Augustin und das paulinische Freiheitsproblem: Eine philosophische Studie zum pelagianischen Streit 9783666531163


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Augustin und das paulinische Freiheitsproblem: Eine philosophische Studie zum pelagianischen Streit
 9783666531163

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HANS JONAS Augustin und das paulinische Freiheitsproblem

HANS

JONAS

Augustin und das paulinische Freiheitsproblem Eine philosophische Studie zum pelagianischen Streit

Zweite, neubearbeitete und erweiterte Auflage mit einer Einleitung von James M. Robinson

G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T . 1965

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Rudolf Bultmann Neue Folge, Heft 27 (44. Heft der ganzen Reihe)

2. Auflage © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1930; 1965.—Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomcchanischem Wege zu vervielfältigen. Gesam Herstellung: Hubert & Co., Göttingen 4265

Auch diese Neuauflage widme ich wiederum R U D O L F BULTMANN

dem verehrten Lehrer und teuren Freund

Vorwort des Verfassers zur zweiten Auflage Die Einleitung, die Herr Professor James M.Robinson freundlich und großherzig beigetragen hat, enthebt mich der Notwendigkeit, die Neuauflage dieser umstrittenen Frühschrift, die so viele Jahre vergriffen war, meinerseits zu begründen. Ich gebe daher lediglich Auskunft über die vorgenommenen Veränderungen. Im Text habe ich den „eigenwilligen" Ausdruck gelegentlich geglättet, aber den Inhalt unberührt gelassen. Durchweg sind die Auszüge aus Augustin ins Deutsche übertragen worden. Vielleicht war schon s. Zt. meine Annahme, der humanistisch Vorgebildete könne augustinisches Latein mühelos lesen, etwas zu optimistisch. Jedenfalls wurde mir glaubhaft versichert, daß dies heute auch in Deutschland nicht mehr zutreffe. Um aber den gelehrten Leser des bequemen Vergleichs mit dem Original nicht zu berauben, habe ich alle wichtigen lateinischen Zitate, mit Seiten-Verweis auf ihre deutsche Wiedergabe im Text, in einem Anhang (IV) am Schluß versammelt. Schließlich habe ich in einem besonderen Anhang (III) die Reflexion über Rom. 7,7—25 angefügt, die ich im Vorjahr Rudolf Bultmann zu seinem 80. Geburtstag d a r b r a c h t e D i e Anfügung hier ist nicht nur sachlich, sondern auch biographisch gerechtfertigt: Plan und sogar Entwurf einer solchen Paulusanalyse ging in der Tat der Veröffentlichung der vorliegenden Sdirift voraus und wurde Rudolf Bultmann s. Zt. in einem Brief vom 13. 7. 1929 (wovon mit gutem Glück eine Kopie mich durch die Jahrzehnte und Kontinente meiner Lebenswanderung begleitet hat) mitgeteilt. Die jetzige Ausarbeitung ist im Geiste noch ebenso experimentell wie der damalige Entwurf, aber ihr Gedankengang hat mindestens als Experiment bei mir selbst dieProbe der Jahre bestanden, und er rundet die These der Augustinstudie in einer Weise ab, die ich damals noch nicht recht in der Öffentlichkeit des Druckes wagte. Ich konnte diese Neubearbeitung der alten Schrift unter dem gastlichen Dach und mit den großzügigen Hilfsmitteln des Center for Advanced Studies der Wesleyan University durchführen. Der vorbildlichen Institution sei audi hier mein aufrichtiger Dank bezeugt. Middletown, Connecticut (USA)

Hans Jonas

Januar 1965 1 „Philosophische Meditation über Paulus, Römerbrief, Kapitel 7", Zeit und Geschichte: Dankesgabe an Rudolf Bultmann zum 80. Geburtstag, hrsg. v. Eridi Dinkier, Tübingen (J.C.B.Mohr) 1964, 557—570. Dem Herausgeber wie dem Verleger sei hier gedankt für die Genehmigung des (leidit veränderten) Nachdrucks.

Inhalt Vorwort des Verfassers

7

Verzeichnis der Abkürzungen

10

Einleitung von James M.Robinson

11

1. Absicht der Untersuchung

23

2. Das Freiheitsproblem in Stoa und Christentum

25

a) Stoa

25

b) Christentum

29

3. Die christliche Fragestellung und ihre Fassung durch Augustin . . .

33

4. Orientierung der Untersuchung an Römer 7 a) Die Auslegung in der vorpelagianisdien Epoche b) Die Auslegung in der antipelagianischen Epoche c) „Guter Wille" und „Verdienst"

39 41 50 60

5. Kritische Betrachtungen zu Augustins Begrifflichkeit a) b) c) d)

63

Welches ist die richtige Auslegung von Rom. 7? „Rufung" und „Einflößung" des guten Willens „Rufung" und „Einflößung" des Glaubens „Wille" und „Trieb"

Anhang I.

Zur hermeneutischen Struktur des Dogmas

Anhang II.

Des Pelagius Auslegung von Rom. 7

63 64 68 76 80 90

Anhang III. Philosophische Reflexion über Paulus, Römerbrief Kap. 7 . Anhang IV. Ausgewählte Originale zu den Verdeutschungen im T e x t .

.

93 106

Verzeichnis der Abkürzungen Folgende A b k ü r z u n g e n werden f ü r häufiger zitierte Schriften Augustins benutzt: ad Simpl.

= de diversis quaestionibus ad Simplicianum

div. quaest.

— de diversis quaestionibus octoginta tribus

ep. = epistolae ep. Pel. = contra duas epistolas Pelagianorum expos. Gal. = expositio epistolae ad Galatas expos. Rom.

= expositio q u a r u n d a m propositionum ex epistola ad Romanos

grat. Chr. = de gratia Christi et de peccato originali nat. grat. = de n a t u r a et gratia retract.

= retractationes

spir. lit. — de spiritu et littera D a h i n t e r : n. = numerus; prop.

— propositio; qu. =

Zitiert w i r d nach Migne, Patrologia,

quaestio.

S. L., tom. 32—46

= Augustini

opera

omnia

I — X I : f ü r die Angabe des Bandes wird stets die letztere Zählung in römischen Ziffern benutzt, mit Seitenzahl dahinter in arabischen Ziffern.

Einleitung VON JAMES

M.

ROBINSON

Es ist oft das Schicksal von neuartigen Versuchen in der Geistesgeschichte gewesen, daß sie am Anfang der Epoche zunächst auf Unverständnis stießen, während sie nur bei wenigen befreiend wirkten, um dann endlich durch die allgemeine geistige Entwicklung eingeholt zu werden. So ist es bei der hier in neuer Auflage vorgelegten Jugendarbeit von Hans Jonas geschehen. Die damalige Rezension von Hugo Koch1 hatte sidi darauf beschränkt, schockiert gegen die unverstandene Begrifflichkeit zu protestieren. Es handelte sich dabei aber nur zum Teil um „gewisse Eigenwilligkeiten des Ausdrucks, die man freilich dem begabten Anfänger 1930 hätte zugute halten sollen" (so Rudolf Bultmann) 2 . Diese sind denn audi in der vorliegenden neuen Ausgabe vom Autor geglättet worden. Eher ging es um die mit Bultmann „gemeinsame starke Abhängigkeit von der Phänomenologie Martin Heideggers, die bis in das komplizierte terminologische Gefüge hinein in einem Maße vorausgesetzt wird, daß sich das sachliche Verständnis der Schrift für den darauf nicht vorbereiteten Leser u. U. recht schwierig gestalten kann" (so Erich Dinkier)s. Wie sehr aber die Zwischenzeit uns darauf vorbereitet hat, zeigt die Liste von unverstandenen Begriffen, die Koch anführt: „ .existential', ,existentiell', ,Phänomen', phänomenologisch', .Struktur', strukturell', u. dergl." — Vokabeln, die jetzt im Rückblick als die termini tedinici einer ganzen Forschungsgeneration erscheinen. Die sprachlichen Schwierigkeiten sind aber letztlich in der Erfassung der Sache begründet, wie Hugo Koch selbst in einer ironisch gemeinten Bemerkung gegen seinen eigenen Willen noch bezeugt: „Wenn der Inhalt der Schrift an Güte der Unverständlichkeit ihrer Sprache gleichkommt, dann muß er ganz hervorragend sein." Es hat sich herausgestellt, daß dieser Satz als realis statt als irrealis zu verstehen ist. In der Kritik Kochs 1 ThLZ, 55, 1930, 469 f. Diese Rezension hat fast das Erscheinen von Gnosis und spätantiker Geist verhindert. Nur das Einsetzen der ganzen Autorität Bultmanns als Herausgebers der Reihe hat die geplante Veröffentlichung dennodi durchgesetzt. 2 Im Vorwort zu Gnosis und spätantiker Geist I, 1934. ' DLZ, 2, 1931, 2214.

12

Einleitung

ging es nicht so sehr um den Beitrag zur Augustin-Forschung; dieser ist übrigens schon damals durch Gustav Krüger und Erich Dinkier ausgewertet worden 4 . Es war vor allem der Anhang: „Zur hermeneutischen Struktur des Dogmas", der Kodi die Mehrzahl seiner ausführlichen Zitate von Unverstandenem geliefert hatte. Interessanterweise wurde gerade dieser Anhang eine Generation später wie selbstverständlich als Diskussionsgrundlage der Sitzung des amerikanischen Neutestamentlichen Colloquiums gewählt, die am 28. Dezember 1962 zum ersten Mal im Hause Jonas in New York stattfand. Die Situation läßt sich vielleicht mit dem Schicksal von gnostischen Zitaten vergleichen, die von patristischen Häresiologen angeführt wurden, um die Verworrenheit und Verstiegenheit der Gegner bloßzulegen, und die dann von der modernen Forschung, vor allem auf Grund der Arbeiten von Hans Jonas, als Kernsätze eines tiefsinnigen Daseinsverständnisses allmählich erkannt worden sind. Der genannte Anhang ist ja nichts geringeres als der Wendepunkt in der Entwicklung, die problemgeschichtlich von der Einführung des Mythosbegriffes in die Bibelwissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts zur „Entmythologisierung" in unserer Zeit überleitete. Den problemgeschichtlichen Hintergrund der modernen Entmythologisierung im neunzehnten Jahrhundert haben Christian Hartlich und Walter Sachs in ihrer Abhandlung Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibelwissenschafl, 1952, untersucht. Sie kennzeichnen ihre Aufgabe mit folgenden Worten: „Sie (sc. ihre Untersuchung) strebt nicht eine Aufnahme des mehr oder weniger zufälligen Vorkommens von Wort und Begriff Mythos in der neueren Bibelwissenschaft an, sondern sucht in der Geschichte der Exegese diejenige Bewegung scharf zu erfassen, in der erstmalig ein methodisch geklärter Begriff von Mythos bzw. Mythologie in hermeneutischer Bewußtheit und mit in der Sadie selbst gelegener Konsequenz fortschreitend auf die biblischen Schriften zur Anwendung gebracht wurde." 5 Aus dem in solcher Weise prägnant verstandenen Mythosbegriff ergibt sich dann das hermeneutische Problem. „Jede prinzipielle Anwendung des Mythosbegriffes in der Exegese führt mit sachlicher Notwendigkeit eine bestimmt-strukturierte Problematik mit sich: sie muß anheben mit der Abtrennung der mythischen Vorstellungsform von dem in ihr eigentlich Gemeinten — dem .Inhalt' —; näherhin entfaltet stellt sie vor das Problem von mythischer Einkleidung und (eventueller) historischer Faktizität sowie vor die Frage nach dem möglichen Wahrheitsgehalt biblischer Mythen." β Diese Frage aber blieb ungelöst und führte lediglich zu der Einsicht, „daß jede Behauptung der Wahrheit oder Falschheit von Aussagen über 4 Krüger: ZGK, 49, 1930, 500; Dinkier: neben der Rezension in DLZ, 2, 1931, 2214—2217, vgl. seine Monographie Die Anthropologie Augustins, 1934. ' Hartlidi-Sadis, a.a.O. S. 1. * Ebenda.

Einleitung

13

wunderhafte und übersinnliche Geschehnisse der beschriebenen Art ihrer prinzipiellen Unverifizierbarkeit wegen unmöglich ist" 7 . So blieb das theologische Ergebnis der im neunzehnten Jahrhundert durchgeführten Anwendung des Mythosbegriffes auf die Bibel rein negativ, wie Hartlich und Sachs am Ende ihrer Untersuchung betonen: „Je klarer die Einsicht gewonnen ist, daß für biblische Aussagen der bezeichneten Art unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis Wahrheit kein Vorrang vor anderen in Anspruch genommen werden kann, um so dringlicher wird die Frage, ob ihnen Wahrheit und Bedeutung in einem anderen Sinn zukommt, als dem einer Obereinstimmung mit einer äußeren objektiven Wirklichkeit. Die Versuche einer Beantwortung dieser Frage innerhalb der mythischen Bewegung (sc. der Bewegung im 19. Jahrhundert, die den Mythosbegriff in die Bibelwissenschaft einführte) scheinen uns allerdings nicht ausreichend für eine gelungene Lösung. Bei keinem ihrer Vertreter gelang ihr, wie uns scheinen will, eine sachgerechte Lösung, wo es galt, den eigentümlichen Wahrheitsanspruch der biblischen mythischen Aussagen zu begreifen. Alle in dieser Hinsicht durchgeführten Versuche haben bei Mannigfaltigkeit im einzelnen das Gemeinsame, daß sie den Wahrheitskern der Mythen in irgendeiner Weise der Rationalität überantworten und damit seiner Eigenständigkeit berauben — werde dieser Wahrheitskern nun gefaßt als moralische Vernunftwahrheit, als philosophischer Religionsbegriff oder als Vernunftidee." 8

Am Anfang unseres Jahrhunderts glaubte man dieser in Willkür und Subjektivismus endenden Sackgasse dadurch entrinnen zu können, daß man entweder das Mythologische eliminierte, d. h. gerade die Stellen ausschaltete, welche die Bedeutsamkeit der biblischen Botschaft zur Sprache brachten, oder aber das Vorhandensein des Mythologischen in der Bibel überhaupt bestritt oder möglichst begrenzte, d.h. aber, daß man das Problem einfach ignorierte. Wenn dann die „Religionsgeschichtliche Schule" die letztere Alternative historisch immer mehr untergrub — Hermann Gunkels Schrift: Zum religionsgeschichtlicben Verständnis des Neuen Testaments, erschien in dritter Auflage, problemgeschichtlidi nicht ganz zufällig, in derselben Reihe und im selben Jahr wie die erste Auflage des vorliegenden Buches —, so hatten Formgeschichte und dialektische Theologie erwiesen, daß man theologisch gerade von den mythischen, weil kerygmatischen, Stellen auszugehen hat. Als der Neutestamentler unter den dialektischen Theologen ist es Rudolf Bultmann gewesen, der die Spaltung zwischen weiterführenden exegetischen Einsichten und ungenügenden exegetischen Methoden am tiefsten empfand, und zwar am stärksten im Falle von Barths Schrift zur Exegese von l.Kor. 15 е . Denn in Bultmanns ausführlicher Rezension 10 wird das Problem zum ersten Mal klar als Problem erfaßt. „So sehr idi B.s Sicherheit in der Erfassung zentraler Gedanken des Textes bewundere, — ich könnte nicht so verfahren. Es handelt sich ja nicht um ein einfaches 7 8 S.149. S.163. • Die Auferstehung der Toten, 1924. 10 ThBl, 5, 1926, 1—14; Glauben und Verstehen, I, 38—64.

14

Einleitung

Nebeneinander von zeitgeschichtlichen und eigentlichen paulinischen Aussagen im Text, sondern um ein Ineinander u n d Durcheinander. U n d es b e d ü r f t e m. E. einer viel angestrengteren exegetischen Bemühung und begrifflichen Analyse, um zu gerechtfertigten Ergebnissen zu kommen. Aber auch dann (und solche Bemühungen stehen ja wohl auch hinter den gedruckten Ausführungen B.s) müßte m. E. das Wagnis solcher Exegese viel stärker betont w e r d e n . Es ist doch keine Kleinigkeit, wenn man die Gedanken des Paulus, die zunächst die deutlichsten sind, und die ihm zweifellos wichtig waren, wenn man die ganze .Schlußgesdiichte' sozusagen weginterpretiert, sei es nun durch U m d e u t u n g , sei es durch kritische Scheidung!" 11 „Es erscheint mir nun ebenso sicher, d a ß Paulus in 1.Kor. 15 von einer solchen Schlußgesdiichte redet, wie, d a ß er in Wahrheit nicht von ihr reden kann und will. M. a . W . m a n k o m m t bei 1.Kor. 15 nicht ohne durchgehende (nicht nur gelegentliche, wie B. sie an V. 29 immerhin übt) Sachkritik aus. D e n n so wenig Paulus so etwas wie eine .Weltanschauung' verkündet, so sehr besteht doch f ü r ihn wie f ü r jeden anderen die N o t w e n d i g k e i t , das, was er sagt, in der Begrifflidikeit seiner Weltanschauung zu sagen. U n d es geht nicht an, die weltanschaulichen — in diesem Falle mythologischen — Elemente einfach zum .Gleichnis' zu erklären oder sie durch U m d e u t u n g zu beseitigen. Was f ü r spätere christliche Eschatologen von B. zugestanden wird, d a ß sie aus dem biblischen Material eine in Wahrheit gar nicht endgeschiditliche Sdilußgeschichte konstruieren, gilt auch f ü r Paulus, der sein M a t e r i a l der jüdischen bzw. jüdisch-gnostischen A p o k a l y p t i k entnimmt. Auch Paulus ist ,auf halbem Wege stehen geblieben' (59). D a ß wir auch als Kritiker vielleicht nicht weiterkommen als er, entbindet nicht von der Pflicht der Kritik." 12

Während Bultmann hier noch vor allem in der Begrifflidikeit der dialektischen Theologie redet, finden wir vier Jahre später die Übersetzung in die Begrifflichkeit der existentialen Interpretation vollzogen. „Indem er (sc. der Mensch) sich aus dem Vergänglichen, Vorläufigen versteht, ist sein Sein kein eigentliches Sein, sondern ein dem Vergehen verfallenes. In der m y t h o logischen Vorstellungsweise seiner Zeit sieht P. solches Dasein als geknechtet unter Geistermächte, den Satan u n d seine Scharen . . . Wie wenig diese mythologischen Vorstellungen spekulativen C h a r a k t e r haben, wie wenig P. durch sie etwas .erklären' will, wie sehr in ihnen n u r ein bestimmtes Daseinsverständnis Ausdruck findet, sieht man d a r a n , d a ß P. z . B . die Sünde nicht auf den Satan zurückführt (Rom. 5 , 1 2 f f . ; 7 , 7 ff.). . . Wieweit P. das zugleich in mythologischen Gedanken vorgestellt h a t , ist nebensächlich, wenn man sieht, welche Daseinserfassung sich in ihnen ausspricht." 1 3

Hier fehlt eigentlich nur noch die sprachphilosophische Begründung und der Begriff der Entmythologisierung. Beides hatte Hans Jonas inzwischen geliefert, und zwar gerade in dem Abschnitt des Werkes, den Koch vor 35 Jahren wegen seiner damaligen Unverständlichkeit so scharf kritisiert hatte. Mit Recht aber ist dieser im Rüdiblick als klassisch zu bezeichnende „Anhang" in der neuen Auflage im wesentlichen unverändert geblieben. Der entscheidende Durchbruch erfolgt in den folgenden Sätzen: „All dies entspringt einer unausweichlichen F u n d a m e n t a l s t r u k t u r des Geistes als solchen: D a ß er sich in gegenständlichen Formeln und Symbolen auslegt, d a ß er .symbolistisch' ist, ist Wesentlichstes des Geistes — und Gefährlichstes zugleich. U m zu sich 11 13

1! GuV, I, 57. G«V, I, 52. In dem Paulus-Artikel der RGG*, IV, 1930, 1032 f.

Einleitung

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selbst zu kommen, nimmt er wesensmäßig diesen Umweg über das Symbol, in dessen verlockender Problemwirrnis er sich, ferne vom symbolisch darin verwahrten Ursprung und das Stellvertretende absolut nehmend, zu verlieren neigt — und nur in einer langen Rückbildung, nach erschöpfender Durchmessung jenes Umweges, vermag ein entmythologisiertes Bewußtsein sich den in dieser Verkleidung versteckten Ursprungsphänomenen auch begrifflich direkt zu nähern (vgl. den langen Weg des Erbsündendogmas bis auf Kierkegaard!)." 1 4

War hier vorausblickend die entmythologisierende Tätigkeit eines „entmythologisierten Bewußtseins" anvisiert, so finden wir in der gemäß dem Vorwort schon 1934 gesetzten und also dem Herausgeber der Reihe, Rudolf Bultmann, bereits bekannten Einleitung des zweiten Teils von Gnosis und spätantiker Geist, der erst 1954 allgemein zugänglich wurde, den ebenfalls im problemgeschichtlichen Zusammenhang geprägten Begriff „entmythisieren". „In dem metaphysischen Emanations- und Depravationsschema (sc. der spätantiken Philosophie) finden wir gnostischen Mythos in entpersonalisierter, logisierter Form wieder; also in einer Hinsicht zwar entmythisiert, aber vermöge seines Hypostasencharakters doch audi wieder mythisch. Diese mythologisch-philosophischen Zwisdiengebilde werden uns in der Metaphysik des Origenes und Plotin begegnen. Zunächst aber wenden wir uns einem anthropologisch-ethischen Begriffsbereich zu, in dem wir solche mythographischen Analogien grundsätzlich nicht erwarten dürfen, und in dem es uns auch, vor allem, auf etwas anderes ankommt: zu zeigen, wie das angesetzte existenzielle Grundprinzip, das ,gnostische', wenn anders es wirklich von der mythologischen Symbolwelt zu lösen und als allgemeinere άρχή anzusetzen ist, hier in einer ganz eigentümlichen Weise aus der äußeren mythischen Objektivation zurückgenommen und in innere Daseinsbegriffe und ethische Praxis umgesetzt, also gleichsam „resubjektiviert" erscheint, — wie aber andrerseits auch in diesem Bereich das mythische Element nicht eigentlich überwunden ist, vielmehr noch in der .Immanenz' ( d . h . auch ohne mythologische Transzendenz) die Daseinsbegriffe ihrer ontologischen Struktur nach in einem weitesten Sinne .mythisch' bleiben — vermöge ihrer durchgängigen Herkunft von einer Grundobjektivation." 1 5

In Wirklichkeit ist diese dem Mythus- und Objektivationsproblem gewidmete Einleitung zu Gnosis und spätantiker Geist I I / l der zuerst veröffentlichte Teil des ganzen Werkes, der aus Jonas' Marburger Dissertation 1928 Der Begriff der Gnosis stammt und schon 1930 zur Erfüllung der Promotionsbedingungen als Teildruck bei Vandenhoeck & Ruprecht erschien. Sie ist also seit der gleichen Zeit wie Anhang I der vorliegenden Schrift, mit dem sie sachlich zusammengehört, ein Faktum der öffentlichen Forschungsgeschichte1β. M S. unten S. 82. Auf diese Stelle wird schon in dem Artikel „Entmythologisierung" in der RGG3, II, 497 verwiesen. 15 Gnosis und spätantiker Geist I I / l , 3 f. w Das obige Zitat aus Gnosis I I / l (1954) findet sich auf S . 5 f . des Teildrucks Der Begriff der Gnosis, 1930. Die Dissertation wurde bei Heidegger geschrieben, aber von Bultmann mit aufmerksamer Anteilnahme in ihrem Werdegang verfolgt. — Die tatsächliche Druckgeschichte von Gnosis und spätantiker Geist, Zweiter Teil, Erste Hälfte, die im Vorwort von 1954 nur angedeutet wurde, ist demnach folgende: Die hier rele-

16

Einleitung

So ist es forsdiungsgeschichtlich begründet, daß Rudolf Bultmann in seinem Aufsatz zur Entmythologisierung 17 in 1941 von der Arbeit von Hans Jonas ausgeht. Die Unverifizierbarkeit der objektivierten Aussagen der Mythen und also das Versagen der Mythenforsdiung im neunzehnten Jahrhundert hinsiditlich der sachkritischen Frage, die Bultmann in seiner Diskussion mit Barth gestellt hatte, findet jetzt dank Hans Jonas ihre Lösung. «Kann man schematisch sagen, daß in der Epoche der kritischen Forschung die Mythologie des Neuen Testaments einfach kritisch eliminiert wurde, so wäre — ebenso schematisch gesagt — die heutige Aufgabe die, die Mythologie des Neuen Testaments kritisch zu interpretieren. Es soll damit freilich nicht behauptet werden, daß es nidit auch kritisch zu eliminierende Mythologeme geben könne; nur müßte dann das Kriterium nicht aus der modernen Weltanschauung, sondern aus dem Existenzverständnis des Neuen Testaments selber erhoben werden." 18

In einer Anmerkung verweist dann Bultmann „zur kritischen Interpretation des Mythos" auf „die wichtigen Ausführungen über die hermevante Einleitung, „Zum Problem der Objektivation und ihres Formwandels", sowie Kap. 1 und 2 (»Die Auflösung des antiken άρετή-Begriffs . . . " und „Vorwegnahme des ίσχατον ...") wurden 1930 als Dissertations-Teildruck mit dem Erscheinungsort Marburg veröffentlicht, aber schon damals auf dem Vorsatzblatt als „Sonderdrude aus .Gnosis und spätantiker Geist', Forschungen . . . usw., Heft 30 der N. F., Göttingen 1930 (!)" bezeichnet. Der vollständige Satz dieses „Teildrucks" wurde im Hinblick auf die künftige Verwendung im Gesamtwerk stehengelassen und dann in der Tat 1934, nach Erscheinen von Gnosis I, als Druckbeginn von Gnosis II (mit einigen Erweiterungen besonders im 2.Kapitel) ausgedruckt; nur der erste Bogen (S. 1—16) blieb noch ungedruckt im Satz stehen. Bis 1935 schritt weiterer Satz und Druck bis zum Ende des 3. Kapitels („Gotteserkenntnis . . . bei Philo") fort, wobei wiederum die letzten Seiten (113—124) als unvollständiger Bogen unausgedruckt im Satz belassen wurden. Beides, gedruckte Bogen und ungedruckter Satz, wurden vom Verlag durch Hitlerzeit, Krieg und Nachkriegs jähre gehütet bis zur schließlichen Veröffentlichung i. J. 1954, als all dies mit Hinzufügung von zwei weiteren Kapiteln, die bereits vor dem Krieg in Palästina geschrieben, aber dem Verlag nicht mehr übersandt worden waren, als Gnosis II/l erschien. Wichtig ist, daß die dem Mythus- und Entmythisierungsphänomen (unter dem Oberbegriff der „Objektivation") gewidmete „Einleitung" (S. 1—23), die der Vf. als philosophisdi-hermeneutische Basis seines ganzen Unternehmens ansah, seit dem Dissertationsdruck 1930 praktisch unverändert blieb. 17 Neues Testament und Mythologie: Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, zuerst erschienen 1941 in Band 7 der Beiträge zur Evangelischen Theologie: Offenbarung und Heilsgesd>ehen, Neudruck in Kerygma und Mythos, I, 1948, 15—53. 18 KuM I, 25: Hier in der 1. Auflage 1948 heißt es gegen Ende (versehentlich?) „Existenzverhältnis", was in späteren Auflagen zu „ExistenzVerständnis" umgeändert ist. Zur Erklärung ist vielleicht hinzuweisen auf Jonas, Der Begriff der Gnosis, S. 11 (= Gnosis II/l, S . 9 f . ) : „Das Grundlegende und zugleich Spezifierende einer bestimmten Konkretion des Daseins besteht in seinem Verhältnis zur Welt — zu seiner Welt — und zu sich selbst . . . Jede Daseinskonkretion stellt ein solches Verhältnis dar, ,ist' dieses Verhältnis . . . Das Verhältnis vollzieht sich als Seins-Verstehen." (Auszeichnungen im Original.)

Einleitung

17

neutische Struktur des Dogmas bei Hans Jonas", d.h. auf den Anhang I in der vorliegenden Arbeit. Dabei setzt Bultmann im Falle von „kritisch zu eliminierenden Mythologemen" voraus, daß das Existenzverständnis des Mythologischen zunächst durch existentiale Interpretation freigelegt worden ist: d.h. die sachkritische Lösung setzt die Entmythologisierung voraus. Anläßlich dieser Aufgabe bezieht sich Bultmann wiederum auf Hans Jonas. „Auch die Mythologien haben ihren Sinn nicht in ihren objektivierenden Vorstellungen, sondern müssen auf das in ihnen liegende Existenzverständnis hin, d.h. existential, interpretiert werden, wie das Hans Jonas für die Gnosis vorbildlich getan hat." 1β Weil das so in Verbindung mit Hans Jonas ausgearbeitete Entmythologisierungsprogramm oft, als nur homiletischen Zwecken dienend, abgesetzt wird von historischer Forschung, die doch unsere Kenntnis der Vergangenheit bereichern soll, muß man hervorheben, daß für Bultmann die Entmythologisierung der Gnosis gerade eine Bereicherung seiner historischen Kenntnisse erbrachte. Im Vorwort zu Gnosis und spätantiker Geist I sagt Bultmann, „daß ich, der ich seit Jahren einen großen Teil meiner Arbeit dem Studium der Gnosis gewidmet habe, aus keiner der bisherigen Untersuchungen über dieses Gebiet — und man weiß, daß es deren ganz vortreffliche gibt—so viel für eine wirklidie Erkenntnis des geistesgeschichtlichen Phänomens der Gnosis gelernt habe, wie aus dieser, ja, daß mir hier die Bedeutung dieses Phänomens erst im vollen Umfang erschlossen wurde. Steht das Werk auch durdiaus in der Kontinuität der Forschung, so ist doch hier, wie mir scheint, zum erstenmal die Einordnung der Gnosis in die Geschichte der Spätantike wirklich vollzogen, und es wird deutlich, was die Gnosis in der Wende des Weltverständnisses von der Antike zum Christentum des Abendlandes bedeutet." Was das in religionsgeschichtlicher Konkretisierung bedeutet, zeigte Bultmann im Rahmen eines Forschungsberichtes 1936. » W i r reden ja noch nicht seit langer Zeit von der Gnosis als einer Erscheinung der spätantiken Geistesgesdiichte überhaupt, und nodi in Boussets Kyrios Christos w a r die selbständige Bedeutung der spezifisch-gnostischen Bewegung als Voraussetzung der hellenistisch-christlichen und speziell der paulinischen Theologie nicht deutlich erkannt worden. ,Hellenistische Mysterienreligionen' und ,hellenistische Mystik' waren die beherrschenden Begriffe. Lietzmann hat in seiner Geschichte der Alten Kirche I wohl gezeigt, daß die Gnosis nicht erst auf dem Boden des Christentums, als dessen ,akute Hellenisierung' (so einst H a r n a c k ) , entstanden ist, sondern d a ß sie ein allgemeines " KuM, I, 2 8 . Wenn Bultmann sich hier in einer Anmerkung auf Gnosis und spätantiker Geist I, 1934, bezieht, so sagt er in seinem V o r w o r t zu jenem ersten Band in methodologischer Hinsidit dasselbe: „Die Methode des Vf.s, den eigentlichen Sinn eines historischen Phänomens durch das Prinzip der Existenzanalyse zu erfassen, scheint mir hier ihre Fruchtbarkeit glänzend erwiesen zu haben, und ich bin gewiß, d a ß dieses W e r k die geistesgeschichtliche Forschung in mancher Hinsicht befruchten wird, nicht zum mindesten auch die Interpretation des Neuen Testaments." 2

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Jonas, Augustin

18

Einleitung

Phänomen der hellenistischen Zeit ist. Aber er will sie als eine in ihrem Wesen synkretistisdie Erscheinung begreifen. Demgegenüber zeigt das Werk von H.Jonas, von dem leider erst der erste Band erschienen ist, daß in der Gnosis ein in seiner Struktur einheitliches und geschlossenes Daseinsverständnis ausgebildet ist, neu gegenüber dem Alten Testament wie dem Griechentum und von weittragender Bedeutung nicht nur für das Weltverständnis und die Begrifflichkeit des Christentums, sondern auch für die späteste Entwicklung der griechischen Philosophie, des Neuplatonismus, und, durch beide vermittelt, für die mittelalterliche abendländische Geschichte überhaupt." 10

Allerdings wurde Gnosis und spätantiker Geist I, 1934, zunächst oft ebensowenig verstanden wie Augustin und das paulinische Freiheitsproblem. Denn abgesehen von der Bultmann-Schule haben wohl die maßgebenden Philologen wie Arthur Darby Nock auch hier ihre Ratlosigkeit zugestehen müssen: "J.'s real interest lies in an attempt to make a synthesis. He does this with concepts of Spengler and Heidegger. Frankly, I cannot understand what he does in this direction. He is a metaphysician trying to shake off the yoke of history and to lead us to a higher level of comprehension; I am left in a terminological fog, and I know that I am not alone in this situation." 21 Demgegenüber lautete das philologische Urteil beim Erscheinen der zweiten Auflage von Gnosis und spätantiker Geist I in 1954 folgendermaßen: „Solange die religionsgesdiichtliche Methode allein herrschte, mußte die geistesgeschiditlidie Bewertung der Gnosis negativ ausfallen. Es ging nach dem MephistoWort aus Goethes Faust: ,Dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider! nur das geistige Band.' . . . Nur wer sich selbst um das Verständnis der Gnosis und ihrer inneren Einheit an Hand der Quellen bemüht hat und dabei im Gewirr der Vorstellungen und Systeme verzweifelt ist, kann eigentlich den Wert der Hauptidee des Werkes von J . crmessen: In den Systemen findet man die Einheit nicht, sie liegt tiefer, nämlich in der Daseinshaltung der Menschen, die die Systeme schufen. Die Frage nach der Daseinshaltung ist der Schlüssel zum geistesgeschichtlichen Verständnis der Gnosis überhaupt. Hinter diese Erkenntnis können wir nicht mehr zurück." 2 2

Im Laufe der Entmythologisierungsdebatte, worüber zuletzt Günther Bornkamm ausführlich berichtet hat 2 3 , ist auch das Jugendwerk von Hans 20 ThR, n. F., I, 1936, 18 f. Ähnlidi urteilt Bultmann audi nach zwanzig Jahren im Hinblick auf Karl Prumm, S.J., Christus und die Religionen der Erde, Band II (ThR, n.F. 21, 1953, 12 f.). „Es fragt sich aber, ob das Phänomen der hellenistischen Gnosis damit hinreichend bestimmt ist, und ob sie nicht als der radikale Bruch mit der antiken Tradition und das Aufkommen eines ganz neuen Menschen- und Weltverständnisses beurteilt werden muß, wie H.Jonas es in seinem Buch beschrieben hat. Audi das Verhältnis von Christentum und Gnosis würde dann als ein eigentümliches Problem anders erfaßt werden, als es beim Vf. der Fall ist. Denn in gewisser Weise sind das Urchristentum und die Gnosis parallele und konkurrierende Erscheinungen, und von da aus müßte die Tatsache der Parallelen zwischen Paulus und Johannnes einerseits und der 2 1 Gnomon, Gnosis andrerseits (S.232) beurteilt werden." 12, 1936, 605. 12 Hans-Martin Schenke, ThLZ, 84, 1959, 815, 818. Vgl. Ähnliches zu Gnosis und spätantiker Geist I I / l in dem Forschungsbericht von Hartwig Thyen, ThR, n.F., 23, 1955, 242. Vgl. audi die Rezension von Schenke zu I I / l , ThLZ, 85, 1960, 657—661. » ThR., n.F., 29, 1963, 33—141.

Einleitung

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Jonas zur Sprache gekommen, das wir als deren Vorgeschichte aufgewiesen haben. Die Verbindung mit der Jugendarbeit von Hans Jonas hat besonders Friedrich Gogarten hervorgehoben24, der überhaupt die kulturgeschichtliche Problematik des „Subjekt-Objekt-Schemas" als letztlich entscheidenden Hintergrund der Debatte aufgewiesen h a t " . So ist es nicht zufällig, daß Hermann Diem als Vertreter der kritischen Stimmen auf den jetzt berühmt gewordenen Anhang in dem vorliegenden Buch eingeht, weil es „in geradezu klassischer Weise" zeige, „was dabei aus der Dogmatik werden muß" 2 e . Denn die Forderung der Philosophie an die Verkündigung, „daß ihre Aussagen der Struktur der menschlichen Existenz zu entsprechen haben" 27 , sdieint ihm in eine sachlich unangemessene „Anthropologisierung der Theologie" 28 hinauszulaufen. Und in der Tat hat die Entmythologisierung angesichts der „Entsprechung" einer angemessenen Gotteslehre oder Christologie zur „Struktur der menschlichen Existenz" zunächst zur Darstellung etwa der paulinischen Theologie als einer Lehre über den Menschen vor und unter dem Glauben geführt 29 , ebenso wie „der Einspruch der .Lutheraner'" 80 sich zunächst um eine Verbindung zwischen existentieller Anrede und traditioneller Ontologie bemühte 51 . Diem selbst erkennt bei Jonas an, daß er versucht, „ein formales Kriterium zu finden für eine sachgemäße Interpretation von Dogmen überhaupt", vermißt aber die Bedingung der Möglichkeit, selbst dogmatische Aussagen zu machen, d. h. nach Diem, Theologe zu sein. „Deshalb wird die Frage, wie es zu den nach Jonas den Dogmen zugrunde liegenden .Erfahrungen' kommt, von Jonas nicht erörtert. Ihn interessiert nur das Phänomen der Dogmenbildung als solches. Damit entfällt für ihn auch die Notwendigkeit, theologisch, d. h. von der Offenbarung zu reden, die im Räume christlicher Dogmenbildung als das Ereignis zu verstehen ist, das die den einzelnen Dogmen jeweilig zugrunde liegenden .Erfahrungen' provoziert und begründet. Weiterhin bleibt bei Jonas die Frage offen, ob nicht jede Dogmenbildung schon eine Depravierung bedeutet, in welcher das Sein an das Seiende verfällt . . . Es ist jedenfalls nicht möglich, daß jemand mit diesen Voraussetzungen selbst zu dogmatischen Aussagen gelangt." β " Die Verkündigung Jesu Christi, 1948, S 474 f. Entmythologisierung und Kirche, 1953. 28 Theologie als kirchliche Wissenschaft. Handreichung zur Einübung ihrer Probleme, Band II: Dogmatik. Ihr Weg zwischen Historismus und Existentialismus, 1955, S.27. Vgl. den ganzen Abschnitt: „Die Hermeneutik des Dogmas bei Hans Jonas", S.27—30. Siehe auch seinen Aufsatz „Dogmatik zwischen Personalismus und Ontologie (oder das .Theologische Klima* heute)", EvTh 15, 1955, 408—415, besonders S.413. 27 So К. E. Legstrup, Kierkegaards und Heideggers Existenzanalyse und ihr Verhältnis zur Verkündigung, 1950, S.110, zitiert bei Diem, a.a.O., S.26. 88 Diem, a.a.O., S.24. 89 So in Bultmanns Theologie des Neuen Testaments, 1. Lieferung, 1948. 30 So Diem, a.a.O., S.34ff. J1 So versteht Diem, a.a.O., S. 34, „den programmatischen Titel: Kerygma und Dogma" der seit 1955 erscheinenden Zeitschrift. M Diem, a.a.O., S. 30. 85

2*

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Von daher leitet Diem sogar die gegenwärtige Krise in der Theologie ab: „Für die Dogmatik scheint so zwischen Historismus und Existentialismus überhaupt keine Notwendigkeit und keine Möglichkeit mehr zu bestehen.''33 Allerdings gibt es schon bei Bultmann die Möglichkeit eines analogischen Redens von Gott®4, die neben seiner Ablehnung einer „Entkerygmatisierung" zeigt, daß es auch ihm nicht um die Eliminierung des extra nos, sondern vielmehr um seine sachgemäße Interpretation geht, welche dann auch zu einer angemessenen theologischen bzw. christologischen Begriff lichkeit führen könnte. Denn bei der Entmythologisierung geht es nicht um einen im Relativismus endenden Subjektivismus, sondern vielmehr um den Zugang zur kritischen Untersuchung der Wahrheit der Verkündigung. Dies wird durch Diem gerade im Falle der Arbeit von Jonas anerkannt: Jonas „hat z.B. bei seiner Interpretation des Erbsündendogmas durchaus die Möglichkeit, zwischen Augustin und Pelagius Stellung zu nehmen" 3 5 . Zur Kritik fragt dann Diem: „Sollte so etwas beim christologischen Dogma nicht auch möglich sein, wenn man sich schon einmal auf diesen Weg begibt? Oder muß das Postulat der ^ichtobjektivierbarkeit' unter allen Umständen zu dieser hoffnungslosen Nivellierung aller dogmatischen Probleme führen?" s e Audi wenn er schon eine Ahnung hatte, daß auch Jonas hier mit „Nein!" antworten wollte, hätte er nicht voraussehen können, wie sehr die Weiterentwicklung des Jonasschen Denkens diese ganze Problematik auffassen würde. Denn Jonas hat — ganz abgesehen von der furchtbaren Enttäuschung durch das Versagen Heideggers im Dritten Reich — die Zeitbedingtheit, die Nicht-Allgemeingültigkeit der Heideggerschen Kategorientafel durchschaut und also relativiert: „Als ich midi vor vielen Jahren dem Studium der Gnosis zuwandte, fand idi, daß die Gesichtspunkte, die ,Optik' gewissermaßen, die ich in der Schule Heideggers erworben hatte, mich instand setzten, Aspekte des gnostischen Denkens zu sehen, die bisher nicht gesehen worden waren. Und idi war zunehmend beeindruckt von der Vertrautheit des anscheinend so äußerst Fremden. Rückschauend bin idi geneigt zu glauben, daß es die Anziehungskraft dieser dunkel gefühlten Nähe war, die midi überhaupt zuerst in das gnostisdie Labyrinth gelockt hatte . . . Die Tauglichkeit seiner (sc. des Existentialismus) Kategorien für diese besondere Materie forderte zum Nachdenken heraus. Sie paßten, als wären sie nach Maß gemacht: Waren sie vielleicht nach Maß gemadit? Zu Beginn hatte ich jene Tauglichkeit einfach als einen Fall ihrer vermeinten Allgemeingültigkeit angesehen, die ihren Nutzen für die Auslegung einer jeden menschlichen ,Existenz' verbürgte. Aber dann dämmerte mir die Möglichkeit, die Anwendbarkeit der Kategorien in dem gegebenen Fall möchte auf der besonderen Art der ,Existenz' A.a.O., S. 34. KuM, II, 196. Hier verweist er auf Eridi Frank, Philosophische religiöse Wahrheit, 1949. 3 3 Diem, a.a.O., S. 72. M A.a.O., S. 72. 33

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Erkenntnis

und

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a u f beiden Seiten beruhen — derjenigen, die die K a t e g o r i e n geliefert h a t t e , und derjenigen, die so wohl d a r a u f ansprach." 3 7

Darum ist längst nicht ausgemacht, daß ein Ubersetzen in die Heideggerschen Kategorien ein rein formales Verfahren ist, welches den Inhalt nicht mitbestimme. Vielmehr wird die Verflochtenheit der Sache mit der Sprache empfunden, wobei die Frage entsteht, ob die Kategorien, die im Falle der Gnosis wie der Schlüssel ins Schloß paßten 8 8 , angesichts der Spannung zwisdien Gnosis und christlichem Glauben auf gewisse Grenzen stoßen würden. Ein Beispiel bietet Jonas selbst an: „Die von Paulus beschriebene N o t (ist) nicht die N o t des Individuums gegenüber dem ,Man', sondern die N o t des Individuums vor seinem eigenen Gewissen." 39 Weiter erkennt Jonas neben der Grenze der Begrifflichkeit Heideggers audi das begrenzte Recht der mythologischen Sprache an: „Wie weit kann die .Ubersetzung' legitim gehen? Bis zu welcher Sphäre a u f w ä r t s im Universum religiöser Rede? Die G e f a h r der .Angemessenheit' eines begrifflichen Schemas liegt darin, daß es den Sinn für das P a r a d o x abstumpfen und eine V e r t r a u t heit erzeugen kann, wo keine erlaubt ist. Die Trennungslinie, die Linie, deren Ü b e r schreitung diese Wirkung haben kann, läßt sich vielleicht anzeigen. W e n n sich nach Bultmann die Begriffe Heideggerscher Daseinsanalyse besser z u r E x p l i k a t i o n des christlichen Verständnisses des Menschen eignen als manche mythologischen Begriffe des Neuen Testaments selbst, so ist der Zusatz nötig: ja, eben w o und soweit es sich u m den Menschen handelt; jedoch nein, w o es sich u m G o t t oder das Göttliche handelt. D o r t , w o Adäquatheit nicht einmal mögliches Ziel ist, h ö r t die Zuständigkeit des B e griffs auf und muß symbolische Rede beginnen. Bei Strafe des Immanentismus k a n n das Verständnis Gottes nicht eine Funktion des Selbstverständnisses des Menschen w e r den, wenn es sich audi analogisch und bildlich seiner bedienen muß. D i e Zuständigkeit des existenzialen Begriffs erstreckt sich so weit, wie sich die Sphäre seiner Verifikation, d . h . die Phänomenologie, erstreckt: also über die Selbsterfahrung des Menschen , v o r ' G o t t (coram Deo), aber nicht über das Sein in oder aus G o t t ; oder, paulinisch-augustinisch gesprochen: der Existenzialbegriff trifft den ,Menschen unter dem Gesetz', nicht den .Menschen unter der Gnade*. W o dem Glauben gemäß das Göttliche selbst in die Offenheit der inneren D y n a m i k eintritt — z . B . bei den sogenannten Erweisen des Geistes und der Kraft, .die in unsere H e r z e n ergossene Liebe' — d a h ö r t die P h ä n o menologie auf, das W o r t zu haben, und mit ihr die verifizierbaren Begriffe existenzialen Wissens, und damit auch: Entmythologisierung. U n d erst recht, w o die M y s t e rien der Gottheit selber zur Sprache kommen. Das letzte Geheimnis könnte wohl besser in den Symbolen des Mythos als in den Begriffen des Denkens geschützt sein. W o das Mysterium Rechtens zu H a u s e ist, d a .sehen wir dunkel in einem Spiegel*. W a s heißt .dunkel in einem Spiegel'? In mythischer Gestalt. Es ist leichter, die offenbare Dichtigkeit des Mythos irgendwie für das U n s a g b a r e durchscheinend zu halten, als die schein-

8 7 In der Vorbemerkung zum A u f s a t z : „Gnosis, Existentialismus und Nihilismus", in dem B a n d : Zwischen Nichts und Ewigkeit. Drei Aufsätze zur Lehre vom Menschen, 1963, S. 5 f. ω So Jonas, ebenda. " In der Bultmann-Festschrift Zeit und Ewigkeit, 1964, S. 5 8 6 ; vgl. unten S. 1 0 3 .

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bare Transparenz des Begriffs, die hier letztlich so undurchsichtig ist, wie jede Sprache es sein muß." 40

Gerade in solcher kritischen und also in Schranken gehaltenen Verwendung der Existenzanalyse zur Erhellung „der Selbsterfahrung des Menschen ,vor' Gott" hat diese Methode ihre Fruchtbarkeit soeben in Jonas' Philosophischer Meditation über Paulus, Römerbrief, Kapitel 7 aufs neue erwiesen. Denn hier wird ein Entwurf aus der Begeisterungszeit der Jugend, niedergelegt in einem Brief an Bultmann vom 1 3 . 7 . 1 9 2 9 , jetzt in der kritischen Nüchternheit der Reife ausgearbeitet und in seiner Tragfähigkeit bewährt 4 1 . So ist Hans Jonas selbst in das Erbe seiner Jugendarbeit eingetreten. 44 41

„Heidegger und die Theologie", EvTh, Siehe unten, Anhang III.

24, 1964, 641 f.

1. Absicht der Untersuchung Von den drei Phasen, die das Freiheitsproblem bei Augustin im Wesentlichen durchlaufen hat — der antimanichäischen am Anfang, der antipeligianischen am Ende und der zwischen beiden liegenden, die nicht durch Beziehung auf einen Gegner zu kennzeichnen ist — gehören die beiden letzten innerlich nahe zusammen und lassen sich von der ersten zu gemeinsamer Betrachtung absondern. Die mittlere, die, wie gesagt, einer geläufigen Kennzeichnung durch einen polemischen Zusammenhang entbehrt (es ist die einzige, in der das Freiheitsproblem für Augustin nicht vom polemischen Interesse bestimmt wird, sondern rein für sich zu Wort kommt), können wir als „früh-paulinische" bezeichnen, im Gegensatz zur „spät-paulinischen", die die antipelagianische Phase darstellt. Es ist jene Zeit entschlossener Zuwendung zum Paulinismus in den neunziger Jahren des 4. Jahrhunderts, die vor dem Ausbruch des großen pelagianischen Kampfes liegt und in der sich Augustins Position für diesen innerlich vorbildete 1 . Durch die Beziehung auf den gemeinsamen Nenner des Paulinismus ist der enge sachliche Zusammenhang der beiden letzten Phasen angedeutet; die erste, antimanichäische, besitzt von diesem paulinischen Element noch nichts und hat in der anthropologischen Haltung kaum etwas mit jenen gemein — freilich wohl in der formalen Begrifflidikeit, die durch alle Phasen hindurchgeht. Trotzdem gibt die mittlere Phase, die „früh-paulinische", nicht einfach die unpolemisdie Form der letzten, so daß sie in der Deutung für diese eintreten könnte, so entschieden sie sie auch anbahnt; sondern trotz weitgehender Gemeinsamkeit sind es zwei sachlich geschiedene Stufen in der Entwicklung des Problems bei Augustin. Denn es ist eine Eigentümlichkeit Augustins, sidi nicht nur Gegenstand und Einsatzpunkt des Konfliktes, sondern selbst seine eigene sachliche Stellung in gewisser Weise von den Behauptungen des Gegners her antithetisch bestimmen zu lassen, erst im Kampfe mit ihm sich seine eigene Position endgültig zu formen; oft in einer Richtung, die der Ausgangspunkt vor Beginn des Kampfes nicht hätte vermuten lassen und die nur durch eben diese Gegenposition motiviert ist. So trieb ihn auch die pelagianische Kontroverse in der Freiheitsfrage unmerklich aus seinem vordem erarbeiteten Standpunkt heraus und in scheinbar geringfügige (meist nur als exegetische sich äußernde) Abweichungen, die aber den 1

Die Dokumente für das Freiheitsproblem aus dieser Phase sind vor allem: ad Simpl. (circa a. 397); expos. Rom. (circa a. 394); expos. Gal. (id.). Die erstgenannte kann als die klassische Schrift dieser Epoche gelten.

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Absicht der Untersuchung

Nerv der Sadie berührten. — Bei alledem bleibt doch, daß diese beiden letzten Phasen der ersten gegenüber eine Einheit bilden. Zusammen betrachtet stellen sie eben die überaus interessante Aufgabe, Art, Sinn und Bedeutsamkeit jener unscheinbaren Abänderungen herauszustellen und zu analysieren. Die Isolierung von der ersten Phase und dem Gesamtdenken Augustins läßt sich dabei nur solange aufrechterhalten, als die Interpretation noch nicht die hier nur im Sonderfall zur Anwendung gelangende B e g r i f f l i c h k e i t Augustins als solche, die kategoriale Struktur seiner Daseinsbegriffe überhaupt zu analysieren unternimmt; hierhin vorstoßend muß jede thematische Begrenzung fallen. Wenn wir uns jener längst vergangenen Kontroverse unsererseits zuwenden, so heißt das nicht, daß wir selber an ihr als polemische Partner, auf ihrer Ebene mitargumentierend, teilnehmen wollen; daß wir darin die eine oder die andere oder eine dritte Partei nehmen wollen — sondern es besagt: analysieren, um welche Dinge es in diesem Kampfe im Grunde geht; und: wie es diesen Grundphänomenen in diesem Kampfe, unter dem Zugriff der argumentativ benötigten Begriffe und Formeln, ergeht; was aus ihnen in der Ausgesprochenheit einer bestimmten rationalen Struktur wird; was von den Kämpfern an ihrer eigenen Sache selber verkannt, verdeckt, in der „logischen" Auslegung verfehlt wird; schließlich wie die Wahrheit nicht in einer Position liegt, sondern aus ihr in einer eigentümlichen hermeneutischen Richtigstellung zu rekonstruieren ist. — Voraussetzung für dies ganze hermeneutische Verfahren ist: daß die verhandelten, im rationalen Auslegungsbereich umkämpften Phänomene selber, wofern es sich um echte existenziale Grundphänomene handelt, auch uns noch in einer gewissen Weise verfügbar sind, die es uns erlaubt, das damals Gesagte an ihnen zu messen. Dies „damals Gesagte" steht also in der paradoxen Doppelstellung, uns einmal das gemeinte Zugrundeliegende erst formal anzuzeigen — um dann von diesem her (nachdem wir das „Angezeigte" aus dem uns selbst Verfügbaren verifiziert haben) seine eigentliche Kritik als Gesagtes, als λόγος von Phänomen zu empfangen. Ohne die angedeutete Voraussetzung, die vielleicht das Grundpräjudiz der Geistesgeschichte, ihr metaphysisches Apriori ist (mit einer bloß methodischen „Als-Ob-Fiktion" wird sie sich nicht begnügen), ist ein V e r s t e h e n der Geschichte, ein Hinausgehen über bloßes Registrieren und Zusammenstellen von Denkformeln, über ein Stenogramm verflossener Debatten nicht einmal als Absicht möglich. Nachdem wir das Thema auf eine vergleichende Interpretation der paulinischen Mittel- und Spätepoche Augustins begrenzt haben, machen wir innerhalb dieses Gebietes eine weitere Einschränkung: Die pelagianische Kontroverse ist wesentlich bestimmt durch den Umstand, daß sie um D o g m e n ging. Und zwar handelt es sich für Augustin in der Hauptsache um diese zwei: das Dogma von der Erbsünde und das von der

D a s Freiheitsproblem in Stoa und Christentum

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Prädestination, von denen vor allem das erste die ganze Kontroverse beherrscht (wie es ja auch durch Augustins Sieg erst offizielles Kirchendogma geworden ist). Diese dogmatischen Elemente nun, obwohl für das Bewußtsein der kämpfenden Parteien selbst von ungeheuerer Wichtigkeit und obwohl in der Kontroverse literarisch den größten Raum einnehmend, scheiden wir aus der Erörterung aus — damit nicht aber auch das, was durch diese theoretischen Gebilde umschrieben, symbolisiert, erklärt werden sollte: die in religiöser Erfahrung zugrunde liegenden Existenzialphänomene. Diese wollen wir vielmehr gerade durch Abstrich solcher metaphysischen Symbol- und Erklärungskonstruktionen für eine hermeneutisdie Analyse rein isolieren 1 . Was bleibt nach Ausscheidung dieser scheinbar beherrschenden Komponenten des Freiheitsproblems bei Augustin als Thema der Analyse übrig? Nichts anderes als die die Freiheitsproblematik ursprünglich bildende, innerlich religiöse und als solche erlebnismäßig vollziehbare, also im eigentlichen Sinne praktische (nicht gedankliche) Phänomenreihe, die in der christlichen Selbsterfahrung gegeben, in der Selbstauslegung des Paulus zu ursprünglichem Ausdruck gelangt ist und daher auch bei Augustin am ehesten in einer Exegese der betreffenden Paulusstellen aufzusuchen ist. Dieser Ursprung — Augustins weitestes Ausgangsfeld — ist zunächst zu fixieren.

2. Das Freiheitsproblem in Stoa und Christentum a) Stoa Erst durch die jüdisch-christliche Daseinsauslegung war der faktische Erfahrungs- und Erlebnishorizont geschaffen, in dem Freiheit eigentlich zum Problem werden konnte — und werden mußte. Im Griechentum (späte Stoa, Epiktet) ist Freiheit = Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit (αυτάρκεια) — u n d damit ein aristokratisch-ethisches I d e a l : N u r das soll uns angehen, was uns seiner Natur nach unbedingt und uneinge1 Die hier befolgte M e t h o d e einer Ausscheidung der reinen D o g m e n g e b i l d e aus der Behandlung eines so von ihnen beherrschten Phänomens, wie es das Freiheitsproblem bei Augustin doch ist — die scheinbar willkürliche Ignorierung ihrer überragenden subjektiven Bedeutung f ü r d a s Bewußtsein der Zeit selbst — f o r d e r t dringend eine methodologische Rechtfertigung, die von einer A n a l y s e der hermeneutischen S t r u k t u r des D o g m a s als solchen, d. h. v o n seiner spezifischen Auslegungs- und Erkenntnisfunktion im Selbsterhellungsprozeß eines geschichtlichen Gesamtdaseins auszugehen hat. D a wir unsere Darstellung selbst nicht durch eine solche notwendig größere methodologische Erörterung belasten wollen, haben wir sie in einen besonderen A n h a n g verwiesen (s. Anhang I).

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Die stoische Freiheitsfrage

schränkt verfügbar ist. Angestrebt ist also die Feststellung eines Bereiches und die Selbstbeschränkung auf einen Bereich, innerhalb dessen ich zweifellos und absolut Herr bin und keine Beeinträchtingung durch solches, was nicht in meiner Macht ist, zu fürchten habe. Diesem Anspruch aber genügt — so sagt die Stoa — unser eigenes Vorstellungsleben (der von uns frei zu vollziehende „Gebrauch unserer Vorstellungen"): dieses ist unser eigenster Besitz und nach seiner inneren Beschaffenheit (der Haltung, die wir darin einnehmen) ganz in unserer Macht. Es ist also zu beachten: das Orientierende bei der Feststellung dessen, was uns angehen, was für uns wesentlich sein soll, ist der formale Maßstab der Beherrschbarkeit, des Bei-uns-Stehens — also das formale Kriterium des εφ' ήμΐν das Orientierende für die inhaltliche Feststellung des προς ήμδς; freilich nicht so, daß man mit diesem Maßstab auf die Suche gegangen wäre nach irgend etwas, was ihm nur entsprechen würde — sondern so, daß der generelle Seinsbereich, der als möglicher Ort des Wesentlichen auf dieser entpolitisierten Stufe des griechischen Geistes nur noch in Frage kam, die „Innerlichkeit", so a u s g e l e g t wurde, d a ß sie eben diesem Maßstabe entsprach. — Ist es also unser eigenes Vorstellungsleben in stoischer Interpretation, das dem formalen Anspruch genügt, so ist eben die Frage: was besagt bezüglich seiner die „stoische Interpretation", die allein die Deckung des uns-Angehenden mit dem bei-uns-Stehenden ermöglicht? Nichts anderes, als daß in ihr jenes „Eigene" als ein prinzipiell bekannter, vertrauter, eindeutig überschaubarer und regierbarer Bereich angesetzt ist, dessen man absolut sicher sein kann; in dem der Vorsatz sich eo ipso verwirklicht, weil er eben das Reich des Vorsatzes selbst ist. Das heißt aber: Nur ein „Ich", das sich selber in seiner Bewußtseinsbreite sorgsam umgrenzt hat auf den Bereich der disziplinierbaren und durch Reflexion auf ihren offenbaren Meinungssinn jederzeit eindeutig fixierbaren Vorsätze — nur ein solches Ich tut auf Grund einer solchen Selbstkonstruktion der Voraussetzung Genüge; und die „stoische" Freiheit reicht genau so weit wie dieser durchsichtige Subjektbereich: ich bin frei, sofern ich mich nur im Bereich des „Eigenen" (ίδιον) halte — eines s o a u s g e l e g t e n Eigenen nämlich. Auf ein solches trifft in der Tat zu, was für den ganzen stoisdien Ansatz undiskutierte Voraussetzung ist: die absolute Verfügung über sich selbst, die souveräne Beherrschbarkeit der „Vorstellungen" durch den sittlichen Vorsatz, durch Aufmerksamkeit und Selbsterziehung. Ferngehalten aber ist der Blick von allem Hintergründigen, allem Abgründigem des Selbstseins, vor dem ihm die Fragwürdigkeit seines naiv-vordergründigen Selbstbewußtseins und die Zweideutigkeit aller darauf gebauten Selbstqualifizierung aufgehen könnte — und wo es der Schwindel ergreifen könnte vor seiner eigenen sich selbst überlassenen Freiheit: der Schwindel der Freiheit vor sich selbst. — Mit dieser entscheidenden A b b l e n d u n g und um ihren Preis ist die stoische Idealvorstellung erkauft.

D a s F r e i h e i t s p r o b l e m in Stoa u n d C h r i s t e n t u m

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Mit der Identifizierung von „ π ρ ο ς ή μ α ς " , dem, was uns angeht bzw. angehen soll, und ,,έφ' ή μ ΐ ν " , dem, was in unserer Macht steht; mit der weisen Beschränkung des ersteren auf das letztere; mit der glücklichen Koinzidenz schließlich, daß eben das Nächste und Innerste (so wie es der Stoa allein sichtbar wird) auch das unbedingtest Beherrschbare ist — ist also vermeintlich der Bereich einer möglichen Freiheit sichergestellt: Beschränke ich mich nur auf dies Eigene, so ist mir meine Freiheit garantiert, da ich ja innerhalb desselben eindeutig Herr bin. Das bedeutet aber, daß die Grenze dieses Innenbereiches zugleich die Grenze meiner eigentlichen Freiheit ist: es ist das Nicht-Ich, das Fremde (άλλότριον), und nur dieses, das mich beschränkt — und nicht zufällig und gelegentlich, sondern wesensmäßig: wo es beginnt, endet das Gebiet meiner unbedingten Macht und Freiheit. N u r von dorther kommen auch die möglichen Bedrohungen meiner Freiheit — nicht ursprünglich aus meinem Willen selbst her (denn in seinem eigensten Bereich kann ihm nichts Gefährliches begegnen). Gegensatz zur Freiheit ist also primär die со a c t i o , der äußere Zwang der von mir nicht kontrollierbaren, weil nicht von mir abhängigen Weltverhältnisses (in ihrer unwiderstehlichen Totalität das kosmische Schicksal), denen ich midi daher so wenig wie möglich aussetzen soll. Der Zwang macht sich geltend als Hemmnis (έμπόδισμα), als Hinderung des Menschen, das zu sein, was er für sich ist. Das Ideal ist: „ungehindert tätig sein" (άνεμποδίστως ένεργεΐν), und dies ist nur im Innern möglich. Ist Unfreiheit so Beeinträchtigung des reinen Selbstseins durch solches, was seiner Natur nach nicht unbedingt in meiner Hand ist, nämlich durch Ä u ß e r e s , durch etwas, was nicht ich selbst bin, so muß sich das Eigene nur richtig vom Fremden i s o l i e r e n , um in seinem reinen Sich-selbstÜberlassensein selbstverständlich frei zu sein. In dem Maße, als mir diese Isolierung gelingt, bin ich frei; und die Isolierung ist mir möglich nadi dem Maße meiner „Autarkie", meiner äußeren und inneren Selbstgenügsamkeit. Gemäß ihr geschieht die Isolierung als tatsächliche wie als sittliche (interessenmäßige) D i s t a n z i e r u n g von den Dingen, als möglichste Einschränkung ihres tatsächlichen Gebrauches wie als möglichste Verringerung schon meines Angewiesenseins auf sie, überhaupt meiner allgemeinen Bedürftigkeit. Es ist also, sieht man genau hin, die Freiheit des Menschen gegenüber der N a t u r , um die es sich in der Stoa handelt — aber da der Mensch selber Naturwesen ist, so liegt in dieser ursprünglichen Naturzugehörigkeit eben die natürliche und unüberschreitbare Grenze menschlicher Unabhängigkeit und somit alles vernünftigen Unabhängigkeitsstrebens. Diese Grenze wird von der Stoa nicht nur respektiert, sondern gemäß ihrem ganzen positiven Natur-Pantheismus vorbehaltlos bejaht und zur positiven Norm erhoben. Keine Askese und Abtötung des Körpers soll

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Die stoische Freiheitsfrage

über diese in der göttlichen Ordnung des Kosmos verankerte Grenze hinausführen. Der Kampf der Freiheit aber um die Uberwindung der Bedürftigkeit bezieht sich auf die Vermehrung und Komplizierung der ursprünglichen Naturbedürfnisse durch Kultur und menschliche Gesellschaft. Dabei wird dann eben jene ursprüngliche Naturverwiesenheit, aufgefaßt nach dem Gesichtpunkt des zureichenden Minimums, zur idealen positiven Norm für das Reduktionsbestreben gegenüber allem Dazugekommenen. Freiheit ist also das innerhalb dieser Grenze erreichbare Maximum von Unabhängigkeit von der „Natur" (im weitesten Sinne gefaßt). In der Erreichung dieses Maximums unter Rückgewinnung des ursprünglichen, nur verlorenen Naturminimums an Abhängigkeit liegt für die Stoa das Freiheitsproblem — d. h. das, was an der Freiheit überhaupt zum Problem werden kann. Die Forderung, „einstimmig mit der Natur zu leben" ( ο μ ο λ ο γ ο υ μ έ ν ω ς τη φύσει ζ ή ν ) ist an diesem Minimum-Ideal orientiert. — Daß es der Logos ist, mit dessen Hilfe der „Weise" dies Distanzierungsprogramm durchführt und die erstrebte Einstimmigkeit mit der Natur als „vernünftiger" herstellt, braudien wir für unsere Zwecke hier nicht auszuführen. Es genügt, daß er in seiner Konstitution über eine solche Möglichkeit, genannt Logos, zu Verwirklichung seiner Freiheit verfügt. Jedenfalls aber: Es ist die Freiheit gegenüber einem äußeren Partner, gegenüber etwas Anderm als ich selbst bin — ganz formal: die Freiheit von und gegenüber irgend etwas, worum es sich in der Stoa handelt. Es bleibt freilich von seiten dieses „Gegenüber", der Welt, nicht beim äußeren Zwang — dies sieht auch die Stoa sehr wohl: Uberlasse ich midi den äußeren Dingen, so übereigne ich damit mein Eigenes an dies Fremde, und dieses schafft sich in meinem inneren Dasein selber eine aktive Vertretung, die „Leidenschaften". Die πάθη sind der Exponent der Fremdherrschaft des „Außen" in mir selbst: sie vergrößern die Bedürfnisse, die ich als Naturwesen ohnehin habe, schaffen neue, nehmen mir die Distanz zu ihnen, liefern midi ihnen aus. Indem sie mich bedürftiger machen, machen sie mich abhängiger (vom Fremden), mindern meine Autarkie, machen mich unfrei. In den Leidenschaften also ist das Fremde, das Hemmnis in mein Inneres verlegt, aber dies Innere hat immer die Fähigkeit, sich auf sich selbst zurückzubesinnen und die Unterjochung durch das Fremde abzustoßen. So ist die Autarkie gleichzeitig eine äußere Situation (die objektive Unabhängigkeit und Unbedürftigkeit), wie eine innere Haltung (die innere Distanz zu den Dingen, die die subjektive Bedürfnislosigkeit und Unabhängigkeit ermöglicht). Sie garantiert die im letzten Grunde als Hauptziel erstrebte wahre S e e l e n r u h e im sicheren Genuß seiner selbst und im Nidit-Angegangenwerden von den unvermeidlichen äußeren Verlusten. Wesentlich also ist: Das Sidi-selbst-Uberlassensein im

Die christliche Freiheitsfrage

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Sinne des reinen Sich-Beschränkens auf sich selbst, auf sein Eigenstes, ist die Freiheit. Meiner selbst kann ich absolut sicher sein. b)

Christentum

Ganz anders im Christentum. Hier beginnt das Problem dort, wo es für die Stoa endet, d.h. die ganze Problematik der Freiheit spielt sich erst innerhalb des Bereiches ab, den die Stoa als vermeintlich gesicherten, problemfreien, mit dem Besitz seiner eindeutigen Determination durch den Logos, ausgegrenzt hatte. Die Rückwendung zu sich selbst, die in der Stoa, beginnend als Reflexion auf die Entreißbarkeit des Fremden und die Unentreißbarkeit des Eigenen, fortschreitend als diätetische Loslösung vom Äußeren und gipfelnd in der Erhebung über das Schicksal durch den Logos, als solche die verwirklichte Freiheit schon darstellt — die Freiheit als Verhältnis zu . . . , als Zustand, als Sich-zu-Eigen-Haben in dem, was man als Vernunftwesen im vorhinein ist und dessen Besitz einem nicht streitig gemacht werden kann — eben diese Rückwendung in der „Sorge um sich selbst" führt im Christentum nicht zur Verwirklichung, sondern erst zur radikalen Frage der Freiheit, d.h. zu ihrer Entdeckung als der radikalen Frage an den Menschen und seiner Fraglichkeit vor ihr: und zwar ist es die Frage — nicht der Herstellung einer Situation, eines Zustandes, einer Haltung, sondern die Frage nach dem Können oder Nichtkönnen des eigensten, sich selbst überlassenen Seins — und wiederum eines Seins nicht gemäß dem, was es schon ist, sondern gemäß dem, was es nie ist und immer erst, als absolutes Subjekt unter Gottes Forderung, sein soll. So ist die „Beschränkung" auf das Selbst, in der Stoa der Gewinn der erstrebten Seins-Sicherheit (eben dies i s t für sie die Freiheit), im Christentum die Schwelle zu dem Abgrund der absoluten, Rechenschaft schuldigen — und schuldig werdenden sittlichen Subjektivität. Wo die Stoa die Sicherheit gefunden hat, beginnt hier die Unsicherheit; was dort möglicher Besitz, die Freiheit, ist hier unmögliche und dennoch akpeztierte Zumutung. Denn, ist für die Stoa die Welt, das äußere Getriebe das den Menschen Gefährdende, dem er sich nur vernünftig und standhaft, aber im Rahmen der natürlichen Beziehungen und Abhängigkeiten zu versagen braucht, um sich eines unbeeinträchtigten und gesicherten Seins bei sich selbst zu erfreuen, so ist für das Christentum die Welt zwar auch Gefahr für den Menschen; aber die viel größere Gefahr, das eigentlich Gefährdende des Daseins schlechthin ist Gott, der ihn aus der Welt, in die er sich gerade flüchtet, zurückruft und ihn in die Hilflosigkeit eines weltentblößten Selbstsein-Müssens verweist. Führt dort die Isolierung von der Welt zum glücklichen und ungefährdeten Genüsse seiner selbst, so hier in die Angst des Alleinseins vor Gott. Die Welt, das Äußere, Fremde, ist also bei beiden in sehr verschiedener Weise Gefahr für das Dasein: In der Stoa ist

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Die stoische Freiheitsfrage

sie das Beunruhigende, in Leidenschaften Verstrickende, das Dasein in Abhängigkeit Bringende — im Christentum wird die „Unruhe" des Weltsorgens gerade als fälschliche Beruhigung der eigentlichen Unruhe des Daseins in sich selbst gefaßt; die Verstrickung in die Weltleidenschaften ist bei aller Beängstigung und Verknechtung dem Dasein im Grunde gerade eine erwünschte Zuflucht und ein Halt gegenüber dem nackten Preisgegebensein vor Gott; und die „Welt"-Erfolge sind es gerade, die dem Menschen einzig eine Fiktion von Unabhängigkeit zu geben vermögen. Eben diese Paradoxie, daß das Eigenste sich dem Dasein als das Fremdeste, Beängstigende, zu Fliehende darstellt, das fremde Außen aber als das Vertrauteste, Beschwichtigende, das ihm die ins Nichts werfende Selbstbegegnung vor Gott erspart, — bezeichnet den bei aller formalen Gleichartigkeit des „Zurück von der Welt zu sich selbst" von der Stoa so grundverschiedenen Daseinstypus des Christentums. In beiden zwar ist das fremde „Außen" der Welt das die Eigentlichkeit des Daseins Gefährdende, zu Meidende — aber in welch verschiedener Weise! Vom Standpunkt des stoischen Lebensideals wäre selbst das letzte, absorbierteste Verfallensein an die Welt jener absoluten Vernichtung der „Autarkie" vorzuziehen, die den Menschen nach christlicher Auffassung in der weltentkleidenden Isolierung unter Gottes Augen erwartet. Aber die Haltung zur „Gefahr" als solcher ist eben auch eine andere geworden: sucht der Stoiker ihr als von der Welt kommenden zu entgehen, d. h. die Gelegenheit zu ihrem Wirksamwerden soweit wie möglich einzuschränken, indem er sich in die gesicherte Position seiner Autarkie zurückzieht, wo ihn nichts mehr bedroht, so stößt das Christentum gerade in die eigentliche Gefahr, als dem Menschen von Gott kommend, hinein, indem es ihn, aller weltlichen Stützen seines Daseins beraubt, nackt und bloß dem Blick Gottes preisgibt, vor dem audi aller innere Schein zur Nichtigkeit wird. Beide sehen in der Abkehr von der Welt und Einkehr zu sich die „Rettung"; aber für die Stoa ist sie mit der diätetischen Isolierung bereits geschehen und stellt sich als unbeeinträchtigtes, genügsames Selbst-Sein, Sich-selbstHaben dar — im Christentum führt sie durch einen radikalen Untergang hindurch, dem zu entgehen der Mensch sich gerade in die Welt verloren hatte; dem er durch das Zurückgeworfen-Werden auf sich selbst gerade ausgeliefert wird; den er in der absoluten Isolierung, der Entblößung von allem scheinbaren Halt des Weltlichen bis zur Verzweiflung durchzuvollziehen hat. Und hier, in dieser unausweichlichen Selbsterfahrung des auf sich reduzierten Menschen, wurzelt das christliche Freiheitsproblem: das Sichselbst-Oberlassensein, in der Stoa als die sichere Garantie der Freiheit die Lösung des Problems, konstituiert jetzt erst das Problem. In der Stoa ist es, wie wir sahen, die Freiheit des Menschen (als Inhabers des Logos) gegenüber der Natur, überhaupt die Freiheit gegenüber

D i e christliche Freiheitsfrage

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etwas Anderem — im Christentum, paradox ausgedrückt, die Freiheit des Willens sich selbst gegenüber, d. h. gegenüber seiner eigenen Seinsweise als Begehrlichkeit und Hochmut. — In dieser Antithese stellt die stoische Freiheitsidee eine frühere Stufe in der Entfaltung der menschlichen Freiheit selbst dar, die notwendig vorangehen mußte: Bestand für die Stoa das Freiheits-Problem darin, wie der Mensch seine physischen und moralischen Abhängigkeiten überwinden, wenigstens ihnen ein Maximum von Unabhängigkeit abgewinnen könne, so brachte die Bewältigung dieser Aufgabe, als reflexive Isolierung des Selbst, in eben dem so „geretteten" Bereich, und als dessen Grenzfall, ein Feld zum Vorschein, das dann einer neuen Stufe der Reflexion eine neue, innere, ihm völlig e i g e n e Problematik der Freiheit darbieten konnte — und möglicherweise eine soldie, die nun gerade zum Ideal einer Abhängigkeit, wenn auch ganz anderer Art als die, welche die Stoa hatte überwinden wollen, hintrieb. Denn für die Stoa war undiskutierte Voraussetzung, daß im Innenbereich, dem Bereich meiner Vorstellungen, soweit er den äußeren Weltabhängigkeiten entziehbar ist, also vor allem im „Wie" der Haltung zu den Dingen, der Mensch unumschränkt herrscht — weil er eben das vollziehende Subjekt dieser Sphäre ist, in der kein äußerer Zwang ihn erreichen kann (und nur solcher begrenzt ja meine Macht — das andere bin ich eben selbst). Aber gerade dieses „Weil" verliert für das Christentum seine Schlüssigkeit und schlägt ins Gegenteil um: gerade wo ich absolutes Subjekt sein muß, in der aller äußeren Unterstützung aus den WeltWerken beraubten, ganz sich selbst überantworteten Innensphäre, gerade dort, wo ich nur Subjekt sein kann und kein Sichverlegen in die Objekte mehr möglich ist, erfahre ich notwendig meine tiefste, wesenhafte Ohnmacht über mich selbst — mit der verglichen das Weltwirken gerade das Reich meiner Macht ist. Diese Ohnmacht ergibt sich paradoxerweise gerade da, wo es sich nur um meinen „Willen" und um nichts anderes handelt, gerade da, wo kein äußeres Gelingen als Kriterium meiner Macht in Frage kommt. Das Nichtkönnen in meinem Wollen (dieses als ernsthaftestes vorausgesetzt) ist eine Wirklichkeit dieses meines Wollens selbst, nichts Fremdes, es bildet den konkreten Vollzug meines Wollens in seiner zeitlichen Bewegung mit. Die Insuffizienz ist also gerade in der vollständigen Aktualisierung meines absoluten Subjektseins enthalten — wenn und sofern ich es wirklich zu solchem absoluten Subjektsein kommen lasse: und es kommt dazu eben „vor Gott". Das „Sich-selbst-Überlassensein", sibi relictum esse, besagt im Christentum das Auf-sich-selbst- und dabei Vor-Gott-Gestelltsein des Menschen, d. h. in seiner Kreatürlichkeit unter Gottes Anspruch Gestelltsein. Diesem Anspruch unterstellt er sich, er übernimmt ihn in seiner Verbindlichkeit für sich und erlangt damit seine höchste Möglichkeit und Selbstzumutung als verantwortlicher Geist — und zugleich auch seine höchste Gefährdung und In-Frage-Stellung. Denn

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Die stoische Freiheitsfrage

er begibt sich damit unter die Augen dessen, der „Herz und Nieren" prüft, der den abyssus humanae conscientiae offen vor sich liegen hat, somit jede sich in das Handeln einschleichende Unechtheit durchschaut und als solche offenbar werden läßt — d. h. aber: der Mensch selber läßt sie sich offenbar werden im Hinblick auf dies absolute „Wovor" seines Vollzuges. Denn wo sich sein eigenes kritisches Auge schließt, weiß er jenes noch offen, und dies Bewußtsein genügt, ihn aus jedem vorläufigen Haltmachen seiner Selbstbefragung in irgendeiner beruhigenden Fiktion von sich herauszutreiben und in der Selbstdestruktion schonungslos weiterzutreiben; weiter, als er „normalerweise" darin gehen würde, weiter, als in seinem sonst von ihm wahrgenommen „wohlverstandenen Interesse" liegt: nämlich ins Unendliche, hinein in die unendliche Reflexion des Willens. Und in dieser entdeckt er, was er, was der Wille, sich sonst aus gutem Grunde verbirgt: daß er in sich selbst abfallend ist von sich selbst, daß er immer seine eigene Ursprünglichkeit verrät, daß er sich selbst zu überlisten und zu täuschen strebt — und sich immer auch zu täuschen weiß; daß je wachsamer der sittliche Vorsatz ist, um so durchtriebener auch der Wille selbst, ihn in der scheinbaren Durchführung umzufälschen; daß der Wille konstitutiv vieldeutig ist und alle scheinbar eindeutige Qualifizierung nur erkauft durdi ein Nicht-zu-Ende-Gehen, ein (im wahrsten Sinne des Wortes) willkürliches Haltmachen der destruierenden Reflexion, — das ihm aber jetzt das Bewußtsein jenes nicht zu täuschenden Zuschauers und Richters nicht mehr gestattet; und schließlich das Schrecklichste: daß von dieser abgründigen Vollzugsdialektik des Willens auch der intensive Wille zum Wahrsein vor Gott, zur wahren, Gott genugtuenden „Gerechtigkeit" selbst nicht verschont bleibt, sondern durch das volle Wissen darum, was im Sichvollziehen unvermeidlich auch mit ihm geschieht, gerade zur völligen Zerknirschung in seiner Ohnmacht geführt wird 1 . — Eben nur bis zu diesem Wissen seines ständig sich vollziehenden Abfalles (cognitio peccati) gelangt der auf sich gestellte Wille — aber nicht dazi, ihn auch vermeiden zu können. Vielmehr ist die wesenhafte Unvemeidbarkeit gerade das Verzweiflungsvolle seiner Erkennntnis. Indem Got: (oder: die Idee des durchschauenden, absoluten Gottes) ihn aus allen Schlipfwinkeln des Willens hinausscheucht, erkennt er zugleich, an der äußerten Grenze dieser schonungslosen Jagd, bei der alles Scheinbare, Vorgetäusdite auf der Strecke bleibt, daß der Wille in sich ja nichts anderes als an einziger Schlupfwinkel seiner selbst ist, aus dem ihn wirklich radikil zu lösen und zu eindeutigem Wahrsein zu befreien — ihn von sich selbst frei machen hieße. So ist dies Sdieitern gerade im unerbittlichen und unbestechlichen Sich-Ernstnehmen am tiefsten, weil hier der Einsatz der löchste, der Maßstab der absolute war; und sich mit dem „guten Wilbn bei un1

Siehe hierüber unten Anhang III.

Die christliche Fragestellung und Augustin

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genügenden Kräften" beruhigen wäre hier Selbstverrat. Da der Vorsatz sich ins absolute Kriterium gesetzt hat, ist das Versagen um so furchtbarer. Dies eben ist das tragische Doppelgesicht des einsamen Unterfangens: Indem der Mensch die Forderung Gottes übernimmt, hat er auch in seiner Geschöpflichkeit vor Gott zu bestehen übernommen; indem er seine höchste, ihm verbindlich aufgegebene Möglichkeit als Geist ergreift, hat er sich zugleich aufs äußerste vorgewagt und ausgesetzt, so daß sein Scheitern gewiß ist: und daß er es erlebt, ist der Sinn dieser Möglichkeit und der Zweck ihres Aufgegebenseins. Denn trotz ihrer wesensmäßigen Aussichtslosigkeit ist jene Aspiration der Gesetzeserfüllung keine leichtfertige Anmaßung: sie ist zwar ein ungeheures Unterfangen, aber eines, zu dem der Mensch bereit sein muß, da es die Forderung Gottes an ihn ist, und ohne es die Gnade nicht für ihn bereit ist. Und dies aufgegebene Unterfangen hat in seiner Aussichtslosigkeit doch seinen positiven Sinn: Indem der Mensch von Gott seine kritische Qualifikation erwartet, muß seine Geschöpflichkeit in dem, was nach ihrer äußersten Möglichkeit in ihr ist, offenbar werden

3. Die christliche Fragestellung und ihre Fassung durch Augustin Im Vorigen wurden bestimmte, spezifisch christliche Antworten auf das Freiheitsproblem angezeigt. Nehmen wir es aber nur soweit, als es die Dimension erst für bestimmte Fragen vorgibt — welche spezifisch christlichen Fragen ergeben sich dann für das Freiheitsproblem? (Die Antworten sind ja eben in der zu analysierenden pelagianischen Kontroverse nodi strittig). Die Forderungen Gottes sind an den Willen des Menschen gestellt. Dieser, rein auf sich (d.h. auf den Bereich seiner inneren Vollziehbarkeit und Selbstverfügbarkeit) beschränkt, war für die Antike ohne 1 Bei Augustin kommt dieser ganze Zusammenhang am eindringlichsten, weil persönlichsten, im 10. Buch der B e k e n n t n i s s e zum Ausdruck, wie etwa in folgenden Sätzen: ,Ιώ bin gewillt, vor dir im Bekenntnis Wahrheit zu tun in meinem Herzen" (c. 1). „Zwar dir, о Herr, vor dessen Augen der Abgrund des menschlichen Gewissens bloßliegt, was in mir wäre dir verborgen, wollte ich dir auch nicht bekennen? Dich würde ich mir verbergen, nicht midi dir ... Mich will ich verwerfen und dich erwählen ... Dir also, Herr, bin ich offenbar, wie immer ich sei: denn bin ich schlecht, dann ist dir bekennen nichts anderes als mir mißfallen; bin ich aber gut, dann ist dir bekennen nichts anderes als dies nicht mir zuschreiben" (c. 2). „Denn was anderes heißt von dir über sich hören als sich erkennen ... Die Gnade macht jeden Schwachen stark, der durd> sie siA seiner Schwäche bewußt wird" (c. 3). „In Gottes Augen bin ich mir zur Frage geworden" (c. 33, n. 50). 3 4265 Jom·, Aagustin

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Die stoische Freiheitsfrage

Zweifel frei. Jetzt aber ist die Frage: Wie steht es, wenn dieser auf sich selbst gestellte Wille vor Gott gestellt wird? Kann er „vor Gott" „gerecht" sein? Das ένώπιον θεοϋ (coram Deo, ЧВ1?), der als die kritische Instanz von der Warte seiner Absolutheit her den Mensdien erst qualifiziert und dabei den „Abgrund des menschlichen Gewissens" offen vor sich liegen hat, wird konstitutiv für den ganzen Vollzug möglicher Selbst-Ständigkeit und Selbsthaftung des Menschen. Das „sich selbst Uberlassensein" (sibi relictum esse) erhält hier eine ungeheure Schärfe und ist von dem sicheren In-sich-Beruhen der stoischen Autarkie weltenweit entfernt. Die Frage ist nun in dieser Erfahrungsdimension, vor der bereits entschiedenen paulinischen Antwort: Kann der Mensch, der die Forderung Gottes tatsächlich auf sich bezieht und übernimmt, sie mit seinen Kräften erfüllen, — so, daß er damit als mit einer Handlung seiner sich selbst überlassenen Kreatürlichkeit vor Gott bestehen kann? Oder führt Gott, indem er den Menschen gerade in seiner Menschlichkeit aufruft, ihm genug zu tun, und ihn dabei in seiner Menschlichkeit beläßt, diese allererst an ihre Grenze? Die Frage lautet also kurzgefaßt: Was kann der Mensch vor Gott ohne Gott? — Ebenso kurz gefaßt lautet die paulinische Antwort: Nichts. Es besteht keine Suffizienz des Menschen bezüglich der Forderungen Gottes — und daraus resultiert für ihn die Notwendigkeit der Gnade (die ihm durch den Erlösertod Christi in einem bestimmten Sinne verfügbar geworden ist). Daß der Wille auf sich selbst gestellt und dabei vor Gott gestellt ist, enthält eine tiefe Paradoxie, deren Durchvollziehung (in der versuchten Gesetzeserfüllung) den Menschen reif machen soll für die Annahme der Gnade. Die Fülle der Fragestellungen, die sich daraus für das Freiheitsproblem ergeben und das abendländisch-christliche Denken unter den verschiedensten Formen immer wieder beschäftigt haben, sei hier nur angedeutet: Wie verhalten sich Freiheit und notwendige Sündigkeit bzw. notwendiges Versagen des Menschen? Wie Freiheit und Gnade? Wie ist der Mensch unfähig und doch verantwortlich? Ist die Notwendigkeit der Sünde ein Zwang der Natur (coactio) oder kommt sie aus dem sich selbst überlassenen Willen als eigene Tat — und wenn dies, warum kann er nicht ebenso auch gut wollen? Und wenn er nicht kann, wie ist Gott dann gerecht? Damit ist die allgemein christliche Problemlage umschrieben, die dem fundamentalen Erfahrungszusammenhang der Insuffizienz und andererseits der festgehaltenen Selbst-Haftbarmachung entspringt. Die augustinische

Fassung der christlichen

Freiheitsproblematik

Bei Augustin kommt dieser Problemzusammenhang am deutlichsten dort zu Wort, wo er im Anschluß an gewisse neutestamentliche Stellen über das Verhältnis von Gesetz und Gnade spricht: im kritischen Punkt

Die augustinisdie Fassung der Freiheitsfrage

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zwischen beiden bricht das Freiheits- und Insuffizienz-Problem zu seiner eigentlichen Schärfe auf. In Begriffsreihen von der Art der folgenden etwa interpretiert er den hier in Frage stehenden inneren Prozeß: „Das Gesetz, indem es lehrt und befiehlt, was ohne die Gnade nicht erfüllt werden kann, macht dem Menschen seine Ohnmacht offenbar (demonstrat), damit die offenbar gewordene Ohnmacht den Erlöser suche, durch den geheilt der Wille vermöge, was der ohnmächtige nicht vermochte. Das Gesetz also führt [durch den Erweis der Ohnmacht!] zum Glauben, der Glaube erwirkt reichlicheren Geist, der Geist gießt Liebe aus, die Liebe erfüllt das Gesetz" (ep. 145,3). Die Erfahrung unter dem Gesetz führt also zu einem Selbstverzicht des Willens in der Zuwendung zum Erlöser — und dieser Selbstverzicht in Einheit mit dem positiven Korrelat der Hinwendung ist nichts anderes als der Glaube. Diesem aber wird als Gnadengeschenk der „Geist" und durch ihn die „Liebe" zuteil, „ausgegossen in unsere Herzen", die erst die eigentliche Freiheit zum Guten gibt. Die durch die Gnade erwirkte Freiheit also ist die der vollen Suffizienz; die auf der natürlichen Stufe bestehende ist die der Aufnahme und des wesentlichen Mißbrauchs des Gesetzes und der delectatio peccati, der Lust an der Sünde; beidemal aber handelt es sich um den Willen selber: „Weder würde das Gesetz befehlen, wenn nicht Wille wäre, noch die Gnade helfen, wenn Wille genug wäre" (ep. 177,5). Zu jener „in unsere Herzen ergossenen Liebe" (Rom. 5,5), dem Kulminationsphänomen der ganzen Reihe, sind sdion hier einige Worte vonnöten: es ist eine eigentümliche neue Qualität des Menschen, eine ihm von sich her nich: verfügbare, nun aber von oben her magisch zugeeignete Kraft, die ihn aus der „infirmitas", aus seiner eigentlich menschlichen Ohnmadit bifreit und ihm die Erfüllung des Gesetzes ermöglicht. Durch sie, die schlechthin wunderbare, das Menschliche überbietende Größe, hat er nun eine wirkliche, aber eben geschenkte Suffizienz gegenüber der Forderung Gottts und damit die wahre Freiheit des Willens. Diese magische „Caritas" (diifusa in cordibus nostris: von oben her eingegossen!), die die praktische- Auswirkung der Gnade in uns ist und uns bereits jenseits des konstitutiv nenschlichen (kreatürlichen) Bereiches stellt, in welchem die Insuffiziemz und die Sünde erfahren wurde, diesen vielmehr in realer Umwandfom* unter sich gelassen hat und so schon eine Art greifbarer Erlösung im Diesseits darstellt, spielt für Augustin eine bedeutende Rolle überall da, vo er sich den Begriff der Gnade über das rein „juridische" Moment feimus (das einem Geist wie Augustin nichts sagen konnte) in einem erlebbaren, real wirksamen Phänomen erfüllen wollte. Gleichviel nun, ob es; sidi dabei um eine wirklich erfahrene oder nur um eine WunschGröße hamdtlt, so ist doch schon die ausschließende und ablösende Funktion, die sie in der Reihe beansprucht, unter Umständen bezeichnend für 3»

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Die stoische Freiheitsfrage

deren eindeutig gehaltliche, gleichsam stadienhafte Konstruktion, wie sie uns weiterhin noch beschäftigen wird. Die oben zitierte Begriffsreihe ist ein festes Schema bei Augustin 1 . Es umfaßt das paulinische Grunderlebnis bei seinem Umschlag vom Pharisäismus ins Christentum. Aber für Paulus ist es über dies Biographische hinaus die ständig neu sich realisierende Situation des Menschen vor Gott als solche, die in diesem Leben, also unter der bleibenden Voraussetzung der Kreatürlichkeit, immer von neuem in all ihren Phasen durdizuvollziehen ist und eben darin die dialektische Vorläufigkeit der Erlösung, die ja keine magische Verwandlung ist, ausmacht. Denn die Ausrichtung auf die Gnade und die Offenheit zu ihrem Empfang ist nur dann edit realisiert, wenn auch das absolute Angewiesensein auf sie ursprünglich aktuell ist — und es aktualisiert sich nur in der ständig originalen Erfahrung des eigenen Versagens; dieses also bildet den ständig mitvollzogenen konstitutiven Untergrund des Glaubens. Jener Umschlag ist also ein, in der dialektischen Bewegtheit des christlichen Lebens in sich, immer sich ereignender, worin sich eben „Sterben und Auferstehen im Kreuz", die eigentliche Partizipation an Christus dem Gekreuzigten vollzieht. In der begrifflichen Reihenbildung bei Augustin scheint diese einheitliche Strukturganzheit einer dialektischen Bewegung in einen Prozeß auseinandergezogen mit sich absetzenden, aufeinanderfolgenden Stadien, wo für die späteren die früheren bereits erledigt sind. So wenigstens stellt es sich in der objektbegrifflichen Form der Aussage leicht dar, und es fragt sich eben, ob dies bis in die Strukturerfassung des Phänomens selber hinabreicht, also von sachlicher Bedeutung für die augustinische Fassung der Freiheitsproblematik ist. Es muß so sein, wenn die in der ersten Abstraktion unvermeidliche gehaltliche Fixierung und Voneinander-Isolierung der Einzelelemente nicht wieder zurückgenommen wird in die jeweils konkret vollständige und einheitliche Bewegung der vollziehenden Subjektivität. Wir haben so bereits eine bestimmte Fragedirektion. Deutlicher wird die allgemeine ontologische Struktur der augustinischen Auslegung des „Prozesses" dort, wo er den oben zitierten Zusammenhang erweitert zu einem umfassenden ideal-soteriologisdien Schema von einander folgenden, gleichsam biographischen Stufen, die zusammen die Fortschrittsfolge eines beim absoluten Heil terminierenden „Lebenslau1 Die den ganzen Prozeß stichworthaft zusammenfassende Reihenbildung wiederholt sich fast stereotyp, z.B. spir. lit. п. 52 (X 233), wo speziell auf die Freiheit Bezug genommen ist: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde, durch den Glauben Erlangung der Gnade gegen die Sünde, durch die Gnade Heilung der Seele vom Gebrechen der Sünde, durch Heilheit der Seele Freiheit des Willens, durch freien Willen Liebe zur Gerechtigkeit, durch Liebe zur Gerechtigkeit Tuen des Gesetzes." Zu dem angedeuteten Gegensatz von „juridischer" und „realer" Gnadenauffassung beachte man besonders, daß es heißt: „ H e i l u n g der Seele vom G e b r e c h e n der Sünde", nicht etwa nur: Erlassung der Schuld oder Anklage (reatus).

Die augustinische Fassung der Freiheitsfrage

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fes" ausmachen (wenn er auch nicht mit allen seinen Stufen in diesem Leben liegt und auch nicht notwendig in seiner Ganzheit der e i n e s Menschen ist). In diesem weiteren Zusammenhang unterscheidet Augustin vier „Stufen" (gradus) des Menschen: vor dem Gesetz, unter dem Gesetz, unter der Gnade, im Frieden. Z.B. div. quaest., qu. 66 — hier zum Schluß (n. 7) zusammenfassend: „Im Handeln der ersten Stufe, die vor dem Gesetz liegt, gibt es keinerlei Kampf mit den Lüsten dieser Welt; auf der zweiten, die unter dem Gesetz ist, kämpfen wir, werden aber besiegt; auf der dritten kämpfen wir und siegen; auf der vierten kämpfen wir nicht, sondern ruhen in vollkommenem und ewigem Frieden" (VI 66). Auch dies ist ein festes Schema1. In diesem Schema nimmt der oben charakterisierte paulinische Vollzugszusammenhang die zweite und dritte Stufe ein; die vierte liegt jenseits dieses Lebens, die erste vor der Verkündigung des Gesetzes. Aber audi diese zweite und dritte, für uns einzig von Belang, bilden keine untrennbare Einheit mehr, nicht einmal in dem Sinne, daß sie in die biographische Folge einer Existenz eingeschlossen sein müssen, sondern für die gesdiichtlidie Situation Augustins verteilen sie sich im wesentlichen auf zwei geschichtliche Phasen, von denen die eine bereits in der Vergangenheit liegt — für die Kirche wenigstens: die jüdische Gesetzesstufe, der die jetzt herrschende, von der Kirche repräsentierte Stufe der Gnade folgte. Der bereits in ihrem Schoß geborene (als Kind getaufte) Christ befindet sich so lediglich in der dritten Stufe, wenn er nicht in die vorige oder noch darunter zurückfällt: „Wir kämpfen und siegen": es ist jene Stufe der „Caritas" im ersterwähnten Schema und bestätigt, was zu dieser gesagt wurde: daß die Vorstellung einer realen Umwandlung in der Abfolge des stadienmäßig gefaßten Weges vom Gesetz durch Glauben zur Gnade vorliegt. Und hier stellt sich dringlicher die schon aufgeworfene Frage, was diese gehaltliche Objektivierung und Auseinanderziehung der Vollzugsmomente jener „paulinischen" Daseinsbewegtheit zu getrennten Stadien — biographischen oder geschichtlichen — für die sachliche Fassung der Freiheitsproblematik durch Augustin bedeutet. Die Ansetzung der beiden Momente „unter dem Gesetz" und „unter der Gnade" als zweier geschiedener und ganz voneinander isolierbarer Epochen entspricht der geschichtlichen Lage: die Kirche herrscht, ihre Herkunft aus dem Judentum liegt weit zurück und ist für die Gegenwart gänzlich abstreifbar: eben in der Form der epochenmäßigen Distanzierung. Bei Paulus selber mit seinem faktisch durchschrittenen Weg vom Judentum (und wesentlich auch: durchs Judentum!) zum Christentum bestand ja jene einzigartige, schicksalhafte Koinzidenz zwischen seiner tatsächlichen biographischen Entwicklung und der wesentlichen (außerbiographischen) Umschlagsstruktur des christlichen Seins als solchen; zwischen dem Gehalt der ge1

C f . z . B . noch expos. Rom.,

prop.

13—18

(III

2065 ss).

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Die stoische Freiheitsfrage

schichtlich sich folgenden Phasen der ersteren und dem analogen der dialektisch jeweils zu vollziehenden „Phasen" des letzteren — die hier aber nicht zeitlich voneinander trennbar sind. Sicher bezeichnet diese Koinzidenz die eigentlich klassische Stellung des Paulus in der Geschichte der christlichen Selbstauslegung, der ihr berufenster Sprecher und adäquatester Aussprecher aus dem geschichtlichen Punkte erwuchs, wo das innere, strukturell „umschlaghafte" Geschehen, das in ihr in Frage stand und das in der Zukunft unabhängig von jeder geschichtlichen Situation Mensch für Mensch in sich realisieren sollte, zusammentraf mit seinem anschaulichen Prototyp im Großen, Gesamtgeschichtlichen als einmaligem Vorgang — und f ü r Paulus selbst: mit dem im Ablauf seiner persönlichen Gesamtgeschichte Gegebenen. Jedenfalls ist es das, was das Leben des Paulus mit seiner radikalen Bekehrung nebst dem, w o v o n , und dem, w o z u er sich bekehrte, zu einem ausgezeichneten, in der Form getrennter Folge darstellenden Symbol dessen befähigt, was er zu verkünden hatte und worin sich diese seine einmalige, objektiv geschichtliche Lebensbewegung als jeweilige dialektische Bewegtheit ständig und immer neu wiederholt. Wo aber aus der Entfernung historischer Rückschau die Dialektik GesetzGnade nur als die Spannung einer zurückliegenden Übergangszeit und nicht auch als das constituens jeder christlichen Gegenwart gesehen wird, kommt es notwendig zu einer Verarmung sowohl der Begrifflichkeit wie audi der Vollzugsstruktur der christlichen Seinsbewegtheit selber — der Denk- und Erfahrungsdimension also, worin allein audi die Freiheitsproblematik im ursprünglichen Sinne wurzelt. — Genauer gesagt, wurzelt sie speziell im „Gesetzesstand" (status sub lege), den jeder Mensch, auf sich selbst gestellt, sofern er überhaupt in diese Dimension gelangt, repräsentiert und von sich aus nicht aufzuheben vermag; auch der Christ, soweit er eben audi im „Gnadenstand" (status gratiae) das unnachlaßliche Aufsichselbstgestelltsein des Gesetzesstandes als die immer gegenwärtige Voraussetzung seines Gnadenstandes noch dialektisch mitzuvollziehen hat. So ist es denn nicht verwunderlich, daß bei Augustin gerade die Bestimmung des Verhältnisses von Gesetzesstand und Gnadenstand (nicht einfach: von Gesetz und Gnade) der kritische Punkt f ü r seine Erfassung des Freiheitsproblems ist; und daß, obwohl er und seine christlichen Zeitgenossen überhaupt als Glieder der Kirche nach seiner Auffassung dem Gesetzesstand entrückt sind und dem Gnadenstand angehören, doch gerade in der Interpretation des Gesetzesstandes — in Exegesen gewisser paulinisdier Sätze — sich das eigentliche theoretische Schicksal der Freiheitsfrage bei Augustin offenbart.

4. Orientierung der Untersuchung an der Exegese von Rom. 7 Um nun eine Orientierung in der weitläufigen Masse der augustinischen Äußerungen zu unserem Problem zu haben, konzentrieren wir unsere Analyse auf Augustins wechselnde Interpretation einer ausgezeichneten Paulusstelle, die den doppelten Vorzug einer „klassischen" hat, sowohl die sachlich ursprünglichste Darstellung des Phänomens selber als auch die in der christlichen Tradition und zumal von Augustin als Zeugnis meistverhandelte zu sein: Rom. 7,7—25. Es ist jener merkwürdige, eigentlich rätselhafte und vielleicht bis heute noch nicht zureichend interpretierte Abschnitt, in dem das harte Gegenüber von Verzweiflung und Gnade in der Form eines in der ersten Person redenden Selbstberichtes beschrieben ist. Wer hier eigentlich redet, ist viel umstritten: ein symbolischer Vertreter des Geschichtsverlaufs {„ich aber lebte einst ohne Gesetz" = die Menschheit vor der Offenbarung des Gesetzes, usw.)? oder der Mensch schlechthin als Typus jedes einzelnen? oder Paulus als individuelle Person, und zwar dann entweder im Sinne eines biographischen Berichtes oder als Schilderung seines gegenwärtigen Seelenlebens? Paulus vor oder unter der Gnade? — Alles dieses vielleicht — aber alles dies nur dann mit Sinn, wenn der Abschnitt zuvor bezogen ist auf eine Strukturanalyse des dialektisch zwischen Gesetz und Gnade, zwischen Sollen und Nichtkönnen, Wollen und Versagen, Verzweiflung und Erlösung gestellten Seins vor Gott als solchen. Erst von dieser primären phänomenologischen Interpretation als Seins-Auslegung erhalten die möglichen anderen Beziehungen auf bestimmte Träger ihren wirklichen Sinn. Eine solche hier zu geben, überschreitet die Grenzen dieser Untersuchung, obwohl sie ihr strenggenommen vorhergehen müßte1. Für jetzt soll der Text für sich selbst sprechen und seine aporetischen Akzente dann von der historischen Diskussion empfangen, die unser Thema ist. Im übrigen diene der oben im Gegensatz zur Stoa umrissene allgemeine Horizont des christlichen Freiheitsproblems überhaupt als ungefährer Hinweis dahin, in welche existenziale Richtung die Interpretation der Stelle nach unserer Meinung gehen müßte. Rom. 7,7—25 „(7) Was wollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne. Aber die Sünde erkannte ich nicht, außer durdos Gesetz. Denn ΐώ wüßte nichts von der Begierde, hätte das Gesetz nicht gesagt ,Du sollst nicht begehren'. (8) Die Sünde aber empfing Antrieb vom Gebot und erzeugte in mir alle Begierde. Denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. (9) Ich aber lebte einst ohne Gesetz. Da aber das Gebot 1

Siehe jetzt den (in der 1. Auflage nicht enthaltenen) Anhang III, S.93ff.

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Orientierung an der Exegese von Rom. 7

kam, lebte die Sünde auf. Ich aber starb. (10) Und es erfand sich, daß das Gebot, mir gegeben zum Leben, mir zum Tode gereichte. (11) Denn die Sünde, Antrieb nehmend am Gebot, betrog und tötete mich durch eben dies Gebot. (12) Das Gesetz zwar ist heilig, und das Gebot ist beilig und gerecht und gut. (13) So wäre denn, was gut ist, mir zum Tode geworden:? Das sei ferne. Aber die Sünde, auf daß sie als Sünde offenbar werde, hat mir durch das Gute den Tod gewirkt, auf daß die Sünde im Ubermaß sündig würde durchs Gebot. (14) Denn wir wissen, daß das Gesetz geistig ist: ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Sünde. (15) Denn was ich wirke, weiß ich nicht: denn nicht was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das handle ich. (16) Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so stimme ich dem Gesetz zu, daß es gut sei. (17) Dann aber bin nicht ich es mehr, der dies tut, sondern die in mir wohnende Sünde. (18) Denn ich weiß, daß in mir, d. h. in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt. Denn in mir ist zwar das Wollen, aber Vollbringen des Guten nicht. (19) Denn nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich . . . (21) So finde ich denn in mir, der ich das Gute tun will, das Gesetz, daß mir das Böse beiwohnt. (22) Denn ich habe Lust am Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen, (23) sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Geistes widerstreitet und mich gefangennimmt im Gesetz der Sünde ... (24) Ich elender Mensch, wer wird mich erretten aus dem Leib dieses Todesf (25) Dank sei Gott durch Jesus Christus unsern Herrn. So diene ich nun im Geiste dem Gesetz Gottes, im Fleische dem Gesetz der Sünde." Dies die Paulusstelle. Nur eine prohibitive Bemerkung fügen wir hinzu: Die abgründige Problematik dieser Stelle darf nicht entschärft und verflacht werden durch eine zu billige Auffassung dessen, was hier unter den Worten „Fleisch" (σάρξ), „fleischlich", „Glieder" und auf der andern Seite „Geist" (νους), .„geistlich" ( π ν ε υ μ α τ ι κ ό ς ) , „innerer Mensch" gemeint sein könnte. Die Interpretation dieses Gegensatzes, die ontologisdie Erfassung der beiden Pole in ihm und die Gewinnung einer Vorstellung von der Art, gleichsam dem inneren Mechanismus seines Vollzuges ist zentral für das Verständnis des ganzen Abschnittes — aber eine solche Interpretation ist nicht zu gewinnen aus dem isolierten Wortsinn der von Paulus verwendeten Ausdrücke „Geist", „Fleisch" nach ihrer durchschnittlichen Bedeutung, um von hier aus den übrigen Aussagen dieses Abschnittes einen damit konformen Sinn zuzudiktieren; sondern sie hat sich umgekehrt von der gebührenden Bewertung dieser anderen Teile bestimmen — und, wenn deren Schwergewicht es verlangt, selbst über den unmittelbaren Sinn jener Worte hinaustreiben zu lassen. — Das Gesetz also ist wirklich von Gott, befaßt seinen Willen und Anspruch an den Mensdien; der Mensch übernimmt es auch und will das Gute; aber gerade dadurch, daß er das Gebot übernimmt, gewinnt die Sünde ihre

V o r p e l a g i a n i s c h e A u s l e g u n g von R o m . 7

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eigentliche Macht und Schärfe, er seine letzte Hilflosigkeit gegenüber Gott. An dieser Stelle also, d. h. an ihren verschiedenen Interpretationen bei Augustin, orientieren wir uns weiterhin, und noch spezieller an einem einzigen hierbei strittigen Punkte, um von diesem aus das Freiheitsproblem bei Augustin aufzurollen. Wir nehmen zunächst die augustinisdie Interpretation aus der Zeit vor dem pelagianischen Streit, aus der als „frühpaulinisch" bezeichneten Epoche. a) Die Auslegung in der vorpelagianischen (frühpaulinischen)

Epoche

De diversis quaestionibus ad Simplicianum (a. 397), lib. I, qu. 1 (VI lOlss). Gleich in п. 1 steht der entscheidende Satz. Bezüglich des ganzen Abschnittes Rom. 7,7—25 heißt es dort: „An dieser Stelle scheint mir der Apostel die Rolle des unter das Gesetz gestellten Menschen angenommen zu haben und ihn aus seiner eigenen Person sprechen zu lassen" (VI 103). Dies ist hier die Voraussetzung, die das Verständnis des Ganzen bestimmt; und eben diese grundlegende Voraussetzung, hier fraglos angenommen, wird späterhin nicht nur preisgegeben, sondern zu einem Hauptstreitpunkt mit den sie vertretenden Pelagianern, und bezeichnet so gleichsam den Drehpunkt der Wendung, die Augustin selber von dieser zu seiner letzten Position vollzog. Was dies zu bedeuten hat, soll erst im Folgenden klar werden. Wir analysieren zunächst die erste Stufe, wie sie in unserer Schrift vorliegt. — Wie die Rolle des Gesetzes im Heilszusammenhang aufgefaßt ist, wurde ja schon in dem allgemeinen Schema deutlich: demonstrat infirmitatem. Hier wird die „demonstrative" Funktion genauer bestimmt; n. 2 „Das Gesetz wurde nicht gegeben, damit die Sünde eingepflanzt, noch damit sie ausgejätet, sondern nur, damit sie offenbart werde (demonstraretur): eben durch die Offenbarung der Sünde soll es die in vermeintlicher Unschuld sichere Menschenseele verklagen . .. und durch die Beängstigung der Anklage selbst zur Aufnahme der Gnade hinwenden1. Daher sagt er nicht ,Die Sünde tat ich nicht, außer durchs Gesetz', sondern ,Die Sünde erkannte ich nicht, außer durchs Gesetz', und ebenso nicht ,Die Begierde hätte ich nicht, hätte das Gesetz nicht 1 Diese unter dem Druck der Schuld erfolgende Hinwendung zur Gnade bzw. zum Glauben wird immer wieder mit ähnlichen Worten gekennzeichnet, cf. z.B. de fide et operibus n. 21: sie magno reatu compellente confugerunt ad fidem (VI 211). Eben in diesem Übergang durch das Versagen hindurch erfüllt sich der über sich hinausweisende Sinn des Gesetzes: .Darin liegt der Nutzen des Gesetzes: da es uns der Übertretung schuldig macht, zwingt es uns, für unsere Befreiung zur Gnade Zuflucht zu nehmen ... Denn das Gesetz heißt mehr, als es hilft; es lehrt, daß wir krank sind, aber heilt nicht; im Gegenteil mehrt es eher die Krankheit, die es nicht heilt, so daß wir um so eifriger und angstvoller die Arznei der Gnade suchen" (grat. Chr. n. 9, X 365).

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Orientierung an der Exegese von Rom. 7

gesagt: Du sollst nicht begehren', sondern ,Von der Begierde wüßte ich nicht' (usw.)". Das Gesetz also soll die Sicherheit des natürlichen Menschen tilgen, indem es ihm durch die praevaricatio, die Übertretung, die cognitio peccati bringt. Diese rein demonstrative Funktion des Gesetzes wird dann an allen Einzelaussagen des Paulusabschnittes konsequent durchgeführt. Es wird nämlich entsprechend interpretiert (n. 4; p. 104): „Ohne das Gesetz ist die Sünde tot = „ist verborgen" = „wird für tot gehalten"; „Mit dem Kommen des Gebots lebte die Sünde auf" = „trat in Erscheinung"; „Ich aber starb" = „erkannte mich als gestorben"; „die Sünde lebt" = „ist bekannt"; „ist tot" — „ist verborgen". — Durch dies Wissen erhält die Sünde erst ihre eigentliche Schärfe und geistige Wirklichkeit: „Das Gebot wird zum Tode erfunden, da ihm zuwider gehandelt wird, derart daß nicht nur gesündigt wird — dies geschah auch vor dem Gesetz —, sondern daß dies übermäßiger und verderblicher geschieht, indem nunmehr in wissentlicher Übertretung gesündigt wird" (ibid). Wir lassen hier dahingestellt, ob sich das Gesetz wirklich in dieser nur demonstrativen Funktion erschöpft; ob nicht vielmehr im paulinischen Sinne ein ursprünglicherer und realerer Zusammenhang zwischen Gesetz und Sünde besteht als nur der, daß jenes diese (die vorher bereits in prinzipiell gleicher Weise da ist) lediglich als das, was sie schon ist, offenbar macht; ob also ζ. B. die Deutung des „peccatum revixit" auf ein einfaches „apparuit", das den substantiellen Bestand der Sünde selbst unmodifiziert läßt, der abgründigen, dämonischen Gefährlichkeit gerecht wird, die das paulinische Original dem „Gebote" zuzuschreiben scheint. Die Frage kann auch so gefaßt werden, ob nicht zwischen dem Wissen und der Sünde noch ein anderer Zusammenhang besteht als der, daß die letztere einfach das Objekt des ersteren ist 2 . Wir begnügen uns mit der aporetischen Aufwerfung der Frage als solcher, deren zureichende Beantwortung nur die hier immer wieder als desideratum auftauchende Analyse der Paulusstelle selber liefern könnte. Da wir in unserer sehr ausschnitthaften Untersuchung auf einen anderen Problempunkt hinsteuern, belassen wir es bei der Frage. Aber auch Augustin selber kann nicht bei der rein kognitiven Gleichung stehenbleiben; dort nämlich nicht, wo er den z w i n g e n d e n Zusammenhang zwischen Gesetz und Sünde, die Unvermeidlichkeit und Unentrinnbarkeit der Sünde unter dem Gesetz, und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen des Gesetzes, zu erklären hat. Also jenes geheimnisvolle: „die Sünde, Antrieb nehmend am Gebot, betrog und tötete mich durch dasselbe": Hier ist über die höhere Gefährdung des Wissen1 Es ist letzten Endes die Frage nach dem tiefen Zusammenhang, der besteht zwischen der Sünde und — dem »Essen vom Baume der Erkenntnis"!

Vorpclagianische Auslegung von Rom. 7

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den hinaus, der durch das Gebot dem Schutze der Unbewußtheit und Unwissenheit entrissen ist, zugleich von einer eigentümlichen Notwendigkeit seines Erliegens und Versagens die Rede; Paulus spricht von einem „Antrieb", den die Sünde durch das Gebot gewinnt, und davon, daß sie midi gerade durch dasselbe überlistet und betrügt, durch dasselbe „tötet". Die häufigste Erklärung, die Augustin hier gibt, ist die, daß gerade durch das Verbot die Begierde einen neuen und zusätzlichen Anreiz gewinne, durch den sich die „Süßigkeit des Verbotenen" steigere. Hierdurch entfalte die Sünde erst ihre volle, versucherische Kraft und Gefährlichkeit — und eben dies sei es, was Paulus mit dem der Sünde durch das Gebot gelieferten „Anlaß" (occasio = άφορμή), mit dem „Täuschen" (έξαπαταν) etc. meine: n. 5 „Die Sünde, gesetzlos des Gesetzes sich bedienend, ist durch die vom Verbot gesteigerte Begierde süßer geworden und hat uns deshalb ,betrogen'"s. — Dies ist, wie gesagt, die geläufigste Erklärung, aber sie befriedigt ganz und gar nicht. Denn mag es ja sein, daß jene psychologische Verbindung zwischen Verbot und erhöhtem Anreiz besteht — so ist doch nicht im mindesten ersichtlich, wieso eine Notwendigkeit und welche Art Notwendigkeit besteht, diesem stärkeren Anreiz der Konkupiscenz auch zu erliegen; wieso nicht vielmehr gerade hier der von sittlichen Maximen geleitete, von sich selbst her zum Guten entschiedene (also autonome) Wille seine eigentlichen Möglichkeiten in der Meisterung dieses Triebhaften (der Kantischen „Neigung") soll entfalten können, indem er es nicht in die Sphäre von Tat und Entschluß, in die Sphäre des eigentlichen Existierens eindringen läßt. Der von Augustin behauptete Zusammenhang, der vorzüglich in die Kinder- und Massenpsychologie gehört, ist ein durchaus irrelevanter, bloß psychologischer Tatbestand, der es noch ganz offen läßt, wie der existierende Mensch sich in ihm und zu ihm verhält. Das speziell am Kinde zu illustrierende Phänomen (die Begehrlichkeit, mit der das Stück Kuchen gerade nach dem Verbot der Mutter angesehen wird, der neue verführerische Reiz des durch das Verbot ausgezeichneten Objektes, dem das Kind nur schwer zu widerstehen vermag — und sicher überhaupt nur aus Furcht vor Strafe!) — diese ganze primitive Tatsache geht den reifen männlichen Charakter, der sich Forderungen und Verbote aus eigener Einsicht und Entscheidung auferlegt, schlechterdings nichts an; und der echten Insuffizienz-Idee ist schlecht gedient mit einem „Beweis" aus dieser infantilen * Vgl. aus derselben Epodie ζ. B. expos. Rom, qu. 39 (III 2070): „... weil die Frucht verbotenen Begehrens süßer ist . . . Diese (zusätzliche) Süße ist jer Anlaß durchs Gebot' ... und durch das Verlangen, das sie erregt, ,täuscht' sie." Audi späterhin hat sich diese Erklärung durdigehalten, c f . spir. lit. п. 6 (X 204): „Irgendwie wird das Begehrte anziehender, wenn es verboten wird. Und "dies ist das Täuschen der Sünde durAs Gebot."

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Orientierung an der Exegese von Rom. 7

und vor allem: wesentlich heteronomen Erfahrungssphäre. U n d sicherlich geht solche Trivialisierung weit an dem von Paulus Gemeinten vorbei. Tiefer geht eine andere Erklärung, die zwar in der Interpretation unserer Paulusstelle nur ganz gelegentlich und andeutungsweise auftaucht, aber aus anderen fundamentalen Ausführungen Augustins (über „Selbstliebe", „Versuchung", „Hochmut", „Demut" usw.) zwanglos in unseren Zusammenhang sich übertragen läßt: Die Gesetzeshandlung aus eigener Kraft f ü h r t notwendig die Selbstqualifizierung mit der Auszeichnung des rechten Handelns mit sich, also den Hochmut (superbia) — „dies Laster entsteht, wenn jemand zu sehr sich selbst vertraut .. .: durch solche Ruchlosigkeit, mit der er sich beimißt, was Gottes ist, wird er in seine eigene Finsternis verstoßen" (spir. lit. п. 11. Χ 206). Die Grundbestimmung der superbia: „Wenn das Gemüt sich seiner selbst als seines eigenen Gutes erfreut, ist es hochmütig" (ep. 118, 15)*. — Bei Paulus selber entspricht dem das καυχασθαι, das sich Rühmen, dessen Fundamentalcharakter als die spezifisch kreatürliche Abfallsstruktur des sich objektivierenden „Sichselbst-Setzens" bei jeder Analyse der paulinischen Anthropologie im Zentrum zu stehen hätte. Es ist die Eitelkeit, die die T a t von innen her umfälscht und sich f ü r das, was das Gebot der Begierde versagte, in einem eigentümlich erschlichenen Selbstgenuß schadlos hält und so den Gehorsamssinn der religiösen Ethik, des „Gesetzes", sabotiert und in sein Gegenteil verkehrt. U n d eben hierin liegt auch das rätselhafte „Täuschen" verborgen, dem gerade die als recht qualifizierte H a n d l u n g verfällt, sofern der Mensch, der sie vollzieht — durch den Hinblick auf das sie befehlende und als vollzogen gutheißende Gebot — sich zugleich in ihr sieht, wodurch ihm sogleich ihre eigentliche, ursprüngliche Vollziehung entgleitet — und davon ist selbst der Vorsatz zur Demut getroffen. Es ist dies der „Mißbrauch" des Gesetzes; in unserer Schrift: „Der Fehler liegt im schlecht Benutzenden, nicht im Gebote selbst. . . Der aber benutzt das Gesetz schlecht, der sich nicht in frommer Demut Gott unterwirft" (n. 6) 5 . 4 Vgl. de musica VI 40: „Die allgemeine Lust am Tun (amor actionis), die vom Wahren abwendet, geht aus dem Hochmut hervor: jenem Laster, in dem die Seele lieber Gott nachahmen als ihm dienen möchte." Entsprechend ist die Demut (humilitas) die eigentliche Tugend. „Sie ist die alle anderen sittlichen Eigenschaften erst weihende Macht, nicht die höchste Spitze der Tugenden, sondern diejenige Stimmung, die die Echtheit aller bedingt." (Reuter, Augustinische Studien 1887, S. 424); vgl. dortselbst S. 438 die hochwichtige Stelle aus ep. 211, 6: „Die Bosheit offenbart sich in bösen Werken, der Hochmut stellt nach den guten Werken.' 5 Vgl. in div. quaest., qu. 66 n. J die alternative Erwägung beider Möglichkeiten: „,Die Sünde, Antrieb nehmend am Gebot, betrog mich' — sei es, weil die Lust mächtiger zur Sünde überredet, wenn ein Verbot da ist; sei es, weil sogar, wenn einer dem Geheiß des Gesetzes entsprochen hat, solange noch nicht der Glaube da ist, der in der Gnade ist, er dies sich selbst 'und nicht Gott beimessen will und so durdj Übermut nur mehr sündigt° (VI, 63).

V o r p e l a g i a n i s d i e Auslegung v o n Rüm. 7

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Dies Versagen ist nicht zufällig, sondern konstitutiv für den Menschen, weil sein Wille in die Tendenz des amor sui immer abfällt. Gleichwohl liegt eine wirkliche „Zustimmung zum Gesetz" vor! Und hiermit kommen wir zum zentralen Problempunkt: Zwei oder drei Stellen, fast können wir sagen: zwei oder drei Worte nur im paulinisdien Text sind von der entscheidenden kritischen Bedeutung für die augustinische Auslegung vor und nach der antipelagianischen Wendung: V . 16 σύμφημι (consentio) τω νόμω 6τι καλός u n d v . 2 2 συνήδομαι (condelector) τω νόμω τοϋ θεοϋ κατά τον έσω άνθρωπον. D i e s e b e i d e n

Worte „consentio" und „condelector" bilden den eigentlichen Angelpunkt für die spätere Wendung. Noch eine dritte Aussage des Textes w ä r e d a z u z u n e h m e n : v . 18

xb γάρ θέλειν παράκειταί

μοι, τό δέ κατερ-

γάζεσθαι τό καλόν ού: Das Gute w o l l e n liegt bei m i r . Diese Bestimmungen also, consentire legi, condelectari legi Dei, velle bonum, schreibt Augustin in der jetzigen Auslegung, und zwar in wiederholter Betonung, dem homo sub lege zu, cf. n. 9 und n. 12. n. 9 zu Rom. 7,16 „ ,Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so stimme ich dem Gesetz zu, daß es gut sei': Er stimmt dem Gesetz zu, nicht insofern er tut, was jenes verbietet, sondern insofern er nicht will, was er tut. Da er nämlich noch nicht durch die Gnade befreit ist, erliegt er, obgleich er durch das Gesetz schon weiß, daß er schlecht handelt, und es nicht will." Zugleich aber wird ausdrücklich abgelehnt, den folgenden v. 17 („Dann aber bin nicht ich es mehr, der dies tut, sondern die in mir wohnende Sünde") so aufzufassen, als ob der also verknechtete Mensch nicht a u c h dem Tun der Sünde „zustimme", diese also wirklich o h n e seinen Willen tue. Vielmehr „stimmt er dem Tun der Sünde zu, obwohl er zugleich dem Gesetz darin zustimmt, daß dies zu mißbilligen sei." Und begründend fährt Augustin fort: „Er spricht nämlich bis jetzt aus der Person des unter dem Gesetz und noch nicht unter der Gnade stehenden Menschen, der durch die Herrschaft der Begierde in der Tat zum Schlechthandeln getrieben wird ... obwohl er von seiten der Kenntnis des Gesetzes dies mißbilligt. Aber er sagt ,nicht ich tue dies' deshalb, weil er es unterliegend (victus) tut. Die Begierde nämlich tut es [aber eben die eigene Begierde], deren Ubermacht man nachgibt." Augustin schließt: „Daß man aber nicht nachgebe und der Menschengeist gegen die Begierde kräftiger sei, das bewirkt die Gnade . .. (usw.)" (p. 106). Uberlistet von der Sünde, gedrängt von der Konkupiscenz, willigt er ein in die Sünde — aber seine ursprüngliche Einwilligung ins Gesetz hält er darin aufrecht, daß er sein eigenes Tun mißbilligt, als Unrecht erkennt, verwirft; also auch darin, daß er sich immer wieder daraus zurückzurufen sucht. Nur — im Unterwegs dieses Zurück verfällt er bereits wieder in die übermächtigte Begehrlichkeit. Es liegt also, das ist hier das Ent-

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Orientierung an der Exegese v o n R o m . 7

scheidende, ein doppeltes, sich widerstreitendes „consentire" des Willens vor, sich realisierend im Vollzug der in sich bewegten Willenshandlung, vermöge der Abfallsbewegung, die das kreatürliche Wollen in sich selber hat und durch die es seinen ursprünglichen Vorsatz nie erreicht — obzwar in alledem das „Billigen" bzw. „Mißbilligen", und zwar in vollem Ernste, auf seiten dieses ursprünglichen Vorsatzes bleiben kann. Die Ansetzung dieses doppelten, gegensätzlichen „Zustimmens", eine Widerspiegelung der fundamentalen Zweideutigkeit und Zwiespältigkeit des sich selber überlassenen Wollens, ist besonders festzuhalten, um nachher daran den Abstand der späteren Position hervortreten zu lassen, in der bei der Interpretation derselben Stelle diese ganze dialektische Struktur des Phänomens aufgegeben ist. Aus jenem Begriff des „Mißbilligens" wird auch (n. 8) die dunkle Aussage v. 15 interpretiert „Denn was ich wirke, weiß ich nicht": jgnorare' soll hier nach Augustin nicht ,nescire' bedeuten, „sondern man sagt manchmal, daß wir ,ignorieren', was wir nicht billigen. So sagt also der Apostel ,Was ich tue, weiß ich nicht', d. h. billige ich nicht". Auch hier lassen wir wieder dahingestellt, ob diese etwas rationalistische Deutung dem abgründigen Charakter der paulinischen Worte wirklich gerecht wird. Wir vermerken sie hier nur, um auch damit zu illustrieren, wie entschieden auf dieser Stufe Augustin dem homo sub lege ein wirklich positiv wollendes Verhältnis zum Gesetz Gottes zuschreibt. Das steigert sich noch n. 11 in den Bemerkungen zu v. 18 „ ,Denn in mir ist zwar das Wollen, aber Vollbringen des Guten nicht': mit diesen Worten scheint er denen, die nicht richtig verstehen, die Willensfreiheit aufzuheben. Aber wieso hebt er sie auf, wenn er sagt ,das Wollen ist in mir'? Denn gewiß ist das Wollen selbst in meiner Macht. . . Daß aber das Vollbringen des Guten nicht in meiner Macht ist, das ist die verdiente Folge der Erbsünde ... woraus uns die Gnade des Schöpfers befreit, wenn wir uns ihm durch Glauben unterwerfen" (p. 107). So viel also, so Wesentliches ist hier dem Menschen vor der Gnade konzediert: freies und aufrichtiges Wollen zum Guten — frei, soweit es sich um Wahl und Entscheidung zum Guten, um Vorsatz und Entschluß handelt; und, wie wir ebenfalls sahen, auch „frei", soweit es sich um fortdauerndes Sichbekennen zu der übernommenen N o r m handelt, um ein auch im Unterliegen unter der concupiscentia aufrecht erhaltenes Sichunterstellen unter das anerkannte, weiter bejahte Kriterium — nämlich im kritischen Erkennen und Mißbilligen des eigenen Versagens („improbare"). U n d das ist, obwohl die Hauptsache, das Vollbringen, ausbleibt und statt seiner immer die konstitutiv-menschlidie concupiscentia sich durchsetzt und das H a n deln schließlich zur Sünde macht, doch sehr viel, wie wir weiterhin sehen werden; zu viel jedenfalls f ü r den späteren Augustin, der hier gründlich revozierte.

V o r p e l a g i a r t i s d i e A u s l e g u n g von R o m . 7

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Daß es sich um ein aufrichtiges Wollen des Gesetzes, nicht nur um eine äußerlidie, etwa aus der Furcht vor Strafe motivierte „Legalität" handelt, wird vollends deutlich aus dem „condelector legi Dei secundum interiorem hominem" v. 22, das hier (n. 13) wie audi anderwärts ebenfalls auf den homo sub lege bezogen wird. Er hat also bereits von sich her eine „Caritas iustitiae": selbst der verfängliche Name Caritas wird nidit gescheut, obwohl er doch, wie wir sahen, vor allem jener erst von der Gnade erwirkten „überbietenden" Größe zukommt, die die wunderbare Suffizienz mitteilt; vgl. expos. Gal. п. 47 (III 2139):„ .. . Jene sind ,unter dem Gesetz', deren Geist so wider das Fleisch begehrt, daß sie nicht das, was sie wollen, auch tun, d. h. sid) nicht unbesiegt in der Liebe zum Guten (caritate iustitiae) halten, sondern von dem wider sie begehrenden Fleisch besiegt werden"*. Es ist also schon eine Caritas iustitiae da, nur daß sie ohne Sukkurs der Gnade nicht invicta bleibt. So folgt schließlich für Augustin: „In diesem sterblichen Leben bleibt dem freien Willen dies: nicht, daß der Mensch die Gerechtigkeit erfüllt, wenn er sie gewollt hat, sondern daß er sich in flehender Frömmigkeit zu dem hinwendet, durch dessen Gabe er sie zu erfüllen imstande wird" (n. 14, VI 108). Der Sinn des Gesetzes also ist, daß wir seiner Forderung gegenüber „in uns selbst versagend zu Ihm unsere Zuflucht nehmen" (propterea iubet — sc. lex — ut in nobis deficientes ad ilium confugiamus: spir. lit. п. 30). Wir erinnern uns des einleitend gegebenen allgemeinen Schemas der vier „Grade" des Menschen in der Heilsordnung und haben jetzt, nach Durchmessung der Analyse, eine deutlichere Vorstellung von dem zweiten gewonnen, also davon, wie das „wir kämpfen, aber unterliegen" zu verstehen ist. Um diesen „Kampf" handelte es sich in allen angezogenen Erörterungen zu dem fraglichen Paulus-Abschnitt. In der Tat stimmen die näheren Ausführungen zu diesem gradus hominis ganz überein mit den eben behandelten zu der Paulus-Stelle: expos. Rom. prop. 13—18; daraus u. a.: „Wir kämpfen, aber werden besiegt: denn wir gestehen, daß was wir tun schlecht ist, und dies Eingeständnis heißt, daß wir es nidot-wollen [= mißbilligen], aber .. . überwunden werden. Auf dieser Stufe wird uns gezeigt, wie sehr wir darniederliegen, und wenn wir uns erheben wollen und wieder fallen, stürzen wir umso heftiger zu Boden ... Wenn jemand so darniederliegend erkennt, daß er nicht die Kraft hat, sich selber zu erheben, dann flehe er den Befreier um Hilfe an ...". Aber auch hier wird wieder besonders die Deutung der Sünden-Notwendigkeit als eines willensfremden Naturvorganges ausgeschlossen und ausdrücklich betont, daß die Sünde in der „Zustimmung" des Willens bestehe (desselben Willens, der in eins damit dem Gesetz zustimmt und die Sünde n i c h t will!): „Nicht im bösen Triebe selbst, sondern in unserer • Widerrufen in Retract. I 24 п. 2.

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Orientierung an der Exegese von Rom. 7

Zustimmung sündigen wir" — also auch hier das d o p p e l t e „Zustimmen". — . . Die Willensfreiheit war also vollkommen im ersten Menschen; wir aber haben vor der Gnade nicht die Freiheit, nicht zu sündigen, sondern nur die, nicht sündigen zu wollen. Die Gnade aber bewirkt, daß wir nicht nur recht tun wollen, sondern auch können (III 2065 s)1. Man erkennt sofort die genaue Ubereinstimmung; die beiden Schriften stammen aus der gleichen Epoche (a. 397 und a. 394). Kehren wir noch einmal zur ersten (ad Simpl.) zurück: Merkwürdig ist, wie Augustin nach alledem, noch in der gleichen quaestio, abschließend den Gegensatz des Gesetzes- und Gnadenstands bestimmt, n. 15 und n. 17. In n. 15 führt er den Gegensatz von „Furcht" und „Liebe" ein: „So geschieht es, daß das Gesetz nicht über die herrscht, die schon unter der Gnade sind und es durch Liebe erfüllen, während sie unter seiner Furcht verdammt waren" (VI 108). Und n. 17: „Dieselbe Vorschrift ist dem sich-Fürchtenden Gesetz, die dem Liebenden Gnade ist."8 Uber die Art dieser „Caritas" sprechen sidi beide Stellen nicht weiter aus, ebensowenig wie über die des timor auf der andern Seite. Es bleibt bei der antithetischen Andeutung. Nehmen wir aber einen Augenblick an, daß mit „Caritas" und dem entsprechenden „amare" die dilectio boni gemeint ist, die Liebe zum Guten und dem entspringend das Wollen des Rechten um des Rechten willen — so wie es eben in jener „Lust am Gesetz Gottes", dem „Wollen des Guten" auch schon vorliegt, nur im Modus der Vergeblichkeit und darin die Erfahrung der Insuffizienz begründend — dann würde hier auf einmal solche „Liebe" usw. dem Menschen unterm Gesetz gänzlich entzogen, im Widerspruch mit allen vorhergehenden Ausführungen (man erinnere sich auch der o. S. 47 zitierten Stelle aus expos. Gal. п. 47 „.. . daß sie nicht, was sie wollen tun, d. h. sich nicht unbesiegt in der Liebe zum Guten halten"); und verstehen wir die Furcht, die dem Menschen unterm Gesetz allein übriggelassen wird, als Furcht vor Strafe, und den homo sub lege nur noch von dieser bewegt, nicht mehr von wirklichem Willen zum Guten — dann wäre hier auf einmal der ganzen vorhergehenden Ausführung über die Insuffizienz des sittlichen Willens der Boden entzogen. Denn in der Furcht vor Strafe als e i n z i g e m Beweggrund käme der Mensch ja gar nicht in die Dimension, in der er seine Unfähigkeit erfährt, das Gute, das er wirklich will und trotzdem er es wirklich will, auch im eigenen Willensvollzug zu realisieren. Er käme also audi nicht in die Möglichkeit, sich wirklich als sündig zu erfahren®. — 7 In prop. 44 und 45 wird dann ebenfalls, ganz wie in ad Simpl., speziell die Beziehung v o n R o m . 7 , 7 — 2 5 auf den homo sub lege hergestellt. 8 Genau entsprechend in expos. Rom, prop. 46: . . . ut possit per gratiam Caritas, quod per legem timor поп poterat. ' In der Einführung des Gegensatzes v o n timor servilis und amor iustitiae macht sich speziell johanneisdier Einfluß geltend.

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Vorpelagianische Auslegung von R o m . 7

Nun gibt freilich die kurze und etwas isolierte Andeutung im Texte zu so weitgehender Folgerung noch nicht das volle Recht. Wohl aber, wenn wir sie über sich hinausweisend als erste, gleichsam keimhafte Form dessen betrachten, was später, in der revidierten Position der antipelagianischen Zeit, zu voller und dominierender Entfaltung gelangte. Nichts anderes als diese spätere Auslegung haben wir mit unserer hypothetischen Explikation vorweggenommen. In diesem Sinne können wir jene unscheinbare Unklarheit schon als erste Ankündigung der späteren Position, als bereitliegende Anbahnungsmöglichkeit für die entscheidende Wendung zu ihr nehmen: was hier nur eine nebenherspielende, dem Tenor der Gesamtinterpretation widerstreitende Möglichkeit ist, wird später zum Hauptprinzip der ganzen Interpretation. Im gleichen Sinne ist die im selben n. 17 gegebene weitere Gegensatzbestimmung der beiden status zu bewerten: Anschließend an 2.Kor. 3 , 6 „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" wird das Gesetz für den Menschen vor der Gnade als bloßer Buchstabe bestimmt, sola littera, und zwar im Gegensatz zur „Gesetzes l i e b e " : „Da das Gesetz nur insofern bekannt ist, als es geschrieben zu lesen steht, nicht insofern es aus Liebe (dilecta) vollzogen wird, bleibt es Solchen bloßer Buchstabe." (Aber wo bleibt, wenn dies den Gesetzesstand beschreiben soll, das condelectari legi Dei, das ihm vorher zugesprochen worden war?) Dagegen: „Wer vom Geist erneuert wird, ist nicht mehr dem Buchstaben verpflichtet mit der Drohung der Strafe, sondern der Einsicht (intellectus) verbunden durch GerechtigkeitAbschließend wird der Gegensatz formuliert: lex tantummodo lecta auf der einen — lex intellecta auf der andern Seite (VI 110). Dieser Gegensatz von bloß äußerlicher Kenntnisnahme und innerlicher Aneignung soll hier plötzlich den Unterschied von Gesetz und Gnade ausdrücken — nach allem Vorangegangenen 10 ! Die Unklarheit kommt u. a. aus dem Begriff der Caritas, bzw. dem äquivoken Gebrauch des Wortes: es bezeichnet einmal jene „überbietende" Größe, die erst im status gratiae dazu kommen und den Menschen dann im Vorsatz zum Guten halten soll, so daß er in der Realisierung nicht in die Selbstliebe abgleitet. Sie gibt ihm also Halt gegenüber der immanenten (weil strukturell verankerten) Abfallstendenz seiner Willensbewegtheit selber und damit die von ihm selbst nicht erwirkbare Suffizienz — ist aber nicht mit dem Vorsatz zum Guten und mit dem Studium virtutis, dem ernsthaft sich bemühenden Wollen des Guten, iden10

Ein weiterer Index für diese innere Unklarheit ist ζ. B . in der 2. quaestio

selben Budies folgende Stelle: „ D a ß BesAluß in Liebe

erglühende

Werke

seien,

des Willens,

das gewährt

Jener,

daß Eifer

spendet

des Bemühens,

Jener"

(n. 21,

p.

desdaß 127).

D a s letzte, auf die Werke, also auf das Verwirklichenkönnen Bezügliche entspricht der eingenommenen Position, d. h. der Zuteilung der Römerbriefstelle an den homo sub D i e beiden ersten Aussagen dagegen widerstreiten ihr. 4

4265

JOCHS, Augustin

lege.

50

Antipelagianische Auslegung von Rom. 7

tisch. Aber eben auch dieses ist als Caritas iustitiae, als dilectio boni zu bezeichnen (nur eben in einem charakteristisch anderen Sinne) und Augustin läßt immer wieder unversehens beides zusammenfallen; und wo er eben die Caritas als das Auszeichnende des Gnadenstandes in Anspruch nehmen will, liegt es für ihn nahe, auch jene äquivoke vorausliegende „Caritas" iustitiae mit in den Begriff einzubeziehen — und sie dem homo sub lege abzusprechen. Die hier zutage tretende innere Widersprüchlichkeit in der Auffassung des status sub lege wird später zugunsten der letztbehandelten (hier nur erst nebenbei auftauchenden) Alternative beseitigt: der status sub lege wird konsequent in ihrem Sinne aufgefaßt, der Widerspruch ist (in mehr als einem Sinne) geschwunden — aber um welchen Preis? b) Die Auslegung in der antipelagianischen (spätpaulinischen) Epoche Contra duas epistolas Pelagianorum (a. 420) lib. I (X 549 ss.) Hier, also zirka zwanzig Jahre später, wird die Deutung auf den homo sub lege als pelagianisch bekämpft und dagegen die auf den homo sub gratia verfochten. Die Wendung in der Auslegung dieser Stelle 1 war Augustin so wichtig, daß er in den Retraktationen mehrfach seine frühere Auffassung feierlich widerrief 2 . Was bedeutet diese Wendung? Sie steht zunächst ganz allgemein im Gesamtzuge der bei Augustin je später desto mehr hervortretenden Tendenz, den Wirkungsbereich der Gnade immer mehr auszudehnen und den der eigenen Fähigkeit des Menschen immer mehr einzuschränken3. Näher aber ist gerade diese Wendung aus der ganz bestimmten Funktion zu verstehen, die ihr in dem Gegensatz gegen die Pelagianer zufällt. Diese4 bestritten bekanntlich die prinzipielle 1 Umstritten war sie, strenggenommen, von v. 14 an; v. 7—13 später nodi wenigstens der Möglichkeit nach für den homo sub lege

ließ Augustin audi gelten.

г Ζ. В. retract. I 23, п. 1 (zu expos. Rom. prop. 41—46); ibid. 24, п. 2 zu expos. Gal. п. 47); ibid. И 1, п. 1 (zu ad Simpl. I, qu. 1). 3 W i r können dazu gerade aus den retract, zu expos. Rom. ein illustratives Beispiel anführen, das dazu noch religionspsychologisch besonders interessant ist für die Fassung des „Glaubens", dessen Interpretationsgesdiichte mit der des Willens- und Freiheits-

problems parallel zu gehen hätte: retract. I 23 п. 2 (zu prop.

60)

.. aber dann

fügte

ich hinzu ,Daß wir glauben, ist unser Werk, daß wir aber das Gute tun, ist das Werk dessen, der den Glaubenden den Heiligen Geist gibt': dies hätte ich gewiß nicht gesagt, hätte ich schon gewußt, daß der Glaube selbst zu den Geschenken Gottes gehört, die in eben diesem Geist gegeben werden." — n. 3 (zu prop. 61) JJnd ein wenig danach sagte ich ,Unser ist es, zu glauben und zu wollen, Gottes aber, dem Glaubenden und Wollenden die Fähigkeit zu gutem Tun zu geben': das ist zwar richtig, aber nach derselben Regel: beides ist Gottes, da er selbst den Willen zubereitet (praeparat), und beides unser, da es nur mit unserem Willen geschieht" (I 621 s). 4 W i r sprechen hier von „den Pelagianern" im Sinne einer typischen Abstraktion, die weder zwischen ihren einzelnen Vertretern (Pelagius, Caelestius, Julianus) unterscheidet, noch auch nur die Frage berührt, wieweit sie wirklich dem Bild entsprachen,

Vorpelagianisdie Auslegung von R o m . 7

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Insuffizienz des Menschen: er kann Gottes G e b o t e erfüllen, wenn er sich der richtigen Verkündigung des göttlichen Willens nicht verschließt. Diese aber ist durch Jesus gebracht: er brachte ein vollkommeneres Gesetz, dessen A n n a h m e erst das richtige Studium virtutis, aber dieses eben als H a n d l u n g des sich belehren lassenden Menschen selber, ermöglicht: In der Offenbarung des N e u e n Testaments liegt eine v o l l k o m m e n e r e Belehrung über das richtige H a n d e l n v o r . Jesus ist demnach nicht als Erlöser, sondern als Lehrer und P r o p h e t aufgefaßt, das E v a n g e l i u m als « g r o ß artige moralische A n r e g u n g " (Mausbach, D i e E t h i k des hl. Augustin S. 12). Die G n a d e aber ist einmal die Belehrungsgnade 5 , und z u m a n d e r n die im Bekehrungs- und T a u f a k t zuteil werdende Vergebung der früheren (im alten Leben begangenen) S ü n d e n · . ( E i n e n dritten pelagianischen das wir aus Augustins Schriften von ihnen gewinnen — sondern wir nehmen sie einfach als die Gegenposition in der augustinischen Polemik, so wie sie sich innerhalb dieser selbst bezeugt und darstellt. 5 nat. grat. n. 47 „Vielleicht meint Pelagius, Christi Namen sei deshalb notwendig, daß wir durch sein Evangelium lernen, wie wir leben sollen, nicht auch deshalb, daß uns seine Gnade helfe, gut zu leben." Dagegen Augustin: Durch das Versagen im Gesetz soll der Mensch gerade sehen, „daß er Gott nicht nur als Lehrer, sondern auch als Helfer nötig hat" (spir. lit. п. 9, X 20S). Um den Begriff dieses „adjuvare* ging zwischen Pelagius und Augustin ein heißer Kampf. Denn auch Pelagius hält an dem Wort fest und legt Wert darauf, daß auch in seiner Doktrin der Gnade eine „helfende" Rolle zukommt. Er interpretiert aber dieses adjuvare so (zitiert in grat. Chr. n. 8, X 364): „Es hilft uns nämlich Gott durch seine Lehre und Offenbarung: indem er die Augen unseres Herzens öffnet; indem er uns, damit wir uns nicht mit dem Gegenwärtigen befassen, das Zukünftige zeigt; indem er die Anschläge Satans bloßlegt ... Scheint dir, wer solches sagt, die Gnade zu leugnen? Bekennt er nicht vielmehr sowohl den freien Willen des Menschen als auch die Gnade Gottes?" — worauf Augustin sehr richtig erwidert: „In alledem geht er nicht über die empfehlende Leistung des Gesetzes und der Lehre hinaus und schärft sorgsam ein, daß diese die Reifende Gnade' sei.' — Im gleichen Sinne interpretiert Pelagius z.B. auch den für Augustin so wichtigen Paulussatz Philipp. 2,13 „Denn Gott ist es, der in euch sowohl Wollen wie Vollbringen wirkt", ibid. n. 11, p. 365 s: „Er wirkt in uns das Wollen dessen, was gut und heilig ist, indem er uns, die wir irdischen Begierden ergeben sind und wie das stumme Vieh nur das Gegenwärtige lieben, mit der Größe der künftigen Herrlichkeit und der Verheißung der Belohnungen entzündet; indem er durch die Offenbarung der Weisheit den stumpfen Willen zur Gottessehnsucht aufweckt; indem er uns alles, was gut ist, anrät" — worauf Augustin wieder: „Was ist offenkundiger, als daß er die Gnade, durch die Gott in uns das Wollen des Guten bewirkt, in nichts anderem als dem Gesetz und der Lehre sieht?" Zur »Lehre" (doctrina) und »Verheißung der Belohnungen" gesellt sich dann unter dem Gesamtbegriff der B e l e h r u n g s g n a d e noch das »Beispiel Christi", s. folg. Anm. und S. 53. • „Pelagius . .. sieht das Erbarmen und den ärztlichen Beistand des Heilands nur darin, daß er ehmals Begangenes übersieht, nicht darin, daß er zu künftiger Vermeidung hilft" (nat. grat. n. 39, X 266). Der alte Gegensatz von „juridischer" und .realer" Gnadenauffassung. — Inwiefern nach pelagianischer Auffassung diese „Erlassung der Sünden" über die bloße Vergangenheitswirkung hinaus auch eine positive Unterstützung, d.h. Aneiferung des ferneren Willen zum Guten für den so begnadeten 4·

Antipelagianische Auslegung von Rom. 7

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B e g r i f f v o n d e r G n a d e — in d e r R a n g o r d n u n g d e r P e l a g i a n e r selbst der e r s t e — die N a t u r - G n a d e , gratia linisdien F r a g e z u s a m m e n h a n g der

pelagianisdien

creationis,

k ö n n e n w i r in u n s e r m p a u -

ganz übergehen,

Kontroverse

vielleicht

die

o b w o h l e r im

Ganzen

hervorragendste

Rolle

spielte.) I m S i n n e dieses B e g r i f f e s d e r B e l e h r u n g s g n a d e liegt es d a n n g a n z k o n s e q u e n t , a u c h d a s a l t e G e s e t z s d i o n als G n a d e , als eine e r s t e S t u f e d e r G n a d e a u f z u f a s s e n , i n s o f e r n es eine „ E r k e n n t n i s h i l f e " , ein rium

cognitionis

w a r ( d e m stellt A u g u s t i n die inspiratio

dilectionis

adiutoent-

g e g e n ) , n u r d a ß es e b e n e n t s p r e c h e n d d e r S t u f e in d e r E n t w i c k l u n g d e r M e n s c h h e i t , a u f d i e es sich b e z o g , u n d seiner d a r i n b e d i n g t e n p ä d a g o g i schen V o r b e r e i t u n g s r o l l e noch nicht d a s G e s e t z d e r v o l l z u sich selbst e n t b u n d e n e n F r e i h e i t sein k o n n t e , s o n d e r n noch m i t d e m h e t e r o n o m e n P r i n z i p d e r S t r a f a n d r o h u n g a r b e i t e n m u ß t e . A b e r i m m e r h i n , es s o l l t e den W i l l e n z u r eigentlichen M ö g l i c h k e i t seiner F r e i h e i t p o s i t i v e r z i e h e n u n d w a r i n s o f e r n t a t s ä c h l i c h bereits G n a d e : G n a d e in R i c h t u n g a u f die v o l l e a u t o n o m e S u f f i z i e n z des M e n s d i e n 7 . W a s n u n d i e z w e i f e l l o s e n A u s s a g e n Menschen ist, geben am besten die Worte wieder, mit denen Augustin diesen Punkt der Lehre des Pelagius in grat. Chr. 2 (X 361) umschreibt: „. . . so daß wir, stets uns erinnernd und eingedenk, daß unsere Sünden erlassen wurden, fernerhin nicht mehr sündigen, unterstützt nicht durch irgendeine uns verliehene Tugend, sondern durch die Kräfte des eigenen Willens, der in seinen einzelnen Akten jeweils dessen gedenkt, was ihm durch den Erlaß der Sünden erwiesen wurde." Man sieht, daß es immer die Ideenwirkung, nidit irgendeine Realwirkung der „Gnade" ist, die dem Menschen in seinem unmittelbaren Handeln zu Hilfe kommt. — Wir zitieren noch aus grat. Chr. die prägnanteste Gegenüberstellung der beiden Gnaden-Auffassungen, in der sich sämtliche Punkte dieser und der vorigen Anm. zusammengefaßt finden (n. 38, X 378): „Ob er jedoch die Gnade im Erlaß der Sünden gesehen wissen will oder auch in der Lehre Christi, wozu auch das Beispiel seines Wandels gehört ... oder ob er darüber hinaus auch an irgendeine Beihilfe zum guten Handeln glaubt, die zur Natur und zur Lehre durch Einflößung glühendster und leuchtendster Liebe hinzutritt — das wird auf keine Weise klar" (bezieht sich auf einen bestimmten Brief des Pelagius). 7 Am weitesten in dieser positiven Auffassung des Gesetzes ist Julian gegangen, in der Tat bis zur völligen Verwischung des singulären Gnadencharakters des Evangeliums und zur Nivellierung der Gnade zu einer in der ganzen Menschheitsgeschichte im Fortschrittssinne wirksamen, im steigenden Maße die Menschen zum Bewußtsein ihrer selbstverantwortlichen Freiheit bringenden Belehrungsmacht: Schon das Gebot im Paradiese wurde Adam gegeben, damit er seine Freiheit erkenne: „Er gibt ihm die Vorschrift, damit er seiner Freiheit inne werde und erkenne, daß in seiner Verfügung steht, wodurch er seinem Schöpfer befreundeter werden kann" (op. imperf. c. Iul. VI 20). Und vollends das mosaische Gesetz ist ein entscheidendes Eingreifen der Gnade in die Geschichte der Menschheit: „Die Gnade selbst sandte das Gesetz als Beistand: seine Aufgabe ist, das Licht der Vernunft, das durch die Beispiele der Verkehrtheit und die Gewöhnung der Laster geschwächt wurde, durch vielfältige Unterweisungen anzufachen und durch seinen Anreiz am Brennen zu halten" (ibid. I 94; cf. Bruckner, Julian von Eclanum S. 148 ff.). Die Gegenposition Augustins ist schon i. J . 412, lange vor diesen Juliansdien Sätzen, präzise ausgesprochen: spir. lit. п. 5 (X 203) „Wir aber sagen, daß der menschliche Wille Gottes Hilfe beim Тип der Gerechtigkeit in der Weise hat, daß der Mensch außer dem, daß er mit freiem Willen erschaffen wurde, und außer der

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über ein sittliches Nichtkönnen des Mensdien betrifft, wie sie in der Schrift selbst und v o r allem in R o m . 7 vorliegen — und hiermit kommen wir zu unserem Leitproblem — so beziehen sie sich eben auf den homo sub lege, den also, der in einer überwundenen Stufe der Offenbarung, unter dem alten Strafgesetz steht, und ist für uns nicht m e h r aktuell; nur jener war in der Insuffizienz v o r Gott verhaftet — aber eben nicht in einer konstitutiven, sondern einer in der Entwicklungsstufe der „Erziehung" der Menschheit bedingten, also vorläufigen Insuffizienz. Schon in seinem H a u p t w e r k pro libero arbitrio behandelt Pelagius unsere Paulusstelle, wohl bevor sie ihm noch von Augustin entgegengehalten worden war, in diesem Sinne, d. h. zugunsten seiner Auffassung von G n a d e und Willensfreiheit (und kann sich dabei — wenigstens was die einfache Z u teilung an den homo sub lege anbelangt — noch auf die allgemein kirchliche Meinung berufen). E r läßt sich nämlich von seinem dort angenommenen Diskussionspartner (die Schrift w a r in D i a l o g f o r m abgefaßt) auf diese Stelle als einen scheinbaren E i n w a n d der Schrift gegen die Freiheit hinweisen — und erwidert (zitiert in grat. Chr. n.43, X 379 s): „Das was du als auf den Apostel bezüglich verstehen willst, sagt er nach Ansicht aller Kirchenlehrer im Namen des noch unterm Gesetze stehenden Sünders, der durch die übermächtige Gewohnheit der Laster in einer Art Notwendigkeit des Sündigens festgehalten wird und, obwohl er das Gute mit dem Willen anstrebt, dennoch durch die Gewöhnung ins Böse gestürzt wird. In der Person eines Einzelnen stellt er nämlich das noch unter dem alten Gesetze sündigende Volk dar: dieses, so sagt er, müsse aus dieser Gewohnheit des Bösen von Christus befreit werden, der den an ihn Glaubenden erstlich durch die Taufe alle Sündenschuld erläßt, sodann sie durch Nachahmung seiner selbst zu vollkommener Heiligkeit anspornt und die Gewohnheit der Laster durch das Beispiel seiner Tugenden besiegt."6 U n s also, die wir sub gratia sind, indem w i r der vollLehre, durch die er unterrichtet wird, wie er leben soll, den Heiligen Geist empfängt, wodurch in seinem Gemüt Lust und Liebe zu jenem höchsten und unwandelbaren Gut entsteht, welches Gott ist... Denn der freie Wille taugt lediglich zum Sündigen, solange der Weg der Wahrheit verborgen ist [dies ist noch konform mit der pelagianischen Position; jedoch:] und wenn das, was zu tun und wonach zu trachten ist, anfängt nicht mehr verborgen zu sein, aber nicht auch Gegenstand von Gefallen und Liebe wird, so wird es nicht getan, nicht verrichtet, nicht in gutes Leben überführt werden. Damit es aber geliebt werde, wird die göttliche Liebe (Caritas Dei) in unsere Herzen ergossen, nicht durch den freien Willen, der aus uns aufsteigt, sondern durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wird.' 8 Augustin bemerkt dazu: „Hier sieht mart, wie seiner Auffassung nach denen geholfen wird, die unterm Gesetz sündigen, damit sie, gerechtfertigt durch Christi Gnade, frei werden: nämlich als ob das bloße Gesetz für sie nur wegen der allzu großen Gewohnheit der Sünde unzulänglich sei, solange nicht Christi — nicht etwa: Einflößung der Liebe durch den Heiligen Geist, sondern: Beispiel der Tugend, wie es in der evangelischen Lehre anschaulich und nachahmbar wird, hinzutrete." Hier, a. 418, scheint er

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kommeneren Offenbarung durch das Evangelium (ζ. B. durch das Tugendbeispiel Christi) teilhaftig geworden sind, uns, so sagen die Pelagianer, geht die Römerbriefstelle nichts mehr an: Wir also sind der göttlichen Forderung gegenüber suffizient. — Man sieht, welcher Gebrauch sich in der polemischen Sachlage von der Zuteilung an den homo sub lege machen ließ — historische Antiquierung der unbequemen InsuffizienzBekenntnisse, ihre Außerkraftsetzung für die christliche Gegenwart — und man versteht, daß nunmehr für Augustin, in seinem Kampf für Erbsünde und Gnade, diese bislang auch von ihm vertretene Zuteilung diskreditiert war. Kam es ihm doch gegen die Pelagianer auf die Erbsünde als aktuelle Bestimmung auch der christlichen Menschheit an. Daher den bedrängenden Sinn des Abschnittes für die Auslegung des Gnadenstandes zu retten — das ist das eine Motiv für den Wechsel des Auslegungstenors. Denn infolge der Struktur einer stadienhaften Aufeinanderfolge, die Augustin in seinem eigenen Ansatz dem Verhältnis der beiden Seinsweisen gab, war für ihn selber hier nichts anderes als die Alternative „homo sub lege oder homo sub gratia" denkbar — und mußte auch er eine Argumentation als schlüssig anerkennen, die den einen als nicht mitgetroffen ansieht von Aussagen, die sich (und weil sie sich) auf den andern beziehen: also mußte es in seinem Sinne jetzt der homo sub gratia sein, auf den sich der Abschnitt bezieht. Allerdings — nur mit einer prinzipiellen Entschärfung vermochte Augustin die paulinischen Aussagen auf den homo sub gratia zu übertragen: Daß die ganze Not und Vergeblichkeit der sich selbst überlassenen kreatürlichen Willensbewegung hier noch ungebrochen, mit der Schärfe der Verzweiflung, sollte in Kraft geblieben sein, war für Augustin nach seiner ganzen „realen" Auffassung der Gnade als gleichsam magisch verwandelnder Kraft undenkbar. So wird die „in mir wohnende Sünde" jetzt nur noch als die Anfechtung des irdischen Leibes aufgefaßt, und sofern die Gnade im Menschen wirksam ist, bleibt es bei diesen Anfechtungen des corpus mortis, ohne daß der also noch nicht die Konsequenz gezogen zu haben, die Stelle auf den homo sub gratia zu übertragen, jedenfalls dies noch nicht als unbedingt notwendig empfunden zu haben — sonst hätte er es bei dieser Gelegenheit bemerkt. — Natürlich hatte Pelagius auch in seinem, vor dem Kampfe (vor 410) abgefaßten, Pauluskommentar die Stelle auf den homo sub lege bezogen, nur noch ganz unpolemisch und so, wie vor dem Streit alle Welt es tat. Das Kommentarwerk des Pelagius ist durch die Textausgabe von A. Souter in den Texts and Studies I X 2 (Cambridge 1926) wieder zugänglich geworden. Die Interpretation unserer Stelle ist dort S. 56ff. nachzulesen; da jedoch ihr Vergleich mit der oben dargestellten vorpelagianischen Auffassung Augustins besonders lehrreich ist für die Beurteilung dessen, was bei dieser den festen exegetischen loci der Zeit angehört und was persönlidi ist, geben wir in Anhang II die wichtigsten Stellen aus der Exegese des Pelagius zu Rom. 7,7 ff. wieder. Bei dieser Gelegenheit sei für die altkirchliche Auslegung der Stelle auf die Katenen hingewiesen (Cramer, Catenae etc. IV, Oxford 1844 und Mai, Spicilegium Romanum IV, Rom 1840), aus denen insbesondere zahlreiche einschlägige Fragmente des Theodor von Mopsueste herauszuziehen sind.

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Geist ihnen erliegt: „. . . in geistiger Lust mit des Tieisches Neigung ohne Zustimmung im Streite liegen" (n. 17, X 560). Uber diese sehr charakteristische Entschärfung wird später noch einiges zu sagen sein. Hier handelt es sich nur darum, das eine Motiv des Stellungswechsels zu exponieren, das also die Fassung des Gnadenstandes betrifft. Ungleich wichtiger für unser Interpretationsinteresse ist das andere, ihm korrespondierende, das den Gesetzesstand betrifft: in dieser Seite der Motivation wird Augustins ganze ontologisdie Fassung des Phänomens des Willens und entsprechend einer möglichen Insuffizienz desselben am unmittelbarsten greifbar — und in ihrer begrifflichen Fehl-Anlage aus den argumentativen Konsequenzen, die sie sich vom Gegner hat aufzwingen lassen müssen, am deutlichsten offenbar. Die Pelagianer argumentieren nämlich so: Schon der homo sub lege hat den Willen zum Guten, wie Paulus hier ja ausdrücklich bezeugt; diesen hat er aus sich selbst — als Wille zum Guten ist er gut, etwas Gutes am Menschen; damit aber hat er schon Gott gegenüber ein bonum als Leistung von sich her, „quo merito" ihm Gott durch „Gnade" (in der Form neuer Offenbarung, Erlaß der früheren Sünden, Ermutigung durch Verheißung usw.) auch die Möglichkeit des Vollbringens verleiht*. Also ist „vorhergehend" doch ein V e r d i e n s t des Menschen, nämlich sein „gutes Wollen", ein „Beginnen" von Seiten des Menschen, wenn es auch noch nicht zum ganzen „Vollbringen" kommt. Auf diese Argumentation läßt sich Augustin ein — was er bei echter Fassung des Phänomens des Willens nicht hätte tun dürfen. Er erkennt ihre Schlüssigkeit an — und darum muß er die Stelle mit dem verhängnisvollen „Wollen des Guten", „Zustimmung zum Gesetz", „Lust am Gesetz Gottes" dem homo sub lege entziehen. Denn auch für ihn ist nun die „Lust am Guten" bereits ein qualifizierendes Prädikat des Menschen und ein Verdienst, das eine Würdigkeit zu weiterer Gnadenhilfe Gottes bilden würde — und daher dem Menschen vor der Gnade abgesprochen werden muß. Ausdrücklich erklärt Augustin in n. 22 dies für das Motiv seines Stellungswechsel: n. 22 „Auch mir schien es einmal, daβ in dieser Rede des Apostels der Mensch unterm Gesetz beschrieben werde. Aber später bedrängten mich die Worte ,Nun aber bin nicht ich es mehr, der * Ja, Pelagius selber drückt sich einige Male so aus, als ob diese dazukommende Unterstützung durch die Gnade nur eine Erleichterung, keine unerläßliche Bedingung des Vollbringens sei: »damit die Menschen das, was sie durch freien Willen zu tun geheißen sind, durch die Gnade leichter erfüllen können" (aus pro libero arbitrio I) — wozu Augustin bemerkt: „Streiche ,leichter' und der Sinn ist nicht nur vollständig, sondern auch gesund" (grat. Chr. n. 30, X 375); ibid. n.23, p.371 (Pelagius in ep. ad Demetr.): „... wie wir durdh Tun des göttlichen Willens die Gnade verdienen und mit Hilfe des Heiligen Geistes dem Bösen Geiste leichter widerstehen", wozu Augustin wiederum: „Wieso fügt er dies Wort ein, nämlich .leichter'f ... Wer sähe nicht, welchen Schaden er durch diesen Zusatz anrichtetf" (ibid. n. 28, X 374 s).

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dies tut' . . . Und ich sehe nicht, wie der Mensch unterm Gesetz sagen kann ,Ich habe Lust am Gesetze Gottes nach dem inneren Menschen', da eben die Lust am Guten (delectatio boni), kraft deren er auch dem Bösen die Zustimmung versagt — und zwar nicht aus Furcht vor Strafe, sondern aus Liebe zur Gerechtigkeit (denn das ist die ,Lust') — nur der Gnade zuzuschreiben ist" (X 561). U n d so bemerkt er zu einem Leitsatze des Pelagius (n. 36 „Wir verfechten, daß die Menschen . . . im Tun des Guten immer den Beistand der göttlichen Gnade haben"10) polemisierend, n. 37: „.. . als ob der Mensch, nachdem er aus eigenem Willen ohne jede Gnade Gottes das gute Werk in Angriff genommen, in eben diesem Werke dann von Gott unterstützt werde, nämlich für das Verdienst (pro meritis) seines guten Willens." 11 10 Das „in bono орехе" scheint eine typische Formulierung des Pelagius gewesen zu sein; in seinem Brief an Papst Innozenz a . 4 1 7 schreibt er ebenfalls: . . . quod in omnibus bonis operibus divino adjuvatur semper auxilio (sc. liberum arbitrium) (grat. Chr. n. 33, 376). 11 Gerechterweise m u ß man feststellen, d a ß — was den Gebrauch des Wertes „meritum" anlangt — es eigentlich Augustin gewesen ist, der wie selbstverständlich dem von den Pelagianern dem Menschen vor der Gnade zugesprochenen „guten Willen" durch regelmäßigen Zusatz des Wortes den Sinn des „meritum" unterstellt und so die wenigen Male, w o Pelagius das verfängliche, sonst von ihm vermiedene W o r t in diesem Zusammenhang tatsächlich gebraucht, unzulässig urgiert. U n t e r den bei Augustin im W o r t l a u t zitierten Stellen aus Pelagius selbst habe ich eigentlich nur zwei gefunden, in denen das W o r t so v o r k o m m t : außer der oben S. 55,9 zitierten aus der ep. ad. Demetr. n u r noch eine aus dem Reditfertigungsbrief an Innozenz, grat. Chr. n. 34 (X 376s): „Gericht und Urteil wartet derer, die im Besitz der Willensfreiheit, durch die sie zum Glauben kommen und sich Gottes Gnade verdienen könnten, von der gewährten Freiheit schlechten Gebrauch machen; Belohnung wartet derer, die durch guten Gebrauch des freien Willens die Gnade des Herrn verdienen und seine Gebote beobachten." I m übrigen vermeidet Pelagius das W o r t mit gutem G r u n d : hatte er doch selbst auf der palästinischen Synode a. 416 in seiner Verteidigung diejenigen v e r d a m m t , die e t w a sagen gratiam Dei secundum merita nostra dari. U n d er h ä t t e auch gegenüber der augustinischen Polemik mit Recht geltend machen können, d a ß die dignitas, die sich der Mensch durch ernsthaftes Tugendstreben bezüglich der Gnadenhilfe Gottes erwerbe, keineswegs als „meritum" in dem massiv juridischen Sinn a u f g e f a ß t zu werden braucht, d a ß sie ein Forderungsrecht auf die göttliche H i l f e darstelle u n d diese ein ex debito reddere sei. M i t anderen W o r t e n : er k o n n t e o h n e Rabulistik vertreten, d a ß der von ihm behauptete Zusammenhang von menschlichem Tugendeinsatz und göttlicher U n t e r s t ü t z u n g durchaus noch nicht nach der P r o p o r t i o n des „ d o ut des" ein „ g e m ä ß unserm Verdienste geben" zu sein brauche. Vielmehr ist auch f ü r Pelagius die „ G n a d e " , wie er sie sieht, eine H a n d l u n g nicht göttlicher Gerechtigkeit, sondern göttlicher Güte. Aber d a sie nach seiner ganzen A u f f a s s u n g doch schließlich nur ein willkommenes Accessorium ist u n d der Schwerpunkt auf dem liberum arbitrium des Menschen selbst u n d seinen autonomen Möglichkeiten zum Guten liegt — und da Augustin u n d Pelagius d a r i n einig sind, d a ß das bloße Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines solchen selbständig vorausgehenden Willens zum „Guten überh a u p t " auch f ü r die c h r i s t l i c h e iustitia schon das eigentlich Entscheidende sei (ohne Rücksicht d a r a u f , wie sich dies Wollen innerlich selbst zu seiner möglichen Selbst-

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Augustin aber hätte den Pelagianern erwidern müssen: Vorsatz zum Guten ist noch nicht das Gute selbst und auch nicht irgendein bonum am Menschen — vielmehr betritt er gerade mit solchem Vorsatz, d. h. mit dem Auf-sich-Beziehen des an ihn gestellten Anspruchs und dem SichEntwerfen auf Gut-sein-Sollen, allererst den Vollzugszusammenhang, in dem er sich dann als gut о d e r schlecht befinden kann, und zumeist wohl als schlecht befindet und vielleicht sogar konstitutiv als schlecht befindet. Dies war ja gerade der Sinn der ernstgenommenen Paulusstelle. Er unterwirft sich also mit solchem Vorsatz (propositum) allererst einer möglichen Jurisdiktion auf gut o d e r schlecht, qualifiziert sich aber nicht schon durch es als gut. Dies doch zu tun, ist ja, im Sinne einer aktuellen Selbstbewertung, gerade jene als „occasio per mandatum" bezeichnete Abfallsmöglichkeit des Vollzuges selber, das temptative Herausfallen aus dem Vollzuge in die superbia des Sich-selbst-Konstatierens. Also Wille zum Guten (voluntas boni) ist noch nicht guter Wille (voluntas bona), sofern der Wille in sich, im Wie seines Vollzuges, eine Strukturbewegtheit hat, die ihn im vorsätzlichen Intendieren des Guten von sich selbst in eine Unechtheit abfallen läßt. Augustin erliegt also theoretisch der Versuchung selber. — Jetzt steht auch nichts mehr im Wege, wirklich den status sub lege n u r von der Furcht vor Strafe bewegt sein zu lassen — aber wozu ist jetzt noch das Gesetz innerlich da? (Äußerlich ermöglicht es ja weiterhin die objektive „Übertretung") I 2 . Die echte Dialektik von Wollen und Nichtkönnen ist verlegt: jetzt ist der „Mensch unterm Gesetz" so schlecht, daß ihm nicht einmal mehr seine eigene Schlechtigkeit als solche begegnen kann — und seine Freiheit besteht jetzt nur noch in der delectatio peccati, der Lust am Sündigen ,s . Daß „wir kämpfen, aber unterliegen" ,das in dem aufgabe und Überbietung in der Gnade verhält) — so können wir diese, vergleichsweise sekundären, Differenzen in unserer Behandlung übergehen. 12 Mit voller Deutlichkeit kommt jetzt zu Wort, was auf der vorigen Stufe sidi nur gelegentlich als Nebenmotiv hervorwagte: nat. grat. n. 67 (X 280 .... Unter dem Gesetz nämlich ist, wer fühlt, daß er aus Furcht vor der schlimmen Strafe, die das Gesetz androht, nicht aus Liebe zur Gerechtigkeit sich des sündigen Tuns enthält, noch nicht frei urid entfernt vom sündigen Willen. Denn durch den Willen selbst ist er schuldig, gemäß dem er lieber hätte, daß das, was er fürchtet, womöglich nicht wäre, damit er frei tun könne, was er insgeheim wünscht." 13 Vgl. ep. Pel. I п. 5 „Denn die Willensfreiheit ist im Sünder so wenig verlorengegangen, daß er vielmehr durch sie sündigt, am meisten alle die, die mit Lust sündigen und denen aus Liebe zur Sünde zu tun gefällt, wonach sie gelüstet." Und in n. 7 wird betont: Daher sagen wir keineswegs, wie die Pelagianer uns unterstellen: „Alle werden gleichsam wider Willen durch die Nötigung des Fleisches in die Sünde gezwungen", sondern: »sie werden sowohl in der Sünde durch ihren Willen festgehalten, als auch von Sünde zu Sünde durch ihren Willen gestürzt ... Aber dieser Wille, der frei ist zum Bösen, da er sich am Bösen ergötzt, ist deshalb unfrei zum Guten, weil er nicht befreit worden ist" (X 552 s). — Wie der Gesetzesstand in der jetzigen Fassung durdiaus nicht mehr die Eignung besitzt, wirklich das zu leisten, was er in dem Heilszusammenhang soll, nämlich den Menschen zur echten Erfahrung seiner echten Insuffizienz zu bringen,

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ursprünglichen Schema diese Stufe kennzeichnen sollte, hat nun seinen Sinn verloren: es ist von keinem ernsthaften Kampf mehr die Rede. Und andererseits bleibt, nachdem im status sub lege überhaupt keine eigentliche „Zustimmung zum Gesetz" vorliegt, für den status sub gratia sofort ein durchaus eindeutiges „Zustimmen" zurück: n. 18 „.. . daß niemand den Apostel der Zustimmung zur Begierde des Fleisches beim bösen Tun verdächtige" — das eben gilt jetzt als durch das „consentio legi" ausgeschlossen; während vordem gerade an dieser Stelle ein d o p p e l t e s Zustimmen angenommen worden war 1 4 . So fällt die dialektische Zwischenstufe bei dieser Verteilung gänzlidi fort. Es ist jene Entschärfung des Sinnes der Römerbriefstelle, die für Augustin mit ihrer Übertragung vom Gesetzesstand auf den Gnadenstand notwendig wurde: jetzt wird das „nicht ich bin es, der dies tut" aus v. 17 als „ich stimme nicht zu" interpretiert (n. 18) in direktem Gegensatz zu ad Simpl. Und zu v. 15 „was idj hasse, das tue ich" wird das „tun" unter Berufung auf „ich stimme dem Gesetz zu . . so interpretiert: „Das ,Handeln' und ,Tun', das der Apostel von sich bekennt, bestand nicht im Zustimmen und Auszeigt schlagend das klaffende Auseinanderfallen in der Folge zweier auf den Gesetzesstand bezüglicher Aussagen in spir. lit. п. 13 und п. 15 (X 208s). — п. 13 »Wer immer den Befehl des Gesetzes ohne Beihilfe vom Geist der Gnade ausführt, führte ihn aus Furcht vor Strafe, nicht aus Liebe zur Gerechtigkeit aus: und so war vor Gott nicht im Willen, was vor Menschen im Werke erschien." U n d nun n. 15: H i e r w i r d ganz im alten Sinn die unter dem Gesetz, im Bemühen um das Gesetz erstrebte „Gerechtigkeit des Menschen" als „Gerechtigkeit des eigenen Willens" bezeichnet u n d dann f o r t gefahren: „Dxrcfe das Gesetz zeigt er dem Menschen seine Schwäche (infirmitas), damit er im Glauben Zuflucht zu seinem Erbarmen nehme und so geheilt werde . . . ,Gerechtfertigt durch seine unentgeltlich gegebene Gnade': nicht daß es ohne unseren Willen geschehe, sondern durch das Gesetz wird unser Wille als schwach erzeigt, damit die Gnade den Willen heile und der geheilte Wille das Gesetz erfülle." Auf den ersten Blick ist ersichtlich, d a ß die beiden Aussagen n. 13 und n. 15 sich gegenseitig annullieren: denn entweder w i r d „unter dem Gesetz" das Gesetz nur aus dem äußerlichen Motiv der Furcht vor Strafe zur E r f ü l l u n g übernommen und ein wirklicher Wille zum Guten selbst ist gar nicht v o r h a n d e n — d a n n k a n n ein solcher eben audi in diesem ganzen Zusammenhang nicht seiner infirmitas ü b e r f ü h r t w e r d e n und ich k a n n z w a r wohl objektiv zum Übertreter und juristisch Schuldigen werden, aber selbst durch alles, die Straffurcht noch so aufpeitschendes Einzelversagen k a n n ich in dieser Einstellung einer Sicherungstendenz prinzipiell nicht in die Bereitschaft gelangen, midi aus dem D r a n g zum Guten (und seiner erlebten Vergeblichkeit) über mich selbst hinaus zur Selbstaufgabe in der G n a d e hintreiben zu lassen; oder aber das Gesetz soll wirklich hierzu führen und midi innerlich reif madien f ü r die G n a d e — d a n n darf es nicht nur der Straffurcht, sondern m u ß bereits als F o r d e r u n g wesentlicheren Schichten des Daseins zugänglich sein, auf d a ß dieses in die Dimension k o m m t , w o es die entscheidenden E r fahrungen mit sich selbst madien und zur Erkenntnis seiner eigensten Möglichkeiten u n d Grenzen kommen kann. 14

Cf. ad Simpl. I, q. 1. n. 9: „ N i c h t deshalb sagt er ,nicht ich tue dies', weil er dem Tun der Sünde etwa nicht zustimme — obwohl er auch dem Gesetz im Mißbilligen dieses Tuns zustimmt.'

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führen, sondern in der bloßen Bewegung des Begehrens" (ibid.). Warum aber wird dieser motus concupiscendi nicht mehr in dem entscheidenden Sinne wie früher als Sünde, als Versagen des Willens aufgefaßt? Warum bildet er vielmehr eine fremde Instanz, auf deren Fremdheit man sich berufen kann, um den eigenen Willen zu entlasten? Weil die concupiscentia jetzt nichts anderes mehr ist als die ohne mein Zutun, unabhängig von mir in Aktion tretende Äußerung des „fleischlichen Leibes", der nicht ich selbst bin. Es ist also jene dem gewöhnlichen Wortverständnis nächstliegende Interpretation des großen, den Abschnitt beherrschenden anthropologischen Gegensatzpaares νους und σάρξ (πνευματικός — σαρκικός) gewählt worden, von der das Verständnis gerade dieses Abschnittes immer bedroht und eintretenden Falles im Lebensnerv getroffen wird: n. 17 zu v. 14 ,ich aber bin fleischlich': „War etwa der Apostel, da er dies schrieb, fleischlich ?" Wir wissen, daß bei Paulus „fleischlich" eine geistige Kategorie, eine Bestimmung des Willens selbst ist. Hier aber tendiert die Frage auf eine Antwort, die für die augustinisdie Auffassung des Gnadenstandes, dem der Apostel doch angehört, erträglich ist und sich gewissermaßen harmlos in ihn einordnen läßt: „fleischlich" ist hier nur „gemäß dem Leibe" gesagt — „weil der Apostel ηοώ keinen geistigen Leib hatte", wie dies wohl „in jenem Leben" der Fall sein wird 1 4 . Und hören wir, wie glatt Augustin das gefährliche „zwar Wollen ist in mir, aber Vollbringen des Guten nicht" in seine Fassung des Gnadenstandes einzuordnen weiß — dank dem Umstand, daß κατεργάζεσ&αι (vollbringen) mit „perficere" (vollenden) übersetzt ist: „Die Vollendung des Guten ist allerdings, daß jenes Begehren im Menschen gar nicht mehr vorhanden sei, selbst wenn in einem sittlichen Leben der Wille ihm nicht zustimmt: gleichwohl ,vollendet" er nicht das Gute, da eben ηοώ die Begierde vorhanden ist, mit der der Wille im Widerstreit steht" (retract. I 15,2 — vgl. dagegen die Auslegung desselben Satzes in der früheren Epoche, s. S.46). Erwägt man diese weitgehende Abschwächung des Sinnes, die bei der Übertragung auf den homo sub gratia als notwendig erachtet wurde, so wird man nicht umhin können, das primäre Motiv zu der Übertragung weniger in dem Bestreben zu sehen, dem Gnadenstand seine ihm eigene Not zu sichern, als in dem, dem Gesetzesstand nicht zuviel eigene Möglichkeit an echtem In-Not-geraten-Können zu lassen. 15 Ebenso „ ,·verkauft unter die Sünde': deshalb sehe ihn keiner als ηοώ nicht durch Christi Blut erlöst an" — es ist vielmehr im Sinne von Rom. 8,23 auf den Leib zu beziehen: „Wenn er sich nämlich in dem Sinne als verkauft unter die Sünde bezeichnet, daß bis jetzt sein Leib ηοώ ηϊώί von der Verderbnis (corruptio, auch = Vergänglichkeit) erlöst ist. .. was steht dann tmWege.daß der Apostel hier über sich selbst spricht ... wenn er auch in seiner Person nicht nur sich selbst, sondern alle verstanden wissen will, die $ίώ in geistiger Freude mit der Anfeώtung des Fleisdes, ohne ihm zuzu-t stimmen, im Kampfe wissenf" (X 559 s).

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„Guter Wille" und „Verdienst"

c) „Guter Wille" und

„Verdienst"

In lib. II von ep. Pel. wird in der Behandlung des „guten Vorsatzes" diese Motivation der Schwenkung aus der antipelagianischen Auffassung des Gegensatzes ganz klar. Вопит proposition heißt: propositum boni — und wird selber als ein bonum und damit sdion als eine Qualifikation des Menschen angesetzt. D a r i n sind sich Augustin und Pelagius einig; strittig zwischen ihnen ist nur, woher dieses bonum im Menschen kommt. Pelagius sagt: es ist ein selbständiges „Beginnen" von seiten des Menschen — und damit ein „Verdienst", auf das hin er schon so etwas wie eine Würdigkeit zu weiterer Gnadenhilfe besitzt 1 . Augustin dagegen: a u c h dieses ineipere stammt von Gott — anstatt vielmehr a limine diese verfälschende Bewertung des „guten Vorsatzes" (bonum propositum) als soldie abzulehnen, vermöge deren, zumal wenn sie als aktuelle Selbstkonstatierung und Selbstbewertung auftritt, der Vorsatz gerade aus seinem echten Vollzug als Vorsatz herausfällt und sich bereits selbst verloren hat. Wir geben eine kurze Analyse dieses lib. II auf die in Frage kommenden Stellen hin. In n. 10 formulieren die Pelagianer den Gegensatz so: „Unter dem Namen der Gnade bejahen (die um Augustin) das Schicksal so, daß sie sagen, der Mensch könne sich nicht. . . vom Bösen abkehren, wenn nicht Gott ihm gegen seinen Willen und sein Widerstreben das Verlangen nach dem Guten einflöße." Dagegen wir Pelagianer halten, „daß die Gnade zwar den guten Vorsatz eines Jeden unterstützt, nicht aber dem widerstrebenden Menschen den Eifer für Tugend einsenkt, da es bei Gott kein Ansehen der Person gibt" (X 577). Man sieht, wie fatal der Gegensatz gelagert ist und wie einfach für Augustin die Stellung zu nehmen wäre, wenn er sich nicht vom Gegner die Alternativen vorschreiben ließ: den „Eifer um die Tugend" С Studium virtutis) könnte er den Pelagianern ruhig als selbständige Möglichkeit des Menschen konzedieren — und hätte damit noch lange nicht konzediert, daß „eines Jeden guter Vorsatz" auch automatisch und wie selbstverständlich von der „Gnade" unterstützt und zum Ziel gebracht werde. Vielmehr wäre gerade diese autonome Stufe als der O r t zu fixieren, wo das sich selbst überlassene Streben nach Tugend zur Erfahrung seiner Unfähigkeit kommen muß und einem gescheiterten, zerknirschten und bis zum Selbstverzicht im Glauben getriebenen Willen dann die Gnade als ein Wunder entgegentritt. Statt dessen kann er sich nicht von der pelagianisdien Suggestion frei machen, daß bereits jenes Streben selber ein Verdienst ist, das eine Art Anspruch auf die Unterstützung Gottes begründet: n. 17 „Hier sehen wir nun, was nach den Pelagianern im Menschen vorangehen muß, damit er der Gnadenhilfe für würdig erachtet werde . . . Sie wollen nämlich, daß im Menschen vom Menschen selbst her die Begierde nach dem Guten beginne, so daß das Ver1

Vgl. hierzu S.56 Anm.ll.

V o r p e l a g i a n i s d i e Auslegung v o n R o m . 7

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dienst dieses Beginnens auch die Gnade des Vollbringens erlange." Und nun konzediert Augustin selbst, n. 18: „Wenn nämlich ohne die Gnade Gottes durch uns die Begierde nach dem Guten beginnt, so bedeutet eben dies Beginnen ein Verdienst, dem gleidosam von Rechts wegen (ex debito) die Gnadenhilfe zukommt." In n. 21 wird dann die „Begierde nach dem Guten" als ein „Gut" (bonum) bezeichnet und fortgefahren: „Wenn es aber ein Gut ist, dann haben wir es nur von dem, der zuhöchst und unwandelbar das Gute ist. Was nämlich ist die Begierde nach dem Guten (boni cupiditas) anderes als die Liebe (caritas), von der Johannes sagt: ,die Liebe ist aus Gott' (l.Joh. 4,7)?" Man beachte diese Identifizierung, die eigentlich alles entscheidet, die in ihrer kurzen Formel Schicksal und Verhängnis aller augustinischen Bemühungen zur begrifflichen Erfassung der Willens- und Freiheitsproblematik einschließt! — n.22: „. . . sie reden so, als hätte der Mensch von sich her und ohne göttlidoen Beistand den guten Vorsatz und den Eifer für die Tugend — auf welches vorangehende Verdienst hin er dann des Beistandes nachfolgender göttlicher Gnade würdig sei." Die beiden Glieder der Behauptung sind wieder durchaus zu trennen: das erste ist bei einem bestimmten Verständnis audi vom augustinischen, d.h. dem absoluten Gnadenstandpunkt aus haltbar, ja letzten Endes sogar gefordert — das zweite dagegen eine im echten Sinne des „Vorsatzes" selber sinnlose Konsequenz. Augustin selber stellt dem entgegen: „Zwar erhält des Menschen guter Vorsatz den Beistand nachfolgender (subsequens) Gnade, aber er selbst wäre nicht ohne vorangehende (praecedens) Gnade ... er beginnt nicht ohne Gnade, sondern wird von Ihm eingeflößt." Und schließlich n. 23: „Wie nämlido niemand das Gute ohne den Herrn vollbringen (perficere = vollenden) kann, so kann auch niemand es ohne den Herrn beginnen." — In der Tat ist eben mit der Korrelation Beginnen — Vollenden die wahre Struktur des Zusammenhanges schon verfehlt. Der Vorsatz ist nicht gleichsam das erste Stück des Guten, das dann durch ein zweites dazukommendes, Vollbringen genannt, ergänzt wird — sondern es ist die Haltung, in der sich der Mensch als Mensch, sein Sollen und seine Selbsthaftung für sich in Anspruch nehmend, allererst der Möglichkeit seines Schlechtseinkönnens ausdrücklich unterstellt. Der Wille zum Guten ist also nach seinem einfachen Dasein, als ein substanzielles Objekt mit einem Werte genommen, das sich für gewisse Gegenwerte in die Waagschale wirft — ohne Rücksicht darauf, ob nicht gerade der intentionale Inhalt dieses Willens einer solchen Setzung zu einem Eigenwert, überhaupt einer solchen Positivität ausdrücklich widerstreitet. In der Tat wird in der obigen Diskussion ja nie darauf reflektiert, welchen bestimmten Inhalt der fragliche Wille zum „Guten" hat — es ist nur ganz abstrakt vom „bonum" die Rede — und um welche Art Wille es sich dabei handelt: während doch z.B. die „christliche" voluntas boni sicherlich (auch v o r der magischen Verwandlung

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„Guter Wille" und „Verdienst"

durch die Caritas infusa schon) sowohl ihrem Inhalt wie ihrer Vollzugsart nach etwa von der jüdischen oder stoischen wesentlich verschieden ist — und diese Verschiedenheit ist durchaus nicht gleichgültig für die jeweilige Möglichkeit der Verdienstlichkeits-Interpretation 2 . Es erhebt sidi aber a Wie inadäquat diese „Substanzialisierung" eines intentionalen Vollzugsseins, einfach nach seiner Positivität als „res", zu einem „Verdienst" ist (ohne Rücksicht auf seinen eigenen Sinn), wird in dem Augenblick vollends offenbar, da an Stelle der ganz formalen Begriffe „guter Vorsatz", „Verlangen nach dem Guten" (appetitus boni), „guter Wille", „Beginnen" usw. (und „bonum" überhaupt) einmal inhaltliche Bestimmungen dieser voluntas als einer spezifisch christlichen in die Diskussion kommen. Man höre z.B. selbst Pelagius den Inhalt der vom liberum arbitrium zu vollziehenden bona voluntas beschreiben, grat. Chr. n. 24, X 372 (aus ep. ad. Demetr.): „Wer von der Willensfreiheit rechten Gebraud) macht, ergibt sich Gott so gänzlich, daß er den eigenen Willen ertötet und mit dem Apostel sagen kann ,Nicht ich lebe mehr, sondern Christus lebt in mir' (Gal.2,20). Er gibt sein Herz in Gottes Hand, auf daß Er selbst es zu dem hinwende, was Er von ihm wollte." (Unmittelbar vorher schon p. 371: „Wer zum Herrn hinläuft und begehrt, sich von ihm regieren zu lassen, d. h. den eigenen Willen im göttlichen aufhebt. . .".) Das klingt eigentlich sehr wenig „pelagianisdi" — und hören wir nun die Polemik Auguscins: „In der Tat ist es ein großer Beistand der göttlichen Gnade, daß Gott selbst unser Herz zu dem hinwendet, was Er von ihm wollte. Aber diesen so großen Beistand sollen wir uns nach seiner unsinnigen Ansicht dadurch verdienen, daß wir ohne jeden Beistand, nur mit der Freiheit unseres Willens, zum Herrn hinlaufen, uns von ihm regieren zu lassen begehren, unsern Willen in seinem Willen aufheben ... (usw.). Diese so gewaltigen Güter, so meint er, bringen wir durch die bloße Willensfreiheit zustande, um mit diesen vorangehenden Verdiensten so seine Gnade zu erwerben, daß nun Er selbst unser Herz zu dem hinwendet, was Er von ihm wollte. Wie aber wäre es Gnade, wenn sie nicht unentgeltlich gegeben wird? . . . wenn ihr so große Werke vorhergehen, die uns ein Verdienst hinsichtlich der Gnadenerlangung verschaffen, auf Grund dessen uns dann die Gnade nicht umsonst geschenkt, sondern als uns geschuldet erstattet würdei" Ohne weiteres fühlt man, daß die Kritik und die Aussage, auf die sie sich bezieht, gänzlich auseinanderklaffen, denn von „Werken" und „Verdiensten", von „Beistand" und „Erstattung nach Schuldigkeit" ist in den Worten des Pelagius vom „Ertöten des eigenen Willens", „sein Herz in Gottes Hand geben" usw. — diese radikal verstanden — durchaus nicht die Rede. Im Gegenteil: in ihrem Wortsinne wirklich ernstgenommen, bezeichnen sie gerade eine Stufe des Willens, die wesensmäßig nicht mehr als „Werk" aufzufassen ist, auf die er vielmehr erst nach allen selbständigen Werken, nach Durchmessung der Erfahrung seines Auf-sichGestelltseins als auf den Umschlagspunkt seiner Selbständigkeit gelangt — jene Grenzstufe, auf der er in die Bereitschaft gelangt ist, die im „Kreuze" dargebotene mortificatio und vivißcatio an sich geschehen zu lassen — und das heißt: seine moralisch-autarke Selbstbehauptung, als schlechthin Schuldiger und Nicht-Suffizienter, aufzugeben. Das ist aber nichts anderes als der Inhalt der paulinischen πίστις — und damit wären wir beim Problem des G l a u b e n s innerhalb der „paulinischen" Freiheitsproblematik Augustins, für das wir hier nur auf S. 68 ff. verweisen können. Wir bemerken aber noch, daß Augustins einseitige Ausdeutung des fraglichen Pelagius-Satzes insofern entschuldigt ist, als ja aus dem ganzen Schrifttum des Pelagius genügend hervorgeht, daß auch er die Worte nicht so verstanden hat, wie wir sie heute in Orientierung an das „protestantische" Paulus-Verständnis zu verstehen geneigt sind, sondern viel eher in der objektivierenden Richtung der „Leistung", in der Augustin sie auffaßt — nur daß dieser eben, wie so oft, vom polemischen Rechte der Überspitzung reichlichen Gebrauch macht.

Kritische B e t r a c h t u n g e n z u A u g u s t i n s B e g r i f f l i c h k e i t

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die Frage: X^e muß Augustin den Willen strukturell aufgefaßt haben, daß er ihn chon durch die Intention auf ein bestimmtes „Was" als eindeutig qualfiziert, ja überhaupt hierdurch seinem ganzen Wesen nach konstituiert meinen konnte? Wir werden finden, daß die Struktur des appetitus hneinwirkt, ebenso wie bei der Caritas.

5. Kritsche Betrachtungen zu Augustins Begrifflichkeit %) Welches ist die richtige Auslegung von Rom. 7? Zuvor abr stellen wir doch einmal auch an uns selber die reine PaulusInterpretatonsfrage, auf wen nun wirklich der problematische Abschnitt zu bezieher ist, auf den homo sub lege oder auf den homo sub gratiaf Welche augistinische Interpretation also richtiger war, die frühere oder die spätere:Machen wir uns die Peinlichkeit der Alternative noch einmal kurz klar: Beziehen wir die Stelle einseitig auf den Menschen unterm Gesetz, so vird der Gnadenstand von ihren Aussagen selber nicht mehr betroffen uid kommt so gleichsam an spezifisch menschlicher Gefährdetheit gegenmer der göttlichen Begnadigung, also an aktueller christlicher Daseinsspainung zu kurz. Beziehen wir aber umgekehrt die Stelle einseitig auf огп Menschen unter der Gnade, so kommt der Gesetzesstand erst recht η kurz, wie gezeigt, und verliert eigentlich seinen Sinn. Wie werden wiiuns in dieser Alternative entscheiden? Weder im einen noch im andern änn, sondern so, daß wir zuvörderst die ganze Alternative als dem Sinn des Paulus-Abschnittes unangemessen zurückweisen: nicht ihre Beantwortung ist ein Geschäft der Paulus-Interpretation, sondern ihre \iederauflösung, sofern sie einmal gestellt ist. Denn die Römerbrief-Stelle spricht zwar unzweifelhaft vom Menschen unterm Gesetz, schildert sie doch eben die Situation unter dem Gesetz — aber es spricht sie der Masch unter der Gnade, der als konkrete Person mit jenem identisch is und für den dessen Situation nichts anderes als seine Ursituation as eines Nur-Begnadeten, nicht in seiner N a t u r Veränderten ist. Und die ist das Wesentliche: Hier handelt es sich nicht um zwei versdiiedene vienschen, Menschentypen, Entwicklungsstufen, Geschichtsepochen usv., sondern es handelt sich wesentlich um die eine Existenz: sobald der Mensch unter der Gnade von sich als Mensch, von seiner menschlich η Situation sprechen will, kann er sich nur unter dem Gesetz sehen und den Gnadenstand als die jeweilige aktuelle Aufhebung des Gesrtzesstmdes. Ein Gnadenstand, in festen Charakteren beschreibbar unabhängi; vom „Gesetzesstandd.h. von dem, was der Mensdi als bloßer Meisdi vor Gott sei, ist paulinisch undenkbar: ja, die adäquate

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„Rufung" und „Einflößung" des guten Willens

Selbstauslegung des Gnadenstandes besteht überhaupt darin, sich als eigentlich unter dem Gesetz verhaftet zu bekennen — mit allen zugehörigen Vollzugskonkretionen, die der Gnadenstand nicht einfach erspart, sondern nur jeweils in eigentümlicher Weise „aufhebt" und erlöst. Im status gratiae also ist konstitutiv der status legis als abgründiger Untergrund seines eigenen Wirklidiseins dialektisch immer mit vollzogen. — So ist es also, wie wir wiederholt bereits andeuteten, die Auseinanderziehung und Hypostasierung dieser existenziellen Vollzugseinheit zu gehaltlich und zeitlich getrennten objektiven Stadien, durch die sich Augustin die Vorbedingung für die unglückliche, im Kampf mit den Pelagianern akut werdende Alternative schuf — und sich das Verständnis der Paulusstelle für jeden Fall verlegte: sowohl für den ihrer Zuteilung an den homo sub lege wie für den anderen, weil strukturell die Zulassung der Alternative als solcher hier der Grundirrtum war. Wohl aber war, nachdem dieser einmal im ontologischen Ansatz begangen war, in der Zuteilung an den homo sub lege bedeutend mehr echtes Erfassen und Zur- Geltung-kommenLassen der Phänomene lebendig, als in der späteren an den homo sub gratia mit ihrer Entschärfung, fast könnte man sagen Bagatellisierung des Problemgehaltes. b) „Rufung" und „Einflößung"

des Guten Willens

Wir kehren zur Augustin-Analyse zurück. Wir fanden, daß es die mit den Pelagianern gemeinsame Auffassung des guten Vorsatzes als eines Verdienstes (d. h. als eines bereits eindeutig qualifizierenden Prädikates *) ist, die Augustin veranlaßte, schon den Willen zum Guten dem Menschen abzusprechen. Wir deuteten an, daß diese Beziehung der Insuffizienzfrage auf die Entstehung des Willens zum Guten anstatt auf das Können des bereits hierhin ausgerichteten und unterwegs befindlichen — die Überschätzung seines Vorhandenseins als solchen —, Rückschlüsse auf die strukturelle Auffassung des Willens überhaupt zuließe. Hierhin dirigieren wir jetzt die Fragestellung. — Zunächst ist die Frage: In welcher Weise veranlaßt Gott den Willen zum Guten? — Zwei Vorstellungen laufen ungeklärt nebeneinander her. 1. Die eine spricht vom „Einflößen" (inspirare). Schon der gute Vorsatz ist von Gott eingeflößt, „inspiriert". Diese, zumal später immer mehr vorherrschende Anschauung liegt für uns außer einer Diskussions- und Interpretationsmöglichkeit. Nur, daß eben die Bemühung um Tugend (Studium virtutis) sdion selber als bonum, ein schenkbares Gut, genommen wird, ist zu konstatieren. 1 Identifizierung von velle bereits bonum!

bonum

und bene

velle

—: propensio

in bonum

selber

Kritische B e t r a c h t u n g e n z u A u g u s t i n s B e g r i f f l i d i k e i t

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2. „Niemand kann wollen, ohne gerufen zu sein" (ad. Simpl. I 2, n. 10): Damit wir wollen können, müssen wir von einem Ruf ereilt werden, der unseren Willen trifft und ihn zu seinem Sollen aufruft. Dieser Ruf Gottes ist das notwendige praecedens f ü r unser Wollen — und damit eben der erste Akt der Gnade; ihm verdanken wir erst, daß wir uns überhaupt auf das Gute entwerfen können 2 . Aber diese vocatio ruft dodi gerade den eigenen Willen des Menschen auf und appelliert an seine von ihm selbst zu vollziehende Entscheidung. Augustin betont dies auch selber, wo es ihm darauf ankommt, die Verträglichkeit von Gnade und Freiheit zu erweisen, z.B. spir. lit. п. 60: „aber dem Rufe Gottes zustimmen oder ihn ablehnen steht beim eigenen Willen." D a ß dem Wollen sein Sollen durch einen „Ruf" kundgetan wird, daß es aufgerufen wird — eben als das selbständige Wollen, ist eine Strukturtatsache des sittlichen Willens als solchen und liegt prinzipiell vor dem möglichen Hervortreten seiner Insuffizienz und Gnadenbedürftigkeit und damit vor jeder möglichen Gnadenhilfe — als welche doch ihm als schon vorhandenem zuteil werden soll. In dieser Weise des „Anrufs" tritt ja gerade auch das Gesetz als der Anspruch und Aufruf Gottes dem Menschen entgegen 5 . Dieser Modus kann also nicht das Neue der Gnade gegenüber dem Gesetzesstand sein. Trotzdem spielt dieser Anruf — als die Motivierung des menschlichen Willens zum Guten, somit als seine unerläßliche allgemeinste Bedingung — eine entscheidende Rolle in der augustinischen Argumentation für das „was hast du, das du nicht empfangen hättest?", also f ü r den speziellen Tatbestand seiner Gnadenbedürftigkeit. Andererseits aber bekämpft Augustin ja gerade die pelagianische Behauptung, daß schon die „Lehre des Gesetzes" (die doch auch als solch ein „Ruf" zum Guten gefaßt werden kann) Gnade sei und demgemäß die Gnade in Christo nur als eine vollkommenere Belehrung, nicht aber als reale erlösende Modifikation des menschlichen Willens selber aufzufassen sei. Hier liegt eine wesentliche Unklarheit. Sie wird noch kompliziert, aber zugleich eigentümlich beleuchtet dadurch, daß mit dieser „Bedingtheit" des Willens (seinem Ver* Vgl. ζ. B. schon div. quaest. qu. 68, n. 5 (VI 73) „Da niemand wollen kann, es sei denn, daß er gemahnt und gerufen wurde, entweder von innen, wo kein Mensch es sieht, oder von außen durch lautliche Rede oder sichtbare Zeichen, so kommt es, daß Gott sogar das Wollen selbst in uns bewirkt ... Der Anruf also bewirkt vor dem Verdienst das Wollen." s Von Augustin selber ausgesprochen, spir. lit. п. 60 (Χ 240) .Gott wirkt durch die Überredungskrafl der Vorstellungen (visorum = was uns ersdjeint) dahin, daß wir wollen und daß wir glauben: sei es von außen durch die Ermahnungen des Evangeliums, wo auch die Gebote des Gesetzes etwas ausrichten, wenn sie nämlich den Menschen seiner Schwäche gemahnen mit der Wirkung, daß er zur rechtfertigenden Gnade im Glauben seine Zuflucht nimmt; sei es von innen, wo niemand es in seine? Gewalt hat, was ihm in den Sinn kommt: aber Zustimmung oder Widerspruch ist Sache des eigenen Willens." 5 4265 Joau, Auguitio

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„Rufung" und „Einflößung' des guten Willens

wiesensein auf ein Angerufenwerden) in der Argumentation sich vermengt die ganz andere Abhängigkeit, daß ihm O b j e k t e vorgegeben sein müssen, auf die hin sich überhaupt erst ein S t r e b e n in Bewegung setzen kann, also die Vorstellung irgendeines „begegnenden" bonum, das ihn anreizt. Es handelt sich hier um d i e Begrenzung des menschlichen Machtbereichs, seiner potestas, die mit der Tatsache seiner Rezeptivität (»Endlichkeit") gegeben ist, als welche jeweils erst die Möglichkeit für das InsSpiel-Bringen seiner Spontaneität im weitesten Sinn liefert. Daß dies nichts mit der menschlichen Heilsbedürftigkeit zu tun hat, ist klar. Gleichwohl wird es argumentativ für das Angewiesensein auf Gnade, die ihm eben das richtige bonum, und dieses richtig, begegnen lassen muß, in Anspruch genommen. In diesem Fall tritt an die Stelle der „vocatio" ganz allgemein ein „Begegnendes" (occurrens), ein „Erscheinendes" (visum), dessen Erscheinen der Mensch eben nicht selber in der Hand hat. Wieso der Wechsel „vocatio" -*• „visum." für die Strukturauffassung des Wollens selber von Bedeutung ist, wird gleich gezeigt. — Als Beispiel zitieren wir ad Simpl. I qu. 2, n. 22 (VI 128) „Der Wille selbst kann auf keine Weise in Bewegung kommen, wenn ihm nicht etwas begegnet, was das Gemüt ergötzt und anreizt: daß solches aber begegne, steht nicht in des Menschen Macht." Bleiben wir zunächst bei der vocatio, so ist es nun ein bestimmter Modus von ihr, durch den ihr freigebend-aufrufender Charakter paralysiert wird und ihr Begriff das leisten kann, was er in diesem anti-pelagianischen Zusammenhang soll: nämlich alles Veranstaltung der Gnade im Menschen sein zu lassen. Zu diesem Zweck muß die Art des Zusammenhanges zwischen Gerufenwerden und Folgeleisten gleichsam so „kausal" aufgefaßt werden, daß das letztere nicht mehr rein im Wahlvermögen des Menschen gelegen ist (d.h. sich als „Zustimmung o d e r Widerspruch" vollzieht), sondern durch den Ruf irgendwie eindeutig kausiert wird. Dies wird ermöglicht durch den Begriff des „angemessenen Rufes" (vocatio congruens: „so wie es dem Gerufenen genau angepaßt [aptumJ ist"), welcher „Schöpfer des guten Willens" ist und dann geradezu mit der Erwählung zusammenfällt 4 . Da überdies noch diese Vorstellung sich in der Argumentation mit der von der „Einflößung" vermischt, so ist hiermit jetzt in einem anfänglichen, völlig zuvorkommenden Gnadenakt der alleinig zureichende Grund auch für die erste Entstehung eines Willens zum Guten im Menschen überhaupt gefunden. Mit diesem Bedingungszusammenhang ist nun aber die Insuffizienz des nunmehr schon sich um das Gute mühenden Willens nicht hinfällig geworden. Auf der Stufe des (seinerseits schon gnadenweise geschenkten) 4 Vgl. ζ. B. ad Simpl. I qu. 2, n. 13, wo nach Erörterung der vocatio congruens = effectrix zum Sdiluß die Aussage: „Jene sind erwählt, die angemessen berufen wurden"; vgl. auch spir. lit. п.60 gegen Ende; u.a.

Kritische Betrachtungen zu Augustins Begrifflichkeit

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guten Willens ist wiederum neuer Sukkurs der Gnade nötig, die über das „gute Wollen" (Wollen des Guten) hinaus auch das Vermögen, gut zu handeln, ja das gute Handeln selbst verleiht — also das „Vollbringen" gegenüber dem Wollen als „Beginnen"; und zwar durch die „in unsere Herzen ergossene Liebe (Caritas)", die aber jetzt von der „Liebe zum Guten" Сdilectio boni) der vorangehenden Stufe nur noch gradweise verschieden ist: sie ist stärker und voll geworden, während jene noch klein und anfänglich war. Damit ist natürlich der wesenhafte Unterschied zwischen den beiden Stufen — zwischen derjenigen, auf der der Mensch will, aber für sich nicht kann, und derjenigen, auf der sein durch Selbstverzicht, Glaube und Gnade modifizierter Wille kann (sc. weil er nicht mehr als er selber will!) — verwischt und zu einem bloßen Fortsdiritt nivelliert. Zugleich damit ist der Schwerpunkt der Gnadenwirkung verschoben: von der Leistung der Hilfe für den nicht-vermögenden, vergebens wollenden Willen (so sehr die Notwendigkeit dieser Hilfe immer noch betont wird) zu der Leistung der anfänglichen Veranlassung eines allererst aufs Gute gerichteten Willens. De grat. et lib. arb. n. 33 (X 901): „Wer also Gottes Gebot erfüllen will und nicht kann, hat zwar schon den guten Willen, aber noch klein und schwach: er wird aber können, wenn dieser Wille groß und stark geworden ist .. Wer aber begann damit, jene wenn auch noch kleine Liebe zu geben, wenn nicht Er, der den Willen vorbereitet, um später durch Mitwirkung zu vollenden, was er durch Alleinwirkung begann? Denn Er selbst bewirkt zu Beginn, daß wir wollen, der zur Vollendung mit unserem Wollen zusammenwirkt... Daß wir also wollen, bewirkt er ohne uns; wenn wir aber erst wollen, und so wollen, daß wir tun, wirkt er mit uns zusammen." — „Klein — groß": es ist also nur mehr eine quantitative Differenz bei letztlicher Wesensgleichheit; und die Sphäre der selbsteigenen Erfahrung seiner Insuffizienz, die nur der aufs Gute schon ausgerichtete Wille machen kann, ist reichlich reduziert — und: bewegt sich selber schon unter der Sonne der Gnade! Daß es sich hier wirklich um eine Verschiebung des Schwerpunktes innerhalb der augustinischen Position handelt, wird schlagend deutlich an der Gegenüberstellung dieser Stelle vom J. 426/7 mit einer aus ad simpl. (a. 397) I qu. 2, n. 10: BAnders nämlich gewährt Gott, daß wir wollen, anders, was wir wollen. Daß wir nämlich wollen, wollte er sein und unser Werk sein lassen: seines durch Rufen, unseres durch Folgen. Was wir aber wollten, gewährt er allein, nämlich gut handeln zu können ..." СVI 117). — Also hier heißt es ausdrücklich: Daß wir wollen, ist sein und 1

Vgl. schon vorher in n. 31: .. damit der Mensch, der wollte und nicht konnte, erkenne, daß sein Wollen noch nicht ganz ist, und darum bitte, einen Willen zu erlangen, der zur Erfüllung der Gebote groß genug ist." — Man ist versucht zu glauben, daß hier im Sinne der früheren Position vom homo sub lege als dem Mensdien vor der Gnade die Rede ist; aber die Fortsetzung oben im Haupttext belehrt eines andern!



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„Rufung" und „Einflößung" des Glaubens

unser Werk; und: Was wir wollen, gewährt er allein. In der späteren Schrift dagegen genau umgekehrt: „Daß wir wollen, bewirkt er ohne uns; was wir wollen wirkt er mit uns zusammen." Also alles Gewicht ist in der späteren Stelle auf den ersten Akt der Veranlassung des guten Willens des Menschen gelegt, der ohne Beteiligung des Menschen selber (etwa in der Form des freien „Folgens") ein ausschließlicher Akt Gottes ist. Das Nachkommende ist nur noch cooperatio seitens Gottes. Ebenso ist naturgemäß in den späteren Schriften von jener „Zustimmung o d e r Nichtzustimmung zum Ruf", die noch in spir. lit. vom Jahre 412 so entschieden betont worden war, kaum noch die Rede. Das verhinderte schon die vorherrschend gewordene Vorstellung von der „Einflößung des guten Willens" oder der „Begierde zum Guten"; und wo statt dessen doch von der vocatio die Rede ist, wurde es durch die erwähnte Idee der kausal gefaßten vocatio congruens oder effectrix ausgeschlossen. Von der eigentlichen Freiheitsfrage des bereits, von der sittlichen Aspiration des Menschen selbst her, auf das Gute entworfenen, irgendwie doch schon zu ihm entschlossenen Willens; von seiner inneren Vollzugsdialektik, in der Wollen und Vollbringenkönnen sich gegenübertreten, obwohl dieses Vollbringen nur ein bestimmtes „Wie" eben des Wollens selber ist — : hiervon ist durch die pelagianische Fragestellung und das Sich-Einlassen Augustins auf sie die eigentliche Aufmerksamkeit abgezogen, und sie bleibt bei der unfruchtbaren Frage: woher im Menschen die propensio in bonum, die Neigung zum Guten überhaupt komme. c) „Rufung"

und „Einflößung"

des

Glaubens

Eine genau analoge Schwerpunktverschiebung ist bezüglich der Auffassung des Glaubens vor sich gegangen, der ja einen Spezialfall des Willens überhaupt, eben die irdisch-christliche Verwirklichungsform des „guten Willens" darstellt. Für eine erschöpfende Behandlung der Freiheitsproblematik bei Augustin und ihre kritische Rückbeziehung auf Paulus wäre eine eingehende Analyse des Augustinschen Glaubensbegriffes unerläßlich; das würde eine Untersuchung vom Umfang der vorliegenden erfordern 1 . Wir beschränken uns auf einige Bemerkungen. — Wenn 1 Es darf hier mitgeteilt werden, daß ursprünglich diese ganze Untersuchung überhaupt aus einer Untersuchung über die fides bei Augustin erwachsen ist, in der das Freiheitsproblem als ein Teilproblem des „Glaubens" gesehen war; aber im Laufe der Untersuchung kehrte sich das Fundierungsverhältnis radikal um: es stellte sich mir heraus, daß in Wahrheit das Glaubensproblem im Freiheitsproblem als seinem existenzialen Grund wurzelt, nicht umgekehrt — wenn es auch der gläubigen Einstellung notwendig gerade umgekehrt erscheinen muß und für sie Freiheit erst im Horizont des Glaubens sichtbar zum Problem wird. Hier scheiden sich eben gläubige und phänomenologische Betrachtungsweise — und so sei bei dieser Gelegenheit ausdrücklich betont, daß unsere ganze Untersuchung wesentlich eine philosophische und keine theologische ist.

K r i t i s c h e B e t r a c h t u n g e n zu A u g u s t i n s B e g r i f f l i c h k e i t

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Paulus sagt, daß dem Glauben das Heil zuteil werde, oder daß wir „durch den Glauben gerettet werden" (z.B. Eph.2,8 σεσωσμένοι δια πίστεως), so ist, äußerlich gesehen, zwischen dem Glauben als menschlicher Verhaltung und der Gnade als der göttlichen Korrelat-Handlung ein Zusammenhang hergestellt, der so aufgefaßt werden kann, daß man sich durch den Glauben die Gnade bzw. das Heil erwirbt (wenn audi natürlich nur Gott es gewähren und zuteilen kann). Oder noch deutlicher: Die paulinische Formel „Nicht durch Werke, sondern durch Glauben", die ja besonders den Römerbrief völlig beherrscht, kann äußerlich so interpretiert werden, daß nun an Stelle der bisherigen inadäquaten „Werke" der Glaube, sofern ja formal audi er eine menschliche Verhaltung ist, als das neue, von Gott geforderte adäquate „Werk" des Menschen trete — und der Zusatz „aus Gnade", der die Zuteilung der Gerechtigkeit und des Heils an den Glauben näher kennzeichnen soll, braucht daran nicht notwendig etwas radikal zu ändern, wie ja die ganze pelagianische Auffassung vom „Beistand" (adiutorium) der göttlichen Güte hinlänglich zeigt. Und in der Tat finden wir auch bei Augustin diese objektivierende Interpretation des Glaubens: Die gleiche Neigung, die wir in der ontologisdien Auffassung des Willens überhaupt antrafen, nämlich seine „Substanzialisierung" zu einem „Wert" in sich, nach seiner bloßen Positivität als „res" (hier: als einer bestimmten Verhaltung), der die göttlichen Gegengaben, oder seien es audi Uberbietungen, gegenübertreten — sie setzt sich auch in der Auffassung des Glaubens durch. Und für Augustin liegt dann im Kampf um die Gnade die notwendige Schlußfolgerung so: Wenn der Glaube die gottgefällige Haltung ist, der die Gnade zugesichert ist, so wäre, unbeschadet dessen, daß die ihr verheißene Gnade ein freies Geschenk Gottes ist, doch ein praecedens von menschlicher Seite da — jenes fatale „Beginnen" (und wir sahen, daß ein solches „praecedens" sich in der Diskussion immer unversehens in ein „meritum", ein Verdienst verwandelt) —: und damit nun das „umsonst" der Gnade (gratia gratis data) gewahrt bleibt, muß auch dies „Vorhergehende" sdion von Gott gewirkt — also auch der Glaube schon „inspiriert" sein. Grat. Chr. n. 34 (X 377) zu Eph. 2,8: „ ,Aus Gnade seid ihr durch den Glauben erlöst: und dies ist nicht euer Tun, sondern Gottes Geschenk': Dasjenige also, womit all das erst beginnt, was wir nach Verdienst empfangen sollen, empfangen wir ohne Verdienst, nämlich den Glauben selbst. Die Pelagianer aber verbinden den Glauben derart mit dem freien Willen, daß dem Glauben dann freilich die Gnade nicht umsonst, sondern als geschuldet erstattet wird." Augustin teilt also mit den Pelagianern die Ansicht, daß, w e n n der Glaube ein Akt des Menschen wäre, er dann mit Bezug auf die ihm zugesagten Gnadenwirkungen Gottes eine Art „Verdienst" wäre, jedenfalls ein „Beginnen" von seiten des Menschen — und die Differenz liegt nur darin, daß Augustin ihn d e s w e g e n schon in

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„Rufung" und „Einflößung" des Glaubens

seinem jeweiligen substanziellen Akt-Dasein (nicht nur in seiner ideellen Möglichkeit) auf Gott als seinen Urheber zurückführt. Auf beiden Seiten aber wird nicht darauf reflektiert, ob nicht gerade der Glaube nach dem, was sein Inhalt ist, jeder solchen Setzung zu einem Werte an sich gegenüber dem, woran er glaubt, jeder solchen Akt-Hypostasierung nach seiner Positivität als Verhalten überhaupt, radikal widerstreitet. Und das ist bei dem Glauben in seinem ursprünglichen paulinischen Verständnis in der Tat der Fall. Wir können das hier nicht näher darlegen. Aber es wird schon verständlich sein, wenn wir sagen, daß er ja in seinen intentionalen Inhalt die Aufhebung — wie aller Leistungssetzung, so auch die seiner eigenen unmittelbar einbezieht: eben diese Aufhebung bildet (mitsamt dem positiven Korrelat der Gnadenhoffnung) seinen eigentlichen Sinn — ja man kann sagen, daß der Glaube nichts anderes als der aktuelle Vollzug dieser Aufhebung (also auch die seiner selbst als eines sidi etwa objektivierenden) ist. Denn audi der Glaube ist nicht als Haltung des und des psychischen Typus, vermöge der und der positiven Aktqualitäten, durch Verheißung der Gnade vor andern ausgezeichnet, sondern als Glaube an „Christus den Gekreuzigten" übernimmt er gerade die in diesem Tatbestand beschlossene Verurteilung ohne Berufung auf irgendeine „Haltung", also am wenigsten auf sich selbst, — und ernst mit ihr machen heißt gerade nichts von sich selbst, sondern alles von der Gnade erwarten: und diese Gnade erwarten wohlverstanden nicht als ihm, dem Glauben, für den Glauben gegeben, sondern als dem sündigen Menschen gegeben, o b w o h l er n u r daran glauben, nichts dafür t u n kann (also auch nicht durch Vollziehung des Glaubens etwas dafür tun kann). Er glaubt also einfach — auf Grund des „Kreuzes", und dessen Urteil ineins mit der Verheißung übernehmend — daran, daß auch ihm die Gnade gewährt ist — aber er „glaubt" nicht (produziert so etwas wie den „Glauben") d a m i t ihm d a f ü r die Gnade gegeben werde 2 . So ist die Folge von Glaube und Gnade (Gerechtigkeit) nicht ein „Weil", sondern ein „Trotzdem": Die Gnade wird ihm zuteil, trotzdem auch er, als ein menschliches Verhalten, im Hinblick auf die Gerechtigkeit genauso unzulänglich ist wie jedes menschliche Verhalten, von dessen radikaler Unzulänglichkeit er das radikale Anerkenntnis ist. Der Glaube ist ja nicht Gerechtigkeit und er macht nicht (von sich aus, kraft seiner Aktqualität) gerecht — , sondern er wird als Gerechtigkeit „angerechnet", und er selber muß sich gerade dessen bewußt sein. Dies Bewußtsein aber gründet sich auf die schon vorangegangene göttliche Gnadenhandlung der Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung 1 Das ist ein großer Unterschied. Im ersten Fall meint der Glaube nicht sich, sondern „Christus" (also: das Urteil über sich, die Preisgabe alles Anspruches, die Gnade wirklich als „gratis data") — im letzteren meint er sich gegenüber Christus und gegenüber den Äquivalenten, die für ihn durch den Erlösertod Christi bereitstehen.

Kritische Betrachtungen zu Augustins Begrifflidikeit

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Christi, die — wie sie die Niederschlagung alles eigenen Anspruches des Menschen enthält — zugleich erst die Möglichkeit des nur glaubenden Verhaltens zu Gott als positives Gnadengeschenk eröffnete. Denn der Glaube ist nicht an sich und überhaupt das beste, richtigste Verhalten zu Gott — vielmehr ist „an sich" das Gesetz der verbindliche Ausdruck des Verhältnisses von Mensch und Gott und der Mensch hätte nicht das Recht, einen andern, ihn besser dünkenden an seine Stelle zu setzen —, sondern nur die Abrogation des Gesetzes durch den Kreuzestod Christi schuf ihm die Möglichkeit, es wagen zu dürfen, unter Verzicht auf jedes eigene Gerechtigkeitshandeln n u r zu g l a u b e n . So ist also in der Tat der Glaube, dem die Gnade zugesichert ist, bereits selber Gesdienk der Gnade; d.h. seine M ö g l i c h k e i t ist gesdienkt, nicht seine jeweilige Aktrealisierung. Wenn also der Glaube die Gnade Gottes als schon geschehen voraussetzt, so nicht als magische Einwirkung auf den Glaubenden, sondern insofern er sich auf das vergangene Gnadengeschehen im Kreuze Christi bezieht und diese Sinnbedingung seiner Möglichkeit in sich enthält. Das alles schützt natürlich den Glauben, als einen menschlichen Vollzug, nicht davor, sich nach seiner Aktrealität (realitas formalis) zu einer Art opus zu hypostasieren und sich anstatt seines Gegenstandes zu „setzen". Im Gegenteil: wenn wir die paulinische Insuffizienz-Dialektik — daß gerade am Guten die Sünde Antrieb gewinnt und mich durch dieses überlistet und tötet — richtig verstanden haben als die grundsätzlich geschöpfliche (und daher unvermeidbare) Abfallsbewegung des καυχασθαι (der augustinischen „superbia"), dann ist wesentlich auch der Vollzug der πίστις zuinnerst von ihr betroffen. Aber sie (und sie als einzige menschliche Haltung) trägt dem gleichsam im vorhinein Rechnung, indem sie das allgemeine Insuffizienzbekenntnis, auf dem sie beruht, auch auf sich selbst miterstreckt, so daß sie auch an sich selbst ihre Gnadenbedürftigkeit immer von neuem zu erfahren bereit ist und aus dieser Erfahrung immer von neuem den Antrieb zur Flucht in den echten Glauben gewinnt. Nun zurück zu Augustin. Es ist zunächst festzustellen, daß er unter fides eigentlich nie jenen urchristlichen Glauben an „Christus den Gekreuzigten" versteht, sondern das Sich-Beugen unter die Autorität der Kirche und das Fürwahrhalten und Hinnehmen dessen, was sie als Offenbarung darbietet — auf ihre Autorität hin. Daß in den Inhalt dieser Offenbarung eben auch Christus gehört, ist an diesem Glaubensbegriff nur ein sekundäres Element. Dieser Glaube ist also nicht die im Wesen des Christentums begründete unbedingte Notwendigkeit, nämlich sein einzig adäquater Ausdruck für den Menschen, sondern nur eine für den Erwerb der weiteren Gnadengüter erforderliche, weil in der Heilsordnung so festgesetzte Vorbedingung — und eine Vorstufe, die der Mensch mit Rück-

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„ R u f u n g " und „Einflößung" des Glaubens

sieht auf jene passieren muß s . Das ist des näheren in der Schrift „De utilitate credendi" dargelegt. Wir können hier auf sie nicht eingehen — aber schon der Titel ist lehrreich: „Nützlichkeit" des Glaubens — nämlich für die Erlangung des Heils, für das er, als Verhalten der und der positiven Beschaffenheit, qualifizieren soll. Also: ein Mittel zur Erlangung der Wahrheit zufolge der Zuverlässigkeit der kirchlichen Glaubenswahrheiten, die man mit der glaubenden Unterwerfung unter die Autorität eben als wahr annimmt — und zugleich die diesseitige Anwartschaft auf das endgültige Heil vermöge ihres positiven Wertes als der Gott wohlgefälligsten Haltung 4 . Damit ist prinzipiell jene „Setzung" und „Hypostasierung" der vergegenständlichten Aktrealität vollzogen, von der oben bei der Behandlung der Willensproblematik genugsam die Rede war. Für den Rest können wir uns auf wenige Andeutungen beschränken, die nur die Aufgabe haben, die genaue Struktur-Parallelität der fides und der allgemeinen voluntas bona mit Bezug auf das Freiheits- und Gnadenproblem zu belegen und der ersteren ihren Ort im ganzen der Freiheitsproblematik zu bestimmen. — In ad Simpl. I qu. 2 (derselben quaestio, der wir bereits die hauptsächlichen Aussagen über die vocatio voluntatis entnommen haben, und die als Ganzes über Fragen der Prädestination handelt) fragt Augustin in n. 7: „Es fragt sich aber, ob der Glaube dem Menschen die Rechtfertigung verdient, oder ob nicht einmal die Verdienste des Glaubens der Barmherzigkeit Gottes vorangehen, vielmehr auch der Glaube selbst unter die Geschenke der Gnade zu rechnen ist" (VI 115). Zu beachten ist, daß der Begriff des Glaubens als eines Verdienstes bezüglich der weiteren Gnadengewährung (der Rechtfertigung) sich unverändert auf beiden Seiten der Alternative durchhält, gleichsam die Invariante in der Fragestellung ist — und die Frage nur die ist, ob es als solches dem Menschen selbst entstammt oder ihm durch eine bereits vorausgehende Gnadenwirkung geschenkt ist. Die allgemeine Antwort kann bei Augustins Gnadenstandpunkt ja nicht zweifelhaft sein. Inhaltlich lautet sie zunächst so: „Niemand glaubt, der nicht gerufen wird. Es ruft aber der barmherzige Gott, der dies Geschenk keinem Verdienst, auch nicht dem des Glaubens macht." Das ist bis in den Wortlaut hinein die gleiche Bestimmung, die auch der W i l l e im allgemeinen findet (hier in 5 Die eigentliche, vollgültige Beziehung zu Gott ist das Schauen und Genießen in der Liebe; hiermit stellt sich Augustin in den großen Zusammenhang der Gnosis (neuplatonischer Prägung) ein. Ineins damit geht, daß der eigentliche Gegenstand der religiösen Intention nicht Christus, sondern unmittelbar Gott selbst ist und dieser gefaßt als das „höchste G u t " (summurn bonum) und das „unwandelbar Seiende" (ens incommutabile). * Vgl. div. quaest., qu 48 „(Wahrheiten,) die zuerst geglaubt und später verstanden werden: das sind solche betreffs der göttlichen Dinge, die nur von denen erkannt werden können, die reinen Herzens sind; und dies wird man durch Beobachtung der Vorschriften, die für das gute Leben gegeben wurden" (VI 31).

Kritische B e t r a c h t u n g e n zu A u g u s t i n s BegrifFlidikeit

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n. 10, vgl. o. S.65: „niemand kann wollen, ohne gerufen zu sein"); in dieser Parallelität bekundet sich der Glaube als ein spezieller Fall des Willens überhaupt und so gilt alles, was wir oben über die „Rufung des Willens" bemerkten, für die „Rufung des Glaubens" mit — mit e i n e r Modifikation: vom Glauben ließe sich in der Tat — in dem oben umschriebenen Sinne — mit ganz anderem Rechte als vom „guten Willen" überhaupt sagen, daß schon der Ruf zu ihm „Gnade" ist, bzw. auf einem realen Gnadengeschehen beruht — nicht insofern er dem Menschen kundgibt, was er zu tun hat (das hat dieser Ruf mit dem des Gesetzes gemein), sondern insofern er, als Angebot einer neuen Möglichkeit an den Menschen, zurückgreift auf die vorangegangene reale Beschaffung dieser Möglichkeit des „Glaubens" durch Christus und so dieses bedingende Gnadengeschehen in sich einbezieht. Aber da Augustin den Glauben ja selbst als gutes, verdienstliches Verhalten vermöge seiner Beschaffenheit versteht, so daß die Berufung zu ihm einfach die Kundgabe seines Inhalts und die Empfehlung seines Wertes ist — so ist für Augustin die Parallele zwischen „gutem Willen" überhaupt und „Glauben" im besonderen hinsichtlich ihres Verhältnisses zur „Berufung" vollkommen: d. h. als eine Spezies des Genus „appetitus" muß auch er durch Darbietung des geeigneten Gegenstandes erregt werden, und in beiden Fällen ist solche Darbietung die „zuvorkommende Gnade". Dies ist die Stufe, die wir in div. quaest. vielleicht am eindeutigsten ausgesprochen finden, z.B. qu.68,3: „Der Lohn der Erkenntnis nämlich wird den Verdiensten erteilt; durch Glauben aber wird ein Verdienst bereitet. Der Gnade selbst aber, die in Gestalt des Glaubens gegeben wurde, gingen keine Verdienste unserseits voran . . . so daß wir also zum Glauben ohne Verdienst, nur durch Gnade gerufen werden, durch Glauben aber aud) Verdienst ansammeln" (VI 71)*. Aber nun fanden wir eben bei der Betrachtung des Willens, daß im augustinisch verstandenen Gnaden-Interesse der frei-aufrufende Charakter des vocare durch gewisse Zusatzbestimmungen im Sinne einer eindeutigen Determination rückgängig gemacht wird, und wir unterschieden als solche Zusatzbestimmungen die „Angemessenheit" des Rufes (vocatio congruens), „die den guten Willen hervorbringt", und die „Einflößung" (inspiratio). Bezüglich des Glaubens ergibt sich der gleiche Befund, um so mehr, als in unserer quaestio das Gnadeninteresse unter der Form der 5

In expos. Rom., prop. 62 finden wir ebenfalls unzweideutig: „Gottes Erbarmen •wird dem vorangehenden Verdienst des Glaubens zuteil.' Aber bezeichnender noch als die Stelle selbst ist für die Zähigkeit dieses Begriffes des meritum fidei ihre „Berichtigung" in den retract. I 23,4 (anschließend an ihre Zitierung): »Dies ist zwar richtig; aber es blieb noch zu fragen, ob nicht auch das Verdienst des Glaubens schon von der Barmherzigkeit Gottes komme, d.h. ob jene Barmherzigkeit nur darum im Menschen geschieht, weil er gläubig ist, oder nicht schon dazu geschah, daß er gläubig sei' (I 622).

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„Rufung" und „Einflößung" des Glaubens

Prädestinationsthese erst recht zu einer Paralysierung des freien Entsdieidungscharakters des „Rufes" nötigt. So werden denn in ad Simpl. I n. 9 (VI 116) folgende drei Stufen des göttlichen Erbarmens gegenüber dem Menschen unterschieden: 1. daß Er ihn rufe, 2. da β Er ihm Glauben verleihe, und 3. daß Er ihm auch gutes Handeln verleihee. Hier ist also zwischen dem Gnadenerweis der Berufung und dem der Verleihung der vollen Suffizienz des gut-Handelns noch eine Sonderstufe eingeschoben, durch die Gott den Glauben, zu dem er auf der ersten nur gerufen hat, verleiht. Alle drei Stufen, sowohl Gerufenwerden als Glauben als gutHandeln sind in gleicher Weise jeweils neue Erbarmungsakte Gottes. Uns interessiert hier die zweite Stufe, d. h. die Art, wie Gott über die Berufung hinaus den Glauben wirkt. Im gleichen n. 9 erhalten wir Antwort darauf: „Gott gewährte ihm, zu glauben, indem er ihm aus Erbarmen den Glauben einflößte (inspirare)". So wird dann (n. 10) die Aufzählung der drei Stufen mit dieser inhaltlichen Bestimmung der zweiten wiederholt: „(1.) daß er gerufen werde, (2.) daß dem Gerufenen auch der Glaube eingeflößt werde, (3.) daß (der Glaubende) gute Werke tue." Da nun das „gute Handeln", wie wir wissen, durch die „eingegossene Liebe" erwirkt wird, so könnte audi auf der dritten Stufe das Wort „inspirare" stehen, d. h. einfach wiederholt werden 7 — und so gleichen sich die beiden letzten Stufen in diesem magischen „Infusions"- oder „Inspirations"-Charakter völlig. Das ist aber für die Struktur des ganzen Vollzugszusammenhanges entscheidend. Denn wenn sich diese beiden Stufen, in prinzipiell gleicher Weise Emanationen der Gnade, hinsichtlich ihres Verhältnisses zu dieser nur nach dem Quantum des Gnaden-„Einflusses" unterscheiden, so hat die fides ihren Eigen-Sinn verloren, und ist nidit nur zu einer bloßen Vor- und Durchgangsstufe nivelliert, sondern es ist eigentlich kein einsichtiger Grund mehr, warum Gott überhaupt seine Gnadenspende auf zwei Stufen verteilt und sie nicht in eine einzige zusammenzieht, also sofort das gute Handeln verleiht — anstatt zuerst den Glauben zu schenken und dann diesem erst (zur Belohnung dessen, was er selbst erwirkt hat) durch die Liebe das Vermögen zu guten Werken. Für das souveräne Gnadenwirken Gottes ist die Stufe des Glaubens ein im Grunde überflüssiger Umweg. Es ist jene Nivellierung der dialektisch aufeinander aufgebauten Vollzugsphasen zu einem einsinnigen und quantitativen Fortschritt, die wir auch beim Willensproblem festgestellt und dort hinreichend behandelt haben. • Das vollständige Zitat lautet: „ . . . wessen Gott sido erbarmte, daß Er ihn rufe, dessen wird Er sich auch erbarmen, daß er glaube; und wessen Er sich erbarmte, daß er glaube, dessen wird Er sich erbarmen, daß Er ihn barmherzig mache, so daß er auch gute Werke tue" (ad Simpl. I qu 2, n. 9, VI 116). 7 Also etwa: „daß dem Gerufenen der Glaube eingeflößt werde, und daß dem Glaubenden die Liebe eingeflößt werde, durch die er gute Werke tut."

Kritische Betrachtungen zu Augustins Begrifflidikeit

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Nun ist aber für die Zwischenstellung, die unsere Schrift in der ganzen Entwicklung der augustinischen Freiheitsproblematik einnimmt, kennzeichnend, daß noch im gleichen n. 10, in dem eingangs die Aufzählung der drei Stufen, mit der inspiratio fidei als zweiter, ausdrücklich wiederholt ist, weiterhin diese zweite plötzlich wieder fallengelassen und der „Ruf "allein als göttliche Motivation (d.h. nun: als göttlicher Anteil an der Motivation) des Glaubens festgehalten wird. Die diesbezügliche Betrachtung, die das Problem auf die Verbindung von Gerufenwerden und Wollen überhaupt zusammenzieht, gipfelt in dem Satz: „Durch Rufen gewährt Gott auch den Glauben." So daß gilt: „Niemand glaubt daher ungerufen, aber nicht jeder Gerufene glaubt." Und dann folgt der oben (S.67) gesondert behandelte wichtige Satz: „Anders nämlich gewährtGott, daß wir wollen,anders das,was wir wollten" usw. — so daß zumSdiluß die Aufeinanderfolge der Stufen so aussieht: »(1.) Wir können nicht wollen, ohne gerufen zu sein, und (2.) unser Wollen taugt nidots, ohne daß Gott uns zum Vollbringen (etwas später: zum Erlangen des Gewollten) hilft." Hier sind also die drei Stufen auf zwei reduziert — „durch Rufen gewährt Gott aud) den Glauben"·, auf das Rufen reduziert sich die „Gewährung des Glaubens" seitens Gottes und von einem gesonderten „Einflößen" des Glaubens ist nicht mehr die Rede; inspiriert ist jetzt nur die „Liebe" (caritas), die die guten Werke ermöglicht. So bleibt eine vocatio und in ihrer Nachfolge eine inspiratio — es braucht nicht näher erklärt zu werden, daß diese Zweiteilung die sinnvollere ist: dem Ruf zum Glauben Folge leistend betritt der Mensch die Erfahrungsdimension, in der ihm dann so etwas wie die „Liebe" als neue, nicht selbst erwirkte Macht des Lebens und Handelns (als das Wunder der Gnadenerfahrung) zuteil werden kann. Wenn aber nun die Stufe der „Berufung" die Leistung der fortgefallenen zweiten mitzuübernehmen hat, so muß sie im augustinischen Sinn eben wirkungskräftiger gefaßt werden, als sie es bei der Dreistufigkeit ist. Das geschieht dann n. 13 durch den Begriff der vocatio congruens. — Aber auch so noch ist die Zweiteilung sachentsprechender als die Dreiteilung mit ihrer Serie aufeinanderfolgender „Inspirationen". So bemerken wir in dieser Schrift jenes bedeutsame Sdiwanken, das wir für diese ganze (vorpelagianische) Stufe als charakteristisch feststellten. Daß später bei der ausgesprochenen Kampfstellung gegen die pelagianisdien Gnadenbegriffe der „Lehre" (die ja sowohl die „Lehre des Gesetzes" als auch die „Lehre des Glaubens" einbegreift), des „Beispiels Christi" usw. die „Berufungs"-Charaktere gegenüber den „Inspirations"-Charakteren immer mehr zurücktreten und jenes fruchtbare Schwanken immer mehr verschwindet, versteht sich ohne weiteres. Der Schwerpunkt verschiebt sidi, je später desto mehr, eindeutig so, daß schon die erste Verursachung des Glaubens, mit der der Gnadenprozeß einsetzt, in genau dem

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„Wille" und „Trieb"

gleichen Sinne ein „Geschenk Gottes" ist wie die folgenden GnadenEinfließungen, ganz wie wir es bezüglich des „guten Willens" überhaupt fanden. (Wir verweisen als Beispiel nur auf die S.50,3 zitierten Retraktationen zu den mehrfach herangezogenen Sätzen aus expos. Rom.) d) „Wille" und

„Trieb"

Es bleibt zum Schluß die Frage: Wie muß strukturell der Wille überhaupt gefaßt sein, daß die entscheidende Frage bezüglich seiner die der Veranlassung einer gegenständlich bestimmt ausgerichteten Zielstrebigkeit sein kann, durch deren vorgesetztes Was er schon im wesentlichen, und zwar eindeutig, qualifiziert ist (ungeachtet seiner weiteren Unterstützungsbedürftigkeit in der vollziehenden Realisierung dieses Vorgesetzten)? Eine erschöpfende Analyse des Willensbegriffes bei Augustin (die eine solche des Liebesbegriffes einschließen müßte) kann hier nicht gegeben werden. Es bleibe bei einigen Andeutungen. — Einen wertvollen Fingerzeig gibt der schon erwähnte Wechsel von „Ruf" und „Erscheinung" (visum) als Motivation des Wollens. In der Tat leistet nur die letztere, was sie im Zusammenhang der erstrebten Ausschaltung der freien menschlichen Entscheidung leisten soll, nämlich die eindeutige Determinierung einer bestimmt ausgerichteten Zielstrebigkeit — während das „Rufen", ursprünglich verstanden, immer gerade die selbständige Entscheidung aufruft und beansprucht. Das Korrelat einer Erscheinung oder Vorstellung aber ist „Trieb" oder „Verlangen" (appetitus), und die Wahlfreiheit kann gänzlich außer Spiel bleiben. Die Darbietung eines Erscheinenden erregt als „Gut" den Trieb — und dieser ist damit als das auf dieses Gut gerichtete und also durch dies sein Ziel bereits bestimmte Streben auf den Plan gebracht. Setzt man nun in struktureller Nivellierung die TriebStruktur f ü r den Willen ebenso wie für das Begehren, wie auch (unter Umständen) für die „Liebe" ein, so hat man ein Begriffssystem, wonach Vorsatz des Wollens gleichbedeutend mit einem der Rezeptivität Vorgesetzten ist. D a ß der Wille überhaupt auf ein begegnendes bonum notwendig reagiert, gründet in seiner ganz formalen Struktur als velle beatum esse: „Es gehört zu unserem Willen, daß wir glückselig sein wollen, da wir dies auf keine Weise nicht wollen können" (nat. grat. n. 54)l. Dabei wird die volle, verwirklichte beatitudo als „Besitz von etwas Ewigem in der Erkenntnis" gefaßt (div. quaest. qu. 35,2), der Trieb zur Glückseligkeit (appetitus beatitudinis) also ganz allgemein als ein H a b e η wollen — welches die Struktur von Trieb, als Verlangen nach etwas (appetitus = δρεξις), überhaupt ist. Dementsprechend wird der V g l . Ertchirid. de fide, spe et caritate, 25: der Trieb zur Glückseligkeit als zu unserer N a t u r gehörig. V g l . ebenfalls op. imperf. c. Jul. VI Ii: als formalste Struktur der Freiheit; ebenfalls ep. 104, 12 u . ö . 1

Kritische B e t r a c h t u n g e n zu A u g u s t i n s B e g r i f f l i d i k e i t

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Wille, der ja (nach Augustin) letztlich nichts anderes als ein solches Verlangen ist, definiert als „Bewegung des Gemüts dahin, etwas zu erlangen oder nicht zu verlieren" (de duab. animab. n. 14) — also eindeutig als ein Habenwollen. Ubereinstimmend damit ist die Bestimmung in de lib. arb. III n.3: „der Wille — wodurch ich zum Genuß von etwas hinbewegt werde"; und vorher schon lib. II n. 36 „glückselig ist, wer das höchste Gut genießt (fruitur)". — Danach ist es nicht überraschend, wenn wir die ontologisch gleiche Bestimmung als Haben- und Genießenwollen auch für die Liebe (Caritas) finden und wiederum eben die gleiche für die Begierde (cupiditas): alles dies ist seiner formalsten Struktur nach „motus animi ad fruendum aliquid" — nur, daß die Liebe inhaltlich näher bestimmt wird als „Bewegung zum Genüsse Gottes hin" (wobei Gott = höchstes Gut = Ewiges), die Begierde dagegen als „Bewegung zum Genuß seiner selbst, des Nächsten und jedweden Körpers hin" (= „zeitlicher Dinge", doctr. christ. III n. 16)*. So kann auch einander gegenübergestellt werden „böse Begierde" und „gute Begierde" (concupiscentia in beiden Fällen: spir. lit. п. 6), da für Augustin die Struktur die gleiche ist. — Danach verstehen wir Aussagen wie die: „die Liebe (caritas), mit der man [den Gegenstand] zu sehen und auszukosten verlangt" (nachdem vorher dies „Sehen" für die Glückseligkeit erklärt worden war, Solil. I, 13) — das ganze Phänomen ist wesentlich auf ein Sehen orientiert, nicht auf ein Hören. Es ist im Grunde der alte platonische Eros, der hier immer gemeint ist, nicht die christliche Agape, die in einem (hier nur andeutbaren) Vollzugszusammenhang mit Hören — Gehorchen — Glauben steht. Dies wieder hängt zusammen mit Augustins ontologischem Grundsatz von Gott als höchstem Gut (summum bonum) und damit einer „Sache, die zu genießen ist" (res qua fruendum est: doctr. (hrist. I). Diese Zusammenhänge können nur in Stichworten angedeutet werden. — Wir verstehen aber jetzt, was es heißt, wenn für den Ruf, der genuin nur gehört werden kann und ein Seinwollen des Menschen aufruft, die „Vorstellung" eintritt, die durchs Sehen sein Habenwollen anreizt. Unter diesem neuen Gesichtspunkt zitieren wir nochmals die Stelle ad Simpl. I qu. 2, n. 22: „Es bleibt also übrig, daß es der Wille der Einzelnen ist, der erwählt wird. Doch der Wille selbst kann auf keine Weise in Bewegung gesetzt werden, wenn ihm nicht etwas begegnet, was das Gemüt ergötzt und anreizt: daß aber solches begegne, steht nicht in des Menschen Macht." — Also die Weise der göttlichen Erwählung des Willens ist das ihm Begegnenlassen eines „Gutes", und zwar natürlich des höchsten Guts, und in der Weise,

г Vgl. schon die gleiche Gegenüberstellung in div. quaest. qu. 36,1: „,Liebe' (caritas) nenne ich, womit das Ewige geliebt wird ... ,Begierde' aber ist die Liebe (amor) гиг Erlangung und Behauptung von Zeitlichem." Und ganz allgemein in qu. 35,2: amor appetitus quid am est.

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„ W i l l e " und „ T r i e b "

daß es ihn hinreichend affiziert, um sein Verlangen zu erregen und zu sich hinzuziehen; und letztlich ist der Wille dieses Verlangen selbst. Es ist das alte Schema Augustins, das wir schon in div. quaest., qu. 40 finden: „Aus verschiedenen Vorstellungsobjekten (visis) entsteht verschiedenes Verlangen der Seelen." Jetzt verstehen wir audi, warum der Schwerpunkt auf die erste Veranlassung des Willens zum Guten versdioben werden konnte: weil er als appetitus, also als ein Habenwollen, durch seine Richtung aufs Objekt eindeutig bestimmt ist; der appetitus, das Streben, hat in sich keine Bewegtheit mehr. Das so motivierte „Wollen" kann zwar noch nicht aus sich das „Gute" erlangen und bedarf hierzu der Hilfe, aber es ist dodi als Trieb dazu schon eindeutig determiniert und in seiner Qualität bestimmt; d.h. seine innere Qualifizierung ist kein (von ihm selbst zu erleidendes) Problem mehr — und hat auch im Grunde nichts mehr mit der Frage seiner Suffizienz zu tun, die jetzt einfach eine hinsichtlich der ZielErreichung ist. Bestimmen wir aber den Willen gegenüber jedem möglichen Habenwollen als ein Seinwollen, als das Seinwollen des menschlichen Daseins, so eröffnet sich uns erst der Blick auf die eigentliche Insuffizienzproblematik, dieselbe, von der Paulus redet und die auch Augustin gemeint hat (wie etwa aus der ursprünglichen Fassung der Probleme im 10. Buch der B e k e n n t n i s s e ersichtlich, wo er aus eigensten Erfahrungen redet), aber begrifflich sich verbaute. In diesem Seinwollen geht es dem „Willen", der letztlich nichts anderes als die Selbstbesorgung des menschlichen Seins überhaupt ist, um sein eigenes Sein, und er ist somit kein isolierbarer Einzelakt, sondern ein Grundmodus des Daseins überhaupt. Dies Seinwollen aber hat als solches in sich eine ganz einzigartige Reflexivität, ein Verhältnis zu sich selber, in dem sich allererst sein „Wie", d.h. aber dies wollend besorgte Sein selber, konstituiert — und dies Verhältnis ist kein fixierbar selbstidentisches, sondern in sich und für sich selber, in der dauernd aktuellen Reflexion, eine konkrete Bewegtheit, die bei identisch festgehaltener Objektrichtung einer fortwährend sich neu schöpfenden Mannigfaltigkeit im Wie der Selbstbeziehung ausgesetzt ist — und konstitutiv einer ständigen Bedrohung ihrer Ursprünglichkeit von der eigenen (ζ. B. sidi in der Weise der „superbia" versteifenden) Abfallstendenz her. Dieses Seinwollen baut sich über jedem möglichen ihm faktisch vorgegebenen Habenwollen als ein Neues der Reflexion erst auf — welche Reflexion wiederum ihre eigentliche Schärfe in jedem, also auch im abgründigen Sinne gerade aus der ausdrücklichen Übernahme eines Sein-Sol lens empfängt; und solches sich selbst überlassene, in unendlicher Reflexion ganz sich selbst zeugende Wollen ist vielleicht dieses Seins, das es besorgen will und dabei zugleich selber immer schon ist, im letzten nie mächtig. —

U n d auf das letzte Struktur Verhältnis

von

Kritische B e t r a c h t u n g e n zu A u g u s t i n s B e g r i f f l i d i k e i t

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Habenwollen und Seinwollen hin gesehen ist das Seinwollen des echten Willens gerade immer abfallend in ein Habenwollen (das „Hören" in ein „Sehen", die „Zukünftigkeit" in „Gegenwärtigkeit") — im Falle der „superbia" eben in das objektivierende Sich-selbst-Habenwollen. Dies nur zur Andeutung des wahren Zusammenhanges und als Stellung der eigentlichen Aufgabe: Das Freiheitsproblem, wozu das Problem einer möglichen Insuffizienz als Teil gehört, kann nur von einer wirklichen Analyse des Willens in seiner immanenten Reflexionsbewegtheit und in klarer Abhebung vom appetitus — Trieb — her aufgerollt werden.

ANHANG I

Über die hermeneutische Struktur des Dogmas Die pelagianische Kontroverse spielte sich, wie bemerkt, wesentlich als ein Kampf um Dogmen ab, und zwar hauptsächlich um das Dogma von der Erbsünde und das von der Prädestination. Die formale Tatsache als solche nun: das Vertretensein der zum Austrag stehenden Existenzialphänomene durch theoretische Gebilde von dem Typus, wie ihn satzmäßige metaphysische Dogmen darstellen, ist von einschneidender Bedeutung f ü r das Schicksal des so verhandelten Freiheitsproblems und muß es entsprechend audi f ü r unsere nachgehende Interpretation sein. Versichern wir uns also zunächst der Tatsache rein als formaler. Was bedeutet dogmatische Fassung der religiösen Erfahrungssphäre, die ja wesentlich Phänomene der Existenz umschließt oder solche, die in einer existenziellen (im Glauben realisierten) Korrelation zu ihr stehen? (Im letzteren Fall ist der Begriff „Phänomen" nur einer wohlverstanden modifizierten Anwendung fähig, die der Eigenart des nur glaubenden Bezugs Rechnung zu tragen hat.) Man bemerke, daß schon in der Fragestellung eine Voraussetzung eingeschlossen liegt: die nämlich, daß in der T a t selbst den entlegendsten und metaphysischsten dogmatischen Hypostasierungen irgendein konkreter ursprünglicher Erfahrungsboden „zugrunde liegt", in welchem die Grunderlebnisse und Grundmotive allererst sich vollziehen, die zu jenen dogmatischen Hypostasierungen hintreiben; daß diese also in der Tat Hypostasierungen, wenn audi noch so transzendente, v o n etwas, nämlich von ursprünglich innerexistenziell Ausweisbarem sind. Die A r t dieses „Zugrundeliegens" ist ein philosophisches Problem f ü r sich; keinesfalls handelt es sich um ein zeitliches Vorgehen, so daß sich eine Phase absondern ließe, in der die Phänomene erst einmal unmittelbar und f ü r sich realisiert seien, um dann die Dogmatisierung an sich zu erfahren (eher bringt die Geschichte der theoretischen Selbsterfassung sogar die umgekehrte Reihenfolge hervor — und dies zufolge einer wesentlichen existenzial-ontologischen Struktur!). Was also, so lautete unsere Frage, besagt formal die Tatsache der Dogmatisierung? Dogmen sind ihrer äußeren Form nadi Sätze von der rationalen Struktur des apophantischen („theoretischen") Subjekt-Prädikat-Satzes, und stellen als solche ihren Aussagegehalt in den Bereich der in durchgängigem logisdien Zusammenhang stehenden Gegenständlichkeiten hinein. Es sind undialektische Objekt-Sätze. Die „Objekte" aber, an-

A n h a n g I. Z u r H e r m e n e u t i k des D o g m a s

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schauliche Größen und Geschehnisse, eingeordnet in einen einheitlich gegenständlichen Realitätshorizont, haben vertretenden Symbolcharakter für die ursprünglichen innerexistenziellen Phänomene, die so durch sie in der Weise Ding-analoger Tatsachen und Vorgänge verbildlicht werden. Damit sind sie aber der Möglichkeit nach auch schon, für eine darüber kommende Theorie, einer bestimmten Rationalitäts-Struktur, nämlich der der Weltbegrifflichkeit, überantwortet. Das formulierte Dogma stellt bereits diese rationale Stufe dar. Der Grundakt also, der die Dogmatisierung möglich macht und trägt, ist eine V e r g e g e n s t ä n d l i c h u n g der in die Sprache drängenden Daseinsphänomene, eine fundamentale Selbstobjektivation des von sich bedrängten, sich auslegen wollenden Daseins; dies die formalste Charakteristik des Vorganges der Dogmenbildung. In jeder Frühzeit einer Daseinsauslegung drängt diese Objektivation zu einer Transzendentalisierung ins „Metaphysische" oder Mythologische, d.h. in eine daseinstranszendente Symbolsphäre, die dann über jede innerexistenziell vollziehbare Aufweisbarkeit, der sie doch ursprünglich entstammt, hinausgreift. Aber nicht diese metaphysische „Uberschwenglidikeit" als solche („Dogmatismus" im Kantischen Sinne), die die später einsetzende und restringierende „Kritik" vor allem sieht, die aber der Stufe des Glaubens angemessen ist, ist für den Erkenntniszusammenhang das Entscheidende. Für diesen, im Sinne der Selbstexplikation jenes Daseins, das nicht dichten, sondern im Sich-Darstellen sein eigenstes Sein erkennen wollte (wie auch für unser nachträgliches hermeneutisches Interesse), ist das Entscheidende an dieser Transzendentalisierung und Symbolbildung, daß sie einschließt und voraussetzt eine fundamentale ontologische T r a n s f o r m a t i o n der Phänomene, eine bis in die untersten Strukturen hinabreichende „Übersetzung" in ein anderes Sein: nämlich ihre Hypostasierung von nur existenzialen Vollziehbarkeiten zu quasi dinglichen Anschaulichkeiten — analog dem Weltseienden —, wodurch sie erst als gehaltlich eindeutige in eine imaginative Außendimension einbeziehbar wurden. Dies ist das ontologisch Spezifische und Entscheidende gerade dieses Typus von Selbstobjektivation. Denn diese vorgängige ontologische Transformation bestimmte vorgreifend die Art und Weise, wie die so konstituierten Anschauungsgebilde in den Begriff eingehen konnten: zu festen AussageSubstraten geworden, standen sie, wie alle anschaulichen, eindeutig benennbaren Objekte, notwendig dem Zugriff des rational fixierenden, undialektischen Gegenstands-Begriffes offen. Zur Objektivierung und transzendenten Hypostasierung tritt so in der Folge zwangsläufig die Rationalisierung, d.h. die Abstraktion von diesem „Anschauungs"-Felde in eine Freibeweglichkeit des Begriffes, durch die das, was ursprünglich existenziales Vollzugssein, nun aber objektiv „bestehendes" An-sidi-Sein ist, befähigt wird, in umfassenden theoretischen Konstruktionen zu 6 4265 Jonas, Augustin

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Anhang I. Zur Hermeneutik des Dogmas

fungieren und sich dem Postulat einer abstrakten Einheit der Theorie (gemäß der Logik der Einstimmigkeit und Konsequenz) zu unterstellen. In diesem Medium durchgängiger rationaler Beziehbarkeit erzeugen die Begriffe dann ihre besonderen logischen Probleme der Verträglichkeit und des Widerspruches, die in dieser undialektischen Gegenstandhaftigkeit notwendig unlösbar sind. Diese Unlösbarkeit aber ist nur die Kehrseite des gerade errungenen „Vorzuges", daß besagte Daseinsphänomene in dieser ihrer symbolischen Vertretung und rationalen Fixiertheit frei verfügbar geworden sind für die theoretische Auseinandersetzung, diskutierbar unabhängig von der Vollziehung der Ursprungsphänomene in der faktischen Existenz. All dies entspringt einer unausweichlichen Fundamentalstruktur des Geistes als solchen: Daß er sich in gegenständlichen Formeln und Symbolen auslegt, daß er „symbolistisch" ist, ist Wesentlichstes des Geistes — und Gefährlichstes zugleich. Um zu sich selbst zu kommen, nimmt er wesensmäßig diesen Umweg über das Symbol, in dessen verlockender Problemwirrnis er sich, ferne vom symbolisch darin verwahrten Ursprung und das Stellvertretende absolut nehmend, zu verlieren neigt — und nur in einer langen Rückbildung, nach erschöpfender Durchmessung jenes Umweges, vermag ein entmythologisiertes Bewußtsein sich den in dieser Verkleidung versteckten Ursprungsphänomenen auch begrifflich direkt zu nähern (vgl. den langen Weg des Erbsündendogmas bis auf Kierkegaard!). — In dieser notwendigen, nicht zufälligen und nicht vermeidbaren Daseinsbewegtheit der Selbstobjektivierung, die die ganze Selbsterfassung und -auslegung des Daseins bis in sein „unmittelbarstes" Selbstbewußtsein hinein durchherrscht, ist das primäre existenzial-ontologisdie Motiv zur Dogmenbildung zu suchen. Im letzten Grunde sind die Dogmen also: Selbstobjektivationen. — Im besonderen Fall und betrachtet oberhalb jener ontologisch allgemeinsten „Bedingung der Möglichkeit" dienen sie der Befriedigung bestimmter theoretischer Interessen — im spezifischen Sinn von „Theorie" —, etwa als Erklärungs- und HarmonisierungsKonstruktionen, durch beziehende, die Einheit wahrende Einordnung des problematischen Daseinsfaktums in das bereits konstruierte gegenständliche System der Seinsmetaphysik dieses Daseins. In dieser konstruktiven Rolle im Dienste eines rationalen Ganzen ist das Dogma vielfach bereits die Antwort auf quälende rationale Antinomien, die ihrerseits selbst schon aus dem konstruktiven Grundentwurf dieser Metapysik und vermöge ihres welthaften Gegenstandscharakters erzeugt sind (vgl. z.B. das weiter unten zum Erbsündendogma Bemerkte). Es ist das Schicksal der abendländischen Freiheitsfrage gewesen, daß ihre existenzialen Elemente von vornherein in dieser ontologisdien Umwandlung der theoretischen Explikation und Auseinandersetzung ausgeliefert waren und diese so zu einem hoffnungslosen und unfruchtbaren

A n h a n g I. Zur Hermeneutik des D o g m a s

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Unternehmen machten. Das äußere Kennzeichen für diesen Tatbestand, für die Inadäquatheit der beanspruchten Auslegungs-Struktur ist die beherrschende Rolle, die die fatale und unlösbare Kompatibilitätsfrage im Freiheitsproblem von jeher spielte: „Wie verträgt sich . . e t w a : menschliche Freiheit mit der göttlichen Allmacht und Präszienz? wie die Prädestination mit der menschlichen Verantwortung? wie diese mit seiner Unfreiheit, mit seiner Insuffizienz, der corruptio naturae humanaef wie diese mit der Schöpferrolle Gottes einerseits, seiner Gerechtigkeit andererseits? usw. — letzten Endes: wie vertragen sich Freiheit und Unfreiheit des Menschen als gleich-fundamentale Tatbestände miteinander? 1 Unlösbare Probleme, denn jede Einzelsetzung war vom zugrunde gelegten Boden der christlichen Weltanschauung aus gleich unentbehrlich. Und dies nun ist hermeneutisch wichtig: Die Diskussion des Freiheitsproblems in der Form der B Verträglichkeits"-Frage, überhaupt schon das Auftauchen dieses Verträglichkeitsgesichtspunktes ist jeweils ein untrügliches Kennzeichen für die Nichtursprünglichkeit der Phänomenerfassung. Denn schon die logische Struktur dieser alternativen Fragestellung (gleichviel ob das Ergebnis nun eine Ausschließung oder eine geschickte Versöhnung ist) setzt eine bestimmte ontologisdie Fassung der intendierten Sache voraus, die ihrem Existenzialcharakter wesensmäßig unangemessen ist. In der Existenzialsphäre bedeutet „Widerspruch" etwas wesentlich anderes als in der rationalen Dingsphäre. Während hier nach dem principium contradictionis nur das eine o d e r das andere sein kann — auf die entsprechenden Sätze bezogen: der eine wahr und der andere falsch sein muß — ist das Dasein der lebendig einheitliche V o l l z u g des Unvereinbaren; es ist in diesem Vollzug seiner selbst jeweils die eine u n d andere Antithese als eigenste und tragisch nicht voneinander zu lösende, strukturbedingte Bewegtheit seines Seins — diese Bewegtheit eben ist sein Existieren: nur weil und insofern es wesenhaft frei ist, kann es unfrei sein; und nur sofern es seine wesenhafte Unfreiheit existierend ist (durchvollzieht), ist es frei. In die Ebene apophantischer Aussage tretend, zum Zwecke begrifflicher Fixierung, können Phänomene dieser Struktur nur „dialektisch" besprochen werden — dialektisch, d. h.: in einer spezifisch beweglichen Rückgängigmachung der apophantisch-gegenständlichen Fixierung. In der geschilderten Vergegenständlichung des Dogmas aber muß sich dies konkret bewegte Sowohl-Als-auch, ontologisch losgelöst aus der Strukturform der existenzialen Zeitlichkeitsbewegung, „was"-haft fixiert als an sich Bestehendes und voneinander vereinzelt, in jenem fiktiven Gegenstandsbereich der Dogmen aneinander stoßen und zum logischen Entweder-Oder werden: darum ist die Verträglichkeitsfrage schon ihrer logischen Frage1 Vgl. analog die Kompatibilitätsfrage im neueren Freiheitsproblem: Wie ist Freiheit mit der durchgängigen Naturkausalität vereinbar?



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struktur nach ein Hinweis auf die ontologische Nichtursprünglichkeit. — Jenes Paradoxon des vollzugsmäßig seienden, existentialen Sowohl-Alsauch wirklich strukturell zu analysieren, wäre gleichbedeutend mit der ontologisch angemessenen Aufrollung und Auslegung des Freiheitsproblems. Hier, wo wir nur das hermeneutische Problem des Dogmas (und zwar in methodologischer Absicht) behandeln, stellen wir nach dieser Seite hin fest: Wie einerseits die gegenständlich-rationale Struktur des Dogmas überhaupt und speziell die logische Struktur der Verträglidikeitsfrage eine ontologische Verfehlung der Sache schon im Ansatz anzeigt, so ist andererseits doch zugleich die wesentliche Unlösbarkeit der so beschworenen Antinomien ein Hinweis auf eine echte Dialektik in der ursprungsmäßig zugrunde liegenden existenzialen Primärschicht, die nur in der rationalen Antinomie und ihrer Begrifflichkeit zu unangemessener Darstellung gelangt ist. Dies kann f ü r eine positive Bearbeitung des Freiheitsproblems eine wertvolle methodische Direktion sein, die darauf verweist, von jenen uns so mythologisch fernstehenden Zeugnissen der altkirchlichen Dogmatik einen destruierenden Rückgang in wirklich phänomenologische Dimensionen zu vollziehen. Das, worauf dieser Rückgang stößt, was die Destruktion als existenziell Zugrundeliegendes ergibt, braucht dabei nicht als individuell-biographisches Faktum etwa Augustins oder irgendeines anderen Schriftstellers genommen zu werden: Sehr wohl kann in der symbolistischen und rationalen Entbundenheit, die das Dogma bereitstellt, die bloße symbol-begriffliche Formel, und zwar in der Ebene strengster theoretischer Stringenz, diskutiert werden, ohne daß die Ursprungsphänomene noch existenziell vollzogen, ja von dem betreffenden Schriftsteller persönlich und selbst auch von seiner ganzen Generation wirklich erlebt worden sind. Dann bezieht sich die Aufgabe des hermeneutischen Rückgangs eben auf den eigentlichen Autor, nämlich das geschichtliche Gesamtdasein, das, über Individuen und Generationen hinausgreifend, diese Auslegung seiner selbst, seines Eigentlichsten erzeugt hat, und sich in ihr f ü r eine ganze Epoche menschlicher Geschichte, als vielleicht häufig nur latente oder konventionell verfestigte, aber immer aktualisierbare Weise des ihr faktisch überhaupt nur verfügbaren Seinkönnens verwahrt hat. N u r auf dieses „geistesgeschichtliche Subjekt" als solches hat es die philosophische Hermeneutik abgesehen. Wir umreißen nun kurz die beiden im pelagianischen Streit und in der ganzen augustinischen Fassung des Freiheitsproblems hauptsächlich in Frage stehenden Dogmen und machen dabei von den obigen Erörterungen Gebrauch. 1. Die Lehre von der Erbsünde, peccatum originale: Adam, von Gott gut und mit freiem Willen geschaffen, mißbraucht diese seine Freiheit zur Sünde, der ersten und Ursünde, durch die er nicht nur sich selbst un-

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wiederbringlich um den ursprünglichen Zustand der Reinheit und Unschuld bringt, sondern zugleich die „ N a t u r " seiner ganzen Nachkommenschaft gleichsam im Samen verdirbt; so daß sie, die so verderbte (natura поп sana, corrupta) in alle Zukunft die zur ursprünglichen Ausstattung des Menschen gehörende Fähigkeit einbüßte, aus eigener Kraft gut zu sein und seine „Gerechtigkeit" selbst zu erwirken — d. h. aber: Gottes Gebote zu erfüllen, die unter der berechtigten Voraussetzung seiner gottverliehenen Freiheit und Verantwortlichkeit an den Menschen ergehen. Eben diese Freiheit ist schuldhaft eingebüßt, durch Sünde, obzwar fortbestehend im Sündigen selber Freiheit betätigt wird: Freiheit des Bösen. Daher die verzweifelte Lage des Menschen vor Gott; daher die N o t w e n digkeit der Gnade. Man sieht: dieses ganze merkwürdige, mythologische Gedankengebilde ist zentral formiert um ein ursprüngliches Grundphänomen, das unabhängig von solchen konstruktiven Zusammenhängen ungeheure Bedeutung f ü r den ganzen Bereich faktischer christlicher Lebenserfahrung und Daseinsauslegung hat: das Phänomen der menschlichen Insuffizienz vor Gott. Schon formal zeigt die fundamentale Rolle, die es in der Grundlegung des christlichen Seins spielt, die Macht, mit der es seit Paulus immer wieder im christlichen Erleben und Selbstverstehen hervorbrach, daß es sich bei ihm um ein echtes Phänomen handeln muß, jenseits aller metaphysischen Spekulation in irgendeiner Schicht der Innerlichkeit ursprünglich als Tatbestand der Existenz erfahrbar. Das Dogma von der Erbsünde hat es zweifellos mit diesem vor- und außerdogmatisch erfahrbaren Tatbestand zu tun. Ebenso offenbar aber ist, d a ß es von diesem innerlich zu Vollziehenden eine vergegenständlichte mythische Geschichte erzählt, es transponiert in die Sphäre von welthaft innerzeitigem Geschehen; daß es also von ihm nur ein metaphysisches Symbol gibt — in einer ontologischen Umwandlung, die das Ursprüngliche theoretisch vertritt, die aber, in ihrer rationalen Struktur beim W o r t genommen, sich eigenständig f ü r jenes substituiert und ihre eigenen Fragen, Probleme, Explikationen bedingt. — Uber diesen allgemeinen ontologischen Objektivationscharakter hinaus ist das Erbsündendogma wesentlich dem Bereich der Theodizee zugehörig, als konstruktiv im Dienste eines theoretischen Gesamtsystems stehend, und zwar als A n t w o r t auf bestimmte, mit diesem gegebene Kompatibilitäts-Fragen: Der richtende Gott, der doch zugleich auch der Schöpfer ist, kann nur dann gerecht sein, wenn er den Willen ursprünglich gut geschaffen hat, in Adam, der dann erst kraft seiner Freiheit durch seinen Fall die Verderbnis aller Folgenden verschuldet hat. Durch diesen Ausweg werden verschiedene rationale Schwierigkeiten und Widersprüche der christlichen Metaphysik gleichzeitig ausgesöhnt: die Verderbnis der menschlichen N a t u r mit Gottes Schöpfertum, also mit der göttlichen Güte (Theodizee!); des Menschen Unfreiheit zum Guten mit seiner Verpflichtung zum Guten, d. h. mit

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Gottes Forderung an ihn zum Guten (in den Geboten, die eben die ursprüngliche, von Gott ja gegebene und nur schuldhaft verlorene Freiheit füglich voraussetzen dürfen und sich an sie adressieren); also die wesentliche Insuffizienz des Menschen mit seiner Verantwortlichkeit, mit seiner „juridischen" Haftbarkeit — und somit auch: mit Gottes Richtertum, also mit der göttlidien Gerechtigkeit (wiederum Theodizee); schließlich: die Gnade mit der menschlichen Selbstbestimmung: jene hebt diese nur darum nicht auf, weil die gegenwärtige Natur des Menschen als korrupte durch die Gnade ja gerade wieder befreit wird — restitutio in integrum. Man sieht, das Dogma leistet in dem konstruktiven Zusammenhang, in den es hineingestellt ist, außerordentlich viel und Vielseitiges. Genau betrachtet allerdings und den einmal betretenen rationalen Boden ernst genommen — nichts! Denn den entscheidend benötigten Ideen der Freiheit, freien Verschuldung und Verantwortung wird ja hierbei nur in der Person Adams Genüge getan — und nur durch eine mystische Identifizierung der übrigen Menschen mit Adam werden sie auch auf diese übertragen („in ihm haben alle gesündigt"). Dabei werden jene Ideen aber für diese „übrigen Menschen", um die die Frage doch geht, nur insoweit in Anspruch genommen, als es sich um ihre Haftbarkeit und Straffälligkeit für ihre Sünden, deren persönliche Zurechenbarkeit, um ihr fortdauerndes Unterstelltsein unter die unerfüllbare Forderung und um Gottes Recht zur Verurteilung handelt — dort partizipieren sie an der Situation Adams; wo es sich dagegen aus der gleichen Logik um fortdauernde Freiheit, um die Möglichkeit zu ursprünglichem Entschluß und Tat, um jeweils ursprüngliche Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen handeln könnte, da hört diese Partizipation an Adam auf und seine Schöpfungsausstattung ist längst verlorene und unwiederbringliche, bzw. nur durch den Erlöser und die Gnade wiederbringliche Eigenschaft der Urzeit. Adam ist also nicht einfach symbolischer Repräsentant der Menschheit, sondern tritt ihr nach Bedarf auch als gänzlicher Sonderfall gegenüber, so daß jene angedeutete, die Antinomie beschwichtigende Verteilung der sich widerstreitenden Charaktere auf zwei Träger möglich ist — und damit ist das Problem umgangen. Sondert man also diesen bei aller rationalen Struktur und argumentativen Brauchbarkeit so undurchsichtigen Komplex, so sieht man, was zu erwarten war: daß die Antinomie natürlich nicht gelöst oder ausgesöhnt ist, sondern in ihrer ganzen rationalen Unerträglichkeit fortbesteht. Und das ist gut so, denn es entspricht der realen Paradoxie der Sache mehr als die scheinbare Einstimmigkeit: Zwar gibt die rationale Antinomie jene Real-Dialektik nicht adäquat wieder, aber sie zeigt sie eben durch ihre rationale Unlösbarkeit doch an. Denn wenn „Freiheit" und „Unfreiheit", liberum und servum arbitrium in Wirklichkeit nicht zwei „bestehende", „vorhandene" kontradiktorische Eigenschaften sein sollten, die einem „subjectum", es ge-

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haltlich so oder so bestimmend und an ihm objektiv konstatierbar, „zukommen" können, und zwar nur entweder die eine oder die andere — sondern wenn Freiheit und Unfreiheit des Willens vielleicht nur zwei verschiedene, in realer Vollzugs-Dialektik geeinte Seiten ein und desselben inneren, existenziellen Erfahrungsbestandes sind — innerlich vollzughaft geeint in ihrer Widersprüchlidikeit, weil notwendig miteinander realisiert, eines nur unter Voraussetzung des andern wirklich werdend — dann kann solche Existenzialdialektik sich in der (unangemessenen) rationalen Sphäre nur als strenge Antinomie darstellen: das Antinomische ist ihr bildhafter Ausdruck, ihre andeutende Widerspiegelung. Natürlich ist bei einer logischen Pressung des Dogmengehaltes, wie wir sie soeben uns erlaubt haben, unbedingt die Gefahr seiner gänzlichen Trivialisierung zu vermeiden. In der Tat haben wir ihm jenes rationale Fiasko nur durch Überspitzung seines Rationalitätscharakters abgezwungen. Für eine umfassende Würdigung des Dogmas ist zu beachten, daß dem Gedanken der Erbsünde nicht von vornherein jene konstruktive Erklärungs- und Harmonisierungsfunktion zugemutet, diese vielmehr in seiner Konzeption sicherlich noch gar nicht vorgesehen war. Darum unterschieden wir auch die beiden Stufen: die der symbolischen Objektivierung überhaupt und die der konstruktiven oder „systematischen" Beziehung. In seiner primären Konzeption war der Erbsündengedanke nichts anderes als ein echtes, dem Glauben dargebotenes Symbol für die tief erlebte Infuffizienzerfahrung; ein Symbol, das sich zwar auch, und zwar wesentlich, in einer hypostasierten Gegenständlichkeit auslegte und in eine gegenständliche Gesamtsicht einordnete, aber in eine mythologische, d. h. gefühls- und phantasiemäßig aufgefaßte, noch nicht rational durchkonstruierte Sicht. Wohl aber erhielt es mit dieser einmal konstitutiv vollzogenen ontologischen Transformation des Ursprungsphänomens für alle Folgezeit die Fähigkeit und die Eignung, im gegebenen Fall in rationale Zusammenhänge einzugehen und die endgültige Rationalisierung im oben dargelegte Sinne über sich ergehen zu lassen: es war also für eine solche wesentlich disponibel. Dieser Fall aber mußte eintreten, sobald Punkte dieser Gesamtsicht strittig wurden und argumentativ vertreten werden mußten: hier forderte das polemische Interesse zu einer Formierung der (nun zur theoretischen Position gewordenen) Sicht auf, die auch vor einer rationalen Kritik standhielt. Eben an diesem Punkte befindet sich Augustin in der pelagianisdien Kontroverse. Es ist typisch für seine Situation, daß, wie die ganze Kontroverse selbst an der nebensächlichen Frage der Kindertaufe entbrannt ist, sie in ihrem Verlauf durchweg an die dogmatische Sphäre gebunden bleibt, und speziell aus der Erbsündenlehre in endlosen Beweisführungen gegenüber Julian die Notwendigkeit der entsündigenden Kindertaufe deduziert wird. Das Erbsündendogma ist also für Augustin gerade in seiner rationalen Funktion als Er-

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klärungs- und Beweismittel von ungeheurer Bedeutung (was sich schon räumlich bekundet: das ganze opus imperfectum ist damit angefüllt); und doch können wir, nur hermeneutisdi interssierte, es in dieser seiner argumentativen Rolle so gut wie gänzlich beiseite lassen — und uns nur von seinem formal anzeigenden Charakter auf das dahinterliegende Existenzphänomen verweisen lassen, dessen Explikation wir aber in anderen Partien und gerade nicht in diesen dogmatischen suchen müssen. Glücklicherweise sind solche andere im Werk Augustins vorhanden: seine „psychologischen" Erörterungen, insbesondere in seinen Paulus-Exegesen, die — ζ. T. auch polemisch konzipiert — ihre eigene, phänomenologisch analysierbare Akt-Begrifflichkeit haben. An diese halten wir uns in der Interpretation vornehmlich. Uber das andere die Freiheitsfrage bestimmende Dogma ist hiernach methodologisch kaum noch etwas zu sagen. 2. Das Prädestinations-Dogma: Der Mensch bewegt sich mit allem zeitlichen Tun und Wollen bereits immer in einer ewigen göttlichen Vorherbestimmung, Gnadenwahl oder Verwerfung, und seine jeweiliges Jetzt bewahrt immer nur dies längst und endgültig Entschiedene. Auch dies Dogma hat sicherlich in irgendeiner Vermittlung einen Tatbestand konkreter Daseinserfahrung zugrunde liegen. Jene Erfahrung vermutlich, in der wir durch die Vielfältigkeit, Vieldeutigkeit und Nichtigkeit alles zeitlichen Vorsatzes und Handelns hindurch die „ewige" und „von Ewigkeit her" vorgreifende Bestimmung erahnen, die über alles Wissen und Sich-vergewissern-Können hinweg bereits über den Sinn unseres zeitlichen Daseins entschieden hat; so aber, daß wir wesensmäßig nie über den Inhalt dieser Entscheidung verfügen können, sondern uns nur der tiefen Bedingtheit und vorzeitlichen Entscheidung als solcher bewußt werden, die wir aber im Grunde selber sind und existierend durch unsere Zeit hindurch zu vollziehen haben. Aber als Doktrin losgelöst von dieser konkret vollziehenden Erfahrungsgrundlage meiner jeweiligen Existenz tritt sie dieser abstrakt, als objektiv und für sich „bestehendes", gleichsam dingliches Faktum gegenüber — der immanenten Selbsterfahrung als transzendente Tatsache, eingeordnet in die Gesamtheit überweltlicher Tatsächlichkeiten, die die Welt und mich in ihr „kausal" bestimmen; ein vorhandenes Faktum, zu dem ich selber kein ursprüngliches realisierendes Vollzugsverhältnis, an dem ich keinen selbstvollziehenden Anteil habe; von dem aus gesehen ζ. B. der Glaubensakt, in dem eine „Begnadung" erfahren wird, zu einem nur zufälligen und der Erwählung selber äußerlichen signum electionis, Anzeichen einer an sich und unbezüglich bestehenden, objektiven Qualifizierung entwertet wird. — Dies Dogma von der Prädestination ist bedeutend weniger als das von der Erbsünde durch ihm zugemutete systematische Funktionen belastet (ja, es hat im „System" der christlichen Seinsauslegung immer nur Schwierigkeiten ver-

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ursacht) und repräsentiert daher in reinerer Form den primären Typus der bloßen Symbol-Objektivation. Gleichwohl bleibt es mit jenem gemeinsam im Bereich ontologischer Abkünftigkeit, die im Strukturellen für beide die gleiche Phänomen-Ferne bedingt. Daß aber beide Dogmen der existenzialen Tendenz nach in der Tat eine metaphysische Selbstauslegung des Daseins sein sollten, wird darin deutlich, daß sie sich in der Zeitlichkeitserfassung des Daseins in eigentümlicher Weise zur Totaliät ergänzen, das eine mit der Sünde (der „Verderbnis der menschlichen N a t u r ) in die ewige Vergangenheit, das andere mit der Bestimmung (praedestinatio) in die ewige Zukunft weisend. In diese beiden Horizonte hinein hat sich die glaubende Gegenwart ausgelegt. Wollen wir diese selbst in ihrem immanenten Vollzug hermeneutisch in den Griff bekommen, so müssen wir uns an die Explikation der unmittelbar praktischen religiösen Erlebnisproblematik halten, die in der christlichen Form jene dialektische Stufenfolge umschließt: sich unter Gottes fordernden Anspruch stellen, verbindliches Sollen („Gesetz"); antwortendes Wollen und Erfüllungsbemühen (das versuchte „Tun des Gesetzes") — und doch nicht-Können, wesentliches Versagen („Insuffizienz"); „Erkenntnis der Sünde" und „Verzweiflung"; Selbstverzicht des Willens im „Glauben"; diesem geschenkte „Liebe", die erst die „Freiheit" zur Erfüllung der Gebote mitteilt — aber eben nur als nicht selbst erwirkte und nicht zu festem Besitz verfügbare „Gnade" — und auf dem Grunde des immer aktuellen Vollzuges der wesentlichen eigenen Unfreiheit: also die ursprüngliche paulinische Erlebniswelt. Eben mit dieser in ihrer augustinischen Interpretation und begrifflich-argumentativen Vertretung im pelagianischen Streit hat es die dargebotene Analyse zu tun.

ANHANG

II

Des Pelagius Auslegung von Rom. 7 aus seinen „Expositiones XIII epistularum Pauli" Es handelt sich um das Kommentarwerk des Pelagius, das lange verloren geglaubt war, dann aber in einer angeblichen Schrift des Hieronymus und in zahlreichen irischen Handschriften wiederentdeckt und aus allen verfügbaren Quellen von Alexander Souter rekonstruiert worden ist 1 . Die Auslegung unserer Stelle findet sich in No. 2 auf S. 56—60; wir zitieren daraus die für unseren Zusammenhang wichtigen Partien. — Aus der Zeit vor dem Streite stammend, liefert dies Werk keine unmittelbaren Beiträge zur Kontroverse Augustin-Pelagius selbst, sowenig wie die augustinischen Schriften der früheren Epochen; aber es gibt, noch ohne das Hervortreten bestimmter polemischer Punkte, bereits ein klares Bild vom christlichen Gesamtdenken des Pelagius und für unsere Stelle noch dazu einen lehrreichen Beitrag zu den überhaupt vorhandenen Auslegungsmöglichkeiten — ganz abgesehen davon, daß wir gerade dort, wie nicht anders zu erwarten, schon spezifisch „pelagianische" Gedankenmotive wenigstens im Ansatz vertreten finden. Unter diesen Gesichtspunkten bieten wir die folgende Auswahl. (7) „,Aber die Sünde erkannte ich nicht, außer durchs Gesetz': hier spricht er im Namen desjenigen Menschen, der das Gesetz annimmt, d. h. der zuerst die Gebote Gottes erkennt, während er noch die Gewohnheit des Sündigens hat." Gleich hier begegnet uns der Begriff der „Gewohnheit" (consuetudo), der dann auch später in der ausgesprochen pelagianischen Argumentation eine Rolle spielt: vgl. das Zitat o. S. 53 aus Pro libero arbitrio des Pelagius, wo, ebenfalls in der Auslegung dieses Paulusabschnittes, der Begriff bereits polemisch zur Erklärung der quasi-Notwendigkeit des Sündigens benutzt ist; und vgl. ebenda die Kritik Augustins (in der Anmerkung). Bei der Gelegenheit sei darauf hingewiesen, daß früher auch für Augustin die Gewohnheit bei der Interpretation des Sündenzustandes der Menschen eine bedeutsame Rolle gespielt hatte; erst im Verlaufe des pelagianischen Streites und zumal im Zusammenhang mit der immer radikaleren Ausgestaltung des Erbsündendogmas (mit der Idee der corruptio naturae) 1 Texts and Studies, ed. by J . A. Robinson, Vol. I X , No. 1: Introduction, Cambridge 1922; No. 2 : Text, Cambridge 1926.

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trat begreiflicherweise dieser empirisch-psychologische Begriff immer mehr zurück. Für Pelagius erweist er sich bereits in seinem Kommentarwerk, in dem ausgiebigen Gebrauch, den er weiterhin bei der Auslegung des ganzen Abschnittes von ihm macht, als ein sehr bestimmt ausgebildetes Erklärungsprinzip. — „ ,Denn ich wüßte nichts von der Begierde, hätte das Gesetz nicht gesagt: Du sollst nicht begehren': er sagt nicht ,ich hatte nicht' oder ,ich tat nicht', sondern ,ich wußte nicht', d.h. ich wußte nicht, daß die Begierde Sünde sei." Das stimmt fast wörtlich mit der augustinischen Interpretation in ad Simpl. überein: hier haben wir sicher einen festen exegetischen Topos vor uns. (8) я ,Die Sünde nahm das Gebot zum Anlaß'г: ... er sagt also, daß der Anlaß des Gebotes, indem es ihm die Entschuldigung des Unwissens wegnahm, ihn schlimmer als vorher sündigen machte . . . (9) ,Ιώ aber lebte einst ohne Gesetz': als vermeintlich gerechter und freier glaubte ich mich lebendig .. . (denn) das natürliche Gesetz, das vorher wortlos wissen ließ, was Sünde sei, war fast in Vergessenheit geraten. Deshalb wurde das geschriebene Gesetz hinzugebracht, damit es das Vergessene in Erinnerung bringe. ,Da aber das Gebot kam': am Ende der Vergessenheit, mit der Ankunft des Gebotes wurde die Sünde wie der erkannt, damit jeder, der sie täte, steh als tot erkenne; ,lebte die Sünde auf: da sie gelebt hatte im natürlichen Wissen und tot gewesen war im Vergessen, darum heißt es, sie sei wieder lebendig geworden durchs Gesetz. (10) ,Ιώ aber starb': da ich nunmehr wissend das Gebot verletzte . . . (13) ,So wäre denn, was gut ist, mir zum Tode? Das sei ferne': nicht das Gesetz ersteht mir als Ursache des Todes, sondern ich selbst, der ich durch mein Sündigen den Tod finde; &ber die Sünde, auf daß sie als Sünde zum Vorschein komme, hat mir durch das Gute den Tod gewirkt': durch das gute Gesetz wird die Sünde offenbart und von ihm bestraft; jiuf daß die Sünde im Übermaß sündig werde durchs Gebot': vor demGesetz hatte sie Maß durch die Unwissenheit — übermäßig wird sie, wenn sie wissend zugelassen wird . .. (14) ,Ιώ aber bin βε 'ηώΐΐώ': ϊώ, nämliώ wer immer das Gesetz annimmt und ΑεΪ5ώΙίώ zu leben gewohnt ist;,verkauft unter die Sünde; (15) denn was ϊώ wirke, weiß ίώ ηίώt: denn ηίώί was ϊώ will, das tue ϊώ, sondern was ϊώ hasse, das handle ϊώ': verkauft, d.h. gleiώsam der Sünde ausgesetzt, so daß ϊώ, wenn ϊώ ihren Rat annehme, zu ihrem Sklaven werde — in freiwilliger Unterwerfung; und dann, durA die Gewöhnung der Sünden gleiώsam trunken gemaώt, weiß ίώ ηίώί, was ϊώ tue ... (16) ,Wenn ϊώ aber das tue, was ϊώ ηίώί will, so stimme ίώ dem Gesetze zu, daß es gut sei': wenn ϊώ jenes Böse, das ίώ άοώ begehe, ηίώί tun will, so ist mein Gefühl auf Seiten des Gesetzes, das das Böse ηϊώί will und es verbietet. Es kann aber auώ so 2 άφορμή = Antrieb in Rom. 7 , 8 = Anlaß, Gelegenheit wiedergegeben.

und 11 ist lateinisch regelmäßig mit

occasio

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verstanden werden: Wenn ich sündige, unterwerfe ich mich der Strenge des Gesetzes. (17) ,Nun aber bin nicht ich es mehr, der dies tut': vor der Gewöhnung also habe ich selbst es mit ganzem Willen getan; ,sondern die in mir wohnende Sunde': sie,wohnt' gleichsam zu Gast und als Anderes in einem Anderen, gewissermaßen nicht eins (mit ihm), wie ein Akzidenz nämlich und nicht zu seiner Natur gehörig . . . (18) ,Denn das Wollen zwar ist in mir': der Wille ist da, aber nicht die Ausführung, weil die fleischliche Gewohnheit dem Willen widersteht . . . (19) ,Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich': wie zum Beispiel jemand, der sich lange ans Fluchen gewöhnt hat, auch wenn er es nicht wünscht darein verfällt. (20) ,Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht ich es, der dies tut, sondern die in mir wohnende Sünde': nicht ich, weil es gleichsam wider Willen geschieht, sondern die Gewohnheit der Sünde — eine Notwendigkeit allerdings, die ich mir selber geschaffen habe. (21) ,So finde ich denn, daß das Gesetz mir, sofern ich will, Gutes tut, da mir die Sünde innewohnt'3: wenn ich will, dann finde ich, daß das Gesetz mir Gutes tut gegen das Böse, das mir beiwohnt. (22) ,Denn ich habe Lust am Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen': . . . ich stimme dem Gesetz zu mit dem Geiste. (23) ,Ich sehe aber in meinen Gliedern ein anderes Gesetz, das widerstreitet': die gewohnten Begierden oder die Überredung des Feindes; ,dem Gesetz meines Geistes': dem natürlichen Gewissen nämlich (conscientiae naturali), oder dem göttlichen Gesetz, das im Geiste seinen Platz hat; ,und mich gefangennimmt im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist': in der Gewohnheit der Verfehlungen. (24) ,Ich elender Mensch! Wer wird mich befreien vom Leibe dieses Todes?': ich, der ich so festgehalten werde — wer wird mich befreien von der todbringenden Gewohnheit des Leibes? (25) ,Die Gnade Gottes4 durch Jesus Christus unseren Herrn': die Gnade befreit ihn, den das Gesetz nicht befreien konnte. War aber etwa Paulus noch nicht durch Gottes Gnade befreit?5 Das beweist, daß der Apostel hier aus der Person eines Anderen, nicht aus seiner eigenen spricht." 3 Diese Übersetzung sucht die eigentümliche Auffassung des lateinischen Textes wiederzugeben, die die anschließende Erklärung des Pelagius voraussetzt. ,Invenio igitur legem volenti mihi bonum facere, quia mihi inest peccatum': Pelagius verstand offenbar ,legem bonum facere' als асе. c. inf. nach ,invenio', und ,volenti mihi' als Dativ zu ,facere' — nur so kann er paraphrasieren: ,Si ego volo, invenio mihi legem bonum facere contra adiacens mihi malum.' Das ist außerordentlich gezwungen und in der Tat sehr „pelagianisch". Die richtige Übersetzung von Rom. 7 , 2 1 ist natürlich: „So finde ich denn, wenn ich das Gute tun will, in mir ein Gesetz, daß mir das Böse beiwohnt." (Allerdings ist schon ,quia' für öw in Pelagius' Vorlage irreführend.) 4 ,gratia Dei' statt ,sit gratia Deo'. 5 Mit dem Einwand hatte ja audi Augustin sich bei seiner Deutung auf den homo sub gratia auseinanderzusetzen, vgl. ер. Pel. I п. 17 „War etwa der Apostel, da er dies schrieb, fleischlichf (Vgl. o. S. 59). Ein „absit!" wird als selbstverständlich angesehen.

A N H A N G III

Philosophische Reflexion über Paulus, Römerbrief, Kapitel 7 Die Untersuchung über die Willens- und Freiheitsfrage bei Augustin arbeitete mit einem bestimmten Verständnis der paulinischen Selbsterfahrung, wie sie in Rom. 7,7—25 zum Ausdruck kommt. Die Interpretationsgeschichte dieses Kapitels während des pelagianischen Streites diente der Untersuchung als Schlüssel für eine Klärung des augustinischen Verständnisses gewisser zentraler, im Problem der Willensfreiheit geeinter Aspekte der christlichen Existenz. Zwei Erwägungen bestimmten die Wahl gerade dieses Schlüssels: einmal die pure Tatsache, daß eben dieses Kapitel mehr als jeder andere Text zum Brennpunkt und exegetischen Paradigma der Kontroverse zwischen Augustin und seinen Gegnern wurde; zum andern die Uberzeugung, daß dies zu Recht geschah, d.h. daß die betreffenden paulinischen Aussagen in der Tat eine Schlüsselstellung beanspruchen können. Dies können sie aber nur, wenn sie nicht zufällige, sondern notwendige Wahrheiten aussagen. Zufällig im hier gebrauchten Sinn wären die Aussagen, wenn das über sich redende „Ich" etwa die empirische Person des Paulus wäre, d.h. wenn es sich um einen autobiographischen Bericht handelte (von dem ein Teil die Vergangenheit, ein Teil die Gegenwart beschriebe); zufällig auch, wenn das über sich redende Ich ein psychologischer Typus wäre, ein solcher z. В., für den das Verbotene, wenn und weil es verboten wird, übermächtigen Reiz gewinnt: so verbreitet die Tatsache wäre (aber wie läßt sich Unwiderstehlichkeit feststellen?), ihre Allgemeinheit wäre bloß empirisch und ließe die Ausnahmen, die es geben muß, auch von ihren Konsequenzen ausgenommen, z.B. der Gnade nicht bedürftig; zufällig auch, wenn das Ich die geschichtliche Menschheit (oder Israel) wäre, die sukzessiv durch die Phasen „vor dem Gesetz" und „unter dem Gesetz" hindurchgehen mußte, um die Phase der Gnade „nach dem Gesetz" zu erreichen: so notwendig diese Abfolge für den Geschichtsverlauf wäre, so zufällig wäre für den einzelnen die Zugehörigkeit zu der Phase, in der er sich findet und die den Gehalt der anderen für ihn unaktuell — also für den nach-paulinischen Christen zum bloßen Rückblick — macht. Notwendig hingegen wären die Aussagen, wenn das hier redende Ich der Mensch als solcher wäre und somit das, was über das Scheitern des

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Versuches der Gebotserfüllung in dieser Ichform gesagt wird, für den Christen so gut gilt wie f ü r den Juden und Heiden und daher eine gültige Begründung der christlichen Alternative, ja ein unaufhebbares Moment an ihr selbst darstellt. Die letztere Annahme wurde in der Augustinstudie gemacht und zum Ausdruck gebracht, aber dort nicht bewiesen. Vielmehr wurde ihr Beweis ausdrücklich als Desiderat angezeigt 1 . „Beweis" kann aber hier nur heißen: Aufweis des Existenzvollzuges, in dem eine N o t wie die, von der Paulus spricht, wesenhaft beheimatet ist und zum Vorschein kommt. Die phänomenologisch aufgezeigte Notwendigkeit solcher Not spräche dafür, d a ß sie das von Paulus Gemeinte sein könnte. Weiter kann kein Beweis gehen, wo es sich der N a t u r der Sache nach, d. h. der Situation aller Hermeneutik gemäß, um eine Hypothese des Verstehens handelt. Es stellt sich also die Aufgabe einer existenzialen Analyse von Rom. 7,7—25. Der Plan und Entwurf einer solchen Analyse ging in der Tat der Veröffentlichung der Augustinstudie voraus 2 und liegt dem folgenden Versuch zugrunde. Es ist der Versuch einer Struktur-Analyse desjenigen Vollzuges, in dem die menschliche „Ursünde", von der Paulus und Augustin reden, sich aktualisiert und immer erneuert; und der Aufweis der echt dialektischen, weil in der Bewegtheitsweise des menschlichen Willens als solchen wurzelnden Notwendigkeit eben dieser Struktur — einer Notwendigkeit, die gleichwohl selbsteigene Tat und somit das Selbstverhängnis der sich überantworteten Freiheit ist. Die philosophische, nämlich auf den existenzialen Grund dieser Notwendigkeit zurückgehende Analyse muß zeigen, wie die Realdialektik, die in die Insuffizienzerfahrung ausmündet, ihrerseits in der grundsätzlichsten existenzialontologischen Verfassung des Menschseins entspringt. N u r unter dieser Bedingung haben die paulinischen Aussagen die Gültigkeit, die sie beanspruchen. Der Versuch ist also ein Experiment mit einem bestimmten Verständnis dieser Aussagen, demzufolge sie eine solche Gültigkeit haben sollten. H i e r f ü r müssen wir wagen, ihr Ausgesagtes in die Sprache existenzialer Formbeschreibung zu übersetzen — wir dürfen sagen „rückübersetzen" in dem Maße, in dem unser Vorbegriff richtig ist. Was folgt, ist jedoch nicht eine Exegese des Textes 3 , sondern eine freie philosophische Reflexion oder Meditation über die allgemeinen Sachverhalte, die der Aussage als ganzer in der Verfassung des menschlichen Seins zugrunde liegen mögen. Der Mensch ist dasjenige Wesen, das nicht nur sich auf die Welt in intentionalen Akten (cogitationes) bezieht, sondern das darin zugleich 1 S. o. S. 39. Der Abschnitt S. 63 f. („Welches ist die richtige Auslegung von Rom. 7?") gibt zu einer Lösung dieser Aufgabe gewisse Anzeigen, die aber, obwohl in der Form kategorisch, in der Sadie die Formulierung einer Hypothese sind, deren Begründung eben in der geforderten „Strukturanalyse" bestehen muß. s * Siehe Vorwort. Siehe dessen Wiedergabe oben S. 39 f.

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um diese Akte und damit um sich als sie Vollziehendes weiß: Denken ist immer auch ein „ich denke, daß ich denke" (cogito me cogitare), also ein Sein, das wesentlich auf sich riickbezogen ist, und zwar „konstitutiv", nämlich so, daß es in dieser Rückbezogenheit sich allererst selbst setzt und zum Ich konstituiert. Diese allerformalste Tatsache des Bewußtseins überhaupt als Selbstbewußtsein, seine konstitutive Reflexivität, enthält in sich bereits die Voraussetzung sowohl für die Möglichkeit der menschlichen Freiheit als auch für das notwendig zugehörige Sich-verfangen der Freiheit in sich selbst. Beides wächst vollzugsmäßig aus derselben Wurzel; freilich nicht aus der harmlosen Iteration eines neutral v o r s t e l l e n d gefaßten cogito me cogitare: das cogitare als bloß vorstellender Rückbezug zu sidi selbst ist nicht der ursprüngliche Ort von Selbstbewußtsein und Freiheit. Vielmehr ist es der W i l l e , in dem sich der für die Freiheit relevante Reflexionsprozeß vollzieht. Dem erst formalen Sinn des cogito me cogitare entspricht im Felde der konkreten Existenz das Wollen, das ebenfalls nicht nur „ich will", sondern zugleich auch „ich will, daß ich dies will" (volo me velle) sagt: alles Wollen will sich selbst und hat sich jeweils selbst gewählt. Der Wille hat also in sich seine zugehörige Reflexivität, in deren Vollzug er sich überhaupt erst als das, was er ist, konstituiert und sich darin eben von jedem bloßen Trieb oder Streben (appetitus aller Art) radikal unterscheidet: der Trieb ist nicht reflektiert, Streben ist nicht zugleich auch appeto me appetere wie das Wollen ein volo me velle ist. Die Reflexion des Willens ist wohlgemerkt selber eine willensmäßige, d. h. der Wille ist zugleich das willentliche Setzen und Bejahen seiner selbst. Darum lautet die Formel audi nicht einfach cogito me velle (nach cartesischem Muster), sondern: volo me velle. So gefaßt ist der Wille nicht irgendein psychischer Einzelakt unter anderen, klassifizierbar unter Wünschen, Begehren, Streben, Trieb usw.; audi nicht so etwas wie ausdrücklicher Entschluß oder dergleichen; überhaupt nichts, was auftreten und wieder verschwinden, manchmal dasein und manchmal fehlen kann: sondern er ist a priori immer da, trägt alle Einzelakte, madit erst so etwas wie das „Wollen" als spezielles psychisches Phänomen möglich ebenso wie sein Gegenteil, die Willenlosigkeit, auch jeden ausdrücklichen Entschluß, jede bestimmte Entscheidung, obschon er bereits selber seinem Wesen nach nichts anderes ist als immer in Vollzug befindliche Entscheidung über sich selbst — jene ständige Selbstentscheidung, der sich das Subjekt durch kein Alibi in irgendeinem neutralen, indifferenten, „willensfreien" Verhalten entziehen kann: denn sie ist selber erst die Bedingung der Möglichkeit für dergleichen Indifferenz wie für ihr Gegenteil. Der „Wille", der diese permanente Entscheidung vollzieht, oder vielmehr, der als ihr Vollzug ist, ist also nichts anderes als die Grundweise

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des Daseins überhaupt, und das Wort bezeichnet nur den existenzialen Strukturverhalt, daß das Sein des Daseins so ist, daß es ihm in seinem Sein jeweils um etwas geht und hierin wieder letztlich um sich selbst als das eigentlich zu Betreibende seines eigenen Seins: also das, was Heidegger mit der „Sorge" bezeichnete. Die Formel „es geht ihm um sich selbst" umschließt den hier gemeinten Tatbestand der Reflexion des Willens. Dies Aktphänomen der Reflexion des Willens ist letztlich das Gründende des Selbst. In seinem Prozeß vollzieht sich die stetige Selbststiftung der sittlichen Person — sie „macht" sich in ihm erst als jeweilig aktuelle, aber kontinuierlich übergreifende Synthese der moralischen Selbstidentifizierung des Ich, das — sei es audi im Modus des Sich-nichtzu-sich-Bekennens — doch erst durch diese seine Selbstkonstitution in der Reflexion des „Interesses" Subjekt einer möglichen Zurechenbarkeit wird. Alle Phänomene der Sittlichkeit — Freiheit, Verantwortlichkeit, Unvertretbarkeit, Gewissen, Schuld — wurzeln in diesem ursprünglichen Reflexionsverhältnis: dieses ist die Freiheit. Aber inwiefern soll eben hierin auch das notwendige Versagen der Freiheit, d.h. ihre unausweichliche Verstrickung in sich selbst gründen? Jede Begründung der „Insuffizienz" als einer schuldhaften, zu verantwortenden, muß sie als eine zwar notwendige, aber nichtsdestoweniger selbsteigene Tat der Freiheit selber auffassen — so paradox, ja widersinnig das auch erscheinen mag. Die willensmäßige Reflexion des Willens ist der Ort der Freiheit; die Sphäre des Willens überhaupt auch der der Unfreiheit. Es muß also ein Modus seiner Reflexion sein, in dem diese zutage tritt — und zwar ein unvermeidlicher Modus, wenn anders die paulinisch-christliche Insuffizienzthese nicht eine bloße Verleumdung des Menschen ist (als die Nietzsche sie ansah). Bei der ersten Einführung des cogito me cogitare wurde seine bloß „vorstellende" Modalität für die hier in Rede stehende Reflexion der Existenz als ungenügend abgewiesen. Jetzt aber hat gerade dieser objektivierende, anschauende Modus zu seinem Recht zu kommen. Die Freiheit schafft sich ja ihren möglichen Spielraum und ihre Grundvoraussetzung erst, indem sie, in der generellen Objektivation des Alls des „Seienden außer ihr" zur „Welt" der Gegenstände, von diesen und der unbedingten Befangenheit in sie als ein Subjekt zurücktritt und so, aus diesem prinzipiellen A b s t a n d , erst eine Freizügigkeit ihnen gegenüber gewinnt. Diese Objektivation aber, die der Mensch als Urakt seines Menschseins gegenüber dem Seienden außer ihm vollzieht, in der er es sich erst als die „Welt" gegenübersetzt — erstreckt sich zugleich notwendig und korrelativ auf ihn selbst: auch er wird sich zum Gegenüber. In der Objektivation tritt er heraus aus einem „ursprünglichen" Einssein im All des Seienden (in der „Unschuld der Kreatur") und vollzieht damit eine wesentliche Entfremdung und Urspaltung, in der das Ich, dem so objektivierten All

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sich gegenüberstellend, zugleich sich als ein solches konstituiert, das „ich" sagen kann — und sagen muß, da es sich nunmehr, mit „einmal geschehener" Isolierung (dies „einmal" ist die imaginäre „Vergangenheit" des Mythos vom Sündenfall) in dieser Selbstgesetztheit wohl oder übel behaupten muß. So ist mit der Weltobjektivation audi die mögliche anschauende Selbstobjektivation (die von der „Reflexion des Willens" wohl zu unterscheiden ist) unausweichlich schon mitgegeben — und mit dieser auch die notwendige Möglichkeit jener Selbstentfernung, die gegenüber der unmittelbaren „Demut" des einfach Kreatürlichen den Hochmut der Mittelbarkeit im Bezug auf sich selbst aufkommen läßt. Der Reflexion des Willens steht also gleichursprünglich eine Selbstobjektivation in der „Anschauung" gegenüber. Formelhaft stellt sich das Verhältnis so dar: Das volo me velle hat in sich wesenhaft die Möglichkeit, umzuschlagen in ein cogito me velle (cogito hier im spezifischen Sinn von vorstellender Vergegenständlichung genommen). In diesem Umschlag enteignet sich die Freiheit selbst: anstatt im Vollzuge ihrer selbstergriffenen Handlung zu sein, stellt sie sich ihr als ihr eigener Zuschauer gegenüber und ist ihr damit schon fremd geworden — ja, hat sie im Grunde aus der Hand gegeben und verraten. Aus der reinen Zukünftigkeit des unbedingten Einsatzes, dem sie sich handelnd überantwortet hat, ist sie herausgefallen in die Abstand nehmende und im Anschauen sich festlegende Gegenwärtigkeit der Objektivation, in der sie sidieren Fuß fassen kann gegenüber der ganz ausgesetzten Bewegtheit der Tat: in solcher Selbstobjektivation verschafft sich die gegen sich selber schutzlose Freiheit eben den Rückhalt wieder, den sie im handelnden Einsatz gerade hinter sich lassen wollte. In concreto kann die Objektivation sehr verschiedene psychologische Formen annehmen. Meist wird sie irgendwie mit dem Seitenblick des Vergleidiens arbeiten (was bedeutet, daß das gesellschaftliche Sein, das „Miteinander", sei es auch nur in der Imagination, den Horizont der Objektivation abgibt). Jedenfalls aber substituiert sie immer mich als den konstatierbar Tuenden für die unbedingt im Tun lebende Tat selbst: Sollte dies nicht zumindest ein Sinn, und zwar der minimale sowohl wie der fundamentale Sinn, des paulinischen „Sichrühmens" im „Werke" sein? Diese eigentümliche Verstockung der Zeitlichkeit in sich selbst, in ihrem immanenten Vollzug, oder mit obigen Formeln ausgedrückt: der unausweichliche und sich aus sich selbst erzeugende Wechsel von volo me velle und cogito me velle, kann, so meine ich, als der Fallstrick des Gesetzes angesehen werden, der mit der Heiligkeit des Gesetzes nicht nur vereinbar ist, sondern geradezu daraus folgt. Es ist ein nobler Fallstrick, da er nichts anderes ist als der Fallstrick der Freiheit selbst und von ihr selbst sowohl bereitet wie gewagt, sofern „Gesetz" im höchsten Sinne verstanden gerade den Anspruch der Freiheit an sich selbst und nichts Heteronomes bedeutet. 7

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Mit anderen Worten, die hier waltende Dialektik liegt jenseits des Unterschiedes von Heteronomie und Autonomie: man könnte für das „du sollst nicht begehren", in dem Paulus den Sinn des Gesetzes zusammenfaßt, ruhig auch die Kantische Pflichtidee mit ihrem Gegensatz zur Neigung einsetzen, und die Dialektik bliebe prinzipiell die gleiche (s. w. u.). Freilich hat es mit dem einmaligen Umschlag aus dem volo in das cogito, aus der Reflexion des Willens in die Selbstobjektivation nicht sein Bewenden. Die Freiheit, die es ernst mit sich nimmt, bleibt dabei nicht stehen, sie ist auf der Hut vor ihren eigenen Tücken und hält die Augen offen: Die lebendige Reflexion des Willens wird sich bei der eben vorgenommenen Selbstenteignung in der Objektivation, diesem eigentümlich beschwichtigten Sidi-vor-Anker-Legen im Zuschauen, ertappen — und sie in neuem, nun hierauf bereits mitbezogenem Entschluß wieder auflösen, die Verstockung der „Gegenwart" wieder in die unbedingte Bewegung der „Zukunft" hineinnehmen. Aber audi diese neue Stufe der „Reflexion" verfällt in ihrem zeitlichen Vollzug wieder der „Objektivation" — und so ist es ein unaufhörliches, sich in sich rück verschlingendes Hin und Wieder, eine (gar nicht einmal als Nacheinander zu fassende) höchst reale Dialektik, in der der Wille sich ins Unendliche seiner Vieldeutigkeit affiziert und modifiziert, sich in sich verstrickend, ohne von sich aus seine Eindeutigkeit erreichen zu können — es sei denn, daß dieser unendlichen Reflexion in der Selbstüberlassenheit von anderswo Einhalt geboten wird. Hierüber hat die Philosophie nichts mehr auszumachen. Um in Kürze auf den vorhin gestreiften Unterschied von „heteronomer" und „autonomer" Ethik im Verhältnis zu unserm Problem einzugehen: In der Form der Heteronomie, speziell der Religion, in der die Dialektik zuerst bemerkt wurde, stellt sie sich bekanntlich folgendermaßen dar: Da der Glaube an die Autorität des göttlichen Gesetzgebers, an der die Verbindlichkeit seines Gesetzes hängt, den Glauben an seine Gerechtigkeit einschließt, so muß die Beobachtung seiner Gebote mit der Erwartung von Lohn und Strafe einhergehen, selbst wenn kein Wunsch danach besteht. Die Sicherheit eben dieses Glaubens aber, so moralisch notwendig er ist, zerstört die Reinheit der Gebotserfüllung selber, indem er sie aus einer moralischen zu einer militärischen macht — d. h. er schützt göttliche Moral und Heiligkeit des Gesetzes auf Kosten der Möglichkeit menschlicher Moral und Heiligkeit des Willens. Wird aber die Sicherheit göttlicher Berücksichtigung von Verdienst — positivem wie negativem — verneint, so wird die scheinbar so gerettete Möglichkeit menschlicher Moral wiederum dadurch zerstört, daß das Gesetz eines, wo nicht geradezu ungerechten, so doch unberechenbaren, launischen oder indifferenten, kurz eines amoralischen Gottes nicht heilig sein und so keine moralische Autorität beanspruchen kann: also kann auch seine Erfüllung nicht moralisch sein, außer durch Irrtum (Unklarheit) über die Fragwürdigkeit seiner

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Quelle; und Irrtum selber, d.h. ungenügendes Nachdenken, darf nicht zur Bedingung der Moral gemacht werden. Das heißt, die Möglichkeit menschlicher Moral kann so wenig auf Kosten der göttlichen Moral gerettet werden, wie die göttliche ohne Zerstörung der menschlichen gewahrt bleiben kann; oder kurz: menschliche Moral kann sowenig ohne göttliche wie mit göttlicher Moral zusammen bestehen. So ist es unter der Bedingung der Heteronomie. Kant meinte dieser Crux zu entgehen, indem er den göttlichen Gesetzgeber durch die Selbstgesetzgebung der Vernunft ersetzte, also das Sittengesetz autonom machte und damit vom Lohn- und Strafgedanken ablöste. Aber wie wir oben zeigten, verschafft sich auch die reine Innerlichkeit durch die Spiegelung der Selbstobjektivation eine Art von Selbstbelohnung, die (bekannt unter dem Namen der Eitelkeit) nicht weniger korrumpierend ist als die Rechnung auf Vergeltung von außen — womöglich mehr, da sie sofort, noch im Tun selbst, genossen werden kann, während diese die Kraft eines lange hinhaltenden Glaubens verlangt. In Wahrheit überwölbt die Alternative „eigentlich—uneigentlich" die Alternative „autonom — heteronom". Denn offenbar ist jene immanent-gegenwärtige Antinomie, die fundamentaler ist als die von transzendent-zukünftiger Überlegung abgeleitete, beiden Positionen, der autonomen wie der heteronomen, gemein und stellt die existenzielle Antinomie des Sittlichen an sich dar jenseits aller Theorie vom Grund der sittlichen Norm. In äußerster Kürze besagt sie, daß unter der Bedingung menschlicher Zweideutigkeit der Versuch einer Heiligkeit des Willens sich selber zu einem unheiligen Willen verurteilt. Es ist meine Ansicht, daß diese Antinomie hinter der Verzweiflung der paulinischen Selbstbekundung steht. Warum aber ist überhaupt das Abgleiten in die Objektivation notwendig? Die Selbstobjektivation ist eine Möglichkeit der Freiheit, aber damit doch noch keine Notwendigkeit? Zunächst ist die Selbstobjektivation nötig, ja gefordert, als Prüfung des eigenen Tuns, die zu allererst Prüfung der eigenen Motive (dessen, was Kant die Maximen des Willens nannte) ist: und insofern diese Prüfung, also die Selbsterforschung des Gewissens, zur Moralität als solcher gehört, ist sie vom guten Tun unabtrennbar. M. a. W., Selbstobjektivierung an sich ist damit gegeben, daß die Moralität ihrem Wesen nach reflexiv ist, und ihre Notwendigkeit ist selber eine moralische jenseits davon, daß sie audi eine psychologische ist. Für den homo religiosus nimmt dies die Form an, daß er sich in den Standpunkt Gottes versetzt und fragt: wie sieht mein Handeln in Seinen Augen aus? Er muß versuchen, sich mit den Augen Gottes anzusehen, d. h. seine Augen zu denen Gottes zu machen. Das „vor Gott" wird so notwendig ein „vor mir". Diese Substitution ist aber vom Standpunkt der Kreatürlichkeit nur so aufrechtzuerhalten, daß ich an die Stelle der Unfehlbarkeit des göttlichen Blickes, die mir versagt ist, das äußerste Mißtrauen meines 7·

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menschlichen Blickes setze. D.h. aber: um des Guten willen muß die Selbstobjektivation bösartig sein. Die Bösartigkeit des Mißtrauens ist Wissen darum, was alles möglich ist, und der Verdacht, daß es wirklich sei. Um Mögliches wissen zu können, muß das Mißtrauen erfinderisch im Bösen sein. So ausgerüstet wird der Verdacht gegen mich selbst der unvermeidliche Preis der Absolutheit, die ich mir zugleich als Tuender zumute und als Urteilender anmaße, und muß zur positiven Selbstverdächtigung werden. Die Haltung des Mißtrauens, die ich als mein eigener Zuschauer in loco Dei einnehme, mit vorgefaßter Parteilichkeit in malam partem, ist der einzige Ersatz für die allwissende Unparteilichkeit Gottes, der einzige Selbstschutz gegen meine Bestechlichkeit als Richter in eigener Sache — die einzige Gewähr meiner Redlichkeit. Aber sie wendet sich gegen sich selbst: das Mißtrauen erstreckt sich nicht nur auf das, was das Zuschauen vorfindet, sondern audi auf eben dies Zuschauen, das ja wiederum ein „Handeln" meiner menschlichen Person ist, die hier eine göttliche Rolle spielen soll. Und solches Mißtrauen kann nicht umhin, zu entdecken, daß sein eigener Vollzug nicht davor geschützt ist, aus einem kritischen ein genießendes, sich qua kritisches belobigendes Zuschauen zu werden. Ja, es muß entdecken, wenn es genügend radikal ist, daß eben die bösen Möglichkeiten, die erst das Mißtrauen „entdeckt", d.h. erfindet, d. h. schafft, mit solcher Entdeckung audi schon einen Anteil an der Willensrealisierung gewinnen, sozusagen auf ihre Kosten kommen; und daß alle Reinheit des Wollens, die im naiven Zustand dagewesen sein mag, in der vom Mißtrauen selber geschulten Hinterlist des Willens, in der endlos aufgetanen Mannigfaltigkeit der „tiefer" gewordenen Seele, verlorengeht. Warum aber ist die innere Versuchung unwiderstehlich? Die Frage ist kaum zu unterscheiden von der: warum besteht niemals Sicherheit, ihr nicht erlegen zu sein? Hier liegt das tiefste Geheimnis der Freiheit, das am schwersten in Worte zu fassen ist. Es betrifft das Verhältnis von Möglichkeit und Notwendigkeit in Sachen der Freiheit, oder vielmehr: das Verhältnis der Freiheit zu ihren eigenen Möglichkeiten, das eine eigentümliche Art von Notwendigkeit ist, nämlich von notwendiger Tat der Freiheit. Zu seiner Beschreibung stehen mir nicht mehr als nur andeutende Metaphern zur Verfügung. Man möchte von einem Schwindel der Freiheit angesichts ihrer Möglichkeiten sprechen. Weil diese Möglichkeiten ihr ganz anheimgestellt sind, befällt sie dieser Schwindel, sobald sie auf sich allein und ganz vor sich selbst, d.h. eben vor diese Möglichkeiten ihrer selbst gestellt ist. Und solcher Schwindel läßt sie in jede sich ihr anbietende Möglichkeit der Selbstmodifikation auch schon hineinstürzen, solange es sich dabei um nichts anderes als eben die innere, selbstinterpretierende Bestimmung ihres Wie und noch nicht um die Wahl äußerer Aktion handelt. Uber das Was der letzteren hat die Freiheit natürlich Gewalt, aber paradoxerweise nicht

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über ihr eigenes Wie, auf das es doch für den sittlichen Charakter des Tuns ankommt 4 : sie hat das Wie nicht in der Gewalt, gerade weil sie es und seine gleich verfügbaren Alternativen so vollkommen in der Gewalt, nämlich von sich allein abhängig hat. Nicht obwohl, sondern weil sie sich zur absoluten Selbststiftung im Wie ihres Seins völlig überantwortet ist, muß sie schillernd sein. Weil jedes datum ihrer selbst nicht einfach besteht, sondern weiterhin ein sich ins Unendliche vollziehendes Produkt ihrer subjektiv schrankenlosen (und so in den Schwindel der Möglichkeiten gestellten) Selbstbestimmung ist, und weil dies sich überantwortete Wie potentiell mehrfältig ist, ist die Freiheit selbst in jeder Konkretion auch schon aktuell mehrdeutig — d.h. letztlich: zweideutig. Als ganz sich selbst überlassen ist die Freiheit in ihrem jeweiligen Sein ihr eigenes Erzeugnis, und dies ihr Sich-selbst-Aufgegebensein wird ihr an keinem Punkt von einem dinghaft eindeutigen Sein, auf das sie sich stützen könnte, abgenommen. Da aber die Möglichkeit der Unechtheit, ohne die auch die Echtheit nicht die der Freiheit wäre, ihr positiv zu eigen ist, und weil niemand sie, sofern sie in der Reflexion voll zu sich entbunden ist, vor ihren eigenen Möglichkeiten schützt (was im Zustand der Unmittelbarkeit z.B. die eindeutige biologische Ordnung tat) — so hat sie, schillernd im Schwindel ihrer autonomen Möglichkeiten, mit jedem Akt der Echtheit zugleich auch die zugehörige Unechtheit irgendwie schon mitrealisiert. Als Freiheit verfängt sie sich in ihre Möglichkeiten als die absolut eigenen. Die selbstgeschaffene und in der haltlos-unbedingten Selbstbesorgung reflexiv weiter unterhaltene Konkretion ihres jeweiligen Wie ist also nach ihrer kritischen Indentifizierbarkeit mit dem Irisieren einer Perlmutterschale oder Ölhaut auf dem Wasser zu vergleichen: Jede Stelle scheint zunächst eindeutig ihre Farbe aus dem Spektrum zu haben — aber die geringste Änderung meiner Stellung zeigt mir eine andere und ich endecke, daß keiner Stelle eine Farbe eindeutig anhaftet, sondern eine jede bereits alle in sich enthält. . . Wenn es also im Widerspiel der Reflexivität des Willens beim bewußt sittlichen Akt geschieht, daß der Freiheit sich die mit der Bewußtheit als soldier mitgegebene Möglichkeit der abfallenden Selbstobjektivation anbietet — so hat sie von ihr auch schon, wenn auch noch so versteckt, Gebrauch gemacht: denn ihren eigenen Möglichkeiten kann die Freiheit 4

Der Leser wird bemerken, daß dies die diametrale Umkehrung der stoischen Position ist: dort war der Außenbereich als unserer Macht entzogen, der Innenbereich als ganz in unserer Macht befindlich angesehen worden. Der tief bedeutsame Sinn der Umkehrung kann hier nicht weiter verfolgt werden: die heute so geläufige, gegenklassisdhe Vorstellung vom Verhältnis zwischen äußerer und innerer Macht des Menschen, zwischen seiner Herrschaft über die Dinge und seiner Herrschafhlosigkeit über sidi selbst, ist das Endergebnis zweier voneinander völlig unabhängiger historischer Entwicklungen im einen und anderen Bereich, die in die moderne Situation zusammenflössen.

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nicht widerstehen. Und dies ist der eigentliche und höchste Modus der Versuchung: nicht der Lockruf an die Sinnlichkeit oder die äußere Selbstsucht, nicht die Rechnung des Vorteils noch die Furcht des Schadens, nicht der Reiz des Verbotenen oder was sonst die geistige Süße der Sünde sein mag (all diesem kann man widerstehen) — sondern daß der Freiheit in der eigensten Sphäre ihrer Selbststiftung, auch in der erfolgreichen Enthaltung vom äußeren unsittlichen „Werk", diese innere Möglichkeit ihrer selbst entgegentritt und jederzeit als positive Chance zur Realisierung dessen bereitliegt, was sie von sich her sein kann; mit andern Worten, daß hier der bloße Gedanke die Tat ist, und seine Denkbarkeit sein Denkenmüssen, und sein Nichtdenkenwollen sein Schon-gedacht-Haben, und sein Nicht-gedacht-Haben sein Verbergen, und sein Verbergen seine höchste Verdächtigkeit: das ist es, was diese Versuchung, diesen Zauber ihrer selbst, für die Freiheit in ihrem selbstüberlassenen Spiel unwiderstehlich macht. Vor jedem ausdrücklichen Gegenentschluß und in jedem Gegenbemühen ist sie ihr schon zuinnerst erlegen. Denn da sie ganz mit sich allein ist und nichts anderes hat als sich selbst, läßt sie sich auch keine Möglichkeit zur Uberlistung ihrer selbst entgehen, sofern nur auch hier sie selbst das Handelnde ist: In ihrem Sich-selbst-Uberlassensein ist sie auf den Genuß ihrer selbst verwiesen und dadurch „sündig". Wenn hier Lüsternheit im Spiel ist, so ist es die sehr unsinnliche, sehr geistige Lüsternheit des Selbst auf sich selbst. Unter diesem Schatten steht alle Reinheit des Wollens. N u r auf der Stufe der bewußten, ausdrücklichen Sittlichkeit tritt diese versucherische Möglichkeit der Selbstobjektivation ins Spiel; also gerade erst, wenn die Freiheit in der „Reflexion des Willens" zu sidi selbst gekommen ist. Auf der „natürlichen" Stufe der Unmittelbarkeit gibt es weder das eine noch das andere, weder die Reflexion des volo me velle noch die Objektivation des cogito me velle. Zu solcher Ausdrücklichkeit des Sittlichen aber kommt es durch das Gesetz. Wie dieses also erst durch sein Sollen die Sittlichkeit in der Reflexion des Willens ermöglicht und dadurch die Freiheit erst zu sich entbindet, so bedingt es zugleich und in eins ihr Verfangen in sich selbst. Es ist dies der „Antrieb der Sünde durch das Gebot". Und weil erst das „Wissen" überhaupt, nämlich die Grundvergegenständlichung der Welt mit ihrer Urspaltung von Selbst und Welt, das Wissen des so „Ich"-sagen-Könnenden um sich selbst möglich macht und dadurch sowohl die Freiheit als auch deren unausweichliches Verfängnis in eins bedingt — darum beschreibt der Mythos den Sündenfall als Essen vom Baume der Erkenntnis. Wie die Objektivation der Welt von vornherein eine Funktion des menschlichen Miteinander ist, von ihm konstituiert und in seinem Wort fortlaufend unterhalten, so ist es noch spezifischer dies redende Miteinander, das audi für die Selbstobjektivation, wie sie etwa im Vergleichen

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und Einschätzen geschieht, den allgemeinen Horizont und die besonderen Hinsichten der Objektivierung bis in die Innerlichkeit des isolierten Subjekts darreicht. Das ist der existenziale Grund für die kritische Rolle des „Kosmos" als menschlichen Miteinanders im Zusammenhang der paulinischen Seinsauslegung. Diese Rolle des Miteinander in der Selbstobjektivierung ist nicht zu verwechseln mit der Rolle des „Man" in Heideggers Analytik des Daseins. Es ist nicht die Absorbierung in der Anonymität der Vielen, die Überfremdung durch die Allgemeinheit, sondern gerade die Absetzung des Ich von ihrem Hintergrund, d. h. der Versuch des Selbstseinwollens im sittlichen Vorsatz, in dem die hier behandelte Selbstobjektivierung lauert und ihr verstörendes Wesen treibt. Dies ist das zentralere und den Zustand des Menschen tiefer treffende Phänomen. Während hinreichende Unabhängigkeit und Achtsamkeit des einen Herr werden kann, durchdringt das andere eben die Übung der Unabhängigkeit und Achtsamkeit selbst. Wenn unsere Interpretation richtig ist, so heißt das, daß die von Paulus beschriebene Not nicht die Not des Individuums gegenüber dem „Man", sondern die Not des Individuums vor seinem eigenen Gewissen ist; und diese wird um so größer, je mehr es sich vom Man auf sein Selbst zurückzieht, je unbedingter es die Reinheit des Wollens von sich fordert. Es ist also eine Not, die nur das ernst genommene, nicht das äußerlich genommene Gesetz erzeugt. Es ist die Not nicht der Oberflächlichkeit, sondern der Tiefe, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes, nicht der Legitimität, sondern der Moralität. Jesus hatte in seiner Kritik des „Pharisäertums" die schlechte Gesetzesfrömmigkeit treffen wollen; die Kritik des Paulus trifft alle Gesetzesfrömmigkeit. Jene war als Tadel, diese als Bekenntnis gemeint. Jene geißelt, von außen, eine falsche und korrigierbare Haltung; diese beschreibt, von innen, eine wahre und unvermeidbare Erfahrung. Jesus rief nicht vom Gesetz hinweg, sondern von äußerlicher zu innerlicher, von blinder zu sehender, von unernster zu ernster Gesetzlichkeit: dort aber, wohin solcher Ruf führt, wartet die wirkliche Erfahrung der Gesetzesfrömmigkeit. Der von Jesus zur Selbstbesinnung gebrachte Pharisäer würde sich also, immer noch unerlöst, aber eben darum wissend, in der paulinischen Situation befinden: er wäre aus einem unechten ein echter Pharisäer geworden. Derart läßt sich des Paulus Charakteristik des Zustandes „unter dem Gesetz", die alle Karikatur und bloß empirische Typologie hinter sich läßt, als Grundriß eines existenzialen Begriffs des „Pharisäismus" — im genügend weit formalisierten und nicht historisdi gebundenen Sinn des Wortes — verstehen. Danach wäre der Mensch als solcher gegenüber dem Gesetz, dessen gerechtem Anspruch er genügen will, w i e er s o l l , „Pharisäer", und zwar günstigstens und ernstesten Falles, sofern eben die Übernahme des „heiligen Gesetzes Gottes" als persönliche Verbind-

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lidikeit die dem Menschen von sich her höchsterreichbare Möglichkeit darstellt und er nur mit ihr in die Dimension des gültigen Scheiterns seiner bloßen Menschlichkeit kommt. Wenn er gerade hierin scheitert — das ist die Logik des Paulus — so bleibt ihm nur ein Weg: der zum Kreuz. „Pharisäer" ist also der „Mensch vor der Gnade" überhaupt, und offen für die Not der Gnadenbedürftigkeit, wenn er sich eben als „Pharisäer" erkennt. Solches Erkennen aber wächst aus der erfahrenen Dialektik des Gesetzesstandes selber heraus, und indem es die Notwendigkeit dieser Dialektik begreift, ist es zugleich ein Erkennen der existenziellen Unüberschreitbarkeit des so verstandenen „Pharisäertums". Existenzielle Selbsterkenntnis gehört hier also zur vollendeten Ganzheit des Pharisäers: bei Jesus ist gerade dies nicht der Fall. Für Jesus ist „Pharisäer" ein Partei- und Gruppenname, der Pharisäer ein empirisch vorfindlicher Typus unter anderen, eine Richtung innerhalb der religiösen Mannigfaltigkeit seiner Umwelt, charakterisiert durch eine spezifische Haltung, die Jesus bekämpft, da sie irrig und vermeidbar ist, und die er deshalb mit besseren kontrastieren kann, die die Umwelt ebenfalls darbietet. Es ist gewissermaßen der naive, populäre, typenmäßig-anschauliche Begriff des Pharisäertums — und eine polemische Karikatur: der Pharisäer ist im groben Sinne Heuchler und äußerlicher Frömmler. Von diesem Bilde brauchte sich der wahrhaft fromme Jude nie getroffen zu fühlen. Er konnte darin die Darstellung einer Versuchung erkennen, von der die Gesetzesfrömmigkeit bedroht ist, der Juden (und Andere) oft erlegen sind, aber auch immer wieder erfolgreich widerstanden haben. Jesus brauchte nicht weit zu suchen, um auf wahrhaftere Frömmigkeit hinweisen zu können: er fand sie in schlicht-gläubigen Frauen, Samaritanern, Zöllnern. Ihnen gegenüber ist der „Pharisäer", wie die Evangelien ihn zeichnen, bereits vor den einfachen Maßstäben volkstümlich-sittlichen Empfindens gerichtet — das sich demnach hier leicht jenes Gefühl der Überlegenheit leisten kann, bei dem die Rollen sich wieder vertauschen oder die Unterschiede verwischen mögen. Der Pharisäer aber, bei Jesus ein religiös inferiorer Typus, ist bei Paulus der äußerste überhaupt vor der Gnade; und gerade das ernsthafteste, innerlichste Streben („gemäß dem inneren Menschen"), das in seiner wesentlichen Forderung erfaßte „heilige Gesetz" zu erfüllen, ist bei ihm zu jenem Scheitern verurteilt, das eben ein Scheitern des Menschen als solchen ist, der im Versuch der Gesetzeserfüllung in seine letzte Möglichkeit und Unmöglichkeit vor Gott geraten ist. Jesus nimmt also die niedrigste, Paulus die höchste Möglichkeit der Gesetzesfrömmigkeit zum kritischen Objekt, und das ist nicht einfach ein Unterschied der polemischen Methode, sondern einer im anthropologischen Ansatz selbst. Denn die höchste Möglichkeit faßt alles unter sich, und mit ihr ist das Mindere erst recht getroffen; die niedere dagegen läßt über sich noch mensch-

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lieh Mögliches, nämlich das Nicht-pharisäische, offen und bestimmt sich damit als eine abzulehnende und vermeidbare, wenn auch vielleicht sehr verbreitete und menschlich-typische Korruption. Demzufolge weist Jesus auf die wahre Haltung zu Gott hin und setzt ihre Erwirkbarkeit bei echter menschlicher Bereitwilligkeit voraus. Daß er diese bei den Armen und Gedrückten eher für gegeben hält als anderswo, ist eine Sache für sich. Und so hätte in seiner Verkündigung sein eigener Kreuzestod, überhaupt: eine Erlösung der konstitutiv sündigen Menschheit durch Passion und Auferstehung eines Heilandes, eigentlich gar keinen Platz, denn die Menschen haben unmittelbaren Zugang zu Gott und zum echten Sein vor ihm, sofern sie nur seinen Ruf hören und annehmen. Diese Feststellung wiederholt nur den alten, wenn auch vielbestrittenen Satz, daß die paulinische Verkündigung v o n Jesus als dem gekreuzigten Christus gegenüber der Verkündigung Jesu selbst einen entscheidenden Wandel bedeutet, an dem die Wege zwischen dem alten und dem neuen Glauben sich wirklich scheiden.

A N H A N G IV

Ausgewählte Originale zu den Verdeutschungen im Text S. 35 ep. 145,3: Lex itaque docendo et iubendo, quod sine gratia impleri поп potest, homini demonstrat suam infirmitatem, ut quaerat demonstrata infirmitas salvatorem, a quo sanata voluntas possit, quod infirma поп posset. Lex igitur adducit ad fidem, fides impetrat spiritum largiorem, diffundit spiritus caritatem, implet Caritas legem. ep. 177,5: пес lex iuberet, nisi esset voluntas, пес gratia iuvaret, si sat esset voluntas. S. 36 (Anm. 1) spir. lit. n. 52 (X 233): per legem cognitio peccati, per fidem impetratio gratiae contra peccatum, per gratiam sanatio animae a vitio peccati, per animae sanitatem libertas arbitrii, per liberum arbitrium iustitiae dilectio, per iustitiae dilectionem legis operatio. S. 37 div. quaest. qu. 66 n. 7 (VI 66): In prima ergo actione, quae est ante legem, nulla pugna est cum voluptatibus huius saeculi; in secunda, quae sub lege est, pugnamus, sed vincimur; in tertia pugnamus et vincimus; in quarta поп pugnamus, sed perfecta et aeterna pace requiescimus. S. 41 ad Simpl. I qu. 1, n. 2 (VI103):... legem ad hoc datam esse поп ut peccatum insereretur neque ut exstirparetur, sed tantum ut demonstraretur, quo animam humanam quasi de innocentia securam ipsa peccati demonstratione ream faceret; ut ... ipsa reatus sollicitudine ad percipiendam gratiam converteretur. Itaque поп ait: „Peccatum поп feci, nisi per legem" sed: „Peccatum поп cognovi (etc.)" . . . [neque:] „concupiscentiam поп habebam, nisi lex diceret (etc.)" . . . [sed:] „concupiscentiam nesciebam (etc.)" (Anm. 1) grat. Chr. п. 9 (Χ 365): ... et haec ostendatur legis utilitas, quoniam nos facit praevaricationis reos, cogit confugere ad gratiam liberandos. ... lubet enim magis quam iuvat; docet morbum esse, поп sanat; imo ab ea potius quod поп sanatur augetur, ut attentius et sollicitius gratiae medicina quaeratur.

A n h a n g I V . O r i g i n a l e zu den Verdeutschungen

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S. 42 ad Simpl. n.4 (VI 104): inventum est esse in mortem (sc. mandatum), dum fit contra mandatum, ut поп solum peccatum fiat, quod etiam ante mandatum fiebat, sed hoc abundantius et perniciosius, ut iam a sciente et praevaricante peccetur. S. 43 ibid. n. 5: Peccatum поп legitime utens lege ex prohibitione dulcius factum est et ideo „fefellit".

aucto

desiderio

S. 44 spir. lit. п. 11 (Χ 206): superbia — quod Vitium oritur, cum sibi quisque praefidit ... Нас quippe impietate, qua tribuit sibi, quod Dei est, pellitur in tenebras suas. ep. 118,15: Cum seipso sibi quasi suo bono animus gaudet, superbus est. ad Simpl. I qu. 1, n. 6 (VI 104 s): in male utente quippe Vitium est, поп in mandato ipso . .. male autem utitur lege, qui поп se subdit Deo pia humilitate. (Anm.4) de musica VI 40: generalis vero amor actionis, quae avertit a vero, α superbia proficiscitur, quo vitio Deum imitari quam Deo servire anima maluit. (Anm.5) div. quaest. qu.66, n.5 (VI 63): „Fefellit me peccatum occasione accepta per mandatum" — sive quia suasio delectationis ad peccatum vehementior est, cum adest prohibitio; sive quia etiam si quid fecerit secundum iussa legis, si adhuc поп sit fides, quae in gratia est, vult sibi hoc tribuere, поп Deo, et superbiendo plus peccat. S. 45 ad Simpl. I qu. 1, n. 9 (VI 106): „Si autem quod nolo hoc facio, consentio legi quoniam bona est": consentit legi поп in quantum facit quod ilia prohibet, sed in quantum поп vult quod facit. Vincitur enim nondum per gratiam liberatus, quamvis iam per legem et noverit se male facere et nolit. ... Consentit ad faciendum peccatum, quamvis legi consentiat ad hoc improbandum. Loquitur enim adhuc ex persona hominis sub lege constituti, nondum sub gratia, qui profecto trahitur ad male operandum concupiscentia dominante ..., quamvis ex parte notitiae legis hoc improbet. Sed propterea dicit ,Νοη ego operor illud', quia victus operatur. Cupiditas quippe id operatur, cui superanti ceditur. Ut autem поп cedatur sitque mens hominis adversus cupiditatem robustior, gratia facit ... S. 46 ibid. n. 11 (VI 107): „ttelle enim adiacet mihi, perficere autem bonum поп invenio": His verbis videtur поп recte intelligentibus velut auferre liberum

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arbitrium. Sed quomodo aufert, cum dicat „velle adiacet mihiCerte ipsum velle in potestate est ... sed quod perficere bonum non est in ad meritum pertinet originalis peccati .. . unde nos gratia liberat subditos sibi per fidem.

enim potestate, conditoris

S. 47 expos. Gal. п. 47 (III 2139): . . . eos esse sub lege, quorum spiritus ita concupiscit adversus carnem, ut поп ea quod volunt faciant, id est поп se teneant invictos in caritate iustitiae, sed a concupiscente adversum se carne vincantur. ad Simpl. I qu. 1, n. 14 (VI 108): hoc restat in ista mortali vita libera arbitrio, поп ut impleat homo iustitiam, cum voluerit, sed ut se supplici pietate convertat ad eum, cuius dono eam possit implere. expos. Rom., prop. 13—18 (III 2065): . . . pugnamus sed vincimur; fatemur enim mala esse quae facimus, et fatendo mala esse utique nolumus facere, sed . . . superamur. In isto gradu ostenditur nobis, quomodo iaceamus et dum surgere volumus et cadimus, gravius affligimur .. . Sic ergo iacens cum se quisque cognoverit per se ipsum surgere поп valere, imploret liberatoris auxilium . . . ibid. (III 2066): Non in ipso desiderio pravo, sed in nostra consensione peccamus . .. Liberum ergo arbitrium perfecte fuit in primo homine, in nobis autem ante gratiam non est liberum arbitrium ut non peccemus, sed tantum ut peccare nolimus. Gratia vero efficit, ut non tantum velimus rede facere, sed etiam possimus. S. 48 ad Simpl. I qu. 1, n. 15 (VI 108): Ita fit ut non dominetur (sc. lex) eis, qui tarn sub gratia sunt, implentibus earn per caritatem, qui erant sub eius timore damnati. ibid. n. 17 (VI 110): idem praeceptum timentibus lex est, quod amantibus gratia est. S. 49 ibid: Quoniam in tantum nota est (sc. lex), in quantum scripta legitur, non in quantum dilecta perficitur, nihil est aliud talibus nisi littera . . . Qui per spiritum innovantur, iam non sunt obligati litterae ad poenam, sed intellectui per iustitiam copulati. S. 51 (Anm.5) nat grat. n.47 (X 270): Sed putat fortasse (Pelagius) ideo necessarium esse Christi nomen, ut per eius Evangelium discamus, quemadmodum vivere debeamus, non etiam ut eius adiuvemur gratia, quo bene vivamus. (Anm.5) grat. Chr. n.8 (X 364): [Pelagius:] Adiuvat enim nos Deus per doctrinam et revelationem suam, dum cordis nostri oculos aperit; dum nobis,

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ne praesentibus occupemur, futura demonstrat; dum diaboli pandit insidias; .. . Qui haec dicit, gratiam tibi videtur negare? An et liberum hominis arbitrium et Dei gratiam confitetur? — [Augustinus:] In his omnibus поп recessit а commendatione legis atque doctrinae, hanc esse adjuvantem gratiam diligenter inculcans. (Anm.5) ibid. n.ll (X 365s): [Pelagius:] „Deus est enim qui operatur in vobis et velle et perficere" (Phil. 2, 13). Operatur in nobis velle quod bonum est, velle quod sanctum est, dum nos terrenis cupiditatibus deditos et mutorum more animalium tantummodo praesentia diligentes futurae gloriae magnitudine et praemiorum pollicitatione succendit; dum revelatione sapientiae in desiderio Dei stupentem suscitat voluntatem; dum nobis suadet omne quod bonum est. — [Augustinus:] Quid manifestius nihil aliud eum dicere gratiam, qua Deus in nobis operatur velle quod bonum est, quam legem atque doctrinam? (Anm.6) nat grat. n.39 (X 266): Pelagius ... misericordiam et medicinale salvatoris auxilium tantum in hoc ponit, ut ignoscat commissa praeterita, поп ut adiuvet ad futura vitanda. (Anm.6) grat Chr. n.2 (X 361): [Pelagius:] ... ut semper in memoria retinentes et reminiscentes dimissa nobis esse peccata поп peccemus ulterius, adiuti поп aliqua subministratione virtutis, sed viribus propriae voluntatis, quid sibi remissione peccatorum praestitum fuerit, per actus singulos recordantis. (Anm.6) ibid. n.38 (X 378) [Augustinus:] Utrum tarnen eam (sc. gratiam) in remissione peccatorum velit intelligi an etiam in doctrina Christi, ubi est et conversationis eius exemplum ... an credat aliquod adiutorium bene agendi adiunctum naturae atque doctrinae per inspirationem flagrantissimae et luminosissimae caritatis, поп apparet omnino. S. 52 (Anm.7) op. impf, ad Iul. I 94: [lulianus:] Ipsa gratia legem in adiutorium misit: ad eius spectabat officium, ut rationis lumen, quod pravitatis exempla hebetabant et consuetudo vitiorum, multimodis eruditionibus excitaret atque invitatu suo foveret. (Anm.7) spir. lit. n.5 (X 203): Nos autem dicimus humanam voluntatem sie divinitus adiuvari ad faciendam iustitiam, ut praeter quod creatus est homo cum libero arbitrio voluntatis praeterque doctrinam qua ei praeeipitur quemadmodum vivere debeat, aeeipiat spiritum sanctum, quo fiat in animo eius delectatio dilectioque summi illius atque incommutabilis boni, quod Deus est... Nam neque liberum arbitrium quidquam nisi ad peccandum valet, si lateat veritatis via, et cum id quod agendum et quo nitendum est coeperit поп latere, nisi etiam delectet et ametur, поп agitur, поп suseipitur, поп bene vivitur. Ut autem diligatur, Caritas Dei diffunditur in cordibus nostris, поп per liberum arbitrium, quod surgit ex nobis, sed per Spiritum Sanctum qui datus est nobis.

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S. 5 3

grat. Chr. rt.43 (X 379 s): [Pelagius:] Hoc enim, quod tu (sc. Augustinus) de apostolo intelligere cupis, omnes ecclesiastici viri in peccatoris et sub lege adhuc positi asserunt eum dixisse persona, qui nimia vitiorum consuetudine velut quadam teneretur necessitate peccandi, et quamvis bonum appeteret voluntate, usu tarnen praecipitaretur in malum. In persona autem hominis unius designat populum sub vetere adhuc lege peccantem; quem ab hoc consuetudinis malo dicit liberandum esse per Christum, qui credentibus sibi primo omnia per baptismum peccata dimittit, deinde imitatione sui ad perfectam incitat sanctitatem, et vitiorum consuetudinem virtutum vincit exemplo. (Anm.8) ibid: [Augustinus:] Ecce quomodo (Pelagius) vult intelligi adiuvari eos qui sub lege peccant, ut per gratiam Christi iustificati liberentur, tanquam eis поп sufficiat sola lex propter nimiam peccandi consuetudinem, nisi Christi accedat — поп inspiratio caritatis per spiritum sanctum — sed intuendum et imitandum in doctrina evangelica virtutis eius exemplum. S. 5 5

(Anm.9) ibid. n.23 (X 371): [Pelagius, ep. ad Demetr:] . . . quomodo Dei faciendo voluntatem divinam mereamur gratiam et facilius nequam spiritui sancti spiritus auxilio resistamus. ep. Pel. I п. 22 (X 561): Visum autem aliquando etiam mihi fuerat hominem sub lege isto Apostoli sermone describi. Sed vim mihi fecerunt postea ista verba, quod ait „Nunc autem iam поп ego operor illud" . . . Et quia поп video quomodo diceret homo sub lege „Condelector legi Dei secundum interiorem hominem", cum ipsa delectatio boni, qua etiam поп consentit ad malum, поп timore poenae, sed amore iustitiae (hoc est enim „condelectari"), поп nisi gratiae deputanda sit. S. 5 6

(Anm.ll) grat. Chr. n.34 (X 376s): [Pelagius:] Illi ideo iudicandi atque damnandi sunt, quia cum habeant liberum arbitrium, per quod ad fidem venire possent et Dei gratiam promereri, male utuntur libertate concessa. Hi vero remunerandi sunt, qui bene libero utentes arbitrio merentur domini gratiam et eius mandata custodiunt. S. 57

(Anm. 12) nat. grat. n.67 (X 280): . . . Sub lege est enim, qui timore supplicii quod lex minatur, поп amore iustitiae se sentit abstinere ab opere peccati, nondum liber nee alienus α voluntate peccandi. In ipsa enim voluntate reus est, qua mallet, si fieri posset, поп esse quod timeat, ut libere faciat quod occulte desiderat.

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(Anm. 13) ep. Pel. Ι,η.7 (X 552 s): et in peccato sua voluntate retinentur et a peccato in peccatum sua voluntate praecipitantur . . . Sed haec voluntas, quae libera est in malis, quia delectatur malis, ideo libera in bonis поп est, quia liberata поп est. (Anm. 13) spir. lit. п. 13 (Χ 208): Quia et quicumque faciebant quod lex iubebat поп adiuvante spiritu gratiae, timore poenae faciebant, поп amore iustitiae: ac per hoc coram Deo поп erat in voluntate, quod coram hominibus apparebat in opere. (Anm. 13) ibid. n. 15 (X 209): per legem ostendit homini infirmitatem suam, ut ad eius misericordiam per fidem confugiens sanaretur . . . »iustificati gratis per gratiam ipsius": поп quod sine voluntate nostra fiat, sed voluntas nostra infirma ostenditur per legem, ut sanet gratia voluntatem et sanata voluntas impleat legem. S. 58 (Anm. 14) ad Simpl.I, q. 1. n.9 (VI 106): поп ideo dicit (sc. „поп ego operor illud etc."), quia поп consentit ad faciendum peccatum, quamvis legi consentiat ad hoc improbandum. ep. Pel. I, n. 18 (X 560): яfacere° ergo se dixit et operari поп affectu consentiendi et implendi sed ipso motu concupiscendi. S. 59 (Anm. 15) ibid. n. 17 (X 559 s): Si enim secundum hoc se dicit venumdatum sub peccato, quod adhuc поп est redemptum a corruptione corpus eius ... quid prohibet hie apostolum intelligi de se ipso dicere ... etiamsi in sua persona поп se solum, sed omnes accipi velit, qui se noverunt spirituali delectatione cum carnis affectione sine consensione confligere. retract. / 15, 2 (I 609): Perfectio quippe boni est, ut пес ipsa concupiscentia sit in homine, cut quidem, quando bene vivitur, поп consentit voluntas: verumtamen поп perficit bonum quia inest adhuc concupiscentia, cut repugnat voluntas. S. 60 ep. Pel. II n. 17 (X 583): lam nunc videamus hoc ipsum, quod volunt (sc. Pelagiani) praecedere in homine, ut adiutorio gratiae dignus habeatur ... Isti enim volunt in homine ab ipso homine incipere cupiditatem boni, ut huius coepti meritum etiam perficiendi gratiam consequatur. S. 61 ibid. n. 18 (X 584): [Augustinus:] Si enim sine Dei gratia per nos incipit cupiditas boni, ipsum coeptum erit meritum, cui tanquam ex debito gratiae veniat adiutorium.

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ibid. n. 21 (X 586): si autem (cupiditas boni) bonum est, nonnisi ab illo nobis est, qui summe atque incommutibiliter bonum est. Quid est enim boni cupiditas nisi Caritas, de qua Johannes ... loquitur . . .: „Caritas ex Deo est"f ibid. n.22 (X 586 s): „gratiam quoque adiuvare uniuscuiusque bonum propositum, поп tarnen reluctanti Studium virtutis immittere": hoc quippe ita dicunt (Pelagiani), velut homo a se ipso sine adiutorio Dei habeat propositum bonum studiumque virtutis — quo merito praecedente dignus sit adviuvari Dei gratia subsequente .. . [Augustinus:] Hominis propositum bonum adiuvat quidem subsequens gratia, sed пес ipsum esset nisi praecederet gratia . . . поп incipit sine gratia, sed ab Illo inspiratur. ibid. n. 23 (X 588): sicut nemo potest bonum perficere sine Domino, sic nemo incipere sine Domino. 5. 62

(Anm.2) grat. Chr. п.24 (X 371s): [Pelagius, ер. ad Demetrium:] Qui currit ad Dominum et ab eo se regi cupit, id est voluntatem suam ex eius voluntate suspendit; qui ei adhaerendo iugiter unus cum eo fit spiritus (l.Cor. 6, 17), поп hoc nisi de arbitrii efficit libertate . . . qua qui bene utitur, ita se totum tradit Deo omnemque suam mortificat voluntatem, ut cum Apostolo possit dicere „Vivo autem jam поп ego, vivit autem in me Christus" (Gal. 2, 20); ponitque cor suum in manu Dei, ut illud quo voluerit (sc. Deus) ipse declinet. [Augustinus:] Magnum profecto adiutorium divinae gratiae, ut cor nostrum quo voluerit Deus ipse declinet. Sed hoc tam magnum adiutorium, sicut iste desipit, tunc meremur, cum sine ullo adiutorio nonnisi de arbitrio libertate ad Dominum currimus, ab eo nos regi cupimus, voluntatem nostram ex eius voluntate suspendimus . . . etc. Haec scilicet tam ingentia bona nonnisi de arbitrii — secundum istum — efficimus libertate, ut his praecedentibus meritis sic eius gratiam consequamur, ut cor nostrum quo voluerit ipse declinet. Quomodo est ergo gratia, si поп gratis datur? ... si opera tanta praecedunt, quae nobis adipiscendae gratiae meritum faciant, quo nobis поп donetur gratuito, sed reddatur ex debito? S. 65

(Anm.2) div. quaest. qu.68, n. 5 (VI 73): Et quoniam пес velle quisquam potest, nisi admonitus et vocatus, sive intrinsecus, ubi nullus hominum videt, sive extrinsecus per sermonem sonantem aut per aliqua signa visibilia, efficitur ut etiam ipsum velle Deus operetur in nobis ... Vocatio ergo ante meritum voluntatem operatur. (Anm.3) spir. lit. n.60 (X 240): quod visorum suasionibus agit Deus, ut velimus et ut credamus, sive extrinsecus per evangelicas exhortationes, ubi et mandata legis aliquid agunt, si ad hoc admonent hominem infirmitatis suae, ut ad gratiam iustificantem credendo confugiat, sive intrinsecus, ubi nemo

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habet in potestate, quid ei veniat in mentem; sed consentire vel dissentire propriae voluntatis est. S. 66

ad Simpl I qu. 2, n. 22 (VI 128): Restat ut voluntates eligantur. Sed voluntas ipsa, nisi aliquid occurreret, quod delectet atque invitet animum, moveri nullo modo potest: hoc autem ut occurrat, поп est in hominis potestate. (Anm.4) ad Simpl. I qu.2 n.13 (VI 119): Illi enim electi, qui congruenter vocati. S. 67

De grat. et lib. arb. n. 33 (X 901): Qui efgo vult facere Dei mandatum et поп potest, iam quidem habet voluntatem bonam, sed adhuc parvam et invalidam; poterit autem, cum magnam habuerit et robustam ... Et quis istam etsi parvam dare coeperat caritatem, nisi ille, qui praeparat voluntatem, et cooperando perficit, quod operando incipitt Quoniam ipse ut velimus operatur inciptens, qui volentibus cooperatur perficiens ... Ut ergo velimus, sine nobis operatur; cum autem volumus, et sic volumus ut faciamus, nobiscum cooperatur. ad Simpl. I qu. 2, n. 10 (VI117): Aliter enim praestat Deus ut velimus, aliter praestat quod voluerimus. Ut velimus enim et suum esse voluit et nostrum: suum vocando, nostrum sequendo. Quod autem voluerimus, solus praestat, id est posse bene agere (etc.). S. 69

grat. Chr. п. 34 (Χ 377): „Gratia salvi facti estis per fidem. Et hoc поп ex vobis, sed Dei donum est° (Eph.2,8): Nempe ergo illud unde incipit omne quod merito accipere dicimur, sine merito accipimus, i. e. ipsam fidem. Isti (sc. Pelagiani) autem libero arbitrio sic applicant fidem, ut fidei videlicet reddi videatur поп gratuita, sed debita gratia. S. 72

ad Simpl. I qu. 2, n. 7 (VI Iii): Quaeritur autem, utrum vel fides mereatur hominis iustificationem, an vero пес fidei merita praecedant misericordiam Dei, sed et fides ipsa inter dona gratiae numeretur ... Nemo enim credit, qui поп vocatur. Misericors autem Deus vocat, nullts hoc vel fidei meritis largiens. S. 73

div. quaest. qu. 68,3 (VI 71): Merces enim cognitionis meritis redditur; credendo autem meritum comparatur. Ipsa autem gratia, quae data est per fidem, nullts nostris meritis praecedentibus data est ... ut ad credendum поп merito, sed gratia vocaremur, credendo autem etiam meritum collocaremus.

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(Anm.S) retract. I 23,4 (I 622): „misericordia (Dei) praecedenti fidei tribuitur" (expos. Rom. prop. 62): quod quidem verum est; sed quaerendum erat, utrum et meritum fidei de misericordia Dei veniat, utrum ista misericordia ideo tantummodo fiat in homine, quia fidelis etiam facta fuerit ut fidelis esset.

merito adhuc id est est, an

S. 75

ad Simpl. I qu. 2, n. 10 (VI 117): пес velle possumus nisi vocati et nihil valet velle nostrum, nisi ut perficiamus adiuvet Deus. S. 7 6

nat. grat. n. 54 (X 273): Pertinet ad voluntatem volumus, quia id omnino nolle поп possumus.

nostram, quod beati esse

S. 78

div. quaest. qu. 40 (VI 27): Ex diversis visis diversus appetitus animarum est.

H A N S JONAS

Gnosis und spätantiker Geist Teil I: Die mythologische Gnosis / 3., verbesserte und vermehrte Auflage 1964. 472 Seiten, kart. 28,— DM, Leinen 32,— DM Ergänzungsheft zu Band I (für Bezieher der 1. und 2. Auflage): 80 Seiten, kart. 9,50 DM Teil 11:1. Hälfte: Von der Mythologie zur mystischen Philosophie 2. Auflage 1954. 256 Seiten, brosch. 18,— DM „Jonas hat nachgewiesen, daß nicht in den Einzelmotiven, die das synkretistische Bild der Gnosis zeichnen, und auch nicht in der Herkunft dieser Motive das Wesen des historischen Phänomens der Gnosis zu erfassen ist. Ohne die Einsicht in das Selbst- und Weltverständnis der Gnosis ist auch dem Historiker das Phänomen der Gnosis verschlossen, und Jonas hat den Weg dazu eröffnet. Darum bezeichnet sein Werk eine Wende der Forschung." Göttingische Gelehrte Anzeigen „.Gnosis'ist ursprünglich eine Bezeichnung für eine Sonderentwicklung der christlichen Dogmengeschichte, die teils innerhalb, teils außerhalb der eigentlichen Kirchengeschichte verlief und dem 2. und 3. christlichen Jahrhundert weitgehend das Gepräge gab. Mehr und mehr aber schälte sich die Eigenständigkeit dieser geistigen Bewegung heraus, deren christliche Formen zu Sekundärerscheinungen eines umfassenden Bereiches von religiösen Formationen wurden, der den traditionellen Geschichtsschnitt zwischen Antike und Christentum über- bzw. unterspannt, ebenso wie er die Grenze zwischen Orient und Okzident unbeachtet läßt. Immer neue Provinzen dieses Reiches wurden durch glückliche Funde entdeckt, auf immer anderem Niveau wiederholten sich bestimmte Grundfiguren. — Dieses auch heute noch nicht abschließend konturierbare Volumen Heß dem Einheitsnamen .Gnosis' allmählich nur noch ein nebuloses Recht. Jonas scheint zunächst diese Entwicklung noch durch weitere Affiliationen zu übertrumpfen; um nur die überraschendste zu nennen: für den noch nicht erschienenen zweiten Teil des zweiten Bandes ist die Einbeziehung Plotins angesagt. Das Erstaunliche ist nun, daß diese kühnen Erweiterungen, die aus der gnostischen .Häresie' ein ,gnostisches Zeitalter' werden lassen, den Begriff nicht weiter amorphisieren, sondern zu strafferer Bestimmtheit bringen, dies aber nicht in der Weise der Abstraktion, sondern durch Aufweis der fundierenden Sinnstrukturen . . ." Philosophische Rundschau HANS JONAS

Zwischen Nichts und Ewigkeit Drei Aufsätze zur Lehre vom Menschen. Kleine Vandenhoeck-Reihe 165. 1963. 77 Seiten, engl, brosch. 2,80 DM Inhalt: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus / Homo pictor und die differentia des Menschen / Unsterblichkeit und heutige Existenz / Anhang: Aus einem Briefwechsel zwischen Rudolf Bultmann und dem Verfasser anläßlich des Aufsatzes über die Unsterblichkeit. Anmerkungen. „Die .existentialistische' Lesung der Gnosis lädt als zu ihrem natürlichen Gegenstück zum Versuch einer .gnostischen' Lesung des Existentialismus ein." Aus dem Vorwort V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N UND

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