke, und war dennoch äußerst effektiv. Die größte Rolle spielte dabei die Einschüchterung, nach dem 101

Motto: Leg dich mit den Römern an, und sie rächen sich fürchterlich, auch wenn es ein wenig dauern kann, da ihr Heer überall verstreut ist. Wie Susan Mattern festgestellt hat (1999, S. 122), „war ein zentraler Aspekt der Strategie des römischen Militärs sein Image“. Das Gleiche galt, wie wir gesehen haben, für Augustus’ Außen­ politik – beide ergänzten einander, und so war es auch beabsichtigt. Dies trifft auch auf zwei weitere Faktoren zu, die untrennbar damit verbunden waren. Augustus’ hatte mit dem Senat vereinbart, sich von diesem alle fünf bis zehn Jahre den Oberbefehl über die Legionen (vor allem die in den Grenzprovinzen) offiziell verlängern zu lassen. Diese Verlängerung musste jedoch begründet werden, und als Begründung diente das fortgesetzte Bemühen um „Befriedung“ (interessanterweise war dieser Begriff mit so wenig negativen Assoziationen verbunden, dass er sich sogar in Vergils vierter oder „messianischer“ Ekloge [17] findet; vgl. auch Kasten 4.2). Das Problem war, dass eine erfolgreich abgeschlossene Befriedung bedeutet hätte, dass die betreffenden Provinzen, zumindest formal, wieder dem Senat unterstellt würden, und zwar mitsamt der dort stationierten Legionen. Also musste die Befriedung als noch immer andauernder Prozess präsentiert werden – im Widerspruch zu Augustus’ Strategie, sich als „Sieger“ über die Parther zu stilisieren. Er musste den Eindruck erwecken, als gebe es eine ganz bestimmte Gefahr, die Aufmerksamkeit und militärische Aktivität erforderte. In vielen Fällen mag eine solche Bedrohung wirklich bestanden haben, aber mitunter war es einfacher, ohne Umschweife ins feindliche Territorium einzufallen, wie im Falle Germaniens. Kurz: Es existierte, auch wenn sie im Laufe der Zeit weiterentwickelt wurde, eine Gesamtstrategie und diese hatte zwei Aspekte – einen militärischen und einen politischen. Beide Aspekte flossen in der Konsolidierung sowohl des Reichs als auch der Macht des princeps zusammen. Das verrät uns einiges über diesen Mann und die Art und Weise, wie er mit den innenpolitischen Auswirkungen des Pannonischen Aufstands umging. Das riesige Heereskontingent in Pannonien musste versorgt werden und da die Rebellen die Kriegstaktik der verbrannten Erde verfolgten, musste ein guter Teil des für Rom bestimmten Getreides an die Front umgeleitet werden. Die so entstehende Hungersnot verursachte ihrerseits wieder Aufstände; neben anderen drastischen Maßnahmen ließ Augustus alle Ausländer aus der Stadt werfen, mit Ausnahme von Ärzten und Lehrern. Er organisierte die Verwaltung der Getreideversorgung in Rom neu und brach dabei mit der republikanischen Tradition, dass dafür zwei Senatoren zuständig waren; daneben führte er bei der Feuerwehr ein neues System ein. Diese waren Fragen von elementarer Wichtigkeit. Ein weiteres Problem war die Versorgung der Veteranen mit Land: Ab 13 v. Chr. teilte Augustus den aus dem Dienst ausscheidenden Soldaten keine Grundstücke mehr zu, sondern ließ ihnen einen Geldbetrag auszahlen. Finanziert wurde das Ganze zunächst aus der Privatschatulle des princeps. Das änderte sich 6 n. Chr. mit der Einrichtung einer mili­ tärischen Schatzkammer (aerarium militare), die durch eine neue, umstrittene 102

Erbschaftssteuer finanziert wurde. Zusätzlich wurde die Dienstzeit der Legionäre auf 20 Jahre verlängert, und während des Pannonischen Aufstands verpflichtete man fürs Heer sogar Freigelassene – unter ihnen zahlreiche Sklaven, die allein zu diesem Zweck freigelassen wurden. In jenen Jahren gab es noch weitere Ärgernisse, es kam zu Unruhen bei den Wahlen (die unter Augustus weit mehr waren als nur eine Formalität); vor Gericht ließ man plötzlich durch Folter erlangte Zeugenaussagen von Sklaven zu; es kam zum Streit zwischen Augustus und seinem Enkel Agrippa Postumus (der diesen Namen trug, weil er nach dem Tod des Agrippa 12 v. Chr. zur Welt kam), und Postumus musste ins Exil gehen, genau wie Augustus’ Enkelin Julia und der Dichter Ovid, die an einer Verschwörung gegen ihn beteiligt gewesen waren. Insgesamt riefen die verschiedenen Maßnahmen des princeps großen Widerspruch hervor und führten zu regelrechten Verleumdungskampagnen.

Die Realität des „Goldenen Zeitalters“ War dies nun das vielgepriesene Goldene Zeitalter? Wohl kaum. Die eben aufgezählten Ereignisse sollten als Beweis dafür ausreichen, dass sich Augustus im Laufe seiner Herrschaft zahlreichen Herausforderungen gegenübersah, und es gab in der augusteischen Zeit niemanden, der versuchte, dies mit einer allzu blumigen Bildsprache schönzureden und die Realität zu verdrängen. Sowohl die zeitgenössischen als auch die späteren Autoren wussten um diese Schwierigkeiten, wie beispielsweise Plinius der Ältere, der einen regelrechten Katalog mit Augustus’ Fehlentscheidungen und Schicksalsschlägen aufstellt. Es ist eine wichtige literarische Passage, daher ist sie fast vollständig in Kasten 4.1 wiedergegeben. Einige der Vorfälle entsprechen den Tatsachen, einige sind eher Klatschgeschichten. Die Liste ist indes so lang, dass im vorliegenden Buch nicht alle Punkte einzeln untersucht werden können, auch wenn ich die meisten bereits an anderer Stelle erwähnt habe. Fest steht: Augustus war nicht immer erfolgreich, sondern hatte durchaus auch Pech; doch auch mit Widrigkeiten wusste er umzugehen, und genau das ist einer der Gründe, warum er so erfolgreich war. Dies ist einer von mehreren Faktoren, warum in jenen langen Jahren nicht laut verkündet wurde, das Goldene Zeitalter sei zurückgekehrt. Gemäß der herkömmlichen Vorstellung gab es einen Zyklus verschiedener Zeitalter, die nach Metallen benannt waren – Gold, Silber, Bronze und Eisen. Hinzu kommt, dass die Römer eine Mentalität des fortschreitenden Niedergangs besaßen, nach dem Motto: „Früher war alles besser.“ Horaz zum Beispiel beschließt seine sechs „römischen“ Oden, die die römischen Tugenden zum Thema haben, auf äußerst einprägsame Weise mit dem Hinweis: „Die Epoche unserer Eltern hat uns hervorgebracht, die wir noch wertloser sind als sie, und wir produzieren bald unsererseits eine noch üblere Generation“ (Oden 3.6.46–8). 103

4.1. Augustus in tausend Nöten „In das Leben des nunmehr vergöttlichten Kaisers Augustus, bei dem die ganze Welt sicherlich zustimmen würde, dass er in diese Kategorie von Menschen gehört [die besonders vom Glück gesegnet sind], finden wir dennoch, wenn wir uns sein Leben genau ansehen, bemerkenswerte Wechselfälle des menschlichen Schicksals. Da gab es … die Proskriptionen, die Hass provozierten; seine Allianz im Triumvirat mit einigen der schlimmsten Bürger überhaupt, und das auch noch mit deutlich geringerem Einfluss angesichts der erdrückenden Übermacht der Antonius; seine Krankheit während der Schlacht von Philippi; seine Flucht, bei der sich drei Tage lang in einem Sumpf versteckt hielt, obwohl er unter seiner Krankheit litt; … seinen Schiffbruch vor der Küste Siziliens, wo er sich erneut in einer Höhle verstecken musste; seine Verzweiflung, die ihn sogar dazu trieb, Proculeius zu bitten, ihn zu töten, als er in einem Seegefecht vom Feind bedrängt wurde; seine Panik wegen der Rebellion in Perusia; seine Angstzustände während der Schlacht von Actium; die extreme Gefahr, in die er des Pannonischen Aufstands geriet, als er beinahe von einem Turm stürzte; immer wieder Aufruhr unter seinen Soldaten; viele, viele Heimsuchungen durch gefährliche Krankheiten. Dann war da noch der Verdacht, den er hinsichtlich der Absichten des Marcellus hegte; die schändliche Verbannung [seines Enkels] Agrippa; die vielen Komplotte, die ihm nach dem Leben trachteten; der Tod seiner eigenen Kinder [d. h. seiner Enkel Gaius und Lucius], an dem schuld zu sein man ihn bezichtigte, und seine schweren Depressionen, die nicht nur durch ihren Verlust verursacht wurden; der Ehebruch seiner Tochter und ihr aufgedeckter Plan, ihren Vater zu ermorden; die Flucht seines Schwiegersohns, [Tiberius] Nero, [nach Rhodos], die ihn persönlich beleidigte; ein weiterer Ehebruch, diesmal durch seine Enkelin. Dazu kamen zahlreiche andere Übel, beispielsweise hatte er nicht genug Geld, um seine Soldaten zu bezahlen; … die Pest, die in der Stadt wütete; die Hungersnot in Italien; der Plan, den er entworfen hatte, um seinem Leben ein Ende zu setzen, und sein viertägiges Fasten, durch das er um ein Haar gestorben wäre. Und dann kamen zu alledem noch hinzu: die katastrophale Niederlage des Varus; die im Flüsterton geäußerten Verleumdungen, um seine Autorität zu untergraben; … und, als Letztes, die Machenschaften seiner Frau und des Tiberius, die in den letzten Augenblicken seines Lebens seine Gedanken beherrschten. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass dieser Gott, der in den Himmel erhoben wurde (ob zu Recht oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen), als er starb, den Sohn eines seiner Feinde zum Erben einsetzte“ [Tiberius’ Vater war ein Anhänger des Antonius, siehe S. 52]. Plinius, Naturgeschichte 7.147–150, Übersetzung nach H. Rackham, mit Änderungen 104

4.2. Utopie eines Goldenen Zeitalters: Vergils „messianische“ Ekloge „Dir, Knabe, wird die Erde ohne jedes Zutun kleine Geschenke spenden – Efeu, Baldrian und indische Wasserrosen, gemischt mit lächelndem Akanthus. Ziegen werden aus freiem Willen ihre mit Milch gefüllten Euter nach Hause bringen, Rinder fürchten nicht den mächtigen Löwen, und aus der Wiege ergießen sich dir liebliche Blumen. Auch die Schlange wird untergehen und auch das tückische Giftkraut; überall wird assyrisches Amomum sprießen. Aber sobald du einmal vom Ruhm der Helden lesen wirst und von den Taten des Vaters und das Wesen der Tugend begreifen, wird das Feld allmählich von sanften Ähren sich gelb färben und die rötliche Traube am wilden Dorngestrüpp hängen und Honig wie Tau von der harten Eiche tropfen. … Dann, wenn dich das gefestigte Alter zum Mann macht, fährt der Seemann nicht mehr zur See, und aus Fichte gebaute Schiffe werden keine Waren mehr austauschen: Jedes Land wird alles hervorbringen, der Erdboden erleidet dann nicht mehr die Hacke, der Weinstock nicht mehr das Messer. Der grobe Landwirt wird den Stieren das Joch abnehmen. Die Wolle wird nicht mehr bunt gefärbt, um Farbe vorzutäuschen, sondern ganz von selbst wird das Schaf auf der Wiese bald einen Pelz aus schönem Purpur tragen, bald einen aus Safrangelb, Scharlachrot schmückt dann ganz von selbst die weidenden Lämmer. … Tritt die hohen Ehren an – die Zeit ist bald reif –, teures Kind der Götter, Jupiters herrlicher Spross! Sieh, wie das Weltall dir mit gewölbter Last zunickt, Länder und weite Meere und der hohe Himmel, sieh, alles sich freut auf das neue Zeitalter!“ Eklogen 4.18–30, 37–45, 48–52 Die Forschungsliteratur zur diesem Gedicht ist unüberschaubar – umfangreicher als bei allen anderen lateinischen Gedichten – und bietet eine Vielzahl verschiedener Deutungen. Das liegt natürlich daran, dass der Text äußerst assoziativ und evokativ ist und die Phantasie auf mannigfaltige Weise anregt und bestimmte Empfindungen weckt. Sicherlich galt das besonders für die Zeit seiner Entstehung, als man auf Jahrzehnte des Kriegs und der Zerstörung zurückblickte: Es herrschte eine enorme Sehnsucht danach, dass all dies ein Ende hätte und endlich bessere Zeiten anbrächen. Dieser grundlegende Ge105

danke ist allzu oft (und ganz unnötigerweise) von Spekulationen verdrängt worden, wer genau denn nun dieses Kind sei; dass man hier eine Prophezeiung der Geburt Christi zu finden meinte, kann man indes gut nachvollziehen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Das „Kind“ ist das neue Zeitalter. Im Hinblick auf das multikulturelle Rom hat die Forschung Einflüsse aus Ost und West ausgemacht; doch auch diese lassen sich streng genommen nicht belegen. Was das augusteische Goldene Zeitalter betrifft, so können Vergils allzu lebhafte Phantasien (man denke nur an die bunten Schafe) sicher nicht als prophetisch bezeichnet werden.

Im traditionellen mythologischen Schema gab es indes auch Hoffnung: Nachdem mit dem Eisernen Zeitalter der Tiefpunkt erreicht wäre, würde das zyklische System wieder zum Goldenen Zeitalter zurückkehren, und der Kreislauf würde von Neuem beginnen. Die Hoffnung, die dieser Vorstellung innewohnt, findet ihren stärksten Ausdruck in Vergils vierter, „messianischer“ Ekloge (siehe Kasten 4.2), die um 40 v. Chr. verfasst wurde und die Geburt eines wundersamen Kindes ankündigt, mit dem das Paradies zurückkehrt – menschliche Anstrengungen ­ aren dazu nicht weiter erforderlich. Und genau das ist es, was sich nun änderte. In w seinem nächsten poetischen Werk, den Georgica, spricht Vergil davon, der Mensch

Abbildung 10. Weibliche Gottheit mit Fruchtbarkeitssymbolen. Relief der Ara Pacis, Rom.

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Abbildung 11. Roma, auf Waffen sitzend. Rekonstruktion des Reliefs der Ara Pacis in Rom. Rom, Museo dell’Ara Pacis Augustae.

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könne das Goldene Zeitalter selbst zurückholen, durch unermüdliche Anstrengungen, hier personifiziert durch die Bauern Italiens. Die nächste Stufe erreicht Vergil schließlich in der Aeneis. Dort wird Augustus in nur drei Passagen erwähnt, und in einer davon lässt der Dichter Aeneas’ Vater Anchises eine Prophezeiung aussprechen, die für Vergils Zeitgenossen bereits Wirklichkeit geworden war: Augustus Caesar, Sohn des Vergöttlichten, wird nach Latium, in das Land, wo in früheren Zeiten Saturn regierte, goldene Zeiten zurückbringen. (6.792–793)

Das lateinische Wort für „zurückbringen“ (condet) hat noch eine Nebenbedeutung im Sinne von „zu Ende gehen“; schließlich wäre das neue Goldene Zeitalter mehr als nur eine Rückkehr zur „guten alten Zeit“. Stattdessen würde es, ganz im Einklang mit der Realität der augusteischen Zeit, eine Epoche der Expansion sein, der Eroberungen und Kriege, und Vergil selbst verwendet in diesem Zusammenhang eine Hyperbel: Er wird sein imperium auf die Regionen der Garamanten [in der Nähe der Sahara] und der Inder erweitern, auf weite Gebiete nördlich und südlich der Sterne der Tierkreiszeichen und des Wegs der Sonne, wo Atlas, der den Himmel auf seinen Schultern trägt, die mit leuchtenden Sternen gespickte Achse dreht. (6.793–797)

Ein „Reich ohne Ende“, in der Tat – die Passage erinnert an Jupiters Prophezeiung über Augustus im ersten Buch der Aeneis (1.279, siehe oben). Dennoch handelt es sich dabei mitnichten um ein bequemes Goldenes Zeitalter mit paradiesischen Zuständen, sondern um die pax Augusta, und um diese musste man sich ständig aktiv kümmern. Dieselbe Botschaft vermittelt uns die bildende Kunst; man betrachte nur die bedeutendste Darstellung der pax Augusta, den Altar des augusteischen Friedens (Ara Pacis): Eine weibliche Fruchtbarkeitsgottheit, umgeben von Vegetation und glücklich aussehenden Nutztieren, ist neben der Göttin Roma dargestellt, die stolz auf einem Berg erbeuteter Waffen sitzt (Abb. 10 und 11). Den Gedanken, dass Frieden durch Eroberungen gesichert werden muss, drückt auch der Brustpanzer der Augustus-Statue von Primaporta aus: Die zentrale Szene hier ist die Kapitulation der Parther, und folgerichtig ist am unteren Rand die Göttin Tellus zu sehen, mit einem Füllhorn, dem Symbol des Überflusses (siehe Kasten 3.4).

Globale Führung und moralische Führung Augustus begnügte sich jedoch nicht mit der Wiederherstellung der materiellen Sphäre und seinen militärischen Erfolgen – das ist eines seiner Markenzeichen und macht seine Epoche so unverwechselbar. Seiner Ansicht nach musste sich die 108

Bevölkerung des Imperiums in einer Art und Weise verhalten, die den Anspruch Roms auf die Weltherrschaft rechtfertigte. In anderen Worten: Das Reich brauchte ein starkes moralisches und ethisches Fundament. Und diese Überzeugung führte direkt zu Augustus’ erstaunlichster und ehrgeizigster Initiative, der sogenannten „Moralgesetzgebung“. Dabei drang der Staat in einem Maße in die Privatsphäre der Bürger ein, die nicht nur uns heute äußerst problematisch erscheint, sondern schon damals bei vielen Römern Proteste auslöste. Tacitus betrachtete diese Gesetze als Höhepunkt des staatlichen Eingriffs in die persönliche Freiheit und als „Ende der gerechten Gesetzgebung“ (Annalen 3.25). Die anhaltende Debatte um diese Gesetze – die am Ende tatsächlich mehr als 200 Jahre lang in Kraft blieben – spiegelt sich auch darin wider, dass sie mehr als irgendein anderes Gesetz von römischen Juristen kommentiert wurden, einschließlich der Richtlinien über die Todesstrafe. Dass Augustus sie dennoch durchsetzte, ist ein weiteres Beispiel für seine Hartnäckigkeit und dafür, dass er nach der Wiederherstellung allgemeiner Stabilität ein höheres Ziel anstrebte als lediglich den Menschen ein Wohlfühlpaket aus Frieden und Wohlstand zu schnüren. Worum ging es nun dabei? In erster Linie um eine Pflicht zur Ehe, vor allem für die oberen Klassen. Augustus scheint sich, wie erwähnt, bereits im Jahr 27 v. Chr. für eine solche Gesetzgebung eingesetzt zu haben (siehe S. 95), doch musste er beinahe zehn Jahre warten, bis die Gesetze 18 v. Chr. endlich verabschiedet wurden. Die „julianischen Gesetze“ (so genannt, da sie ausnahmsweise auf seine eigene Initiative zurückgingen) verpflichteten Männer zwischen 25 und 60 Jahren und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren zur Ehe und zur Wiederheirat, und das galt auch für Witwen und Witwer. Wer sich nicht an diese Gesetze hielt, den erwarteten harte Strafen; er durfte beispielsweise niemanden außerhalb seiner Familie zum Erben bestimmen und konnte bei seiner Karriere im Staatsdienst genauso wenig eine bevorzugte Behandlung erwarten wie bei der Vergabe von Plätzen im Zirkus oder im Theater (was für viele Menschen wahrscheinlich sogar um einiges wichtiger war). Umgekehrt gab es Belohnungen für alle, die drei oder mehr Kinder hatten. Andere Gesetze, die zusammen mit dem Ehegesetz verabschiedet wurden, bestraften Ehebruch und enthielten Bestimmungen zum Schutz von Frauen. Wenn eine Frau vergewaltigt wurde, war es bis dahin Brauch gewesen, dass man sich mit dem Vorfall nur innerhalb der Familie des Opfers auseinandersetze; allzu oft führte das dazu, dass dem Opfer (mehr oder minder behutsam) nahegelegt wurde, sich das Leben zu nehmen, um die Schande von der Familie abzuwenden. Moderne Analogien dazu gibt es zuhauf. Das berühmteste Beispiel aus der Frühzeit Roms war Lucretia, die Frau des Collatinus, die vom Sohn von Roms etruskischem König, Tarquinius, zum Sex gezwungen wurde. Sie brachte sich um, obwohl sie unschuldig war, und letzten Endes führte dieser Vorfall dazu, dass die Römer, angeführt von Brutus und Collatinus, den König stürzten – die Geburtsstunde der römischen Republik (siehe Kasten 4.3). 109

4.3. Lucretia „[Sextus Tarquinius] wartete, bis alle im Haus zu schlafen schienen. Als alles ruhig war, zog er sein Schwert und machte sich auf den Weg zu Lucretias Schlafzimmer, entschlossen, sie zu vergewaltigen. Sie schlief. Er legte seine linke Hand auf ihre Brust und flüsterte: „Lucretia, keinen Ton! Ich bin bewaffnet – wenn du auch nur ein Wort sagst, werde ich dich töten.“ Lucretia öffnete voll Schreck die Augen; sie stand an der Schwelle des Todes, und es war keine Hilfe in Sicht. Sextus offenbarte ihr seine Liebe, bat sie, sich ihm hinzugeben, flehte sie an, bedrohte sie, nutzte alle möglichen Waffen, die das Herz einer Frau erobern können. Aber alles war umsonst, nicht einmal die Angst vor dem Tod konnte ihren Willen beugen. ,Wenn dich der Tod nicht erweicht‘, rief Sextus, ,dann wird es die Schmach! Erst werde ich dich töten, dann einem Sklaven die Kehle durchschneiden und dessen nackten Leichnam neben dich legen. Wird nicht jedermann glauben, du seist bei frischer Tat ertappt worden, mit einem Diener – und hättest dafür bezahlt?‘ Selbst die entschiedenste Keuschheit hätte dieser schrecklichen Drohung nicht standgehalten. Lucretia ergab sich. Sextus’ Libido siegte, und er ritt fort, voller Stolz, über die Ehre einer Frau gesiegt zu haben. In ihrer Trauer über das große Übel schickte Lucretia einen Boten zu ihrem Vater nach Rom und zu ihrem Mann nach Ardea und bat sie, mit einem vertrauenswürdigen Freund zurückzukehren – und zwar schnell, denn es sei etwas Schreckliches geschehen … Sie fanden Lucretia im Schlafzimmer sitzen, in tiefer Trauer. Als sie eintraten, weinte sie, und zu ihrem Ehemann, der fragte: ,Geht es dir gut?‘, sagte sie: ,Nein. Wie kann es einer Frau gut gehen, die ihre Ehre verloren hat? In deinem Bett, Collatinus, sind die Spuren eines fremden Mannes. Doch nur mein Körper ist missbraucht worden; mein Herz ist unversehrt unschuldig – der Tod wird mein Zeuge sein. Schwört mir, dass der Ehebrecher bestraft werden wird: Es ist Sextus Tarquinius.‘ Sie schworen es und versuchten alle, sie zu trösten. Sie sagten, sie sei hilflos und daher unschuldig; er allein sei der Schuldige. Es sei der Geist, der sündige, nicht der Körper, ohne Vorsatz gebe es daher keine Schuld.* ,Was ihm zukommt‘, sagte sie, ,müsst ihr entscheiden. Was mich betrifft, ich habe keinen Fehler gemacht, aber ich werde dennoch meine Strafe auf mich nehmen. Niemals werden sich unkeusche Frauen auf Lucretia berufen können, um ihrer gerechten Strafe zu entgehen.‘ Mit diesen Worten stieß sie sich den Dolch, den sie unter ihrem Gewand versteckt hatte, ins Herz und fiel vornüber – tot.“ Livius 1.58; Übersetzung nach A. de Selincourt, mit Änderungen * Dieses Argument verweist auf die zeitgenössische juristische Praxis. In anachronistischer Weise überträgt Livius Normen auf Lucretias Familie, die ein 110

augusteisches Gericht angewendet hätte. Eine Randbemerkung dazu: Augustinus (Vom Gottesstaat 1.19) tadelt Lucretia dafür, dass sie sich aufgrund einer Straftat, deren sie nicht schuldig war, die Sünde des Selbstmords aufgeladen habe; die augusteische Zeit vermied eine solch scharfe Kritik glücklicherweise – wenn sie sie nicht sogar schon vorausahnte.

Insofern war das Wiederaufleben des Lucretia-Mythos in augusteischer Zeit alles andere als ein Zufall. Aber wie beim Mythos des Goldenen Zeitalters ging es nicht einfach darum, alte Konzepte wiederaufleben zu lassen; immerhin beschäftigten Ehebruch und Fälle wie der von Lucretia inzwischen die Gerichte. Augustus’ Gesetze zu Ehe und Moral fußen auf genau dieser Mischung aus dem Beschwören von Beispielen aus der Vergangenheit und einer innovativen Anpassung an die Gegebenheiten der Gegenwart. In den Res Gestae schreibt er dazu (8.5): Durch neue Gesetze (legibus novis), die auf meine Initiative hin verabschiedet wurden, gelang es, viele der vorbildlichen Sitten unserer Vorfahren, die in unserer Zeit zu verschwinden drohten, zurückzubringen, und in vielerlei Hinsicht bin ich selbst mit gutem Beispiel vorangegangen, damit die Nachwelt mich nachahmen kann.

Legibus novis – diese Phrase jagte so manchem Römer einen Schauer über den Rücken, immerhin lautete der Ausdruck für „Umsturz“ oder „Revolution“ schlicht res novae, „neue Dinge“. Augustus nutzte diese Formulierung indes ganz bewusst: Gesetze, die den Status quo auf den Kopf stellten, waren genau das, was Rom brauchte, damit es sich wieder auf seine alten Sitten besinnen konnte. Wir müssen nicht lange nach Beispielen dafür suchen, wie und wann ein Teil dieses „vorbildlichen Verhaltens“ in Vergessenheit geraten war. Zweck dieser Gesetze war es, die soziale Verantwortung zu fördern. Aus verständlichen Gründen wollten viele Römer in den letzten Jahrzehnten der Republik keinen Nachwuchs mehr bekommen – sie sahen keinen Sinn darin, Kinder in eine Welt zu setzen, die von Hunger, Unruhen und Gewalt beherrscht wurde. Daher fühlten sie sich auch nicht verpflichtet zu heiraten, denn als erster Sinn und Zweck von Ehe und Sex galt immer noch die Fortpflanzung. Dies führte zu einem regelrechten Boom an Schürzenjägern und Frauen, die sich reiche Liebhaber suchten, auch wenn sie ansonsten ein ganz zivilisiertes Sozialverhalten an den Tag legten. Vor allem ältere alleinstehende Männer und Frauen suchten sich natürlich solche Begleiterinnen und Begleiter, und sie bedachten sie reichlich in ihrem Testament. So kam es, dass ganze Familienvermögen immer weiter gestreut wurden und sich auflösten, und so manche Familie büßte ihr gesamtes Vermögen ein. Auch diese Situation wollte Augustus durch seine Gesetzgebung beenden. 111

Vor allem aber wollte er eine ganz traditionelle römische Tugend wiederbeleben: seine eigenen Interessen hintanzustellen und bereit zu sein, auch einmal Opfer für andere zu bringen. Es ist kein Zufall, dass der Held des römischen Nationalepos diese Verhaltensweise verkörpert wie kein Zweiter und dass seine hervorstechendsten Eigenschaft die pietas ist – das bedeutet nicht nur „Pietät“ oder „Frömmigkeit“, sondern vor allem soziale Verantwortung und Engagement für das Wohl anderer. Und wie wir alle wissen, kann man diese Tugenden nirgends besser lernen und praktizieren als in einer Familie, wo man tagtäglich zusammenarbeiten muss, um das gemeinsame Wohl zu fördern; Dichter wie Horaz gingen so weit, die herrschende Sittenlosigkeit, vor allem innerhalb der Familien, als Ur­ sache des Bürgerkriegs zu brandmarken. So unkonventionell die Gesetzgebung war, formal beschwor sie einige traditionelle Ideale, während sie andere einfach über Bord warf – beispielsweise dass eine Frau nach dem Tod ihres Mannes nicht wieder heiratete (univira); Dido in der Aeneis ist ein gutes Beispiel hierfür. Zudem reflektierte sie eine bestimmte Denkweise, die sich auch bei den stoischen Philosophen findet, nämlich dass ein Volk, das über andere herrschen will, nicht nur in physischer, sondern auch in ethischer Hinsicht überlegen sein muss; eine globale Führungsrolle bedingte eine moralische Führungsrolle. Wie so oft können wir hier also diverse Absichten beobachten, die Hand in Hand gingen. Die Vielzahl an Dimensionen, die hier zum Tragen kommen, ist für die augusteische Zeit typisch, und wir begegnen ihr überall, auch in der Dichtung, der Kunst, der Architektur. Die Römer beeindruckte das alles nicht besonders. Sie protestierten immer weiter gegen die Einführung dieser Gesetze. Infolgedessen gab es 9 n. Chr. – als es an allen Fronten Schwierigkeiten gab, wie wir gesehen haben – einige Änderungen, welche die zeitlichen Vorgaben für die Wiederverheiratung lockerten. Insgesamt jedoch blieb Augustus unnachgiebig. Er war eine starke Führungspersönlichkeit, gerade weil er auch dort, wo es nicht populär war, den Finger in die Wunde legte und an die Ideale und Werte der Menschen appellierte.

Staat und Religion Die Gesetze waren einer der Grundpfeiler von Augustus’ innenpolitischem Programm. Für wie wichtig er sie hielt, zeigt sich auch darin, dass erst dann, als die Gesetze 17 v. Chr. verabschiedet waren, ein grandioses religiöses Fest feiern ließ, das man höchstens einmal alle 100 Jahre feiern konnte: die Säkularfeier. Der Name stammt von saeculum, dem lateinischen Wort für „Jahrhundert“, das sich heute noch im Französischen (siecle) und Spanischen (siglo) wiederfindet. Ein Grund für diese Institution – manchen Überlieferungen zufolge reichte sie bis ins 4. Jahrhundert v. Chr. zurück – war ihre Funktion als eine Art Wegmarke: Es tat einem Volk gut, in gewissen Abständen auf die Vergangenheit zurückzublicken und für 112

seine Fehler Buße zu tun (natürlich symbolisch). Im Zentrum der traditionellen Feier stand daher die Besänftigung von Unterweltgöttern wie Pluto (Hades) und Proserpina (Persephone); entsprechend fanden die Rituale nachts statt. Wie immer kombinierte Augustus Tradition mit Innovation. Und wie immer wollte er aus dem (eigentlich ja eher ernsten und feierlichen) Fest, das er mit Agrippa zusammen plante, ein echtes Spektakel machen. Gleichzeitig war das Fest eine großartige Gelegenheit für die gesamte Bevölkerung Roms, sich als Gemeinschaft zusammenzufinden. In der Vorbereitungsphase ließen Augustus und die anderen Mitglieder des zuständigen Priesterkollegiums an alle Bürger Mittel zur rituellen Reinigung verteilen, wie Schwefel und Teer, die man im Rahmen eines privaten Rituals anwendete. Die Feierlichkeiten dauerten drei Tage und drei Nächte, und Augustus fügte ihr noch eine Komponente hinzu, die in die Zukunft wies: Dabei wurden die Herrscher der Unterwelt durch Gottheiten wie die „alles erschaffenden Parzen“ oder die „gebärenden Göttinnen der Geburt“ ersetzt (ein eindeutiger Hinweis auf die Ehegesetzgebung) und durch Mutter Erde, Jupiter, Juno, Apollo und Diana. Es war eine beeindruckende und aufwendige Zeremonie, mit vielen neuartigen Elementen wie einem Opfer auf dem Palatin in der Nähe von Augustus’ Residenz und der Aufführung eines eigens gedichteten Hymnus von Horaz (siehe Kasten 4.4). Die Säkularfeier diente nicht nur der Erinnerung an die Vergangenheit, sondern blickte – wie der Gott Janus – zugleich nach vorne, auf das nächste saeculum, und erinnerte daran, dass man handeln musste, um soziale Harmonie, Frieden und materiellen Wohlstand zu erreichen, und dazu gehörte auch, Verantwortung für seine Familie zu übernehmen, natürlich mit Hilfe der Götter. Wiederum typisch für Augustus, betonte die Feier nicht das bisher Erreichte, etwa nach dem Motto: Seht, wie weit wir in Rom gekommen sind und wie erfolgreich das Imperium Romanum ist (die Parther hatten zwei Jahre zuvor „kapituliert“), jetzt kann das Goldene Zeitalter beginnen! Stattdessen hieß es eher: Ja, wir haben schon viel geschafft, aber das ist erst der Anfang, und es liegt noch ein viel weiterer Weg vor uns! Die Säkularspiele waren zwar das prominenteste, aber nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Augustus die römische Religion wiederbelebte, indem er Tradition und Aufbruch miteinander kombinierte. Es begann mit dem äußeren Erscheinungsbild, also mit Heiligtümern, Tempeln und Schreinen. Nach den langen Jahrzehnten der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der Bürgerkriege machten sie keinen sonderlich erhebenden Eindruck mehr. Wenn ein Zweckbau heruntergekommen aussieht, dann ist das zwar auch unschön, aber bei einem „Gotteshaus“ hat dies noch eine andere Dimension. Rom hatte sich stets seiner engen Verbindung mit den Göttern gerühmt, und man sah Roms großen Erfolg weitestgehend als direkte Folge des Respekts (religio) vor den Göttern an. Horaz schrieb: „Du herrschst (imperas, verwandt mit imperium), Römer, weil du dich den Göttern unterordnest; mit ihnen beginnt alles, schreibe ihnen auch das Ende 113

4.4. Vier Strophen aus Horaz’ Carmen saeculare „Götter, verleiht einer gelehrigen Jugend gute Sitten, Götter, schenkt dem Alter ruhigen Frieden; gewährt dem Geschlecht des Romulus Reichtum und Nachkommen und alle Herrlichkeit und Ehre. Und worum der glorreiche Spross von Anchises und Venus euch mit einem Opfer weißer Stiere bittet, möge er es erhalten – im Kampf über den Feind triumphierend, aber dem Besiegten gegenüber nachsichtig. Schon fürchtet der Parther unsere Macht zu Lande und auf dem Meer, und er fürchtet die Albaner-Äxte. Schon bitten die Skythen, vor kurzem noch hochmütig, um unsere Befehle, wie auch die Inder. Schon kehren Fides [Glaube] und Pax [Frieden] zurück und Honos [Ehre] und der altehrwürdige Pudor [Anstand] und die vernachlässigte Virtus [Tugend], und die gesegnete Copia [Überfluss] erscheint mit vollem Horn.“ Vers 45–60 Diese Strophen enthalten mehrere Motive, die auf die augusteischen Säkularspiele Bezug nehmen. Es war zu einem echten Umbruch gekommen: Das römische imperium hatte seine Hegemonie wiederhergestellt (ein klares Zeichen dafür war, dass man sich die 20 v. Chr. an die Parther verlorenen Armeestandarten zurückgeholt hatte). Zur gleichen Zeit besannen sich die Römer auf die moralischen Standards ihrer Vorfahren (18 v. Chr. wurden die augusteischen Moralgesetze erlassen), so dass sich die Götter in Rom wieder wohlfühlen konnten. Beides führte dazu, dass für die Menschen glücklichere Zeiten anbrachen, aber bis dahin war noch einiges zu tun; daher die Bitte um den zukünftigen Beistand der Götter.

zu“ (Oden 3.6.5–6). Im gleichen Atemzug beklagt er den Verfall der Tempel. Für viele war dieser lediglich ein Symbol für den generellen Verfall Roms. Wie wir bereits gesehen haben, gab es in Rom keine Trennung zwischen Religion und Staat. Die Staatsreligion war eine bürgerliche bzw. zivile Religion. In ihrem Zentrum standen nicht persönliche Erlösung oder Fragen der Transzen114

denz, sondern sie war dazu da, die Stabilität der res publica und ihrer Werte zu gewährleisten. Schon deshalb war sie nicht nur integraler Bestandteil der res publica, sondern eben auch Teil von deren Wiederherstellung durch Augustus. Dadurch wurde auch der sichtbare Wiederaufbau zur Priorität, und Augustus verschwendete dabei keine Zeit: In seinen Res Gestae verkündet er stolz, er habe nicht weniger als 82 Tempel wieder aufgebaut und bereits 28 v. Chr. damit begonnen, „mit vom Senat übertragener Befugnis, und keiner, der damals der Sanierung bedurfte, wurde vergessen“ (Res Gestae 20.4). Viele Tempel bestanden aus einfachsten Materialien wie Holz oder sogar Ton und waren alles andere als grandiose Bauwerke. Was den nicht ganz unwichtigen Aspekts von Augustus’ Image und seiner Wahrnehmung durch das Volk angeht, so stellte der Wiederaufbau der Tempel einen greifbaren Beweis für sein Engagement für die altehrwürdige religio und seinen Respekt vor den Göttern dar (einen weiteren Aspekt der pietas). Darüber hinaus dienten solche Schreine als Archive kulturellen Wissens. Zur gleichen Zeit verwandelte er, in seinen eigenen Worten (Sueton, Augustus 28), die Stadt aus Stein in eine Stadt aus Marmor. Allen voran gingen die zwölf Tempel (natürlich ganz ordnungsgemäß in den Res Gestae erwähnt), die entweder neu gebaut wurden oder Teil einer umfassenden Sanierung prominenter, großer Gebäude waren, wie der Tempel von Castor und Pollux, das Wahrzeichen des Forum Romanum. Sie wurden mit strahlend weißem Marmor verkleidet, der aus den 55 v. Chr. entdeckten Steinbrüchen von Carrara stammte; später benutzte Michelangelo dasselbe Material, und es wird heute noch verwendet. Die neue Pracht bewies Respekt vor den göttlichen Beschützern Roms, die hier ihren rechtmäßigen Platz fanden, inmitten der Herrlichkeit einer Stadt, die nun tatsächlich, wie Vitruv schreibt (Praef. 2), die Erhabenheit (maiestas) aufwies, die einer Weltstadt zukam. Insgesamt wurde die römische Religion, die schon immer ein Grundpfeiler des Gemeinwesens gewesen war, durch Augustus nicht nur wiederhergestellt und stabilisiert, sondern auch reformiert und revitalisiert. Das galt gleichermaßen für Priester, Kulte, Rituale und Gebäude. Selbst Tacitus attestierte ihm, „bestimmte Relikte der schrecklichen Vergangenheit an den Geist der Gegenwart angepasst“ zu haben (Annalen 4.16). Ein mindestens genauso wichtiger Aspekt dieser Anpassung war, dass nun viel mehr Menschen als zuvor an religiösen Veranstaltungen teilnehmen konnten, vor allem solche, die nicht der Elite angehörten. Der Zugang zur Politik blieb eingeschränkt, aber die Teilnahme an Kulten und religiösen Zusammenkünften wurde zu einer immer beliebteren bürgerlichen Alternative zur Erlangung von Status und Anerkennung. In Kapitel 7 werden uns einige Beispiele aus dem ganzen Reich begegnen; ein Paradebeispiel für die Hauptstadt ist der Kult der Gottheiten der Wegkreuzungen (Lares Compitales). Dieser Kult der Lares Compitales war ein Kult der einzelnen Stadtviertel. Vieler dieser Viertel waren Brutstätten sozialer Unruhen gewesen, vor allem da den 115

Freigelassenen und Sklaven, die einen großen Teil der römischen Bevölkerung ausmachten, keine sinnvolle Rolle innerhalb der res publica zugedacht war. ­Ihnen eine Rolle in der Politik zu geben, kam selbstverständlich nicht in Frage; die Alternative war eine Rolle im zivilen öffentlichen Leben, und die schuf man dadurch, dass man den Kult neu organisierte – im Zuge der Reorganisation der Stadt, die nun in 14 Regionen mit etwa 265 Stadtvierteln gegliedert wurde, was nebenbei dazu führte, dass die Römer ihre eigene Stadt besser kennenlernten. Anlaufstelle jedes Stadtviertels (vicus) war ein Altar der Schutzgottheiten der wichtigsten Wegkreuzungen; der Kult wurde immer weiter verfeinert, und die Anwohner waren stolz auf ihre Laren. Wichtigste Funktionäre des Kults waren plebejische vicomagistri, und unterstützt wurden sie von den vicoministri, die Freigelassene oder Sklaven waren (Abb. 12). Der Status der vicomagistri ähnelte dem der Konsuln: An Tagen, an denen man Riten zelebrierte, wurden sie von einem Liktor begleitet, und vor allem wurde am Forum eine Liste mit ihren ­Namen ausgehängt, gleich neben der mit den Namen der Konsuln. Doch damit nicht genug: Außer den Laren war der Kult dem genius des Augustus gewidmet (genius bedeutete nicht etwa „Genie“, sondern bezeichnete die angeborene „spirituelle Essenz“), und Augustus ist auf mehreren der noch existierenden Altäre genauso gegenwärtig wie er es im wirklichen Leben war, wenn er die einzelnen Stadtviertel besuchte. Haben wir es hier mit einem Personenkult zu tun? Zu einem gewissen Grad bestimmt. Dafür spricht auch, dass Augustus seine Befugnisse noch erweiterte; im Gegensatz zu seiner erklärten Ablehnung einer übermäßigen und somit unrepublikanischen Anhäufung von Regierungsämtern brüstete er sich gerne damit, dass er Mitglied in allen vier großen Priesterkollegien war und drei weiteren religiösen Bruderschaften angehörte – das hatte es noch nie gegeben (siehe S. 87). Außerdem wurden die Jubiläen vieler Tempel nach ihrer Sanierung auf wichtige Daten aus Augustus’ Biographie verlegt, beispielsweise auf den Jahrestag der Eroberung ­Alexandrias am 1. August – jenem Monat, den der Senat 27 v. Chr. nach ihm umbenannt hatte; mit der tatsächlichen Umsetzung dieser Umbenennung hatte der umsichtige Augustus übrigens noch eine Weile gewartet. Ähnlich verfuhr er mit seiner Ernennung zum obersten Priester (pontifex maximus), die erst erfolgte, als der bisherige Inhaber dieses Amtes, Lepidus, im Jahr 12 v. Chr. starb. Alles in allem war diese konstante Verbindung des Kaisers mit den Kulten ein sorgfältig abgestimmtes Gegenstück zum reichsweiten bürgerlichen AugustusKult, den wir später analysieren werden. Beide entstanden aus demselben Grund: Im Gegensatz zu den ständig wechselnden republikanischen Magistraten oder ­einer abstrakten Verfassung stellte Augustus eine Persönlichkeit dar, die verschiedene Gruppen zu integrieren wusste und die für Kontinuität, Stabilität und Identität stand – „die res publica ist Caesar“, schreibt Ovid (Tristia 4.4.15). Anders als für die späteren Kaiser und Potentaten bis in unsere Zeit gab es keine Kolossal­ 116

Abbildung 12. Altar der Lares Compitales mit vier vicomagistri bei der Opferhandlung. Im Hintergrund links: der Liktor mit seinem Rutenbündel. Musei Capitolini, Centrale Montemartini.

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statuen von Augustus, zumindest nicht in Rom und in Italien (Ägypten folgte da seinen eigenen Traditionen). Augustus spielte die Rolle des civilis princeps perfekt; er bewahrte seine Würde und seinen einzigartigen Status – immerhin war er „der Erhabene“ – genauso wie seine Nähe zum Volk. Im Gegensatz zu seinem Adoptivvater, dem Tausendsassa, genoss der Mann aus Velitrae auch das anspruchslose Entertainment, für das sich das Volk begeisterte, das zum größten Teil weder lesen noch schreiben konnte. Sueton widmet diesem Thema drei ganze Kapitel und reiht Beispiel an Beispiel (Augustus 43–45). Die Spiele im Circus Maximus beispielsweise „beobachtete er aufmerksam, entweder um den schlechten Ruf Julius Caesars zu vermeiden, der während solcher Aufführungen Briefe oder Petitionen zu lesen und zu beantworten pflegte, oder einfach nur, weil er Freude daran hatte, was er auch freimütig zugab“. Ob Pantomimen, Gladiatorenkämpfe, Tierhatzen, Sportveranstaltungen oder Theateraufführungen – der Kaiser war immer anwesend, und alle konnten ihn sehen. Um Stil und Anstand ging es dabei nicht: „Seine größte Freude waren Faustkämpfe, vor allem wenn die Kämpfer aus Italien stammten; und nicht nur Profikämpfe, bei denen er oft Italier gegen Griechen antreten ließ, sondern auch Prügeleien zwischen untrainierten Rüpeln in den engen Gassen der Stadt.“ Seine Besuche in den Stadtvierteln waren mehr als bloße Rituale. Er war stets präsent – nicht unbedingt als „Mann des Volkes“, aber immerhin als jemand, der öfter ein

PALAST DES DOMITIAN

TEMPEL DES APOLLO

”HAUS DES AUGUSTUS”

CLIVUS VICTORIA

E

HÜTTE DES ROMULUS

TEMPEL DER VICTORIA HAUS DER LIVIA

TEMPEL DER VICTORIA VIRGO

Abbildung 13. Plan des Palatin in Rom.

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TEMPEL DER MAGNA MATER

„Bad in der Menge“ nahm, und das als praesens divus, wie Horaz ihn nannte (Oden 3.5.2): als Mensch mit einer göttlichen Aura, der eines Tages ein Gott sein würde. Das griechische Wort für praesens in einem solchen Kontext war epiphane-s (daher die „Epiphanie“). Augustus hatte nicht die Absicht den Himmel auf dem gleichen Weg zu erreichen wie Caesar, aber das letztendliche Ziel war klar, und er kultivierte diese Aura. Dazu gehörte auch, dass er bestimmte persönliche Schutzgötter hatte. Seine Verbindung zu Apollo ist vielfach übertrieben dargestellt worden, vor allem im Lichte von erfundenen Geschichten wie der, dass Apollo ihn gezeugt habe. Dennoch war seine Nähe zu diesem Gott auf dem Palatin ganz demonstrativ greifbar, da Augustus’ Wohnkomplex eine Verbindung aufwies zum 28 v. Chr. neu gebauten marmornen Apollo-Tempel, dessen weißer Glanz über Rom erstrahlte. Die gleiche Bedeutung hatte die Tatsache, dass die kaiserliche Wohnanlage in der Nähe zweier Victoria-Tempel lag (siehe Abb. 13). Aus gutem Grund war Darstellungen der Victoria während der Herrschaft des Augustus von allen Gottheiten am weitesten verbreitet. Die Siegesgöttin und ihre Symbole waren in der Öffentlichkeit genauso omnipräsent wie in privaten Kunstsammlungen, selbst auf Objekten des täglichen Gebrauchs wie Geschirr und Lampen. Immerhin wurde „der Frieden aus Siegen geboren“, und sowohl der Frieden als auch die Siege dauerten an. Eine Öllampe aus Karthago (Abb. 14) ist hier ein repräsentatives Beispiel, denn sie greift die vielen offiziellen Darstellungen von Victoria auf, die zeigen, wie sie das Schild der Tugend hält (siehe S. 82). Solche Darstellungen wurden eifrig reproduziert, auf privaten Kunstobjekten wie auf Gebrauchsgegenständen; die Lieblingsbilder des Kaisers hielten im privaten Bereich Einzug, und zwar ganz ohne Druck von oben. Kunstgegenstände und Utensilien mit einem Bild der Victoria waren echte Verkaufsschlager, und während der Sieg nicht unbedingt „tausend Väter“ hat, so hatte doch die Siegesgöttin zehntausende, wenn nicht sogar hunderttausende Anhänger. Die innovative Wiederbelebung religiöser Praktiken, der Bau und Wiederaufbau von Tempeln, die Verwendung der Religion in der Sozialpolitik, die Resonanz der religiösen Bildersprache im Volk – all das waren Erscheinungen einer sich stabilisierenden res publica Augusta. Sie waren weitgehend das Ergebnis von Augustus’ Fähigkeiten als Staatsmann. Aber wie religiös war Augustus selbst? Soweit wir das beurteilen können, war er sehr religiös. Die römische Religion war nicht auf diverse Kulte beschränkt, das Göttliche strahlte in alle Bereiche aus und fand sich überall, unter anderem in Vorzeichen und Omina. Wie Sueton berichtet, betrachtete Augustus solche Vorzeichen als „absolute Gewissheit“ und sah Ereignisse, die wir heute als trivial oder Zufall abtun würden, tatsächlich als Wunder an (siehe Kasten 4.5). Auch Naturerscheinungen wie Blitz und Donner flößten den Menschen religio, Ehrfurcht, ein. In dieser und anderer Hinsicht zeigte Augustus noch ganz die 119

Abbildung 14. Terrakotta-Lampe mit Darstellung der Victoria, die Augustus’ Schild der Tugenden (clupeus virtutis) hält. Musée de Carthage.

Empfindungen, die er vom Lande mitgebracht hatte, aus der italischen Kleinstadt, in der er aufgewachsen war. Das Haus einer römischen Familie hatte niemals allein dazu gedient, materiellen Grundbedürfnisse zu befriedigen; es war immer zugleich der Ort gewesen, an dem die Familie ihre Religion ausübte. Typisch für ein römisches Haus war auch, dass dort private und öffentliche Funktionen einander beeinflussten. Und für Augustus war typisch, dass er dieser Verbindung eine neue Qualität verlieh. Die Verehrung von Vesta, der Göttin des Herdfeuers, war ein integraler Bestandteil der religiösen Bräuche in der Familie, die beinahe täg120

4.5. Augustus und der Aberglaube „Augustus hatte absolutes Vertrauen in gewisse Vorzeichen: Er glaubte, dass es Pech bedeutete, den rechten Fuß in den linken Schuh zu stecken, wenn er aus dem Bett stieg, aber dass es Glück brachte, zu einer langen Reise aufzubrechen, wenn es nieselte oder regnete, denn das brachte Erfolg und bedeutete eine baldige Rückkehr. Wunderzeichen machten einen besonders starken Eindruck auf ihn: Als einmal zwischen den Pflastersteinen vor seinem Haus eine Palme emporwuchs, ließ er sie umsetzen in den Innenhof, neben seine Familiengötter, und er pflegte sie sorgfältig. Als er Capri besuchte, gewannen die traurig herabhängenden Zweige einer sterbenden alten Eiche plötzlich wieder ihre alte Kraft, was ihn so begeisterte, dass er mit der Stadt Neapel vereinbarte, Capri gegen die Insel Aenaria einzutauschen. Sein Aberglaube verbot ihm, am Tag nach einem Markttag zu einer Reise aufzubrechen oder an den Nonen [dem siebten oder neunten Tag des Monats] wichtige Dinge zu unternehmen – obgleich es in letzterem Fall, wie er Tiberius in einem Brief erklärte, einfach nur der unschöne Klang des ,non‘ im Wort ,Nonen‘ war, der ihn abschreckte.“ Sueton, Augustus 92, Übersetzung nach R. Graves

lich zelebriert wurden. Als Augustus pontifex maximus wurde, zog er nicht etwa in die priesterliche Residenz am Forum neben dem Vesta-Tempel um. Stattdessen blieb er auf dem Palatin und wandelte einen Teil seiner Residenz so um, dass er dort einen der Vesta geweihten Schrein unterbringen konnte. Was war hier nun öffentlich, was privat? Im Wesentlichen beantwortet dies die Frage danach, wie religiös Augustus in seinem Privatleben war: Das Öffentliche und das Private waren untrennbar miteinander verknüpft. Er war ein äußerst religiöser Mensch, und zwar in beiden Bereichen.

Augustus’ Nachfolger Es gab noch ein weiteres Problem von zentraler Bedeutung, dem er sich widmen musste, und das war die Frage eines möglichen Nachfolgers. Natürlich hätte sich diese Frage gar nicht gestellt, wäre die augusteische res publica eine echte Rückkehr zur Republik gewesen, denn es gab immerhin zwei ordnungsgemäß jedes Jahr neu gewählte Konsuln. Hätte man es dabei bewenden lassen, wäre eine Rückkehr zur republikanischen Führungsschwäche und einem Mangel an langfristiger Planung vorprogrammiert gewesen. So musste Augustus einen Balanceakt vollführen: Auf 121

der einen Seite motivierte ihn sein Verantwortungsgefühl (und nicht etwa bloßes Machtstreben), die Entwicklungen nach ihm in eine bestimmte Richtung zu lenken und für Stabilität zu sorgen; eine kurzfristige Führungsrolle kam also nicht in Frage, wie erfahren derjenige, der sie ausführen würde, auch sein möchte. Auf der anderen Seite musste er (soweit möglich) den Eindruck vermeiden, er wolle vorsätzlich eine Erbaristokratie einführen. Und tatsächlich gab es auch niemals eine dahingehende öffentliche Erklärung. Wie im Laufe der Zeit deutlich wurde, war das aber auch gar nicht nötig. Die Grenzen zwischen Republik und Prinzipat waren für Augustus’ Zeitgenossen weit weniger ausgeprägt, als uns das heute im Rückblick erscheint. Dennoch war jedem klar, oder zumindest konnte es jeder spüren, dass sich die Dinge änderten und dass alles, in Augustus’ eigenen Worten, auf einen neuen Status (novus status) der res publica hinauslief. Wie immer war die größte Herausforderung, wie man den Menschen diesen neuen Status verkaufte. In diesem Fall entschloss sich Augustus, ganz im Gegensatz zur Ehegesetzgebung, vieles unausgesprochen zu lassen. Kritiker mochten ihm vorwerfen, er wolle verheimlichen, was vor sich ging, aber wahrscheinlich wussten die meisten Menschen die Mehrdeutigkeit und indirekten Aussagen durchaus zu schätzen. Man erzählte sich, Caesar habe laut verkündet, die Republik sei tot, nur um später selbst getötet zu werden. Wir können sicher sein, dass die meisten Zeitgenossen um Augustus’ Ziele wussten, aber seine taktvolle Zurückhaltung begrüßten. Als er 23 v. Chr., wie wir gesehen haben, mit dem Tode kämpfte, gelang ihm ein perfekter Balanceakt: Er übergab einen Teil seiner Verantwortung einem der Konsuln, einem „Elder Statesman“; andere Aufgaben fielen Agrippa zu, der zu dieser Zeit bereits Augustus’ rechte Hand war, aber noch nicht mit ihm verschwägert. Allerdings war der princeps selbst gerade erst vier Jahre lang als „Augustus“ im Amt. Der springende Punkt ist, dass Augustus 23 v. Chr., anders als es viele erwartet hatten, sich gegen eine dynastische Erbfolge entschied und seinen jungen Neffen Marcellus nicht als Erben einsetzte. Gleichzeitig zeigen die zahlreichen Spekulationen über Marcellus, dass man schon früh erwartet hatte, das Prinzipat würde einmal vererbt werden, und während die Jahre ins Land gingen, konnten Entscheidungen seitens Augustus, die in diese Richtung gingen, kaum noch jemanden überraschen oder erzürnen. Am Ende geschah genau dies, auch wenn es nie offiziell proklamiert wurde. Schon bald übertrug Augustus Agrippa erhebliche Machtbefugnisse, die seinen eigenen gleichkamen; später tat er dasselbe mit Tiberius. Das war keine Vetternwirtschaft, vielmehr gab es bestimmte Kriterien wie Kompetenz und nachgewiesene Erfahrung, und das trug sicherlich ebenso zur allgemeinen Akzeptanz bei wie der spürbare Wunsch, das offensichtlich stabile neue System, von dem alle profitierten, beizubehalten. Ein weiterer Faktor war der tragische frühe Tod von Augustus’ zwei Enkeln, Gaius und Lucius, im Alter von 23 bzw. 19 Jahren. Augustus war absolut vernarrt in sie (die Beziehungen innerhalb Augustus’ Familie werden im folgenden Kapi122

tel besprochen) und setzte sie bereits für öffentliche Aufgaben ein, als sie noch Teenager waren. Was wäre wohl passiert, wenn einer von ihnen oder beide überlebt hätten? Hätte Augustus abgewartet, bis sie einen genauso beeindruckenden Lebenslauf wie Tiberius aufzuweisen gehabt hätten? Hätte es Proteste gegeben, wenn er sie trotz mangelnder Erfahrung zu seinen Nachfolgern bestimmt hätte? Das ist sicher weniger wahrscheinlich, zumindest was Augustus betrifft – der ja selbst erst 18 gewesen war, als Caesar starb; immerhin erwähnt er sie ausdrücklich in der Präambel seines Testaments, und es scheint, als wären sie seine erste Wahl gewesen: „Da das grausame Schicksal mich meiner Enkel Gaius und Lucius beraubt hat, soll Tiberius mein Erbe sein“ (Sueton, Tiberius 23). Offensichtlich war diese Feststellung nicht dazu angetan, Tiberius’ Selbstwertgefühl zu stärken, so ehrlich sie als Ausdruck großväterlicher Trauer auch gewesen sein mag. Wie dem auch sei: Als Augustus in seinem Testament ankündigte, er werde Tiberius als Erben einsetzen, war allen klar, dass sich dies auch auf die politische Nachfolge bezog. Bei Caesar und Octavian war das noch ganz anders gewesen; aber das war nun 58 Jahre her, und der Senat erklärte Tiberius umgehend zum zweiten princeps. Dass es keinerlei Kontroverse darum gab, war ein Beweis für das große psychologische Geschick, mit dem Augustus das Problem der Fortsetzung des Prinzipats behandelt hatte. Seine laufenden Bemühungen in dieser Angelegenheit erinnern uns wieder daran, dass er während seiner gesamten Regierungszeit aktiv war und immer wieder neue Initiativen startete. Natürlich ließ sich die berauschende Aufbruchsstimmung der frühen Jahre nicht jahrzehntelang aufrechterhalten, aber es gab immer wieder Herausforderungen für Augustus (viele suchte er sich ganz bewusst), und die Atmosphäre seiner letzten zehn Lebensjahre war dynamisch wie eh und je; selbst persönliche Rückschläge wie der Tod seiner Enkel und die Verbannung der beiden Julias (siehe nächstes Kapitel) taten dem keinen Abbruch. Augustus demonstrierte bis zum Schluss programmatische Substanz und Führungsqualitäten, wie wir sie in diesem Kapitel besprochen haben. Er war ein Mann des Wandels, in jeder Hinsicht: Er übernahm die Kontrolle über Veränderungen, die bereits im Gange waren, und initiierte gleichzeitig seine eigenen. Die res publica wurde nicht nur wiederhergestellt, sondern zugleich grundlegend verändert.

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5 Augustus’ Freunde und Familie „So viel Glück Augustus in seinen öffentlichen Angelegenheiten hatte, so viel Pech hatte er mit seinen Familienmitgliedern.“ Mit diesen Worten beginnt Tacitus seinen Bericht darüber, wie Decimus Silanus, einer der Liebhaber der jungen Julia, Augustus’ Enkelin, unter Tiberius aus dem Exil zurückgeholt wurde (Annalen 3.24.3). Die antiken Schriftsteller liebten solche Dichotomien genauso sehr wie die moderne Forschung, und an Tacitus’ Aussage ist sicherlich etwas Wahres. Ganz so schwarz-weiß darf man das Bild allerdings nicht malen; wir haben zum Beispiel gesehen, dass auch Augustus’ öffentliches Leben alles andere als eine gradlinige Abfolge glücklicher Umstände war, sondern er sich immer wieder Herausforderungen, Prüfungen und nicht nachlassenden Anstrengungen gegenübersah. Der Schauplatz dieses Kapitels, das Haus des Augustus, bietet selbst eine entsprechende Perspektive: In einem Haushalt der römischen Oberschicht gingen öffentliche und private Funktionen Hand in Hand. Für Augustus’ Residenz gilt dies umso mehr, denn immerhin waren der öffentliche Kult der Vesta und ihr Heiligtum, wie wir gesehen haben, in den Wohnkomplex integriert. In diesem Zusammenhang könnte man den Gemeinplatz anbringen, dass unsere größten Stärken oft zugleich unsere größten Schwächen sind. Während Augustus seinen Erfolg im öffentlichen Leben vor allem seiner unerbittlichen Hartnäckigkeit zu verdanken hatte, stürzte dieselbe Hartnäckigkeit einige seiner engsten Familienmitglieder ins Unglück und schädigte sie emotional, psychisch und physisch. Ob sie ein glückliches Leben führten, war Augustus gleichgültig, er schob sie herum wie Schachfiguren auf einem dynastischen Spielbrett, das von ihm ebenso viel Tribut forderte wie von ihnen. Zugleich ging das Leben weiter, mit den ihm eigenen Widersprüchen: Unsere Quellen betonen Augustus’ Vorliebe für Witze, Humor und Heiterkeit (Macrobius bietet eine Liste der „Top 18“ seiner komischsten Momente; Saturnalien 2.4), während die Familie gleichzeitig auseinandergerissen wurde und einige ihrer Mitglieder im Exil, fern jeden menschlichen Kontakts, elend zugrunde gingen. Natürlich nicht alle; einige seiner Verwandten standen ihm näher als andere. Hier wiederum konnte das Schicksal dunkle Schatten werfen, denn einige von ihnen starben früh. Willkommen also, ohne weitere 124

Vorrede, im Privatleben des Augustus, das mit seinem öffentlichen Leben untrennbar verflochten war.

Livia: Ehefrau und Ratgeberin Fangen wir mit einer positiven Note an: Livia Drusilla, jene Frau, die noch keine 20 war und zudem schwanger von ihrem ersten Ehemann, als Octavian sie kennenlernte und kaum abwarten konnte, sie zu heiraten (siehe S. 52) – Livia Drusilla also war einer der wichtigsten Fixpunkte in seinem Leben. Aus Verliebtheit wurde Vertrauen und aus Vertrauen eine langlebige Partnerschaft. Auf seinem Sterbebett richtete er an sie seine letzten Worte: „Livia, lebe in Erinnerung unserer Ehe, und lebe wohl!“ (Sueton, Augustus 99). Diese Worte spiegeln die starke und dauerhafte Beziehung der beiden. Wie wir bereits gesehen haben, hatte sie, schon bevor sie Octavian heiratete, mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen; und auch wenn sie während des gewalttätigen Jahrzehnts der 30er Jahre v. Chr. fest an seiner Seite stand, wurden ihre Probleme nicht gerade geringer. Wir wissen, dass er sein ganzes Leben lang ihren Rat suchte, und zwar ganz systematisch: Wenn sie

Abbildung 15. Sardonyx-Kamee mit Porträt der Livia, ca. 20 v. Chr. Dies ist eines der schönsten erhaltenen Livia-Porträts überhaupt; es weist ganz außergewöhnlich feine Details auf, wie den doppelten Zopf und die seidige Textur der Haare. Solche Schmuckstücke waren eher Sammlerstücke als Massenware. Geldmuseum, Utrecht.

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über wichtige Fragen diskutieren wollten, machte er sich zuvor Notizen für das Gespräch (die leider nicht überliefert sind), so als träfe er sich mit einem hochrangigen Berater. Sie war eine große Hilfe für ihn, und das entschädigte für die Enttäuschung, dass sie ihm keine Kinder schenkte. Livia wurde schon früh in ihrer Ehe schwanger, aber die kleine Tochter kam tot zur Welt. Sie und Augustus hatten aber bereits Kinder aus ihren früheren Ehen, und viele Quellen beschäftigen sich intensiv mit den daraus resultierenden Problemen, wie wir im Laufe dieses Kapitels sehen werden. Der eigentliche Schwerpunkt ist jedoch anderswo zu setzen. Nach Octavians Aufstieg zu Augustus war Livia Roms erste First Lady (Abb. 15); tatsächlich bezeichnet sie so ein römischer Autor, der ihr nach dem Tod ihres Sohns Drusus ein (ziemlich langes) Trostgedicht widmete: Romana princeps (Consolatio ad Liviam 356). Es war ein Experiment, genau wie das Prinzipat. Ebenso wenig wie es einen Präzedenzfall für Augustus’ Rolle gab, gab es einen für die ihre. Und während Augustus erfolgreich an der Ausgestaltung seiner eigenen Rolle arbeitete, tat sie es ihm nach. In ihrem Fall bedeutete das vor allem eine bewusste öffentliche Zurückhaltung. Wieder gibt es hier eine deutliche Parallele: Auch Augustus bemühte sich, in seinem Erscheinungsbild den Prunk und Pomp eines Monarchen zu vermeiden, und nannte sich stattdessen princeps. Dennoch stand er ständig in der Öffentlichkeit, und sein Bild war allgegenwärtig, während Livia sich bemühte, im Hintergrund zu bleiben. Sie taucht weder auf in Rom geprägten Münzen auf noch in den Res Gestae ihres Mannes, und es gab in Rom nicht annähernd so viele Skulpturen von ihr wie von Augustus. Die Gelegenheiten, bei denen sie in Erscheinung trat, wurden sorgfältig ausgewählt. Nur ein Jahr, nachdem der Senat Octavian 36 v. Chr. die sacrosanctitas („Unverletzlichkeit“) verliehen hatte, gewährte man Livia (zusammen mit Augustus’ Schwester Octavia) das gleiche außergewöhnliche Privileg; zudem befreite man beide von der geltenden Rechtsnorm, dass Frauen einen gesetzlichen Vormund (tutor) haben mussten. Darüber hinaus gestattete man, dass Statuen von ihnen aufgestellt wurden. Das war absolut beispiellos für Frauen, die noch nicht verstorben waren, führte indes aber nicht zum Exzess (Dio 49.15.1). Man legte weniger Wert auf Quantität als vielmehr auf Qualität: So ist Livia zusammen mit anderen Familienmitgliedern nicht nur auf dem wichtigsten Symbol der pax Augusta, dem Altar des augusteischen Friedens, dargestellt (siehe Abb. 20), sondern sein Weih- und Jahrestag fiel mit ihrem Geburtstag, dem 30. Januar, zusammen. In den Provinzen war das etwas anders. Vor allem im hellenistischen Osten, wo man es gewohnt war, Königspaaren zu huldigen, entstanden Livia zu Ehren unzählige Inschriften und prominente Statuen; in Ägypten ließ Augustus ihr Porträt auf seine Münzen prägen. Doch welche Rolle spielte Livia, wenn es tatsächlich darum ging, Entscheidungen zu fällen? Auch hier herrschte weitgehende Diskretion, und auch wenn klar ist, dass sie dabei eine gewisse Rolle spielte, nennen unsere Quellen, abseits vom 126

üblichen Klatsch, nur wenige Fälle, in denen sie sich politisch engagierte. So machte sie sich dafür stark, dass die Bewohner von Samos einen besonderen ­Status erhielten, dass ein Gallier das römische Bürgerrecht erhielt und dass man Tiberius von Rhodos zurückholte. Einige ihrer Bitten erfüllte Augustus (wenn auch mit leichten Änderungen), andere lehnte er ab. Livia begleitete Augustus auf vielen seiner Reisen, und obgleich sie dabei dezent im Hintergrund blieb, gelang es ihr, nebenbei ein eigenes Netzwerk von Freunden aufzubauen, die über den ganzen Mittelmeerraum verstreut waren. Dazu gehörte Salome – nicht die Salome, sondern die Schwester Herodes’ des Großen –, der sie einige Ratschläge in puncto dynastischer Heiratspolitik gab. Kurz: Livia war eine Frau mit Substanz und einem gewissen Einfluss, und Augustus respektierte ihr Urteilsvermögen. Allerdings führte die Tatsache, dass der Großteil ihres ganz alltäglichen Austauschs mit Augustus nicht dokumentiert ist, dazu, dass Tacitus sie pauschal als Frau charakterisierte, die ihren Ehemann dominiert. In Wahrheit bemühte sich Augustus (und, wie anzunehmen ist, sie auch) bezeichnenderweise darum, nach außen hin klarzustellen, dass ihre gemeinsamen Beratungen und Besprechungen auf den häuslichen Bereich beschränkt waren und nicht auf das Territorium politischer Institutionen übergriffen. Livia war eine enge Vertraute, aber eine offizielle Funktion innerhalb der kaiserlichen Regierung besaß sie nicht. Um den Mangel an genauen Informationen über ihre offenbar wichtige Rolle zu kompensieren, lassen sich einige unserer wichtigsten Quellen, namentlich Tacitus und Sueton, zu einer wahren Orgie an reißerischen Details über die böse Stiefmutter auf dem Palatin hinreißen. Das lag durchaus nahe, ist doch die griechisch-römische Literatur voll von klischeehaften Darstellungen der bösen Stiefmutter. Das ging so weit, dass das Wort „Stiefmutter“ zur Metapher wurde – der Tragiker Aischylos bezeichnet an einer Stelle ein Meeresriff als „Stiefmutter für die Schiffe“. Wollte ein Schriftsteller das Publikum mit wilden Schilderungen über Livia fesseln, blieb ihm kaum eine andere Wahl, als diesen Blickwinkel einzunehmen: Sexuelle Eskapaden gab es keine, in dieser Hinsicht war an ihrem Verhalten als Ehefrau kein Makel zu finden – im Gegensatz zu ihrer Stieftochter Julia war sie geradezu die Verkörperung der traditionellen Tugend der Ehefrau, der pudicitia. Daher drehen sich die meisten Geschichten darum, wie sie taktiert, um ihre Söhne, Tiberius und Drusus, in höhere Ämter zu hieven, und um ihre schwierige Beziehung zu Augustus’ Blutsverwandten. Wann immer einer der Julier – ob nun der Neffe Marcellus oder die Enkel Gaius und Lucius – als Thronanwärter auftritt, ist die Giftmischerin Livia nicht weit. Dabei war es ganz gleichgültig, dass Gaius auf einer militärischen Expedition weit entfernt von Rom im Osten starb – natürlich reichte Livias langer Arm auch bis dorthin. Im gleichen Atemzug behauptete man, Livia habe Augustus’ Tod beschleunigt, indem sie ihm vergiftete Feigen zu essen gab, und dann sein Testament verfälscht. Außerdem hieß es, sie habe Augustus’ letzten verbleibenden Enkel, Agrippa Postumus (der diesen Namen trug, weil 127

er nach dem Tod seines Vaters zur Welt kam), von den Wachen auf der Insel, auf die er verbannt worden war, töten lassen. All das diente natürlich dazu, sicherzustellen, dass ihr eigener Sohn Tiberius Augustus’ Nachfolger wurde und niemand ihm den Rang ablaufen konnte. Welches Motiv hatten diese Schriftsteller – deren Erzählungen selbst noch in der fesselnden TV-Serie Ich, Claudius, Kaiser und Gott ihre Spuren hinterlassen haben –, Livia zu verunglimpfen (und ich möchte alle Leser herzlich einladen, bei ihnen die ganze Geschichte nachzulesen)? Neben dem Stiefmutter-Komplex, der eher ein Mittel zum Zweck war, hatten die männlichen Vertreter wohl einfach Angst vor dem Gedanken, dass eine Frau so viel Macht besitzen konnte. Daher auch die Tiraden gegen Kleopatra, eine der am vielseitigsten begabten Zeitgenossinnen von Caesar und Augustus, deren Einfluss auf Rom, wie Diana Kleiner gezeigt hat, in vielerlei Hinsicht ganz erheblich war; übrigens trugen Livia und ­Kleopatra sogar die gleiche Frisur. Die offensichtliche pudicitia musste auf andere Weise kompensiert werden: So machte man aus Livia eine bereitwillige Kupplerin, die ihrem Ehemann zur Mittagszeit immer neue Mädchen zuführte – bevorzugt natürlich Jungfrauen, wie der stets eifrige Sueton betont (Augustus 71). Es gibt allerdings auch ein paar realistischere Einblicke in ihr Leben. Als weibliches Oberhaupt des Haushalts bzw. des Wohnkomplexes auf dem Palatin hatte sie mit zahlreichen Familienmitgliedern zu tun – und mit vielen anderen Menschen, die dort lebten, von ihren eigenen Verwandten über Antonius’ Nachkommen bis hin zu Kindern von Herrschern aus dem Nahen Osten, die eine Gratis-Ausbildung erhielten, während sie selbst als Sicherheit dafür dienten, dass sich ihre Väter Rom gegenüber loyal verhielten. Ein Ausdruck besonders großer Loyalität gegenüber Livia war, dass sich Drusus’ Witwe Antonia dazu entschloss, mit ihrer Schwiegermutter zusammenzuleben, anstatt wieder zu heiraten; beinahe typisch, dass uns dies eine andere Quelle als Tacitus oder Sueton mitteilt (Valerius Maximus, 4.3.3). Antonias Sohn Claudius, der spätere Kaiser, litt unter grotesken und als peinlich empfundenen Behinderungen, doch sogar Sueton weist explizit darauf hin, wie sehr sich Livia um ihn kümmerte. Und sie ließ Julia der Jüngeren, der Enkelin ihres Mannes, in deren Exil materielle Unterstützung zukommen, obgleich Tacitus auch dahinter wieder eine ihrer Intrigen wittert. Was die Abläufe in ihrem Haus (domus) betrifft, so besitzen wir faszinierende und unverfälschte Zeugnisse aus Inschriften, die sich auf ihre mehrere hundert Bediensteten beziehen. Dazu zählte neben Buchhaltern, Näherinnen, Tischlern und Schuhmachern auch umfangreiches medizinisches Personal, betreut von einem supra medicus. Livia war geradezu besessen von ihrer Gesundheit (wurde am Ende mit 86 Jahren aber außergewöhnlich alt), und es gibt sogar zwei Rezepte für Heilmittel, die man ihr zuschreibt, eines gegen Halsschmerzen und ein anderes, wahrscheinlich sehr gefragtes, gegen nervliche Anspannung (siehe Kasten 5.1). Die eigentliche Überraschung aber ist, wie viele Kunsthandwerker sie beschäftigte, die auf Luxusgüter spezialisiert waren, unter 128

anderem einen Goldschmied, einen Perlensetzer und einen colorator (wahrscheinlich für Möbel). Immerhin bemühte sich Augustus nach Kräften, es nach außen hin aussehen zu lassen, als lebte er in einfachsten Verhältnissen: „Außer zu besonderen Anlässen trug er daheim absichtlich ganz schlichte Kleidung, die er von seiner Schwester, Ehefrau, Tochter oder Enkelin anfertigen ließ“, und den Großteil seiner Möbel hätte man „wohl kaum als Kennzeichen besonderer Eleganz im privaten Bereich“ angesehen (Sueton, Augustus 73). Offensichtlich herrschte innerhalb der domus Palatina eine große Vielfalt. Und so überrascht es auch kaum, dass Livia in ihrer Person so viele verschiedene Facet-

5.1. Livias Heilmittel gegen nervliche Anspannung „Salbe gegen Schüttelfrost, Müdigkeit, Nervenschmerzen und nervliche Anspannung, die, im Winter angewendet, die Gliedmaßen davor schützt, sich zu verkühlen. Livia Augusta verwendete Folgendes: Zutaten: 1 sextarius* Majoran 1 sextarius Rosmarin 1 Pfund Bockshornklee 1 congius* Falernerwein 5 Pfund Öl aus Venafrum Man gebe außer dem Öl alle Zutaten für drei Tage in den Wein, dann mische man am vierten Tag das Öl hinzu und koche die Medizin auf mittlerer Hitze, bis der Wein verschwunden ist. Als Nächstes seihe man sie ab durch zwei Lagen Leinen und gebe ein halbes Pfund pontisches Wachs hinzu, während das Öl noch warm ist. Man bewahre die Medizin in einem Ton- oder Zinngefäß auf. Sie wirkt, wenn sie sanft in alle Gliedmaßen eingerieben wird.“ Allein aufgrund ihres Interesses an solchen Medikamenten war es ein Leichtes, Livia als Giftmischerin zu diffamieren. * Der congius war ein Flüssigmaß (ca. 3,25 Liter), ein Sechstel congius war ein sextarius. Quelle Marcellus Burdigalensis, De Medicamentis 35.6, hrsg. v. M. Niedermann, übers. v. J. Kollesch und D. Niebel, Corpus Medicorum Latinorum 5 (Berlin 1968). 129

ten barg. Sie war ein wichtiger Faktor in Augustus’ Leben, aber wir wissen nicht viel darüber, was sie für ein Mensch war und was sie tat. Wahrscheinlich wäre ihr das auch ganz recht gewesen.

Agrippa: rechte Hand und Vizekönig Niemand trug mehr zu Octavians bzw. Augustus’ Erfolg bei als Marcus Vipsanius Agrippa. Sie waren seit ihrer Jugend miteinander befreundet. Als Octavian in Apollonia die Nachricht von Caesars Ermordung erreicht, ist Agrippa an seiner Seite. Der Rest ist Geschichte: Agrippa als siegreicher Stratege in Naulochoi und Actium; Agrippa als zweiter Konsul neben Augustus in den entscheidenden ­Jahren 28 und 27 v. Chr.; Agrippa als Beauftragter für militärische und administrative Unternehmungen in Ost und West; Agrippa als Inhaber praktisch des gleichen imperium wie Augustus im Jahr 18 v. Chr. und – last, but not least – Agrippa als Vater von fünf Kindern mit Julia, der einzigen Tochter des Kaisers. 12 v. Chr. starb er, ganz ohne Vorwarnung. Augustus’ Trauer war überwältigend. Er hielt die Grabrede (siehe Kasten 5.2) und ließ ihn in seinem Mausoleum beisetzen (siehe Karte 2), auf dem Marsfeld, wo Agrippa seinerseits zahlreiche Bauten hatte errichten lassen. Und doch sind genaue Informationen über Agrippa rar – und mehr noch als im Fall von Livia. Das gilt bereits für seine Geburt und seine Familie: Sein genaues Geburtsdatum kennen wir nicht – er kam 64 oder 63 v. Chr. zur Welt –, und wir wissen nicht einmal, woher die Vipsanii kamen. Wie wir bereits gesehen haben, gehörten sie nicht zur römischen Aristokratie; daher blickten die Aristokraten zeit seines Lebens auf ihn herab. Was sie noch mehr irritierte, ist, dass er ihrem Snobismus keinerlei Beachtung schenkte; er wusste, dass er sie, was seine Fähigkeiten und Leistungen betraf, mühelos in den Schatten stellte. Julius Caesar war es, der damit begonnen hatte, vertrauenswürdige Funktionäre auf Basis ihrer Fähigkeiten auszuwählen, auch wenn sie aus nichtaristokratischen Familien stammten. Gaius Oppius und Lucius Cornelius Balbus, ein Spanier, der das römische Bürgerrecht erworben hatte, wurden wichtige Berater Octavians und kümmerten sich um seine Angelegenheiten in Rom, wenn er, wie so oft, außerhalb weilte (siehe S. 36). Agrippa indes verkörperte die neuen Aufstiegsmöglichkeiten für Fachleute – das zentrale Phänomen der römischen „Kulturrevolution“, die dem traditionellen Monopol des Adels ein Ende setzte (siehe S. 94/95). Etwas anderes war für die Aristokraten noch schwerer zu verdauen: Dies war kein Paradigmenwechsel, der die Macht des Wissens betraf (hinsichtlich des Gebrauchs der lateinischen Sprache oder des Kalenders beispielsweise), sondern eine Verschiebung in der Exekutivgewalt. Genau wie bei sich selbst hatte Augustus es nicht nötig, Agrippas Karriere über traditionelle Kanäle wie das Konsulat zu fördern; nach 27 v. Chr. war 130

5.2. Fragment aus der Grabrede des Augustus für Agrippa

Abbildung 16. Papyrus Köln 249, Papyrus-Sammlung der Universität zu Köln.

„Die tribunizische Gewalt wurde dir für fünf Jahre übertragen, durch Senatsbeschluss im Jahr des Konsulats der beiden Lentuli, und sie wurde dir unter dem Konsulat von Tiberius Nero und Quinctilius Varus, deinen Schwiegersöhnen, für eine weitere fünfjährige Frist verliehen. Außerdem wurde per ­Gesetz festgelegt, dass es in keiner Provinz, in die dich das römische Gemeinwesen schicken würde, jemanden gäbe, der größeres imperium hätte als du. Du wurdest zum höchsten Gipfel emporgehoben, durch unseren Eifer und deine eigenen Qualitäten und mit der Zustimmung aller.“ Quelle Fragment eines Papyrus (Papyrus Köln 249). Der Text ist eine griechische Übersetzung des lateinischen Originals – die Herausforderung besteht darin, die ursprünglichen Sätze zu rekonstruieren und vor allem die Terminologie, die sich auf Agrippas Befugnisse bezieht. 131

Agrippa nie wieder Konsul. Sollten die Aristokraten doch ihre jährlichen Ämter besetzen; Agrippa hatte einen langen Atem, und so baute er seine Erfolgsbilanz immer weiter aus, bis er schließlich Augustus’ Mitregent wurde. Velleius und Dio charakterisieren den Mann, in aller Kürze, genau so, wie man es erwarten würde (Kasten 5.3). Agrippa genoss Octavians bzw. Augustus’ absolutes Vertrauen. Als Agrippas Haus niederbrannte – was in Rom sehr häufig vorkam – quartierte Augustus ihn in seinem eigenen Haus ein, und er ließ ihn dort wohnen, bis Agrippa sich einen neuen Wohnsitz hatte bauen lassen. Augustus musste nie befürchten, dass Agrippa sein Konkurrent würde, dafür sorgte bereits Agrippas nichtaristokratischer Hintergrund. Bezeichnenderweise überantwortete Augustus ihm, als er 23 v. Chr. meinte, sterben zu müssen, seine privaten Angelegenheiten, aber nicht seine öffentlichen Funktionen – die übertrug er dem Konsul Piso. Hätte sich diese Situation ein paar Jahre später wiederholt, nachdem der Senat beiden die gleichen Befugnisse verliehen hatte – und man darf nicht vergessen, dass diese Befugnisse, nämlich das imperium proconsulare und die tribunicia potestas, in regelmäßigen Abständen durch den Senat erneuert werden mussten –, hätte Agrippa vielleicht Tiberius den Vortritt gelassen; wir werden es nie erfahren. Agrippas Fähigkeiten waren und sind über jeden Zweifel erhaben. Doch wie er das Fachwissen bewarb, um Octavians Flotte aufzubauen und die Marinesoldaten auf so innovative Weise auszubilden – wir wissen es nicht. Daher betonen Dio und Velleius beide, dass Agrippas „Adel“ in seinen Fähigkeiten und Erfolgen lag. Das Wort, das Dio hier verwendet, aristos, konnte beides bedeuten – eine edle Herkunft (daher das Wort „Aristokratie“) und großartige Leistungen; letztere Konnotation wird durch arete- im nächsten Satz noch verstärkt. Das lateinische Äquivalent von arete- ist virtus (wörtlich: „besondere Eigenschaften/Leistungen eines Mannes“, wobei die Römer dieses Wort auch auf Frauen anwandten). Ganz bewusst charakterisiert Velleius Agrippa dann auch als einen Mann „von edelsten Eigenschaften“. Das verweist zurück bis in die späte Republik, als sogenannte „neue Männer“ wie Cicero und Octavians Vater in den Senat Einzug hielten und die traditionelle Aristokratie auf der Grundlage ihrer virtus herausforderten. Sicherlich wurden viele diesem Anspruch nicht gerecht, aber Agrippa tat es – und wie. Und da er einen unkonventionellen Hintergrund hatte, konnte er tun, was ein römischer Adliger niemals getan hätte: Nachdem er 37 v. Chr. zum ersten Mal Konsul gewesen war, stieg er die Karriereleiter wieder herab und wurde Ädil. Ein Ädil (abgeleitet von aedes, „Gebäude“) war in Rom in erster Linie verantwortlich für staatliche Bauaufträge, die öffentliche Ordnung, die Spiele und die Wasserversorgung. Auf Octavians Geheiß übernahm Agrippa dieses Amt im Jahr 33 v. Chr., und zwar mehr als bereitwillig. Es war die Zeit, als der die entscheidende Auseinandersetzung mit Antonius bevorstand, und wie wir gesehen haben, war es eine Zeit großer Entbehrungen und Unruhen in Italien. Es war von größter Wichtigkeit, die Bevölkerung Roms bei Laune zu halten, ganz gleich, wie aufwendig das war. Agrippa packte 132

5.3. Agrippas Qualitäten Velleius (2.79.1): „Er war ein Mann von edelster Tugend (nobilissimae virtutis), unbezwungen (invictus) von Mühsal, Schlafverlust oder Gefahren. Er übte sich im Gehorsam, jedoch nur einem einzigen Menschen gegenüber; andere bevorzugte er selbst zu befehligen. Bei allem, was er tat, kannte er keine Zaudern; und wenn er handelte, entschied er sich stets dafür, planmäßig vorzugehen.“ Dio (54.29): „So starb Agrippa, der beste Mann seiner Zeit, der die Freundschaft des Augustus zu dessen eigenem Wohl und zu dem des Gemeinwesens nutzte. So sehr er die anderen an Verdienst übertraf, so freiwillig trat er darin vor Augustus zurück. Während er diesen die Früchte seiner Einsicht und Tapferkeit ernten ließ, wandte er alle von ihm verliehene Ehre und Macht nur zum Wohl der anderen an und bewirkte dadurch, dass er dem Augustus nicht im Licht stand und von den anderen nicht beneidet wurde. Er sicherte Augustus die Alleinherrschaft, als ob er wirklich dieser Art der Regierung anhinge, während er, als größter Volksfreund, durch Wohltaten die Zuneigung des Volks gewann. So vermachte er dem Volke seine Gärten und das nach ihm benannte Bad, damit es unentgeltlich baden könnte, und überließ Augustus zu diesem Zweck bestimmte Grundstücke. Dieser übergab sie nicht nur dem Volk, sondern ließ außerdem – als geschähe es auf Agrippas Anweisung – an jeden Bürger 400 denarii verteilen. … Sein Verlust ging Augustus sehr nahe, was ihn beim Volk noch beliebter machte. … Dieser Todesfall war nicht nur ein Verlust für das Haus des Agrippa, sondern für den ganzen Staat, und Vorzeichen, die von jeher die Vorboten großer Unglücksfälle waren, ereigneten sich auch diesmal.“ Übersetzung nach der Loeb Classical Library, mit Änderungen Im Folgenden erwähnt Dio dann umherfliegende Eulen, Blitzeinschläge, ­einen Kometen und anderes mehr.

tatkräftig an, um die marode Infrastruktur instand zu setzen, unter anderem sorgte er dafür, dass die große Abwasserleitung in Rom, die Cloaca Maxima, endlich wieder funktionierte. Um diesen Erfolg zu feiern, fuhr er stolz mit einem Boot den Kanal hinunter, bis zu der Stelle, wo er in den Tiber floss (Plinius, Naturgeschichte 36.105). Um die Herzen der Menschen zu gewinnen, sponserte er aufwendige Spiele, spendierte Friseurbesuche und ließ kostenlos Olivenöl und Salz verteilen. 133

5.4. Das Pantheon

Abbildung 17. Das Pantheon in Rom.

Das ursprüngliche Gebäude wurde von Agrippa errichtet, als Teil seines Masterplans für den Campus Martius. Es unterschied sich stark von dem heutigen Gebäude, dessen Bau entweder in der Regierungszeit von Kaiser Hadrian (117–138 n. Chr.) begann oder, wie manche Forscher heute meinen, unter Trajan (98–117 n. Chr.). Seine Kuppel ist eines der erstaunlichsten Wunderwerke römischer Architektur und diente als Inspiration für den Petersdom; das ursprüngliche Gebäude von Agrippa hatte indes keine solche Kuppel. Es folgt der Bericht von Dio (53.27.1–4), der auch den Namen „Pantheon“ kommentiert: „Inzwischen verschönerte Agrippa die Stadt auf eigene Kosten. … Außerdem schloss er den Bau des Gebäudes ab, das man ,Pantheon‘ nennt. Vielleicht erhielt es diesen Namen, weil zu den Standbildern, die es zierten, Statuen mehrerer Götter gehörten, darunter Mars und Venus; ich hingegen bin der Meinung, dass der Namen vom gewölbten Dach herrührt, das aussieht wie das Himmelszelt. Agrippa wollte auch eine Statue des Augustus im Tempel platzieren und das Gebäude nach ihm benennen lassen. Aber da der Kaiser keine dieser beiden Ehrungen akzeptierte, ließ er im Inneren des Tempels eine Statue von Julius Caesar aufstellen und im Vorraum Statuen von Augustus und sich selbst. Agrippa war dabei nicht von Konkurrenzgedanken angetrieben oder etwa vom Ehrgeiz, sich mit Augustus gleichzusetzen, sondern von ehrlicher Loyalität und einem konstanten Verlangen, das öffentliche Wohl zu fördern; daher rügte Augustus ihn nicht etwa, sondern ehrte ihn umso mehr.“ 134

Sobald er die Heimatfront abgesichert hatte, wurde aus Agrippa, dem Ädil, wieder Agrippa, der Flottenadmiral, der mit seinen überlegenen Fähigkeiten die Schlacht von Actium gewann. Passenderweise legte sich dieser innovative Mann nach dem Sieg bei Naulochoi auch ein innovatives Symbol zu, eine Krone mit Schiffsschnäbeln (siehe Kasten 2.3). Neben seinen späteren Militäraktionen im gesamten Reich setzte er seine Bautätigkeit in Rom fort und war maßgeblich an der Umgestaltung der Stadt beteiligt (siehe Kapitel 6); das Pantheon trägt in der Inschrift über dem Eingang noch immer seinen Namen (Abb. 17, Kasten 5.4). Es ist interessant zu beobachten, wie die unter Augustus vorherrschende Erinnerungskultur die Frage beantwortete, welches Bild von Agrippa man der Nachwelt präsentieren sollte. Welche seiner vielen res gestae sollte man hervorheben? Auf welche Art und Weise sollte man sich an ihn erinnern? Die Auswahl war groß, darunter nicht zuletzt seine diplomatischen und persönlichen Beziehungen mit hochrangigen Potentaten wie Herodes dem Großen. Außerdem verewigte er sich, indem er eine Weltkarte konstruierte, die in der von seiner Schwester gebauten Porticus Vipsania ausgestellt wurde. Wie man bei späteren Autoren (wie Velleius und Dio) beobachten kann, legte man den Schwerpunkt auf Agrippa als Mann des Volkes. Seine „unedle“ (Tacitus) und unbekannte, wohl eher niedere Herkunft gereichte ihm dabei zum Vorteil – Agrippa, der Wohltäter der Menschen. Als Anwalt des Volkes spricht er sich in einem fiktiven Streitgespräch mit Octavians Beratern bei Dio für die Demokratie aus und lehnt Maecenas’ Vorschläge ab, der sich für die Monarchie einsetzt (Buch 52; vgl. Kasten 3.2). Ferner besteht er darauf, private Kunstsammlungen für alle zugänglich zu machen, anstatt sie dem „Exil der Villen“ zu überlassen (Plinius, Naturgeschichte 35.26). Wie Seneca der Jüngere schreibt, war Agrippa von allen, die aus den Bürgerkriegen auf als Gewinner hervorgingen, der Einzige, der „nur glücklich war, wenn es der Allgemeinheit gut ging“ (Briefe 15.94.46). Und Plinius der Ältere schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er ihn als Mann bezeichnet, der „sein Land ausgefallenen Genüssen“ vorzog (Naturgeschichte 35.26). Natürlich hatte Agrippas Persönlichkeit auch noch andere Seiten. Aber genau wie Livia versuchte er niemals, Augustus in den Schatten zu stellen. Er mochte mit den Füßen voran zur Welt gekommen sein (man nimmt an, dass das die ursprüngliche Bedeutung des Namens „Agrippa“ ist), aber der Kopf war ganz sicher schnell gefolgt.

Julia: Spielball und Rebellin Julia war aus einem anderen Holz geschnitzt. Ein Livia-Biograph hat ganz treffend festgestellt: „In gewisser Hinsicht war Livia alles, was Julia nicht war“ (Barrett, S. 50) – und dieser Vergleich lässt sich ohne Weiteres umkehren. Aus gutem Grund: Julia war der einzige leibliche Nachkomme des princeps, und das war ihr auch 135

durchaus klar. Doch dieser Status brachte ihr nicht nur Vorteile: Zwar genoss sie viele Privilegien; man bedenke nur ihre Antwort an „einen ernsten Freund“ ­(gravem amicum), den Augustus geschickt hatte, um ihr den einfachen Lebensstil ihres Vaters nahezubringen: „Er vergisst, dass er der Kaiser ist, aber ich bin mir bewusst, dass ich des Kaisers Tochter bin“ (Macrobius, Saturnalien 2.5.8). Andererseits jedoch benutzte Augustus sie als dynastisches Instrument, und ihre Ehen gründeten nicht auf Liebe, sondern auf seinen Entschlüssen. Natürlich waren solche Arrangements für die römische Aristokratie (und überhaupt alle Monarchien der Weltgeschichte) nicht untypisch, doch Augustus’ rücksichtsloses Vorgehen hat viel mit Julias rebellischer Ader zu tun, die schlussendlich dafür sorgte, dass sie ins Exil gehen musste. Trotz wiederholter Bitten von vielen Seiten holte ihr unnachgiebiger Vater sie niemals zurück. Immer wieder sagte er, er habe zwei schwierige Töchter: die res publica und Julia (Macrobius, Saturnalien 2.5.4). Um beide musste er sich ständig kümmern. Wir erinnern uns: Julia war Octavians Tochter mit Scribonia, von der er sich unmittelbar nach Julias Geburt 40 v. Chr. scheiden ließ. Wie üblich wissen wir nichts über ihre frühe Kindheit. Wahrscheinlich lebte sie ab ihrem sechsten Lebensjahr im Wohnkomplex ihres Vaters auf dem Palatin; dort gab es, wie wir gesehen haben, noch viele weitere Kinder, unter anderem ihren Cousin Marcellus

5.5. Julias Schlagfertigkeit gegenüber Vater und Stiefmutter „Sie präsentierte sich Augustus in einem ziemlich gewagten Kleid. Es beleidigte seine Augen, aber er schwieg. Am folgenden Tag wechselte sie ihr Gewand und trug etwas Angemesseneres; sie umarmte ihren Vater, der froh war, sie so zu sehen. Tags zuvor hatte er seinen Kummer gezügelt, doch seine Freude konnte er nun nicht zügeln, und er sprach: ,Diese Art und Weise, sich zu kleiden, ist so viel passender für die Tochter des Augustus.‘ Sie wusste sich zu verteidigen: ,Heute habe ich mich für die Augen meines Vaters gekleidet – gestern für die Augen meines Ehemanns.‘ Bekannt ist auch dieses Beispiel ihrer Schlagfertigkeit: Als Livia und Julia die Gladiatorenkämpfe besuchten, wunderten sich die Zuschauer darüber, wie unterschiedlich beider Gefolge war. Livia umgab sich mit ernst aussehenden Männern, während Julia inmitten einer Gruppe junger und schicker Leute saß. Ihr Vater wies sie in einem Brief in deutlichen Worten auf den Unterschied zwischen den beiden führenden (principes) Frauen hin. Sie schrieb ihm auf geistreiche Weise zurück: ,Wenn ich erst einmal alt bin, sind sie auch alt.‘“ Macrobius, Saturnalien 2.5–6 136

und ihre Stiefbrüder Tiberius und Drusus. Sie erhielt dort eine gute Ausbildung, und das Lernen machte ihr Spaß; Macrobius betont ihre Vorliebe für Literatur und eruditio (Bildung). Vom Charakter her, fährt er fort, war sie nicht aufbrausend, sondern verkörperte eine warmherzige humanitas – kein Wunder also, dass sie äußerst beliebt war (Saturnalien 2.5.2). Anekdoten über den Unterschied zwischen ihrem und Livias Lebensstil gibt es reichlich, vor allem über Julias Liebe zur Mode; außerdem hatte sie immer eine geistreiche Antwort auf Lager (siehe Kasten 5.5). Es scheint auch, als sei es ihr durchaus erlaubt gewesen, vom Palatin aus hinunter in die Stadt zu gehen oder sich Aufführungen verschiedenster Art anzusehen. Bei solchen Gelegenheiten sah man sie oft in Begleitung eines ganzen Gefolges munterer junger Leute. Römerinnen heirateten relativ früh – man muss jedoch bedenken, dass die durchschnittliche Lebenserwartung etwa 35 Jahre betrug (siehe Kasten 1.2). Julia wurde 25 oder 24 v. Chr. mit Marcellus, dem Sohn von Augustus’ Schwester Octavia, verheiratet. Ihre Ehe diente in erster Linie dazu, die gens Iulia zu konsolidieren. Doch das Schicksal hatte andere Pläne, und Marcellus starb im Jahr 23 v. Chr. Vergil setzte ihm ein Denkmal, indem er seine Parade zukünftiger Römer im 6. Buch der Aeneis mit dem frühen Tod des Marcellus enden ließ (Verse 860–886) – eine eindringliche Mahnung, dass Rom nicht nur große Leistungen und Erfolge zu feiern hatte, sondern auch Verluste zu betrauern. Wenn Vergil vor Augustus’ Familie diese Verse rezitierte, hatten sie eine so starke Wirkung, dass Octavia in Ohnmacht fiel. Von Octavias andauernder Trauer wissen wir eine Menge, über Julias Reaktion nichts. Augustus wählte ihren nächsten Ehemann aus, und das war Agrippa. Irgendwie gehörte es zu einer Hochzeit im Hause Augustus, dass es eine delikate Wendung gab – man denke nur daran, dass Livias Ex-Mann sie Octavian überließ, obwohl sie von ihm schwanger war (siehe S. 53). Und so kam es, dass Julia Agrippa heiratete, der damals bei ihrer Hochzeit mit Marcellus die Zeremonie geleitet hatte, weil Augustus sich gerade in Spanien befand; und damit nicht genug, war Agrippa bereits verheiratet, mit Marcella, Marcellus’ Schwester (!), aber die Scheidung verlief reibungslos und offenbar auch ohne Groll seitens der noch immer trauernden Octavia. Sie heirateten 21 v. Chr., und ihre Ehe dauerte neun Jahre, dann starb Agrippa. Wie oft Livia und Julia ihre Ehemänner auf Reisen begleiteten, ist nirgendwo verzeichnet; immerhin wissen wir, dass Julia mindestens einmal im Osten des Reichs war. Doch obwohl Agrippa sich so oft außerhalb Roms aufhielt, brachte ihre Verbindung das gewünschte Ergebnis, in Form von drei Jungen und zwei Mädchen. Es beruhigte manche Gemüter, dass sie alle einige Ähnlichkeit mit ihrem Vater zeigten; schlagfertig antwortete Julia auf allzu neugierige Fragen in dieser Richtung, sie nehme nur neue Fahrgäste an, wenn das Schiff bereits voll beladen sei. Der große Altersunterschied zwischen den beiden Ehepartnern war für römische Verhältnisse alles andere als ungewöhnlich und auch nicht 137

sonderlich problematisch. Unter der aus der Renaissance stammenden Villa Farnesina nahe des Tibers in Rom fand man die Überreste eines antiken Wohnhauses, das man als Agrippas und Julias gemeinsame Wohnung identifiziert hat; es ist ein Musterbeispiel für Geschmack und Eleganz. Die Wandmalereien sind äußerst raffiniert und stimmen mit Plinius’ Hinweis auf Agrippas Rustikalität überein. Augustus war ganz vernarrt in die beiden ältesten Jungen, Gaius und Lucius (geboren 20 bzw. 17 v. Chr.). Er adoptierte sie noch als Kinder und brach dabei wie schon öfter mit der Tradition. Im Jahr 13 v. Chr. wurden sie auf einem denarius abgebildet, mit Julia in der Mitte (Abb. 18). Livia wurde, wie bereits erwähnt, nie in dieser Art und Weise präsentiert.

Abbildung 18. Denarius mit Porträts von Julia, Gaius und Lucius Caesar. Geprägt in Rom, 13 v. Chr., Münzkabinett Berlin.

Der Wendepunkt in Julias Leben kam nach Agrippas Tod. Wir haben bereits gesehen, dass Augustus es sorgfältig vermied, von einer dynastischen Erbfolge zu sprechen, dennoch war den meisten Menschen in Rom klar, dass genau das Augustus’ Priorität war. Agrippa schied als sein Nachfolger aus, und Augustus’ Enkel waren noch zu jung. Daher sollte Tiberius so schnell wie möglich die Lücke füllen und in die Familie der Julier einheiraten. Julias Wünsche und Hoffnungen zählten in diesem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel der innerverwandtschaftlichen Zweckehen genauso wenig wie die von Tiberius. Und dummerweise war Tiberius überaus glücklich verheiratet, mit Agrippas ältester Tochter, Vipsania Agrippina. Augustus zwang ihn, sich von ihr scheiden zu lassen, und keinem blieb verborgen, wie sehr ihn das mitnahm. Um Tiberius soll es etwas später gehen; an dieser Stelle genügt der Hinweis, dass er nicht ganz der Ausbund negativer Eigenschaften war, als den Tacitus und Sueton ihn der Nachwelt präsentieren – griesgrämig, zaudernd und pervers. Doch 138

vom Temperament her lagen zwischen ihm und der freigeistigen Julia Welten. Sie versuchten gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und bald zeugten sie sogar einen Sohn, aber wie so viele Kinder starb er kurz nach der Geburt. Im Jahr 9 v. Chr. verschied zudem Tiberius’ Bruder Drusus, dem Tiberius sehr nahestand. Auch die ständigen Feldzüge und Tiberius’ Abwesenheiten von Rom belasteten ihre Beziehung, und wie Sueton berichtet, hatte das Paar getrennte Betten. Zum endgültigen Bruch kam es 6 v. Chr. Tiberius zerstritt sich mit Augustus, trat von allen Ämtern zurück und zog für die nächsten sieben Jahre nach Rhodos (siehe unten). Julia blieb in Rom. Doch im Gegensatz zu ihrer Tante Octavia – die mit ihren Kindern in die domus auf dem Palatin eingezogen war, nachdem Antonius sie für Kleopatra verlassen hatte – kam für Julia ein Leben im Zölibat nicht in Frage. Selbstverständlich nehmen unsere Quellen dies zum Anlass, ihr ein phantastisch extravagantes Liebesleben anzudichten. Dabei finden sich die üblichen Sichtweisen – war ein Mann ein Schürzenjäger, galt dies als Demonstration seiner Männlichkeit, und Geschichten darüber gehören zu allen Schriften über prominente römische Männer, auch Augustus. Neben der Anekdote, Livia habe ihm junge Mädchen zugeführt, gibt es vor allem Geschichten über den jungen Octavian (allesamt von Sueton, der allerdings gesteht, dass einige dieser Geschichten aus Antonius’ Lager stammen), die davon erzählen, er habe mit den Frauen seiner Feinde geschlafen, um deren Vorhaben auszukundschaften, und sogar einmal die Frau eines Konsuls aus dem Esszimmer ins Schlafzimmer geschleppt, in dessen eigenem Haus (Sueton, Augustus 69). Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass Augustus streng monogam lebte, auch nicht in späteren Jahren. Doch wie ein Forscher aus Oxford (selbst sein Leben lang Junggeselle) es formulierte: „Wenn die Römer mit ihrer schmutzigen Phantasie sich keine übleren Skandale für ihn ausdenken konnten als diese, dann können wir davon ausgehen, dass … er ein ziemlich sittenstrenger Mensch war“ (Balsdon 1962, S. 68–69). Wie für alle römischen Frauen galten für Julia natürlich andere Standards. Ihre sexuellen Aktivitäten außerhalb ihrer Ehe, die eigentlich gar keine mehr war, auch wenn Augustus nicht zuließ, dass sie sich von Tiberius trennte, wurden zur Sensation aufgebauscht und galten als Inbegriff der Promiskuität. Dass Julia Liebhaber hatte, kann man durchaus nachvollziehen, auch ohne dass man sie als Nymphomanin abstempelt. Genau wie im Falle von Augustus’ Seitensprüngen müssen wir auch hier mit maßlosen Übertreibungen rechnen. So soll Julia es nicht etwa im Schlafzimmer eines hilflosen Konsuls getrieben haben, sondern beispielsweise des Nachts auf der Rednertribüne (der Rostra) auf dem Forum Romanum. Und im Gegensatz zu den reißerischen Beschreibungen, sie habe sich jedem an den Hals geworfen, der ihr über den Weg lief, ist ziemlich klar, dass die meisten ihrer Liebhaber zu ihrer aristokratischen Entourage gehörten. Das wiederum hat zu Spekulationen geführt, dass es dabei auch um Politik ging. Es gibt Berichte darüber, dass sie sich täglich (oder besser nächtlich) mit ­ihren 139

Gefährten bei der Statue des Marsyas auf dem Forum traf. Marsyas war ein Satyr, der von Apollo gehäutet worden war, und seine Statue war aus diversen phantasievollen Gründen zu einem Symbol für die Freiheit des Volkes geworden. Es heißt sogar, dass Julia der Statue eine Krone aufgesetzt habe. War dies eine politische Geste, um die gute alte Zeit der libertas der Republik zurückzuholen und ein Zeichen zu setzen gegen den Mann, der eine besondere Beziehung zu Apollo hatte? Der diesem Gott unter anderem einen aufwendigen Tempel errichtet hatte, in seinem eigenen Wohnkomplex auf dem Palatin? Hier müssen wir vorsichtig sein: Eine Geste der Rebellion war es bestimmt, aber ein politisches Programm steckte sicher nicht dahinter – höchstens in sehr begrenztem Umfang, als Rückkehr zu eben jenem Klüngel, der das Markenzeichen des republikanischen Adels gewesen war und einer der Hauptgründe für ihr Scheitern. Immerhin war einer ihrer Geliebten Jullus Antonius, ein Sohn von Antonius, und diese Liaison hatte den unangenehmen Beigeschmack einer späten Rache. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass einige unserer Quellen behaupten, Julia habe geplant, ihren Vater umzubringen. Zumindest war sie nicht gerade ein Musterkind, wenn es darum ging, den Rechtsvorschriften ihres Vaters in puncto Moral und Ehe gerecht zu werden. Das Ereignis, auf dem die meisten antiken und modernen Spekulationen in diesem Zusammenhang gründen, war ein regelrechter Donnerschlag: Augustus’ impulsive und grausame Entscheidung, Julia im Jahr 2 v. Chr. mit sofortiger Wirkung aus Rom zu verbannen. In einer vernichtenden Art und Weise, die er später bereuen sollte („nichts davon wäre mir passiert, wenn Agrippa oder Maecenas noch am Leben gewesen wären“; Seneca, Über Wohltaten 6.32), denunzierte er Julia vor dem Senat. Der zugehörige Schriftsatz, den ein Quästor einbrachte, enthielt eine Liste ihrer Liebhaber und der öffentlichen Orte, an denen sie sich mit ihnen zu ihren nächtlichen Ausschweifungen traf. Ein Gerichtsverfahren gewährte er ihr nicht, er verurteilte sie ohne Rücksicht auf Formalitäten und schickte sie ins Exil, zunächst auf die Insel Pandateria und etwa fünf Jahre später in die Nähe von Rhegium, weit im Süden Italiens. Ihre Mutter Scribonia erklärte sich bereit, sie zu begleiteten. Jullus beging Selbstmord, andere Liebhaber von Julia wurden wie sie verbannt, und dem abwesenden Tiberius wurde erlaubt, sich scheiden zu lassen. Julias Lebensbedingungen im Exil waren zunächst hart, verbesserten sich dann leicht, um schließlich unerträglich zu werden. Auf Pandateria lebte sie in einer Art Einzelhaft ohne Besucher oder andere Kontakte, abgesehen von Scribonia; Augustus verbot ihr sogar Wein und gutes Essen. In Rhegium erging es ihr ein wenig besser: Sie durfte in die Stadt gehen und Kontakte knüpfen, und Augustus gewährte ihr ein Taschengeld. Doch als ihr Ex-Mann die Nachfolge von Augustus antrat, änderte sich all das radikal. Sie wurde nun in ihrem Haus wie eine Gefangene gehalten; nicht einmal ihre Mutter durfte zu ihr, und schon bald verhungerte sie – und all das innerhalb weniger Wochen nach Augustus’ Tod. 140

Tiberius: kompetenter Lückenbüßer Es kann niemanden überraschen, dass Verhaltensweisen wie seine Maßnahmen gegenüber Julia einen dunklen Schatten über Tiberius warfen. 23 Jahre dauerte seine Herrschaft, und unsere wichtigsten Quellen schildern ihn für diese Zeit als unsicher, verbittert, sexuell pervers und in mehr als einer Hinsicht entrückt – die letzten 13 Jahre seines Lebens lebte er zurückgezogen auf Capri. Dies soll hier allerdings nicht weiter ausgeführt werden; stattdessen wollen wir uns zunächst auf seine Karriere unter Augustus konzentrieren und auf seine Beziehung zu ihm. Sueton hat Recht, wenn er zusammenfassend festhält, dass Tiberius „in seiner Kindheit und Jugend mit Entbehrungen und Schwierigkeiten zu kämpfen hatte“ (Tiberius 6). Diese Bemerkung bezieht sich darauf, dass Livia und ihr erster Mann vor Octavian auf der Flucht waren (siehe S. 52/53); ohnehin waren die 30er Jahre bekanntermaßen ein sehr turbulentes Jahrzehnt und nicht gerade ein ideales Umfeld für Kinder (Tiberius kam 42 v. Chr. zur Welt), selbst für einen Stiefsohn von Octavian nicht. Es folgen die üblichen spärlichen Informationen: 33 v. Chr. hielt er die Grabrede für seinen Vater, und 29 v. Chr. nahm er am prunkvollen Triumph seines Stiefvaters teil; dabei ritt er links vom Triumphwagen und Marcellus, Octavias Sohn und somit Mitglied der gens Iulia, rechts. Der Triumph war eines der größten Spektakel, die Rom je erlebte, und für einen Zwölfjährigen muss es eine überwältigende Erfahrung gewesen sein. Später profilierte er sich mit diversen Routineaufgaben, wie dem Vorsitz über die städtischen Spiele, und einigen hervorstechenderen Maßnahmen, wie der Neuorganisation der Versorgung mit Getreide, die den Verantwortlichen schon seit Jahren Kopfschmerzen bereitet hatte. Vor allem aber begann Tiberius schon früh damit, sich eine militärische Karriere aufzubauen, durch die er nach Agrippas Tod zum wichtigsten Heerführer Roms aufsteigen sollte – umso mehr nach dem Tod seines Bruders Drusus 9 v. Chr., der ihn schwer traf. Augustus’ Reich und seine Herrschaft sind ohne Tiberius’ Leistungen im Feld undenkbar. Dass er so effektiv war, hatte nicht nur mit seiner großen strategischen und taktischen Begabung zu tun, sondern auch mit seiner Nähe zur Truppe. Hier war er alles andere als „entrückt“: Er schlief auf dem Erdboden, teilte ihre Entbehrungen, und wenn seine Soldaten krank waren, teilte er seine privaten Ressourcen mit ihnen, wie medizinische Versorgung und Nahrung (siehe Kasten 5.6). In diesem Punkt können wir ruhig Velleius glauben; als ranghoher Offizier im Pannonienfeldzug war er in Tiberius’ Nähe, und es gab noch genügend Zeitgenossen, die einer falschen Darstellung widersprochen hätten. Tiberius kümmerte sich, wie Sueton bestätigt, mit außergewöhnlicher Fürsorge um seine Soldaten, und das war der Schlüssel zu seinem militärischen Erfolg. Er achtete nicht nur auf Details, wenn es um Fragen der militärischen Planung und dergleichen ging, sondern auch hinsichtlich der Sicherheit seiner Truppen – Varus war ein erfahrener Kom141

mandant, und dennoch verlor er durch Unachtsamkeit drei römische Legionen; Tiberius wäre das niemals passiert. Als Gegenleistung erwartete er jedoch äußerste Disziplin, und genau deshalb zeigt Velleius mitunter eine so überschwängliche Bewunderung für ihn (siehe Kasten 5.6). Tiberius inspirierte seine Soldaten nicht durch sein Charisma, sondern dadurch, dass er „Effizienz äußerem Glanz vorzog“ (Velleius, 2.113.2). Seine physische Erscheinung unterstrich dies noch: kräftiger Körperbau, breite Brust, breite Schultern und, interessanterweise, längeres Haar, das ihm über den Nacken bis auf die Schultern fiel (Sueton, Tiberius 68). Die Geschichte ist, wie wir alle wissen, voller Ironie – in diesem Falle besteht sie darin, dass Augustus ursprünglich selbst von „gemeiner Abstammung“ war und deshalb Talente wie Agrippa zu schätzen wusste, sich Tiberius gegenüber jedoch vollkommen anders verhielt. Jetzt, wo die Familie der Julier, in die er durch Caesar per Adoption aufgenommen worden war, endlich Nachkommen hatte (seine Enkel), war die Abstammung nun doch ein wichtigerer Faktor als irgendwelche Verdienste. Selbst Julia, die angebliche Anhängerin des Marsyas, der dem Volk Freiheit verhieß, hatte die Nase über Tiberius gerümpft – als ebenbürtig empfand sie ihn nicht (imparem). Dann kamen zwei Entwicklungen zusammen, die einander so verstärkten, dass es 6 v. Chr. zum Bruch zwischen Tiberius und Augustus kam. Zum einen versuchte Augustus, aus Tiberius einen zweiten Agrippa zu machen oder, wie Jochen Bleicken schreibt (1998, S. 635), einen „ErsatzAgrippa“. Die erzwungene Ehe mit Julia war nur ein Aspekt, der andere, für sich genommen ebenso symptomatische, waren die vielen Ehrungen und Befugnisse, die fast identisch mit denjenigen Agrippas waren, was ihn quasi zum Mitregenten des princeps machte. Was also war das Problem? Kurz gesagt, es war die nüchterne Zweckmäßigkeit dieses Arrangements. Ein echter Vertrauensbeweis gegenüber Tiberius war das nicht gerade, und es förderte auch nicht sein Selbstbewusstsein. Das war auf schmerzhafte Weise deutlich, und es gab noch einen zweiten ausschlaggebenden Faktor: Augustus verheimlichte niemandem, dass er Julias älteste Söhne, die kaum Teenager waren, Tiberius vorzog. Typisch für Augustus war, dass er diese Haltung auch dann nicht aufgab, als sie tot waren. Gleich im ersten Satz seines Testaments, das 14 n. Chr. im Senat verlesen wurde, verkündete er, dass Tiberius sein Erbe würde, „da das grausame Schicksal mich meiner [Enkel-]Söhne Gaius und Lucius beraubt hat“ (Sueton, Tiberius 23). In seinen Res Gestae benutzt Augustus den gleichen Wortlaut; dort widmet er allein der Aufzählung der Ehrungen, mit denen er die Jungen überschüttete, ein ganzes Kapitel (14). So umfangreich diese Auszeichnungen waren, zum größten Teil kamen sie viel zu früh. Wie bereits erwähnt, brach Augustus mit allen Traditionen, indem er sie bereits als Kinder adoptierte. Als Gaius zwölf war und zum ersten Mal an militärischen Übungen teilnahm, erhielt die Truppe eine Sonderzahlung, und in Gallien zahlte man den Sold in Silber- und Goldmünzen aus, die sein Konterfei trugen. Ein Jahr später setzte Augustus ihn als Verantwortlichen für die renommierten 142

5.6. Tiberius als Heerführer „Und nun ein Detail. Es eignet sich nicht für eine großartige Erzählung, aber es zeigt die wahre Tapferkeit (virtus) dieses Mannes und ihre praktischen Aspekte; dass er ein angenehmer Umgang war und seine Güte einzigartig. Während des gesamten Kriegs in Germanien und Pannonien war unter uns nicht einer, ganz gleich ob unterhalb oder oberhalb meines Rangs, der krank wurde, ohne dass sich Caesar um seine Gesundheit und sein Wohlergehen kümmerte, und zwar mit so viel Sorgfalt, als sei dies das Einzige, woran er denke, obwohl er gleichzeitig mit viel schwereren Aufgaben betraut war. Für alle, die einen benötigten, stand ein Pferdewagen bereit, seine private Sänfte stand allen zur Verfügung, und ich war nur einer von vielen, die in den Genuss kamen, sich darin tragen zu lassen. Seine Ärzte, seine Küche, sein Bad, das er einzig und allein zu diesem Zweck mitgebracht hatte, kamen all jenen zugute, die krank waren. … Ich will noch Folgendes hinzufügen: … Caesar war der einzige der Befehlshaber, der die Angewohnheit hatte, unterwegs immer im Sattel zu sitzen und während des Großteils des Sommerfeldzugs mit geladenen Gästen bei Tisch zu sitzen.“ Velleius 2.114.1–3 „Welch riesige feindliche Armeen sahen wir im ersten Jahr in den Kampf ziehen! Welche Möglichkeiten taten sich uns auf, durch die vorausschauende Umsicht des Oberbefehlshabers, dem Heer des Feindes zu entgehen, wenn es vereint war, und es in die Flucht zu schlagen, wenn es sich teilte! Mit welcher Mäßigung und Güte handhabte er, wie wir beobachten konnten, alle Aspekte der Kriegsführung, obwohl er doch ein Militärkommandant war! Mit welch großartigen Urteilsvermögen wählte er den Ort der Winterlager aus! Wie sorgfältig ließ er den Feind durch die Vorposten unserer Armee aufhalten, so dass er nirgendwo durchbrechen konnte und durch den Mangel an Versorgungsgütern und Zwietracht in den eigenen Reihen in seiner Kraft geschwächt wurde!“ Velleius 2.111.4 Übersetzung nach der Loeb Classical Library, mit Änderungen

Spiele in Rom ein, da Tiberius plötzlich nach Germanien aufbrechen musste, um dort für Ruhe zu sorgen. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung – bzw. aus Tiberius’ Sicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – war 6 v. Chr. der Beschluss der Volksversammlung, Gaius das Konsulat zu übertragen – im Alter von gerade einmal 14 Jahren. Das hätte Octavians Rekord noch um ganze fünf Jahre geschlagen, hätte Augustus nicht dafür gesorgt, dass Gaius lediglich zum desig143

nierten Konsul für das Jahr 1 v. Chr. gewählt wurde (wir wissen nicht, ob Augustus überhaupt von Anfang an eingeweiht war), dafür aber eine Reihe anderer Privilegien erhielt. Tiberius musste nur zwei und zwei zusammenzählen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass er seinen Platz lediglich für Gaius warm hielt. Die meisten Beobachter mögen dies so gesehen haben, nicht jedoch Julia, die immer wieder intrigierte, um ihre Söhne ins Rampenlicht zu bringen, und für Gaius’ Unterstützer, die skeptisch beobachteten, wie viel Macht Tiberius anzuhäufen begann. Inmitten dieser gespannten Atmosphäre nahm Tiberius einfach seinen Hut – „inmitten zahlreicher Erfolge und in der Blüte seines Lebens und seiner Gesundheit“, wie Sueton es treffend ausdrückt (Tiberius 10). Er kündigte an, er werde nach Rhodos ziehen; die Insel war nicht nur bekannt für ihr angenehmes Klima, sondern vor allem für ihre philosophische Schule. Augustus war schockiert und beklagte sich ganz offen vor dem Senat, Livia bat Tiberius zu bleiben – doch der war wild entschlossen, trat in Hungerstreik, und so mussten sie ihn schließlich ziehen lassen. Er ließ fast alle seine Freunde zurück und segelte los; erst sieben Jahre ­später sollte er nach Rom zurückkehren. Das war eine erstaunliche Wendung der Ereignisse, jenseits aller Norm. Der zweitmächtigste Mann im Reich, den Augustus persönlich und für alle sichtbar aufgebaut hatte, tauschte seine Militärstiefel für die Proto-Birkenstocks der griechischen Philosophielehrer ein. Deren Vorträge und Diskussionen besuchte er auf Rhodos mit Begeisterung; er trug sogar griechische Kleidung und führte das scheinbar unauffällige Leben eines Privatiers – weit entfernt von Rom. Man hatte ihn nicht seiner Machtbefugnisse beraubt, und er war auch nicht offiziell von seinen Ämtern zurückgetreten, er übte sie einfach nicht aus. Mit einer Ausnahme: Einmal, als er sich, wie so oft, in ein Streitgespräch unter zwei Philosophen einmischte, beschimpfte ihn jemand aus dem Publikum und warf ihm vor, Partei zu ergreifen. Tiberius kehrte in sein Haus zurück und kam bald darauf mit seinen offiziellen Begleitern zurück. Er ließ den Mann vor Gericht stellen und zu einer Gefängnisstrafe verurteilen (er selbst war der oberste Richter beim Prozess). Ansonsten blieb er meist im Hintergrund, auch wenn er immer wieder Besuch bekam von römischen Beamten auf Reisen im östlichen Mittelmeerraum, die ihm ihre Ehrerbietung erweisen wollten. Die Situation wurde prekär für ihn, als seine Macht allmählich zu schwinden begann. Zu diesem Zeitpunkt war er, wie Octavian zu Beginn seiner Karriere, nichts als ein Privatmann, allerdings keiner, der Söldner als Bodyguards beschäftigte. Er begann, in Rom vorzufühlen, wie es mit einer möglichen Rückkehr aussah, und Augustus erteilte ihm eine Abfuhr. Doch Livia setzte sich für ihn ein – und offenbar auch die Schicksalsgötter: Julia war bereits im Exil und Gaius Caesar weit weg von Rom, als Kommandeur im Osten; er ließ verkünden, er sorge sich nicht um mögliche Rivalen. So kehrte Tiberius 2 n. Chr. in aller Stille nach Rom zurück und erhielt die Anweisung, sich in eine abgeschiedene Villa zurückzu­ 144

5.7. Aus einigen Briefen von Augustus an Tiberius 1. „Leb wohl, Tiberius, reizendster aller Männer, und möge der Erfolg dich begleiten, da du für mich und für die Musen kämpfst.* Leb wohl, reizendster und tapferster aller Männer und gewissenhaftester aller Generäle, oder ich werde nie mehr froh.“ * Der Text ist an dieser Stelle nicht sicher überliefert (Augustus streut hier, wie so oft in seiner Korrespondenz, griechische Wendungen in den lateinischen Text ein), eventuell bezieht er sich auf Tiberius’ literarische Vorlieben. 2. „Ich habe nichts als Lob dafür, wie du im Sommer die Feldzüge durchgeführt hast, lieber Tiberius, und ich bin sicher, dass niemand mit besserem Urteilsvermögen gehandelt hätte, als du unter so vielen Schwierigkeiten und einer so großen Apathie deiner Armee zu leiden hattest. Alle, die bei euch waren, sind sich einig, dass jener bekannte Vers* auf dich zutrifft: ‚Ein einziger Mann hat durch seine Wachsamkeit unser Land vor dem Untergang bewahrt.‘“ * Der Vers stammt ursprünglich aus den Annalen des lateinischen Dichters Ennius (ca. 239–ca. 169 v. Chr.); dort bezieht er sich auf den römischen Feldherrn Fabius Maximus Cunctator, dem es durch seine Verzögerungstaktik gelang, Hannibals Vormarsch in Italien aufzuhalten: „Ein einziger Mann hat durch seine Vorsicht unser Land vor dem Untergang bewahrt.“ Vergil greift diesen Vers fast wörtlich in Aeneis 6.846 auf. Einen interessanten Kontrast bietet Dio (55.31), der schreibt, Augustus habe Tiberius verdächtigt, während des Pannonien-Feldzugs „absichtlich Verzögerungen herbeigeführt zu haben, damit er so lange wie möglich unter Waffen stehe, und den Krieg dabei als Ausrede gebraucht“. Mag sein, dass Augustus diesen Brief schrieb, um seine frühere Kritik an Tiberius geradezurücken. 3. „Wenn ich höre und lese, dass du durch die ständigen Strapazen ausgelaugt bist, dann sollen die Götter meine Sinne verwirren, wenn mein eigener Körper nicht zusammenzuckt, weil ich mit dir mitleide; und ich bitte dich sehr, schone dich, damit nicht die Nachricht, du seiest krank geworden, deine Mutter und mich umbringt und das römische Volk nicht Gefahr läuft, einen seiner wichtigsten Befehlshaber zu verlieren.“ 4. „Mein Gesundheitszustand ist im Vergleich zu deinem von geringer Bedeutung. Ich bete zu den Göttern, dass sie dich für uns sicher und gesund halten, es sei denn, sie hassen das römische Volk abgrundtief.“ Sueton, Tiberius 21 145

5.8. Die Gemma Augustea

Abbildung 19. Gemma Augustea, ca. 10 n. Chr. Kunsthistorisches Museum Wien.

Diese 19 x 23 cm große Kamee aus zweischichtigem arabischem Onyx wurde wahrscheinlich gegen Ende der Herrschaft des Augustus hergestellt. Sie stellt nicht das Goldene Zeitalter dar, sondern zeigt überwiegend Szenen, die mit dem Krieg in Verbindung stehen. Im unteren Teil sieht man römische Soldaten, die inmitten besiegter Barbaren ein Siegesdenkmal errichten; eine weib­ liche Gefangene wird an den Haaren gezogen. Im oberen Teil sitzen Augustus und die Göttin Roma auf einem Thron und halten den Speer und das Zepter der kaiserlichen Macht, über ihnen das Zeichen des Steinbocks. Romas linke Hand ruht auf einem Schwert, und Augustus wird von Oikumene- gekrönt. Oikumene- war seit Alexander dem Großen die Personifizierung des globalen Imperiums, und ihr Aussehen ist typisch für die augusteische Synthese von griechischen und römischen Elementen. Die Krone ist die römische corona civica, die man einem Bürger verlieh, der einem Mitbürger das Leben gerettet hatte – und Augustus hatte schließlich das ganze römische Volk gerettet. Zu seiner Linken ist ein junger Prinz in militärischer Tracht zu sehen, vermutlich 146

Germanicus, während der siegreiche Tiberius von einem Wagen steigt, den die Göttin Victoria führt. Aber die Betonung liegt hier nicht auf der Feier des Sieges: Ungeduldig treibt sie ihre Pferde an, in den nächsten Feldzug; dies ist ein durchaus realistisches Bild: Tiberius und Germanicus befanden sich in den letzten zehn Jahren von Augustus’ Herrschaft nahezu ununterbrochen auf Feldzügen. Tiberius und Victoria auf der linken Seite entsprechen übrigens Neptun und Italia auf der rechten. Bezeichnenderweise ist Italias Füllhorn leer: Hungersnöte und Missernten waren zu dieser Zeit keine Seltenheit. Vgl. K. Galinsky (1996), S. 120–121

ziehen. Ein paar Tage später starb Lucius Caesar auf dem Weg nach Spanien in Marseille (eines natürlichen Todes), und im Februar 4 n. Chr. erlag Gaius einer Wunde, die er sich im Zuge der Belagerung einer Stadt in Lykien zugezogen hatte. Endlich schlug Tiberius’ Stunde. Augustus nahm ihn sofort in die gens Iulia auf und sorgte dafür, dass ihm nicht nur die tribunizische Amtsgewalt übertragen wurde, die wie bei Augustus nach zehn Jahren erneuert werden musste, sondern auch der militärische Oberbefehl (imperium). Während Tiberius’ selbstgewählten Exils hatte es keine größeren Unruhen im Reich gegeben – die Expeditionen von Gaius und Lucius waren weniger defensiv als vielmehr auf Expansion und Konsolidierung ausgerichtet. Aber wie aufs Stichwort änderte sich das, und schon bald brauchte man wieder einen erfahrenen Heerführer. Tiberius hatte nichts verlernt; das wurde spätestens beim Pannonischen Aufstand klar (6–9 n. Chr.), im Zuge dessen Velleius seine Lobeshymnen auf Tiberius verfasste. Am Ende gewährte Augustus ihm sogar einen Triumphzug, und die tribunicia potestas und das imperium wurden ihm nach zehn Jahren ganz ordnungsgemäß erneuert. Als der einzige überlebende Enkel, Agrippa Postumus, den Augustus zur selben Zeit adoptiert hatte wie Tiberius, im Jahr 6 n. Chr. im Alter von 18 Jahren Machtansprüche anmeldete – Gaius und Lucius waren 6 v. Chr. erst 14 bzw. 11 Jahre alt gewesen – hatte Augustus kein Interesse daran, dass sich die damaligen Ereignisse wiederholten. Stattdessen machte er eine 180-Grad-Wende: Er erklärte öffentlich, Agrippa habe ein „lästiges“ und „schwieriges“ Temperament, und verbannte ihn. Das Tiberius Augustus’ Nachfolger werden würde, stand niemals wirklich in Frage. Doch als Augustus’ Testament verlesen wurde, vermittelte es den Eindruck, als sei die Wahl lediglich mangels Alternativen auf Tiberius gefallen. Zwischen beiden muss ein Gefühl der Entfremdung vorgeherrscht haben, auch wenn Augustus’ Briefe an Tiberius, die voll offener Bewunderung für seine herausragenden militärischen Fähigkeiten sind (Kasten 5.7), diesen Eindruck etwas relativieren. Militärische Fähigkeiten wurden dringend gebraucht, und der Kaiser wusste das. Ei147

nes der bekanntesten Artefakte der damaligen Zeit ist eine große, „Gemma Augustea“ genannte Kamee; sie ist ein visuelles Zeugnis dafür, welche Rolle Tiberius spielte, und betont die Tatsache, dass er sich fast ununterbrochen auf Feld­ zügen befand, selbst in Augustus’ späten Jahren (Abb. 19, Kasten 5.8).

Noch etwas zu den Enkeln Wie wir gesehen haben, waren Gaius’ und Lucius’ Leben und Schicksal eng mit denen des Tiberius verflochten, und wir müssen nur noch ein paar wenige Details hinzufügen. Der wichtigste Punkt ist: Augustus war geradezu vernarrt in sie. Verständlich, dass er sie nach Tiberius’ Flucht nach Rhodos noch mehr förderte, und zwar so, dass es jeder sehen konnte. In den Jahren 5 bzw. 2 v. Chr., als Gaius und Lucius die toga virilis verliehen wurde, ein Mannbarkeitsritus, der ihre Volljährigkeit anzeigte, ließ sich Augustus, um die besondere Bedeutung des Ereignisses zu markieren, wieder zum Konsul wählen. Dazu kam ein neuer Titel für die beiden, princeps iuventutis („Erster der Jugend“), in offensichtlicher Anlehnung an seinen eigenen Titel – somit war klar, dass sie seine Nachfolger werden sollten. Das blieb auch Ovid nicht verborgen, der Gaius bejubelte als „heute der princeps der jungen Männer, später der der alten Männer“ (Liebeskunst, 1.194). Letzteres könnte allerdings auch eine gewitzte Anspielung auf die berühmte Bemerkung von Gaius’ Mutter Julia sein, dass sich die jungen Männer, mit denen sie sich als eine der beiden „ersten“ Frauen umgab, über kurz oder lang in alte Männer verwandeln würden (siehe Kasten 5.5). Ferner beeilte sich Augustus, wie zu erwarten gewesen war, für Gaius eine geeignete Ehe zu arrangieren, bevor er 1 v. Chr. in den Osten ging. Immerhin war die Braut, die er für ihn ausgesucht hatte, im gleichen Alter wie Gaius; es handelte sich um die Tochter von Tiberius’ Bruder Drusus und Antonia Minor, einer Tochter von Augustus’ Schwester Octavia. Die Ehe bekräftigte die Verbindung des julischen und des claudischen Zweigs der Kaiserfamilie. Die offizielle Anerkennung der beiden Prinzen verbreitete sich zusehends; ihr Bild wurde im ganzen Römischen Reich auf Münzen geprägt, und bald waren sie auch ansonsten allgegenwärtig, in Form von Statuen, Reliefs und Ehreninschriften. Und sie gehörten auch auf einem der wichtigsten Denkmäler jener Zeit zur Kaiserfamilie: der Ara Pacis, dem Altar des augusteischen Friedens (siehe unten). Wie reagierten die Jungen selbst auf all das, was um sie herum geschah? Nicht zuletzt die Verbannung ihrer Mutter? Das können wir nur erahnen. Sueton berichtet, Augustus persönlich habe als ihr Lehrer fungiert, wenn es um „einfache Aufgaben“ wie Reiten, Schwimmen oder Schreiben ging: „Er versuchte, ihre Handschrift der seinen anzupassen“ (Augustus 64). Kein Wunder, dass ihnen auf Porträts dieselben Haarlocken wie dem princeps modelliert wurden, als Symbol ihrer Herkunft und ihres Herrschaftsanspruchs als Nachfolger. Er sorgte auch 148

dafür, dass sie anwesend waren, wenn er Festessen veranstaltete, und sie begleiteten ihn auf Reisen. Natürlich waren sie mehr als bloße Klone. Im Gegensatz zu ihrer Mutter rebellierten sie nicht, aber die viele Aufmerksamkeit und ihr Status stieg ihnen mitunter zu Kopf, sehr zum Ärger ihres Großvaters. Dio erzählt in diesem Zusammenhang (55.9.1): Augustus war verärgert, als Gaius und Lucius sich dazu entschlossen, nicht sein Verhalten nachzuahmen, wie es jungen Männern zukäme, die als Mitglieder des Kaiserhauses aufwachsen. Sie gönnten sich nicht nur allzu großen Luxus, sondern neigten auch zur Anmaßung. … Jedermann in der Stadt schmeichelte ihnen, manchmal aufrichtig und manchmal, um sich ihre Gunst zu erschleichen, und als Folge davon wurden sie immer verwöhnter.

Er fährt fort, Augustus habe, „im Bestreben, Gaius und Lucius irgendwie zur Vernunft zu bringen“, Tiberius mit den oben beschriebenen Befugnissen versehen. An diesem Punkt eskalierte die Rivalität (laut Dio). Wie dem auch sei: Als Gaius starb (ein Brief, den Augustus an seinem 64. Geburtstag schrieb, zeigt ihre besondere Bindung; siehe Kasten 5.9), erging sich Augustus in einer wahren Orgie der Trauer. Das öffentliche Leben in Rom stand monatelang still. Wie schon bei Lucius, der eineinhalb Jahre zuvor gestorben war, wurde seine Asche im Mausoleum beigesetzt. Beider Namen hielten Einzug in eine der ältesten rituellen Hymnen Roms, den Hymnus der Salischen Priesterschaft. Ein Ehrenbogen für sie wurde auf dem Forum errichtet, und Julius Caesars Basilika sollte nach ihnen umbenannt werden; Ehrentitel in Italien (ein schönes Beispiel stammt aus Pisa) und in den Provinzen erreichten einen neuen Höhepunkt, und in Nîmes wurde ihnen ein Tempel geweiht. Er ist einer der am besten erhaltenen Tempel der Römerzeit, die heutige Form des Maison Carrée genannten Gebäudes geht höchstwahrscheinlich auf eine nur kurze Zeit nach seiner Erbauung erfolgte Restaurierung des Originaltempels zurück. Bleibt noch Agrippa Postumus. Beginnen wir am besten mit dem Anfang vom Ende: Wie bereits erwähnt, wurde er im Jahr 6 n. Chr. verbannt. Warum? Unsere Quellen sprechen von einer Art Persönlichkeitsstörung. Sueton verwendet hier eine eher pauschale Terminologie: Er hatte einen „schäbigen und grimmigen Charakter“, und nach einem Jahr im Exil in der Nähe von Sorrent war er sogar noch „weniger umgänglich“ und „von Tag zu Tag wahnsinniger“ (Augustus 65). So wurde er auf die kleine Insel Planasia bei Korsika verfrachtet und unter militärische Bewachung gestellt. Velleius’ (2.112.7) Ton ist moralisierender, er lässt sich über sein „rücksichtsloses Wesen“ und seine „seltsame Verdorbenheit von Geist und Charakter“ aus, durch die er sich „Augustus’ Zuneigung entfremdet“ habe. Dio (55.32) fügt noch ein Detail hinzu: Postumus habe sich „nicht wie ein Freigeborener verhalten“, 149

5.9. Augustus schreibt an seinem Geburtstag einen Brief an Gaius „Lieber Gaius, mein süßer kleiner Esel. Ich vermisse dich immer, wenn du fort bist von mir. Aber gerade an Tagen wie diesem suchen meine Augen nach meinem Gaius und hoffen, wo auch immer du dich gerade befindest, dass du glücklich und gesund bist und meinen 64. Geburtstag feierst. Denn wie du siehst, habe ich das gewöhnliche Klimakterium der alten Männer*, mein dreiundsechzigstes Lebensjahr, hinter mir gelassen. Jetzt flehe ich die Götter an, dass es uns erlaubt sei, so viel Zeit, wie mir bei guter Gesundheit und dem äußerst vorteilhaften Zustand, in dem sich das Land befindet, vergönnt ist, zusammen zu verbringen, während ihr Jungen euch wie Helden benehmt und darauf wartet, meine Nachfolge anzutreten.“ Aulus Gellius, Attische Nächte 15.7.3 * Das 63. Lebensjahr (= 9 x 7 Jahre) wurde als ein wichtiger Punkt im Leben eines Mannes angesehen. Jedes siebte Jahr wurde als „Klimakterium“ bezeichnet und das 63. Jahr als „großes Klimakterium“.

sondern seine Tage mit Angeln verbracht und sich „Neptun“ genannt. Er hätte dringend eine Aggressionstherapie gebraucht. Immer wieder ließ er sich zu negativen Bemerkungen über seine Stiefgroßmutter hinreißen und warf Augustus vor, ihm seinen Teil des väterlichen Erbes vorzuenthalten. Deshalb schickte Augustus ihn, „als er sich in seinem Verhalten nicht mäßigen ließ“, ins Exil. All das wirkt ein wenig suspekt und erinnert an die fadenscheinigen Vorwände, unter denen man Dissidenten in psychiatrische Einrichtungen oder ins Gefängnis zu stecken pflegt. In dieses Bild passt auch die allzu rührselige Geschichte, dass Augustus kurz vor seinem Tod heimlich Planasia besucht und sich unter Tränen mit seinem Enkel ausgesöhnt habe. Jedenfalls war die „erste abscheuliche Tat“ (so Tacitus) des neuen Regimes unter Tiberius, Postumus ermorden zu lassen, weil er als Vertreter der julischen Familie ein offensichtlicher Rivale für Tiberius hätte werden können – zumal es zu öffentlichen Demonstrationen gekommen war, die verlangten, Postumus und dessen Mutter und Schwester aus dem Exil zurückzuholen (mehr über die Letzteren weiter unten). Augustus lehnte solche Gnadengesuche in barschem Tonfall ab und bezeichnete die drei als „meine drei Furunkel und Krebsgeschwüre“ (Sueton, Augustus 65). Wie bei fast allen Themen, die mit Augustus in Verbindung stehen, hat man endlose Diskussionen über Postumus’ Verbannung geführt und darüber, wer ihn getötet habe. Sicherlich hatte er eine schwierigen Charakter, auch wenn unsere Quellen hier sicherlich übertrei150

ben. Augustus beschloss, Postumus im Gegensatz zu seinem neuen, aufstrebenden Favoriten Germanicus nicht für militärische Operationen einzusetzen; Germanicus war drei Jahre jünger als Postumus und war (wie der spätere Kaiser Claudius) ein Bruder von Livilla, der einzigen Tochter von Drusus und Antonia der Jüngeren. Darüber hinaus fühlte sich Postumus, wie oben erwähnt, übergangen und gekränkt, weil Augustus ihn so ganz anders behandelte als Gaius und Lucius. Irgendwann gab es keine Verhandlungsbasis mehr, und Augustus zeigte sich einmal mehr von seiner erbarmungslosen Seite. Somit waren nur noch die beiden Enkelinnen, Julia und Agrippina die Jüngere, übrig, und ihr Schicksal hätte nicht unterschiedlicher sein können. Wahrscheinlich infolge von Postumus’ Verbannung beteiligte sich Julia 8 n. Chr. an einer Verschwörung gegen Augustus. Sie lief ab wie die meisten solcher Komplotte gegen ihn und entstand eher spontan, als dass sie das Ergebnis einer systematischen Opposition gewesen wäre – „verstreut, isoliert, ineffektiv und mit minimaler Wirkung“ (Raaflaub und Samons 1990, S. 454); Tacitus führt dies darauf zurück, dass Augustus „alle und jeden durch den Müßiggang des Dolce Vita verführt hatte“, und beklagt das Verschwinden der „wilden Individuen“, die die Republik so spannend gemacht hatten. Um zu Julia zurückzukehren: Anstatt als Kaiserin in spe behandelt zu werden, musste auch sie sich übergangen fühlen, während Tiberius, der nicht einmal ein Julier war, eindeutig auf dem Weg nach oben war. Zwar stammte ihr Mann, Aemilius Paulus, aus einer aristokratischen römischen Familie, aber er war kein politisches Schwergewicht. Statt eines gut organisierten und umfassenden Versuchs, den Kaiser zu stürzen, war Julias Verhalten nichts als ein verzweifelter Ausdruck persönlicher Rebellion. Es stellte sich heraus, dass sie ihren Mann betrogen hatte, und Augustus machte sich den schlechten Ruf ihrer sexuell freizügigen Mutter zunutze, auch wenn man nur einen Liebhaber Julias identifizieren konnte – Silanus, dem wir bereits am Anfang dieses Kapitels begegnet sind. Silanus kam mit einem blauen Auge davon: Er musste lediglich die Stadt verlassen, und der Kaiser „kündigte ihm die Freundschaft auf“ – nichts im Vergleich zu Julia, die ins Exil gehen musste. Der Ort, den Augustus diesmal dafür ausgesucht hatte, war Trimerus, eine kleine Insel in der Adria. Livia gelang es, Julia zumindest so viel Unterstützung zukommen zu lassen, dass sie nicht verhungerte, auch wenn Tacitus ihr, wie üblich, unlautere Motive unterstellt. 20 Jahre blieb sie auf der Insel, und wie ihre Mutter und ihr Bruder starb sie im Exil. In der Neuzeit hat man dieser Episode besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn irgendwie war der Dichter Ovid in die Angelegenheit verwickelt und wurde ebenfalls verbannt, an einen Ort am Schwarzen Meer; außer Ovid selbst hält es keine unserer antiken Quellen für nötig, diese Tatsache zu erwähnen. Agrippina hingegen ging es gut, als Ehefrau des letzten aufgehenden Sterns der Epoche, Germanicus. Er kam 15 v. Chr. zur Welt, als Sohn von Tiberius’ jüngerem Bruder Drusus und Antonia Minor, der Tochter von Augustus’ Schwester 151

Octavia (mit Marcus Antonius, aber das war nur für ihren Bruder Jullus Antonius ein Thema, der, wie erwähnt, durch den Skandal um Julia die Ältere in den Selbstmord getrieben wurde). Das Paar war also genügend in der julischen Abstammungslinie verankert. Darüber hinaus hatte Agrippina die Fruchtbarkeit ihrer Mutter Julia geerbt: Das Paar bekam neun Kinder, und alle neun präsentierte Augustus voller Stolz vor einer Versammlung von Rittern, die sich über seine Ehegesetze beklagt hatten. Endlich gab es eine ganze Reihe Vorzeigekinder (auch wenn einer von ihnen der spätere Kaiser Caligula war). Germanicus wurde schon früh geehrt, wenn auch nicht im gleichen Umfang wie zuvor Gaius und Lucius; 13 n. Chr. war er Kommandeur der römischen Armee in Germanien, daher sein Beiname. Aber der inzwischen über siebzigjährige Augustus hatte nicht vor, alles wieder durcheinanderzubringen, indem er ihn zu einem möglichen Rivalen ­seines Onkels Tiberius machte, mit dem der junge Germanicus im Feld eng zusammenarbeitete.

Eine schrecklich nette Familie: der Altar des augusteischen Friedens Alles in allem war Augustus’ Familie also eine bunte Ansammlung verschiedenster Charaktere mit all ihren Problemen, Konflikten, Spannungen und Erfolgen, mit Freuden und Sorgen, Zärtlichkeit und Berechnung. So sehen natürlich die meisten Familien aus – abgesehen von der Tatsache, dass hier der pater familias hin und wieder außergewöhnliche Härte demonstrierte und seine potestas ausübte (ganz einfach, weil er es konnte), indem er unbequeme Verwandte auf ferne Inseln verbannte. Selbstverständlich verweilen unsere Quellen mit Vorliebe bei den negativen Zwischenfällen und verstörenden Verhaltensweisen. Dies kann jedoch auch eine Reaktion auf die Art und Weise sein, wie sich diese Familie in der Öffentlichkeit darstellen und abbilden ließ. Denn auf den Aufbau eines positiven Images seiner Familie verwandte Augustus sogar noch mehr Mühe als auf die Schaffung seines eigenen zeitlosen, jugendlich-makellosen Bildes. In allen Familien, aber vor allem in Familien, die das Ergebnis verschiedener Ehen sind, führen die diversen Verbindungen nicht automatisch dazu, dass die Familienmitglieder einander ähneln, geschweige denn dem Familienoberhaupt gleichen. Das konnte Augustus nicht akzeptieren. Wie Diana Kleiner scharfsinnig aufgezeigt hat, „sehnte er sich nach einer engeren Symbiose und schuf sich auf kunstvolle Weise eine fiktive Familie“ (2005, S. 212). Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass Augustus Gaius und Lucius im ganzen Reich als Miniaturausgaben ihres Großvaters darstellen ließ. Ein männliches Mitglied der julisch-claudischen Familie konnte man im Allgemeinen sofort an der Haarlocke erkennen, ein Umstand, der für die moderne Forschung äußerst 152

hilfreich ist. Beim Altar des augusteischen Friedens (Ara Pacis Augustae, vgl. S. 106/107), einem der großartigsten Denkmäler der augusteischen Zeit schlechthin, ist der Prozess weitaus komplexer. Dieser Altar ist ein künstlerischer Höhepunkt aufgrund der beabsichtigten Fülle an Assoziationen, die den Betrachter dazu aufruft, im Rahmen dessen, was die Idee der pax unter diesem princeps ausmacht, seinen eigenen Anknüpfungspunkt zu finden. Wir werden später noch einige dieser ­Aspekte untersuchen; was im Moment wichtiger ist, das ist die Funktion des Altars als Monument für Augustus’ Familie. Das war an sich bereits ein Novum: Die Ara Pacis war das erste öffentliche Denkmal in Rom, auf dem Frauen und Kinder abgebildet waren. Sie sind an den Längsseiten der Außenverkleidung des Altars dargestellt, als Teil einer Prozession, die zusammenkommt, um Augustus zu opfern. Die Figuren sind alles andere als steif; die Monotonie, die sich sonst allzu leicht in solche Darstellungen einschleicht, wird hier vermieden. Einige der Frauen plaudern miteinander, und die Kinder wirken so unruhig, wie sie es während langwieriger Zeremonien in der Regel auch sind (Abb. 20). Aber inmitten all dieser Individualität „ist das Ziel die reale und imaginäre Ähnlichkeit, die die Kaiserfamilie zu einer einheitlichen herrschenden Elite verschmilzt, die in unteilbarer

Abbildung 20. Ara Pacis, 9 v. Chr., Südfries. Prozession mit der Kaiserfamilie. Agrippa ist der Erste von links, Livia die Zweite. Rom, Museo dell’Ara Pacis Augustae.

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Eintracht die Stabilität und Blüte Roms gewährleistet. Die Porträts von Augustus und Livia dienen als Prototypen, und alle Mitglieder der Prozession kann man im Prinzip miteinander vertauschen. Die Botschaft … lautet: einer für alle und alle für einen“ (Kleiner 2005, S. 216). Es gibt keinerlei Anzeichen für Zwietracht – diese war im Jahr 9 v. Chr., als der Altar geweiht wurde, auch noch nicht vollständig zum Ausbruch gekommen. Später musste diese Eintracht aufs Neue beschworen werden; das geschah durch den Wiederaufbau des Tempels der Concordia auf dem Forum Romanum und seine explizite Umwidmung an Concordia Augusta, auf Befehl von Tiberius im Jahr 10 n. Chr.

Augustus privat Wie können wir uns Augustus inmitten dieser turbulenten Familie vorstellen? Wie ging er mit alledem um? Wie immer liegt uns kein Tagebuch oder Ähnliches vor, sondern nur sporadische Zeugnisse. Offenbar ärgerte er sich über negative Vorkommnisse maßlos, und mitunter verlor er die Beherrschung, wie man an seiner Reaktion auf die Vergehen Julias der Älteren ablesen kann. Und wie wenig er bereit war, Menschen zu vergeben, ist geradezu atemberaubend – musste es ihn nicht belasten, dass er drei Familienmitglieder ins Exil geschickt hatte? Aber das Leben ging weiter, und Sueton hält ein paar interessante Details bereit. Augustus hatte gute Freunde, gab häufig Dinnerpartys, auch wenn sie nicht allzu üppig ausfielen, und liebte Glücksspiele – buchstäblich stundenlang ließ er die Würfel kreisen. Und das nicht nur an den Feiertagen, wie Sueton erstaunt zu vermelden weiß, sondern auch an Werktagen. Seine Abendgesellschaften konnten sehr unterhaltsam sein. Eines der Highlights war eine blinde Auktion: Jeder Gast erhielt Gutscheine von ganz unterschiedlichem Wert und sollte auf Gemälde bieten, die zur Wand gedreht waren (Augustus 75). Ganz allgemein hatte ­Augustus einen Hang zu unbeschwerter Fröhlichkeit, und es gelang ihm, dass sich selbst schüchterne oder ehrerbietige Menschen in seiner Gegenwart wohlfühlten. Selbst wenige Tage vor seinem Tod gab er am Golf von Neapel noch ein Bankett für einige junge Männer, bei dem „er es nicht nur zuließ, sondern erwartete, dass man einander Streiche spielte“ (Augustus 98), und sie um Süßigkeiten und andere Leckereien rangeln ließ. Kurz: „Er gab keine Art von Fröhlichkeit, der er sich nicht hingab.“ Er machte gerne Witze, ließ sich aber auch gerne zur Zielscheibe von Scherzen machen (siehe Kästen 5.10 und 5.11). Macrobius, der eine lange Liste solcher Scherze liefert (Saturnalien 2.4.1–31), kommt zu dem allgemeinen Schluss, dass „Geduld wertvoller ist als die Leichtigkeit (witziger) Worte“, und er bewundert Augustus für seine Geduld, zumal der gegen ihn gerichtete Spott teilweise ziemlich bissig war. Wieder einmal zeigt sich hier, wie leicht zugänglich der Kaiser war. 154

5.10. Zwei Beispiele für Augustus’ Schlagfertigkeit „Als viele von denen, die von Cassius Severus angeklagt wurden, von seinen Verleumdungen freigesprochen wurden und der Architekt des Forums des Augustus einmal mehr den erwarteten Fertigstellungstermin verschob, machte Augustus folgenden Witz: ,Ich wünschte, Cassius würde mein Forum ebenfalls anklagen‘ (dann wäre die Arbeit getan).“ Macrobius, Saturnalien 2.4.9 Zum Hintergrund: Cassius Severus war bekannt für seine bissigen Scherze. In seinen Reden und Schriften „diffamierte er profilierte Männer und Frauen“ (Tacitus, Annalen 1.72). Dadurch zog er Augustus’ Zorn auf sich, und der Senat verbannte Severus auf eine kleine griechische Insel. Es gibt keine Beweise dafür, dass seine „verleumderischen Schriften“, die Augustus verbrennen ließ (wodurch er sich in der Moderne den Ruf eines Bücherverbrenners einhandelte), gegen den princeps und seine Familie gerichtet waren und nicht etwa gegen illustre Römer früherer Zeiten. Und es waren eben diese Römer, die in der „Hall of Fame“ auf dem Augustus-Forum gezeigt wurden, dessen Fertigstellung mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahm. „Als er davon hörte, dass ein römischer Ritter enorme Schulden von rund 20 Millionen Sesterzen angehäuft und vor allen verborgen hatte, bevor er starb, befahl er jemanden, als die Besitztümer des Schuldners versteigert wurden, dessen Kopfkissen zu kaufen. Als sich einige fragten, warum er dies getan haben könnte, nannte er folgenden Grund: „Wenn ein Kerl mit solch großen Schulden darauf schlief, muss man auf diesem Kissen wirklich gut schlafen können.“ Macrobius, Saturnalien 2.4.17 Laut Sueton (Augustus 78) litt Augustus unter Schlaflosigkeit.

Zahlreiche lebendige Szenen bestätigen dies: Ein Grieche singt immer Lobeshymnen auf Augustus (und hofft dabei natürlich auf eine Belohnung), wenn er vom Palatin herunterkommt; ein Veteran von Actium beschämt Augustus so sehr, dass er auf dem Forum als sein Anwalt fungiert, anstatt diese Aufgabe seinen Adjutanten zu überlassen; Augustus nimmt in einer bescheidenen Behausung eine Mahlzeit ein, „weil er selten ablehnte, wenn jemand ihn einlud“ – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Umso größer der Kontrast zur Art und Weise, wie er seine eigenen Verwandten, etwa Julia und Postumus, behandelte. 155

5.11. Augustus, Vögel und ihre frechen Besitzer „Er ertrug unbesonnene oder unverschämte Kommentare, selbst wenn sie von einem Soldaten kamen. Er befand sich in einem Haus auf dem Lande und schlief nicht gut, weil ständig eine Eule schrie. Also befahl er, die Eule einzufangen. Ein Soldat, der ein erfahrener Vogelfänger war, übernahm diese Aufgabe und hoffte auf eine große Belohnung. Der Kaiser lobte den Soldaten und ließ ihm 1.000 Sesterzen auszahlen.* Der wagte es, zu sagen: ,Da lasse ich den Vogel lieber am Leben‘, und er ließ ihn wieder frei. Wer würde nicht darüber staunen, dass Caesar diesen anmaßenden Soldaten ziehen ließ, ohne dass er sich beleidigt zeigte?“ Macrobius, Saturnalien 2.4.26 * Zum Vergleich: Der Jahressold eines römischen Legionärs betrug 900 Sesterzen. „Er kehrte nach Rom zurück, mit allem Ruhm, den sein Sieg bei Actium ihm eingebracht hatte. Inmitten der Menge der Gratulanten lief ein Mann auf ihn zu, der einen Raben bei sich hatte, dem er beigebracht hatte, zu sagen: ‚Heil dem Sieger und Imperator Caesar!‘ Der erstaunte Caesar kaufte den die Vogel für 20.000 Sesterzen. Ein Kompagnon des Vogeldresseur, der nicht von dieser großzügigen Geste profitiert hatte, versicherte Augustus, er besitze noch einen zweiten Raben, und bat darum, diesen ebenfalls herbringen zu dürfen. Als er da war, gab der Vogel die Worte zum Besten, die er gelernt hatte: ,Heil dem Sieger und Imperator Antonius!‘ Augustus regte sich nicht auf, sondern beließ es dabei, dem Mann zu befehlen, das Geld mit seinem Partner zu teilen.“ Macrobius, Saturnalien 2.4.29

Das „Haus des Augustus“ Wenn unsere Quellen von der domus des Augustus auf dem Palatin sprechen, dann meinen sie nicht ein einzelnes Haus, sondern einen ganzen Gebäudekomplex, der aus einer Vielzahl von Wohnhäusern bestand. Octavians Agenten kauften mehrere solcher Immobilien, von denen einige ihre Namen behielten, wie das Haus des Hortensius und das Haus des Catulus. Aufgrund einer Inschrift auf einem Bleirohr, die ihren Namen nennt, wurde auch das Haus identifiziert, in dem Livia nach Augustus’ Tod wohnte. Es überlebte das große Feuer auf dem Palatin von 64 n. Chr. Die Überreste der meisten anderen Gebäude der augusteischen Zeit sind heute verloren, begraben unter den Nachfolgebauten der flavischen Kaiser (siehe Abb. 13). Eine auffällige Ausnahme bildet ein gut ausgestattetes Haus, das man 1961 auszugraben begann und heute als „Haus des Augustus“ kennt. Es verfügt über 156

lebendige Wandmalereien und sorgfältig konzipierte Dekorationen; ein Zimmer auf der oberen Ebene stimmt mit den Angaben überein, die unsere Quellen zu Augustus’ Arbeitszimmer liefern. Die Motive einiger der Gemälde dort, wie die Göttin Victoria und ein Kegel, der mit dem Kult des Apollo zusammenhängt, sind von ganz offensichtlicher Bedeutung für Augustus. Das größte Zimmer ist besonders bemerkenswert: Es ist mit Darstellungen von Theatermasken ausgeschmückt, die uns an die berühmten letzten Worte des sterbenden Augustus denken lassen: „Habe ich meine Rolle gut gespielt?“ Darüber hinaus gibt es ägyptisch anmutende Motive, wie sie vor allem nach der Schlacht bei Actium in Mode kamen. Dennoch widerspricht nichts von alledem der Tatsache, dass Sueton Augustus’ Haus als „bescheiden“ bezeichnet – mag sein, dass das nur heißen soll, dass es nicht außergewöhnlich protzig war. Eines von Suetons Kriterien ist das Fehlen von kunstvollen Marmorböden, und tatsächlich hat man auch keine gefunden. Zudem haben die jüngsten Ausgrabungen ergeben, dass ein aufwendiger Anbau geplant war, der sich bis 36 v. Chr. im Bau befand, dann aber wieder abgerissen und in eine öffentliche Säulenhalle vor dem neuen Tempel des Apollo umgebaut wurde, dessen Errichtung in diesem Jahr gelobt worden war und der acht Jahre später geweiht wurde. „Bescheiden“ könnte sich insofern auch auf die ursprünglich geplante Größe des Hauses beziehen. Eine literarische Parallele jener Zeit ist Horaz’ Verwendung des Wortes paupertas, das wörtlich „Armut“ bedeutet, aber im Grunde nur die Abwesenheit von Luxus bezeichnet. Was die Identifizierung dieses Hauses als „Haus des Augustus“ indes erschwert, ist Dios Bemerkung (55.12.4), dass im Jahr 3 n. Chr. ein Feuer „den Palast“ zerstört habe; dabei stammen die Wandmalereien im Haus dem Stil nach zu urteilen aus früheren Jahrzehnten. Zwar verwendet Dio den Begriff palation, der auf Latein (Palatium) den gesamten Komplex auf dem Palatin bezeichnete, doch offensichtlich meinte Dio nur einen Teil davon. Aber welchen? Die tatsächliche Wohnung des Augustus? Am Ende gibt es keinerlei Beweis dafür, dass das „Haus des Augustus“, das seit 2008 der Öffentlichkeit zugänglich ist, tatsächlich das Haus war, das Augustus die meiste Zeit seines Lebens als Residenz diente – und das zeigt beispielhaft, wie viele Fragen über die materielle Kultur der augusteischen Zeit noch offen sind. Unbestritten ist lediglich, dass der Palatin unter Augustus eine architektonische Vorrangstellung erreichte. Mag sein, dass seine Möbel unscheinbar waren und seine Kleider selbstgestrickt, aber der Gebäudekomplex war riesig – das beweist auch die lange Liste von Livias Handwerkern, die dort arbeiteten. Es handelte sich nicht nur um einen „Palast“, sondern ein ganzes Ensemble von Behausungen, mit Straßen und Gassen dazwischen, mit Portiken, einem großartigen neuen Tempel aus strahlendem weißen Carrara-Marmor und einer griechischlateinischen Bibliothek. Bei den Säkularspielen von 17 v. Chr. wurde der Palatin als dem Kapitol ebenbürtiger Austragungsort etabliert. In diesem Ambiente lebte Augustus – nicht als protziger Potentat, sondern als princeps. 157

6 Lebendige Kultur Die augusteische Epoche war eine Zeit geradezu übersprudelnder Kreativität. Natürlich trug die Ruhe, die Frieden und Stabilität mit sich brachten, ihren Teil dazu bei – die Begleitumstände kann man durchaus mit der Explosion kreativer Kräfte im 5. Jahrhundert v. Chr. vergleichen, als Athen sich endlich vom Trauma seiner Niederlage und Zerstörung erholt hatte; aus gutem Grund berief man sich im augusteischen Rom auf Athen unter Perikles, vor allem was Architektur und Kunst betraf. Aber das war noch lange nicht alles. Ein wesentliches Element in der Dynamik der augusteischen Kultur – neben den augusteischen Ideen, Idealen und Werten – waren die charakteristischen Eigenschaften von Augustus’ Regierungsstil. Man übertrug diese aber nicht einfach auf die Kunst, und sie wurden erst recht nicht „von oben“ angeordnet. Stattdessen regte das, was er tat, und die Art und Weise, wie er die Dinge umgestaltete, die Phantasie seiner Zeitgenossen an und rief, wie man sich unschwer vorstellen kann, zahlreiche Reaktionen hervor. Und es gibt offensichtliche Parallelen. Sie umfassen nicht das gesamte vielfältige Spektrum der Kunst unter Augustus, aber ich werde sie im Rahmen dieses Buchs, in dem es ja vor allem um Augustus’ Wirkung und Einfluss geht, in den Vordergrund rücken.

Kultur unter Augustus: Überblick und Beispiele Augustus’ revolutionäres Prinzipat war, wie wir gesehen haben, geprägt von Experimenten und Innovationen. Es gab bestimmte Leitlinien, die als eine Art Rahmen fungierten, aber man ging völlig undogmatisch mit ihnen um: Wenn ein Weg nicht zum Ziel führte, gab es immer noch einen anderen – und am Ende führten alle diese Wege nach Rom und zu Augustus. Man berief sich auf die Vergangenheit, schrieb sie zugleich aber um. Verschiedene Traditionen wurden miteinander verschmolzen. Ein – durchaus beabsichtigtes – Ergebnis war, dass die meisten Phänomene der augusteischen Kultur von verschiedenen Seiten betrachtet werden konnten. Eine kleine Stichprobe: Man denke nur an die vielfältigen Bedeutungen des Wortes libertas oder parakonstitutioneller Begriffe wie auctoritas; an 158

die vielen Assoziationen, die allein der erste Satz der Res Gestae hervorruft; an Sinn und Zweck der „Moralgesetze“; an den Namen „Augustus“. All das hat diverse Dimensionen und birgt einen reichen Schatz an Assoziationen und war dazu angetan, die Menschen mit einzubinden und Reaktionen hervorzurufen. Wenn wir uns die augusteische Dichtung, Kunst und Architektur ansehen, stechen jeweils ganz ähnliche Qualitäten hervor. Ein gutes Beispiel ist Vergils wichtigstes Werk, geradezu eine Ikone der augusteischen Literatur: die Aeneis. Es war ein kühnes Unterfangen, die homerischen Epen einer „Verjüngungskur“ zu unterziehen (immerhin waren Ilias und Odyssee bereits rund 700 Jahre alt) und sie dem römischen Wertekanon anzupassen. So etwas hatte es seit Jahrhunderten nicht gegeben. Vergils Zeitgenosse Properz, der sich einer ganz anderen Art der Dichtung verschrieben hatte, kommentiert (2.34.65–66): „Zur Seite, griechische und römische Schriftsteller: Etwas Größeres – und ich kann es gar nicht genau definieren – als die Ilias ist geboren.“ Zwar zollte Vergil dieser Tradition durchaus Respekt, aber er änderte sie grundlegend – im Stil, in der Substanz und in der Verwendung des Mythos. Gleich im ersten Vers begegnet die erste Neuerung (siehe Kasten 6.1): Vergil spricht in der ersten Person – „Waffen und den Mann besinge ich“ –, was Homer niemals tat. Und statt sofort die Musen anzurufen, wartet er damit einige Verse ab und führt dann ein zentrales Thema der griechischen Tragödie ein: Hier ist ein anständiger Mann, der die Ungerechtigkeiten eines Gottes ertragen muss. Weiterhin bittet der römische Dichter die Muse nicht etwa, zu ihm zu sprechen oder zu singen, sondern sie soll ihn an die Geschichte des Aeneas „erinnern“ (memora). Die Erinnerung spielte in der römischen Kultur überhaupt eine entscheidende Rolle, und so ist sie auch eines der wichtigsten Motive der Aeneis; das Epos fungiert als dichterischer (Wieder-)Aufbau des kulturellen Gedächtnisses Roms. Eine weitere Neuerung ist, dass Aeneas von Junos unerbittlichem Hass verfolgt wird. Das fand sich in der Tradition bis dahin nirgendwo. Und es gibt immer mehr als nur eine Dimension: Servius, Vergils gründlichster antiker Kommentator (4. Jahrhundert n. Chr.), hat angemerkt, dass cano, das allererste Verb in der Aeneis, mindestens drei Bedeutungen haben kann: „loben“, „weissagen“ und „(be)singen“. Servius entschied sich für letztere Bedeutung, aber die beiden anderen sind und bleiben dennoch Teil des semantischen Spektrums. Wie genau er diese Bedeutungen miteinander kombiniert, ist dem Leser bzw. Zuhörer überlassen. Die ersten Verse der Aeneis sind mithin ein programmatischer Mikrokosmos dieser Merkmale. Sie durchdringen das ganze Epos und haben maßgeblich dazu beigetragen, dass das Werk zu einem echten „Klassiker“ wurde – keinem statischen, sondern einem durchaus innovativen und dynamischen Klassiker, der im Laufe der Zeit auf ganz unterschiedliche Weise rezipiert wurde. Betrachten wir einen ganz anderen Bereich: Architektur und architektonische Ornamente. Ein schönes Beispiel ist der Tempel des Castor und des Pollux, von dem heute noch drei Säulen stehen, die zu einem Wahrzeichen des Forum Roma159

6.1. Der Anfang von Vergils Aeneis „Waffen und den Mann besinge ich, der als Erster von der Küste Trojas aus durch Zutun des Schicksals heimatlos geworden die Küste Lavinias erreichte und den die Macht der Götter zwang, lange durch das Meer und verschiedene Länder umherzuirren, aufgrund des andauernden Zorns der erbitterten Juno; und der viel erlitt im Krieg, bis er die Stadt gründete und seine Götter nach Latium brachte, woher das Geschlecht der Latiner und die Väter von Alba stammen und die hohen Mauern von Rom. Muse, bitte erinnere mich an die Gründe – war die Gottheit gekränkt oder erlitt sie ein Unrecht? –, aufgrund derer die Königin der Götter einen Mann, der sich derart durch Pflichtgefühl auszeichnete, so viel Bedrängnis und Mühen erdulden ließ. Ziemt sich so großer Zorn für himmlische Geister?“ Aeneis 1.1–11 Neben den auf S. 159 genannten Aspekten ist bereits Vergils Proömium (so nennt man das Vorwort eines Epos) voll mit Motiven und Resonanzen, die später im Gedicht weiterentwickelt werden. Hier, kurz und bündig, die fünf wichtigsten: (a) „Waffen und den Mann“ ist eine Anspielung auf Homers Ilias und Odyssee; (b) das Wort „heimatlos“ sprach viele Römer ganz direkt an, die in den 30er Jahren v. Chr. Haus und Hof verloren hatten; (c) im Gegensatz zu diesem Chaos steht das „Schicksal“ hier für einen göttlichen Plan; (d) die ganze Zeit über wird betont, dass eine Nation aufgebaut wird und wie viel Mühe das kostet; (e) wie Aeneas Junos Zorn erträgt, gemahnt an Herkules, einen der beliebtesten Helden Griechenlands und Italiens, der am Ende vergöttlicht wurde. Diese Art der Konzentration ist typisch für Vergil, der nur etwa drei Verse pro Tag dichtete. Die Aeneis wurde ein sofortiger Erfolg – nicht etwa weil der Kaiser seine Hand darüberhielt, sondern wegen der Massentauglichkeit der verwendeten Themen und nicht zuletzt aufgrund des künstlerischen Könnens Vergils. num geworden sind. Der Tempel wurde unter der Schirmherrschaft von Tiberius saniert und im Jahr 10 n. Chr. neu geweiht. Wie wir bei der analogen „Wiederherstellung“ der res publica gesehen haben (siehe S. 75/76), bedeutete „Sanierung“ hier indes nicht, dass man ihn exakt in seiner bisherigen Form wieder aufbaute. Zahlreiche Details wurden verändert, so die Form der Säulenbasen, die Gestaltung der Kapitelle und die dekorativen Elemente des Gebälks (der Struktur über den Säulen zwischen Kapitell und Tempeldach). Dabei gab es zahlreiche innovative Experimente; hier soll es ausreichen, das Fazit zweier Experten für Architekturgeschichte wiederzugeben (Strong und Ward-Perkins 1962, S. 28): 160

Von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet, erscheint die augusteische Architektur im Allgemeinen und die architektonische Ornamentik im Besonderen als bemerkenswert konservative Rückbesinnung auf klassische Vorbilder – eine Rückbesinnung, wie es sie schon oft zuvor gab. Aber dieser Standpunkt tendiert dazu, einen anderen, kaum weniger wichtigen Aspekt zu ignorieren, nämlich die große Vielfalt und außergewöhnliche Menge von Experimenten in den Details, die man innerhalb des großen Rahmens der herkömmlichen klassischen Praxis beobachten kann. Einige dieser neuen Ideen fanden niemals große Verbreitung, andere … brauchten ein halbes Jahrhundert oder mehr, bevor sie allgemein üblich wurden. Dabei findet sich der Grundstock vieler späterer Entwicklungen bereits in der Architektur der augusteischen Zeit; man kann diese Epoche, was die Experimentierfreude angeht, ohne Übertreibung als eine der Sternstunden der römischen Architekturgeschichte bezeichnen.

Sicherlich gab es eine Rückkehr zu den klassischen Bauformen, die nach den Exzessen der Republik für eine gewisse Ordnung und Stabilität sorgen sollte, und Augustus unterstrich dies noch, indem er mindestens ein extravagantes Privathaus abreißen ließ. Allerdings reden wir hier nicht von der sterilen Bauweise des Neoklassizismus, wie wir ihn an öffentlichen Gebäuden des 19. und frühen 20. Jahrhundert beobachten können. Die Architekten hatten reichlich Spielraum. Nicht nur für die spätere römische Architektur standen diese Entwicklungen der augusteischen Zeit Pate, sondern für den gesamten Klassizismus bis in unsere Zeit. Palladio, Jefferson und Schinkel sind Musterbeispiele dieser Tradition, und sie wird noch immer kreativ fortgesetzt. In den gut gewählten Worten des Architekten Robert Stern (1988, S. 283): „Der Klassizismus bietet dem Architekten ­einen Kanon als Leitfaden, aber welch einen liberalen und toleranten Kanon! Er gibt ihm in Komposition und Details exzellente Vorbilder an die Hand. Er schreibt ihm keinen bestimmten Weg vor, sondern weist stets auf verschiedene gangbare Möglichkeiten hin.“ Genau das kann man übrigens auch über die augusteische Dichtung sagen. Im Prinzip gab es eine kreative Synergie zwischen den von Augustus geschaffenen Bedingungen und Ideen und dem kulturellen Leben seiner Zeit. Ein Beispiel dafür sind die Metamorphosen, Ovids Meisterwerk. Chronologisch gesehen, ist Ovid ein wahrhaft augusteischer Dichter; er kam 43 v. Chr. zur Welt – die gerne ebenfalls als „augusteisch“ bezeichneten Dichter Vergil und Horaz wurden 70 bzw. 65 v. Chr. geboren. Als Ovid ein Teenager war, waren die Bürgerkriege bereits vorbei, bewusst erlebte er nur die pax Augusta. In den Metamorphosen geht es um Veränderung, und Veränderung war das Markenzeichen des augusteischen Prinzipats. Natürlich sähen die Metamorphosen – und, nebenbei bemerkt, auch Vergils Aeneis und Livius’ Römische Geschichte – ganz anders aus, hätte Augustus sie geschrieben, aber das ist nicht der Punkt (außer für manche Forscher, die ganz 161

f­eierlich von „Augustanismus“ sprechen). Vielmehr beschäftigt sich Ovid mit ­einem zentralen Thema seiner Zeit und behandelt es aus vielen verschiedenen Perspektiven. Vergil gehörte einer Generation an, die den Bürgerkrieg noch erlebt hatte, und in seiner Aeneis tat er im Prinzip das Gleiche wie Ovid, aber auf eine völlig andere Art und Weise. Sein zentrales Thema ist nicht Veränderung, sondern die Sehnsucht nach Stabilität und Dauerhaftigkeit. Es ist wichtig, im Auge zu behalten, dass dieses „Nationalepos“ im ersten Jahrzehnt des augusteischen Wiederaufbaus entstand – oder vielmehr im Jahrzehnt der ersten Sanierungsversuche. Allzu oft hat man dieses großartige Werk im Nachhinein als Loblied auf Augustus’ Leistungen und sein „Goldenes Zeitalter“ interpretiert. Doch wie wir gesehen haben, waren die 20er Jahre eine ziemlich unsichere Zeit, und vieles hing noch in der Schwebe; Vergil drückt seine Erleichterung über das Ende der Bürgerkriege aus, aber er nimmt nichts für gegeben hin. Der Tenor des Epos ist von vorsichtiger Hoffnung und Besorgnis bestimmt, es dient nicht der Glorifizierung. „Es war eine so große Aufgabe, die römische Nation aufzubauen“, schreibt Vergil (1.33), und damit sind nicht nur die Herausforderungen der Vergangenheit gemeint, sondern auch die der Gegenwart – die Aufgabe ist noch nicht abgeschlossen, und ob am Ende alles gelingt, ist noch nicht abzusehen. Unter anderem daran liegt es auch, dass man in diesem einzigartigen Epos viele verschiedene Stimmen erkennt.

Augusteische Propaganda? Die augusteische Kultur war alles andere als monolithisch. Sie war nicht etwa „augusteisch“ in dem Sinne, dass sie vom Palatin aus gelenkt wurde, per „Ideologie“ oder „Propaganda“. Maecenas hat man mitunter mit einem modernen Propagandabeauftragten bzw. -minister verglichen, weil er einige der wichtigsten Dichter finanziell unterstützte, doch tatsächlich war er höchst unorthodox, was seine persönlichen Gewohnheiten und seinen literarischen Geschmack anging. Und wie steht es mit Augustus und seinen eigenen Vorlieben? Sueton (Augustus 89.3) stellt ganz allgemein fest, er habe „talentierte Zeitgenossen in jeder Hinsicht unterstützt“ und Rezitationen aus ihren Werken besucht, „mit gutem Willen und Geduld“. Wahrscheinlich benötigte er beides auch. Wir wissen, dass er besonders daran interessiert war, welche Fortschritte Vergil mit seiner Aeneis machte, und wir wissen, dass seine Schwester Octavia in Ohnmacht fiel, als der begabte Vorleser Vergil die Passage über den Tod ihres Sohnes Marcellus rezitierte (Aeneis 6.860–886). Darüber hinaus, fährt Sueton fort, suchte Augustus in den Schriften der griechischen und römischen Autoren nach „für den öffentlichen und privaten Bereich vorteilhafte Anweisungen und Beispiele“. Im Gegensatz dazu haben die überlieferten Fragmente der Korrespondenz zwischen ihm und Horaz einen völlig unbeschwerten Ton. Augustus wollte Horaz überreden, als sein Privatsekretär 162

zu arbeiten, ein Angebot, das der Dichter ablehnen konnte, ohne dass er dadurch Nachteile für sich befürchten musste – außer dass Augustus ihn „den reinsten Penis“ nannte: Horaz war ein eingefleischter Junggeselle und bekannt dafür, dass er an der Schlafzimmerdecke einen Spiegel hatte anbringen lassen, um sich selbst zu betrachten, wenn er Prostituierte mit im Bett hatte. Augustus’ Moralgesetz­ gebung maß durchaus mit zweierlei Maß. Sueton widmet einen ungleich größeren Abschnitt seines Lebens des Augustus – ganze drei Kapitel (43–45) – der Vorliebe des princeps für wenig geistreiche spectacula, die er mit verschwenderisch hohen Summen sponserte, den vielen Stunden, die er dort zubrachte (siehe S. 118/119), und seiner Sorge vor allem darum, wie sich die Pantomimen benahmen. Das ist kein Zufall: Die Pantomime war ein wirklich neues Kulturprodukt jener Zeit; sie griff Mythos und Tragödie auf und transformierte sie in eine anspruchslose und grelle Form des Showbusiness. Die reißerischsten Szenen wurden herausgepickt (etwa wie Ödipus sich die Augen aussticht oder Ajax sich umbringt) und zu musikalischer Begleitung durch einen einzelnen Schauspieler aufgeführt, der kein Wort dabei sprach. Für ein Massenpublikum, das kaum lesen und schreiben konnte, war diese neue Form der Unterhaltung der letzte Schrei – zumal die einzelnen Szenen von der Länge her in etwa mit den heute beliebten halbstündigen Fernsehsendungen vergleichbar waren, abzüglich Werbepausen. Eine propagandistische Funktion sucht man hier vergeblich. Ein weiteres beliebtes Phänomen hatte eine etwas komplexere Dynamik. Mit Augustus verbundene Symbole wie die Victoria (siehe Abb. 14), der Lorbeer, die Sphinx (auf seinem Siegelring und auf den Schulterklappen der Statue aus Primaporta; siehe Abb. 8), ja selbst seine Frisur wurden rasch auch im privaten Bereich populär. Seine Haarlocke ausgenommen, finden sich diese Symbole auf zahl­ reichen Alltagsgegenständen wie Lampen und Tischbeinen, außerdem auf Urnen, Grabmalen und privaten Begräbnisaltären, auf in Massenproduktion hergestelltem Terra-Sigillata-Geschirr und sogar auf den Helmen von Gladiatoren. Solche Gegenstände wurden nicht etwa im Auftrag eines Propaganda-Apparats hergestellt und aus ideologischen Gründen gekauft, wie Paul Zanker bezogen auf diesen und andere Bereiche römischer Privatkunst nachgewiesen hat. Vielmehr sind es ganz autonome Reaktionen des privaten Geschmacks und des freien Marktes. Auch hier gab es kein festes Schema, und Reaktionen dieser Art kann man auf unterschiedlichste Weise interpretieren: als Demonstration von Loyalität, als ästhetische Vorliebe für Neues oder auch als Vehikel für private Aussagen. Solche Darstellungen wurden im Laufe der Zeit internalisiert und wiesen keine politischen Implikationen mehr auf. Es war ein Prozess, der die kreative Vielfalt förderte. Natürlich hatte Augustus seine eigene Agenda. In der Architektur – wir kommen sogleich noch einmal auf den Wiederaufbau Roms zurück – wurde der klassische Stil betont, dessen auctoritas eine würdige Basis bzw. einen Rahmen bot, innerhalb dessen man, wie ge163

zeigt, ganz leicht Innovationen umsetzen konnte. Der Klassizismus bestimmte außerdem einen Großteil der Bildhauerkunst und wurde auch im privaten Bereich ganz autonom adaptiert. Gleichzeitig blühte eine Kultur des Phantastischen, des Paradoxen und Wundersamen. Die augenfälligsten Manifestationen finden sich in der Wandmalerei. Greifen und andere geflügelte Fabelwesen in leuchtenden Farben bevölkern die Wände, die ganz bewusst eine unwirkliche Note haben, indem statt fester Säulen Pflanzenstrünke die auf die Wand aufgemalten Strukturen zu tragen scheinen. Vitruvs klassisches Handbuch über Architektur sprach sich gegen solche „Abartigkeiten“ aus (siehe Kasten 6.2). Doch in den Häusern von Augustus’ Familie gab es sie durchaus.

6.2. Scharfe Kritik von Vitruv „Die unschönen Sitten von heute verschmähen Imitationen auf Basis der Wirklichkeit. Im Stuck finden sich statt realistischer Darstellungen realistischer Dinge heute Monster. Statt Säulen ragen Stängel empor, statt Giebeln gibt es krause Blätter und rankende Pflanzen. Leuchter stützen Darstellungen von aediculae [gemalten Pavillons]; über diesen ragen dünne Stiele aus ihren Wurzeln auf, und auf denen sitzen ohne sinnvolle Anordnung kleine Figuren sowie schlanke Stängel mit Menschen- und Tierköpfen auf halber Höhe. So etwas gibt es nicht, hat es nie gegeben und wird es niemals geben. Und im Zuge dessen haben uns diese neuen Sitten so weit gebracht, dass schlechte Richter gutes Handwerk verurteilen.“ Über die Architektur 7.5.3–4 Vitruv, der seine zehn Bücher Über die Architektur Octavian widmete, ist indes nicht ganz der konservative Klassizist, als der er oft galt und gilt; er betrachtet Architektur als freie Kunstform und begrüßt durchaus Experimente und Innovationen. Doch gab es für ihn dabei, wie wir gesehen haben, deutliche Grenzen. Vitruv formuliert Kritik mit Bezug auf die mores, die Sitten. Die Mores waren ein Schlüsselbegriff im römischen Leben, den auch Augustus oft und gern verwendete. Man siehe nur Res Gestae 8.5 (zitiert auf S. 111), wo er sagt, er bringe die schwindenden mores durch neue Gesetze zurück, was geradezu paradox scheint. Hier greift Vitruv die beunruhigenden Seiten der Neuerungen an – die mores, die er dabei geißelt, sind keine traditionellen. In diesem Punkt folgte Augustus ihm nicht; wie wir wissen, konnte er durchaus unorthodox sein. Für weitere Informationen zu Vitruv siehe I. D. Rowland und T. N. Howe (Hrsg.), Vitruvius: Ten Books on Architecture (Cambridge 1999). 164

Mehr noch als alles andere war ein zentraler Impuls für die Kreativen dieser Epoche Augustus’ Vision bzw. Agenda für Rom. Dabei ging es nicht nur um die Wiederherstellung materiellen Wohlstands, sondern um römische Ideale und Werte. Kurz: Augustus brachte Ideen hervor. Und nicht nur das – die Gedichte jener Zeit zeigen, „dass Augustus selbst eine aufregende poetische Idee war“ (Weiß 1993, S. 207). Er brachte stieß einen nationalen Diskurs an und war beileibe nicht der Einzige, der sich daran beteiligte. Es steht zu vermuten, dass viele aufmerksame Zeitgenossen (und nicht nur Augustus) nach Jahrzehnten der Selbstzerstörung darüber nachdachten, wie es mit Rom so weit hatte kommen können und wie man aus dem Schlamassel wieder herauskommen könne. Unsere zeitgenössischen Quellen bezeugen die lebhafte und ertragreiche Diskussion zu diesem Thema. Die Standpunkte reichen von der Erbsünde – Romulus’ Mord an Remus (Horaz) – bis hin zur düsteren Einschätzung, dass „wir einen Punkt erreicht haben, an dem wir weder unsere Laster noch die Mittel gegen diese Laster ertragen können“ (Livius). Was Vergil angeht: Er wählte nicht – wie man wohl erwartet hatte – den Weg des geringsten Widerstands, ein Epos über Augustus zu schreiben, eine ­Augusteis, vielleicht unter Einbeziehung der Geschichte des Vorfahren des princeps, Aeneas, in Rückblenden. Stattdessen kehrte er die Perspektive um: Die Gründung Roms liegt in der Aeneis noch in weiter Ferne, und damit sie gelingt, müssen sich Generationen um Generationen gewaltig anstrengen. Auf diese Weise gelingt es Vergil, das augusteische Ethos um einiges authentischer einzufangen. Eine ganz andere Reaktion zeigen Liebesdichter wie Properz und Tibull. Sie waren keine Partisanen, die die augusteischen Ideale in der „wirklichen“ Welt einfach nur unterstützten bzw. ablehnten (abgesehen von Properz’ Protest gegen die Ehegesetze), sondern sie inkorporierten solche Motive in ihre private, poetische Welt und beschäftigten sich in diesem Kontext mit ihnen. Augusteische Themen wie Krieg und Frieden, der Troja-Mythos, die gute alte Zeit, pietas und die Bedeutung von Familie finden sich in ihrer Dichtung wieder. In der Welt dieser Dichtung ist eine Geliebte genauso mutig wie ein augusteischer Krieger, und sie hält sich an die römischen und augusteischen Ideale von Treue und Vertrauen (fides); auch wenn er ein Gegner der obligatorischen Ehe ist, macht sich Properz niemals zum Advokaten der Promiskuität. Auch die Fasti, Ovids poetische Version des römischen Kalenders und seiner Feste, korrespondieren in jedem Detail mit der augusteischen Welt. Das war auch kaum anders möglich, bedenkt man, in welchem Umfang Augustus die tatsächlichen fasti, den Festkalender, ummodelte, indem er für zahlreiche Ereignisse, die für ihn und seine Familie relevant waren, neue Gedenktage einführte (siehe S. 94). Für Ovid wie auch für seine modernen Interpreten ist das eine ziemlich heikle Angelegenheit: Ist Ovids Haltung politisch oder ästhetisch oder beides? Und in welchem Ausmaß? Und kann man beides überhaupt sauber voneinander trennen? Ein ­Problem dabei ist, dass Ovid in die „offizielle“ Sequenz ständig etwas seichte und 165

sogar anzügliche Geschichten einstreut, wie die freizügig-komischen Abenteuer von Pan und Faunus. Das erhöht sicherlich den Unterhaltungswert der ansonsten vielleicht etwas eintönigen Erzählung, aber wie können wir dies bewerten? Eine mögliche Antwort ist, dass Ovid den Kalender, der in der republikanischen Zeit nichts weiter als eine lose Ansammlung von Festtagen war, zu einer Einheit machte – und zwar mit seinen eigenen Motiven, ganz ähnlich wie Augustus es seinerseits mit julischen Motiven tat. In anderen Worten: Ovid tat es Augustus nach, aber auf seine ganz eigene Art und Weise. Es gab für Dichter viele verschiedene Möglichkeiten, sich mit augusteischen Ideen und Themen zu beschäftigen. Es gab eine Fülle von neuem Material, und „man konnte ihm nicht widerstehen“ (Weiß 1993, S. 207). Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass die Reaktionen der Dichter und die augusteische Dichtung im Allgemeinen sich nicht so einfach nach Schema F kategorisieren und in Schubladen stecken lassen wie die historischen und politischen Aspekte der augusteischen Zeit.

Die Neugestaltung Roms In einem anderen Bereich hinterließ Augustus deutlich mehr sichtbare Spuren: beim Wiederaufbau Roms. Dieser Wiederaufbau war das physische Äquivalent zur Wiederherstellung der res publica, und so war auch sein Ausspruch, er habe Rom aus einer Stadt aus Stein in eine Stadt aus Marmor verwandelt, zugleich ganz wörtlich und als Metapher für den Wiederaufbau des Staates zu verstehen. Die wichtigsten Facetten dieses Prozesses in der Stadt Rom spiegelten diejenigen der Neugestaltung des ganzen Römischen Reichs wider. Zunächst einmal musste, in Rom wie im ganzen Reich, die Unordnung wieder der Ordnung weichen; Rom machte größtenteils einen heruntergekommenen und abgenutzten Eindruck, nachdem die Stadt jahrelang vernachlässigt worden war und über nur noch wenige Ressourcen verfügte; die meisten waren durch die Bürgerkriege aufgebraucht. Caesar hatte, wie gezeigt, ein massives öffentliches Bauprogramm in die Wege geleitet, aber ein neuer Bürgerkrieg war dazwischengekommen, und so konnten die meisten seiner Projekte, wie das Caesarforum, tatsächlich erst durch Augustus abgeschlossen werden. Wiederaufbau und Sanierung waren also eine ziemlich umfangreiche Aufgabe, und sie wurden auf typisch augusteische Art und Weise bewältigt – mit einer Methode, die Diane Favro als „erweiterte Vertrautheit“ bezeichnet hat: Man behielt die traditionellen Formen bei, baute aber größer, schöner und teurer, so etwa beim Castor-Tempel (siehe S. 159–161). So verfuhr man aber nicht nur bei Tempelbauten, sondern auch bei anderen Bautypen wie etwa Bögen oder Basiliken. Genau wie für den Staat im All­gemeinen bedeutete Wiederaufbau gleichzeitig Transformation. Im Falle der 166

­ asilica Aemilia auf dem Forum Romanum beispielsweise war dieser WiederaufB bau so gelungen, dass Plinius der Ältere sie noch Jahrzehnte später als eines der schönsten Gebäude der Welt bezeichnete, zusammen mit dem neu erbauten ­Augustusforum (Naturgeschichte 36.102). Ein weiterer Aspekt war die Neuorganisation des Stadtbilds. Bestehende Wahrzeichen wie das Forum, das Kapitol und das erst kürzlich gebaute Theater des Pompeius waren eingebettet in ein Gewirr von Straßen. Rom war immer weiter gewachsen, und zwar nicht auf Grundlage eines geregelten Plans. Weltstädte wie Alexandria sahen völlig anders aus. Der daraus resultierende Ansatz war wieder einmal typisch für Augustus: Es sollte kein radikaler Wandel sein, wie Julius Caesar ihn durch sein Forum herbeigeführt hatte, für das er, voll Verachtung für den „toten Körper der Republik“, ein ganzes Viertel einfach hatte abreißen lassen. Ganz anders Augustus: Für sein Forum kaufte er den Eigentümern ganz geduldig Grundstück um Grundstück ab und nahm sogar hin, dass die Symmetrie, oberster Grundsatz der klassischen Architektur, nicht mehr stimmte, als einer der Besitzer einfach nicht verkaufen wollte. Ganz allgemein respektierte er Traditionen, schon deshalb wollte er den gewachsenen Eigenheiten der Stadt nicht einfach so beseitigen. Vielmehr setzte er einmal mehr auf Evolution. Sanierte bestehende Bauten und neue Gebäude, die dort eingefügt worden waren, wo sich die Gelegenheit bot, wurden zu neuen Wahrzeichen, und die so entstandenen Sichtachsen schufen ein neues Gefühl der Ordnung. Dazu trugen mehrere Ensembles aus bereits bestehenden Gebäuden bei, die durch Portiken miteinander verbunden wurden, was den Zusammenhalt noch verstärkte. Last, but not least sorgte Augustus dafür, dass Grünflächen eingerichtet und gepflegt wurden. Der zweite wichtige Faktor war die Präsenz von Augustus, in der Architektur wie allgemein im Staat. Nirgendwo wurde das deutlicher als bei der städtebaulichen Entwicklung des Campus Martius (siehe Karte 2), bis dahin einfach ein offenes Feld. Hier hatten Augustus’ Architekten und Planer freie Hand. Das imposanteste Monument dort war das Mausoleum, dessen Bau nach der Eroberung Ägyptens begann (siehe unten). Es war das höchste Gebäude in Rom und schon von daher ein weiteres Wahrzeichen. Auf einer Achse Richtung Süden lag das Pantheon (siehe Kasten 5.4), flankiert von der Saepta Iulia, einer enormen Versammlungshalle mit 37.000 Quadratmetern Grundfläche, die nebenbei für Gladiatorenkämpfe genutzt wurde. Auf halber Strecke in Richtung Osten stand der Altar des augusteischen Friedens. An ihm ausgerichtet stand inmitten einer monumentalen Fläche ein aus Ägypten mitgebrachter Obelisk, mit einer Kugel an der Spitze. Er war Teil eines Meridianinstruments, das anzeigte, wie sich die Länge der Tage und Nächte im Jahr änderte. Eine Meridianlinie verlief direkt von Norden nach Süden, und der gepflasterte Platz darum war groß genug, dass der längste Schatten des Obelisken am kürzesten Tag des Jahres, der Wintersonnenwende im Zeichen des Steinbocks, komplett sichtbar war (siehe Kasten 1.1). Caesars Kalender167

reform war zunächst falsch umgesetzt worden; statt alle vier hatte es alle drei Jahre ein Schaltjahr gegeben. Als Augustus 12 v. Chr. pontifex maximus wurde, konnte er dies richtigstellen. Der Meridian, von dem mehrere Forscher meinen, er sei eigentlich eine Sonnenuhr (horologium) gewesen, war ein Symbol für diese Reform. Nun herrschte im Himmel genauso viel Ordnung wie auf Erden – für Letzteres steht die Ara Pacis; beide Denkmäler entstanden zur gleichen Zeit. In einem anderen Teil Roms weihte Augustus sein Forum ein, dessen Bau mehrere Jahrzehnte in Anspruch genommen und den sonst so geduldigen Mann auf eine harte Probe gestellt hatte (vgl. Kasten 5.10). Es lag in einem 90-Grad-Winkel zum Caesarforum (das wiederum mit dem Forum Romanum verbunden war; siehe Karte 2). Zwar schlug der filius divi einen ganz anderen Weg ein als sein Adoptivvater, doch distanzierte er sich niemals von ihm. Auch auf dem Forum Romanum hinterließ Augustus seine Spuren, durch umfangreiche Sanierungsarbeiten, die Umbenennung älterer Bauten und die Hinzufügung von Anbauten. Die „erweiterte Vertrautheit“ war das Gegenstück zur „Verfassung plus“. Ein dritter Aspekt, der mit den bereits genannten in Verbindung steht, war, dass sich Rom nun endlich auch in architektonischer Hinsicht als eines Imperiums würdige Hauptstadt erwies. Was der neue Campus Martius und das Augustusforum vermittelten, war nichts weniger als die Herrschaft über die Welt. Dort empfing man ausländische Botschafter, und von dort aus wurden Militärbefehlshaber in den Krieg geschickt, während die Besucher über bunten Marmor liefen, der aus allen Teilen des Reichs stammte. Auch andere Gebäude veranschaulichten diesen Anspruch, wie die Porticus ad Nationes mit ihren Statuen, die alle Nationen verkörperten, und die Porticus Vipsania, wo man eine Weltkarte bestaunen konnte. Vor allem aber war die augusteische Architektur in Rom äußerst weltoffen und bezog ihre Inspiration aus vielen verschiedenen Quellen.

Polyvalenz und Dialog: drei Beispiele Zu Beginn dieses Kapitels habe ich einen zentralen Aspekt hervorgehoben, den alle kulturellen und politischen Phänomene unter Augustus gemeinsam haben: Sie weisen alle mehrere Dimensionen auf. Das liegt nicht nur daran, wie sie (auch in späterer Zeit) wahrgenommen wurden. Sie waren absichtlich so konzipiert. Der Begriff „Polyvalenz“ ist hier recht treffend – er bezeichnet eine Vielzahl von Bedeutungen und Einsatzmöglichkeiten; etymologisch ist das Wort eine Kombination aus dem Griechischen und dem Lateinischen. Und genauso erreichte die kreative Synthese griechischer und römischer Komponenten, die fast von Anfang an Roms Literatur, Kunst und Architektur kennzeichnete, im augusteischen Zeitalter einen neuen Höhepunkt. Daher soll dieses Kapitel mit einem kurzen Blick auf drei konkrete Beispiele schließen. 168

1. Das Mausoleum Augustus’ Grabmal dominierte das nördliche Ende des Campus Martius (siehe Karte 2); es war Augustus’ erstes Gebäude in Rom und sein höchstes (Abb. 21). Es gibt Forscher, die der Meinung sind, sein Bau habe 32 v. Chr. begonnen, die meisten aber gehen von 28 v. Chr. aus, und offenbar war der Bau 23 v. Chr. weitgehend abgeschlossen. Strukturell war das Mausoleum eine Kombination aus einem mit Mauerwerk verkleideten Zylinder und einem Hügel, einem Tumulus. Mit diesem Mausoleum beginnt die bewusste Hinwendung zur Vielfalt von Traditionen und Assoziationen – in architektonischer wie in allgemein kultureller Hinsicht. Tumulusgräber gab es in der Ebene von Troja, der Heimat von Roms und Augustus’ Vorfahren; sie werden in Homers Ilias erwähnt. Es gab zudem eine indigene italische Hügelgräber-Tradition, die in die Zeit der Etrusker zurückreichte. Der Typus mit Zylinder und Podium war auch in Griechenland weit verbreitet und fand seinen Höhepunkt im Grabmal für den karischen Herrscher Maussolos in Halikarnassos, das um die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. errichtet wurde. Zwei

Abbildung 21. Modell des Augustus-Mausoleums. Die jüngste Forschung weist darauf hin, dass die unteren zylindrischen Wände eventuell doppelt so hoch waren. Es kann durchaus sein, dass die Obelisken gar nicht aus der Zeit des Augustus stammen. Archäologisches Institut der Universität zu Köln.

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große erhaltene Gräber im heutigen Algerien weisen darauf hin, dass es eine ähnliche Tradition auch in Ägypten gab; so ist es ziemlich wahrscheinlich, dass auch die Sema, Alexanders Grabmal in Alexandria, das Octavian oft besuchte, so aussah (siehe S. 70). Alexander war sein Vorbild – man denke alleine daran, dass Octa­ vian/Augustus seine Haarlocke nachahmte –, und Augustus wollte nicht nur ­Alexanders Nachfolger sein, er wollte, dass sein eigenes Reich das von Alexander noch übertraf. Und während Antonius wünschte, in Alexandria begraben zu werden, war das Mausoleum Octavians deutlichstes Zeichen dafür, dass er sich für Rom entschieden hatte, zugleich aber mittels der Architektur Alexandria nach Rom brachte. Um diese Botschaft noch zu unterstreichen, verbanden die beiden Obelisken davor, die wahrscheinlich erst Jahrzehnte später hinzugefügt wurden, das Mausoleum mit dem Meridian-Obelisken. Wie Penelope Davies gezeigt hat, stand das Mausoleum außerdem symbolisch für den Sieg und diente späteren Siegesmonumenten im ganzen Imperium als Inspiration. Weitere typologische Parallelen weisen die Gräber römischer Adliger an der Via Appia auf, auch wenn sie um einiges kleiner sind. Früher hielt man sie für älter, doch heute datiert man sie größtenteils in die Zeit des Augustus. Das Monument vermittelte noch andere Botschaften und Bedeutungen. Pompeius war der Erste, der sich auf dem Marsfeld verewigt hatte, indem er die erste permanente Spielstätte für das Theater in Rom errichtete (siehe Karte 2). Doch Augustus übertraf ihn und alle anderen: Sein Grabmal war nicht das eines civilis princeps, sondern eine gewaltiger Bau, wie er für einen Monarchen, ja für eine ganze Dynastie angemessen scheint. Seine riesige Statue an der Spitze des Mausoleums rückte Augustus näher an die Götter heran als irgendjemanden sonst. Hier lag ein Hauch von Göttlichkeit in der Luft, und die Augustus-Statue im Vorraum des Pantheon, das auf der Achse nach Süden lag, verstärkte diesen Eindruck noch. Doch wie viel von diesem komplexen Geflecht aus Bedeutungen, architektonischen Traditionen und kulturellen Reminiszenzen war dem zeitgenössischen Betrachter überhaupt bewusst? Und welcher Aspekt überwog dabei? Das war sicherlich je nach Hintergrund, Bildungsstand und Vorwissen jedes Einzelnen ganz unterschiedlich. Trotz seiner Größe war das Gebäude nicht einfach dazu da, die Menschen zu beeindrucken, sondern sie sollten sich damit beschäftigen, und persönliche Reaktionen und Assoziationen waren durchaus erwünscht. Das Gleiche gilt für die beiden folgenden Beispiele.

2. Die Göttin der Ara Pacis Wer auch immer den Altar des augusteischen Friedens entwarf, er hätte es sich durchaus einfach machen und die Komposition um eine konkrete Darstellung der Göttin Pax herum anordnen können; dieser Typus existierte durchaus. Statt­ dessen beschritt er einen weniger ausgetretenen Pfad, wie unter Augustus nicht 170

anders zu erwarten: Die gesamte plastische Gestaltung, vor allem auf der Marmorverkleidung, ist ein Ausdruck der pax Augusta. Götter, Roms Vorväter Aeneas und Romulus, Augustus bei der Opferhandlung, seine Familie mit Frauen und Kindern in entspannter Haltung, Senatoren, Bedienstete und Priester – all das bildete ein Ensemble, das auf suggestive Weise den Geist des augusteischen Friedens vermittelte. Auf dem Altar zu sehen waren außerdem Mars, der Vater der Zwillinge Romulus und Remus – immerhin hatte dort, wo sich die Ara Pacis befand, auf dem Campus Martius, einst ein Altar des Mars gestanden – und die Göttin Roma, die stolz auf einem Stapel Waffen sitzt (siehe Abb. 11); schließlich wurde Frieden, wie wir gesehen haben, „aus Siegen geboren“ (Res Gestae 13). Ihr Pendant ist eine polyvalente weibliche Gottheit (siehe Abb. 10). Man hat sie verschiedentlich als Italia, als Venus, als die Erdgöttin Tellus (Kasten 3.4; vgl. den Brustpanzer des Augustus von Primaporta), als Ceres und sogar als Pax identifiziert. Sie ist eindeutig ein Kompositum aus Reminiszenzen an all diese Gottheiten und ihre künstlerischen Darstellungen. Die Beziehungen zwischen ihrem und den anderen Abbildern des Reliefprogramms erweitern das Netz der Assoziationen noch einmal beträchtlich. Die beiden Kinder, die sie im Arm hält, bilden eine ­Parallele zu den Zwillingen Romulus und Remus sowie zu Gaius und Lucius; ihr Gesicht ähnelt dem von Livia (an deren Geburtstag der Altar geweiht wurde; vgl. Abb. 20); die Pflanzen um sie herum verweisen auf das Motiv der Fruchtbarkeit (Ceres, Tellus) und auf den großen Pflanzenfries im unteren Register; Venus war die Mutter von Aeneas und die Stammmutter der gens Iulia; die Segnungen des Friedens kamen erst durch den Krieg zustande usw. Es ist eine bewusst anspielungsreiche Darstellung, die die Zuschauer aufforderte, ihre eigenen Assoziationen zu entwickeln und sich zu gedanklich aktiv zu beteiligen, statt in Ehrfurcht zu erstarren. Das ist ein ganz anderer Ansatz, als man ihn von „imperialer“ Kunst erwarten würde, geschweige denn von der Kunst unter einem diktatorischen Regime. So ist es auch wenig verwunderlich, dass eines der grundlegenden Bildprogramme einer solchen Kunst, nämlich bombastische Kampfszenen, im augusteischen Rom nirgends zu finden ist.

3. Vergils Dido In Vergils komplexem Epos Aeneis ist Dido einer der vielschichtigsten Charaktere. Sie ist eine Königin im östlichen Nordafrika, ein Vorfahr der Römer verliebt sich in sie, und sie versucht ihn dazu zu bewegen, bei ihr zu bleiben – sofort muss man hier an Kleopatra denken, die eine ebenso komplexe Persönlichkeit war. Natürlich ist Dido viel mehr als nur eine „Vorläuferin“ Kleopatras. Und sie ist auch eifach deren Nachbildung. Vielmehr zeigt sie zutiefst römische Züge: Sie ist tiefreligiös und eine starke, prinzipientreue Anführerin. Ihre Abschiedsworte lesen sich wie die Grabinschrift einer römischen Adligen, und tatsächlich verkörpert sie das 171

I­ deal der römischen univira (auch wenn sie dagegen ankämpft) – einer Frau, die nach dem Tod ihres Mannes nicht wieder heiraten will; auch wenn Augustus mit dieser Tradition brach, indem er Frauen gesetzlich zur Wiederheirat verpflichtete, verkörperte die univira immer noch ein hoch geschätztes römisches Ideal. Es gibt noch weitere zeitgenössische Anspielungen, die sich ebenfalls nicht in ein ein­ faches Muster pressen lassen. So hilft Aeneas Dido, Karthago aufzubauen. Es ist die einzige Stadt, die wir ihn in Roms „Nationalepos“ bauen sehen – nicht Lavinium und auch nicht Rom; dies ist eine dichterische Anspielung auf die Neubesiedelung Karthagos unter Caesar und Augustus. Parallelen zwischen Dido und anderen literarischen Figuren gibt es zuhauf; sie reichen zurück bis zu Homers Nausikaa, Kirke und Kalypso – allesamt prominente Frauen aus der Odyssee. Die Art und Weise, wie diese Figuren in der Dido integriert sind, zeigt jedoch einen grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Epen: Die Aeneis ist, ganz im Sinne des augusteischen Zeitgeistes, eine Geschichte, die vom Aufbruch zu neuen Ufern handelt anstatt von Heimkehr; aus gutem Grund fehlt der Aeneis eine Gestalt wie Penelope. Ein weiterer wichtiger Punkt: Dido weist zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit diesen Figuren auf, unterscheidet sich aber in anderer Hinsicht auch stark von ihnen. Vergil nutzt solche literarischen Resonanzen, um zugleich Ähnlichkeiten und Kontraste einzuarbeiten, die der Leser später selbst entschlüsseln muss. Dazu bediente er sich neben Homer auch bei der griechischen Tragödie. Die augusteische Bühne sah zwar eine Menge Aufführungen anspruchsloser Pantomimen, aber nur wenige emotional erschütternde Tragödien; Vergil gelang es erfolgreich, die Tragödie wiederzubeleben, indem er sie in sein Epos integrierte. Das prominenteste Vorbild für Dido (wenn auch beileibe nicht nur für sie) war die orientalische Prinzessin Medea, die Jason half, nur um später von ihm verlassen zu werden. Im 3. Jahrhundert v. Chr. war diese Geschichte außerhalb der Tragödie außerdem von Apollonios von Rhodos in seinem vierteiligen Epos Argonautika verarbeitet worden, und Vergil übernahm auch daraus einige Elemente. Schließlich ähnelt Dido als Liebende in einigen Motiven den Protagonisten der zeitgenössischen augusteischen Liebeslyrik. All diese und viele weitere Bezüge schaffen ein reiches assoziatives Netz, das den Leser immer wieder dazu einlädt, sich am kreativen Prozess zu beteiligen, Neues zu entdecken, die Dinge neu zu ordnen und eigene Zusammenhänge herzustellen. Dies ist der wesentliche Grund dafür, dass Dido in ihrem Fortleben in Literatur, Kunst und Musik alle anderen Figuren der Aeneis bei Weitem übertrifft, auch den Titelhelden. Große Architekten, Künstler und auch Schriftsteller spiegeln nicht einfach ihre Zeit, sie tragen dazu bei, sie zu gestalten. Die augusteische Zeit war genauso sehr die Epoche der Künstler wie des Augustus; aus gutem Grund bezeichnet Horaz sich als princeps in seinem Bereich (Oden 3.30.13). Indes gibt es keinen Zweifel daran, dass Augustus diese dynamische Beziehung überhaupt erst möglich machte. Und so ist sein Vermächtnis eben nicht nur ein politisches, sondern auch ein kulturelles. 172

7 Das Reich unter Augustus: Einheit und Vielfalt Allgemeine Perspektiven Wenn wir uns das Römische Reich unter Augustus ansehen, gelten die gleichen Rahmenbedingungen wie bei den meisten Phänomenen, die mit Augustus in Verbindung stehen: Es gab substanzielle Entwicklungen, die bereits früher eingesetzt hatten und durch Augustus fortgeführt wurden, zugleich aber fundamentale ­Veränderungen erfuhren. Symptomatisch für diesen Prozess ist die Nutzung des Begriffs imperium: Vor Augustus war damit kein Territorium gemeint, sondern lediglich die durch das römische Volk ausgeübte Macht, analog zum imperium der römischen Magistraten. In Augustus’ Res Gestae erscheint zum ersten Mal imperium populi Romani in der Bedeutung einer territorialen Einheit: „… als im gesamten imperium des römischen Volks durch Siege zu Lande und zu Wasser pax erreicht wurde“ (13). Dabei ist es wiederum bezeichnend für die augusteische Mischung aus Tradition und Innovation, dass er den Begriff imperium in den Res Gestae in allen anderen Fällen in der alten Bedeutung „Befehlsgewalt“ verwendet (Richardson 2008, S. 118–119). Diese Verschiebung in der Bedeutung spiegelt Augustus’ Blick auf das Reich als Einheit und nicht als bloße Ansammlung von Gebieten unter römischer Kontrolle, wie es in republikanischen Zeiten der Fall gewesen war. Ein Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft zu etablieren – zumindest zu einem gewissen Grad – war eines der Markenzeichen seiner Regierungszeit. Auch hier haben wir es wieder mit einem Prozess zu tun, nicht mit einem feststehenden Ergebnis (eines der Probleme des bequemen Begriffs „Romanisierung“ ist, dass er für beides stehen kann), und genauso typisch ist, dass dieser Prozess nicht auf Homogenität abzielte. Darüber hinaus – und auch dies ist wiederum charakteristisch für Augustus – lag dem keine öffentlich proklamierte Strategie zugrunde. Und Augustus war auch nicht der alleinige Motor der Veränderungen, vielmehr bedurfte es dazu der gemeinsamen Anstrengung, die mehr von den Italiern und den Bewohnern 173

der Provinzen abhing als von ihm selbst. Der Umfang dieser Wechselwirkung war variabel und entzieht sich jedem Versuch der genaueren Bestimmung. Ihre Dynamik jedoch formte das Römische Reich unter Augustus und seinen Nachfolgern Trajan und Hadrian und war grundlegend für dessen Vitalität. E pluribus unum – das war keine Frage administrativer Beschlüsse, deren Wirkung für eine Zusammenführung vieler verschiedener Ethnien, Kulturen und Religionen ohnehin nur begrenzt gewesen wäre. Stattdessen ging es darum, ein produktives Umfeld für das Zusammenspiel von lokalen Identitäten und ­einer größeren, kosmopolitischen und gemeinschaftlichen Reichsidentität zu schaffen. Dieser Prozess der Neuerfindung hatte viele Nuancen. Es ist eine faszinierende Aufgabe, diese Nuancen in den erhaltenen Zeugnissen der sozialen und intellektuellen Eliten in den damaligen Provinzen aufzuspüren. Und doch ergibt dies nur einen Teil des Gesamtbilds, wie wir in diesem Buch gesehen haben. Ein zentraler Aspekt von Augustus’ Herrschaft und seinen gemeinschaftsbildenden Maßnahmen war nämlich, viel größere Teile der Bevölkerung am öffentlichen Geschehen teilhaben zu assen als bisher. Und damit ist weitaus mehr gemeint als nur die Verleihung des römischen Bürger- und Wahlrechts. Allerdings war das Römische Reich natürlich niemals eine föderale Demokratie. In seinem Standardwerk Die römische Revolution von 1939, in dem er Augustus und seine Anhänger als Emporkömmlinge und Usurpatoren der rechtmäßigen Macht der senatorischen Elite beschreibt, geht Ronald Syme kurz auf das Thema ein: „Im Stillen waren die ganze Zeit über noch geheimere und unheilvollere Einflüsse am Werk – von Seiten der Frauen und Freigelassenen“ (S. 399). Heute hat sich unsere Perspektive erweitert und wir verfügen über ein umfangreicheres Wissen; wir dürfen nicht versäumen, die Mehrheit der Bewohner des Reichs und ihre Lebensbedingungen in die Diskussion mit einzubeziehen, auch wenn aus dieser Sphäre weniger Dokumente erhalten sind als aus dem Bereich höhergestellten Bevölkerungsschichten.

E pluribus unus Selbstverständlich war für die Neugestaltung des Römischen Reichs die Tatsache von entscheidender Bedeutung, dass es nunmehr dauerhaft nur einen einzigen Herrscher gab. Auf strategischer Ebene konnten langfristige Maßnahmen zur Expansion, Konsolidierung und Verteidigung implementiert werden, auf Basis einer laufenden Bewertung von Bedürfnissen und Ressourcen. Wie wir bereits gesehen haben, bedeutete die pax Augusta nicht ein Ende der gewaltsamen Expansion, aber diese diente in der Regel der Konsolidierung der Grenzen: Man eroberte den Nordwesten der Iberischen Halbinsel (allerdings mögen auch die dortigen Bodenschätze eine Rolle gespielt haben), sicherte die Landverbindung im Norden 174

Italiens und benannte das Mittelmeer in mare nostrum um: „unser Meer“. Das Ergebnis war, wie Tacitus, prägnant wie immer, feststellt, dass „alle Dinge miteinander verbunden“ waren – cuncta inter se conexa (Annalen 1.9). Während er dies Ziel verfolgte, beging Augustus nicht den Fehler, das Reich zu weit auszudehnen – die übliche Ausnahme waren die gescheiterten Vorstöße über den Rhein; die Truppenstärke der augusteischen Armee betrug immerhin lediglich 60 Prozent derjenigen der späten Republik. Eine ähnlich konsequente Strategie und lang­ fristige Planung kam in der Zivilverwaltung zur Anwendung, und wir werden in Kürze einige wichtige Aspekte davon untersuchen. Der wesentliche Punkt ist, dass sich die Verhältnisse stabilisierten, und im Laufe der Zeit nahm die allgemeine Gewissheit zu, dass diese Stabilität von Dauer sein würde. Dies waren keine abstrakten Entwicklungen, sondern sie hatten ein ganz persönliches Antlitz: Augustus. Indem er die ständig wechselnden Gesichter der römischen Verwaltung ablöste, wurde er zur echten Verkörperung des imperium Romanum, und in seiner Person präsentierte er den Menschen eine Fläche, auf die sie ihre Hoffnungen, ihre Ängste, ihre Dankbarkeit, ihre Sorgen und vieles mehr projizieren konnten. Der Kaiser war eine Figur der Integration, wie es sie zuvor nicht gegeben hatte, und er stand für den Zusammenhalt des Reichs. Typisch war dabei, dass diese Figur einen großen interpretatorischen Spielraum ließ und ganz unterschiedliche Formen annehmen konnte; eine davon war der Kaiserkult (siehe unten). Bevor wir weiter ins Detail gehen, müssen wir jedoch einen ganz zentralen Punkt im Auge behalten: Das augusteische Reich funktionierte gerade wegen solcher Aspekte sogenannter „Soft Power“, die seine militärische Stärke ergänzten. Es war kein System, das Einheit durch Standardisierung erzwingen wollte, weder beim Recht (vgl. S. 97 ff.) noch bei der Währung. Gerade die Münzprägung im Reich ist ein gutes Beispiel für die unterschied­ lichen Kräfte, die dabei wirkten. Neben der begrenzten Anzahl kaiserlicher Münzstätten gab es mehr als 200 Städte im Imperium, die alle ihre eigenen Bronzemünzen herausgaben. Sie waren autonom und keinerlei Druck seitens Roms ausgesetzt, und doch entschlossen sie sich immer öfter dazu, das Bild des Augustus auf ihre Münzen zu prägen. Andrew Wallace-Hadrill (1986) hat dieses Phänomen im Detail untersucht und weist darauf hin, dass Münzen ja buchstäblich stets zwei Seiten haben. Eine ist die legalistische, offizielle und ökonomische Seite – in diesem Fall war die Wahl des Kaiserkopfes in wirtschaftlicher Hinsicht von Vorteil, denn durch sie erfuhr die jeweilige Münze eine weitere Verbreitung. Die andere Seite ist ein Appell an bestimmte Werte des Benutzers; sie ist emotionaler, und eine bestimmte Vorstellung von „Charisma“ kommt dabei ins Spiel. Augustus’ Charisma oder Aura, wie auch immer wir es nennen wollen (und diese Bezeichnung mag durchaus eine wehmütige Reaktion auf die Politiker und führenden Persönlichkeiten unserer Zeit sein, die in der Regel in puncto Charisma nicht allzu viel zu bieten haben), spielte eine ebenso große Rolle für den Zusammenhalt des Reiches 175

wie die verwaltungstechnischen Maßnahmen, zumal der bürokratische und ­administrative Apparat minimal war. Die Menschen konnten Erleichterung und Dankbarkeit, die nach dem Ende der Bürgerkriege überall zu spüren waren und stetig zunahmen, während der Aufschwung an Fahrt gewann und der materielle Wohlstand wuchs, auf eine einzelne Person projizieren. Das soll allerdings nicht heißen, dass jeder einzelne Bewohner des Römischen Reichs in die Lobeshymnen einstimmte oder dass jeder an diesem Wohlstand teilhatte, doch waren die reichlichen Sympathiebekundungen echt, und sie dauerten an, solange Augustus lebte. Noch kurz vor seinem Tod beispielsweise fuhr neben seinem eigenen Schiff eines aus Alexandria in die Bucht von Neapel ein. Besatzung und Passagiere „hatten sich Kränze aufgesetzt und weiße Roben angelegt, verbrannten Weihrauch, wünschten ihm Glück im Übermaß und lobten ihn in den Himmel. Denn sie sagten, dass er es sei, durch den sie lebten, durch den sie das Meer überquerten und durch den sie Freiheit und Wohlstand genössen“ (Sueton, Augustus 98). Hunderte Inschriften, vor allem aus dem griechischen Osten, sprechen eine ganz ähnliche Sprache; ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist das Dekret der Versammlung der Provinz Asien, etwa aus dem Jahr 9 v. Chr., das die Einführung eines neuen Kalenders vorschlägt, der mit ­Augustus’ Geburtstag beginnen soll (siehe Kasten 7.1). Bereits 26/25 v. Chr. hatte die Versammlung der Provinz Asia (die in etwa der heutigen Westtürkei entsprach, siehe Karte 1) eine Krone ausgelobt für denjeni-

7.1. Ehrungen für Augustus, den Erlöser „Es wurde von den Griechen in Asien festgelegt …: Die Vorsehung, die alle Dinge unseres Lebens ordnet, hat uns ganz eifrig das Beste und Vollkommenste für unser Leben zugedacht, indem sie uns Augustus gab, den sie zum Wohle der Menschheit mit Tugend erfüllte, ihn uns als Erlöser schickte, für uns und die nach uns, damit er den Krieg beendete und alles in Ordnung brachte; und Caesar [= Augustus] übertraf, als er erschien, die Hoffnungen all derer, die auf gute Nachricht warteten; nicht nur übertraf er alle Wohltäter vor ihm, sondern ließ nicht einmal Hoffnung für alle nach ihm Kommenden übrig, ihn jemals übertreffen zu können; und der Geburtstag des Gottes [= Augustus] war der Anfang der Welt der guten Nachrichten, die aufgrund seiner Person kamen … Deshalb wurde, mit Glück und für unsere Erlösung, von den Griechen in ­Asien beschlossen, dass das neue Jahr für alle Städte am 23. September beginnen soll, denn das ist der Geburtstag des Augustus.“ Orientis Graeci Inscriptiones Selectae (Leipzig, 1905) 458, Zeilen 31–41, 50–51 176

gen, der sich die originellste Ehrung für Augustus ausdachte. Ganz im Einklang mit Augustus’ eigenem Motto „Eile mit Weile“ wurde der Preis erst im Jahre 9 v. Chr. vergeben, als endlich ein angemessener Vorschlag gemacht wurde. Die Inschrift mit der entsprechenden Bestimmung wurde sogar in wenig besiedelte Gebiete verbreitet. Man hat Konvergenzen zwischen einigen der wichtigsten Begriffe dieser Inschrift und dem Neuen Testament festgestellt (beispielsweise dem Beginn des Markus-Evangeliums), wie die Betonung einer „guten Nachricht“ (euangelion, daher stammt unser Wort „evangelisch“) und eines gottgewollten Erlösers, „Gott“ oder „Sohn Gottes“ genannt, der „erschienen“ (epiphaneis) sein soll, sich also als Gott unter den Menschen befindet. Einige der frühen Christen reagierten zweifellos auf den Kaiserkult und machten sich für ihre im Entstehen begriffene Religion seine Terminologie zu eigen, auch wenn das Ausmaß dieses Phänomens vielfach übertrieben worden ist (siehe unten). Ansonsten ist das Verb, das hier beschreibt, wie die Vorsehung die Dinge „ordnet“, dasselbe wie das, das Augustus benutzte, als er sagte, Alexander habe gewusst, wie man erobert, aber nicht, wie man das, was man erobert hat, regiert (wörtlich: „arrangiert“ oder „ordnet“) – und Letzteres sei weitaus wichtiger.

Verwaltung und Wirtschaft Im Gegensatz zu vielen anderen Imperien und ihren Herrschern verließ sich ­Augustus nicht auf einen großen, geschweige denn riesigen bürokratischen Apparat, um sein Reich zusammenzuhalten. In dieser wie auch in anderer Hinsicht setzte er die republikanische Tradition fort. Die Statthalter beschäftigten für die Verwaltung nur wenige Beamte – Forscher gehen von nicht mehr als 300 Mitarbeitern aus – und dienten vor allem als Bindeglied zwischen den Städten der Provinzen und der kaiserlichen Regierung. Die wichtigsten Akteure in der Infrastruktur des Imperiums und seiner Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur waren die Städte und Gemeinden selbst. Das imperiale System benötigte kein Mikromanagement und verließ sich auf die organisatorischen Dienstleistungen, die an den verschiedenen Schauplätzen ohnehin schon verfügbar waren. Dazu gehörten, wie wir gesehen haben, die Gerichtsbarkeit und die Münzprägung. Das Ziel war Kohärenz, nicht Gleichförmigkeit. Eine wesentliche Dienstleistung, für die Rom diese lokalen Dienstleistungen traditionell nutzte, war das Erheben von Steuern. Dies wurde unter Augustus fortgesetzt, aber mit einer signifikanten Änderung, die wiederum seine Autorität als Alleinherrscher widerspiegelte und noch erweiterte. In republikanischen Zeiten war die Summe der in einer Provinz zu erhebenden Steuern per Ausschreibung an private Unternehmen und Auftragnehmer verpachtet worden, die den Städten dann beim Eintreiben der Steuern helfen konnten. Es überrascht kaum, dass es 177

dabei erhebliche Missstände gab, zumal der Steuersatz auf einen Wert festgesetzt werden konnte, der nichts weiter als Ausbeutung war – vor allem weil man in Rom und Italien gar keine Steuern zahlte. Augustus unternahm endlich Schritte, um einige dieser Mängel zu beseitigen, auch wenn die Akteure im Finanzsektor sich damals wahrscheinlich ebenso wenig regulieren lassen wollten wie heute. Dabei übte er cura et tutela aus – Fürsorge und Schutz für alle die, die ihm anvertraut waren – und bestätigte damit für alle sichtbar (und zwar ganz real und nicht nur auf Münzen) sein Image als Beschützer und Patron aller Menschen. Dabei kam ihm durchaus zugute, dass ihm die Reichtümer der Provinz Ägypten, die ihm direkt unterstellt war, zur Verfügung standen; so musste er auf niemandes spezielle Interessen Rücksicht nehmen oder allzu hohe Steuern erheben. Seine eigene Herangehensweise – und diese soll im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen – war dabei klar erkennbar; sie fußte aber nicht auf einer ununterbrochenen Serie von Verfügungen und Verordnungen seinerseits (was wiederum typisch für ihn war). Solche Verordnungen erließ er nur selten. Ein Beispiel dafür sind Edikte, die auf eine ganz Reihe Probleme reagierten, die ihm durch Nicht-Römer in Kyrene gemeldet worden waren: Er verfügte, dass sich römische Bürger dort den lokalen Gesetzen unterordnen mussten und dass bei Gerichtsverfahren, an denen Griechen beteiligt waren, die Hälfte der Geschworenen Griechen sein mussten. Er mischte sich auch kaum in die Angelegenheiten der rund 400 Städte in Italien ein. Eine Priorität war der Straßenbau, der das Reich (rein physisch) zusammenschweißen sollte, und dieser wurde durch kaiserliche Beamte geleitet. Aber wie wir aus entsprechenden Maßnahmen in Italien wissen, mussten sie dabei mit lokalen Behörden und Auftragnehmern zusammenarbeiten. So wollte es der Kaiser aus dem kleinen Städtchen Velitrae, und es war genau diese Ausgewogenheit, die seinen Regierungsstil charakterisierte. Kurz: Augustus war ein Herrscher, der sich einmischte. Dabei war er jedoch um ständige Kommunikation und Konsultation bemüht, anstatt überall zu intervenieren. Er bediente sich bestehender Netzwerke und Strukturen und lenkte sie in eine bestimmte Richtung. Inn Bezug auf die Wirtschaft des Reichs ist seine Rolle indes weit weniger deutlich. An modernen Standards gemessen, war die römische Wirtschaft unterentwickelt. „Dies bedeutet im Wesentlichen“, wie Garnsey und Saller erklären (1987, S. 43), „dass die Masse der Bevölkerung an oder nahe dem Existenzminimum lebte.“ Auch wenn Begriffe wie „am Existenzminimum“ nicht unbedingt präzise sind – einige Wirtschaftshistoriker bevorzugen zur weiteren Differenzierung den Begriff „mittellos“ –, hier soll der Begriff nicht zuletzt davor schützen, die augusteische Zeit (und die meisten anderen Epochen der griechisch-römischen Antike) lediglich aus der begrenzten Perspektive der erhaltenen materiellen Zeugnisse zu betrachten, die meist aus urbanen Kontexten stammen. Wie wir gerade festgestellt haben, spielten die Städte und Gemeinden eine wich­ tige Rolle, aber rund 80 Prozent der Bevölkerung lebte auf dem Land, und ihre 178

Lebensbedingungen dort waren ziemlich unterschiedlich. Viele Arbeiter zum Beispiel hatten nur befristete Anstellungen. Man muss sich außerdem klarmachen, dass der Großteil der Steuerlast von der armen Provinzbevölkerung zu tragen war. Ich habe bereits meine Vorbehalte gegenüber einem augusteischen „Goldenen Zeitalter“ geäußert, und man muss wissen, dass sich hinter dem wunderschönen architektonischen Erscheinungsbild der augusteischen Städte, auf das ich noch eingehen werde, sowohl in der Stadt als auf dem Land die Unfähigkeit verbarg, „eine umfassende Rahmenstruktur von Institutionen und Gesetzen zu entwickeln, die in der Lage gewesen wäre, die normalen Verbraucher vor dem Verhungern zu bewahren“ (Garnsey und Saller 1987, S. 85). Soweit wir das beurteilen können, wurde dies in der Zeit des Augustus durch seine relativ humane Steuerpolitik und eine höhere Sensibilität für die Bedürfnisse der Provinzen etwas abgemildert. Während des Pannonischen Aufstands zum Beispiel (siehe S. 101) wurden nicht etwa die Steuern in den Provinzen erhöht (immerhin waren die hohen Steuern dort einer der möglichen Gründe für den Aufstand), sondern stattdessen eine neue Erbschaftssteuer für römische Bürger eingeführt. Ein ebenso wichtiger Umstand war natürlich, dass mit der neuen Stabilität auch der Wohlstand wieder wuchs. Zwar hatten nicht alle Menschen etwas davon, aber doch viele. Auch hier führte Augustus – und dies ist ein weiterer Aspekt der „unterentwickelten Wirtschaft“ – keine grundlegenden Änderungen ein. Es gab eine politische Revolution und eine kulturelle, aber eine ökonomische Revolution gab es nicht. Wir sind noch Jahrhunderte entfernt von Institutionen wie einer Zentralbank oder einer nationalen Wirtschaftspolitik mit spezifischen Richtlinien. Stattdessen bestand die Wirtschaft des Reichs vor allem aus regionalen und lokalen Netzwerken. Sie profitierten von der besseren Stabilität des größeren imperialen Rahmens, von den freien Handelswegen über Land und Meer und von den schnelleren Verbindungen über Land durch die neu gebauten Straßen. Rom blieb zwar einer der Hauptverbraucher, aber es war nicht der Mittelpunkt aller wirtschaftlichen Tätigkeiten im Imperium. Die durch die pax Augusta geschaffenen Bedingungen steigerten auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten – sei es im Handel, für Investitionen oder in der Produktion – und die Zahl von Menschen, die an den daraus resultierenden Gewinnen teilhatten. Beim Versuch, aus dem Römischen Reich eine stabile Einheit zu machen, hatte sich Augustus zum Ziel gesetzt, weit mehr Menschen, die bislang nur Untertanen gewesen waren, zu Teilhabern zu machen. Die Wirtschaft war ein wichtiger Bereich, und seine „Politik“ in diesem Bereich funktionierte, obwohl – aus heutiger Sicht mag dies paradox scheinen – er dabei nicht auf detaillierte politische Maßnahmen setzte. Es gab aber auch einige Nebenwirkungen. Als die Bevölkerung wieder zu wachsen begann und die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte stieg, sanken die Löhne, wie sie das in einer solchen Konstellation oft tun (Wirtschaftshistoriker weisen gerne darauf hin, dass eine der Folgen der Pest im 14. Jahrhundert war, 179

dass die Löhne stiegen). Außerdem machten die immensen Kosten der Pannonischen Kriege akute finanzielle Gegenmaßnahmen erforderlich; im Jahr 6 n. Chr. zum Beispiel ernannte Augustus einen Beraterstab aus drei Senatoren, die untersuchen sollten, wo das Budget des Reichs Einsparungen zuließ (Dio 55.25.6). Wenn es um Fiskalpolitik ging, war er durchaus bereit, zu intervenieren.

Römische Lebensart für alle Stellen Sie sich vor, Sie reisten in den ersten Jahren nach Christi Geburt als Tourist durch das augusteische Reich. Was würde Sie am meisten beeindrucken? Sicherlich der kontinuierliche visuelle Rhythmus von Gebäuden und Strukturen, die römisch aussehen: Tempel, Theater, Märkte, Foren, Wasserleitungen, Brunnen und so weiter. Wie römisch diese im Einzelnen waren, variierte – viele waren Hybridformen aus lokalen Stilen und römischen Konventionen, aber alles in allem vermittelten sie ein überregionales Erscheinungsbild und wiesen viele Gemeinsamkeiten auf. Wie wir alle wissen, spielt Architektur eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Identitäten, denn öffentliche Gebäude sind (damals wie heute) ein wichtiger Teil unserer täglichen Wahrnehmung. Es gab unter Augustus einen echten Bauboom, doch inwieweit können wir dieses Phänomen als Hinweis auf ein zunehmendes Gefühl von Gemeinschaft ansehen? Eine mögliche Antwort ist bei den Sponsoren zu finden. Zu den Geldgebern gehörten lokale Eliten, die Kaiserfamilie und regionale Potentaten wie Herodes von Judäa, und oftmals stimmten sie ihre Handlungen untereinander ab. Der bedeutendsten und größten dieser Gruppen ging es vor allem um Selbstdarstellung. Einen Bau zu finanzieren war das eine; ein Gebäude in römischem Stil errichten zu lassen, fügte dem Ganzen eine Dimension hinzu, die die weiter gehenden Perspektiven und Verbindungen des Geldgebers reflektierte. Manche Sponsoren wollten so ihre Loyalität demonstrieren, doch das allein reicht als Motiv nicht aus – es winkten Macht, Status und vielerlei Chancen. Man war kein „Provinzler“ mehr, sondern hatte direkten Anteil am imperium Romanum und seiner Kultur und, was genauso wichtig war, an ihrer künftigen Entwicklung. Die Übernahme römischer Architektur hatte verschiedene Ausprägungen – von der reinen Nachahmung bis hin zu höchst kreativen Ergebnissen; auch hier gab es keine Gleichförmigkeit. Es war ein echter Internationaler Stil, der sich von seinem Namensvetter aus dem 20. Jahrhundert gerade dadurch abhebt, dass regionale Unterschiede eingearbeitet wurden; hier fand die Maxime „weniger ist mehr“ keine Beachtung. Die Art und Weise, wie sich die regionale Bevölkerung an römischen Vorbildern orientierte, verweist auf einen wichtigen Aspekt dieser Adaptionen, mit denen sich die Menschen in diversen Bereichen kultureller Aktivität in den neuen globalen Kontext einordneten: „Romanisierung bedeutete nicht 180

die komplette oder teilweise Anpassung an eine vorgefertigte römische Kultur, sondern die Erlangung der kulturellen Kompetenz, die dafür notwendig war, am Prozess teilzuhaben, der definierte, was ‚römische Kultur‘ überhaupt war“ (Kulikowski 1999, S. 2). Die römische Zivilisation war von den Provinzen übernommen worden, und dadurch gehörte sie nicht mehr ausschließlich Rom und Italien (vgl. Woolf 2005, S. 127). Aus den Provinzbewohnern wurden Miteigentümer, und das nicht nur im Bereich der Wirtschaft. Diese Entwicklung steht in direktem Zusammenhang mit der Rolle, die Augustus hierbei spielte. Bleiben wir noch einen Moment bei der Bautätigkeit: Wir können beobachten, dass er in diesem Bereich nie seine Amtsgewalt (potestas) ausübte. Es gab Ausnahmen, beispielsweise in Athen, wo er einen Tempel (der von einer nahegelegenen Stätte in Attika Stein für Stein dorthin verlegt wurde) und ein von Agrippa finanziertes Musiktheater (Odeion) mitten auf der Agora platzieren ließ, wo sie die öffentlichen Aktivitäten der Athener Bevölkerung behinderten, die sich recht hochnäsig gezeigt hatte. Weit häufiger jedoch nutzte er seinen Einfluss (auctoritas), um bestimmte Initiativen zu unterstützen, startete jedoch auch eigene Bauvorhaben und wirkte dabei eher in unterstützender als in vollstreckender Funktion. Die Zahl der Projekte, die er gestiftet hat, geht in die Hunderte. Dabei ließ er nicht nur neue Bauten errichten, er unterstützte auch den Wiederaufbau bestehender Gebäude, die durch Naturkatastrophen wie Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Das eigentlich Neue daran war das Ausmaß dieser Maßnahmen: In republikanischer Zeit hatte es Bautätigkeiten dieser Art in Italien und in den Provinzen nur sporadisch gegeben. Augustus kümmerte sich um alle seine Untertanen, seine Anstrengungen dabei waren enorm, und dies manifestierte sich in den allgegenwärtigen neuen Gebäuden auf für jeden spürbare Weise. Die von ihm gesponserten Bauten waren eine dauerhafte Möglichkeit für ihn, die Menschen zu beschäftigen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Er war nicht nur pater patriae, sondern auch pater orbis, der „Vater der Welt“, wie Ovid ihn ganz passend nannte, als er in der Provinz im Exil war (Fasti 2.130). Die Wohltaten des princeps und seiner Familienmitglieder wie Livia und Agrippa waren für alle sichtbar. Andere wichtige Akteure wie Herodes und Eurykles von Sparta ­trugen das Ihre dazu bei. Tatsächlich war Herodes der zweitgrößte Baumeister im östlichen Teil des Reichs. Wir können dieses Verfahren und dessen Endergebnis mit Augustus’ Wiederaufbau von Rom vergleichen (siehe Kapitel 6): Innerhalb der bestehenden Landschaft bildeten die neuen und die umgestalteten Gebäude ein System von Orientierungspunkten, die das riesige und oft heterogene Reich zusammenbrachte und vereinte – auf deutliche, aber kaum aufdringliche Art und Weise. Von nun an waren die einzelnen Teile des Reichs nicht mehr nur durch ihre geographische Nähe miteinander verbunden; neue Straßen und die schnelle Post (cursus publicus), durch die Regierungsbeamte mit wichtigen Briefen und Vorräten versorgt 181

wurden, verbesserten die Kommunikation und hatten eine ähnliche Funktion wie heute das Internet. Die Übernahme römischer Bautechnologie und Baumaterialien, etwa eines wasserdichten Spezialzements mit Vulkanasche (Puzzolane) für den Hafenbau, oder römischer Methoden zur Landvermessung und Aufteilung von Grundstücken (was auch bei einer genaueren Steuerveranlagung half) – all das trug mit dazu bei, das Reich zu vereinen. Genau wie die römische Kultur nicht monolithisch und stets im Wandel begriffen war, so war auch der Grad, in dem sie in den Provinzen angenommen wurde, ganz unterschiedlich. Sie war in sich bereits so heterogen, dass eine gleichförmige Übernahme kultureller Details gar nicht möglich war. An einem Ende des Spektrums standen Gallien und Teile Spaniens, wo die Auswirkungen auf Sprache und Kultur bis heute andauern. Strabo hob insbesondere Baetica im Südwesten Spaniens hervor (siehe Kasten 7.2), und sein Bericht betont auch die wichtige Rolle, die neu gegründete Veteranenkolonien in diesem Prozess spielen konnten. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen. Die Gründung neuer Städte und die Umsiedlung ehemaliger Soldaten bedurften der kaiserlichen Zustimmung, genau wie die Verleihung bestimmter Rechte wie des „latinischen Rechts“ und des römischen Bürgerrechts. In diesem Zusammenhang verfolgte Augustus eine gezielte Integrationsstrategie. Dabei war eine gewisse Internationalisierung dem Prozess bereits inhärent; die meisten Veteranen kamen nicht aus dem Kernland, so dass sie die römische Kultur nicht etwa durch ihre bloße Anwesenheit verbreiteten – ein solches Bild wäre viel zu simpel. Stattdessen wurden häufig Soldaten, die in einer der Provinzen aufgewachsen waren, als Veteranen in einer anderen angesiedelt, wobei an der Gründung vieler solcher Kolonien auch Einheimische beteiligt waren; die Städte, die Strabo erwähnt (Kasten 7.2), sind dafür ein gutes Beispiel. Die „Römer“ in diesen Städten waren eine internationale und multikulturelle Gruppe, die ein gemeinsames Ziel verfolgte. Augustus schuf ebenso praktische wie ausgeklügelte Rahmenbedingungen, die diesen Prozess vorantreiben sollten. Er begründete eine neue juristische Kategorie, das „italische Recht“ (ius Italicum), das umfassender war als das latinische Recht, aber immer noch unterhalb der vollen Staatsbürgerschaft rangierte. Am anderen Ende des Spektrums standen Einheimische ohne diese Rechte (peregrini), die ebenfalls aufgefordert wurden, neue Städte zu gründen. Aber auch sie waren Nutznießer kaiserlicher Wohltaten und wurden als Teil des imperium Romanum behandelt und nicht als besiegte Untertanen. Ein weiterer Anreiz war, dass jede bereits bestehende oder neu gegründete Stadt oder Gemeinde darauf hoffen konnte, auf die nächsthöhere Stufe erhoben zu werden – was ganz und gar Augustus’ Ermessen unterlag, aber die Bewohner nichtsdestotrotz anspornte, sich dem römischen Mainstream noch weiter anzupassen. Aus vielerlei Gründen war dies im Westen eine weitaus einfachere Aufgabe als im griechischen Osten. Anders als von den Bewohnern der Baetica konnte man 182

7.2. Aus Spaniern werden Römer „Die Turdetaner hingegen, und besonders die, die um den Fluss Baetis herum wohnen, haben ihre Lebensweise völlig den Römern angeglichen und sogar ihre eigene Sprache vergessen. Die meisten von ihnen sind Latiner geworden (d. h. mit latinischem Recht ausgestattet) und haben römische Kolonisten aufgenommen, so dass nur wenig daran fehlt, dass sie vollständig römisch sind. Auch die kürzlich angelegten Städte Pax Augusta bei den Kelten, Augusta Emerita bei den Turdulern, Caesar Augusta bei den Keltiberern und einige andere Siedlungen zeigen deutlich die Veränderung hin zu den (römischen) Modi bürgerlichen Lebens, die ich bereits erwähnt habe. Daher werden auch alle Iberer, die zu diesen gehören, ,Togaträger‘ genannt. Dazu zählen selbst die Keltiberer die man einst für die Wildesten überhaupt hielt.“ Strabo, Geographie 3.2.15 Strabo berichtet hier wahrscheinlich nicht aus erster Hand, aber die archäologischen Zeugnisse aus Baetica (siehe Karte 1) stützen diese Sicht. Es war die am weitesten urbanisierte der drei spanischen Provinzen, dort musste nicht einmal eine römische Legion stationiert werden. Das „latinische Recht“ war der erste Schritt zum römischen Bürgerrecht. Es brachte wirtschaftliche Privilegien, und der Vorstand einer Gemeinde mit latinischem Recht wurde automatisch römischer Bürger. Augusta Emerita bedeutet wörtlich „augusteische Stadt [von Soldaten] im Ruhestand“ (vgl. unseren Begriff „emeritiert“). Heute heißt die Stadt Mérida, ein Name, der weit nach Westen wanderte und den dort auch die Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Yucatán trägt.

von den Griechen wirklich nicht erwarten, dass sie ihre eigene Sprache vergaßen. Tatsächlich war Augustus’ kosmopolitisches Reich – abgesehen von den vielen lokalen Sprachen – weitgehend zweisprachig: Latein war die Sprache der offiziellen Transaktionen, aber die lingua franca, die für die tägliche Kommunikation verwendet wurde, war Griechisch, genauer gesagt das Koine--Griechisch, in dem auch das Neue Testament verfasst wurde. Augustus selbst schrieb bei vielen Gelegenheiten in griechischer Sprache, und die Res Gestae sind ja zugleich auf Latein und auf Griechisch verfasst (die griechische Fassung war keine bloße Übersetzung der lateinischen, sondern orientierte sich an der Denkweise eines griechischen Publikums). Die Griechen in Griechenland und im hellenisierten Osten wollten ihre Kultur nicht aufgeben, und sie entwickelten eine Vielzahl von Strategien, um ihre kulturelle Tradition lebendig zu erhalten. Doch wie würde die Übermacht des Römischen Reichs ihre Identität, in kultureller Hinsicht und ganz allgemein, 183

­ eeinflussen? Natürlich war die römische Kultur als Fusion griechischer und itab lischer Elemente entstanden, aber nun gab es ganz neue Rahmenbedingungen. Was war die beste Strategie, um sich anzupassen?

Der römische Kaiserkult In diesem Zusammenhang entstand auch der Kaiserkult. Dieser Kult war, wie so viele in der Antike, Teil der zivilen Religion. Es war ein Kult, der nichts mit einem moralischen Verhaltenskodex, Heilsversprechen oder einer besonderen Theologie zu tun hatte. Forscher haben zudem mit Recht darauf hingewiesen, dass es nicht den einen Kaiserkult gab; stattdessen war dieser Kult, ganz im Einklang mit der Vielfalt der römischen Zivilisation der Kaiserzeit, das Ergebnis lokaler und regionaler Initiativen und daher äußerst facettenreich. Seinen Anfang nahm er im Osten, wo schon viel früher weltliche Herrscher als Götter verehrt wurden, und breitete sich dann auch auf andere Gebiete des Römischen Reichs aus. Der Kaiserkult war eine Reaktion auf das Bedürfnis nach einer Figur, die Einheit und Gemeinschaft stiftete, und Augustus, als Repräsentant und Symbol für die Einheit des Imperiums, war eine solche Figur. Welchen direkten Einfluss hatte Augustus auf den Kult? Einmal mehr sehen wir hier ein vertrautes Muster: Vor allem unterstützte er die Initiativen anderer. Noch als Octavian erlaubte er – in Reaktion auf Anfragen von den Provinzversammlungen in Asia und Pontus/Bithynia (siehe Karte 1) –, dass römische Bürger in Nikaia und Ephesos einen Kult und einen Tempel für den vergöttlichten Julius Caesar und die Göttin Roma einrichteten. Den nichtrömischen „Hellenen“ in Pergamon und Nikomedia gewährte er ebenfalls einen Kult und einen Tempel, für Roma und – ihn selbst. Die Quellen stellen indes klar, dass er nicht als „Gott“ (theos) bezeichnet werden wollte. Von da an etablierten sich keine weiteren derartigen Einrichtungen auf Provinzebene, aber es gab viele lokale Aktivitäten, die keine direkte (oder sonstige) Erlaubnis aus Rom benötigten. Diese Kulte vermehrten sich rasch und damit auch die Bezeichnungen für den Kaiser wie etwa „gottgleich“, „Sohn Gottes“, „Erlöser“ oder „der Gott“. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass dies nicht anachronistisch aus monotheistischer Perspektive betrachtet werden darf. „Gott“ war im griechischen und römischen Polytheismus alles andere als ein einheitlich verwendeter Begriff . Die Schriften griechischer Intellektueller (und anderer) machen deutlich, dass der Kaiser nicht einfach „einer der Götter“ war. Was die materielle Komponente seines Kults betrifft, so teilte er sich oft einen Tempel mit einer anderen Gottheit. In solchen Fällen achtete man genau darauf, ihn nicht als den traditionellen Göttern gleichgestellt zu präsentieren – ob nun durch die architektonische Gestaltung, die Aufstellung der Kultbilder oder die gewählten Opfertiere. Es herrschten 184

Flexibilität und Vielfalt vor; von einer „kaiserlichen Theologie“ oder dem „Evangelium nach Caesar“ zu sprechen, wäre Unsinn. Um es stattdessen mit den scharfsinnigen Worten von Simon Price zu sagen: „Der Kaiserkult konstruierte, zusammen mit der Politik und der Diplomatie, die Wirklichkeit des Römischen Reichs“ (1986, S. 248). Nach Jahrzehnten der Kriege und der Etablierung einer neuen Ordnung stand der Kaiserkult für Stabilität – er stellte eine Möglichkeit dar, sich innerhalb der veränderten und sich weiterhin verändernden politischen Rahmenbedingungen zu orientieren. Und er bot vor allem den griechischen Gemeinden eine Gelegenheit, innerhalb dieser Rahmenbedingungen einen ganz eigenen Ausdruck zu finden und den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden. Hier manifestierte sich keine starke Hand imperialer Politik, die die Identität eines Ortes oder einer Region unterdrückt hätte. Vielmehr (und hier zeigt sich die wechselseitige Dynamik dieser Vorgänge) „verstärkte die Existenz der römischen Herrschaft die Vormachtstellung griechischer Kultur noch“ (Price 1986, S. 100). Die lokalen Eliten im Osten, auf deren Schultern die Stabilität des Reichs unter Augustus zum großen Teil ruhte, bekräftigten dadurch, dass sie den Kaiserkult förderten, ihre eigene Bedeutung. Die Feste, die sie organisierten, darunter aufwendige Prozessionen und andere Spektakel, waren für die gesamte Bevölkerung eine willkom­ mene Abwechslung. In Italien und im Westen entwickelte der Kult sein ganz eigenes Gesicht; das galt auch für die soziale und wirtschaftliche Klasse, die für ihn verantwortlich war – und das waren überwiegend Freigelassene, die Vereinigungen (collegia) zur Unterstützung des Kultes gründeten, die man Augustales nannte (siehe Kasten 7.4). Diese collegia waren ein sozioökonomisches Phänomen und ihre Mitglieder verhielten sich eher wie die späteren Rotarier, als dass sie den Kaiser in einem enger gefassten religiösen Sinn angebetet hätten. Hier ging es um weitaus mehr als religiöse Frömmigkeit und Zeremonien, nämlich darum, einen offiziellen Status zwischen städtischer Aristokratie und Plebs zu erreichen. Die Freigelassenen waren eine tatkräftige Klasse, und viele von ihnen waren wohlhabende Unternehmer. Es war durchaus wichtig, dass sie eine Möglichkeit erhielten, sich in der Öffentlichkeit zu betätigen und substanzielle Anerkennung zu erfahren. Neben dem Kaiserkult ließ man sie ihren Beitrag zu den laufenden Bedürfnissen der Städte leisten, etwa zur Unterstützung von Baumaßnahmen und zum Sponsoring von Festen und Unterhaltung. Die zivile Religion war eine perfekte Möglichkeit, einem wichtigen Kreis von Anhängern eine größere Beteiligung am öffentlichen Leben zu ermöglichen. In Rom erlaubte Augustus den Kaiserkult nicht; dafür ließ man hier, wie wir gesehen haben, die Freigelassenen als Funktionäre am ganz ähnlichen Kult der Laren und des genius des Augustus teilhaben. Und damit sind wir wieder bei der Rolle des Augustus – handelte es sich hierbei um gezielte sozialpolitische Maßnahmen? Beim Laren-Kult in Rom spielte er eine direkte Rolle: Er sorgte im Zusammenhang mit der Neuorganisation der 185

7.3. Zweisprachige Inschrift aus dem Theater von Leptis Magna

Abbildung 22. Zweisprachige Inschrift, ca. 1 n. Chr.

IMP(ERATORE) CAESARE DIVI F(ILIO) AUG(USTO) PONT(IFICE) MAX(IMO) TR(IBUNICIA) POT(ESTATE) XXIV CO(N)S(ULE) XIII PATRE PATR(IAE) | ANNOBAL RUFUS ORNATOR PATRIAE AMATOR CONCORDIAE | FLAMEN SUFES PRAEF(ECTUS) SACR(ORUM) HIMILCHONIS TAPAPI F(ILIUS) D(E) S(UA) P(ECUNIA) FAC(IENDUM) COER(AVIT) | IDEMQ(UE) DEDICAVIT [gefolgt von der punischen Inschrift] „Als Imperator Caesar Augustus, Sohn des Göttlichen, pontifex maximus, im 24. Jahr seiner tribunizischen Amtsgewalt war und das Konsulat zum 13. Mal hielt und Vater des Vaterlandes war, bestellte Annobal Rufus, der sein Land verschönerte und die Eintracht liebte, Priester, Ratsmitglied und Vorsitzender der heiligen Riten, Sohn des Himilcho Tapapus, diesen Bau aus eigenen Geldern und weihte ihn.“ Datiert zwischen dem 1. Juli 1 n. Chr. und dem 30. Juni 2 n. Chr. Dies ist nur ein Beispiel von vielen solcher Inschriften, die im ganzen Reich zu finden waren. Es gab zahlreiche Variationen – in Gallien beispielsweise wurden einige Inschriften in einer keltischen Sprache verfasst, aber in lateinischer 186

Schrift. Annobal Tapapius Rufus (wir kennen seinen vollen Namen aus einer anderen Inschrift) war, wie es oft vorkam, ein führendes Mitglied seiner Gemeinde und ließ große Gebäude errichten, wie zum Beispiel ein Theater in überwiegend römischer Bauweise. Dazu gehörte ein kleiner Tempel, wahrscheinlich für den Kaiserkult. Für die Kombination von Tempel und Theater stand das Theater des Pompeius in Rom Pate (siehe Karte 2), und sie kam auch in Italien vor (vgl. MacMullen 2000, S. 35–42). Der Text der Inschrift stammt aus The Inscriptions of Roman Tripolitania, hrsg. v. J. Reynolds und J. B. Ward Perkins (1952), S. 98, Nr. 321

7.4. Augustales IMP CAESARI DIVI F AUGUSTO PONTIF MAXIM COS XI TRIBUNIC POTESTAT XI MAGISTRI AUGUSTAL PRIM PHILIPPUS AUGUSTI LIBERT M. AEBUTIUS SECUNDUS M. GALLIUS ANCHIA[L]US P. FIDUSTIUS ANTIGONUS „Dem Imperator Caesar, Sohn des Göttlichen, Augustus, pontifex maximus, im 11. Jahr seines Konsulats, im 11. Jahr seiner tribunizischen Amtsgewalt, haben die leitenden Beamten der Augustales, Philippus, Freigelassener des Augustus, Marcus Aebutius Secundus, Marcus Gallius Anchialus und Publius Fidustius Antigonos (dies gewidmet).“ CIL (Corpus Inscriptionum Latinarum) 11.3200 Dies ist eine der frühesten Inschriften (ca. 12 v. Chr.) eines Zusammenschlusses von Augustales. Sie wurde in Nepet gefunden, einer kleinen Stadt in Etrurien. Die Namen weisen auf eine ausländische Herkunft hin, die letzten beiden sind nachweislich Griechen. Es ist nicht untypisch für unsere Quellenlage, dass die Augustales in der Literatur nur einmal erwähnt werden (in Petronius’ Satyricon aus der Zeit des Nero), ihre Existenz aber durch rund 2.500 Inschriften bezeugt ist. Siehe S. Ostrow „The Augustales in the Augustan Scheme“, in: Raaflaub und Toher (1990), S. 364–379 187

­ ezirke und Stadtteile Roms auch für eine entsprechende Anpassung dieses Kults B (siehe S. 115/116). Was die Augustales und ihren Kult betrifft, so gibt es kaum Hinweise darauf, dass Augustus direkt interveniert hätte. Stattdessen können wir eine Vielzahl lokaler Initiativen, Motivationen und Ziele ausmachen sowie Nachahmungen und Konkurrenzkämpfe zwischen einzelnen Städten. Andererseits gab Augustus dieser Entwicklung ganz offensichtlich seinen Segen und unterstützte sie. Das harmonische Verhältnis, das er mit diesem wichtigen Teil der Gesellschaft etablierte, spiegelt sich auch darin wider, dass die Freigelassenen in ihrer Kunst Symbole verwendeten, die mit der Schlacht bei Actium in Verbindung stehen – Szenen mit Kriegsschiffen im Kampf, Bugsprieten und Krokodile –, „weil sein Sieg eigentlich der ihre gewesen war“ (Kellum 2011, S. 201). Insgesamt sehen wir Augustus auch hier noch einmal in seiner Lieblingsrolle, als auctor, der Initiativen anderer genehmigt und fördert, selbst jedoch im Hintergrund bleibt. Der Kaiserkult selbst und seine Organisation wurden nicht zentral gesteuert, weder im Osten noch im Westen. Und das war ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass er so erfolgreich und lebendig war.

Schlussbetrachtung: Religiöser und kultureller Pluralismus, Toleranz und reale Lebensbedingungen Wie so viele andere Aspekte, die mit Augustus in Verbindung stehen, sollte man den Kaiserkult nicht isoliert betrachten, sondern als Teil eines größeren Ganzen. Gerade im Hinblick auf seine physische Präsenz war er in eine größere religiöse Landschaft der Tempel und Schreine eingebettet, die vielen unterschiedlichen Göttern geweiht waren. Der religiöse Pluralismus, der darin zum Ausdruck kam, war ein bedeutender Faktor bei den Bemühungen um den Zusammenhalt und die Stabilität des Reichs – in weitaus größerem Maße, als es eine unitäre Religion vielleicht gewesen wäre. Viele Hauptgottheiten hatten natürlich ihren festen Platz im ganzen Reich und begegneten einem immer wieder, wenn auch oft in besonderer lokaler bzw. regionaler Ausprägung. Dazu kamen weitere, einheimische Gottheiten; die kosmopolitischen Römer betrachteten viele von ihnen als lokale Variationen ihrer eigenen Götter und interpretieren sie entsprechend um (interpretatio Romana), was die religiöse Vielfalt noch vergrößerte. Was aber das Wichtigste ist: Wohin man auch kam, herrschte Religionsfreiheit; religiös motivierte Kriege gab erst in viel späteren Zeiten und in (angeblich!) höher entwickelten Gesellschaften. Eine solche ­Atmosphäre und Praxis der Toleranz war ein wesentliches Merkmal auch anderer großer Imperien auf ihrem Höhepunkt, wie Amy Chua in ihrer anregenden Analyse (2007) ausgeführt hat. Toleranz war ein Konzept, das viele unterschiedliche Komponenten zusammenzufügen vermochte, anstatt sie voneinander zu trennen. 188

Gerade weil es keine konkurrierenden Ansprüche auf die Vorherrschaft gab, musste die Toleranz nicht als politische Strategie „von oben“ verordnet werden. Vielmehr war es eine Frage des Laisser-faire und einer Tradition, die noch aus der Zeit der Republik stammte. Dieser „Supermarkt der Religionen“ war lediglich ein Aspekt des weiter gespannten kulturellen Pluralismus. Die römische Kultur wurde zur Weltkultur, weil sie Andersartiges in sich aufnahm und Einflüsse von vielen verschiedenen Seiten gestattete; Parallelen zum globalen Charakter der amerikanischen Kultur

7.5. Kulturelle Globalisierung „Amerikas Kultur hat den Rest der Welt nicht in eine Kopie der USA verwandelt. Stattdessen sind die USA so sehr von fremden Kulturen abhängig, dass aus Amerika eine Kopie der Welt geworden ist.“ Pells (2011), S. 405 „Daher möchte ich betonen, von welcher Gegenseitigkeit die Verbindungen Amerikas zu anderen Ländern wirklich sind. Die USA haben genauso viel globale Kultur importiert wie exportiert. Aber die Macht des amerikanischen Kapitalismus und die Tatsache, dass alle Welt Englisch versteht, sind allein noch nicht der Grund für Amerikas kulturelle Vormachtstellung. Die amerikanische Unterhaltungsindustrie ist seit jeher eher weltoffen als ,imperialistisch‘. Und es ist eben diese Weltoffenheit, die Amerikas Massenkultur zu einem globalen Phänomen macht. Die Heterogenität der amerikanischen Bevölkerung – ihre regionale, religiöse und ethnische Vielfalt – zwingt die Medien schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts, mit Nachrichten, Bildern und Geschichten zu experimentieren, die einem breiten, multikulturellen Geschmack Rechnung trägt.“ Pells (2002) Mutatis mutandis (wie es so elegant auf Latein heißt) ist dies eine durchaus passende Charakterisierung der Kultur des römischen Kaiserreichs – ersetzen Sie einfach „Amerika“/„USA“ und „amerikanisch“ durch „Rom“ und „römisch“ sowie „Englisch“ durch „Latein“. Pells, R., Modernist America: Art, Movies, and the Globalization of American Culture (New Haven 2011). Ein früherer, zusammenfassender Artikel erschien in The Chronicle of Higher Education (12. April 2002), S. B7–B9. 189

zu suchen – die „Amerikanisierung“ als Parallele zur „Romanisierung“ – ist durchaus verführerisch (siehe Kasten 7.5). Zwar geht diese Tradition wiederum auf die Republik zurück, sie trat im Laufe der Weiterentwicklung des Reichs unter Augustus (und seinen Nachfolgern) aber umso deutlicher hervor. In Bezug auf administrative und militärische Richtlinien ging sie von Rom und vom dortigen Herrscher aus. In Bezug auf die Kultur beruhte sie weitaus mehr auf Gegenseitigkeit. Rom wurde auch in dieser Hinsicht zum „Haupt der Welt“, zum caput mundi, da es eine wachsende Zahl von Einwohnern aus den Provinzen anzog, die ihre Kulte und ihre Kultur mitbrachten. Der kosmopolitische Charakter der Stadt reflektierte den des gesamten Römischen Reichs. Man schätzt, dass in Rom unter Augustus rund eine Million Menschen wohnten. Allerdings würde es an dieser Stelle in die Irre führen, betrachtete man Augustus’ Imperium als eine Art Paradies der Aufgeklärten. Wie wir gesehen haben, lebten rund mindestens 80 Prozent der Bevölkerung des Römischen Reichs auf dem Land, und dort fand eine „Romanisierung“ vielerorts (wenn überhaupt) nur oberflächlich statt. Die Landbevölkerung bezeichnete man als pagani, nach den pagi, den nichtstädtischen Bezirken, in denen sie lebten (daher die spätere Bezeichnung „pagan“ im Sinne von „heidnisch“). Die Lebensbedingungen waren durchaus unterschiedlich, aber die meisten Bewohner des Reichs bewegten sich, wie wir gesehen haben, am Rande des Existenzminimums, und auch die Städte waren nicht gegen Hungersnöte und Krankheiten gefeit. Ferner sollte man, wie David Mattingly ganz richtig schreibt, daran denken, dass „das Römische Reich nicht nach altruistischen Prinzipien regiert wurde; es entwickelte durchaus ­Mechanismen zur Ausbeutung von Land und Leuten“ (2011, S. 164). Allerdings war Augustus, der reichste Mann im Römischen Reich, zugleich sein größter Wohltäter. Dabei die richtige Balance zu finden, war genauso ein work in progress wie das Imperium selbst und seine Kultur.

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8 Die letzten Tage und eine Bewertung Tod eines Kaisers „Augustus wurde krank und starb“, schreibt Dio (56.30). Natürlich wäre kein gründlicher Biograph, ob antik oder modern, mit einer Information dieser Kürze zufrieden, und auch Dio wollte sich nicht damit begnügen. Der Tod einer Legende, und vor allem einer Legende, die zu seiner eigenen Zeit lebte, benötigte weitere Einzelheiten und Dramatik. Und die gab es auch, und zwar nicht zu knapp; die meisten Schriftsteller griffen in die übliche Trickkiste der Vorzeichen, die denen ähnelten, die man im Nachhinein Augustus’ Geburt zuordnete, und schufen so einen schönen Rahmen für sein Leben. Außerdem halfen beispielsweise kreischende Eulen und Blitze, eigentlich alltäglichen Vorgängen eine Aura des Übersinnlichen und Unglaublichen zu verleihen. Wenn wir uns die Berichte vor allem von Sueton, Dio, Tacitus und Velleius ansehen, gelangen wir zu einer einiger­ maßen genauen Rekonstruktion der Umstände, frei von Verzerrungen, wie wir sie bei Tacitus finden, der an Livia kein gutes Haar lässt. Im August 14 n. Chr. schickte Augustus Tiberius nach Illyricum, das Territorium der Provinzen Dalmatien und Pannonien (siehe Karte 1), um den „Frieden zu stärken“. Er plante, ihn nach Süden zu begleiten, bis nach Benevent, und sich im Anschluss in Neapel ein paar sportliche Wettkämpfe anzusehen. Auf dem Weg wurde er krank und bekam Durchfall – gerade weil Durchfall so banal klingt, ist dieses Detail wohl authentisch. Er ruhte sich ein paar Tage lang auf Capri aus. Laut Sueton (Augustus 98) nahm er diesen Aufenthalt, um die für die römische Kultur typische Mischung griechischer und römischer Elemente zu fördern: „Er verteilte Togen an die Griechen und griechische Umhänge (pallia) an die Römer; er bestand darauf, dass die Römer Griechisch sprachen und sich wie Griechen kleideten und dass die Griechen das Gegenteil taten.“ Jovialer Gastgeber, der er auch auf dem Palatin stets war, gab er eine lebhafte Dinnerparty, auf der sich die jungen Gäste großartig vergnügten, und Augustus selbst nahm fröhlich daran teil (siehe S. 154). Er machte Witze über Vorkommnisse auf der Insel und scherzte mit Tiberius’ Astrologen. Keine düsteren Vorahnungen weit und breit. 191

Dann reiste er weiter nach Benevent, um Tiberius zu verabschieden. Bald nachdem er von dort wieder aufgebrochen war, verschlimmerte sich sein Zustand wieder, und er musste in Nola Halt machen – zufällig in ebenjenem Haus, in dem sein Vater Octavius gestorben war. An dieser Stelle widersprechen sich die verschiedenen Berichte: Bei Tacitus ist es wieder einmal die böswillige Livia, die ihre Hand im Spiel hat; Dio spinnt diesen Stoff weiter und lässt sie Augustus vergiftete Äpfel zu essen geben; beide Autoren lassen sich auch detailreich über den Mord an Agrippa Postumus aus. Ein weiterer Akt in diesem Melodrama ist, dass Tiberius zurück nach Rom geholt wurde – traf er noch rechtzeitig genug ein, um mit Augustus zu sprechen oder nicht? Velleius behauptet, dass dies der Fall gewesen sei, und auch wenn seine sentimentale Version eine Art Gegengewicht zu den anderen beiden darstellt (Augustus’ „Geist kam zur Ruhe, als sein geliebter Tiberius die Arme um ihn schlang“, 2.123.2), ist es doch eher unwahrscheinlich, dass er dieses Treffen einfach erfunden hat, wenn man bedenkt, dass sein Text von aufmerksamen und kritischen Zeitzeugen gelesen wurde. Ein beliebter Bestandteil eines solchen Dramas sind auch immer die letzten Worte des Sterbenden, und auch dies sollte ein Bereich sein, in dem Augustus einen Trend setzte. Damit sind nicht so sehr seine Abschiedsworte an Livia gemeint, die weiter oben zitiert wurden (siehe S. 125) und die in all ihrer Einfachheit die lebenslange enge Bindung zwischen den beiden bezeugen; vielmehr geht es um die Szene, die jener vorausging: Er bat um einen Spiegel, ließ sich die Haare kämmen und die schlaffen Wangen abstützen und rief dann seine Freunde herein. Hier wollen wir einen Moment innehalten: Wenn wir ihm ein paar letzte Worte in den Mund legten, wie würden sie lauten? Eine klangvolle Botschaft an den Rest der Welt über die pax Augusta? Ein erhebendes Zitat aus Vergils Aeneis? Oder vielleicht eine nachdenk­ liche Maxime des Horaz? Er entschied sich für etwas anderes (Sueton, Augustus 99) und fragte seine Freunde: „Habe ich meine Rolle im Mimus des Lebens gut gespielt?“ Und dann fügte er noch einen Satz hinzu, auf Griechisch, der üblicherweise am Ende einer Komödienaufführung das Publikum zum Applaus aufforderte: Das Spiel ist zu Ende, bitte applaudiert!

Damit war der offizielle Teil vorbei, nun waren nur noch seine Familienmitglieder anwesend. Er erkundigte sich über den Gesundheitszustand einer seiner Enkelinnen, sprach mit Livia, und dann, als ihn die Lebensgeister verließen, rief er aus: „Vierzig junge Männer tragen mich fort!“ Wie Sueton anmerkt, war dies genau die Anzahl der Prätorianer, die die Ehrengarde bildeten, als sein Leichnam aufgebahrt wurde. Was sollen wir davon halten, dass Augustus in der Rolle eines Schauspielers diese Welt verließ? Man muss dies alles nicht überinterpretieren, aber in gewisser Weise ergab diese Wahl durchaus Sinn. Schließlich ist die ganze Welt eine Bühne. Ein Schauspiel ist nicht von der Realität getrennt, sondern ermöglicht es uns, die 192

Realität aus der Ferne zu betrachten. Der Mimus war kein tiefsinniges Drama, sondern eine fröhliche Farce. Zwar war Augustus Patron einer Kultur, die an Kultiviertheit – sei es in Kunst, Poesie oder Architektur – ihresgleichen suchte, doch er selbst repräsentierte, wie wir gesehen haben, nie die Hochkultur, sondern hatte Spaß an Volksbelustigungen, wie eben auch dem Mimus und der Pantomime. Er war gut darin, Shows zu inszenieren, und war ein Entertainer, aber das bedeutete nicht automatisch einen Mangel an Substanz – im Gegenteil. Diese letzte Inszenierung ist typisch für Augustus: Die Ernsthaftigkeit des Sterbens, gemildert durch eine Prise leichten Humors, hielt die Anwesenden zum Nachdenken an – darüber, was für ein Leben Augustus gelebt hatte, welche Leistungen er vollbracht und wie viele Rollen er gespielt hatte (und hatte spielen müssen), um das alles zu tun. Spätere Kaiser nahmen sich seine letzten Worte zum Vorbild, aber keiner erreichte diese vielschichtige Tiefe. Vespasian hielt sich an den Humor, als er ausrief: „Mein Gott, ich werde zum Gott“, während Nero seinen persönlichen Wahnvorstellungen treu blieb und sagte: „Welch ein Künstler geht mit mir zugrunde!“ Augustus starb am 19. August 14 n. Chr. An eben diesem Tag 57 Jahre zuvor war er zum ersten Mal Konsul geworden. Sein Leichnam wurde nach Rom überführt, wo die Senatoren sich einander darin zu übertreffen versuchten, Vorschläge zur Ehrung des Verstorbenen zu unterbreiten; einer war, die Zeit seiner Herrschaft fortan als „das augusteische Jahrhundert“ zu bezeichnen. Der Senat versammelte sich anlässlich der Verkündung seines letzten Willens. Es wurde eine langwierige Veranstaltung: Neben dem eigentlichen Testament, das die Erbschaft regelte, gab es vier Anhänge, inklusive genauer Anweisungen für die Beerdigung und die Aufzeichnung seiner Taten, die im Prinzip die Res Gestae sind. Es kann kaum überraschen, dass er als Erben Tiberius (zwei Drittel) und Livia (ein Drittel) einsetzte; der Senat sorgte dafür, dass die gesetzliche Obergrenze dessen, was eine Frau erben durfte, für Livia außer Kraft gesetzt wurde. Die Liste der weiteren Personen, die von Augustus bedacht worden waren, war lang, darunter waren einige ausländische Könige; wie bereits dargelegt, waren solche Schlüsselfiguren und Netz­ werke ein wesentlicher Faktor für die Stabilität des Mittelmeerraums im Rahmen der pax Augusta. Was die Begünstigten in der Stadt anging, so schloss sich hier auf gewisse Weise ein Kreis: So wie der junge Erbe Caesars dem Volk das Erbe seines Adoptivvaters ausgezahlt hatte, so hinterließ nun Augustus seinerseits dem „römischen Volk“ (soll heißen: den plebejischen Haushalten in der Stadt, die von Getreidespenden leben mussten) 40 Millionen Sesterzen. Daneben bedachte er mit einer gewissen Summe seine Soldaten. Die Bestimmungen des Testaments waren ein Spiegel von Augustus’ Leben und demonstrierten noch einmal die verschiedenen Seiten seines Charakters. Einerseits kümmerte er sich um die Kinder von ­Vätern, die ihm in ihrem Testament etwas vermacht hatten: Augustus ließ die Gelder treuhänderisch verwalten und den Kindern auszahlen, sobald sie erwachsen waren. Auf der anderen Seite gab es keinerlei Gnade für Julia: Sie erbte nichts, und er hob explizit ihr Anrecht auf, im Mausoleum begraben zu werden. 193

Dann kam der wirklich letzte Akt des Stücks: das Begräbnis nach seinem eigenen Drehbuch. Passenderweise beinhaltete es diverse Elemente eines Triumphs. Vielleicht als Erinnerung an den dreifachen Triumph im August 29 v. Chr. (den einzigen Triumph, den er sich selbst gewährt hatte) gab es drei Bildnisse von ihm zu sehen, darunter eines aus Wachs, das ihn in seinem Triumphgewand zeigte, und eines aus Gold, mit Augustus auf einem Triumphwagen. Wie wir immer wieder beobachten konnten, folgte Augustus der Tradition und brach zugleich mit ihr – hier war es nicht anders: Seine Bildnisse standen an der Spitze der Prozession anstatt am Ende. Er führte, anstatt zu folgen; die Parade selbst bestand aus Darstellungen der römischen Vorfahren und Ahnen der Familie, die bis zu Aeneas und Romulus zurückgingen, darunter sogar Pompeius, und der Völker, die Rom unterjocht hatte. Einige der Ersteren wurden durch Bilder repräsentiert, die die Familien zu Hause aufbewahrten, andere durch Schauspieler mit Masken. Die Prozession führte zum Forum Romanum, wo Tiberius und der jüngere Drusus Trauerreden hielten. Nach ihnen schlossen sich alle Senatoren, Ritter, ihre Frauen „und praktisch alle anderen Menschen, die sich zu jener Zeit in der Stadt aufhielten“ (Dio 56.42.1), dem Trauerzug an, der nun zum Marsfeld führte, wo der Leichnam im Ustrinum (siehe Karte 2) auf einem Scheiterhaufen abgelegt und verbrannt wurde. Ein Adler wurde freigelassen und stieg himmelwärts, aber das reichte noch nicht als Symbol: Wie im Nachgang zu Romulus’ Tod (siehe S. 79) trat ein respektabler Zeuge (Senator, ehemaliger Prätor) auf, der schwor, dass er gesehen hatte, wie Augustus gen Himmel aufgefahren sei. Am 17. September war Augustus nicht länger nur divi filius: Der Senat erklärte ihn zum divus Augustus. Er hatte das Ziel erreicht, das er sich in einer seinen ersten Reden in Rom gesetzt hatte: dem „ehrenhaften Vorbild“ seines Vaters nachzueifern. Caesars Bild konnte im Trauerzug nicht gezeigt werden, da er bereits divus war, aber seine Abwesenheit sorgte einmal mehr für eine umso stärkere Präsenz. Diese Präsenz wurde geradezu greifbar, als Tiberius von der Plattform des Tempels des Divus Julius aus seine Grabrede hielt. Kam es nach dem Tod des Herrschers von Rom nicht zu Unruhen? Augustus machte sich diesbezüglich große Sorgen, und auf seinem Sterbebett rief er wiederholt nach Tiberius. Vor allem um Gegenden wie Pannonien und Germanien sorgte er sich, und tatsächlich gab es dort vereinzelte Aufstände. Tacitus, der rastlose Verfechter republikanischer libertas, verdreht die Tatsachen so sehr, dass am Ende eine grelle Beschreibung von Rom herauskommt, das voll ist mit bewaffneten Soldaten, die die Bevölkerung einschüchtern, damit es während der Beerdigung nicht zu Ausschreitungen kommt. Wieder einmal jedoch sah die Realität ganz anders aus, als es viele befürchtet hatten. Die römischen Massen rebellierten damals bei nur einer einzigen Gelegenheit, und da ging es um einen beliebten Pantomimen-Schauspieler. Wie man es heute von vielen Spitzensportlern kennt, wollte er eine höhere Gage, als in seinem Vertrag festgelegt war, und das Volk stand hinter ihm. Die Angelegenheit wurde vor den Senat gebracht, der anschei194

nend einknickte. Mit dieser Episode endet die Augustus-Biographie von Dio (56.47.2), so wie Augustus sein Leben mit einer Szene aus dem mimus beschloss.

Bewertung Augustus’ Einfluss auf seine Welt und auf die Weltgeschichte im Allgemeinen war geradezu monumental. Er war eine Schlüsselfigur des klassischen Altertums, gleichauf mit Alexander, dessen Stirnlocke er zu seinem Markenzeichen machte, wenn auch auf charakteristisch römische Weise angepasst. Abseits der üblichen Kontroversen und Debatten über einzelne Aspekte seines Lebens und Wirkens, wie sie uns bei jeder herausragenden historischen Persönlichkeit unweigerlich begegnen, ist es die Gesamtheit seiner Leistungen, die wir uns klarmachen und die wir würdigen müssen. Nur den einen oder anderen Aspekt der vielfältigen Berichte über ihn herauszupicken – Kaiser Julian (reg. 361–363 n. Chr.) verglich Augustus einmal mit einem Chamäleon – ist natürlich möglich, aber das Ergebnis bleibt dann geradezu per definitionem partiell. Stattdessen sollten wir das Gesamtbild betrachten, das nicht unbedingt eine langweilige Synthese sein muss. Führungspersönlichkeiten zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie verschiedene Meinungen provozieren. Augustus provozierte sicherlich, wie wir bei Tacitus im Detail erfahren (vgl. Kasten 8.1a). Genau wie Amerikas beliebtester Nachrichtensender präsentierte er sich, wie er selbst meinte, als „fair und ausgewogen“ (sein Wortlaut: „ohne Zorn und Parteilichkeit“), aber wie immer sollten bei dieser Behauptung und ihrer nachgeschobenen Erklärung („ich habe nicht den geringsten Grund für solcherlei Empfindungen“) beim Leser die Alarmglocken schrillen; Tacitus behandelt nach dem Lob für Augustus die kritischen Meinungen über ihn und gibt ihnen wesentlich mehr Raum (siehe Kasten 8.1b). Typisch für solche Angriffe wie die bei Tacitus dargestellten ist, dass sie sich hauptsächlich um Octavians Aufstieg zur Macht drehen und um das, was er während des Triumvirats tat. Wie gezeigt, war dies die brutalste Epoche, die die Römer je erlebt hatten. Octavian war sich dessen damals durchaus bewusst – und seiner tiefen Verstrickung darin; umso mehr bemühte er sich, die Erinnerung daran durch systematische Vernichtung der offiziellen Dokumente aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Nach der Definition der heutigen Gedächtnisforschung ist das Vergessen das komplementäre Gegenstück zur Erinnerung, und genau das hatte Octavian erkannt (wie immer will ich das akademische Moralisieren an dieser Stelle anderen überlassen). Diese Epoche musste in irgendeiner Weise zum Abschluss gebracht werden; ein formeller juristischer Präzedenzfall war der sogenannte Amnestie-Erlass von 404/403 v. Chr. in Athen, der die „Erinnerung an Unglücke der Vergangenheit“ verbot – in diesem Fall an die Gräueltaten des „Herrschaft der Dreißig“ genannten Terrorregimes. Cicero hatte in einer Rede zwei Tage nach der Ermordung Julius Caesars auf diesen Präzedenzfall hingewiesen, um den Senat dazu zu überreden, 195

eine Amnestie für Caesars Mörder zu verabschieden. Eine heutige Parallele, die die gravitas solcher Fragen im politischen und historischen Bereich überhaupt nicht schmälern soll, ist die erklärte Notwendigkeit des Vergessens und des Löschens von Daten im digitalen Zeitalter. Der entscheidende Punkt ist, dass Augustus ja auch nach der Triumviratszeit aktiv blieb und sein Verhalten in jeder Hinsicht änderte. Es war an der Zeit, das Vergangene hinter sich zu lassen – für jeden. Dies war der kritische Wendepunkt, und das war nicht gerade zu erwarten. Seine Behauptung, er habe „Macht über alle Dinge“, war nicht übertrieben; alle Türen standen ihm offen. Den meisten Menschen rund ums Mittelmeer hätte es gereicht, dass die ruinösen Kriege zu Ende waren, dass sie zu einem normalen Leben zurückkehren konnten, zur Ruhe finden und ein wenig materielle Sicherheit erreichen. Wenn es eines Monarchen bedurfte, um diese grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, dann sollte das eben so sein. Zumindest war er der „Monarch aller“ (Momigliano 1940, S. 80), der nicht lediglich am Wohlergehen einer kleinen Clique interessiert war. Natürlich sollte ein solcher Monarch möglichst kein paranoider Diktator oder blutrünstiger Tyrann sein. Eine Rückkehr zu „Gesetz und Recht“ (siehe Abb. 7) hätte genügt, doch standen andere Möglichkeiten zur Verfügung als die republikanische Verfassung, die der Aufgabe nicht gewachsen gewesen war. Octavian gab seine Macht nicht auf, sondern versuchte, sie in einer Art und Weise auszuüben, die für die

8.1a. Augustus: Pro „Manche sagten, er sei aus Pflichtgefühl seinem Vater gegenüber zum Bürgerkrieg getrieben worden und wegen der Bedrängnis der res publica, in der damals die Gesetze nichts galten, ein Lauf der Dinge, auf den sich niemand hätte vorbereiten und den niemand mit redlichen Mitteln hätte bekämpfen können. Und als er Rache an den Mördern seines Vaters nehmen wollte, habe er Antonius und Lepidus viele Zugeständnisse gemacht. Als Letzterer durch seine Trägheit altersschwach geworden war und Ersterer an seinen Lastern zugrunde ging, habe es keine andere Lösung für dieses durch Zwietracht zerrissene Land gegeben, als von einem einzigen Mann regiert zu werden. Doch er habe die res publica nicht als König oder Diktator wiederhergestellt, sondern unter dem Namen des princeps; die Grenzen des Reichs seien nun das Meer und weit entfernte Flüsse; Legionen, Provinzen, Flotten – alles sei jetzt miteinander verbunden. Es gebe Gesetze für die Bürger, und die Verbündeten würden mit Anstand behandelt. Die Stadt selbst sei prächtig geschmückt; nur in wenigen Fällen habe man Gewalt anwenden müssen, um für die übrige Bevölkerung Ruhe und Frieden zu sichern.“ Tacitus, Annalen 1.9.3–5 196

meisten akzeptabel war. Und wie wir gesehen haben, brachte es auch eine ganze Reihe Vorteile, dass dies im Rahmen einer modifizierten republikanischen Staatsform geschah – einer „Verfassung plus“, wie ich sie in Kapitel 3 genannt habe. Für viele Gelehrte und Parteigänger (siehe Kasten 8.2) ist die daraus resul­ tierende Dynamik zu einem zentralen Thema geworden. Augustus erscheint bei

8.1b. Augustus: Contra „Andere hielten dagegen, die kindliche Zuneigung zum Vater und die Krise der res publica hätten ihm nur als Vorwand gedient. Er habe aus Herrschsucht die Veteranen durch seine Schenkungen aufgewiegelt, als Privatmann ein Heer ausgerüstet, die Legionen des Konsuls bestochen … Dann, nach seiner Usurpation, habe er durch Senatsbeschluss die prätorische Verfügungsgewalt erlangt und, nachdem Hirtius und Pansa umgekommen waren, deren Armeen übernommen; diese Todesfälle seien möglicherweise durch feindliche Übergriffe herbeigeführt geworden, sei es, im Falle von Pansa, durch Gift, das man seinen Wunden verabreicht habe, sei es, im Falle von Hirtius, durch Meuterei seiner Soldaten und die heimtückischen Machenschaften des jungen Caesar. Er habe einen unwilligen Senat erpresst, ihm das Konsulat zu verleihen, und eben die Kräfte gegen die Republik gewandt, die er für den Kampf gegen Antonius erhalten hatte. Bürger seien geächtet, Länder konfisziert worden, ohne Zustimmung derer, denen sie gehörten. Auch wenn man ihm zubillige, dass der Tod der beiden Bruti und des Cassius eine offene Rechnung des Vaters beglich (obwohl es Pflicht eines Menschen sei, seine Privatfehden zugunsten des Gemeinwohls aufzugeben), habe er [Sextus] Pompeius durch die Vorspiegelung von Friedensabsichten und Lepidus durch die Vorspiegelung von Freundschaft betrogen. Dann sei Antonius durch die Bündnisse von Tarent und Brundisium betrogen worden und durch die Ehe mit seiner [Octavians] Schwester und habe die tückische Verschwägerung mit dem Tod bezahlt. Frieden habe nun geherrscht, kein Zweifel, aber ein blutiger Frieden: Es habe die katastrophalen Niederlagen des Lollius und des Varus gegeben, in Rom seien Männer wie Varro, Egnatius und Jullus [Antonius] ermordet worden. Und auch seine häuslichen Verhältnisse blieben nicht verschont: Er habe Neros [Tiberius Claudius Nero, Livias erster Ehemann] Gattin entführt und wie zum Hohn die Priester befragt, ob es angehe, dass er die Schwangere noch vor der Entbindung heirate … Und schließlich sei da Livia gewesen, die dem Haus der Caesaren zur Last gefallen sei … Was Tiberius betrifft: Ihn habe er nicht aus Zuneigung oder Sorge um das Gemeinwesen zum Nachfolger bestimmt, sondern weil er sehr genau um dessen Hochmut und Grausamkeit gewusst habe; sein Ziel sei gewesen, dass seine eigene Größe im Kontrast zu Tiberius umso heller strahle.“ Tacitus, Annalen 1.10.1–7 197

ihnen als Heuchler, der die Römer mit der leeren Hülle einer angeblich „republikanischen Verfassung“ hinters Licht führte, die er auf listige Weise unterwanderte, um an die Macht zu gelangen. Ich habe absichtlich darauf verzichtet, diese endlosen Auseinandersetzungen wiederzukäuen. Der Grund dafür ist sehr einfach: Augustus und sein Einfluss lassen sich nicht darauf reduzieren. Wenn man sich allein auf dieses Thema konzentriert, ist das natürlich in Ordnung, nur darf man diese Reduktion dann nicht auf ihn projizieren und behaupten, die Machtübernahme sei sein einziges Ziel gewesen. Die Macht war für ihn nur ein Mittel zum Zweck. Das passt zu den Ergebnissen moderner Studien zur Menschenführung, die sich heute nicht mehr nur mit Macht beschäftigen, sondern stattdessen die wichtigere Aufgabe einer Führungspersönlichkeit betonen: die Sinnstiftung. Das beinhaltete mehrere Aspekte, wie wir in diesem Buch gesehen haben. Bezeichnenderweise erschöpfte es sich nicht im materiellen und physischen Wiederaufbau von Rom und Italien. Die dahingehenden Anstrengungen waren nach den Verwüstungen der jahrzehntelangen Bürgerkriege sicherlich dringend nötig und standen für eine „transaktionelle Führung“, um die Definitionen von Burns (1978) und anderen in einem weiter gefassten Sinn zu verwenden. Augustus’ Leistung ging darüber hinaus: Er war ein Mann des Wandels, der höhere Ziele verfolgte – man denke nur an die Ehegesetzgebung, die Umformung des Römischen Reichs in eine Gemeinschaft und die Verleihung der Bürgerrechte an die Freigelassenen. Im Verlauf dieses Prozesses veränderte er Rom und seine Kultur; wie man bereits in der Antike erkannte, war seinem Diktum, er habe Rom als Stadt aus Ziegelsteinen vorgefunden und aus dieser eine Stadt aus Marmor gemacht, zugleich Metapher und Realität. Wir sollten uns an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass nicht alles, was unter Augustus geschah, wegen Augustus geschah. Er war kein allmächtiger Herrscher oder Demiurg, der im Alleingang alles neu schuf. Ein wichtiger Aspekt seiner Führungsqualität bestand gerade darin, dass er die radikalen Veränderungen wahrnahm, die bereits im Gange waren – sei es die Verschiebung des römischen Wissensgefüges, sei es der aufkeimende soziale Wandel in der mediterranen Welt. Er war in der Lage, diese Veränderungen ebenso flexibel wie mit fester Hand zu kanalisieren und zu steuern. Seine Leitlinie, wenn man so will, war die gleichzeitige Um- und Neugestaltung. Dazu passt auch die ständige Mischung von Tradition und Innovation, die zu einem Markenzeichen seiner Herrschaft wurde. Eine andere, ganz ähnliche Zutat war eine Kombination aus Weitblick und Pragmatismus. Es ist durchaus erfrischend, aus der Welt von heute, die durch Ideologien vergiftet und von religiösen Streitigkeiten geplagt ist, auf eine Zeit zurückzublicken, die ganz frei davon war und trotzdem von Wohlstand und allgemeiner Zufriedenheit gekennzeichnet war. Wenn wir uns Augustus’ persönliche Eigenschaften ansehen, die bei diesen Leistungen eine Rolle spielten, dann stechen insbesondere zwei hervor. Zum einen war da seine Hartnäckigkeit, seine Beharrlichkeit, die er, wie wir gesehen haben, schon 198

8.2. Augustus im „augusteischen“ England: nicht nur Lobeshymnen „Der größte Vorwurf gegenüber Augustus lautete nicht, dass er ein Schlächter oder Folterknecht, eine Schwuchtel oder ein Lüstling, ein inzestuöser Erbschleicher, ein Zensor oder ein Bücherverbrenner gewesen sei. Niemand ist perfekt – daran erinnerte sich die Nation, die nacheinander von Oliver Cromwell und Charles Stuart regiert worden war, zweifellos. Stattdessen wurde vor allem kritisiert, dass er die gut ausbalancierte Verfassung der römischen Republik zerstört, damit einen fatalen Präzedenzfall für andere Herrscher geschaffen und ein Reich errichtet habe, dessen Untergang bereits bei seiner Entstehung vorprogrammiert gewesen sei. Darüber hinaus war man (entweder aus Gründen der Rhetorik und/oder weil man es wirklich glaubte) der Ansicht, dass Augustus bewusst und arglistig die Republik zerstört habe. Von Tacitus und Cassius Dio hatte das 18. Jahrhundert erfahren, Augustus habe Tiberius nur deshalb ausgesucht, weil er gewusst habe, dass dieser bösartig sei und das Reich weiter verwüsten würde – in der Hoffnung, dass er im Kontrast zu Tiberius der Nachwelt umso positiver in Erinnerung bleiben würde. So diente Augustus’ Herrschaft britischen Theoretikern, Historikern und Politikern als praktischer Leitfaden: Sie zeigte ihnen, wie sie mit ihrer eigenen Nation nicht umgehen sollten, und sie erkannten, was geschah, wenn man in Großbritannien und Frankreich Augustus’ Methoden nacheiferte.“ H. Weinbrot, Augustus Caesar in „Augustan“ England (Princeton 1978), S. 86 Angesichts der Bandbreite seiner Tätigkeiten und seiner Bedeutung als erster Kaiser von Rom hat man sich von der Antike bis zur Neuzeit immer wieder auf Augustus berufen. Die Reaktionen auf ihn deckten das gesamte Spektrum von völliger Verdammung bis zur überschwänglichen Verehrung ab. In der Kunst verwendete man den Begriff des „augusteischen Zeitalters“, um Höhepunkte literarischen und künstlerischen Schaffens zu beschreiben. Dies gilt unter anderem für das England des 18. Jahrhunderts, das Frankreich des 17. Jahrhunderts und in besonderer Weise für das Sachsen unter Friedrich August I., besser bekannt als August der Starke (1670–1733), der Dresden zur kulturellen Metropole erhob. Wie das obige Zitat zeigt, konnten solcherlei Bemühungen durchaus auch eine Gegenreaktion provozieren; dass Mussolini beispielsweise das augusteische Zeitalter effektiv für den Faschismus usurpierte, sorgte dafür, dass man beides jahrzehntelang miteinander in Verbindung brachte, und Wissenschaftler schreckten davor zurück, irgendetwas Positives über Augustus zu sagen, um nicht als Sympathisanten des Faschismus zu gelten. 199

in jungen Jahren zeigte. Körperliche Kraft und Widerstandsfähigkeit hatte die N ­ atur ihm nicht mit auf den Weg gegeben, und er musste für alles, was er erreichen wollte, hart arbeiten. Doch glich er diesen Nachteil durch seine mentale Stärke aus. Er­ ­widerstand einem unerbittlichen Sperrfeuer physischer, emotionaler und psychischer Anstrengung, das ihn mehr als einmal an die Schwelle des Todes führte; dass er daran nicht zugrunde ging, war eine außergewöhnliche Leistung, zumal in den ereignisreichen Jahren von Caesars Tod bis zur Eroberung Alexandrias. Danach warteten andere Herausforderungen und Belastungen auf ihn, die jedoch genauso aufreibend waren. Natürlich kann einem die größte Stärke mitunter auch zur größten Bürde werden, was man daran sehen kann, wie unnachgiebig er sich einigen Familienmitgliedern gegenüber zeigte – zum Teil mit fatalen Folgen. Die andere Eigenschaft, durch die Augustus all dies erreichen konnte, war seine Fähigkeit sich weiterzuentwickeln. Einen Feind anzugreifen und zu besiegen war das eine – ein erobertes Gebiet effektiv zu verwalten etwas ganz anderes, und hierin bestand der größte Unterschied zwischen Augustus und seinem Vorbild Alexander. Aufgrund der in der griechisch-römischen Antike in der Regel statischen Auffassung von Charakter (auf die ich zu Beginn von Kapitel 1 hingewiesen habe) hatte niemand den Wandel, der sich in Augustus’ Verhalten nach 30 v. Chr. zeigte, erwartet und es kann kaum verwundern, dass viele misstrauisch blieben. Diese Wandlung darf nicht man einfach mit reduktiven Charakterisierungen abtun wie etwa der, er habe sich in einen „sanfteren, milderen Augustus“ verwandelt. Er war immer noch derselbe, mit derselben eisernen Entschlossenheit. Aber er erkannte, dass die Aufgabe, vor der er nun stand, und der Weg, den er zu deren Bewältigung gewählt hatte, andere Qualitäten verlangte als diejenigen, die er bisher an den Tag gelegt hatte. Er setzte Probleme auf die Tagesordnung, die man bislang vernachlässigt hatte, und er plante langfristig und nicht nur zu seinem eigenen Vorteil. Die Art und Weise, wie er und seine Berater diese Aufgabe angingen, mit harter Arbeit, Geduld (man denke nur an sein Motto „Eile mit Weile“), Fairness und Weitblick, fand viel positiven Widerhall. Hier war ein Herrscher und Anführer, den man respektieren konnte (vgl. Kasten 8.3). Das Gesamtergebnis, das man oft als seine größte Leistung rühmt, war die fast 200 Jahre dauernde Stabilität, die er dem römischen Herrschaftssystem verlieh, in Form des Prinzipats. Es war diese Stabilität, die Wahnsinnige frustrierte und dennoch überdauerte – Wahnsinnige wie Caligula, der sich wünschte, dass das römische System nur einen Hals gehabt hätte, damit er es eigenhändig hätte erwürgen können. So wichtig und langlebig diese konkrete und greifbare Leistung war, noch wichtiger war die sie begleitende Erweiterung des Horizonts. Es entwickelte sich eine universelle Perspektive, die sich in den Werken dreier zeitgenössischer Historiker widerspiegelt, die die Weltgeschichte darstellen (zuvor hatte es nur ein einziges solches Werk gegeben, von Polybios, dem griechischen Alexis de Tocqueville des 2. Jahrhunderts v. Chr.). Bezeichnenderweise kamen diese Historiker aus drei verschiedenen Teilen des Reichs: Diodor aus Sizilien, Nikolaos aus dem syrischen 200

8.3. Augustus heute: eine Meinung abseits der Wissenschaft „Könnte man Augustus aus den Seiten der Geschichtsbücher wieder zum Leben erwecken, wären seine Führungsqualitäten noch immer hoch geschätzt und sehr gefragt. Heute, wo viele große Unternehmen … mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, würden ihn seine Fähigkeit, Vertrauen zu vermitteln und eine bestimmte Richtung vorzugeben, zum nahezu perfekten CEO machen“ (S. 252). „Ein Grund für Augustus‘ Erfolg als Staatsoberhaupt war, dass er im Gegensatz zu vielen heutigen Politikern und Firmenchefs einen praktischen Sinn für bestimmte Grenzen hatte. Er stellte für die Ausdehnung des Römischen Reichs seine eigene Kosten-Nutzen-Analyse an und kam zum Ergebnis, dass es an der Zeit war, mit der Expansion aufzuhören. Er ahnte ganz instinktiv, dass eine weitere Vergrößerung des Imperiums allein aus persönlicher Ruhmesgier (wie im Falle Alexanders) immens teuer und letztlich selbstzerstörerisch gewesen wäre. In der heutigen Welt würde Augustus sich niemals Subprime-Hypotheken aufhalsen, durch Termingeschäfte knebeln lassen oder bilanziell überschulden. Wie andere Führungspersönlichkeiten, die wir vorgestellt haben, hatte Augustus eine Vision und wusste, wie man andere begeistert. Er besaß eine enorme Energie, und er demonstrierte, dass er fähig war, diese Energie in einer disziplinierten Art und Weise zum Wohle Roms einzusetzen. Allerdings verlor er dabei nie den Hang, sich um die Details zu kümmern, und er wurde nie zum Opfer der eigenen Hybris. Er besaß eine Persönlichkeit, wie sie unter Führungskräften eine Rarität ist – er war zugleich ein begabter Stratege und ein begabter Politiker; niemals ließ er sich durch seinen Erfolg in seinem Urteilsvermögen oder seinem Verhalten beeinflussen“ (S. 279). Aus Steve Forbes und John Prevas, Power, Ambition, Glory: The Stunning Parallels between Great Leaders of the Ancient World and Today … and the Lessons You Can Learn. Vorwort von Bürgermeister Rudy Giuliani (New York 2009).

Damaskus und Pompeius Trogus aus Gallien. Eine solche universell-kosmopolitische Perspektive findet sich auch in Strabos Geographie und Meisterwerken wie Vergils Aeneis und Ovids Metamorphosen. Sie waren indes nur der Anfang – der Dialog setzte sich über Jahrhunderte fort. Kurz gesagt, „die römische Welt öffnete sich, sowohl physisch als auch mental“ (Treggiari 1996, S. 902), und das war das wohl wichtigste Vermächtnis des Augustus. 201

Stammbaum der Familie des Augustus

C. Julius Caesar (gest. 85 v. Chr.)

M. Atius Balbus (gest. ca. 59 v. Chr.) C. Octavius (gest. 59 v. Chr.)

OO

OO

OO

OO

(83–30 v. Chr.)

C. Julius CAESAR (100–44 v. Chr.)

Julia (gest. 51 v. Chr.)

58 v. Chr. Atia L. Marcius Philippus OO (gest. 43 v. Chr.)

40 v. Chr.

✜ Marcus Antonius

Aurelia (gest. 54 v. Chr.)

54 v. Chr. Octavia OO C. Claudius Marcellus (68–11 v. Chr.) (gest. 40 v. Chr.)

40 v. Chr. Scribonia OO

C. Octavius (63 v. Chr.–14 n. Chr.)

✿ Antonia Maior

(geb. 39 v. Chr.) ◆ Nero Claudius Drusus OO

Antonia Minor ◆ (36 v. Chr.–37 n. Chr.)

Tiberius CLAUDIUS Nero (10 v. Chr.–54 n. Chr.; reg. 41–54 n. Chr.)

M. Claudius Marcellus (42–23 v. Chr.)

Livia Julia (14 v. Chr.–31 n. Chr.)

OO

25 v. Chr. OO

Julia (39 v. Chr.–14 n. Chr.)

Gaius Caesar (20 v. Chr.–4 n. Chr.)

Germanicus (15 v. Chr. n. Chr. 19)

Gaius CALIGULA (12–41 n. Chr.; reg. 37–41 n. Chr.) ✜ ◆ ✿

Dieselbe Person erscheint anderswo Adoption

202

Die julisch-claudische Familie

36–34 v. Chr.? ♥♥

OO

Cornelia (gest. 68 v. Chr.)

Kleopatra VII. (gest. 30 v. Chr.)

♥ ♥ OO

Marcus Antonius (83–30 v. Chr.)

Caesarion (47–30 v. Chr.)

59 n. Chr. 80 n. Chr. Julia OO Cn. Pompeius OO Mucia (73–54 v. Chr.) (106–48 v. Chr.)

Alexander (geb. 40 v. Chr.)

Kleopatra Ptolemaios (geb. 40 v. Chr.) (geb. 36 v. Chr.)

Sextus Pompeius (67–36 v. Chr.) (AUGUSTUS) 11 v. Chr. OO

38 v. Chr. 43 v. Chr. Livia OO Tiberius Claudius Nero OO

TIBERIUS Claudius Nero (42 v. Chr.–39 n. Chr.; reg. 14–37 n. Chr.)

◆ Nero Claudius Drusus OO

(38–9 v. Chr.)

Antonia Minor ◆ (36 v. Chr.–37 n. Chr.)

21 v. Chr. Marcus Vipsanius AGRIPPA (63–12 v. Chr.)

OO

Lucius Caesar (17 v. Chr.–2 n. Chr.)

Julia (19 v. Chr.–28 n. Chr.)

OO

Agrippa Postumus (12 v. Chr.–14 n. Chr.)

Agrippina Maior (14 v. Chr.–33 n. Chr.) L. Domitius Ahenobarbus

OO ✿ Antonia Maior

(neun Kinder, darunter) Agrippina Minor

OO

Cn. Domitius Ahenobarbus

NERO Claudius Caesar (37–68 n. Chr.; reg. 54–68 n. Chr.)

203

Chronologie 63 v. Chr.

Geburt des Gaius Octavius, des späteren Augustus ca. 63 Geburt des Agrippa 59 Tod des Vaters des Gaius Octavius 58 30. Januar Geburt der Livia 49–45 Bürgerkriege des Julius Caesar 45 September/Oktober Octavian geht nach Apollonia 44 Januar/Februar Designierter magister equitum 44 15. März Ermordung Julius Caesars; Caesar setzt Octavian testamentarisch als Erben ein 44 8. Mai Octavian akzeptiert formell Caesars Testament 44 20.–30. Juli Spiele zu Ehren von Caesars Sieg; Erscheinen des Kometen 43 2. Januar Octavian wird Mitglied des Senats; ihm wird das imperium pro praetore verliehen 43 19. August Nach einem Marsch auf Rom wird Octavian Konsul 43 27. November Beginn des Triumvirats von Antonius, Lepidus und Octavian; Proskriptionen 43 7. Dezember Tod des Cicero 42 Anfang Oktober/ Schlacht von Philippi; Niederlage und Selbst 23. Oktober mord von Brutus und Cassius 42 16. November Geburt des Tiberius 40 Herbst Perusia fällt; Vertrag von Brundisium; Heirat mit Scribonia 39 Sommer Vertrag von Misenum 39 Ende Dezember Geburt der Julia 38 17. Januar Heirat mit Livia 37 Herbst Erneuerung des Triumvirats (Vertrag von Tarent); Antonius kehrt zu Kleopatra zurück 36 3. September Schlacht von Naulochoi; Niederlage des Sextus Pompeius 35–34 Octavians Feldzüge in Illyrien 34 Jahresende Beginn des Propaganda-Kriegs zwischen Octavian und Antonius 32 Konsuln und ca. 300 Senatoren fliehen zu Antonius; Scheidung von Antonius und Octavia 204

23. September

31 30

2. September 1. August

29 27

13.–15. August 13.–16. Januar

27–24 23

22–19 21 20

19

21. September

18 17 16–13 15 24. Mai 12 11 11–10 9 30. Januar 8 6 2 2 n. Chr.

Schlacht bei Actium Alexandria fällt; Selbstmord von Antonius und Kleopatra Octavian feiert einen dreifachen Triumph Senatssitzungen bestätigen die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Regierung; Octavian erhält den Titel „Augustus“ Augustus in Spanien und Gallien Augustus stirbt beinahe; Reorganisation seiner Macht: Er erhält tribunizische Amtsgewalt und oberstes imperium; Tod des Marcellus Augustus in Sizilien und im Osten Agrippa heiratet Julia „Parthersieg“: Die Parther geben römische Militärstandarten zurück, die sie 53 v. Chr. erbeutet hatten; Geburt des Gaius Caesar Tod des Vergil; posthume Veröffentlichung der Aeneis „Moralgesetzgebung“: julische Gesetze über Ehe und Ehebruch Geburt des Lucius Caesar; Augustus adoptiert beide Enkel; Säkularfeiern Augustus in Gallien Geburt des Germanicus Augustus wird pontifex maximus; Tod des Agrippa; Geburt des Agrippa Postumus Heirat von Tiberius und Julia Augustus in Gallien Einweihung der Ara Pacis Der Monat Sextilis wird in Augustus umbe­ nannt; Neuorganisation der Stadt Rom in 14 Regionen; Augustus zurück in Gallien Tiberius zieht sich nach Rhodos zurück Augustus erhält den Titel pater patriae; Einweihung des Augustus-Forums Tiberius kehrt aus Rhodos zurück; Tod des Lucius Caesar; Verbannung der Julia 205

4

6 6–9 9 10–12 13 14 14

19. August 17. September

29

206

Tod des Gaius Caesar; Augustus adoptiert Tiberius nach Tiberius’ Adoption des Germanicus Verbannung des Agrippa Postumus Aufstand in Pannonien Niederlage des Varus in Germanien; Verlust von drei Legionen; Revision des Eherechts Feldzüge des Tiberius in Germanien Augustus verfasst sein Testament; Feldzüge des Germanicus in Germanien Tod des Augustus in Nola Per Dekret des Senats Divus Augustus; ­Tiberius zu Augustus’ Nachfolger bestimmt, mit dem Titel Augustus Tod der Livia

Hinweis zu wichtigen antiken Quellen Griechische und römische Historiker und Biographen Nur drei Historiker bzw. Biographen waren Zeitgenossen des Augustus; es gab zwar noch weitere, doch sind deren Werke leider nicht erhalten. Zu Nikolaos von Damaskus siehe Kapitel 1. Velleius Paterculus (ca. 19 v. Chr.–nach 30 n. Chr.) nahm als hochrangiger Offizier an den Feldzügen von Tiberius und Augustus’ Enkel Gaius Caesar teil und wurde 7 n. Chr. Senator. Ein großer Teil der beiden Bücher seiner Römischen Geschichte befasst sich mit der Zeit des Augustus und des Tiberius. Obwohl er sich als ergebener Anhänger dieser beiden herausstellt (vgl. Kästen 3.3 und 5.6), findet sich bei ihm eine wertvolle nüchterne Perspektive, die bei späteren Schriftstellern fehlt. Strabo (ca. 64 v. Chr.–24 n. Chr.), ein gebildeter und weitgereister Grieche, der einen Großteil seiner Zeit in Rom verbrachte, verfasste eine Beschreibung der den Römern zur Zeit des Augustus und des Tiberius bekannten Welt in 17 Bänden. Der Titel: Geographie. Das Werk ist äußerst informativ, wenn auch nicht in allen Einzelheiten genau (vgl. Kasten 7.2). Aus der Zahl der späteren Schriftsteller stechen die folgenden heraus: Sueton (ca. 70–ca. 130 n. Chr.) war eine Art Klatsch-Journalist und diente in den Kommunikationszentren der Kaiser Trajan und Hadrian als Leiter der kaiserlichen Korrespondenz. Er hatte Zugang zu den kaiserlichen Aufzeichnungen und verwendete sie auch für sein anekdotenreiches Werk Leben der Caesaren, vor allem die Briefe des Augustus. Sueton ist auch heute noch gut zu lesen, doch sollten seine Aussagen statt cum grano salis eher mit einem Fass Salz genossen werden. Tacitus (ca. 56–117 n. Chr.) war als Senator, Konsul und Provinzstatthalter Mitglied der römischen Elite. In seinen Annalen, die den Zeitraum von Tiberius’ Aufstieg zur Macht im Jahre 14 n. Chr. bis zum Tod des Nero 68 n. Chr. abdecken, und seinem Dialog über die Redner fungiert er als Sprachrohr dieser Elite und beklagt den Untergang der Republik, wobei er jedoch, Realist, der er ist, einräumt, dass es unmöglich sei sie künstlich wiederzubeleben (und auch gar nicht wünschenswert); sein Ventil sind bissiger Scharfsinn und scharfzüngige Anspielungen. Tacitus hat sein Vorhaben, ein eigenes Buch über die Herrschaft des Augustus zu verfassen, nicht in die Tat umgesetzt, aber die Erinnerung an Augustus, die zu Tacitus’ Zeit noch höchst lebendig war, blitzt innerhalb seiner zynischen Bemerkungen über dessen Nachfolger immer wieder auf. 207

Plutarch (ca. 45–nach 120 n. Chr.) lebte im griechischen Osten des Römischen Reichs, sein bekanntestes Werk sind die Parallelbiographien, die später u. a. von Shakespeare verwendet wurden. Leider ist seine Einzelbiographie Leben des Augustus heute verloren. Dennoch bietet er viele relevante Informationen in seinen biographischen Skizzen von Caesar und Marcus Antonius. Zu seinen zahlreichen Schriften gehört außerdem eine Sammlung von Zitaten des Augustus. Appian (Ende 1. Jh.–ca. 160 n. Chr.), geboren in Alexandria und später nach Rom umgesiedelt, behandelt in seiner mehrbändigen Römischen Geschichte, die von den Anfängen Roms bis zu seiner eigenen Zeit reicht, eine breite Palette von Themen. Besonders relevant für das Thema Augustus sind die drei Bände über die Bürgerkriege der Triumviratszeit. Appians Stärken sind sein Interesse für soziale Fragen, sein Wissen über das Finanzwesen und seine relative Objektivität. Dass er den Ereignissen in Ägypten besondere Aufmerksamkeit schenkt, liegt wohl daran, dass er von dort stammte. Auf jeden Fall ist er dadurch eine wichtige Quelle für Informationen über Kleopatra. Cassius Dio (ca. 164–nach 229 n. Chr.) war der Spross einer prominenten griechischen Familie in Bithynien (Nordwesttürkei; siehe Karte 1) und machte eine herausragende Beamtenkarriere als römischer Senator, Konsul (zweimal) und Provinzstatthalter. Wie Appians Werk umfasste Dios 80-bändige Römische Geschichte den Zeitraum von den Ursprüngen Roms bis zu seiner eigenen Zeit. Auch wenn er in vielerlei Hinsicht unzuverlässig ist, ist Dio die umfangreichste fortlaufende narrative Quelle zu Augustus, zumindest für die Zeit von dessen Anfängen bis 10 v. Chr. Die nachfolgenden Bände 55 bis 60, die sich mit der Zeit von 9 v. Chr. bis 46 n. Chr. befassen, liegen zumeist nur in verkürzter Form vor, und es gibt eine große zeitliche Lücke für die Jahre 5–3 v. Chr. Wie andere antike Historiker auch legt Dio seinen Protagonisten erfundene Reden in den Mund, um wichtige Punkte zu illustrieren; siehe Kasten 3.2. Andere: Bedenkt man, welch bedeutenden Platz Augustus im Bewusstsein der Römer einnahm, verwundert es kaum, dass man auch bei anderen römischen Autoren immer wieder Bemerkungen über ihn findet, u. a. bei Plinius dem Älteren (23/24–79 n. Chr.) in dessen Naturgeschichte (siehe Kasten 4.1). Eine andere Quelle sind Sammlungen mit Texten zu verschiedenen Themen, z. B. die Attischen Nächte (siehe Kasten 5.9) von Aulus Gellius (ca. 130–ca. 180 n. Chr.) und Macrobius’ (Anfang 5. Jh.) Saturnalien (siehe Kästen 5.3, 5.10 und 5.11).

208

Inschriften (Epigraphik) Unter Augustus wurden Inschriften zu einem Massenmedium für schriftliche und visuelle Kommunikation; an den wichtigsten Gebäuden in Rom beispielsweise wurden große Lettern aus vergoldeter Bronze eingelegt. Die Zahl der bekannten „Monumentalinschriften“ (also alle dauerhaften Inschriften in Stein und in auf Stein angebrachten Bronzetafeln, aber nicht Schreibtafeln oder andere Mittel für den Hausgebrauch) im Römischen Reich stieg exponentiell an, von 3.000 in den fünf Jahrhunderten der Republik auf rund 300.000. Die Gesamtzahl aller Inschriften wird gar auf 20 bis 40 Millionen geschätzt. Der Hauptgrund dafür war nicht die Vergrößerung des Territoriums, sondern die Entdeckung der Macht von Inschriften, analog zur Macht der Bilder. Augustus hat sich – und wurde von anderen – buchstäblich ins Römische Reich eingeschrieben (vgl. Kästen 7.3 und 7.4). Natürlich stellen diese Inschriften eine reichhaltige Informationsquelle dar; zu den wichtigsten zählt Augustus’ Tatenbericht Res Gestae, von dem man in mehrere Städte des Reichs Kopien schickte, aber auch private Grabinschriften (vgl. Kasten 2.5). Papyri Papyrus, in Ägypten aus Pflanzen hergestellt, war in der griechisch-römischen Antike ein beliebtes Schreibmaterial. Leider ist Papyrus viel vergänglicher als Stein. Die meisten heute noch erhaltenen Papyrusdokumente stammen daher aus den Sandwüsten Ägyptens mit ihrem trockenen Klima. Für die Zeit des Augustus sind dies zumeist administrative Dokumente, die sich auf die verschiedenen Ebenen der Verwaltung dieser Region beziehen. Eine Ausnahme von durchaus allgemeiner Relevanz ist ein Ausschnitt aus Augustus’ Grabrede auf Agrippa (siehe Kasten 5.2). Münzen (Numismatik) Münzen nehmen in vielen Betrachtungen der römischen Zivilisation einen prominenten Platz ein, da sie in so großer Zahl erhalten geblieben sind. Sie sind mitunter recht informativ (vgl. Abb. 7), aber oftmals haben diese Informationen nur ergänzenden Charakter. Vor allem ihr „Propaganda“-Wert wird überschätzt; einer der Gründe dafür ist, dass große Münzkataloge, wie der des British Museum, zu einer Zeit veröffentlicht wurden, als Propaganda für die autoritären Herrscher in Europa, die Augustus zu ihrem Vorbild erklärten, ebenfalls eine große Rolle spielte. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Gold- und Silbermünzen (aurei und denarii) mit den markantesten Designs fast nie in die Hände des einfachen Volkes gelangten. Die Darstellungen auf römischen Münzen mit niedrigerem Nennwert waren eher eintönig und kaum dazu angetan, Herzen und Köpfe zu bewegen. Die Grundeinheit war der Sesterz (sestertius, HS), vier Sesterzen waren 209

ein denarius, und 100 Sesterzen waren ein aureus. Das Jahresgehalt eines römischen Legionärs betrug 900 HS, was unter anderem erklärt, warum römische Soldaten zusätzlich zu ihrem Grundgehalt auf Kriegsbeute angewiesen waren. Zum Vergleich: Der Preis für einen ungelernten Sklaven betrug etwa 200–1.000 HS, und der Wert der jährlichen Gratiszuweisung von Getreide an einen Haushalt in der Stadt Rom betrug zwischen 300 und 360 HS.

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Personen- und Sachregister Actium, Schlacht bei 44–46, 64–67, 79, 85, 96, 104, 130, 135, 155, 157; in der Kunst der Freigelassenen 188; in Vergils Aeneis 44– 45 Aemilius Paulus 151 Aeneas, als julischer und römischer Ahnherr 17, 44–45, 171, 194; in Vergils Aeneis 45, 90, 108, 159–160, 172 Aeneis (Vergil): über die Schlacht bei Actium 44–45, 57; Charakterisierung des Aeneas 90; und die homerische Tradition 159; als Rekonstruktion des römischen kulturellen Gedächtnisses 159; Rolle der Dido 171–172; als römisches Nationalepos 82, 85, 96, 98, 108, 165, 172; Universalismus 201 aerarium militare 102 Agrippa, Marcus Vipsanius 56–57, 76–77, 87, 90, 103, 122, 130–135; Ädil 132; Augustus’ Grabrede 131; Ehe mit Julia 137–138; Konsul 130; Macht 130–132; persönliche Eigenschaften 133; Sieg bei Actium 44–46, 64–67, 130, 135; Sieg bei Naulochoi 56, 130, 135; Tochter, siehe Vipsania Agrippina; Tod 137; Weltkarte 135, 168. Siehe auch Campus Martius; Pantheon Agrippa Postumus 103, 127–128, 147, 149– 151, 192; durch Augustus verbannt 150– 151 Agrippina die Ältere 138 Agrippina die Jüngere 151–152 Ägypten 55, 58, 62, 68–70, 118, 208–209; als Augustus’ Provinz 70, 126, 178; Eroberung 66, 70, 73, 167; Verwendung in der Kunst (Ägyptomanie) 70. Siehe auch Alexandria; Kleopatra Aischylos 127 Alexander der Große 18, 21, 57, 70, 200; Vorbild für Augustus 42, 70, 170, 177, 195, 200. Siehe auch oikumenē

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Alexander Helios 58 Alexandria 58, 63, 167, 170, 176; Eroberung 42, 66, 70, 84–85, 93, 98, 116, 200; „Schenkungen“ 58 Altar des augusteischen Friedens. Siehe Ara Pacis Ambrakischer Golf 65 Anchises 108, 114 Antonia die Ältere 128 Antonia die Jüngere 148, 151 Antonius, Lucius 48, 52, 56 Antonius, Marcus 22, 31–47; Charakter 32, 44, 69; und Cicero 37; frühe Opposition gegen Octavian 31–36; im Osten 57–58; und Julius Caesar 24–25; Kinder mit Kleopatra 58; Konsul 31–40; Krieg mit Octavian 59–69; Tod 69; verunglimpft Octavian 17, 26, 28, 52, 59; Testament 62; Triumvir 42, 53–58. Siehe auch Actium, Schlacht bei; Alexandria, Eroberung; Cicero, Angriffe auf Marcus Antonius; Fulvia; Kleopatra; Octavia die Jüngere; Proskriptionen; Triumvirat, Zweites Antonius Musa. Siehe Musa, Antonius Apollo 34; und Augustus 44, 55, 80, 113, 119, 140; in der Kunst (Statue von Primaporta) 89; Tempel auf dem Palatin 80, 119, 157 Apollodor von Pergamon 22 Apollonia 22, 25, 56, 93, 130 Apollonios von Rhodos; Argonautica 172 Ara Pacis 14, 20, 89, 148, 153–154, 168; weibliche Göttin 108, 170–171 Areios von Alexandria 21 Aricia 17 Armee (römische) 22, 55, 83–84, 101, 175; augusteische Reformen 55, 84, 175; Meutereien 55; Octavians Privatarmee 20, 26, 38–39, 60. Siehe auch Veteranen Armenien 58, 60, 99 Arminius 101

Asien, Provinz 16; Versammlung 176–177, 184. Siehe auch Kaiserkult Athen 52, 57, 158, 181, 195; Odeion 181 Athenodoros von Tarsos 21 Atia, Mutter des Augustus 16–20, 83 auctoritas, Konzept 19, 78–79, 82–83, 158; in der Architektur 163–164; und Augustus 74, 84–85, 87, 181; und der Senat 37, 87 Augusta Emerita 183 Augustales 185, 187–188 Augustanismus 162 Augustus: Aberglauben 121; Ablehnung des Triumphs 97; Aufstieg zur Macht, siehe Octavian; „Augustus“ (Name) 78–80, 159; Beerdigung 194; divi filius 34, 49, 59, 78, 194; Ehen 51–53. Siehe auch Livia; Scribonia; Entwicklung der Regierungsform (Prinzipat) 73–92; Erziehung, siehe Octavian; Familie, Interaktion mit 124–154; Forum des, siehe Augustusforum; genius des 116, 185; Gesundheit 22–24, 43–44, 85–86, 104, 191; „Haus des Augustus“, siehe Palatin; imperator, Titel und Name 49, 78, 156, 186; und Julius Caesar 24–29, 32–36, 41, 43, 166–168, 194; Kindheit, siehe Octavian; Kult des 175–177, 184–185, 188; kulturelles Leben, kreative Synergie 158–172; letzte Worte 192; als Mann des Wandels 93–96, 123, 198; Nachfolge 121 –123. Siehe auch Tiberius; und pax Augusta 97–103; Persönlichkeit 21–22, 43–51, 57, 75, 91, 124, 154–156, 200; Priesterschaft 89–90. Siehe auch pontifex maximus; Rom, Wiederaufbau 166–168; Selbststilisierung 91–92; Sexualleben 22–23, 137, 139; Spektakel, Vorliebe für 91, 113, 118, 163, 193; spezielle Ehren 60, 78–80; Titel, siehe pater patriae, princeps; tribunicia potestas 132; Triumph 69, 85, 97, 194; Triumvir, siehe Octavian; visuelle Medien 33–34, 59–60, 119, 180; Reichtum 15, 33, 70, 84, 178, 190; Testament 193; Tod 191– 195; vergöttlicht 194; Verwaltung des Reiches 173–190; Verschwörungen, siehe Verschwörungen gegen Augustus; Ver-

weigerung außerordentlicher Macht 78; vollständiger Name 78; Zugänglichkeit 154. Siehe auch Octavian Augustusforum 100, 155, 167–168; Tempel des Mars Ultor 100 Baetica 182–183 Balbus, Cornelius 36, 130 Basilica Aemilia. Siehe Forum Romanum Basilika des Julius Caesar. Siehe Forum Romanum Benevent 191–192 Bithynien 184, 208 Brundisium; Vertrag von 55, 197 Brutus 25–26, 28, 30–31, 34, 37–42; Vorfahr 42; berechnet 48 Prozent Zinsen 30; Leiche durch Octavian geschändet 43, 54; Tod 54. Siehe auch Cassius Brutus, Decimus 39, 53 Caesar, Gaius Julius 36, 75, 93, 95, 118, 130, 134; Abwesenheiten von Rom 24; Adoption Octavians 26–29, 41; Diktator 24–25, 75; divus 34, 194; Ermordung 26, 31, 35, 93, 196. Siehe auch Iden des März; Forum des, siehe Caesarforum; gewährte Staatsbürgerschaft 56; Großonkel Octavians 17; Kalenderreform 14, 94, 167–168; und Kleopatra 69–70; Komet 34–35; Kult des 184; Mantel 89; pontifex maximus 18; Republik, Haltung gegenüber 29, 75, 122, 167; Schenkungen 28, 35; Testament 26, 35; Überqueren des Rubikon 18, 24, 35, 80; veni, vidi, vici 30; Wirtschafts- und Sozialprogramm 31 Caesarforum 68, 166, 168; Tempel der Venus Genetrix 34 Caesarion 25, 58, 62, 70 Caligula (römischer Kaiser) 152, 200 Campus Martius 134, 167–169, 171; Meridian („Horologium“) 167–168, 170; Pantheon 134–135, 167, 170; Ustrinum 194. Siehe auch Mausoleum; Rom Capri 121, 141, 191 Cassius 26, 30–31, 38, 41–43, 53–54, 197

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Cassius Severus 155 Castor und Pollux, Tempel von. Siehe Forum Romanum Cato der Jüngere 18 Charisma 69, 142, 175 Christentum 106, 177 Cicero 16, 19, 26, 28, 32, 132, 195; Aktivitäten im Senat 37–41; Angriffe auf Marcus Antonius (Philippica) 28, 31; und Octavian 28, 37–41; Tod 47–48 Circus Maximus 118 civilis princeps 91–92, 118, 170. Siehe auch princeps Claudius (römischer Kaiser) 43, 128, 151 Cloaca Maxima. Siehe Rom Clodia 51 Collatinus 109–110 Comitia Curiata 29, 32, 41 Consolatio ad Liviam 126 Crassus 18, 57, 99 Cumae, Marinebasis in der Nähe von 56 cursus honorum 15, 40 cursus publicus 181 Diaspora, Römer in der 92–93 Dido (in Vergils Aeneis) 112, 171–172 Diktator 25, 53, 60; Augustus’ Weigerung 60, 75–76, 82, 89, 171, 196; Caesar als 24–25, 27, 75 Dio (Cassius) 44–48, 69, 76–78, 80, 132–135, 145, 149, 157, 191–192, 195, 199, 208 Diodor 200 Dionysos, Antonius als neuer 32, 57 divus 34, 119, 194 dominus 91–92 Drusus der Ältere 53, 127, 137, 148, 151; Tod 126, 139, 141 Drusus der Jüngere 194 Ehegesetzgebung 95, 109, 111, 113, 152, 165, 198 Eichenlaub, Krone aus (corona civica) 79, 145 Eklogen (Vergil) 51; „messianische“ Ekloge 102, 105–106 Elbe 100

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Ennius 79, 82, 145 Ephesos 74, 184 Epidius, Marcus 22 Erinnerungskultur 32–33, 115, 135, 159, 195, 199 Eurykles von Sparta 181 fasti 94, 165. Siehe auch Kalender; Ovid Fetialpriester 63 Feuerwehr, Organisation der 102 Forum Romanum 43, 62, 71, 168, 194; Basilica Aemilia 167; Basilika des Julius Caesar 149; Marsyas, Statue des 140; Rednertribüne (Rostra) 47, 139; Tempel von Castor und Pollux 115, 159–160, 166; Tempel der Concordia 154; Tempel des Divus Julius 194; Tempel der Vesta 62, 121 Freigelassene 36, 55, 64, 93–94, 103, 116, 174, 185, 188, 198 Führung, Definition 198 Fulvia 47, 51–52, 54, 56 Gaius Caesar 104, 122–123, 127, 138, 142– 144, 147–149, 152, 171, 207; Tod 104, 127, 147, 149; Brief von Augustus 149–150 Gaius Gracchus. Siehe Gracchus, Gaius Gaius Octavius. Siehe Octavius, Gaius Gaius Sosius. Siehe Sosius, Gaius Gallia cisalpina. Siehe Gallien Gallien 18, 25, 84–85, 142, 182; Gallia cisalpina 39; Romanisierung 182, 186 Gemma Augustea 13, 146–148 genius 116, 185 Georgica (Vergil) 106, 108 Germanicus 100, 147, 151–152 Germanien 100–102, 143, 152, 194 Getreideversorgung, Verwaltung der 56, 102, 141 Glaspaste 13, 33 Goldenes Zeitalter, augusteisches Konzept 17, 96, 111, 113; und augusteische Realität 103–108, 179; bei Vergil 105–106, 162 Gracchus, Gaius 83 Gracchus, Tiberius 83

Haus des Augustus. Siehe Palatin Herodes, König von Judäa 11, 58, 127, 135, 180–181 Hirtius 41–42, 197 Homer 43, 46; und Vergil 159–160, 172; Ilias 45, 159–160, 169; Odyssee 159–160 Horaz 99, 113, 119, 157, 192; und Augustus 161–163, 172; carmen saeculare 113–114; über Kleopatra 59; Spiegel über dem Bett 163; über den Niedergang Roms 103, 112, 165 Horologium. Siehe Campus Martius Iden des März 9, 26–27, 30–31, 48, 60. Siehe auch Caesar, Ermordung Illyrien 49, 58, 191 imperator. Siehe Augustus imperium, Macht des römischen Magistrats 83, 130–131; von Agrippa; von Augustus 83, 98, 101, 108, 130, 147, 173, 175, 190; proconsulare 86, 132; Propraetor 42; Römisches Reich 97, 99, 100, 109, 113–114, 168, 177, 180, 182, 184, 201; bei Vergil 108 interpretatio Romana 188 ius Italicum 182 Janus, Tempel des 98 Jesus 24 Julia (Enkelin) 103, 124, 128, 151 Julia (Großmutter) 11, 17, 25 Julia (Tochter): Ehe mit Agrippa 130, 137; Ehe mit Marcellus 137; Ehe mit Tiberius 138, 142; Exil 140, 144; Leben und Persönlichkeit 53, 135–140; kein Erbarmen seitens Augustus’ 193 Julian (Kaiser) 195 Julische Gesetze. Siehe Ehegesetzgebung Julius Caesar. Siehe Caesar, Gaius Julius Jullus Antonius 140, 152, 197 Jupiter 87, 98, 108, 113; Jupiter Optimus Maximus. Siehe Kapitol Kaiserkult 175–177, 184–188 Kalender 94; Änderungen durch Augustus 165, 167; in der Provinz Asia 176; refor-

miert durch Caesar 14, 94, 167. Siehe auch fasti Kalkriese 100 Kapitol (Rom) 36, 59, 157, 167; Tempel des Jupiter Optimus Maximus 36 Karthago 119, 172 Klassizismus in der Architektur 161, 164; Nicht-Klassizismus 164 Kleopatra 66, 128, 139; und Antonius 32, 42, 52, 55, 58–59, 62–63; Aussehen 68–69; Kinder 25, 58; Krieg gegen 42, 66, 69. Siehe auch Actium, bei Schlacht; Tod 69–70; in Vergils Aeneis 45, 171. Kleopatra Selene 58 Koinē-Griechisch 183 Komet (des Caesar) 34–35 Kulturrevolution 94–95 Kyrene 58; Edikte 178 Landbeschlagnahmungen 44, 46, 51, 53–54, 64, 79 Larenkult 116, 185–186 latinisches Recht 182–183 laudatio Turiae 50–51, 81 Lavinium 172 Lebenserwartung (Antike) 16–17, 137 Lepidus, Marcus, Triumvir: 42, 51, 53, 56, 196; pontifex maximus 89, 116; Rückzug 49–50; Rivalität mit Octavian 49–50, 197. Siehe auch Triumvirat, Zweites Leptis Magna 186–187 libertas 80, 140, 158, 194 Livia (Drusilla) (Ehefrau des Augustus) 20, 52–53, 90, 125–130, 151, 193; Achten auf die Gesundheit 128–129; angebliche Machenschaften 127, 192, 197; erste Ehe (mit Tiberius Claudius Nero) 52–53, 197; Großmutter von Claudius; Haus der, siehe Palatin; Mutter des Tiberius 52, 141, 144; Villa der (bei Primaporta), siehe Primaporta. Siehe auch Ara Pacis Livius 110–111, 161 Lorbeer, als augusteisches Emblem 74, 79, 80, 89, 163 Lucius Antonius 46, 48, 51–52, 54, 56

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Lucius Caesar 104, 122–123, 127, 138, 142, 147–152, 171 Lucius Marcius Philippus. Siehe Philippus, Lucius Marcius Lucretia 109–111 Macrobius 124, 136–137, 154–156, 208 Maecenas 43, 76–77, 86, 90–91, 135, 140; Ehefrau, siehe Terentia; Mäzenatentum 91, 162 magister equitum 25, 99 maiestas („Majestät“) 115 Makedonien 15, 39, 66, 86 Marcellus 21, 86–87, 104, 122, 127, 136–137, 141, 162 Marcus Antonius. Siehe Antonius, Marcus Marcus Epidius. Siehe Epidius, Marcus Marius 17 Mars Ultor, Tempel des 100. Siehe auch Augustusforum Marsyas, Statue des. Siehe Forum Romanum Mausoleum (des Augustus) 71, 130, 149, 167, 169–170, 193. Siehe auch Campus Martius Meridian 167–168, 170 Misenum, Vertrag von 56 Musa, Antonius 87 Mutina 40 Naulochoi 46, 56, 60, 130, 135 Nero (römischer Kaiser) 75, 187, 193 Nero, Tiberius Claudius 52–53, 197 Nikaia 184 Nikolaos von Damaskus 11–12, 20, 22–25, 200, 207 Nixon, Richard M. 100 Nola 16, 192 novi homines („neue Männer“) 19, 132 Octavia die Ältere (Schwester) 16 Octavia die Jüngere (Schwester) 16, 21, 126, 137, 139, 148; Ehe mit Antonius 52, 56, 58–59. Siehe auch Marcellus Octavian 17–29, 32–44, 46–79; Aspekte des Verhaltens 43–51; Aufstieg zur Macht 30– 43, 53–74; Ausbildung 20–24; Erbe Julius

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Caesars 26–30, 34–35; Kindheit 11–24; magister equitum 25, 99; Name 28; Triumvir 42, 51, 53, 57–72, 74, 104, 196. Siehe auch Antonius, Marcus; Augustus; Sextus Pompeius; Triumvirat, Zweites Octavius, Gaius (Augustus): Geburtsname des Augustus 12. Siehe auch Octavian Octavius, Gaius (Vater) 15–17, 19, 192 oikumenē 71, 146 Oppius, Gaius 36, 130 ovatio 49 Ovid 99, 148, 151, 161–162,; Exil 103, 151, 181; Fasti 165–166; Metamorphosen 161, 201 Palatin (Hügel) 13, 113, 118–119, 121, 128, 156–157; Häuser des Augustus 80, 118, 128, 136, 139, 140, 156–157; Haus der Livia 118; Hütte des Romulus 80, 118; Tempel des Apollo 80, 118–119, 157; Tempel der Victoria 80, 118–119 Pandateria 140 Pannonien 84, 101–104, 141, 143, 145, 147, 179–180, 191, 194 Pansa 41–42, 197. Siehe auch Hirtius Pantheon. Siehe Campus Martius Pantomime 118, 163, 172, 193–194 Parthien 99–100, 102, 108, 113–114; Abkommen mit 99–100 ; Kriege 22, 35, 57–58, 99 pater patriae 28, 87, 90, 181, 186 pax Augusta 84, 96–103, 108, 126, 153, 161, 171, 173–174, 179, 192–193. Siehe auch Ara Pacis pax: Göttin 61, 170–171 ; Bedeutung von 97–103 peregrini 182 Perikles 158 Perusia 48, 51–52, 54, 75, 104 Pharsalos, Schlacht von 18 Philippi, Schlacht von 43, 52, 54–55, 104 Philippica. Siehe Cicero Philippus, Lucius Marcius 16, 18–20, 36 pietas 82, 112, 115, 165 Piso, Calpurnius 86–87, 132 Planasia 149–150

Plancus, Munatius 62–63 plebs/Plebejer/plebejisch 26, 31, 35, 84, 116, 185, 193 Plinius der Ältere 34, 43, 46, 103–104, 135, 138, 167, 208 Pluralismus, religiöser und kultureller 180– 181, 188–190 Plutarch 69, 208 Polybios 200 Polyvalenz/Mehrdeutigkeit 14, 74, 168–172 Pompeius Magnus 17–18, 26, 42, 170, 194; Sohn Sextus, siehe Sextus Pompeius; Theater, siehe Rom. Siehe auch Triumvirat, Erstes Pompeius Trogus. Siehe Trogus, Pompeius pontifex maximus 18, 87, 89, 116, 121, 168, 186–187 pontifex; Kollegium der pontifices 25, 89, 113 Pontus 184. Siehe auch Bithynien Porticus ad Nationes. Siehe Rom Porticus Vipsania. Siehe Rom potestas 19, 74, 83, 85, 87, 132, 147, 152, 181 Primaporta: Statue des Augustus 14, 87–88, 100, 108, 163, 171; Villa der Livia 87, 89, 100 Primus, Marcus 86 princeps 82–83, 87, 97, 102–103, 122–123, 126, 135, 142, 148, 153, 155, 157, 163, 165, 172, 181, 196; iuventutis 148 Prinzipat 73–95, 122–123, 126, 158, 161, 200 Proculeius 46, 104 Propaganda 33, 58–63, 162–166 Properz 159, 165 Proskriptionen 17–18, 37, 48, 50–51, 53, 55, 75, 104 pudicitia 127–128. Siehe auch Ehegesetzgebung; Lucretia Puzzolane 182 Quirinus. Siehe Romulus Religion/religio 18, 21, 25, 35, 72, 79, 81, 89–90, 94, 97, 112–121, 174, 177, 184– 185, 188–189. Siehe auch Christentum; Kaiserkult

Remus 98, 165, 171 Republik 29, 32, 40, 42, 59, 84–85, 87, 92–93, 99, 102, 109, 132, 151, 155, 167, 190; Probleme 29–31, 40–41, 111; Verfassung und „Wiederherstellung“ 75–82, 93–94, 121– 122, 140, 177, 196–199. Siehe auch res publica Res Gestae 9, 42, 64, 73–74, 76, 80, 82–84, 87, 89, 97–98, 100–101, 111, 115, 126, 142, 159, 164, 171, 173, 183, 193, 209 res publica 31, 40, 42, 71, 74–82, 84, 115–116, 118, 121–123, 136, 160, 166, 196–197. Siehe auch Republik Rhegium 140 Rhein 100, 175 Rhodos 104, 127, 139, 144, 148, 172 Rom 8, 13, 15, 31, 57, 64, 69, 79, 84–85, 92– 93, 102, 113, 158, 190, 194, 198; Cloaca Maxima 133; Porticus ad Nationes 168; Porticus Vipsania 135, 168; Saepta Iulia 167; Theater des Pompeius 167, 170, 187; Villa Farnesina 138; Wiederaufbau 71, 135, 166–172, 181, 198. Siehe auch Augustusforum; Caesarforum; Campus Martius; Forum Romanum; Kapitol; Palatin Roma (Göttin) 107–108, 146, 171, 184 Romanisierung 173, 180–183, 189–190; im Vergleich zur Amerikanisierung 189–190 Römisches Reich 9, 84, 93, 173–190, 201; Expansion und deren Grenzen 55, 84, 99– 101, 108, 147, 174, 201; Lebensbedingungen 17, 55, 174, 179, 188–190; Verwaltung und Wirtschaft 177–180. Siehe auch imperium; pax Augusta Romulus 14, 29, 79, 87, 98, 114, 165, 171, 194; als Alternative zu „Augustus“ 79; Hütte des, siehe Palatin Rostra. Siehe Forum Romanum Rubikon 18, 24, 35, 80 Rufus, Annobal Tapapius 186–187 Rufus, Egnatius 81 saeculum 112–113. Siehe auch Säkularfeier Saepta Iulia. Siehe Campus Martius Säkularfeier 112–114, 157

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Samos 75, 93, 127 Schild der Tugenden 74, 82, 119–120 Scribonia 52–53, 136, 140 sella curulis 74, 86 Senat (römischer) 19, 31, 37–42, 60–63, 82– 83, 102, 123, 194–195; senatus consultum (S C)/Senatsbeschluss 76, 79, 83, 131, 197; Beschluss von 27 v. Chr. 28, 74, 78, 80, 85–87, 109, 116; Beschluss von 23 v. Chr. 76, 85, 87 Seneca 75, 135 Servilia 51 Servius 159 Sextus Pompeius 46, 49, 52, 54–57, 197; Niederlage bei Naulochoi 49, 56 Shakespeare, Julius Caesar 18, 30, 36, 44 Silanus, Decimus 124, 151 Sklaverei/Sklaven 15, 20, 52, 55, 79, 92, 94, 103, 116, 210 Sosius, Gaius 60, 62 Spanien 13–14, 19, 24–25, 84–85, 93, 100, 137, 147, 182 Spektakel 63, 69, 113, 141, 185. Siehe auch Spiele Sphaerus. Siehe Octavian; Erziehung Spiele 132–133, 141, 143; für Caesars Sieg (44 v.  Chr.) 32, 34–35; Gladiatorenkämpfe 118, 136, 167; und Julia und Livia 136; und Octavian/Augustus 23, 25, 28, 32–33, 84, 92, 118, 154; säkulare, siehe Säkularfeier. Siehe auch Naulochoi Staatsbürgerschaft 174; Verleihungen der 56, 93, 182 Steinbock (Sternzeichen) 13–14, 34, 146, 167 Steuererhebung 55, 64, 70, 79, 98, 103, 177– 179, 182 Strabo 182–183, 201, 207 Sueton 127–128, 138, 154, 191–192, 207; Augustus 12, 22, 48, 79, 91–92, 119, 121, 157, 163; Caesar (Julius) 29, 75; Claudius 43; Tiberius 123, 141–145 Sulla 17 Syme, Sir Ronald 15, 40, 44, 92, 174

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Tacitus 20, 43, 52, 74, 80, 98, 99, 109, 115, 124, 127–128, 138, 150–151, 175, 191– 192, 194–197, 199, 207 Tarquinius, Sextus 109–110 Tarraco 93 Tellus (Göttin) 89, 108, 171. Siehe auch Ara Pacis Terentia 86 Tiberius Claudius Nero. Siehe Nero, Tiberius Claudius Tiberius Gracchus. Siehe Gracchus, Tiberius Tiberius: Augustus’ Briefe an ihn 145; Erbe des Augustus 104, 123, 128, 138, 142, 193; Feldzüge 100, 141–145, 147, 191–192; frühe Jahre 52, 137, 141; Persönlichkeit 141, 197, 199; Rückzug nach Rhodos 104, 127, 139, 144, 148. Siehe auch Drusus d.  Ä.; Forum Romanum, Tempel von Castor ­ und Pollux, Tempel der Concordia; Gemma Augustea; Livia (Drusilla); Primaporta, Statue des Augustus Tibull 165 Toleranz, religiöse 188–190 Trajan 10, 134, 174 Trimerus 151 Triumvirat: Erstes (Caesar, Crassus, Pompeius) 18; Zweites (Antonius, Octavian, Lepidus) 42, 53–64, 74, 104 Trogus, Pompeius 201 Turia 50–51, 81 Ulpian 16, 46 Unantastbarkeit (sacrosanctitas) 60, 126 univira 112, 172 Ustrinum. Siehe Campus Martius Varro, Terentius 86, 197; Schwester, siehe ­Terentia Varus, Quinctilius 100, 131; Niederlage des 101, 104, 141–142, 197 Velitrae 12–13, 15, 17, 40, 118 Velleius 63, 81–82, 91, 132–133, 135, 141– 143, 147, 149, 191–192, 207

Venus 17, 32, 61, 89, 114, 134, 171; in der ­Aeneis 45; Tempel der (als Genetrix) in Rom 34. Siehe auch Caesarforum Verfassung (römische) 18, 25, 39, 53, 116, 196, 198–199; und Augustus 60, 64, 71, 80–82, 85–86, 197; „Verfassung plus“ 71, 76, 80–82, 168, 197 Vergil 14, 22, 44–45, 137, 159–162, 165. Siehe auch Aeneis; Eklogen; Georgica; Homer Verschwörungen gegen Augustus 81, 84, 86, 92, 103–104, 140, 151 Vespasian (Kaiser) 193 Vesta 98, 120–121, 124; Tempel der, siehe Forum Romanum; Vestalinnen 62 Veteranen 36, 39, 51, 54–55, 62, 64, 71, 84,

102, 182; von Julius Caesar 20, 26, 29, 32, 36, 38–39, 197 vicomagistri 94, 116 Victoria (Göttin) 61, 119–120, 147, 157, 163; Tempel der, siehe Palatin Vipsania Agrippina 138 virtus 82, 114, 132, 143 Vitruv 115. 164 Volkstribun 60, 85–86, 131; Amtsgewalt (tribunicia potestas) 85 Werte (römische) 82 Wirtschaft 31, 84, 177–180, 183 Zweisprachigkeit 183

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Register der Textstellen und Inschriften Die kursiv und fett wiedergegeben Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen in diesem Buch Appian: Bürgerkriege 3.13: 97; 3.41: 38; 4.19– 20: 47; 5.132: 75, 79; 5.546: 60 Augustinus: Gottesstaat 1.19: 111 Augustus: Res Gestae 1.1–4: 42, 98, 159; 3.2–4: 82; 5–6: 78; 7.3: 89; 8.5: 111, 164; 13: 171, 173; 13.2: 97; 14: 142; 20.4: 115; 25.2: 64; 26.1–2: 101; 29.2: 100; 34: 73–74; 34.1: 73; 35: 87 Cicero: Briefe an Atticus 16.15.3: 38; Briefe an Brutus 24.6: 37; Briefe an Freunde und Familie 11.20.1: 41; Philippica, 13.11.24– 25: 28 CIL (Corpus Inscriptionum Latinarum) 11.3200: 187 Dio: 47.8.4: 47; 49.15.1: 126; 50.2: 62; 50.35.1– 4: 45–46; 51.19.7: 79; 52.2.1–4: 77; 52.17.1– 2: 77; 52.34.1: 77; 52.41.1: 77; 53.2.5: 73; 53.11.2: 80; 53.16.8: 78; 53.26.5: 97; 53.27.1–4: 134; 54.29: 133; 55.9.1: 149; 55.12.4: 157; 55.25.6: 180; 55.31: 145; 55.32: 149; 56.30: 191; 56.33.5: 99; 56.42.1: 194; 56.43.2: 21; 56.47.2: 195 Gellius, Aulus: Attische Nächte 15.7.3: 150 Horaz: Carmen Saeculare 45–60: 114; Oden 1.37.6–10: 59; 3.5.2: 119; 3.6.5–6: 114; 3.6.46–48: 103; 3.30.13: 172 ILS (Inscriptiones Latinae Selectae) 8393: 50 IRT (Inscriptions of Roman Tripolitania) 321: 187 Livius: 1.58: 110 Lukas: 2.46–47: 24 Macrobius: Saturnalien 2.4: 124; 2.4.1–31: 154; 2.4.9: 155; 2.4.17: 155; 2.4.26: 156; 2.4.29: 156; 2.5.2: 137; 2.5.4: 136; 2.5.8: 136; 2.5–6: 136 Martial: 11.20: 54

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OGIS (Orientis Graeci Inscriptiones Selectae) 458: 176 Ovid: Liebeskunst 1.194: 148; Fasti 2.130: 181; 2.132: 87; Tristia 4.4.15: 116 Papyrus Köln 249: 131 Plinius d. Ä.: Naturgeschichte 2.94: 34; 7.147– 150: 104; 7.148: 43, 46; 35.26: 135; 36.102: 167; 36.105: 133 Plutarch: Leben des Cicero 48–49: 47 Properz: 2.34.65–66: 159 Seneca: Über Wohltaten 6.32: 140; Über Milde 1.11.1: 75; Briefe 15.94.46: 135 Strabo: Geographie 3.2.15: 183; 7.1.4: 101 Sueton: Augustus 7.2: 79; 13: 46; 23.2: 100; 28: 115; 43–45: 118, 163; 52–56: 91; 53.1: 92; 64: 148; 65: 149–150; 69: 139; 71: 128; 73: 129; 75: 154; 78: 155; 79.3: 91; 89.2: 54; 89.3: 162; 92: 121; 94.12: 14; 98: 154, 176, 191; 99: 125, 192; Caesar 77: 75; 77.1: 29; Claudius 41: 43; Tiberius 6: 141; 10: 144; 21: 145; 23: 123, 142; 68: 142 Tacitus: Annalen 1.2: 98; 1.9: 175; 1.9.3–5: 196; 1.10.1–7: 197; 1.11: 99; 1.72: 155; 3.24.3: 124; 3.25: 109; 3.28: 74, 80; 4.16: 115; Dialog über die Redner 28.6: 20 Valerius Maximus 4.3.3: 128 Velleius: 2.79.1: 133; 2.83: 63; 2.88: 91; 2.89.2– 3: 81; 2.111.4: 143; 2.112.7: 149; 2.113.2: 142; 2.114.1–3: 143; 2.123.2: 192 Vergil: Aeneis 1.1–11: 160; 1.33: 162; 1.279: 108; 1.291–296: 98; 6.792–793: 108; 6.793– 797: 108; 6.846: 82, 145; 6.860–886: 137, 162; 8.675–688: 45; 8.680: 44; 8.696–700: 45; 12.190: 90; 12.192: 90; Eklogen 1: 51; 4.17: 102; 4.18–30: 105; 4.37–45: 105; 4.48– 52: 105 Vitruvius: Über Architektur Praef. 2: 115; 7.5.3–4: 164

Bildnachweis

Abb. 1: bpk / Münzkabinett, SMB / Reinhard Saczewski. Abb. 2: D-DAI-MAD-WIT-R-001-71-11 (Fotograf P. Witte). Abb. 3: bpk / Antikensammlung, SMB / Johannes Laurentius. Abb. 4: Bibliothèque nationale de France. Abb. 5: Zeichnung von Deena Berg. Abb. 6: © Sandro Vannini / CORBIS. Abb. 7: © The Trustees of the British Museum. Abb. 8: bpk / Scala. Abb. 9: akg-images. Abb. 10: akg-images / Pirozzi. Abb. 11: Album / Prisma / AKG. Abb. 12: D-DAI-ROM-35.388.

Abb. 13: Zeichnung von Deena Berg. Abb. 14: Musée de Carthage. Nach T. Hölscher, Victoria Romana (1967), 13.2. Abb. 15: Geldmuseum, Utrecht. Abb. 16: P. Köln Inv. 4701+4722, Papyrsussammlung, Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln. Abb. 17: Flickr / ctsnow. Abb. 18: bpk / Münzkabinett, SMB. Abb. 19: akg-images / Erich Lessing. Abb. 20: akg-images / Andrea Jemolo. Abb. 21: http://arachne.uni-koeln.de/item/ marbilder/4802689/FA-PHG-3593-04_ 35141.jpg Abb. 22: Wikimedia Commons / Papageizichta.

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Informationen Zum Buch Augustus ist einer der bedeutendsten Herrscher der Weltgeschichte – und einer der faszinierendsten zugleich! Er setzte dem Jahrhundert der Bürgerkriege ein Ende und schuf die als Pax Augusta bekannte langanhaltende innenpolitische Friedenszeit. Nach außen hin stabilisierte er das Reich durch die Sicherung der Grenzen und vergrößerte es in einem später nie mehr erreichten Maße. Mit der Einführung des Prinzipats begründete er zudem eine neue Epoche der europäischen Geschichte. Karl Galinsky, einer der international renommiertesten Kenner der augusteischen Zeit, geht in dieser packenden und prägnant geschriebenen Biographie dem Leben Augustus’ bis zu dessen postumer Vergöttlichung nach. Es entsteht ein lebendiges Bild von den Herausforderungen, Rückschlägen und Erfolgen, die Augustus’ öffentliches wie auch privates Leben prägten. »... mit seinem gut lesbaren und teils humorvollen Stil, ist das Werk [...] ein Vorbild, wie politische und kulturelle Geschichtsschreibung einem modernen Publikum präsentiert werden muss.« (Christopher Francese, Dickinson College, in Bryn Mawr Classical Review)

Informationen Zum Autor Karl Galinsky ist Professor für Klassische Philologie an der Universität von Texas. Er erhielt u. a. 2009 den Max-Planck-Forschungspreis. Aus seiner Feder stammen die grundlegenden Publikationen Augustan Culture und The Cambridge Companion to the Age of Augustus.