Armut und Vertrag: Über den liberalen Wert eines sozialen Vertragsrechts [1 ed.] 9783161617164, 9783161617966, 3161617169

"Eine Reihe gesellschaftlicher Institutionen [...], Parlamente [...], Gerichte [...] und die Gesellschaft insgesamt

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitende Vorbemerkungen
A. Armut und Rechtswissenschaft
B. Methodischer Ansatz und Forschungsfragen
C. Warum eine Befähigungsperspektive auf das Vertragsrecht?
D. Untersuchungssubjekt und Untersuchungsgegenstand
E. Gang der Untersuchung
Erstes Kapitel: Grundlegung
§ 1: Befähigungsansatz im Gefüge von Politik und Wissenschaft
§ 2: Ökonomischer Entstehungszusammenhang
A. Gleichheit wovon?
B. Bedeutung der „Informationsbasis“
C. Nutzen und Wohlergehen
I. Merkmale einer klassischen utilitaristischen Formel
1. Nützlichkeitsprinzip
2. Kardinalität und interpersonelle Vergleichbarkeit
II. Wende zur Wohlfahrtsökonomik
D. Grenzen des Wohlfahrtsgedankens
I. Zufriedenheitsdilemma
II. Entscheidung und Motive
1. Problem der einmischenden Präferenzen
2. Einschränkung der „Informationsbasis“
III. Nicht-Nutzeninformationen
E. Verteilungsproblem
I. Summierung und Verteilung
II. Pareto-Optimum und Verteilung
III. Kompensation und Verteilung
IV. „Arrow-Paradox“
F. Zwischenergebnis
§ 3: Grundgüter und Wohlergehen
A. Methodik der Begründung
B. Verteilungsprinzip
I. Entscheidungstheoretische Rechtfertigung
II. Grundgüter und Individualität
§ 4: Befähigung und Wohlergehen
A. Funktionsweisen und Fähigkeiten
I. Funktionsweisen (Zustände und Tätigkeiten)
II. Fähigkeiten (realisierbare Freiheiten)
B. Güter als „Nutzwerk“
C. Umwandlungsfaktoren
I. Persönliche Umwandlungsfaktoren
II. Soziale Umwandlungsfaktoren
§ 5: Freiheitsorientiertes Armutsverständnis
A. Armutsmessung und Werturteile
I. Aggregationsproblem
II. Identifikationsproblem
1. Was kennzeichnet Armut?
2. Wer ist arm und wer ist nicht-arm?
B. Armut als Mangel an Grundfähigkeiten
I. Mehrdimensionalität
II. Grundfähigkeiten
III. Bedeutung des allgemeinen Wohlstandsniveaus
§ 6: Zusammenfassung
Zweites Kapitel: Anwendung
§ 7: Vertragsfreiheit als Fähigkeit?
A. Zwei Freiheitsdimensionen
B. Innere Freiheit
I. Neuronaler Determinismus
II. Positive Willensfreiheit als normative Annahme
III. Willensfreiheit und Moralität
C. Äußere Freiheit
I. Freiheitskonzepte
1. Negative Freiheit
2. Positive Freiheit
3. Vereinigung
II. Vertragsfreiheit: Prozess und Chancen
1. Material-negative Freiheit
2. Prozessaspekt der Freiheit und prozessuale Gerechtigkeit
III. Vertragsfreiheit als Wert an sich
IV. Vertragsfreiheit und wirkliche Freiheit
§ 8: Recht im Befähigungsansatz
A. Beispiel: Grundsicherung für Arbeitsuchende
B. Drei Kategorien entwicklungsfördernder Rechte
§ 9: Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung
A. Befähigungsansatz als rechtspolitisches Programm
I. Folgenermittlung
II. Folgenbewertung
1. Operationalisierbarkeit
2. Paternalismusproblem
3. Individualisierungsproblem
B. Befähigungsorientierte Rechtsanwendung
I. Beispiel: „Angemessenheit“ i. S. d. § 41 Abs. 2 ZKG
II. Beispiel: Aufrechnung im Notlagentarif gemäß § 153 VAG
§ 10: Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor
A. Güterbezogene Instrumente
I. Soziale Marktwirtschaft und zwei Seiten der Selbstverantwortung
II. Kollektiv- und Fremdverantwortung
III. Selbstverantwortung
1. Umgestaltung vertraglicher Schuldverhältnisse von Amts wegen
2. Verknüpfung von finanzieller Bedürftigkeit und Schuld
3. Sittliche Gleichgültigkeit gegenüber finanzieller Überforderung
a) Bedeutung des gesetzlichen Pfändungsschutzes
b) Problem der potenziellen Gütermehrung
c) Schuldendruck von endlicher Dauer
d) Finanzielle Überforderung als Akt der Selbstbestimmung
e) Überschuldungsschutz ohne Nichtigkeitssanktion
4. Finanzielle Überforderung in der Ausübungskontrolle
a) Finanzielles Unvermögen
b) Drohende Existenzvernichtung
IV. Ist Selbstverantwortung entwicklungsfördernd?
1. Freiheit zur Armut
2. „Angesparte“ Freiheit
B. Personenbezogene Instrumente
I. Willensbildungsfähigkeit
II. Wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit
1. (Eigene) Leistungsfähigkeit und Anfechtbarkeit
2. Einkommensschwache Verbraucher
a) „Armutsneutrale“ Formulierung des § 13 BGB
b) Kein „Klostertod“
3. Vorvertragliche Verhaltenspflicht aufgrund Bedürftigkeit
4. Geldnot als Zwangslage
5. Verhandlungsgleichgewicht trotz finanzieller Bedürftigkeit
6. Finanzielle Unterlegenheit als ein Grund unter vielen
7. Verhandlungsprozess und Verhandlungsergebnis
C. Gesellschaftsbezogene Instrumente
I. Selbstverantwortung und sonst nichts?
II. Abbau freiheitsbeschränkender Bedingungen nicht-monetärer Art
1. Angebots- und Preisregulierung
2. Verhaltensregulierung
a) Haftungserweiterung
b) Änderung des Zahlungswegs
c) Schutz vor Armutsdiskriminierung
d) Entwicklungsfördernder Kontrahierungszwang
e) Sanktionen als „bewegende Kraft“
III. Zum liberalen Wert eines sozialen Vertragsrechts
§ 11: Zusammenfassung
Drittes Kapitel: Legitimation
§ 12: Legitimationsprogramm
§ 13: Freiheit als Mittel und Ziel
A. Markteingriffe im Namen der Freiheit
B. Gerechtigkeit als Freiheit
§ 14: Warum gleiche Grundfähigkeiten?
A. (Re-)Integration in den Markt
I. Instrumentalisierung
II. Entindividualisierung
B. Würde ohne Sold
C. Gleichheit ohne Eigenwert
§ 15: Warum einer und nicht alle?
A. Allokations- und Umverteilungsabteilung
B. Bedeutung des Verteilungsgegenstandes
C. Abgrenzung der Freiheitssphären
I. Vorrang von Grundfähigkeiten
II. Fixierung konkreter Grundfähigkeiten
III. Prozeduraler Ansatz
§ 16: Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens
A. Pluralität der Ziele
B. Schutz unveräußerlicher Rechte
I. Verfassungsrecht als Schutzschild
II. Moralische Intuitionen als „ultimativer Test“
C. Minimalistisches Gerechtigkeitsimplantat
I. Zur doppelten Verbindung zwischen Freiheit und Verantwortung
II. Moral für (kluge) Nutzenmaximierer
§ 17: Zusammenfassung
Schlussbetrachtung
A. Freiheitsorientierte Rechtsbeschreibung
B. Freiheitsorientierte Rechtsgestaltung
C. Umverteilung von Freiheiten
Literaturverzeichnis
Namensregister
Sachregister
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Armut und Vertrag: Über den liberalen Wert eines sozialen Vertragsrechts [1 ed.]
 9783161617164, 9783161617966, 3161617169

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 265

Julia Kraft

Armut und Vertrag Über den liberalen Wert eines sozialen Vertragsrechts

Mohr Siebeck

Julia Kraft, geboren 1979; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Passau, der Université de Genève und der LMU München; 2003 Erstes Staatsexamen; 2005 Promotion (Universität Bayreuth); 2007 Zweites Staatsexamen; 2007–2012 Richterin (Landgericht Amberg), Staatsanwältin (Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth), Referentin für Europäisches Gesellschaftsrecht, Konzern- und Umwandlungsrecht am Bundesministerium der Justiz, Berlin sowie Notarvertreterin beim Notariat Weinheim; 2013 Ernennung zur Justizrätin, wissenschaftliche Referentin am Deutschen Notarinstitut, Würzburg; 2015 LL.M. (KU Leuven); seit Mai 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin (in Neben­tätigkeit) am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, HHU Düsseldorf; 2022 Habilitation (HHU Düsseldorf).

ISBN  978-3-16-161716-4 / eISBN 978-3-16-161796-6 DOI 10.1628/978-3-16-161796-6 ISSN  0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Na­ tionalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Für Peter, Linda, Clara und Severin

Vorwort Worin liegt der liberale Wert eines sozialen Vertragsrechts? Die vorliegende Abhandlung geht dieser Frage nach. Die Antwort findet sich in einem gehaltvollen Freiheitsverständnis, demzufolge sich Freiheit nicht bereits dann für jedermann verwirklicht, wenn man nur in genügendem Umfang nichts tut. Die Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Habilitationsschrift angenommen. Dass es dazu gekommen ist, habe ich vor allem meinem sehr verehrten akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Ulrich Noack zu verdanken. Er hat die Entstehung dieser Arbeit mit großem Verständnis gefördert und mir die Freiheit gegeben, über Dinge nachdenken zu können, die mir wichtig sind. Für die gewährte Unterstützung in den vergangenen Jahren werde ich ihm immer zutiefst dankbar sein. Mein aufrichtiger Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Rupprecht Podszun für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Der VolkswagenStiftung danke ich für die Unterstützung während der Exploration der Forschungsidee im Rahmen der Förderinitiative „‚Originalitätsverdacht?‘ Neue Optionen für die Geistes- und Kulturwissenschaften“. Zu danken habe ich auch dem Dr. Theo und Friedl Schöller Forschungszentrum für Wirtschaft und Gesellschaft für die großzügig gewährte Druckkostenbeihilfe. Mein letzter Dank gilt meinem Mann und meinen Kindern. Sie haben durch ihr Vertrauen in mich auf eine Weise zur Entstehung dieser Schrift beigetragen, die ich im Alltagsleben unserer Familie viel zu selten gewürdigt habe. Ihnen ist das Buch in großer Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Köln, im Mai 2022

Julia Kraft

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV

Einleitende Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Erstes Kapitel: Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 §  1 Befähigungsansatz im Gefüge von Politik und Wissenschaft . 23 §  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang . . . . . . . . . . . 27 §  3 Grundgüter und Wohlergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 §  4 Befähigung und Wohlergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 §  5 Freiheitsorientiertes Armutsverständnis . . . . . . . . . . . . . 87 §  6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Zweites Kapitel: Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 §  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 §  8 Recht im Befähigungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 §  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung . 169 §  10 Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor . . . . . . . . . . . . . . 192 §  11 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Drittes Kapitel: Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 §  12 Legitimationsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 §  13 Freiheit als Mittel und Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 §  14 Warum gleiche Grundfähigkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . 328

X

Inhaltsübersicht

§  15 Warum einer und nicht alle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 §  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens . . . . . . 357 §  17 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV

Einleitende Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Armut und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Methodischer Ansatz und Forschungsfragen . . . . . . . . 9 C. Warum eine Befähigungsperspektive auf das Vertragsrecht? 13 D. Untersuchungssubjekt und Untersuchungsgegenstand . . . 14 E. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Erstes Kapitel: Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 §  1 Befähigungsansatz im Gefüge von Politik und Wissenschaft . 23 §  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang . . . . . . . . . . . 27 A. Gleichheit wovon? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Bedeutung der „Informationsbasis“ . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Nutzen und Wohlergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Merkmale einer klassischen utilitaristischen Formel . . 33 1. Nützlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Kardinalität und interpersonelle Vergleichbarkeit . . 36 II. Wende zur Wohlfahrtsökonomik . . . . . . . . . . . . 38 D. Grenzen des Wohlfahrtsgedankens . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Zufriedenheitsdilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Entscheidung und Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Problem der einmischenden Präferenzen . . . . . . . 43 2. Einschränkung der „Informationsbasis“ . . . . . . . 46 III. Nicht-Nutzeninformationen . . . . . . . . . . . . . . . 47 E. Verteilungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Summierung und Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . 50

XII

Inhaltsverzeichnis

II. Pareto-Optimum und Verteilung . . . . . . . . . . . . 53 III. Kompensation und Verteilung . . . . . . . . . . . . . . 56 IV. „Arrow-Paradox“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 §  3 Grundgüter und Wohlergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 A. Methodik der Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 B. Verteilungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Entscheidungstheoretische Rechtfertigung . . . . . . . 69 II. Grundgüter und Individualität . . . . . . . . . . . . . . 69 §  4 Befähigung und Wohlergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 A. Funktionsweisen und Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Funktionsweisen (Zustände und Tätigkeiten) . . . . . . 73 II. Fähigkeiten (realisierbare Freiheiten) . . . . . . . . . . 76 B. Güter als „Nutzwerk“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 C. Umwandlungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Persönliche Umwandlungsfaktoren . . . . . . . . . . . 84 II. Soziale Umwandlungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . 85 §  5 Freiheitsorientiertes Armutsverständnis . . . . . . . . . . . . . 87 A. Armutsmessung und Werturteile . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Aggregationsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Identifikationsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Was kennzeichnet Armut? . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Wer ist arm und wer ist nicht-arm? . . . . . . . . . . 94 B. Armut als Mangel an Grundfähigkeiten . . . . . . . . . . . 98 I. Mehrdimensionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Grundfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Bedeutung des allgemeinen Wohlstandsniveaus . . . . 102 §  6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Zweites Kapitel: Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 §  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 A. Zwei Freiheitsdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 B. Innere Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Neuronaler Determinismus . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Positive Willensfreiheit als normative Annahme . . . . 120 III. Willensfreiheit und Moralität . . . . . . . . . . . . . . . 123 C. Äußere Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Freiheitskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Inhaltsverzeichnis

XIII

1. Negative Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Positive Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Vertragsfreiheit: Prozess und Chancen . . . . . . . . . 138 1. Material-negative Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Prozessaspekt der Freiheit und prozessuale Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 III. Vertragsfreiheit als Wert an sich . . . . . . . . . . . . . 150 IV. Vertragsfreiheit und wirkliche Freiheit . . . . . . . . . 153 §  8 Recht im Befähigungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 A. Beispiel: Grundsicherung für Arbeitsuchende . . . . . . . . 161 B. Drei Kategorien entwicklungsfördernder Rechte . . . . . . 168 §  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung . 169 A. Befähigungsansatz als rechtspolitisches Programm . . . . . 170 I. Folgenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Folgenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Operationalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Paternalismusproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Individualisierungsproblem . . . . . . . . . . . . . . 184 B. Befähigungsorientierte Rechtsanwendung . . . . . . . . . . 187 I. Beispiel: „Angemessenheit“ i. S. d. §  41 Abs.  2 ZKG . . 187 II. Beispiel: Aufrechnung im Notlagentarif gemäß §  153 VAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 §  10 Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor . . . . . . . . . . . . . . 192 A. Güterbezogene Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 I. Soziale Marktwirtschaft und zwei Seiten der Selbstverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Kollektiv- und Fremdverantwortung . . . . . . . . . . 196 III. Selbstverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Umgestaltung vertraglicher Schuldverhältnisse von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Verknüpfung von finanzieller Bedürftigkeit und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Sittliche Gleichgültigkeit gegenüber finanzieller Überforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Bedeutung des gesetzlichen Pfändungsschutzes . 216 b) Problem der potenziellen Gütermehrung . . . . . 219 c) Schuldendruck von endlicher Dauer . . . . . . . . 221 d) Finanzielle Überforderung als Akt der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

XIV

Inhaltsverzeichnis

e) Überschuldungsschutz ohne Nichtigkeitssanktion 225 4. Finanzielle Überforderung in der Ausübungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Finanzielles Unvermögen . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Drohende Existenzvernichtung . . . . . . . . . . 239 IV. Ist Selbstverantwortung entwicklungsfördernd? . . . . 247 1. Freiheit zur Armut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. „Angesparte“ Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 B. Personenbezogene Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. Willensbildungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit . . . . . . . . . . 256 1. (Eigene) Leistungsfähigkeit und Anfechtbarkeit . . 257 2. Einkommensschwache Verbraucher . . . . . . . . . 260 a) „Armutsneutrale“ Formulierung des §  13 BGB . 262 b) Kein „Klostertod“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Vorvertragliche Verhaltenspflicht aufgrund Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Geldnot als Zwangslage . . . . . . . . . . . . . . . . 270 5. Verhandlungsgleichgewicht trotz finanzieller Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 6. Finanzielle Unterlegenheit als ein Grund unter vielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7. Verhandlungsprozess und Verhandlungsergebnis . . 275 C. Gesellschaftsbezogene Instrumente . . . . . . . . . . . . . . 277 I. Selbstverantwortung und sonst nichts? . . . . . . . . . 277 II. Abbau freiheitsbeschränkender Bedingungen nicht-monetärer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Angebots- und Preisregulierung . . . . . . . . . . . 282 2. Verhaltensregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Haftungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Änderung des Zahlungswegs . . . . . . . . . . . . 288 c) Schutz vor Armutsdiskriminierung . . . . . . . . 293 d) Entwicklungsfördernder Kontrahierungszwang . 298 e) Sanktionen als „bewegende Kraft“ . . . . . . . . . 303 III. Zum liberalen Wert eines sozialen Vertragsrechts . . . 306 §  11 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Drittes Kapitel: Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 §  12 Legitimationsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 §  13 Freiheit als Mittel und Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

Inhaltsverzeichnis

XV

A. Markteingriffe im Namen der Freiheit . . . . . . . . . . . . 322 B. Gerechtigkeit als Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 §  14 Warum gleiche Grundfähigkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . 328 A. (Re-)Integration in den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 I. Instrumentalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 II. Entindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 B. Würde ohne Sold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 C. Gleichheit ohne Eigenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 §  15 Warum einer und nicht alle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 A. Allokations- und Umverteilungsabteilung . . . . . . . . . . 339 B. Bedeutung des Verteilungsgegenstandes . . . . . . . . . . . 342 C. Abgrenzung der Freiheitssphären . . . . . . . . . . . . . . . 345 I. Vorrang von Grundfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 347 II. Fixierung konkreter Grundfähigkeiten . . . . . . . . . 348 III. Prozeduraler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 §  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens . . . . . . 357 A. Pluralität der Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 B. Schutz unveräußerlicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . 360 I. Verfassungsrecht als Schutzschild . . . . . . . . . . . . 361 II. Moralische Intuitionen als „ultimativer Test“ . . . . . . 362 C. Minimalistisches Gerechtigkeitsimplantat . . . . . . . . . . 365 I. Zur doppelten Verbindung zwischen Freiheit und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 II. Moral für (kluge) Nutzenmaximierer . . . . . . . . . . 370 §  17 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 A. Freiheitsorientierte Rechtsbeschreibung . . . . . . . . . . . 377 B. Freiheitsorientierte Rechtsgestaltung . . . . . . . . . . . . . 379 C. Umverteilung von Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Abkürzungsverzeichnis* a. A. a. F. ABl.

andere(r) Ansicht alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union AcP Archiv für die civilistische Praxis Adv. Consum. Res. Advances in Consumer Research AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AfkKR Archiv für katholisches Kirchenrecht AG Amtsgericht AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Ala. L. Rev. Alabama Law Review Am. Econ. Rev. American Economic Review Am. J. Econ. Sociol. American Journal of Economics and Sociology Am. Law Econ. Rev. American Law and Economics Review Am. Political Sci. Rev. American Political Science Review Anal. und Krit. Analyse & Kritik AO Abgabenordnung AöR Archiv des öffentlichen Rechts ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz AT Allgemeiner Teil AuR Arbeit und Recht BAG Bundesarbeitsgericht BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BB Betriebs-Berater BeckOGK Beck-Online Großkommentar BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BeckRS Beck’sche Rechtsschrift (beck-online) Behav. Brain Sci. Behavioral and Brain Sciences BetrAVG Betriebsrentengesetz BeurkG Beurkundungsgesetz BFH Bundesfinanzhof BGB Bürgerliches Gesetzbuch *  Auf die Wiedergabe allgemein gebräuchlicher Abkürzungen wird verzichtet. Siehe ergänzend Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10.  Aufl. 2021, Berlin: De Gruyter.

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Br. J. Sociol. British Journal of Sociology BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BSG Bundessozialgericht BSHG Bundessozialhilfegesetz BT Besonderer Teil BT-Drs. Bundestags-Drucksache Bus. Prof. Ethics J. Business & Professional Ethics Journal BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts C.I.C. Codex Iuris Canonici c.i.c. culpa in contrahendo CA Capability Approach Comp. Labor Law Comparative Labor Law & Policy Journal   Policy J. Cornell Int. Law J. Cornell International Law Journal Cornell L. Rev. Cornell Law Review DB Der Betrieb DJT Deutscher Juristentag DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift DÖV Die Öffentliche Verwaltung DRiZ Deutsche Richterzeitung DStR Deutsches Steuerrecht DZPh Deutsche Zeitschrift für Philosophie Econ. J. Economic Journal Econ. Philos. Economics & Philosophy Ed. Edition EG Europäische Gemeinschaften EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche EGInsO Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Einl. Einleitung EL Ergänzungslieferung Erasmus Law Rev. Erasmus Law Review EStG Einkommensteuergesetz et al. et alii (und andere) EU Europäische Union EuCML Journal of European Consumer and Market Law EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift Eur. J. Soc. Theory European Journal of Social Theory Eur. Law J. European Law Journal EUV Vertrag über die Europäische Union Exp. Brain Res. Experimental Brain Research

Abkürzungsverzeichnis

FamFG

XIX

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fem. Econ. Feminist economics FG Festgabe FGPrax Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Fla. State Univ. Florida State University Law Review   Law Rev. Fordham L. Rev. Fordham Law Review FPR Familie Partnerschaft Recht FS Festschrift Geo. J. on Fighting Georgetown Journal on Fighting Poverty  Poverty GewStG Gewerbesteuergesetz GG Grundgesetz GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union GrdstVG Grundstückverkehrsgesetz GS Gedächtnisschrift GVG Gerichtsverfassungsgesetz Harv. Law Policy Rev. Harvard Law & Policy Review Harv. Law Rev. Harvard Law Review HDCA Human Development and Capability Association HeimG Heimgesetz Hofstra Law Rev. Hofstra Law Review Hous. Stud. Housing Studies Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben Hs. Halbsatz HStR Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland IIC Quarterly India International Centre Quarterly Ind. Relat. J. Industrial Relations Journal InsO Insolvenzordnung Int. J. Discrim. Law International Journal of Discrimination and the Law IPR Internationales Privatrecht ISI Informationsdienst Soziale Indikatoren IzR Informationen zur Raumentwicklung J. Appl. Philos. Journal of Applied Philosophy JBl Juristische Blätter J. Bus. Journal of Business J. Dev. Stud. Journal of Development Studies J. Econ. Behav. Journal of Economic Behavior and Organization   Organ. J. Econ. Lit. Journal of Economic Literature J. Empir. Leg. Stud. Journal of Empirical Legal Studies J. Hum. Dev. Capab. Journal of Human Development and Capabilities

XX

Abkürzungsverzeichnis

J. Hum. Dev. Journal of Human Development J. Hum. Resour. Journal of Human Resources J. Int. Dev. Journal of International Development J. Law Econ. Journal of Law and Economics J. Leg. Stud. Journal of Legal Studies J. Mark. Res. Journal of Marketing Research J. Philos. Journal of Philosophy J. Polit. Philos. Journal of Political Philosophy J. Political Econ. Journal of Political Economy J. Socio. Econ. Journal of Socio-Economics JA Juristische Arbeitsblätter Jahrb. Natl. Ökon. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik  Stat. Jahrb. Sozialwiss. Jahrbuch für Sozialwissenschaft JCSW Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften jM juris – Die Monatszeitschrift JMM Journal of Markets & Morality JNPÖ Jahrbuch für neue politische Ökonomie JR Juristische Rundschau Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KirchE Entscheidungen in Kirchensachen KO Konkursordnung KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft KStG Körperschaftsteuergesetz KTS Zeitschrift für Insolvenzrecht, Konkurs, Treuhand, Sanierung KWG Kreditwesengesetz KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie LAG Landesarbeitsgericht Law Dev. Rev. Law and Development Review Law. Soc. Rev. Law and Society Review LG Landgericht LPartG Lebenspartnerschaftsgesetz m. w. N. mit weiteren Nachweisen Mass. Massachusetts Md. L. Rev. Maryland Law Review MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MedR Medizinrecht MiLoG Mindestlohngesetz MünchKommBGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch MünchKommInsO Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung MünchKommZPO Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung NJ Neue Justiz NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungs-Report

Abkürzungsverzeichnis

XXI

NL-BzAR Neue Landwirtschaft Briefe zum Agrarrecht Notre Dame J.L. Notre Dame Journal of Law, Ethics and Public Policy   Ethics & Pub. Pol’y Notre Dame L. Rev. Notre Dame Law Review np Neue Praxis; Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Beil. Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Beilage NZA-RR Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Rechtsprechungs-Report NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZI Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung NZJER New Zealand Journal of Employment Relations NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht Oxf. Econ. Pap. Oxford Economic Papers Philos. Public Aff. Philosophy & Public Affairs Philos. Rev. Philosophical Review Philos. Top. Philosophical Topics PiG Partner im Gespräch Political Psychol. Political Psychology Q. J. Econ. Quarterly Journal of Economics RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RBEG Regelbedarfsermittlungsgesetz RdA Recht der Arbeit Rev. Econ. Stud. Review of Economic Studies Rev. Political Econ. Review of Political Economy Rev. Soc. Econ. Review of Social Economy RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift Rpfleger Der deutsche Rechtspfleger Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung RW Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung Scand. J. Econ. Scandinavian Journal of Economics SDSRV Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes SG Sozialgericht SGB Sozialgesetzbuch Slg. Sammlung Soc. Choice Welf. Social Choice and Welfare Soc. Res. Social Research SR Soziales Recht

XXII

Abkürzungsverzeichnis

Stanf. Law Rev. Stanford Law Review StGB Strafgesetzbuch Stud. Comp. Int. Dev. Studies in Comparative International Development Sw. J. L. & Trade Am. Southwestern Journal of Law & Trade in the Americas SWS-Rundschau Zeitschrift des Vereins für interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Studien und Analysen Tex. Law Rev. Texas Law Review UAbs. Unterabsatz UN United Nations UNDP United Nations Development Programme Univ. Chic. Law Rev. University of Chicago Law Review Univ. Pa. Law Rev. University of Pennsylvania Law Review Urt. Urteil UTLJ University of Toronto Law Journal Utrecht L. Rev. Utrecht Law Review VAG Versicherungsaufsichtsgesetz VersR Versicherungsrecht VGH Verwaltungsgerichtshof VHG Gesetz über die richterliche Vertragshilfe VHV Verordnung über die Vertragshilfe des Richters aus Anlaß des Krieges VJH Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung Vol. Volume Vorb. Vorbemerkung(en) vs. versus VSSR Vierteljahresschrift für Sozialrecht VuR Zeitschrift für Wirtschafts- und Verbraucherrecht VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVG Versicherungsvertragsgesetz Wash. Univ. Law Rev. Washington University Law Review WFNG NRW Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen Wis. Int. Law J. Wisconsin International Law Journal WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WoBauG Wohnungsbaugesetz WoBindG Wohnungsbindungsgesetz WoFG Wohnraumförderungsgesetz WoFÜG Wohnraumförderungs-Überleitungsgesetz World Bank Res. Obs. World Bank Research Observer WuB Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht WuM Wohnungswirtschaft und Mietrecht Yale Law J. Yale Law Journal ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEuS Zeitschrift für europarechtliche Studien ZEV Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

ZfMR Zeitschrift für Menschenrechte ZfP Zeitschrift für Politik ZfPW Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft ZfW Zeitschrift für Wirtschaftspolitik zfwu Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZKG Zahlungskontengesetz ZMR Zeitschrift für Miet- und Raumrecht ZPhF Zeitschrift für Philosophische Forschung ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZSR Zeitschrift für Sozialreform ZwEWG Zweckentfremdungsgesetz ZZP Zeitschrift für Zivilprozess

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:  Güter – Funktionsweisen – Nutzen . . . . . . . . . . . . 74 Abbildung 2:  Fähigkeiten und Funktionsweisen . . . . . . . . . . . . . 78 Abbildung 3:  Umwandlungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Abbildung 4:  Armutsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Abbildung 5:  Wirkweise rechtlicher Normen im Befähigungsansatz . . 168

Einleitende Vorbemerkungen „Dies eben ist das klägliche der Jurisprudenz, daß sie die Politik von sich aussondert, daß sie […] sich selbst für unfähig erklärt, […] den Gang […] zu beherrschen […], während alle anderen Wissenschaften dies als […] ihre höchste Aufgabe betrachten.“1 J. v. Kirchmann

A. Armut und Rechtswissenschaft Wann ist ein Mensch in einem modernen Wohlfahrtsstaat als arm zu bezeichnen, und was müssen die Mitglieder einer Gesellschaft tun, um die Situation der von Armut Betroffenen zu verbessern? Diese Fragen betreffen große Themen unserer Zeit und sind Streitpunkte zahlreicher sozialpolitischer Debatten. Aber was rechtfertigt es, das Thema „Armut“ zum Gegenstand einer privatrechtlichen Untersuchung zu machen? Das ist die Ausgangsüberlegung dieser Schrift. Es sprechen zwei Gründe dafür: Der erste Grund ist offensichtlich. Wenn das Wort „Armut“ Einzug in den Rechtstext gefunden hat, muss die Rechtswissenschaft als diejenige Wissenschaft, die „sich mit der Lösung von Rechtsfragen im Rahmen und auf der Grundlage einer bestimmten, historisch gewachsenen Rechtsordnung befaßt“2 und die das Recht als System aus Prinzipien, Begriffen und Normen begreift,3 eine Antwort auf die Frage geben, was den Zustand des Mangels kennzeichnet. Und in der Tat ist dem allgemeinen Privatrecht ein armutsrelevantes Begriffsrepertoire nicht fremd. Das Bürgerliche Gesetzbuch widmet den „Armen“ nicht nur eine ganze Vorschrift (§  2072 BGB), es kennt auch den Zustand der „Verarmung“ (§  528 BGB). Damit hat der Umstand, dass das Wort „Armut“ mehrdeutig ist, es nicht bei jedermann dieselbe Vorstellung auslöst sowie einem permanenten Bedeutungswandel unterliegt, eine unmittelbare privatrechtswissenschaftliche Relevanz, denn er schlägt sich im Recht nieder, das nur durch Gesetzesworte zum Ausdruck gebracht werden kann.4 1 

v. Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848 (1956), S.  45. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3.  Aufl. 1995, S.  7. 3  Jansen/Reimann, ZEuP 2018, S.  89, 90. 4 Ebenso Rottleuthner, Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, 1973, S.  195; Canaris, 2 

2

Einleitende Vorbemerkungen

Der zweite Grund liegt darin, dass der Zustand der Armut in jeder Gesellschaft Handlungsdruck erzeugt.5 Wem es gelingt – so wird treffend gesagt –, „bestimmte Lebensverhältnisse gegenüber anderen Deutungen als Armut zu charakterisieren, der nötigt seine Umwelt dazu, gegen diese Lebensverhältnisse etwas zu tun.“6 Dadurch wird „Armut“ zur Triebfeder für sozialpolitische Entscheidungen,7 die mithilfe des Rechts normativ „verfestigt“ werden müssen, 8 womit Rechtsnormen zum wesentlichen Steuerungsinstrument der Sozialpolitik werden.9 Und diese macht bekanntlich vor den Toren des Privatrechts nicht Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983, S.  19; Bleich, NJW 1989, S.  3197, 3199; Säcker, in: Kessal-Wulf et al., Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik, 2006, S.  39, 51 (Jurist als „Textrezipient“); Maley, in: Gibbons, Language and the Law, 2013, S.  11; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 12.  Aufl. 2021, S.  15; Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  103: „Es gibt kein Recht außerhalb der Sprache.“; zur Bedeutung der Sprache in der vergleichenden Rechtswissenschaft Großfeld, in: Legrand/Munday, Comparative Legal Studies, 2003, S.  154, 161 f. 5  Die Ansicht, dass Armut ein drängendes Problem ist, das es zu bekämpfen gilt, wird selten bestritten. Vgl. dazu bereits Simmel, Der Arme, 1908 (2019), S.  75: „Man kann von der Armut als von einer sachlich bestimmten Erscheinung ausgehen und sie als solche zu beseitigen suchen: an wem, aus welchen individuellen Ursachen, mit welchen individuellen Folgen auch immer sie hervortritt, sie fordert Abhilfe, Ausgleichung dieses sozialen Mankos“; Hauser, Wirtschaftsdienst 3 (2007), S.  172; Leßmann, Konzeption und Erfassung von Armut, 2009, S.  13. Deutlich auch Schweiger/Graf, A Philosophical Examination of Social Justice and Child Poverty, 2015, S.  1: „It is hard to find anyone who argues against the claim that children should not be poor and that we should do something about that.“; dementsprechend hat die Europäische Kommission bereits im März 2010 folgendes Ziel definiert: „Die Zahl der Europäer, die unter den nationalen Armutsgrenzen leben, sollte um 25 % gesenkt werden, was 20 Millionen Menschen aus der Armut befreien würde.“; Mitteilung der Kommission: Europa 2020: Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, KOM(2010) 2020, S.  13. Auch die Vereinten Nationen verfolgen Ambitioniertes: Sie wollen bis zum Jahr 2030 extreme Armut gänzlich überwinden; vgl. UN General Assembly Resolution vom 25.9.2015, Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development, A/RES/70/1, S.  2/35: „We are determined to end poverty and hunger, in all their forms and dimensions, and to ensure that all human beings can fulfil their potential in dignity and equality and in a healthy environment.“; ähnlich auch der Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode zwischen CDU, CSU und SPD, Rn.  7661 f.: „Die Überwindung von Hunger und Armut in der Welt ist ein wesentliches Ziel unserer Entwicklungspolitik.“ 6  Jacobs, Soziale Welt 46 (1995), S.  403; ebenso Möhring-Hesse, ZfMR 2 (2008), S.  7. 7 Vgl. Jacobs, Soziale Welt 46 (1995), S.  403, 417; Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  3; Neuhäuser, ARSP 96 (2010), S.  542 (Fn.  2); Schweiger/ Graf, A Philosophical Examination of Social Justice and Child Poverty, 2015, S.  2: „[P]overty has a certain appelative character.“; Beck et al., in: Beck et al., Dimensions of Poverty, 2020, S.  1, 2. Mit Bezug zur Problematik der Knappheit im Allgemeinen Balla, Soziologie der Knappheit, 1978, S.  36, der von „Knappheitsbewußtsein und Knappheitsbewertung als Vorstufe im Prozeß der Knappheitsbekämpfung“ spricht. 8 Vgl. Bettermann, Freiheit unter dem Gesetz, 1962, S.  40; Ruland, in: GS Heinze, 2005, S.  731: „Das Recht der Sozialen Sicherheit […] ist rechtlich verfestigte Sozialpolitik.“; Ruland, NZS 2012, S.  321. 9  Zum Recht als wichtigstem politischen Steuerungsinstrument vgl. BVerfGE 68, 193, 209 = NJW 1985, S.  1385, 1386: „Das Sozialrecht ist eines der wichtigsten Instrumente staatlicher Sozialpolitik […].“; ferner Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3.  Aufl. 1998, S.  459;

Einleitende Vorbemerkungen

3

halt.10 Es erstaunt daher nicht, dass sich auch die nationale Armutspolitik, also dasjenige Politikfeld, das die Bekämpfung und Prävention von Armut zum Ziel hat, nicht auf den Einsatz sozialrechtlicher Instrumente beschränkt.11 Sie stellt vielmehr auch privatrechtliche Regelungen in ihren Dienst und nutzt „Armut“ als Motor für Gesetzesinitiativen. So hat die Bundesregierung etwa die Einführung eines Mindestlohns unter anderem mit dem Ziel verbunden, Armut dadurch so weit wie möglich vorzubeugen.12 Das Zahlungskontengesetz (ZKG)13 bezweckt, den Zugang zu einem Zahlungskonto mit grundlegenden Funk­ tionen für einkommensarme Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen,14 und die im Zuge des Mietrechtsnovellierungsgesetzes vom 21.4.201515 eingeführten Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn, besser bekannt als „MietKübler, in: FS Steindorff, 1990, S.  687, 692; Albert, in: Weinberger/Fischer, Internationales Jahrbuch für Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Demokratie und Rationalität, 1992, S.  343, 352; Eidenmüller, AcP 197 (1997), S.  80, 135; Lindner, RW 1 (2011), S.  1, 20; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  232; Ruland, NZS 2012, S.  321; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  490; Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  528; Loik, Juridismus, 2017, S.  9. 10  So weisen etwa Suhr, Der Staat 9 (1970), S.  67, 75, sowie Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  1, darauf hin, „daß nach verbreiterter Ansicht die entscheidende Schlacht für den sozialen Gedanken gerade auf dem Boden des Privatrechts ausgetragen wird“, unter Hinweis auf Bettermann, Grundfragen des Preisrechts für Mieten und Pachten, 1952, S.  121; vgl. ferner Bachof, VVDStRL 12 (1954), S.  37, 47. Derleder, in: FS Wassermann, 1985, S.  6 43, 650, bezeichnet das Vertragsrecht als ein „Rechtsgebiet mit unerhört differenzierten sozialen Regulierungen“, und auch Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 79, hat keine „Zweifel, daß sozialstaatliche Wertungen im Privatrechtskonflikt ausreichend berücksichtigt werden.“; zur politischen Rolle des Privatrechts im Allgemeinen vgl. etwa Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971, S.  34 f.; Westermann, AcP 178 (1978), S.  150, 157: „[Die] Tradition eines autonomen und politisch neutralen Privatrechts [ist] heute weithin aufgegeben.“; Limbach, JuS 1985, S.  10; Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1, 3 „Die Bedeutung der neuen Entwicklung […] für die Formierung der politischen Rolle des Privatrechts ist unabweisbar.“; Lurger, in: Peer et al., Die soziale Dimension des Zivilrechts, 2004, S.  9, 11 ff. Die fehlende Trennung von Rechtssystem und politischen System betont Kilian, AcP 180 (1980), S.  47, 51. 11  Allgemein zur Abschmelzung der Grenzen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht vgl. Rehbinder, in: FS Hirsch, 1968, S.  141, 160; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2.  Aufl. 1905 (2011), S.  82 f.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  2 m. w. N. in Fn.  5. 12  BT-Drs. 18/1558, S.  30. So auch die Europäische Kommission in ihrem Vorschlag für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union vom 28.10.2020, COM(2020) 682 final, S.  2. Dezidiert kritisch zur „Befreiung der Arbeitnehmer vom Los der Armut“ durch einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn Barbier, in: Kersting, Freiheit und Gerechtigkeit, 2010, S.  109, 110. 13  Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen vom 11.4.2016, BGBl. I 2016, S.  720. 14  BT-Drs. 18/7204, S.  86. 15  Gesetz zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung vom 21.4.2015, BGBl. I 2015, S.  610.

4

Einleitende Vorbemerkungen

preisbremse“, sollen nicht nur die Chance einkommensschwächerer Haushalte verbessern, sich erfolgreich um eine frei gewordene Wohnung zu bewerben,16 sondern zugleich der Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen in angespannten Wohnungsmärkten entgegenwirken.17 Schließlich richtet sich im privaten Verbraucherrecht ein politischer Trend der Zeit auf die Schutzbedürftigkeit „besonderer Verbrauchergruppen“, zu denen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene armutsgefährdete Personen zählen.18 Dass A. Menger heutzutage noch konstatieren würde, die „besitzlosen Volksklassen“ würden selbst dort zurückgesetzt, wo eine solche Zurücksetzung durch die Grundgedanken unserer Privatrechtsordnung nicht geboten sei,19 liegt im Lichte dieser Entwicklung fern. Die damit verbundene Abkehr vom „Modell formal gleicher Teilnehmer am Privatrechtsverkehr“20 indem nicht mehr jeder als „verständiger, selbst­ verantwortlicher und urteilsfähiger Rechtsgenosse“21 selbst seines „Glückes ­Schmied“22 ist, wird mit Blick auf die liberalistische Grundhaltung des Bürgerlichen Gesetzbuches23 – auch wenn es sie in einer reinen Ausprägung freilich zu keinem Zeitpunkt gegeben hat 24 – seit jeher von kritischen Stimmen begleitet.25 16 

BT-Drs. 18/3121, S.  20. BT-Drs. 18/3121, S.  15. 18  Vgl. dazu die Nachweise in §  10 B. II. 2. a). 19  Menger, Das Bürgerliche Recht und die Besitzlosen Volksklassen, 3.  Aufl. 1904, S.  238. 20  BVerfGE 89, 214, 233 = NJW 1994, S.  36, 38; ebenso Zöllner, JuS 1988, S.  329, 330: „Privatrecht im eigentlichen Sinn ist ja ein Recht freier und gleicher Rechtssubjekte.“ 21  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967 (2016), S.  482; in diesem Sinn auch Adomeit, NJW 1981, S.  2168: „jemand, der ‚seine Angelegenheiten […] zu besorgen vermag‘, ein ursprünglicher BGB-Mann.“; zum Argument des „verständigen Rechtsgenossen“ in Literatur und Rechtsprechung Limbach, Der verständige Rechtsgenosse, 1977, S.  9 ff., 18 ff. 22  Lieb, DNotZ 1989, S.  274, 276. 23  Zum prägenden Einfluss des Liberalismus auf die Konzeption des BGB vgl. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, 1953 (1974), S.  9, 22: „das Bürgerliche Gesetzbuch ein spätgeborenes Kind des klassischen Liberalismus“; Raiser, JZ 1958, S.  1, 2; Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  5; Fikentscher, in: FS Hefermehl, 1971, S.  41; Schmidt, JZ 1980, S.  153; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  2 ff.; Isensee, in: FS Großfeld, 1999, S.  485, 492 f.; Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 292; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  46. 24  Vgl. dazu Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, 1950, S.  11; Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, 1953 (1974), S.  9, 20 f.; Zöllner, JuS 1988, S.  329, 330 (Fn.  16); Thiessen, in: Peer et al., Die soziale Dimension des Zivilrechts, 2004, S.  29, 43 ff.; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 25; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  4 m. w. N. in Fn.  14. 25  Zöllner, AcP 188 (1988), S.  85, 98; Zöllner, JuS 1988, S.  329, 335: „Bedenklich sind solche beschränkenden Regeln vor allem dort, wo sie einen aus sozialstaatlichem Denken für erforderlich gehaltenen Vermögenstransfer unmittelbar durch privatrechtliche Regelungen zwischen den Partnern eines Vertrags vornehmen, […].“; Lieb, DNotZ 1989, S.  274, 276; Honsell, JZ 1989, S.  494, 495, dem zufolge Gesetzgeber und Richter dem „Konsumbürger als ‚mündigem Großkind‘ einen überzogenen Schutz“ verpassen; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), S.  1, 17 

Einleitende Vorbemerkungen

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Ganz allgemein wird bezweifelt, dass der Wohlfahrtsstaat zur Verfolgung seiner verteilungspolitischen Ziele das Privatrecht im Allgemeinen und das Vertragsrecht im Speziellen in Dienst nehmen dürfe.26 Der Gedanke des distributiv-sozialen Ausgleichs sei in diesem „Reich der Freiheit“27 schließlich ein Fremdkörper.28 Liberales Vertragsrecht und soziale Umverteilung gingen einfach nicht zusammen.29 Wer – wie es im Untertitel zu dieser Schrift angekündigt wird – nach dem liberalen Wert eines sozialen Vertragsrechts sucht, möchte ein hölzernes Eisen finden.30 Nahrung bekommt diese Ansicht von dort, wo sich die Rechtswissenschaft als ökonomisch informiert und durch empirische Forschung aufgeklärt ver20: „Der ‚sozial Schwache‘ […] wird als unfähig eingestuft, in Selbstverantwortung einen Vertrag zu schließen“; Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 64; Depenheuer, PiG 49 (1996), S.  35, 44: „Eine nicht endende, in sich schlüssige Spirale wachsenden staatlichen Despotismus setzt ein.“; Eckert, AcP 199 (1999), S.  337, 349; Isensee, in: FS Großfeld, 1999, S.  485, 487 f.: Schutz des „geschäftsungewandten Rechtsgenossen trotz seiner Volljährigkeit und trotz seines aktiven und passiven Wahlrechts vor seiner eigenen Torheit“; Zöllner, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, 2007, S.  53, 55, 61; Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 244; a. A. Esser/ Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  7: „Die mit alledem angestrebte Kompensation struktureller Nachteile kann eigentlich nur tadeln, wer Gleichheit nach wie vor im schlichten Nominalprinzip (jeder darf) versteht. Wer hingegen solcher Skelettierung der Marktakteure von ihren materiellen Handlungsvoraussetzungen und der mit ihr provozierten Ellenbogenfreiheit skeptisch gegenübersteht, wird diese Umstellung des schuldrechtlichen Instrumentariums mit Sympathie begleiten.“; weiterführend Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1, 2 ff., mit Nachweisen zu Kritik und Zustimmung zur Neuorientierung des Privatrechts in Fn.  10, sowie Zöllner, in: FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S.  85, 86 (Fn.  3 und Fn.  4). 26  Zöllner, AcP 188 (1988), S.  85, 98; Bungeroth, in: FS Schimansky, 1999, S.  279, 280: „Besonders problematisch sind Eingriffe des Gesetzgebers in zivilrechtliche Rechtsbeziehungen. In diesem Bereich hat der Staat nichts zu verteilen und kann nur umverteilen.“; Zöllner, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, 2007, S.  53, 68: „Privatrechtsgesellschaft heißt nicht, den Sozialstaat abschaffen, sondern ihn auf die richtige Weise zu verwirklichen.“ 27  Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  2. Vgl. auch Zöllner, JuS 1988, S.  329; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  3 Rn.  6: „Privatrecht ist […] primär ein Medium des Freiheitsgebrauchs […].“ 28  Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 4.  Aufl. 2011, S.  275. 29  So die Ausgangsüberlegung von Rückert, „Frei und sozial“ als Rechtsprinzip, 2006, S.  6 . Ähnlich Raiser, JZ 1958, S.  1, 8, der eine Privatrechtsordnung beschreibt, die von dem „Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und sozialer Gerechtigkeit beherrscht wird“; ähnlich Schaumann, JZ 1970, S.  48, 49: „Sozialrechte […] als Bedrohung für die Freiheit überhaupt“; Kilian, AcP 180 (1980), S.  47, 83: „Individuelle Freiheit und soziale Gerechtigkeit stehen in einem Spannungsverhältnis“; Henke, JZ 1980, S.  369; siehe auch Limbach, JuS 1985, S.  10, die insoweit von einer „in der rechtspolitischen Diskussion behaupteten Gegensätzlichkeit“ spricht. Von einer prinzipiellen Spannung zwischen den beiden Polen geht ferner Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  3, aus: „Vielmehr liegt das Problem tiefer, als es die übliche Frage nach dem ‚liberalen‘ oder ‚sozialen‘ Charakter des Privatrechts ermessen lässt.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Von Rechtswerten „zweier Welten“ spricht etwa Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 82. 30 Ähnlich Wimmel, ZfP 50 (2003), S.  53, 60, 69 ff., der aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive ein „liberales Janusgesicht des Sozialstaates“ entfaltet.

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steht. Exponenten der ökonomischen Analyse des Rechts bezweifeln, dass das Vertragsrecht überhaupt einen geeigneten Mechanismus bietet, um verteilungspolitische Ziele in der sozialen Welt zu realisieren. Wer eine interpersonelle Umverteilung von Einkommen und Vermögen in der Lebenswirklichkeit anstrebe und damit Armut bekämpfen möchte, müsse sich – so heißt es – des Steuer- und Sozialrechts bedienen.31 Vertragsrechtliche Umverteilungsgesetzgebung sei unter Zugrundelegung ökonomischer Prämissen nicht nur wenig sinnvoll, sie führe in der sozialen Wirklichkeit auch nicht zum gewünschten Ziel. Schließlich müsse „jede Vergünstigung, die den Konsumenten, Mietern oder sonst schützenswerten Parteien zugestanden wird, von diesen auf Euro und Cent bezahlt werden.“32 Kurz gesagt: Gezielte Umverteilung sowie Armutsbekämpfung mithilfe des Vertragsrechts könne nicht gelingen.33 Was aber hat dieses letztgenannte Argument mit der Rechtswissenschaft zu tun? Muss sie sich überhaupt für die Wirkungen einer durch Rechtsnormen gesteuerten „Politik gegen Armut“ interessieren, oder genügt sie nicht eher ihrem Auftrag, wenn sie das positive Recht und die Rechtsprechung darstellt, kommentiert sowie systematisiert und damit einer sich anhäufenden Masse von Rechtsnormen und Gerichtsentscheidungen innere Konsistenz und Kohärenz verleiht?34 Mit diesen Fragen wird freilich keine neue Diskussion über den Forschungsgegenstand und das Selbstverständnis der Rechtswissenschaft angestoßen.35 Beide Aspekte haben jedoch bis heute nichts an Aktualität verloren. Denn die bereits im Jahr 1848 durch den preußischen Staatsanwalt J. v. Kirchmann formulierte Gefahr, dass durch einen Federstrich des Gesetzgebers (genauer gesagt durch „drei berichtigende Worte“) ganze Bibliotheken zu Makulatur werden,36 ist angesichts der europäischen und nationalen Rechtsetzungsdynamik aktueller denn je.37 Zudem bändigt eine lediglich systematisch-dogmatisch aus31  Vgl. dazu die Nachweise in §  15 A. sowie bei E. A. Posner, J. Leg. Stud. 24 (1995), S.  283, 284 (Fn.  1). 32  Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 81. 33  Dezidiert anders mit Blick auf die Bekämpfung von Armut, E. A. Posner, J. Leg. Stud. 24 (1995), S.  283, 318: „I make the normative claim that those who endorse the policy of poverty reduction through the welfare system should support restrictive contract laws.“ 34  Zu diesem Beitrag der Jurisprudenz vgl. etwa Esser, in: FS Raiser, 1974, S.  517, 518; Albert, in: Weinberger/Fischer, Internationales Jahrbuch für Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Demokratie und Rationalität, 1992, S.  343, 346; Hilgendorf, in: Hilgendorf/Kuhlen, Die Wertfreiheit in der Jurisprudenz, 2000, S.  19; Gutmann, JZ 2013, S.  697. 35  Vgl. nur Albert, in: Weinberger/Fischer, Internationales Jahrbuch für Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Demokratie und Rationalität, 1992, S.  343 ff.; Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 4.  Aufl. 2011, S.  353 ff.; Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S.  1 ff.; Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  185 ff. 36  v. Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848 (1956), S.  25. 37  Anschaulich auch Riesenhuber, ZfPW 2018, S.  352, 361: „Kritisieren sie eine Entwicklung vom Standpunkt des geltenden Rechts, so kann der Gesetzgeber nicht nur der Kritik schon morgen die Grundlage entziehen. Er ‚zwingt‘ den Kritiker als Dogmatiker, das gestern noch Kritisierte heute in seine Dogmatik einzubauen. Als Positivist ist der Dogmatiker ge-

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gerichtete Rechtswissenschaft zwar die Singularität der einzelnen Vorschriften durch Bildung rechtsdogmatischer Funktionsgrundsätze für den Rechtsanwender,38 sie kann dabei jedoch nur wenig zur Lösung sozialer Herausforderungen unserer Zeit beitragen.39 Denn der Rechtsdogmatik geht es nicht um die Steuerungsfunktionen eines „seinsollenden Rechts“40 , sondern um die lex lata: Geltendes Recht wird nach anderem geltenden Recht beurteilt.41 Welchen Inhalt ein erst noch zu schaffendes Recht haben sollte, damit es zu bestimmten Folgen in der realen Wirklichkeit des menschlichen Lebens führt, ist hingegen eine Frage, die für die Rechtsdogmatik nicht konstitutiv ist.42 Auf eine einfache Formel bunden, dem neuen Recht Rechnung zu tragen und seine systematische Bedeutung zu erhellen. Diese Wandlung vom Saulus zum Paulus folgt nicht Erleuchtung oder innerer Überzeugung, sondern mit Macht festgesetzten äußeren Vorgaben.“ 38  Säcker, in: Kessal-Wulf et al., Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik, 2006, S.  39, 50. Vgl. zum Wert der Rechtsdogmatik etwa Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1966, S.  11 ff.; Starck, JZ 1972, S.  609; Albert, Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, 1993, S.  9; Gutmann, JZ 2013, S.  697; Rehberg, in: Rehberg, Der Erkenntniswert von Rechtswissenschaft für andere Disziplinen, 2018, S.  1, 14: „Diese Rechtsdogmatik ist, obwohl von manchen gerne verschrien, nicht etwa selbstverliebte Spielerei, sondern erfolgreich eingesetztes Instrument, um Komplexität realitätsbezogen, verbindlich und konkret zu bewältigen.“ 39 Ähnlich Rottleuthner, Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, 1973, S.   8: „Die Rechtswissenschaft verkommt zur […] bloßen Kunstlehre, wenn sie sich darauf beschränkt, aus der Perspektive des forensisch Entscheidenden dogmatische Orientierungshilfen und rechtfertigende Darstellungsmittel zu liefern.“, sowie Schmidt, JZ 1980, S.  153, 154, der von einer „Entfernung des juristischen Wissenschaftsbetriebs von der gesellschaftlichen Realität“ spricht und darauf hinweist, dass es die Praxis „primär nicht mit dogmatischen Lehrgebäuden, sondern mit sozialer Wirklichkeit zu tun hat.“ Plakativ Coase, J. Law Econ. 36 (1993), S.  239, 254, der die traditionelle Jurisprudenz als bloßes „Briefmarkensammeln“ bezeichnet: „Much, and perhaps most, legal scholarship has been stamp collecting. Law and economics, however, is likely to change all that, and, in fact, has begun to do so.“ 40  Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  209. Vgl. auch v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 479: „Reiner Wissenschaft ist nur die Frage zugänglich, was ist, nicht die Frage, was sein soll. So hat auch die Rechtswissenschaft als solche sich nur mit der großen geschichtlichen Wirklichkeit zu beschäftigen, die wir Recht nennen.“ [Hervorhebung im Original]. 41  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  1; Jansen/Reimann, ZEuP 2018, S.  89, 126, sprechen von der „Innensicht der Dogmatik“; ebenso Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  393; Petersen/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  1, 8. Zum kontroversen Meinungsbild über den Begriff der juristischen Dogmatik vgl. etwa Adomeit, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 2 (1972), S.  503; Esser, in: FS Raiser, 1974, S.  517 ff.; Canaris, in: FS Kitagawa 1992, S.  59, 74 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  22 ff. 42  Adomeit, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 2 (1972), S.  503, 504: „Die Akte des Gesetzgebers nimmt der Dogmatiker formell als gegeben hin, Aussagen ‚de lege ferenda‘ sind konventionellerweise keine dogmatischen Aussagen mehr.“; Starck, JZ 1972, S.  609: „Normerklärung bedeutet letztlich immer Normbewahrung“; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  393: „[D]ie Folgenbetrachtung [wird] weitgehend aus dem Bereich der Rechtsdogmatik ausgeschlossen“. Schnittstellen von Rechtsdogmatik und Rechtspolitik werden aufgezeigt von Canaris, in: FS Kitagawa 1992, S.  59, 75; K. Schmidt, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, S.  9 ff.

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gebracht, kann man mit G. Radbruchs Worten sagen: Rechtsdogmatik „handelt von Rechtsordnungen, nicht vom Rechtsleben“43. Sie kann dementsprechend auch nicht auf, sondern allenfalls mit den Krisen unserer Zeit reagieren. Weil allerdings die Wissenschaft vom Recht – wie jede Wissenschaft – kein Selbstzweck ist, sondern zuallererst im Dienst aller und somit nicht nur der rechtsanwendenden Menschen steht, darf sie sich nicht auf „die gefahrlose Handwerksarbeit am verläßlichen Material hergebrachter Denkfiguren und positiver Rechtssätze“44 beschränken. Sie sollte vielmehr ihre „rechtspolitische Keuschheit“45 ablegen und sich auch als eine funktional verstandene Rechtswissenschaft begreifen. Funktional deshalb, weil sie ihren Forschungsgegenstand – das Recht – als politisches Instrument zur Lösung menschlicher Problemlagen begreift und daher die Frage nicht aus dem Auge verliert, wie Rechtsnormen gestaltet sein müssen, damit sie für einen als wünschenswert erachteten Zustand der sozialen Wirklichkeit förderlich sind.46 Für eine „Wissenschaft von der Rechtssetzung“47 ist diese Folgenorientierung ein natürlicher Ausgangspunkt. Schließlich schreibt §  43 Abs.  1 Nr.  5 i. V. m. §  44 Abs.  1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vor, dass in der Begründung jedes Gesetzentwurfs „die wesentlichen Auswirkungen des Gesetzes“ darzustellen sind.

43 

Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  209. Raiser, ZHR 111 (1948), S.  75. 45  Limbach, JuS 1985, S.  10. 46  Vgl. zu dieser Ausrichtung auch v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 479: „Die Rechtswissenschaft würde sich selbst aufgeben, wenn sie in den großen Entscheidungsstunden des Rechtslebens schwiege. Sie kann und wird nicht darauf verzichten, Ziele zu setzen und den Gesetzgeber zu berathen.“; Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, 1966, S.  20 f.; Schmidt, JZ 1980, S.  153, 156 f.; Ramm, JZ 1988, S.  489, 492; Albert, in: Weinberger/Fischer, Internationales Jahrbuch für Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Demokratie und Rationalität, 1992, S.  343, 351: „Sie [die Normen des Rechts – Anmerkung hinzugefügt] sind nicht Selbstzweck, sondern sie dienen der Regelung des zwischenmenschlichen Verkehrs und sind daher aufgrund ihrer möglichen Wirkungen auf das soziale Leben zu beurteilen.“; v. Hippel, Rechtspolitik, 1992, S.  185 spricht allgemein von der Aufgabe der Rechtswissenschaft, auf eine „Verbesserung des Rechts“ hinzuwirken; Albert, Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, 1993, S.  7; Eidenmüller, JZ 1999, S.  53, 60 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  6; Eidenmüller, JZ 2005, S.  216; v. d. Crone, Wille als Grundlage der vertraglichen Bindung, 2007, S.  35; Lindner, RW 1 (2011), S.  1, 3, 20; Winkler, Das Recht und die Rechtswissenschaft, 2014, S.  30; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  2, 490, der eine Ausdehnung des Forschungsgegenstandes der Rechtswissenschaft von einer „Rechtsprechungswissenschaft“ hin zu einer Wissenschaft vom Recht, wie es ist und wie es sein sollte, diskutiert; Steininger, NJW 2015, S.  1072, 1073. 47 So Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.   Aufl. 2015, S.  489 [Hervorhebung im Original]. 44 

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B. Methodischer Ansatz und Forschungsfragen Damit ein funktionaler Ansatz gelingen kann, muss man allerdings nicht nur eine Vorstellung davon haben, welche Folgen rechtliche Normen in der Wirklichkeit des individuellen Lebens haben, es muss vor allem auch gesagt werden, ob die durch das Recht ausgelösten Konsequenzen erwünscht oder unerwünscht sind. Die Anfang der 1960er Jahre in den USA einsetzende und mittlerweile auch aus der deutschen Rechtswissenschaft nicht mehr wegzudenkende Forschungsrichtung der ökonomischen Analyse des Rechts gibt hinsichtlich beider Punkte ein klares Programm vor:48 Die durch Rechtsnormen und gerichtliche Entscheidungen ausgelösten Folgen sind auf der Grundlage von ökonomischen Verhaltensmodellen zu prognostizieren und nach einem wohl­ fahrts­ökonomischen Effizienzkriterium zu bewerten. Die vorliegende Schrift knüpft an diese folgenorientierte Analyse des Rechts an. In Zeiten, in denen man „kaum mehr eine ernstzunehmende rechtswissenschaftliche Monographie im Zivilrecht [findet], die nicht auch funktional (folgenorientiert) – und damit zumeist auch explizit ökonomisch – argumentiert“49, ist eine solche Ausrichtung natürlich nicht sonderlich aufsehenerregend. Daher wird ein wichtiger Baustein der ökonomischen Analyse des Rechts – das nutzenorientierte Effizienzkalkül – zur Diskussion gestellt und der Versuch unternommen, ein Bewertungskriterium nutzbar zu machen, das einem auf Freiheit aufbauenden öko­ nomischen Ansatz entspringt. Dieser auf eine bestimmte Weise ökonomisch informierte Zugang zu einer Rechtsanalyse mündet in zwei spezifische Forschungsfragen, die – wie der Titel dieser Schrift ankündigt – das soziale Pro­ blem der Armut thematisieren. Die erste Forschungsfrage lautet: Welchen Beitrag leistet das Vertragsrecht zur Bekämpfung von Armut? Oder anders gefragt und begrifflich weiter gefasst:50 Stellt das Vertragsrecht einen Entwicklungsfaktor dar? In Beantwortung dieser Fragen wird eine beschreibende Aussage über den Einfluss vertragsrechtlicher 48 Zur Entstehungsgeschichte dieser Forschungsrichtung Pearson, Origins of Law and Economics, 1997. Zur Entwicklung der Debatte über die Notwendigkeit einer Folgenorientierung in der Rechtswissenschaft Lübbe-Wolf, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S.  11 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  403 f. 49  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, VIII. 50  Begrifflich „weiter“ ist diese Frage deswegen formuliert, weil Entwicklung ein multidimensionaler Prozess ist und sich nicht auf Armutsbekämpfung reduzieren lässt, sondern beispielsweise auch ökologische Aspekte, die Bekämpfung von Korruption, die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit umfasst, vgl. Dann, Law Dev. Rev. 12 (2019), S.  537, 540, 543. Auch in der UN Millennium Deklaration findet sich ein Zielkatalog, der umfassend und nicht auf Armutsbekämpfung beschränkt ist, UN General Assembly Resolution vom 18.9.2000, A/RES/55/2. Zur Bedeutung eines umfassenden Entwicklungsverständnisses vgl. ferner Sen, in: Palacio, World Bank Legal Review, 2006, S.  33, 36 ff. Armutsbekämpfung wird in der vorliegenden Schrift somit auch nur als ein Element des Entwicklungsprozesses verstanden.

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Normen auf die Lebenssituation bedürftiger Menschen gemacht. Dabei soll zugleich gezeigt werden, wie die vorzufindende Regelungsvielfalt systematisch geordnet werden kann.51 Dieser auf die soziale Wirklichkeit bezogene Blick auf ein „Sonderrecht für Minderbemittelte“52 ist natürlich nicht neu. A. Menger hat diese Perspektive bereits in seiner im Jahr 1890 veröffentlichten „Streitschrift“53 eingenommen und ist seinerzeit zu dem Ergebnis gelangt, dass der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich die Interessen der „besitzlosen Volksklassen“ nicht genügend fördere.54 Als er diese Diagnose stellte und O. v. Gierke den viel zitierten „Tropfen sozialistischen Öles“55 für das Privatrecht einforderte, geschah das zu einer Zeit, als niemand von einem Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, etwas ahnen konnte. Ein Sozialstaat, der die Gesellschaft so umfassend durchdringt, dass seit Langem seine Grenzen deutlich hervortreten.56 Es liegt daher nahe zu fragen, wie sich die Situation jetzt – in einer „sozialstaatlich fundierten Wohlstandsgesellschaft“57 – darstellt, in welcher der Kampf um das „tägliche Brot“ nicht mehr ein alles in den Schatten stellendes Kardinalproblem ist.58 Was leisten also vertragsrechtliche Normen gegenwärtig für das Wohl finanziell bedürftiger Menschen in der sozialen Wirklichkeit unseres (rechtsstaatlich organisierten) „Wohlfahrtsstaates“59? 51  Zu deskriptiven Aussagen der Rechtswissenschaft durch Systematisierung vgl. Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  188 f. 52  Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S.  96. 53  Menger, Das Bürgerliche Recht und die Besitzlosen Volksklassen, 3.  Aufl. 1904, S. V. 54  Menger, Das Bürgerliche Recht und die Besitzlosen Volksklassen, 3.  Aufl. 1904, S.  3, 238. Vgl. auch Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, 1953 (1974), S.  9, 16: „Das soziale Modell der west- und mitteleuropäischen Kodifikationen […] machte das ‚besitzende Bürgertum‘ zum vornehmlichen Repräsentanten der nationalen Rechtsordnungen und konnte dies notwendig nur auf Kosten anderer Klassen und Berufsstände tun.“; Schmidt, JZ 1980, S.  153, 154: „Es dürfte mittlerweile von niemandem mehr verkannt werden, daß das soziale Modell der west- und mitteleuropäischen Privatrechtskodifikationen vornehmlich auf die Belange einer Bevölkerungsschicht, nämlich auf das sog. Besitzbürgertum, zugeschnitten war“; dazu auch Geißler, JuS 1991, S.  617, 620; Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 69: „Das Recht wies den sozial Schwächeren ihren Platz in einer gottgewollten, statischen Stände- oder Klassengesellschaft zu – es gab ihnen nicht die Möglichkeit, als freie und gleiche Mitglieder einer ‚civil society‘ ihre Sozialbeziehungen selbstverantwortlich und frei zu gestalten.“; einschränkend Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  5: „Es wäre wohl falsch, den geistigen Schöpfern dieser Kodifikationen die Absicht der Schaffung eines Klassenrechts zu unterschieben, einer Ordnung, die den Reichen reicher, den Armen ärmer machen sollte.“ 55  v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 486. 56  Zu den Grenzen des Sozialstaats vgl. etwa v. Hippel, Rechtspolitik, 1992, S.  203 f.; Eichenhofer, JZ 2005, S.  209, 214; Davy, SDSRV 55 (2007), S.  103, 115. 57  Bolte, in: Berger/Hradil, Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile, 1990, S.  27, 45. 58 So Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S.  27. 59  Vgl. zu diesem Terminus Dürig, JZ 1953, S.  193, der darauf hinweist, dass der „Wohlfahrtsstaat“ nicht im anrüchigen Sinn eines „Rentenempfänger- und Armensüppchenstaates“ missgedeutet werden dürfe.

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Weil sich der Antwort auf diese Frage keine Aussage darüber entnehmen lassen wird, ob das, was die gefundenen Regelungen wollen, auch wünschenswert ist – man in Anlehnung an die Worte I. Kants also nicht mehr als den Holzkopf des Phädrus60 in den Händen hält –, verfolgt die Arbeit neben einem deskriptiven auch ein normatives Anliegen. Es wird von der zweiten Forschungsfrage erfasst: Sollen vertragsrechtliche Regelungen einen entwicklungsfördernden Beitrag leisten? Wer dies bejaht, löst das Rechtsinstitut des Vertrags von seiner „Fixierung auf die individuelle Willensbetätigung“61 und legt ihm eine bestimmte „Sozialfunktion“ auf. Auch diese funktionalistische Betrachtung ist natürlich nichts grundstürzend Neues. Große Rechtswissenschaftler haben im vergangenen Jahrhundert immer wieder die „Funktionalisierung des Vertrags“62 in einer freiheitlichen und sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung betont63 und damit die Vertragsfreiheit in die Grenzen eines Sozialinte­ resses verwiesen. 64 Was beide Forschungsfragen eint, ist der Umstand, dass sie mithilfe eines Denkmodells beantwortet werden sollen, das sowohl durch die Ethik65 als auch durch die Ökonomik66 informiert ist. Es wurde von A. Sen entwickelt, einem 60  „[E]in Kopf, der schön sein mag, nur schade! daß er kein Gehirn hat.“; Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  336. 61  Reichold, JZ 2004, S.  384, 390. 62  Kilian, AcP 180 (1980), S.  47, 76. 63 Vgl. Schmidt-Rimpler, in: FS Nipperdey, 1955, S.   1, 5 („Richtigkeitsfunktion“); Wie­ acker, Das bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, 1960 (1974), S.  36, 47 („Vollzug einer Sozialfunktion“); Raiser, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  101, 120: „Lehre von der ökonomisch-sozialen Funktion des Vertrages“; Zweigert, in: FS Rheinstein, 1969, S.  493, 501; Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  1, 17 ff.; Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971, S.  29 ff.; Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 10; Kilian, AcP 180 (1980), S.  47, 51, 76; Derleder, in: Brüggemeier/Hart, Soziales Schuldrecht, 1987, S.  194, 222, der sich zur „Verarbeitung der gesellschaftlichen Großprobleme“ für die Integration einer „Sozialpflicht“ in das Rechtsinstitut des Vertrags ausspricht, die sich in den Regelungen über Abschluss, Wirksamkeit, Auslegung und Abwicklung niederschlagen müsse. 64  Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  247; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  11; deutlich auch Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, 1950, S.  15 („Mittel im Dienste des ‚gemeinen Besten‘“). 65  Die Begriffe „Ethik“ und „Moral“ werden oftmals synonym verwendet, obwohl es einen Unterschied gibt. Während die Moral „alle von einem Menschen oder einer Gesellschaft als richtig und wichtig anerkannten Normen und Ideale des guten und richtigen Sichverhaltens“ erfasst (Kettner, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  426), ist es die Aufgabe der Ethik, diese moralischen Überzeugungen und Handlungen philosophisch zu reflektieren (Roellecke, Rechtstheorie 31 (2000), S.  1, 6, 11; Düwell et al., in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  1, 2). Zur Abgrenzung von Ethik und Moral vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, 2.  Aufl. 1960 (2000), S.  60; v. Wright, The Varieties of Goodness, 1963 (1996), S.  1; Weise, in: Seifert/Priddat, Neuorientierungen in der ökonomischen Theorie, 1995, S.  73, 75; Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  34; Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  66 f., 260. 66  Während der Begriff „Ökonomik“ eine spezifische sozialwissenschaftliche Methodik bezeichnet, die auch auf nicht-volkswirtschaftliche Fragestellungen angewendet werden

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Ökonomen und Philosophen, der wie kein anderer die moderne Armutsforschung67 und normative Ausrichtung der Ökonomik geprägt hat. 68 Einer seiner Kerngedanken lautet, dass das individuelle Wohlergehen nicht mithilfe des aus der Wohlfahrtsökonomik bekannten individuellen Nutzens erfasst werden kann, dessen Quantum üblicherweise in monetären Einheiten ausgedrückt wird. Für A. Sen stellen vielmehr die Freiheiten des Einzelnen, welche er benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen, den maßgeblichen Wert dar, der die Richtung vorgibt.69 Armut wird von ihm daher als ein Defizit an grundlegenden Freiheiten („Grundfähigkeiten“) verstanden und Entwicklung – sei es in einem mehr oder weniger entwickelten Land – als Prozess der Erweiterung individueller Freiheitsräume. Diese Konstituierung von Wohlergehen, Armut und Entwicklung mündet in dem von A. Sen in den 1980er Jahren begründeten Ansatz der Befähigung („Capability Approach“).70 Er soll kann, wird mit dem Begriff der Ökonomie der Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaften definiert, vgl. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  2. Zum Unterschied zwischen Ökonomik und Ökonomie etwa auch Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  10 ff.; Gröschner, in: Engel/Morlok, Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998, S.  31, 38; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 15; Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  306; Petersen/Towfigh, in: Towfigh/ Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  1, 2 f. 67  Zur Armutsforschung als wissenschaftlicher Disziplin vgl. Sedmak, in: Döring et al., Armutsforschung in Österreich, 2003, S.  94 f. 68  Im Jahr 1998 erhielt A. Sen den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Beiträge zur Wohlfahrtsökonomik und zur Theorie kollektiver Entscheidungen. In dieser Untersuchung können nur ausgewählte Schriften A. Sens eine Rolle spielen. Eine umfassende Bibliografie findet sich etwa bei Atkinson, Scand. J. Econ. 101 (1999), S.  173, 191 ff., und bei Pressman/Summerfield, Rev. Political Econ. 12 (2000), S.  89, 102 ff. Zur Bedeutung von A. Sens Arbeiten für die normative Ökonomik im Allgemeinen vgl. Pogge, Philos. Top.  30 (2002), S.  167. 69  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S. XI; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  20, 49; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  259; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  338; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  24, 368. 70 Der Begriff „Capability Approach“ (so die Bezeichnung A. Sens, vgl. etwa Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  25) wird im Deutschen auch als Ansatz der Verwirklichungschancen, Verwirklichungschancenansatz, Befähigungsansatz, Capability-Ansatz oder als Fähigkeitenansatz bezeichnet. Es findet sich zudem der Name „Theorie der menschlichen Befähigung“, so Feldmann, Die Wohlfahrtsökonomik von Amartya Sen und ihr Einfluß auf die Messung von Entwicklung, 2000, S.  2. Eine einheitliche Terminologie hat sich noch nicht durchgesetzt. Nachfolgend wird die Bezeichnung „Befähigungsansatz“ gewählt. Damit ist der Befähigungsansatz gemeint, wie er von A. Sen begründet und weiterentwickelt wurde. Das Konzept der US-amerikanischen Philosophin M. C. Nussbaum, das sich vor allem durch die Formulierung einer Liste bestimmter „central human capabilities“ auszeichnet, die zwingend durch das Gemeinwesen zu instituieren sind, wird nur am Rande eine Rolle spielen (vgl. etwa §  14 B. und §  15 C. II.). Zu den Unterschieden zwischen dem Befähigungsansatz nach A. Sen und nach M. C. Nussbaum vgl. etwa Crocker, Political Theory 20 (1992), S.  584 ff.; Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 154 ff.; Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 440 ff.; Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 103 ff.; Heinrichs, Grundbefähigungen, 2006, S.  169 ff.; Berges, J. Appl. Philos. 24 (2007), S.  16 ff.; Gasper, What is the

Einleitende Vorbemerkungen

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in der vorliegenden Schrift sowohl als deskriptives als auch normatives Instrument zum Einsatz kommen.

C. Warum eine Befähigungsperspektive auf das Vertragsrecht? In A. Sens Ansatz verbinden sich ethische und ökonomische Einsichten, daher ist eine Analyse des Vertragsrechts aus einer „Befähigungsperspektive“71 riskant. Sie führt den Juristen in fremde Gebiete, das heißt, er muss sich mit Sichtweisen und Ergebnissen anderer Wissenschaften auseinandersetzen. Damit setzt er sich der Gefahr des Irrtums aus.72 Gleichwohl werden eine Rezeption des Befähigungsansatzes und die damit einhergehende Ausrichtung dieser Untersuchung über die eigene Fachgrenze hinweg gewagt – aus drei Gründen: Erstens: Der Befähigungsansatz ist disziplinenübergreifend konstituierend für die wissenschaftliche Diskussion über Armut, sodass er in einer Arbeit mit dem Titel „Armut und Vertrag“ nicht übergangen werden kann. Zweitens: Das soziale Problem der Armut tut uns nicht den Gefallen, sich im Sinn der vorhandenen wissenschaftlichen Disziplinen zu organisieren. Es hat soziale, politische, ethische, ökonomische und juristische Aspekte. Ein wissenschaftlicher Beitrag zu dessen Lösung verlangt daher immer nach Interdisziplinarität.73 Drittens: Der Befähigungsansatz ist für eine Analyse des deutschen Rechts besonders gut geeignet, weil die Bundesregierung bereits seit ihrem zweiten Armuts- und Reichtumsbericht an die Überlegungen A. Sens anknüpft und den Befähigungsansatz bis heute74 zur konzeptionellen Grundlage ihrer Berichterstattungen macht.75 Weil diese nicht nur der Überprüfung bereits ergriffener staatlicher Capability Approach?, 2006; Crocker, Ethics of Global Development, 2008, S.  150 ff.; Graf, SWS-Rundschau 51 (2011), S.  84, 95 ff.; Winkler, Semantiken der Befähigung, 2016, S.  104 ff.; Molina, Die Politische Philosophie von Amartya Sen, 2016, S.  226 ff.; Meißner, Kooperative Bildungsverantwortung als Weg aus der Armut, 2017, S.  73 (Fn.  53); Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  92 ff. 71  Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  23. 72  Zu den Risiken und Herausforderungen interdisziplinärer Arbeit vgl. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S. VIII; Rehbinder, in: FS Hirsch, 1968, S.  141; Ballerstedt, in: FS Böhm, 1975, S.  77, 92; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. VII; Kocka, in: Akademie der Wissenschaft zu Berlin, Einheit der Wissenschaften, 1991, S.  127, 139 ff.; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. VII; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 9 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  14 f. 73 Ähnlich Beck et al., in: Beck et al., Dimensions of Poverty, 2020, S.  1, 3. Zur Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung aufgrund von Diskrepanzen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen und den Strukturen praktischer Probleme Kocka, in: Akademie der Wissenschaft zu Berlin, Einheit der Wissenschaften, 1991, S.  127, 135 ff. 74 Siehe Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  20. 75  Bundesregierung, 2. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 15/5015, S.  12: „Ausgehend von relevanten Lebenslagen stützt sich diese breite Konzeption im Bericht auf Amartya

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Einleitende Vorbemerkungen

Maßnahmen dienen,76 sondern auch als Orientierungshilfe für die Fortbildung des Rechts herangezogen werden,77 ist interessant zu sehen, ob das in den Berichten zu findende komplexe Armutsverständnis, das über die reine Einkommensarmut hinaus auf mangelnde „Teilhabe- und Verwirklichungschancen von Menschen in Deutschland“78 abhebt, in einen privatrechtlichen Kernbereich vorgedrungen ist, weil sich der Gesetzgeber zur Verwirklichung des Befähigungsziels des spezifisch privatrechtlichen Instruments des Vertrags bedient.

D. Untersuchungssubjekt und Untersuchungsgegenstand Das dieser Schrift zugrunde gelegte Armutsverständnis zeichnet sich durch seine weite „Informationsbasis“79 aus. Weil es in der Sprache von Freiheiten formuliert ist, geht es über monetäre Gesichtspunkte hinaus. Letzteren kommt nur deshalb Bedeutung zu, weil sich ein Mangel an Einkommen und Vermögen negativ auf die persönlichen Freiheiten auswirkt und man daher fragen muss, was zu tun ist, damit finanziell bedürftige Menschen in der Lage sind, ihre knappen verfügbaren Ressourcen in Freiheiten zu konvertieren. Um hierauf eine Antwort geben zu können, ist es nicht erforderlich, die Bedürftigkeit einer natürlichen Person mittels einer präzisen, quantifizierenden Definition von (materieller) Armut zu konkretisieren. Wenn in dieser Schrift daher von bedürftigen Menschen gesprochen wird, sind damit neben einkommensschwachen 80 auch einkommens- und vermögenslose Personen gemeint, und zwar unabhängig davon, ob sie einen Anspruch auf Sozialleistungen nach dem SGB II oder SGB XII haben oder nicht.81

Sens Konzept der Verwirklichungschancen. Armut ist dann gleichbedeutend mit einem Mangel an Verwirklichungschancen, Reichtum mit einem sehr hohen Maß an Verwirklichungschancen, deren Grenzen nur punktuell oder gar nicht erreicht werden.“; die empirische Operationalisierung des Befähigungsansatzes für die nationale Armuts- und Reichtumsberichterstattung geht auf eine Machbarkeitsstudie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung e. V. zurück, Arndt et al., Das Konzept der Verwirklichungschancen (A. Sen) – Empirische Operationalisierung im Rahmen der Armuts- und Reichtumsmessung, 2006; dazu Arndt/ Volkert, VJH 75 (2006), S.  7 ff.; Arndt/Volkert, J. Hum. Dev. Capab. 12 (2011), S.  311 ff. 76  Hauser, Sozialer Fortschritt 47 (1998), S.  159. 77 Vgl. Bundesregierung, 4. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 17/12650, S.   49 (Fn.  1). 78  Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  20. 79  Zur Bedeutung der „Informationsbasis“ vgl. §  2 B. 80  So etwa die Terminologie der Bundesregierung im verbraucherpolitischen Bericht des Jahres 2016, Bundesregierung, Verbraucherpolitischer Bericht 2016, BT-Drs. 18/9495, S.  30; dazu §  10 B. II. 2. a). 81  Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S.  143 ff., fasst die „wachsende Nicht-Mehr-Minderheit, die in der Grauzone von Unterbeschäftigung, Zwischenbeschäftigung und Dauerarbeitslosigkeit von den immer spärlicher fließenden öffentli-

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Dem weit gefassten Armutsverständnis steht ein begrenzter Untersuchungsgegenstand gegenüber. Das Interesse dieser Abhandlung richtet sich auf das heutige Vertragsrecht und damit auf all diejenigen Regeln, die das Zustandekommen, den Inhalt und die Gültigkeit von (privatrechtlichen) Verträgen, die Haftung auf Vertragserfüllung und die Haftung wegen Vertragsverletzung konturieren. 82 Dabei werden in erster Linie Verpflichtungsverträge, die auf einen Austausch von entgeltlichen Leistungen, Gütern oder Diensten gerichtet sind, in den Blick genommen. Von der Betrachtung ausgenommen sind damit sachenrechtliche, familienrechtliche, erbrechtliche und gesellschaftsrechtliche Verträge. Der Gegenstand dieser Schrift ist auch insofern eng, als sie sich nicht aufmacht, eine umfassende sozialschutzrechtliche Dimension des Privatrechts herauszuarbeiten83 oder das bunte Bild all derjenigen Kriterien zu reflektieren, die eine (angebliche) Schutzbedürftigkeit eines Privatrechtsakteurs begründen.84 Mit der Frage nach dem Einfluss vertragsrechtlicher Regelungen auf den Prozess der Armutsbekämpfung konzentriert sich die Arbeit vielmehr auf soziale Rechtsnormen, die der „Sicherung der wirtschaftlich Schwachen“85 zugute chen Mitteln lebt oder von ‚informeller‘ Arbeit (Eigenarbeit, Schwarzarbeit usw.)“ unter dem Begriff der „neuen Armut“ zusammen. 82 Vgl. Kötz, Vertragsrecht, 2.  Aufl. 2012, §  1 Rn.  14; weiter Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  136. Eine Diskussion über die Schwierigkeiten einer soziologischen Umschreibung des Vertragsrechts („Vertragsrecht regelt vertragliches Verhalten“) findet sich bei Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, 1983, S.  53 ff. 83  Grundlegend dazu etwa v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982; Fischer, Beitrag zur Sozialschutztheorie, 1989 (zum Schweizer Recht); Eichenhofer, JuS 1996, S.  857 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  219 ff.; Lurger, in: Peer et al., Die soziale Dimension des Zivilrechts, 2004, S.  9 ff.; Amstutz et al., Soziales Vertragsrecht, 2006 (rechtsevolutorische Studie). Vgl. ferner aus rechtshistorischer Sicht Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 2001; Thiessen, in: Peer et al., Die soziale Dimension des Zivilrechts, 2004, S.  29 ff. 84  Die Liste der in der Literatur zu findenden schwächeren und damit schutzbedürftigen Vertragsparteien ist lang. Instruktiv Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S.  12 f.: „Die Antwort auf die Frage, wer die Schwächeren sind, scheint nicht schwierig: Das sind die Armen gegenüber den Reichen, die Nichtbesitzenden gegenüber den Besitzenden, die Nichterwachsenen gegenüber den Erwachsenen, die Frauen – jedenfalls in gewissen Lebenslagen wie der Mutterschaft – gegenüber den Männern, die weniger Klugen gegenüber den Klugen, die Leichtsinnigen gegenüber den überlegt Handelnden, die Kranken und Schwachen gegenüber den Gesunden und Starken, die Unwissenden gegenüber den Wissenden, die Hungrigen gegenüber den Satten, die in eine Zwangslage Geratenen gegenüber den in ihren Entschlüssen Freien, diejenigen, die etwas dringend benötigen, gegenüber denen, die es haben, die Einzelnen gegenüber den organisierten Gruppen, die auf ihrer Hände Arbeit Angewiesenen gegenüber den sogenannten Kapitalisten, die kleinen Unternehmer gegenüber den großen […].“; ähnlich umfassend auch Westermann, AcP 178 (1978), S.  150, 167: „die Interessen eines ökonomisch Schwächeren oder eines weniger Artikulationsfähigen oder Durchsetzungsstarken“; v. Hippel, Der Schutz des Schwächeren, 1982, S.  1: „Schutz des Arbeitnehmers, Mieters und des Verbrauchers, aber auch für den Schutzes des Kindes, der Frau, der Alten, der Behinderten und der Armen“; Fischer, Beitrag zur Sozialschutztheorie, 1989, S.  69. 85  Radbruch, Der Mensch im Recht, 1957, S.  36 f.; Bachof, VVDStRL 12 (1954), S.  37, 40, spricht von einer „Inschutznahme der wirtschaftlich Schwachen“.

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kommen. Weil im Folgenden grundsätzlich nur nationale Vorschriften sowie das Recht der EU herangezogen werden, bleibt schließlich auch die Rolle des Vertragsrechts als Entwicklungsfaktor für Entwicklungsländer sowie für „Länder auf dem Übergang zur Marktwirtschaft“86 unberücksichtigt. 87 Damit knüpft die Schrift an ein aktuell zu beobachtendes Phänomen des interdisziplinären Forschungsfelds „Law and Development“ 88 an: In jüngerer Zeit wird dort nicht mehr nur der Rolle des Rechts im Entwicklungsprozess von Entwicklungsländern nachgespürt, sondern es werden auch Entwicklungsprobleme in ökonomisch hoch entwickelten Wohlfahrtsstaaten thematisiert. 89

E. Gang der Untersuchung Die Arbeit beantwortet die beiden Forschungsfragen in drei Kapiteln. Sie sind mit „Grundlegung“, „Anwendung“ und „Legitimation“ überschrieben. Das erste Kapitel enthält einen einführenden Grundlagenteil. In diesem wird zunächst die Bedeutung des Befähigungsansatzes in Politik und Wissenschaft skizziert (§  1). Sodann wird seine ökonomische Entstehungsgeschichte erzählt (§  2) sowie in zentrale Inhalte und Grundbegriffe dieses Denkmodells in der Lesart nach A. Sen eingeführt. Zwei Fragen, deren Beantwortung zugleich die Grenzen der auf der Wohlfahrtsökonomik aufbauenden Rechtsökonomik aufzeigen sollen, bilden dabei den roten Faden: Erstens: Geht die aus der utilitaristischen Philosophie hervorgegangene Wohlfahrtsökonomik bei ihren Bewertungen von der richtigen „Informationsbasis“ aus? Zweitens: Wie löst sie das Verteilungsproblem? Weil A. Sen seine Idee der Befähigung nicht nur in Abgrenzung vom klassischen Utilitarismus, sondern auch von der Gerechtigkeits86  Diese „Zwischenkategorie“ findet sich beispielsweise in Art.  3 Abs.  5 i. V. m. Anlage I des Protokolls zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Protokoll von Kyoto), BGBl. II 2002, S.  967. 87  Diese Frage sowie die rechtlichen Grundlagen der Organisationen, die Entwicklungsarbeit betreiben (z. B. Weltbank, UNDP, GIZ GmbH), stellen klassische Untersuchungsgegenstände der „Law and Development“-Bewegung dar; vgl. dazu Anderson (Hrsg.), Changing Law in Developing Countries, 1963; Dann et al., in: Dann et al., Entwicklung und Recht, 2014, S.  11, 12; Dann, Law Dev. Rev. 12 (2019), S.  537 ff. 88  Zur Entwicklung dieses Forschungsfeldes vgl. Carfield, Wash. Univ. Law Rev. 83 (2005), S.  339, 347 ff.; Trubek/Santos, in: Trubek/Santos, The New Law and Economic Development, 2006, S.  1 ff.; Trubek, Wis. Int. Law J. 25 (2007/2008), S.  235 ff.; Trubek, Yale Law J. 82 (1972), S.  1 ff.; Dann, in: Dann et al., Entwicklung und Recht, 2014, S.  19, 22 ff.; Trubek, UTLJ 66 (2016), S.  301, 303 ff.; Lee, Cornell Int. Law J. 50 (2017), S.  415, 420 ff.; Lee, Law and Development, 2019, S.  20 ff. 89 Vgl. Lee, Cornell Int. Law J. 50 (2017), S.  415, 432 f.; Lee, Law and Development, 2019, S.  111 ff.; Lee/Schäfer, Law Dev. Rev. 14 (2021), S.  323, 325; Lee, Law Dev. Rev. 14 (2021), S.  327 ff.; Adelman/Paliwala, in: Adelman/Paliwala, The Limits of Law and Development, 2021, S.  15, 26 f. Paradigmatisch für diese Entwicklung ist auch die „Law and Development Conference“ 2021 mit dem Titel „Law and Development in High Income Countries“.

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konzeption von J. Rawls entfaltet, werden in diesem ersten Kapitel auch die zentralen Argumente gegen dessen grundgüterorientierten Ansatz eine Rolle spielen (§  3). Dabei wird sich zeigen, dass jede güterorientierte Bewertung des menschlichen Wohlergehens lediglich die Mittel, die zur Erreichung eines Ziels erforderlich sind, in den Mittelpunkt rückt und zudem ausblendet, dass nicht jeder Mensch, mit den ihm zur Verfügung stehenden Gütern das Gleiche erreichen kann. Auf dieser Grundlage wird im Anschluss der von A. Sen entwickelte, alternative Ansatz für die Bewertung des menschlichen Wohlergehens vorgestellt (§  4). Das Ziel dieser Ausführungen ist es, die normativen Inhalte des Befähigungsansatzes offenzulegen, um die Unterschiede zur wohlfahrtsökonomisch konzipierten Rechtsökonomik sichtbar werden zu lassen. Zudem soll gezeigt werden, wie sich im Befähigungsansatz ethische Überlegungen mit Konzepten und Denkweisen der Ökonomik verbinden. Das Anfangskapitel schließt mit der Darstellung des freiheitsorientierten Armuts- und Entwicklungsverständnisses nach A. Sen (§  5), das für die weiteren Ausführungen leitend sein wird. Im zweiten Kapitel („Anwendung“) kommt der Befähigungsansatz in einer Rechtsanalyse zum Einsatz. Den Ausgangspunkt bildet dabei die im Eingangskapitel herausgearbeitete Prämisse, dass sich ein Kriterium zur Bewertung des individuellen Wohlergehens auf die Freiheiten des Einzelnen, ein gelingendes Leben zu führen, stützen muss. Weil der zentrale Begriff der Freiheit im ersten Kapitel noch nicht näher erläutert worden ist, wird nun in einem ersten Schritt der Freiheitsbegriff in A. Sens Befähigungsansatz konturiert. Dies geschieht mithilfe der Frage, ob die verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit als Fähigkeit im Sen’schen Sinn zu qualifizieren ist (§  7). Anhand der Explikation zweier Freiheitskonzepte, die den sozialethischen Diskurs über den Begriff der Freiheit leiten, wird zunächst argumentiert, dass sich das Freiheitsverständnis des Befähigungsansatzes weder mit einer in einem formalen noch mit einer in einem materialen Sinne verstandenen Vertragsfreiheit deckt. Denn auch wenn eine am Leitbild der Vertragsfreiheit orientierte Privatrechtsordnung dafür Sorge tragen muss, dass die einzelne Person tatsächlich in die Lage ist, ihre Interessen im Vertragsprozess zur Geltung zu bringen, so stellt eine so verstandene Vertragsfreiheit zwar eine materiale, aber noch immer eine negative Freiheit dar. Wie sich in diesem Abschnitt ebenfalls zeigen wird, folgt der Befähigungsansatz demgegenüber einem positiven Freiheitsverständnis, weil er die möglichen Endresultate eines freien Entscheidens in den Blick nimmt. In diesem Zusammenhang wird auch der für diese Schrift zentrale Unterschied zwischen der normgeprägten Vertragsfreiheit und der wirklichen Freiheit einer Person, sich für eine bestimmte Lebensweise zu entscheiden, herausgearbeitet. Im ersten Abschnitt des zweiten Kapitels geht es allerdings nicht nur um die äußere Dimension der Freiheit. Der Blick richtet sich auch auf die Willensfreiheit, denn hier lässt sich eine interessante Parallele zwischen dem Befähigungsansatz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch beobachten. Beiden liegt die Annah-

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me zugrunde, dass natürliche Personen grundsätzlich über die Fähigkeit verfügen, ihre eigennützigen Präferenzen zu hinterfragen und ihre Gründe moralisch zu reflektieren. Aufgrund dieses Gleichlaufs liegt die Frage nahe: Stellt A. Sens Modell menschlichen Verhaltens eine taugliche Alternative zum ökonomischen Verhaltensmodell dar, um Prognosen über das Verhalten der Privatrechtsakteure zu formulieren? Auch hierauf sucht das zweite Kapitel eine Antwort. Im anschließenden Abschnitt wird nach der Bedeutung rechtlicher Normen im Befähigungsansatz gefragt (§  8). Dazu wird zunächst offengelegt, wie sich der Einfluss des Rechts auf menschliche Fähigkeiten genau erklären lässt. Dies erfolgt anhand eines konkreten Beispiels aus dem SGB II. Auf dieser Grundlage wird das Verständnis einer dreifachen Wirkweise rechtlicher Normen entfaltet, das für die angestrebte systematische Anordnung „freiheitsfördernder Rechte“ nutzbar gemacht werden kann. Bevor allerdings diese Aufgabe angegangen wird, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Frage, ob sich aus dem Befähigungsansatz ein an den freiheitlichen Ansprüchen der Gesellschaftsmitglieder ausgerichtetes rechtspolitisches Programm ableiten lässt (§  9). Diese Überlegung liegt deshalb nahe, weil Kritiker der Rechtsökonomik vorgebracht haben, der rechtsökonomische Ansatz sei mit einem freiheitlichen Rechtsdenken unvereinbar.90 Sollte daher das nutzenorientierte Effizienzkriterium aufgegeben und ein auf Freiheit aufbauender ökonomischer Ansatz als Bewertungsmaßstab für die Gesetzgebung herangezogen werden? Bei der Beantwortung dieser Frage wird sich zeigen, dass der Befähigungsansatz keine vollständige Gesetzgebungstheorie konstruiert, sondern sich als ein bewusst offenes Denkmodell präsentiert. Zahlreiche seiner Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber lassen sich daher erst nach einer weitreichenden normativen Fundierung realisieren. Der Umstand, dass der Befähigungsansatz keine vollständige Gesetzgebungstheorie liefert und er auch in der Rechtsanwendung nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich hat, rückt dessen Potenzial als juristisches Beschreibungsinstrument in den Vordergrund. Als solches kommt er im letzten, anwendungsorientierten, Abschnitt des zweiten Kapitels zum Einsatz (§  10). Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage wird mithilfe ausgewählter Beispiele eine beschreibende und explikative Aussage darüber gemacht, inwiefern vertragsrechtliche Normen zur Förderung grundlegender Freiheiten bedürftiger Menschen beitragen. Weil dabei – dem Befähigungsansatz entsprechend – davon ausgegangen wird, dass sich das menschliche Wohlergehen nicht allein mittels monetärer Kenngrößen bestimmen lässt, richtet sich der Blick nicht nur auf solche Vorschriften, die bedürftigen Personen ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit sichern. Es wird vielmehr auch illustriert, inwiefern rechtliche Normen dazu beitragen, dass bedürftige Menschen die ihnen zur Verfügung stehenden knappen Güter selbstbestimmt in wirkliche Freiheiten konver90 

Fezer, JZ 1986, S.  817, 823; Fezer, JuS 1991, S.  889, 894.

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tieren können. Der Umstand, dass diese deskriptive Analyse vom Standpunkt der menschlichen Fähigkeiten, d. h. der wirklichen Freiheiten, erfolgt, eröffnet die Möglichkeit zu zeigen, dass sozialgestaltende Interventionen in die Vertragsfreiheit auch eine freiheitsfördernde Wirkung entfalten. Wie man diese Konsequenz bewertet, ist eine andere Frage. Sie ist nicht per se als positiv zu beurteilen. Aber man sollte sich ihrer bewusst sein und den damit verbundenen spezifisch liberalen Wert eines Vertragsrechts, von dem gesagt wird, es sei „in den Sog eines sich auf immer breiterer Front etablierenden wohlfahrtsstaatlichen Systems“91 geraten, nicht einfach übergehen. Das im letzten Teil des zweiten Kapitels verfolgte deskriptive Programm legt anschaulich dar, dass eine Förderung wirklicher Freiheiten mithilfe des Vertragsrechts zwei Seiten hat: Ein Mehr an wirklichen Freiheiten des einen führt zu einem Mehr an rechtlicher Unfreiheit eines anderen Privatrechtsubjekts. Damit ist es notwendig, Rechenschaft darüber abzulegen, wie diese Freiheitseinschränkung gerechtfertigt werden kann. Dieser ethische, d. h. von der positiven Rechtsordnung losgelöste Legitimationsdiskurs steht im Mittelpunkt des dritten Kapitels. Obwohl dieser Diskurs auf dem Boden der normativen Vorgaben des Befähigungsansatzes geführt werden soll, werden staatliche Interventionen in den dezentralen Koordinationsmechanismus privater Verhandlungen zunächst aus einer ökonomischen Perspektive betrachtet (§  13). Hier soll es in erster Linie um die Bedeutung der beiden Leitwerte Freiheit und Gerechtigkeit gehen. Weil sich an dieser Stelle zeigen wird, dass sich redistributive Eingriffe nur mithilfe marktexogener Gerechtigkeitsüberlegungen begründen lassen, richtet sich der Blick im Anschluss auf die Frage, inwiefern sich verteilungspolitisch motivierte Interventionen in das Marktgeschehen auf der Basis von Freiheit legitimieren lassen. Dabei wird der Befähigungsansatz für Überlegungen distributiver Gerechtigkeit nutzbar gemacht. Dementsprechend muss in diesem Kapitel nicht nur das maßgebliche „Verteilungsobjekt“ präzisiert, sondern auch ein Distributionsprinzip benannt werden, auf dem die Idee der Befähigungsgerechtigkeit aufbauen kann. Insofern wird für eine Grundbefähigungsgleichheit argumentiert, wobei der angestrebten Gleichheit kein intrinsischer Wert zugesprochen wird. Damit ist eine Position umrissen, die als „nonegalitaristischer Humanismus“ bezeichnet wird. Mit der Entscheidung für das Ideal der Gleichheit im Raum der Grundfähigkeiten ist das Fundament für die Lösung des ersten Legitimationsproblems gelegt. Es kann daher in einem nächsten Abschnitt zu der Frage übergegangen werden, weshalb es „etwas Gutes“ ist, wenn alle Angehörigen einer Sozietät über grundlegende Freiheiten verfügen (§  14). Auf der Basis der hierauf gefundenen Antwort wird sodann – um die zweite Forschungsfrage zu beantworten – plausibel gemacht, weshalb zur Erreichung des Ideals der Grundbefähigungsgleichheit 91 

Zöllner, AcP 188 (1988), S.  85, 98.

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auch Privatrechtsakteure in die Pflicht zu nehmen sind (§  15). Warum muss der Gesetzgeber also Solidarität unter Fremden einfordern, die sich in einer Einschränkung der Vertragsfreiheit manifestiert? Den Ausblick der Untersuchung bildet der Versuch, das ökonomische Vertragsziel der Allokationseffizienz mit einem nicht-effizienzorientierten Gerechtigkeitsziel anzureichern (§  16). Es wird an dieser Stelle argumentiert, dass distributive Eingriffe in die Vertragsfreiheit selbst für den nutzenorientierten homo oeconomicus legitimierbar sind, sofern es um die Herstellung von Gleichheit im Raum der menschlichen Grundfähigkeiten geht. Weil damit Abstriche am Effizienzziel nur um der Gewährung eines „humanitären Sockels“92 willen gefordert werden, beschränkt sich die vorgeschlagene „Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens“ auf die Implementierung eines „ethischen Mini­mums“93.

92 

Krebs, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  7, 31. Begriff in Anlehnung an Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 1878 (1967), S.  42, sowie Shue, Basic Rights, 40.  Aufl. 2020, S. XIII: „moral minimum“. 93 

Erstes Kapitel

Grundlegung „Geld ist geprägte Freiheit“1 BVerfGE 97, 350, 371

Das Privatrecht orientiert sich an der Idee eines freien Lebens. Sie wird verwirklicht durch den Grundsatz der Privatautonomie: Die Menschen sind frei, ihre Rechtsverhältnisse in „Selbstherrlichkeit“2 zu gestalten. Sie können autonom entscheiden, ob und mit wem sie Verträge schließen und welchen Inhalt diese haben sollen.3 Weil dabei jeder ausschließlich seine eigenen Interessen verfolgen kann, stellt der Staat mit der von ihm geschaffenen Rechtsordnung einen Raum für egoistisches Handeln bereit. Damit stellt sich die berechtigte Frage: Wie kann diese staatliche Entscheidung zugunsten einer „entfesselten Selbstsucht“4 gerechtfertigt werden? Sofern sich der Staat dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet sieht, wäre die Entscheidung einfach zu verteidigen, wenn der Egoismus des Einzelnen letzten Endes zu mehr Wohlstand für alle führen würde.5 Diesen Ansatz vertritt bekanntlich der Moralphilosoph und Gründungsvater der modernen Volkswirtschaftslehre A. Smith. Im vierten Buch seines Werks „An Inquiry into the Na1  BVerfGE 97, 350, 371 = NJW 1998, S.  1934, 1937. Ähnlich Simitis, AcP 159 (1960), S.  406, 429: „Das Individuum ist in der Verkehrswirtschaft frei, weil ihm das Geld die Möglichkeit gewährt, die gewünschten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Dispositionen zu treffen.“; Bettermann, Freiheit unter dem Gesetz, 1962, S.  33: „Erst Besitz macht frei.“; Rehbinder, in: FS Hirsch, 1968, S.  141, 153: „Die Freiheit des einzelnen […] ist keine Frage der Rechtsstruktur, sondern eine Frage […] der Art der Güterverteilung.“; Schmidt, Zivilrechtlicher Grundkurs für Studienanfänger, 2.  Aufl. 1977, S.  71 f.: „Es führt nichts daran vorbei, daß das Ausmaß des individuellen Bewegungsvermögens vom Umfang des finanziellen Vermögens abhängt.“; Suhr, EuGRZ 1984, S.  529, 539, der Geld als ein „Freiheitsmedium“ bezeichnet; kurz und prägnant auch Kirchhof, Das Maß der Gerechtigkeit, 2009, S.  182: „Geld gibt Freiheit.“; Lohmann, in: Lohmann/Priddat, Ökonomie und Moral, 1997, S.  113, 120; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  25: „Die Nützlichkeit des Reichtums liegt in den Dingen, die er uns zu tun ermöglicht, in der substantiellen Freiheit, die er uns erlangen lässt.“; Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  169: „Mit Geld […] kann man […] Großes tun.“ 2  So die bekannte Formulierung von Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  6 . 3  Zur Vertragsfreiheit als Teilstück der Privatautonomie vgl. §  7 C. II. 1. 4  v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 482. 5  So auch Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 4.  Aufl. 2011, S.  154: „Sozial sinnvoll erscheint das Privatrecht nur dann, wenn es nicht nur dem Wohl einiger weniger, sondern im großen und ganzen zugleich dem Gemeinwohl dient.“

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Erstes Kapitel: Grundlegung

ture and Causes of the Wealth of Nations“ beschreibt er die „unsichtbare Hand“6 des Marktes, die den Egoismus des Einzelnen in wachsenden Wohlstand7 für die Allgemeinheit transformiert.8 Wenn nun allerdings der beste Garant für den gesellschaftlichen Wohlstand der Umstand sein soll, dass jeder nach seinem eigenen Wohlergehen strebt,9 drängen sich unweigerlich zwei Folgefragen auf: Erstens: Was zeichnet das Wohlergehen des Einzelnen aus? Und zweitens: Genügt es, dass sich der Blick bei der Beurteilung des „Gemeinwohls“ allein auf den materiellen Wohlstand einer Gesellschaft richtet? Dass beide Fragen in jeder Diskussion über Armut von grundlegender Bedeutung sind, ist offenkundig. In einer Schrift mit dem Titel „Armut und Vertrag“ müssen sie daher zu Beginn beantwortet werden. Zu diesem Zweck wird in diesem einleitenden, ersten Kapitel ein theoretisches Konzept zur Bewertung des individuellen Wohlergehens vorgestellt, welches die ökonomische Konzentration auf den individuellen Nutzen aufgibt und stattdessen eine sehr viel komplexere „Informationsbasis“10 heranzieht: der Befähigungsansatz nach A. Sen. Er soll im zweiten Kapitel als deskriptives Instrument zur Aufdeckung und systematischen Anordnung entwicklungsfördernder Rechtsnormen des Vertragsrechts nutzbar gemacht werden.11 Im dritten Kapitel kommt er zudem als 6 

Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.  451. Begriff „Wohlstand“ wird in dieser Schrift mit materiellem Wohlstand („wealth“) gleichgesetzt. Lediglich angemerkt sei an dieser Stelle, dass A. Smith das individuelle Wohlbefinden nicht ausschließlich durch ökonomische Größen beeinflusst sah, vgl. dazu etwa Zöllner, JuS 1988, S.  329, 330; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  12. Dass das Wohlergehen eines Menschen zwar an seinen Wohlstand gekoppelt ist, aber nicht nur von diesem abhängt (treffend Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  17: „Man kann gut gestellt sein, ohne dass es einem gut geht.“ [Hervorhebung im Original]), wird vor allem von der ökonomischen „Glücksforschung“ in den Blick genommen, vgl. §  4 A. I. 8  Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.  451: „Wie nun jedermann nach Kräften sucht, sein Kapital auf den inländischen Gewerbefleiß zu verwenden und diesen Gewerbefleiß so zu leiten, daß sein Produkt den größten Wert erhält, so arbeitet auch jeder notwendig dahin, das jährliche Einkommen der Nation so groß zu machen, als er kann. Allerdings ist es in der Regel weder sein Streben, das allgemeine Wohl zu fördern, noch weiß er auch, wie sehr er dasselbe befördert. […] [Er] wird in diesen wie in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, daß er einen Zweck befördern muß, den er sich in keiner Weise vorgesetzt hatte.“ 9  So etwa auch die Argumentation von Sohm, Institutionen: Geschichte und System des römischen Privatrechts, 16.  Aufl. 1920, S.  26: „Um der Gesamtheit willen schafft die Rechtsordnung ihren Angehörigen einen eigennützigen, die Triebkräfte des Individuums zugleich befriedigenden und zu höchster Anspannung reizenden Machtkreis: die Leistungen des einzelnen werden allen zugute kommen.“ [Hervorhebung im Original]; Reuter, AcP 189 (1989), S.  199, 213; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  2 f.; Grundmann, in: FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, 2010, S.  1015, 1017; anders v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 499, dem zufolge „das Wohl der Gemeinschaft gegen die Selbstsucht des einzelnen zu schützen“ sei. 10  Zu diesem Begriff näher sogleich §  2 B. 11  Vgl. §  10. 7  Der

§  1 Befähigungsansatz im Gefüge von Politik und Wissenschaft

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normatives Werkzeug zur Beantwortung der Frage zum Einsatz, warum das Vertragsrecht der Förderung grundlegender Freiheiten dienen sollte. Damit beide Aufgaben gelingen können, muss in einem ersten Schritt Klarheit darüber geschaffen werden, welche wesentlichen normativen Aussagen dem Befähigungsansatz in der Sen’schen Lesart zugrunde liegen und worin seine Besonderheiten im Vergleich zu anderen Bewertungsmaßstäben bestehen. Diese einführende Grundlegung erfolgt in fünf Schritten: Zunächst wird skizziert, welche Bedeutung dem Befähigungsansatz in der wissenschaftlichen Debatte sowie in der internationalen und nationalen Entwicklungs- und Armutspolitik zukommt (§  1). Sodann werden die wesentlichen Kritikpunkte A. Sens an der traditionellen und modernen Wohlfahrtsökonomik nachgezeichnet (§  2) sowie seine zentralen Einwände gegen die sozialphilosophischen Überlegungen J. Rawls herausgearbeitet (§  3). Darauf aufbauend lassen sich die normativen Grundgedanken des Befähigungsansatzes entfalten (§  4). Bevor dieser zur Beantwortung der beiden Forschungsfragen nutzbar gemacht werden kann, muss zu guter Letzt noch die für diese Schrift entscheidende Frage beantwortet werden: Was bedeutet Armut aus der freiheitszentrierten Perspektive des Befähigungsansatzes (§  5)?

§  1 Befähigungsansatz im Gefüge von Politik und Wissenschaft Der Befähigungsansatz stellt einen Analyserahmen für individuelles Wohlergehen im Allgemeinen und Armut im Besonderen zur Verfügung.12 Als solcher hat er in den letzten Jahrzehnten in der internationalen und nationalen Armutsund Entwicklungspolitik enorme praktische Bedeutung erlangt. Er bildet nicht nur das theoretische Fundament der Weltentwicklungsberichte („Human Development Reports“)13 und des Index der menschlichen Entwicklung („Human Development Index“)14 sowie der menschlichen Armut („Human Poverty Index“) der Vereinten Nationen. Auch die Weltbank geht in ihrem Weltentwicklungsbericht „Chancengerechtigkeit und Entwicklung“ von einem durch

12 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  5; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  9; Robeyns, J. Polit. Philo 14 (2006), S.  351, 352 f.; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  24; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  23 f.; Beck et al., in: Beck et al., Dimensions of Poverty, 2020, S.  1, 6. 13  Vgl. nur UNDP, Human Development Report 2020, S.  21: „The human development approach sets out an evaluative framework for development outcomes based on expanding capabilities, thus increasing wellbeing freedoms, the valuable opportunities to choose from.“ 14  Vgl. hierzu nur Feldmann, Die Wohlfahrtsökonomik von Amartya Sen und ihr Einfluß auf die Messung von Entwicklung, 2000, S.  47 ff.; Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 442 ff.; Carfield, Wash. Univ. Law Rev. 83 (2005), S.  339 (Fn.  4).

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Erstes Kapitel: Grundlegung

A. Sen inspirierten Entwicklungsbegriff aus.15 Auf nationaler Ebene hat sich die Enquete Kommission des Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ ausdrücklich für den Befähigungsansatz als Referenzkonzept für die Entwicklung eines ganzheitlichen Wohlstands- bzw. Fortschrittsindikators ausgesprochen.16 Zudem orientiert sich – worauf bereits in den einleitenden Vorbemerkungen hingewiesen wurde – die Bundesregierung in ihren Berichterstattungen zur sozialen Lage in Deutschland am Befähigungsansatz als methodischem Leitkonzept.17 Auch in anderen europäischen Staaten hat A. Sens Denkmodell politische Beachtung gefunden.18 Ebenso omnipräsent wie in der praktischen Armuts- und Entwicklungspolitik ist der Befähigungsansatz im wissenschaftlichen Diskurs. Die Anzahl der wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der theoretischen und empirischen Armutsforschung, die auf ihn rekurrieren, ist kaum mehr zu überblicken.19 Es ist jedoch wichtig zu sehen, dass das befähigungsorientierte Denken den wissenschaftlichen „Entwicklungs- und Armutskontext“ längst verlassen hat und über entwicklungs- sowie wohlfahrtsökonomische Disziplingrenzen hinaus populär geworden ist.20 Das Grundgerüst des Befähigungsansatzes wird heute beispielsweise in den Erziehungswissenschaften 21, der Wirtschaftsethik 22 , der

15  World Bank, World Development Report: Equity and Development, 2006, S.  132: „Expanding people’s capabilities to lead fuller lives, the aim of all development.“ 16  Enquete-Kommission, Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft, Schlussbericht, BT-Drs. 17/13300, S.  236. Auch der Zweite Gleichstellungsbericht bezieht sich auf den Befähigungsansatz in der Lesart A. Sens. So heißt es etwa in Bundesregierung, Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 18/12840, S.  7: „Das Gutachten zeigt Wege auf, die zu gleichen Verwirklichungschancen beitragen, und gibt der Politik Empfehlungen an die Hand, wie Strukturen und Regeln in der Gesellschaft ausgestaltet sein sollten, damit Verwirklichungschancen sowie Chancen und Risiken im gesamten Lebensverlauf unabhängig vom Geschlecht verteilt sind.“ 17  Vgl. etwa Bundesregierung, 5. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 18/11980, S. VI: „Armut wird dabei im Wesentlichen als ein Mangel an Mitteln und Möglichkeiten verstanden, das Leben so zu leben und zu gestalten, wie es in unserer Gesellschaft üblicherweise auf Basis des historisch erreichten Wohlstandsniveaus möglich ist.“ 18  So hat beispielsweise in Frankreich die im Jahr 2008 von N. Sarkozy einberufene „Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress“ den Befähigungsansatz als theoretisches Fundament herangezogen, vgl. Stiglitz et al., Mismeasuring our Lives, 2010, S.  60 ff. 19  Es sei daher lediglich beispielhaft auf wenige ausgewählte Beiträge hingewiesen: Alkire, Valuing Freedoms, 2002, S.  199 ff.; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  31 ff.; Anand/van Hees, J. Socio. Econ. 35 (2006), S.  268 ff. 20 Vgl. Graf, SWS-Rundschau 51 (2011), S.  84, 86 f.; Schweiger/Graf, A Philosophical Ex­ amination of Social Justice and Child Poverty, 2015, S.  6. 21  Vgl. etwa Otto/Ziegler (Hrsg.), Capabilities, 2.  Aufl. 2010; Babic, in: Sedmak et al., Der Capability Approach in sozialwissenschaftlichen Kontexten, 2011, S.  75 ff. 22  Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23 ff.; Kulkarni, Bus. Prof. Ethics J. 28 (2009), S.  3 ff.

§  1 Befähigungsansatz im Gefüge von Politik und Wissenschaft

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Umweltökonomik 23 und der Betriebswirtschaftslehre24 rezipiert.25 Auch in der Rechtswissenschaft finden sich bereits einige Untersuchungen aus verschiedenen Rechtsgebieten, die den Befähigungsansatz als Argumentationshilfe he­ ranziehen.26 Insbesondere das schon in den Vorbemerkungen erwähnte interdisziplinäre Forschungsfeld „Law and Development“ hat ein befähigungsorientiertes Entwicklungsverständnis für sich entdeckt.27 Von Bedeutung für diesen, die Wissenschaftsgrenzen überschreitenden Erfolg ist sicherlich, dass der Befähigungsansatz ein bewusst 28 ergänzungsbedürftiges und interpretationsfähiges Fundament bereitstellt.29 Dementsprechend können sich ganz unterschiedliche „Befähigungsideen“ darunter versammeln.30 23 

Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007. Tammena, Erfolg durch Entscheidungsfreiheit, 2009. 25  Die disziplinübergreifende Anwendung des Befähigungsansatzes kann man auch an seinen interdisziplinär ausgerichteten Institutionen ablesen. Seit dem Jahr 2004 gibt es die „Human Development and Capability Association (HDCA)“, die eine eigene Fachzeitschrift, das „Journal of Human Development and Capabilities“ herausgibt und eine jährlich stattfindende internationale HDCA-Konferenz organisiert. 26  Barnard et al., Ind. Relat. J. 32 (2001), S.  464 ff.; Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27 ff.; Deakin, Renewing Labour Market Institutions, 2004, S.  39 ff.; Deakin, in: Alston, Labour Rights as Human Rights, 2005, S.  25 ff.; Deakin/Supiot (Hrsg.), Capacitas, 2009; Deakin, ­NZJER 34 (2009), S.  7 ff.; Alexander, Cornell L. Rev. 94 (2009), S.  745 ff.; Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141 ff.; Tjon Soei Len, in: Weidtmann et al., The Capability Approach on Social Order, 2010, S.  132 ff.; Fudge, in: Davidov/Langille, The Idea of Labour Law, 2011, S.  120, 126 ff., 132 f.; Deakin/Rogowski, in: Rogowski et al., Transforming European Employment Policy, 2012, S.  229, 238 ff.; Benöhr, EU Consumer Law and Human Rights, 2013, S.  85 ff.; Routh, Enhancing Capabilities through Labour Law, 2014, S.  153 ff.; Al-Ameen, Anti­ trust: The Person-centred Approach, 2014, S.  79 ff., 106 ff.; Claassen/Gerbrandy, Utrecht L. Rev. 12 (2016), S.  1, 4 ff.; Wilksch, Recht auf Krankenbehandlung und Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, 2017, S.  253 ff.; Kramer, Arbeit gerecht verteilt?, 2017, S.  383 ff. Monographisch mit Blick auf das Vertragsrecht Tjon Soei Len, Minimum Contract Justice, 2017, die mithilfe des Befähigungsansatzes der Frage nachgeht, ob Verträge, die zu einer Beeinträchtigung der Grundbefähigung außenstehender Dritter führen, unwirksam sein sollten. Siehe ferner das in jüngerer Zeit erschiene Sammelwerk Menkel-Meadow et al. (Hrsg.), Amartya Sen and Law, 2019. 27  Carfield, Wash. Univ. Law Rev. 83 (2005), S.  339; Dann et al., in: Dann et al., Entwicklung und Recht, 2014, S.  11; Trubek, UTLJ 66 (2016), S.  301, 320, 327 f. 28  Vgl. nur Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 49; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  41; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  107, 109. 29 Vgl. Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435; Deakin, Renewing Labour Market Institutions, 2004, S.  51; Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 96: „The capability approach is primarily and mainly a framework of thought, a mode of thinking about normative issues; hence a paradigm – loosely defined – that can be used for a wide range of evaluative purposes.“; Qizilbash, in: Comim et al., The Capability Approach, 2008, S.  53 f.; Deneulin/McGregor, Eur. J. Soc. Theory 13 (2010), S.  501, S.  504, 508; Robeyns, J. Polit. Philo 14 (2006), S.  351, 353; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  24: „flexible and multipurpose frame­work, rather than a precise theory.“ 30  Grundlegend zu den unterschiedlichen Rezeptionsansätzen Winkler, Semantiken der Befähigung, 2016, S.  171 ff. Kritisch zur Offenheit des Befähigungsansatzes Bartelheimer et al., Amartya Sens wohlfahrtstheoretischer Ansatz, 2008, S.  7, die darauf hinweisen, dass sich 24 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

So wird sich etwa im dritten Kapitel zeigen, wie mühelos es gelingt, den normativen Grund einer allgemeinen Grundbefähigung auszuwechseln, um die Forderung nach einem minimalistischen Gerechtigkeitsimplantat in das ökonomische Vertragsdenken zu rechtfertigen.31 Weil der Befähigungsansatz aufgrund seiner Offenheit unterschiedlich koloriert und interpretiert werden kann,32 muss man im Auge behalten, dass es den einen Befähigungsansatz nicht gibt.33 Es existiert vielmehr eine ganze Familie von Ansätzen. Und (wie im wirklichen Leben) verbindet die Verwandten zwar eine gemeinsame Herkunft, aber es geht nicht immer harmonisch zu. Auf allgemeine Zustimmung wird allenfalls die Feststellung treffen, der Befähigungsansatz etabliere ein grundsätzlich liberales Konzept.34 Aber was bedeutet Liberalismus in einem freiheitlichen Gemeinwesen heutzutage überhaupt?35 Vor allem wenn man ihn als „neuen“36 , „reformulierten“37, „aufgeklärten“38 , „zeitgemäßen“39, „modernen“40 , „gemäßigten“41, „qualitativen“42 oder „liberalen“43 Liberalismus versteht. Weil es auf diese Frage keine einfache Antwort gibt, ist es sinnvoll, zunächst nach den Wurzeln des Befähigungsansatzes zu suchen. Sie finden sich in A. Sens Überlegungen zur Theorie der kollektiven Entscheidungen, seiner kritischen „jedes staatliche Programm mit geringem rhetorischen Aufwand als chancenfreundlich präsentieren“ lässt. 31  Vgl. §  16 C. II. 32 Dazu Winkler, JCSW 57 (2016), S.  269, 274 ff.; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  211. 33  Graf, in: Sedmak et al., Der Capability Approach in sozialwissenschaftlichen Kontexten, 2011, S.  11; Graf, SWS-Rundschau 51 (2011), S.  84, 87 („interne Pluralität“); Schweiger/ Graf, A Philosophical Examination of Social Justice and Child Poverty, 2015, S.  7. Anders Robeyns, J. Hum. Dev. Capab. 17 (2016), S.  397, die zwischen einem Befähigungsansatz und verschiedenen Befähigungstheorien differenziert: „[T]he capability approach can be developed in a very wide range of more specific normative theories.“ 34  Nussbaum, Fordham L. Rev. 66 (1997), S.  273, 292 („a profoundly liberal idea“); Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 95: „[T]he capability approach is clearly a theory within the liberal school of thought in political philosophy“; Gasper, Rev. Political Econ.14 (2002), S.  435, 443. 35 Zur Schwierigkeit einer Definition vgl. Kolb, Geschichte der Volkswirtschaftslehre, 2.  Aufl. 2004, S.  51; Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 95; Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  8 („Es gibt nicht den Liberalismus“); Herzog, Freiheit gehört nicht nur den Reichen, 2013, S.  7; Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  11 („Prismen unterschiedlichster Vorstellungen von Liberalität“). 36  Rüstow, in: Hoch, Alexander Rüstow – Rede und Antwort, 1963, S.  249, 258: „Der neue Liberalismus […] fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da wo er hingehört.“ 37  Wohlgemuth, in: Kersting, Freiheit und Gerechtigkeit, 2010, S.  7 7. 38  Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  14. 39  Herzog, Freiheit gehört nicht nur den Reichen, 2013, S.  8 . 40 Vgl. Derleder, in: FS Wassermann, 1985, S.  6 43 („moderne Version des Liberalismus“). 41  Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, 1950, S.  11. 42  Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  345. 43  So der Buchtitel des Beitrags von Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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Auseinandersetzung mit dem Utilitarismus sowie der traditionellen und neueren Wohlfahrtsökonomik. Mit diesem Hinweis wird deutlich, dass der nun folgende Überblick über den ökonomischen Entstehungszusammenhang des Befähigungsansatzes auch von genuin rechtswissenschaftlichem Interesse ist. Denn bekanntlich baut die ökonomische Analyse des Rechts auf den Grundlagen der neueren Wohlfahrtsökonomik auf und plädiert in ihrer normativen Variante für eine Ausrichtung des Rechts an nutzenorientierten Effizienzkriterien. Wenn allerdings im Folgenden A. Sens wesentliche Kritikpunkte an der Wohlfahrtsökonomik nachgezeichnet werden, dann geschieht dies nicht mit der Intention, das philosophische Fundament der Rechtsökonomik – sofern es ein solches überhaupt geben sollte44 – ins Wanken zu bringen oder sämtliche in der Literatur diskutierten Schwächen des Utilitarismus oder der Wohlfahrtsökonomik sowie deren Implikationen für die normativen Aussagen der ökonomischen Rechtstheorie offenzulegen.45 Die Ausführungen in diesem Abschnitt zielen vielmehr darauf ab, die grundlegenden Denkmuster und normativen Erklärungsansätze A. Sens zu entfalten. Dementsprechend wird auch die philosophische Utilitarismus-Diskussion nur insoweit geführt, als sie für die Entwicklung des Befähigungsansatzes unmittelbar von Bedeutung ist. Schließlich ist die folgende Darstellung nicht als chronologische Entstehungsgeschichte des Befähigungsansatzes zu verstehen.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang Der Befähigungsansatz ist ein relativ junges Denkmodell. Es ist von dem Ökonomen und Philosophen A. Sen begründet worden, der den Begriff „Capabil­ ity“ erstmals am 22.5.1979 im Rahmen einer „Tanner Lecture on Human ­Values“ an der Stanford University vorgestellt hat.46

A. Gleichheit wovon? In seinem seinerzeit gehaltenen Vortrag mit dem Titel „Equality of what?“ beschäftigte sich A. Sen mit der Analyse und Beurteilung von Gleichheit in einer Gesellschaft. Allerdings diskutierte er dabei nicht, ob sich Gerechtigkeit we44 Zweifelnd Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  384: „It may be impossible to lay solid philosophical foundations under wealth maximization.“ 45  Vgl. hierzu nur Dworkin, A Matter of Principle, 1985, S.  237 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  173 ff.; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  125 ff. 46  Sen, in: McMurrin, The Tanner Lectures on Human Values, Vol. 1, 1980, S.  195 ff.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

sentlich über Gleichheit definiert, weil sie um ihrer selbst willen erstrebenswert ist. Statt zu fragen, ob Gleichheit einen moralischen Eigenwert besitzt47 und damit das zentrale Gerechtigkeitsziel darstellt,48 richtete er die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand der Gleichheit und die Frage, in welchem Raum Gleichheit zu verwirklichen ist.49 Diese „Gleichheit von was?“-Frage sei – so A. Sen – deshalb so bedeutsam, weil ein egalitaristisches Ziel weder verteidigt noch abgelehnt werden könne, wenn man nicht wisse, worauf es sich beziehe.50 Die Auswahl des maßgeblichen Vorteilsbegriffs51 sei zudem deshalb von grundlegender Bedeutung, weil im Kern jede normative Theorie in irgendeiner Form Gleichheitsaspekte berücksichtige: „In each theory, equality is sought in some space – a space that is seen as having a central role in that theory.“52

So könne selbst der utilitaristischen Philosophie, obgleich sie sich nicht für die Verteilung des Nutzens zwischen den Individuen interessiere,53 ein „versteckter Egalitarismus“54 bescheinigt werden, weil die Nutzeneinheiten der Mitglieder einer Gesellschaft zwar zusammengefasst, diese dabei jedoch gleich stark gewichtet würden.55 Eine Abstufung nach sozialer Herkunft oder Einkommensund Vermögenslage der Individuen findet im Utilitarismus nicht statt. Es gilt der Grundsatz: „Everybody to count for one, and nobody to count for more than one“.56 Insoweit steht hinter dem Utilitarismus zweifellos ein Gleichheits47 

Vgl. dazu Parfit, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  81, 86. dieser sogenannten „Why Equality?“-Frage vgl. nur Krebs, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  7 ff.; Krebs, in: Horster, Sozialstaat und Gerechtigkeit, 2005, S.  37 ff.; Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  30. ff.; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S.  153 ff.; Molina, Die Politische Philosophie von Amartya Sen, 2016, S.  43 ff. 49  Vgl. hierzu Cohen, Ethics 99 (1989), S.  9 06 ff.; Anderson, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  117, 125. 50 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  12; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  74: „Tatsächlich ist die ‚Pointe‘ einer Gerechtigkeitstheorie weitgehend durch ihre Informationsbasis bestimmt.“ 51  Zum Begriff des Vorteils im Gerechtigkeitskontext vgl. Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  25. 52  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S. IV. Zur Frage der Gleichheit als „primäres formales Element der Gerechtigkeit“ vgl. auch Wieacker, Das bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, 1960 (1974), S.  36, 48. 53  Vgl. §  2 E. I. 54  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  13; siehe dazu auch Dworkin, Taking Rights Seriously, 2003, S.  281. 55  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.   13: „The utilitarian formula requires the maximization of the sum-total of the utilities of all people taken together, and that is, in an obvious sense, not particularly egalitarian. In fact, the equality that utilitarianism seeks takes the form of equal treatment of human beings in the space of gains and losses of utilities. There is an insistence on equal weights on everyone’s utility gains in the utilitarian objective func­ tion.“ [Hervorhebung im Original]. 56  Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  19. 48 Zu

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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postulat. Und obwohl J. Rawls das Verteilungsproblem mithilfe seines sogenannten Differenzprinzips löst, trägt auch seine „Theorie der Gerechtigkeit“ offensichtlich egalitaristische Züge. Denn zum einen lautet sein erster Grundsatz für eine gerechte „Grundstruktur der Gesellschaft“57, dass jedermann „gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten [hat], das für alle möglich ist“58; er ist insoweit also „strikt egalitär“59. Zum anderen zielt sein Gedankenexperiment des Urzustands gerade darauf ab, Gleichheit zwischen den Menschen herzustellen, damit die Festlegung der Gerechtigkeitsgrundsätze in einem fairen Verfahren erfolgt. 60 Eine in diesem Zusammenhang naheliegende Frage ist, warum sich der Ökonom A. Sen, dessen Arbeitsgebiete in erster Linie die Wohlfahrtsökonomik und die Theorie kollektiver Entscheidungen bilden („Social Choice Theorie“ oder Sozialwahltheorie bzw. Kollektiventscheidungstheorie), überhaupt für Gleichheit und Gerechtigkeit in einer Gesellschaft interessiert. Eine einfache Erklärung liegt darin, dass die eben erwähnte Indifferenz des Utilitarismus gegenüber einer ungleichen Nutzenverteilung eines der Hauptprobleme dieser philosophischen Strömung darstellt. Und diese stellt nicht nur die vorherrschende Weltanschauung der älteren Wohlfahrtsökonomik dar. 61 Auch in der neueren Wohlfahrtsökonomik lassen sich zahlreiche utilitaristische Prämissen identifizieren. 62 Hinzu kommt, dass A. Sen, der zwar fachlich an die Wirtschafts­ wissenschaften gebunden ist, aber – wie er selbst schreibt63 – eine Liebesaffäre mit der Philosophie hat, stets bemüht ist, die Verbindung zwischen Ethik und Ökonomik offenzulegen, und damit ganz im Sinne A. C. Pigous64 nicht müde wird zu betonen, dass ethische Überlegungen im Zusammenhang mit ökonomischen Fragestellungen nicht ausgeblendet werden dürfen;65 umgekehrt könne

57 

Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  19. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  336 [Hervorhebung hinzugefügt]. 59  Eidenmüller, ARSP 73 (1987), S.  235, 241. 60  Vgl. §  3 A. 61 Vgl. Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 105; Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50; Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  37; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  300. 62  Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  58; Hackmann, Zur wohlfahrtstheoretischen Behandlung von Verteilungsproblemen, 1972, S.  16 (Fn.  4). 63  Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  297. 64 Vgl. Pigou, Economic Science in Relation to Practice, 1908, S.   13 f.: „Economics and Ethics are mutually dependent. The practical art of social service requires them both […] it is an urgent need for the economist that he be also a student of Ethics.“ 65  Vgl. nur Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  9. Zu diesem Bemühen A. Sens siehe etwa Beitz, Econ. Philos. 2 (1986), S.  282 („Sen is a philosopher’s economist“); Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 445; Putnam, The Collapse of the Fact/Value Dichotomy, 2002, S.  60: „Such an approach [capability approach – Anmerkung hinzugefügt] will require us to stop compartmentalizing ‚ethics‘ and ‚economics‘ and ‚politics‘ in the way we have been doing since Lionel Robbins triumphed over the Pigovian welfare economists in 1932, and 58 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

aber auch die ökonomische Analyse etwas zur Lösung ethischer Probleme beitragen. 66

B. Bedeutung der „Informationsbasis“ Die Verbindung zwischen Ethik und Ökonomik versucht A. Sen mithilfe seines Befähigungsansatzes zu etablieren. Dieser basiert nicht auf dem Utilitarismus, sondern rekurriert in erster Linie auf die aristotelische Ethik. 67 Welche Gedanken von Aristoteles sich in seinem Ansatz finden lassen, soll hier zunächst offenbleiben. Lediglich auf einen inhaltlichen Aspekt von A. Sens Denkmodell, dessen Kenntnis für das Verständnis der nachfolgenden Ausführungen hilfreich ist, sei an dieser Stelle hingewiesen: Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation ist der Begriff „Informationsbasis“ („informational base“).68 Die Informationsbasis erfüllt zwei Aufgaben: Einerseits legt sie Kriterien fest, mit deren Hilfe im Rahmen einer normativen Theorie bzw. Idee Werturteile gefällt werden. Andererseits schließt sie bestimmte Kriterien aus, die keinen direkten Einfluss auf das zu fällende Werturteil haben sollen. Das Letztgenannte geschieht meist stillschweigend, kann aber auch ausdrücklich erfolgen. 69 Weil A. Sen normative Theorien von ihrer jeweiligen „Informationsbasis“ her versteht,70 erstaunt es nicht, dass er diese auch im Zusammenhang mit seiner Kritik an der Wohlfahrtsökonomik in das Zentrum der Betrachtung rückt und die Frage aufwirft: Geht die Wohlfahrtsökonomik bei ihren Bewertungen überhaupt von der richtigen „Informationsbasis“ aus?

C. Nutzen und Wohlergehen Als Teilbereich der Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich die Wohlfahrtsökonomik mit der Bewertung gesellschaftlicher Zustände und mit den staatlichen come back to the kind of reasoned and humane evaluation of social wellbeing that Adam Smith saw as essential to the task of the economist.“; Hamilton, Amartya Sen, 2019, S.  3. 66  Sen, IIC Quarterly 25 (1998), S.  53. 67 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  39 (Fn.  3): „The philosophical basis of this approach can be traced to Aristotle’s writing, which includes a penetrating investigation of ‚the good of man‘ in terms of ‚life in the sense of activity‘.“; Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 56; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  356. 68 Vgl. Sen, in: Morscher/Stranzinger, Ethik: Grundlagen, Probleme und Anwendungen, 1981, S.  43, 46; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  339. 69 Vgl. Sen, J. Philos. 82 (1985), S.  169 f.; Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 32; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  73; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  340. 70  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  72.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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Handlungen sowie Entscheidungen, die zu diesen Zuständen geführt haben bzw. führen können.71 Diese Bewertungen erfolgen im Hinblick auf das Ziel der Maximierung bzw. Optimierung72 der gesellschaftlichen Wohlfahrt („welfare“). Weil dabei allein die sozialen Folgen der staatlichen Handlungen und Entscheidungen berücksichtigt werden, nimmt die Wohlfahrtsökonomik eine konsequentialistische Perspektive ein. Zudem geht sie davon aus, dass das „Gemeinwohl“ von dem persönlichen Wohlergehen der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft abhängt – und zwar nur der einzelnen Mitglieder. Dementsprechend beschränkt sich die Aufgabe des Staates darauf, die Präferenzen der Mitglieder einer Gesellschaft gesellschaftsweit zu aggregieren. Der Staat soll indes keine Präferenzen für das „Kollektiv“ entwickeln und diese losgelöst von den Vorstellungen der Gesellschaftsmitglieder durchsetzen.73 Die Wohlfahrtsökonomik folgt damit der Position des normativen Individualismus.74 Weil die Bewertung der gesellschaftlichen Wohlfahrt auf individualistischer Basis erfolgt, stellt das persönliche Wohlergehen eines Menschen ein wissenschaftliches Problem der Wohlfahrtsökonomik dar. Denn sie muss sich zu der Frage positionieren, welches Kriterium für die Bewertung des individuellen Wohlergehens als wesentlich anzusehen ist. Gibt sie hierauf eine für alle Gesellschaftsmitglieder verbindliche Antwort, so liegt darin offensichtlich ein Wert-

71 Vgl. Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  29. Zum Gegenstand der Wohlfahrtsökonomik vgl. ferner Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  11; Dick, Untersuchungen einiger Grundprobleme der Wohlfahrtsökonomik, 1973, S.  12 ff.; Külp, Wohlfahrtsökonomik I, 1975, S.  1; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  12; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  9; Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  170. 72  Während ein Maximum die beste aller möglichen Situationen ist, bezeichnet ein Optimum nur ein „lokales Maximum“, d. h. eine Situation, in deren unmittelbarer Umgebung sich nur schlechtere Zustände befinden. Man kann also sagen, „die Spitze des Matterhorns […] ist ebenso ein lokales Maximum wie die Spitze eines Maulwurfshügels […].“, so Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  20. 73  Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  X III. 74 Vgl. Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  16; Külp, Wohlfahrtsökonomik I, 1975, S.  4; Beitz, Econ. Philos. 2 (1986), S.  282, 283; Hagel, Effizienz und Gerechtigkeit, 1993, S.  15; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 44 f.; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S.  597; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  281; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  25; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S. X; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XIII. Logisch zwingend ist es natürlich nicht, die gesellschaftliche Wohlfahrt auf individualistischer Basis zu konstruieren. Man könnte das Kollektiv ebenso gut als „selbstständiges Gebilde“ definieren, das nicht vom Wohlergehen der Mitglieder einer Gesellschaft abhängt, vgl. Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  17. Dann würde man den individuellen Nutzen als Ausgangspunkt verlassen und gesellschaftliche Situationen auf der Basis direkt beobachtbarer sozialer Indikatoren beurteilen, vgl. Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  54, 244; Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  75.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

urteil.75 Die Wohlfahrtsökonomik ist daher als normative Wissenschaft76 zu qualifizieren77 und aufgrund ihrer Verbindung zum menschlichen Wohlergehen „much more philosophical than other topics in microeconomic theory.“78 Dies zugrunde gelegt, erscheint es wenig überraschend, dass sie aus einer normativ-ethischen Position hervorgegangen ist. Wie bereits erwähnt,79 bildet der Utilitarismus die philosophische Grundlage sowohl der älteren als auch der neueren Wohlfahrtsökonomik. 80 Aus diesem Grund richtet sich der Blick im Folgenden zunächst auf die Komponenten einer klassischen utilitaristischen Formel.81 Sie sollen anhand der Positionen des englischen Philosophen 75  Little, A Critique of Welfare Economics, 1950, S.  81; Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  13; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrts­theo­ rie, 1992, S.  3; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  12. 76  Diese Feststellung ist natürlich nur dann richtig, wenn man den Begriff der Wissenschaft nicht so versteht, dass darunter lediglich die von empirischen Voraussetzungen unabhängige reine Logik und Mathematik sowie die Naturwissenschaft fällt, soweit sie sich ausschließlich auf quantitative Größen richtet und ihre Ergebnisse daher in mathematischen Relationen ausdrücken kann. Vgl. dazu und diesen Wissenschaftsbegriff im Ergebnis ablehnend Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1966, S.  11, sowie Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  373. 77 Vgl. Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 105; Möller, Interpersonelle Nutzenvergleiche, 1983, S.  39; Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  105: „It is obvious that welfare economics cannot be ‚value-free‘.“; kritisch zum Einbezug von Werturteilen in die ökonomische Wissenschaft Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, 1904 (1988), S.  146, 149: „[W]ir sind der Meinung, daß es niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein kann, bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte ableiten zu können.“, sowie Weber, Der Sinn der „Wertfreiheit“ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, 1918 (1988), S.  489 ff. 78  Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  38. Ähnlich Little, A Critique of Welfare Economics, 1950, S.  8: „It follows from these principles that welfare economics is a branch of ethics.“, sowie S.  81: „Welfare economics and ethics cannot, then, be separated.“ 79  Vgl. §  2 A. 80  Buchanan, J. Law Econ. 2 (1959), S.  124; Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  3, spricht von einer „engen geistigen Verwandtschaft“; Kötter, in: Wittmann et al., Wohlfahrt und Gerechtigkeit, 1984, S.  67, 68; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  3. 81 Angesichts der Ausformulierung des Utilitarismus bereits im Jahr 1780 erstaunt es nicht, dass sich das utilitaristische Denken mittlerweile in eine große Zahl von Positionen ausdifferenziert hat, vgl. Todt, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme des Zivilrechts, 1991, S.  1: „Nun ist ‚Utilitarismus‘ keineswegs eine fest umrissene konkrete Lehrmeinung, sondern vielmehr eine Klasse höchst unterschiedlicher ethischer Positionen mit einer großen Tradition, aber ohne scharfe Grenzen gegenüber anderen Auffassungen.“; Behrens, in: Bydlinski/ Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  358; Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  9; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  23, 174; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  40.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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J. Bent­ham exemplifiziert werden. 82 Die Ausführungen beschränken sich dabei auf die Grundthesen und wesentlichen Konturen seiner Überlegungen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse lässt sich im Anschluss auf einfache Weise he­ rausarbeiten, wie sich die Tradition des Utilitarismus in der Wohlfahrtsökonomik fortgesetzt hat und an welchen utilitaristischen Komponenten A. Sens Kritik ansetzt. I. Merkmale einer klassischen utilitaristischen Formel Der klassische Utilitarismus möchte die ethisch richtige Handlung83 als Resultat einer rationalen Entscheidung zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten konstruieren.84 Dazu muss zuallererst die Frage beantworten werden, nach welchem Kriterium sich eine menschliche Handlung als richtig oder falsch beurteilt. 1. Nützlichkeitsprinzip Die Antwort hierauf findet sich im Prinzip der Nützlichkeit („principle of utility“), das J. Bentham wie folgt beschreibt: „Unter dem Prinzip der Nützlichkeit ist jenes Prinzip zu verstehen, das schlechthin jede Handlung in dem Maß billigt oder mißbilligt, wie ihr die Tendenz innezuwohnen scheint, das Glück der Gruppe, deren Interesse in Frage steht, zu vermehren oder zu vermindern, oder – das gleiche mit anderen Worten gesagt – dieses Glück zu befördern oder zu verhindern.“85

82  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55 ff. Das utilitaristische Denken J. Benthams wurde vor allem durch die Schriften J. S. Mills und H. Sidgwicks weiterentwickelt. So koloriert etwa J. S. Mill in seinem „differenzierten Utilitarismus“ (Habermann, in: Freiheit und Gerechtigkeit, 2010, S.  63, 73) den Nutzenbegriff und unterscheidet zwischen moralisch wertvollen und moralisch minderwertigen Formen von Freude und Leid, vgl. Mill, Der Utilitarismus, 1871 (2019), S.  27: „Die Anerkennung der Tatsache, dass einige Arten der Freude wünschenswerter und wertvoller sind als andere, ist mit dem Nützlichkeitsprinzip durchaus vereinbar.“ [Hervorhebung im Original]. 83  Betrachtet wird an dieser Stelle also der Handlungsutilitarismus. Hiervon ist der Regel­ utilitarismus zu unterscheiden. Dieser fragt nicht danach, ob die Folgen einer Handlung zu einem Nutzenmaximum führen, sondern ob die Regel, auf welcher die Handlung basiert, nutzenmaximierend ist. Zu dieser Unterscheidung vgl. etwa Harsanyi, Soc. Res. 44 (1977), S.  623, 626; Todt, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme des Zivilrechts, 1991, S.  1, 8; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  39 ff.; Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 47; Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  147 (Fn.  20); Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  29 f. 84  Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  10. 85  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55, 56. Vgl. auch Mill, Der Utilitarismus, 1871 (2019), S.  23: „Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben,

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Erstes Kapitel: Grundlegung

Der Nutzen ist also das entscheidende Bewertungskriterium und dieser steht für das Maß an menschlichem Glück. Dementsprechend ist eine Handlung nützlich, wenn sie Freude zu schaffen vermag und Leid verhindert. 86 Allein das Erreichen bzw. das Ausbleiben dieser Gefühle ist für die Beurteilung einer Handlung maßgeblich. Da auf diese Weise einzig die Folgen einer Handlung für die Bewertung maßgeblich sind, wird eine konsequentialistische Perspektive eingenommen.87 Der Utilitarismus steht damit im Gegensatz zu deontologischen Ethiken, die Handlungen losgelöst von ihren Folgen und aus sich heraus als gut oder schlecht, richtig oder falsch bewerten.88 Dass Freude und Leid ein solch einzigartiger Status zukommt, wird mit der anthropologischen Annahme begründet, die Menschen stünden allein unter dem Diktat dieser beiden Gefühle und strebten beständig nach Glück.89 Aus diesem rein deskriptiven Befund der Grundstruktur des Menschen und seiner Motivation kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass der Nutzen maximiert werden sollte. Wer dies tut, verstößt gegen das Hume’sche Gesetz, dem zufolge aus dem Sein kein Sollen folgt.90 Diesen Fehler begeht J. Bentham allerdings nicht. Er argumentiert also nicht, aus der bloßen Beobachtung des menschlichen Strebens nach Glück ergebe sich, dass die Maximierung des Nutzens auch normativ erstrebenswert sei.91 Anders als J. S. Mill tappt er auch nicht in die Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken.“ 86  Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  11. 87  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  76, definiert Konsequentialismus wie folgt: „die These, daß alle Entscheidungen (von Handlungen, Regeln, Institutionen usw.) nach ihren Konsequenzen zu beurteilen sind, d. h. nach den von ihnen erzielten Resultaten.“; zum Begriff „konsequentialistisch“ vgl. auch Gutmann, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  27 (Fn.  3). 88 Vgl. v. Wright, The Varieties of Goodness, 1963 (1996), S.  156 f.; Düwell et al., in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  1, 16. 89  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55: „Die Natur hat die Menschheit unter die Herrschaft zweier souveräner Gebieter – Leid und Freude – gestellt. Es ist an ihnen allein aufzuzeigen, was wir tun sollen, wie auch zu bestimmen, was wir tun werden.“ 90 Vgl. Hume, A Treatise of Human Nature, 1739/1740 (1978), S.  469 f.: „In every system of morality, which I have hitherto met with, I have always remark’d, that the author proceeds for some time in the ordinary way of reasoning, and establishes the being of a God, or makes observations concerning human affairs; when of a sudden I am surpris’d to find, that instead of the usual copulations of propositions, is, and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought, or an ought not. This change is imperceptible; but is, however, of the last consequence. For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, ’tis necessary that it shou’d be observ’d and explain’d; and at the same time that a reason should be given; for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it.“ [Hervorhebung im Original]. 91  Anders etwa Mill, Der Utilitarismus, 1871 (2019), S.  107: „Dafür, dass das allgemeine Glück wünschenswert ist, lässt sich kein anderer Grund angeben, als dass jeder sein eigenes Glück erstrebt, insoweit er es für erreichbar hält. Da dieses jedoch eine Tatsache ist, haben wir damit nicht nur den ganzen Beweis, den der Fall zulässt, sondern alles, was überhaupt als

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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Falle des naturalistischen Fehlschlusses, wonach aus einer beschreibenden Aussage über einen Zustand nicht auf dessen Güte geschlossen werden kann.92 J. Bentham behauptet also nicht, Nutzenmaximierung sei gut, weil die Menschen faktisch danach streben, und diese Güte begründe eine entsprechende Sollens-Forderung.93 Warum das Nützlichkeitsprinzip das „richtige“ oberste Bewertungsprinzip darstellt, lässt J. Bentham vielmehr ausdrücklich offen, was er mit dem Hinweis rechtfertigt, eine Beweiskette müsse irgendwo ihren Anfang haben.94 Wichtig ist zu sehen, dass J. Bentham den Blick nur im Ausgangspunkt auf den Einzelnen richtet. Zwar bilden die von der Handlung Betroffenen den Bezugspunkt für seine Beurteilung.95 Ausschlaggebend für die Frage, welche Handlung dem Prinzip der Nützlichkeit entspricht, ist jedoch das Wohlergehen der Gemeinschaft insgesamt, denn eine Handlung entspricht nur dann der Nützlichkeit, „wenn die ihr innewohnende Tendenz, das Glück der Gemeinschaft zu vermehren, größer ist als irgendeine andere ihr innewohnende Tendenz, es zu vermindern.“96 Mit dieser Orientierung am Gemeinwohl wird zwar nicht ausdrücklich, aber doch der Sache nach, ein nichtindividualistisches Element eingeführt, das den Grundgedanken des normativen Individualismus „limitiert“97. Es geht nun nicht mehr um den subjektiv-individuellen Nutzen, sondern um den Nutzen in einem objektiv-kollektiven Sinn.98 Diese Wendung Beweisgrund dafür verlangt werden kann, dass Glück ein Gut ist: nämlich dass das Glück jedes Einzelnen für diesen ein Gut ist und dass daher das allgemeine Glück ein Gut für die Gesamtheit der Menschen ist.“ Eine ausführliche Kritik zu J. S. Mills Argumentation findet sich bei Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  227 ff. 92  Moore, Principia Ethica, 1903, S.  10: „Yet a mistake of this simple kind has commonly been made about ‚good‘. It may be true that all things which are good are also something else, just as it is true that all things which are yellow produce a certain kind of vibration in the light. And it is a fact, that Ethics aims at discovering what are those other properties belonging to all things which are good. But far too many philosophers have thought that when they named those other properties they were actually defining good; that these properties, in fact, were simply not ‚other‘, but absolutely and entirely the same with goodness. This view I propose to call the ‚naturalistic fallacy‘ […].“ [Hervorhebung im Original]. 93  Zum Unterschied zwischen dem naturalistischen Fehlschluss und dem Hume’schen Gesetz vgl. Hagel, Effizienz und Gerechtigkeit, 1993, S.  44; Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  71. 94  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55, 58: „Ist es [das Prinzip der Nützlichkeit – Anmerkung hinzugefügt] eines direkten Beweises fähig? Anscheinend nein: denn was dazu dient, um etwas anderes zu beweisen, kann nicht selber bewiesen werden; eine Beweiskette muß irgendwo anfangen. Es ist ebenso unmöglich wie überflüssig, einen solchen Beweis vorzulegen.“ 95  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  357. 96  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55, 57. 97  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.   Aufl. 2011, S.  357 spricht daher von einer „limitierten Form des normativen Individualismus“. 98 Vgl. Kelsen, Was ist Gerechtigkeit?, 1953 (2000), S.  13 f.; treffend Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  376 f.: „[U]tilitarianism […] treats people as if they were the cells of a

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Erstes Kapitel: Grundlegung

hat ihren Ursprung in J. Benthams Annahme, dass sich die staatliche Gemeinschaft als ein „fiktiver Körper“ darstellt, der sich aus den Mitgliedern der Gemeinschaft zusammensetzt.99 Es ist aus seiner Sicht daher konsequent, die Folgen für die von der Handlung betroffenen Individuen zu vergleichen und sämtliche individuellen Nutzen zusammenzufassen (Aggregationsprinzip).100 Als spezifische Regel für diese personelle Aggregation101 wählt J. Bentham die Summe der individuellen Nutzen: „Was also ist das Interesse der Gemeinschaft? – Die Summe der Interessen der verschiedenen Glieder, aus denen sie sich zusammensetzt.“102

Die utilitaristische Regel besagt zudem, dass derjenigen Handlung Vorrang zu geben ist, deren Konsequenzen die Nutzensumme aller Betroffenen maximiert.103 Die alleinige Aufmerksamkeit ist mithin auf die Maximierung des Gesamtnutzens aller Individuen zusammengenommen gerichtet. Der Utilitarismus folgt damit dem Maximierungsprinzip.104 Die Nutzenverteilung zwischen den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern spielt indes keine Rolle. Dass diese Summierung zu Problemen führt, ist offensichtlich und soll hier nur erwähnt werden. Diese Probleme werden an späterer Stelle thematisiert.105 2. Kardinalität und interpersonelle Vergleichbarkeit Eine wichtige Frage lautet nun natürlich: Wie soll das utilitaristische Nützlichkeitsprinzip operativ umgesetzt werden? Hierauf gibt J. Bentham eine einfache wie scheinbar exakte Antwort: Er ermittelt in einem ersten Schritt für jeden von der Handlung Betroffenen den voraussichtlichen individuellen Nutzen in Form eines Überschussbetrags an Freude oder Leid. Das Maß an Freude, das eine single organism; the welfare of the cell is important only insofar as it promotes the welfare of the organism.“ 99  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55, 57. 100 Vgl. Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 40; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  357. 101  Unter dem Begriff der personellen Aggregation wird die Zusammenfassung des Nutzens der Individuen zu einem gesellschaftlichen Gesamtnutzen verstanden. Es geht mithin um die Frage, wie die individuellen Nutzen gesellschaftlich aggregiert werden, Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  48 (Fn.  4). Die personelle Aggregation ist von der sachlichen Aggregation zu unterscheiden. Bei dieser geht es darum, die individuellen Einzelwerte zu einem Gesamtausdruck auf der individuellen Ebene zu aggregieren, van Aaken, in: van Aaken/Schmid-Lübbert, Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, 2003, S.  89, 91 (Fn.  13). 102  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55, 57. 103  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.   77; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  358; Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  11. 104  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  364. 105  Vgl. §  2 E. I.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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Handlung hervorruft, gemindert um das mit ihr verbundene Leid, führt so zu einem individuellen Gratifikationswert. Wenn sämtliche Gratifikationswerte feststehen, werden sie in einem zweiten Schritt unter gleich starker Gewichtung zu einem Gesamtwert addiert.106 Der so ermittelte kollektive Gratifikationswert repräsentiert den Gesamtnutzen, den eine Handlung für alle Betroffenen hat.107 Verschiedene Handlungsoptionen können auf dieser Grundlage in eine Rangordnung gebracht und das Maximum, d. h. die beste Option, kann identifiziert werden. Um diesen additiven Ansatz des sogenannten hedonistischen Kalküls durchführen zu können, müssen allerdings nicht nur die Folgen einer Handlung und deren Auswirkung auf die Freude und das Leid aller von der Handlung „Betroffenen“108 gemessen werden. Der individuelle Gratifikationswert muss vor allem auch auf eine ganz bestimmte Weise zum Ausdruck gebracht werden. Denn es genügt nicht zu ermitteln, ob es einer Person vor einer Handlung besser, schlechter oder gleich gut geht. Zwar kann auch eine solche Rangfolge der Alternativen in einem Zahlenwert ausgedrückt und können diese Zahlen in der Weise geordnet werden, dass die Reihenfolge der Zahlen die Rangfolge der verschiedenen Zustände widerspiegelt.109 Eine solche Ordinalskala zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass die Differenz der Zahlenwerte keine Rolle spielt. Es zählt nur der Umstand, dass ein Zahlenwert größer ist als der andere und dadurch erkennbar wird, ob sich ein Zustand verbessert oder verschlechtert. Eine Summenbildung der Nutzenwerte zur Ermittlung eines Maximums, wie es das hedonistische Kalkül vorsieht, kann auf dieser Grundlage jedoch augenscheinlich nicht gelingen. Damit eine Addition der individuellen Gratifikationswerte möglich ist, müssen die individuellen Nutzenwerte vielmehr kardinal bestimmt, d. h. als quantitativ bestimmbare Größe dargestellt werden und interpersonell vergleichbar sein.110 Dem Nutzen jedes Gesellschaftsmitglieds muss also ein absoluter Zahlenwert zugeordnet und auf einer allgemeingültigen 106  Diese gleichstarke Gewichtung der individuellen Gratifikationswerte, d. h. ohne Rücksicht auf die soziale Herkunft, bezeichnet Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  149, als „revolutionären Sprengsatz“. 107 Vgl. Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  24; Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  19; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  26. 108  Kritisch zum Begriff des Betroffenen etwa Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 112: „Since utility in the broad sense used by contemporary utilitarians is possessed by (many) animals, the inclusion of sheep and pigs seems required by the theory. […] However, there is something amiss in a philosophical system that cannot distinguish between people and sheep.“; Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 41. 109  Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  28. 110  Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  354; Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 818; Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 41.

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Skala des menschlichen Glücks verankert werden.111 Dass diese Aufgabe kein einfaches Unterfangen ist, muss nicht näher erläutert werden.112 Warum aber sind die Fragen, wie der Nutzen gemessen wird (ordinal oder kardinal?) und ob eine interpersonelle Vergleichbarkeit gegeben ist, auch für die Wohlfahrtsökonomik relevant? Dies soll im folgenden Unterabschnitt beantwortet werden. II. Wende zur Wohlfahrtsökonomik Dazu muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass J. Bentham nicht nur eine Theorie der individuellen Moral konzipieren, sondern eine umfassende Sozialreform erreichen und die gesellschaftlichen Bedingungen so umgestalten wollte, dass der von ihm angestrebte Zustand des größtmöglichen Glücks der Gesellschaft verwirklicht werden konnte.113 Dementsprechend sollte sich nicht nur das individuelle, sondern auch jedes Handeln der Regierung sowohl in der Verwaltung als auch in der Gesetzgebung daran messen lassen, ob die „ihr innewohnende Tendenz, das Glück der Gemeinschaft zu vermehren, größer ist als irgendeine andere ihr innewohnende Tendenz, es zu vermindern.“114 Diese „wissenschaftlich angeleitete Gesellschaftskritik“115 entwickelte A. C. Pigou als einer der wichtigsten Vertreter der älteren Wohlfahrtsökonomik116 zu einem wirtschaftspolitischen Programm weiter. In seinem Hauptwerk „The Economics of Welfare“ übersetzte er die philosophischen Ideen J. Benthams in eine ökonomische Sprache. Dazu teilte er in einem ersten Schritt das menschliche Wohlergehen in eine ökonomische und eine nicht-ökonomische Wohlfahrt ein und erklärte in einem zweiten Schritt die erstere zum Untersuchungsgegenstand der Wirtschaftswissenschaften, da nur diese – wie er meinte – direkt oder indirekt in Geld gemessen werden könne.117 Anknüpfend an J. Benthams systematische Entwicklung der utilitaristischen Position, gründete er sein Programm auf eine reine Nutzenbetrachtung. Weil A. C. Pigou dabei 111 Vgl.

Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  46. Dworkin, Taking Rights Seriously, 2003, S.  279 f. 113 Vgl. Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  3; Sen/Williams, in: Sen/Williams, Utilitarianism and Beyond, 1982, S.  1 f.: „Utilitarianism has always been discussed […] in two different roles: on the one hand as a theory of personal morality, and on the other as a theory of public choice, or of the criteria applicable to public policy.“; Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 36. 114  Bentham, Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789 (2013), S.  55, 57. 115  Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 5.  Aufl. 2013, S.  28. 116  Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  171, bezeichnet A.C Pigou als „eigentlichen Begründer der Wohlfahrtsökonomie“. 117  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  11: „Hence, the range of our inquiry becomes restricted to that part of social welfare that can be brought directly or indirectly into relation with the measuring-rod of money. This part of welfare may be called economic welfare.“ 112 Vgl.

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davon ausging, dass sich der Nutzen eines Menschen aus „Bewusstseins­ zuständen“118 ableiten lasse, setzte er den Nutzenbegriff zur Beschreibung gewisser subjektiver Zustände ein und übernahm damit in einem weiteren Punkt eine wichtige Grundannahme des Utilitarismus Bentham’scher Prägung. Beide unterstellten ferner, dass sich die gesellschaftliche Wohlfahrt als die Summe des Wohlergehens aller Mitglieder der Gesellschaft darstellt.119 A. C. Pigou strebte dementsprechend – ebenso wie J. Bentham – nicht nur ein Optimum, sondern ein Maximum der gesellschaftlichen Wohlfahrt an, weil er die beste aller Situationen ermitteln wollte. Aus all dem wird deutlich, dass im Zuge von A. C. Pigous wirtschaftspolitischem Programm zentrale utilitaristische Prä­ missen Einzug in die ältere Wohlfahrtsökonomik gehalten haben und der Utilitarismus so zu deren „offizieller Theorie“120 wurde. Zwei utilitaristische Grundannahmen sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Ihre Wahl lässt sich damit erklären, dass sie zu den Eckpfeilern der älteren Wohlfahrtsökonomik zählen und daher auch im Zentrum der Kritik A. Sens stehen. Es handelt sich dabei einerseits um die Prämisse, dass Wohlfahrtsurteile ausschließlich auf der Grundlage von Nutzen zu treffen sind („Wohlfahrtsgedanke“ bzw. „welfarism“),121 und andererseits um das Kriterium der „Summierung“ („sum-ranking“), dem zufolge die gesellschaftliche Wohlfahrt durch die Zusammenfassung der individuellen Nutzen verschiedener Individuen zu ermitteln ist.122

118  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  10: „[T]he elements of welfare are states of consciousness […].“ 119  Little, A Critique of Welfare Economics, 1950, S.  8; Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  45; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  174. 120  Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  341; ähnlich Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 39: „[D]ie Wohlfahrtsökonomie kann […] als eine ökonomische Version des Utilitarismus bezeichnet werden.“ 121  Sen, J. Philos. 76 (1979), S.  463, 468: „The judgement of the relative goodness of alternative states of affairs must be based exclusively on, and taken as an increasing function of, the respective collections of individual utilities in these states.“ [Hervorhebung hinzugefügt]; Sen, Choice, Welfare and Measurement, 1982, S.  330; Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  39 f.; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 15; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  6; Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 51; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  8; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  13; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  76 f. 122  Sen, J. Philos. 76 (1979), S.  463, 468; Sen, in: Morscher/Stranzinger, Ethik: Grundlagen, Probleme und Anwendungen, 1981, S.  43; Sen/Williams, in: Sen/Williams, Utilitarianism and Beyond, 1982, S.  1, 4; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  43 (Fn.  14); Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 51; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  77; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  343.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

D. Grenzen des Wohlfahrtsgedankens Die kurze Darstellung der Position J. Benthams hat gezeigt, dass der Begriff des Nutzens den zentralen Wertmaßstab des klassischen Utilitarismus bildet.123 Ausgehend von A. C. Pigous Arbeiten hat sich diese Fokussierung auf den Nutzen in der Wohlfahrtsökonomik fortgesetzt. Obwohl der Nutzenbegriff – wie sogleich zu zeigen sein wird124 – im Laufe der Zeit einer bedeutsamen Wandlung unterlag, gilt bis heute die Forderung, dass die Beurteilung von sozialen Zuständen letztlich immer auf dem Aspekt des Nutzens zu basieren habe.125 Die interessante Frage lautet nun: Was ist daran zu beanstanden, dass der individuelle Nutzen zum Ausgangspunkt einer Bewertung gemacht wird? Für eine adäquate Beantwortung dieser Frage muss man zunächst klären, wie der Terminus „Nutzen“ inhaltlich konturiert und konkretisiert wird. Im Anschluss daran lässt sich zeigen, warum sowohl das hedonistisch geprägte Nutzenverständnis J. Benthams als auch die hieraus entsprungenen ökonomischen Nutzeninterpretationen angreifbar sind. I. Zufriedenheitsdilemma Im Zusammenhang mit der Evolution der älteren Wohlfahrtsökonomik aus dem klassischen Utilitarismus wurde bereits darauf hingewiesen, dass A. C. Pigou – ebenso wie J. Bentham – den Nutzenbegriff mit einem Bewusstseinszustand in Verbindung brachte.126 A. C. Pigou ging davon aus, dass die wirtschaftliche Wohlfahrt in Form von Zufriedenheit und Unzufriedenheit bestehe, die sich in Geld messen lassen könne.127 Eine Möglichkeit, Aufschluss über das Maß der Zufriedenheit eines Menschen zu erlangen, sah er in dessen Wünschen, deren Intensität sich in der Nachfrage nach Gütern und Diensten widerspiegele.128 Mit diesen Annahmen erreichte er zwar, dass die ökonomische Wohlfahrt mit einer objektiven Größe, nämlich der individuellen Zahlungsbereitschaft,129 in eine Beziehung gebracht wurde. Letztlich basierte A. C. Pigous 123  Weiterführend zum Nutzen als Wertmaßstab in der Philosophiegeschichte vgl. Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  144 ff. 124  Vgl. §  2 D. II. 125  Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 105; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  27 f.; van Aaken, in: van Aaken/Schmid-Lübbert, Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, 2003, S.  89, 92. 126  Vgl. §  2 C. II. 127  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  23: „[E]conomic welfare was taken broadly to consist in that group of satisfactions and dissatisfactions which can be brought into relation with a money measure.“ 128  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  23. 129  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  24: „It is fair to suppose that most commodities […] will be wanted as a means to satisfaction, and will, consequently, be desired with intensities proportioned to the satisfactions they are expected to yield. For the most ­general purposes of economic analysis, therefore, not much harm is likely to be done by the

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Nutzenbegriff jedoch auf der individuellen Zufriedenheit, sodass es ihm nicht gelang, den Nutzenbegriff von jeglichem subjektiven psychischen Nutzenmaßstab zu befreien. Dies ist deshalb problematisch, weil menschliche Empfindungen im Allgemeinen und damit Zufriedenheit im Besonderen nicht von den gesellschaftlichen Gegebenheiten autonom sind. Dass diese Verbindung im Zusammenhang mit der Bewertung des menschlichen Wohlergehens heikel ist, veranschaulicht A. Sen mit folgenden Worten: „Nehmen wir einen sehr benachteiligten Menschen, der arm, ausgebeutet, überarbeitet und krank ist, durch soziale Konditionierung (etwa durch Religion, politische Propa­ ganda oder kulturellen Druck) jedoch dazu gebracht wurde, sich mit seinem Schicksal zufrieden zu geben. Kann man wirklich annehmen, dass es ihm gut geht, weil er glücklich und zufrieden ist?“130

Das Beispiel macht trotz seiner Einfachheit deutlich, dass es mit einem auf Gefühlen aufbauenden Nutzenbegriff nicht gelingen kann, die tatsächliche Lebenssituation eines Menschen zu erfassen. Konkret mit Blick auf A. C. Pigous Nutzenbegriff trifft dieser Befund deshalb zu, weil er von der Intensität eines Wunsches unmittelbar auf eine zu erwartende menschliche Zufriedenheit schloss, womit zwangsläufig unberücksichtigt bleiben musste, dass Menschen ihre Wünsche mit ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten in Überstimmung bringen. Unsere Wünsche sind adaptiv oder wie C. R. Sunstein es mit Blick auf das Phänomen der „adaptiven Präferenzen“131 formuliert: „[W]hat people want is sometimes a product of what they can get.“132 Anders ausgedrückt: Wir passen unsere Wünsche in aller Regel an unsere wirtschaftlichen Lebensbedinguncurrent practice of regarding money demand price indifferently as the measure of a desire and as the measure of the satisfaction felt when the desired thing is obtained.“ Bei der Erfassung der ökonomischen Wohlfahrt richtete A. C. Pigou also den Blick nicht auf die tatsächlichen Geldausgaben eines Individuums, sondern zog als Nutzenmaßstab vielmehr denjenigen Betrag heran, den ein Individuum für ein Gut auszugeben bereit wäre (vgl. Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  23: „That is to say, the money which a person is prepared to offer for a thing […].“). Damit wollte er dem Umstand Rechnung tragen, dass der Nutzen, den ein Gut stiftet, nicht geringer wird, wenn das Gut tatsächlich für weniger Geld erworben werden konnte, vgl. Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  47. 130  Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  26. Vgl. ferner Sen, Commodities and Capabil­ ities, 1985 (1999), S.  20; Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  45 f.; Sen, Inequality Re­ examined, 1992 (1995), S.  7, 55; Sen, IIC Quarterly 25 (1998), S.  53, 60; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  30: „The indigent peasant who manages to build some cheer in his life should not be taken as ‚not poor‘ on grounds of that mental accomplishment.“ Einen ähnlichen Gedanken formuliert Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 20: „[P]oor people are not necessarily less happy than rich people when they don’t know they’re poor.“ 131  Ausführlich dazu Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  108 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  341 ff., 380. 132  Sunstein, Univ. Chic. Law Rev. 53 (1986), S.  1129, 1146. Vgl. ferner Sen/Williams, in: Sen/Williams, Utilitarianism and Beyond, 1982, S.  1, 14 f.; Elster, in: Sen/Williams, Utili­ tarianism and Beyond, 1982, S.  219; Anderson, in: Brighouse/Robeyns, Measuring Justice,

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Erstes Kapitel: Grundlegung

gen an und blenden Unerreichbares aus unserem Horizont aus. Der Umstand, dass sich jemand ein bestimmtes Gut nicht wünscht, weil er es sich aufgrund schlechter Lebensbedingungen ohnehin nicht leisten kann, bedeutet aber nicht, dass er dieses Gut nicht wertschätzt.133 Damit wird deutlich: Weder gefühlsmäßige Zustände, wie Glück oder Zufriedenheit, noch Wünsche bilden eine taugliche Grundlage für die Bewertung des menschlichen Wohlergehens.134 II. Entscheidung und Motive Wenn man nach dem soeben Gesagten zu dem Ergebnis kommt, dass sämtliche auf psychischen Maßstäben (Glück, Zufriedenheit oder Wünsche) basierende Nutzenbegriffe die tatsächliche Lebenssituation eines Menschen nicht angemessen erfassen und damit abzulehnen sind, stellt sich die Frage, ob etwas gegen eine objektive Nutzeninterpretation spricht, also eine solche, die gänzlich ohne die Sprache einer „introspektiven Psychologie“135 auskommt. Damit ist man bei den Bemühungen der Vertreter der neueren Wohlfahrtsökonomik („New Welfare Economics“) angelangt. In Abkehr von den utilitaristischen Wurzeln der älteren Wohlfahrtsökonomik definieren sie die Referenzgröße „Nutzen“ nicht mehr als einen gefühlsmäßigen Zustand, sondern verbinden diese mit einem empirisch überprüfbaren Kriterium. Der Nutzenbegriff wird von ihnen zur Beschreibung eines beobachtbaren Phänomens verwendet, mit dessen Hilfe auf eine innere Nutzenordnung geschlossen wird: die Wahlhandlung der Marktteilnehmer.136 In ihr – so die Annahme – manifestiert sich die subjektive Präferenz, d. h. die individuelle wertschätzende Einstellung gegenüber mehreren Optionen.137 Wenn also jemand die Wahl zwischen dem Zustand x und dem Zu2010, S.  81, 85; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  344 m. w. N. in Fn.  53. 133  Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  14: „Valuing is not the same thing as desiring, and the strength of desire is influenced by considerations of realism in one’s circumstances.“; ähnlich Sunstein, Univ. Chic. Law Rev. 53 (1986), S.  1129, 1135: „People may con­ vince themselves that they do not want a good simply because they consider it to be unavail­ able; if the good were available, it might have a high value to them.“ 134  Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  29. 135  So die Bezeichnung von Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  15, 63. Zur Formalisierung des Nutzenbegriffs vgl. auch Albert, in: Lenk, Handlungstheorien interdisziplinär, Band 4, 1977, S.  177, 192 f.; Todt, in: Ott/ Schäfer, Ökonomische Probleme des Zivilrechts, 1991, S.  1, 6 („Deemotionalisierung des Nutzens“); Lohmann, in: Lohmann/Priddat, Ökonomie und Moral, 1997, S.  113, 115 („non-ko­ gnitivistische Interpretation“); Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  30, 175 („formaler Nutzenbegriff“). 136 Vgl. Buchanan, J. Law Econ. 2 (1959), S.  124, 130; Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  15, 63; Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  55; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  229. 137 Vgl. Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  101; Tietzel, JNPÖ 7 (1988), S.  38, 39, versteht unter Präferenzen die „relativen Bewertungen von Handlungsalternativen durch einen Handelnden im Lichte seiner Ziele“;

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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stand y hat und er den Zustand x wählt, obgleich er sich auch für den Zustand y entscheiden könnte, wird angenommen, dass der Zustand x für ihn einen höheren Nutzen als der Zustand y generiert.138 Nutzen wird in diesem Konzept der „revealed preferences“ somit als präferenzgeleitete Wahlhandlung verstanden. 1. Problem der einmischenden Präferenzen Wichtig ist zu sehen, dass es bei diesem „formalen Nutzenbegriff“139 jedem Individuum überlassen bleibt, worin der Nutzen besteht.140 Nicht die Gesellschaft, sondern die Menschen selbst entscheiden darüber, ob und inwieweit sich ihre individuelle Wohlfahrt – erkennbar im Nutzen – verändert. Die „ungefilterten“ Präferenzen bilden – der Position des normativen Individualismus folgend141 – die Grundlage für die Bewertung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Das bedeutet, die präferenzgeleiteten Wahlhandlungen der Gesellschaftsmitglieder unterliegen keinerlei Restriktionen. Es wird mithin nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Präferenzen unterschieden.142 Auch die Motive, die zu einer bestimmten Präferenz geführt haben, interessieren nicht. Es spielt auch keine Rolle, ob eine konkrete Wahlhandlung tatsächlich das individuelle Glück oder die Zufriedenheit erhöht. Jeder Mensch, so lautete die Grundannahme, weiß selbst am besten, worin sein persönlicher Nutzen besteht und welche Wahlhandlung diesen Nutzen fördert.143 Damit ist eine zentrale ökonomische Prämisse formuliert, die unter den Begriff der Präferenzautonomie gefasst wird.144 Es ist nicht leicht zu erkennen, dass gerade dieses liberale Element der autonomen Entscheidung über die eigenen Präferenzen eine Gefahr für die persönliche Freiheit des Einzelnen darstellt. Das Gefahrenpotenzial der Präferenzautonomie wird erst einsichtig, wenn man sich der Theorie der kollektiven Entscheidungen zuwendet. Diese beschäftigt sich – vereinfacht gesagt – mit der

Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  18, spricht von der „Angeordnetheit von Alternativen in ihrer Wertschätzung durch eine Person“. 138 Vgl. Buchanan, J. Law Econ. 2 (1959), S.  124, 125; Kötter, in: Wittmann et al., Wohlfahrt und Gerechtigkeit, 1984, S.  67, 89; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  31. 139  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  30. 140 Vgl. Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 39. 141  Vgl. §  2 C. 142  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  30. 143 Vgl. Tietzel, JNPÖ 7 (1988), S.  38, 65; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 15; Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  58, 59; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  28. 144  Vgl. nur Harsanyi, Soc. Res. 44 (1977), S.  623, 645; Külp, Wohlfahrtsökonomik I, 1975, S.  7; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 44; Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit?, 2008, S.  184; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S.   245; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  253.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

Aggregation individueller Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz.145 Dabei werden bestimmte Bedingungen axiomatisch vorgegeben, wie etwa dass es keinen Diktator geben darf, der seine Präferenz der Gesellschaft aufoktroyiert. Aus diesem Grund ist die Theorie der kollektiven Entscheidungen ebenso wie die Wohlfahrtsökonomik als normative Wissenschaft zu qualifizieren. A. Sen hat nun gezeigt, dass zwischen zwei bedeutsamen Prinzipien, nämlich dem schwachen Pareto-Kriterium, und dem Kriterium, dass in einer Gesellschaft für jedes Individuum ein Mindestmaß an persönlicher Freiheit innerhalb seiner Privatsphäre gewährleistet sein muss, ein unauflösbarer Widerspruch entsteht, wenn man individuelle Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz aggregiert und dabei – dem Grundsatz der Präferenzautonomie entsprechend – beliebige individuelle Präferenzen zulässt.146 Zur Verdeutlichung dieses als „liberales Paradoxon“ bekannten Konflikts formuliert er als erste Bedingung, dass jeder Mensch einen autonomen Entscheidungsspielraum haben muss. Als Beispiele nennt er die Möglichkeit, seine eigenen Wände rosa zu streichen, sowie die Möglichkeit, sich zwischen verschiedenen Schlafpositionen zu entscheiden.147 Mit anderen Worten: In der eigenen Privatsphäre soll jeder ein „lokaler Diktator“148 sein dürfen. Im Lichte dessen geht er davon aus, dass es für jedes Individuum mindestens ein Paar von Alternativen (x, y) gibt, über die es für die Gesellschaft entscheidet. Wenn jemand also beispielsweise den Zustand x dem Zustand y vorzieht, dann soll die Gesellschaft auch x bevorzugen. Die zweite Bedingung ist das eben erwähnte Pareto-Kriterium in seiner schwachen Form, dem zufolge ein sozialer Zustand x einem Zustand y vorzuziehen ist, wenn alle Individuen x vorziehen.149 Schließlich soll jede logisch mögliche individuelle Präferenzordnung zulässig sein. Nimmt man nun sämtliche dieser Bedingungen zum Ausgangspunkt und versucht auf dieser Grundlage, aus einer Ansammlung individueller Präferenzordnungen zu einer sozialen Präferenzordnung zu kommen, stellt sich heraus, dass es keine soziale Entscheidung gibt, die alle drei Bedingungen gleichzeitig erfüllt. Dies kann mithilfe des folgenden von A. Sen entwickelten Beispiels illus­ triert werden:150 145  Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  1; Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  180. 146  Vgl. dazu nur van Aaken, in: van Aaken/Schmid-Lübbert, Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, 2003, S.  89, 94; Gaertner, in: Kurz, Klassiker des ökonomischen Denkens, Band 2, 2009, S.  354, 360; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  337. 147  Sen, J. Political Econ. 78 (1970), S.  152. 148 So Gaertner, in: Kurz, Klassiker des ökonomischen Denkens, Band 2, 2009, S.  354, 360. 149  Es wurde von V. Pareto in seinem Werk „Manuel d’Économie Politique“, 1909 (1969), S.  354 eingeführt; vgl. dazu Sen, J. Philos. 76 (1979), S.  463, 479; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  48 (Fn.  85), 222; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  11, 67. Zum Pareto-Kriterium in seiner starken Form vgl. §  2 E. II. 150  Sen, J. Political Econ. 78 (1970), S.  152, 155.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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Zwei Personen, der prüde P und der lebensfreudige L, müssen darüber entscheiden, ob der erotische Roman „Lady Chatterley’s Lover“ von P, L oder niemandem (N) gelesen werden soll. P ist der Ansicht, dass ein solches Buch von niemandem in der Hand gehalten werden sollte. Wenn allerdings jemand das Buch lesen sollte, dann lieber er selbst als der lebenslustige L, da dieser für eine solche Lektüre moralisch nicht gefestigt sei. Anders sieht dies L. Er denkt, ein bisschen Spaß könne dem P nicht schaden. L wäre es daher am liebsten, wenn P das Buch lesen müsste. Bevor das Buch aber von niemandem gelesen wird, möchte er es lieber selbst noch einmal lesen. Damit stellen sich die Präferenzordnungen von P und L wie folgt dar: P: N ˃ P ˃ L L: P ˃ L ˃ N Da sowohl P als auch L es vorziehen, dass P und nicht L den Roman zur Lektüre bekommt, ist P Pareto-superior gegenüber L (P, L). Nach dem Pareto-Kriterium müsste daher P das Buch lesen. Was aber bedeutet dieses Ergebnis für dessen persönliche Freiheit? Sollte nicht jedes Individuum selbst entscheiden können, ob es ein Buch lesen möchte oder nicht? Bejaht man diese Frage, sodass P selbst darüber entscheiden darf, ob er (P) oder niemand (N) das Buch zu lesen bekommt, muss man seine Präferenz für N gegenüber P berücksichtigen (N, P). In gleicher Weise muss man es dann aber auch L gestatten, selbst darüber zu entscheiden, ob er das Buch erneut liest oder das Buch von niemandem gelesen wird. Seine Präferenz für eine zweite Lektüre muss daher gleichfalls beachtet werden (L, N). Nach dem liberalen Kriterium sollte also L und nicht wie nach dem Pareto-Kriterium P das Buch lesen.

Damit wird deutlich: Sobald man jedem Gesellschaftsmitglied ein Mindestmaß an persönlicher Freiheit innerhalb seiner Privatsphäre zugestehen will, sind gesellschaftliche Entscheidungen zu treffen, welche die Pareto-Bedingung verletzen. Wählt man indes einen Zustand, den alle vorziehen, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass dieser mit persönlichen Freiheiten konfligiert. Der Grund für dieses Dilemma liegt offensichtlich in der normativen Ausgangsentscheidung, dass beliebige individuelle Präferenzen zugelassen werden und damit auch solche, die nicht das eigene, sondern das Wohl eines anderen in den Blick nehmen (sogenannte einmischende Präferenzen, auch als intervenierende oder externe Präferenzen bezeichnet).151 A. Sen zieht hieraus einerseits den Schluss, dass das schwache Pareto-Kriterium als universale Regel für soziale Entscheidungen ungeeignet ist,152 sofern man eine minimale Freiheitssphäre jedes Gesellschaftsmitglieds achten will. Andererseits erkennt er an, dass die Freiheit, eigene Präferenzen zu verfolgen, unter bestimmten Umständen einge-

151 Hierzu Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 15 m. w. N. in Fn.  28; Dworkin, Taking Rights Seriously, 2003, S.  281 ff.; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  55; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  209. 152  Sen, Choice, Welfare and Measurement, 1982, S.  313: „One of the main preoccupations of this paper has been the unacceptability of the Pareto principle as a universal rule.“

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Erstes Kapitel: Grundlegung

schränkt werden muss, um individuelle Freiheitsräume zu schützen.153 Wie genau diese „Präferenzbereinigung“154 zu erfolgen hat, lässt er allerdings offen.155 Das Problem „einmischender Präferenzen“ gilt als ein zentrales Argument gegen eine uneingeschränkte Geltung des Grundsatzes der Präferenzautonomie.156 Wie sich im zweiten Kapitel zeigen wird,157 spielen Präferenzen, die nicht das eigene, sondern das Wohl eines anderen in den Blick nehmen, zudem im Zusammenhang mit dem ökonomischen Verhaltensmodell des homo oeconomicus eine Rolle. An dieser Stelle geht es nun nochmals um die Wende vom „emotionalen“ zum formalen Nutzenbegriff. 2. Einschränkung der „Informationsbasis“ Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein nicht zu unterschätzender Vorteil des formalen Nutzenbegriffs darin besteht, dass menschliche Wahlhandlungen, anders als etwa die von J. Bentham und A. C. Pigou favorisierten mentalen Zustände, für jedermann beobachtbar sind. Dieser Vorteil wird jedoch mit einem erheblichen Informationsverlust erkauft, der – in den Worten A. Sens – zu einem „verstümmelten Welfarismus“158 führt. Verantwortlich hierfür ist zweierlei: Zum einen wird durch die Koppelung des Nutzenbegriffs an ein beobachtbares Verhalten der Umstand ausgeblendet, dass Menschen, die bekommen, was sie wählen, nicht immer das erhalten, was sie tatsächlich wertschätzen. Dies hat seinen einfachen Grund darin, dass die Bandbreite der Wahlmöglichkeiten, die einem Individuum zur Verfügung stehen, notwendig begrenzt ist und das eigentlich Präferierte auch außerhalb des Wählbaren liegen kann.159 Kurz gesagt: Die vorgegebene Restriktion der Auswahlmenge bleibt in einem formalen Nutzenkonzept unberücksichtigt.160 153 Vgl. Sen, Economica 43 (1976), S.  217, 219: „[T]he eventual guarantee for individual freedom cannot be found in mechanisms of collective choice, but in developing values and preferences that respect each other’s privacy and personal choices […].“; ebenso Dworkin, Taking Rights Seriously, 2003, S.  234. Ausführlich dazu Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 17 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  337 f. 154  Dieser Begriff stammt von Gutmann, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  27, 62. 155  Anders etwa Harsanyi, Soc. Res. 44 (1977), S.  623, 647: „[P]eople’s irrational prefer­ences must be replaced by what I have called their true preferences. But I think we have to go even further than this: some preferences, which may very well be their ‚true‘ preferences under my definition, must be altogether excluded from our social-utility function. In particular, we must exclude all clearly antisocial preferences, such as sadism, envy, resentment, and malice.“ 156 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S.   175; Möslein, Dispositives Recht, 2011, S.  314 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  338. 157  Vgl. §  7 B. III. 158  Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 52. 159 Vgl. Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  307. 160 Vgl. Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 438; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  17.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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Zum andern wirkt sich die Entscheidung für ein formales Nutzenkonzept auf die bereits angesprochene Nutzenmessung aus.161 Wenn man nämlich nur noch beobachtet, ob ein Individuum x wählt, wenn es auch y haben kann, und auf der Grundlage dieser Wahlhandlung den individuellen Nutzen bestimmt, dann bildet man zwischen dem Zustand x und dem Zustand y eine Rangfolge. Denn es wird gesagt, dass der Zustand x lieber gewählt wird als der Zustand y.162 Das heißt, es wird lediglich eine „Besser-schlechter-Bewertung“ vorgenommen. Weder wird eine Aussage darüber getroffen, um wie viel der Zustand x einem anderen Zustand y vorgezogen wird, ob das Individuum also etwa den Zustand x dreimal lieber gewählt hat als den Zustand y, noch wird angegeben, wie der aus dem gewählten Zustand resultierende Nutzen auf einer objektiv gültigen Skala eingeordnet werden kann. Das bedeutet, der Nutzen wird nur ordinal gemessen. Eine Summierung der Nutzen, wie sie J. Bentham in seinem hedonistischen Kalkül vorsah, kann – worauf bereits hingewiesen wurde163 – nun nicht mehr gelingen. Das ist jedoch nicht die einzige Konsequenz. Auch interpersonelle Vergleiche sind nicht mehr möglich, denn diese setzen kardinale Messbarkeit voraus.164 Beide Punkte seien an dieser Stelle nur erwähnt. Auf die hiermit verbundene, die Verteilung betreffende Problematik wird an späterer Stelle eingegangen.165 III. Nicht-Nutzeninformationen Bislang richtete sich der Blick auf verschiedene Nutzeninterpretationen sowie die Frage, warum der hedonistisch geprägte Nutzenbegriff J. Benthams und die hieraus hervorgegangenen wohlfahrtsökonomischen Auslegungen nicht überzeugen können. Den Ausgangspunkt dieses Unterabschnitts bildete jedoch eine andere Überlegung: Was spricht überhaupt gegen die aus dem Wohlfahrtsgedanken abgeleitete Forderung, dass jede Bewertung auf dem menschlichen Nutzen zu basieren hat? Um hierauf eine Antwort geben zu können, muss man den Wohlfahrtsgedanken als „Informationsbasis“ begreifen und sich den Hinweis zu Beginn dieses Kapitels in Erinnerung rufen, dass diese nicht nur Aufschluss darüber gibt, welche Informationen in die Bewertung eingeschlossen werden. Vielmehr werden durch die Wahl der maßgeblichen Informationsbasis bestimmte Informationen implizit oder explizit ausgeschlossen.166 Indem nun der

161 

Vgl. §  2 C. I. 2. Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  6 4. 163  Vgl. §  2 C. I. 2. 164  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  6 (Fn.  5); Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  32; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  19. 165  Vgl. §  2 E. II. und III. 166  Vgl. §  2 B. 162 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

Wohlfahrtsgedanke die ausschließliche Relevanz des Nutzens postuliert,167 bleiben Belange, die nicht den Nutzen betreffen, sogenannte Nicht-Nutzeninformationen, zwangsläufig unberücksichtigt.168 Welche Konsequenzen mit diesem Ausschließlichkeitspostulat verbunden sind, illustriert A. Sen mithilfe des folgenden Beispiels:169 Betrachtet werden zwei Paare alternativer Zustände, das Paar x, y und das Paar a, b. Beide Paare zeichnen sich dadurch aus, dass sie identische Nutzeneinheiten haben, d. h. der Zustand x hat die identischen Nutzeneinheiten wie der Zustand a und der Zustand y hat die identischen Nutzeneinheiten wie der Zustand b. Die Paare unterscheiden sich jedoch hinsichtlich anderer Merkmale. So zeichnet sich das erste Paar alternativer Zustände (x, y) dadurch aus, dass es eine reiche Person r und eine arme Person p gibt. Der Unterschied zwischen dem Zustand x und dem Zustand y besteht darin, dass im Zustand x keine Umverteilung von r auf p im Wege der Besteuerung erfolgt, während im Zustand y der p aufgrund der Besteuerung einen Teil des Geldes des r erhalten hat und r trotz dieser Umverteilung weiterhin reicher ist als p. Das erste Paar alternativer Zustände (x, y) zeichnet sich damit durch folgende individuellen Nutzeneinheiten aus: Zustände

Nutzen

x (keine Besteuerung)

y (Besteuerung)

r

10

8

p

4

7

Im Gegensatz dazu ist im zweiten Paar alternativer Zustände (a, b) der r ein romantischer Träumer und p ein miesepetriger Polizist. Im Zustand b foltert der Polizist p den Träumer r. Im Zustand a tut er dies nicht. Der Träumer hat ein sonniges Gemüt und ist zudem reicher als p. Hingegen ist der Polizist arm, krank und frustriert. Allein das Foltern des r bereitet ihm Freude. Die Nutzeneinheiten sind im zweiten Paar alternativer Zustände (a, b) in gleicher Weise verteilt wie im ersten Paar alternativer Zustände (x, y) und stellen sich damit wie folgt dar: Zustände

Nutzen

167 

a (keine Folter)

b (Folter)

r

10

8

p

4

7

Vgl. §  2 C. II. Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S.  598. 169  Sen, J. Philos. 76 (1979), S.  463, 473. 168 Vgl.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

49

Der Wohlfahrtsgedanke lässt nach obiger Definition zwar grundsätzlich zu, dass im zweiten Paar alternativer Zustände (a, b) der Zustand b (mit Folter) gegenüber dem Zustand a (ohne Folter) als schlechter bewertet wird. Wird insoweit allerdings eine bestimmte Rangordnung gewählt, muss zwangsläufig auch das erste Paar alternativer Zustände (x, y) in exakt dieser Weise angeordnet werden. Wird umgekehrt im ersten Paar alternativer Zustände (x, y) der Zustand y (mit umverteilender Besteuerung) vorgezogen, dann muss man auch im zweiten Paar alternativer Zustände dem Zustand b (mit der Folterhandlung des Polizisten) den Vorzug geben. Wer dies nicht tut und zwischen den beiden Paaren alternativer Zustände unterscheidet, nimmt eine Bewertung unter Berücksichtigung von Nicht-Nutzeninformationen vor und verstößt damit gegen den Wohlfahrtsgedanken. Eine zweite problematische Konsequenz des Wohlfahrtsgedankens wird durch dieses Beispiel deutlich: Die Gründe, die zu einer bestimmten Präferenzordnung geführt haben, sind uninteressant. Ja, sie dürfen nicht interessieren,170 denn was einzig zählt, ist die Auswirkung auf den persönlichen Nutzen. Wird er etwa wie im obigen Beispiel durch das Foltern eines anderen Menschen erhöht, dann ist auch diese Nutzensteigerung „ungefiltert“ in die Bewertung einzubeziehen. Der Umstand, dass die Nutzensteigerung mit einer Grund- und Menschenrechtsverletzung verbunden ist, spielt für die Bewertung keine Rolle.171 Denn der Wohlfahrtsgedanke statuiert eine „Nutzendiktatur“172 . Was allein zählt, ist der individuelle Nutzen. Rechte haben in diesem System lediglich eine rein instrumentelle Bedeutung.173 Selbst die Menschenwürde hat keinen Wert an sich. Auch sie kann folglich nur aus einer nutzenorientierten Folgenerwägung heraus geschützt werden.174 Tritt indes keine Nutzenerhöhung ein, gibt es keinen Grund sie zu schützen. Vor dem Hintergrund, dass unsere Verfassung die Menschenwürde als obersten Wert normiert, ist das eine problematische Konsequenz. Weil diese Folge auch in einer ausschließlich effizienzorientierten Rechtsordnung nicht ausbleibt, müssen die Vertreter der ökonomischen Ana­ lyse des Rechts hierauf reagieren. In welcher Form sie das tun, wird sich im dritten Kapitel zeigen.175 An dieser Stelle ist noch wichtig festzuhalten, dass der Wohlfahrtsgedanke auch den menschlichen Freiheiten ihren intrinsischen 170 Vgl. Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.   103, 116; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  358. 171 Vgl. Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  49; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  205; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  49; Höffe, Gerechtigkeit, 5.  Aufl. 2015, S.  38. 172  Vgl. auch Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  69, der von einer „Wohlfahrtsdiktatur“ spricht. 173  Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 116; Sen, Philos. Public Aff. 11 (1982), S.  3, 4; Moser, Unveräußerliche Rechte, 2020, S.  191. 174 Vgl. Sen, Philos. Public Aff. 11 (1982), S.  3, 7. 175  Vgl. §  16 B.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

Wert176 abspricht.177 Das ist im Ansatz der Befähigung anders. Dort haben Freiheiten sowohl einen instrumentellen als auch einen intrinsischen Wert. Aus einer befähigungsorientierten Perspektive kann demgemäß auch unproble­matisch erfasst werden, dass die Freiheit der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung als solche das menschliche Leben bereichert, und zwar unabhängig davon, ob der eröffnete Freiheitsraum für etwas anderes, beispielsweise für die Verwirklichung von Gerechtigkeit, dienlich ist. Auf diese „konstitutive Funktion“178 der Vertragsfreiheit wird im zweiten Kapitel zurückzukommen sein.179

E. Verteilungsproblem Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass A. C. Pigou ebenso wie J. Bentham mit einem Nutzenbegriff arbeitete, der auf einem gefühlsmäßigen Zustand basiert. Einem weiteren Gedanken J. Benthams folgend, nahm A. C. Pigou ferner an, dass sich die gesellschaftliche Wohlfahrt als Aggregat der individuellen Bewusstseinselemente darstellen lässt. Auch dies wurde schon oben erwähnt.180 A. Sen und zahlreiche andere Utilitarismuskritiker stehen diesem Ansatz ablehnend gegenüber. I. Summierung und Verteilung Der Grund hierfür ist leicht zu erkennen: Weil allein die „Aggregationsmenge“181 zählt, wird die Frage, wie der Nutzen zwischen den einzelnen Individuen verteilt ist, ausgeblendet.182 Diese Folge blieb natürlich auch den Utilitaristen nicht verborgen. So gesteht etwa H. Sidgwick ein: „[T]he Utilitarian formula seems to supply no answer (to this question).“183 Dass diese „offene Flanke des Utilitarismus“184 zu problematischen Konsequenzen führt, lässt sich mithilfe des folgenden Beispiels illustrieren:185

176  Ein intrinsischer Wert liegt dort vor, wo etwas um seiner selbst willen wertvoll ist, vgl. Henning, Allgemeine Ethik, 2019, S.  30; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  336. 177  Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 116; Sen, Philos. Public Aff. 11 (1982), S.  3, 4; Sen, Philos. Public Aff. 32 (2004), S.  315, 325; Moser, Unveräußerliche Rechte, 2020, S.  191. 178  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  50. 179  Vgl. §  7 C. III. 180  Vgl. §  2 C. II. 181  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  8 0. 182  Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  21. 183  Sidgwick, The Methods of Ethics, 4.  Aufl. 1890, S.  414. 184  Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  150. 185 Vgl. Sen, in: McMurrin, The Tanner Lectures on Human Values, Vol. 1, 1980, S.  195, 203; Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  35 f.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

51

Wenn eine Person B aufgrund einer körperlichen Behinderung nur halb so viel Nutzen aus jeder beliebigen Einkommenshöhe wie eine andere Person A ziehen kann, dann fordert die utilitaristische Prämisse (die Summe der Nutzen beider Personen ist zu maximieren), dass A ein höheres Einkommen als B erhalten muss. Schließlich generiert B aus dem ihm zur Verfügung stehenden Einkommen weniger Nutzen als A. Weil die Verteilung des Nutzens im Utilitarismus keine Rolle spielt, wird B aufgrund seiner körperlichen Behinderung doppelt bestraft: Er kann nicht nur weniger Nutzen aus demselben Einkommen erzielen, sondern erhält auch weniger davon.186

Noch plastischer verdeutlicht R. Nozick diese Schwäche des Utilitarismus am Beispiel eines „Lustmonsters“:187 Ein Monster, das in der Lage ist, aus allem mehr Lust zu ziehen als die anderen Menschen, müsste nach dem utilitaris­ tischen Prinzip alles erhalten.188 Der Umstand, dass im Ausgangspunkt der Blick auf das Individuum gerichtet wird, die Individualität der Menschen jedoch anschließend in der kollektiven Summierung verschwindet,189 bedeutete für die Vertreter der älteren Wohlfahrtsökonomik, dass sie für das Verteilungsproblem eine Lösung finden mussten. Dementsprechend forderte etwa A. C. Pigou eine möglichst gleichmäßige Verteilung des Volkseinkommens190 und begründete diesen egalitären Ansatz mit der Annahme sinkender Grenznutzen der Einkommen. Diese Annahme besagt, dass der Grenznutzen des Einkommens, d. h. der zusätzliche Nutzen von zusätzlichem Einkommen – oder einfach gewendet: der Nutzenzuwachs – mit zunehmendem Einkommen abnimmt.191 Weil somit ein armes Gesell186  Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  70; Eiffe, Auf den Spuren von Amartya Sen, 2010, S.  103. 187  Nozick, Anarchy, State, and Utopia, 1974, S.  41: „Utilitarian theory is embarrassed by the possibility of utility monsters who get enormously greater gains in utility from any sacrifice of others than these others lose.“ 188  Ähnlich formuliert es Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 19: „It [the aggregate happiness of the community – Anmerkung hinzugefügt] might for example be maximized by […] transferring all the wealth to a few people who had especially good faculties for processing wealth into happiness, […].“ 189  Sen/Williams, in: Sen/Williams, Utilitarianism and Beyond, 1982, S.  5: „[S]um-ranking merges the utility bits together as one total lump, losing in the process both the identity of the individuals as well as their separateness.“; vgl. auch Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 97; Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  35; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  80; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  364. 190 Vgl. Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  97: „[I]t can be proved that, assuming similarity of temperament among the members of the community, a diminution in the inequality of distribution probably, though not necessarily, increases the aggregate sum of satisfaction.“ [Hervorhebung im Original]. 191  Vgl. hierzu Little, A Critique of Welfare Economics, 1950, S.  10 f.; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 10. Kritisch insbesondere Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 2.  Aufl. 1935, S.  137 ff.: „lacking in scientific foundation“; Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 115: „[O]n these assumptions, it is easily shown that an equal distribution of income and wealth will produce more happiness than any other distribution, unless the costs of achieving and maintaining such a distribution equal or exceed the benefits in greater happiness. The qualification is of course

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Erstes Kapitel: Grundlegung

schaftsmitglied einen höheren Nutzen aus einem bestimmten Einkommen ziehen kann als ein reiches, bewirkt eine Umverteilung von einem Reichen zu einem Armen eine Erhöhung des aggregierten Nutzens aller.192 Die Gültigkeit dieser Annahme setzt jedoch nicht nur die kardinale Messbarkeit sowie die interpersonelle Vergleichbarkeit des Nutzens voraus.193 Erforderlich ist darüber hinaus, dass sämtliche Individuen über die gleiche Befriedigungsfähigkeit verfügen,194 d. h., sie müssen die gleiche Fähigkeit besitzen, Nutzen aus einem gegebenen Einkommen zu ziehen.195 Gegen sämtliche dieser drei „faktischen Annahmen“196 wandte sich in den 1930er Jahren der Ökonom L. Robbins. Er argumentierte, dass Menschen zwar beurteilen könnten, ob eine Änderung ihrer Situation ihr Wohlergehen verbessere oder verringere, sie seien jedoch nicht in der Lage, ihrem Wohlergehen eine quantitativ bestimmbare Größe zu geben. Dementsprechend könnten sie auch keine konkrete „Wohlergehensdifferenz“ zwischen zwei alternativen Zuständen angeben.197 Zudem sei es nicht möglich, die gefühlsmäßigen Zustände verschiedener Individuen miteinander zu vergleichen, denn „was im Kopf eines Menschen vorgeht, ist für alle anderen unerkennbar“.198 Wie sehr etwa ein Laib Brot einen Reichen glücklich macht und welches Glück er einem armen Menschen bringt, kann niemand mit Sicherheit beurteilen.199 critical, but it places the burden of proof on the opponent of income equalization in an area where proof is notoriously difficult to come by.“; Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 826; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 52 f.; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  638 ff. 192  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  89: „[I]t is evident that any transference of income from a relatively rich man to a relatively poor man of similar temperament, since it enables more intense wants to be satisfied at the expense of less intense wants, must increase the aggregate sum of satisfaction.“ 193 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  43. 194  Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  49; Ehlert, Kritische Untersuchung der neueren Welfare Economics, 1968, S.  12. 195  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  9 0 f.; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  71; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  43, 45; Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  172. 196  Es wird insoweit auch von Werturteilen gesprochen, vgl. Dick, Untersuchungen einiger Grundprobleme der Wohlfahrtsökonomik, 1973, S.  187; Eidenmüller, Effizienz als Rechts­ prinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  190; dagegen Harsanyi, J. Political Econ. 63 (1955), S.  309, 319 f.: „interpersonal comparisons of utility are not value judgements […] but rather factual propositions“; Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  30; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  55. 197  Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 2.  Aufl. 1935, S.  136 ff. Vgl. dazu Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  5; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  45. 198  Robbins, Econ. J. 48 (1938), S.  635, 637: „Every mind is inscrutable to every other mind and no common denominator of feelings is possible.“ 199  Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.   26; Neuhäuser, Amartya Sen zur Einführung, 2013, S.  48.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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II. Pareto-Optimum und Verteilung Mit diesen Einwänden löste L. Robbins den bereits erwähnten Wechsel zum ordinalen Nutzenkonzept aus, der für die neuere Wohlfahrtsökonomik kennzeichnend ist.200 Die bedeutendsten Vertreter dieser Denkrichtung, namentlich V. Pareto, N. Kaldor und J. R. Hicks, wollten die Wirtschaftswissenschaft zu einer exakten Wissenschaft machen. Sie folgten daher L. Robbins’ Argumentation und wiesen die in der älteren Wohlfahrtsökonomik unterstellte Annahme der kardinalen Nutzenmessung zurück. Das Credo hieß nun: Ökonomik hat wertfrei zu sein.201 Damit musste allerdings auch das tradierte utilitaristische Ziel – die Maximierung des gesellschaftlichen Nutzens – aufgegeben werden, denn eine Aussage darüber, welcher der beste aller möglichen Zustände ist, kann ohne die Addition kardinal gemessener individueller Nutzeneinheiten nicht mehr gemacht werden. Die neuere Wohlfahrtsökonomik beschränkt sich daher auf die Suche nach einem Optimum. Dazu richtet sie ihren Blick auf die Frage, ob sich ein gesellschaftlicher Zustand noch verbessern oder nicht mehr verbessern lässt und damit optimal ist.202 Um hierauf eine Antwort geben zu können, muss nicht nur festgelegt werden, wann ein Zustand das Prädikat optimal verdient. Man benötigt auch ein Kriterium, mit dessen Hilfe beurteilt werden kann, ob ein sozialer Zustand x besser ist als ein anderer sozialer Zustand y. Hinsichtlich beider Punkte greift die Wohlfahrtsökonomik bis heute auf das Pareto-Kriterium in seiner starken Form zurück. Danach ist ein Zustand x einem Zustand y vorzuziehen, wenn mindestens ein Individuum x vorzieht und keines y vorzieht, alle anderen also entweder ebenfalls x vorziehen oder aber indifferent zwischen x und y sind.203 Ein Zustand ist optimal, d. h. nicht verbesserungsfähig (oder Pareto-effizient),204 wenn es keinen Zustand gibt, den mindestens ein Individuum vorzieht und den alle anderen zumindest nicht ablehnen, wenn also kein Individuum bessergestellt werden kann, ohne ein anderes schlechterzustellen.205 Weil das Pareto-Kriterium auf den individuellen Präferenzen der Mit200  Zu dieser Entwicklung vgl. nur Buchanan, J. Law Econ. 2 (1959), S.  124 f.; Hagel, Effizienz und Gerechtigkeit, 1993, S.  135 ff.; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  305; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  10: „But by the 1930s utilitarian welfare economics came under severe fire.“ 201  Vgl. etwa Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S.  4: „Positive economics is in principle independent of any particular ethical position or normative judgements.“; siehe dazu auch Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 819 f. 202  Ehlert, Kritische Untersuchung der neueren Welfare Economics, 1968, S.  11 („Verbesserungs-Kriterium“). 203  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  48. 204  Arrow, Am. Econ. Rev. 64 (1974), S.  253, 255; Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 821; Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 41. 205  Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  25; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  68.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

glieder einer Gesellschaft aufbaut, lebt das Wertprogramm des normativen Individualismus auch in der neueren Wohlfahrtsökonomik weiter.206 Für das hier interessierende Verteilungsproblem ist nun entscheidend, dass die Vertreter der neueren Wohlfahrtsökonomik zwar an der individualistischen Ausrichtung festhielten, sich jedoch – wie eben ausgeführt – von der kardinalen Nutzenmessung abwendeten. Was bedeutet dieser Schritt für das Verteilungsproblem? Die Antwort ist einfach, aber zentral: Die Wohlfahrtsökonomik kann nun zu dessen Lösung nichts mehr beitragen.207 Oder positiv gewendet: Das Verteilungsproblem wird als gelöst unterstellt.208 Der Grund hierfür ist, dass es für das Pareto-Kriterium irrelevant ist, wie der Nutzen in einer bestimmten Situation nach einer einheitlichen Skala quantifiziert werden könnte. Soziale Zustände werden nur noch in eine Besser-schlechter-Reihung gebracht.209 Dies hat zur Folge, dass es keinen Maßstab für die Einschätzung der Nutzenposition des Einzelnen und ihren Vergleich mit derjenigen anderer gibt.210 Mithilfe des Pareto-Kriteriums kann dementsprechend keine Aussage darüber getroffen werden, ob der soziale Zustand x, in dem A über 90 Einheiten und B über 10 Einheiten verfügt, einem sozialen Zustand y vorzuziehen ist, in dem beide über 50 Einheiten verfügen. Falls sowohl A als auch B lieber mehr als weniger Einheiten haben und die eine Person Einheiten verliert, wenn die andere diese gewinnt, dann ist sowohl der Zustand x als auch der Zustand y Pareto-optimal, da jede Veränderung zugunsten des einen den anderen schlechterstellt.211 Dass A im Zustand y schlechter als im Zustand x und B im Zustand y besser als im Zustand x gestellt ist, spielt aufgrund des Verzichts auf einen interpersonellen Nutzenvergleich keine Rolle.212 Selbst ein Zustand, in dem eine Person alles hat, kann folglich Pareto-optimal sein. Zugespitzt formuliert bedeutet dies: „A state of affairs can have the glory of being Pareto efficient while being disgustingly unjust.“213 206 Vgl. Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.   817, 824: „[T]he Paretian standard is strictly individualistic in that value resides exclusively in satisfying the preferences of individuals.“ 207  Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.   33; Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  42 f.: „Um es zusammenzufassen: wir bekommen offenbar von den Hauptrichtungen der – klassischen wie der modernen – Wohlfahrtsökonomik nicht viel Hilfe bei der Untersuchung von Ungleichheit.“; vgl. auch Sen, Oxf. Econ. Pap.  45 (1993), S.  519, 521; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  11, 69. 208  Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  91. 209  Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  14. 210 Vgl. Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 821; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  43. 211  Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  25. 212  Feldmann, Die Wohlfahrtsökonomik von Amartya Sen und ihr Einfluß auf die Messung von Entwicklung, 2000, S.  4. 213  Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.   12; in diesem Sinn auch ­Arrow, Am. Econ. Rev. 64 (1974), S.  253, 255.

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Das Pareto-Kriterium allein hilft also nicht weiter, wenn es um das Problem der Verteilung geht. Zu dessen Lösung muss es zwangsläufig um ein Prinzip der Gerechtigkeit ergänzt werden, 214 denn Verteilungsprobleme sind per se Gerechtigkeitsprobleme.215 Und weil Umverteilung immer dazu führt, dass mindestens ein Individuum schlechtergestellt wird, rückt an dieser Stelle ein weiteres Problem des Pareto-Kriteriums in den Blick: Es statuiert einen totalen Besitzstandsschutz.216 Für das in dieser Schrift interessierende soziale Problem der Armut folgt hieraus, dass ein gesellschaftlicher Zustand trotz der Disparität zwischen reichen und armen Menschen Pareto-optimal sein kann, wenn die ­Armen nicht bessergestellt werden können, ohne den Überfluss der Reichen zu beschneiden.217 Aus dem Pareto-Kriterium lässt sich lediglich die sehr schwache Forderung ableiten, dass sich die Situation der Armen nicht verschlechtern darf.218 Mit Blick auf die Beurteilung staatlicher Maßnahmen und der Entscheidungen, die zu diesen Maßnahmen geführt haben, ist das im Pareto-Kriterium angelegte „Null-Gegenstimmen-Prinzip“219 gleichfalls problematisch. Weil jedem von einer Situationsänderung negativ Betroffenen gegen die staatliche Maßnahme, welche die Änderung auslöst, ein Vetorecht zukommt, kann man zwar davon ausgehen, dass das Pareto-Kriterium auf breite Zustimmung in einer Gesellschaft stoßen wird.220 Zugleich muss aber konstatiert werden, dass es in der rechtspolitischen Wirklichkeit nur einen sehr begrenzten Anwendungsbereich hat. Schließlich geht es im Recht um das Wechselverhältnis der Menschen untereinander221 sowie die insoweit bestehenden konfligierenden Belange, die mithil214 Vgl. Ehlert, Kritische Untersuchung der neueren Welfare Economics, 1968, S.   5; v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23, 25; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  92; Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  175. 215  Kersting, in: Lessenich, Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe, 2003, S.  105, 109. 216  Vgl. dazu Möller, Interpersonelle Nutzenvergleiche, 1983, S.  25; Behrens, in: Bydlinski/ Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 42; Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  192; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  49. 217 Vgl. Bohnen, Die utilitaristische Ethik als Grundlage der modernen Wohlfahrtsökonomik, 1964, S.  100; Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  25; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  12. 218  Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  32; Eiffe, Auf den Spuren von Amartya Sen, 2010, S.  109. 219  Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.   21; vgl. auch Posner, Hofstra Law Rev. 8 (1980), S.  487, 490: „[C]onsent is the operational basis of the concept of Pareto superiority.“; von einem „Einstimmigkeitspostulat“ sprechen Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  12. 220  Buchanan, J. Law Econ. 2 (1959), S.  124, 125; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  236; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  107; treffend auch Kulkarni, Bus. Prof. Ethics J. 28 (2009), S.  3, 8: „social harmony strategy“. 221  Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  337: „Der Begriff des Rechts […] betrifft […] das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere,

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fe des Rechts in einen Ausgleich gebracht werden.222 Wenn aber Recht der Vermittlung widerstreitender Interessen dient, dann löst es immer für ein oder mehrere Individuen einen mehr oder weniger großen Verlust aus.223 Das ParetoKri­terium wird daher in den meisten Fällen nicht erfüllt sein.224 Würde die normative Variante der ökonomischen Analyse des Rechts gleichwohl dafür plädieren, dass rechtliche Regelungen nach dem Pareto-Kriterium zu bewerten sind, so wäre die Möglichkeit der politischen Steuerung durch Rechtsnormen drastisch eingeschränkt, denn eine Maßnahme wäre immer dann zu unterlassen, wenn sie nur eine Person schlechterstellen würde. Treffend hat J. Rawls im Lichte dieser Konsequenz darauf hingewiesen, dass man nach dem Pareto-Kriterium selbst die Sklaverei nie hätte verbieten dürfen, weil man immer jemanden, etwa einen Landeigentümer, hätte finden können, der seine Position dadurch verschlechtert gesehen hätte.225 Das Einstimmigkeitserfordernis führt damit zu einer „totalen gesellschaftlichen Erstarrung“226 oder, in Anlehnung an M. Friedman, zu einer „Tyrannei des status quo“.227 III. Kompensation und Verteilung Um auch solche Maßnahmen beurteilen zu können, von denen manche profitieren, während andere verlieren, muss das Pareto-Kriterium erweitert werden. Dies erkannten die Ökonomen N. Kaldor und J. R. Hicks. Sie stellten ein sogenanntes Wohlfahrtsveränderungskriterium (Kaldor-Hicks-Kriterium 228 oder sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Einfluß haben können.“; dazu etwa Willaschek, in: Gerhardt, Kant im Streit der Fakultäten, 2005, S.  188, 191. 222  Zu dieser Funktion des Rechts siehe nur Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S.  265: „Es [das positive Recht – Anmerkung hinzugefügt] ist eine Ordnung, die soziale Interessen abgrenzt, soziale Gegensätze entscheidet; es ist auf Konfliktfälle gerichtet und entscheidet sie nach Wertgesichtspunkten.“; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  12, 373; Loik, Juridismus, 2017, S.  9; Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  54. 223 Deutlich Wolff, Organschaft und juristische Person, Band 1, 1933 (1968), S.   131, der Recht als Normen über die Einschränkung menschlicher Interessen begreift. 224  Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  79; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  357 f.; Dworkin, A Matter of Principle, 1985, S.  239; v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/ Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23, 24; Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 831; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 3; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  15. 225 Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  91; ähnlich Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  26, der darauf hinweist, dass der Vorschlag, die Wirtschaftsverfassung einer oligarchischen Diktatur zu ändern, unter Hinweis auf das ParetoOpti­mum zurückzuweisen wäre. 226  v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23, 24. 227  Friedman/Friedman, Die Tyrannei des Status quo, 1985, S.  20. 228  Es wird auch als Kompensationskriterium bezeichnet und hat neben dem Kompensa­ tionskriterium von T. Scitovsky die größte praktische Bedeutung. Im Folgenden wird lediglich das Kaldor-Hicks-Kriterium betrachtet. Zu dem von T. Scitovsky aufgezeigten inneren logischen Widerspruch des Kaldor-Hicks-Kriteriums vgl. Schernikau, Zur Verbindung von

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auch hypothetisches Pareto-Kriterium 229) vor, welches unter einer bestimmten Bedingung eine Verschlechterung der Position einzelner Individuen zulässt. Diese Bedingung besteht darin, dass die Vorteile der Gewinner so groß sein müssen, dass sie die Verlierer in einem Maße entschädigen können, dass diese wieder ihr altes Nutzenniveau erreichen, und trotzdem die Gewinner noch einen Gewinn behalten.230 Wichtig ist, dass es dabei nicht darauf ankommt, ob die Entschädigung tatsächlich gezahlt wird. Eine Veränderung von einem Zustand x zu einem anderen Zustand y ist damit bereits dann als positiv zu bewerten, wenn ein Individuum auf Kosten aller anderen bessergestellt wird, sofern es nur hypothetisch in der Lage ist, die Letzteren zu entschädigen.231 Gegenüber einer tatsächlichen Kompensationsleistung hat dieser Ansatz offensichtlich den Vorteil, dass nicht entschieden werden muss, wer die Kosten des Kompensa­ tions­prozederes zu tragen hat.232 Auch ist zu bedenken, dass eine tatsächliche Kompensationsleistung in der Praxis faktisch undurchführbar ist, weil der Kreis der von der Entscheidung Betroffenen in der Regel sehr groß ist oder diese nicht ermittelt werden können.233 Weil das Kaldor-Hicks-Kriterium unter bestimmten Voraussetzungen ein Opfer des Einzelnen zugunsten der Gesellschaft für zulässig erachtet, stellt sich die Frage, warum sich die potenziellen Verlierer auf eine nur hypothetische Kompensationszahlung einlassen sollten. Anders als das Pareto-Kriterium kennt das Kaldor-Hicks-Kriterium schließlich keine „Individualsicherung“234. Warum also sollten sich die Angehörigen einer Gesellschaft einer solchen Gefahr aussetzen und das Kaldor-Hicks-Kriterium akzeptieren? Die Antwort, die hierauf gegeben wird, lautet: Über einen ausreichend langen Zeitraum wird die Anwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass fast alle Individuen bessergestellt sind, weil jeder irgendwann einmal zu den Gewinnern zählen wird.235 Die Logik des Arguments lautet also, Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  81 ff.; Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  194 (Fn.  185); Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  77 ff.; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  66 ff. 229  van Aaken, in: van Aaken/Schmid-Lübbert, Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, 2003, S.  89, 94. 230  Kaldor, Econ. J. 49 (1939), S.  5 49, 550; Hicks, Econ. J. 49 (1939), S.  696, 706, 711. 231  Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  27 (Fn.  55). 232  Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  80. 233  Eidenmüller, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  11, 14. 234  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  373. 235  Hicks, Rev. Econ. Stud. 8 (1941), S.  108, 111: „If the economic activities of a community were organised on the principle of making no alterations in the organisation of production which were not improvements in this sense, and making all alterations which were improvements that it could possibly find, then, although we could not say that all the inhabitants of that community would be necessarily better off than they would have been if the community

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dass es in der Summe aller effizienten Projekte zu einer „Generalkompensation“ kommt,236 aufgrund derer das Kaldor-Hicks-Kriterium konsensfähig ist. Dem kann man allerdings mit I. Little entgegenhalten: „But if the sufficient length of time is a long time, most of the inhabitants would be dead (even if better off).“237 Hinsichtlich des hier zu betrachtenden Problems der Verteilung ist jedoch ein anderer Punkt relevant. Nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium kommt es allein darauf an, ob der materielle „Kuchen“, welcher der Gesamtgesellschaft zur Verfügung steht, vergrößert wird.238 Demgegenüber ist es irrelevant, wie der „Kuchen“ zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft verteilt wird.239 Das KaldorHicks-Kriterium ist also im Ergebnis ebenso verteilungsindifferent wie der Utilitarismus und das Pareto-Kriterium. Dies geht letztlich darauf zurück, dass es – analog dem Pareto-Kriterium – ohne kardinale Nutzenmessung und interpersonelle Vergleiche auskommt.240 Denn die Betroffenen müssen nur eine Antwort auf die Frage geben, ob die Vorteile der Gewinner so groß sind, dass sie die Verlierer entschädigen könnten und dabei noch einen Gewinn behielten. Hierfür muss der Nutzengewinn einer Person nicht mit dem Nutzenverlust einer anderen verglichen werden. had been organised on some different principle, nevertheless there would be a strong prob­ ability that almost all of them would be better off after the lapse of a sufficient length of time.“ 236 So Hotelling, Econometrica 6 (1938), S.  242, 258 f. Vgl. zudem Polinsky, Q. J. Econ. 86 (1972), S.  407, 423; Tullock, Hofstra Law Rev. 8 (1980), S.  659, 663; Posner, Hofstra Law Rev. 8 (1980), S.  487, 492 (Fn.  13); v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23, 28 ff.; Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 218; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 8 f.; Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 44; v. Weizsäcker, ZfW 3 (1998), S.  257, 279 f.; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 68 f.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  24 f. 237  Little, A Critique of Welfare Economics, 1950, S.   96; ähnlich auch Eidenmüller, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  11, 27, der im Zusammenhang mit einer Generalkompensation die Frage stellt, wie lange eine dem Sozialstaatsprinzip verpflichtete Gesellschaft zu Experimentierzwecken hohe Anfangsverluste bestimmter Personen in Kauf nehmen und diese damit trösten darf, dass auch sie eines Tages zu den Gewinnern gehören werden. Skeptisch zur Generalkompensation auch Kübler, in: FS Steindorff, 1990, S.  687, 699 f.; Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  182. Eine Zusammenfassung von Argumenten, die gegen die These von der Generalkompensation sprechen, findet sich bei Eidenmüller, Effizienz als Rechtprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  245 ff. und S.  282, sowie bei Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  73 f. 238 Vgl. Eidenmüller et al., JZ 2008, S.  529, 535 („Effizienz – die Maximierung des Kuchens“). 239 Vgl. Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 18 (bezogen auf das „Reichtumsmaximierungsprinzip“); Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  170; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  171. 240  Kaldor, Econ. J. 49 (1939), S.  5 49, 551: „This principle […] simply amounts to saying that there is no interpersonal comparison of satisfactions involved in judging any policy designed to increase the sum total of wealth just because any such policy could be carried out in a way to secure unanimous consent.“ [Hervorhebung im Original]; Ehlert, Kritische Untersuchung der neueren Welfare Economics, 1968, S.  12; Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  33 (Fn.  4).

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In der Praxis ist eine solche Befragung freilich nicht durchführbar. Und weil die Verlierer bei der Bewertung ihrer Position wissen, dass sie keine effektive, sondern nur eine hypothetische Kompensation fordern können, ist zudem zweifelhaft, ob die Betroffenen überhaupt wahrheitsgemäß antworten würden.241 Auch die potenziellen Gewinner einer staatlichen Maßnahme könnten die Kompensationsmöglichkeit schlicht behaupten. Sie müssen diese weder explizieren noch in irgendeiner Form beweisen. Aufgrund dieser Schwierigkeiten mündet das Kaldor-Hicks-Kriterium in der Praxis in eine vergleichende Kosten-Nutzen-Analyse.242 Das bedeutet: Eine Maßnahme ist erwünscht, wenn der Gesamtnutzen der Intervention höher ist als die Gesamtkosten.243 Damit müssen allerdings nicht nur die Kosten und der Nutzen einer Maßnahme ermittelt werden. Es muss vor allem auch gesagt werden, mit welcher „Substanz“ der inhaltlich unbestimmte Nutzenbegriff gefüllt werden soll. In aller Regel wird dazu auf monetäre Größen zurückgegriffen.244 Eine Maßnahme ist folglich dann – und nur dann – zu begrüßen, wenn der Geldwert des Nutzens größer ist als der Geldwert der Kosten. Wenn jedoch Nutzen monetär repräsentiert und die Kosten nach ihrem Geldwert gewichtet werden, bedeutet dies, dass nun nicht mehr in Nutzeneinheiten, sondern in Geldeinheiten gerechnet wird. Dies führt zu einer Einschränkung des im formalen Nutzenkonzept verankerten liberalen Gedankens,245 denn es wird nun nicht mehr davon ausgegangen, dass jeder selbst seinen Nutzen definiert. Vielmehr wird unterstellt, dass Geldeinheiten für jedes Individuum nützlich sind. Wer reich ist, wäre demnach auch glücklicher.246 Damit gerät aber aus dem Blick, dass es auch Menschen gibt, deren Wohlergehen nicht von monetären Größen abhängt, und dass die Erhöhung des Reichtums nicht zwangsläufig mit einer Steigerung des persönlichen Wohlergehens einhergeht.247 Man muss sich daher stets vor Augen halten, dass ein aus der Kosten-Nutzen-Analyse resultierender positiver Saldo keine Nutzenerhö241 Vgl.

Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  171. Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 828; Kübler, in: FS Steindorff, 1990, S.  687, 695; Baumann, RNotZ 2007, S.  297; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 5.  Aufl. 2018, S.  7; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  23. 243  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  51 f., 192; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  23. 244  van Aaken, „Rational Choice“ in der Rechtswissenschaft, 2003, S.  218 (Fn.  1021); van Aaken, in: van Aaken/Schmid-Lübbert, Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, 2003, S.  89, 92; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  12; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  222; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  52. Vgl. auch Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 5.  Aufl. 2018, S.  10: „[I]t is worth mentioning several other standard assumptions of economic analysis that will be made in analyzing the efficiency of legal rules. First, all benefits and costs can be measured in […] dollars.“ 245 So Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  60 f. 246  So wohl Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 88. 247 Vgl. Dworkin, A Matter of Principle, 1985, S.  245: „They [improvements of wealth – 242 Vgl.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

hung impliziert. Wer einen anderen Schluss zieht, nimmt stillschweigend einen interpersonellen Nutzenvergleich vor, denn er sagt: „the social value of a unit of money is […] reckoned to be the same in the hands of a rich man and in the hands of a poor man.“248

Einen solchen interpersonellen Nutzenvergleich möchte die Wohlfahrtsökonomik jedoch explizit vermeiden. IV. „Arrow-Paradox“ Die bisherigen Ausführungen haben nicht nur gezeigt, dass weder das ParetoKriterium noch das Kaldor-Hicks-Kriterium einen Beitrag zur Lösung des Verteilungsproblems leisten können. Es sollte vor allem auch deutlich geworden sein, dass beide Kriterien nur eine Antwort auf die Frage geben, ob ein Zustand x einem anderen Zustand y vorzuziehen ist. Es geht also immer um einen zweiseitigen Vergleich. In der wirtschaftspolitischen Praxis kommt es jedoch maßgeblich darauf an, eine Vielzahl von sozialen Zuständen in eine Rangfolge bringen zu können, sodass abgelesen werden kann, ob ein Zustand x besser, schlechter oder gleich gut ist wie irgendein anderer Zustand.249 Um eine solche Rangfolge zu erhalten, muss man sich einer ökonomischen Wohlfahrtsfunktion bedienen. Die Konstruktion und Verwendung verschiedener Wohlfahrtsfunktionen muss an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden. Es soll der Hinweis genügen, dass die Idee hierfür auf A. Bergson und P. Samuelson zurückgeht, 250 die eine Wohlfahrtsfunktion auf individualistischer Basis konstruierten.251 Sie gingen also davon aus, dass sich die gesellschaftliche Wohlfahrt als Funktion der individuellen Nutzen darstellt.252 Weil sie Nutzen als Ausdruck von präferenzgeleiteten Wahlhandlungen verstanden und dementsprechend versuchten, die gesellschaftliche Wohlfahrt ausschließlich auf der Grundlage der individuellen Präferenzordnungen zu bestimmen, folgten sie der Annahme, dass der individuelle Nutzen nur ordinal messbar und nicht interpersonell vergleichbar ist. Dementsprechend konnten aus einer so konstruierten ökonomischen Wohlfahrtsfunktion keine Verteilungsurteile abgeleitet werden.253 Entscheidend ist an dieser Stelle jedoch ein anderer Punkt: Im Zusammenhang mit der Konstruktion ökonomischer Wohlfahrtsfunktionen zeigt sich nun Anmerkung hinzugefügt] sometimes lead to a loss in happiness because […] people want things other than wealth, and these further preferences may be jeopardized by more wealth.“ 248  Arrow, Social Choice and Individual Values, 1951 (2012), S.  38. Vgl. auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  355; Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 437 (Fn.  2). 249  Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  179. 250 Vgl. Bergson, Q. J. Econ. 52 (1938), S.  310 ff.; Samuelson, Oxf. Econ. Pap.  2 (1950) S.  1 ff. 251 Vgl. Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  180. 252  Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  26. 253  Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  31, S.  42 f.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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nämlich, dass die Annahme ordinaler, interpersonell nicht vergleichbarer Nutzen aus einem weiteren Grund problematisch ist. Dazu muss man zunächst erkennen, dass ökonomische Wohlfahrtsfunktionen im Kern die Frage betreffen, wie in einer Gesellschaft kollektive Entscheidungen aufgrund von individuellen Präferenzen getroffen werden können. Diese Verbindung hat erstmals K. J. Arrow im Jahr 1951 erkannt. In seiner Arbeit „Social Choice and Indivi­ dual Values“ fragte er seinerzeit, „if it is formally possible to construct a procedure for passing from a set of known individual tastes to a pattern of social decision-making, the procedure in question being required to satisfy certain natural conditions.“254

Damit war die bereits im Zusammenhang mit dem „liberalen Paradoxon“ erwähnte Forschungsrichtung der Theorie der kollektiven Entscheidungen geboren.255 K. J. Arrows Suche nach einer sozialen Wohlfahrtsfunktion mündete in sein berühmtes „Unmöglichkeitstheorem“ (auch „Arrow-Paradox“).256 Mit diesem konnte er nachweisen, dass es keine kollektive Entscheidungsregel gibt (z. B. die Einstimmigkeitsregel, die einfache oder absolute Mehrheitsregel), mit deren Hilfe (ordinale) individuelle Präferenzen zu einer vollständigen und widerspruchsfreien kollektiven Präferenzordnung aggregiert werden können, ohne dass bestimmte vernünftige und für sich genommen harmlos erscheinende Grunderfordernisse verletzt werden. Dem Theorem K. J. Arrows liegen die folgenden fünf (normativen) Bedingungen zugrunde:257 Erstens: Es gibt kein Individuum, das der Gesellschaft seine Präferenzen aufoktroyieren kann (kein Diktator). Zweitens: Es gilt das bereits oben 258 erwähnte schwache Pareto-Kriterium, d. h., ein Zustand x ist einem Zustand y vorzuziehen, wenn alle Individuen x vorziehen (Einstimmigkeit). Drittens: Die Individuen sind souverän; das bedeutet, es werden beliebige individuelle Präferenzen zugelassen und nicht a priori bestimmte Präferenzprofile ausgeschlossen (uneingeschränkter Wertebereich). Viertens: Die gesellschaftliche Entscheidung zwischen x und y hängt nur von den individuellen Präferenzen für x und y ab und ist demnach unabhängig von der Existenz von Alternativen (Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen). Fünftens: Die soziale Anordnung von Präferenzen bezüglich einer endlichen Alternativmenge (mindestens drei) soll ebenso wie die individuellen Präferenzordnungen vollständig und 254 

Arrow, Social Choice and Individual Values, 1951 (2012), S.  2. Vgl. §  2 D. II. 1. 256  Vgl. hierzu nur Gaertner, Jahrb. Sozialwiss. 29 (1978), S.  288 ff.; Seidl, in: Rahmsdorf/ Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  143, 155 ff.; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  94 ff. 257 Dazu Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  356 f.; Kötter, in: Wittmann et al., Wohlfahrt und Gerechtigkeit, 1984, S.  67, 72; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  106 f. 258  Vgl. §  2 D. II. 1. 255 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

transitiv sein, d. h., die sozialen Präferenzen sollen es erlauben, alle möglichen Alternativen miteinander zu vergleichen, und es muss gelten, dass wenn eine Alternative x einer Alternative y und diese einer Alternative z vorgezogen wird, auch die Alternative x der Alternative z vorgezogen wird (Transitivität).259 Zur Illustration des Unmöglichkeitstheorems soll folgendes Beispiel dienen: Betrachtet werden drei Personen, A, B und C, die eine GmbH gründen wollen und sich über den in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmenden Unternehmensgegenstand (§  3 Abs.  1 Nr.  2 GmbHG) einigen müssen. Die folgenden Bezeichnungen stehen zur Auswahl: „Handel mit Waren aller Art“ (x), „Betrieb eines Kaufmannsgeschäfts“ (y) und „Import von Waren aller Art“ (z). 260 Man ist sich einig, dass nur einer dieser drei Unternehmensgegenstände infrage kommt. Allerdings haben die Gründungsgesellschafter insoweit unterschiedliche Präferenzordnungen. A findet x am besten, dann y und schließlich z. Hingegen favorisiert B primär y, dann z und schließlich x. C hätte am liebsten z, dann x und schließlich die Bezeichnung y. Es ergeben sich damit die folgenden Präferenzordnungen der einzelnen Gründungsgesellschafter: A: x ˃ y ˃ z B: y ˃ z ˃ x C: z ˃ x ˃ y Es stellt sich nun die Frage, wie sich die drei unterschiedlichen Präferenzordnungen von A, B und C so zu einer kollektiven Präferenzordnung „verschmelzen“ lassen, dass die Vorlieben aller Gründungsgesellschafter optimal zur Geltung kommen. Wenn A, B und C auf eine einfache Mehrheitsregel zurückgreifen und dafür dreimal paarweise abstimmen, dann führt dies dazu, dass eine Mehrheit (nämlich A und C) die Bezeichnung x der Bezeichnung y für den Unternehmensgegenstand vorziehen würde. Zudem würde eine Mehrheit (nämlich A und B) die Bezeichnung y der Bezeichnung z vorziehen, und schließlich würde eine Mehrheit (nämlich B und C) die Bezeichnung z der Bezeichnung x vorziehen. Die durch die Mehrheitsregel festgestellte gesellschaftliche Präferenz lautet damit: x ˃ y ˃ z ˃ x. Wenn aber eine Mehrheit die Option x gegenüber der Option y bevorzugt und zugleich eine Mehrheit die Option y gegenüber einer Option z bevorzugt und dennoch eine Mehrheit die Option z gegenüber der Option x bevorzugt, dann ist die kollektive Präferenzordnung zyklisch, d. h. nicht transitiv, und verstößt damit gegen eine der oben genannten Bedingung, nämlich dass die gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion vollständig und transitiv sein muss.

Warum aber ist das Unmöglichkeitstheorem an dieser Stelle überhaupt von Belang? Um dies zu verstehen, ist nochmals daran zu erinnern, dass aus einer ökonomischen Wohlfahrtsfunktion keine Verteilungsurteile abgeleitet werden 259  Gaertner, in: Kurz, Klassiker des ökonomischen Denkens, Band 2, 2009, S.  354, 357; Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  23; Sen, Collective Choice and Social Wel­ fare, 1970 (2017), S.  47. 260  Dass sämtliche dieser Angaben problematisch sind, soll hier nicht weiter vertieft werden, vgl. hierzu Krafka, Registerrecht, 11.  Aufl. 2019, Rn.  932 m. w. N.

§  2 Ökonomischer Entstehungszusammenhang

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können, wenn davon ausgegangen wird, dass der individuelle Nutzen nur ordinal messbar und nicht interpersonell vergleichbar ist. K. J. Arrows Diagnose von der Unmöglichkeit einer sozialen Wohlfahrtsfunktion basierte ebenfalls auf diesen tradierten Annahmen, denn für K. J. Arrow galt: „interpersonal compari­ son of utilities has no meaning.“261 A. Sen hat nun nachgewiesen, dass es gerade diese Annahme der fehlenden interpersonellen Vergleichbarkeit ist, die dazu führt, dass eine vollständige und transitive soziale Wohlfahrtsfunktion nicht konstruiert werden kann. Sobald man die Annahme der interpersonellen Unvergleichbarkeit von Nutzen und damit das ordinale Nutzenkonzept aufgibt, lässt sich K. J. Arrows Unmöglichkeitstheorem „lösen“.262

F. Zwischenergebnis Damit kann an dieser Stelle das folgende Zwischenfazit gezogen werden: Ausgangspunkt war die Frage, warum der menschliche Nutzen keine geeignete Bewertungsgrundlage liefert. Ferner sollte herausgearbeitet werden, welchen Beitrag die Wohlfahrtsökonomik zur Lösung des Verteilungsproblems leistet. Es hat sich gezeigt, dass die aus dem Wohlfahrtsgedanken folgende ausschließliche Relevanz von Nutzen mit einer verfassungsrechtlich garantierten Freiheits­ ordnung konfligiert. Weil allein der Nutzen zählt, zeitigt eine Verletzung von unantastbaren Individualrechten und Freiheiten keine unmittelbaren Auswirkungen. Nutzen erweist sich als normative Referenz der Wohlfahrtsökonomik auch mit Blick auf die inhaltliche Konkretisierung des Nutzenbegriffs als proble­ matisch. Wird der Nutzenbegriff subjektivistisch im Sinne von Glück, Zufriedenheit oder Wünschen interpretiert, so führt dies geradewegs in ein „Zufriedenheitsdilemma“. Das gesellschaftliche Umfeld beeinflusst das individuelle Empfinden, denn dieses ist, um es mit den Worten A. Sens zu sagen, „für Verzerrung anfällig, sodass es bei anhaltender Not zu psychischen Anpassungen kommt.“263 Mithilfe eines subjektiven Nutzenkonzepts kann das objektive 261 Siehe

Arrow, Social Choice and Individual Values, 1951 (2012), S.  9. Vgl. dazu Sen, Econ. J. 89 (1979), S.  537, 539: „I would like to argue that the impossibility can be seen as resulting from combining a version of welfarism ruling out the use of non-utility information with making the utility information remarkably poor (particularly in ruling out interpersonal utility comparison).“; Sen, in: Laffont, Aggregation and Revelation of Preferences, 1979, S.  13, 19, 21 ff.; Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  34; Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 55; Sen, Am. Econ. Rev. 89 (1999), S.  349, 355 f.; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  8 (Fn.  6). Siehe dazu auch Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  99 (Fn.  3); Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  180 f. 263  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  86. Vgl. auch Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  343. 262 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

Wohlergehen daher nicht zutreffend erfasst werden. Die in der modernen Wohlfahrtsökonomik zu findende formale Nutzeninterpretation, welche sich von allen subjektiven Kriterien verabschiedet und Nutzen als präferenzgeleitete Wahlhandlung versteht, muss sich mit diesem Problem zwar nicht auseinandersetzen. Denn sie interessiert sich nur für nicht interpretierbare menschliche Handlungen, die den Vorteil haben, beobachtbar zu sein. Welche Rolle freiheitsgefährdende, einmischende Präferenzen spielen und ob die normative Geltung des Grundsatzes der Präferenzautonomie zum Schutz eines individuellen Freiheitsraums eingeschränkt werden sollte, bleibt jedoch unklar. Problematisch an der modernen Wohlfahrtsökonomik ist schließlich, dass durch die Überführung des Nutzenkonzepts in ordinale Präferenzen interpersonelle Vergleiche unmöglich werden. Es lässt sich nun also nicht mehr der Nutzen einer Person mit dem einer anderen vergleichen.264 Im Zusammenhang mit der Aggregation individueller Präferenzen bei axiomatisch vorgegebenen normativen Anforderungen führt diese Ablehnung interpersoneller Vergleiche in die theoretische Sackgasse des Arrow’schen Unmöglichkeitstheorems. Weil sowohl das Pareto-Kriterium als auch das Kaldor-Hicks-Kriterium auf ordinalen, interpersonell nicht vergleichbaren Nutzen basiert, stellen die Königswege der Wohlfahrtsökonomik für das Problem der Verteilung „öde Lappalien“ dar.265 Die moderne Wohlfahrtsökonomik ist damit ebenso wie der klassische Utilitarismus verteilungsindifferent, weshalb auch ein Zustand, in dem extreme Ungleichheit herrscht, als effizient beurteilt werden kann. Es mag zwar – um ein Beispiel von H.-B. Schäfer und C. Ott aufzugreifen – richtig sein, dass es für einen Hungernden in Afrika nur einen geringen Unterschied macht, „wenn man ihm erklärt, dass seine Armut nicht in erster Linie auf Ungleichverteilung basiert, sondern auf einem ineffizienten institutionellen Arrangement, das die Verfügbarkeit dringend benötigter Nahrungsmittel verhindert.“266 Für gleichermaßen zynisch wird er es jedoch erachten, wenn man hinzufügt, es herrsche zwar in seinem Land eine Ungleichverteilung der Nahrungsmittel, er könne jedoch zumindest Pareto-optimal verhungern.267 Mit diesem zugespitzten Beispiel soll verdeutlicht werden, wie sehr die Wohlfahrtsökonomik – auch wenn sie den normativen Individualismus akzeptiert und seine Richtigkeit in der Regel nicht bestreitet – die tatsächliche Lebenssituation des einzelnen Menschen aus dem Auge verloren hat. Anders als im utilita264 

Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  306. Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  43. 266  Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.   Aufl. 2020, S.  X VIII. 267 So H. G. Nutzinger im Vorwort zu Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  12; ebenso deutlich auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  31: „Man konnte so aber z. B. nicht mehr – gestützt auf wissenschaftliche Argumente – angeben, ob es sozial richtig ist, einem Verhungernden zu helfen, wenn die einzige Möglichkeit dazu darin besteht, einem Reichen etwas wegzunehmen.“ 265 

§  3 Grundgüter und Wohlergehen

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ristischen Maximierungsprinzip verschwinden die Interessen des Einzelnen zwar nicht vollständig in einer kollektiven Summierung. Ihnen wird im Rahmen des Pareto-Kriteriums jedoch nur insoweit Rechnung getragen, als im Zuge einer gesamtgesellschaftlichen Optimierung niemand schlechtergestellt werden darf. Durch diese Individualsicherung wird indes – wie gezeigt268 – nur der individuelle Status quo sichergestellt. Es ist hingegen nicht gewährleistet, dass der Einzelne selbst seine bescheidensten Bedürfnisse befriedigen kann. Auch wenn das Pareto-Kriterium die Interessen des Individuums im Ausgangspunkt ernst nimmt, geht es der Sache nach doch um das Erreichen eines nicht-individualistischen Ziels, nämlich die Realisierung ökonomischer Effizienz unter Ausblendung jeglicher Verteilungsfragen.269 Auch gegen das Kaldor-Hicks-Kriterium ist einzuwenden, dass es sich nur vordergründig individualistisch präsentiert. Denn nach diesem Kriterium geht es lediglich darum, den materiellen „Kuchen“, der dem Kollektiv zur Verfügung steht, zu vergrößern. Damit werden wirtschafts- und rechtspolitische Entscheidungen in letzter Instanz unter Berufung auf eine überindividuelle Entität gerechtfertigt. Das Prinzip des normativen Individualismus wird also verletzt.270 Im Lichte dieses Zwischenergebnisses ist evident, an welchen Punkten eine alternative Bewertung des menschlichen Wohlergehens als Grundlage der gesellschaftlichen Wohlfahrt anzusetzen hat. Man muss einerseits über eine andere Referenzgröße als den Nutzen nachdenken.271 Andererseits müssen, um auch das Problem der Verteilung in den Griff zu bekommen, interpersonelle Vergleiche ermöglicht werden.272 Interpersonelle Vergleichbarkeit impliziert allerdings auch kardinale Messbarkeit.

§  3 Grundgüter und Wohlergehen Bei der Suche nach einem Bewertungskriterium für das individuelle Wohlergehen, welches sich von der Nutzenorientierung verabschiedet und eine Grundlage für interpersonelle Vergleiche liefert, war A. Sen freilich nicht allein.273 Ne268 

Vgl. §  2 E. II. Zum Prinzip der Effizienzmaximierung als kollektivistisches Prinzip vgl. v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  376. 270  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  378. 271 Vgl. Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 56; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  54. 272  Sen, Ökonomische Ungleichheit, 1973 (2009), S.  33; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  18: „There is a need in particular to resist the historical consensus against the use of interpersonal comparisons of individual welfares (or utilities) in social choice, which was dominant when Arrow initiated the subject.“ 273  Eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen findet sich etwa bei Möller, In269 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

ben den Arbeiten von J. C. Harsanyi274 spielen in diesem Zusammenhang vor allem die sozialphilosophischen Überlegungen von J. Rawls eine bedeutende Rolle. Dessen im Jahr 1971 veröffentlichte „Theorie der Gerechtigkeit“ („A Theory of Justice“) wirkte sich unmittelbar auf die Entwicklung des Befähigungsansatzes aus, weil Rawls’ Werk für A. Sen der Anlass war, im Jahr 2009 ein Alternativprogramm mit dem Titel „Die Idee der Gerechtigkeit“ („The Idea of Justice“) vorzulegen. Daher sollen im Folgenden J. Rawls’ wesentliche Gedanken skizziert und A. Sens zentrale Einwände hiergegen entfaltet werden.

A. Methodik der Begründung J. Rawls’ „Theorie der Gerechtigkeit“ basiert auf der hypothetischen Ausgangssituation, dass die Menschen in einem Urzustand unter einem „Schleier des Nichtwissens“275 („veil of ignorance“) die „Grundstruktur der Gesellschaft“276 festlegen. Damit knüpft er an die vor allem auf T. Hobbes, J. Locke und J.-J. Rousseau zurückgehende Idee des Gesellschaftsvertrags an.277 Warum aber führt J. Rawls das Gedankenexperiment des Urzustands ein? Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich zunächst im Klaren darüber sein, was es bedeutet, wenn sich die Gesellschaftsmitglieder unter J. Rawls’ konstruiertem „Schleier des Nichtwissens“ befinden. In diesem Zustand kennen sie weder ihre Stellung in der Gesellschaft, wissen also beispielsweise nicht, ob sie arm oder reich sind, noch haben sie eine Vorstellung von ihren natürlichen Fähigkeiten, wie ihrer Intelligenz oder Körperkraft. Sie wissen auch nichts über ihre terpersonelle Nutzenvergleiche, 1983, S.  115 ff., bei Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  115 ff., sowie bei Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  193 ff. 274 Vgl. Harsanyi, Am. Political Sci. Rev. 69 (1975), S.   594, 600; Harsanyi, Soc. Res. 44 (1977), S.  623, 638 ff., dem zufolge interpersonelle Nutzenvergleiche mithilfe des Verfahrens der einfühlenden Empathie („imaginative empathy“) gelingen können: „Simple reflection will show that the basic intellectual operation in such interpersonal comparisons is imaginative empathy. We imagine ourselves to be in the shoes of another person, and ask ourselves the question, ‚If I were now really in his position, and had his taste, his education, his social background, his cultural values, and his psychological make-up, then what would now be my preferences between various alternatives, and how much satisfaction or dissatisfaction would I derive from any given alternative?‘“ [Hervorhebung im Original]. Kritisch zu diesem Ansatz Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  47 (Fn.  17); Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  13; weiterführend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  196 ff. 275  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  159. 276  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  19. 277 Deren Gesellschaftsvertragstheorien und Argumentationsmuster werden näher betrachtet von Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  101 ff.; vgl. ferner Nass, Der humangerechte Sozialstaat, 2006, S.  36 (Fn.  5). Zur Entwicklung der Gesellschaftsvertragstheorien siehe Zöllner, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, 2007, S.  53, 54 m. w. N. in Fn.  4.

§  3 Grundgüter und Wohlergehen

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Einstellung zum Risiko, ihre Neigungen sowie ihre Ansichten über das Gute.278 Ferner haben sie keinerlei Kenntnis von der Gesellschaft, in der sie leben. Unbekannt sind also die wirtschaftliche und politische Lage sowie der technische und kulturelle Entwicklungsstand der Gesellschaft.279 Bekannt sind lediglich „die allgemeinen Tatsachen über die menschliche Gesellschaft […], die sich aus dem Alltagsverstand und allgemein anerkannten Analysemethoden ergeben“.280 Im Ergebnis wird durch das Gedankenexperiment jegliche Individualität ausgeblendet und damit eine Situation der Gleichheit zwischen den Gesellschaftsmitgliedern geschaffen.281 „Willkürliche Zufälligkeiten oder gesellschaftliche Kräfteverhältnisse“282 werden eliminiert, sodass sich niemand Grundsätze ausdenken kann, die ihn aufgrund seiner besonderen Verhältnisse bevorzugen.283 Nur in dieser theoretischen Entscheidungssituation des Urzustands – so lautet die Annahme – ist gewährleistet, dass die Grundsätze der Gerechtigkeit das Ergebnis einer fairen Verhandlung sind.284 J. Rawls geht ferner davon aus, dass die Angehörigen der Gesellschaft zwar vernünftig, aber gegenseitig desinteressiert sind.285 Ihnen geht es in erster Linie darum, ihre eigenen Interessen zu schützen und ihre Ziele zu verwirklichen.286 Sie sind allerdings in der Lage, Gerechtigkeitsgrundsätze zu verstehen, und können auch nach diesen handeln.287 Die mit diesen Eigenschaften ausgestatteten Gesellschaftsmitglieder einigen sich in der dargestellten fairen Situation der Gleichheit auf zwei Grundsätze für eine gerechte „Grundstruktur der Gesellschaft“288 . Der erste Grundsatz lautet: „1. Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.“289 Allein die Gewährleistung gleicher Grundfreiheiten – zu denen nicht die Vertragsfreiheit zählt 290 – genügt nach der Ansicht von J. Rawls allerdings nicht, damit von einer gerechten Grundstruktur der Gesellschaft gesprochen werden 278  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.   29, 160; vgl. auch Neuhäuser, zfwu 15 (2014), S.  198, 200. 279  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  160. 280  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  160. Kritisch zur Annahme allgemeiner Kenntnis, Eidenmüller, ARSP 73 (1987), S.  235, 245 f. 281  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  28, 36. 282  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  28, 142. 283  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  29, 163. 284  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  29, 142. 285  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  30, S.  166 ff. 286  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.   31, 41, 168: „Als Spiel ausgedrückt könnte man sagen: sie streben nach einer möglichst hohen Punktzahl. Ihren Mitspielern wünschen sie weder eine besonders hohe noch eine besonders niedrige Punktzahl, und sie möchten auch den Unterschied zwischen sich und den anderen weder möglichst groß noch möglichst klein machen.“ 287  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  168 f. 288  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  19. 289  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  336. 290  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  83.

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kann. Er formuliert daher den folgenden zweiten Grundsatz: „2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein: (a) sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und (b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen.“291 Die beiden Gerechtigkeitsgrundsätze stehen in einer lexikalischen Ordnung, 292 d. h., der Grundsatz der gleichen Grundfreiheiten für alle ist dem zweiten Grundsatz vorgeordnet. Dieser Vorrang der Freiheiten gilt ausnahmslos. Eine Verletzung der vom ersten Grundsatz geschützten gleichen Grundfreiheiten kann dementsprechend auch nicht durch gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile gerechtfertigt oder ausgeglichen werden.293

B. Verteilungsprinzip Wenn man sich A. Sens Kritik an der limitierten Möglichkeit des Utilitarismus, das Verteilungsproblem zu lösen, in Erinnerung ruft, so wird verständlich, dass sich der Blick im Folgenden auf das von J. Rawls vorgeschlagene und im ersten Teil des zweiten Grundsatzes zu findende Verteilungsprinzip richten muss. Nach diesem sogenannten Differenzprinzip sind soziale und wirtschaftliche Ungleichheit nur dann zulässig, wenn sich aus ihnen Vorteile für die am wenigsten begünstigten Mitglieder der Gesellschaft ergeben. Oder anders gewendet: Eine ungleiche Verteilung innerhalb der Gesellschaft darf nur dann eingerichtet und gesichert werden, wenn das den weniger Begünstigten zum Vorteil gereicht.294 J. Rawls’ Differenzprinzip unterscheidet sich damit grundlegend vom Utilitarismus.295 Denn nach dem Differenzprinzip zählt nicht die kollektive Nutzensumme, sondern die Maximierung der Aussichten der am stärksten Benachteiligten.296 Damit drängen sich zwei Fragen auf: Erstens: Warum sollten sich die Mitglieder einer Gesellschaft, die gegenseitig desinteressiert sind und nur die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse verfolgen, in einer durch den „Schleier des Nichtwissens“ hervorgerufenen fairen Ausgangssituation darauf einigen, dass einige mehr haben dürfen, wenn das die Lage derer, die weniger haben, verbessert? Und zweitens: Wie sollen die am schlechtesten gestellten Gesellschaftsmitglieder identifiziert werden? 291 

Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  336. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  336. 293  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  62, 82. 294  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  96. 295  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.   40; Sen, J. Philos. 76 (1979), S.  463, 468; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  420; Eidenmüller, Effizienz als Rechts­prinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  23. 296  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  101; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  193. 292 

§  3 Grundgüter und Wohlergehen

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I. Entscheidungstheoretische Rechtfertigung Zur Beantwortung der ersten Frage muss man die im Urzustand bestehende Entscheidungssituation näher betrachten. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Parteien eine Entscheidung unter Unsicherheit treffen. J. Rawls ist der Ansicht, dass vernünftige Menschen in dieser speziellen Situation ihre Entscheidung auf der Grundlage der sogenannten Maximin-Regel treffen. Diese besagt, dass immer diejenige Entscheidung getroffen wird, deren denkbar ungünstiges Ergebnis besser ist als das denkbar ungünstigste Ergebnis aller anderen Entscheidungen.297 Weil jedes Individuum zu den am schlechtesten gestellten Mitgliedern einer Gesellschaft gehören kann, unterstellt J. Rawls, dass jeder Mensch sich so entscheiden würde, als ob er mit Sicherheit zu dieser Gruppe gehören wird.298 Diese Annahme von J. Rawls hat berechtigte Kritik hervorgerufen, denn es ist nicht abwegig zu sagen, dass sich einige Menschen im Urzustand auch anders verhalten.299 II. Grundgüter und Individualität Möchte man die zweite Frage beantworten, dann muss man zunächst festhalten, dass das Differenzprinzip offensichtlich einen interpersonellen Vergleich erforderlich macht. Denn wie sollten sonst die am wenigsten begünstigten Mitglieder einer Gesellschaft ermittelt werden?300 Für diesen Vergleich bedarf es einer objektiven Grundlage. J. Rawls zieht hierfür die sogenannten Grundgüter („primary goods“) heran. Als solche bezeichnet er „Dinge, von denen man annimmt, daß sie ein vernünftiger Mensch haben möchte, was auch immer er sonst noch haben möchte.“301 Zu den wichtigsten Arten der gesellschaftlichen Grundgüter zählen „Rechte, Freiheiten und Chancen sowie Einkommen und Vermögen.“302 Der Vorteil dieser Referenzgröße ist offenkundig: Grundgüter bieten eine objektive Grundlage für interpersonelle Vergleiche, denn der kardinale Index 297  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  178; Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie, 1992, S.  135 (Fn.  2); Graf, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  81, 95 (Fn.  29); Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  237 (Fn.  152). 298  Schernikau, Zur Verbindung von Ethik und Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrts­ theo­r ie, 1992, S.  136. 299 Kritisch zur Maximin-Regel etwa Barber, Am. Political Sci. Rev. 69 (1975), S.   663, 664 f.; Harsanyi, Am. Political Sci. Rev. 69 (1975), S.  594, 599 f.; Harsanyi, Soc. Res. 44 (1977), S.  623, 634 f.; Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 118; Todt, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme des Zivilrechts, 1991, S.  1, 13; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 55. 300  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  112. 301  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  112. 302  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  112; vgl. auch Rawls, in: Sen/ Williams, Utilitarianism and Beyond, 1982, S.  159, 165 f.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

„Grundgut“ kann dazu benutzt werden, die soziale Situation jedes Mitglieds einer Gesellschaft zu ermitteln und mit derjenigen einer anderer Person zu vergleichen.303 Eine „komplizierte Schätzung der Glücksfähigkeit der Menschen“304, wie sie im Bentham’schen hedonistischen Kalkül erforderlich ist, muss nicht durchgeführt werden. Weil es J. Rawls auch als legitim ansieht, sich bei der Bewertung der Situation der Gesellschaftsmitglieder auf die beiden Grundgüter Einkommen und Vermögen zu beschränken,305 umgeht er die schwierige Frage, wie die disparaten Grundgüter wie etwa Rechte, Freiheiten, Chancen, Einkommen, Vermögen oder auch das Selbstwertgefühl306 auf der individuellen Ebene, d. h. auf der Ebene jedes einzelnen Gesellschaftsmitglieds, zu dem vorbezeichneten Gesamtindex „Grundgut“ aggregiert werden können. Wichtig ist, dass J. Rawls die Grundgüter nicht als Nutzenindikator einsetzt.307 Grundgüter werden nicht aufgrund ihrer Nutzen stiftenden Funktion als wertvoll erachtet, sondern deshalb, weil sie es den Menschen ermöglichen, ihre Lebenspläne zu verwirklichen. Derjenige, der über mehr Grundgüter verfügt, wird bei der Ausführung seiner Pläne mehr Erfolg haben als eine andere Person, die über weniger Grundgüter verfügt.308 Damit unterscheidet sich J. Rawls’ Ansatz in einem wichtigen Punkt von A. C. Pigous wirtschaftspoli­ tischer Forderung nach einem „nationalen realen Mindesteinkommen“, unter das die Mitglieder einer Gesellschaft nicht fallen sollten.309 Zwar definierte A. C. Pigou dieses Mindesteinkommen mithilfe bestimmter Güter.310 Dabei ging er jedoch davon aus, dass lebensnotwendige Güter für alle Menschen gleich nützlich sind, sodass sein Ansatz letztlich auf einer Nutzenbetrachtung basier303 

Vgl. dazu Eidenmüller, ARSP 73 (1987), S.  235, 241. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  243. 305  Rawls, in: Sen/Williams, Utilitarianism and Beyond, 1982, S.   159, 162 f. Kritisch ­Bausch, Ungleichheit und Gerechtigkeit, 1993, S.  111, der aber zugleich eingesteht, dass die Reduktion auf Einkommen zu einer „operativ einfachen Rangordnung“ führt; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  6 45. 306  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  112. 307  Sen, in: McMurrin, The Tanner Lectures on Human Values, Vol. 1, 1980, S.  195, 205; Rawls, in: Sen/Williams, Utilitarianism and Beyond, 1982, S.  159, 169; Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 163; Atkinson, Scand. J. Econ. 101 (1999), S.  173, 178; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  114; dazu eingehend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  194 ff. 308  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  112. 309  Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  759: „a minimum standard of real income, below which it refuses to allow any citizen in any circumstances to fall“. 310 Vgl. Pigou, The Economics of Welfare, 4.  Aufl. 1932, S.  759: „It [the minimum standard of real income – Anmerkung hinzugefügt] must be conceived, not as a subjective minimum of satisfaction, but as an objective minimum of conditions. The conditions, too, must be conditions, not in respect of one aspect of life only, but in general. Thus the minimum includes some defined quantity and quality of house accommodation, of medical care, of education, of food, of leisure, of the apparatus of sanitary convenience and safety where work is carried on, and so on.“ 304 

§  3 Grundgüter und Wohlergehen

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te.311 J. Rawls hingegen lässt das Nutzenkriterium fallen. Für ihn sind Grundgüter vielmehr eine Vorbedingung, damit Menschen ihre Lebenspläne, wie auch immer diese im Einzelnen aussehen mögen,312 verwirklichen können. Welchen konkreten Nutzen der Einzelne aus den Grundgütern generiert, ist dabei ohne Belang. Obwohl J. Rawls in seinem Konzept der Grundgüter nicht nur die Nutzenorientierung aufgibt, sondern auch eine Grundlage für interpersonelle Vergleiche schafft, stößt dessen Ansatz nicht auf A. Sens uneingeschränkte Zustimmung. Seine Kritik richtet sich nicht nur gegen den ausnahmslosen Vorrang der Freiheiten,313 sondern auch gegen die Konzentration auf Grundgüter. Denn diese führe, so A. Sen, dazu, dass nicht die eigentlichen Ziele der Menschen betrachtet werden, sondern nur die Mittel, die erforderlich sind, um diese Ziele erreichen zu können.314 In A. Sens eigener Formulierung: „Indeed, it can be argued that there is, in fact, an element of ‚fetishism‘ in the Rawlsian framework. Rawls takes primary goods as the embodiment of advantage, rather than taking advantage to be a relationship between persons and goods.“315

Von der Bedeutung dieser Zweck-Mittel-Relation wird später nochmals die Rede sein.316 Des Weiteren wendet A. Sen ein, dass in J. Rawls’ güterorientiertem Ansatz die Variabilität der Beziehungen zwischen Gütern und der individuellen Person ausgeblendet wird.317 Damit könne nicht abgebildet werden, dass Menschen aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften sowie der sie umgebenden gesellschaftlichen Bedingungen ganz unterschiedliche Vorteile aus den 311 

Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  9. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  112. 313 Vgl. Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 61; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  82: „Warum sollte bitterste ökonomische Not, die eine Frage von Leben und Tod sein kann, von geringerem Rang sein als persönliche Freiheiten?“ Kritisch zu diesem Rangverhältnis auch Hart, in: Hart, Essays in Jurisprudence and Philosophy, 1983, S.  223, 244, 247. Reflektierend zudem J. Rawls selbst, vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  337: „In extremeren und verwickelteren Fällen der nichtidealen Theorie versagen diese Vorrangregeln; vielleicht läßt sich überhaupt keine befriedigende Antwort finden.“ 314 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S. XI, S.  8 , 80; Sen, IIC Quarterly 25 (1998), S.  53, 63; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  351. 315  Sen, Choice, Welfare and Measurement, 1982, S.   366 [Hervorhebung im Original]. Ähnlich formuliert es Dworkin, A Matter of Principle, 1985, S.  245 f., mit Blick auf R. A. Posners güterorientierten Ansatz: „Money or its equivalent is useful so far as it enables someone to lead a more valuable, successful, happier, or more moral life. Anyone who counts it for more than that is fetishist of little green paper.“ 316  Vgl. §  4 B. 317  Vgl. dazu Sen, in: McMurrin, The Tanner Lectures on Human Values, Vol. 1, 1980, S.  195, 215; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S. XI, 8, 27; Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 59; Sen, IIC Quarterly 25 (1998), S.  53, 63; Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  6; Anderson, in: Brighouse/Robeyns, Measuring Justice, 2010, S.  81, 87; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  289 f.; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  24, 352. 312 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

ihnen zur Verfügung stehenden Grundgütern ziehen können. Auf der Basis von Grundgütern könnten daher die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Menschen nicht zutreffend erfasst werden. „If people were basically very similar, then an index of primary goods might be quite a good way of judging advantage. But, in fact, people seem to have very different needs varying with health, longevity, climatic conditions, location, work conditions, temperament, and even body size (affecting food and clothing requirements). So what is involved is not merely ignoring a few hard cases, but overlooking very widespread and real differences.“318

Die Darstellung der Theorie der Gerechtigkeit nach J. Rawls ist in diesem Rahmen natürlich viel zu grob, um die Komplexität seiner Überlegungen zu er­ fassen. Aber die aus A. Sens Kritik abzuleitende Grundforderung, die für den weiteren Gang der Untersuchung zentral sein wird, sollte hinreichend klar geworden sein: A. Sen plädiert dafür, in die Bewertung sowohl die sozialen Bedingungen als auch die Heterogenität der Menschen und die damit zusammen­ hängende unterschiedliche Fähigkeit, Güter in eine bestimmte Lebensweise zu konvertieren, einzubeziehen.319 Für ihn stellt diese Anreicherung der „Informationsbasis“ keine zweitrangige Verkomplizierung dar, vielmehr müsse ihr in jedem Bewertungskriterium eine grundlegende Bedeutung beigemessen werden.320

§  4 Befähigung und Wohlergehen Die Kritik an der nutzenzentrierten Wohlfahrtsökonomik sowie die Einwände gegen J. Rawls’ Grundgüterkonzentration führten A. Sen zur Entwicklung eines alternativen Ansatzes. Diesem liegt der zentrale Gedanke zugrunde, dass ein Bewertungskriterium weder seinen Ausgangspunkt im individuellen Nutzen noch bei den Grundgütern nehmen darf. Der maßgebliche Wert, der die Richtung vorgibt, stellt vielmehr die Freiheit des Einzelnen dar, welche er benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen.321 Im folgenden Abschnitt soll zunächst erörtert werden, wie es A. Sen mithilfe des von ihm 318 

Sen, Choice, Welfare and Measurement, 1982, S.  366. Anderson, Philos. Rev. 114 (2005), S.  253, 268. 320  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S. XI: „Human diversity is no secondary complication (to be ignored, or to be introduced ‚later on‘); it is a fundamental aspect of our interest in equality.“ Auch für M. C. Nussbaum hat dieser Aspekt eine besondere Relevanz, vgl. etwa Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  229 ff. 321  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S. XI; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  20, 49; Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  6; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  259; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  338; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  24, 368. 319 Vgl.

§  4 Befähigung und Wohlergehen

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maßgeblich entwickelten Befähigungsansatzes gelingt, sich von der ökonomischen Nutzenorientierung sowie den Rawls’schen Grundgütern abzuwenden und die menschlichen Freiheiten in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Auf dieser Grundlage kann sodann zu der für diese Schrift entscheidenden Frage übergeleitet werden: Welches Armutsverständnis folgt aus dem Sen’schen Befähigungsansatz, in dem das Wohlergehen der Gesellschaftsmitglieder über ihre Freiheiten definiert wird?

A. Funktionsweisen und Fähigkeiten Der Befähigungsansatz kreist um zwei Begriffe, die als seine Grundkategorien bezeichnet werden können: die Funktionsweisen („functionings“) und die Fähigkeiten („capabilities“). Im Folgenden werden beide Kategorien vorgestellt. I. Funktionsweisen (Zustände und Tätigkeiten) Der Begriff der Funktionsweisen bringt die Lebenssituation eines Menschen zum Ausdruck, genauer gesagt den individuellen Status quo seines „Tuns“ und seines „Seins“ („doings and beings“).322 Zu den Funktionsweisen zählen solche ganz grundlegender Art (z. B. ausreichend ernährt sein, gesund sein) wie auch Fähigkeiten von komplexerer Natur (z. B. ohne Scham am gesellschaftlichen Leben teilnehmen):323 „[T]he concept of ‚functionings‘ […] reflects the various things a person may value doing or being. The valued functionings may vary from elementary ones, such as being ad­ equately nourished and being free from avoidable disease, to very complex activities or personal states, such as being able to take part in the life of the community and having self-respect […].“324

Die Funktionsweisen sind in zweifacher Hinsicht abzugrenzen:325 Erstens beziehen sie sich nicht auf die Verfügungsmöglichkeit über ein Gut, sondern auf das Ergebnis seines Gebrauchs.326 Die Bedeutung dieser Unterscheidung hat

322 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 31; Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  6 f.; Alkire, Valuing Freedoms, 2002, S.  5; Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 438; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  5; Crocker, Ethics of Global Development, 2008, S.  164 ff.; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  357. 323 Vgl. Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.   64; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  5; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  357. 324  Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 31. 325 Vgl. Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  7. 326  Eiffe, Auf den Spuren von Amartya Sen, 2010, S.  144.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

bereits 1966 der Ökonom K. Lancaster in seiner Arbeit zur Konsumententheorie betont:327 „[T]he good, per se, does not give utility to the consumer; it possesses characteristics, and these characteristics give rise to utility.“328

A. Sen greift diesen Ansatz in seinem Werk „Commodities and Capabilities“329 auf und überträgt ihn auf die Beurteilung des individuellen Wohlergehens. Auch insoweit sei entscheidend, was ein Mensch mit den ihm zur Verfügung stehenden Gütern tatsächlich anfangen könne. Diese Überlegung verdeutlicht er mit folgendem einfachen Beispiel: Nur weil eine Person über das Gut „Fahrrad“ verfügt, ist noch nicht gesagt, dass sie auch tatsächlich Fahrrad fahren kann. Die Kategorie des Gutes „Fahrrad“ ist von der Tätigkeit des Fahrradfahrens zu unterscheiden,330 die im Gebrauch des Gutes liegt. Der Begriff der Funktionsweise fängt nur die Tätigkeit ein. Die zweite wichtige Abgrenzung betrifft den individuellen Nutzen. Funktionsweisen dürfen nicht mit dem Nutzen, der aus einem „Tun oder Sein“ resultiert, gleichgesetzt werden.331 Ob jemand – um auf das eben angeführte Beispiel zurückzukommen – während des Fahrradfahrens glücklich oder unglücklich ist, ob er Lust oder Befriedung erfährt, Schmerzen oder Leid empfindet, spielt für den Begriff der Funktionsweise keine Rolle. Die Gleichsetzung von individuellem Wohlergehen mit subjektivem Nutzen, verstanden als Glück, Zufriedenheit oder Lust, wird – auch wenn dies vereinzelt anders gesehen wird 332 – im Befähigungsansatz aufgegeben.333 Güter, Funktionsweisen und Nutzen stehen aber natürlich nicht isoliert voneinander. Der Zusammenhang lässt sich mit folgendem Bild veranschaulichen: Güter

Funktionsweisen

Nutzen

Abbildung 1334:  Güter – Funktionsweisen – Nutzen 327  Vgl. dazu Beitz, Econ. Philos. 2 (1986), S.  282, 286; Browne et al., in: Salais/Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  205, 207. 328  Lancaster, J. Political Econ. 74 (1966), S.  132, 134. 329  Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999). 330  Vgl. hierzu Sen, Resources, Values and Development, 1984, S.  334; Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  6. Vgl. dazu auch Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153; Graf, in: Sedmak et al., Der Capability Approach in sozialwissenschaftlichen Kontexten, 2011, S.  11, 19. 331 Vgl. Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 160; Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 43; Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  7. 332  Tammena, Erfolg durch Entscheidungsfreiheit, 2009, S.  106 ff. 333 Treffend Heinrichs, Grundbefähigungen, 2006, S.  196. 334  Angelehnt an A. B. Atkinson, in: FS Sen, 1995, S.  17, sowie an Deakin, in: Deakin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  1, 21.

§  4 Befähigung und Wohlergehen

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Weil A. Sen die Kategorie der Funktionsweisen vom individuellen Nutzen trennt, unterscheidet sich sein Ansatz in einem wichtigen Punkt von einem besonderen Zweig der angewandten Wohlfahrtsökonomik: der sogenannten Glücksforschung.335 Diese rückt die Frage „Was macht Menschen glücklich?“336 in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen und bricht dabei mit dem formalen Nutzenkonzept, dem zufolge Nutzen als präferenzgeleitete Wahlhandlungen zu denken ist, weil es – wie oben erläutert wurde337 – mit den subjektiven Empfindungen in keinerlei Verbindung mehr steht. Wichtig ist nun, dass in der Glücksforschung nicht die Nutzenorientierung als solche, sondern lediglich die Annahme aufgegeben wird, dass auf der Grundlage eines beobachtbaren Handelns auf den inneren Nutzen einer Person geschlossen werden kann. Das übliche Vorgehen dieser Forschungsrichtung besteht nämlich darin, eine Vielzahl von Probanden nach ihrem subjektiven Wohlbefinden zu befragen und auf dieser Grundlage eine durchschnittliche Nutzenfunktion zu bilden.338 Es wird somit lediglich ein anderer Nutzenindikator gewählt. Nicht die präferenzgeleiteten Wahlhandlungen konkretisieren den Nutzenbegriff, sondern das „gefühlte Glück“, welches durch die experimentelle Ökonomik zutage gefördert wird. Im Kern stellt dieses Vorgehen nichts anderes als eine Rückbesinnung auf das Erbe des hedonistisch geprägten Bentham’schen Nutzenbegriffs dar. A. Sen hingegen führt den Begriff der Funktionsweisen weder als Indiz für den individuellen Nutzen ein, noch ist sein Erkenntnisinteresse auf das subjektive Glücksempfinden gerichtet, denn Letzteres ist – wie gezeigt wurde339 – kein tauglicher Indikator für die tatsächliche Lebenssituation eines Menschen. Im Befähigungsansatz stehen nicht Gefühlszustände, sondern die objektiv erfassbaren Funktionsweisen im Mittelpunkt. Diese werden nicht mit Nutzen im Sinne von Glück gleichgesetzt, auch wenn man sie als eine wichtige Bedingung des Glücks begreifen mag. Anders als die Glücksforschung stellt der Befähigungsansatz damit keinen subjektivistischen, sondern einen objektivistischen Ansatz dar.340 A. Sen geht es um eine „Entsubjektivierung“ der Bewertungsgrundlage, ohne

335  Vgl. dazu etwa Kahneman et al., Q. J. Econ. 112 (1997), S.  375 ff.; Easterlin, Econ. J. 111 (2001), S.  465 ff.; Frey/Stutzer, J. Econ. Lit. 40 (2002), S.  402 ff.; Ng, Soc. Choice Welf. 20 (2003), S.  307 ff.; Frey, Economics of Happiness, 2018. 336 Vgl. Gowdy, Ecol. Econ. 53 (2005), S.  211, 212; Frey, Economics of Happiness, 2018, S.  1. 337  Vgl. §  2 D. II. 338  Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  277; Frey, Economics of Happiness, 2018, S.  7. 339  Vgl. §  2 D. I. 340 Vgl. Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.   84 f., 95; Bartelheimer et al., Amartya Sens wohlfahrtstheoretischer Ansatz, 2008, S.  22 (Fn.  33); Anderson, in: Brighouse/ Robeyns, Measuring Justice, 2010, S.  81, 82; Ziegler, in: Sedmak et al., Der Capability Approach in sozialwissenschaftlichen Kontexten, 2011, S.  117, 127; Schweiger, in: Gaisbauer et al., Philosophical Explorations of Justice and Taxation, 2015, S.  33, 43; Yang, J. Hum. Dev. Capab. 19 (2018), S.  456, 457.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

die persönlichen Eigenschaften der Individuen unberücksichtigt zu lassen.341 Wie ihm dieser Spagat gelingt, wird sich sogleich zeigen. II. Fähigkeiten (realisierbare Freiheiten) Mit der Aufgabe der Konzentration auf den Nutzen lässt es A. Sen jedoch nicht bewenden. Er ist der Ansicht, dass es für die Bewertung des Wohlergehens jedes Einzelnen nicht genügt, die tatsächlich realisierten Zustände und Tätigkeiten zu betrachten. Es müsse vielmehr darüber hinaus der Prozess abgebildet werden, der zu diesen Funktionsweisen geführt hat bzw. der zu diesen hätte führen können. Um diesen erfassen zu können, führt er die eben erwähnte zweite Grundkategorie ein: die sogenannten Fähigkeiten („capabilities“).342 Sie sind insoweit eng mit den Funktionsweisen verknüpft, als Letztere realisierte Fähigkeiten darstellen. Eine Funktionsweise ist also etwas, das wirklich erreicht wurde, wohingegen mit Fähigkeit die Freiheit gemeint ist, eine Funktionsweise zu erreichen.343 Funktionsweisen und Fähigkeiten unterscheiden sich folglich lediglich durch den Grad der Verwirklichung.344 Oder anders ausgedrückt: Fähigkeiten sind die realisierbaren Freiheiten eines Menschen, verschiedene Lebensentwürfe zu verwirklichen.345 Die Gesamtmenge an individuellen Freiheiten eines Menschen bildet sein „capability set“.346 Eine in diesem Zusammenhang naheliegende Frage ist, warum es für die Bewertung des individuellen Wohlergehens einen Unterschied macht, wenn man nicht die Zustände und Tätigkeiten, sondern die menschlichen Fähigkeiten betrachtet. Oder wie an anderer Stelle zutreffend gefragt wird: „Warum beschränkt man sich nicht auf das Erlangte?“347, und: „Warum sind es die Fähigkeiten, die dem Ansatz seinen Namen gegeben haben?“348 Das sind berechtigte Fragen, denn einerseits ist der individuelle Freiheitsraum nicht beobachtbar. Er 341 Vgl.

Bartelheimer et al., Amartya Sens wohlfahrtstheoretischer Ansatz, 2008, S.  8. Der Begriff „capabilities“ wird in der deutschen Literatur als Fähigkeiten, Entfaltungsmöglichkeiten, Verwirklichungschancen oder Befähigungen übersetzt. Kritisch zu den beiden letztgenannten Begriffen Eiffe, Auf den Spuren von Amartya Sen, 2010, S.  26. Sämtliche Übersetzungsversuche ablehnend Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.   99 (Fn.  57). 343 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30: „The expression [capabil­ ity – Anmerkung hinzugefügt] was picked to represent […] the various ‚functionings‘ he or she can achieve.“ [Hervorhebung hinzugefügt], sowie S.  38: „Capability is thus defined in the space of functionings.“ [Hervorhebung im Original]; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  63 f. 344  Eiffe, Auf den Spuren von Amartya Sen, 2010, S.  144. 345 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  40: „Capability is […] reflecting the person’s freedom to lead one type of life or another.“; Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  6. 346 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  150. 347  Eiffe, Auf den Spuren von Amartya Sen, 2010, S.  149. 348  Neuhäuser, zfwu 15 (2014), S.  198, 208. 342 

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kann insbesondere nicht aus einer Wahlhandlung abgeleitet werden, denn diese gibt keine Auskunft darüber, ob die Person das eine oder das andere hätte wählen können. Die menschlichen Freiheiten können nur auf der Grundlage vieler Annahmen konstruiert werden, was vor allem die empirische Armutsforschung vor Probleme stellt349 und oftmals dazu führt, dass sie sich letztlich doch auf die Betrachtung der Funktionsweisen zurückzieht. Andererseits ist zu bedenken, dass in der Kategorie der Funktionsweisen die Fähigkeiten bereits enthalten sind, weil – wie eben gesagt – mit dem Begriff der Funktionsweisen die realisierten Freiheiten erfasst werden. Man könnte daher annehmen, es trete überhaupt kein Informationsverlust ein, wenn man sich nicht auf die menschlichen Freiheiten, sondern auf die Funktionsweisen konzentriert. Worin besteht also der qualitative Unterschied zwischen Funktionsweisen und Fähigkeiten? Das folgende Beispiel verdeutlicht, dass es für die Bewertung des Wohlergehens eines Menschen einen Unterschied macht, ob man als Kriterium die Funktionsweisen oder die realisierbaren Freiheiten heranzieht:350 Vergleicht man eine Person A, die ihren materiellrechtlichen Anspruch gegen den Nachbarn C nicht vor Gericht durchsetzen kann, weil sie nicht über das zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses (§  12 Abs.  1 S.  1 GKG) notwendige Geld verfügt, mit einer reichen Person B, die sich „um des Friedens willen“ entschlossen hat, keine Klage zu erheben, dann verfügen zwar A und B über einen identischen Seinszustand. Denn sowohl A als auch B führen keinen Prozess gegen C. Die Person A ist jedoch ganz offensichtlich auf eine Art und Weise „arm“, wie es die Person B nicht ist. Diese „Armut“ kann man nur erfassen, wenn man nicht danach fragt, welches Leben ein Mensch tatsächlich führt, sondern welches er führen könnte.

Das Beispiel zeigt, dass das faktisch Gewählte keine Auskunft darüber gibt, ob eine Alternative zur Wahl stand, die zwar nicht gewählt wurde, jedoch hätte gewählt werden können. Dieses „jenseits dessen, was eine Person tatsächlich gewählt hat“351, wird mithilfe der Kategorie der Fähigkeiten erfasst. Will man bei der Bewertung des individuellen Wohlergehens die menschlichen Freiheiten 349 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 40: „There are many formal problems involved in the evaluation of freedom and the relationship between freedom and achievement.“; Beck et al., in: Beck et al., Dimensions of Poverty, 2020, S.  1, 8. Zum Problem der Messung von Freiheiten vgl. ferner §  9 A. II. 1. 350  A. Sen verdeutlicht diesen Punkt anhand eines Vergleichs zwischen einem Fastenden und einem Hungernden, Sen, J. Philos. 82 (1985), S.  169, 202: „Fasting involves an abstention from eating that goes beyond just starving, and it can be argued that in the example being considered, rich and religious B could choose to fast, whereas poverty-stricken A could not. The possibility of starving was open to both, but fasting by choice was open only to B.“ [Hervorhebung im Original]. Vgl. dazu auch Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  60 (Fn.  2); Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  52; Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 158; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  6 4 f.; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  264; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  95. 351 Vgl. Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  139.

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einbeziehen und damit vorhandenen, aber nicht gewählten Möglichkeiten einen Wert beimessen,352 ist die Abbildung 1 wie folgt zu erweitern: Güter

Umwandlung

Fähigkeiten

Entscheidung

Funktionsweisen

Nutzen

Abbildung 2 353:  Fähigkeiten und Funktionsweisen

B. Güter als „Nutzwerk“ Diese schematische Darstellung legt zugleich offen, welchen Stellenwert die individuelle Einkommens- und Vermögensausstattung im Befähigungsansatz hat. Sie wird durch die Kategorie der „Güter“ erfasst und dient der Sicherstellung und Erhöhung der individuellen Fähigkeiten. Mit dieser Einordnung sind zwei wichtige normative Aussagen verbunden. Erstens: Obgleich die Freiheiten des Einzelnen das maßgebliche Beurteilungskriterium bilden, spielt die individuelle Güterausstattung im Befähigungsansatz eine zentrale Rolle. Der Grund hierfür liegt darin, dass ein Mehr an Einkommen und Vermögen in aller Regel zur Ausweitung des individuellen Freiheitsraums beiträgt.354 Dies wird leicht einsichtig, wenn man eine Person betrachtet, die in einer Gesellschaft mit marktwirtschaftlicher Fundierung ihren grundlegenden Bedarf an Nahrung, Kleidung und Wohnraum decken möchte. Frei ist sie insoweit nur dann, wenn sie entweder die in ihrem Eigentum bereits bestehenden Vermögensgüter zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nutzen oder sich die entsprechenden Güter oder Dienstleistungen im Rahmen eines Güter- und Leistungsaustausches auf dem Markt besorgen kann. Letzteres wird durch das Tauschmittel „Geld“ ermöglicht.355 Es kann frei in Gegenstände

352 Vgl. Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  6 4; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  15. 353  Angelehnt an Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 160: „[T]here is […] a sequence from a commodity […], to characteristics […], to capability to function […], to utility […].“ [Hervorhebung im Original], sowie an Deakin, in: Deakin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  1, 21. 354 Vgl. Crocker, Political Theory 20 (1992), S.  584, 590; Sen, in: Nussbaum/Sen, The Qual­ ity of Life, 1993, S.  30, 33; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  36 ff.; Sen, Commod­ ities and Capabilities, 1985 (1999), S.  16, 19; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  37; Drèze/Sen, India, Development and Participation, 2002, S.  3; Crocker, Ethics of Global Development, 2008, S.  113: „People cannot be at all, let alone have well-being or a good life, with­ out having certain goods in certain amounts“; Schweiger, in: Gaisbauer et al., Philosophical Explorations of Justice and Taxation, 2015, S.  33, 39. 355  Zum Übergang von einer Tausch- oder Naturalwirtschaft in eine Geldwirtschaft vgl. nur Flume, Marktaustausch, 2019, S.  89 ff., mit ausführlichen Nachweisen zur volkswirtschaftlichen Literatur über den Transformationsprozess.

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eingetauscht oder für Dienstleistungen hergegeben werden.356 In einer modernen Volkswirtschaft – die notwendig eine Geldwirtschaft ist357 – gilt Geld daher als ein „Passepartout für beliebiges wirtschaftliches Handeln“358 . Wer über mehr Geld verfügt, kann mehr Nachfrage ausüben, was ein Mehr an wirklicher Freiheit impliziert. Im Lichte dessen ist es richtig, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zur Euro-Einführung Geld als „geprägte Freiheit“359 bezeichnet hat. Umgekehrt ist zu bedenken, dass die Freiheit desjenigen, der kein Geld hat, stark einschränkt ist.360 Einkommens- und vermögenslose Personen verfügen zwar prinzipiell über die Freiheit zu „wirtschaften“, jedoch über keine Kaufkraft.361 Dass die Freiheit zur wirtschaftlichen Selbstbestimmung bei Mittellosigkeit nicht davor schützt zu verhungern,362 weil „die Güter am liebsten dahin strömen, wo sie sich bereits in größeren Massen angesammelt haben“363, ist letztlich darauf zurückzuführen, dass der Markt durch eine Form des Gemeinschaftshandelns geprägt ist. Ein solches zeichnet sich nach M. Weber dadurch aus, dass die Individuen ihr Handeln sinnhaft auf andere beziehen.364 Das Gemeinschaftshandeln der wirtschaftlichen Akteure ist der ökonomische Kampf, der sogenannte Preiskampf.365 Die Marktteilnehmer richten sich bei ihren Angeboten nach einem potenziellen oder tatsächlichen Handeln der anderen realen oder gedachten Tauschinteressenten.366 Für M. Weber gilt: Je rationaler der Tausch­akt erwogen werde, desto mehr orientierten sich die Beteiligten am Han356 

Zur Bedeutung des Geldes als Tauschmittel vgl. Flume, Marktaustausch, 2019, S.  92 ff. Benda, in: Hahn, Das Geld im Recht, 1986, S.  9, 14. 358  Kirchhof, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  3 Abs.  1 Rn.  321. 359  BVerfGE 97, 350, 371 = NJW 1998, S.  1934, 1937; zur Herkunft des Zitats Lepsius, JZ 2002, S.  313, 314 (Fn.  7). 360  In diesem Sinne auch OLG Stuttgart, NJW 1988, S.  833, 835: „[I]n der Geldwirtschaft, in der wir leben, sind den Menschen, die auf das Existenzminimum herabgedrückt bleiben, die allermeisten Freiheiten verbaut.“; Suhr, Der Staat 9 (1970), S.  67, 86; Kersting, in: Lessenich, Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe, 2003, S.  105, 117 spricht etwa von der „freiheitsriskanten Auswirkung der Mittellosigkeit“; Kersting, in: Kersting, Freiheit und Gerechtigkeit, 2010, S.  45, 49. 361 Vgl. Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 220; Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theo­ rie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 128: „Da der Markt auf Kaufkraft reagiert […], sorgt er nie von sich aus für die Ärmeren. Wird er nicht von außen beeinflußt, so versorgt er einfach die Reichen und vernachlässigt die Armen. […] Je stärker man sich daher auf die Marktkräfte stützt, desto größer die Gefahr, daß die Armen weniger bekommen als die Reichen.“; Hesselink, in: Deakin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  31, 44; Herzog, Freiheit gehört nicht nur den Reichen, 2013, S.  71; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  26. 362  Vgl. auch Säcker, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, Einl. BGB Rn.  38, unter Verweis auf Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  28 ff. 363  v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 2, 5.  Aufl. 1894 (1993), S.  237. 364  Weber, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, 1913 (1988), S.  427, 441. 365  Weber, Grundriss zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie, 1898 (1990), S.  45; vgl. auch Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Winckelmann, 5.  Aufl. 1976, S.  382 f. 366  Mikl-Horke, in: Maurer, Wirtschaftssoziologie nach Max Weber 2010, S.  97, 107. 357 

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Erstes Kapitel: Grundlegung

deln aller möglichen Tauschinteressenten.367 Damit kommt es zu einer „Vergemeinschaftung kraft Geldgebrauchs“368 . Wer über mehr Geld verfügt, kann häufiger in Marktgemeinschaften eintreten. Für den Mittellosen bleibt hingegen die Tür in die „Vergemeinschaftung kraft Geldgebrauchs“ verschlossen.369 Diesen Gedanken kann man zuspitzen und argumentieren, dass sich diejenigen, die über keinerlei Einkommen und Vermögen verfügen, in einer über den freien Markt organisierten Gesellschaft entscheiden müssen, ob sie verhungern oder sich zum Sklaven eines Reichen machen.370 Vorgreifend sei an dieser Stelle angemerkt, dass eine ausschließlich effizienzorientierte Rechtsordnung eine freiwillige und damit „pareto-verbessernde Versklavung“371 als positiv bewerten müsste.372 Diese Problematik wird im dritten Kapitel näher beleuchtet.373 Die zweite wichtige normative Aussage lautet: Der Umstand, dass sich die individuelle Einkommens- und Vermögensausstattung positiv auf den menschlichen Freiheitsraum auswirkt, bedeutet nicht, dass diesen Gütern ein intrin­ sischer Wert beigemessen wird.374 Schließlich kann man sie – um es mit den Worten I. Kants zu sagen – „selbst nicht genießen, oder als ein solches irgend wozu unmittelbar gebrauchen“.375 Güter stellen vielmehr ein „Nutzwerk“ dar, weil sie für die Sicherung und Erweiterung wirklicher Freiheiten dienlich sind.376 Ihnen kommt somit nur eine instrumentelle Funktion zu, sie sind – wie M. C. Nussbaum es beschreibt – nur ein Haufen Zeug. Ein nützlicher Haufen, aber dennoch nur ein Haufen, der keine Bedeutung hat, es sei denn, er wird für

367  Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Winckelmann, 5.  Aufl. 1976, S.  382. 368  Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Winckelmann, 5.  Aufl. 1976, S.  382. 369 Ähnlich Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 452: „Membership in markets is defined by the amount of exchangeable resources or money one has or can access as credit; thus markets exclude.“ 370 Vgl. Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 23: „If I am poor my feasible choice set will be much more restricted than if I am rich. I might be so poor that my only options were either to starve or to become a rich man’s slave […].“ 371  So die Bezeichnung von Nass, Der humangerechte Sozialstaat, 2006, S.  135. 372 Vgl. Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 23: „It may be a very bad thing to allow a person to become another’s slave but it may be a better thing than making him starve. Even choices within an extremely restricted feasible set may make the chooser better off and thereby make society wealthier.“ 373  Vgl. §  16 B. 374 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 41: „[I]ncome is not desired for its own sake.“; Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  19: „Commodity command is a means to the end of well-being, but can scarcely be the end itself. To think otherwise is to fall into the trap of what Marx (1887) called, ‚commodity fetishism‘ – to regard goods as valuable in themselves and not for (and to the extent that) they help the person.“ [Hervorhebung im Original]; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  281. 375  Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  401. 376 Vgl. Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  113 f.

§  4 Befähigung und Wohlergehen

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das Sein und Tun der Menschen verwendet.377 Damit greift der Befähigungsansatz eine Grundidee der aristotelischen Ethik auf: „Das Leben des Gelderwerbs (chrēmatistēs bios) hat etwas Erzwungenes, und der Reichtum ist sicher nicht das gesuchte Gut. Denn er ist nützlich (chrēsimos), das heißt, er wird [nur] anderem zuliebe erstrebt.“378

Weil Güter lediglich als ein Werkzeug zur Gewährleistung menschlicher Freiheiten betrachtet werden, könnte man meinen, der Befähigungsansatz unterscheidet sich in diesem Punkt nicht von J. Rawls’ Grundgüteransatz. Auch dieser sieht in den Grundgütern ja lediglich ein Instrument der Freiheitsförderung.379 Sie eröffnen den Gesellschaftsmitgliedern die Freiheit, ihre Lebenspläne zu verwirklichen. Eine derartige Einschätzung übersieht jedoch, dass der Sen’sche Güterbegriff nicht mit dem Begriff der Grundgüter identisch ist. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass J. Rawls zu den wichtigsten Arten gesellschaftlicher Grundgüter nicht nur das Einkommen und das Vermögen zählt, sondern auch Freiheiten und Chancen.380 Während es in J. Rawls’ Ansatz damit um ein vielschichtiges „Grundgüterset“381 geht, wird der Güterbegriff des Befähigungsansatzes in dieser Schrift viel enger gedacht. Er beschränkt sich auf die individuelle Einkommens- und Vermögensausstattung.382 Umfasst sind damit die einer Person zur Verfügung stehenden materiellen und immateriellen Vermögensgüter, die monetär bewertet und auf einem expliziten Markt gehandelt werden können, sowie sämtliche einer Person zur Verfügung stehenden Einkommensquellen (im Folgenden kurz „Güter“ genannt). Namentlich also das Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit sowie das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, aus Renten, Pensionen, aus Unterhaltszahlungen, aus Vermögen und Sozialtransfer. Mit dem Begriff „Güter“ werden dementsprechend weder

377  Nussbaum, in: Douglass et al., Liberalism and the Good, 1990, S.  203, 210: „The basic intuitive idea used by the Aristotelian conception to argue against this is the idea that wealth, income, and possessions simply are not good in themselves. However much people may actually be obsessed with heaping them up […], what they have really, when they have them, is just a heap of stuff. A useful heap, but a heap nonetheless, a heap that is nothing at all unless it is put to use in the doings and beings of human lives.“ 378  Aristoteles, Nikomachische Ethik, nach der Übersetzung von Wolf, 7.  Aufl. 2018, S.  49 [Hervorhebung im Original]. 379 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  195. 380  Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  112. 381  Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, 2000, S.  78. 382 Vgl. Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.   16; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  89. Treffend wird die Kategorie der Güter daher auch unter den Begriff „finanzielle Potenziale“ gefasst, vgl. Arndt et al., Das Konzept der Verwirklichungschancen (A. Sen) – Empirische Operationalisierung im Rahmen der Armuts- und Reichtumsmessung, 2006, S.  8. Ein anderes Verständnis legen Bartelheimer et al., Amartya Sens wohlfahrtstheoretischer Ansatz, 2008, S.  11, zugrunde. Sie gehen davon aus, dass Güter Markt­ güter und Nicht-Marktgüter von materieller oder immaterieller Beschaffenheit umfassen.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

„rechtlich gesicherte Handlungschancen“383 noch menschliche Freiheiten erfasst. Die Letztgenannten werden vielmehr in die eben dargestellte MittelZweck-Beziehung eingebettet. Weil A. Sen die Nützlichkeit der Güter nur in den Dingen sieht, die sie uns zu tun ermöglichen,384 bilden die Güter das freiheitsfördernde Werkzeug und die menschlichen Fähigkeiten das maßgebliche Bewertungskriterium. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis lässt sich nun auch einfach erklären, warum der Befähigungsansatz in einem schroffen Gegensatz zu dem in der ökonomischen Analyse des Rechts verwendeten „Reichtumsmaximierungsprinzip“ („wealth maximization principle“)385 steht. Um den entscheidenden Unterschied plausibel zu machen, müssen nicht sämtliche Facetten dieses von R. A. Posner entwickelten Entscheidungskriteriums erläutert werden. Es genügt, den Blick auf sein zentrales Handlungsziel zu richten. Das Ziel, das es mithilfe des Rechts zu verwirklichen gilt, besteht darin, den Reichtum einer Gesellschaft zu erhöhen.386 Dass sich die Wahl dieser Zielgröße auf die Frage auswirkt, inwiefern das Vertragsrecht einen Entwicklungsfaktor darstellt, kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden. Am Ende des zweiten Kapitels wird dieser Punkt ausführlich betrachtet werden.387 Für den weiteren Gang der Untersuchung ist zunächst bedeutsam, dass der Begriff des gesellschaftlichen „Reichtums“ nicht etwa mit der Summe aller Güter im Sen’schen Sinn identisch ist. Ein Unterschied besteht bereits darin, dass R. A. Posners Reichtumsbegriff auch implizite Märkte und damit solche Güter umfasst, die nicht auf einem Markt gehandelt werden. So wird beispielsweise das Gut „Freizeit“ einbezogen, obwohl es nicht als ein handelbares Gut qualifiziert werden kann, das auf einem speziellen „Markt für Freizeit“ getauscht werden könnte.388 Dabei wird davon ausgegangen, dass Freizeit ebenfalls einen monetären Preis hat, einen „shadow price“ 389, weil ein Mehr an Freizeit einen Verzicht auf entsprechende Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit impliziert.390 Mit der Summe aller Güter kann der 383 Dazu Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  32: „Güter [sind] eigentlich nichts anderes als rechtlich gesicherte Handlungschancen, sie sind Bündel von Rechten.“ 384  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  25. 385  Vgl. dazu Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.   103, 119 ff.; Posner, J. Leg. Stud. 9 (1980), S.  243; Posner, Notre Dame J. L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85 ff.; Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15 ff.; Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  356 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  13 ff. 386  Vgl. nur Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 119: „But for my normative purposes I want to define the maximand more narrowly, as ‚value‘ in the economic sense of the term or, more clearly I think, as ‚wealth‘.“ 387  Vgl. §  10 C. I. 388 Vgl. Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 17. 389  Becker, The Economic Approach to Human Behavior, 1976, S.  6; Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 93. 390 Vgl. Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 18.

§  4 Befähigung und Wohlergehen

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von R. A. Posner definierte Reichtumsbegriff also nicht identisch sein, weil im hier vorgeschlagenen Güterbegriff des Befähigungsansatzes eine vergleichbare Ausdehnung auf implizite Märkte fehlt.391 Viel gewichtiger ist allerdings ein anderer Aspekt, der zugleich den „utilitaristischen Charakter“392 der Rechts­ ökonomik hervortreten lässt: Anders als im Befähigungsansatz wird die Funktion von Reichtum nicht in der Förderung der individuellen Freiheiten gesehen. Zwar geht R. A. Posner nicht davon aus, dass Reichtum einen intrinsischen Wert hat. Er erkennt ausdrücklich an, dass ihm nur eine instrumentelle Bedeutung zukommt: „One does not value wealth for itself but for something else, and once we identify the something else, we can orient our social institutions toward accomplishing that end and cease pursuing the merely instrumental goal of maximizing wealth.“393

Statt wie A. Sen auf die übergeordnete Referenzgröße „Freiheiten“ zu rekurrieren, verharrt R. A. Posner allerdings im Nutzenkonzept, denn er behauptet nicht nur, dass sich Reichtum positiv auf den Nutzen auswirke,394 sondern auch, dass Reichtumsmaximierung als Entscheidungsregel für den Regelutilitarismus heranzuziehen sei.395

C. Umwandlungsfaktoren Bereits bei der Darstellung von A. Sens Kritik am Rawls’schen Differenzprinzip wurde darauf hingewiesen,396 dass ein güterorientierter Ansatz zur Beurteilung des individuellen Wohlergehens die Variabilität in der menschlichen Fähigkeit, Güter für die eigenen Zwecke zu nutzen, vernachlässigt.397 Diesen Punkt auf391  Aus demselben Grunde ist der Reichtumsbegriff auch nicht mit dem Bruttoinlandsprodukt einer Volkswirtschaft gleichzusetzen, vgl. Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 120; Posner, The Economics of Justice, 1983, S.  61; Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol‘y, 2 (1985), S.  85, 87; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  187. 392 So Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35. 393  Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 95. Vgl. auch Posner, J. Leg. Stud. 9 (1980), S.  243, 245; Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  379; Posner, in: Owen, Philosophical Foundations of Tort Law, 1995, S.  99, 101; in diesem Sinn auch Cooter/ Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  10. Siehe hierzu ferner §  10 C. I. 394  Posner, The Economics of Justice, 1983, S.  66. 395  Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 98: „Wealth maximization is a more effective instrument for attaining the goals of utilitarianism than utilitarianism it­ self. Stated otherwise, wealth maximization is the correct rule of decision in a system of rule utilitarianism.“; Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 20: „It seems […] that wealth maximization is the political principle that utilitarianism needs if it is to work.“ 396  Vgl. §  3 B. II. 397 Vgl. Neuhäuser, zfwu 15 (2014), S.  198, 208.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

greifend, lautet die entscheidende Frage: Wie kann es gelingen, dass bei gleichzeitiger Entsubjektivierung der Bewertungsgrundlage die Heterogenität der Menschen sowie ihre individuelle Einbettung in eine konkrete Gesellschaft berücksichtigt wird? I. Persönliche Umwandlungsfaktoren Man betrachte zur Beantwortung dieser Frage nochmals das oben genannte Beispiel, in dem eine Person über das Gut „Fahrrad“ verfügt. Wie gesagt, ist die Kategorie des Gutes „Fahrrad“ von der Tätigkeit des Fahrradfahrens zu unterscheiden. Eine Person, die zwar über ein Fahrrad verfügt, aufgrund einer körperlichen Behinderung jedoch nicht in der Lage ist, Fahrrad fahren zu lernen,398 wird aus dem Gut „Fahrrad“ keine Mobilität und letztlich auch keinen Nutzen ziehen. Der aus dem Gebrauch eines Gutes resultierende individuelle Vorteil hängt also offensichtlich von den subjektiven Konditionen jedes Einzelnen ab.399 Wie können diese Bedingungen sichtbar gemacht werden? Die Antwort hierauf findet sich in der Kategorie der sogenannten persönlichen Umwandlungsfaktoren („personal conversion factors“).400 Diese umfassen sämtliche angeborenen sowie erworbenen natürlichen Persönlichkeitsmerkmale, die in der Person selbst ihren Grund haben und dementsprechend weder durch den Staat noch durch andere Gesellschaftsmitglieder unmittelbar verändert werden können. Einzelne dieser persönlichen Konversionsfaktoren können lediglich von außen, und damit auch durch gesetzliche Normen, in gewisser Weise „reguliert“ werden. Davon wird später noch genauer zu sprechen sein.401 Als Beispiele für natürliche Persönlichkeitsmerkmale können genannt werden: das Alter, das Geschlecht, der Bildungs- und Wissensstand, die Intelligenz, der Gesundheitszustand sowie körperliche und geistige Behinderungen.402 Nicht jedoch die individuelle Einkommens- und Vermögensausstattung, weil diese bereits von der Kategorie des „Gutes“ erfasst wird. 398 Vgl.

Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 160. dazu auch folgendes Beispiel: „[I]f women are given some legal rights through a process of reform which they did not earlier have, this may look like a legal development, and in a sense it clearly is that. And yet, if the focus of legal development is to give women rights that they can exercise, then this putative legal development may be constitutively hollow if women do not manage in fact to exercise any of these rights because of, say, illiteracy.“, vgl. Sen, in: Palacio, World Bank Legal Review, 2006, S.  33, 39. 400  Andere sprechen von „persönlichen Technologien“ sowie von „inneren Umständen“, so etwa Leßmann, Konzeption und Erfassung von Armut, 2009, S.  254, oder von „non-choice factors“, so Browne et al., in: Salais/Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  205, 208. Im deutschsprachigen Schrifttum findet sich auch die Bezeichnung „nichtfinanzielle Potenziale“, so Arndt et al., Das Konzept der Verwirklichungschancen (A. Sen) – Empirische Operationalisierung im Rahmen der Armuts- und Reichtumsmessung, 2006, S.  8. 401  Vgl. §  8 A. 402  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  1; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  89 f., 111. 399 Instruktiv

§  4 Befähigung und Wohlergehen

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II. Soziale Umwandlungsfaktoren Mit den persönlichen Umwandlungsfaktoren hat man einen Anknüpfungspunkt geschaffen, um die personenimmanente Diversität in der Fähigkeit zur Güterumwandlung zu berücksichtigen. Es ist nun wichtig zu sehen, dass die individuellen Persönlichkeitsmerkmale nicht den einzigen „nicht-monetären“403 Faktor bilden, der den menschlichen Freiheitsraum positiv oder negativ beeinflusst. Ob ein Mensch über die Freiheit verfügt, seinen eigenen Lebensplan zu realisieren, ob er – um das Beispiel erneut aufzugreifen – das Gut „Fahrrad“ in Mobilität umwandeln kann, hängt neben den persönlichen Umwandlungsfaktoren auch von den realen, das Individuum umgebenden gesellschaftlichen Bedingungen ab. „The capability of a person depends on a variety of factors, including personal characteristics and social arrangements.“404

Zu diesen sozialen Einflussgrößen zählen etwa die Menge der auf dem Markt zur Auswahl stehenden Güter,405 die Preise dieser Güter406 sowie bestimmte Regelmäßigkeiten im Verhalten der Marktteilnehmer.407 Noch viele andere gesellschaftliche Faktoren können die Konversion verfügbarer Güter in Freiheiten beeinflussen. An dieser Stelle ist zunächst nur entscheidend, dass sämtliche dieser externen Bedingungen nicht-monetärer Art im Befähigungsansatz durch die Kategorie der sozialen Umwandlungsfaktoren („social conversion factors“)408 ausgedrückt werden409 und – was für diese Schrift von zentraler Bedeutung ist – durch rechtliche Normen unmittelbar beeinflusst werden können. Auf diesen Aspekt wird im Detail zurückzukommen sein.410 403 Vgl. Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.   5, 11 („monetary con­ straints“); Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27, 34, bezeichnen die Umwandlungsfaktoren hingegen als „non-choice factors“. 404  Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 33 [Hervorhebung hinzugefügt]. Siehe auch Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 42: „What is really important is to take note of the interpersonal and intersocial variations in the relation between incomes and capabilities.“ Als dritter Umwandlungsfaktor werden Umweltbedingungen genannt, vgl. Browne et al., in: Salais/Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  205, 209; Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 99; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  11; Schweiger/Graf, A Philosophical Examination of Social Justice and Child Poverty, 2015, S.  24; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  46. 405 Vgl. Atkinson, in: FS Sen, 1995, S.  17, 19. 406 Vgl. Atkinson, in: FS Sen, 1995, S.  19. 407 Der Einfluss vertragsrechtlicher Normen auf diese sozialen Umwandlungsfaktoren wird in §  10 C. II. untersucht. 408  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.   19 f.; Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 161, spricht von „external and social conditions“. 409  A. Sen bezeichnet sie auch als instrumentelle Freiheiten, vgl. Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  52 ff. 410  Vgl. §  8 A.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

Wie aus dem bisher Gesagten deutlich geworden sein sollte, treten also neben die individuelle Güterausstattung zwei Faktoren, die sich sowohl freiheitsfördernd als auch freiheitshindernd auswirken können: die persönlichen und die sozialen Konversionsfaktoren. Dass beide nicht-monetären Faktoren Einfluss auf die individuellen Fähigkeiten haben, soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden: Die Freiheit zur Titulierung einer Forderung wird in einer Gesellschaft ohne Gerichtssystem negiert. Freiheitseinschränkend kann insoweit aber auch eine aus einem mehrheitlich geübten sozialen Verhalten resultierende Verhaltensanforderung wirken,411 der zufolge „man“ eine Forderung nicht mithilfe staatlicher Gerichte titulieren lässt und jedes abweichende Verhalten Anlass für Verärgerung und Konflikte gibt.412 Staatliche Institutionen stellen damit ebenso wie soziale Normen gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren dar, die sich positiv oder negativ auf die Freiheiten der Gesellschaftsmitglieder auswirken. Ist der Forderungsinhaber weder körperlich noch geistig in der Lage, sein Anliegen gegenüber dem Prozessgericht oder einem selbst gewählten Vertreter zu formulieren, dann wirkt sich auch dieser Faktor negativ auf die persönliche Freiheit aus. Selbst wenn dieser Forderungsinhaber über das notwendige Geld zur Führung eines Prozesses verfügt, kann er diese Güter nicht in die entsprechende Freiheit umwandeln. Die persönlichen Umwandlungsfaktoren bilden insoweit ein Freiheitshindernis, das auch nicht durch eine Mehrung seiner Güter überwunden werden könnte. Daher führen rein materielle „Sozialleistungen innerhalb der Rechtspflege“413 in diesem Fall nicht zu einem Freiheitsgewinn.

Damit kann an dieser Stelle das folgende Zwischenergebnis festgehalten werden: Zu Beginn dieses Abschnitts stand die Frage, für welches Bewertungskriterium sich A. Sen in seinem Ansatz der Befähigung entscheidet, um sich sowohl von der wohlfahrtsökonomischen Nutzenorientierung als auch von einer Güterorientierung abzuwenden. Die Antwort lautet: Es sind die Freiheiten des Einzelnen, ein gelingendes Leben zu führen. Sie werden durch den Begriff der Fähigkeiten abgebildet. Diese bestimmen, „was wir tun oder nicht tun können, das, was wir sein oder nicht sein können“414. Die menschlichen Freiheiten werden durch drei Faktoren beeinflusst: (1.) die Güter der Individuen, d. h. die Einkommens- und Vermögenssituation; (2.) die sozialen Umwandlungsfaktoren und (3.) die persönlichen Umwandlungsfaktoren. Fügt man diese Bausteine zusammen, nimmt der Befähigungsansatz die folgende Gestalt an:

411 

Zum Begriff sozialer Normen Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  6 4 f. dazu Bartelheimer et al., Amartya Sens wohlfahrtstheoretischer Ansatz, 2008, S.  28: „Ferner ist denkbar, dass die Option ohne weiteres wählbar wäre, es aber psycho­ logische Gründe gibt, die dem entgegenstehen, z. B. habitusbedingte Verhaltensregeln, gegen die zu verstoßen Überwindung kosten würde.“ 413  So die Bezeichnung von Nöker, in: Weyland, BRAO, 10.  Aufl. 2020, §  49a Rn.  2. 414  Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  37. 412 Vgl.

§  5 Freiheitsorientiertes Armutsverständnis

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Soziale Umwandlungsfaktoren

Güter

Umwandlung

Fähigkeiten

Entscheidung

Funktionsweisen

Nutzen

Persönliche Umwandlungsfaktoren

Abbildung 3415: Umwandlungsfaktoren

§  5 Freiheitsorientiertes Armutsverständnis Die Ausführungen in §  4 haben den Überblick zu A. Sens Befähigungsansatz abgeschlossen. In diesem letzten Abschnitt des ersten Kapitels geht es nun einen Schritt weiter. Es wird die für diese Schrift entscheidende Frage beantwortet, was die Perspektive der Befähigung für eine Analyse von Armut bedeutet. Dazu werden in einem kurzen Exkurs die Hauptprobleme der Armutsmessung skizziert. Dies ist deshalb sinnvoll, weil damit verdeutlicht werden kann, dass Armutsforschung immer ein normatives Unterfangen ist – ein Umstand, der vor allem in der empirischen Armutsberichterstattung nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck gebracht wird.

A. Armutsmessung und Werturteile Im Zusammenhang mit der Messung von Armut sind zwei methodische Grundprobleme zu unterscheiden.416 Das eine betrifft die Identifikation der Armen. 415  Angelehnt an Bovin, in: de Munck/Zimmermann, La Liberté au Prisme des Capacités, 2008, S.  237, 244. 416 Vgl. Sen, Econometrica 44 (1976), S.   219; Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285; Sen, Choice, Welfare and Measurement, 1982, S.  373; Hagenaars/de Vos, J. Hum. Resour. 23 (1988), S.  211; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  102; Kakwani, in: Silber, Handbook on Income Inequality Measurement, 1999, S.  599. Ein drittes Problem betrifft die „Verzeitlichung“ der Armut, d. h. die unterschiedlichen zeitlichen Erscheinungsformen von Armut also kurz, lang, mit und ohne Unterbrechung. Vgl. zur Betrachtung von Armutslagen im Zeitverlauf nur Bane/Ellwood, J. Hum. Resour. 21 (1986), S.  1 ff.; Leisering, Theorie und Praxis der sozialen Arbeit 45 (1994), S.  282 ff.; Hauser/Voges, ZSR 44 (1998), S.  308, 320 ff.; Weikard, Schmollers Jahrbuch 120 (2000) S.  25 ff.; Faik, WiSt 34 (2005), S.  542, 546 f.; Leisering/Buhr, in:

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Erstes Kapitel: Grundlegung

Zu dessen Lösung müssen zwei Teilaufgaben erledigt werden: Man muss einerseits den unpräzisen Armutsbegriff ausfüllen und sich andererseits entscheiden, wo die Scheidelinie zwischen armen und nicht-armen Mitgliedern einer Gesellschaft zu ziehen ist. Bei dem hiervon zu trennenden anderen Grundproblem – dem sogenannten Aggregationsproblem – geht es darum, wie das Ausmaß der gesamtgesellschaftlichen Armut dargestellt werden kann.417 Die beiden methodischen Grundprobleme der Armutsmessung werden durch die nachfolgende Skizze illustriert: Armutsmessung

Identifikationsproblem

Aggregationsproblem

Was kennzeichnet Armut?

Wer ist arm und wer ist nicht-arm?

Abbildung 4 418: Armutsmessung

I. Aggregationsproblem Wendet man sich zunächst dem Aggregationsproblem zu, dann stößt man auf den Begriff der „head-count ratio“. Dabei handelt es sich um die einfachste Methode, das Ausmaß der Armut in einer Gesellschaft zu bestimmen. Es werden lediglich diejenigen Gesellschaftsmitglieder addiert, die unterhalb einer zuvor definierten Armutsgrenze liegen, und die Summe wird im Anschluss als Prozentsatz der Gesamtbevölkerung wiedergegeben.419 Der Nachteil dieses Ansatzes ist offenkundig: Weil die „head-count ratio“ nur den Anteil der Bevölkerung unterhalb einer zuvor definierten Armutsgrenze ausdrückt, gibt sie keine Aus-

Huster et al., Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung, 2.  Aufl. 2012, S.  147 ff.; Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  111 ff. 417 Vgl. Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285. 418  In Anlehnung an Sen, Econometrica 44 (1976), S.  219. 419 Vgl. Sen, Econometrica 44 (1976), S.  219; Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285, 294; Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 165; Atkinson, Econometrica 55 (1987), S.  749, 750; Sen, In­ equality Reexamined, 1992 (1995), S.  102; Deaton, in: Banerjee et al., Understanding Poverty, 2006, S.  3, 8; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  25, 370.

§  5 Freiheitsorientiertes Armutsverständnis

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kunft über die Intensität der Armut in einer Gesellschaft.420 Dies ist aus drei Gründen problematisch: Zum Ersten schlägt sich eine Verschlechterung der Lebenslage derjenigen Menschen, die bereits unterhalb der Armutsgrenze leben, nicht in der „head-count ratio“ nieder. Zum Zweiten wirkt sich eine politische Maßnahme, die zwar die Lebensqualität einiger armer Menschen verbessert, diese aber nicht über die zuvor bestimmte Scheidelinie hebt, nicht positiv auf das Armutsmaß aus. Zum Dritten besteht die Gefahr, dass sich politische Armutsstrategien etablieren, die sich auf diejenigen Menschen konzentrieren, die sich knapp unterhalb der Armutsgrenze befinden. Geholfen wird also vorrangig den Reichsten unter den Armen. In diesem Fall sinkt zwar das Ausmaß der Armut in einer Gesellschaft, an der Situation der Ärmsten ändert sich jedoch nichts.421 Will man im Lichte dieser Konsequenzen auch die Intensität der gesellschaftlichen Armut erfassen, muss ein zusätzliches Maß eingeführt werden: die „in­ come-gap ratio“. Sie bringt, vereinfacht gesagt, zum Ausdruck, wie weit die Mitglieder einer Gesellschaft von der Armutsgrenze entfernt sind.422 Konkret bedeutet das: Wenn die Armen ärmer werden, dann spiegelt sich diese Entwicklung im Armutsmaß wider. Wichtig ist zu sehen, dass damit nur die Intensität der Armut, nicht jedoch die Disparität zwischen den Armen einbezogen wird. Das Maß ändert sich demgemäß nicht, wenn ein weniger Armer einem noch Ärmeren etwas wegnimmt, aber nur so viel, dass auch der Reichere von den beiden Armen unterhalb der Armutsgrenze bleibt.423 Auf einen Transfer innerhalb der Armen, der den Empfänger nicht über die Armutsgrenze hebt, reagiert die „income-gap ratio“ also nicht.424 Gleiches gilt offensichtlich für die „headcount ratio“.425 Um auch dieses Transferproblem in den Griff zu bekommen, hat A. Sen einen axiomatischen Ansatz entwickelt.426 Im sogenannten Sen-Index werden zwei unmittelbar einleuchtende Anforderungen (Axiome) festgelegt: das Monotonie-Axiom („monotonicity axiom“), dem zufolge sich eine Verringerung des Einkommens einer Person unterhalb der Armutsgrenze bei sonst identischen Umständen in einem Anstieg des Werts des Armutsmaßes niederschlägt,427 und das Transfer-Axiom („transfer axiom“), wonach unter sonst gleichen Umständen eine Einkommensverschiebung von einer armen Person zu 420 Vgl. Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285, 295; Sen, Collective Choice and Social Wel­ fare, 1970 (2017), S.  29, 370. 421 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  105; Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  40; Deaton, in: Banerjee et al., Understanding Poverty, 2006, S.  3, 8. 422  Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285, 294; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  103; Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  41; Faik, WiSt 34 (2005), S.  542, 543 f. 423  Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  41. 424 Vgl. Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285, 295. 425 Vgl. Sen, Econometrica 44 (1976), S.  219. 426 Vgl. Sen, Econometrica 44 (1976), S.   219 f.; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  103 f.; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  29, 370. 427  Sen, Econometrica 44 (1976), S.  219.

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einer weniger armen Person zu einer Erhöhung des Armutsmaßes führt, wenn der Empfänger auch nach diesem Transfer noch arm ist.428 Mit dieser kursorischen Darstellung verschiedener Armutsmaße soll es hier sein Bewenden haben. Es sollte deutlich geworden sein, dass jede Wahl eines Armutsmaßes, insbesondere die Bestimmung derjenigen Bedingungen, die gegebenenfalls axiomatisch vorgegeben werden, offensichtlich ein normatives Unterfangen ist. Diesem geht in der Armutsmessung ein wichtiger Schritt voraus, der mit einer Vielzahl weiterer werturteilsbehafteter Entscheidungen verbunden ist. Es handelt sich dabei um die Lösung des bereits angesprochenen Identifikationsproblems. II. Identifikationsproblem Bei diesem Problem geht es nicht nur um die Frage: Was kennzeichnet Armut in der sozialen Wirklichkeit? Es geht auch darum zu bestimmen, wo die Grenze zwischen armen und nicht-armen Gesellschaftsmitgliedern verläuft. Insoweit gilt es insbesondere zu klären, ob Menschen arm sind, weil sie wenig von etwas oder weniger als andere haben.429 1. Was kennzeichnet Armut? Will man die erste Frage beantworten (Was kennzeichnet Armut?), lässt sich zunächst feststellen, dass es der intuitiven Überzeugung der meisten Menschen entsprechen wird, ein Leben ohne Armut sei einem solchen in Armut vorzuziehen.430 Es wird auch nicht wenige geben, die leicht und bestimmt einige Beispiele für ein Leben in Armut aufzählen können. Dabei werden sie in aller Regel431 nicht nur bestimmte Lebenssituationen beschreiben, sondern zugleich eine negative Bewertung zum Ausdruck bringen.432 Instruktiv sind dazu die Gesetzgebungsmaterialien zum Gesetz über die Prozesskostenhilfe.433 Dort heißt es: 428 Vgl.

Sen, Econometrica 44 (1976), S.  219; Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285, 293 f. Neuhäuser, ARSP 96 (2010), S.  542, 547. 430 Ebenso Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 98; Neuhäuser, ARSP 96 (2010), S.  542, 547. 431  Mit dem Wort „Armut“ kann aber auch ein positives Bild eines religiös oder spirituell begründeten freiwillig gewählten Idealzustands in Form eines von Askese und Demut geprägten Lebens vermittelt werden („arm, aber nicht unglücklich“), siehe hierzu Bammer, in: Böhm et al., Arbeit am Begriff der Armut, 2003, S.  19. Zur Armut als Ideal eines christlichen Lebens vgl. etwa die Seligpreisung der Armen im Evangelium nach Lukas (Lukas 6, 20–23). 432  Jacobs, Soziale Welt 46 (1995), S.  403, 405 f.; Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S.  35; Möhring-Hesse, ZfMR 2 (2008), S.  7; Schweiger/Graf, A Philosophical Examina­ tion of Social Justice and Child Poverty, 2015, S.  2: „Describing an adult or child as poor is in most cases also meant to describe the living condition of this person as bad and, to some extent, morally wrong.“; Suter, Armut und Diskriminierung, 2015, S.  2, 62. Zu einem vergleichbaren Problem im Zusammenhang mit dem Entwicklungsbegriff vgl. Dann, in: Dann et al., Entwicklung und Recht, 2014, S.  19, 36. 433  BGBl. I 1980, S.  677. 429  Vgl.

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„Die heutige Gesellschaft ist konsum- und leistungsorientiert. Es besteht die Tendenz, in der Armut ein persönliches Scheitern zu erblicken.“434 Aufgrund dieser negativen Konnotation des Armutsbegriffs hat der Gesetzgeber „die von dem Begriff ‚Armenrecht‘ ausgehende diskriminierende Wirkung“435 beseitigt und den Begriff „Armenrecht“ durch die Bezeichnung „Prozesskostenhilfe“ ersetzt. Mit der Feststellung, dass dem Armutsbegriff in der Regel eine negative emotive Bedeutung zukommt, ist freilich nicht viel gewonnen. Denn die entscheidende Frage, was den Zustand des Mangels kennzeichnet, ist weiterhin unbeantwortet. Obwohl jeder eine konkrete Vorstellung von Armut hat, werden die wenigsten eine exakte Definition dieses Begriffs liefern können. Was meinen wir also genau, wenn wir jemanden als arm beschreiben? Versucht man hierauf eine Antwort zu gegeben, muss man zunächst erkennen, dass es einen eindeutigen Bedeutungsgehalt für das Wort „Armut“ nicht gibt. Es ist vielmehr – wie die meisten Wörter – mehrdeutig, d. h., das Wort „Armut“ kann in der Umgangssprache, aber auch in der Fachsprache je nach Kontext verschiedene Bedeutungen haben.436 Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn man nicht die Verwendung des Substantivs „Armut“, sondern des Adjektivs „arm“ betrachtet. Einerseits kommt damit zum Ausdruck, „nur wenig Geld zu haben“ (z. B. der verarmte Adel).437 Diese monetäre Seite nehmen etwa die Vereinigten Großen Senate (§  132 Abs.  1 S.  2, Abs.  5 S.  3 GVG) in ihrem Beschluss zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach §  253 Abs.  2 BGB mit folgenden Worten in den Blick: „Die Verletzung einer ‚armen‘ Partei durch einen vermögenden Schädiger kann etwa bei einem außergewöhnlichen ‚wirtschaftlichen Gefälle‘ ein bei der Gesamtbetrachtung des Einzelfalles mit zu berücksichtigender Umstand sein.“438

Obwohl „arm“ nicht nur „bedürftig“ oder „mittellos“ heißen kann, sondern auch „unglücklich“, „bedauernswert“, „beklagenswert“439 (der arme, unheilbar kranke Eigentümer eines Privatflugzeugs), wird niemand behaupten, die hier in Rede stehende „arme“ Partei sei deshalb arm, weil es sich um einen „unglückseligen, bedauernswerten Menschen“ handele, der trotz seines möglichen materiellen Reichtums als „arm“ zu qualifizieren sei. Aus dem sprachlichen Kontext 434  BT-Drs. 8/3068, S.  19. In diesem Sinn auch das Schweizerische Bundesgericht, Urteil vom 16.12.2008, BGE 135 I 49, S.  56: „Armut und wirtschaftliche Abhängigkeit [können] insoweit zu Herabminderung und Stigmatisierung führen, als diese oftmals auf stereotyper Auffassung beruhen, die Lage der Betroffenen sei Ausdruck persönlichen Versagens oder gründe auf selbstverschuldetem Scheitern oder gar moralischer Schwäche […].“ 435  BT-Drs. 8/3068, S.  19. 436  Vgl. dazu Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  192. 437 Vgl. Bammer, in: Böhm et al., Arbeit am Begriff der Armut, 2003, S.  19, 23 („materielle Dimension“). 438  BGHZ 212, 48, 65 = NZV 2017, S.  179, 182 [Hervorhebung im Original]. 439  Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 9.  Aufl. 2019, „arm“.

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(„vermögender Schädiger“, „wirtschaftliches Gefälle“) ergibt sich vielmehr eindeutig, dass im zitierten Beschluss der Vereinigten Großen Senate allein die monetäre Dimension von „arm sein“ gemeint sein kann. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Bedeutung des Wortes „arm“ nicht auf den ersten Blick hervortritt. So wie etwa in dem bekannten Ausspruch Doktor Fausts: „Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor […]“440 . Dass sich Doktor Faust hier nicht über seine materielle Bedürftigkeit beklagt, sondern über seine unzureichenden Erfolge, „die Menschen zu bessern und zu bekehren“441, wird erst deutlich, wenn man den Satz in einen größeren Zusammenhang stellt.442 Neben der Mehrdeutigkeit und der damit verbundenen Kontextsensibilität des Armutsbegriffs sind die Variabilität des Vorstellungsinhalts und der hieraus resultierende inkonsistente Sprachgebrauch zu berücksichtigen. Denn je nach Herkunft, Lebens- und Bildungsgang, beruflicher und sozialer Situation hat jeder eine andere Vorstellung von Armut.443 In diesem subjektiven Armutsbild enthüllen sich immer die eigenen Wertvorstellungen, die ein Produkt der Erfahrung und damit letztlich des Zufalls sind. Was I. Kant über das Urteil über Schönheit schreibt, gilt analog für Armut: Es ist eben ein sehr parteiliches Urteil.444 Eine allgemein verbindliche Antwort auf die Frage, was die Armut kennzeichnet, kann es damit nicht geben. Es ist nur möglich festzuhalten, dass der Bedeutungskern des Begriffs „Armut“ durch ein privatives Element gekennzeichnet ist. Aber ab wann ein Mangel vorliegt und auf was sich dieses „Fehlen von etwas“ bezieht, wird jeder anders beurteilten. Obwohl sich damit keine objektive Bedeutung für den Armutsbegriff finden lässt – und man auch nicht vergessen darf, dass durch einen Begriff ohnehin nie die Realität unseres Daseins abgebildet werden kann445 – ist es natürlich nicht per se ausgeschlossen, sich innerhalb einer Gesellschaft auf eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Armut“ zu verständigen, mit dem ein konkreter Aspekt der Wirklichkeit begreifbar gemacht werden soll und der letztlich den in den einleitenden Vorbemerkungen angesprochenen politischen Handlungs-

440  Goethe, Faust. Der Tragödie Erster Teil, 1808 (2020), S.  13 [Hervorhebung hinzugefügt]. 441  Goethe, Faust. Der Tragödie Erster Teil, 1808 (2020), S.  13. 442 Hierzu Schäfers, JuS 2015, S.  875, 877. 443 Vgl. Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.   22 ff.; Eiffe/Heitzmann, VJH 1 (2006), S.  43 f.; Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  150. 444  Kant, Kritik der Urteilskraft, 1790 (1978), S.  117: „Ein jeder muß eingestehen, daß dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich das mindeste Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil sei.“ 445 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, 1807 (2017), S.  91 f.: „Sie meinen dieses Stück Papier, worauf ich dies schreibe, oder vielmehr geschrieben habe; aber was sie meinen, sagen sie nicht. Wenn sie wirklich dieses Stück Papier, das sie meinen, sagen wollten […] so ist dies unmöglich, weil das sinnliche Diese, das gemeint wird, der Sprache, die dem Bewußtsein, dem an sich Allgemeinen angehört, unerreichbar ist.“ [Hervorhebung im Original].

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druck erzeugt.446 Ruft man sich an dieser Stelle die Nutzenorientierung der Wohlfahrtsökonomik in Erinnerung, dann liegt es nahe, diese „Informationsbasis“ auch für eine Konturierung des Armutsbegriffs zu verwenden. Damit steht man allerdings erneut vor dem Problem, dass der Begriff „Nutzen“ nur ein Werkzeug ist, um das Wohl eines Menschen zu bestimmen. Wird ihm keine konkrete Bedeutung verliehen, bleiben der Nutzenbegriff inhaltsleer und eine Messung des Nutzens unmöglich.447 In der Armutsmessung wird daher auf „objektive“ monetäre Größen zurückgegriffen,448 z. B. auf Konsumausgaben, das Vermögen oder das Einkommen. Weil es allerdings als schwierig erachtet wird, genaue, auf einen konkreten Zeitraum bezogene Daten über die Konsum­ ausgaben oder das Privatvermögen empirisch zu erheben, wird heute in der Mehrzahl der Armutsanalysen das Einkommen als maßgebliche „Stromgröße“449 herangezogen.450 Das Identifikationsproblem wird also unter Verweis auf ein Erfassungsproblem gelöst. Schon die Auswahl dieses Armutsindikators (Einkommen statt Konsum bzw. Einkommen statt Vermögen) hat allerdings Folgen für das Ausmaß der gemessenen Armut.451 Zusätzlich muss man sich nun entscheiden, wie der Einkommensbegriff inhaltlich präzisiert wird. Betrachtet man das Netto- oder das Bruttoeinkommen? Wessen Einkommen ist maßgeblich? Das der Haushalte oder das der Individuen? Entscheidet man sich für das Haushaltseinkommen als maßgebliche Referenzgröße, sind weitere Wertungen zu treffen. Es muss nicht nur geklärt werden, wer zu einem Haushalt gehört; entscheidend ist vor allem auch, wie die aus einer gemeinsamen Haushaltsführung resultierenden Einspareffekte (z. B. durch eine gemeinsame Nutzung von teuren Haushaltsgeräten)452 sowie die zwischen erwachsenen Haushaltsangehörigen und minderjährigen Kindern bestehenden Bedarfsunterschiede berücksichtigt werden können.453 Die beiden letztgenannten Aspekte lassen sich zwar durch sogenannte Äquivalenzskalen darstellen.454 Mit deren

446  Für eine Übersicht über die in der Armutsforschung zu findenden Definition vgl. Spicker et al., Poverty: An International Glossary, 2.  Aufl. 2007, S.  230 ff. 447  Berthold/Brunner, WiSt 40 (2011), S.  520. 448  Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  1, 16. 449  Brodbeck, in: Sedmak, Option für die Armen, 2005, S.  59, 61. 450 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  102 (Fn.  1), 105 (Fn.  9); Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  66; Faik, WiSt 34 (2005), S.  542, 544; Berthold/Brunner, WiSt 40 (2011), S.  520, 521; Mrozynski, SGB I, 6.  Aufl. 2019, §  9 Rn.  11. 451  Vgl. dazu Piachaud, in: Leibfried/Voges, Armut im modernen Wohlfahrtstaat, 1992, S.  63, 85; Hauser, in: Hanesch, Sozialpolitische Strategien gegen Armut, 1995, S.  112, 113 f.; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  4 f.; Hauser, Wirtschaftsdienst 3 (2007), S.  172; Noll/Weick, ISI 37 (2007), S.  1 ff. 452 Vgl. Faik, WiSt 34 (2005), S.  5 42, 545 f. 453 Vgl. Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285, 291. 454  Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.  285, 292 f.; siehe dazu etwa BAG, BeckRS 2020, 18338.

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Bestimmung sind allerdings weitere Werturteile verbunden, die Konsequenzen für das Ausmaß der gemessenen Armut haben.455 2. Wer ist arm und wer ist nicht-arm? Mit der Entscheidung für einen bestimmten Indikator, anhand dessen Armut gemessen wird, ist noch nicht gesagt, welche Mitglieder einer Gesellschaft zu der Gruppe der Armen und welche zu der Gruppe der Nicht-Armen gehören. Es ist also offen, wo das Zuwenig anfängt, das die Armut definiert.456 Man muss folglich eine Scheidelinie bestimmen, unterhalb deren Armut beginnt. Dies geschieht gewöhnlich mithilfe der folgenden beiden Ansätze:457 Der erste Ansatz geht davon aus, dass sich eine vom gesellschaftlichen und zeitlichen Kontext unabhängige Grenze zwischen Armen und Nicht-Armen feststellen lässt. Ein Mensch gilt als arm, wenn er über weniger als ein auf eine bestimmte Weise definiertes Minimum verfügt. Dieses Minimum wird durch einen angemessenen Mindestbedarf konkretisiert, welcher die für die Lebenserhaltung notwendigen Güter sichert (physisches Existenzminimum). Die Frage, wie sich dieser Mindestbedarf konkret zusammensetzt (oder wie an anderer Stelle anschaulich gefragt wird: „Muß es ein Dach über dem Kopf sein oder reicht ein Pappkarton?“458), kann offensichtlich nicht ohne eine Wertung beantwortet werden, die sich im Zeitablauf zudem verändern wird.459 Wenn beispielsweise der englische Ökonom A. Marshall im Jahr 1905 „den notwendigen Existenzbedarf eines gewöhnlichen Landarbeiters oder ungelernten städtischen Tagelöhners und seiner Familie“ beschreibt und darauf hinweist, dass dieser „aus einer guten Wohnung mit mehreren Zimmern, aus warmer Kleidung mit etwas Wechsel in Unterkleidern, frischem Wasser, reichlicher Getreidenahrung, mäßig viel Milch, Fleisch, ein wenig Tee etc. und aus etwas Bildung und Erholung“ bestehe und es zudem erforderlich sei, „daß die Arbeit seiner Frau genug Zeit läßt, um ihr die ordentliche Erfüllung ihrer Pflichten als Mutter und Gattin zu ermöglichen“460 , wird man aus der historischen Distanz behaupten dürfen, 455 Vgl. Hauser, Sozialer Fortschritt 47 (1998), S.  159, 161; Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  93 f.; Spicker et al., Poverty: An International Glossary, 2.  Aufl. 2007, S.  67 ff.; Mrozynski, SGB I, 6.  Aufl. 2019, §  9 Rn.  12. 456  Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  26. 457 Dazu Hagenaars/de Vos, J. Hum. Resour. 23 (1988), S.   211, 212; Berthold/Brunner, WiSt 40 (2011), S.  520, 522. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Armutsschwelle subjektiv zu bestimmen, indem man die Menschen danach fragt, ob sie so wenig zum Leben haben, dass sie sich von Armut betroffen fühlen. Vgl. dazu etwa v. Wiese, KZfSS 6 (1954), S.  42, 43; Goedhart et al., J. Hum. Resour. 12 (1977), S.  503, 506; Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  151 ff. 458  Piachaud, in: Leibfried/Voges, Armut im modernen Wohlfahrtstaat, 1992, S.  63, 65. 459  Treffend bereits Simmel, Der Arme, 1908 (2019), S.  83: „Allein es ist kein Maß dieser Bedürfnisse mit Sicherheit festzustellen, das unter allen Umständen und überall in Kraft wäre und unterhalb dessen also Armut im absoluten Sinne bestünde.“ 460  Marshall, Handbuch der Volkswirtschaftslehre, 1905, S.  115.

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dass diese Definition heute nicht mehr auf allgemeine Zustimmung stoßen wird. Indem A. Marshall auch „ein wenig Tee“ zum notwendigen Existenzbedarf eines jeden Engländers zählt, wird zudem deutlich, dass die Vorstellung darüber, was als physisches Existenzminimum anzuerkennen ist, nicht nur zeit-, sondern auch kulturabhängig ist. Zu einem weiteren Werturteil kommt es schließlich, wenn absolute Armut nicht mehr als physisches, sondern als soziokulturelles Existenzminimum definiert wird. Ein solches umfasst nicht nur die materiellen Voraussetzungen für die physische Existenz, sondern auch für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Damit nähert man sich dem sogleich zu betrachtenden relativen Ansatz an, denn die Frage, welche Voraussetzungen für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfüllt sein müssen, kann nicht ohne Bezug zum jeweiligen sozialen Kontext beantwortet werden. Der zweite Ansatz versucht, Armut nicht losgelöst vom allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung zu betrachten, sondern er zieht ausdrücklich das durchschnittliche Wohlstandsniveau einer Gesellschaft als Referenzrahmen heran.461 Für die Bestimmung, ob jemand als arm gilt, ist also nicht maßgeblich, ob er zu wenig von etwas hat, sondern ob er weniger hat als die anderen Mitglieder einer Gesellschaft.462 Armut ist demnach „a matter of economic and social distance“463, „a matter of deviation from social and economic norms“464. Dieser relative Ansatz hat zur seltsam anmutenden Folge, dass die in einem Land gemessene Armut nicht zunimmt, wenn alle Einkommen um 30 % sinken.465 Sie nimmt umgekehrt aber auch nicht ab, wenn das Einkommensniveau aller 461  Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des relativen Ansatzes war eine von P. Townsend vorgelegte Armutsstudie über Großbritannien. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen arm sind, „when they lack the resources to obtain the types of diet, partici­ pate in the activities and have the living conditions and amenities which are customary, or at least widely encouraged or approved, in the societies to which they belong“, Townsend, Poverty in the United Kingdom, 1979, S.  31. Vgl. auch Townsend, Br. J. Sociol. 13 (1962), S.  210: „‚[P]overty‘ and ‚subsistence‘ are relative concepts and […] they can only be defined in relation to the material and emotional resources available at a particular time to the members either of a particular society or different societies.“ Es gilt daher als das Verdienst von P. Townsend, mit dem Konzept der „relativen Deprivation“ ein ungleichheitsorientiertes Armutsverständnis begründet zu haben, welches sich nicht auf rein ökonomische Faktoren beschränkt, sondern den Gesichtspunkt der sozialen Teilhabe einbezieht; vgl. Groh-Samberg, Armut, soziale Ausgrenzung und Klassenstruktur, 2009, S.  36. Ein relativer Ansatz findet sich aber bereits bei K. Marx, Lohnarbeit und Kapital, 1849 (2000), S.  411: „Unsre Bedürfnisse und Genüsse entspringen aus der Gesellschaft; wir messen sie daher an der Gesellschaft; wir messen sie nicht an den Gegenständen ihrer Befriedigung. Weil sie gesellschaftlicher Natur sind, sind sie relativer Natur.“ 462  Neuhäuser, ARSP 96 (2010), S.  5 42, 547; Berthold/Brunner, WiSt 40 (2011), S.  520, 522. 463  Fuchs, Public Interest 8 (1967), S.  88. 464  Mencher, Br. J. Sociol. 18 (1967), S.  1, 7. 465  Vgl. dazu Sen, Scand. J. Econ. 81 (1979), S.   285, 289; Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 156.

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steigt.466 In einem relativen Konzept verringert sich die gemessene Armut nur dann, wenn sich die Verteilung der Wohlstandspositionen der Gesellschaftsmitglieder ändert. Damit wird die Bekämpfung von Armut jedoch zu einem aussichtslosen Unterfangen, weil in einem Land erst dann keine Armut mehr existiert, wenn es auch keinen Reichtum mehr gibt.467 Trotz dieser Unzulänglichkeiten ist das Konzept der relativen Einkommensarmut in der Praxis weit verbreitet. Es wird sowohl von der Bundesregierung468 und der Europäischen Kommission469 als auch vom Gerichtshof der Euro­päischen Union470 herangezogen. Im Zuge des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12.6.2020 471 hat die relative Einkommensarmut zudem Einzug in unsere Rechtsordnung gefunden (vgl. §  30 Abs.  3 S.  1 BetrAVG n. F.). Dabei gelten Personen als armutsgefährdet, deren bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60 % des Medianeinkommens beträgt. An dieser Stelle erkennt man, dass der Ansatz der rela­ tiven Einkommensarmut drei weitere Werturteile impliziert. Erstens wird bestimmt, unterhalb welches Prozentsatzes eine Person als arm qualifiziert wird. Dass die Wahl des Prozentsatzes von 60 nicht wissenschaftlich, sondern nur politisch zu erklären ist – und in aller Regel auch nicht näher begründet wird – ist offensichtlich.472 So wurde beispielsweise in den 1970er Jahren noch mit einem Wert von 50 % gerechnet.473 Zweitens wird gesagt, auf welchen Wert sich der Prozentsatz bezieht. Statt mit dem Medianeinkommen könnte man ebenso gut mit dem Durchschnittseinkommen rechnen.474 Drittens macht es einen Unterschied, welche Bezugspopulation man auswählt: die Bundesrepublik Deutschland, einzelne Bundesländer, Gemeinden, die gesamte Europäische

466 Vgl. Jacobs, Soziale Welt 46 (1995), S.  403, 407; Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  29 f. 467 Vgl. v. Wiese, KZfSS 6 (1954), S.  42, 44. 468  Vgl. nur Bundesregierung, 5. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 18/11980, S. IX; Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  39 f., sowie BTDrs. 19/14317, S.  2 f. 469  Vgl. nur die Mitteilung der Kommission: Europa 2020. Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, KOM(2010) 2020, S.  13 (Fn.  3). 470  EuGH, Urteil vom 19.12.2019, Rs. C-168/18, Rn.  46, NZA 2020, S.  107, 109. 471  BGBl. I 2020, S.  1248. 472 Vgl. Mrozynski, SGB I, 6.  Aufl. 2019, §  9 Rn.  4: „Dabei ist der Prozentsatz eine gegriffene Größe und noch weniger empirisch abzuleiten als die Regelbedarfe […].“ 473  Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  30. Auch in Bundesregierung, 1. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 14/5990, S.  38, findet sich etwa noch die 50 %-Grenze. 474 Das Durchschnittseinkommen stellt das arithmetische Mittel aller Einkommen dar. Das Medianeinkommen wird hingegen durch die Einkommenshöhe derjenigen Person bestimmt, welche – würde man alle Personen in Deutschland mit ihrem Einkommen in einer Reihe aufstellen – in der Mitte stünde. Vgl. dazu Suter, Armut und Diskriminierung, 2015, S.  26 (Fn.  129); Cremer, Armut in Deutschland, 2.  Aufl. 2017, S.  22; Mrozynski, SGB I, 6.  Aufl. 2019, §  9 Rn.  12.

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Union oder gar nur die Mitglieder einer bestimmten sozialen Schicht, wie es noch G. Simmel im Jahr 1908 im Sinn hatte?475 Dieser hier gegebene Überblick über einige mit der Armutsmessung verbundene Probleme war kursorisch, und die zahlreichen werturteilsbehafteten Entscheidungen, die mit einer empirischen Armutsanalyse einhergehen, konnten nur angedeutet werden. Drei Dinge dürften jedoch erkennbar geworden sein: Erstens: Wenn Politik, Medien und Wissenschaftler über die in einem Land bestehende Armut reden, haben sie zuvor eine Vielzahl wertender Entscheidungen getroffen, auf die allerdings in den wenigsten Fällen ausdrücklich hingewiesen wird. Armutsuntersuchungen sind niemals wertneutral. Das ist wichtig zu betonen, denn dieser Befund gilt gleichermaßen für die vorliegende Schrift. Die Anknüpfung an das – noch näher zu erläuternde – Sen’sche Armutsverständnis ist ein (angreifbares) Werturteil.476 Denn es wird kraft Setzung definiert, welche normativen Elemente im Armutsverständnis enthalten sein sollen. Zweitens: In einem relativen Armutskonzept verschwimmen die Unterschiede zwischen Armut und Ungleichheit.477 Die in den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung errechnete Armutsrisikoquote stellt lediglich eine Kennziffer für eine relativ niedrige Position in der Einkommensverteilung dar.478 Drittens: Wenn zur Identifikation der Armen das Einkommen oder eine andere finanzielle Größe als einziger Armutsindikator herangezogen wird, gibt das Messergebnis nur Auskunft über eine unzureichende materielle Wohlfahrt der Gesellschaftsmitglieder.479 Die reale Lebenssituation der Menschen wird indes nicht erfasst. Aus diesem Grund muss Armut mehr bedeuten als eine Unterausstattung mit materiellen Gütern.480

475  Simmel, Der Arme, 1908 (2019), S.  83: „Jedes allgemeine Milieu und jede besondere soziale Schicht besitzt typische Bedürfnisse, denen nicht genügen zu können, Armut bedeutet.“ 476 Vgl. Barlösius, in Barlösius/Ludwig-Mayerhofer, Die Armut der Gesellschaft, 2001, S.  69, 70: „Jeder Armutsbegriff bleibt angreifbar und strittig.“ 477 Vgl. Jacobs, Soziale Welt 46 (1995), S.  403, 417; Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  30, 52; Spicker et al., Poverty: An International Glossary, 2.  Aufl. 2007, S.  169. 478 Vgl. Bundesregierung, 4. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 17/12650, S.  23; Bundesregierung, 5. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 18/11980, S. IX; Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  39; BT-Drs. 19/2804, S.  2. 479  Faik, WiSt 34 (2005), S.  5 42, 543; im Ergebnis ebenso Brodbeck, in: Sedmak, Option für die Armen, 2005, S.  59, 62. 480  Siehe auch Neumann, NVwZ 1995, S.  426, 431: „Daraus folgt, daß jede Maßnahme zu kurz greift, die sich auf die finanzielle Absicherung des Existenzminimums beschränkt.“; Berlit, Kritische Justiz 2010, S.  145, 162: „Armut ist eben mehr als Einkommensarmut.“; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  78: „Die finanzielle Kompensation von Armut führt nicht dazu, dass diese verschwindet“; Mrozynski, SGB I, 6.  Aufl. 2019, §  9 Rn.  15: „Armut ist nicht so eindimensional, als dass sie durch den Mangel am materiellen Mitteln bereits entsteht oder durch ihre Verfügbarkeit bereits behoben werden könnte.“

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B. Armut als Mangel an Grundfähigkeiten Der letztgenannte Punkt bedarf der Vertiefung. Warum verhindert eine Konzentration auf monetäre Größen die Herausbildung eines Verständnisses für die tatsächlichen Lebensbedingungen und die individuelle Bedürftigkeit der Mitglieder einer Gesellschaft? Zur Verdeutlichung der zweifelhaften Rolle monetärer Größen als alleinige Armutsindikatoren empfiehlt sich ein kurzer Blick auf folgendes Beispiel:481 Ein Mensch leidet unter einer körperlichen Behinderung, die dazu führt, dass er weniger Einkommen als andere Menschen erzielen kann. Dieses „income-earning handicap“482 kommt zwar in einer einkommensbasierten Armutsanalyse zum Ausdruck. Unberücksichtigt bleibt demgegenüber, dass er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse in der Regel mehr Ressourcen einsetzen muss als ein Gesunder. Er hat also zusätzlich ein „income-using handicap“483. Wenn sich etwa eine querschnittsgelähmte Person ungehindert fortbewegen möchte, dann werden die Kosten, die ihr entstehen, um diesen Mobilitätswunsch zu erfüllen, wesentlich höher sein als die eines gesunden Menschen. Ihre „unabsichtlich teure Vorliebe für Mobilität“484 wird in einer einkommensbasierten Armutsanalyse ausgeblendet. Ein weiteres Problem ist: Geldwerte sowie staatliche Sach- und Dienstleistungen spiegeln sich in einer einkommensorientierten Analyse ebenfalls nicht wider, obgleich sie den Lebensstandard der Gesellschaftsmitglieder nachhaltig verbessern können.485 Als Beispiel sei die in einem Land bestehende Möglichkeit genannt, ein Studium ohne Studiengebühren zu absolvieren. Will man diese beiden, hier nicht annähernd in allen ihren Schattierungen dargestellten Nachteile einer einkommensbasierten Armutsanalyse vermeiden, gibt es nur einen Ausweg: Man muss sich von einem eindimensionalen Armutsverständnis verabschieden und ein Armutskonzept heranziehen, das neben monetären Größen weitere Faktoren berücksichtigt.

481  Dieses Beispiel findet sich bei Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  20. Vgl. dazu auch Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  75. 482  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  113; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  286 („Erwerbs-Handikap“). 483  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  113. 484  So die Formulierung von Anderson, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  117, 126. 485 Vgl. Bundesregierung, 4. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 17/12650, S.  23. Siehe dazu auch Maasoumi, in: Silber, Handbook on Income Inequality Measurement, 1999, S.  437; Krämer, Armut in der Bundesrepublik, 2000, S.  76 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  638.

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I. Mehrdimensionalität Eines dieser mehrdimensionalen Konzepte stellt der in der Europäischen Sozial­ politik486 gebräuchliche Ansatz der sozialen Ausgrenzung dar.487 Danach werden, um ein differenzierteres Bild von Armut zu gewinnen, neben der mone­ tären Ausstattung der Individuen auch deren gesellschaftliche Teilhabechancen betrachtet. Die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung ist mittlerweile488 als ein Ziel der Union in Art.  3 Abs.  3 UAbs.  2 EUV verankert. Um soziale Ausgrenzung und Armut zu bekämpfen, achtet die Union zudem „das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ (Art.  34 Abs.  3 GRCh). Die beschränkte Aussagekraft monetärer Größen wird auch von der Bundesregierung erkannt. Bereits ihren ersten Armuts- und Reichtumsbericht stützte sie auf das mehrdimensionale Konzept des sogenannten Lebenslagenansatzes.489 Ebenso wie das Konzept der sozialen Ausgrenzung verzichtet der Lebenslagenansatz darauf, ökonomische Ressourcen als einzigen Schlüsselindikator zu benennen. So werden neben der individuellen Einkommens- und Vermögenssituation weitere Dimensionen des Lebens, wie etwa Bildung, Gesundheit oder Erwerbstätigkeit, einbezogen. Aufgrund dieser dimensionalen Differenzierung springt die Ähnlichkeit des Lebenslagenansatzes zum Sen’schen Befähigungsansatz sofort ins Auge. Sie tritt besonders deutlich hervor, wenn man die Definition des Lebenslagenbegriffs betrachtet. Lebenslagen werden definiert als „Spielraum, den die äußeren Umstände dem Menschen für die Erfül486  Vgl. etwa nur die Mitteilung der Kommission: Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung: Ein europäischer Rahmen für den sozialen und territorialen Zusammenhalt, KOM(2010) 758, S.  2, sowie die Verordnung 223/2014/EU vom 11.3.2014 zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (ABl. L 72 vom 12.3.2014, S.  1), der u. a. darauf abzielt, die soziale Ausgrenzung der am stärksten benachteiligten Personen zu mildern. 487 Der Begriff der sozialen Ausgrenzung wurde von R. Lenoir geprägt, Lenoir, Les Exclus, 3.  Aufl. 1974. Vgl. dazu Sen, Social Exclusion, 2000, S.  1. 488 Die Hinwendung zum Ansatz der sozialen Ausgrenzung zeichnete sich auf euro­ päischer Ebene bereits in den 1980er Jahren ab, vgl. den Schlussbericht von der Kommission an den Rat über das erste Programm von Modellvorhaben und Modellstudien zur Bekämpfung der Armut vom 15.12.1981, KOM(81) 769, S.  4: „Viele der Ärmsten leben vereinsamt; ihre Armut schließt sie vom Gemeinschaftsleben der Mehrheit aus. Ihre Isolierung, Absonderung und Mangel an Organisation erschweren es ihnen, einen gerechten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu beanspruchen.“ Vgl. ferner den Beschluss des Rates vom 19.12.1984 über gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut auf Gemeinschaftsebene, ABl. L 2 vom 3.1.1985, S.  24: „Im Sinne dieses Beschlusses sind verarmte Personen Einzelpersonen, Familien und Personengruppen, die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, daß sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist.“ 489  Bundesregierung, 1. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 14/5990, S.  10.

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lung der Grundanliegen bieten, die er bei unbehinderter und gründlicher Selbstbesinnung als bestimmend für den Sinn seines Lebens ansieht.“490 Sowohl im Befähigungsansatz als auch im Lebenslagenansatz stellt somit der Raum der individuellen Möglichkeiten das maßgebliche Bewertungskriterium dar. Dieser Verbindungen zwischen dem Lebenslagenansatz und dem Befähigungsansatz muss hier nicht weiter nachgespürt werden. Sie wurde an anderer Stelle eingehend analysiert.491 Die folgenden Ausführungen drehen sich vielmehr um die Beantwortung der Frage, wie A. Sen das in einer Armutsmessung auftretende Identifikationsproblem löst. Dazu muss man einerseits seine inhaltliche Konkretisierung des Armutsbegriffs offenlegen und anderseits klären, ob das Sen’sche Armutsverständnis als ein absolutes oder relatives Konzept zu qualifizieren ist. II. Grundfähigkeiten Es wurde gezeigt, dass A. Sen zur Bewertung des individuellen Wohlergehens im Allgemeinen die menschlichen Fähigkeiten als „Informationsbasis“ heranzieht. Die menschlichen Fähigkeiten stehen für die Freiheiten des Einzelnen, die er benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen. Dieser freiheitsbasierte Ansatz setzt sich im Sen’schen Armutsverständnis fort. Wenn Armut in den Bereich der individuellen Freiheiten überführt, mithin als Mangel an Fähigkeiten verstanden wird, stößt man unweigerlich auf den Umstand, dass es ganz unterschiedliche Fähigkeiten gibt, die als mehr oder weniger wichtig, mehr oder weniger trivial zu bewerten sind.492 So wird manch einem viel daran gelegen sein, zwischen verschiedenen Waschmitteln im Supermarkt wählen zu können,493 ein anderer möchte über die Freiheit verfügen, Ferien in 490  Weisser, Einige Grundbegriffe der Sozialpolitiklehre, Archiv der sozialen Demokratie, Nachlass Gerhard Weisser, Akte 842, 1957, S.  6 , zitiert nach Leßmann, Konzeption und Erfassung von Armut, 2009, S.  95. Geprägt wurde der Begriff der „Lebenslage“ bereits 1931 von Neurath, Empirische Soziologie, 1931, S.  125. Er definiert „Lebenslage“ als den „Inbegriff all der Umstände, die verhältnismäßig unmittelbar die Verhaltensweise eines Menschen, seinen Schmerz, seine Freude bedingen. Wohnung, Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege, Bücher, Theater, freundliche menschliche Umgebung, all das gehört zur Lebenslage […].“ 491  Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Lebenslagenansatz und dem Befähigungsansatz werden ausführlich analysiert von Leßmann, VJH 1 (2006), S.  30 ff.; Leßmann, Konzeption und Erfassung von Armut, 2009, S.  204 ff. 492 Vgl. Sen, Philos. Public Aff. 11 (1982), S.  3, 19: „The ability to retain bodily safety is quite a different type of right from the ability to keep one’s financial accounts private.“ In­ struktiv auch Beitz, Econ. Philos. 2 (1986), S.  282, 287: „The chief theoretical difficulty in the capabilities approach to interpersonal comparisons arises from the obvious fact that not all capabilities stand on the same footing. The capacity to move about, for example, has a different significance than the capability to play basketball.“; Ziegler, in: Sedmak et al., Der Capability Approach in sozialwissenschaftlichen Kontexten, 2011, S.  117, 131, spricht daher von einer „potentiellen Uferlosigkeit“ im Raum förderbarer Fähigkeiten. 493 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  4 4.

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exotischen Ländern zu machen, und ein Dritter schätzt in besonderem Maße die Freiheit, ein guter Kartenspieler zu sein.494 Weil aber all diese Fähigkeiten in einer Analyse von Armut keine Rolle spielen dürfen, muss die „Informationsbasis“ eingeschränkt werden. Dazu führt A. Sen die Kategorie der grundlegenden Fähigkeiten („basic capabilites“) ein.495 Mit ihrer Hilfe sollen solche menschlichen Freiheiten erfasst werden, die notwendig sind, um „certain elementary and crucially important functionings up to certain levels“496 zu befriedigen. Wer nicht über Grundfähigkeiten verfügt, ist als arm zu bezeichnen. Die Freiheitskategorie der Grundfähigkeiten ist damit „für die Bestimmung des Entscheidungspunktes relevant, der die Feststellung von Armut und Depriva­ tion ermöglicht.“497 Wenn allerdings Armut als Mangel an Grundfähigkeiten definiert wird, dann kann auch gesellschaftliche Entwicklung – sei es in einem Industriestaat, Entwicklungsland oder einem „Land auf dem Übergang zur Marktwirtschaft“ – nicht mehr als ökonomischer Prozess verstanden und auf der Grundlage des Bruttoinlandsprodukts bewertet werden. Entwicklung muss vielmehr ebenso wie Armut auf eine wesentlich breitere „Informationsbasis“ gestellt werden. Folgerichtig ist eine Definition von gesellschaftlicher Entwicklung im Lichte des Sen’schen Armutsverständnisses nur dann, wenn diese als Prozess der Erweiterung von grundlegenden Freiheitsräumen verstanden wird.498 Problematisch ist, dass der Begriff der Grundfähigkeiten ebenso abstrakt ist wie der Begriff der Fähigkeiten selbst. Ohne inhaltliche Präzisierung ist er daher nicht nur für empirische, sondern auch für theoretische Armutsuntersuchungen wenig hilfreich. Es sind daher zwei Fragen zu beantworten: Erstens: Über welche grundlegenden Freiheiten muss ein Mensch verfügen, damit er ein „minimal annehmbares Leben“499 führen kann? Zweitens: Wie kann die Aus494  So

155.

die Beispiele von Anderson, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  117,

495 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.   30, 31 f.; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  26. A. Sen verwendet auch den Begriff der „ele­ mentary capabilities“, vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  9; dazu Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 170. 496  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  45 (Fn.  19). 497  Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  114. Vgl. ferner Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 41; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  95. 498  Zu diesem freiheitsorientierten Entwicklungsverständnis vgl. Crocker, in: Nussbaum/ Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 156; Bartoli, Rethinking Development, 2000, S.  9: „Development is not merely growth“; Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  35 f.; Bauer, Economic Analysis and Policy in Underdeveloped Countries, 1957 (2003), S.  115; Sen, in: Palacio, World Bank Legal Review, 2006, S.  33, 39; Crocker, Ethics of Global Development, 2008, S.  49; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  50; Dann et al., in: Dann et al., Entwicklung und Recht, 2014, S.  11; Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  109; Nussbaum, Fähigkeiten schaffen, 2011 (2015), S.  65 ff. 499 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  109; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  40; Sen, Social Exclusion, 2000, S.  4.

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wahl dieser Freiheiten gerechtfertigt werden? Zur Beantwortung der ersten Frage sollen an dieser Stelle lediglich die Freiheiten genannt werden, die den Begriff der Grundfähigkeiten für den weiteren Gang der Untersuchung konturieren. Es handelt sich dabei um folgende Freiheiten: die Fähigkeit, das individuelle Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Hilfe bei Krankheit zu befriedigen, sowie die Fähigkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Suche nach einer Antwort auf die zweite Frage wird zurückgestellt. Der Legitimationsdiskurs wird erst im dritten Kapitel geführt.500 Als Grund für die getroffene Auswahl soll an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass A. Sen verschiedene der ausgewählten Fähigkeiten als solche mit grundlegender Bedeutung anerkannt hat. Allein damit kann die Auswahlentscheidung natürlich nicht legitimiert werden. Gleichwohl sollen hier die von A. Sen identifizierten grundlegenden Fähigkeiten genannt werden:501 „the ability to be well-nourished and well-sheltered, the capability of escaping avoidable morbidity and premature mortality“502; „to meet nutritional requirements, to escape avoidable disease, to be sheltered, to be clothed, to be able to travel, to be educated“503, „to live without shame, to participate in the activities of the community, to have self-respect“504, „to move around, to participate in the social life of the community, to participate in public life“505; „the ability to live long, to read and write, to escape preventable illnesses, to work outside the family irrespective of gender, and to participate in collaborative as well as adversarial politics“506 .

Ein Letztes schließlich: Grundlegende Freiheiten sind nicht etwa nur für Menschen zu gewährleisten, die in bestimmten Zivilisationen, etwa in einem westlich-demokratischen Wohlfahrtsstaat leben. Sie zeichnen sich vielmehr durch ihren universellen Charakter aus. Damit liegt die Frage nahe: Wird das in einer Gesellschaft bestehende allgemeine Wohlstandsniveau im Sen’schen Armutsverständnis vollständig ausgeblendet? Die nächsten Seiten geben hierauf eine Antwort. III. Bedeutung des allgemeinen Wohlstandsniveaus Das in einer Gesellschaft bestehende allgemeine Wohlstandsniveau spielte bereits im Zusammenhang mit dem in der Armutsmessung auftretenden Identifi500 

Vgl. §  15 C. II. und §  15 C. III. von Meißner, Kooperative Bildungsverantwortung als Weg aus der Armut, 2017, S.  38 ff. Vgl. hierzu auch Leßmann, Konzeption und Erfassung von Armut, 2009, S.  174. 502  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  45. Vgl. auch Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 31; Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 57 f. 503  Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 162 f. 504  Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 163. 505  Sen, Fem. Econ. 10 (2004), S.  7 7, 78. 506  Drèze/Sen, India: Economic Development and Social Opportunity, 1995 (2008), S. VII. 501  Herausgearbeitet

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kationsproblem eine Rolle.507 Genauer bei der Frage, ob Armut einen absoluten oder „relativistischen Charakter“508 besitzt. Hat es aber auch Einfluss auf die grundlegenden Fähigkeiten eines Menschen? Die Antwort lautet Ja. Denn der Umfang der notwendigen Güter, die zur Erreichung einer bestimmten Grundfähigkeit erforderlich sind, wird durch das bereits erreichte Wohlstandsniveau einer Gesellschaft determiniert. Die gleichen Freiheiten können also relativ mehr Güter erfordern.509 Das trifft natürlich nicht auf sämtliche Fähigkeiten zu. Die Fähigkeiten zu lesen und zu schreiben erfordern beispielsweise Güter, deren Umfang unabhängig vom Wohlstand der anderen Gesellschaftsmitglieder ist. Bei anderen Fähigkeiten, wie etwa der Freiheit, über eine angemessene Unterkunft zu verfügen oder am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ist der Umfang der zur Realisierung dieser Fähigkeiten benötigten Güter vom gesellschaftlichen Wohlstandsniveau abhängig.510 Denn was eine angemessene Unterkunft bedeutet und welche finanziellen Ressourcen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erforderlich sind, hängt stark vom erreichten zivilisatorischen Standard ab. Dieser Gedanke findet sich bereits bei A. Smith: „Unter unentbehrlichen Dingen verstehe ich nicht bloß diejenigen Waren, welche zum Unterhalt des Lebens dringend nötig sind, sondern auch alle die, an denen sich achtbare Leute, selbst aus dem niedrigsten Stand, wegen der Landesgewohnheit anständigerweise nichts abbrechen können: Ein leinenes Hemd z. B. ist genaugenommen kein unentbehrliches Lebensbedürfnis. Die Griechen und Römer lebten, trotzdem sie kein Leinenzeug hatten, gar nicht schlecht. Aber heutigentags würde in den meisten europäischen Ländern ein achtbarer Tagelöhner sich schämen, öffentlich ohne ein leinenes Hemd zu erscheinen, da der Mangel desselben jenen schimpflichen Grad von Armut anzuzeigen schiene, in welchen, wie man annimmt, niemand fallen kann, wenn ihn nicht eine äußerst schlechte Aufführung so weit herunterbringt. Ebenso hat die Gewohnheit lederne Schuhe zu einem dringenden Lebensbedürfnis in England gemacht. Die ärmste achtbare Person, Mann oder Frau, würde sich schämen, öffentlich ohne dieselben zu erscheinen.“511

Dieser „Relativismus“512 der Güterausstattung ist auch unserer Rechtsordnung nicht fremd. So sind beispielweise bei der Auslegung des Umfangs der Pfändungsverbote (§  811 Abs.  1 ZPO) die soziale und wirtschaftliche Entwicklung

507 

Vgl. §  5 A. II. 2. Simmel, Der Arme, 1908 (2019), S.  83. 509 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 47; Atkinson, in: FS Sen, 1995, S.  17 f.; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  39. 510 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.   110, 115; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  38 f.; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  9 0 f.; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  26. 511  Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.  899. Ähnlich Simmel, Der Arme, 1908 (2019), S.  72: „Jede nicht ganz tiefe Gesellschaftsschicht hält darauf, dass jedes ihrer Mitglieder einen bestimmten Mindestaufwand für seine Kleidung leiste, sie fixiert eine Grenze des ‚anständigen‘ Anzugs, unterhalb deren bleibend man ihr nicht mehr angehört.“ 512  Simmel, Der Arme, 1908 (2019), S.  84. 508 

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sowie der allgemeine Lebensstandard zu berücksichtigen.513 Der Satz des Bundesgerichtshofs, dass ein Gesetz „nicht toter Buchstabe [ist], sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepaßt weitergelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist“514, beansprucht hier also Geltung. Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt die Bedeutung des Relativismus an, wenn es in seiner „Hartz IV-Entscheidung“ darauf hinweist, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums der stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber bedarf, „der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat.“515 Entgegen dem ersten Anschein wird das aus dem Befähigungsansatz abgeleitete Armutskonzept durch die Bezugnahme auf das in einer Gesellschaft bestehende Wohlstandsniveau nicht zu einem relativen.516 Denn der allgemeine Lebensstandard ist nur insoweit relevant, als bestimmte Freiheiten vom relativen Einkommen abhängen.517 Dies ändert aber nichts daran, dass auf der maßgeblichen Ebene der Freiheiten weiterhin ein absolutes Verständnis gilt. Das bedeutet: Es gibt einen absoluten Kern an Freiheiten, der jedem Menschen zur Verfügung stehen muss.518 Diese Freiheiten dürfen weder mit anderen Freiheiten verrechnet noch aufgrund von Nutzenüberlegungen eingeschränkt werden.519 Der Inhalt dieses Kernbestands mag zwar zu unterschiedlichen Zeiten anders zu bestimmen sein, gleichwohl handelt es sich dabei um eine absolute Größe.520 Daher gilt: Wenn es einem Menschen an grundlegenden Fähigkeiten fehlt, dann ist er als arm zu qualifizieren,521 und zwar unabhängig davon, wie er relativ zum Freiheitsbestand anderer steht. Einen Mangel an Grundfähigkeiten gilt es zu beseitigen. Dies nicht deshalb, weil andere Menschen über mehr Freiheiten ver513  BGH, NJW 2004, S.  789, 790; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  149. 514  BGHSt 10, 157, 160 = NJW 1957, S.  718, 719. 515  BVerfGE 125, 175, 222 = NJW 2010, S.  505, 507 [Hervorhebung hinzugefügt]; BVerfGE 152, 68, 113 = NJW 2019, S.  3703, 3704. 516 Anders Meißner, Kooperative Bildungsverantwortung als Weg aus der Armut, 2017, S.  43. 517 Vgl. Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153; Sen, Oxf. Econ. Pap.  37 (1985), S.  669, 671; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  115; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  112; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  26; Beitz, Econ. Philos. 2 (1986), S.  282, 287: „[T]he capability itself is an absolute or nonrelativistic standard, but the resources required to meet the standard may be subject to both interpersonal and intersocietal variation.“ 518 Vgl. Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 159; Sen, Oxf. Econ. Pap.  37 (1985), S.  669, 672. 519 Vgl. Nussbaum, Women and Human Development, 2000, S.  81. 520 Vgl. Sen, Oxf. Econ. Pap.  37 (1985), S.  669, 673: „The characteristic feature of ‚absoluteness‘ is neither constancy over time, nor invariance between different societies […].“ 521 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 41.

§  6 Zusammenfassung

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fügen, sondern allein aus dem Grund, dass ein Mangel in diesem Sockelbereich ein Leben in Armut bedeutet.522 Diese Feststellung wird im letzten Kapitel eine zweifache Bedeutung gewinnen. Zum einen, weil sich hinter ihr eine bestimmte Vorstellung von Gerechtigkeit als Gleichheit verbirgt.523 Und zum anderen, weil der dargestellte Absolutheitsanspruch eine Antwort auf die Frage vorgibt, wie die wirklichen Freiheiten grundlegender Art des einen mit der Vertragsfreiheit eines anderen Privatrechtsakteurs aufeinander abzustimmen sind.524

§  6 Zusammenfassung In diesem ersten Teil der Arbeit wurde A. Sens Analyserahmen für die Bewertung des individuellen Wohlergehens vorgestellt. Da seine Kritik an der nutzenorientierten Wohlfahrtsökonomik bereits in einem Zwischenergebnis525 zusammengefasst wurde, werden an dieser Stelle nur noch die wichtigsten normativen Grundlinien des Befähigungsansatzes sowie das hieraus resultierende Armuts- und Entwicklungsverständnis rekapituliert. (1) Der Befähigungsansatz bietet eine Alternative zur nutzenorientierten Wohlfahrtsökonomik. Mit seiner Hilfe wird nicht nur die eindimensionale Konzentration auf den Nutzen aufgebrochen, sondern zugleich eine Grundlage für interpersonelle Vergleiche geschaffen. Auch J. Rawls’ güterorientierter Ansatz ermöglicht interpersonelle Vergleiche und überwindet die utilitaristische Nutzenorientierung. Dabei bleibt jedoch nicht nur die Verschiedenartigkeit der Menschen unberücksichtigt. Es werden auch die konkreten sozialen Bedingungen ausgeblendet, die den Einzelnen umgeben. Dass nicht jeder Mensch mit den zur Verfügung stehenden Gütern das Gleiche erreichen kann, kommt in J. Rawls’ güterorientiertem Ansatz daher nicht zum Ausdruck. (2) Im Befähigungsansatz wird das individuelle Wohlergehen aus den Freiheiten abgeleitet, die der Einzelne benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen. Weil es darauf ankommt, ob die Menschen ihre individuellen Lebenspläne realisieren können, wenn sie wollen, wird den bloßen Handlungsoptionen ein Wert beigemessen. 522  Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.   30, 41. Ähnlich Frankfurt, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  38, 41: „Es kommt darauf an, ob Menschen ein gutes Leben führen, und nicht, wie deren Leben relativ zu dem Leben anderer steht […] Das Übel, das manche Menschen ein schlechtes Leben führen, entsteht nicht dadurch, dass andere Menschen ein besseres Leben führen. Das Übel liegt einfach in der unverkennbaren Tatsache, dass schlechte Leben schlecht sind.“ 523  Vgl. §  14 C. 524  Vgl. §  15 C. I. 525  Vgl. §  2 F.

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Erstes Kapitel: Grundlegung

(3) Um die menschlichen Freiheiten erfassen zu können, führt A. Sen den begrifflichen Dualismus von Funktionsweisen und Fähigkeiten ein. Der Begriff der Funktionsweisen erfasst den individuellen Status quo des „Tuns“ und des „Seins“ („doings and beings“). Dabei handelt es sich um eine objektive, nicht-nutzenorientierte Größe. Die Funktionsweisen sind also sowohl von subjektiven Empfindungen als auch vom individuellen Nutzen abgekoppelt. Fähigkeiten stellen die Freiheiten eines Menschen dar, verschiedene Lebensentwürfe zu verwirklichen. Das individuelle Wohlergehen kommt in der Gesamtmenge an Fähigkeiten („capability set“) zum Ausdruck. (4) Einer Grundidee der aristotelischen Ethik entsprechend, haben Güter im Befähigungsansatz nur einen instrumentellen Wert. Sie dienen der Erweiterung und Sicherung menschlicher Freiheiten, sind also nur Mittel zum Zweck. Obgleich ihnen kein intrinsischer Wert zukommt, wird ihnen ihre zentrale Bedeutung in einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft nicht abgesprochen. Ganz im Gegenteil. Sie gelten als ein Kernindikator für menschliche Fähigkeiten. (5) Der Güterbegriff umfasst die einer Person zur Verfügung stehenden materiellen und immateriellen Vermögensgüter, die monetär bewertet und auf einem expliziten Markt gehandelt werden können, sowie sämtliche einer Person zur Verfügung stehenden Einkommensquellen. Namentlich also das Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit sowie das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, aus Renten, Pensionen, aus Unterhaltszahlungen, aus Vermögen und Sozialtransfer. (6) Eine Schlüsselrolle innerhalb des Befähigungsansatzes nehmen die sogenannten Umwandlungsfaktoren ein. Sie reflektieren nicht-monetäre Einflussgrößen, die es den Menschen erleichtern oder erschweren, ihre Güter in Freiheiten zu konvertieren. Dabei ist zwischen den persönlichen und den sozialen Konversionsfaktoren zu unterscheiden. Erstere umfassen sämtliche angeborenen oder erworbenen natürlichen Persönlichkeitsmerkmale, die in der Person selbst ihren Grund haben und weder durch den Staat noch durch andere Gesellschaftsmitglieder unmittelbar verändert werden können. Zu den gesellschaftlichen Einflussgrößen zählen beispielsweise die zur Auswahl stehenden Konsumgüter, die Preise sowie bestimmte Verhaltensweisen der Marktteilnehmer. Sämtliche sozialen Umwandlungsfaktoren können mittels rechtlicher Normen konfiguriert werden. (7) Über welche Freiheiten ein Mensch in der sozialen Wirklichkeit tatsächlich verfügt, wird durch das Zusammenspiel der persönlichen Eigenschaften, der sozialen Bedingungen und der zur Verfügung stehenden Güter bestimmt. Ein zentraler Gedanke lautet somit, dass das individuelle Wohlergehen nicht nur von dem zur Verfügung stehenden Einkommen und Vermögen, sondern auch von nicht-monetären Faktoren abhängt. Obwohl das Bewertungskriterium der Fähigkeiten einen objektiven Maßstab liefert, bleiben die disparaten

§  6 Zusammenfassung

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Eigenschaften des Einzelnen sowie seine individuelle Einbindung in eine konkrete Gesellschaft nicht unberücksichtigt. Im Befähigungsansatz wird die Lebenssituation der Mitglieder einer Gesellschaft stets als individuelle wahrgenommen. (8) Weil das persönliche Wohlergehen weder durch Nutzen- noch durch Geldeinheiten zutreffend erfasst wird, kann auch der Armutsbegriff nicht mithilfe ökonomischer Größen bestimmt werden. Weder Einkommen, Vermögen noch Konsum lassen die reale Lebenssituation und die individuelle Bedürftigkeit eines Menschen erkennen. Wer diese erfassen möchte, darf nicht in eindimensionalen Armutskonzepten verharren, sondern muss Armut – dem Befähigungsansatz entsprechend – in den Bereich der menschlichen Freiheiten überführen. Dabei dürfen allerdings nicht sämtliche menschlichen Freiheiten berücksichtigt werden, sondern nur sogenannte Grundfähigkeiten. Mit diesen sind diejenigen Fähigkeiten gemeint, die notwendig sind, damit Menschen ein „minimal annehmbares Leben“ führen können. In dieser Schrift werden folgende Fähigkeiten dieser Freiheitskategorie zugeordnet: die Fähigkeit, das individuelle Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Hilfe bei Krankheit zu befriedigen, sowie die Fähigkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wer nicht über diese Grundfähigkeiten verfügt, ist als arm zu bezeichnen. (9) Das in einer Gesellschaft bestehende allgemeine Wohlstandsniveau spielt im Sen’schen Armutskonzept nur insoweit eine Rolle, als es den Umfang der Güter beeinflusst, die zur Realisierung bestimmter Fähigkeiten notwendig sind. Obgleich damit relative Einkommensarmut zu einem Mangel in Bezug auf Grundfähigkeiten führen kann, bleibt das Sen’sche Armutsverständnis ein absolutes. Denn es kommt darauf an, dass jedes Individuum über grundlegende Freiheiten verfügt, und nicht darauf, wie sich der Freiheitsraum relativ zu den Grundfähigkeiten anderer darstellt. Dieser Absolutheitsanspruch entzieht sämtliche Freiheiten, die der Kategorie der Grundfähigkeiten zugeordnet werden, von vornherein einer Abwägung. Sie dürfen weder mit anderen Freiheiten verrechnet noch aufgrund von Nutzenüberlegungen eingeschränkt werden. (10) Der Umstand, dass Armut nicht als Mangel an ökonomischen Ressourcen, sondern als Mangel an Grundfähigkeiten definiert wird, schlägt auf den Entwicklungsbegriff durch. Entwicklung ist als Prozess der Erweiterung von grundlegenden Freiheiten zu verstehen.

Zweites Kapitel

Anwendung „We shall probably all agree that freedom, rightly understood, is the greatest of bless­ ings; that its attainment is the true end of all our effort as citizens. But when we thus speak of freedom, we should consider carefully what we mean by it.“1 T. H. Green

Im ersten Teil dieser Arbeit wurde gezeigt, wie die in der Wohlfahrtsökonomik vorzufindende eindimensionale Konzentration auf den individuellen Nutzen mithilfe des Befähigungsansatzes durchbrochen wird. In diesem Zusammenhang wurden nicht nur A. Sens wesentliche Punkte der Kritik an der utilitaristisch-welfaristisch ausgerichteten Wohlfahrtsökonomik, sondern auch seine zentralen Einwände gegen den güterorientierten Ansatz von J. Rawls herausgearbeitet. Zudem sollte „die Ratlosigkeit der Wohlfahrtstheoretiker, die Verteilungsproblematik in den Griff zu bekommen“2 , veranschaulicht werden. Auf dieser Grundlage wurde im Anschluss A. Sens alternativer Ansatz für die Bewertung des individuellen Wohlergehens vorgestellt. Dieser rekurriert auf die sogenannten Fähigkeiten („capabilities“), mit welchen die Freiheiten eines Menschen gemeint sind, die er benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen. Der Leitbegriff der Freiheit ist in den bisherigen Ausführungen ohne nähere Erläuterung geblieben. Dies soll im folgenden ersten Abschnitt (§  7) des zweiten Kapitels nachgeholt werden. Von welcher Dimension der Freiheit war also bislang die Rede? Ging es um die Willens- oder die Handlungsfreiheit? Und wie wird der facettenreiche Freiheitsbegriff in A. Sens Befähigungsansatz konturiert? Welches Konzept der Freiheit liegt ihm also zugrunde? Diese Fragen werden im Folgenden beantwortet. Damit wird nicht nur das Bild des Befähigungsansatzes abgerundet, sondern auch eine erste Brücke zum Institut des Vertrags geschlagen. Denn es wird offengelegt, wie sich der Sen’sche Begriff der Fähig1 

Green, Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract, 1881 (1891), S.  365, 370. treffend Hackmann, Zur wohlfahrtstheoretischen Behandlung von Verteilungsproblemen, 1972, S.  11. 2  So

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Zweites Kapitel: Anwendung

keiten zur verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit als „zentrale[m] Unterfall der Privatautonomie“3 verhält. Zudem wird zu zeigen sein, dass der Befähigungsansatz – ebenso wie das Bürgerliche Gesetzbuch – die menschliche Willensfreiheit in einem positiven Sinn als selbstverständliche Gegebenheit voraussetzt. Beiden liegt die Annahme zugrunde, dass natürliche Personen grundsätzlich über die Fähigkeit verfügen, ihre eigennützigen Präferenzen zu hinterfragen und ihre Gründe moralisch zu reflektieren. Dieser Gleichlauf im Bereich der inneren Freiheit bildet den Ausgangspunkt für die in diesem Kapitel ebenfalls zu beantwortende Frage, ob das von A. Sen begründete Modell menschlichen Verhaltens eine taugliche Alternative zum tradierten ökonomischen Verhaltensmodell der Rechtsökonomik darstellt, um prognostische Aussagen zum Verhalten der Privatrechtsakteure zu formulieren. In diesem zweiten Kapitel geht es aber vor allem auch darum, die erste Forschungsfrage zu beantworten: Stellt das Vertragsrecht einen Entwicklungsfaktor dar? Hierfür muss in einem vorbereitenden Schritt untersucht werden, auf welche Weise Rechtsnormen überhaupt in der Lage sind, menschliche Fähigkeiten verfügbar zu machen (§  8). Dazu wird am Beispiel der im SGB II verankerten Grundsicherung für Arbeitsuchende verdeutlicht, an welche der aus dem Eingangskapitel bekannten Bestimmungsfaktoren rechtliche Normen anknüpfen können. Weil an dieser Stelle eine mehrdimensionale freiheitsfördernde Wirkweise rechtlicher Normen hervortritt, schließt sich hieran die Frage an, ob aus der Befähigungsidee eine mit der ökonomischen Analyse des Rechts vergleichbare Gesetzgebungstheorie abgeleitet werden kann. Zudem wird zu klären sein, welche Bedeutung dem Befähigungsgedanken in der richterlichen Rechtsanwendung zukommen könnte (§  9). Den Schwerpunkt dieses zweiten Kapitels bildet abschließend eine befähigungsorientierte Rechtsanalyse (§  10). Es soll anhand ausgewählter Rechtsnormen veranschaulicht werden, inwiefern das Vertragsrecht de lege lata die Grundfähigkeiten bedürftiger Menschen positiv beeinflusst. Weil somit deren wirkliche Freiheiten den Kristallisationspunkt bilden, auf den sich die gesamte Analyse bezieht, lässt sich – wie es im Untertitel zu dieser Schrift angekündigt wird – der liberale Wert eines sozialen Vertragsrechts offenlegen. Neben der Ausrichtung auf die wirklichen Freiheiten ist für diese beschreibende Analyse kennzeichnend, dass die bedürftige Person – dem Befähigungsansatz entsprechend – individuell angesprochen wird. Das bedeutet, der einzelne Privatrechtsakteur wird in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Dass eine derartige Fokussierung auf den autonomen Einzelmenschen in einer Vertragsanalyse zu Schwierigkeiten führen wird, ist offensichtlich. Der Vertrag ist schließlich – um es mit den Worten von F. C. v. Savigny zu sagen – „die Vereinigung Mehrerer zu einer übereinstimmenden Willenserklärung, wodurch ihre Rechtsver3 

Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  33.

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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hältnisse bestimmt werden.“4 Gleichwohl wird die Frage, ob der freiheitsfördernde Beitrag im Lichte seiner zugleich freiheitsbeschränkenden Wirkung zulasten anderer Privatrechtssubjekte erwünscht ist oder nicht, zunächst zurückgestellt. Das Problem konfligierender Freiheiten wird in diesem Kapitel ausgeblendet und damit der Grundsatz „audiatur et altera pars“ bewusst verletzt. Die Freiheit des in die Verantwortung genommenen anderen Teils und die Frage, inwiefern dessen Einschränkung der Vertragsfreiheit gerechtfertigt werden kann, spielt erst am Ende dieser Schrift eine Rolle. Warum diese Aufspaltung der Freiheitsräume lohnend sein kann, wird sich dort zeigen.

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit? Bei den im ersten Kapitel dargestellten Grenzen des Wohlfahrtsgedankens hat unter anderem der wohlfahrtsökonomische Grundsatz der Präferenzautonomie eine Rolle gespielt. Dieser besagt in seiner normativen Ausprägung, dass es gut und richtig ist, wenn jedes Gesellschaftsmitglied autonom über seine Präferenzen entscheidet und diese „ungefilterten“ Präferenzen – dem normativ-individualistischen Prinzip folgend – die Basis kollektiver Entscheidungen bilden. Dabei hat sich gezeigt, dass im Zuge der Aggregation individueller Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz ein unauflösbarer Widerspruch zwischen dem schwachen Pareto-Prinzip und einem Minimum an Liberalität entsteht, wenn jede mögliche individuelle Präferenzordnung zugelassen wird.5 An dieser Stelle ist nun bedeutsam, dass sich die Freiheit zur Ausbildung beliebiger Präferenzen u. a. auch in rechtsgeschäftlichem Handeln manifestiert. Die Markteilnehmer machen in diesem Fall von ihrer grundrechtlich geschützten Privatautonomie Gebrauch und vollziehen mithilfe von Verträgen die ihren individuellen Präferenzen entsprechenden Markttransaktionen.6 Der Grundsatz der Präferenzautonomie entfaltet sich damit in einem Teilbereich des Lebens, nämlich des Rechtslebens. Entscheidend ist nun: Die Privatautonomie beruht – ebenso wie der Grundsatz der Präferenzautonomie7 – auf der Grundannahme, dass der Einzelne selbst am besten weiß, wie er seine Persönlichkeit als „rechtlich ausgestatteter Mensch“8 zur Entfaltung bringen kann. Art.  2 Abs.  1 GG schützt nicht nur (rechtlich) vernünftige oder wirtschaftlich sinnvolle Freiheitsbetätigungen, 4  v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 3, 1840, S.  309 [Hervorhebung hinzugefügt]. 5  Vgl. §  2 D. II. 1. 6 Vgl. Wagner, ZEuP 2007, S.  180, 192. 7  Vgl. §  2 D. II. 1. 8  Kirchhof, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  3 Abs.  1 Rn.  109.

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Zweites Kapitel: Anwendung

sondern vielmehr die Freiheit, zu tun und zu lassen was man will,9 sofern dabei nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird. Privatautonomie wird daher auch als Freiheit verstanden, Privatrechtsverhältnisse nach dem eigenen Willen einzugehen, und zwar ohne dass es dabei a priori zu einem Ausschluss bestimmter Präferenzen kommt.10 Mit dem Bundesverfassungsgericht gesprochen: „Grundsätzlich gehört es zur Freiheit jeder Person, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie unter welchen Bedingungen Verträge abschließen will.“11

Dieser Richtsatz gilt gleichermaßen für das Instrument, das die Rechtsordnung für die Betätigung der Handlungsfreiheit im Rechtsleben bereitstellt.12 Dementsprechend wird die Willenserklärung nicht von einem normativen, erst durch Wertungen sich ergebenden, vernünftigen Willen getragen, sondern von einem eigenen.13 9 Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  47: „[E]rlaubt ist alles, was nicht verboten ist“; Schur, in: Lampe et al., Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S.  226, 243. Siehe dazu auch Neuner, AcP 218 (2018), S.  1, 2 unter Hinweis auf Art.  2 Abs.  1 GG in der Urfassung des Parlamentarischen Rates: „Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Anders etwa v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 499: „Wenn das moderne Recht hier den Grundsatz der Vertragsfreiheit durchführt, so kann doch auch hier nicht willkürliche, sondern nur vernünftige Freiheit gemeint sein: Freiheit, die Kraft ihrer sittlichen Zweckbestimmung ihr Maß in sich trägt, Freiheit, die zugleich Gebundenheit ist.“ 10 Vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  4 4, dem zufolge die Kompetenz zur vertraglichprivat­autonomen Gestaltung des Lebens nach Maßgabe einer „autonom gesetzten Präferenzordnung, in thematischer Universalität und prozeduraler Beliebigkeit“ ausgeübt werden kann; ähnlich Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  2 Rn.  14. 11  BVerfGE 148, 267, 283 = NJW 2018, S.  1667, 1669. 12  Zur Verknüpfung der Rechtsgeschäftslehre mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertragsfreiheit, Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  4 4; Säcker, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, Einl. BGB Rn.  169 ff. 13  Eine andere Ansicht vertritt H. M. Pawlowski. Er geht davon aus, dass sich der Wille der Vertragsparteien jeweils auf die eigenen Bedürfnisse richtet und nicht darauf, „Recht zu setzen“, sodass der eigene Wille nur „zufällig“ zu richtigen Regelungen führen könne (Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, 1966, S.  278). Der Wille der Parteien sei daher durch einen „rechtlichen (freien, vernünftigen) Willen“ zu ersetzen. Nur ein solcher Wille, der sich die Rechtlichkeit zum Gesetz gemacht habe, könne dazu führen, dass sich der Wille der Parteien im Vertrag zu einer richtigen Ordnung verbindet (Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, 1966, S.  277; ähnlich Ballerstedt, JZ 1956, S.  267, 270: „rechtliche Vernünftigkeit des als Willenserklärung zugerechneten Verhaltens des Einzelnen“). Gegen die Ansicht von H. M. Pawlowski spricht, dass sich Selbstbestimmung durch einen auf das Recht gerichteten vernünftigen Willen nur dann entfalten könnte, wenn sich das Recht als Aggregat sämtlicher Willen der Mitglieder einer Gesellschaft darstellen würde. Hiervon geht H. M. Pawlowski offensichtlich aus, denn er weist darauf hin, dass das Recht „als komplexe Einheit verstanden werden [muss], als ‚allgemeiner Wille‘, d. h. als lebendige Einheit der verschiedenen ‚besonderen‘ Willen, mögen sich diese in Gesetzen, Verordnungen, Satzungen oder Verträgen verkörpern“ (Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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Weil Privatautonomie damit einen wichtigen Teilaspekt des wohlfahrtsökonomischen Grundsatzes der Präferenzautonomie umfasst,14 drängt sich die Frage auf: Ergibt sich ein vergleichbarer Befund für den im Befähigungsansatz zentralen Begriff der Fähigkeiten? Selbstverständlich, ist man versucht zu sagen, schließlich stehen die Fähigkeiten für die Freiheiten einer Person, die sie benötigt, um das von ihr mit Gründen geschätzte Leben zu führen, und Privatautonomie stellt ein Mittel zur Gewährleistung „freiheitlich geordneter Lebensbereiche“15 dar. Fähigkeiten sowie Privatautonomie sind also offensichtlich auf den gleichen Grundwert ausgerichtet, nämlich auf die individuelle Freiheit. Auf den zweiten Blick aber wird deutlich, dass zwischen der Vertragsfreiheit als besonders wichtigem Bestandteil der umfassenderen Privatautonomie16 und den Freiheiten des Befähigungsansatzes ein grundlegender Unterschied besteht. Aber warum stellt die Vertragsfreiheit keine Fähigkeit im Sen’schen Sinne dar? Mit dieser Frage ist der Gegenstand des nun folgenden Unterabschnitts formuliert. Zu ihrer Beantwortung muss in erster Linie das der Vertragsfreiheit zugrunde liegende Freiheitsverständnis destilliert und eine Verbindung zu den in der Ethik dominierenden Freiheitskonzepten hergestellt werden. Auf dieser Grundlage wird dann ohne Weiteres einsichtig, warum die durch das Recht gegebene und durch das Verfassungsrecht gesicherte Vertragsfreiheit – auch wenn man sie nicht als formale Freiheit denkt – keine Fähigkeit im Sinne des Befähigungsansatzes ist.

A. Zwei Freiheitsdimensionen Den Ausgangspunkt bildet der Befund, dass der Begriff der Freiheit in der Ethik verankert ist.17 Dort ist er ubiquitär und hat einen nahezu unbegrenzten Anwendungsbereich gefunden. Fast alles, so fasst es R. Alexy zusammen, „was von nichtiger Willenserklärungen, 1966, S.  280). Damit verkennt er jedoch, dass das Recht zwar durch einen demokratischen Entscheidungsprozess hervorgebracht wird, dieser politische Mechanismus aber keinen „allgemeinen Willen“ konstituiert, sondern die Entscheidungen der Staatsorgane lediglich legitimiert; vgl. dazu §   15 C. III. Kritisch zur Ansicht von H. M. Pawlowski auch Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  56 ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  20: „Damit wird nun freilich der Unterschied zwischen autonomer und etwaiger fremdbestimmter Gestaltung des vertraglichen Interessenausgleichs völlig verwischt.“; Enderlein, Rechts­ paternalismus und Vertragsrecht, 1996, S.  97; Laufs, MedR 2011, S.  1, 6; Säcker, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, Einl. BGB Rn.  168 ff. 14  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  332. Zur Verbindung von Privatautonomie und Präferenzautonomie siehe auch Bachmann, Private Ordnung, 2006, S.  174 f.; Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit?, 2008, S.  184 f. 15  Canaris, JZ 1987, S.  993, 995. 16  Vgl. §  7 C. II. 1. 17  Schapp, AcP 192 (1992), S.  355.

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Zweites Kapitel: Anwendung

irgendwelchen Standpunkten aus für gut oder wünschenswert gehalten wird, wird mit ihm in Verbindung gebracht.“18 Was aber meinen wir, wenn wir von der Freiheit an sich sprechen? In Beantwortung dieser Frage sollen nun weder die Geschichte des Freiheitsbegriffs19 noch seine „mehr als zweihundert Bedeutungen“20 , welche die Historiker ausgemacht haben wollen, erörtert werden. Zur Verdeutlichung des grundlegenden Unterschieds zwischen der Vertragsfreiheit und den im Befähigungsansatz im Mittelpunkt stehenden individuellen Fähigkeiten genügt ein Blick auf zwei Freiheitskonzepte, die den sozial­ethischen Diskurs über den Begriff der Freiheit bestimmen. Es handelt sich dabei um die bekannte Differenzierung zwischen positiver und negativer Freiheit.21 Zur Illustration dieser unterschiedlichen Freiheitskonzepte wird in der Regel auf die berühmt gewordene Antrittsvorlesung des englischen Philosophen I. Berlin über die „Zwei Freiheitsbegriffe“ aus dem Jahr 1958 rekurriert.22 Den Kerngedanken eines positiven Freiheitsbegriffs formulierte aber bereits ebenso anschaulich T. H. Green am Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Zitat dieses englischen Philosophen aus dessen „Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract“ diente diesem Kapitel als Einstieg. Es endete mit dem folgenden Hinweis T. H. Greens: „But when we thus speak of freedom, we should consider carefully what we mean by it.“23

An dieser Stelle kann das Zitat nun vervollständigt werden. Auf die Frage, was wir nach sorgfältiger Überlegung unter Freiheit verstehen sollten, antwortet T. H. Green: „We do not mean merely freedom from restraint or compulsion […]. When we speak of freedom as something to be so highly prized, we mean a positive power or capacity of doing or enjoying something worth doing or enjoying, and that, too, something that we do or enjoy in common with others.“24

Ebenso wie T. H. Green ging auch I. Berlin in seiner gerade erwähnten Antrittsvorlesung von dem Begriff des „Zwangs“ aus („restraint or compulsion“) und beantwortete von dieser Warte aus die Fragen, warum man einem anderen ge18 

Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  194 f. Begriffsgeschichte Sturma, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Stichwort „Freiheit“, 1999, S.  400 ff. 20  Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 201; dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  195. 21  Zu dieser Einteilung etwa Schapp, AcP 192 (1992), S.  355, 359; Sturma, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Stichwort „Freiheit“, 1999, S.  400; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  9 f., 86 f. 22  Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197 ff. 23  Green, Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract, 1881 (1891), S.  365, 370. 24  Green, Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract, 1881 (1891), S.   365, 370 f. [Hervorhebung hinzugefügt]. 19 Zur

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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horchen sollte und inwiefern im Falle des Ungehorsams Zwang ausgeübt werden dürfe.25 Dabei definierte er den Ausdruck „Zwang“ als einen willentlichen Eingriff anderer Menschen in den Bereich, in dem man sonst handeln könnte.26 I. Berlin richtete den Fokus also ebenso wie T. H. Green auf die Frage, ob der Mensch als Freiheitsträger tun und lassen kann, was er will. Dieser Freiheit der Willensverwirklichung im sozialen Leben geht aber das Vorhandensein eines Willens voraus,27 und auch mit Blick auf diesen kann man die Frage aufwerfen, ob ein Individuum bei dessen Herausbildung auf eine bestimmte Art und Weise „frei“ ist. Damit wird deutlich, dass die sowohl bei T. H. Green als auch bei I. Berlin im Mittelpunkt stehende Frage, „in welchem Bereich muß […] man das Subjekt […] sein und tun lassen, wozu es imstande ist, ohne daß sich andere Menschen einmischen?“28 , eine ganz andere ist als die Frage, ob ein Mensch frei wählen kann, was er wollen wird.29 Wenn man fragt: „Kannst Du wollen, was Du willst?“30 , interessiert man sich nicht für Umstände, die in der Sphäre der Gesellschaft liegen. Vielmehr richtet sich das Augenmerk auf etwas, das im Inneren der handelnden Person selbst liegt. Dieses „innere Etwas“ ist der menschliche Wille. Auch wenn Willensfreiheit und Handlungsfreiheit nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, weil erst beide zusammen bestimmen, „wie weit ein Mensch von seiner Kenntnis von Gelegenheiten Gebrauch machen kann“,31 so ist es wichtig, zwischen beiden Freiheitsdimensionen strikt zu unterscheiden.32 Denn nur dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Fähigkeit, frei seinen Willen zu bilden, nicht zwangsläufig die Möglichkeit einschließt, das Gewollte auch tatsächlich zu tun. Die soziale Realität sowie die persönlichen Fähigkeiten, die bestimmen, was man faktisch ausführen kann, ziehen insoweit (wandelbare)33 Grenzen. Umgekehrt darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass derjenige, der aufgrund eines äußeren Hindernisses oder fehlender persönlicher 25 

Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 200 f. Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 202; ähnlich MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.  312, 314: „Such freedom is thus always of something (an agent or agents), from something, to do, not do, become, or not become something […].“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 27 Vgl. Hochhuth, JZ 2005, S.  745. 28  Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 201. 29  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6.  Aufl. 2011, S.  141. 30  So die Formulierung von Schopenhauer, Über die beiden Grundprobleme der Ethik, 2.  Aufl. 1860 (2019), S.  31. Ähnlich Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  12 Rn.  4, der von der Kompetenz spricht, „wollen zu können, wie man will“. 31  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  21. Zur Verbindung von Willensund Handlungsfreiheit auch Schopenhauer, Über die beiden Grundprobleme der Ethik, 2.  Aufl. 1860 (2019), S.  31: „Frei bin ich, wenn ich thun kann was ich will: und durch das was ich will ist da schon die Freiheit entschieden.“ 32 Vgl. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  20 ff. 33  Bieri, Das Handwerk der Freiheit, 2001, S.  38: „Früher konnte man sich nur wünschen, auf den Mond zu fliegen; heute kann man es auch wollen.“ 26 

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Zweites Kapitel: Anwendung

Fähigkeiten daran gehindert wird, das zu tun, was er tun will, nicht seine Willensfreiheit verliert. Wer beispielsweise in einem Raum eingesperrt ist, kann diesen zwar nicht verlassen, er verliert aber nicht seine Fähigkeit, einen hierauf gerichteten Willen herauszubilden, nur weil er das, was er zu tun beabsichtigt, tatsächlich nicht verwirklichen kann.34 Damit kann an dieser Stelle eine erste wichtige Einsicht festgehalten werden: Freiheit erhält ihren Gehalt immer erst durch das Objekt, auf das sie sich bezieht.35 Die verschiedenen Objekte treten durch die einfache Frage hervor: Wer oder was ist frei? Im Fall der inneren Freiheit (auch als metaphysische, subjektive Freiheit36 oder personale Autonomie37 bezeichnet) wird der Wille eines Menschen betrachtet. Bei der Handlungsfreiheit geht es um den Bereich der uns offenstehenden Möglichkeiten, das zu tun, was wir wollen.38 Was die verschiedenen Freiheitsdimensionen eint, ist der Umstand, dass beide eine Antwort auf die Frage einfordern: Was bedeutet Freiheit? Hierauf wird auf den nächsten Seiten zunächst für die innere Freiheit eine Antwort gesucht. Der Blick auf die Willensfreiheit ist für den weiteren Gang der Untersuchung in dreifacher Hinsicht lohnend. Erstens: Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich das Interesse des Befähigungsansatzes auf die Auswahl der richtigen „Informationsbasis“ für die Bestimmung des menschlichen Wohlergehens richtet. Im Fokus steht dabei nicht das Innere eines Menschen, denn nach dem Befähigungsansatz hat sich alles „Streben“ auf die Freiheiten des Einzelnen zu beziehen, welche er benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen. Man könnte daher meinen, der Willensfreiheit komme in diesem Denkmodell keinerlei Bedeutung zu. Warum das nicht richtig ist, stellt eine Frage dar, die nicht unbeantwortet bleiben darf. Zweitens: Wie sich im Folgenden zeigen wird, besteht zwischen A. Sens Annahme, dass Menschen fähig sind, einen freien Willen im positiven Sinn zu bilden, und der im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Annahme der Willensfreiheit im Normalfall ein Gleichlauf. Die Darstellung dieses verbindenden Elements wird im Zusammenhang mit der in diesem Kapitel zu beantwortenden Frage eine Rolle spielen, ob das Sen’sche Verhaltensmodell für die Prognose der durch Rechtsnormen und gerichtliche Entscheidungen ausgelösten Folgen besser geeignet ist als das Modell des homo oeconomicus. Drittens: Die folgenden Ausführungen zur Willensfreiheit bilden das Fundament des letzten Kapitels, das sich der Beantwortung der zweiten Forschungsfrage widmet. Wer nämlich behauptet, das Vertragsrecht solle (im Sinne eines moralischen Sollens) einen entwicklungsfördernden Bei34 

Keil, Willensfreiheit und Determinismus, 2.  Aufl. 2018, S.  24. Vgl. auch Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  111; Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 201. 36  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  21. 37  Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  349. 38  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  21. 35 

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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trag leisten, der formuliert zugleich eine entsprechende moralische Forderung an die im Rechtsgeschäftsverkehr agierenden Rechtspersonen. Weil Willensfreiheit nicht nur eine Bedingung für die Verantwortlichkeit für das eigene Handeln darstellt, sondern auch die Grundvoraussetzung jeder normativethischen Forderung bildet,39 muss daher eine Antwort auf die Frage gegeben werden, ob unsere Privatrechtsordnung überhaupt von der Fähigkeit des menschlichen Verstandes ausgeht, einen freien Willen aufgrund einer Abwägung zu bilden. Ohne diese Fähigkeit, die eigenen Präferenzen zu hinterfragen und im Lichte moralischer Gründe zu evaluieren, kann die Erfüllung moralischer Forderungen nicht erwartet werden. Ebenso wenig, wie aus dem Sein kein Sollen abgeleitet werden kann, folgt aus einem Sollen kein Können. Vielmehr ist ohne ein subjektives Können eine moralische Sollens-Forderung nach einem konkreten Tun unsinnig.40 Damit gibt es gute Gründe, den Blick zunächst auf die Willensfreiheit zu richten.

B. Innere Freiheit Zu der Frage, wann der Wille eines Menschen als „frei“ zu qualifizieren ist, werden im philosophischen Diskurs widerstreitende Ansichten vertreten. Versteht man Willensfreiheit in einem negativen Sinn, kommt es lediglich darauf an, dass eine Person durch innere Bestimmungen nicht daran gehindert ist, Subjekt des eigenen Wollens und ihrer damit gewählten Handlungen zu sein.41 Von einem freien Willen wird bei diesem Verständnis also bereits dann gesprochen, wenn eine Entscheidung ohne inneren Zwang zustande gekommen ist. Demgegenüber fordert ein positives Verständnis von Willensfreiheit, dass dem (Überhaupt-)Wollen nicht nur keine Hindernisse entgegenstehen. Vielmehr muss der menschliche Wille seinen Ursprung in einem aktiven Abwägungsvorgang haben.42 Es geht also um ein „So-und-nicht-anders-Wollen“43. An dieser Stelle muss man sich allerdings fragen: Existiert eine so verstandene „starke“44 bzw. positive Willensfreiheit überhaupt? Können wir innehalten, unseren Willen in einem Prozess des „Mit-sich-zu-Rate-Gehens“ reflektieren und uns gegebenenfalls von diesem unter den bestehenden Bedingungen und den gefundenen Gründen distanzieren?

39 Vgl.

Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  104 f. Keil, Willensfreiheit und Determinismus, 2.  Aufl. 2018, S.  19. 41  Wildfeuer, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  358, 359. 42  Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  105 f. 43  Wildfeuer, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  358, 360. 44  Zum starken Begriff der Willensfreiheit eingehend Roth, in: Roth/Grün, Das Gehirn und seine Freiheit, 2.  Aufl. 2006, S.  9, 10 f. 40 Vgl.

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Zweites Kapitel: Anwendung

I. Neuronaler Determinismus Diese Fragen drängen sich deshalb auf, weil einige Vertreter der Hirnforschung die provokante These aufgestellt haben, dass die Antwort auf beide Fragen Nein lautet.45 Nicht der Mensch, sondern ein nicht steuerbarer biologischer Vorgang innerhalb des menschlichen Gehirns entscheide über unseren inneren Willen.46 Weil der Mensch auf dieses „selbststeuernde und selbstbewertende System“47 keinen Einfluss habe, trete auch die aus dem Wollen resultierende menschliche Handlung unvermeidbar und alternativlos ein.48 In einem prägnanten Satz zusammengefasst lautet die These also: Unser Wollen und unsere Handlungen sind a priori vollständig neuronal determiniert.49 Als Beweis für diesen neuronalen Determinismus wird in der Regel auf die nach dem Neurophysiologen B. Libet benannten „Libet-Experimente“ aus dem Jahr 1979 verwiesen. B. Libet fand seinerzeit heraus, dass der Zeitpunkt, zu dem einer Versuchsperson ihre willentliche Entscheidung zu einer Bewegung bewusst wurde, deutlich nach dem Zeitpunkt lag, in dem im motorischen Areal der Gehirnrinde eine für die Bewegung charakteristische, einleitende Nervenaktivität begonnen hatte.50 Daraus zogen einige Neurowissenschaftler den Schluss, dass die Hirnaktivität unseren bewussten Entscheidungen vorausgeht. Dementsprechend lag die Annahme nahe: Trotz einer gefühlten Willensfreiheit werden menschliche Entscheidungen und ihre Umsetzung nicht durch ein wollendes und bewusst erlebendes Ich, sondern durch unbewusste Prozesse des Gehirns getroffen. Oder anders gewendet: „Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun.“51 Weil neuronale Verschaltungen unseren Wil45  Singer, Ein neues Menschenbild?, 2003, S.  20: „Die Annahme […] wir seien voll verantwortlich für das, was wir tun, weil wir es ja auch hätten anders machen können, ist aus neurobiologischer Perspektive nicht haltbar.“; Roth, Aus Sicht des Gehirns, 2.  Aufl. 2009, S.  180 ff.; Singer, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  30 ff. 46  Eingehend etwa Roth, in: Roth/Grün, Das Gehirn und seine Freiheit, 2.  Aufl. 2006, S.  9, 11 ff. 47  Roth, in: Roth/Grün, Das Gehirn und seine Freiheit, 2.  Aufl. 2006, S.  9, 26. 48 Dazu Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  106 ff. 49  Roth, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  218, 219; ebenso Prinz, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  20, 22. 50  Libet, Advances in Physiological Sciences 17 (1981), S.   313 ff.; Libet et al., Brain 106 (1983), S.  623: „The recordable cerebral activity […] that precedes a freely voluntary, fully endogenous motor act was directly compared with the reportable time (W) for appearance of the subjective experience of ‚wanting‘ or intending to act. The onset of cerebral activity clearly preceded by at least several hundred milliseconds the reported time of conscious intention to act.“; Libet, Behav. Brain Sci. 8 (1985), S.  529 ff. Zur Modifikation des Versuchs vgl. Haggard/ Eimer, Exp. Brain Res. 126 (1999), S.  128 ff.; dazu Hochhuth, JZ 2005, S.  745, 746 f. m. w. N. in Fn.  9; Heun, JZ 2005, S.  853, 856 f.; Spranger, JZ 2009, S.  1033, 1034. Zur Kritik an den Grundlagen des Experiments siehe etwa Pauen, Illusion Freiheit?, 2.  Aufl. 2008, S.  196 ff.; Mankowski, AcP 211 (2011), S.  153, 163 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  15. 51  Prinz, in: v. Cranach/Foppa, Freiheit des Entscheidens und Handelns, 1996, S.  86, 87.

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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len determinieren, sollten wir – so lautet die Forderung – aufhören, von Freiheit zu sprechen.52 Obwohl selbst B. Libet betont, „daß die Existenz eines freien Willens zumindest eine genauso gute, wenn nicht bessere wissenschaftliche Option ist als ihre Leugnung durch die deterministische Theorie“53, hat die Negation der Willensfreiheit durch einige Neurowissenschaftler die Rechtswissenschaft in Aufruf versetzt. Das erstaunt nicht. Denn ein solcher Befund, sollte er zutreffend sein, hätte weitreichende Folgen für das Recht. Deutlich wird das, wenn man sich die Formel des Großen Senats für Strafsachen zur Begründung des Schuldvorwurfs vergegenwärtigt: „Der innere Grund des Schuldvorwurfes liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, […].“54

Würden die Menschen ihrem Wollen immer machtlos gegenüberstehen, weil sie nur den neuronalen Vorgängen im Gehirn folgen, wäre weder eine rechtliche noch eine moralische Übernahme der Verantwortung begründbar.55 Denn Verantwortlichkeit beruht immer – wie schon bemerkt – auf der Annahme einer positiven Willensfreiheit.56 Die Diskussion über die Existenz eines freien Willens wurde im rechtlichen Diskurs daher vor allem dort geführt, wo das Recht an eine persönliche Verantwortlichkeit anknüpft, namentlich also im Strafrecht.57 Die Behauptung, bei der Bildung eines Willens werde nur ein Spiel der Neuronen gespielt, bei dem der Mensch kein Wort mitzureden habe, kann in 52 

Singer, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  30. Libet, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  268, 287. 54  BGHSt 2, 194, 200 = NJW 1952, S.  593, 594. 55 Vgl. Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  104 f.; Wildfeuer, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  358; Helmrich, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  92; Keil, Willensfreiheit und Determinismus, 2.  Aufl. 2018, S.  38; Neuner, AcP 218 (2018), S.  1, 3. 56  Sturma, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Stichwort „Freiheit“, 1999, S.  400; Bieri, Das Handwerk der Freiheit, 2001, S.  21: „Die Idee der freien Entscheidung und die Idee der Verantwortung, die jemand für sein Tun trägt, sind aufs engste miteinander verknüpft. Man kann die eine ohne die andere nicht denken.“; Heun, JZ 2005, S.  853; Zippelius, Rechtsphilosophie, 6.  Aufl. 2011, S.  141; Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  349; Keil, Willensfreiheit und Determinismus, 2.  Aufl. 2018, S.  39; Rohn, Verantwortung und Verantwortungsfähigkeit, 2019, S.  9 ff. 57  Vgl. nur Schiemann, NJW 2004, S.  2056 ff.; Hochhuth, JZ 2005, S.  745 ff.; Roth, in: Roth/ Grün, Das Gehirn und seine Freiheit, 2.  Aufl. 2006, S.  9 ff.; Schreiber, in: FS Laufs, 2006, S.  1069 ff.; Pauen, Illusion Freiheit?, 2.  Aufl. 2008, S.  229 ff.; Beck, in: Beck/Thies, Moral und Recht, 2011, S.  209 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, 6.  Aufl. 2011, S.  141; Helmrich, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  92; Lüderssen, in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  98 ff. Zur Diskussion über die Bedeutung der Willensfreiheitsdebatte für das Privatrecht vgl. Schur, in: Lampe et al., Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S.  226 ff.; Mankowski, AcP 211 (2011), S.  153 ff.; Laufs, MedR 2011, S.  1, 4 ff.; Hillenkamp, JZ 2015, S.  391 ff.; Neuner, AcP 218 (2018), S.  1, 5 f.; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  13. 53 

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Zweites Kapitel: Anwendung

dieser Schrift natürlich weder widerlegt noch bestätigt werden. Das ist auch nicht nötig,58 denn sowohl A. Sen als auch das Bürgerliche Gesetzbuch setzen die positive Willensfreiheit der Menschen als selbstverständliches Faktum einfach vo­raus. II. Positive Willensfreiheit als normative Annahme Die gesetzliche Annahme, dass natürliche Personen grundsätzlich über die Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens verfügen, belegt der Wortlaut des §  104 Nr.  2 BGB, wonach die Geschäftsunfähigkeit an einen „die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ geknüpft ist.59 Da ein solcher Zustand eine irgendwie geartete geistige Anomalie voraussetzt,60 lässt er sich nicht mit einem in jedem menschlichen Gehirn vorzufindenden neuronalen Prozess begründen, und zwar selbst dann nicht, wenn er zu der von den Hirnforschern behaupteten Determiniertheit führt.61 Damit unterstellt das Recht das Vorhandensein einer Willensfreiheit im Normalfall.62 Die Vorstellung der menschlichen Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens im positiven Sinn bringt der Bundesgerichtshof zum Ausdruck, wenn er formuliert: „Nach §  104 Ziff.  2 BGB sind für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nicht so sehr die Fähigkeiten des Verstandes ausschlaggebend als die Freiheit des Willensentschlusses. Es kommt darauf an, ob eine freie Entscheidung auf Grund einer Abwägung des Für und Wider, eine sachliche Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist, oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliegt, oder die Willenserklärung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich einer mechanischen Verknüpfung von Ursache und Wirkung ausgelöst wird.“63

Die Annahme positiver Willensfreiheit ist freilich nur das Resultat einer normativen Zuschreibung. Diese hat jedoch zur Folge, dass die Erkenntnisse neurowissenschaftlicher Freiheitsskeptiker nicht unmittelbar auf das Recht durch58  Ebenso wenig erforderlich ist eine Auseinandersetzung einerseits mit der Position der Kompatibilisten, die eine Vereinbarkeit von Determiniertheit und Freiheit anerkennen, und andererseits der Position der Inkompatibilisten, die von deren grundsätzlicher Unvereinbarkeit ausgehen. Siehe dazu Sturma, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Stichwort „Freiheit“, 1999, S.  400, 405 f.; Searle, Freiheit und Neurobiologie, 2004, S.  22; Pauen, Illusion Freiheit?, 2.  Aufl. 2008, S.  33 ff.; Wildfeuer, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  358, 364 f.; Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  351 f.; Geyer in: Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, 9.  Aufl. 2016, S.  9, 17; Keil, Willensfreiheit und Determinismus, 2.  Aufl. 2018, S.  10 ff.; Neuner, AcP 218 (2018), S.  1, 6 ff. 59  Zur Willensfreiheit als Prämisse vgl. Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  11 ff. 60  Spickhoff, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  104 Rn.  43. 61  Mankowski, AcP 211 (2011), S.  153, 181. 62  So auch Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  165, 167; Hillenkamp, JZ 2015, S.  391, 392. 63  BGH, NJW 1953, S.  1342 [Hervorhebung hinzugefügt].

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schlagen können. 64 Schließlich betrachten sie, anders als das Recht, die Seins­ ebene und nicht die Sollensebene.65 Die naturwissenschaftlichen Ergebnisse regen daher lediglich zu zwei Fragen an: Erstens: Soll die vom Privatrechtsgesetzgeber getroffene Entscheidung beibehalten werden? Und zweitens: Wenn es positive Willensfreiheit tatsächlich nicht geben sollte, könnte das Recht dann nicht einfach an einen gefühlten „Wollensspielraum“ anknüpfen?66 Schließlich hat in der Lebenswirklichkeit jeder Mensch zumindest den Eindruck, als bewusst agierendes Wesen Träger des eigenen Willens und Verursacher der eigenen Handlung zu sein. 67 Beiden Fragen muss an dieser Stelle nicht nachgespürt werden. Für den weiteren Gang der Untersuchung ist allein die Feststellung von Bedeutung, dass das Bürgerliche Gesetzbuch die Fähigkeit zur positiven Willensfreiheit unterstellt. A. Sen löst das Problem des neuronalen Determinismus ebenso pragmatisch wie der Privatrechtsgesetzgeber. Er legt seinem Befähigungsansatz die Annahme der subjektiven Fähigkeit, freie Entscheidungen aufgrund einer Abwägung des Für und Wider zu treffen, einfach zugrunde. Das ist wenig überraschend, schließlich stellt sein Ansatz einen Analyserahmen für individuelles Wohlergehen zur Verfügung, sodass sich das Interesse zuallererst auf die Einbindung des Einzelnen in die (äußere) Sphäre einer Gesellschaft richtet. Innere, psychologische Vorgänge der Menschen spielten daher in den bisherigen Ausführungen lediglich im Zusammenhang mit dem Problem des „Zufriedenheitsdilemmas“ eine Rolle. Allein aus der dort erörterten Annahme, Menschen seien fähig, trotz 64  Gleiches gilt im Ergebnis für den subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung, der keinen freien, undeterminierten Willen voraussetzt. Dies wurde ausführlich herausgearbeitet von Mankowski, AcP 211 (2011), S.  153, 173 ff. Zustimmend v. d. Crone, Wille als Grundlage der vertraglichen Bindung, 2007, S.  30; Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, Vorb. zu §§  116 ff. Rn.  8. Dementsprechend realisiert sich Selbstbestimmung im Akt der Willenserklärung auch dann, wenn einer Person ihr subjektives Wollen erst bewusst werden sollte, nachdem ihr Gehirn die Weichen für das, was sie erklärt, bereits gestellt hat. In anderen Worten: Selbstbestimmung im Rechtsgeschäftsverkehr verwirklicht sich, sofern nur die Quelle der Willenserklärung innerhalb des Erklärenden liegt. Das ist der Fall, wenn der Wille entweder aus einem im Gehirn stattfindenden neuronalen Prozess resultiert oder aus einem „bewusst erlebenden Ich“ hervorgeht. In beiden Fällen hängt der Wille nicht von Faktoren ab, die außerhalb des Erklärenden liegen. Ein derartig geformter eigener Wille genügt, damit eine Verbindung zwischen dem Willen und dem Erklärenden besteht und demnach von einem Willen gesprochen werden kann, in dem sich die Selbstbestimmung des Erklärenden manifestiert. In diesem Sinn bereits Mankowski, AcP 211 (2011), S.  153, 187: „Das eigene Gehirn aber ist ein Teil des Erklärenden, keine vom Erklärenden verschiedene Person. Entlang dieser ebenso einfachen wie strikten Grenze gehört die nicht extern gesteuerte Tätigkeit des eigenen Gehirns zur Autonomie des Erklärenden.“ 65 Vgl. Glimcher, in: Engel/Singer, Better Than Conscious?, 2008, S.  343, 368; Mankowski, AcP 211 (2011), S.  153, 191; ähnlich Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  251. 66 Vgl. Lindner, RW 1 (2011), S.  1, 26; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  14 f. 67 Vgl. Roth, in: FS Lampe, 2003, S.  43, 55 f.; Braun, JZ 2004, S.  610, 611; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  251 f.

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objektiv schlechter Lebensbedingungen ein hohes Maß an subjektivem Wohlbefinden zu empfinden,68 kann aber noch nicht geschlossen werden, dem Befähigungsansatz liege ein Bild von einem Menschen zugrunde, der in der Lage ist, seine Präferenzen unter den gegebenen Bedingungen zu reflektieren und sich gegebenenfalls von diesen Präferenzen zu distanzieren. Woraus ergibt sich also, dass im Befähigungsansatz die menschliche Fähigkeit zur positiven Willensfreiheit ebenso selbstverständlich vorausgesetzt wird wie im Bürgerlichen Gesetzbuch? Die Antwort liegt in den sogenannten Metapräferenzen. 69 A. Sen ist der Ansicht, dass Menschen ihre eigenen Präferenzen in den Zusammenhang mit höheren Bedürfnissen stellen. Sie verfügten demnach nicht nur über Präferenzen als Grundlage für ihre Wahlhandlungen. Vielmehr seien sie auch in der Lage, höherstufige Präferenzen herauszubilden, mit deren Hilfe sie ihre gewöhnlichen Präferenzen bewerten. Es sei – so argumentiert A. Sen – nicht abwegig zu sagen, dass ein Raucher wollen kann, das Verlangen nach Zigaretten, das er tatsächlich hat, nicht zu haben. Die einfache Präferenz zu rauchen, kann im Lichte einer höherstufigen Präferenz reflektiert und gegebenenfalls auch berichtigt werden.70 Dass es zwangsläufig zu einer Korrektur kommt, wird damit nicht behauptet. Verstößt ein Raucher allerdings gegen seine übergeordnete Präferenz, indem er trotz anderslautender Überzeugung eine Zigarette raucht, dann führt dies zu emotionalem Unbehagen. Dieses Gefühl wird im ökonomischen Standardmodell nicht berücksichtigt,71 denn anhand dieses Modells wird lediglich aus dem beobachtbaren Verhalten – der vollzogenen Wahlhandlung des Rauchens – auf den inneren Nutzen des Rauchers geschlossen. Die der Wahlhandlung nachfolgenden Gefühle, wie beispielsweise ein schlechtes Gewissen, Scham und Reue, werden ausgeblendet. A. Sen möchte diese übergeordneten Präferenzen indes einbeziehen. Für ihn besteht Rationalität daher gerade darin, „dass unsere Wahlen – explizit oder implizit – auf Gründen beruhen, die unserem Nachdenken standhalten, und sie verlangt, dass unsere Entscheidungen sowie unsere Handlungen und Ziele, Werte und Prioritäten eine gründliche kritische 68 

Vgl. §  2 D. I. dazu Frankfurt, J. Philos. 68 (1971), S.  5, 6 ff. („second-order desires“); Jeffrey, J. Philos. 71 (1974), S.  377 ff.; Sen, Erkenntnis 11 (1977), S.  225, 231; Bolle, Erkenntnis 20 (1983), S.  195, 196 ff.; Tietzel, JNPÖ 7 (1988), S.  38, 55 ff.; Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 117; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  12 m. w. N. in Fn.  14 sowie S.  18; Bachmann, Private Ordnung, 2006, S.  176; Möslein, Dispositives Recht, 2011, S.  319 ff.; Porat, Changing People’s Preferences by the State and the Law, 2019, S.  1, 20 ff. Die Verbindung von A. Sens Verständnis von innerer Freiheit und seinem Verständnis von Metapräferenzen wurde herausgearbeitet von Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  113 f. 70  Sen, Philos. Public Aff. 6 (1977), S.  317, 339: „Given my current tastes, I am better off with heroin, but having heroin leads me to addiction, and I would have preferred not to have these tastes.“ Vgl. dazu auch Biesecker/Kesting, Mikroökonomik, 2003, S.  145. 71  Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 41. 69  Siehe

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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Selbstprüfung überdauern.“72 Dieses Rationalitätsverständnis ist für die hier zu beantwortende Frage (Woraus ergibt sich, dass der Befähigungsansatz eine positive Willensfreiheit als selbstverständlich voraussetzt?) entscheidend. Denn es beruht offensichtlich auf der Annahme, dass sich die Menschen unter gegebenen Bedingungen anders entscheiden können, wenn sie das wollen. III. Willensfreiheit und Moralität Wenn nun dem Bürgerlichen Gesetzbuch die Prämisse zugrunde liegt, dass natürliche Personen grundsätzlich in der Lage sind, Gründe zu reflektieren und sich so oder anders zu entscheiden, dann wird damit zugleich gesagt, dass sie fähig sind, beliebige Gründe in ihre Abwägungsentscheidung einzubeziehen. Sie sind folglich nicht auf Eigenwohlerwägungen beschränkt, sondern können eigennutzorientierte Präferenzen kritisch hinterfragen, die Interessen anderer Menschen in den Blick nehmen und das eigene Wohl zugunsten des Wohls anderer zurückstellen, sofern sie das wollen. Damit soll nicht bestritten werden, dass das Eigenwohl des Handelnden ein „Leitzweck“73 im Rechtsgeschäftsverkehr ist. Treffend weisen etwa W. Flume sowie W. Schmidt-Rimpler darauf hin, dass derjenige, der einen Kaufvertrag abschließt, dies in aller Regel seines eigenen Vorteils wegen tut,74 und jeder der Vertragsschließenden zuallererst für sich selbst sorgen will.75 Dieser Ansicht soll hier nicht entgegengetreten werden. Es darf jedoch nicht ausgeblendet werden, dass der Mensch des Bürgerlichen Gesetzbuches prinzipiell auch Gründen außerhalb der unzweifelhaft mächtigen Triebfeder des Eigennutzes zugänglich ist, und sich daher von sich aus am Ende auch von seinem persönlichen Nutzen distanzieren kann,76 um im konkreten Fall „das Richtige“ zu tun. Diese Fähigkeit zur Moralität spricht das Reichsgericht in einer Entscheidung zu §  104 Nr.  2 BGB an: „Die freie Willensbestimmung setzt voraus, daß gegenüber den verschiedenen Vorstellungen und Empfindungen und gegenüber den Einflüssen dritter Personen, die bestimmend auf den Willen wirken, eine vernünftige Überlegung und freie Selbstentschließung darüber stattfindet, was im gegebenen Falle als das Richtige zu tun ist […].“77

72 

Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  222 [Hervorhebung hinzugefügt]. Dieser Begriff findet sich bei Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  351. 74  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.   Band, 4.   Aufl. 1992, S.   5; Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 5. 75  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.   Band, 4.  Aufl. 1992, S.  7; ähnlich Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  57. Deutlich auch Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  164: „[D]as System der Rechte [entfesselt] die interessegeleitete Willkür erfolgsorientiert handelnder Einzelsubjekte“. 76  So auch Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 250. 77  RGZ 103, 399, 401 [Hervorhebung hinzugefügt]. Vgl. auch RGZ 130, 69, 71. 73 

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Zweites Kapitel: Anwendung

Damit kann an dieser Stelle festgehalten werden: Das Menschenbild des Bürgerlichen Gesetzbuches entspricht weder dem Modell des homo oeconomicus noch dem Modell des homo incurvatus in se (zu Deutsch: einem auf sich selbst verkrümmten Menschen, völlig besessen von sich selbst, der seinen Vertragspartner immer nur als Objekt seiner eigenen Interessen sieht). Aus der dem Gesetz zugrunde liegenden Annahme positiver Willensfreiheit folgt vielmehr, dass der rechtlich verfasste Mensch mit einem moralischen Sinn ausgestattet ist,78 der Eigenwohlerwägungen verdrängen kann. Weil er zudem in der Lage ist, seinen handlungsleitenden Gründen im Rechtsgeschäftsverkehr zu folgen und diese Gründe „in die Tat umzusetzen“, ist er – wie es in der Philosophie heißt – zur praktischen Vernunft fähig.79 Das Menschenbild des geltenden Bürgerlichen Gesetzbuches folgt damit dem Menschenbild unserer Verfassung,80 die von der Vorstellung des Menschen als vernunftbegabtes, geistig-sittliches Wesen ausgeht.81 Interessant ist an dieser Stelle, dass sich der mit einem moralischen Sinn ausgestattete Mensch auch in A. Sens ökonomischem Verhaltensmodell finden lässt. Denn diesem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass sich Marktteilnehmer selbst dann „rational“ verhalten, wenn sie aus moralischen Gründen eine Entscheidung treffen, die das eigene Wohlbefinden nicht erhöht oder ihm sogar zuwiderläuft. Um diese Behauptung erklären und belegen zu können, muss man nochmals auf das bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit erörterte formale Nutzenkonzept der neueren Wohlfahrtsökonomik zurückkommen. Im dortigen Zusammenhang wurden nicht nur die Probleme vorgestellt, die mit einer Interpretation des Nutzens als präferenzgeleitete Wahlhandlung verbunden sind. Es wurde vielmehr auch auf einen zentralen Vorteil dieses Ansatzes hingewiesen. Er liegt in dem Umstand, dass sich ein formales Nutzenkonzept nicht für einen inneren Bewusstseinszustand, sondern nur für beobachtbare 78 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 284, der die Person als „ein zu selbständigen moralischen Entscheidungen fähiges Subjekt“ bezeichnet. 79  Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  349: „Weil es auf Gründe ankommt, spricht die Philosophie von Vernunft, weil auf handlungsleitende Gründe, von praktischer Vernunft.“ Zum Begriff der praktischen Vernunft vgl. Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  71; Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  27 f.; Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  223. 80 Ebenso Fezer, JZ 1988, S.  2 23, 228: „Das Menschenbild des geltenden Rechts ist zwar offen, aber nicht willkürlich. Es ist der Mensch der Grundrechtsdemokratie.“ Einschränkend Auer, ARSP 93 (2007), S.  493, 508: „Von supranationalem primärem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union und nationalen Verfassungen determiniert, werden Menschenbild-Elemente bruchstückhaft umgesetzt.“ Differenzierend Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 4.  Aufl. 2008, S.  55 f. Zum Menschenbild der Verfassung vgl. Gröschner, in: Engel/ Morlok, Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998, S.  31, 40 ff.; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 16; Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 4.  Aufl. 2008, S.  37 ff. 81  Vgl. BVerfGE 45, 187, 227 = NJW 1977, S.  1525, 1526.

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menschliche Handlungen interessiert. 82 Will man allerdings die präferenzgeleiteten Wahlhandlungen der Marktteilnehmer nicht nur während ihrer Ausführung beobachten, sondern sie auch prognostizieren, steht man vor dem Pro­ blem, dass Menschen ihre Wahlhandlungen immer mit einem Motiv verbinden. Denn jede Wahlhandlung beruht auf einem Willen, und wenn „ein Mensch will, dann will er auch Etwas“83. Seine Wahlhandlung ist mithin auf ein Ziel gerichtet und lässt sich nur in Beziehung auf ein solches denken. Das lässt sich an einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Ein Marktteilnehmer, der einen sozialen Zustand x dem sozialen Zustand y vorzieht, tut dies deshalb, weil es hierfür einen inneren Beweggrund gibt. Menschen handeln, kurz gesagt, nicht aus Präferenzen, sondern nur gemäß ihren Präferenzen und auf der Grundlage diverser Motive.84 Weil die vielfältigen Motive der unterschiedlichen Marktteilnehmer nicht bekannt sind, wird es schwierig, eine konkrete Vorhersage über ihr Verhalten zu treffen. Hier wird nun eine wichtige ökonomische Gesetzeshypothese relevant, die auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur breite Beachtung gefunden hat, weil sie – wie sogleich zu zeigen sein wird85 – einen zentralen Baustein der ökonomischen Analyse des Rechts bildet. Es handelt sich um das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus. Dieses Modell unterstellt, dass sich Menschen in Knappheitssituationen86 „rational“ verhalten, indem „sie aus den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine rationale Auswahl treffen, wobei sie sich in ihrer Entscheidung an den (erwarteten) Konsequenzen ihres Handelns orientieren.“87 Was das Individuum wählt, wird durch seine individuellen Präferenzen bestimmt. Da der homo oeconomicus das wählen wird, was seinen Präferenzen am ehesten entspricht bzw. was ihm den höchsten Nutzen verspricht, 88 wird das menschliche 82 

Vgl. §  2 D. II. Schopenhauer, Über die beiden Grundprobleme der Ethik, 2.  Aufl. 1860 (2019), S.  37 [Hervorhebung hinzugefügt]. 84  Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.   18. Vgl. auch Sen, Econ. Philos. 21 (2005), S.  5: „The idea of rational choice must be founded, in one way or another, on the basic requirement that choices be based on reason.“ 85  Vgl. §  9 A. I. 86  Zur ökonomischen Grundannahme der Knappheit, welche die Notwendigkeit menschlicher Entscheidungen begründet vgl. Albert, in: Lenk, Handlungstheorien interdisziplinär, Band 4, 1977, S.  177, 183; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  31; Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 37; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  12 f.; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 13; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  3; ­Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  22 f. 87  Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  2 [Hervorhebung im Original]. 88 Vgl. Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  5; Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  16; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  14; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  301. Zur Weiterentwicklung des homo oeconomicus zu einem Modell, welches berücksichtigt, dass Menschen nicht immer rational im Inter­esse einer bestmöglichen Nutzenmaximierung handeln, weil sie wegen ihrer begrenzten geistigen 83 

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Zweites Kapitel: Anwendung

Verhalten der Maxime der Nutzenmaximierung unterworfen.89 Dabei wird angenommen, dass die Präferenzen über einen gewissen Zeitraum konstant sind, die Menschen ihre Präferenzen also nicht ständig und spontan ändern.90 Das Präferenzsystem des rational handelnden Akteurs ist zudem vollständig, widerspruchsfrei und transitiv.91 Der rationale Entscheider des ökonomischen Verhaltensmodells trifft seine Entscheidungen zudem nur mit Blick auf seine eigenen Präferenzen,92 d. h., er blendet die Präferenzen anderer Menschen aus und versucht den eigenen Nutzen zu maximieren, nicht den Nutzen anderer. Anderenfalls ist sein Verhalten irrational. Es wird daher gesagt, dass der homo oeconomicus eigennützig handelt,93 was oftmals mit einer viel zitierten Aussage A. Smiths in Verbindung gebracht wird, der zufolge es nicht die Wohltätigkeit des Metzgers, des Brauers oder des Bäckers ist, die uns das Abendessen erwarten lässt, sondern dass sie nach ihrem eigenen Vorteil trachten.94 EigennützigKapazität nicht alle relevanten Informationen sammeln und verarbeiten können und daher nur über eine eingeschränkte Rationalität verfügen („bounded rationality“), vgl. Simon, Q. J. Econ. 69 (1955), S.  99 ff.; Simon, Am. Econ. Rev. 49 (1959), S.  253 ff. Zum Versuch der Verhaltensökonomik („behavioral economics“) und der „Behavioral Law and Economics“Forschung, mithilfe von psychologischen Experimenten eine realitätsnahe Modellannahme zu entwerfen, vgl. etwa Sunstein et al., Stanf. Law Rev. 50 (1998), S.  1471 ff.; Sunstein, Am. Law Econ. Rev. 1 (1999), S.  115 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, S.  216 ff.; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7 ff. m w. N. in Fn.  2; Englerth, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  60 ff.; Magen, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  261 ff.; Cooter/ Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  50 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  38 f.; Latzel, Verhaltenssteuerung, Recht und Privatautonomie, 2020, S.  52 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  117 ff. 89  Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  33: „Nutzenmaximierung heißt demgemäß: Handeln (Wählen) entsprechend einer Präferenzordnung.“; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  14. 90  Becker, The Economic Approach to Human Behavior, 1976, S.  14: „[A]ll human behavior can be viewed as involving participants who maximize their utility from a stable set of preferences“; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  40; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  111. Kritisch zur Annahme der stabilen Präferenzen Sen, Philos. Public Aff. 6 (1977), S.  317, 325; Sen, Econometrica 61 (1993), S.  495 ff.; Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 117: „Die Annahme, die Präferenzen der Menschen seien ‚fest‘ oder ‚stabil‘ […] geht einfach über die elementarsten Beobachtungen des täglichen Lebens hinweg.“ Weiterführend zum Problem des Präferenzwandels Pahlke, Welfare Economics, 1960, S.  17 f.; Eidenmüller, JZ 2005, S.  216, 219; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  32 f., 339 ff. 91 Dazu Tietzel, JNPÖ 7 (1988), S.  38, 44; Eidenmüller, JZ 2005, S.  216, 217; Magen, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  261, 267; Eidenmüller, JZ 2011, S.  814, 816; Cooter/ Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  19; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  110 f. 92  Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  16. 93 Vgl. Edgeworth, Mathematical Psychics, 1881, S.  16: „The first principle of Economics is that every agent is actuated only by self-interest.“; Becker, The Economic Approach to Human Behavior, 1976, S.  282; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  22 ff.; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 13; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  23. 94  Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.   21: „Nicht von dem Wohlwollen des

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keit stellt also die einzige Motivation menschlichen Verhaltens dar. Auch M. Weber legt diese Verhaltensannahme seiner bereits oben erwähnten Marktgemeinschaft zugrunde. Er betont, dass der Markt, wo er seiner Eigengesetzlichkeit überlassen ist, „kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen“95 kennt. Kurz gesagt: Der Marktgemeinschaft ist jede „Verbrüderung in den Wurzeln fremd“96 . Im Lichte dessen konstatiert M. Weber: „Die Marktgemeinschaft […] ist die unpersönlichste praktische Lebensbeziehung, in welche Menschen miteinander treten können.“97

Nicht nur A. Sen hat gegen diese Charakterisierung der Marktteilnehmer eingewendet, dass Eigennützigkeit zwar eine mächtige Triebkraft menschlichen Verhaltens darstellt. Sie könne jedoch keinesfalls als einzige Motivationsquelle angesehen werden.98 Der homo oeconomicus komme in der Realität so nicht vor.99 Weil im ökonomischen Modell alles Verhalten auf ein einziges Motiv, nämlich Eigennutz, zurückgeführt werde und dementsprechend die in der Realität bestehende „motivationale Komplexität des Entscheidungsverhaltens“100 nicht berücksichtigt werde, stellt der homo oeconomicus nach A. Sen einen „rationalen Trottel“101 dar. Zur Stützung seines Arguments kann er sich auf A. Smith berufen, der in seiner Schrift „The Theory of Moral Sentiments“ betont, dass der Mensch der Realität nicht nur seine eigenen Präferenzen unter Ausschluss der Präferenzen anderer verfolgt:102 Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse.“ 95  Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Winckelmann, 5.  Aufl. 1976, S.  383. 96  In diesem Sinn Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Winckelmann, 5.  Aufl. 1976, S.  383. 97  Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Winckelmann, 5.  Aufl. 1976, S.  382. 98  Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.   79: „The jettisoning of all motivations and valuations other than the extremely narrow one of self-interest is hard to justify on grounds of predictive usefulness, and it also seems to have rather dubious empirical support. To stick to that narrow path does not seem a very good way of going about our business.“ 99  Zu empirischen Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Menschen nicht nur aus Eigennutzerwägungen handeln, sondern auch Fairness- und Gerechtigkeitsvorstellungen folgen, vgl. etwa Kahneman et al., J. Bus. 59 (1986), S.  285 ff.; Sunstein et al., Stanf. Law Rev. 50 (1998), S.  1471, 1489 ff.; Rabin, J. Econ. Lit. 36 (1998), S.  11, 16 ff. 100  Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  33. Ebenso Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 110 („unzulässige Vereinfachung“). 101  Sen, Philos. Public Aff. 6 (1977), S.  317, 336: „The purely economic man is indeed close to being a social moron. Economic theory has been much preoccupied with this rational fool decked in the glory of his one all-purpose preference ordering.“ [Hervorhebung im Original]. Zustimmend Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  43 f. 102 Dazu Sen, in: Lall/Stewart, Theory and Reality in Development, 1986, S.  28 ff.; Sen, On

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„Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen andern Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein. […] Daß wir oft darum Kummer empfinden, weil andere Menschen von Kummer erfüllt sind, das ist eine Tatsache, die zu augenfällig ist, als daß es irgendwelcher Beispiele bedürfte, um sie zu beweisen […].“103

Was die Ansicht A. Sens konkret bedeutet, lässt sich am besten mit einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Wenn man sich beim Anblick eines Bettlers schlecht fühlt und ihm daher etwas gibt, „um sich von dem elenden Gefühl angesichts des Bettlers zu befreien“104, dann muss auch in diesem Fall von einem rationalen Verhalten gesprochen werden, denn derartige Entscheidungen aus Sympathie105 stellen im Ergebnis nichts anderes dar als „verdeckte“ eigennützige Entscheidungen.106 A. Sen geht allerdings noch einen entscheidenden Schritt weiter. Er ist der Ansicht, dass Menschen selbst dann rational handeln, wenn sie eine Entscheidung treffen, die dem Wohl anderer Personen dient und das eigene Wohlbefinden nicht erhöht oder ihm sogar zuwiderläuft.107 Solche nicht-eigennützigen Entscheidungen würden in aller Regel aus moralischen Gründen heraus getroffen.108 Wenn sich jemand beispielsweise an das pandemiebedingte Gebot zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes allein deshalb hält, weil er es für das moralisch Richtige hält, andere Menschen vor Krankheiten zu schützen, obgleich dieses Verhalten sein eigenes Wohlbefinden beeinträchtigt, so ist eine derartige offensichtlich nicht-eigennützige Entscheidung aus Verpflichtung („comEthics and Economics, 1987, S.  16; Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109; Sen, Commodities and Capabilities, 1985 (1999), S.  3; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  33; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  37 f., 303. 103  Smith, Theorie der ethischen Gefühle, 1759 (2010), S.  5. 104 Vgl. Losco, Political Psychol. 7 (1986), S.  323. 105  Sen, Philos. Public Aff. 6 (1977), S.  317, 326; Sen, Choice, Welfare and Measurement, 1982, S.  91 f.; Sen, Econ. Philos. 21 (2005), S.  5, 7: „Sympathy (including antipathy when it is negative) refers to ‚one person’s welfare being affected by the position of others‘ (e.g., feeling depressed at the sight of misery of others).“ 106  Zu derartig eigennützigen Entscheidungen vgl. Losco, Political Psychol. 7 (1986), S.  323, 327 ff.; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 67; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  3: „[T]heir ‚self-interest‘, which should not however be confused with selfishness. The happiness – or for that matter the misery – of other people may be a part of one’s satisfactions […].“; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  113. 107  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  56; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  52 f. 108  Sen, Philos. Public Aff. 6 (1977), S.   317, 329: „Commitment is, of course, closely connect­ed with one’s morals.“; Sen, Econ. Philos. 21 (2005), S.  5, 10: „It is easy enough to see that ethics is somehow mixed up with the idea of commitment […].“ Ebenso Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 113: „Schließlich drücken moralische Präferenzen eine Verpflichtung aus.“

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mitment“109) ebenfalls als rational anzusehen.110 Wichtig ist zu sehen, dass damit nicht die Forderung verbunden ist, der rationale Mensch solle das moralisch Richtige tun. Es wird lediglich gesagt, dass es ein solches Verhalten in der Wirklichkeit tatsächlich gibt und zum Baustein einer ökonomischen Handlungstheorie gemacht werden muss. Ob eine „materiale Ethik sozialer Verantwortung“111 im Wirtschafts- und Rechtsleben bestehen sollte, ist eine von der positiven individuellen Verhaltenshypothese zu unterscheidende andere Frage.112 Gegen diese moralische Anreicherung des ökonomischen Verhaltensmodells lässt sich einwenden, dass es auch bei Entscheidungen aus Verpflichtung im Grunde genommen um das eigene Ziel des Akteurs geht, nämlich darum, sich moralkonform zu verhalten. Damit basieren sie aber letztlich ebenfalls auf dem Motiv des Eigeninteresses. Diese Argumentation impliziert ein instrumentelles Moralverständnis:113 Dem homo oeconomicus gilt Moral als ein Instrument zur Realisierung der eigenen Interessen. Im dritten Kapitel wird der Faden dieser Überlegung aufgegriffen, denn das instrumentelle Moralverständnis liefert Argumente dafür, warum sich das nutzenorientierte Vertragsdenken der Rechts­ ökonomik für nicht-effizienzorientierte Gerechtigkeitsüberlegungen öffnen sollte.114 An dieser Stelle ist entscheidend, dass ein instrumentelles Moralverständnis zwar offensichtlich dem klassischen Moralverständnis widerspricht, dem zufolge nur dann von einer moralischen Handlung gesprochen werden kann, „wenn es in der Absicht besteht oder jedenfalls die Absicht einschließt, das Wohlbefinden eines anderen fühlenden Wesens um seiner selbst willen ohne Rücksicht auf die Interessen des Handelnden (oder eines Dritten) zu befördern.“115 Dieser Einwand berührt das ökonomische Verhaltensmodell jedoch 109 Vgl. Sen, Philos. Public Aff. 6 (1977), S.  317, 327: „One way of defining commitment is in terms of a person choosing an act that he believes will yield a lower level of personal welfare to him than an alternative that is also available to him.“; Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  52; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  35; Sen, Econ. Philos. 21 (2005), S.  5, 7: „‚[C]ommitment‘ is concerned with breaking the tight link between individual welfare (with or without sympathy) and the choice of action (for example, being committed to help remove some misery even though one personally does not suffer from it).“ 110  Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  35; Sen, Econ. Philos. 21 (2005), S.  5, 8 f.; Vanberg, Am. J. Econ. Sociol. 67 (2008), S.  605, 610 f. 111  So die bekannte Formulierung von Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, 1953 (1974), S.  24. 112  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  37. 113  Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  158. 114  Vgl. §  16 C. II. 115  Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  283 [Hervorhebung hinzugefügt]. Vgl. auch Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  40: „Auf eine Formel verkürzt, kann man moralisches Handeln […] als fremdnütziges Handeln bezeichnen.“ [Hervorhebung im Original]. Auch I. Kant hätte eigennützige Handlungen lediglich als „pflichtgemäße Handlungen“ ohne moralischen Wert qualifiziert, vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1786 (2019), S.  23: „Ich setze auch die Handlungen bei Seite, die wirklich pflichtmäßig sind, zu denen aber Menschen unmittelbar keine Neigung haben, sie aber dennoch ausüben, weil sie durch eine andere Neigung dazu getrieben werden.

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nicht. Denn die Frage nach dem richtigen Moralverständnis betrifft allein die Sollens-Ebene, für die sich das positive ökonomische Verhaltensmodell überhaupt nicht interessiert und auch nicht interessieren muss.116 Wer es kritisieren möchte, muss daher zeigen, dass die tatsächliche Verfasstheit der Menschen eine andere ist, und insoweit ist zu konzedieren, dass die Menschen ihre Entscheidungen in der Regel nicht ohne Blick auf ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen treffen.117 Gehört werden kann man lediglich mit dem Einwand, dass die Erfüllung einer moralischen Verpflichtung mit dem Ziel, „das Rechte zu tun“, ein anderes Gefühl auslöst als eine Entscheidung, die bewusst der Erhöhung des eigenen Nutzens dient.118 Ohne eine Differenzierung zwischen dem Motiv des Eigeninteresses und dem Streben, das Wohl anderer zu erhöhen, um einer moralischen Sollen-Forderung nachzukommen, geht dieses Faktum verloren119 und die Erklärungskraft des ökonomischen Modells verdünnt sich darauf, „daß letztlich jede tatsächliche Handlung eines Individuums seinen Nutzen maximiert […], denn das Individuum hätte andernfalls diese Aktion aus der Menge der Handlungsalternativen bei gegebenen Nebenbedingungen nicht gewählt.“120

C. Äußere Freiheit Bislang war der Blick auf die innere Freiheit gerichtet. Es hat sich gezeigt, dass sowohl der Befähigungsansatz als auch das Bürgerliche Gesetzbuch von der Fähigkeit des menschlichen Verstandes ausgehen, eigennützige Präferenzen zu hinterfragen und diese nach Abwägung des Für und Wider gegebenenfalls in eine andere Richtung zu lenken. Das Individuum wird damit gleichfalls als fähig befunden, moralische Gründe in die Willensbildung einzubeziehen. Damit kann einen Schritt weitergegangen werden: Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass der „Handlungsspielraum des Wollens“121 eine von der inneren Denn da läßt sich leicht unterscheiden, ob die pflichtmäßige Handlung aus Pflicht oder aus selbstsüchtiger Absicht geschehen sei.“ Zu dieser Unterscheidung vgl. etwa Höffe, ZPhF 31 (1977), S.  354, 366 f. 116 Vgl. Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 11 f., 17; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  3; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  37. 117  Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  159. 118  Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 110. 119  Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 112. 120  Kubon-Gilke, in: Seifert/Priddat, Neuorientierungen in der ökonomischen Theorie, 1995, S.  271, 278. Ähnlich Sen, Philos. Public Aff. 6 (1977), S.  317, 322: „If you are observed to choose x rejecting y, you are declared to have ‚revealed‘ a preference for x over y. Your personal utility is then defined as simply a numerical representation of this ‚preference‘, assigning a higher utility to a ‚preferred‘ alternative. With this set of definitions you can hardly escape maximizing your own utility, except through inconsistency.“ Siehe dazu auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  33 (Fn.  31). 121  Wildfeuer, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  358, 362.

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Freiheit abzugrenzende andere Freiheitsdimension betrifft. Bei dieser äußeren Freiheit geht es, ganz allgemein gesprochen, um die Betrachtung des gesellschaftlichen Raums, in dem sich die Willensfreiheit entfaltet.122 Zuvor kommt es dabei allerdings noch zu einer konkreten Entscheidung,123 die durch eine nach außen kundgetane Erklärung handlungswirksam wird und hinsichtlich deren sich ebenfalls die Frage nach der Freiheit stellt. Damit ist man bei einer weiteren „inneren Komponente der Selbstbestimmung“124 angelangt: der Entscheidungsfreiheit. Obgleich sie der inneren Sphäre des Menschen zuzuordnen ist und der Begriff der Entscheidungsfreiheit in der Philosophie oftmals gleichbedeutend mit Willensfreiheit gebraucht wird125 , hat sie in den bisherigen Ausführungen zur inneren Freiheit keine Rolle gespielt. Das liegt daran, dass die hier interessierende rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit im Zusammenhang mit der Frage relevant ist, ob die einzelne Person tatsächlich in der Lage ist, ihre Interessen im Vertragsprozess zur Geltung zu bringen. Damit werden aber die äußere Freiheit und ihre sogenannte Materialisierung in den Blick genommen,126 die erst in den nun folgenden Ausführungen Bedeutung erlangen. Auch die äußere Freiheit soll entlang der bereits bekannten beiden Freiheitskonzepte – der positiven und der negativen Freiheit – vorgestellt werden. Anschließend wird die von A. Sen vorgeschlagene Synthese der beiden Freiheitskonzepte im Begriff der Fähigkeiten erörtert sowie geklärt, was unter dem „Prozessaspekt“ und dem „Chancenaspekt“ der Freiheit zu verstehen ist. Die Frage, wie sich diese unterschiedlichen Freiheitsaspekte zur Konturierung des Dualismus von formaler und materialer Vertragsfreiheit nutzbar machen lassen, wird ebenfalls im Folgenden beantwortet.

122 Vgl. Sturma, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Stichwort „Freiheit“, 1999, S.  400, 406. 123  Zur Unterscheidung von Willensfreiheit und Entscheidungsfreiheit Neuner, AcP 218 (2018), S.  1, 4: „Sie [die Willensfreiheit – Anmerkung hinzugefügt] beschränkt sich jedoch nach dem herkömmlichen Begriffsverständnis auf die prinzipielle Fähigkeit zur Reflexion und Selbstkontrolle. Es bedarf daher noch einer zusätzlichen Kategorie in Form der Entscheidungsfreiheit, die (über die konstitutionellen Grundbedingungen hinaus) den Prozess der konkreten Willensbildung und Willensentschließung erfasst.“ [Hervorhebung im Original]. 124  Neuner, AcP 218 (2018), S.  1, 4 [Hervorhebung im Original]. 125  Sturma, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Stichwort „Freiheit“, 1999, S.  400; Keil, Willensfreiheit und Determinismus, 2.  Aufl. 2018, S.  25. 126  Aus der überreichen Literatur zur Materialisierung der Vertragsfreiheit vgl. etwa Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, 1974, S.  19 f.; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.  158 f., 753 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996, S.  93 f.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S.  7, 208 f., 266 ff.; Hönn, in: FS Kraft, 1998, S.  251, 253 ff. Zum Begriff der Materialisierung siehe etwa Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S.  23 f.; Lüttringhaus, Vertragsfreiheit und ihre Materialisierung im Europäischen Binnenmarkt, 2018, S.  324 ff.

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Zweites Kapitel: Anwendung

I. Freiheitskonzepte Die äußere Freiheit kann ebenso wie die innere Freiheit auf zwei Weisen definiert werden, nämlich negativ oder positiv.127 Um den Unterschied zwischen diesen beiden Freiheitskonzepten zu verdeutlichen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass die Basis der Freiheit immer eine dreiteilige Relation ist zwischen erstens einer Person als Träger der Freiheit (a), zweitens einem Freiheitshindernis (b) und drittens einer gewollten Handlung (c).128 Will man wissen, ob eine Person frei ist, muss man folgende Frage stellen: Ist das Handlungssubjekt (a) frei von dem Hindernis (b), um seine gewollte Handlung (c) zu realisieren? 1. Negative Freiheit Für ein negatives Freiheitskonzept ist kennzeichnend, dass es sich nicht für das Handlungsziel (c) interessiert, sondern sich allein auf das Hindernis (b) ausrichtet. Die Grundidee eines negativen Freiheitskonzepts kann man somit in dem einfachen Satz zusammenfassen: „Einen Menschen zwingen, heißt ihn seiner Freiheit berauben.“129 Sie klingt auch in der Freiheitsdefinition I. Kants zur „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“130 an und kommt in folgenden Worten von I. Berlin zum Ausdruck: „Wenn andere mich daran hindern, etwas zu tun, das ich sonst tun könnte, bin ich insofern unfrei.“131 Noch 127  Kritisch zu dieser Einteilung MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.  312, 322: „The trouble is not merely that some writers do not fit too well where they have been placed; it is rather that writers who are purportedly the very models of membership in one camp or the other (for example, Locke, the Marxists) do not fit very well where they have been placed“. Ein drittes Freiheitsverständnis, die sogenannte republikanische Freiheit, zeichnet sich dadurch aus, dass bereits die bloße Fähigkeit einer Person, sich nach Belieben in das Handeln anderer oder in die Ergebnisse dieses Handelns einzumischen, zu Unfreiheit führt. Freiheit setzt damit voraus, dass auch die Möglichkeit der Einmischung nicht besteht. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zum Konzept der negativen Freiheit, die nur tatsächliche Einmischung ausschließt, vgl. Schmidt, in: Stekeler-Weithofer/Zabel, Philosophie der Republik, 2018, S.  382, 383. Pettit, in: Shapiro/Hacker-Cordón, Democracy’s Value, 1999, S.  163, 165, fasst als ein bedeutender Vertreter dieser republikanischen Idee der Freiheit das Konzept wie folgt zusammen: „Freedom just is non-domination. One person is dominated by another, so I shall assume, to the extent that the other person has the capacity to interfere in their affairs, in particular the capacity to interfere in their affairs on an arbitrary basis.“, sowie Pettit, Econ. Philos. 17 (2001), S.  1, 18 (Fn.  4); dazu Swan, JMM 6 (2003), S.  117 ff. Zu den Verbindungen zwischen einem republikanischen Freiheitsverständnis und dem Freiheitsverständnis A. Sens vgl. etwa Pettit, Econ. Philos. 17 (2001), S.  1, 17 ff.; Hamilton, Amartya Sen, 2019, S.  72. 128  Grundlegend hierzu MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.  312, 314; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  230; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  19. Weitere Nachweise zur dreiteiligen Struktur des Freiheitsbegriffs finden sich bei Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  110 (Fn.  4). 129  Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 201. 130  Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  345. 131  Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 201 f.

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klarer fasst es T. Hobbes, wenn er schreibt, dass Freiheit nur das Freisein von einem hindernden Widerstand meint.132 Am deutlichsten hierzu sind aber die Ausführungen A. Schopenhauers: „Demnach werden, in dieser physischen Bedeutung des Begriffs der Freiheit, Thiere und Menschen dann frei genannt, wann weder Bande, noch Kerker, noch Lähmung, also überhaupt kein physisches, materielles Hinderniß ihre Handlungen hemmt, sondern diese ihrem Willen gemäß von sich gehen.“133

Was all diese Formulierungen verdeutlichen, ist der Umstand, dass in einem negativen Freiheitskonzept allein das Hindernis betrachtet wird, das der menschlichen Freiheit entgegensteht. Dementsprechend sagt negative Freiheit nichts darüber aus, was eine freie Person unter bestimmten Bedingungen tatsächlich tun kann. Der Blick beschränkt sich auf den Prozess des Freiheitsgebrauchs. Wenn dieser ungehindert abläuft, ist Freiheit gewährleistet. Eine negative Konzeption von Freiheit kann daher auch als prozedurale Freiheitsidee bezeichnet werden.134 Als solche ist sie nicht folgenbezogen. Damit weist sie eine Parallele zum Prinzip der rechtlichen Gleichheit auf,135 was an späterer Stelle näher erläutert werden wird.136 Weil es in einer negativen Konzeption von Freiheit um die Abwesenheit von Hindernissen geht,137 wird negative Freiheit oftmals als eine „Freiheit von etwas“ bezeichnet, die von einer „Freiheit zu etwas“ abzugrenzen sei.138 Legt man diese Definition zugrunde, könnte man meinen, man müsse nur noch danach fragen, welche gewollten Handlungen und Ziele eine Person nicht verwirklichen kann. Ein solches Vorgehen ist jedoch deshalb problematisch, weil sich der Blick damit nicht mehr auf das Hindernis, sondern auf das Handlungsziel richtet, das aufgrund eines Hindernisses nicht verwirklicht werden kann. Wenn negative Freiheit aber durch dasjenige bestimmt wird, was nicht ist, kann sie leicht in eine Freiheit zu etwas umformuliert werden.139 Die Freiheit von Armut wäre dann als Freiheit zu Reichtum zu verstehen. Das widerspricht jedoch offensichtlich der dargestellten Konzeption eines negativen Freiheitsverständnis132 

Hobbes, Leviathan, 1651 (2017), S.  34. Schopenhauer, Über die beiden Grundprobleme der Ethik, 2.  Aufl. 1860 (2019), S.  30. 134  Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  115 (Fn.  71). 135  Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  380. 136  Vgl. §  10 C. II. 2. c). 137  Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  56; Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 183; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  11 (Fn.  13); v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  28 ff.; Berlin, Zwei Freiheits­ begriffe, 1958 (2006), S.  197, 202; Wildfeuer, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  358, 362. 138  MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.   312, 314; Schapp, AcP 192 (1992), S.  355, 359; ­Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 210; Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  22; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  4 4 f. 139 Vgl. Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  109. 133 

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ses. Der damit verbundenen Intention wird man nur gerecht, wenn man sich konsequent auf das Freiheitshindernis konzentriert. Um das negative Freiheitsverständnis zu verdeutlichen, hilft ein abschließender Blick auf das folgende Beispiel: Eine Vorschrift (b), die dazu führt, dass eine testamentarische Verfügung des Heim­ bewohners (a) zugunsten eines Heimbetreibers nichtig ist (§  14 Abs.  1 HeimG i. V. m. §  134 BGB),140 schränkt die Testierfreiheit des Erblassers nicht deshalb ein, weil er sein Handlungsziel (c) – hier die testamentarische Zuwendung – nicht verwirklichen kann, sondern weil der gewollten testamentarischen Gestaltung ein Hindernis, nämlich die Vorschrift (b) entgegensteht. Würde es nun (b) nicht geben und hätte (a) kein Vermögen, das im Wege der Universalsukzession übergehen könnte, so wäre (a) nach einem negativen Freiheitsverständnis nicht als unfrei zu bezeichnen, obwohl er sein Handlungsziel (c) auch in dieser Konstellation nicht verwirklichen könnte. Das bedeutet: Allein der Umstand, dass jemand nicht über Eigentum verfügt und dementsprechend über dieses Recht an einem Gegenstand auch nicht verfügen kann, führt bei einem negativen Freiheitsverständnis nicht zur Unfreiheit.

2. Positive Freiheit Der Einwand gegen das negative Freiheitskonzept liegt auf der Hand: Die Mitglieder einer Gesellschaft profitieren von einer so verstandenen Freiheit höchst unterschiedlich. Dies folgt aus dem Umstand, dass zwar allen die gleiche „Prozessfreiheit“ gewährt wird, dabei jedoch unberücksichtigt bleibt, dass nicht alle Menschen angesichts divergierender persönlicher und sozialer Umstände gleich sind und dementsprechend faktisch von dem gewährten Freiheitsraum nicht in gleicher Weise Gebrauch machen können. Insbesondere bleibt in einem negativen Freiheitskonzept die in der Realität vorzufindende unterschiedliche Einkommens- und Vermögensverteilung unberücksichtigt,141 denn die bloße ökonomische Unfreiheit begründet – wie eben gezeigt wurde – in einem negativen Freiheitsverständnis keinen Zustand der Unfreiheit.142 Freisein kann dementsprechend auch die Freiheit bedeuten, zu hungern.143 A. Sen verdeutlicht dieses Problem mithilfe des folgenden Beispiels: 140  Zur Anwendbarkeit des §  14 Abs.  1 HeimG bzw. der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften auf Zuwendungen durch Verfügungen von Todes wegen BVerfG, NJW 1998, S.  2964; BGH, NJW 2002, S.  155; BFH, NJW 2006, S.  2943, 2944; BGH, ZEV 2012, S.  99; Karl, in: Dickmann, Heimrecht, 11.  Aufl. 2014, §  14 Rn.  20; Müller-Engels, in: Burandt/ Rojahn, Erbrecht, 3.  Aufl. 2019, §  14 HeimG Rn.  10; Kössinger/Najdecki, in: Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 6.  Aufl. 2020, §  3 Rn.  5 m. w. N. 141  Neben finanzieller Mittellosigkeit ist Krankheit ein Beispiel dafür, dass ein Mensch in der Realisierung seiner Möglichkeiten eingeschränkt ist, vgl. Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, 1958 (2006), S.  197, 202; Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  22. 142  Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  199. Vgl. ferner Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 82, der das Konzept der negativen Freiheit als „unsoziale“ Freiheit bezeichnet. 143  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  25.

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„If […] it is only required that no one be excluded from buying something which he or she can pay for (e. g. no one be excluded from the use of markets on grounds of race, gender or colour), there is a clear procedural demand here which can be very appealing – and also very important in many contexts. However, it may not be of great practical interest to a very poor person who cannot afford to buy that commodity anyway.“144

Weil negative Freiheit damit nicht zwangsläufig ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht,145 ist Freiheit nach dem bekannten Diktum L. v. Steins „erst eine wirkliche in dem, der die Bedingungen derselben, die materiellen und geistigen Güter als die Voraussetzungen der Selbstbestimmung, besitzt.“146 Mit diesem Freiheitsverständnis rückt die Frage in den Fokus, ob der Mensch tatsächlich die Chance hat, ein selbst gewähltes Handlungsziel zu erreichen.147 Oder anders gewendet: Der Blick richtet sich nicht mehr auf das Freiheitshindernis (b), sondern auf die gewollte Handlung (c). 3. Vereinigung Das eben zu den unterschiedlichen Freiheitskonzepten Ausgeführte könnte den Eindruck erwecken, negative und positive Freiheit stünden als konkurrierende Interpretationen einer einzigen Idee unversöhnbar nebeneinander. Das trifft jedoch nicht zu, denn die Vertreter der unterschiedlichen Freiheitskonzepte teilen in aller Regel die Einsicht, dass Freiheit für die Gestaltung der Gesellschaft als zentral zu bewerten ist.148 Dem Satz „a good society […] is also a society of freedom“149 werden die wenigsten widersprechen. Der Konflikt entsteht erst dann, wenn es um die staatliche Aufgabe der Freiheitsgewährleistung geht.150 Die Bedingungen der Freiheit stellen sich in beiden Freiheitskonzepten nämlich gänzlich unterschiedlich dar. Während sich in einem Konzept der „Freiheit von“ die Aufgabe des Staates darauf beschränkt, den formal ungehinderten Gebrauch der Freiheit zu sichern, ist eine „Freiheit zu“ mit der Forde144  Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  345. Vgl. auch Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  85: „Die Mittelosen, etwa die Arbeitslosen oder die Verarmten, können gerade deshalb verhungern, weil ihre ‚Zugangsrechte‘ – so legitim sie auch sein mögen – ihnen nicht genug zu essen verschaffen.“ Zum Problem der fehlenden Kaufkraft vgl. bereits §  4 B. 145 Vgl. Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  2 2. 146  v. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, Band 3, 1850 (1959), S.  104. Ähnlich v. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, Band 1, 1850 (1972), S.  84: „Die Freiheit ist die, in der geistigen wie in der materiellen Welt gesetzte Selbstbestimmung der Persönlichkeit. Sie setzt mithin für die einzelne Person die Herrschaft über die Sphäre des geistigen, wie des materiellen Gutes.“ 147 Vgl. MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.  312, 329; Wildfeuer, in: Düwell et al., Handbuch Ethik, 3.  Aufl. 2011, S.  358, 363. 148  MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.  312 f.; Hagel, Effizienz und Gerechtigkeit, 1993, S.  9 0; Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  112. 149  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  41. 150  MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.  312, 319 (Fn.  5).

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rung an den Staat verbunden, konkrete Lebensumstände herzustellen. Ganz in diesem Sinne fordert etwa J. G. Fichte, dass der Staat den Einzelnen in seinem Eigentum nicht nur zu schützen, sondern die zu schützenden Güter zuvor auch bereitzustellen habe: „Es ist zwar nicht geradezu unrichtig, und lässt einen guten Sinn zu, wenn man sagt: der Staat habe nichts mehr zu thun, als nur jeden bei seinen persönlichen Rechten und seinem Eigenthume zu erhalten und zu schützen […]. Im Gegensatze gegen diese Meinung würde ich sagen: es sey die Bestimmung des Staats, jedem erst das Seinige zu geben, ihn in sein Eigenthum erst einzusetzen, und sodann erst, ihn dabei zu schützen.“151

In einem positiven Freiheitsverständnis muss somit ein Zustand wirtschaftlicher Not beseitigt werden, wenn dieser den Einzelnen daran hindert, selbstbestimmt zu leben.152 Einkommen und Vermögen werden damit zur Bedingung für die Ausübung von Freiheit.153 Damit drängen sich unweigerlich zwei Folgefragen auf: Die Erreichbarkeit welcher konkreten Handlungsziele muss der Staat gewährleisten, damit Menschen in einem positiven Sinn frei sind? Und genügt er bereits seinem Auftrag, wenn er lediglich Chancen schafft, um minimale Handlungsziele grundlegender Art zu erreichen, wie die Vermeidung von Krankheit und Hunger? Antworten hierauf müssen an dieser Stelle nicht gegeben werden. Die Fragen sollen lediglich verdeutlichen, dass ein positives Freiheitsverständnis keine Regel für das Niveau der Freiheit vorgibt, das sich eine Gesellschaft leisten kann und will.154 Trotz der zwischen einem positiven und negativen Freiheitskonzept bestehenden Unterschiede hinsichtlich der Bedingungen der Freiheit versucht A. Sen, die scharfe Kontrastierung von positiver und negativer Freiheit zu überwinden und beide Konzepte zu vereinen.155 Dazu führt er die Begriffe „Prozess­ aspekt“ und „Chancenaspekt“ der Freiheit ein156 und verbindet diese beiden Freiheitsaspekte in dem bereits aus dem ersten Teil der Arbeit bekannten inte­ grativen Begriff der Fähigkeiten.157 Der Prozessaspekt der Freiheit betrachtet 151 

Fichte, Der geschlossene Handelsstaat, 1800 (2015), S.  11 [Hervorhebung im Original]. MacCallum, Philos. Rev. 76 (1967), S.  312, 320: „Writers adhering to the concept of ‚negative‘ freedom hold that only the presence of something can render a person unfree; writers adhering to the concept of ‚positive‘ freedom hold that the absence of something may also render a person unfree.“; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S.  375 f.; Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  24. 153 Vgl. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S.   376; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  200 (Fn.  125). 154 Vgl. Rückert, „Frei und sozial“ als Rechtsprinzip, 2006, S.  5 4. Siehe dazu auch Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  24: „Der positiven Freiheit wohnt kein natürliches Maß inne. Der Sozialstaat hat keine natürliche Grenze.“; Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  240. 155 Vgl. Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  256 f.; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  4 41. 156  Vgl. etwa Sen, Oxf. Econ. Pap.  45 (1993), S.  519: „substantive opportunities, and process considerations“; Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  10. 157  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  28 f. 152 Vgl.

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die Verfahren, die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit entstehen lassen. Der Blick richtet sich also auf die Frage, wie ein bestimmtes Ergebnis zustande gekommen ist: „Turning now to the process aspect, seeing liberty as a guaranteed process of leaving people to be free to do certain things in their own personal sphere […]. In this perspective it does not really matter what the actual outcome is, in so far as liberty is concerned, as long as people remain free to do what they want in their personal domain.“158

Beim Chancenaspekt der Freiheit geht es hingegen um eine ergebnisorientierte Frage, nämlich darum, ob der Einzelne tatsächlich über die Möglichkeit verfügt, seine Handlungsziele zu erreichen.159 Er gibt Auskunft darüber, ob das Individuum in der Lage ist, das zu erreichen, was ihm wichtig ist. Für den Weg zu diesem Handlungsziel interessiert sich der Chancenaspekt indes nicht.160 „In assessing opportunities, attention has to be paid to the actual ability of a person to achieve those things that she has reason to value. In this specific context the focus is not directly on what the process involved happened to be, but on what the real opportunities of achievement are for the persons involved.“161

Ein Freiheitskonzept, das diesen Chancenaspekt unberücksichtigt lässt, erachtet A. Sen für unterkomplex, denn es könne nicht erklären, dass „selbst riesige Hungersnöte auftreten können, ohne daß jemandes libertäre Rechte, Eigentumsrechte eingeschlossen, verletzt werden.“162 Das im Befähigungsansatz maßgebliche Bewertungskriterium der menschlichen Fähigkeiten, verstanden als die Freiheiten einer Person, die sie benötigt, um das von ihr mit Gründen geschätzte Leben zu führen, zeichnet sich somit durch eine Zweidimensionalität aus.163 Fähigkeiten haben eine Prozessseite und eine Chancenseite. Beide Seiten stellen ein notwendiges Element der menschlichen Freiheit dar.164 Dementsprechend kann auch Unfreiheit aus einer Beschränkung des einen oder des anderen Freiheitsaspekts resultieren.165

158  Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  35. Vgl. auch Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  10. 159  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  28 f. 160  Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  256. 161  Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  10. Vgl. dazu auch Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  6 4; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  256; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  34. 162  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  85. Vgl. auch Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  347. 163  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  353. 164  Sen, Philos. Public Aff. 32 (2004), S.  315, 330. 165  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  28.

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II. Vertragsfreiheit: Prozess und Chancen Diese kurze Skizze der verschiedenen Freiheitskonzepte sowie A. Sens Versuch, mithilfe des Prozess- und des Chancenaspekts der Freiheit beide Ansätze im Begriff der Fähigkeiten zu vereinen, lässt den Unterschied zwischen der Vertragsfreiheit und den Fähigkeiten im Sinne des Befähigungsansatzes hervortreten: Die Vertragsfreiheit umfasst nicht den Chancenaspekt der Freiheit. Diese Behauptung ist zu explizieren und zu begründen. Dazu müssen das Freiheitskonzept, das der Vertragsfreiheit zugrunde liegt, konturiert und der Dualismus von formaler und materialer Freiheit skizziert sowie herausgearbeitet werden, wo die äußere Grenze einer material verstandenen Vertragsfreiheit liegt. 1. Material-negative Freiheit Die Vertragsfreiheit wird im Grundrechtskatalog weder textlich erwähnt noch definiert.166 Expressis verbis findet sie sich heute nur in einzelnen Landesverfassungen, wie etwa in Art.  151 Abs.  2 S.  1 BayVerf, Art.  52 Abs.  1 RheinlPfVerf, Art.  44 SaarlVerf.167 Auch Art.  152 der Weimarer Reichsverfassung168 hat in Abs.  1 bestimmt: „Im Wirtschaftsverkehr gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze“.169 Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass sie als ein „besonders 2 wichtiges Teilstück“170 der Privatautonomie unter den Schutz des Art.   Abs.  1 GG fällt,171 sofern dieser Schutz nicht durch spezielle Freiheitsrechte ge166  Auch das Bürgerliche Gesetzbuch kennt den Begriff nicht. Siehe hierzu Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  6 4 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  46 f.; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 68. 167  Hierauf verweisen etwa Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  4; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  53 (Fn.  56); Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 246; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  200 f. 168  Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919 (RGBl. 1919, S.  1383). 169  Zur historischen Entwicklung der Privatautonomie vgl. etwa die Nachweise bei Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  5; Zöllner, in: FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S.  85, 86 (Fn.  1); Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  13 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  192 ff. 170  Raiser, JZ 1958, S.  1; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  19; Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 277. Die Vertragsfreiheit stellt nur ein Teilstück der Privatautonomie dar, weil die Letztgenannte neben der Vertragsfreiheit auch die Eigentumsfreiheit, die Testierfreiheit und die Vereinigungsfreiheit umfasst. Vgl. dazu Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 277; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  43; Kötz, Vertragsrecht, 2.  Aufl. 2012, §  1 Rn.  22; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  31; Busche, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  2; Ellenberger, in: Grüneberg, BGB, 81.  Aufl. 2022, Überblick vor §  104 Rn.  1. 171  Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerfGE 8, 274, 328 = NJW 1959, S.  475; BVerfGE 72, 155, 170 = NJW 1986, S.  1859; BVerfGE 103, 89, 100 = NJW 2001, S.  957, 958; BVerfGE 103, 197, 215 = NJW 2001, S.  1709. Vgl. auch Raiser, JZ 1958, S.  1, 6; Canaris, JZ 1987, S.  993, 994; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  74 ff.; Gellermann, Grund-

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währleistet ist,172 die Vorrang haben, weil die allgemeine Handlungsfreiheit als „Auffanggrundrecht“ zu qualifizieren ist. Diesem Vorrang soll hier nicht nachgespürt werden.173 Auch die gebräuchliche Auffächerung der Vertragsfreiheit in Abschlussfreiheit, Kontrahentenwahlfreiheit, Inhalts- und Gestaltungsfreiheit sowie Aufhebungs- und Änderungsfreiheit174 sei an dieser Stelle nur erwähnt. Beide Punkte sind für die hier interessierende Frage (Warum stellt die Vertragsfreiheit keine Fähigkeit im Sinne des Befähigungsansatzes dar?) nicht ergiebig. Entscheidend ist, dass Art.  2 Abs.  1 GG – wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts bemerkt – jedem die Freiheit garantiert, im Bereich seiner selbst das zu tun und zu lassen, was er will, soweit dabei nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird. Dabei geht es bei der in einem umfassenden Sinn verstandenen allgemeinen Handlungsfreiheit175 um eine Freiheit im Sinne eines „Freiseins von“. Geschützt wird ein Freiheitsraum, der von Eingriffen anderer, insbesondere des Staates, frei ist.176 In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: Die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet „ein allumfassendes Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe“177. rechte im einfachgesetzlichen Gewand, 2000, S.  133 f.; Münch, in: FG Hahn, 2007, S.  89, 90; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 68. 172  Zur Subsidiarität des Art.  2 Abs.  1 GG vgl. BVerfGE 32, 98, 107 = NJW 1972, S.  327, 330; Laufke, in: FS Lehmann, 1956, S.  145, 162 f.; Isensee, in: FS Großfeld, 1999, S.  485, 494 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S.   288 ff.; Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 248; Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  165, 169. 173  Hierzu etwa Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewand, 2000, S.  134 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  85 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  201 ff. 174 Dazu Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  6 4 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  55 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  33 ff.; Armbrüster, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, vor §  145 Rn.  26. 175  Zu dieser Interpretation des Art.  2 Abs.  1 GG grundlegend BVerfGE 6, 32, 36 = NJW 1957, S.  297: „Das GG kann mit der ‚freien Entfaltung der Persönlichkeit‘ nicht nur die Entfaltung innerhalb jenes Kernbereichs der Persönlichkeit gemeint haben, der das Wesen des Menschen als geistig-sittliche Person ausmacht; denn es wäre nicht verständlich, wie die Entfaltung innerhalb dieses Kernbereichs gegen das Sittengesetz, die Rechte anderer oder sogar gegen die verfassungsmäßige Ordnung einer freiheitlichen Demokratie sollte verstoßen können. Gerade diese, dem Individuum als Mitglied der Gemeinschaft auferlegten Beschränkungen zeigen vielmehr, daß das GG in Art.  2 Abs.  1 GG die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne meint.“ 176 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  342. A. A. Schaumann, JZ 1970, S.  48, 49: „Es ist ein positiver Verfassungsauftrag, der […] aus allen Freiheitsrechten folgt.“ [Hervorhebung im Original]. Differenzierend Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  120 ff., der zwar den negativen Freiheitsbegriff als das Abwehrrecht prägend begreift, aber in der dogmatischen Struktur des Abwehrrechts unterschiedliche Freiheitsvorstellungen miteinander verbunden sieht („komplexe Freiheitsstruktur“). 177  BVerfG, NVwZ 2007, S.  1176. Vgl. auch Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S.  65; Depenheuer, PiG 49 (1996), S.  35, 40; Heinrich, Formale Freiheit und materiale

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In dieser staatsfreien Sphäre können die Grundrechtsträger bestimmen, wie sie ihre gegenläufigen Interessen mithilfe des durch den Staat bereitzustellenden Rechtsinstituts des Vertrags178 in Einklang bringen. Dabei schlägt das in Art.  2 Abs.  1 GG verankerte Verständnis von allgemeiner Handlungsfreiheit auf das Konzept der Vertragsfreiheit durch: Der grundrechtlichen Freiheit zum rechtsgeschäftlichen Handeln ist ein negatives Freiheitsverständnis zugrunde zu legen.179 Dem Privatrechtssubjekt kommt also auch insoweit nur „ein Status zu, in dem er Herr ist, eine staatsfreie, das Imperium verneinende Sphäre.“180 Das negative Freiheitsverständnis hat zur Folge, dass es zu keiner Einschränkung der Kompetenz kommt, private Lebensverhältnisse durch Rechtsbeziehungen zu gestalten,181 wenn dem Privatrechtssubjekt eine einvernehmliche Regelung mit einem anderen nicht gelingt, gleichgültig wie hässlich dieses Ergebnis in der Wirklichkeit der sozialen Ungleichheit auch sein mag. Wenn also etwa ein Mittelloser deshalb verhungert, weil ihm die Freiheit, seine Rechtsverhältnisse nach seinem eigenen Willen zu gestalten, nicht genug zu essen verschafft,182 dann verletzt dies nicht seine durch Art.  2 Abs.  1 GG gewährleistete Vertragsfreiheit, sondern betrifft eine andere, der Vertragsfreiheit vorgelagerte Frage, die aus dem System der Privatautonomie ausgeklammert ist und von der Grundnorm des Art.  1 Abs.  1 GG sowie der Sozialstaatsklausel (Art.  20 Abs.  1, 28 Abs.  1 S.  1 GG) beantwortet wird.183 Vertragsfreiheit sichert – anders als eine als rechtsgeschäftliche Befähigung zu bezeichnende positive Freiheit – keinen konkreten Endzustand des Freiheitsgebrauchs. Treffend wird im Lichte dessen auch davon gesprochen, dass der Schutz der Vertragsfreiheit nicht auf eine Garantie der vertraglichen Selbstbestimmung abzielt.184 Die durch Art.  2 Abs.  1 GG geschützte Freiheit umfasst vielmehr nur einen „Möglichkeitenraum“ zur vertraglichen Selbstbestimmung.185 Gerechtigkeit, 2000, S.  81. Allgemein zur abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S.  74 ff. 178  Zur Gewährleistung der Vertragsfreiheit durch den Staat vgl. §  7 C. IV. 179 Vgl. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.  158; Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 249. 180  Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2.  Aufl. 1905 (2011), S.  87. 181  Zur Qualifikation der Vertragsfreiheit als Kompetenz vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  27 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996, S.  71, 92; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewand, 2000, S.  139; Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 277; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  215. 182  Beispiel angelehnt an Sen, Ökonomie für die Menschen, 1999 (2011), S.  85. 183 Vgl. Säcker, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, Einl. BGB Rn.  38. Ähnlich bereits Wolf, in: FS Raiser, 1974, S.  597, 610, der darauf hinweist, dass „sich das Teilhaberecht als Ausfluß des Sozialstaatsgedankens [erweist], der generell bei Versagen der Möglichkeiten zur Selbsthilfe auf Unterstützung des Unterlegenen gerichtet ist.“ 184 Vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  6 4; Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  3 Abs.  3 Rn.  96: „Vertragsfreiheit ist kein ‚Selbstverwirklichungsrecht‘.“ 185  Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.   104: „Auf der anderen

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Ein positives Verständnis von Vertragsfreiheit kann nicht richtig sein. Dies ist leicht zu erkennen, wenn man überlegt, was es bedeutet, wenn man die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Verträge nicht geschlossen werden, in das Verständnis von Vertragsfreiheit einbezieht186 und unter bestimmten Vo­ raussetzungen aus Art.  2 Abs.  1 GG für den Einzelnen einen „partizipativen Anspruch auf Verfügbarkeit eines kontrahierungswilligen Vertragspartners“187 ableitet. Bei einer solchen Ausdehnung der Vertragsfreiheit muss die Funktionsweise von Verträgen mitgedacht werden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer auf mindestens einen anderen Vertragspartner bezogen sind.188 Ein aus der Vertragsfreiheit abgeleiteter Anspruch auf Verfügbarkeit eines Vertragspartners würde daher zwar zu einer Freiheitserhöhung eines Grundrechtsträgers führen. Dieses Mehr an Freiheit müsste aber immer durch ein Freiheitsopfer eines anderen erkauft werden, denn einem vertragsverweigernden Rechtssubjekt würde die Freiheit genommen, ein Rechtsgeschäft sanktionslos nicht abzuschließen. Selbst wenn diese Freiheitsrestriktion dazu führen sollte, dass sich der „freiheitliche Gesamtzustand“189 der Vertragsparteien insgesamt erhöhen würde, so würde dies nicht zu einer von der Vertragsfreiheit geschützten Ermöglichung von Freiheit führen. Vielmehr läge auch in dieser Situation ein Eingriff in die Vertragsfreiheit vor, der als solcher benannt und gerechtfertigt werden müsste.190 Damit wird deutlich, dass sich die Freiheit zum Vertragsschluss als „mehrseitige Form der Freiheit“191 präsentiert. Dies impliziert eine Einschränkung des in Art.  2 Abs.  1 GG verankerten Selbstbestimmungsgedankens: Geschützt wird nicht eine einseitige, in einem absoluten Sinn zu verstehende rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung, sondern eine mehrseitige.192 Nur Seite vermittelt das Institut des Vertrages in positiver Hinsicht die Möglichkeit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Ähnlich Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  43, der von einer „rechtlichen Möglichkeit“ spricht. 186  Dafür plädiert Schiek, in: Schiek, AGG, 2007, Vorb. zu §§  19 ff. AGG Rn.  12. Ähnlich bereits Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  10, die für eine inhaltliche Neubestimmung der Privatautonomie plädieren, die eine selbstbestimmte Teilhabe am allgemeinen Rechts- und Wirtschaftsverkehr ermöglicht. 187  Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, 2013, S.  89 ff. 188 Vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  104; dazu Busche, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  12. 189  Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  344. Von einer Gesamtbetrachtung des Freiheitsraums geht auch Wolf, in: FS Raiser, 1974, S.  597, 611, aus, wenn er für eine „vorsichtige Erweiterung des Anwendungsbereichs des Teilhaberechts im Bereich des Privatrechts“ plädiert. 190 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  344. 191  Suhr, Der Staat 9 (1970), S.  67, 84. 192 Vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  56, 60: „Institut zur Sicherung und Ermöglichung der beiderseitigen Selbstbestimmung im Recht.“; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  54: „Sie [die Vertragsfreiheit – Anmerkung hinzugefügt] umfaßt eine gemeinschaftliche Kompe-

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eine solche kann sich mithilfe eines Vertrags realisieren, der daher treffend als „mehrseitiges Selbstbestimmungsinstrumentarium“193 bezeichnet wird. Mit der Ablehnung eines positiven Freiheitsverständnisses ist freilich nicht gesagt, dass die verfassungsrechtlich geschützte (negative) Vertragsfreiheit nur eine Freiheit im formalen Sinn verbrieft. Auch in puncto Vertragsfreiheit ist zu berücksichtigen, dass der grundrechtliche Freiheitsschutz wirkungslos wäre, würde man die komplexen, realen Bedingungen außer Acht lassen, die erfüllt sein müssen, um von Freiheit Gebrauch machen zu können.194 Für die Vertragsfreiheit im Speziellen ist zu bedenken, dass sie, wie eben erwähnt, Ausfluss der menschlichen Selbstbestimmung ist.195 Selbstbestimmung verwirklicht sich im Rahmen der privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen allerdings nur dann, wenn die Privatrechtsakteure tatsächlich in der Lage sind, frei zu entscheiden. Daher muss man den Blick auf den Prozess des Freiheitsgebrauchs sowie auf die Frage richten, ob dieser Prozess unter den gegebenen Bedingungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tatsächlich „funktioniert“. Ist dies nicht der Fall, hat der Staat die Funktionsdefizite mithilfe eines ergänzenden Konzepts materialer Freiheit zu beseitigen.196 Diese grundrechtliche Schutzpflicht des Staates,197 die darauf gerichtet ist, Selbstbestimmung wähtenz, nicht Allein-, sondern Mitbestimmung.“; Säcker, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, Einl. BGB Rn.  173. 193  Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  102. 194 Vgl. Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, 2013, S.  73. In diesem Sinn auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  54 f.: „Werden formelle Rechte eingeräumt, die in einer signifikanten Zahl von Fällen faktisch nicht ausgeübt werden können, verliert die formelle Vertragsfreiheit unter Umständen ihre reale Basis.“ 195  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  101; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  1. 196  Dieser Gedanke findet sich etwa in der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz), BTDrs. 7/3919, S.  13: „Das vorrangige rechtspolitische Ziel dieses Gesetzentwurfs liegt darin, bei der Verwendung von AGB im rechtsgeschäftlichen Wirtschaftsverkehr dem Prinzip des angemessenen Ausgleichs der beiderseitigen Interessen Geltung zu verschaffen, das nach den Grundvorstellungen des Bürgerlichen Gesetzbuches die Vertragsfreiheit legitimiert; denn deren Funktion besteht darin, durch freies Aushandeln von Verträgen zwischen freien und zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung fähigen Partnern Vertragsgerechtigkeit zu schaffen. Der Gesetzentwurf beabsichtigt demzufolge nichts anderes als die durch eine ungehemmte Entwicklung im Bereich der AGB gestörte Funktion des privaten Vertragsrechts wiederherzustellen.“ 197  Grundlegend zur Funktion von Grundrechten als Schutzgeboten BVerfGE 39, 1, 42 ff. = NJW 1975, S.  573 ff. Siehe dazu auch Canaris, AcP 184 (1984), S.  201, 225 ff.; Dieterich, RdA 1995, S.  129, 130; Münch, in: FG Hahn, 2007, S.  89, 102 ff.; Grundmann, in: FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, 2010, S.  1015, 1024; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  410 ff.; Lüttringhaus, Vertragsfreiheit und ihre Materialisierung im Europäischen Binnenmarkt, 2018, S.  335; Fischinger, in: Staudinger, BGB, 2021, §  138 Rn.  9 0 („(positive) Schutzkomponente“); Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  2 Abs.  1 Rn.  107. Kritisch zur Ausweitung der staatlichen Schutzpflicht auf den

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rend des Prozesses des Freiheitsgebrauchs nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich zu gewährleisten, und die damit letztlich dazu dient, den Sinn der Freiheitsgewährleistung zu verwirklichen,198 spricht das Bundesverfassungsgericht in seinem Bürgschaftsbeschluss vom 19.10.1993 mit folgenden viel zitierten Worten an: „Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Das folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art.  2 I GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art.  20 I, 28 I GG).“199

M. Wolf hat sich bekanntlich mit der Frage eines staatlichen Auftrags, „für das Funktionieren der Selbstbestimmung […] Sorge zu tragen“200 , bereits in seiner 1970 veröffentlichten Habilitationsschrift mit dem Titel „Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich“ befasst. Sein Ansatz basiert auf zwei zentralen Annahmen: Erstens sei die reale Möglichkeit zur Selbstbestimmung Voraussetzung für einen funktionsgerechten Interessenausgleich im Vertrag; zweitens sei die Möglichkeit zur vertraglichen Selbstbestimmung abhängig von der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Individuums.201 Daraus leitet er die Verantwortung der Rechtsordnung ab, die Möglichkeit der Selbstbestimmung durch den Schutz der Entscheidungsfreiheit für jeden Vertragspartner zu gewährleisten.202 M. Wolf geht allerdings noch einen entscheidenden Schritt weiter. Er ist der Ansicht, erst das Vorliegen rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit stelle sicher, dass der Einzelne die Möglichkeit zu einer mit den Grundsätzen der Rechtsordnung übereinstimmenden Entscheidung habe.203 Dementsprechend sei die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit eine „unentbehrliche Gültigkeitsvoraussetzung rechtsgeschäftlicher Rechtsfolgen“204:

rechtsgeschäftlichen Bereich Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1, 11; Isensee, in: FS Großfeld, 1999, S.  485, 501 f.; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewand, 2000, S.  145 ff. 198  Zu einer so verstandenen materialen Freiheitskonzeption vgl. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S.  56 ff. 199  BVerfGE 89, 214, 232 = NJW 1994, S.  36, 38. 200  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  101. 201  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  101. 202  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  59 ff. 203  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  119. 204  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  119.

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„Bei der Willenserklärung ermöglicht die Berücksichtigung der aus der autonomen Interessenwahrnehmung sich ergebenden Aufgaben, diese nicht nur als Faktum zu sehen, sondern auch deren weitere funktionale Voraussetzungen zu erfassen. Das Erfordernis der Entscheidungsfreiheit wird dann als selbstverständliche Voraussetzung gültiger Willenserklärungen erkennbar, […]“. 205

Zu diesen Ausführungen sind an dieser Stelle lediglich zwei Anmerkungen zu machen. Erstens: M. Wolf plädiert nicht für eine „tatbestandliche Erweiterung des Begriffs der Willenserklärung unter Einbeziehung der rechtstatsächlichen Gegebenheiten, die für eine freie Entscheidung notwendig sind“206 , sondern für eine Erweiterung des Katalogs der rechtsgeschäftlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen um das Kriterium der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit.207 Denn er bewertet die Entscheidungsfreiheit als „Gültigkeitsvoraussetzung rechtsgeschäftlicher Erklärung[en]“208 und verweist zur Begründung seiner Ansicht auf die Regeln der Geschäftsfähigkeit sowie auf die Vorschriften der §  123 und §  138 BGB.209 Zweitens: M. Wolfs Ansicht ist zwar im Ausgangspunkt zuzustimmen, nicht jedoch in der dogmatischen Umsetzung, denn die „faktisch-wirtschaftliche Handlungsmöglichkeit“210 stellt keine generelle Gültigkeitsvoraussetzung rechtswirksamer Willenserklärungen dar, 211 die in jedem Einzelfall positiv festgestellt werden muss. Eine andere Ansicht führt nicht nur zu praktischen Schwierigkeiten, schließlich müssten die Gerichte in jedem Einzelfall den wirtschaftlichen Hintergrund des Vertragsschlusses beleuchten und bewerten, ob aufgrund der wirtschaftlichen Macht einer Partei dem Vertrag die Anerkennung zu versagen ist, 212 was zugleich ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit hervorrufen würde.213 Entscheidend ist vor allem, worauf bereits an 205  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  125. 206  So aber Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  2 20; Neuner, JuS 2007, S.  881, 887 [Hervorhebung hinzugefügt]. 207  Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  99; ebenso Fikentscher, in: FS Hefermehl, 1971, S.  41, 48; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.  39; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  19; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  180. 208  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  146. 209  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  119 f., 121 f. Kritisch Westhoff, Die Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, 1975, S.  58 ff.; Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1986, S.  177, 179, 181 („‚Überanstrengung‘ des §  123 BGB“); Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  18 (Fn.  68). 210  So die Bezeichnung von Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  2 20. 211  A. A. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  125, 180. 212  Fikentscher, in: FS Hefermehl, 1971, S.  41, 49; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, 1974, S.  59. 213 Vgl. Fikentscher, in: FS Hefermehl, 1971, S.  41, 49; Lüderitz, JZ 1972, S.  2 22, 223; Lieb, AcP 178 (1978), S.  196, 221; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  29;

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verschiedenen Stellen hingewiesen wurde, 214 dass die Ansicht M. Wolfs eine inhaltliche Diskrepanz zur lex lata darstellt. Denn für die Frage, welche Bedeutung die tatsächliche Entscheidungsfreiheit der Vertragschließenden im Prozess des Vertragsschlusses hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch durch den Wuchertatbestand (§  138 Abs.  2 BGB) sowie durch die Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit (§§  104 ff. BGB), zur Anfechtung (§§  119 ff. BGB) und zum Formzwang (§  125 BGB) differenzierte Lösungen bereit,215 die nicht nur die Selbstbestimmung des Erklärenden, sondern auch den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers in den Blick nehmen. Eine in jedem Einzelfall festzustellende rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit kennt das Gesetz nicht.216 Dies tritt auch in der Handelsvertreter-Entscheidung vom 7.2.1990 klar zutage. Dort weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass staatliche Regelungen zwar dann, aber eben nur dann ausgleichend eingreifen müssen, wenn eine Situation vorliegt, in der „einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht [hat], daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann.“217 Dieser Gedanke wird im eben erwähnten Bürgschaftsbeschluss aufgegriffen, wenn das Bundesverfassungsgericht formuliert, dass „schon aus Gründen der Rechtssicherheit […] ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden [darf].“218 Für den weiteren Gang der Untersuchung ist entscheidend, dass die Vertragsfreiheit durch den Einbezug der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Vertragskontrahenten tatsächlich in der Lage sind, selbstbestimmt zu entscheiden, nicht ihren abwehrrechtlichen Charakter verliert. Anders gewendet: Obgleich Vertragsfreiheit als materiale Freiheit zu denken ist, weil der Staat die Grundrechtsträger in die Lage versetzen muss, selbstbestimmt zu entscheiden, stellt sie keine „Freiheit zu etwas“ dar.219 Denn der Blick beschränkt sich – Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.  40, 216; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  19; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S.  8 , 40; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  220. 214  Vgl. nur Lüderitz, JZ 1972, S.   222 f.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  29; Hönn, JZ 1983, S.  677, 678; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.  40; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  19; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  99; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  220. 215 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 280. 216 Ebenso Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S.  19; Neuner, JuS 2007, S.  881, 888. 217  BVerfGE 81, 242, 255 = NJW 1990, S.  1469, 1470. 218  BVerfGE 89, 214, 232 = NJW 1994, S.  36, 38. 219  In diesem Sinn Canaris, AcP 184 (1984), S.  201, 227, der darauf hinweist, dass es sich bei der Schutzgebotsfunktion um eine eigenständige Funktion der Grundrechte handelt, die mit der Eigenschaft als Teilhaberechte nicht identisch ist. Im Ergebnis wie hier auch Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S.  6 4.

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ebenso wie dies im ökonomischen Konzept des Marktversagens der Fall ist 220 – auf die Funktionsdefizite im Prozess des Gebrauchs der Freiheit. Ganz in diesem Sinn geht das Bundesverfassungsgericht in seiner Bürgschaftsentscheidung daher von der „Frage nach den Voraussetzungen und Gründen des Vertragsschlusses“221 aus und beschäftigt sich damit, inwieweit der Bundesgerichtshof berücksichtigt hat, „ob und inwieweit beide Vertragspartner über den Abschluß und den Inhalt des Vertrages tatsächlich frei entscheiden konnten.“222 Der Erste Senat richtet den Fokus damit auf die Entscheidungsfreiheit während des Prozesses des Vertragsschlusses. Der Umstand, dass auch der Inhalt des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts in die verfassungsrechtliche Bewertung einbezogen wird – was im Hinweis auf die „ungewöhnlich belastenden“ Folgen des Vertrags für den unterliegenden Vertragsteil zum Ausdruck kommt – bedeutet nicht, dass das Gericht einen Chancenaspekt der Freiheit berücksichtigt hätte. Denn dieser Aspekt betrifft nicht den Vertragsinhalt, sondern die Frage, ob ein Bürge sein Handlungsziel, nämlich den Abschluss eines Bürgschaftsvertrags, unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich erreichen kann. Diesem Problem schenkt das Bundesverfassungsgericht aber keinerlei Aufmerksamkeit. Daher geht es in der Bürgschaftsentscheidung auch nicht um die „Ambivalenz von negativer und positiver Vertragsfreiheit“223, sondern um eine negative Freiheit in ihrer materialen Form. Die skizzierte Unterscheidung zwischen dem Chancen- und dem Prozess­ aspekt der Vertragsfreiheit erweist sich als gewinnbringend, wenn es um den Versuch geht, aus einer material verstandenen Vertragsfreiheit eine gegen Diskriminierung gerichtete Schutzpflicht abzuleiten. Das wird etwa von D. Schiek erwogen, sofern nur die Freiheit zum Vertragsschluss aufgrund „struktureller gesellschaftlicher Diskriminierung von Personen kompromittiert“224 wird.225 Dieser Ansatz ist jedoch irrig, 226 was leicht einsichtig wird, wenn man sich ver220 

Vgl. §  13 A. BVerfGE 89, 214, 231 = NJW 1994, S.  36, 38. 222  BVerfGE 89, 214, 231 = NJW 1994, S.  36, 38 [Hervorhebung hinzugefügt]. 223 So Fischinger, in: Staudinger, BGB, 2021, §  138 Rn.  9 0. 224 So Schiek, in: Schiek, AGG, 2007, Vorb. zu §§  19 ff. AGG Rn.  12. 225 Mit der Vertragsfreiheit der Diskriminierten argumentieren auch Mahlmann, ZEuS 2002, S.  407, 421; Mahlmann, in: Rust et al., Die Gleichbehandlungsrichtlinien der EU und ihre Umsetzung in Deutschland, 2003, S.  47, 59, der im Diskriminierungsschutz die „faktische Etablierung der Privatautonomie“ für den diskriminierten Vertragspartner sieht; siehe ferner Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, S.  21, 26: „Erweitert man den Schutz der Privatautonomie um ein faktisches Moment – also nicht nur das formale Recht, Verträge abschließen zu können, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit zum Vertragsschluss, wenn ein solcher angeboten wird – dann wird durch den angestrebten Diskriminierungsschutz die Vertragsfreiheit der geschützten Personen soweit erhöht, wie diejenige der potenziellen Vertragspartner geschmälert wird. Freiheitsrechtlich wäre es ein Nullsummenspiel […].“ 226  Im Ergebnis wie hier Britz, VVDStRL 64 (2005), S.  355, 362 (Fn.  18); Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, 2013, S.  98; Langenfeld, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  3 Abs.  3 Rn.  95 f. 221 

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gegenwärtigt, dass es beim Diskriminierungsschutz nicht um den Prozess-, sondern um den Chancenaspekt der Freiheit geht. Diskriminierungsschutz zielt nämlich nicht auf die Gewährleistung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit im Prozess des Freiheitsgebrauchs, 227 sondern auf das Problem, dass einige Marktteilnehmer unter den Bedingungen der realen Wirklichkeit keinen kontrahierungswilligen Vertragspartner finden. Der Schutz vor Diskriminierung betrifft damit die Freiheit, das zu erreichen, was man will, nämlich den Abschluss eines Vertrags mit einem bestimmten Vertragspartner.228 Weil – wie eben gezeigt wurde – dieser Chancenaspekt von einer material verstandenen Vertragsfreiheit nicht umfasst wird, stellt der Diskriminierungsschutz keinen Ausfluss, sondern immer eine Einschränkung der Vertragsfreiheit dar.229 Das ist freilich nicht unzulässig, denn Vertragsfreiheit ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern insbesondere durch die verfassungsmäßige Ordnung beschränkt.230 Es ist nur wichtig zu sehen, dass jede Einschränkung der Vertragsfreiheit nicht nur einen legitimen Zweck verfolgen muss, sondern sich auch am Übermaßverbot, also den Prinzipien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, messen lassen muss.231 Damit lässt sich nun auch die Ausgangsfrage dieses Abschnitts beantworten: Die grundrechtliche Vertragsfreiheit stellt deshalb keine Fähigkeit im Sen’schen Sinne dar, weil sich das ihr zugrunde liegende Freiheitsverständnis nicht mit seiner Idee von Freiheit deckt. Nach seinem Verständnis muss Freiheit in einem hinreichend weiten Sinne verstanden werden, damit die Freiheit jedes einzelnen Menschen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, erfasst wird.232 Dazu müssen nicht nur die Prozesse, sondern auch die Endresultate eines freien Entscheidens und Handelns, die der Einzelne angesichts seiner persönlichen und sozialen Umstände erreichen kann, betrachtet werden.233 Dieser letztgenannte Chancenaspekt der Freiheit unterscheidet die material-negative Vertragsfreiheit von 227 So auch Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 53, dem zufolge sich Diskriminierungsverbote nicht in den Kanon von Sicherungen der Privatautonomie einordnen lassen. 228 Vgl. Britz, VVDStRL 64 (2005), S.  355, 387; Schiek, in: Schiek, AGG, 2007, Vorb. zu §§  19 ff. AGG Rn.  12. 229  Zur Einschränkung der Vertragsfreiheit durch den vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutz vgl. nur Bydlinski, AcP 180 (1980), S.  1, 33; Schwab, DNotZ 2006, S.  6 49 ff.; Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 241; Wagner, in: Blaurock/ Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 47 ff.; Riesenhuber, ZfPW 2018, S.  352, 366; siehe ferner Watzenberg, Der homo oeconomicus und seine Vorurteile, 2014, S.  345, die im Ergebnis allerdings ein zivilrechtliches Benachteiligungsverbot aus Freiheitserwägungen für rechtlich geboten erachtet, um gleiche Freiheitschancen auf dem Markt zu eröffnen. 230  BVerfGE 103, 197 = NJW 2001, S.  1709. 231  Adomeit, NJW 1981, S.   2168, 2169; Canaris, JZ 1987, S.  993, 994 f.; Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1; Isensee, in: FS Großfeld, 1999, S.  485, 495; Zöllner, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, 2007, S.  53, 64 f.; aus der Rspr. z. B. BVerfG, NJW 2019, S.  3054, 3058. 232  Neuhäuser, Amartya Sen zur Einführung, 2013, S.  15. 233  Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 182;

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den Fähigkeiten im Sen’schen Sinne. Denn für die Vertragsfreiheit ist kennzeichnend, dass sie keine als rechtsgeschäftliche Befähigung zu bezeichnende Dimension der Teilhabe an rechtsgeschäftlichen Interaktionen schützt.234 Aus rechtsökonomischer Sicht ist an diesem Ergebnis vor allem der folgende Gesichtspunkt von Interesse: Weil sich in dem Begriff der Fähigkeiten ein Prozess- und ein Chancenaspekt vereinen, steht er in einem Spannungsverhältnis zum Freiheitsverständnis der ökonomischen Rechtstheorie. Denn wenn – wie zu Beginn dieses Abschnitts behauptet wurde – die privatautonome Gestaltung rechtlicher Verhältnisse einen wichtigen Teilaspekt der Präferenzautonomie darstellt und mit dem Begriff der Autonomie zugleich die entsprechende Freiheit des Einzelnen benannt ist, dann muss zwischen dem Verständnis von Vertragsfreiheit und dem Verständnis von Präferenzautonomie eine Parallelität bestehen. Dies ist der Fall. Beidem liegt ein Freiheitskonzept zugrunde, das lediglich negativ charakterisiert ist. Der Umstand, dass die Rechtsökonomik anerkennt, dass Vertragsfreiheit nur dann zu einer effizienten Allokation der knappen Ressourcen führt, wenn die Vertragsparteien bei der Bildung ihrer Entscheidung tatsächlich frei sind, 235 ändert an diesem Bekenntnis zur negativen Freiheit nichts. Denn diese Einsicht führt – wie eben gezeigt wurde – nur zu einer Materialisierung einer weiterhin negativ gedachten Freiheit. Der Befähigungsansatz gründet indes auf einer positiven Freiheit. Von diesem Unterschied im Freiheitsverständnis wird später nochmals die Rede sein.236 2. Prozessaspekt der Freiheit und prozessuale Gerechtigkeit Die Materialisierung der Freiheit macht die selbstbestimmte Interessenverfolgung des Einzelnen im Rechtsleben „prozedural handhabbar“, ohne dass dabei Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  63 f.; Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 438. 234 Vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  6 4: „Wie der einzelne seine Interessen durchzusetzen vermag, liegt dabei in seinen Händen. Vertragsfreiheit ist nicht gleichbedeutend mit einer rechtlichen Interessendurchsetzungsgarantie“, unter Verweis auf Raiser, ZHR 111 (1948), S.  75, 93, der von einer „Gleichheit der Chancen aller Teilnehmer am Rechtsverkehr“ spricht, sowie Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, 2013, S.  85. 235 Vgl. Horn, AcP 176 (1976), S.  307, 319. Instruktiv auch Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S.  208: „Diese Theorie der Materialisierung der Vertragsfreiheit aufgrund einer Beeinträchtigung der Selbstbestimmung mit der Folge der Abweichung von der formalen Privatautonomie ist ökonomisch geboten, weil nur so die Koordination von selbstbestimmten Präferenzen einzelner über den Markt optimiert wird.“ Vgl. dazu auch Hermalin et al., in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S.  3, 53, 55; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  342: „[I]f a seller uses high-pressure tactics to confuse a consumer into signing an unfavorable contract, the consum­ er’s lawyer may allege ‚transactional incapacity‘, which means an incapacity to make this transaction under these circumstances.“ 236  Vgl. §  13 A.

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sein handlungsleitendes Motiv hinterfragt wird.237 Wenn diese Materialisierung gelingt, also die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben nicht nur formal, sondern auch material zur Geltung gebracht wird, dann gewährleistet das Erfordernis des übereinstimmenden Willens zweier gegensätzlich interessierter Partner eine gewisse „Richtigkeitsgewähr“ oder auch nur „Richtigkeitschance“238 bzw. „Richtigkeitswahrscheinlichkeit“239 des von den Privatrechtsakteuren selbst gefundenen Interessenausgleichs, 240 wobei Richtigkeit hier Gerechtigkeit meint.241 In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt […] in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat.“242

Weil ausschließlich an den Prozess des Vertragsschlusses und den in diesem Zusammenhang „zum Ausdruck gebrachte[n] übereinstimmende[n] Wille[n] der Vertragsparteien“ angeknüpft wird, kann „Gerechtigkeit“ nur prozedurale Gerechtigkeit bedeuten.243 Gemeint ist damit eine Gerechtigkeit, die sich nicht auf den Vertragsinhalt und seine Adäquatheit bezieht, sondern auf ein Verfahren, das ein gerechtes Ergebnis produziert.244 Von der Annahme, dass die Vertragspartner ein (prozedural) gerechtes Ergebnis hervorbringen, sofern materiale

237 Vgl. Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 78; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, 2013, S.  93. Grundlegend zur Bedeutung personaler Motive im Rechtsverhältnis und zu ihrer Kontrolle und Gewährleistung durch das Privatrecht Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, 1978, S.  13 ff. 238  Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  73 f.; Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1986, S.  133; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  49. 239  Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 12; Enderlein, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  53, 73. 240  Diese prozedurale Sichtweise geht bekanntlich auf W. Schmidt-Rimplers Lehre von der „objektiven Richtigkeitsgewähr“ des Vertragsmechanismus zurück, vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S.  130 ff.; Schmidt-Rimpler, in: FS Nipperdey, 1955, S.  1, 6: „Es ist zweifellos so, daß der Mechanismus des Vertrages, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind, aus dem Grunde, daß niemand eine unrichtige Rechtsfolge auf sich nehmen will, in sehr vielen Fällen zum richtigen Ausgleich zumindest im Verhältnis der Parteien führt.“; Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 5. Kritisch dazu Raiser, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  101, 118 f. 241  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S.  130, 132. 242  BVerfGE 103, 89, 100 = NJW 2001, S.  957, 958 [Hervorhebung hinzugefügt]. 243  Grundlegend dazu Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  46 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), S.  274, 283; Fastrich, in: FS Canaris, 2007, S.  1071, 1075. Siehe zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gerechtigkeit auch Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, 2019, S.  163 ff. 244  Allgemein zu prozeduralen Theorien der Gerechtigkeit Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 1989; Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000; Lindner, RW 1 (2011), S.  1, 10.

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Freiheit gewährleistet ist, 245 ist es nun nur noch ein kleiner Schritt zu der Erkenntnis, dass die oben 246 herausgearbeitete Begrenztheit der Materialisierung auf den Prozessaspekt mit diesem prozeduralen Charakter der Vertragsgerechtigkeit korrespondiert.247 Zwischen der materialen Vertragsfreiheit und der prozeduralen Vertragsgerechtigkeit besteht also nicht nur insoweit ein „unlösbarer Zusammenhang“248 , als die materiale Vertragsfreiheit eine Voraussetzung für die prozedurale Vertragsgerechtigkeit ist. Ein Gleichlauf folgt ferner aus dem Umstand, dass sich sowohl die Vertragsgerechtigkeit als auch die material verstandene Vertragsfreiheit auf Prozessüberlegungen stützen. III. Vertragsfreiheit als Wert an sich Dass der Vertragsmechanismus unter bestimmten Voraussetzungen ein gerechtes Ergebnis hervorbringt, ist unzweifelhaft von erheblicher Bedeutung. Allerdings liegt im Gerechtigkeitsgehalt des Vertrags nicht der Grund, warum unsere Rechtsordnung die einverständliche Regelung der sozialen Beziehungen durch die Beteiligten selbst anerkennt und für bindend erklärt. Diese Einsicht lässt sich mit Blick auf materiale Gerechtigkeitserwägungen einfach begründen: Eine Rechtsordnung, die privatautonome Vereinbarungen deshalb anerkennt, weil sie gerecht sind, stellt den Vertragsinhalt per se unter ein materiales Gerechtigkeitsgebot. Dieser Ansatz, der sich etwa in der Philosophie G. W. F. Hegels 249 sowie in L. Raisers Theorie der sozialen Vertragsfunktion 250 finden lässt, be245 Zu dieser Verbindung zwischen materialer Vertragsfreiheit und Gerechtigkeit vgl. Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 283 ff., 286; Flume, Marktaustausch, 2019, S.  113; Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, Vorb. zu §§  116 ff. Rn.  10 f. 246  Vgl. §  7 C. II. 1. 247  Allgemein zu der Verbindung zwischen negativen Freiheitskonzepten und prozeduralen Gerechtigkeitskonzepten Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  115 (Fn.  71). 248  Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 286. 249 Für G. W. F. Hegel war der gerechte Preis ein im Begriff des Vertrags liegendes Element, vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821 (2017), S.  159 f.: „Indem jeder im reellen Vertrage dasselbe Eigentum behält, mit welchem er eintritt und welches er zugleich aufgibt, so unterscheidet sich jenes identisch bleibende als das im Vertrage an sich seiende Eigentum von den äußerlichen Sachen, welche im Tausche ihren Eigentümer verändern. Jenes ist der Wert, in welchem die Vertragsgegenstände bei aller qualitativen äußeren Verschiedenheit der Sache einander gleich sind, das Allgemeine derselben […]. Die Bestimmung, daß eine laesio enormis die im Vertrag eingegangene Verpflichtung aufhebe, hat somit ihre Quelle im Begriffe des Vertrags […].“ [Hervorhebung im Original]. 250  Raiser, JZ 1958, S.  1, 3: „Die Freiheit steht nun unter dem Gebot der Gerechtigkeit, die es erlaubt und fordert, Verträgen die Anerkennung zu versagen, die nach der Art ihres Zustandekommens oder nach ihrem Inhalt den von der Rechtsordnung geschützten Werten zuwiderlaufen.“ [Hervorhebung hinzugefügt]; siehe ferner Raiser, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  101, 127, mit dem Hinweis, dass man sich davor hüten müsse, „eine unbegrenzte Freiheit der Rechtsgenossen in der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen und die vorbehaltlose Anerkennung privater Ordnungen als den Normalzustand und jede Abweichung davon als beschränkende Ausnahme anzusehen“. Ähnlich Zweigert, in: FS Rheinstein, 1969, S.  493, 501, 504; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978, S.  173 f.

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deutet nichts anderes, als dass ein Dritter den Vertragsparteien die „richtige“ Wahrnehmung ihrer Interessen vorschreibt. Das läuft offensichtlich dem Prinzip der Selbstbestimmung zuwider.251 Wer den Vertragsinhalt schlechthin unter ein Gebot der Gerechtigkeit stellt, wird zudem unweigerlich mit der Komplexheit der materialen Gerechtigkeit konfrontiert. Sie kann zwar nach ihren verschiedenen Seiten beschrieben, aber eben nicht – wie auch L. Raiser eingesteht – abschließend definiert werden.252 Auch das Gesetz hilft insoweit nicht weiter. Das SGB I erwähnt zwar den Begriff „soziale Gerechtigkeit“ (§  1 Abs.  1 SGB I) und überführt diesen damit in einen Rechtsbegriff.253 Eine Legaldefinition lässt sich allerdings nicht finden. Im Ergebnis nichts anderes gilt hinsichtlich prozeduraler Gerechtigkeitsüberlegungen. Das bedeutet: Der Grund, warum unsere Rechtsordnung das freiverantwortlich Vereinbarte anerkennt und rechtlich in Geltung setzt, liegt nicht in dem Umstand, dass sich der Vertrag aufgrund des „Mechanismus“254 der beiderseitigen Zustimmung mit großer Wahrscheinlichkeit für keine Partei als ungerecht erweist. Hinter dieser Position steht die Einsicht, dass negative Freiheit nicht nur deshalb wertvoll ist, weil ihre Realisierung mit einer vorteilhaften Folge verbunden ist. Freiheit ist zwar in aller Regel auf ein anderes wünschenswertes Ziel bezogen, und dieses Ziel kann auch in der Verwirklichung von prozeduraler Gerechtigkeit bestehen. In dieser instrumentellen Funktion erschöpft sich ihr Wert jedoch nicht. Sie ist vielmehr auch ein Wert an sich.255 Wenn Privatrechtsakteure über die Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung verfügen, bereichert diese Freiheit als solche das menschliche Leben, und zwar unabhängig davon, ob der eröffnete Freiheitsraum für etwas anderes dienlich ist.256 Vertragsfreiheit hat also einen instrumentellen und einen intrinsischen Wert. Die Erkenntnis, dass zwischen der intrinsischen und der instru251 Vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  35, 118; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  55 f. 252  Raiser, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  101, 129. Siehe zu diesem Problem auch Larenz, Richtiges Recht, 1979, S.  70 f.; Posner, Hofstra Law Rev. 9 (1981), S.  775, 778: „[T]here is no social consensus on the principles of distributive justice.“; Limbach, JuS 1985, S.  10, 13; Lindner, RW 1 (2011), S.  1, 9. 253  Eichenhofer, JZ 2005, S.  209. 254  Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 5 f. 255  Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.   30, 39; Sen, Inequality Reex­ amined, 1992 (1995), S.  41: „Choosing may itself be a valuable part of living, and a life of genuine choice with serious options may be seen to be – for that reason – richer.“ [Hervorhebung hinzugefügt]; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  50; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  325. 256 Treffend Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  20: „Der Wert der Selbstbestimmung bedarf selbst keiner Rechtfertigung mehr.“ A. A. Ramm, JZ 1988, S.  489, 490; wohl auch Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  244: „Insbesondere wird die Vertragsfreiheit als gerechtigkeitsförderndes Mittel, nicht aber als Selbstzweck betrachtet.“

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mentellen Wertschätzung von Vertragsfreiheit ein Unterschied besteht, ist an dieser Stelle deshalb relevant, weil der Grund für den verfassungsrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit nicht in ihrem dienlichen Wert, sondern in ihrem Selbstzweck liegt.257 Anders gewendet: Vertragsfreiheit fällt nicht deshalb unter den Schutz des Art.  2 Abs.  1 GG, weil dadurch Gerechtigkeit oder ein anderes Ziel gefördert wird, sondern weil die Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung als solche erstrebenswert ist. Und diesem Gedanken trägt die Privatrechtsordnung nur Rechnung, wenn sie die Anerkennung privater Akte aus dem Freisein der Privatrechtssubjekte selbst heraus begründet und dementsprechend die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen allein258 deshalb akzeptiert, weil sich dabei beidseitig Autonomie realisiert.259 Damit wird keineswegs gesagt, man dürfe die Freiheit zum Vertragsschluss nicht aus einer funktionalen Perspektive betrachten. Ganz im Gegenteil. Die Frage, ob der Vertragsmechanismus ein gerechtes Ergebnis hervorbringt, ist von zentraler Wichtigkeit. Sie betrifft jedoch eine vom Geltungsgrund des Vertrags zu unterscheidende andere Ebene, 260 nämlich den instrumentellen Wert der Vertragsfreiheit. Dieser ist zweifellos bedeutsam. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Vertragsfreiheit überdies um ihrer selbst willen wertvoll ist. Sie ist eben nicht nur eine „Dienerin der Gerechtigkeit“261. Es ist in dieser Beziehung interessant, und wird im Lichte der Ausführungen im ersten Kapitel nicht überraschen, dass in der auf der Wohlfahrtsökonomik aufbauenden ökonomischen Analyse des Rechts dieser intrinsische Wert der Vertragsfreiheit – anders als im Befähigungsansatz262 – unberücksichtigt bleiben muss. Dies nicht deshalb, weil die ökonomische Rechtstheorie diesen Frei257 Vgl.

Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  325. A. A. Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 8 und insbesondere S.  10: „So sehe auch ich die Freiheit der Persönlichkeit als eine Grundlage des Vertrages an, aber nicht als die alleinige, sondern, da der Wille niemals Gerechtigkeit gewährleistet, nur in einer Bindung an die Gerechtigkeit, wie sie eben der Vertragsmechanismus mit der Übereinstimmung zweier gegenteilig interessierter Willen bietet.“ 259 Vgl. Mestmäcker, JZ 1964, S.  4 41; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  20, 23, 59; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  18; Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1986, S.  133; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  8; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  222, 224; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  4 4; Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 277; Horn, NJW 2000, S.  40, 41; Riesenhuber, ZfPW 2018, S.  352, 358; Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, Vorb. zu §§  116 ff. Rn.  10 f. Instruktiv dazu auch die Begriffsdefinition in den Motiven zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S.  126: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfes ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist.“ 260  Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, Vorb. zu §§  116 ff. Rn.  10, spricht in diesem Zusammenhang von einer „tiefer liegenden Ebene“. 261  Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  245. 262  Vgl. §  2 D. III. 258 

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heitswert per se ablehnt, sondern deshalb, weil sie konzeptionell bedingt den Wert der Freiheit auf einen instrumentellen Gehalt zu beschränken hat, um dem ökonomischen Grundsatz Rechnung zu tragen, dass immer „irgendetwas zu einem Menschen, der den Wert beimisst, zurückkommen [muss]“263. In anderen Worten: Aus der ökonomischen Perspektive hat alles nützlich zu sein. Weil damit der Nutzen als entscheidender Wert proklamiert wird, kann auch den menschlichen Freiheiten nur ein abgeleiteter und damit instrumenteller Wert beigemessen werden.264 Mit Blick auf die Vertragsfreiheit ist nun relevant, dass auch sie im ökonomischen Ansatz in den Dienst des Nutzens gestellt wird. Ihr Wert liegt darin, dass sie den Marktteilnehmern die Möglichkeit zu Markttransaktionen eröffnet, die ihren Präferenzen entsprechen, sodass die einer Gesellschaft zur Verfügung stehenden knappen Mittel so eingesetzt werden, dass ein möglichst hoher Grad an Bedürfnisbefriedigung erreicht wird.265 Der Eigenwert rechtsgeschäftlicher Selbstbestimmung ordnet sich dem Ziel der Allokationseffizienz unter, womit der Wert der Freiheit ein instrumenteller ist.266 IV. Vertragsfreiheit und wirkliche Freiheit Von Freiheit, verstanden als Abwesenheit von Hindernissen, wird gesagt, sie sei deshalb als negativ zu bezeichnen, weil das Hindernis, das der Freiheit entgegensteht, durch ein bloßes Unterlassen anderer ausgeräumt werden könnte.267 Damit wird das Hindernis auf eine konkrete menschliche Handlung zurückgeführt, sodass sich die Frage stellt, ob dieses Tun mit einer besonderen Intention verbunden sein muss. Beeinträchtigt das Hindernis also nur dann die äußere Freiheit, wenn der Handelnde diese Wirkung intendiert? Wer dies bejaht, knüpft die ein Hindernis auslösende menschliche Handlung an eine subjektive Bedingung. Dieser Ansatz lässt sich beispielsweise dem Freiheitsverständnis von F. A. v. Hayek entnehmen. Weil er Freiheit als einen Zustand beschreibt, „in dem ein Mensch nicht dem willkürlichen Zwang durch den Willen eines ande263 

Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  52. Zu welchen Problemen diese instrumentelle Konzeption führen kann, wurde bereits im ersten Kapitel gezeigt, vgl. §  2 D. III. 265  Zu dieser ökonomischen Funktion der Vertragsfreiheit vgl. etwa Mayer-Maly, in: Lampe, Verantwortlichkeit und Recht, 1989, S.  268, 275; Hermalin et al., in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S.  3, 21 ff.; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obli­ gationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 16 f.; Kötz, Vertragsrecht, 2.  Aufl. 2012, §  1 Rn.  24; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  471. 266  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  334; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  471 (Fn.  2). 267  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  112: „Negativ heißt die Freiheit nicht, weil sie sich gegen Hindernisse richtet – dies gilt für alle Freiheiten. Negativ heißt sie vielmehr, weil das Freiheitshindernis derart ist, daß es durch ein negatives Verhalten, d. h. ein Unterlassen, beseitigt werden kann.“ 264 

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ren oder anderer unterworfen ist“268 , und er zugleich die Zwangsausübung deshalb als Übel qualifiziert, weil der Handelnde damit „ein Individuum als denkendes und wertendes Wesen ausschaltet und es zum bloßen Werkzeug zur Erreichung der Zwecke eines anderen macht“269, lässt sich konstatieren, dass F. A. v. Hayeks Verständnis von Zwang und sein hierauf aufbauendes Freiheitsverständnis durch eine gewollte und zweckgebundene Handlung eines Menschen gekennzeichnet ist. Dass man die Quelle der Unfreiheit mit einer subjektiven Bedingung verknüpft, ist freilich nicht zwingend. Instruktiv ist insoweit der bereits mehrfach erwähnte Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts. Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass die Fremdbestimmung des einen Vertragsteils dadurch bewirkt wird, dass der andere Vertragsteil aufgrund seiner strukturellen Überlegenheit den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmt. Die Unfreiheit des Unterlegenen resultiert hier offensichtlich nicht aus einer willentlich auf Zwang ausgerichteten Handlung einer anderen Person, sondern aus einer zwischen den Vertragsparteien bestehenden Ungleichgewichtslage. Diese hat zwar ihren Ursprung letztlich auch in konkreten Handlungen anderer Menschen; schließlich fallen die sozialen, situativen und ökonomischen Umstände, welche die Disparität zwischen den Vertragsparteien begründen, nicht vom Himmel, sondern sie sind auf ein menschliches Tun zurückzuführen. Allerdings ist dieses Tun nicht mit dem Zweck der Fremdbestimmung verbunden. Gleichwohl begründet die Unterlegenheit als unintendierte Konsequenz individuellen Handelns die für das Bundesverfassungsgericht entscheidende Freiheitseinschränkung, die eine staatliche Schutzpflicht auslöst.270 Wichtig ist nun zu sehen, dass in dem hier gewählten Beispiel der Urheber des Freiheitshindernisses nicht der Staat ist. Denn die Fremdbestimmung, die den Zustand der Unfreiheit begründet, ist auf Handlungen der Gesellschaftsmitglieder zurückzuführen. Diese Abgrenzung ist bedeutsam, 271 denn würde man sämtliche die Vertragsschließenden betreffenden staatlichen Rechtsakte als freiheitsbeschränkenden Zwang qualifizieren, selbst wenn ein solcher gar nicht beabsichtigt ist, dann würde es Vertragsfreiheit nicht geben. Diese Annahme ist darin begründet, dass Vertragsfreiheit nur mithilfe des Staates, nämlich durch ein positives Handeln des Gesetzgebers, existieren kann, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen kann Vertragsfreiheit nur im „Rechtsgeschäftsverkehr“ zur Geltung gebracht werden. Das heißt, sie setzt neben einem übereinstimmenden 268  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  14 [Hervorhebung hinzugefügt]. Siehe dazu Batthyány, Zwang als Grundübel in der Gesellschaft?, 2007, S.  17 f., der von einer Instrumentalisierung des Gezwungenen spricht. 269  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  29 [Hervorhebung hinzugefügt]. 270  Siehe dazu §  7 C. II. 1. 271 Zu dieser grundlegenden Unterscheidung vgl. Canaris, AcP 184 (1984), S.   201, 210; Canaris, JZ 1988, S.  494; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  115.

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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Willen der Vertragsparteien die Existenz einer Rechtsordnung voraus.272 Aus der bloßen Freistellung der Menschen, ihren eigenen Willen in der realen Wirklichkeit zu artikulieren und sich zu einigen, ergibt sich noch nicht, dass sich eine Bindung, auch wenn sie gewollt ist, in der Rechtswelt tatsächlich verwirklicht. Der nach außen geäußerte Wille, sich zu einigen und zu binden, ist nur ein Faktum der Seins-Welt, das aber weder eigene noch fremde rechtliche Bindung erzeugen kann.273 Erforderlich ist daher, dass eine Rechtsordnung den Willen des Einzelnen anerkennt und diesem eine bindende Kraft im Rechtsleben verleiht.274 Erst dieser „Spruch der Rechtsordnung“275 überführt die Willenserklärungen in eine verbindliche Ordnung. Für das Funktionieren der Märkte ist dieser Schritt entscheidend,276 denn erst die rechtliche Bindung bewirkt, dass sich völlig fremde Personen ohne gleichzeitigen Leistungsaustausch einigen, 277 weil sie wissen, dass Willensbekundungen nicht nur im Zeitpunkt ihrer Äußerung, sondern auch für die Zukunft eine Grundlage für die Austauschbezie272  Vgl. BVerfGE 81, 242, 254 = NJW 1990, S.  1469, 1470: „Privatautonomie besteht nur im Rahmen der geltenden Gesetze“; Isensee, in: FS Großfeld, 1999, S.  485, 491: „Privatautonomie [ist] bedingt […] durch das staatliche Normensystem.“; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  65: „Vertragsfreiheit kann nur im Rahmen der Rechtsordnung wirken.“ 273 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  244; ebenso Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  6 f. mit Nachweisen zur Gegenansicht. 274 Vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  23 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  22 ff.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  3, 19; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, 1994, S.  142; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  6 f.; Canaris, AcP 200 (2000), S.   273, 277: „von der Rechtsordnung anerkannte Kompetenz“; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  6 4; Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  165, 169. 275  Vgl. die Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S.  126: „Das Wesen des Rechtsgeschäftes wird darin gefunden, dass ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bestätigt, und dass der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 276 Allgemein zur Verbindung von Markt und Recht vgl. etwa Westermann, AcP 178 (1978), S.  150, 167: „Sie [die Rechtsordnung – Anmerkung hinzugefügt] schafft durch Normen die Voraussetzungen einer funktionsfähigen Ordnung des Wirtschaftssystems.“ Vgl. auch Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  46 f.: „[M]arkets can hardly function in the absence of legal provisions and justiciable rights (to property and contractual en­ title­ments, for example). While some of these obligations are carried out automatically […], the possibility of legal action […] is an important background condition for the smooth opera­ tion of systems of exchange and production.“; Sen, in: Palacio, World Bank Legal Review, 2006, S.  33, 42; Hermalin et al., in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, Vol.  1, 2007, S.  3, 7; Cooter, Ala. L. Rev. 59 (2007–2008), S.  1107, 1109; Singer, Harv. Law Policy Rev. 2 (2008), S.  139, 141; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  4 4. 277  Cooter, Ala. L. Rev. 59 (2007–2008), S.   1107; Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  9 0: „Rather than just relying on social sanctions, people need the states help to commit to keeping their promises.“

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Zweites Kapitel: Anwendung

hung bilden.278 Die rechtliche Bindung löst damit das Problem des zeitversetzten Leistungsaustauschs, das T. Hobbes mit folgenden Worten beschreibt: „[W]er zuerst erfüllt, kann nicht sicher sein, daß der andere daraufhin erfüllen wird, da das Band der Worte viel zu schwach ist, um den Ehrgeiz, die Habgier, den Zorn und die anderen menschlichen Leidenschaften ohne die Furcht vor einer Zwangsgewalt zu zügeln.“279

Recht entsteht allerdings nicht willkürlich, sondern gründet immer auf staatlicher Gewalt.280 Von Autarkie im Sinne einer Unabhängigkeit vom Staat kann im Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit daher nicht gesprochen werden. Es handelt sich um eine „rechtlich konstituierte Freiheit“281, die immer nur als „Freiheit durch den Staat“282 gedacht werden kann. Betrachtet man diesen Befund, dann drängt sich die Frage auf: Wenn sich der als negativ definierte Freiheitsraum der Vertragsfreiheit, der gemäß der klassisch abwehrrechtlichen Bedeutung gerade durch eine „Freiheit vom Staat“ gekennzeichnet ist, nur mit­hilfe des Staates verwirklichen lässt, wird dann nicht die Grundlage der Vertragsfreiheit erschüttert? Dies ist zu verneinen, denn der erforderliche „Spruch der Rechtsordnung“ bedeutet keine Negation der Freiheit.283 Der Staat verhilft ihr vielmehr erst zu ihrer Geltung, indem er verbindliche Rechte und Pflichten entstehen lässt, die gegebenenfalls mit staatlicher Hilfe zwangsweise durchgesetzt werden können. Ihm kommt somit gewissermaßen eine „Ermöglichungsfunktion“284 zu. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts gesagt: Erst der Staat 278 Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  50, Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  275. 279  Hobbes, Leviathan, 1651 (2017), S.  104 f. 280  Vgl. BVerfGE 12, 354, 361 = NJW 1961, S.  1107, 1108; Laufke, in: FS Lehmann, 1956, S.  145, 186 („Staat als Schöpfer der Rechtsordnung“); Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  53, 67. 281  Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewand, 2000, S.   131. Vgl. ferner Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  21; Dieterich, RdA 1995, S.  129, 130; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  104: „Es gibt […] keine (in diesem Sinne) natürliche Freiheit zum Vertragsschluss, sondern es existiert lediglich ein durch den Gesetzgeber vorgegebenes und reglementiertes Institut des freien Vertrags.“; Badura, in: FS Scholz, 2007, S.  3, 10 f.; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, 2009, S.  17. 282  So die Bezeichnung von Suhr, EuGRZ 1984, S.  529, 540. In diesem Sinne auch Laufke, in: FS Lehmann, 1956, S.  145, 180 f.; Canaris, JZ 1987, S.  993, 995; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  2 f.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S.  39 m. w. N. in Fn.  95. 283 Vgl. Isensee, in: FS Großfeld, 1999, S.  485, 491: „Abhängigkeit von Voraussetzungen stellt die Existenz der grundrechtlichen Freiheit nicht in Frage“; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  6 4: „Mit der Anerkennung durch die Rechtsordnung ist ein dirigistischer Aspekt nicht verbunden.“ 284  Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 14. Vgl. auch v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  30, der im Zwang nach bekannten Regeln ein Werkzeug sieht, „das den Individuen bei der Verfolgung ihrer eigenen Ziele hilft“. Siehe ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  66, der darauf hinweist, dass der Gesetzgeber lediglich eine „Kompetenzordnung“ zur Verfügung stellt, da-

§  7 Vertragsfreiheit als Fähigkeit?

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eröffnet der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum.285 Damit ist zugleich der zweite Grund angesprochen, warum es keine gegenüber dem Staat autonome Vertragsfreiheit gibt. Dem Willen der Vertragsschließenden muss durch die Rechtsordnung nicht nur eine rechtliche Bindungswirkung verliehen werden. Der Staat hat darüber hinaus ein System zu schaffen, mit dessen Hilfe verbindliche Verträge im Streitfall durch öffentliche Zwangsgewalt durchgesetzt werden können. Die Vertragsfreiheit ist „notwendigerweise auf staatliche Durchsetzung angewiesen“286 . Sie muss, anders gewendet, „justiziell realisierbar“287 sein, indem die als rechtsverbindlich anerkannte Abrede mit gerichtlichem Rechtsschutz ausgestattet wird.288 Da die hierfür notwendigen Verfahrensordnungen auf formellen Gesetzen gründen, deren Erlass immer in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die Gerichte mithin selbst „Schöpfungen des Rechts“289 sind, ist die Vertragsfreiheit auch aus diesem Grund eine Freiheit, die nur mit dem Staat existiert. Es kann somit festgehalten werden: Vertragsfreiheit wird erst durch staatliches Tätigwerden ermöglicht. Es bedarf staatlicher Regeln, die autonom begründete Vereinbarungen anerkennen und diesen eine bindende Kraft verleihen, sowie staatlicher Macht, die privaten Versprechen zur Durchsetzung verhilft. Diese Dialektik der Vertragsfreiheit als Freiheit durch den Staat markiert ein weiteres Merkmal der Unterscheidung vom Sen’schen Freiheitskonzept. Mit dem Begriff der Fähigkeiten werden nämlich nicht „normgeprägte Freiheiten“290 , sondern die Freiheiten zum menschlichen Sein und Handeln überhaupt erfasst. Dass zwischen beiden Freiheitsarten ein Unterschied besteht, lässt sich unschwer nachweisen. So sind etwa die menschlichen Fähigkeiten, ausreichend ernährt zu sein, gesund zu sein, das Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen oder sich ohne Scham am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, begrifflich nicht auf die Mitwirkung des Staates in Form des Erlasses „freiheitskonstitutiver Normen“291 angewiesen. Sie beziehen sich vielmehr auf die realen Freiheiten der Menschen, in bestimmter Weise zu sein und zu handeln. Auch ihre Verwirklimit die Privatrechtssubjekte ihre rechtlichen (Gestaltungs-)Vorstellungen auf der Grundlage eines rechtssicheren Systems verwirklichen können.“ 285  Vgl. BVerfGE 89, 214, 231 = NJW 1994, S.  36, 38. 286  BVerfGE 89, 214, 231 = NJW 1994, S.  36, 38. 287  Zur Unterscheidung des Rechts auf privatrechtliche Kompetenzen von dem Recht auf gerichtliche Verfahren Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  4 40 ff. 288  Raiser, JZ 1958, S.  1. Vgl. auch Dieterich, RdA 1995, S.  129, 130; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  51. 289  Hart, Der Begriff des Rechts, 1961 (2018), S.  17. 290 So Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996, S.  129; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  117 sowie S.  133 ff.; ebenso Nierhaus, AöR 116 (1991), S.  72, 90; Münch, in: FG Hahn, 2007, S.  89, 99; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, 2009, S.  17. 291  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  118.

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Zweites Kapitel: Anwendung

chung kann zwar von staatlich gesicherten Voraussetzungen abhängen, 292 aber als wirkliche Freiheiten fordern sie nicht ihrer spezifischen Struktur nach rechtliche Normen ein, um überhaupt als eine entsprechende Freiheit gedeutet werden zu können.293 Sie benötigen keine – wie es W. Höfling treffend beschreibt – normativ konstituierende „Ausübungshilfen“, sondern sind „selbstexekutiv“.294 Damit wird an dieser Stelle eine für den weiteren Gang der Untersuchung zentrale Erkenntnis deutlich: Wenn man die Vertragsfreiheit aus ihrem sozialen Kontext löst, dann steht dieser Freiheit zum „rechtlichen Können“295 eine hiervon zu unterscheidende andere Art der Freiheit gegenüber, nämlich die „wirkliche Freiheit“296 , sich für oder gegen eine bestimmte Lebensweise zu entscheiden. Die beiden unterschiedlichen Typen von Freiheit stehen natürlich nicht isoliert voneinander, sondern sie sind miteinander verbunden, und zwar auf dreifache Weise: Vertragsfreiheit trägt erstens dazu bei, dass die Menschen von ihren wirklichen Freiheiten tatsächlich Gebrauch machen können.297 Denn ohne Vertragsfreiheit lassen sich wirkliche Freiheiten in einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft nicht realisieren. Wer etwa über die Freiheit verfügt, seine physische Existenz zu sichern, der wird diese wirkliche Freiheit in aller Regel nur deshalb besitzen, weil er zugleich mit der Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung ausgestattet ist, mit deren Hilfe er sich Nahrung von einem anderen Marktteilnehmer verschaffen kann. Die Vertragsfreiheit nimmt in diesem Fall eine instrumentelle Funktion ein, weil sie menschliche Fähigkeiten ermöglicht und vermittelt. Anders gewendet: Sie dient der Nutzbarmachung der menschlichen Fähigkeiten. Dieser funktionelle Zusammenhang von Vertragsfreiheit und wirklicher Freiheit wird in §  10 C. vertieft behandelt werden. Mit dem Hinweis, dass der Vertragsschluss nur unter Mitwirkung eines anderen Marktteilnehmers gelingt, tritt die zweite Verbindung hervor: Ein Mehr 292 Dazu Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 2.  Aufl. 1994, S.  232: „Bei strengem Verständnis gibt es eine […] voraussetzungslose Freiheit überhaupt nicht.“ 293  Zum Unterschied zwischen der Vertragsfreiheit und „natürlichen“ Freiheiten vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  21 ff.; Münch, in: FG Hahn, 2007, S.  89, 99; zum Ganzen auch Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 2.  Aufl. 1994, S.  232. 294  Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S.  27. 295  Zu dieser Terminologie vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996, S.  71. 296 So Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art.  19 Abs.  2 Grundgesetz, 3.  Aufl. 1983, S.  15 [Hervorhebung hinzugefügt]. 297 Zu dieser Verbindung vgl. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art.   19 Abs.  2 Grundgesetz, 3.  Aufl. 1983, S.  13: „Die Vertragsfreiheit ist auf den verschiedenen Lebensgebieten und für eine Reihe anderer Grundrechte unverzichtbar.“; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  116: „Reale Freiheit ist ohne eine rechtliche oder zumindest eine normative Ordnung menschlichen Verhaltens ein unwahrscheinliches Phänomen.“; Hank, in: Ackermann, Welche Freiheit, 2007, S.  141, 142. Vgl. ferner Ramm, JZ 1988, S.  489, der treffend davon spricht, dass sich durch den Vertrag lediglich „die Freiheitsbetätigung von einem auf das andere Gebiet [verschiebt].“; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  222.

§  8 Recht im Befähigungsansatz

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an wirklicher Freiheit der einen kann mit einem Weniger an Vertragsfreiheit einer anderen Rechtsperson verbunden sein. Die Gewährleistung der wirklichen Freiheit, das Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen, kann beispielsweise zu einer Einschränkung der Eigentums- und Vertragsfreiheit der zur Vermietung bereiten Wohnungseigentümer führen.298 In diesem Fall muss man bewerten, welcher Freiheit der Vorrang einzuräumen ist.299 Mit diesem Konflikt beschäftigt sich §  15 C. Schließlich darf die dritte Verbindung nicht unberücksichtigt bleiben. Sie folgt aus dem Umstand, dass natürliche Personen über ein Minimum an wirklichen Freiheiten verfügen müssen, um von ihrer Vertragsfreiheit überhaupt Gebrauch machen zu können. Wer etwa nicht über die wirkliche Freiheit verfügt, seine physische Existenz zu sichern, der wird auf lange Sicht auch nicht mehr seine Vertragsfreiheit für sich nutzen können.300 Die Betätigung der Vertragsfreiheit hängt von der Ausstattung der Rechtsperson mit gewissen wirklichen Freiheiten grundlegender Art ab. Man kann sagen, das freiheitliche Vertragsrecht lebt von Wirklichkeitsbedingungen, die es selbst nicht schaffen kann. Von dieser Verbindung wird in §  16 C. I. die Rede sein.

§  8 Recht im Befähigungsansatz Der Analyserahmen des Befähigungsansatzes wurde bislang ohne Bezug zu unserer Rechtsordnung betrachtet. Insbesondere von der Rolle des Rechts in diesem Denkmodell war noch nicht die Rede. Die entscheidende Frage lautet somit: Wenn es ein sinnvolles und erstrebenswertes Ziel sein sollte, die Fähigkeiten der Mitglieder einer Gesellschaft zu fördern, können dann Rechtsnormen zur Verwirklichung dieses Anliegens einen Beitrag leisten? Wo der Zusammenhang von Recht und Fähigkeiten im wissenschaftlichen Diskurs thematisiert wird, lautet die einhellige Antwort Ja.301 Es gilt: „Legal rules […] can act 298  Instruktiv auch das Beispiel von Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  116 f.: „Wenn Richter Bürgschaften als sittenwidrig beurteilen, beschneiden sie in der Tat Freiheitsaspekte auf Seiten des konkret betroffenen Gläubigers […]. Zugleich erhöhen sie aber Freiheitsaspekte des konkret betroffenen Bürgen […].“ 299 Vgl. Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  15; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  50. 300 Diese Verbindung hebt auch Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.   Aufl. 2019, S.  49, hervor: „Wer mangels Subsistenzmitteln den ganzen Tag gegen den Hunger kämpfen muß, hat keine Möglichkeit zur Realisierung geistiger, kultureller etc. Freiheit und auch nicht zum Abschluß eines wirklich freien Arbeitsvertrags.“ Sie findet sich ferner bei Ryffel, Grundpro­ bleme der Rechts- und Staatsphilosophie, 1969, S.  476: „Erst wenn die abstrakte Entfaltungschance konkretisiert ist, werden alle der Freiheit der Privatautonomie teilhaftig, […].“ 301 Vgl. Browne et al., in: Salais/Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  205, 209 ff.; Carfield, Wash. Univ. Law Rev. 83 (2005), S.  339, 348, 341; Hesselink, in: Dea-

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Zweites Kapitel: Anwendung

either to promote or constrain capabilities.“302 Auch A. Sen geht von einer engen Verbindung von Recht und Fähigkeiten aus, denn er benennt als „Produzent von Freiheiten“ sowohl den Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung: „Eine Reihe gesellschaftlicher Institutionen – marktbezogene, Behörden, Parlamente, Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Gerichte, die Medien und die Gesellschaft insgesamt – werden genau dadurch zu Entwicklungsfaktoren, daß sie sich auf die Erweiterung und die Aufrechterhaltung der Freiheiten des einzelnen positiv auswirken.“303

Wie aber kann dieser Einfluss rechtlicher Normen auf die menschlichen Fähigkeiten genau erklärt werden? Zur Beantwortung dieser Frage muss man sich zunächst ins Gedächtnis rufen, dass es nicht um die Funktion rechtlicher Normen in einem ökonomisch verstandenen Armuts- oder Entwicklungsverständnis geht. Von Interesse ist daher weder das Recht als Instrument zur Förderung des individuellen Reichtums noch sein Beitrag zum Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft, ausgedrückt in einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts. Auch die Frage, inwiefern rechtliche Normen den gesellschaftlichen Reichtum Posner’scher Prägung erhöhen, spielt keine Rolle. Mit der Entscheidung für das Sen’sche Armuts- und Entwicklungsverständnis wird ein Perspektivenwechsel vollzogen. Weil die Freiheiten der Gesellschaftsmitglieder die Referenzgröße bilden, ist zu fragen, inwiefern sich rechtliche Normen auf diese „Informationsbasis“ positiv auswirken. Hier gewinnt nun ein bereits ausgeführter Gedanke erneut an Bedeutung.304 Es wurde gesagt, dass die Menge an Fähigkeiten durch das Zusammenspiel der individuellen Güterausstattung („Güter“), der persönlichen Eigenschaften („persönliche Umwandlungsfaktoren“) und der sozialen Gegebenheiten („soziale Umwandlungsfaktoren“) bestimmt wird. Von zentraler Bedeutung für die weitere Untersuchung ist nun zweierlei: Erstens ist jeder der eben genannten kin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  31, 44; Deakin, NZJER 34 (2009), S.  7, 8 f.; Tjon Soei Len, in: Weidtmann et al., The Capability Approach on Social Order, 2010, S.  132, 141; Benöhr, EU Consumer Law and Human Rights, 2013, S.  9 0; Routh, Enhancing Capabilities through Labour Law, 2014, S.  153; Nussbaum, Fähigkeiten schaffen, 2011 (2015), S.  166. 302  Anderson, NZJER 34 (2009), S.  27. 303  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.   352 [Hervorhebung hinzugefügt]. Vgl. auch Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 44: „A person’s ability to achieve various valuable functionings may be greatly enhanced by public action and policy, and these expansions of capability are not unimportant for freedom for that reason.“; Sen, IIC Quarterly 25 (1998), S.  53, 64; Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  6: „The options that a person has depend greatly on relations with others and on what the state and other institutions do.“ In diesem Sinn auch Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 159: „[C]apabilities as well as functionings are important in grasping the aim and limits of good government. Responsible law-makers and development policy-makers aim at getting people over a threshold – of minimal human and valuable functionings – so that they are able, if they so choose, to function in more fully human ways.“; Nussbaum, Women and Human Development, 2000, S.  74. 304  Vgl. §  4 C. II.

§  8 Recht im Befähigungsansatz

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Bestimmungsfaktoren mehr oder weniger wandelbar, und zweitens kann dieser Wandel durch rechtliche Normen systematisch beeinflusst werden. Setzt man im Lichte dessen die Faktoren, die darüber entscheiden, welche Auswahlmenge an Fähigkeiten für den Einzelnen eröffnet ist, in Beziehung zur Rolle des Rechts, so ergibt sich folgendes Bild: Rechtsnormen wirken sich nicht nur auf die individuelle Güterausstattung aus. Vielmehr kann der Gesetzgeber ganz bewusst und zielgerichtet mittels Rechtsnormen auch die Umwandlungsfaktoren formen, welche darüber entscheiden, ob die einem Menschen zur Verfügung stehenden Güter tatsächlich in Fähigkeiten und damit in wirkliche Freiheiten konvertiert werden können.305 Letztlich also, so lässt sich konstatieren, sind rechtliche Normen im hier vertretenen Ansatz keine sozialen Umwandlungsfaktoren, sondern die Instrumente, mit deren Hilfe die Rahmenbedingungen nicht-monetärer Art gestaltet werden. Weil mit dem Begriff der Umwandlungsfaktoren nicht nur die gesellschaftlichen, sondern auch die persönlichen Bedingungen ausgedrückt werden, wird damit behauptet, dass bestimmte, im Individuum selbst angesiedelte Persönlichkeitsmerkmale mithilfe des Rechts modelliert werden können. Die These, dass rechtliche Normen sämtliche der aufgeführten Bestimmungsfaktoren beeinflussen und dadurch den individuellen Freiheitsraum prägen, lässt sich am besten mithilfe eines Beispiels aus dem Sozialrecht (im formellen Sinne)306 verdeutlichen.

A. Beispiel: Grundsicherung für Arbeitsuchende Betrachtet werden hierzu die gesetzlichen Regelungen der im SGB II kodifizierten Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Wahl dieses Gesetzes liegt deshalb nahe, weil die Grundsicherung für Arbeitsuchende kein reduktionistisch an einen Geldtransfer orientiertes Sozialleistungsrecht darstellt. Es entfaltet also – um es in der Terminologie des Befähigungsansatzes auszudrücken – 305 

Ähnlich auch bereits Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  24. Zum Begriff des Sozialrechts sowie zur Definition des Sozialrechts im formellen Sinn vgl. etwa Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  247; Gitter/Schmitt, Sozialrecht, 5.  Aufl. 2001, S.  1 f. „Sozialrecht ist […] definiert worden als die Zusammenfassung jener Rechtsgebiete, ‚die sich durch eine gesteigerte Intensität ihres sozialpolitischen Gehalts auszeichnen‘, oder als ‚jener Teilbereich des Rechts, dem im Interesse eines Ausgleichs sozialer Gegensätze in besonderer Weise die Beseitigung von Defiziten einzelner oder bestimmter Bevölkerungsgruppen an materieller Absicherung, Chancengleichheit und Entfaltungsmöglichkeit obliegt.‘ Andere haben das Sozialrecht umschrieben als ‚das Recht der Verhinderung und Beseitigung individueller Güterdifferenzen durch transitive Leistungen eines Trägers öffentlicher Verwaltung‘ oder als ‚das der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherung dienende Recht.‘ […] Unter Sozialrecht sind jedoch im formellen Sinne nunmehr jene Mate­ rien zu verstehen, die in das Sozialgesetzbuch (SGB) aufgenommen worden sind.“; ebenso Eichenhofer, JZ 2005, S.  209; Hänlein, in: Knickrehm et al., Kommentar zum Sozialrecht, 7.  Aufl. 2021, §§  1–10 SGB I Rn.  8. 306 

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Zweites Kapitel: Anwendung

nicht nur Wirkungen im Bereich der persönlichen Güterausstattung. Dementsprechend lassen sich – dem hier verfolgten Anliegen entsprechend – auch Rechtsnormen identifizieren, die an den persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren nicht-monetärer Art ansetzen, die darüber entscheiden, ob dem Leistungsberechtigten eine Umwandlung der durch das SGB II bereitgestellten finanziellen Mittel in wirkliche Freiheiten gelingt. Dass der Gesetzgeber diese Wirkung auch herbeiführen wollte, soll damit nicht gesagt werden. An dieser Stelle geht es zunächst einmal nur darum, mithilfe konkreter Vorschriften zu erklären, inwiefern sich Rechtsnormen positiv auf die im Befähigungsansatz maßgeblichen drei Bestimmungsfaktoren – nämlich die Güter, die sozialen und die persönlichen Umwandlungsfaktoren – auswirken können. Es wurde bereits im einleitenden Kapitel darauf hingewiesen, dass der Güterbegriff in dieser Schrift auf die individuelle Einkommens- und Vermögensausstattung bezogen wird. Er umfasst damit die einem Menschen zur Verfügung stehenden materiellen und immateriellen Vermögensgüter, die monetär bewertet und auf einem expliziten Markt gehandelt werden können, sowie sämtliche zur Verfügung stehenden Einkommensquellen, zu denen auch Leistungen aus Sozialtransfer zählen.307 Eine sozialrechtliche Norm, die einen Anspruch auf finanzielle Leistung zur Existenzsicherung begründet, wirkt sich damit offensichtlich positiv auf die individuelle Güterausstattung aus. Als paradigmatisch können hier die im zweiten Abschnitt des SGB II verankerten Leistungen auf Sicherung des Lebensunterhalts genannt werden (§§  19 ff. SGB II).308 Der Umstand, dass sich eine Rechtsnorm nicht in diesem zweiten Abschnitt des SGB II findet, bedeutet aber natürlich nicht, dass sie keine Auswirkungen auf die Güterausstattung einer Person haben kann. Dies zeigt etwa die Vorschrift zum Einstiegsgeld (§  16b SGB II). Dieses stellt zwar eine Leistung zur Eingliederung in die Arbeit dar, führt jedoch zur Mehrung der Güterausstattung durch Gewährung eines finanziellen Zuschusses. Als Beispiel einer Rechtsnorm, die sich sowohl auf die Güter des Leistungsberechtigten als auch auf die sozialen Umwandlungsfaktoren auswirkt, kann §  22 SGB II genannt werden. Die Vorschrift legt in ihrem Abs.  1 S.  1 fest, dass der Grundsicherungsträger in einer bestimmten Höhe die Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzuerkennen hat. Der kurze Wortlaut lautet: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“ Das bedeutet, die tatsächlich anfallen307 

Vgl. §  4 B. umfassen insbesondere die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts (§  20 SGB II einschließlich etwaiger Mehrbedarfe gemäß §  21 SGB II) sowie die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, soweit diese angemessen sind (§  22 Abs.  1 SGB II). Zudem erhalten die mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung (§§  41 ff. SGB XII) haben (§  19 Abs.  1 S.  2 i. V. m. §  23 SGB II). 308 Diese

§  8 Recht im Befähigungsansatz

163

den Kosten der Unterkunft und Heizung werden bis zu einem angemessenen Betrag vom Staat übernommen. Obwohl das Gesetz nicht den Begriff der Wohnung verwendet, sondern von Unterkunft spricht, bildet die Übernahme der Kosten für eine Mietwohnung den Hauptanwendungsfall dieser Norm.309 Die Verpflichtung zur Übernahme der angemessenen Aufwendung für Unterkunft und Heizung folgt aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art.  1 Abs.  1 GG i. V. m. Art.  20 Abs.  1 GG),310 auf das sogleich zurückzukommen sein wird.311 Indem §  22 Abs.  1 S.  1 SGB II eine existenzsichernde finanzielle Leistung gewährt, führt die Vorschrift zu einer Gütermehrung des Leistungsempfängers. Dass der Leistungsempfänger aufgrund dieser materiellen Ressourcen auch in der Lage ist, sein grundlegendes Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen, ist damit allerdings noch nicht gesagt.312 Denn er muss sich – sofern er nicht selbst über ein Eigenheim oder einen anderen privaten bewohnbaren Raum verfügt – das Gut „Wohnung“ auf dem Wohnungsmarkt besorgen, d. h., er hat mit einem anderen Marktteilnehmer eine Einigung über einen privatrechtlichen Mietvertrag gemäß §  535 BGB herbeizuführen.313 Von einer positiven Freiheit, sein Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen, kann daher nur dann gesprochen werden, wenn die sozialen Bedingungen einem Vertragsschluss nicht entgegenstehen. So muss etwa ein relevanter Mietwohnungsmarkt, d. h. ein solcher zu den Angemessenheitswerten i. S. d. §  22 Abs.  1 S.  1 SGB II, vorhanden sein. Erforderlich ist ferner, dass der Leistungsberechtigte Zugang zu diesem Markt hat. Ob das der Fall ist, hängt unter anderem vom Verhalten der anderen Marktteilnehmer ab, die in Ausübung ihrer negativen Vertragsbegründungsfreiheit von der Eingehung eines Mietverhältnisses absehen können. Indem §  22 Abs.  7 S.  1 SGB II nun bestimmt, dass bei Vorliegen der Einwilligung des Leistungsberechtigten die Auszahlung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung direkt an den Vermieter zu erfolgen hat, wird dem Wohnungssuchenden ein Instrument an die Hand gegeben, um das Verhalten der zur Vermietung bereiten Marktteil309 

Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  40. Vgl. etwa BVerfGE 125, 175, 222 = NJW 2010, S.  505, 508. 311  Die Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen ist verfassungskonform. Es besteht keine Verpflichtung, „jedwede Unterkunft im Falle einer Bedürftigkeit staatlich zu finanzieren und insoweit Mietkosten unbegrenzt zu erstatten“; vgl. BVerfG, NJW 2017, S.  3770, 3771. 312 Insbesondere begründet §   22 Abs.  1 SGB II keinen Anspruch gegen den Sozialleistungsträger auf Beschaffung von Wohnraum, vgl. Ruder, NVwZ 2012, S.  1283, 1288; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  50. Der Sozialleistungsträger ist auch nicht verpflichtet, den Leistungsempfänger „an die Hand zu nehmen“ und ihm im Einzelnen aufzuzeigen, welche Wohnungen er anmieten könnte, vgl. BSG, NZG 2009, S.  107, 109. Ein Anspruch auf Beratungs- und Unterstützungsleistungen bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung besteht lediglich unter den besonderen Voraussetzungen der §§  67, 68 SGB XII, siehe dazu Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  51. 313 Vgl. Kraft et al., NZM 2020, S.  826, 827 f. 310 

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Zweites Kapitel: Anwendung

nehmer zu beeinflussen. Dem liegt die Hypothese zugrunde, dass Vermieter bei Vorliegen eines Antrags auf Direktzahlung das erwartete Mietausfallrisiko geringer einschätzen und daher eher bereit sind, an Leistungsberechtigte zu vermieten als an Interessenten ohne einen solchen Antrag.314 Wenn diese Hypothese zutreffen sollte, dann kann mithilfe des §  22 Abs.  7 S.  1 SGB II ein außerhalb der individuellen Güterausstattung liegender nicht-monetärer Faktor sozialer Art, nämlich das Verhalten eines anderen Marktteilnehmers, beeinflusst werden. Dass dies auch der Intention des Gesetzgebers entspricht, soll damit nicht behauptet werden. Der Normzweck des §  22 Abs.  7 SGB II wird erst später eine Rolle spielen.315 Es soll an dieser Stelle nur in exemplarischer Weise verdeutlicht werden, dass sich einzelne Bestimmungen des §  22 SGB II, obgleich diese Vorschrift eine Geldleistung auf Sicherung des Lebensunterhalts regelt und diese Qualifikation durch eine Direktzahlung an den Vermieter auch nicht verloren geht,316 auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auswirken können, die darüber entscheiden, ob sich die bereitgestellten Güter in die gewünschte Freiheit umwandeln lassen. Hinsichtlich der persönlichen Umwandlungsfaktoren stellt sich die Situation anders dar: Weil mit dieser Kategorie natürliche Persönlichkeitsmerkmale abgebildet werden, die im Menschen selbst ihren Grund haben und unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen oder Umständen existieren, können sie durch rechtliche Normen nicht unmittelbar verändert werden.317 Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass Rechtsnormen hinsichtlich dieses Bestimmungsfaktors ohne Bedeutung sind.318 Ihr Einfluss zeigt sich vor allem dann, wenn es um den individuellen Bildungs- und Wissensstand der Rechtsunterworfenen geht. Dieser persönliche Umwandlungsfaktor kann offenkundig durch gesetzliche Informations-, Auskunfts- und Beratungspflichten (z. B. §§  13, 14, 15 SGB I, §  14 Abs.  2 S.  1 SGB II) modelliert werden. Ganz allgemein kann man sagen, dass mit Blick auf die persönlichen Umwandlungsfaktoren solche Rechts314  So wird beispielsweise für das englische Recht die Einführung eines dem §  2 2 Abs.  7 S.  1 SGB II entsprechenden Optionsrechts auf Direktzahlung gefordert, „in order to encourage landlords to accept benefit claimants as tenants and thus, reducing the likelihood of homelessness“, House of Commons, Homelessness, 3rd report 2016–2017, S.  15. 315  Vgl. §  10 C. II. 2. b). 316  Berlit, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  28 Rn.  143; Lauterbach, in: Gagel, SGB II/SGB III, 84. EL Dezember 2021, §  22 SGB II Rn.  128. 317 Vgl. Arndt/Volkert, J. Hum. Dev. Capab. 12 (2011), S.  311, 319: „For public policy it is easier to directly influence instrumental freedoms than to indirectly affect personal conver­ sion factors.“ 318  Wie hier Benöhr, EU Consumer Law and Human Rights, 2013, S.  91: „[R]ational and effective choices are sometimes rendered more difficult or hindered by a number of factors, such as aggressive advertising, and lack (or overflow) of information. From a capability perspective, these difficulties are particularly relevant because they constrain the substantive freedom of consumers and thus provide a strong case for policy actions and development of EU consumer law towards enhancing consumer knowledge.“

§  8 Recht im Befähigungsansatz

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normen relevant sind, die dazu beitragen, dass Menschen im Rechtsleben selbstbestimmte Entscheidungen treffen können. Unter Bezugnahme auf die Terminologie des Befähigungsansatzes lässt sich diese Fähigkeit unter den Begriff „legal capability“ 319 fassen. Darunter sind ganz unterschiedliche personenbezogene, durch rechtliche Normen formbare Rechtskompetenzen zu verstehen, wie etwa die Fähigkeiten, seinen Willen im Rechtsgeschäftsverkehr durchzusetzen, einen Anspruch sowie ein Rechtsproblem zu erkennen, Quellen für Rechtsinformationen und Streitbeilegungsoptionen zu identifizieren sowie sich rechtlich beraten zu lassen.320 Eine ganz bestimmte „legal capability“ bedürftiger Personen, nämlich die Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung, wird in einem späteren Teil dieses Kapitels näher beleuchtet werden.321 Neben dem Umstand, dass Rechtsnormen die subjektive Rechtskompetenz modifizieren können, ist mit Blick auf die persönlichen Umwandlungsfaktoren ein weiterer Aspekt von Bedeutung. Der Tatbestand einer Rechtsnorm kann nämlich eine Sensibilität für den Umstand besitzen, dass nicht jeder Mensch mit den ihm zur Verfügung stehenden Gütern das Gleiche erreichen kann. Rechtsnormen beeinflussen in diesem Fall zwar nicht die persönlichen Umwandlungsfaktoren, sie beziehen aber die Variabilität der natürlichen Persönlichkeitsmerkmale als Einflussfaktor auf die Fähigkeiten ein. Durch diesen Schritt wird das Recht in gewisser Weise „individualisiert“, obgleich man sich natürlich eingestehen muss, dass eine abstrakte Rechtsnorm nie das von ihr konkret betroffene Individuum mit all seinen disparaten Eigenschaften erfassen kann. Auf diese Limitation wird sogleich zurückzukommen sein.322 Ein besonders anschauliches Beispiel für den Versuch einer Individualisierung findet sich in der Reichsfürsorgeverordnung von 1924.323 Dort kann man in den „Grundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß öffentlicher Fürsorgeleistungen“ vom 27.3.1924 lesen, dass sich Art und Maß der Fürsorge nach dem Einzelfalle zu richten haben.324 Im geltenden Recht lässt sich der Individualisierungsgedanke etwa in §  21 SGB II identifizieren.325 Die Regelung eröffnet für bestimmte, typisierte Bedarfe den Zugang zu Leistungen für Mehrbedarfe und damit zu Leistungen, 319 

So die Bezeichnung von Pleasence/Balmer, J. Empir. Leg. Stud. 16 (2019), S.  143, 144. Überblick über die verschiedenen Aspekte des Konzepts „legal capability“ findet sich bei Pleasence/Balmer, J. Empir. Leg. Stud. 16 (2019), S.  143 ff. 321  Vgl. §  10 B. 322  Vgl. §  9 A. II. 3. 323  Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.2.1924, RGBl. I, S.  100. 324 Abgedruckt in Schmidt, Reichsfürsorgeverordnung und Landesfürsorgeverordnung, Textausgabe nebst Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der Fürsorge und Sonderbestimmungen über die Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen, Sozial- und Kleinrentnerfürsorge, 1924, S.  19 f. 325 Zum Individualisierungsgedanken im System des Arbeitslosengeldes II Greiner, in: Knickrehm et al., Kommentar zum Sozialrecht, 7.  Aufl. 2021, §  19 SGB II Rn.  5. Allgemein zum Individualisierungsgrundsatz im Recht der existenzsichernden Sozialleistungen Berlit, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  7 Rn.  25 f. Zum Individualisie320  Ein

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Zweites Kapitel: Anwendung

die über die pauschalen Leistungen nach §  20 SGB II hinausgehen, damit die durch die persönlichen Eigenschaften des Leistungsberechtigten hervorgerufenen unterschiedlichen Problemlagen erfasst werden. Sowohl Abs.  2 (Mehrbedarf für werdende Mütter) und Abs.  4 (Mehrbedarf für behinderte erwerbsfähige Leistungsberechtigte) als auch Abs.  5 (Mehrbedarf bei kostenaufwendiger Ernährung aus medizinischen Gründen) knüpfen dabei an persönliche Eigenschaften des Leistungsberechtigten an. Sie tragen damit seinen individuellen Verhältnissen und Gegebenheiten Rechnung. Deutlich tritt das Individualisierungsbestreben schließlich auch in §  21 Abs.  6 SGB II hervor. Die Rechtsnorm enthält die in der „Hartz IV-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts 326 angemahnte Härtefallregelung und ermöglicht die Anerkennung eines Mehrbedarfs für eine besondere Bedarfslage, die auch durch persönliche Eigenschaften des Leistungsberechtigten – in erster Linie seine Gesundheit – hervorgerufen werden kann. Lediglich angemerkt sei an dieser Stelle eine weitere Bedeutung des Rechts im Befähigungsansatz. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass nicht die Funktionsweisen, sondern die Fähigkeiten, verstanden als (positive) Freiheiten, das maßgebliche Beurteilungskriterium bilden. Jedem soll es freistehen, aus dem ihm zur Verfügung stehenden „capability set“ diejenigen Fähigkeiten in Funktionsweisen umzuwandeln, die er für ein gelingendes Leben als wichtig erachtet.327 Es wird weder vorgegeben, dass von bestimmten Freiheiten tatsächlich Gebrauch gemacht werden muss, noch wird gesagt, dass Fähigkeiten nur dann in Funktionsweisen umgewandelt werden dürfen, wenn es dabei zu einer Erhöhung des eigenen Wohlergehens kommt.328 In einem Satz von A. Sen zusammengefasst: „Verantwortliche Erwachsene müssen für ihr eigenes Wohlergehen sorgen; es ist an ihnen selbst, zu entscheiden, wie sie ihre Verwirklichungschancen nutzen wollen.“329

Wichtig ist nun, dass damit zwischen den Fähigkeiten und den Funktionsweisen ein weiterer Schritt steht, nämlich eine menschliche Entscheidung, und insoweit stellt sich die Frage, ob wir – wie es der Befähigungsansatz unterstellt – tatsächlich in der Lage sind, unsere Umwandlungsentscheidungen autonom zu treffen. Ob wir einen bestimmten Status quo eines „Tuns“ und „Seins“ herbeirungsgedanken im Vollstreckungsschutz Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  179 ff. 326  BVerfGE 125, 175 = NJW 2010, S.  505 ff. 327  Dass der Befähigungsansatz trotz dieser dezidiert freiheitszentrierten Ausrichtung unter bestimmten Voraussetzungen mit einem Paternalismusproblem zu kämpfen hat, wird sich sogleich in §  9 A. II. 2. zeigen. 328  Zur Bedeutung der sogenannten Akteursfreiheit („agency freedom“), in deren Rahmen auch solche Ziele verfolgt werden können, deren Realisierung das eigene Wohlergehen nicht erhöht oder dieses gar reduziert vgl. §  9 A. II. 2. 329  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  342.

§  8 Recht im Befähigungsansatz

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führen, welche Freiheiten wir mithin in die entsprechende Funktionsweise umwandeln, hängt nämlich nicht nur von der individuellen Sozialisation ab, die wir durchlaufen haben. Die Entscheidung für oder gegen eine Umwandlung der Freiheiten in die entsprechenden Funktionsweisen wird auch – und das ist der hier entscheidende Punkt – durch die in einer Gesellschaft bestehenden rechtlichen Regeln beeinflusst.330 Denn Recht ist ein „konstituierender und gestaltender Faktor der gesellschaftlichen Wirklichkeit“331, der die Rechtsunterworfenen zu einem bestimmten sozialverträglichen Verhalten „erzieht“332 und das Selbstverständnis, das die Menschen von sich und ihrer Beziehung zu anderen haben, mitbestimmt.333 So signalisiert etwa das Recht, welche sozialen Verhaltensweisen als angemessen und richtig bewertet werden,334 es sagt dem Einzelnen, was Recht und was Unrecht ist,335 und es ist nicht abwegig anzunehmen, dass die meisten Rechtsunterworfenen diese Erwartung erfüllen. Umwandlungsentscheidungen werden aber nicht nur faktisch durch gesetzliche Ge- und Verbote beeinflusst, sie können auch ganz bewusst und systematisch durch rechtliche Regeln geformt werden,336 indem der Gesetzgeber etwa Anreize für eine bestimmte Umwandlungsentscheidung schafft. Ob man einen solchen Schritt als positiv oder negativ bewertet, ist eine Frage, die hier nicht weiterverfolgt werden muss. Es ist nur wichtig zu betonen, dass die Wirkungen rechtlicher Normen auf die menschlichen Umwandlungsentscheidungen nicht ignoriert werden dürfen, wenn man sich mit der Bedeutung des Rechts im Befähigungsansatz befasst. Dementsprechend muss von vier Wirkweisen rechtlicher Normen im Befähigungsansatz ausgegangen werden. Sie werden durch die nachfolgende Abbildung veranschaulicht, wobei ein durchbrochener Pfeil den mittelbaren, 330  Zum Problem der Präferenzbeeinflussung durch Recht und Politik vgl. Tietzel, JNPÖ 7 (1988), S.  38, 54; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  338 ff. 331  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6.  Aufl. 2011, S.  57. 332  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6.  Aufl. 2011, S.  58. Hierauf baut die von D. Loik vorgelegte sozialphilosophische Rechtskritik auf. Seinem Werk „Juridismus“ liegt die These zugrunde, dass das moderne Recht an der Formung affektiv-habitueller Charakterdispositionen teilhabe, welche die menschliche Fähigkeit zur Teilnahme am sozialen Leben untergrabe, Loik, Juridismus, 2017, S.  13. 333 Vgl. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  58. 334  Sunstein, Univ. Pa. Law Rev. 144 (1996), S.  2021, 2022; Cooter, J. Leg. Stud. 27 (1998), S.  585, 586. 335  Badura, in: FS Scholz, 2007, S.  3, 4. 336 Dazu Deneulin, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  497, 503; Porat, Changing People’s Preferences by the State and the Law, 2019, S.  1, 4 ff.; vgl. auch Robeyns, J. Hum. Dev. Capab. 17 (2016), S.  397, 401: „Adults frequently make systematically irrational or bad choices […]. It is entirely consistent for a capability theory to argue that we have strong reasons to protect people against their own systematic irrationalities. […] we have to take people as they are, as persistently making mistakes in the process of making choices, and this could prima facie justify some form of (most likely modest) paternalism if we use the capability approach for policy purposes. This would imply that we sometimes focus on functionings rather than capabilities.“

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Zweites Kapitel: Anwendung

ein nicht durchbrochener Pfeil den unmittelbaren Einfluss rechtlicher Normen verdeutlichen soll. Recht

Recht

Güter

Recht

Soziale Umwandlungsfaktoren

Umwandlung

Fähigkeiten

Persönliche Umwandlungsfaktoren

Entscheidung

Funktionsweisen

Recht

Abbildung 5337:  Wirkweise rechtlicher Normen im Befähigungsansatz

B. Drei Kategorien entwicklungsfördernder Rechte Im Lichte dieser Wirkweisen rechtlicher Normen lassen sich drei338 Kategorien bilden, mit deren Hilfe eine systematische Anordnung „freiheitsfördernder Rechte“ gelingt. Die erste Kategorie betrifft solche Rechtsnormen, die sich auf die Güterausstattung der Person auswirken. In die zweite Kategorie gehören Regelungen, welche die sozialen Umwandlungsfaktoren beeinflussen, indem sie etwa das Angebot bestimmter Güter oder ihren Preis regulieren oder das Verhalten der Marktteilnehmer steuern. Die dritte Kategorie umfasst schließlich solche gesetzlichen Bestimmungen, die an die wandelbaren persönlichen Umwandlungsfaktoren anknüpfen und insbesondere die personenbezogene Rechtskompetenz formen. Demgegenüber bilden J. Browne, S. Deakin und F. Wilkinson in ihrer Rezeption des Befähigungsansatzes lediglich zwei Kategorien „sozialer Rechte“: „In thinking about social rights in a manner influenced by Sen, we may discern two categories of such rights: (1) social rights as immediate claims to resources (financial benefits such as welfare payments) and (2) social rights as particular forms of procedural or institutionalized interaction (such as rules governing workplace relations, collective bargaining and corporate governance).“339 337  In Anlehnung an Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 98, sowie Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  83. 338  Weil die Fähigkeiten das maßgebliche Bewertungskriterium für den Entwicklungsprozess bilden, muss der Einfluss rechtlicher Normen auf die Umwandlungsentscheidungen unberücksichtigt bleiben. 339  Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27, 39 [Hervorhebung im Original]; Deakin, Renewing Labour Market Institutions, 2004, S.  53.

§  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung

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Mit dieser Kategorisierung geht jedoch etwas Wesentliches verloren. Denn es wird übergangen, dass mithilfe des Rechts auch bestimmte persönliche (wandelbare) Umwandlungsfaktoren geformt und entwickelt werden können. Die Berücksichtigung dieser Wirkung rechtlicher Normen ist indes von zentraler Wichtigkeit, denn sie trägt dem Gedanken Rechnung, dass man nicht von Freiheit sprechen kann, wenn Menschen zwar objektiv eine Wahl haben, aber subjektiv mit dieser Option nichts anfangen können.340 Angesichts der dargestellten vielfältigen Wirkweisen rechtlicher Normen liegen folgende Fragen nahe: Welche praktische Relevanz könnte dem Ansatz der Befähigung in der Rechtssetzung zukommen? Hat er gar das Potenzial, sich als rechtspolitisches Konkurrenzprogramm zur ökonomischen Analyse des Rechts zu etablieren? Und welche Bedeutung kommt dem Befähigungsansatz in der richterlichen Rechtsanwendung zu? Diese Fragen sind Gegenstand des nächsten Abschnitts.

§  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung Im ersten Kapitel dieser Arbeit wurde darauf hingewiesen, dass die utilitaristische Position J. Benthams nicht nur das individuelle Handeln in den Blick nimmt, sondern zugleich die Grundlage einer Gesetzgebungstheorie bildet.341 Eine vergleichbare Ausrichtung auf den Gesetzgeber findet sich in der (normativen) ökonomischen Analyse des Rechts. Sie versteht sich in erster Linie als ein rechtspolitisches Programm, das auf Veränderung des geltenden Rechts abzielt,342 und sie fragt danach, wie der Gesetzgeber rechtliche Normen gestalten muss, damit sie dem ökonomischen Effizienzziel gerecht werden. Dazu soll er die Folgen rechtlicher Normen mithilfe des ökonomischen Verhaltensmodells prognostizieren und sie sodann am Maßstab der ökonomischen Effizienz bewerten. Nun ist der Begriff der Effizienz allerdings so vage, dass kein konkreter Inhalt als logisch notwendig bewiesen werden kann. Die rechtsökonomische Analyse ist damit darauf angewiesen, den Effizienzbegriff auf eine bestimmte Weise zu interpretieren,343 und diese Interpretation muss natürlich nicht 340 Vgl. Schulze, in: Ackermann, Welche Freiheit, 2007, S.  62, 68. Treffend auch Neuner, AcP 218 (2018), S.  1, 4, der darauf hinweist, dass Wissen zu den faktischen Voraussetzungen von Freiheit gehört. 341  Vgl. §  2 C. II. 342 Vgl. Horn, AcP 176 (1976), S.  307, 318; Taupitz, AcP 196 (1996), S.  114, 122; Roellecke, Rechtstheorie 31 (2000), S.  1, 5; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  319; 414; a. A. Schmidtchen, Jahrb. Natl. Ökon. Stat. 217 (1998), S.  251, 260. 343 Vgl. Sen, Rationality and Freedom, 2002 (2004), S.  28: „[T]he analysis of ‚efficiency‘ of legal arrangements […] is thoroughly dependent on interpreting the maximand in a very specific way, and in particular in taking the maximand to be exclusively a reflection of the wel­fare

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Zweites Kapitel: Anwendung

zwangsläufig nutzenorientiert erfolgen. Schließlich stellt die Rechtsökonomik zunächst einmal nur den Versuch dar, die Instrumentarien der Wirtschaftswissenschaften auf rechtliche Fragen anzuwenden.344 Welche ökonomische Theorie man hierfür wählt, ist damit noch nicht gesagt.345 Die Ausrichtung an einem nutzenorientierten Effizienzziel ist also keineswegs zwingend. Es gilt insoweit nichts anders als im Zusammenhang mit der im ersten Kapitel vorgestellten Frage, in welchem Raum Gleichheit zu verwirklichen ist.346 In den Worten A. Sens: „Efficiency comparisons can be made in terms of different variables. If, for example, advantage is seen in terms of individual utility, then the notion of efficiency immediately becomes the concept of ‚Pareto optimality‘, much used in welfare economics. […] But efficiency can also be similarly defined in the spaces of liberties, rights, incomes, and so on. […] There is, formally, an exactly similar multiplicity of efficiency notions as […] for equality, related to the plurality of spaces.“347

A. Befähigungsansatz als rechtspolitisches Programm Im Befähigungsansatz wird zwar, wie bereits gesagt,348 der Gesetzgeber als Promoter für Fähigkeiten einbezogen. Soweit ersichtlich, wurde allerdings bislang an keiner Stelle argumentiert, der Ansatz stelle eine vollständige entscheidungsorientierte sozialwissenschaftliche Theorie des Rechts zur Verfügung, der zufolge für die Folgenbewertung rechtlicher Normen nicht das aus der Wohlfahrtsökonomik bekannte nutzenorientierte Effizienzkalkül, sondern ausschließlich der Befähigungsgedanke zähle.349 Es wird auch nicht gefordert, of the person involved.“ [Hervorhebung im Original]. Zum „vielschichtigen und vielgestaltigen Inhalt“ des Effizienzkriteriums vgl. auch Taupitz, AcP 196 (1996), S.  114, 123. 344  Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  7. 345 Vgl. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  6 , der im Lichte dessen nicht von einer „ökonomischen Analyse des Rechts“, sondern von „ökonomischer Theorie des Rechts“ spricht. Vgl. auch Posner, Hofstra Law Rev. 9 (1981), S.  775 (Fn.  2): „I shall sometimes call the theory ‚the economic theory‘, but the reader should bear in mind that other economic theories about the common law are possible, though none has yet appeared.“ 346  Vgl. §  2 A. 347  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  25 f. Vgl. auch Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 50 (Fn.  53): „Corresponding to ‚equality of what?‘, there is, in fact, also the question: ‚efficiency of what?‘“ 348  Vgl. §  8 . 349  Auch in der Rechtsökonomik wird zumeist keine ausschließliche Ausrichtung am ökonomischen Effizienzziel eingefordert, vgl. Horn, AcP 176 (1976), S.  307, 333; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  105; Kleinewefers, in: FS Schürmann, 1987, S.  83, 98; Kirchgässner, JZ 1991, S.  104, 111; Kirchner, in: Assmann et al., Ökonomische Analyse des Rechts, 1993, S.  62, 67; Taupitz, AcP 196 (1996), S.  114, 126; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  30; Petersen/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  1, 21; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XVII f.: „[E]s ist wichtig anzuerkennen, dass die Regeln eines wünschenswerten menschlichen Zusammenlebens sich nicht ausschließlich am Effizienzziel

§  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung

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dass die Mehrung menschlicher Fähigkeiten die Leitlinie der staatlichen Politik in allen Rechtsbereichen 350 sein sollte. Ganz im Gegenteil: A. Sen betont immer wieder,351 dass mit dem Befähigungsansatz ganz bewusst lediglich eine „Idee“ formuliert wird, die Richtlinien sowie eine „allgemeine Motivationsstruktur“352 für politisches Handeln bereitstellt.353 Damit stellt er sich allerdings hinsichtlich seiner praktischen Auswirkung nicht anders dar als jede Theo­rie,354 sodass es naheliegt zu fragen, warum es nicht gelingen sollte, die Befähigungsidee zu einer der ökonomischen Analyse des Rechts vergleichbaren Gesetzgebungstheorie auszubauen. Für diese Überlegung spricht zudem der Umstand, dass der Befähigungsansatz eine Alternative zur Standard-Wohlfahrtsökonomik liefert,355 und diese bildet bekanntlich die Grundlage der Rechtsökonomik.356 I. Folgenermittlung Damit die durch rechtliche Normen ausgelösten Folgen mithilfe eines befähigungsorientierten Kriteriums bewertet werden können, muss in einem ersten Schritt die Frage nach dem erwartbaren Verhalten der Rechtsunterworfenen beantwortet werden. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass jede „ernsthafte juristische Theorie der Folgenberücksichtigung“357 nicht nur ein normatives Kriterium für die Folgenbewertung entwickeln, sondern zugleich Vorgaben für eine auf das Recht bezogene Folgenprognose liefern muss.358 Oben wurde bereits erwähnt, dass die Rechtsökonomik hierfür auf das Verhaltensmodell des

orientieren können.“ Zum Ausschließlichkeitspostulat in der ökonomischen Analyse des Rechts vgl. auch Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  10 (Fn.  29); Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, 5.  Aufl. 2021, S.  223. 350 Anders Posner, Hofstra Law Rev. 9 (1981), S.  7 75, 778, zur effizienzorientierten Rechtssetzung: „[W]ealth maximization should guide public policy in all spheres“; kritisch dazu Horn, AcP 176 (1976), S.  307, 311. 351 Etwa Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  48; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  9; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  108. 352  Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  41. 353  Zur Ergänzungsbedürftigkeit des Befähigungsansatzes vgl. §  1. 354  Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  15: „Theorien – seien sie richtig oder falsch – sind immer gesellschaftlich und politisch wirksam, auch wenn ihre Autoren das nicht wissen oder wahrhaben wollen.“ 355  Qizilbash, in: Comim et al., The Capability Approach, 2008, S.  53: „It [the capability approach – Anmerkung hinzugefügt] now stands as a, if not the only, major alternative to standard welfare economics.“ 356  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  4 m. w. N. in Fn.  9. 357  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  399. 358 Vgl. Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 217: „Prüfstein für jede entscheidungsorientierte sozialwissenschaftliche Theorie des Rechts ist deren Leistungsfähigkeit in Bezug auf diese beiden Fragestellungen.“; ebenso Kleinewefers, in: FS Schürmann, 1987, S.  83, 89; Eidenmüller, AcP 197 (1997), S.  80, 82.

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Zweites Kapitel: Anwendung

homo oeconomicus zurückgreift.359 Mit seiner Hilfe werden die Folgen ermittelt, die durch rechtliche Regeln in der Rechtswirklichkeit ausgelöst werden. Dabei wirken Rechtsnormen wie (versteckte) Preise. Ist der Preis zu hoch, kommt es – weil die Menschen rational und eigennützig kalkulieren – zur Wahl einer Handlungsalternative.360 Das bedeutet zugleich, dass durch eine Veränderung des Preises das menschliche Verhalten systematisch beeinflusst werden kann. Die vielfach zu beobachtende Anreicherung des Standardmodells mit Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomik ändert nichts daran, dass diese Überlegung weiterhin die Basisannahme der ökonomischen Analyse bildet.361 Das Verhaltensmodell des homo oeconomicus widerspricht – wie oben gezeigt wurde362 – dem Menschenbild des Bürgerlichen Gesetzbuches, das von der Vorstellung vernunftbegabter, geistig-sittlicher Wesen ausgeht. Die ebenfalls bereits getroffene Feststellung, dass A. Sens erweitertes Verhaltensmodell diesem Menschenbild des Rechts viel näher kommt, weil es berücksichtigt, dass Menschen einen Sinn für Moralität haben und in der Lage sind, ihre eigennützigen Präferenzen zu hinterfragen, regt zu der Überlegung an, ob das Sen’sche Modellbild eine taugliche Alternative zum Standardmodell darstellt, um prognostische Aussagen zum Verhalten der Privatrechtsakteure zu formulieren. Diese Frage liegt auch deshalb nahe, weil ein moralisch angereichertes Verhaltensmodell der Realität eher entspricht als der lediglich sein eigenes Glück in freier Selbstbestimmung schmiedende homo oeconomicus 363 und weil es gerade die Realitätsdistanz des ökonomischen Modells ist, die Rechtswissenschaftler „zum Schaudern bringt“.364 Eine solche Annäherung an das Menschenbild für eine Rechtsanalyse ist jedoch weder nötig noch wünschenswert. Nötig ist sie deshalb nicht, weil es sich beim homo oeconomicus nicht um ein „Menschenbild“, sondern nur um ein Modell von einem Menschen handelt, das auf die Folgenanalyse ganz bestimmter, 359 

Vgl. §  7 B. III. nur Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 830 f.; Behrens, in: Bydlinski/ Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 50; Cooter, J. Leg. Stud. 27 (1998), S.  585; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  9; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  35, 341; Petersen/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  1, 4. 361  Vgl. nur Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  33 ff.; Fezer, JZ 1986, S.  817, 822; Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 219; Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  353; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  7; Eidenmüller, JZ 1999, S.  53, 55; Wieland, in: FS Lampe, 2003, S.  371 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, S.  216, 217; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 12, spricht von einer „Kerntheorie“; Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  169 ff. 362  Vgl. §  7 B. III. 363  So treffend Schmidt, JZ 1980, S.  153, 155. 364  Fezer, JZ 1986, S.  817, 822: „REMM nennen die Theoretiker der ökonomischen Effizienz den Menschen ihrer vorgestellten Welt, der mich als Juristen schaudern macht.“; Fezer, JZ 1988, S.  223, 224; vgl. auch Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  4 („offensichtliche Realitätsverleugnung“); Rittner, JZ 2005, S.  668, 669. 360  Vgl.

§  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung

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für die Ökonomik zentraler Situationen zugeschnitten ist 365 und in der Rechts­ ökonomik der positiven Erklärung und Prognose menschlichen Verhaltens dient. Es besagt mithin nicht, dass Menschen rational und nutzenmaximierend handeln sollen, sondern interessiert sich nur für das tatsächliche gegenwärtige sowie künftige Verhalten der Menschen.366 Eine normative Aussage ist mit dem ökonomischen Verhaltensmodell also nicht verbunden. Damit operiert der homo oeconomicus auf einer ganz anderen Ebene als das Menschenbild des Rechts,367 denn dem „Recht ist das Denken in Werten wesenseigen“368 . Es enthält immer normative Vorgaben,369 indem es etwa ein bestimmtes Verhalten vorschreibt oder die Rechtsunterworfenen verpflichtet, auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten.370 Rechtsnormen liefern die „Informationsbasis“ für ein Werturteil über ein menschliches Tun oder Unterlassen, sodass auch das Menschenbild des Rechts auf einer normativen Ebene verankert sein muss.371 Wenn A. Sen das ökonomische Verhaltensmodell durch nicht-eigennützige Entscheidungen aus Verpflichtung („commitment“) sowie durch kritisch prüfende Metapräferenzen – deren wichtigste Quelle moralische Werte sind372 – anreichert und sich damit von der monistischen Eigennutzorientierung des homo oeconomicus verabschiedet, dann muss sich ein derart moralisch aufgeladenes Alternativmodell also nicht daran messen lassen, ob es dem Menschenbild des Bürgerlichen Gesetzbuches näher kommt als das ökonomische Standardmodell. Entscheidend ist vielmehr, ob sich das vorgeschlagene Modell im Vergleich zum ökono­ mischen Standardmodell als ein heuristisch erträglicheres Konstrukt zur Pro­ gnose menschlichen Verhaltens im Rahmen einer Rechtsanalyse verstehen lässt.373 Das ist zu verneinen, und zwar aus dem folgenden Grund: Die Berücksichtigung sowohl von Metapräferenzen als auch von nicht-eigennützigen Entscheidungen aus Verpflichtung führt dazu, dass die Rechtsunterworfenen, deren Verhalten es zu prognostizieren gilt, in eine konkrete Gesellschaft eingebettet werden. Denn die inneren Beweggründe, die einer Entschei365  Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S.  3 ff.; Kirchgässner, JZ 1991, S.  104, 105; Pies, Normative Institutionenökonomik, 1993, S.  94; Suchanek, in: Lohmann/Priddat, Ökonomie und Moral, 1997, S.  65, 68, spricht von „pragmatische[r] Reduktion“; Gröschner, in: Engel/Morlok, Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998, S.  31, 35, 37, der den homo oeconomicus als aggregierten Typus für standardisierte Fälle bezeichnet; Rittner, JZ 2005, S.  668, 669; Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 16 f.; Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  172 ff. 366  Siehe oben §  7 B. III. 367  Lüdemann, in: Engel et al., Recht und Verhalten, 2007, S.  7, 16 f.; Wiedemann/Wank, JZ 2013, S.  340. 368  Fezer, JZ 1986, S.  817, 824. 369 Vgl. Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S.  32. 370 Vgl. Starck, JZ 1972, S.  609, 612; Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  63. 371 Vgl. Eidenmüller, JZ 2005, S.  216, 217. 372  Etzioni, in: Wieland, Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, 1993, S.  109, 117. 373 Vgl. Pies, Normative Institutionenökonomik, 1993, S.  141. Zur Bedeutung der Aussagekraft des Modells siehe ferner Wieland, in: FS Lampe, 2003, S.  371, 381.

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Zweites Kapitel: Anwendung

dung aus Verpflichtung zugrunde liegen und aus denen höherstufige Präferenzen entstehen, haben ihren Ursprung in dem das Individuum umgebenden gesellschaftlichen Raum mit seinen jeweiligen moralischen Eigenansprüchen. Jede moralische Anreicherung des Standardmodells durchbricht damit zwar die eindimensionale Eigennutzenkonzeption, das Verhaltensmodell ist damit aber nicht mehr autonom gegenüber den unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen,374 sodass die Prognostizierbarkeit des menschlichen Verhaltens erschwert wird. Es stellt – in anderen Worten – kein universales Modell dar. Mangels vergleichbarer Prognosekraft kann das Sen’sche Verhaltensmodell daher nicht als gleichwertige Alternative zum Modellbild des homo oeconomicus betrachtet werden. II. Folgenbewertung Damit kann zum nächsten Element einer juristischen Theorie der Folgenberücksichtigung – dem Bewertungskriterium – übergegangen werden: Können die Wirkungen rechtlicher Normen mithilfe des Befähigungsansatzes bewertet werden? Wer diese Frage bejaht, lehnt zugleich den der Rechtsökonomik zugrunde liegenden normativen Maßstab ab. Denn dieser geht davon aus, dass für die Bewertung ein näher zu präzisierendes, aber immer nutzenorientiertes Effizienzkriterium Gültigkeit beansprucht. Im Befähigungsansatz wird demgegenüber die Nutzenorientierung aufgegeben und auf die individuellen Freiheiten, verstanden als die menschlichen Fähigkeiten, rekurriert. Damit verfolgt eine befähigungsorientierte Ausrichtung des Rechts ganz offensichtlich ein zum welfaristischen Ansatz konkurrierendes rechtspolitisches Ziel. Man kann auch sagen, in einer befähigungsorientierten Gesetzgebungstheorie schlägt „nicht das Postulat ökonomischer Effizienz […], sondern die Ethik der Freiheit der Person […] die Brücke zwischen Ökonomie und Recht.“375 Für eine Rechtswissenschaft, die sich in die Tradition freiheitlichen Rechtsdenkens stellt,376 ist dies ein reizvoller Ansatz. Aber lassen sich die Folgen rechtlicher Regeln auf der Grundlage des Befähigungsgedankens überhaupt bewerten? Dort, wo sich Wissenschaftler mit dieser Frage befassen, wird eine ambitionierte Antwort gegeben. So konstatieren etwa S. Deakin und J. Browne: „Sen’s Capabilities Approach offers a new way of assessing and evaluating legal, social, political, and economic interactions.“377 374 Vgl.

Biesecker/Kesting, Mikroökonomik, 2003, S.  145. Fezer, JZ 1988, S.  223, 225. 376  Zur Rechtswissenschaft als „Wissenschaft von der Freiheit“ vgl. Beudant, Le Droit individual et l’état, 1891, S.  5: „Le Droit, au sens le plus général du mot, est la science de la liberté.“ 377  Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27, 37; Deakin, Renewing Labour Market Institutions, 2004, S.  51. 375 

§  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung

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Noch weiter geht M. W. Hesselink, wenn er formuliert: „The European Union […] may well ask itself whether the ultimate (or at least) an important aim of the internal market should not be to contribute to enhancing, the possibilities for its citizens […] to choose the lives they have reason to value.“378

Ein vergleichbarer Gedanke findet sich ferner in einem Beitrag von D. Crocker: „[C]apabilities as well as functionings are important in grasping the aim and limits of good government.“379

Auf den ersten Blick liegt eine Nutzbarmachung des Befähigungsansatzes als rechtspolitisches Programm in der Tat nahe, schließlich üben rechtliche Normen in diesem Denkmodell – wie oben gezeigt wurde380 – einen vielfältigen Einfluss aus. Und es trifft auch zu, dass eine befähigungsorientierte Gesetzgebungstheorie unserer freiheitlichen Rechtsordnung eher Rechnung trägt als die nutzenorientierte Rechtsökonomik, die – wie in einem vorangehenden Abschnitt ebenfalls herausgearbeitet wurde381 – konzeptionell bedingt den Wert der menschlichen Freiheiten auf einen instrumentellen Gehalt beschränken muss. Auf den zweiten Blick wird indes deutlich, dass die Weiterentwicklung des Befähigungsansatzes zu einer Gesetzgebungstheorie mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden ist. Sie sollen im Folgenden unter den Begriffen „Operationalisierbarkeit“, „Paternalismusproblem“ und „Individualisierungsproblem“ offengelegt werden. 1. Operationalisierbarkeit Wenn mithilfe des Befähigungsansatzes die Folgen rechtlicher Normen sowie die rechtspolitischen Entscheidungen, die zu diesen Folgen geführt haben, bewertet werden sollen, genügt es nicht zu wissen, was das individuelle Wohlergehen des einzelnen Gesellschaftsmitglieds kennzeichnet. Die mit dem Befähigungsansatz vollzogene Abkehr von einer Gleichsetzung des Wohlergehens mit dem individuellen Nutzen sowie die Hinwendung zu den Fähigkeiten als normativem Wohlergehensindikator ist ein wichtiger, gleichwohl nur ein erster Schritt. Denn mit der Antwort auf die Frage, wie das Individualwohl am besten beurteilt werden kann, ist noch nicht gesagt, wie die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt zutreffend erfasst wird. 378  Hesselink, in: Deakin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  31, 43. Vgl. ferner Salais, in: Salais/ Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  283; Salais, in: Rogowski et al., Transforming European Employment Policy, 2012, S.  255, 271. 379 Sowie Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 159, zudem S.  162: „[T]he task of government is to help its citizens acquire the actual or developed capability.“ 380  Vgl. §  8 A. 381  Vgl. §  7 C. III.

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Zweites Kapitel: Anwendung

Behält man – dem Befähigungsansatz entsprechend382 – die wohlfahrtsökonomische Prämisse des normativen Individualismus bei und erachtet die Wohlfahrt der Gesellschaft als ein Konstrukt, das sich als Aggregat des individuellen Wohlergehens der einzelnen Gesellschaftsmitglieder definiert, genügt es offensichtlich nicht zu sagen, nach welchem Kriterium (Nutzen, Fähigkeiten oder Grundgüter?) das individuelle Wohlergehen zu bewerten ist. Man muss ebenfalls vorgeben, wie die individuellen Fähigkeiten zu einer Gesamtwohlfahrt zusammengefasst werden sollen.383 Darüber hinaus ist zu klären, wie die das individuelle Wohlergehen konstituierenden Fähigkeiten spezifiziert,384 gewichtet385 und auf der individuellen Ebene, d. h. auf der Ebene jedes einzelnen Gesellschaftsmitglieds, zu einem Gesamtausdruck aggregiert werden können. Anders als im Utilitarismus fließt ja nicht nur der Nutzen, verstanden als das menschliche Glück, als eindimensionale Größe in die Bewertung ein. Vielmehr zeichnet sich der Befähigungsansatz durch einen Pluralismus an menschlichen Freiheiten aus, die das individuelle Wohlergehen konstituieren.386 382 Zur normativ individualistischen Ausrichtung des Befähigungsansatzes vgl. Beitz, Econ. Philos. 2 (1986), S.  282, 283: „He [Sen – Anmerkung hinzugefügt] shares the premise of individualism with virtually all of contemporary welfare economics […].“; Gasper, Rev. Polit­ ical Econ. 14 (2002), S.  435, 452; Pogge, Philos. Top.  30 (2002), S.  167, 179: „The resourcist and capability approach both share the commitment to normative individualism.“; Graf, in: Sedmak et al., Der Capability Approach in sozialwissenschaftlichen Kontexten, 2011, S.  11, 25; Robeyns, J. Hum. Dev. Capab. 17 (2016), S.  397, 408: „The capability approach is normatively individualistic, a property that should, therefore, be shared by all capabilitarian theories […].“ 383 Dazu Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 96: „[T]he capability approach does not specify an aggregative principle […].“; ebenso Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23, 39; Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  156. Zu den unterschiedlichen Aggregationsproblemen im Befähigungsansatz vgl. Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  21 ff.; Comim, in: Comim et al., The Capability Approach, 2008, S.  157, 180 ff.; ferner Chiappero-Martinetti, Rivista Internazionale di Scienze Sociali 108 (2000), S.  207, 211. 384 Vgl. Kuklys, Amartya Sen’s Capability Approach, 2005, S.  21. 385 Zur Lösung des Problems der Gewichtung schlägt A. Sen die Bildung sogenannter „partieller Rangordnungen“ vor. Eine solche liegt beispielsweise vor, wenn wir einem sozialen Zustand x den Vorrang sowohl vor y wie vor z geben, ohne dass wir y und z gegeneinander abwägen können. Der Zustand x kann in diesem Fall gewählt werden, ohne den Konflikt zwischen y und z lösen zu müssen. Auch wenn sich etwa keine Rangordnung zwischen x und y festlegen lässt, aber beide gegenüber z bevorzugt werden, dann bleibt zumindest die Möglichkeit, die Alternative z abzulehnen und ganz außer Acht zu lassen, vgl. zu diesem Beispiel Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  427. Auf diese Weise kann das Spektrum mehr und mehr verengt und damit die partielle Anordnung erweitert werden, bis man schließlich zu einem „allgemein akzeptierten“ Spektrum zum Zweck der sozialen Bewertung gelangt, Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  99 f. Zur Bildung partieller Rangordnungen dieser Art vgl. auch Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  457 ff.; kritisch dazu Pogge, Philos. Top.  30 (2002), S.  167, 211 f. 386  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  97. Vgl. auch Nussbaum, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  324, 333: „Living well as a human being has a plural­ity of distinct components, none of them reducible to the others – a fact that any approach in terms of a single quantitative scale simply obscures from view.“

§  9 Befähigungsdenken in Rechtsetzung und Rechtsanwendung

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Schließlich muss man sich der Frage stellen, wessen Fähigkeiten zu welchem Zeitpunkt in den gesellschaftlichen Beurteilungsmaßstab einzubeziehen sind.387 Müssen neben den Fähigkeiten der heute in einer Gesellschaft lebenden Personen auch die Interessen künftiger Generationen berücksichtigt werden,388 wie es etwa das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum Klimaschutzgesetz getan hat?389 Wäre es nicht problematisch, wenn wir heute über sämtliche Fähigkeiten verfügten, dies jedoch nur deshalb möglich wäre, weil künftige Generationen auf grundlegende Freiheiten verzichten müssten?390 Und welcher Stellenwert soll den Fähigkeiten der Menschen zugeschrieben werden, die außerhalb der jeweiligen Rechtsgemeinschaft leben?391 Zu guter Letzt bleibt die bereits aus dem ersten Kapitel bekannte Schwierigkeit,392 dass die individuellen Fähigkeiten nicht gemessen werden können.393 Der Möglichkeitenraum, der einem Individuum tatsächlich zur Verfügung steht, ist für niemanden und damit auch nicht für den Gesetzgeber beobachtbar. Ob eine rechtspolitische Entscheidung tatsächlich zu den gewünschten Freiheiten in der Lebenswirklichkeit führt, lässt sich damit praktisch nicht kontrollieren. Für die Konstruktion einer Gesetzgebungstheorie ist das ein prinzipiell heikler Ausgangspunkt. Aus den bisherigen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, dass der Einsatz des Befähigungsansatzes als Bewertungskriterium für soziale Zustände und die rechtspolitischen Entscheidungen, die zu diesen geführt haben, ein mit einer Vielzahl an Werturteilen verbundenes Unterfangen ist.394 Letzteres trifft zwar auch auf das Programm der ökonomischen Analyse des Rechts zu.395 Im Gegensatz zu dieser gibt der Befähigungsansatz jedoch keine „klar formulierte 387  Zu diesen Problemen mit Bezug zur utilitaristischen Ethik vgl. Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 113: „Should American policy be to maximize the happiness of Americans, with foreigners’ happiness given a zero weight? Or is a more ecumenical perspective required? And how about the unborn?“ 388 Vgl. Pogge, Philos. Top.  30 (2002), S.  167, 169. 389  BVerfG, NJW 2021, S.  1723, 1732 („intergenerationelle Schutzverpflichtung“). 390  Im 2. Armuts- und Reichtumsbericht wird auf dieses Problem hingewiesen, vgl. Bundesregierung, 2. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 15/5015, S.  13: „Chancen der heute lebenden Menschen dürfen nicht zu Lasten künftiger Generationen gehen.“ 391  Zum Unterschied zwischen den „members of the focal group“ und dem „outsider“ vgl. Sen, J. Philos. 99 (2002), S.  4 45 ff. 392  Vgl. §  4 A. II. 393  Deneulin, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  497, 502; treffend Latzel, Verhaltenssteuerung, Recht und Privatautonomie, 2020, S.  4 46: „Die Freiheitsbilanz einer Lenkungsmaßnahme lässt sich nicht mathematisch berechnen, weil Freiheit nicht quantifizierbar ist.“ 394 Kritisch Sugden, J. Econ. Lit. 31 (1993), S.  1947, 1953: „Given the rich array of function­ ings that Sen takes to be relevant, given the extent of disagreement among reasonable people about the nature of the good life, and given the unresolved problem of how to value sets, it is natural to ask how far Sen`s framework is operational.“ 395 Grundlegend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  168; zustimmend Schmidtchen, Jahrb. Natl. Ökon. Stat. 217 (1998), S.  251, 263.

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Konzeption der Folgenbewertung“396 vor, sondern er ist nach seiner konzeptionellen Ausrichtung bewusst ergänzungsbedürftig.397 Er stellt damit keine „einfache Basistheorie“398 für die Bewertung sowie Fortbildung des geltenden Rechts bereit.399 Dieser Befund fällt nicht anders aus, wenn man sich darauf beschränkt, die Konsequenzen rechtlicher Normen danach zu bewerten, inwieweit sie zu einer gewissen Grundbefähigung aller Gesellschaftsmitglieder beitragen. Ganz in diesem Sinne weist etwa M. C. Nussbaum darauf hin, dass das Ziel politischer Planung darin bestehe, „für jeden Bürger des Staates die Voraussetzungen zu schaffen, die es ihm ermöglichen, ein gutes menschliches Leben zu wählen und zu führen.“400 Mit dieser Handlungsempfehlung steht man nun allerdings vor der schwierigen Aufgabe, bestimmte Fähigkeiten auszuzeichnen, die als besonders wertvoll zu qualifizieren sind und die jedem Menschen während seines gesamten Lebens401 effektiv zur Verfügung stehen müssen, damit er ein gutes menschliches Leben in Freiheit führen kann. Auf einen durch A. Sen konstruierten Katalog derartiger Fähigkeiten kann nicht zurückgegriffen werden. Er hat – anders als etwa M. C. Nussbaum 402 – auf die Erstellung einer Liste grundlegender Freiheiten bewusst verzichtet. Welchen anderen Weg er einschlägt, muss an dieser Stelle noch nicht interessieren. Die Frage wird im dritten Kapitel näher behandelt.403 Hier genügt die Feststellung, dass eine Ausrichtung rechtspolitischer Entscheidungen auf das Ziel einer universalen Grundbefähigung ohne eine Auswahl der insoweit relevanten Freiheiten nicht gelingen kann.404 Die zum Befähigungsansatz geführte „Listendebatte“ stellt sich daher als alles andere als eine „kleine Scheindebatte“405 dar. Das zeigt sich auch, wenn man überlegt, was es bedeuten würde, wenn der Gesetzgeber eine 396  So fasst Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  400, die Attraktivität der ökonomischen Analyse des Rechts zusammen. 397  Vgl. §  1. 398  Horn, AcP 176 (1976), S.  307, 311. 399 Treffend Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 441: „This slogan [that we should look only at the capability level – Anmerkung hinzugefügt] does not suffice as a theory of welfare or as a policy rule.“; ähnlich Carter, Econ. Philos. 30 (2014), S.  75, 76. 400  Nussbaum, Gerechtigkeit oder Das gute Leben, 11.  Aufl. 2020, S.  86. 401  Auch diese Bedingung kann zur Disposition gestellt warden, vgl. dazu Arneson, in: Kaufman, Capabilities Equality, 2006, S.  17, 24: „One possibility is that justice requires that each person be brought to the good enough capability level and must be maintained at that level throughout the life course […]. Another possibility is that justice requires that each person be enabled to gain sufficient level of well-being achievements over the course of his or her life.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 402  Vgl. §  15 C. II. 403  Vgl. §  15 C. III. 404  So im Ergebnis auch Nussbaum, in: Kaufman, Capabilities Equality, 2006, S.  4 4, 57, 67; Deneulin, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  497, 501: „[W]hen it comes to implementing policies […] some content must be given to the relevant capabilities to promote.“; Graf, in: Sedmak et al., Der Capability Approach in sozialwissenschaftlichen Kontexten, 2011, S.  11, 26 f. 405 So Schrödter, np 1 (2007), S.  3, 14 (Fn.  18).

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allgemein gültige und nicht auf dem Konsens aller Gesellschaftsmitglieder beruhende Liste an unverzichtbaren Grundfähigkeiten zum Zweck der Folgenbewertung rechtlicher Regelungen einfach vorgeben würde. In diesem Fall entstünde nämlich ein Paternalismusproblem.406 2. Paternalismusproblem Diese Diagnose wird auf den ersten Blick erstaunen,407 denn einen Paternalismus ohne freiheitsbeschränkenden Effekt gibt es nicht,408 und die Vorgabe eines Katalogs unverzichtbarer Grundfähigkeiten ändert ja zunächst einmal nichts daran, dass in einer befähigungsorientierten Rechtspolitik die Freiheiten der Menschen das maßgebliche Kriterium bilden, um die Folgen rechtlicher Regeln zu bewerten. Dass ein solches rechtspolitisches Programm mit einer Freiheitsbeschränkung verbunden sein kann, liegt auf den ersten Blick also fern. Auch die zentrale Prämisse des Befähigungsansatzes, nämlich dass es jedem Einzelnen überlassen bleibt, ob er von den durch Rechtsnormen eröffneten Freiheitsräumen tatsächlich Gebrauch macht,409 bleibt durch die Erstellung einer Liste 406 Nach G. Dworkin ist eine paternalistische Handlung hauptsächlich durch drei Bedingungen charakterisiert: Erstens, die Handlung bewirkt die Freiheitsbeschränkung einer Person. Zweitens, diese Beschränkung geschieht ohne die Zustimmung der Person, und drittens, die Handlung ist durch die Absicht motiviert, das Wohlergehen des Individuums zu fördern, vgl. Dworkin, in: Wasserstrom, Morality and the Law, 1971, S.  107, 108; Dworkin, in: Sartorius, Paternalism, 1983, S.  19, 20: „By paternalism I shall understand roughly the interference with a person’s liberty of action justified by reasons referring exclusively to the welfare, good, happiness, needs, interests, or values of the person coerced.“ Siehe hierzu auch Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141; Eidenmüller, JZ 2011, S.  814, 815; Claassen, Econ. Philos. 30 (2014) S.  57, 61; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  359; Moser, Unveräußerliche Rechte, 2020, S.  162 f. 407  So auch Laukötter, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  161, 162. 408  Auch Interventionen, die von vornherein auf eine Korrektur von systematischen Rationalitätsdefiziten beschränkt sind, werden als paternalistisch qualifiziert, vgl. Sunstein/Thaler, Univ. Chic. Law Rev. 70 (2003), S.  1159, 1162: „Libertarian paternalism is a relatively weak and nonintrusive type of paternalism, because choices are not blocked or fenced off. […] But the approach we recommend nonetheless counts as paternalistic […].“; dazu auch Eidenmüller, JZ 2011, S.  814 ff. 409  Nussbaum, Fordham L. Rev. 66 (1997), S.  273, 292: „Politics here has an urgent role to play, providing citizens with the tools that they need, both in order to choose at all and in order to have a realistic option of exercising the most valuable functions. The choice of whether and how to use the tools, however, is left up to the citizens, in the conviction that this choice is an essential aspect of respect for their freedom. They are seen not as passive recipients of social patterning, but as dignified free beings who shape their own lives.“; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  263: „Der Befähigungsansatz rückt nicht nur das ins Blickfeld, was eine Person am Ende wirklich tut, sondern auch das, was sie zu tun vermag, ganz gleich, ob sie sich entscheidet, ihre Fähigkeit tatsächlich zu nutzen.“, sowie S.  316: „Wird allen Bürgern die Chance geboten, ein wenigstens minimal annehmbares Leben zu führen, muss dieses Angebot nicht mit der Forderung verbunden sein, dass jeder alle vom Staat eingeräumten Chancen nutzt“; ebenso Nussbaum, Gerechtigkeit oder Das gute Leben, 11.  Aufl. 2020, S.  40 f.:

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grundlegender Fähigkeiten unangetastet. Mit anderen Worten: Durch eine Auswahl an Grundfähigkeiten werden lediglich die Mindestbedingungen für ein freiheitliches Leben konkretisiert, die mithilfe des Rechts zu gewährleisten sind. Menschen werden also lediglich dazu befähigt, bestimmte als unverzichtbar erachtete Funktionen auszubilden. Es wird indes niemand gezwungen, in einer heteronom bestimmten Weise zu leben oder die vom Gesetzgeber geförderten Freiheiten in konkrete Funktionsweisen umzuwandeln.410 Selbst wenn dieser mit der Benennung menschlicher Grundfähigkeiten im Grunde sagt, welche notwendigen Minimalfreiheiten jeder Mensch benötigt, wird damit nicht zugleich verlangt, dass die Menschen von diesem Freiheitsraum auch Gebrauch machen müssen. Dieser Ansatz – der auch als „anti-paternalist move“411 bezeichnet wird – lässt sich am besten anhand des folgenden Beispiels verdeutlichen: Würde der Gesetzgeber die Fähigkeit, ausreichend ernährt zu sein, auf die Liste grundlegender Fähigkeiten setzen, dann würde ein Gesetz, das den Rechtsunterworfenen das Fasten verbietet, zwar dazu beitragen, dass sich jeder (in seinem wohlverstandenen Interesse) in einem gut ernährten Zustand befindet. Das Verbot würde indes nicht die Freiheit begünstigen, ausreichend ernährt zu sein. Dementsprechend könnte die gesetzliche Einschränkung der Freiheit zu fasten nicht unter Hinweis auf den Befähigungsansatz gerechtfertigt werden.412

Gegen den Paternalismusverdacht kann man zudem das folgende Argument vortragen: Die Erstellung eines allgemein verbindlichen Kanons grundlegender Fähigkeiten, die es durch Rechtsnormen zu fördern gilt, impliziert nicht die Forderung, dass die Umwandlung von Fähigkeiten in Funktionsweisen immer mit der Mehrung des eigenen Wohlergehens verbunden sein muss.413 Die Menschen können vielmehr weiterhin auch das Wohlergehen anderer berücksichtigen, selbst wenn ein solches Vorgehen das eigene Wohlergehen nicht erhöht oder diesem sogar zuwiderläuft. Denn unter den Begriff der Fähigkeiten wird „Die Konzeption zielt nicht direkt darauf ab, Menschen dazu zu bringen, auf eine ganz bestimmte Weise zu funktionieren. Sie zielt vielmehr darauf ab, Menschen hervorzubringen, die zu bestimmten Tätigkeiten befähigt sind und die sowohl die Ausbildung als auch die Ressourcen haben, um diese Tätigkeiten auszuüben, falls sie dies wünschen.“ [Hervorhebung im Original]. 410 Vgl. Laukötter, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  161, 174 f. 411  Carter, Econ. Philos. 30 (2014), S.  75, 82. 412 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 40: „[W]e may, for exam­ ple, try to eliminate involuntary hunger, but not wish to forbid fasting.“; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  316: „Zum Beispiel könnte der Staat Gründe haben, seinen Bürgern angemessene Möglichkeiten für ein Leben ohne Hunger zu bieten, aber keinen Grund, darauf zu bestehen, dass sie dieses Angebot ausnahmslos annehmen.“; in diesem Sinn auch Schweiger, in: Gaisbauer et al., Philosophical Explorations of Justice and Taxation, 2015, S.  33, 36. 413  So die Argumentation von Laukötter, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  161, 169 ff.

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nicht nur die sogenannte Wohlergehensfreiheit („well-being freedom“) gefasst, also die Freiheit, verschiedene Funktionsweisen für das eigene Wohlbefinden zu realisieren. Der Begriff der Fähigkeiten bezieht sich vielmehr auch auf die sogenannte Akteursfreiheit („agency freedom“), in deren Rahmen auch solche Ziele verfolgt werden können, deren Realisierung das eigene Wohlergehen nicht erhöht oder dieses gar reduziert.414 Und dieses Begriffsverständnis wird durch die Erstellung einer Liste förderungswürdiger Fähigkeiten grundlegender Art nicht verändert. Es erscheint daher schwierig, einem Ansatz, der sich so deutlich wie der Befähigungsansatz auf die menschlichen Freiheiten konzentriert, mit einem Paternalismuseinwand zu begegnen, selbst wenn der Gesetzgeber einige besonders bedeutsame Freiheiten auswählen würde, die es mithilfe rechtlicher Normen zu fördern gilt. Und doch bildet gerade der letztgenannte Schritt das Einfallstor für eine Paternalismuskritik.415 Denn mit jeder Auswahl an Freiheiten wird zugleich (stillschweigend) gesagt, welche Freiheiten weniger förderungswürdig sind.416 Die bereits im ersten Kapitel entfaltete Bedeutung der „Informationsbasis“ spielt in diesem Zusammenhang also erneut eine Rolle.417 Durch die Erstellung eines Kanons förderungswürdiger Freiheiten erfolgt aber nicht nur eine Gewichtung nach der Relevanz bestimmter Freiheiten.418 Es wird vielmehr auch vorgegeben, dass die „minderwertigen Freiheiten“, anders als die ausgewählten Grundfähigkeiten, die sich – wie oben gezeigt wurde419 – durch einen absoluten Kern auszeichnen, nicht abwägungsresistent sind,420 sodass zu befürchten ist, dass sie zum Erhalt höher bewerteter Grundfähigkeiten einge414  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  40: „A person’s capability can be characterized as well-being freedom (reflecting the freedom to advance one’s own well-being), and agency freedom (concerned with the freedom to advance whatever goals and values a person has reason to advance).“ Vgl. zum Unterschied zwischen „agency freedom“ and „well-being freedom“ Sen, J. Philos. 82 (1985), S.  169, 203 ff.; Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  43, 61; Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 35; Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 165 f.; Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  56 f.; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  315. 415 Die von M. C. Nussbaum ausgearbeitete Variante des Befähigungsansatzes ist daher nicht immun gegen paternalistische Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit, vgl. Deneulin, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  497, 511: „Nussbaum’s approach, as liberal as it claims to be, appears rather paternalistic and dictatorial about the good.“; ähnlich auch Steckmann, in: Otto/Ziegler, Capabilities, 2.  Aufl. 2010, S.  9 0, 109; Claassen, Econ. Philos. 30 (2014) S.  57 ff.; Winkler, JCSW 57 (2016), S.  269, 287; Hamilton, Amartya Sen, 2019, S.  157. Dass der Befähigungsansatz als Fundament eines Paternalismus dienen kann, vertritt zudem Arneson, Ethics 111 (2000), S.  37, 44. 416 Vgl. Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 32: „The need for selection and discrimination is neither an embarrassment, nor a unique difficulty, for the conceptuali­ zation of functioning and capability.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 417  Vgl. §  2 B. 418  Moser, Unveräußerliche Rechte, 2020, S.  193. 419  Vgl. §  5 B. III. 420  Dieser Gedanke wird im letzten Kapitel nochmals eine Rolle spielen, wenn es um die

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schränkt werden, und zwar auch dann, wenn der Einzelne über die Grundfähigkeiten gar nicht (mehr) verfügen will.421 Auch dieser Gedanke lässt sich mithilfe eines Beispiels illustrieren: Würde der Gesetzgeber die Fähigkeit, lange zu leben, auf die Liste grundlegender Fähigkeiten setzen,422 dann würde die aus §  138 Abs.  1 BGB resultierende Nichtigkeit eines Vertrags, in dem sich eine Partei freiwillig dazu verpflichtet, ihr Herz zu spenden, dazu beitragen, dass die Freiheit, lange zu leben, erhalten bleibt. Die Einschränkung der Vertragsfreiheit könnte damit unter Hinweis auf diese freiheitssichernde Wirkung gerechtfertigt werden, obwohl „über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist […] der Einzelne souveräner Herrscher“423 ist.

Obgleich in diesem Beispiel die bevormundende Intervention in die Vertragsfreiheit dazu führt, dass eine zuvor als besonders wertvoll identifizierte wirkliche Freiheit verteidigt wird – der Eingriff sich im Ergebnis also freiheitsfördernd auswirkt –, hat sie einen freiheitseinschränkenden Effekt, der zudem gegen den Willen des Betroffenen erzeugt wird.424 Denn die Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung tritt hinter die wirkliche Freiheit zur Führung eines langen Lebens zurück, und zwar unabhängig davon, ob die Vertragsparteien dies wollen oder nicht. Ein Verzicht auf die von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung des §  138 Abs.  1 BGB ist nach richtiger Ansicht nicht möglich.425 Es liegt damit in diesem Fall ein „autonomieorientierter Paternalismus“426 vor, also ein Paternalismus zur Freiheitssicherung.427 Weil es dabei nicht um den „Erhalt von Autonomie unter Bedingungen fehlender Autonomie“428 bzw. darum geht, bestehende systematische Rationalitätsdefizite im menschlichen Entscheidungsverhalten zu korrigieren,429 die paternalisierte PerEinschränkung der Vertragsfreiheit zur Förderung grundlegender Freiheiten geht, vgl. §  15 C. I. 421  Zur Möglichkeit der Einschränkung gegenwärtiger Freiheit zur Beförderung künftiger Freiheit vgl. auch Raz, The Morality of Freedom, 1986, S.  419: „A moral theory which values autonomy highly can justify restricting the autonomy of one person for the sake of the greater autonomy […] of that person himself in the future.“; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996, S.  60 ff. 422  Zur Qualifikation dieser Fähigkeit als grundlegende Fähigkeit vgl. Drèze/Sen, India: Economic Development and Social Opportunity, 1995 (2008), S. VII. 423  Mill, Über die Freiheit, 1859 (2010), S.  19. 424  Dass der Befähigungsansatz die Grundlage für die dargestellte Freiheitseinschränkung liefert, gesteht auch M. C. Nussbaum ein, vgl. Nussbaum, Women and Human Development, 2000, S.  95: „My own view is that health and bodily integrity are so important in relation to all the other capabilities that they are legitimate areas of interference with choice up to a point, […].“ 425  Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  295. 426  Gutmann, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  27, 37. 427  Moser, Unveräußerliche Rechte, 2020, S.  186. 428  Laukötter, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.   161, 176 [Hervorhebung hinzugefügt]. 429  Vgl. dazu Sunstein/Thaler, Univ. Chic. Law Rev. 70 (2003), S.  1159 ff.; Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141, 148; Wohlgemuth, in: Kersting, Freiheit und Gerechtigkeit, 2010,

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son vielmehr in ihrer gegenwärtigen Freiheit eingeschränkt wird, um ihre künftige Freiheit zu sichern, bildet der Befähigungsansatz in diesem Fall die Grundlage für einen „harten“430 Paternalismus.431 Wenn man anerkennt, dass es durch die Erstellung einer Liste förderungswürdiger Grundfähigkeiten zu paternalistischen Interventionen zulasten anderer Freiheiten kommen kann, muss man sich in einem nächsten Schritt der Frage zuwenden, ob ein derartiger „autonomieorientierter Paternalismus“ aus rechtlicher Sicht legitimiert ist. Dies kann jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn man die Liste an Grundfähigkeiten aus der Menschenwürde ableitet,432 die durch Art.  1 Abs.  1 GG für unantastbar erklärt wird und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht.433 Ein harter „Autonomiepaternalismus“434 ist unter dieser Bedingung rechtlich zulässig, weil die Würde des Menschen ein objektiver, unverfügbarer Wert ist.435 Das bedeutet nicht nur, dass niemand auf den Schutz der Menschenwürde verzichten kann,436 sondern auch, dass der Staat durch ein subjektives Einverständnis des Rechtsunterworfenen nicht von seiner in Art.  1 Abs.  1 S.  2 GG statuierten Verpflichtung, die Menschenwürde zu schützen, freigestellt wird. Er muss die Menschenwürde unter bestimmten Voraussetzungen437 „wegen ihrer über den einzelnen hinausreichenden Bedeutung auch gegenüber der Absicht des Betroffenen verteidigen, seine vom objektiven Wert der Menschenwürde abweichenden subjektiven Vorstellungen durchzusetzen.“438 Bevormundende Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen sind daher auch gegen den ausdrücklichen Willen eines Grundrechtsträgers rechtlich geboten,439 wenn dadurch Freiheiten erzeugt oder erhalten werden, die als konstitutiver Bestandteil der Würde des Menschen anzusehen sind. Mit Blick auf den oben erwähnten Vertrag, in dem sich eine S.  77, 90 ff.; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  271; Gutmann, in: Kühler/ Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  27, 45 (Fn.  111). 430  Zur Unterscheidung von „sanften“ (bzw. libertären), „weichen“ und „hartem“ Paternalismus vgl. etwa Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  273. 431  Claassen, Econ. Philos. 30 (2014) S.  57, 69; Winkler, Semantiken der Befähigung, 2016, S.  356 f.; Moser, Unveräußerliche Rechte, 2020, S.  186. 432  Im Schlusskapitel wird von diesem Begründungsansatz nochmals die Rede sein, vgl. §  14 B. 433  BVerfGE 32, 373, 379 = NJW 1972, S.  1123, 1124; BVerfGE 34, 238, 245 = NJW 1973, S.  891, 892. 434  Gutmann, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  27, 38; Winkler, Semantiken der Befähigung, 2016, S.  356. 435  BVerfGE 45, 187, 229 = NJW 1977, S.  1525, 1526. 436  BVerwGE 64, 274, 279 = NJW 1982, S.  664, 665; Dürig, AöR 81 (1956), S.  117. 437  Einschränkend auch Nettesheim, AöR 130 (2005), S.  71, 105; Dreier, in: Dreier, GG, 3.  Aufl. 2013, Art.  1 Abs.  1 Rn.  149 f.; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  1 Abs.  1 Rn.  79. 438  BVerwGE 64, 274, 280 = NJW 1982, S.  664, 665. 439  Dezidiert kritisch zur Rechtfertigung paternalistischer Eingriffe unter Verweis auf die Würde des Menschen Moser, Unveräußerliche Rechte, 2020, S.  168.

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Person freiwillig dazu verpflichtet, ihr Herz zu spenden, fällt das Urteil daher eindeutig aus. Die Nichtigkeit ist aufgrund des in Art.  1 Abs.  1 GG angelegten Schutzgebotes auch gegen den Willen der Vertragspartner anzuordnen (§  138 Abs.  1 BGB440), denn in Erfüllung der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung wird nicht nur für immer die Freiheit der Entscheidung über die Integrität des eigenen Körpers, sondern die Selbstbestimmungsfähigkeit als solche eingeschränkt.441 In diesem Fall folgt aus Art.  1 Abs.  1 GG ein „(Würde-)Schutz gegen sich selbst“442 , der eine privatautonome Selbstbeschränkung abwendet,443 indem dem Vertrag die rechtliche Anerkennung versagt wird. 3. Individualisierungsproblem Der letzte Problemkreis, den es im Zusammenhang mit der Nutzbarmachung des Befähigungsgedankens für die Evaluierung von Rechtsnormen zu beleuchten gilt, betrifft die praktische Gestaltung rechtlicher Normen. Damit diese sich positiv auf die menschlichen Fähigkeiten auswirken, hat der Gesetzgeber die insoweit relevante und im vorangegangenen Abschnitt herausgearbeitete drei­ fache Wirkweise rechtlicher Normen zu beachten.444 Die vierte Wirkweise – der Einfluss rechtlicher Normen auf die menschlichen Umwandlungsentscheidungen – muss unberücksichtigt bleiben, denn sie betrifft nicht die hier interessierenden Fähigkeiten, sondern die Funktionsweisen.445 Das bedeutet: Neben der Güterausstattung der Rechtsunterworfenen sind im Gesetzgebungsprozess die440  Mansel, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, vor §  9 0 Rn.  9: „Eine Verpflichtung des lebenden Spenders zur Organentnahme zwecks Fremdverwendung verstößt gegen §  138.“; a. A. Canaris, AcP 184 (1984), S.  201, 233 f.: „Sachgerecht erscheint […] die Gewährung eines freien Widerrufsrechts in Verbindung mit der Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens analog §  122 BGB. Dadurch wird einerseits die Freiheit der Entscheidung über den eigenen Körper weitgehend aufrecht erhalten, andererseits aber auch den schutzwürdigen Interessen des anderen Teils Raum gegeben.“ 441  Canaris, AcP 184 (1984), S.  201, 233. 442  Dreier, in: Dreier, GG, 3.  Aufl. 2013, Art.  1 Abs.  1 Rn.  149. 443  Vgl. dazu Canaris, AcP 184 (1984), S.  201, 225 ff., der in der Verwirklichung der Schutzgebotsfunktion der Grundrechte die entscheidende Grundlage für die Einwirkung der Grundrechte auf das Verhalten der Privatrechtsakteure erkennt; ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  145, unter Bezug auf die Entscheidung BGHZ 97, 372, 379 = NJW 1986, S.  2043, 2045, in welcher der Senat darauf hingewiesen hat, dass die Freiheit, sich immer wieder neu für oder gegen ein Kind zu entscheiden zur „personalen Würde“ von Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gehört, sodass ein Partner sich nicht wirksam im Voraus zur regelmäßigen Anwendung eines Empfängnisverhütungsmittels rechtsverbindlich verpflichten könne. 444  In diesem Sinn auch Eiffe, A Capability Approach for the European Union, 2008, S.  18: „A capability-oriented social policy aims at enhancing individual and collective possibilities. Those personal and social conversion factors, which can be varied by the institutional arrange­ ment, are to be filtered such that the conversion process will generate enlarged capabilitysets.“ 445  Siehe dazu §  8 A.

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jenigen „non-materialistic considerations and social influences“446 in den Blick zu nehmen, von denen der effektive Einsatz der materiellen Ressourcen und damit die Möglichkeit der praktischen Wahrnehmung der Freiheiten abhängt. Denn ein Mensch verfügt nur dann über Fähigkeiten, wenn sowohl sein subjektives Können hinreichend ausgebildet ist, als auch die äußeren Realisierungsbedingungen so sind, dass er die Fähigkeiten tatsächlich in die entsprechenden Funktionsweisen umwandeln kann.447 Nur wenn diese endogenen und exogenen Faktoren nicht-monetärer Art im Gesetzgebungsprozess berücksichtigt werden, kann es gelingen, individuelle Fähigkeiten durch Rechtsnormen zu fördern. Diese Empfehlung impliziert, dass bei der Gestaltung rechtlicher Normen auch die angeborenen und die erworbenen individuellen Anlagen, Begabungen, physischen, psychischen und kognitiven Konstitutionen, sprich die natürlichen Persönlichkeitsmerkmale der Menschen zu bedenken sind. Sieht der Gesetzgeber davon ab, wird also im Gesetzgebungsprozess nicht die Individualität jedes Einzelnen und damit die Diversität der Rechtsunterworfenen konsequent berücksichtigt, so verletzt er eine grundlegende Prämisse des Befähigungsansatzes, nämlich diejenige, die besagt, dass der einzelne Mensch mit seinen disparaten natürlichen und erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erfassen ist, weil nicht jeder Mensch mit den ihm zur Verfügung stehenden Gütern die gleichen Freiheiten realisieren kann. Damit stößt der Gesetzgeber bei der Verwirklichung des durch den Befähigungsgedanken vorgegeben Ziels jedoch an zwei faktische Grenzen: Erstens können nicht sämtliche im Individuum selbst angesiedelte Freiheitsbarrieren durch rechtliche Normen modelliert werden. Dies wird, worauf bereits hingewiesen wurde,448 allenfalls hinsichtlich der Rechtskompetenzen ein Stück weit gelingen, nicht indes etwa hinsichtlich des Alters, des Gesundheitszustands oder des Geschlechts. Zweitens ist es einer Rechtsnorm wesenseigentümlich, dass sie auf Generalisierung angelegt ist.449 Sie kann sich konzeptionell bedingt daher nicht an den spezifischen Freiheitshindernissen wirklicher Einzelmenschen orientieren.450 Ebenso wenig ist es möglich, dass die unerschöpfliche Vielfalt individueller Eigenschaften vom Tatbestand einer Rechtsnorm erfasst wird. Eine Berücksichtigung persönlicher Eigenschaften gelingt allenfalls durch eine Konzentration auf wenige Merkmale, wie es der Gesetzgeber beispielsweise in der oben erwähnten Regelung zum Mehr446 

Schokkaert, J. Hum. Dev. Capab. 20 (2019), S.  347, 349. Steckmann, in: Otto/Ziegler, Capabilities, 2.  Aufl. 2010, S.  9 0, 99. 448  Vgl. §  8 A. 449  Ryffel, Der Staat 9 (1970), S.   1, 3 f.; Wieacker, Das bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, 1960 (1974), S.  36, 43; Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S.  165: „Das allgemeine Gesetz ist als abstrakt-generelle Regelung jeder Individualisierung abgeneigt, sucht alle Bürger zu erreichen.“ 450 Vgl. Radbruch, Der Mensch im Recht, 1957, S.  9; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S.  10 ff. 447 Vgl.

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bedarf (§  21 SGB II) versucht hat.451 Aber auch durch einen solchen Schritt wird nicht die Individualität des Rechtsunterworfenen abgebildet. Es entsteht lediglich eine auf Gleichsetzung mit anderen Merkmalsträgern bezogene Regelung und kein Zuschnitt des Rechts auf eine konkrete Person. Um es an einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen: Durch die Anerkennung von Mehrbedarf bei werdenden Müttern (§  21 Abs.  2 SGB II) wird zwar eine (temporäre) persönliche Eigenschaft des Person-Seins, nämlich das Bestehen einer Schwangerschaft, in das Recht eingebunden, nicht jedoch die Einzigartigkeit der Leistungsempfängerin als Individualperson berücksichtigt.452 Es muss daher konstatiert werden: Die Individualität entzieht sich der Erfassung durch Rechtsnormen.453 Im rechtlichen Tatbestand muss die Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen zwangsläufig „vergröbert“454 und die Menschen müssen damit gewissermaßen „merkmalsärmer“455 gemacht werden. Die natürlichen Persönlichkeitsmerkmale können in einem weitergehenden Umfang lediglich in administrativen sowie richterlichen Entscheidungen berücksichtigt werden. Damit allerdings dem rechtsanwendenden Organ eine solche Berücksichtigung individueller Subjektivität gelingen kann, muss der Gesetzgeber „die harten Konturen gesetzlicher Tatbestände“456 auflockern und dem Rechtsanwender unbestimmte Rechtsbegriffe an die Hand geben,457 wie beispielsweise „nach billigem Ermessen“ (§  315 Abs.  1 BGB), „Billigkeit“ (§  829 BGB, §  163 AO, §  227 AO), „Härte“ (§  103 Abs.  1 S.  3 SGB XII, §  765a Abs.  1 S.  1 ZPO) oder „unabweisbar“ (§  21 Abs.  6 SGB II). Mithilfe solcher „offenen Normen“ können persönliche Besonderheiten berücksichtigt werden. Die Individualisierung obliegt in diesem Fall dem Richter.

451 

Vgl. §  8 A. Zur Gleichsetzung von Individualität und Einzigartigkeit vgl. Henkel, Recht und Individualität, 1958, S.  1. 453  Henkel, Recht und Individualität, 1958, S.  5. Vgl. dazu bereits Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S.  96; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S.  17: „Die Rechtsordnung interessiert sich nicht für Individualitäten, sondern nur für das Typische, […].“; v. Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848 (1956), S.  22: „Das positive Gesetz ist abstrakt; seine notwendige Einfachheit vertilgt den Reichtum der individuellen Gestaltung.“; Radbruch, Der Mensch im Recht, 1957, S.  9: „Der Rechtssatz in seiner Allgemeinheit kann […] nur hingeordnet werden auf einen menschlichen Allgemeintypus“; Froese, Der Mensch in der Wirklichkeit des Rechts, 2022, S.  135. 454  Kirchhof, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  3 Abs.  1 Rn.  108. Zum Spannungsverhältnis zwischen Generalisierung und Individualisierung vgl. auch Wallerath, JZ 2008, S.  157, 166 f.; Froese, Der Mensch in der Wirklichkeit des Rechts, 2022, S.  135 ff. 455  Begriff von Henkel, Recht und Individualität, 1958, S.  4. 456  Kirchhof, NZS 2019, S.  6 41, 643. 457  Henkel, Recht und Individualität, 1958, S.  28: „Dies kann […] dadurch erreicht werden, daß der Gesetzgeber in seinen Normen selbst, nämlich in weitgefaßten Tatbestandsbegriffen, freien Raum läßt, in den die Individualität des Falles als Beurteilungselement sozusagen hi­ neinschlüpfen kann.“ 452 

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B. Befähigungsorientierte Rechtsanwendung Damit kann zur Beantwortung der nächsten Frage übergangen werden: Sind die Erkenntnisse des Befähigungsansatzes auch für die richterliche Urteilsfindung bedeutsam? Dies ist zu bejahen. Es muss jedoch einschränkend ergänzt werden, dass der Befähigungsgedanke in diesem Zusammenhang nur einen sehr geringen Stellenwert besitzt. Denn er darf in der richterlichen Rechtsanwendung lediglich dann zum Tragen kommen, wenn der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, so wie er im Gesetz klar zum Ausdruck kommt, in der Förderung einer bestimmten Fähigkeit der Rechtsunterworfenen liegt.458 Nur wenn ein solcher, auf die Verwirklichung einer positiven Freiheit459 gerichteter Gesetzeszweck identifiziert werden kann, können die Erkenntnisse des Befähigungsansatzes in die Rechtsanwendung integriert werden.460 Dass hiermit nicht nur ein theoretisches Einfallstor für den Befähigungsansatz in der richterlichen Entscheidungstätigkeit benannt ist, soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden. I. Beispiel: „Angemessenheit“ i. S. d. §  41 Abs.  2 ZKG Dazu richtet sich der Blick zunächst auf das auf der Zahlungskontenrichtlinie461 beruhende Zahlungskontengesetz (ZKG). Mit seiner Hilfe sollen Verbraucher zur uneingeschränkten Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Leben befähigt werden.462 Damit zielt das Gesetz auf die Verwirklichung einer positiv ver458  Ebenso zurückhaltend mit Blick auf die Berücksichtigung von Effizienzüberlegungen in der Rechtsanwendung Eidenmüller, AcP 197 (1997), S.  80, 116; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  452 ff.; ähnlich Petersen/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  1, 9 f.: „Ist durch vertragsrechtliche Regelungen also eine möglichst effiziente Güterallokation beabsichtigt, dann sind ökonomische Effizienzgesichtspunkte bei der Auslegung der Norm als Leitlinien heranzuziehen“. Weiterführend zur effizienzorientierten Auslegung Grundmann, RabelsZ 1997, S.  423, 434 ff.; Lieth, Die ökonomische Analyse des Rechts im Spiegelbild klassischer Argumentationsrestrikti­ onen des Rechts und seiner Methodenlehre, 2007, S.  143 ff.; v. Hoff, Das Verbot der Altersdiskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, 2009, S.  37 ff., der von einer Verpflichtung zur effizienzorientierten Auslegung bereits dann ausgeht, „wenn eine Norm eine wirtschaftliche Zwecksetzung hat“ und sich der Gesetzgeber nicht erkennbar gegen das ökonomische Effizienzziel entschieden hat; ähnlich Thüsing, Wertende Schadensberechnung, 2001, S.  348 f. 459  Zum positiven Freiheitsverständnis des Befähigungsansatzes vgl. §  7 C. I. 3. 460 Allgemein zur Integration ökonomischer Argumente in den Auslegungskanon vgl. Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 214; Brugger, AöR 119 (1994), S.  1, 7, 28 f.; Taupitz, AcP 196 (1996), S.  114, 127 f.; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  30 f.; v. Hoff, Das Verbot der Altersdiskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, 2009, S.  41 f.; Petersen/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  1; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2.  Aufl. 2020, S.  198. 461 Richtlinie 2014/92/EU vom 23.7.2014 über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen, ABl. L 257 vom 28.8.2014, S.  214. 462  BT-Drs. 18/7204, S.  4 4; Linnert, ZRP 2009, S.  37, 38 („Stärkung der Teilhabegerechtig-

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standenen Freiheit, die in erster Linie durch die Einführung eines besonderen Kontrahierungszwangs für kontoführende Institute zur Einrichtung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen realisiert werden soll (§  31 Abs.  1 S.  1 ZKG).463 Hinsichtlich des zu zahlenden Entgelts für dieses sogenannte Basiskonto legt §  41 Abs.  2 S.  1 ZKG in Umsetzung des Art.  18 der Zahlungskontenrichtlinie fest, dass es „angemessen“ sein muss. Eine maximale Höhe des Basiskontenentgelts wird – anders, als dies etwa im Basistarif der privaten Krankenversicherung der Fall ist (§  152 Abs.  3, Abs.  4 VAG), und anders, als dies vom Bundesrat in seiner Stellungnahme zum ZKG vorgeschlagen wurde464 – nicht statuiert. Damit stellt sich für den Rechtsanwender die Frage, wie das unbestimmte Tatbestandsmerkmal der „Angemessenheit“ auszulegen ist. Für die Beurteilung der Angemessenheit sind als Bewertungsparameter insbesondere die marktüblichen Entgelte sowie das Nutzerverhalten der Kunden zu berücksichtigen (§  41 Abs.  2 S.  2 ZKG). Man könnte versucht sein, den durch die gesetzliche Preisregelung eröffneten Interpretationsspielraum dergestalt auszufüllen, dass von einer Angemessenheit des Entgelts bereits dann auszugehen ist, wenn es den marktüblichen Entgelten entspricht, mit denen das betreffende Kreditinstitut sonst am Markt agiert. Denkbar ist es auch, einen derartigen „reinen Binnenvergleich“465 abzulehnen und auf die Kostenstruktur der von anderen Banken angebotenen Konten, die mit der Leistung des Basiskontos vergleichbar sind, abzustellen („objektiver Marktvergleich“466). Beide Ansätze haben allerdings zur Konsequenz, dass die Entgelte für Basiskonten auch höher sein können als für andere Konten, die keine Basiskonten sind. Sie gewährleisten keine günstige Möglichkeit des Zugangs zum Zahlungsverkehr. Aber muss eine solche überhaupt eingeräumt werden? Dass die Antwort hierauf Ja lautet, lässt sich mit­hilfe des Befähigungsansatzes einfach begründen. Denn einer seiner Kerngedanken besagt, dass Fähigkeiten durch ein Zusammenspiel der individuellen Güterausstattung („Güter“), der persönlichen Eigenschaften („persönliche Umwandlungsfaktoren“) sowie der sozialen Gegebenheiten („soziale Umwandlungsfaktoren“) begrenzt werden. Die mithilfe des besonderen Kontrahierungszwangs bewirkte Veränderung der sozialen Bedingungen kann daher für sich genommen nicht zur gesetzlich angestrebten Eröffnung des Freiheitsraums führen. Positive Freiheiten sind vielmehr immer auch an die zur Verfügung stehenden Güter gekoppelt. Trägt man diesem Umstand im Rahmen der Auslegung des keit“); Rott, VuR 2013, S.  241, 242 („soziale Inklusion“); Rodi, BKR 2018, S.  391, 397 („financial inclusion“). 463  Vgl. dazu §  10 C. II. 2. d). 464  Vgl. BT-Drs. 18/7204, S.  111: „Es [das Entgelt – Anmerkung hinzugefügt] darf dasjenige nicht übersteigen, welches der Zahlungsdienstleister für anderweite Girokonten mit entsprechenden Funktionen üblicherweise verlangt.“ 465  LG Frankfurt a. M., VuR 2018, S.  302, 304, das diesen Ansatz im Ergebnis zurückweist. 466  Rodi, BKR 2018, S.  391, 398.

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§  41 Abs.  2 S.  1 ZKG Rechnung, wird einsichtig, dass die mit der konkreten Freiheit verbundenen Kosten jedenfalls so bemessen sein müssen,467 dass sie auch von Verbrauchern getragen werden können, deren finanzielle Lage angespannt ist.468 Nur mit dieser Auslegung kann das gesetzgeberische Ziel der Herstellung realer Freiheit für alle Verbraucher verwirklicht werden. Der dargestellte Gedanke kann auch unproblematisch im Rahmen der Gesetzesauslegung einbezogen werden, denn die in §  41 Abs.  2 S.  2 ZKG vorgegebenen Kriterien sind – was sich aus dem Wortlaut („insbesondere“) ergibt – nicht abschließend.469 II. Beispiel: Aufrechnung im Notlagentarif gemäß §  153 VAG Ein weiteres Beispiel, bei dem der Befähigungsansatz in der richterlichen Urteilsfindung nutzbar gemacht werden kann, lässt sich im Recht der privaten Krankenversicherung finden. Auch dort gibt es nämlich Rechtsvorschriften, die auf die Gewährleistung einer bestimmten Fähigkeit abzielen. Konkret geht es dabei um die positive Freiheit zur medizinischen Grundversorgung. Sie soll durch das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung470 auch für diejenigen Versicherten garantiert werden, die mit der Zahlung der aus dem Versicherungsvertrag geschuldeten Beiträge im Rückstand sind. Das Ziel des Gesetzes ist es also nicht nur, säumige Versicherungsnehmer vor einer weiteren Überschuldung zu schützen, sondern auch deren Notfallversorgung zu gewährleisten.471 Daher ordnet §  193 VVG bei längerem Prämienrückstand und nach Durchführung eines gesetzlich festge467  Zu den Kosten der Freiheiten vgl. auch Bartelheimer et al., Amartya Sens wohlfahrtstheoretischer Ansatz, 2008, S.  20. 468 So auch BGH, NJW 2020, S.   2726, 2728: „Sie [Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen – Anmerkung hinzugefügt] sollen – vor allem auch einkommensschwachen – Verbrauchern einen allgemeinen Zugang zu einem Basiskonto geben. Dies gebietet es, sicherzustellen, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Entgelten faktisch nicht als Hindernis gegenüber der mit dem Basiskonto verbundenen Schaffung einer hinreichenden und effektiven Möglichkeit der Teilnahme am Zahlungsverkehr und der Nutzung von Zahlungsdiensten wirkt.“; in diesem Sinn auch Kohte, VuR 2012, S.  338, 341; Gondert/Huneke, VuR 2016, S.  323, 328; Rodi, BKR 2018, S.  391, 397, 399; Rodi, WuB 2020, S.  486, 488. Ebenso mit Blick auf den Kontrahierungszwang bei Sparkassen nach §  5 Sparkassenverordnung Sachsen-Anhalt das OLG Naumburg, VuR 2012, S.  370, 371: „Grenzen bestehen […] insoweit, als prohibitive Entgelte verlangt werden, die den Kontrahierungszwang faktisch umgehen.“; a. A. Bülow, in: Bülow/Artz, ZKG, 2017, §  41 Rn.  12 „Die sozialpolitische Zielsetzung verwirklicht sich […] durch Informations- und Unterstützungspflichten, […] nicht durch besonders günstige Entgeltkonditionen, […].“; grundlegend zur Verbindung von Entgeltregelung und Kontrahierungszwang Liebetrau, Der Zusammenhang von Kontrahierungszwang und Beschränkung der vertraglichen Inhaltsfreiheit am Beispiel von Entgeltregelungen für Basiskonten, 2019, S.  166 ff.; siehe ferner Moes, ZfPW 2021, S.  257, 261. 469  BGH, NJW 2020, S.  2726, 2727. 470  Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl. I 2013, S.  2423. 471  BT-Drs. 17/13079, S.  6; OLG Hamm, BeckRS 2016, 20796; BGH, NJW 2019, S.  359, 361; Voit, in: Prölss/Martin, VVG, 31.  Aufl. 2021, §  193 Rn.  40.

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legten Mahnverfahrens neben dem Ruhen des Versicherungsvertrags (Abs.  6 S.  4 VVG) eine Überführung des Versicherungsverhältnisses in einen sogenannten Notlagentarif an (Abs.  7 S.  1 VVG).472 Dieser sieht eine Aufwendungserstattung für Leistungen vor, die zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerz­zuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Bei Kindern und Jugendlichen werden zusätzlich die Aufwendungen für Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen übernommen (§  153 Abs.  1 S.  2, S.  3 VAG). Im Zusammenhang mit der Versicherung im Notlagentarif ist nun umstritten, ob der Versicherer gegenüber dem Anspruch des Versicherungsnehmers auf Übernahme der Kosten für eine Krankenbehandlung die Aufrechnung mit rückständigen Prämien erklären darf. In Literatur und Rechtsprechung wird hierzu vertreten, eine Aufrechnung des Versicherers sei unzulässig, da anderenfalls ein Mindestmaß an Versorgung des im Notlagentarif Versicherten nicht mehr gewährleistet sei.473 Schließlich müsse dieser ohne ein entsprechendes Aufrechnungsverbot die ärztliche Leistung letztlich selber bezahlen, was ihm aber mangels finanzieller Mittel nicht möglich sei. Mit dieser Ansicht wird nichts anderes behauptet, als dass durch eine Aufrechnungsmöglichkeit die positive Freiheit bedürftiger Versicherungsnehmer zur medizinischen Grundversorgung eingeschränkt wird. Für die Entscheidung des Streits kommt es damit auf die Beantwortung von zwei Fragen an: Erstens: Führt ein fehlendes Aufrechnungsverbot tatsächlich zu einer Freiheitsbeschränkung bedürftiger Versicherungsnehmer? Und zweitens: Bezweckt der Notlagentarif überhaupt den Schutz der Freiheit dieser Personengruppe? Eine Antwort auf die letztgenannte Frage ist deshalb erforderlich, weil es in methodischer Hinsicht um ein Lückenproblem geht. Denn dem Wortlaut des §  193 Abs.  6 bis 9 VVG lässt sich ebenso wenig wie dem Wortlaut des §  35 VVG oder des §  394 S.  2 BGB die Anordnung eines gesetzlichen Aufrechnungsverbots entnehmen. Entscheidend ist daher, ob der Gesetzgeber eine nach dem Normzweck erforderliche Regelung übersehen hat. Nur wenn dies bejaht werden kann, ist von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes und damit von einer Gesetzeslücke auszugehen,474 die das „Eingangstor“475 der richterlichen Gesetzesergänzung bildet.476 Weil der Be472  Grundlegend hierzu Mandler, Die Aufrechnung im System der privaten Krankenversicherung, 2016, 194 ff. 473  Vgl. etwa OLG Hamm, BeckRS 2016, 20796; LSG Nordrhein-Westfalen, BeckRS 2018, 8872; Wiemer, VersR 2016, S.  181; Rogler/Marko, in: Rüffer et al., VVG, 4.  Aufl. 2020, §  193 Rn.  82; Voit, in: Prölss/Martin, VVG, 31.  Aufl. 2021, §  193 Rn.  40. 474  Grundlegend zum Begriff der Gesetzeslücke Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983, S.  16: „Eine Gesetzeslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes.“; ferner Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  521 f. 475  Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  525. 476  Zu dieser Aufgabe des Lückenbegriffs Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983, S.  17.

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fähigungsansatz nun allerdings zur Ermittlung des Normzwecks offensichtlich nichts beitragen kann, lässt er sich an dieser Stelle lediglich zur Beantwortung der ersten der beiden Fragen nutzbar machen. Führt das fehlende Aufrechnungsverbot also zu einer Freiheitsbeschränkung bedürftiger Versicherungsnehmer? Prima facie könnte man dies mit der Logik des Befähigungsansatzes bejahen. Schließlich liegt ihm die Annahme zugrunde, dass Freiheiten entscheidend von der individuellen Güterausstattung abhängen,477 die sich durch eine Aufrechnung des Versicherers unbestreitbar verringert. Weil allerdings der Güterbegriff des Befähigungsansatzes weit zu verstehen ist und dementsprechend auch staatliche Transferleistungen einzubeziehen sind,478 scheidet eine Freiheitsbeschränkung finanziell bedürftiger Versicherungsnehmer im Ergebnis aus. Der Sozialleistungsträger leistet nämlich nicht nur einen der Höhe nach begrenzten479 Zuschuss zum Beitrag der privaten Krankenversicherung, wenn die Beitragslast zu dessen finanzieller Hilfebedürftigkeit führen würde (§  26 Abs.  2 Nr.  2 SGB II). Auch Versicherungsnehmer, die bereits Arbeitslosengeld II, Sozialgeld sowie Sozialhilfe beziehen, haben Anspruch auf den be26 grenzten480 Zuschuss zum Beitrag der privaten Krankenversicherung (§   Abs.  1 S.  1 SGB II, §  32 Abs.  4 SGB XII), mit dessen Hilfe ihre Freiheit zur medizinischen Grundversorgung (im Basistarif gemäß §  152 VAG) gewährleistet ist. Damit lässt sich nun auch die Frage nach dem Normzweck beantworten: Weil dem Freiheitsschutz finanziell bedürftiger Versicherungsnehmer bereits durch die Regelungen des SGB II und des SGB XII Rechnung getragen wird, liegt die Annahme, der Notlagentarif diene dem Schutz dieser Personengruppe, fern. Diese Ansicht wird durch die Vorschrift des §  193 Abs.  6 S.  5 VVG gestützt, der zufolge das Ruhen des Vertrags nicht eintritt oder endet, wenn eine Person hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ist oder wird. Das bedeutet, finanziell bedürftige Versicherungsnehmer werden in aller Regel gar nicht im Notlagentarif versichert. Ob ein Aufrechnungsverbot zu deren Schutz erforderlich ist, stellt damit schon keine Frage dar, die nach dem Normzweck der Vorschriften zum Notlagentarif regelungsbedürftig gewesen wäre, sodass von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes nicht ausgegangen werden kann. Für eine richterliche Lückenschließung durch Aus-

477 

Vgl. §  4 B. Vgl. §  4 B. 479  Gemäß §  26 Abs.  2 S.  2 i. V. m. §  26 Abs.  1 S.  1 Hs.  2 SGB II ist der Zuschuss begrenzt auf die Höhe des nach §  152 Abs.  4 VAG halbierten Beitrags für den Basistarif in der privaten Krankenversicherung. 480  Gemäß §  26 Abs.  1 S.  1 Hs.  2 SGB II bzw. §  32 Abs.  4 S.  2 Nr.  1 SGB XII ist der Zuschuss begrenzt auf die Höhe des nach §  152 Abs.  4 VAG halbierten Beitrags für den Basistarif in der privaten Krankenversicherung, den Hilfebedürftige zu leisten haben. 478 

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Zweites Kapitel: Anwendung

schluss der Aufrechnungsmöglichkeit ist somit kein Raum.481 Dies ist eine Aufgabe des Gesetzgebers.482 Mit diesen Betrachtungen endet der Versuch, den Befähigungsansatz als rechtspolitisches Programm sowie im Rahmen der richterlichen Entscheidungsfindung nutzbar zu machen. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Befähigungsansatz liefert keine vollständige Gesetzgebungstheorie und hat in der privatrechtlichen Rechtsanwendung kaum Bedeutung. Es wäre jedoch voreilig, von dieser Diagnose auf die Wertlosigkeit des Befähigungsansatzes für eine Analyse des Vertragsrechts zu schließen. Denn der Befähigungsansatz hat nicht nur eine evaluative, sondern auch eine deskriptive Bedeutungskomponente. Diese letztgenannte Seite des Befähigungsansatzes findet in wissenschaftlichen Arbeiten nur wenig Beachtung.483 Meist werden bestimmte soziale Zustände und die Maßnahmen, die zu diesen geführt haben, aus einer Befähigungsperspektive bewertet, oder es wird gesagt, welche gesellschaftliche Situation im Lichte des Befähigungsziels angestrebt werden sollte. Man kann aber ebenso gut Sollens-Fragen ausblenden und den Befähigungsansatz als Beschreibungsinstrument verwenden. Das ist in dieser Schrift bereits im Zusammenhang mit der Frage geschehen, inwiefern sich rechtliche Normen überhaupt auf die menschlichen Fähigkeiten auswirken können.484 Kennzeichnend für den nun folgenden Abschnitt ist, dass zu dieser deskriptiven Perspektive zurückgekehrt wird. Der Befähigungsansatz wird also nicht als normatives Programm, sondern als beschreibendes Instrumentarium eingesetzt, um die erste Forschungsfrage zu beantworten: Stellt das Vertragsrecht einen Entwicklungsfaktor dar?

§  10 Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor Ausgehend von dem im ersten Kapitel vorgestellten weiten Armutsverständnis, das nicht auf die Verfügbarkeit materieller Ressourcen, sondern auf den Begriff der Freiheiten rekurriert, ist Entwicklung kein ausschließlich ökonomisches Faktum, sondern ein Prozess der Erweiterung menschlicher Freiheiten grund481 Im Ergebnis wie hier OLG Jena, NJW 2017, S.   177, 178 f.; BGH, NJW 2019, S.  359, 360 ff.; Mandler, Die Aufrechnung im System der privaten Krankenversicherung, 2016, 419 ff.; Reinhard, in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 3.   Aufl. 2016, §   193 Rn.   39; Muschner, in: Langheid/Rixecker, 6.  Aufl. 2019, VVG, §  193 Rn.  88a; Reiff, in: Prölss/Martin, VVG, 31.  Aufl. 2021, §  35 Rn.  2; Hersch, VersR 2020, S.  331, 337 f. m. w. N. zu dieser Ansicht in Rn.  10. 482  Vgl. dazu BT-Drs. 19/23095, S.  3: „Im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben prüft die Bundesregierung derzeit einen möglichen gesetzlichen Anpassungsbedarf mit Blick auf die Aufrechnungspraxis im Notlagentarif.“ 483  Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  142 f., 212. 484  Vgl. §  8 A.

§  10 Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor

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legender Art.485 Dieser Prozess kann durch rechtliche Normen auf vielfältige Weise beeinflusst werden. Was in den obigen Ausführungen mithilfe eines Beispiels aus dem Sozialrecht gezeigt wurde,486 soll im Folgenden an konkreten Vorschriften des Vertragsrechts exemplifiziert werden. Im Zentrum der Untersuchung steht nun also die Frage: Wirkt sich das Vertragsrecht de lege lata positiv auf die Grundfähigkeiten bedürftiger Personen aus? Weil damit der Begriff der wirklichen Freiheiten – in dem sich sowohl ein Chancen- als auch ein Prozessaspekt verbinden487 – die übergreifende Klammer der Rechtsanalyse bildet, eröffnet sich die Möglichkeit zu zeigen, dass vertragsrechtliche Sozialgesetzgebung auch zu einer Freiheitsmehrung führt, womit ihr ein liberaler Wert innewohnt. Zugleich lässt sich überprüfen, ob im System des Vertragsrechts verallgemeinerungsfähige Ansätze einer Privilegierung finanziell bedürftiger Personen zu finden sind, die eine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit488 der Privatrechtsakteure bedeuten. Zur systematischen Anordnung der unterschiedlichen freiheits- und damit entwicklungsfördernden Regelungsmechanismen wird ein Beschreibungs­ modell gewählt, das sich an die in §  8 herausgearbeitete Wirkweise rechtlicher Normen im Befähigungsansatz und die daraus abgeleitete Einteilung freiheitsfördernder Rechte in drei Kategorien anlehnt. Diese Einteilung erfolgte folgenorientiert und anhand der Frage, auf welchen Bestimmungsfaktor sich Rechtsnormen auswirken: Beeinflussen sie die individuelle Güterausstattung der Rechtsunterworfenen? Nehmen sie die natürlichen Persönlichkeitsmerkmale der Menschen in den Blick? Oder modellieren sie die gesellschaftlichen Funktionsbedingungen, die darüber entscheiden, inwiefern die zur Verfügung stehenden Güter tatsächlich in die gewünschten Freiheiten konvertiert werden können? Diese dreigliedrige Einteilung wird im Folgenden aufgegriffen. Dementsprechend wird nun nach der freiheitsfördernden Wirkung güterbezogener (§  10 A.), personenbezogener (§  10 B.) sowie gesellschaftsbezogener Instrumente (§  10 C.) gefragt. Dabei kann das hier ins Auge gefasste Feld vertraglicher Normen nicht vollständig abgeschritten werden. Die Betrachtung muss sich vielmehr auf einzelne Bestimmungen sowie Anwendungsfelder beschränken, mit deren Hilfe die unterschiedlichen entwicklungsfördernden Regelungsmechanismen konkret verständlich gemacht werden.

485 

Vgl. §  5 B. II. Vgl. §  8 A. 487  Vgl. §  7 C. I. 3. 488  Vgl. dazu Fischer, DRiZ 1974, S.  209, 210; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  51 f., 54 ff. 486 

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Zweites Kapitel: Anwendung

A. Güterbezogene Instrumente Ob eine Person über grundlegende Freiheiten verfügt, wie etwa die Freiheit, das elementare Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Hilfe bei Krankheit zu befriedigen, hängt in einer marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft entscheidend von ihrer Einkommens- und Vermögenssituation ab. Sie determiniert, ob sich der Einzelne auf dem Markt mit Gütern und Dienstleistungen zur Sicherung seiner physischen Existenz versorgen kann.489 Ein Mindestbestand an materiellen Ressourcen ist zudem unverzichtbar, um zwischenmenschliche Beziehungen pflegen und am sozialen Leben teilhaben zu können. Weil Geld damit – um es in den Worten I. Kants zu sagen – „ein Mittel [ist], was unter allen Sachen von der höchsten Brauchbarkeit ist“490 , lässt sich festhalten, dass ein Mangel an Einkommen und Vermögen eng mit einem Mangel an menschlichen Grundfähigkeiten verbunden ist.491 Wem in einer am freien Marktmodell ausgerichteten Gesellschaft ein Mindestmaß an materiellen Gütern fehlt, der ist mit einem finanziellen Zugangshemmnis konfrontiert, das sich freiheitslimitierend auswirkt. Hierauf wurde bereits im ersten Kapitel hingewiesen.492 Es ist daher sachgerecht, dass die Bundesregierung bereits in ihrem 1. Armuts- und Reichtumsbericht die Verfügbarkeit materieller Ressourcen als einen zentralen Aspekt von Armut bezeichnete493 und dass sie bis heute an dieser Einschätzung festhält.494 I. Soziale Marktwirtschaft und zwei Seiten der Selbstverantwortung Die Quelle materieller Mindestausstattung – die sich bei den meisten Menschen aus einer in Geld zahlbaren Vergütungen aus einem privatrechtlichen Arbeitsoder Dienstleistungsverhältnis speist495 – muss sich in einer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung nicht nur jeder eigenverantwortlich erschließen, sondern auch selbstständig erhalten.496 Anders als in einer zentral 489 Vgl. Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.   244; Hauser, Sozialer Fortschritt 47 (1998), S.  159, 160: „[I]n einem überwiegend marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystem kann man mit ausreichenden Ressourcen alle zur Überwindung von Armut nötigen Güter kaufen.“; ebenso Hauser/Voges, ZSR 44 (1998), S.  308, 311. 490  Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  401. 491  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  31. 492  Vgl. §  4 B. 493  Bundesregierung, 1. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 14/5990, S.  11. 494  Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  37: „Die materielle Situation ist die wesentliche Determinante für Armut und Reichtum.“ 495  Vgl. BVerfGE 53, 257, 290 = NJW 1980, S.  692, 693: „In der heutigen Gesellschaft erlangt die große Mehrzahl der Staatsbürger ihre wirtschaftliche Existenzsicherung weniger durch privates Sachvermögen als durch den Arbeitsertrag […].“; ferner Möhring-Hesse, ZfMR 2 (2008), S.  7, 21, der die Bundesrepublik Deutschland als eine „Arbeitsgesellschaft“ bezeichnet, in der die große Mehrheit „Erwerbspersonen“ sind. 496  Siehe dazu auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  51 f.

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gelenkten Planwirtschaft wird den Gesellschaftsmitgliedern die Schaffung und Sicherung der materiellen Existenzbedingungen nicht durch eine staatliche Zuteilung von Gütern abgenommen.497 Der „befreite Mensch“ – so wird plakativ gesagt – muss auf die „padronale ‚Stallfütterung‘ verzichten und sich den Risiken der ‚freien gesellschaftlichen Assoziation‘ und der freien (wenn auch staatlich regulierten) Märkte stellen.“498 Damit ist ein erster wichtiger Ausfluss des Grundsatzes der Selbstverantwortung formuliert, der einen Eckpfeiler unserer freien Marktwirtschaft bildet. Die zweite Seite der Selbstverantwortung betrifft das Einstehen für das eigene Tun und Unterlassen. Jeder muss „die Folgen seines Handelns tragen“ und wird „Lob und Tadel dafür erhalten“,499 so beschreibt F. A. v. Hayek diesen weiteren Aspekt der Selbstverantwortung. Davon wird später und mit Bezug auf den Vertrag noch genauer zu sprechen sein. Konzentriert man sich zunächst auf die erstgenannte Seite der Selbstverantwortung – die Verantwortung im Sinne von „jeder muss für sich selbst sorgen“500 – so darf mit der Akzentuierung ihrer Bedeutung an dieser Stelle kein Schlusspunkt gesetzt werden. Denn auch wenn sich unsere Verfassung wirtschaftspolitisch neutral verhält501 und es dem Gesetzgeber damit freisteht, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet,502 ist Richtschnur der deutschen Wirtschaftspolitik nicht eine „reine“, sondern eine soziale Marktwirtschaft.503 Gleiches ist mit Blick auf die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft zu konstatieren. Zwar kann auch den Verträgen keine ausdrückliche Entscheidung für oder gegen die soziale Marktwirtschaft als das die Union bestimmende wirtschaftstheoretische Konzept entnommen werden.504 Dass jedoch in einem auf dem freien Marktmodell aufbauenden Binnenmarkt eine soziale Dimension nicht unberücksichtigt bleibt, kommt in der expliziten Erwähnung des Begriffs der sozialen Marktwirtschaft in den Zielbestimmungen des EU-Vertrags deutlich zum Ausdruck (Art.  3 Abs.  3 UAbs.  1 S.  2 EUV) 505 und wird in erster Linie durch eine zwischen der 497  Zu den geistesgeschichtlichen Grundlagen des Gegensatzes marktwirtschaftlich und planwirtschaftlich organisierter Staaten vgl. Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt et al., GG, 7.  Aufl. 2018, Art.  14 Rn.  2 ff. 498  Wilke, in: Kersting, Freiheit und Gerechtigkeit, 2010, S.  159, 163. 499  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  93. 500 So die Formulierung von Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  6 4. 501  Zur „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes vgl. BVerfGE 4, 7, 17 f. = NJW 1954, S.  1235, 1236; BVerfGE 7, 377, 400 = NJW 1958, S.  1035, 1036; Wiethölter, in: FS Böhm, 1965, S.  41, 60; Schmidt, in: FS Scholz, 2007, S.  889 f.; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  12 Rn.  85 m. w. N. 502  BVerfGE 4, 7, 17 f. = NJW 1954, S.  1235, 1236. 503  Zum Begriff der sozialen Marktwirtschaft vgl. §  16 A. 504  Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6.  Aufl. 2022, Art.  3 EUV Rn.  38. 505 Vgl. Eichenhofer, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  2 Rn.  8; Terhechte, in: Grabitz et al., Das Recht der EU, 75. EL Januar 2022, Art.  3 EUV Rn.  47; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6.  Aufl. 2022, Art.  3 EUV Rn.  38.

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Union und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit auf dem Gebiet der „Sozialpolitik hinsichtlich der in diesem Vertrag genannten Aspekte“ (Art.  4 Abs.  2 lit.  b AEUV i. V. m. Art.  153 AEUV) mit Leben gefüllt. Für den weiteren Gang der Untersuchung ist nun entscheidend, dass in einer marktorientierten und sozialverpflichteten Wirtschaftsordnung wie der unsrigen der Grundsatz der Selbstverantwortung zurückgedrängt wird, wenn es um die Gewährleistung der materiellen „Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein“506 geht. Mithilfe des Rechts tritt in diesem Fall an die Stelle der Selbstverantwortung entweder eine Kollektiv- oder eine Fremdverantwortung für einen unantastbaren Sockel an materiellen Gütern und der hieraus resultierenden wirtschaftlichen Freiheit.507 Im Folgenden werden zunächst verschiedene freiheitsfördernde Mechanismen skizziert, die mit der eben erwähnten Auswechslung des Verantwortungssubjekts einhergehen (§  10 A. II.). Anschließend steht die Frage im Mittelpunkt: Lässt sich ein vergleichbarer Verantwortungstransfer zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an wirtschaftlicher Freiheit auch im Vertragsrecht identifizieren (§  10 A. III.)? Und: Wie ist das gefundene Ergebnis aus einer entwicklungsfördernden Perspektive einzuordnen (§  10 A. IV.)? Stellt das Vertragsrecht also einen Entwicklungsfaktor dar, weil es den Grundsatz der Selbstverantwortung durchbricht, damit einer bedürftigen Vertragspartei ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit verbleibt? Oder trifft umgekehrt die im rechtsökonomischen Schrifttum vertretene Ansicht zu:508 Gerade, weil das Vertragsrecht am Grundsatz der Selbstverantwortung festhält, leistet es einen entwicklungsfördernden Beitrag? II. Kollektiv- und Fremdverantwortung Eine Abkehr vom Grundsatz der Selbstverantwortung findet statt, wenn dem Einzelnen ein individueller Anspruch gegen den Staat auf Sicherung seiner „ökonomischen Würdebedingungen“509 gewährt wird. Einen solchen hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich in einem evolutiven Prozess als „unmittelbar verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch“510 hervorgebracht.511 Der so506 

BVerfGE 82, 60, 85 = NJW 1990, S.  2869, 2870. dieser Verbindung von monetären Sozialleistungen und persönlicher Freiheit vgl. Dürig, AöR 81 (1956), S.  117, 131; Ryffel, Der Staat 9 (1970), S.  1, 9, 17, der in diesem Zusammenhang von „konkretisierten Entfaltungschancen“ spricht. Treffend auch Wallerath, JZ 2008, S.  157, 161, der den „im ökonomischen Existenzminimum repräsentierten Freiheitsgehalt“ betont; vgl. ferner Zacher, VSSR 3 (2000), S.  185, 200. 508  Vgl. hierzu §  10 C. I. 509  Schreiber, SR 2018, S.  181, 193. 510  BVerfGE 125, 175, 223 = NJW 2010, S.  505, 508; BVerfGE 132, 134, 159 = NVwZ 2012, S.  1024, 1026; BVerfG, NJW 2014, S.  3425. 511  Einen wichtigen Grundstein für diese Entwicklung legte das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 24.6.1954 zur öffentlichen Fürsorge, vgl. BVerwGE 1, 159, 161 = NJW 1954, S.  1541, 1542: „Die Leitgedanken des Grundgesetzes führen dazu, das Für507  Zu

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ziale Rechtsstaat hat demzufolge ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht aufgrund einer allgemeinen Gemeinwohlverpflichtung gegenüber seinen Bürgern zu gewährleisten, sondern deshalb, weil dem Einzelnen ein subjektives Recht hierauf zusteht. Eine einfachgesetzliche Ausgestaltung des Existenz­ sicherungsrechts, das darauf angelegt ist, „bei den Hilfesuchenden das Bewußtsein rege zu halten, daß sie nicht um ihretwillen, sondern aus Rücksicht auf das Gemeinwohl unterstützt werden, und eben deshalb die Unterstützung nicht zu fordern, sondern zu erbitten haben“512 , würde dieser verfassungsrichterlichen Vorgabe zuwiderlaufen.513 Dabei darf der Gesetzgeber den Anspruch nicht auf die „Erhaltung der Funktionstüchtigkeit der menschlichen Organe“514 beschränken. Er muss den Einzelnen vielmehr, neben der rein materiellen Sicherung der physischen Existenz, auch vor einer sozialen Ausgrenzung bewahren.515 Instruktiv ist insoweit die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung: „Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich […] auf die unbedingt erforderlichen Mittel zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.“516

Ein so verstandenes Existenzminimum, das sowohl das physische als auch das soziokulturelle Existenzminimum umfasst, muss „in jedem Fall und zu jeder Zeit“517 gewährleistet werden. Die verfassungsrechtliche Grundlage für diesen Leistungsanspruch bildet das „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“, das sich aus dem Menschenwürdegrundsatz und dem Sozialstaatsprinzip (Art.  1 Abs.  1 GG i. V. m. Art.  20 Abs.  1 GG) ableitet.518 Eine eingehende verfassungsrechtliche Exegese dieses Grundrechts sorgerecht dahin auszulegen, daß die Rechtspflicht zur Fürsorge deren Träger gegenüber dem Bedürftigen obliegt und dieser einen entsprechenden Rechtsanspruch hat.“; a. A. noch BVerfGE 1, 97, 105 = NJW 1952, S.  297, 298, dem zufolge dem Einzelnen nur dann ein mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch zustehe, wenn der Gesetzgeber seine Aufgabe, den Sozialstaat zu verwirklichen, „willkürlich, d. h. ohne sachlichen Grund versäume“. Eingehend zur Entwicklung Enders, VVDStRL 64 (2005), S.  7, 27 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  397 ff. 512  v. Riedel, Bayerisches Gesetz über die öffentliche Armen- und Krankenpflege, 1870, S.  41. 513 Vgl. Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 2011, S.  273, 287. 514  Neumann, NVwZ 1995, S.  426, 428; dazu auch Eichenhofer, in: Berlit et al., Existenz­ sicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  1 Rn.  15. 515  BVerwGE 94, 326, 333 = NVwZ 1994, S.  1214, 1216; Bieritz-Harder, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  8 Rn.  5. 516  BVerfGE 137, 34, 72 = NJW 2014, S.  3425, 3426; BVerfGE 152, 68, 113 = NJW 2019, S.  3703, 3704. 517  BVerfGE 132, 134, 172 = NVwZ 2012, S.  1024, 1029. 518  Vgl. BVerfGE 125, 175, 222 = NJW 2010, S.  505; BVerfGE 152, 68, 112 = NJW 2019, S.  3703, 3704; Bachof, VVDStRL 12 (1954), S.  37, 42; vgl. auch Dürig, AöR 81 (1956), S.  117, 131 f.; Neumann, NVwZ 1995, S.  426 ff.; Soria, JZ 2005, S.  6 44, 645; Wallerath, JZ 2008, S.  157;

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muss an dieser Stelle nicht erfolgen.519 Es bedarf auch keiner näheren Beschäftigung mit der verfassungsgerichtlichen Enthaltsamkeit hinsichtlich einer exakten betragsmäßigen Festlegung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums und dem in diesem Zusammenhang wiederholt gemachten Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, dass dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden sind.520 Für den weiteren Gang der Untersuchung ist allein entscheidend, dass ein unmittelbar verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch besteht, der den Grundsatz der Selbstverantwortung durchbricht und der durch die angesprochene Konkretisierungsbedürftigkeit nicht eingeschränkt wird.521 Der durch das Existenzminimum eröffnete Freiheitsraum wird in unserer Rechtsordnung durch ein elaboriertes bedarfs- und bedürftigkeitsorientiertes Fürsorgesystem bereitgestellt. Das Recht der Existenzsicherung ist in erster Linie in den Büchern Zwei und Zwölf des Sozialgesetzbuches522 verankert. Es sichert, verkürzt gesagt, diejenigen Personen ab, die ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigener Kraft bestreiten können. Sie erhalten eine von keiner konkreten Gegenleistung abhängige staatliche Unterstützung. Diese ruht auf drei verschiedenen Säulen: der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§§  19 ff. SGB II) für grundsätzlich erwerbsfähige Personen, die das Rentenalter (§§  7, 7a SGB II) noch nicht erreicht haben, der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt (§§  27 ff. SGB XII) sowie der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§  41 ff. SGB XII) für Menschen, die dauerSchnath, NZS 2010, S.  297, 298; Berlit, Kritische Justiz 2010, S.  145, 146 f.; Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 2011, S.  273, 274 f.; Dreier, in: Dreier, GG, 3.  Aufl. 2013, Art.  1 Abs.  1 Rn.  155; Luthe, jM 2016, S.  249, 251; Sommermann, in: v. Mangoldt et al., GG, 7.  Aufl. 2018, Art.  20 Rn.  120; Bieritz-Harder, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  8 Rn.  6 ff.; Kreßel, NZS 2019, S.  730, 731. Kritisch zur Heranziehung von Art.  1 Abs.  1 i. V. m. Art.  20 Abs.  1 GG Lang, in: FG Friauf, 2011, S.  309, 325 ff. Auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  124, leitet den Anspruch auf Gewährung des Existenzminimums aus Art.  2 Abs.  1 GG sowie aus Art.  2 Abs.  2 S.  1 GG ab. 519  Hierzu etwa Wallerath, JZ 2008, S.  157; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S.  316 ff.; Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 2011, S.  273 ff.; Herberger, Menschenwürde in der Zwangsvollstreckung, 2022, S.  7 ff. 520  BVerfGE 87, 153, 170 = NJW 1992, S.  3153, 3154; BVerfGE 125, 175, 222 = NJW 2010, S.  505; BVerfGE 132, 134, 159 = NVwZ 2012, S.  1024, 1025; BVerfGE 152, 68, 113 = NJW 2019, S.  3703, 3704; Berlit, Kritische Justiz 2010, S.  145, 148; Luthe, jM 2016, S.  249, 251; Schreiber, SR 2018, S.  181, 185; Kreßel, NZS 2019, S.  730, 732; Bieritz-Harder, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  8 Rn.  5. 521  Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 2011, S.  273, 277 f. 522 Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und nur über einen un­ gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen, werden über das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) abgesichert.

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haft nicht erwerbsfähig sind, und für alle nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze. Die hier verankerte „freiheitsermöglichende soziale Hilfe“523 supprimiert den Grundsatz der Selbstverantwortung allerdings nur dann, wenn der Einzelne seine materielle Existenz nicht aus eigener Kraft sichern kann.524 Träger dieser somit als nachrangig zu qualifizierenden Verantwortung ist weder eine andere Person noch der Staat als „fiktiver Körper“, sondern sämtliche in der Sozietät lebenden Individuen, die einen Beitrag zum allgemeinen Steueraufkommen leisten. Dies folgt aus dem Umstand, dass das Sozialrecht der Existenzsicherung auf Steuerfinanzierung aufbaut. Dementsprechend realisiert sich in diesem Bereich – anders als etwa im privaten Unterhaltsrecht525 – keine Fremdverantwortung eines einzelnen Rechtssubjekts, sondern eine kollektive Verantwortung aller Steuerzahler. Mit ihr korrespondiert eine entsprechende Freiheitsbeschränkung,526 die als solche benannt und rechtfertigungsfähig sein muss.527 523 So

de.

Wallerath, JZ 2008, S.  157, 168, mit Blick auf die Grundsicherung für Arbeitsuchen-

524  Damit unterscheidet sich das Recht der nicht beitragserkauften existenzsichernden Sozialleistungen von dem in jüngerer Zeit vermehrt diskutierten Ansatz des bedingungslosen Grundeinkommens. Einfachgesetzlich war der Grundsatz des Nachrangs bereits in §  15 der Reichsfürsorgeverordnung verankert (Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.2.1924, RGBl. I, S.  100; abgedruckt in Schmidt, Reichsfürsorgeverordnung und Landesfürsorgeverordnung, Textausgabe nebst Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der Fürsorge und Sonderbestimmungen über die Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen, Sozialund Kleinrentnerfürsorge, 1924, S.  7 ff.). Auch das Bundessozialhilfegesetz betonte die Nachrangigkeit staatlicher Verantwortung (§  2 BSHG und §  11 Abs.  1 BSHG). Heute wird der Nachrang- oder Subsidiaritätsgrundsatz als eines der Strukturprinzipien des Sozialhilferechts angesehen, welches in §  2 Abs.  1 SGB XII eine ausdrückliche Normierung erfahren hat. Auch im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist er in der Vorschrift des §  3 Abs.  3 SGB II positiviert. Eingehend zum Grundsatz des Nachrangs Berlit, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  7 Rn.  21; Berlit/Conradis, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  11 Rn.  1 ff. Zur Frage, ob der Nachranggrundsatz das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums begrenzt, Kreßel, NZS 2019, S.  730 ff. 525  Zur Verantwortungsverlagerung durch das Unterhaltsrecht vgl. Dürig, AöR 81 (1956), S.  117, 133; Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S.  193 ff.; Berghahn (Hrsg.), Unterhalt und Existenzsicherung, 2007; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S.  204 ff. 526  Zur freiheitsbeschränkenden Wirkung von Steuergesetzen vgl. BVerfGE 87, 153, 169 = NJW 1992, S.  3153; Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 128; Posner, The Economics of Justice, 1983, S.  79; Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 220: „Dies [die Gewährleistung einer materiellen Grundausstattung – Anmerkung hinzugefügt] führt aber notwendigerweise zu einer Beschränkung der Freiheit der Individuen in einer Gesellschaft, weil die für die soziale Daseinsvorsorge erforderlichen Mittel in der Regel ohne Zwangsmaßnahmen (Steuern, Pflichtversicherung) nicht aufgebracht werden können.“; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  131; Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  2 Abs.  1 Rn.  78 („Entzug ökonomischer Handlungsfreiheit“). 527 Vgl. Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, 2000, S.  1; Kirchhof, Das Maß der Gerechtigkeit, 2009, S.  182: „Die Steuer ist ein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Geldeigentum des Steuerpflichtigen und muss deshalb vom Gesetzgeber besonders gerecht-

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Betrachtet man unter dem Gesichtspunkt der Finanzierungsverantwortlichkeit ein das Sozialleistungsrecht flankierendes Sozialschutzrecht, so fällt das Ergebnis nicht ganz so eindeutig aus. Der Blick richtet sich jetzt nicht mehr auf einen gegen den Staat gerichteten Anspruch auf positive Leistung, sondern auf den Schutz der materiellen Mindestbedingungen zur Führung eines menschenwürdigen Lebens. Dabei geht es einerseits um einen Schutz vor einem staatlichen Zugriff („Eingriffsverbot“528) und andererseits um den Schutz vor Beeinträchtigungen „aus der außerstaatlichen Sphäre“529. Dem Eingriffsverbot trägt in erster Linie die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum „steuerrechtlichen Existenzminimum“530 Rechnung: Dem Steuerpflichtigen muss ein steuerfreies Einkommen in einer Höhe verbleiben, das er für die materiellen Grundlagen eines menschenwürdigen Daseins für sich und für seine Familie benötigt.531 Diese Vorgabe wird primär durch §  32a Abs.  1 S.  2 Nr.  1 EStG umgesetzt. Der dort geregelte Grundfreibetrag stellt einen tariflich unbelasteten Einkommensteil dar.532 Auf die hier interessierende Frage, wer insoweit die Finanzierungsverantwortung trägt, ist daher zu antworten, dass dies ebenfalls die Mitglieder des Kollektivs sind. Oder anders gewendet: Die aus der steuerrechtlichen Sicherung des Existenzminimums resultierende Last wird analog dem sozialrechtlichen Existenzminimum „sozialisiert“. Denn wenn ein Einkommensteil des Steuerpflichtigen dem Besteuerungszugriff entzogen wird,

fertigt werden.“; v. d. Pfordten, in: Gaisbauer et al., Philosophical Explorations of Justice and Taxation, 2015, S.  47. 528  Neumann, NVwZ 1995, S.   426; ähnlich Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S.  166, der von einer „Eingriffsresistenz des Existenzminimums“ spricht. 529 So Dürig, AöR 81 (1956), S.  117, 133. 530 Dazu Däubler, in: FS Derleder, 2005, S.  39 ff.; Wagner, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 160. EL Dezember 2021, §  32a EStG Rn.  26 ff. Das bedeutet nicht, dass die Höhe des steuerlich zu verschonenden Betrags mit dem sozialrechtlichen Existenzminimum deckungsgleich sein muss. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil sich in das Besteuerungsverfahren als Massenverfahren nicht die im sozialrechtlichen Existenzminimum zu findenden Individualisierungsansätze (vgl. §  8 A.) implementieren lassen, so Wagner, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 160. EL Dezember 2021, §  32a EStG Rn.  28. Das sozialrechtliche Existenzminimum bildet aber die Untergrenze dessen, was dem staatlichen Steuerzugriff entzogen ist; instruktiv dazu BVerfGE 87, 153, 171 = NJW 1992, S.  3153: „Der Steuergesetzgeber muss dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Grundlegend zur Verknüpfung von sozialrechtlichem und steuerrechtlichem Existenzminimum Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, 1993, S.  133 ff.; v. Maydell, in: FS Gitter, 1995, S.  567, 568 ff.; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S.  354. 531  Vgl. etwa BVerfGE 82, 60, 85 = NJW 1990, S.  2869, 2871; BVerfGE 87, 153, 155 = NJW 1992, S.  3153; BVerfGE 120, 125, 154 = NJW 2008, S.  1868, 1872. 532 Vgl. Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24.  Aufl. 2021, Rn.  8 .81, 8.87.

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dann bedeutet dies nichts anderes, als dass sich die Einnahmen der „staatlichen Kollektivität“533 verringern.534 Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Mindestsockel an wirtschaftlicher Entfaltungsfreiheit nicht durch den Staat angegriffen wird, sondern die Gefährdung der Freiheit ihren Ursprung in einem Tun oder Unterlassen eines Privatrechtssubjekts hat. Hier realisiert sich der Freiheitsschutz nicht durch eine Kollektiv-, sondern durch eine Fremdverantwortung. Dieser Befund wird leicht einsichtig, wenn man die Regelung des §  1 Abs.  1 MiLoG betrachtet. Sie gibt jedem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns und gewährleistet damit für jeden Arbeitnehmer ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit. Die Kosten dieser Freiheitssicherung trägt in diesem Fall nicht das Kollektiv aller Steuerzahler, sondern ein einzelner Arbeitgeber. Damit entlastet das Mindestlohngesetz535 zugleich die sozialen Sicherungssysteme, denn steuerfinanzierte aufstockende Sozialleistungen im Niedriglohnsektor verlieren an Bedeutung.536 Hinter dem Vorhang des freiheitssichernden Mindestlohns verbirgt sich daher ein genuin staatliches Interesse. Man kann auch sagen, der gesetzliche Anspruch auf den Mindestlohn bezweckt einen Schutz aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse. Nichts anderes gilt bekanntlich für den im 8. Buch der ZPO normierten gesetzlichen Pfändungsschutz.537 Obgleich sich der in der Forderungspfändung gewährte Schutz mit seinen dynamisierten Pfändungsfreigrenzen grundlegend von dem durch unbestimmte Rechtsbegriffe geprägten Pfändungsschutz der Sachpfändung unterscheidet, ist für beide kennzeichnend, dass sie ebenso wie §  1 Abs.  1 MiLoG eine explizit „freiheitsgewährleistende Dimension“538 beinhalten. Mithilfe des gesetzlichen Pfändungsschutzes soll dem Schuldner (und 533 

Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  13. Neumann, NVwZ 1995, S.  426. Im Ergebnis ebenso Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3.  Aufl. 1998, S.  456, der von einer „mittelbare[n] Leistung in Höhe des betreffenden Freibetrages“ spricht. 535 Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns vom 11.8.2014, BGBl. I 2014, S.  1348. 536  BT-Drs. 18/1558, S.  28; Lakies, AuR 2013, S.  69, 70; Forst, in: Boecken et al., Gesamtes Arbeitsrecht, 2016, §  1 MiLoG Rn.  3; Schubert, in: Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 2.  Aufl. 2017, Einl. Rn.  46; Franzen, in: Erfurter Kommentar, 22.  Aufl. 2022, §  1 MiLoG Rn.  1; Greiner, in: BeckOK Arbeitsrecht, Stand: 1.3.2022, §  1 MiLoG Rn.  1. Zur rechtstatsächlichen Bedeutung des Nebeneinanders von Lohn und steuerfinanzierter Aufstockung (sogenannter Kombilohn) vgl. Waltermann, NZA-Beil. 2009, S.  110, 118; Waltermann, ZRP 2011, S.  95; Picker, RdA 2014, S.  25, 29. 537  Ihm wird durch die Insolvenzgerichte als besonderen Vollstreckungsgerichten im Rahmen des §  36 Abs.  1 InsO Rechnung getragen. Der Streit um die Anwendung der Pfändungsschutzvorschriften der §§  850 ff. ZPO im Insolvenzverfahren hat sich mit der Aufnahme eines Satzes 2 in §  36 Abs.  1 InsO im Jahr 2010 durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001 (BGBl. I 2001, S.  2710) erledigt. 538  Ahrens, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 13.  Aufl. 2021, §  850 Rn.  1. In diesem Sinne auch 534 

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seiner Familie) eine gewisse Freiheit im wirtschaftlichen Bereich erhalten bleiben, die für eine menschenwürdige Existenz benötigt wird.539 Dieser Freiheitsschutz wird nicht durch das Kollektiv als „ein auf Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit angelegter Solidarverband“540 gewährt, sondern er geht zulasten eines privaten Rechtssubjekts.541 Denn der gesetzliche Pfändungsschutz schränkt den Gläubiger in der Freiheit ein, seinen prozessrechtlich zu qualifizierenden Anspruch auf Vollstreckung542 in das gesamte Schuldnervermögen durchzusetzen. Der Freiheitsschutz des Schuldners verdrängt damit das Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang, dass dabei auch dem Schuldner ein Freiheitsopfer abverlangt wird. Die Verantwortung zur Sicherung und zum Erhalt der wirtschaftlichen Freiheit geht nämlich selbst dann auf den Gläubiger über, wenn der Schuldner das gar nicht will. Der Grund hierfür liegt darin, dass der primär freiheitsfunktional zu verstehende gesetzliche Pfändungsschutz auch einem öffentlichen Fiskalinteresse dient.543 Er soll verhindern, dass dem Schuldner durch staatlichen Zwang die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen wird, die ihm der Staat durch das steuerfinanzierte Behr, Kritische Justiz 1980, S.  156, 160: „Sicherung eines Freiheitsraumes auch im vermögensrechtlichen Bereich“. 539  Smid, in: MünchKommZPO, 6.   Aufl. 2020, §  850 Rn.  1; Herget, in: Zöller, ZPO, 34.  Aufl. 2022, §  811 Rn.  1. 540  Eichenhofer, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  1 Rn.  11. 541 Treffend Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S.  362, der von „Sozialpolitik auf Kosten der Gläubiger“ spricht. 542  Zu dieser Einordnung des Vollstreckungsanspruchs vgl. etwa Gaul, Rpfleger 1971, S.  1, 3; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  88, 113. Von einer Beschränkung des materiellrechtlichen Anspruchs durch den Vollstreckungsschutz geht demgegenüber Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S.  362 ff., aus („Grenzen des subjektiven Rechts selbst“), der in seiner 1970 erschienenen Monographie die These entwickelt, dass der Vollstreckungsschutz auf materiell-privatrechtlichen Wertungen beruhe und die Vollstreckungsschutzregeln „mehr oder weniger konkrete Tatbestände unzulässiger Rechtsausübung“ enthielten. Dieser dogmatischen Einordnung des Vollstreckungsschutzes folgen etwa auch Scherf, Vollstreckungsverträge, 1971, S.  72 f.: „Beschränkungen des Anspruchs als materielles Zugriffsrecht und privatrechtlicher Vermögensgegenstand im Rechtsverkehr“ [Hervorhebung im Original]; Bötticher, ZZP 85 (1972), S.  1, 3, 5; Alisch, Wege zur interessengerechten Auslegung vollstreckungsrechtlicher Normen, 1981, S.  104 ff., 105: „Der sozial indizierte Vollstreckungsschutz zeigt […] die Grenzen der Durchsetzung privater Gläubigerrechte auf. Systematisch ist er damit innerhalb des Privatrechts im Bereich des §  242 BGB anzusiedeln […].“ Kritisch zu dieser Auffassung Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  83 ff.; Eckert, WM 1987, S.  945, 952; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 7, 22.  Aufl. 2002, §  811 Rn.  2. 543  RGZ 146, 398, 401; RGZ 151, 279, 285; BGHZ 4, 153, 154 f. = NJW 1952, S.  337; BGH, NJW-RR 2016, S.  761, 762; vgl. ferner Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Konkursrechts, 2.  Aufl. 1979, S.  9 0: „[U]m die Belastung der eigenen Tasche zu vermeiden, mutet man es dem Gläubiger zu, seinen nun einmal gegebenen Anspruch nicht voll realisieren zu können.“; Lüke, Zivilprozessrecht II, 11.  Aufl. 2021, S.  98; a. A. Herberger, Menschenwürde in der Zwangsvollstreckung, 2022, S.  51.

§  10 Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor

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Fürsorgesystem sogleich wieder zur Verfügung stellen muss.544 Der Bundesgerichtshof bringt diese zweifache Ausrichtung einprägsam mit folgenden bereits erwähnten Worten auf den Punkt: Der gesetzliche Pfändungsschutz bezweckt einen „Schutz aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse“545. Da der Schuldner nicht über das öffentliche Interesse disponieren darf, muss ihm seine Freiheit zur materiellen Armut genommen werden. Diese „Zwangsfürsorge“546 realisiert sich auf vielfache Weise. So ist erstens weder vor noch bei noch nach der Pfändung ein Verzicht des Schuldners auf den Pfändungsschutz zulässig.547 Zweitens erfolgt die Verlagerung der Verantwortung auf den Gläubiger von Amts wegen, also ohne entsprechendes Rechtsschutzbegehren des bedürftigen Schuldners.548 Drittens wird in der „privaten Zwangsvollstreckung“549 das in §  394 BGB statuierte Aufrechnungsverbot als zwingendes Recht qualifiziert.550 Und viertens ist eine Abtretung unpfändbarer Forderungen (§  400 BGB) 551 nach §  134 BGB nichtig.552 Die mittels Einschränkung der Verfügungsfreiheit bewirkte Sicherung des Lebensunterhalts des Forderungsinhabers und seiner Familie erfolgt damit auch gegen den Willen des Zedenten. Dass sämtliche der dargestellten Regelungsmechanismen ein Mehr an wirtschaftlicher Freiheit für den Schuldner erzeugen, ändert nichts daran, dass sie durch eine Beschränkung 544 Treffend Grünberg, Gutachten zum 24. DJT, 1897 (2020), S.  213, 224, der Pfändungsbeschränkungen als „eine Art präventiven Schutz gegen ein übermäßiges Anwachsen der Armenlasten“ beschreibt; vgl. auch Walker, in: FS Musielak, 2004, S.  655; Herget, in: Zöller, ZPO, 34.  Aufl. 2022, §  811 Rn.  1; Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, 19.  Aufl. 2022, §  811 Rn.  1. 545  BGHZ 137, 193, 197 = NJW 1998, S.  1058; BGH, NJW-RR 2004, S.  789, 790. 546  Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Konkursrechts, 2.   Aufl. 1979, S.   90. 547  RGZ 128, 81, 85: „[D]ie Voraussetzungen und die Grenzen der staatlichen Vollstreckungshandlungen sind begrifflich den Abmachungen der Parteien entzogen […].“; BayObLG, NJW 1950, S.  697, 698 f.; BGHZ 137, 193, 197 = NJW 1998, S.  1058; OLG Stuttgart, NJW 1971, S.  50; BGH, NJW 2015, S.  3029, 3030; Gruber, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  811 Rn.  13 ff.; Smid, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  850 Rn.  3; Lackmann/ Racz, Zwangsvollstreckungsrecht, 12.  Aufl. 2021, §  13 Rn.  107; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit, ZPO, 19.  Aufl. 2022, §  811 Rn.  8 f.; Kindl, in: Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4.  Aufl. 2021, §  811 Rn.  7; Meller-Hannich, in: Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4.  Aufl. 2021, §  850 Rn.  35; Herberger, Menschenwürde in der Zwangsvollstreckung, 2022, S.  118; differenzierend Gaul, Rpfleger 1971, S.  1, 3; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  183 ff. 548  Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  82. 549 Zur Qualifikation der Aufrechnung als „private Zwangsvollstreckung“ vgl. Eckert, WM 1987, S.  945, 948; siehe auch Schlüter, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, § 394 Rn. 1. 550  RGZ 146, 398, 401 f.; Schlüter, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, § 394 Rn. 1; Wagner, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  394 Rn.  1; Bieder/Gursky, in: Staudinger, BGB, 2022, § 394 Rn. 7. 551  Sie können, soweit sie unpfändbar sind, auch nicht verpfändet werden (§  1274 Abs.  2 BGB). 552  BGH, NJW 1997, S.  2823, BAG, NJW 2001, S.  1443; Martens, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  400 Rn.  1; Busche, in: Staudinger, BGB, 2022, §  400 Rn.  1 jeweils m. w. N.

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einer anderen Freiheit realisiert werden. Dieses (paternalistische) Problem soll hier nur benannt, aber nicht vertieft werden. An dieser Stelle gilt es die deskriptive Perspektive beizubehalten und zu klären, ob das materielle Recht einen vergleichbaren Verantwortungstransfer zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an wirtschaftlicher Freiheit kennt. Davon soll auf den nächsten Seiten die Rede sein. Um die Erwartungen von vornherein in die richtige Bahn zu lenken, ist anzumerken, dass sich die nun folgenden Ausführungen auf die Verantwortlichkeit einer bedürftigen Person für eine vertraglich vereinbarte Geldschuld beschränken III. Selbstverantwortung Die Frage nach einer freiheitsermöglichenden Durchbrechung des Selbstverantwortungsgrundsatzes im materiellen Recht liegt deshalb nahe, weil es nicht zwingend ist, das Verantwortungssubjekt für eine Geldschuld erst im Haftungsstadium553 auszutauschen. Man kann ebenso argumentieren, nicht die Vollstreckungsorgane, sondern bereits das Prozessgericht der Erkenntnisin­ stanz müsse in seiner Entscheidung die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Freiheit des Geldschuldners einbeziehen. Der Erkenntnisrichter hätte demnach nicht nur zu prüfen, wer recht hat, sondern auch, wie sich das Recht in der sozialen Wirklichkeit unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens- und Vermögenslage der Vertragsparteien auswirkt.554 Wird im Lichte dessen eine auf Geldzahlung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, dem bedürftigen Beklagten müsse ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit verbleiben, so kommt es auch in diesem Fall zu einem Verantwortungstransfer auf ein anderes Privatrechtssubjekt und der damit verbundenen Durchbrechung des Grundsatzes der Selbstverantwortung. Denn Selbstverantwortung bedeutet – wie weiter vorn bereits erwähnt555 – nicht nur, dass jeder für seine materiellen Existenzbedingungen und die hieraus resultierende wirtschaftliche Freiheit eigenverantwortlich Sorge zu tragen hat. Sie ist auch dadurch gekennzeichnet, 553  Zum vollstreckungsrechtlichen Inhalt des Haftungsbegriffs Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S.  30; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  29 f.; Ernst, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, Einl. SchuldR Rn.  33: „Der Umstand, dass die schuldrechtliche Verpflichtung auf Kosten des Vermögens des Schuldners vollstreckt wird, wird auch als Haftung bezeichnet.“; Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, Vorb. §  286–303a Rn.  5; Mansel, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  241 Rn.  18: „[I]n der Gegenüberstellung zur Schuld bedeutet Haftung (technisch) das Unterworfensein des Schuldnervermögens unter den Vollstreckungszugriff des Gläubigers, dh die prozessuale Durchsetzbarkeit der Schuld.“; a. A. Buhr, Die vertragliche (gegenständliche) Haftungsbeschränkung und deren Einfluß auf die Rechtslage der Parteien, 1920, S.  14: „Der Begriff ist ein materiellrechtlicher. Er bezeichnet ‚die besondere vermögensrechtliche Gebundenheit des Schuldners gegenüber dem Gläubiger.‘ In dieser Gebundenheit erschöpft sich der Inhalt des Haftungsverhältnisses.“ 554 Vgl. hierzu Baur, JZ 1957, S.   193 ff.; zustimmend Behr, Kritische Justiz 1980, S.  156, 162 f. 555  Vgl. §  10 A. I.

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dass man die Folgen seines Handelns tragen muss.556 Es geht in diesem Fall also um Selbstverantwortung im Sinne einer Folgenzurechnung.557 Diese zweite Seite der Selbstverantwortung wird zutreffend als „ein tragendes Prinzip der Privatrechtsordnung“558 bezeichnet.559 Im rechtsgeschäftlichen Verkehr bedeutet sie nichts anderes als Verantwortlichkeit für die Einhaltung eines gegenüber einem anderen abgegebenen Vertragsversprechens,560 in einem Wort: Vertragsbindung („pacta sunt servanda“). Und auch insoweit lässt sich fragen, inwiefern eine so verstandene Selbstverantwortung zur Sicherung der wirtschaftlichen Freiheit einer bedürftigen Vertragspartei durchbrochen wird. 1. Umgestaltung vertraglicher Schuldverhältnisse von Amts wegen Ein Vergleich mit der freiheitsfunktionalen Verlagerung der Verantwortung in der Zwangsvollstreckung verfängt freilich nur dann, wenn der Erkenntnisrichter – analog der Kompetenz der Vollstreckungsorgane – auch ohne ein entsprechendes Rechtsfolgebegehren die Freiheitssicherung bewirken könnte. Dazu müsste er über die Befugnis zur amtswegigen Umgestaltung vertraglicher Schuldverhältnisse verfügen. Eine derartige Durchbrechung der Dispositionsmaxime ist unserer Rechtsordnung nicht völlig wesensfremd. Wenn das Prozessgericht der Erkenntnisinstanz etwa durch §  308a Abs.  1 ZPO ermächtigt wird, auch ohne Antrag des Mieters auszusprechen, für welche Dauer und unter welchen Änderungen der Vertragsbedingungen das Mietverhältnis fortzusetzen ist, so bedeutet dies nichts anderes, als die Frage nach den Auswirkungen des Rechts in der sozialen Wirklichkeit von Amts wegen in das Erkenntnisverfahren zu verlagern. Denn im Rahmen der Anordnung nach §  308a Abs.  1 ZPO muss der Erkenntnisrichter zwingend prüfen, ob die (wirksame) Kündigung des Vermieters für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist (§  574 Abs.  1 S.  1 BGB). Damit sich die Freiheit des Beklagten, sein Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen, auch tatsächlich realisiert, wird das Gericht zu dem Ausspruch ermächtigt, für welche Dauer und gegebenenfalls unter welchen Änderungen der Vertragsbedingungen das Mietverhältnis fortgesetzt wird, und zwar ohne

556 Vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  75. 557 So Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.  99; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  351. 558  Riesenhuber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  1, 2. 559 Vgl. Flume, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  135, 159 f.; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.  99; Fastrich, in: FS Canaris, 2007, S.  1071. 560 Vgl. Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 18; Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, 2014, S.  86.

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dass der Mieter einen entsprechenden Fortsetzungsanspruch mit einer Widerklage geltend machen muss.561 Diese Befugnis zur richterlichen Fortsetzung bzw. Umgestaltung eines privaten Rechtsverhältnisses ohne entsprechendes Rechtsfolgebegehren erstreckt sich allerdings nur auf mietrechtliche Räumungs- oder Fortsetzungsstreitigkeiten. Eine vergleichbare Kompetenz des Prozessgerichts der Erkenntnisinstanz zur amtswegigen Modifikation einer vertraglichen Geldschuld zur „fortdauernden Ordnung des streitigen Rechtsverhältnisses“562 kennt das geltende Recht nicht. Einer Zahlungsklage wird – sofern ein streitiges Urteil ergeht – in der Hauptsache entweder (teilweise) stattgeben oder sie wird abgewiesen: „Tertium non datur“, ein Drittes ist ausgeschlossenen.563 Der Tatrichter darf zugunsten einer bedürftigen Vertragspartei weder wirtschaftliche Erleichterungen in Form von Stundung oder Erlass herbeiführen noch eine Verurteilung zur Zahlung „unter der Bedingung der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit“ aussprechen. Mit Blick auf das Letztgenannte ist zu sagen, dass das Zuerkennen eines Weniger gegenüber dem uneingeschränkten Zahlungsantrag zwar zulässig ist. Auch sind dem geltenden Recht „bedingte Titel“ nicht fremd (§  726 Abs.  1 ZPO). Ein derartiges „offenes Urteil“564 genügt jedoch nicht dem Bestimmtheitserfordernis. Denn die Zahlungsfähigkeit stellt einen außerhalb des Titels liegenden Umstand dar, sodass ein hieran anknüpfender Urteilstitel nicht mehr aus sich heraus verständlich ist. Aus prozessualer Sicht ist lediglich eine Abweisung eines Zahlungsantrags als „zurzeit unbegründet“565 denkbar, gegebenenfalls verbunden mit der Feststellung, dass der Beklagte bei wesentlicher Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zur Leistung verpflichtet ist, sofern ein solcher Antrag (hilfsweise) gestellt wurde.566 Ob es für eine derartige Begrenzung eines vertraglichen Zahlungsanspruchs jedoch eine materiellrechtliche Grundlage gibt, ist fraglich. Hierauf wird sogleich zurückzukommen sein.567 561  Ein Ausspruch über die Mietfortsetzung gegen den Willen des Mieters ist nach zutreffender Ansicht allerdings unzulässig. Zwar kann der Ausspruch im Einzelfall dazu beitragen, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit (unfreiwillige Obdachlosigkeit) – die der Staat zu beseitigen hätte (vgl. §  10 C. II. 2. d)) – zu verhindern. §  308a ZPO dient gleichwohl keinem öffentlichen Interesse, sondern dem Mieterschutz, siehe hierzu Musielak, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  308a Rn.  3; Thole, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 13.  Aufl. 2021, §  308a Rn.  3 f.; Saenger, in: Saenger, ZPO, 9.  Aufl. 2021, §  308a Rn.  3; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 34.  Aufl. 2022, §  308a Rn.  2. 562  Baur, JZ 1957, S.  193, 194. 563  So bereits Baur, JZ 1957, S.  193, 194. Als Ausnahme kann der Sonderfall des §  597 Abs.  2 ZPO angeführt werden, der dazu führt, dass die Klage „als im Urkundenprozess unstatthaft“ abgewiesen wird. 564  Wolfsteiner, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  726 Rn.  1. 565 Es genügt, wenn sich diese Einschränkung aus den Entscheidungsgründen ergibt, BGHZ 143, 79, 88 f. = NJW 2000, S.  653, 656; BGH, NJW-RR 2001, S.  310 f. 566  So LG Bremen, NJW-RR 1991, S.  1432; Canaris, JZ 1987, S.  993, 1002. 567  Vgl. §  10 A. III. 4. b).

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Selbst in Zeiten „wirtschaftlicher Erschütterungen“568 gab und gibt es keine Rechtsgrundlage zur amtswegigen Durchbrechung des Grundsatzes der Selbstverantwortung, um eine wirtschaftlich in Not geratene Vertragspartei bereits im Erkenntnisverfahren vor dem Verlust ihrer wirtschaftlichen Freiheit zu bewahren. Weder während noch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Erkenntnisrichter mit der Befugnis zur Umgestaltung von vertraglichen Schuldverhältnissen „von hoher Hand“569 ausgestattet. Zwar konnte er nach der „Verordnung über die Vertragshilfe des Richters aus Anlaß des Krieges“ vom 30.11.1939 (VHV) 570 durch einen richterlichen Beschluss „die entsprechenden Vereinbarungen der Parteien ersetzen“ (§  16 Abs.  2 S.  1 VHV), wenn ein Gewerbetreibender „infolge der Auswirkungen des Krieges“ in „seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt wird“ (§  1 VHV) und die Parteien sich nicht gütlich einigen konnten. Dieser Vertragshilfeausspruch setzte in prozessualer Hinsicht jedoch stets einen entsprechenden Antrag voraus.571 Gleiches galt im Verfahren nach der „Verordnung über Kriegsausgleichsverfahren“572 . Es wurde nur auf Antrag eines Schuldners eingeleitet, der infolge des Krieges zahlungsunfähig geworden war (§  1 Kriegsausgleichsverordnung) und stellte im Grunde nichts anderes dar als ein modifiziertes Verfahren nach der seinerzeit geltenden Vergleichsordnung vom 26.2.1935573.574 Auch die nach dem Zweiten Weltkrieg im Gesetz über die richterliche Vertragshilfe vom 26.3.1952 (VHG) 575 statuierte Möglichkeit, durch richterliche Entscheidung vor dem 21.6.1948 begründete Verbindlichkeiten zu stunden oder herabzusetzen, wenn die fristgemäße oder die volle Leistung dem Schuldner bei gerechter Abwägung der Inte­ ressen und der Lage beider Teile nicht zugemutet werden konnte, war nach der Generalklausel des §  1 Abs.  1 VHG lediglich auf entsprechenden Antrag des Schuldners möglich. Nur ausnahmsweise war es auch dem Gläubiger gestattet, die Einleitung eines Vertragshilfeverfahrens zu beantragen (§  11 Abs.  2 VHG). Eine richterliche Befugnis zur amtswegigen Umgestaltung vertraglicher Schuldverhältnisse wurde schließlich auch nicht im Jahr 2020 durch das mit

568 

Saage, Kommentar zum Vertragshilfegesetz, 1952, Einl., S.  1. Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, Band 3, 2.  Aufl. 1994, S.  76. 570  Vertragshilfeverordnung vom 30.11.1939, RGBl. I, S.  2329 ff.; dazu etwa Busam, Kriegsfolgenbewältigung in der Rechtsprechung, 2017, S.  98 ff. 571  Das Vertragshilfeverfahren war zudem als ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ausgestaltet (§  12 Abs.  1 VHV), dessen Einleitung lediglich eine Aussetzung des Erkenntnisverfahrens zur Folge haben konnte (§  24 Abs.  1 VHV). 572  RGBl. I, S.  2338 ff. 573  RGBl. I, S.  321, ber. S.  356. 574  Drost, Die Vertragshilfe des Richters aus Anlaß des Krieges und das Kriegsausgleichsverfahren, 1940, S.  87. 575  BGBl. I 1952, S.  198; aufgehoben durch Art.  9 Nr.  1 des Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BGBl. I 2000, S.  897. 569 

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dem Corona-Abmilderungsgesetz576 eingeführte zivilrechtliche Moratorium für Dauerschuldverhältnisse“577 geschaffen (Art.  240 §  1 EGBGB).578 Weil die Vorschrift als dilatorische Einrede579 ausgestaltet ist („Corona-Notbedarfseinrede“580), darf sie der Erkenntnisrichter nicht von Amts wegen berücksichtigen. Bedeutsam ist an dieser Stelle zudem, dass Art.  240 §  1 EGBGB lediglich die Durchsetzbarkeit des Anspruchs vorübergehend hemmt, nicht jedoch eine gesetzliche Stundung bewirkt.581 Einen solchen das Schuldverhältnis ändernden Akt sieht demgegenüber Art.  240 §  3 Abs.  1 S.  1 EGBGB vor.582 Die Vorschrift eröffnet für Verbraucherdarlehensverträge (§  491 BGB), die vor dem 15.3.2020 geschlossen wurden, die Möglichkeit einer dreimonatigen Stundung für Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1.4.2020 und dem 30.6.2020 fällig geworden sind. Entsprechend verschieben sich die privatautonom festgelegten Leistungstermine, und die Vertragslaufzeit verlängert sich um insgesamt drei Monate, sofern die Parteien nicht einvernehmlich eine andere Regelung treffen (Art.  240 §  3 Abs.  5 S.  1 und S.  2 EGBGB). Obgleich nach dem Wortlaut des Art.  240 §  3 Abs.  1 S.  1 EGBGB die Stundungswirkung im Gegensatz zu den Stundungsmöglichkeiten nach §  1382 BGB und §  2331a BGB sowie §  16 Abs.  3 GrdstVG 576  Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenzund Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020, BGBl. I 2020, S.  569. 577  Zum Begriff des Dauerschuldverhältnisses vgl. BT-Drs. 19/18110, S.  34; Bacher, MDR 2020, S.  1, 3; Wolf et al., JA 2020, S.  401, 405; Möllnitz/Schmidt-Kessel, in: Uhlenbruck, InsO, 15.  Aufl. 2020, Art.  240 §§  1–4 EGBGB Rn.  15 ff.; Lorenz, in: Schmidt, COVID-19, 3.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  55; Wendtland, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2022, Art.  240 §  1 EGBGB Rn.  7 ff. 578  Das Moratorium soll sowohl Verbrauchern (§   13 BGB), deren Haushaltseinkommen infolge der COVID-19-Pandemie eingebrochen ist, als auch Kleinstunternehmen (im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. L 124 vom 20.5.2003, S.  36), die aufgrund der pandemiebedingten Beschränkungen des Wirtschaftslebens Einnahmeverluste erlitten haben, helfen, vgl. BT-Drs. 19/18110, S.  34. Die Berechtigung zur Leistungsverweigerung bestand ab dem 1.4.2020 (Art.  6 Abs.  5 COVFAG) und endete mit Ablauf des 30.6.2020 (Art.  240 §  1 Abs.  1 S.  1 EGBGB). 579  Zur Qualifikation des Leistungsverweigerungsrechts als Einrede vgl. BT-Drs. 19/18110, S.  35; Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, S.  1103, 1105; Möllnitz/Schmidt-Kessel, in: Uhlenbruck, InsO, 15.  Aufl. 2020, Art.  240 §§  1–4 EGBGB Rn.  74; Lorenz, in: Schmidt, COVID-19, 3.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  67; Illner/Beneke, in: Heidel et al., BGB AT, EGBGB, 4.  Aufl. 2021, Art.  240 §  1 EGBGB Rn.  15; Gaier, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2021, Art.  240 §  1 EGBGB Rn.  45; Wendtland, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2022, Art.  240 §  1 EGBGB Rn.  17. 580  Möllnitz/Schmidt-Kessel, in: Uhlenbruck, InsO, 15.   Aufl. 2020, Art.   240 §§   1–4 EGBGB Rn.  7. 581  Im Ergebnis wie hier Möllnitz/Schmidt-Kessel, in: Uhlenbruck, InsO, 15.  Aufl. 2020, Art.  240 §§  1–4 EGBGB Rn.  75; a. A. wohl Lorenz, in: Schmidt, COVID-19, 3.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  59: „Nach Beendigung des Moratoriums werden […] sämtliche durch das Moratorium aufgeschobenen Verpflichtungen von Verbrauchern schlagartig fällig.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 582  Zur Stundung als einem das Schuldverhältnis ändernden Akt vgl. Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, Band 3, 2.  Aufl. 1994, S.  75.

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keinen formellen Antrag des Schuldners voraussetzt, gestattet es auch diese Vorschrift dem Erkenntnisrichter nicht, ohne entsprechendes Rechtsfolgebegehren des Darlehensnehmers in die privatrechtliche Vereinbarung einzugreifen. Denn einerseits setzt die sondergesetzliche Stundung voraus, dass „der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist“ (Art.  240 §  3 Abs.  1 S.  1 EGBGB). Legt der Darlehensnehmer die hierfür erforderlichen Nachweise vor, so gibt er damit konkludent zu erkennen, dass er sich auf die gesetzliche Stundungswirkung beruft.583 Andererseits steht es dem Verbraucher frei, die Ansprüche zu erfüllen. Tut er dies, gilt die Stundung nach dem Gesetz als nicht erfolgt (Art.  240 §  3 Abs.  1 S.  4 EGBGB). Auch im Zusammenhang mit der temporär geltenden Ausnahmeregelung des Art.  240 §  3 EGBGB wird dem Erkenntnisrichter damit lediglich eine Möglichkeit zur Mitwirkung584 an einer Vertragsumgestaltung zum Schutz eines bedürftigen Schuldners gegeben. Gleiches lässt sich schließlich mit Blick auf die in Art.  240 §  5 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 EGBGB statuierte Gutscheinlösung für Freizeitveranstaltungen und Freizeiteinrichtungen konstatieren.585 Sie statuiert eine Ersetzungsbefugnis,586 sodass es allein in der Hand der Veranstalter bzw. Betreiber liegt, ob sie anstelle der Erstattung des Eintrittspreises (§  326 Abs.  1 S.  1 Hs.  1, Abs.  4 BGB i. V. m. §  346 Abs.  1 BGB) einen entsprechenden Geldwertgutschein aushändigen (vgl. den Wortlaut in Art.  240 §  5 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 EGBGB: „ist berechtigt“) und damit die Wirkung einer Stundung bis zum 31.12.2021 (Art.  240 §  5 Abs.  5 Nr.  2 EGBGB) herbeiführen. Problematisch ist an dieser Regelung, dass der Gesetzgeber die Ersetzungsbefugnis nicht an eine pandemiebedingte wirtschaftliche Bedürftigkeit des Schuldners der Rückzahlungsverpflichtung knüpft. Damit fehlt das für die Vertragshilfe typische und die anderen vertragsrechtlichen Sonderregelungen des Art.  240 EGBGB prägende Element der wirtschaftlichen Hilfebedürftigkeit einer Vertragspartei. Dass dem Erkenntnisrichter auch in Krisenzeiten keine den Vollstreckungsorganen vergleichbare soziale „Ordnungsfunktion“587 zukommt, ist deshalb sachgerecht, weil die vertragsrechtlichen Sonderregelungen des Art.   240 EG­BGB nicht dem Schutz des öffentlichen Fiskalinteresses dienen. Anders als 583 

BT-Drs. 19/18110, S.  39. Saage, Kommentar zum Vertragshilfegesetz, 1952, Einl., S.  1. 585  Eingeführt durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) vom 15.5.2020, BGBl. I 2020, S.  948. 586 Vgl. Lorenz, in: Schmidt, COVID-19, 3.   Aufl. 2021, §  1 Rn.  35; Busche, in: MünchKommBGB, 8.   Aufl. 2021, Art.   240 §   5 EGBGB Rn.   28; Retzlaff, in: Grüneberg, BGB, 81.  Aufl. 2022, Art.  240 §  5 EGBGB Rn.  3. 587  Dieser Begriff wird von Mohnen, in: FS Nipperdey, 1965, S.  605, 617, im Zusammenhang mit §  308a ZPO eingeführt. 584 So

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im Recht des Vollstreckungsschutzes verlangt der Normzweck daher keine Verlagerung der Verantwortung von Amts wegen. Wenn das öffentliche Fiskalinteresse nicht vom Normzweck erfasst ist, gibt es zudem keinen Grund, den Grundsatz der Selbstverantwortung auch dann zu durchbrechen, wenn dadurch die andere Vertragspartei in eine wirtschaftliche Notlage gerät. Das ist im Zwangsvollstreckungsverfahren anders. Zur Sicherung des öffentlichen Interesses greift die Fremdverantwortung hier selbst dann Platz, wenn durch den Verantwortungstransfer der angemessene Lebensunterhalt des Gläubigers bzw. seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen oder die wirtschaftliche Grundlage seines Erwerbsbetriebes gefährdet wird. Lediglich im Rahmen der vom Gesetz statuierten Ausnahmefälle, wie etwa §  850f Abs.  1 ZPO und §  850i Abs.  1 S.  3 ZPO, kann eine durch den gesetzlichen Pfändungsschutz hervorgerufene wirtschaftliche Notlage des Gläubigers berücksichtigt werden. Eine von diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis abweichende Ansicht würde nicht nur dem Schutz des öffentlichen Fiskalinteresses zuwiderlaufen, sie wäre auch mit dem das Zwangsvollstreckungsrecht prägenden Verfahrensgrundsatz der Formalisierung nicht zu vereinbaren. Denn um eine prekäre wirtschaftliche Situation des Gläubigers überhaupt berücksichtigen zu können, müssten Gerichtsvollzieher bzw. Vollstreckungsgerichte vor jeder Pfändung dem Gläubiger rechtliches Gehör gewähren. Dies stünde einem kontradiktorischen Entscheidungsverfahren gleich, das zwar im Zusammenhang mit dem richterlichen Vollstreckungsschutz des §  765a ZPO, nicht aber in dem hier interessierenden „gesetzlichen Pfändungsschutz“ vorgesehen ist. Weil der durch die Corona-Sondergesetze bewirkte soziale Schutz nicht zugleich einem öffentlichen Fiskalinteresse dient, ist es daher ebenso richtig wie verfassungsrechtlich geboten,588 dass die vertragsrechtlichen Sonderregelungen eine Abwägung mit den widerstreitenden Interessen der anderen Partei sowie deren Belastungs- und Leistungsfähigkeit zulassen (vgl. Art.  240 §  1 Abs.  3, Art.  240 §  3 Abs.  6 und Art.  240 §  5 Abs.  5 Nr.  1 EGBGB). Aufgrund der in diesen Härteklauseln zu findenden zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe („unzumutbar“, „persönlichen Lebensumstände“, „angemessener Lebensunterhalt“, „wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs“, „allgemeine Lebensumstände“) ist es damit letztlich „Sache der Erfahrung des Richters und seiner verständnisinnigen Beurteilung der beiderseitigen Verhältnisse“589, den richtigen Ausgleich zwischen den Vertragsparteien zu finden. Diese bereits vom Reichsgericht im Zusammenhang mit der Lehre von der „clausula rebus sic stantibus“ beschriebene einzelfallbezogene Abwägungsaufgabe des Erkenntnisrichters hat auf diese Weise in Art.  240 §  1 Abs.  3, Art.  240 §  3 Abs.  6 und Art.  240 §  5 Abs.  5 Nr.  1 EGBGB eine ausdrückliche Regelung erfahren. 588  Vgl. BVerfGE 97, 350, 371 = NJW 1998, S.  1934, 1936, zum Schutz geldwerter Forderungen durch Art.  14 Abs.  1 S.  1 GG. 589  RGZ 100, 129, 133.

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Damit kann festgehalten werden: Weder aus prozessualen Vorschriften noch aus Sondergesetzen lässt sich für den Erkenntnisrichter eine den Vollstreckungsorganen vergleichbare Befugnis ableiten, die es ihm ermöglichen würde, einer bedürftigen Vertragspartei von Amts wegen ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit zu sichern. Die Frage des Freiheitsschutzes liegt – solange sich das private Rechtsverhältnis in der Erkenntnisinstanz befindet – allein in der Hand der Prozessparteien. Nur sie können die Zahlungsverpflichtung im Wege einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits in einem Prozessvergleich zugunsten einer bedürftigen Vertragspartei modifizieren. Um diesen muss sich der Tatrichter zwar bemühen (§  278 Abs.  1 ZPO),590 erzwingen kann er ihn jedoch nicht. 2. Verknüpfung von finanzieller Bedürftigkeit und Schuld Wie stellt sich nun die Situation jenseits der dargestellten Sondergesetze und für den Fall dar, dass die bedürftige Vertragspartei ausdrücklich den Schutz ihrer wirtschaftlichen Freiheit begehrt? Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass ein erfolgreicher Angriff gegen das „Leistensollen“ oder – synonym – die Schuld591 prinzipiell eine vergleichbare freiheitsschützende Wirkung entfalten kann wie die Beschränkung des Vollstreckungsanspruchs im Haftungsstadium. Der Grund für diesen Gleichlauf liegt darin, dass Schuld und Haftung eine „organische Einheit“592 bilden. Die Schuld gibt nicht nur vor, wann die Haftung durch Erfüllung entfällt. Sie bestimmt auch, wann die Leistungspflicht nicht erfüllt und demnach zu haften ist. Treffend wird die Haftung daher auch als ein „Schatten der Schuld“593 bezeichnet. Hat man dieses Bild vor Augen, ist leicht erkennbar, dass man die wirtschaftliche Freiheit eines Schuldners nicht erst dann sichern kann, wenn der Gläubiger seine Geldforderung auf Kosten des Schuldnervermögens vollstreckt. Es ist ebenso gut möglich, dass bereits der Richter des Erkenntnisverfahrens – um es bildlich zu sagen – am lichtabschirmenden Objekt, ergo an der materiellrechtlichen Schuld, ansetzt, um der bedürftigen Partei ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit zu belassen. 590  Zum Vergleichsdruck durch richterliches Verhalten, vgl. Egli, Vergleichsdruck im Zivilprozeß, 1996, S.  70 ff. (zum Schweizer Recht). 591  Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältniss nach deutschem Reichsrecht, 1903, S.  17; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  90; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  1; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S.  30; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  29; Olzen, in: Staudinger, BGB, 2019, Einl. zu §  241 Rn.  239; Ernst, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, Einl. SchuldR Rn.  33 f.; Mansel, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  241 Rn.  18. Zur Etymologie und Phänomenologie des Begriffs „Schuld“ vgl. Hien, JA 2019, S.  481, 482. 592  Kunkel, Römisches Privatrecht, 2.  Aufl. 1935, S.  61 (Fn.  2). Zur Haftung als Komplementärbegriff zur Schuld vgl. Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S.  30 ff. 593  Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 21.  Aufl. 2015, Rn.  19; ebenso Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S.  31.

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Dass ein solches Vorgehen keine rein akademische Übung ist, zeigt eine Entscheidung des Landgerichts Lübeck594 aus dem Jahr 1986. Sie erging zu einem Ratenkreditvertrag, der von zwei einkommensschwachen sowie vermögens­ losen Darlehensnehmern abgeschlossen worden war. Das Gericht qualifizierte seinerzeit den Vertrag als gemäß §  138 Abs.  1 BGB sittenwidrig und damit als nichtig, weil die geschuldeten monatlichen Zahlungsraten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Darlehensnehmer – welche die Kammer mithilfe der Vollstreckungsschutznorm des §  850c ZPO konkretisierte – überstiegen und dem Darlehensgeber dieser Umstand bekannt war. Zur Begründung verwies das Landgericht auf die Menschenwürde (Art.  1 Abs.  1 GG) sowie auf das Sozialstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  1, 28 Abs.  1 GG). Hieraus lasse sich – so das Gericht – die grundlegende Vorstellung ableiten, dass der Staat den Einzelnen vor materieller Not schützen müsse. Diese gegenüber dem Einzelnen bestehende Schutz- und Fürsorgepflicht sei nicht erst im Zusammenhang mit der Vollstreckung der Geldforderung, sondern bereits bei der Prüfung des §  138 Abs.  1 BGB zu berücksichtigen. Zwar könnten – so räumte das Gericht ein – die §§  811 ff., 850 ff. ZPO „als zwingende öffentlichrechtliche Schranken der Vollstreckung“595 keinen unmittelbaren Maßstab für die Bewertung privatrechtlich begründeter Zahlungsverpflichtungen darstellen. Gleichwohl könnten sie im Hinblick darauf, dass sie einen engen Konnex zu tragenden Wertvorstellungen unserer Rechtsordnung hätten, die auch in die Privatrechtsordnung hineinstrahlten, zumindest einen zuverlässigen Anhaltspunkt dafür geben, welcher Grad an finanzieller Belastung für eine Vertragspartei generell noch tragbar sei. Für das Landgericht Lübeck war es dementsprechend nicht einzusehen, „warum der Staat erst bei der Vollstreckung darauf achten soll, daß dem Schuldner das zum Leben Notwendige verbleibt. Vielmehr zwingen die vorgenannten in §  850c ZPO zum Ausdruck gekommenen verfassungsrechtlichen Schutzpflichten den Staat (in diesem Fall die Gerichte), bereits im Vorfeld beim Eingehen entsprechender Verpflichtungen tätig zu werden.“596

Die Schlussfolgerung lautete somit, dass solchen Verträgen die rechtliche Anerkennung zu versagen sei, in denen sich der Schuldner zu monatlichen Leistungen verpflichtet, die über dem pfändungsfreien Betrag liegen.597 Es wird nicht überraschen, dass diese Entscheidung des Landgerichts Lübeck im Schrifttum kritisch aufgenommen wurde.598 Bevor auf einige dieser Kritikpunkte näher eingegangen wird, soll das Kernproblem der skizzierten Entscheidung benannt werden. Es liegt in der Verknüpfung von materieller Schuld und mangelnder Leistungsfähigkeit, und zwar nicht zum Schutz des anderen Teils (hierfür ste594 

LG Lübeck, NJW 1987, S.  959. LG Lübeck, NJW 1987, S.  959, 960. 596  LG Lübeck, NJW 1987, S.  959, 960. 597  LG Lübeck, NJW 1987, S.  959, 960. 598  Vgl. die Nachweise bei Schwintowski, ZBB 1989, S.  91 (Fn.  5). 595 

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hen §  321 BGB und §  490 BGB bereit), sondern der bedürftigen Partei. Kann sich die finanzielle Bedürftigkeit in diesem Fall auf das Leistensollen auswirken? Zur Beantwortung dieser Frage ist wichtig zu sehen, dass mit ihr zwei unterschiedliche Problemkreise angesprochen werden, die zwar nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, aber sorgfältig auseinandergehalten werden müssen. Der erste betrifft die „vorkonsensuale Phase“599 und das insoweit virulente Pro­blem, inwiefern eine bereits zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen bestehende wirtschaftliche Mangelsituation die persönliche Fähigkeit zur selbstbestimmten Entscheidung beeinträchtigt. Weil es damit um die personale Sphäre einer Vertragspartei geht, wird diese erste Verbindung von finanzieller Bedürftigkeit und Schuld erst im Zusammenhang mit den personenbezogenen Instrumenten thematisiert. 600 Zunächst soll das naheliegende und in der Literatur wiederholt diskutierte Problem betrachtet werden, dass die bedürftige Partei nicht (mehr) über ausreichend Geld verfügt, um eine vertragliche Forderung zu erfüllen. Das Augenmerk richtet sich damit auf einen grundlegend anderen Aspekt, nämlich auf die Vertragsfolgen und eine hieraus resultierende wirtschaftliche Freiheitsbeschränkung des Schuldners aufgrund einer finanziellen Überforderung. Allein diese zweite Verbindung von mangelnder Leistungsfähigkeit und Schuld rückte das Landgericht Lübeck in seiner eben skizzierten Entscheidung in den Fokus, denn es stützte das Verdikt der Sittenwidrigkeit letztlich darauf, dass die Beklagten durch ihre vertragliche Verpflichtung in eine Situation geraten seien, bei der ihre wirtschaftliche Selbstbestimmung in das „Eigentum“ der anderen Vertragspartei übergegangen sei. 601 Die Frage, wie sich die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende wirtschaftliche Mangelsituation auf die Fähigkeit der Beklagten zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung ausgewirkt hat, spielte indes keine Rolle. Auch im Folgenden soll sich der Blick zunächst auf die Vertragsfolgenseite verengen und beantwortet werden, inwiefern im Fall einer privatautonom herbeigeführten finanziellen Überforderung Raum für eine richterliche Durchbrechung des Grundsatzes der Selbstverantwortung ist. Als „Einbruchstelle“ für diese Verantwortungsverlagerung kommen zuallererst die sogenannten Generalklauseln in Betracht, in erster Linie also §  138 BGB und §  242 BGB. Ferner ist an den Rechtsbegriff der Unmöglichkeit zu denken, der gleichfalls empfänglich für die Frage ist, ob die Leistungspflicht einer bedürftigen Vertragspartei aufgrund eines „finanziellen Unvermögens“602 entfällt. Eine weitere Möglichkeit besteht schließlich in der Berücksichtigung der (drohenden) Existenzvernichtung im Zusammenhang mit einer Grundlagenstörung. Dieses vielfältige Arsenal normativer Anknüpfungspunkte soll nun im Rahmen einer Wirksam599 

Lorenz, NJW 1997, S.  2578. Vgl. §  10 B. 601  LG Lübeck, NJW 1987, S.  959, 962. 602  Huber, Leistungsstörungen, Band 1, 1999, S.  627. 600 

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keits- und Ausübungskontrolle des schuldbegründenden Vertrags abgeschritten werden. 3. Sittliche Gleichgültigkeit gegenüber finanzieller Überforderung Die dauernde Inanspruchnahme des gesamten pfändungsfreien Einkommens zur Erfüllung einer Geldforderung geht mit einem weitreichenden Verlust der Freiheit für wirtschaftliche Entschlüsse einher und raubt dem Schuldner die Motivation, sich in Wirtschaft und Gesellschaft produktiv zu engagieren. 603 Anders gewendet und mit einer treffenden Formulierung des Reichsgerichts gesagt: Es kommt zu einer „Lähmung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit“604. Dieser Befund gilt umso mehr, wenn die pfändbaren Einkünfte nicht einmal zur Tilgung der Verzugszinsen genügen, sodass die Schuld trotz regelmäßiger Zahlung kontinuierlich steigt und der Schuldner damit – pointiert formuliert – „faktisch zum finanziellen Sklaven des Gläubigers“605 wird. Weil der Generalklausel des §  138 Abs.  1 BGB unter anderem die Aufgabe zugesprochen wird, die wirtschaftliche Selbstständigkeit und individuelle Freiheitssphäre der Vertragskontrahenten zu schützen,606 was vor allem in der Fallgruppe der Rechtsprechung zu sogenannten Knebelungsverträgen zum Ausdruck kommt,607 liegt es nahe, ein Rechtsgeschäft, das zum Leben am Rand der Pfändungsfreigrenzen zwingt, als „Schuldnerknebelung“608 zu bewerten und es einer Wirksamkeitskontrolle anhand des §  138 Abs.  1 BGB zu unterziehen. Da nun allerdings jeder Vertragsschluss unweigerlich dazu führt, dass die künftigen Selbstbestimmungsoptionen durch Selbstbindung beschnitten werden,609 was schlicht mit dem Umstand zusammenhängt, dass jede menschliche Entscheidung die Matrix des verbleibenden Freiheitsraums verändert, 610 kann es bei dieser Ver603  Vgl. BGH, NJW 1989, S.  1665, 1666; Honsell, JZ 1989, S.  494, 496; Wagner, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  828 Rn.  18. 604  Vgl. RGZ 130, 143, 145. 605 So Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  385, im Zusammenhang mit der Bürgschaftsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts. 606  OLG Frankfurt a. M., NJW 1967, S.  1043; Honsell, JZ 1989, S.  494, 496; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  375 ff.; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 40; Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  113. 607  Vgl. etwa BGH, NJW 2009, S.  1135, 1136. 608 Vgl. Honsell, JZ 1989, S.  494, 496. 609 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.   Band, 4.  Aufl. 1992, S.  370; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  103: „immanente Bindung individueller vertraglicher Selbstbestimmung“; Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  165, 179: „Vertragliche Selbstbindung bedeutet zukunftswirksame Festlegung“; Rademacher/Schulze, in: Heidel et al., BGB AT, EGBGB, 4.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  7. 610 Treffend Gutmann, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.  27, 49: „Die Ausübung von Autonomie schließt Freiheitsräume, und die ‚Wahl des eigenen

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tragskontrolle nur auf die Intensität der durch den Vertrag hervorgerufenen Beschränkung ankommen, sodass die richtige Frage lautet: Begründet ein Rechtsgeschäft allein deshalb eine als sittenwidrig zu qualifizierende „übermäßige Bindung“611, weil es zu einer finanziellen Überforderung führt?612 Was den guten Sitten entspricht und was ihnen zuwiderläuft, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. In einer sich stetig fortentwickelnden, pluralistischen Gesellschaft wie der unsrigen kann man die Phrase „gegen die guten Sitten“ auch nicht in eine allgemeingültige Definition überführen. 613 Gleichwohl ist die bereits in den Motiven zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich zu findende und von der Rechtsprechung übernommene Formulierung zum „Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden“614 keine „klassische Leerformel“615. Sie ist zwar als solche nicht subsumtionsfähig, weil man aus ihr nicht unmittelbar ableiten kann, ob ein konkretes Verhalten mit den guten Sitten vereinbar ist oder nicht. 616 Allerdings ist sie für eine inhaltliche Präzisierung des Rechtsbegriffs der guten Sitten insoweit von Wert, als sie verdeutlicht, dass nicht die persönlichen Gefühle einer einzelnen Person und daher auch nicht des jeweils zur Entscheidung berufenen Richters den Rechtsbegriff der guten Sitten mit Leben füllen.617 Zudem zeigt das Wort „AnstandsLebens‘ grenzt mein Leben von der Vielzahl möglicher anderer relevanter Lebensentwürfe ab. Das ist Sinn von Entscheidungen.“ [Hervorhebung im Original]. 611  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  370 [Hervorhebung hinzugefügt]. 612  Zur Ansicht, dass ein Rechtsgeschäft allein aufgrund der objektiven Umstände sittenwidrig sein kann, ohne dass ein subjektiver Tatbestand hinzukommen muss, vgl. BGHZ 94, 268, 272 = NJW 1985, S.  2405, 2406: „Rechtsgeschäfte, die schon nach ihrem objektiven Inhalt sittlich-rechtlichen Grundsätzen widersprechen, sind ohne Rücksicht auf die Vorstellungen der das Rechtsgeschäft vornehmenden Personen nichtig […].“; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  373; Eckert, AcP 199 (1999), S.  337, 350 f.; Fischinger, in: Staudinger, BGB, 2021, §  138 Rn.  146 f.; Looschelders, in: Heidel et al., BGB AT, EGBGB, 4.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  95 m. w. N. 613  Dazu BGHSt 60, 166, 178 = NJW 2015, S.  1540, 1542, zu §  2 28 StGB: „[D]ie Ermittlung von allgemein gültigen moralischen Maßstäben erweist sich in einer pluralistischen Gesellschaft als nicht unproblematisch.“ 614  RGZ 80, 219, 221; BGHZ 10, 228, 232 = NJW 1953, S.  1665; BGHZ 69, 295, 297 = NJW 1977, S.  2356, 2357. Vgl. auch die Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 2, 1888, S.  727 (Erörterung zu §  826 BGB) nach denen ein Verstoß gegen die guten Sitten dann gegeben ist, wenn die Handlungsweise „den in den guten Sitten sich ausprägenden Auffassungen und dem Anstandsgefühle aller billig und gerecht Denkenden widerspricht“. 615  Wagner, in: MünchKommBGB, 8.   Aufl. 2020, §  826 Rn.  10; ähnlich Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  26 („leerformelartiger Charakter“); weitere Nachweise dazu bei Mayer-Maly, AcP 194 (1994), S.  105, 106 (Fn.  7). 616 Vgl. Sack, NJW 1985, S.  761, 764. 617  Dazu bereits RGZ 80, 219, 221: „in der Übung zutage tretenden Empfindungen der Volksgenossen“. Pointiert insoweit auch Baumbach, Wettbewerbsrecht, 1.  Aufl. 1929, S.  175: „Kein Richter, und sei er noch so tüchtig, darf sich anmaßen, einen ausgedehnten fremden Berufskreis darüber zu belehren, was für ihn anständig ist.“; Schmidt, Zivilrechtlicher

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gefühl“ in der Umschreibung der guten Sitten, dass der Maßstab beweglich ist. 618 Denn Gefühle unterliegen vielfältigen Einflüssen und sind dementsprechend wandelbar619 – ein Umstand, der bereits im Zusammenhang mit dem im ersten Kapitel dieser Schrift vorgestellten „Zufriedenheitsdilemma“ eine Rolle gespielt hat. 620 Weil das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zwar seinen Niederschlag in der Rechtsordnung gefunden hat, aber dort niemals vollständig formalisiert sein kann, macht die traditionelle Umschreibung in der Judikatur schließlich deutlich, dass bei der Ermittlung des von den guten Sitten Zugelassenen neben den tragenden Rechtsgedanken und Rechtsprinzipien, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden,621 auch die in unserer Gesellschaft bestehende moralische und damit außerrechtliche „Sollensordnung“ einzubeziehen ist.622 Geht man von dieser Konkretisierung der „guten Sitten“ aus, dann lässt sich die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts nicht allein mit der finanziellen Überforderung einer Vertragspartei begründen. Denn diese durch ein Rechtsgeschäft herbeigeführte Folge konfligiert weder mit der „im Recht selbst formulierten Sittlichkeit“623 noch mit der außerrechtlichen Sollensordnung. Im Einzelnen: a) Bedeutung des gesetzlichen Pfändungsschutzes Das primäre Anliegen der auf die guten Sitten gestützten Rechtsprechung des Landgerichts Lübeck war es, den bedürftigen Vertragsparteien – einem tragenden Rechtsgedanken des gesetzlichen Pfändungsschutzes entsprechend – ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit zu belassen. Die erste Frage lautet somit: Wird die vom Landgericht in den Blick genommene freiheitsgewährleistenGrundkurs für Studienanfänger, 2.  Aufl. 1977, S.  73; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  364, der davon spricht, dass der Maßstab ein Objektivum ist; ebenso Eckert, AcP 199 (1999), S.  337, 346. Auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  370, betont, dass es nicht auf eine individuelle moralische Einschätzung ankommen könne. A. A. Sack, NJW 1985, S.  761, 764, der darauf hinweist, dass die Sittenwidrigkeitsklauseln die Aufforderung an den Richter seien, „im konkreten Einzelfall eine nach seinem – durch Herkunft, Bildung und Ausbildung geprägten – Anstandsgefühl billige und gerechte Entscheidung zu treffen.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Auch Fischinger, in: Staudinger, BGB, 2021, §  138 Rn.  60, sieht in der Richterschaft die Repräsentanten der gerecht und billig Denkenden. 618 Dazu Eckert, AcP 199 (1999), S.  337 ff. m. w. N. in Fn.  1. 619  Zur Dynamik des Sittenwidrigkeitsmerkmals vgl. etwa Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  372 f. 620  Vgl. §  2 D. I. 621 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.   Band, 4.  Aufl. 1992, S.  366; Eckert, AcP 199 (1999), S.  337, 348; Looschelders, in: Heidel et al., BGB AT, EGBGB, 4.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  40. 622  In diesem Sinne Arzt, Die Ansicht aller billig und gerecht Denkenden, 1962, S.  39; Sack, NJW 1985, S.  761, 765 ff.; Eckert, WM 1987, S.  945, 946; Eckert, AcP 199 (1999), S.  337; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  369 f.; Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  21 m. w. N. in Fn.  80. 623  In Anlehnung an die Formulierung von Eckert, AcP 199 (1999), S.  337, 348.

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de Dimension der Pfändungsbeschränkungen durch ein Rechtsgeschäft, das die finanzielle Überforderung einer Vertragspartei herbeiführt, überhaupt berührt? Das ist zu verneinen, denn die Verfügbarkeit der Güter, mit deren Hilfe wirtschaftliche Freiheit generiert werden kann, wird durch die bloße Begründung einer materiellen Schuld nicht eingeschränkt. Hinzu kommt, dass sich der in den §§  811 ff. und §§  850 ff. ZPO angelegte freiheitschützende Rechtsgedanke auf einen ganz konkreten Zeitraum bezieht, nämlich auf denjenigen, in dem das Schuldnervermögen dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist. Erst in dieser Situation entfaltet sich der im gesetzlichen Pfändungsschutz verankerte Freiheitsschutz und die damit einhergehende Konzentration auf die Person des Schuldners. Jede Einbindung des Gedankens der Freiheitssicherung in die Sittenwidrigkeitsprüfung würde nichts anderes bedeuten, als den Blick im Erkenntnisverfahren auf die wirtschaftliche Freiheit einer Partei zu verengen und damit die Belange der anderen Partei außer Acht zu lassen. 624 Auch die vollstreckungsrechtliche Wertentscheidung, die Allgemeinheit nicht mit den Kosten der Freiheitssicherung des Schuldners zu belasten, spielt im Fall des finanziell überfordernden Rechtsgeschäfts keine Rolle. Das aus den Diskussionen zur Sittenwidrigkeit eines „Bedürftigentestaments“625 und des Pflichtteilsverzichts eines (nicht behinderten) Sozialleistungsempfängers626 sowie eines ehevertraglichen Unterhaltsverzichts, mit dessen Hilfe ein Anspruch 624  Dieses Problem hat wohl auch J. Eckert im Blick, wenn er in seiner Besprechung der oben erwähnten Entscheidung des Landgerichts Lübeck resümiert, die Kammer sei „parteiisch geworden“, weil sie allein auf das Schutzbedürfnis der Schuldner abgestellt und die Belange der Bank gänzlich außer Acht gelassen habe, vgl. Eckert, WM 1987, S.  945, 947. Die Ansicht, das Landgericht Lübeck habe mit seiner Entscheidung seine Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt, wird an diese Stelle nicht geteilt. Denn eine im Urteilsspruch enthaltene Bewertung der Rechtslage kann – selbst, wenn sie inhaltlich falsch sein sollte – kein Ausdruck der Parteilichkeit sein, solange sie nicht auf sachfremden Gesichtspunkten beruht oder sich als reine Willkürentscheidung darstellt. In diesem Sinne zu richterlichen Hinweisen und Äußerungen im Rahmen der Prozessleitung BGH, BeckRS 2002, 04726; OLG Hamm, BeckRS 2018, S.  7849. 625  Unter den Begriff des „Bedürftigentestaments“ werden testamentarische Gestaltungen gefasst, mit deren Hilfe ein Sozialleistungsempfänger aus dem Nachlass nicht anrechenbare Vermögensvorteile erhalten soll. Als Gestaltungsinstrumente bieten sich hierfür an die Einsetzung des Sozialleistungsempfängers als nicht befreiter Vorerbe, verbunden mit eine Dauertestamentsvollstreckung nach §  2209 BGB, vgl. Kössinger/Zintl, in: Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 6.  Aufl. 2020, §  21 Rn.  121. Für die Sittenwidrigkeit eines Bedürftigentestaments SG Dortmund, ZEV 2010, S.  54 ff.; anders BSG, ZEV 2015, S.  484, 487. 626 Die Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts durch einen behinderten Sozialleistungsempfänger verneinend BGHZ 188, 96 = NJW 2011, S.  1586 ff. Zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf den nicht behinderten Sozialleistungsbezieher vgl. Dreher/Görner, NJW 2011, S.  1761, 1766; Leipold, ZEV 2011, S.  528, 529; Kössinger/Zintl, in: Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 6.  Aufl. 2020, §  21 Rn.  120a. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, ob eine Anspruchskürzung bei Bezug von Arbeitslosengeld II (vgl. §§  31a, 31b SGB II) bzw. bei Sozialhilfebezug (vgl. §  26 SGB XII) zu erwarten ist.

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auf staatliche Transferleistungen begründet werden soll,627 bekannte Argument passt auf den hier interessierenden Fall deshalb nicht, weil eine privatautonom herbeigeführte finanzielle Überforderung zu keiner Belastung der öffentlichen Hand führt. Dies folgt aus dem Umstand, dass bei der sozialrechtlichen Hilfebedürftigkeitsprüfung die Berücksichtigung von schuldrechtlichen Verbindlichkeiten nicht vorgesehen ist. Die Bezugsgrößen der Hilfebedürftigkeit bilden das Einkommen und das Vermögen (§§  11 bis 11b und §  12 SGB II), denn nach §  9 Abs.  1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderer Seite erhält. Gleiches gilt für die sozialhilferechtliche Hilfe zum Lebensunterhalt (§   19 Abs.   1 SGB  XII) sowie die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§  19 Abs.  2 SGB XII). Als Einkommen sind alle „Einnahmen in Geld“ zu berücksichtigen, soweit diese als „bereite Mittel“628 zur Verfügung stehen. Weil eine materielle Schuld nichts an der erforderlichen „Bereitschaft“ der Mittel ändert, können vertragliche Zahlungsverbindlichkeiten nicht vom Einkommen abgezogen werden. 629 Eine Ausnahme sieht lediglich §  11b Abs.  1 S.  1 Nr.  7 SGB II für gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen vor. Schließlich wirkt sich eine materielle Schuld auch nicht auf das einzusetzende Vermögen aus (§  12 SGB II bzw. §  90 SGB XII), 630 denn bei der Vermögensbewertung ist lediglich die Summe aller vorhandenen aktiven Vermögenswerte zu berücksichtigen. Maßgeblich ist also nicht die Bilanz aus aktiven und passiven Vermögenswerten. 631 Dass schuldrechtliche Verbindlichkeiten unberücksichtigt bleiben, ist sachgerecht, weil anderenfalls eine aus Steuermitteln finanzierte Fürsorgeleistung zur Tilgung privater Schulden eingesetzt werden könnte. Das ist aber grundsätzlich nicht die Aufgabe des Sozialleistungsrechts. 632 Nur ausnahmsweise ordnet das Gesetz etwas anderes an, weil die Schuldenübernahme – wie dies etwa bei der Übernahme von Mietschulden der Fall ist (§  22 Abs.  8 SGB II633, §  36 Abs.  1 627  Vgl. etwa BGHZ 86, 82, 88 = NJW 1983, S.  1891; BGH, NJW 1992, S.  3164; BGH, NJW 2007, S.  9 04; BGH, NJW 2009, S.  842. 628 Zum Einkommensbegriff des §   11 Abs.  1 S.  1 SGB II vgl. Schmidt, in: Eicher/Luik/ Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  11 Rn.  18, 25; zum Einkommensbegriff des §  82 Abs.  1 SGB XII vgl. Giere, in: Grube et al., SGB XII, 7.  Aufl. 2020, §  82 Rn.  34; jeweils m. w. N. 629 Vgl. BSG, BeckRS 2009, 53657: „Zahlungen zur Tilgung von Schulden können im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich nicht vom Einkommen abgesetzt werden.“ 630  Lange, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  12 Rn.  19. 631  BSG, BeckRS 2010, 69197 (zu §  12 SGB II); Giere, in: Grube et al., SGB XII, 7.  Aufl. 2020, §  9 0 Rn.  20. 632  Instruktiv BVerwGE 20, 188, 191 f. = BeckRS 1965, 30429221: „Aus dem Grundsatz, daß die tatsächliche Lage des Hilfsbedürftigen Ausgangspunkt für die Hilfeleistungen ist, folgt andererseits der Grundsatz, daß es nicht Aufgabe der Sozialhilfe ist, bestehende Verbindlichkeiten des Hilfsbedürftigen abzudecken.“; BVerwGE 55, 148, 152 f. = BeckRS 1977, 30426867; BVerwGE 66, 335, 338 = BeckRS 1983, 30428186. 633  Hier handelt es sich allerdings gemäß §  2 2 Abs.  8 S.  4 SGB II regelmäßig nur um eine

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SGB XII) – im öffentlichen Interesse liegt. Im Übrigen werden Verbindlichkeiten nur im Zusammenhang mit dem sozialrechtlichen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung relevant (§  16a Abs.  2 Nr.  2 SGB II). b) Problem der potenziellen Gütermehrung Hinzu kommt ein weiterer Einwand. Wird unter Hinweis auf die tragenden Rechtsgedanken des gesetzlichen Pfändungsschutzes die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts bewirkt, so konfligiert dies mit einer anderen, dem Gläubiger­ interesse dienenden einfachgesetzlichen Wertung der Einzelzwangsvollstreckung. Diese lautet: Der Vollstreckungsschutz endet, sobald der Schuldner keines Schutzes mehr bedarf. Verbessert sich seine Einkommenssituation oder erhält er Geldleistungen oder eine finanzielle Entlastung durch Dritte, so kann der Gläubiger auf der Grundlage seines Titels auf die erworbenen Güter im Wege einer erneuten Vollstreckung zugreifen. Ihm steht im Rahmen der dreißigjährigen Titelverjährungsfrist (§  197 Abs.  1 Nr.  3 BGB) ein „Nachforderungsrecht“ zu. Anders gewendet: Führt die Einzelzwangsvollstreckung aufgrund des gesetzlichen Pfändungsschutzes nicht zum Erfolg, so ist sein Vollstreckungstitel dadurch nicht „verbraucht“. 634 Das markiert einen wesentlichen Unterschied zur Gesamtvollstreckung, wo mit dem Institut der Restschuldbefreiung das freie Nachforderungsrecht zwar nicht aufgehoben, aber eingeschränkt wird. 635 Auf die Möglichkeit des Gläubigers, nach einer fruchtlosen Pfändung erneut zu vollstrecken, wird sogleich zurückzukommen sein. An dieser Stelle ist zunächst entscheidend, dass dem Gläubiger der dargestellte vollstreckungsrechtliche Weg nicht offensteht, wenn seine Klage aufgrund von Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts bereits in der Erkenntnisinstanz abgewiesen wird. 636 Dieses Problem lässt sich mit der Generalklausel des §  138 Abs.  1 BGB auch nicht in den Griff bekommen, denn nach zutreffender Meinung beurteilt sich die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nach den Verhältnissen im Zeitpunkt seiner Vornahme. 637 Tritt nach Abschluss des Rechtsgeschäfts eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Schuldners ein, so ändert sich zwar der die Sittenwidrigkeit tragende Sachverhalt, das Rechtsgeschäft bleibt jedoch nichtig, sodass der Gläubiger keinen vollstreckbaren Titel (§  704

darlehensweise Übernahme der Schulden durch die öffentliche Hand (anders der Wortlaut des §  36 Abs.  1 S.  3 SGB XII: Beihilfe oder Darlehen). 634 Vgl. Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, Vorb. §  286–303a Rn.  5. 635  Stephan, in: MünchKommInsO, 4.  Aufl. 2020, vor §  286 Rn.  5. 636  Eckert, WM 1987, S.  945, 949; Medicus, ZIP 1989, S.  817, 823. 637  Vgl. nur BGHZ 107, 92, 100 = NJW 1989, S.  1276, 1277; BGH, NJW 2002, S.  744, 745; BGH, NJW 2018, S.  3637, 3638. Einen Überblick über den Meinungsstand zum maßgeblichen Zeitpunkt bieten Eckert, AcP 199 (1999), S.  337, 339 ff.; Fischinger, in: Staudinger, BGB, 2021, §  138 Rn.  131; Looschelders, in: Heidel et al., BGB AT, EGBGB, 4.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  122 ff. jeweils m. w. N.

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ZPO) erlangen kann. 638 Auch für eine flexible Lösung im Sinne der Abweisung einer Zahlungsklage als derzeit unbegründet, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners günstig entwickeln, ist auf der Grundlage des §  138 Abs.  1 BGB kein Raum. Eine solche Verurteilung könnte allenfalls mithilfe der Generalklausel des §  242 BGB konstruiert werden, denn die Rechtsfolge des §  138 Abs.  1 BGB ist die Nichtigkeit und nicht nur eine vorübergehende Undurchsetzbarkeit. Die Problematik der potenziellen Gütermehrung ist auch im Zusammenhang mit der Frage spielentscheidend, ob aus der in §  311b Abs.  2 BGB verankerten Wertung die Sittenwidrigkeit eines finanziell überfordernden Vertrags abzuleiten ist. 639 Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ist ein Vertrag nichtig, durch den sich der eine Teil verpflichtet, sein künftiges Vermögen oder einen Bruchteil seines künftigen Vermögens zu übertragen oder mit einem Nießbrauch zu belasten. Durch die angeordnete Nichtigkeitsfolge soll die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit geschützt640 und verhindert werden, „daß jemand sich gewissermaßen seiner Erwerbsfähigkeit begibt und damit zugleich allen Antrieb zum Erwerbe verliert“641. Auf den ersten Blick liegt es nahe, die Sittenwidrigkeit eines finanziell überfordernden Rechtsgeschäfts auf den Rechtsgedanken des §  311b Abs.  2 BGB zu stützen. Schließlich geht – worauf bereits hingewiesen wurde – mit der dauernden Inanspruchnahme des gesamten pfändungsfreien Einkommens ein erheblicher Verlust an wirtschaftlicher Handlungsfreiheit einher. Auf den zweiten Blick erkennt man jedoch, dass die einfachgesetzliche Wertung dieser Vorschrift nicht auf die Begründung von Zahlungsverpflichtungen übertragen werden kann. 642 Denn §  311b Abs.  2 BGB ordnet die Nichtigkeitsfolge nur für solche schuldrechtlichen Verträge an, die zur Übertragung des künftigen Vermögens oder von Bruchteilen desselben verpflichten, d. h. zu Handlungen, welche die unmittelbare Änderung der dinglichen Rechtslage zur Folge haben. Zwar könnte man argumentieren, auch das Eingehen einer Zahlungsverbindlichkeit müsse als eine derartige Handlung qualifiziert werden, 638 

Medicus, ZIP 1989, S.  817, 823. Zur Berücksichtigung der Wertung des §  311b Abs.  2 BGB im Rahmen des §  138 Abs.  1 BGB vgl. BGH, NJW 1989, S.  1665, 1666; LG Münster, NJW 1990, S.  1668, 1671; Honsell, JZ 1989, S.  494, 496. Für eine analoge Anwendung des §  311b Abs.  2 BGB OLG Stuttgart, NJW 1988, S.  833, 835; Schwintowski, ZBB 1989, S.  91, 93 ff.; Grziwotz, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  311b Rn.  86. 640  Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 81.  Aufl. 2022, §  311b Rn.  57. 641  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 2, 1888, S.  186. 642  Im Ergebnis wie hier OLG Bamberg, ZIP 1988, S.   1247; OLG München, ZIP 1988, S.  1382; BGHZ 107, 92, 100 f. = NJW 1989, S.  1276, 1278; Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 502; Brandner, ZHR 153 (1989), S.  147, 157; Medicus, ZIP 1989, S.  817, 818; Westermann, ZHR 153 (1989), S.  123, 141 ff.; Westermann, JZ 1989, S.  744, 746; Geißler, JuS 1991, S.  617, 618; MayerMaly, AcP 194 (1994), S.  105, 155; Schumacher, in: Staudinger, BGB, 2018, §  311b Rn.  12; kritisch auch Däubler, in: FS Derleder, 2005, S.  39, 52 ff. 639 

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schließlich werde zu ihrer Erfüllung Geldvermögen übertragen. Zu bedenken ist jedoch, dass jede Zahlungsverbindlichkeit durch einen von den Parteien ziffernmäßig festgelegten Betrag der Höhe nach begrenzt ist. Die Geldschuld ist eine Betragsschuld. 643 Im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäfts kann daher noch niemand sagen, ob der Schuldner sein gesamtes künftiges Vermögen oder eine bestimmte Vermögensquote wird einsetzen müssen.644 Sein weiterer Lebensweg ist offen, sodass auch ein Liquiditäts- und Vermögenszuwachs nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Allein aus der Tatsache, dass eine besonders hohe Zahlungsverbindlichkeit begründet wurde, folgt nicht, dass der Schuldner die Geldverbindlichkeit nur unter Einsatz seines gesamten künftigen Vermögens begleichen kann. Dass ein Risiko hierfür besteht, genügt für das Verdikt der Sittenwidrigkeit nicht. 645 c) Schuldendruck von endlicher Dauer Der Umstand, dass es dem Gläubiger – wie eben erwähnt – nach einem fruchtlosen Pfändungsversuch grundsätzlich646 unbenommen bleibt, erneut zu vollstrecken, um an einer möglichen Gütermehrung des Schuldners zu partizipieren, zeigt, dass der aus einer finanziellen Überforderung resultierende Schuldendruck nicht durch den für einen Augenblick greifenden gesetzlichen Pfändungsschutz beseitigt wird.647 Weil die Kosten der Zwangsvollstreckung nach der allgemeinen Regel des §  788 Abs.  1 S.  1 ZPO vom Schuldner zu tragen sind und ebenfalls der dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegen (§  197 Abs.  1 Nr.  6 ZPO), besteht zudem die Gefahr, dass die Schuldenlast durch fruchtlose Vollstreckungsversuche weiter wächst. 648 Das dargestellte Szenario konfligiert jedoch weder mit dem obersten Konstitutionsprinzip der Würde des Menschen 643 

Simitis, AcP 159 (1960), S.  406, 443. NJW 1989, S.  1665, 1666; Westermann, JZ 1989, S.  744, 746; Kähler, AcP 206 (2006), S.  805, 822; Schumacher, in: Staudinger, BGB, 2018, §  311b Rn.  12. 645  Medicus, ZIP 1989, S.  817, 819, 823. Instruktiv hierzu auch BGHZ 107, 92, 98 = NJW 1989, S.  1276: „Die Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie läßt es zu, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die nur unter besonders günstigen Bedingungen erbracht werden können […].“ 646  Würde eine Pfändung dem Schuldner allerdings nur Schaden zufügen, ohne dass der Gläubiger auch nur teilweise befriedigt würde, ist an einen Missbrauch der Vollstreckung zu denken. In diesem Fall hilft dem Schuldner der richterliche Vollstreckungsschutz nach §  765a ZPO, vgl. dazu Heßler, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  765a Rn.  30 ff. 647  Frenz, JR 1994, S.  92, 94. 648  Lediglich in besonderen Ausnahmefällen kann das Vollstreckungsgericht die Kosten ganz oder teilweise dem Gläubiger auferlegen, „wenn dies aus besonderen, in dem Verhalten des Gläubigers liegenden Gründen der Billigkeit entspricht“ (§  788 Abs.  4 ZPO). Hierfür genügt allerdings nicht, dass der Gläubiger mit der Aussichtslosigkeit seiner Vollstreckung hätte Rechnung können. Erforderlich ist vielmehr ein Beharren des Gläubigers auf einer offensichtlich aussichtslosen, den Schutzinteressen des Schuldners zuwiderlaufenden Vollstreckungsmaßnahme, vgl. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  788 Rn.  54 m. w. N. 644 BGH,

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(Art.  1 Abs.  1 GG) 649 noch mit dem von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art.  2 Abs.  1 i. V. m. Art.  1 Abs.  1 GG). 650 Dies allerdings nicht deshalb, weil der finanziell überforderte Schuldner im Zuge der vertraglichen Vereinbarung den Eingriff in seine Grundrechte konzediert. 651 Für eine solche Preisgabe der Grundrechte müsste der Schuldner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses positiv wissen, dass ihn die Zahlungsverpflichtung zu einem Leben am Rand der Pfändungsgrenze zwingt. Das kann jedoch nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Schließlich gibt es auch Personen, die ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für einen längeren Zeitraum in der Zukunft nicht belastbar einschätzen können oder die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Überblick über ihre Vermögensverhältnisse verloren haben und aus diesem Grund Verbindlichkeiten eingehen, die objektiv jeder wirtschaftlichen Vernunft widersprechen. Entscheidend ist vielmehr, dass dem Schuldner ein prozessuales Instrumentarium zur Verfügung steht, mit dessen Hilfe er auch ohne Zustimmung der Gläubiger einem „lebenslänglichen Schuldendruck“652 sowie einem Leben auf dem bescheidenen Niveau der Pfändungsfreigrenzen entkommen kann. 653 Eine ausweglose finanzielle Überforderung, die einem Schuldner jegliche Zukunftsperspektive nimmt, gibt es aufgrund des Instituts der Restschuldbefreiung (§§  286 ff. InsO) nicht (mehr). 654 Und zwar auch nicht für die „Ärmsten der Armen“,655 denn zum einen wird das der Restschuldbefreiung notwendigerweise656 vorgeschaltete Insolvenzverfahren auch ohne Kostendeckung eröffnet (vgl. §  26 Abs.  1 S.  2 i. V. m. §  4a InsO) 657 und zum anderen kann im Verbraucherinsolvenzverfahren ein gerichtliches Schuldenbereinigungsplanverfahren (§  305 Abs.  1 Nr.  4 InsO) auf der Grundlage eines

649  Art.  1 Abs.  1 GG sehen berührt: Canaris, JZ 1987, S.  993, 1001; Frenz, JR 1994, S.  92; Däubler, in: FS Derleder, 2005, S.  39, 41; Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  165, 183; sowie, aus der Rechtsprechung, LG Bremen, NJW-RR 1991, S.  1432, 1434. 650  Dazu BVerfGE 72, 155, 167 = NJW 1986, S.  1859, 1860; BVerfGE 89, 214, 229 = NJW 1994, S.  36, 38; BGH, NJW 2015, S.  3029, 3030; Canaris, JZ 1987, S.  993, 1002. 651  So aber Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1, 12 f. 652  Frenz, JR 1994, S.  92, 93 [Hervorhebung hinzugefügt]; vgl. auch Brandner, ZHR 153 (1989), S.  147, 156; ähnlich Westermann, ZHR 153 (1989), S.  123, 124; Medicus, JuS 1999, S.  833, 835 („Schuldturm“); Looschelders, VersR 1999, S.  141, 145 („Schuldenfessel“). 653  Vgl. BT-Drs. 12/2443, S.  187 f. 654  Nach der früheren Konkursordnung konnten die Gläubiger, nachdem das Konkursverfahren beendet war, den ungedeckten Teil ihrer Forderung gegen den Schuldner wieder verfolgen (§  164 Abs.  1 KO, aufgehoben mit Wirkung zum 1.1.1999 durch Art.  2 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994, BGBl. I 1994, S.  2911). 655 So Wagner, in: MünchKommBGB, 8.   Aufl. 2020, §  828 Rn.  16; vgl. dazu auch Pape, ZRP 1993, S.  285, 290. 656  Zur Konzeption des Restschuldbefreiungsverfahrens als Fortsetzung des Insolvenzverfahrens vgl. Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, Vorb. §  286–303a Rn.  15 f., §  287 Rn.  5. 657 Dazu Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, Vorb. §  286–303a Rn.  17.

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„Null-Plans“ oder eines „Fast-Null-Plans“ durchgeführt werden. 658 Damit wird in der gerichtlichen Praxis auch völlig mittellosen Schuldnern der Zugang zum Restschuldbefreiungsverfahren eröffnet. 659 Dass dieses Verfahren mit gewissen Belastungen verbunden ist, die sich beispielweise aus den in den §§  287b, 295 InsO genannten Obliegenheiten ergeben, und die Befreiung erst nach Ablauf einer dreijährigen660 Entschuldungsfrist (genauer: „Enthaftungsfrist“, vgl. §  301 Abs.  1 und Abs.  3 InsO) eintritt, sodass der Schuldner noch für eine gewisse Zeit in seiner Überschuldungssituation verharren und Anstrengungen zur Schuldentilgung (vgl. §§  287 Abs.  2, 292 Abs.  1 S.  2 InsO) unternehmen muss, 661 führt zu keiner anderen Bewertung. Beides ist vielmehr Ausdruck der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, in den Regelungen der §§  286 ff. InsO die Schuldner- und Gläubigerinteressen auszutarieren. 662 Um Missverständnisse zu vermeiden, sei hier betont, dass damit nicht behauptet wird, die Möglichkeit der Restschuldbefreiung habe dem Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts die Grundlage entzogen. Dass eine Bürgschaft eines einkommens- und vermögenslosen Familienangehörigen trotz der Möglichkeit der Restschuldbefreiung weiterhin gegen die guten Sitten verstoßen kann,663 folgt daraus, dass die verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht nur die vertragsinhaltsbezogene Komponente, sondern auch – was sogleich näher erläutert werden soll – die exogene Störung der Entscheidungsfreiheit zum Gegenstand hat. Zur Herstellung materialer Vertragsfreiheit trägt die 658 

BGH, NJW-RR 2014, S.  118. Schnabl, WM 2006, S.  706, 709 f.; Wagner, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  828 Rn.  16; Vuia, in: MünchKommInsO, 4.  Aufl. 2020, §  305 Rn.  65 ff. 660  Gemäß §  287 Abs.  2 S.  1 i. V. m. §  300 Abs.  1 S.  1 InsO gilt für alle Verfahren, die ab dem 1.10.2020 (vgl. Art.  103k EGInsO) beantragt wurden, grundsätzlich eine Frist von drei Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach §  300 Abs.  1 S.  2 Nr.  2 InsO a. F. war eine Verkürzung auf drei Jahre nur dann möglich, wenn der Schuldner die Verfahrenskosten decken und die gegen ihn gerichteten Insolvenzforderungen mindestens zu 35 % befriedigen konnte. Die Änderung wurde durch Art.  2 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl. I 2020, S.  3328) vollzogen und dient der Umsetzung des Art.  21 Abs.  1 der Restrukturierungsrichtlinie 2019/1023/EU (Richtlinie 2019/1023/EU vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132, ABl. L 172 vom 26.6.2019, S.  18). Dabei geht der Gesetzgeber über die Vorgaben der Richtlinie hinaus und ordnet die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens nicht nur für unternehmerisch tätige Schuldner an, sondern erstreckt – wie von der Richtlinie empfohlen (siehe Erwägungsgrund Nr.  21) – den personellen Anwendungsbereich auch auf Verbraucher. Weiterführend Ahrens, in: FS Wimmer, 2017, S.  13, 23 f.; Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, Vorb. §  286–303a Rn.  28 ff. 661  Für einen „schnellen Entschuldungsmechanismus“, der das Restschuldbefreiungsverfahren ersetzt, plädiert etwa Madaus, JZ 2016, S.  548, 552, 553 ff. 662  Vgl. hierzu Pape, ZRP 1993, S.  285, 288; Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, Vorb. §  286–303a Rn.  11. 663  Im Ergebnis wie hier BGH, NJW 2009, S.  2671, 2673 f. m. w. N. in Rn.  29. 659 

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Möglichkeit der Restschuldbefreiung indes nichts bei. 664 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Folgen des Vertrags für den unterlegenen Vertragsteil nicht nur dann „ungewöhnlich belastend“ sein können, wenn sich durch sie die Gefahr einer lebenslangen Überschuldung realisiert. 665 d) Finanzielle Überforderung als Akt der Selbstbestimmung Wenn ein rechtsgeschäftlich herbeigeführter Zustand der finanziellen Überforderung nicht mit den tragenden Rechtsgedanken und Prinzipien der geltenden Rechtsordnung kollidiert, bleibt die Frage, ob er im Widerspruch zu einer herrschenden moralischen Anschauung steht. Auch das ist zu verneinen. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass „anständige Durchschnittsmenschen“666 eine objektiv bestehende finanzielle Überforderung als grundsätzlich anstößig bewerten. Dies aber sicherlich nur dann, wenn der entsprechende Zustand nicht aus freien Stücken, d. h. nicht selbstbestimmt gewählt wurde. Wer behauptet, allein eine „krasse finanzielle Überforderung“ – wie die bekannte Formel des Bundesgerichtshofs lautet667 – stehe im Widerspruch zu einer außerrechtlichen „Sittennorm“668 , blendet diesen wichtigen Unterschied aus. Damit wird einsichtig: Für die Frage, ob eine finanzielle Überforderung im Widerspruch zu einer außerrechtlichen „Sollensordnung“ steht, kommt es entscheidend darauf an, wie dieser Zustand herbeigeführt wurde. Maßgeblich ist, ob ihm ein Akt der Selbstbestimmung oder ein solcher der Fremdbestimmung zugrunde liegt. Den Gedanken, dass sich eine finanzielle Überforderung nicht als unsittlich darstellt, sofern dieser Zustand nur freiwillig gewählt wurde, bringt auch unsere Rechtsordnung an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. So ist das eben 664  Ähnlich die Argumentation des BGH, NJW 2009, S.  2671, 2674: „Es ist aber nicht der Zweck des langjährigen und komplizierten Restschuldbefreiungsverfahrens, Kreditinstitute, die versuchen, die offensichtliche Willensschwäche eines finanziell überforderten Ehepartners oder nichtehelichen Lebensgefährten des Hauptschuldners zur Durchsetzung ihrer vermeintlichen Interessen zu nutzen, vor der weitreichenden Nichtigkeitssanktion des §  138 I BGB zu bewahren.“ [Hervorhebung hinzugefügt]; Fountoulakis, in: Peer et al., Die soziale Dimension des Zivilrechts, 2004, S.  51, 74; Wagner, NJW 2005, S.  2956, 2958. 665  Zur Frage, wann von einer Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrags ohne finanzielle Überforderung des Bürgen auszugehen ist, vgl. Schnabl, WM 2006, S.  706, 708. 666  Zu diesem Referenzpunkt vgl. BGHZ 10, 228, 232 = NJW 1953, S.  1665: „Es sind vielmehr stets die besonderen Umstände des einzelnen Falles darauf zu prüfen, ob der Vertrag mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden übereinstimmt. Dabei sind vor allem die Anschauungen der in Betracht kommenden beteiligten Kreise, hier die der ehrbaren Kaufmannschaft, zu berücksichtigen, wobei das Durchschnittsmaß von Redlichkeit und Anstand zugrunde zu legen ist.“ [Hervorhebung hinzugefügt]; Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 45.  Aufl. 2021, S.  162 („anständiger Durchschnittsmensch“); Mansel, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  6. Kritisch Looschelders, in: Heidel et al., BGB AT, EGBGB, 4.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  38. 667  Zum Kriterium der „krassen finanziellen Überforderung“ vgl. etwa BGHZ 151, 34, 37 = NJW 2002, S.  2228, 2229; BGH, ZIP 2003, S.  796, 797; BGH, ZIP 2003, S.  1596, 1598; BGH, NJW 2005, S.  971, 972; BGH, NJW 2009, S.  2671, 2672. 668  Fischinger, in: Staudinger, BGB, 2021, §  138 Rn.  157.

§  10 Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor

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erwähnte Restschuldbefreiungsverfahren als freiwilliges Verfahren ausgestaltet, das zwingend einen Antrag des Schuldners voraussetzt, der mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verbinden ist (§  287 Abs.  1 S.  1 InsO).669 Auch das Bürgerliche Gesetzbuch erkennt eine freiwillig herbeigeführte finanzielle Überforderung grundsätzlich als Akt der Selbstbestimmung an. Dies lässt sich etwa der tatbestandlichen Ausgestaltung des §  1629a Abs.  1 BGB entnehmen. Die Vorschrift statuiert eine materiellrechtliche Haftungsbeschränkung für Volljährige in Bezug auf Verbindlichkeiten, die während der Minderjährigkeit durch Handeln vertretungsberechtigter Personen für den Minderjährigen oder aufgrund eines während der Minderjährigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen begründet worden sind. Rechtstechnisch wird der Schutz des Minderjährigen durch eine gegenständliche Beschränkung der Haftung auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Minderjährigenvermögens vollzogen,670 sofern die Verbindlichkeiten nicht aus dem selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts durch den Minderjährigen gemäß §  112 BGB oder aus Rechtsgeschäften resultieren, die allein der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Minderjährigen dienen (§  1629a Abs.  2 BGB). Der springende Punkt ist, dass die materiellrechtliche Haftungsbeschränkung nicht ex lege einsetzt, sondern ein aktives Handeln des volljährig Gewordenen voraussetzt. 671 Gemäß §  1629a Abs.  1 S.  2 BGB muss er sich auf die Beschränkung der Haftung berufen. Tut er das nicht oder verzichtet er nach Eintritt der Volljährigkeit auf die (dauernde) Einrede, so bleibt es bei dem Grundsatz der unbeschränkten Haftung mit dem gesamten Vermögen, mit der Folge, dass ein Zustand der (freiwilligen) finanziellen Überforderung des volljährig Gewordenen eintritt, der auch auf rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen beruhen kann. e) Überschuldungsschutz ohne Nichtigkeitssanktion Ein Letztes schließlich: Vor allem durch die Regelungen im Verbraucherdarlehensrecht zeigt die Rechtsordnung, dass sie der Gefahr einer aus rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen resultierenden finanziellen Überforderung natürlicher Personen nicht durch Anordnung der Nichtigkeitssanktion, sondern durch besondere Informations- und Erläuterungspflichten im Vorfeld des Vertragsschlusses (§  491a BGB) entgegenwirkt. 672 Eine Verletzung dieser auf die Ver-

669 

Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, §  287 Rn.  2 m. w. N. A. A. K. Schmidt, in: FS Derleder, 2005, S.  601, 608 ff., der die Haftungsbeschränkung nach §  1629a BGB als summenmäßige Haftungsbeschränkung begreift. 671  Peschel-Gutzeit, FPR 2006, S.  455, 458; Hergenröder, Minderjährigkeit und finanzielle Überforderung, 2021, S.  93 f. 672 Dazu Omlor, ZIP 2017, S.  112, 114 f.; Möller, VuR 2017, S.  283, 287. Grenzen des Informationsansatzes zeigt Schürnbrand, ZBB 2014, S.  168, 173 f., auf. 670 

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Zweites Kapitel: Anwendung

braucherkredit- 673 und Wohnimmobilienkredit-Richtlinie674 zurückgehenden Pflichten wird zwar durch einen Schadensersatzanspruch gemäß den §§  311 Abs.  2, 241 Abs.  2, 280 Abs.  1 BGB sanktioniert, der im Wege der Naturalrestitution auf die Aufhebung des Darlehensvertrags gerichtet sein kann. 675 Diese Folge stellt aber eine im Vergleich zur Nichtigkeit des Vertrags qualitativ andere Sanktion dar. So ist etwa ein etwaiges Mitverschulden (§  254 BGB) für die Nichtigkeit nach §  138 Abs.  1 BGB ohne Belang. Es gilt insoweit ein Alles-oderNichts-Prinzip. 676 Geht man zudem mit dem Gerichtshof der Europäischen Union 677 davon aus, dass auch die Regelungen zur Kreditwürdigkeitsprüfung nach der Verbraucherkreditrichtlinie vor einer Überschuldung schützen sollen,678 sodass sie zumindest auch dem individuellen Verbraucherschutz zu dienen bestimmt sind,679 so lassen sich die §§  505a ff. BGB680 als weiterer Beleg anführen, dass die Rechtsordnung der Gefahr einer finanziellen Überforderung durch vorvertragliche Pflichten Rechnung trägt, das Mittel der Wahl mithin nicht in der Nichtigkeit des finanziell überfordernden Rechtsgeschäfts gesehen wird. So darf nach §  505a Abs.  1 S.  2 BGB der Darlehensgeber einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag (§  491 Abs.  2 S.  1 BGB) nur abschließen, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung hervorgeht, dass keine erheblichen Zweifel daran bestehen, dass der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen vertragsgemäß nachkommen kann. Bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen (§  491 Abs.  3 BGB) muss es wahrscheinlich sein, dass der Darlehensnehmer seinen Zahlungsverpflichtungen vertragsgemäß nachkommen kann. Dieses „Abschlussverbot“681 führt 673  Richtlinie 2008/48/EG vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22.5.2008, S.  66. 674  Richtlinie 2014/17/EU vom 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr.  1093/2010, ABl. L 60 vom 28.2.2014, S.  34. 675  Hoffmann/Barlitz, WM 2014, S.  2 297, 2301; Freitag, ZIP 2018, S.  1805, 1808; Schnürbrand/Weber, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  491a Rn.  55; Artz, in: Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 10.  Aufl. 2019, §  491a BGB Rn.  41 m. w. N. 676  Zur Nichtigkeitssanktion und zu den im Schrifttum zu findenden Ansätzen zur Aufweichung dieses Alles-oder-Nichts-Prinzips vgl. Fischinger, in: Staudinger, BGB, 2021, §  138 Rn.  154 ff. m. w. N. 677  EuGH, Urteil vom 27.3.2014, Rs. C-565/12, Rn.  42, NJW 2014, S.  1941, 1943. 678  So auch Buck-Heeb, WM 2017, S.  1329, 1332; Schürnbrand/Weber, in: MünchKomm­ BGB, 8.  Aufl. 2019, §  505a Rn.  1. 679  Bejahend BT-Drs. 18/5922, S.  62: „Die Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit wird nicht mehr als primär im öffentlichen Interesse liegende Pflicht, sondern gleichwertig dazu auch als Schutzpflicht gegenüber dem Verbraucher verstanden.“; Rott, BKR 2015, S.  8, 11; Rank/Schmidt-Kessel, EuCML 2017, S.  176, 177; Binder, ZIP 2018, S.  1201, 1206; Lauer, ZIP 2019, S.  2448; ablehnend Omlor, ZIP 2017, S.  112, 116 f. m. w. N. in Fn.  29. 680  Aufsichtsrechtlich wurde die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung in §  18a KWG verankert. 681  Edelmann, in: Assmann et al., Handbuch des Kapitalanlagerechts, 5.   Aufl. 2020, §  4 Rn.  205.

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allerdings nicht über §  134 BGB zur Nichtigkeit des Darlehensvertrags. 682 Die Sanktionen für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit sind vielmehr abschließend in §  505d BGB normiert, sodass auch eine schadensrechtliche Rückabwicklung des Vertrags auf der Grundlage von §   311 Abs.  2, §  241 Abs.  2, §  280 Abs.  1 BGB ausgeschlossen ist. 683 Das bedeutet: Die Wirksamkeit des Darlehensvertrags wird nicht infrage gestellt, selbst wenn der Verbraucher aufgrund eines schuldhaften Pflichtverstoßes des Darlehensgebers dem Risiko einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit ausgesetzt wird. 684 Zusammenfassend kann man somit festhalten: Ein Vertrag verstößt nicht allein deshalb gegen die guten Sitten, weil er eine Zahlungsverpflichtung zum Inhalt hat, die zu einer finanziellen Überforderung einer Vertragspartei führt. 685 Der Grundsatz, dass man sich in beliebiger Höhe zu einer Geldzahlung verpflichten kann, gilt selbst für Verträge, die sich als „extreme Auswüchse“686 darstellen oder die eine Vertragspartei „in untragbarer Weise“687 finanziell überfordern. Diesen Formulierungen fehlt nicht nur jede scharfe Umgrenzung, sodass sie bereits aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bedenklich sind. Sie lassen zudem außer Acht, dass unsere Rechtsordnung eine freie und ohne Zwang getroffene Entscheidung ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Vernünftigkeit anerkennt. 688 Anders gewendet: Selbstbestimmung schließt die 682 

Omlor, ZIP 2017, S.  112, 115. Omlor, NJW 2017, S.  1633, 1637; Binder, ZIP 2018, S.  1201, 1209 m. w. N. in Fn.  61. 684  Rank/Schmidt-Kessel, EuCML 2017, S.  176, 178; Lauer, ZIP 2019, S.  2448, 2450. 685  BGHZ 125, 206, 209 f. = NJW 1994, S.  1278, 1279: „Aus der Vertragsfreiheit folgt, daß es grundsätzlich jedem unbenommen sein muß, in eigener Verantwortung auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die nur unter besonders günstigen Bedingungen ggf. unter dauernder Inanspruchnahme des pfändungsfreien Einkommens, erbracht werden können.“; BGHZ 128, 230, 232 = NJW 1995, S.  592; Westermann, ZHR 153 (1989), S.  123, 141; Honsell, JZ 1989, S.  494, 495, spricht daher vom „eisigen Wind der Privatautonomie des ausgehenden 19. Jahrhunderts“; Reuter, AcP 189 (1989), S.  199, 210; Brandner, ZHR 153 (1989), S.  147, 158; K. Schmidt, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, S.  9, 18; Geißler, JuS 1991, S.  617, 623; Knütel, ZIP 1991, S.  493, 496 f.; Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 79; Lorenz, NJW 1997, S.  2578; Armbrüster, in: FS Canaris, 2007, S.  23, 34; Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.   165, 177 f.; Armbrüster, in: Münch­KommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  24. A. A. wohl OLG Düsseldorf, ZIP 1984, S.  166, 168, das den sittenwidrigen Charakter eines Vertrags, der eine Vertragspartei „in untragbarer Weise finanziell überfordert“, dadurch verstärkt sah, dass die aus dem Vertrag resultierenden monatlichen Belastungen nicht hinreichend verdeutlicht wurden. 686 So Frenz, JR 1994, S.  92, 96, der für eine Korrektur bei „extremen Auswüchsen“ plädiert, die bei Zahlungsverpflichtungen dann vorliegen sollen, wenn durch sie die Autonomie des Schuldners weitgehend ausgeschaltet wird, ohne dass ein berechtigtes Gläubigerinteresse daran besteht; einschränkend auch Wiedemann/Wank, JZ 2013, S.  340, 344: „In Ausnahmesituationen vermag die Rechtsprechung im Rahmen des §  138 Abs.  1 BGB einer wirtschaftlichen Selbstentmündigung entgegenzutreten, wenn der Schuldner zum Beispiel die übernommenen oder drohenden Verpflichtungen Zeit seines Lebens nicht wird erfüllen können.“ 687  OLG Düsseldorf, ZIP 1984, S.  166, 168. 688  Münch, KritV 2005, S.   208, 221: „Freiheit [bedeutet] eben auch Freiheit zur Unver683 

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Zweites Kapitel: Anwendung

Möglichkeit zur unverhältnismäßigen Selbstbindung ein. 689 Einfachgesetzlich gestützt wird diese Ansicht durch §  290 Abs.  1 Nr.  4 InsO. Es wäre widersprüchlich, wenn eine Rechtsordnung, die Begründung unangemessener Verbindlichkeiten zum Versagungsgrund im Restschuldbefreiungsverfahren erklärte und zugleich in ihrem materiellrechtlichen Teil Verträgen, die den Schuldner in seiner konkreten Situation finanziell überfordern, die Anerkennung versagte. Aus ökonomischer Sicht wird durch die Gewährleistung der Möglichkeit zur unverhältnismäßigen Selbstbindung dem Grundsatz der Präferenzautonomie Rechnung getragen. Das verfassungsrechtliche Argument liefert Art.  2 Abs.  1 GG, der – worauf bereits am Anfang dieses Kapitels hingewiesen wurde – nicht nur vernünftige oder wertvolle Freiheitsbetätigungen schützt, sondern allgemein die Freiheit, zu tun und zu lassen was man will, d. h. „inhaltlich offenes Belieben“690 . Rechtsgeschäftliches „Freisein“ beinhaltet somit auch, um es in Anlehnung an F. A. v. Hayek zu sagen, die Freiheit, „kostspielige Irrtümer zu begehen und gewaltige Risiken einzugehen.“691 Das vertragsfolgenbezogene Element der finanziellen Überforderung kann nur dann zur Sittenwidrigkeit führen, wenn die Verpflichtung nicht selbstbestimmt begründet wurde, weil eine Vertragspartei entweder nicht selbstbestimmungsfähig oder in ihrer tatsächlichen Entscheidungsfreiheit beschränkt war. 692 Dabei ist zu berücksichtigen, dass – wie sogleich im Einzelnen erläutert wird693 – ein Mangel an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht per se den Schluss auf eine Fremdbestimmung rechtfertigt. Denn es ist nicht die finanzielle Bedürftigkeit, sondern eine zwischen den Vertragsparteien bestehende Disparität, welche die Entscheidungsfreiheit infrage stellt.

nunft, wenn die Entscheidung selbstverantwortlich fällt.“; Wiedemann/Wank, JZ 2013, S.  340, 344. 689  Canaris, AcP 184 (1984), S.  201, 210. 690 So Suhr, EuGRZ 1984, S.  529, 532. 691  v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  25. 692  Im Ergebnis wie hier mit Blick auf den Bürgschaftsbeschluss Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1, 14: „Denn das Gericht mißbilligt nicht die – bei der Bürgschaft notwendig gegenleistungslose – hohe, aller Erwartung nach lebenslange Verschuldung des Bürgen als solche, sondern die Art und Weise des Zustandekommens, in der eine Fremdbestimmung liegen soll, […].“ [Hervorhebung im Original]. Siehe ferner BGHZ 125, 206, 213 = NJW 1994, S.  1278, 1280: „Die grundrechtlich geschützte Privatautonomie vermag das Abschließen risikoreicher und zugleich einseitig belastender Geschäfte nur zu rechtfertigen, sofern beide Partner in der Lage sind, sich in Freiheit für oder gegen eine vertragliche Bindung zu entscheiden. Erst diese Freiheit sowie die uneingeschränkte Erkenntnismöglichkeit, mit welchen Rechtsfolgen die in Frage stehende Verpflichtung verbunden sein kann, ergeben die Rechtfertigung dafür, den Bürgen trotz ihn außergewöhnlich belastender Rechtsfolgen an der selbstverantwortlich getroffenen Entscheidung festzuhalten […].“ 693  Vgl. §  10 B.

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4. Finanzielle Überforderung in der Ausübungskontrolle Wenn sich der Zustand der finanziellen Überforderung einer Vertragspartei aus sich heraus nicht als unsittlich darstellt, sofern er nur selbstbestimmt herbeigeführt wurde, so ist damit noch nichts darüber gesagt, ob und in welchem Umfang die Rechtsordnung es dem anderen Teil gestattet, den wirksam entstandenen Zahlungsanspruch im Fälligkeitszeitpunkt durchzusetzen. Weil man mit dieser Frage die Rechtsausübung des Gläubigers in den Blick nimmt, kann sie nicht mithilfe des §  138 Abs.  1 BGB beantwortet werden. Denn für das Sittenwidrigkeitsurteil wird – worauf bereits hingewiesen wurde694 – an einen anderen Zeitpunkt, den des Abschlusses des Rechtsgeschäfts, angeknüpft. Relevant ist zudem, dass die Generalklausel des §  138 Abs.  1 BGB zur Nichtigkeit ex tunc führt. Diese Rechtsfolge liegt quer zu einer Ausübungskontrolle, denn eine solche setzt einen zunächst wirksam entstandenen Anspruch voraus, von dem Rechtswirkungen ausgehen, die einer Kontrolle zugänglich sind.695 a) Finanzielles Unvermögen In Beantwortung der Frage, ob der Schutz der bedürftigen Vertragspartei mithilfe einer Ausübungskontrolle in das Erkenntnisverfahren verlagert werden kann, darf man sich nicht auf die von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Ausübungskontrolle von Eheverträgen herangezogenen Vorschriften, nämlich §  313 BGB und §  242 BGB, beschränken. Bevor man mit einer Prüfung beginnt, muss geklärt werden, ob dem Gläubiger die Geltendmachung seines Entgeltanspruchs nicht deshalb „versperrt“ ist, weil die Primärpflicht gemäß §  275 Abs.  1 BGB entfallen und der Schuldner daher bereits aus diesem Grund aus der Haftung entlassen ist. Insoweit ist man versucht, sogleich auf den viel zitierten, kritisierten696 und im Gesetz nicht zu findenden Satz „Geld hat man zu haben“ sowie auf das bereits oben erwähnte Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung697 zu verweisen. Beide Formeln sind indes wenig ergiebig, denn sie geben keine Antwort darauf, warum die Geldnot des Schuldners nicht zum Ausschluss seiner Leistungspflicht nach §  275 Abs.  1 BGB führt. Mit der allgemeinen Meinung könnte man an dieser Stelle anführen, die hier interessierende Geldschuld sei als Wert694 

Vgl. §  10 A. III. 3. b). Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  305. 696  Siehe etwa K. Schmidt, JuS 1984, S.  737, 742; Huber, Leistungsstörungen, Band 1, 1999, S.  627; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  409; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  47. 697  So etwa BGHZ 107, 92, 102 = NJW 1989, S.  1276, 1278: „Nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, das aus dem Grundgedanken des §  279 BGB und dem geltenden Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht abzuleiten ist, hat jedermann für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen.“; vgl. auch BGH, NZM 2015, S.  196, 197; Coester-Waltjen, AcP 183 (1983), S.  279, 284; Schulze, in: Schulze et al., BGB, 11.  Aufl. 2021, §  244 Rn.  4. 695 Vgl.

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Zweites Kapitel: Anwendung

verschaffungsschuld698 „wegen ihrer Eigenthümlichkeit“699 als ein „Institut eigener Art“ zu qualifizieren,700 sodass die Vorschriften über die Sachschuld auf sie nicht anwendbar seien, was von der Rechtsordnung durch die Existenz der zwangsvollstreckungs- und insolvenzrechtlichen Regelungen bestätigt werde.701 Damit bliebe jedoch offen, ob es in unserer sozialstaatlich fundierten Wohlstandsgesellschaft überhaupt ein finanzielles Unvermögen im Sinne des §  275 Abs.  1 Var.  1 BGB geben kann. Dass diese Frage nicht abwegig ist, zeigt ein Blick auf die Argumentationslinie zur objektiven Unmöglichkeit (§  275 Abs.  1 Var.  2 BGB). Dort wird nämlich darauf hingewiesen, dass es bei Geldschulden keine Nichtexistenz der geschuldeten Sache geben könne, schließlich werde – so heißt es – irgendjemand immer Geld haben.702 Warum sollte man im Zusammenhang mit der subjektiven Unmöglichkeit nicht mit einer analogen Argumentation gehört werden? Auch in diesem Fall hätte der Schuldner im Ergebnis für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen. Dies allerdings nicht mit der Begründung, bereits die Anwendbarkeit des §  275 Abs.  1 Var.  1 BGB sei auf Geldschulden kategorisch ausgeschlossen – dieser Schluss lässt sich jedenfalls 698  Die Geldschuld zielt auf die Verschaffung eines in Geld ausgedrückten unkörperlichen Vermögenswerts und wird daher als Wertverschaffungsschuld bezeichnet. Geschuldet ist mithin nicht die Übereignung konkreter oder gattungsmäßig bestimmter Sachen. Demnach ist die Geldschuld keine Gattungsschuld, dazu K. Schmidt, JuS 1984, S.  737, 741; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band 1 AT, 14.  Aufl. 1987, S.  167; Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 492; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S.  221; K. Schmidt, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, S.  9, 19; Huber, Leistungsstörungen, Band 1, 1999, S.  631; Martens, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  244 Rn.  9; Omlor, in: Staudinger, BGB, 2021, Vorb. zu §§  244 ff. Rn. B 7. A. A. zum Verbraucherkredit Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979, S.  311 ff., insbesondere S.  316 ff., der mithilfe einer „sozialen Vertragsauslegung“ die Rückzahlungsverpflichtung des Verbrauchers in eine Vorratsschuld als besondere Erscheinungsform der Gattungsschuld (beschränkte Gattungsschuld) transformiert – wobei das laufende Einkommen als der „Vorrat“ aufzufassen sei –, sodass bei unverschuldetem Verlust des Einkommens die Zahlungspflicht für die Dauer des Hindernisses entfalle; vgl. hierzu §  10 A. III. 4. b). 699  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band 1, 1888, S.  12. 700  Vgl. dazu Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band 1 AT, 14.  Aufl. 1987, S.  167 f.; Simitis, AcP 159 (1960), S.  406, 446, der die Geldschuld als eine „spezifische Form der Haftung bezeichnet, die sich wegen der Abstraktheit und Unkörperlichkeit des Haftungsgegenstandes auf das gesamte Vermögen des Schuldners erstreckt“; siehe ferner Roth, JuS 1968, S.  101, 105, der auf die „Natur der Geldschuld“ und das „Wesen des Geldes“ rekurriert; Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 490: „Im Vergleich mit anderen Schuldtypen […] weist die Geldschuld erhebliche Eigenarten auf“; Schulze, in: Schulze et al., BGB, 11.  Aufl. 2021, §  286 Rn.  25, der auf die besondere „Natur der Geldschuld“ hinweist. 701  Ausführlich zum vollstreckungsrechtlichen Begründungsansatz Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  33 ff. 702 Vgl. Fischer, in: FS v. Amsberg, 1904, S.  3, 29; Nussbaum, Das Geld in Theorie und Praxis des deutschen und ausländischen Rechts, 1925, S.  73; Roth, JuS 1968, S.  101, 105; Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 490; Kähler, AcP 206 (2006), S.  805, 821; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  16; Omlor, in: Staudinger, BGB, 2021, §  244 Rn.  111.

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dem Wortlaut des §  275 Abs.  1 BGB nicht entnehmen703 –, sondern deshalb, weil die Norm tatbestandlich nicht erfüllt ist, sodass die Primärpflicht aus diesem Grund nicht ipso iure entfällt.704 Im Zusammenhang mit dieser Überlegung muss man zunächst festhalten, dass von einer Unmöglichkeit nur dann gesprochen werden kann, wenn der Geldschuldner vor einem unüberwindbaren Leistungshindernis steht, weil er weder aus eigener Kraft noch mit der Hilfe des Staates oder anderer Rechtssubjekte wieder zu Geld kommen kann. Das bedeutet nichts anderes, als dass er dauerhaft nicht über den Leistungsgegenstand „Geld“ verfügt.705 Kurzzeitige oder vorübergehende Zahlungsunfähigkeit führt folglich nicht zu einem finanziellen Unvermögen. Zwar hat der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit einem Zahlungsverbot nach §  46a Abs.  1 S.  1 Nr.  1 KWG in der vor dem 1.1.2007 geltenden Fassung geurteilt, dass die Anordnung eines solchen Zahlungsverbots zu einem temporären Leistungshindernis für die Erfüllung der Zahlungsansprüche der Gläubiger führe, auf das §  275 Abs.  1 BGB analog anzuwenden sei.706 Diese Konstellation ist mit dem hier in Rede stehenden Problem des finanziellen Unvermögens aufgrund fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit jedoch deshalb nicht vergleichbar, weil der Schuldner bei einem Zahlungsverbot die Leistung nicht aus tatsächlichen, sondern aus rechtlichen Gründen zeitweilig nicht erbringen kann.707 Für das an dieser Stelle interessierende finanzielle Unvermögen aufgrund wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ist entscheidend, dass sich die Diagnose, der Schuldner verfüge dauerhaft nicht über den zur Erfüllung notwendigen Leistungsgegenstand „Geld“, in den seltensten Fällen stellen lässt. Das verhindert der oben erwähnte unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährung der ökonomischen Würdebedingungen.708 Zwar steht dem Schuldner kein Anspruch gegen den Staat auf bedarfsunabhängige Sozialleistungen zu,709 mit deren Hilfe er seine Zahlungsverbindlichkeit erfüllen könnte. Die Tilgung privater Schulden gehört – wie ebenfalls bereits ausgeführt 710 – nicht zur Aufgabe des Sozialleistungsrechts. Er hat jedoch „in jedem Fall und zu jeder Zeit“711 ein subjektives öffentliches Recht auf staatliche Leistungen, 703 Siehe

Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  408. Zu diesem Ansatz vgl. Ahrens, Der mittellose Geldschuldner, 1994, S.  166; Kähler, AcP 206 (2006), S.  805, 821 ff.; Riehm, in: BeckOGK, Stand: 1.4.2021, §  275 BGB Rn.  32. 705 Vgl. Coester-Waltjen, AcP 183 (1983), S.  279, 283; Kähler, AcP 206 (2006), S.  8 05, 821 f.; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  24; Ernst, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  275 Rn.  56; Bacher, MDR 2020, S.  1, 3. 706  BGHZ 197, 21 = NJW 2013, S.  3437. 707 Vgl. Ernst, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  275 Rn.  13. 708  Zur Bedeutung von staatlichen Transferleistungen im Rahmen der Unmöglichkeit nach §  275 Abs.  1 BGB vgl. bereits Kähler, AcP 206 (2006), S.  805, 822. 709  Vgl. nur BVerfG, NJW 2010, S.  2866, 2867. 710  Vgl. §  10 A. III. 3. a). 711  BVerfGE 132, 134, 172 = NVwZ 2012, S.  1024, 1029. 704 

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die seinen „gesamten existenznotwendigen Bedarf“712 decken. Der Staat erfüllt diesen Anspruch im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Regel nicht durch Sach- oder Dienstleistungen, sondern durch Geldleistungen im Sinne der §§  11 S.  1, 47 SGB I, und zwar in Form von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§  4 Abs.  1 Nr.  2, §§  19 ff. SGB II). Auch im Rahmen der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt sowie der Grund­ sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung werden Zahlungen von Geld­ beträgen unter Berücksichtigung des maßgebenden Regelsatzes (§  27a Abs.  3 SGB XII, §  42 Nr.  1 SGB XII) sowie der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§  35 SGB XII, §  42a SGB XII) erbracht. Für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gilt außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen ebenfalls der Vorrang von Geldleistungen (§  3 Abs.  3 S.  1 AsylbLG). Sachleistungen sind gemäß §  3 Abs.  3 S.  2 AsylbLG nur zu erbringen, „soweit es nach den Umständen im Einzelfall erforderlich ist“. Damit ist es der Mehrheit der Schuldner nach geltendem Recht713 zumindest möglich, an den Leistungsgegenstand „Geld“ zu kommen. Schuldner, die keinerlei Zugang zu materiellen Ressourcen haben, sind im Lichte dessen kaum vorstellbar. Zu betonen ist, dass damit nicht gesagt wird, Entgeltforderungen sollten durch freiwillige Zahlungen aus dem materiellen Existenzminimum getilgt werden. Es wird auch nicht bestritten, dass derartige Zahlungen eine ganz besondere Härte für den Schuldner und gegebenenfalls seine Familie darstellen. Der letztgenannte Aspekt ist an dieser Stelle allerdings irrelevant, denn im Rahmen des §  275 Abs.  1 BGB kommt es auf die Frage, ob dem Schuldner eine Leistung zumutbar ist, nicht an.714 Erheblich ist allein, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle für jede natürliche Person die Möglichkeit besteht, an Geld zu kommen, das zur Erfüllung vertraglicher Zahlungsansprüche eingesetzt werden könnte. Dass private Schulden mithilfe öffentlicher Gelder erfüllt werden, ist unserer Rechtsordnung auch nicht per se wesensfremd. Auf die Übernahme privater Mietschulden durch die öffentliche Hand gemäß §  22 Abs.  8 SGB II, §  36 Abs.  1 SGB XII wurde bereits hingewiesen.715 Schließlich ist es auch nicht als sittenwidrig zu missbilligen, wenn ein Teil des materiellen Existenzminimums freiwillig zur Erfüllung privatautonom begründeter Zahlungsverpflichtungen eingesetzt wird.716 Wo der Schuldner bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen die Grenze des für ihn Zumutbaren zieht, bleibt ihm selbst über712 

BVerfGE 125, 175, 224 = NJW 2010, S.  505, 508. Grundsätzlich bleibt es aber dem Gesetzgeber überlassen, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, BVerfGE 125, 175, 224 = NJW 2010, S.  505, 508. 714  Roth, JuS 1968, S.  101, 102; Kähler, AcP 206 (2006), S.  8 05, 822. 715  Vgl. §  10 A. III. 3. a). 716  A. A. AG Nürnberg, NZM 2003, S.  2 2, 23, das eine Zusatzvereinbarung zu einem Mietvertrag mit einem Sozialhilfeempfänger, in der sich dieser zur Zahlung eines weiteren Mietzinses verpflichtete, als sittenwidrig bewertet, weil der Mieter den nicht von der Sozialhilfe 713 

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lassen. Denn das materielle Recht erkennt die Freiheit zur Armut ausdrücklich an. Dies bringt das Gesetz – wie sich sogleich zeigen wird717 – an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. Das bisher Gesagte ergibt damit folgendes Bild: Zahlungsschwierigkeiten, die ihren Grund in einer wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Schuldners haben, stellen in der Regel kein unüberwindbares Leistungshindernis dar. Das gilt im Ergebnis auch dann, wenn absehbar ist, dass die Summe aller künftigen bedarfs- und bedürftigkeitsorientierten Fürsorgeleistungen zur Erfüllung des Zahlungsanspruchs nicht ausreichen wird. In diesem Fall steht der Annahme eines finanziellen Unvermögens ein bereits im Zusammenhang mit §  311b Abs.  2 BGB formulierte Gedanke entgegen: Es ist zu berücksichtigen, dass der Lebensweg des bedürftigen Schuldners offen ist, sodass er nicht nur mithilfe des Staates, sondern auch durch „einen Glücksfund oder eine Erbschaft“718 oder – was wahrscheinlicher ist – durch eine erfolgreiche Teilnahme am Wirtschaftsleben an Geld kommen kann.719 Dass sich der Privatrechtsgesetzgeber hinsichtlich der letztgenannten Möglichkeit „zutiefst optimistisch“720 zeigt, belegt die Ausgestaltung des Art.  240 §  1 EGBGB. Vergleichbar der im Schenkungsrecht zu findenden Einrede des Notbedarfs (§  519 BGB), ist die rechtshemmende Wirkung des Moratoriums nur von vorübergehender Natur. Sie endet, sobald die Gefährdung des Schuldners entfällt.721 Hinzu kommt, dass die pandemiebedingte Einrede nur in der Zeit vom 1.4.2020722 bis 30.6.2020723 mit Erfolg erhoben werden konnte. Eine vergleichbare zeitliche Einschränkung lässt sich der in Art.  240 §  5 EGBGB statuierten „Gutscheinlösung“ entnehmen. Eine mittels Art.  240 §  5 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 EGBGB einseitig durch den Veranstalter bzw. Betreiber einer Freizeitveranstaltung bzw. Freizeiteinrichtung herbeigeführte Stundung des Rückerstattungsanspruchs nach §  326 Abs.  1, Abs.  4 BGB i. V. m. §  346 Abs.  1 BGB endete mit Ablauf des 31.12.2021, sofern der Gutscheininhaber vom Veranstalter übernommenen Mietanteil aus dem Betrag zahlen musste, der für die Deckung des anderweitigen notwendigen Lebensbedarfs bestimmt war. 717  Vgl. §  10 A. IV. 1. 718 So Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  409. 719  A. A. Roth, JuS 1968, S.   101, 105, der darauf hinweist, dass bei entsprechend hoher Schuld und kurzem Erfüllungszeitraum die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit eine bloße Hoffnung, nicht aber eine rechtlich einkalkulierbare Erwartung darstelle; kritisch auch Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  25 f. 720  So bereits Kähler, AcP 206 (2006), S.  8 05, 822. 721  BT-Drs. 19/18110, S.  35. 722  Art.  6 Abs.  5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020. 723  Art.  240 §  4 Abs.  1 Nr.  1 EGBGB gestattet es der Bundesregierung, diese Frist durch Rechtsverordnung bis zum 30.9.2020 und gemäß Art.  240 §  4 Abs.  2 EGBGB mit Zustimmung des Bundestages auch darüber hinaus zu verlängern. Von dieser Ermächtigung wurde nicht Gebrauch gemacht. Kritisch zum Fehlen einer Auslaufregelung Lorenz, in: Schmidt, COVID-19, 3.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  59.

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bzw. Betreiber die Auszahlung des Gutscheinwerts verlangte (Art.  240 Abs.  5 Nr.  2 EGBGB). Selbst in Krisenzeiten mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen geht der Gesetzgeber damit offensichtlich davon aus, dass bedürftige Schuldner grundsätzlich in der Lage sind, ihre Zahlungsfähigkeit wiederzuerlangen – und zwar entweder aufgrund staatlicher Unterstützungsleistungen oder durch eine Teilnahme an einem von pandemiebedingten Restriktionen befreiten Geschäftsverkehr. In Parenthese: Aufgrund der dargestellten temporären rechtshemmenden Wirkung des Art.  240 §  1 EGBGB ist es zumindest missverständlich, wenn im Zusammenhang mit dieser Vorschrift auf den Grundsatz „Geld hat man zu haben“ Bezug genommen wird.724 Üblicherweise wird mit dieser Formel nämlich zum Ausdruck gebracht, dass der Schuldner, erstens, trotz finanzieller Leistungsunfähigkeit nicht von seiner primären Geldleistungspflicht befreit wird und er, zweitens, einen Zahlungsverzug stets zu vertreten hat, ohne dass es auf ein persönliches Verschulden ankommt. Das in Art.  240 §  1 EGBGB statuierte zivilrechtliche Moratorium führt weder zum Wegfall des Primäranspruchs aufgrund einer aus Zahlungsschwierigkeiten resultierenden tatsächlichen Unmöglichkeit725 noch zu einer Modifikation der Haftung des Geldschuldners für den Verzug. Die Forderungen aus dem Dauerschuldverhältnis bleiben vielmehr inhaltlich unverändert bestehen.726 Sie sind nur temporär nicht durchsetzbar und dementsprechend nach Ablauf des Moratoriums zu erfüllen. Auch der Haftungsmaßstab für den Verzug wird durch die sondergesetzliche Regelung nicht berührt. Die Entstehung von Sekundäransprüchen, die an die Nichterbringung von Leistungspflichten geknüpft sind, also insbesondere die Verzugsfolgen, werden lediglich durch den Wegfall der Durchsetzbarkeit verhindert.727 Die Maxime „Geld hat man zu haben“ beansprucht damit auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie volle Geltung.728 Nur wenn man den Grundsatz dahin gehend modifiziert, dass eine finanzielle Leistungsunfähigkeit den Schuldner nicht von sämtlichen negativen Folgen des Ausbleibens der rechtzeitigen Leistung befreit, selbst wenn sie auf unverschuldeter Ursache beruht,729 wird er durch die pandemiebedingten Sondergesetze beschränkt. Dies geschieht durch die Einschränkung der Rechte von Vermietern und Darlehensgebern zur Kündigung wegen Zahlungsverzugs, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht (Art.  240 §  2 Abs.  1 S.  1 EGBGB) bzw. die 724 BT-Drs. 19/18110, S.   34; Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, S.   1103; Möllnitz/ Schmidt-Kessel, in: Uhlenbruck, InsO, 15.  Aufl. 2020, Art.  240 §§  1–4 EGBGB Rn.  3; Wolf et al., JA 2020, S.  401. 725  BT-Drs. 19/18110, S.  35. 726  Vgl. §  10 A. III. 1. 727  BT-Drs. 19/18110, S.  34; Bacher, MDR 2020, S.  1, 3; Wolf et al., JA 2020, S.  401, 405; Lorenz, in: Schmidt, COVID-19, 3.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  68. 728  Artz et al., MDR 2020, S.  527. 729  BGH, NJW 2015, S.  1296, 1298.

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Leistungserbringung durch die Ausbreitung der Pandemie unzumutbar geworden ist (Art.  240 §  3 Abs.  3 S.  1 EGBGB). Damit lässt sich zu einer aus Geldmangel des Schuldners resultierenden subjektiven Unmöglichkeit Folgendes bilanzieren: Ein Mangel an finanziellen Mitteln führt tatbestandlich nur dann zu einer subjektiven Unmöglichkeit, wenn nicht damit gerechnet werden kann, dass der Schuldner aus eigener Kraft oder mit der Hilfe des Staates oder anderer Rechtssubjekte zu Geld kommen wird. Diesen Befund wird man in den wenigsten Fällen stellen können. Liegt tat­ bestandlich keine Unmöglichkeit i. S. d. §  275 Abs.  1 Var.  1 BGB vor, dann wird der Schuldner auch nicht von seiner (primären) Verpflichtung zur Leistung frei. Die hier verfolgte Argumentationslinie impliziert, dass eine subjektive Unmöglichkeit bei Geldschulden nicht a priori ausgeschlossen ist.730 Dementsprechend muss man beantworten, wie sich die Geldnot des Schuldners auf seine Primärleistungspflicht auswirkt, wenn ein finanzielles Unvermögen tatbestandlich erkannt wird. Kommt es in diesem Fall zu einer inhaltlichen Veränderung seiner Leistungspflicht? Man kann diese Frage nicht mit der Begründung offenlassen, dass es einem vollstreckenden Gläubiger bei wirtschaftlicher Betrachtung in aller Regel egal sein wird, ob er die Vollstreckung gegen einen bedürftigen Schuldner aufgrund eines Primär- oder eines Sekundäranspruchs (§  280 Abs.  1, Abs.  3 i. V. m. §  283 BGB) betreibt.731 Weil in beiden Fällen ein zivilgerichtliches Zahlungsurteil ergeht und daher wegen einer Geldforderung vollstreckt wird, ist sein Vollstreckungsanspruch zwar sowohl in der einen als auch in der anderen Konstellation durch den gesetzlichen Pfändungsschutz beschränkt. Trotz dieser insoweit bestehenden vollstreckungsrechtlichen Indifferenz hinsichtlich der Rechtsgrundlage einer Geldforderung kann der Richter des Erkenntnisverfahrens aber natürlich nicht unbeantwortet lassen, auf welcher Anspruchsgrundlage die Geldforderung beruht. Anderenfalls wäre weder das Rechtsmittelgericht in der Lage, die Entscheidung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, noch könnte das Vollstreckungsgericht über eine bevorrechtigte Pfändung nach §  850d ZPO oder §  850f Abs.  2 ZPO entscheiden. Es muss damit zwingend in der Erkenntnisinstanz geklärt werden, ob die gestörte Geldschuld in einen Schadensersatzanspruch übergeht.732 Das ist zu verneinen.

730  Wie hier Kähler, AcP 206 (2006), S.  8 05, 825. A. A. Mann, Das Recht des Geldes, 1960, S.  59, 62; Coester-Waltjen, AcP 183 (1983), S.  279, 283: „[F]inanzielle Leistungshindernisse des Schuldners begründen nicht sein Unvermögen im rechtlichen Sinne.“; Medicus, ZIP 1989, S.  817, 818; K. Schmidt, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, S.  9, 18; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  45; Berger, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  245 Rn.  10. 731 Zutreffend Kähler, AcP 206 (2006), S.  8 05, 811: „Ob eine Geldschuld trotz Unmöglichkeit bestehen bleibt oder ein sekundärer Schadensersatzanspruch entsteht, dürfte wirtschaftlich unerheblich sein.“ 732  Vgl. auch Roth, JuS 1968, S.  101, 102.

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Dies lässt sich jedoch nicht damit begründen, dass ein solcher Übergang sinnlos wäre, weil sich der Schadensersatzanspruch in diesem Fall als „finanzielle Kompensation per Geldersatz“733 darstellte und damit ebenfalls entsprechende Geldmittel voraussetzte.734 Dass die Rechtsfolge des §  275 Abs.  1 BGB nur dann eintritt, wenn der aus der Leistungsstörung resultierende Schadensersatzanspruch zu einem inhaltlich anders lautenden Titel führt als ein titulierter Primäranspruch, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen.735 Auch dem Umstand, dass §  17 Abs.  1 InsO die Zahlungsunfähigkeit als den allgemeinen Eröffnungsgrund von Insolvenzverfahren bestimmt, kann bei der Beantwortung dieser Frage keine Bedeutung beigemessen werden. Denn bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift sind alle fälligen Geldforderungen gegen den Schuldner zu berücksichtigen und damit auch solche, die wie §  280 Abs.  1, Abs.  3 i. V. m. §  283 BGB auf Schadensersatz statt der Leistung gerichtet sind.736 Man würde §  17 Abs.  1 InsO also nicht seinen Anwendungsbereich nehmen, wenn sich im Fall der subjektiven Unmöglichkeit die gestörte Geldschuld in einen Schadensersatzanspruch umwandeln würde.737 Dass die Primärleistungspflicht nicht entfällt, kann schließlich nicht mit dem Hinweis begründet werden, das materielle Recht messe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur in Ausnahmefällen, nämlich im Fall von Unterhaltsansprüchen, eine Bedeutung bei. Deren Grundvoraussetzung ist zwar in der Tat die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, die dort endet, wo er nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern.738 Dieser in §  1603 Abs.  1 BGB verankerte Grundsatz ist allerdings im Zusammenhang mit der hier interessierenden Frage, ob die Leistungspflicht gemäß §  275 Abs.  1 BGB entfällt, bedeutungslos, denn die Leistungsunfähigkeit stellt bei Unterhaltsansprüchen eine negative materielle Anspruchsvoraussetzung dar.739 Weil das Fehlen der finanziellen Leistungsfähigkeit hier bereits die Anspruchsentstehung verhindert, sagt §  1603 BGB über den Bestand einer ursprünglichen Leistungspflicht nichts aus. Es muss also einen anderen Grund geben, warum sich ein Geldmangel des Schuldners nicht auf den rechtlichen Bestand der Primärleistungspflicht auswirkt, und zwar auch nicht in den wenigen Ausnahmefällen, in denen §  275 Abs.  1 Var.  1 BGB tatbestandlich greift. Der Grund liegt in den Gegebenheiten

733 

Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  17. aber Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 491; zustimmend Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  27. In eine ähnliche Richtung geht auch die Argumentation von Roth, JuS 1968, S.  101, 104. 735  Kähler, AcP 206 (2006), S.  8 05, 827. 736 Vgl. K. Schmidt, in: K. Schmidt, InsO, 19.  Aufl. 2016, §  17 Rn.  6 . 737 Vgl. Kähler, AcP 206 (2006), S.  8 05, 814. 738  BVerfG, NJW-RR 2002, S.  73 f.; BVerfG, NJW 2002, S.  2701; BGH, NJW 2009, S.  842, 844. 739  Langeheine, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  1603 Rn.  1. 734  So

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unserer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung,740 die – wie oben erwähnt741 – auf dem Grundsatz der Selbstverantwortung beruht. Diesem Grundsatz wird das materielle Recht nur gerecht, wenn die Verantwortung des Einzelnen, für hinreichende materielle Ressourcen zu sorgen, nicht unter der Bedingung steht, dass ihm keine Exkulpation gelingt (§  280 Abs.  1 S.  2 BGB). Das ist gewährleistet, wenn die Leistungspflicht in ihrer ursprünglichen Gestalt fortbesteht, sie also nicht ihren materiellen Charakter in einen Schadensersatzanspruch ändert und damit als Form der Leistungsstörung allein der Verzug in Betracht kommt, den der Schuldner stets zu vertreten hat (§  286 Abs.  4 BGB).742 Nur in diesem Fall erweist sich das Leistungsstörungsrecht als „juristisches Echo“743 unserer auf dem Grundsatz der Selbstverantwortung aufbauenden Wirtschaftsordnung. Der Umstand, dass in einer sozialen Marktwirtschaft die Selbstverantwortung zurückgedrängt wird, wenn es um die Gewährleistung der materiellen Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein geht,744 stellt an dieser Stelle kein Gegenargument dar. Denn die ökonomischen Bedingungen für ein menschenwürdiges Dasein werden weder durch ein pri-

740 Ähnlich Nussbaum, Das Geld in Theorie und Praxis des deutschen und ausländischen Rechts, 1925, S.  73: „Diese Unzerstörbarkeit der Geldschuld entspricht einem rechtlichen und wirtschaftlichen Bedürfnis.“; Roth, JuS 1968, S.  101, 105: „Bedeutung für die Rechts- und Wirtschaftsordnung“; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S.  221: „Daß man für Zahlungsunfähigkeit jederzeit einzustehen hat, folgt nicht erst aus §  279, sondern bereits aus den Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung […].“; Caspers, in: Staudinger, BGB, 2019, §  275 Rn.  74, unter Hinweis auf die „geltende Wirtschaftsordnung“; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 81.  Aufl. 2022, §  245 Rn.  14. Kritisch Ahrens, Der mittellose Geldschuldner, 1994, S.  149 f.; Huber, Leistungsstörungen, Band 1, 1999, S.  632; Kähler, AcP 206 (2006), S.  805, 810 f. 741  Vgl. §  10 A. I. 742 Die verschuldensunabhängige Verzugshaftung des Geldschuldners wurde vor der Schuldrechtsmodernisierung des Jahres 2002 auf §  279 BGB a. F. gestützt, vgl. dazu etwa BGH, BeckRS 1982, 31073968: „Die Revision übersieht hierbei den dem §  279 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken, daß jeder Schuldner für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat. […] Dieser Rechtsgedanke gilt auch für den Fall des Verzugs und hat zur Folge, daß ein auf Mittellosigkeit des Schuldners zurückzuführendes Unterbleiben rechtzeitiger Zahlung nicht etwa gemäß §  285 BGB den Verzugseintritt hindert.“; ebenso Roth, JuS 1968, S.  101, 106; K. Schmidt, JuS 1984, S.  737, 742, 743; Coester-Waltjen, AcP 183 (1983), S.  279, 287 f.; Huber, Leistungsstörungen, Band 1, 1999, S.  628; rechtsvergleichend zur Zulässigkeit der Exkulpation wegen Zahlungsunfähigkeit Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  60 ff. Eine a. A. zur verschuldensunabhängigen Verzugshaftung findet sich bei Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band 2, 8.  Aufl., 1900, §  277, S.  119, wo zu den Verzugsvoraussetzungen ausgeführt wird, dass „auch Zahlungsunfähigkeit, wenn sie durch unverschuldete Unglücksfälle herbeigeführt worden ist, […] als Entschuldigungsgrund angesehen werden [müsse].“ Kritisch zur verschuldensunabhängigen Verzugshaftung etwa Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979, S.  311 ff.; Reich, JZ 1980, S.  329, 335 (jeweils im Hinblick auf Verbraucherkredite); Lorenz, WuM 2013, S.  202. Differenzierend Ahrens, Der mittellose Geldschuldner, 1994, S.  240. 743  Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  2. 744  Vgl. §  10 A. II.

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märes noch durch ein sekundäres „Leistensollen“, sondern erst durch ein konkretes „Leistenmüssen“ gefährdet. Weil materielle Armut die Primärpflicht nicht gemäß §  275 Abs.  1 BGB entfallen lässt, ist Raum für die Anwendung des aus §  242 BGB entwickelten und mittlerweile in §  313 BGB geregelten Instituts der Störung der Geschäftsgrundlage.745 Lässt sich der Schutz der wirtschaftlichen Freiheit eines bedürftigen Geldschuldners mithilfe dieser Norm in die Erkenntnisinstanz verschieben? Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst festzuhalten, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit einen Aspekt der Wirklichkeit darstellt, den jede Vertragspartei, die sich zu einer Entgeltzahlung verpflichtet, in der Regel in ihren Willensbildungsprozess einbeziehen wird. Man mag sagen, ihr rechtsgeschäftlicher Wille baut bei der Begründung einer vertraglichen Geldschuld auf den wirtschaftlichen Wirklichkeitsbedingungen auf. Diese Verbindung von Wille und Wirklichkeit ist risikobehaftet, weil jeder Wille immer nur auf einer gedachten Wirklichkeit gründet und diese Vorstellung fehlgehen kann. So kann etwa die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Vorstellung von der eigenen Leistungsfähigkeit bereits unrichtig sein.746 Ebenso gut ist es denkbar, dass sich die vorgestellte und die tatsächliche Einkommens- und Vermögensausstattung zwar bei Vertragsschluss decken, die Wirklichkeit sich jedoch anders als angenommen entwickelt, weil beispielsweise die einzige Einnahmequelle aufgrund eines Verlustes des Arbeitsplatzes wegbricht. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, welche Vertragspartei das „Risiko der Wirklichkeit“747 zu tragen hat. Die Antwort hierauf ist an dieser Stelle von zentraler Bedeutung, denn Wirklichkeitsbedingungen, hinsichtlich deren das Risiko entweder durch Vertrag oder Gesetz einer Partei zugewiesen ist, kommen als Störung der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht.748 Dementsprechend scheidet ein Wegfall der Geschäftsgrundlage im Zusammenhang mit einer vertraglichen Geldschuld aus, wenn durch entsprechende Bedingungen (z. B. Zahlungspflicht nur nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit),749 Garantien, Sonderkündigungsrechte750 oder durch den Abschluss einer Stillhaltevereinbarung für Zeiten der Zahlungsunfähigkeit das Risiko einer sich ändernden finanziellen Realität der einen oder 745  Zur Subsidiarität des §  313 BGB gegenüber §  275 BGB siehe nur BGH, NJW-RR 1995, S.  853, 854 m. w. N. 746 Eine Anfechtungsmöglichkeit ergibt sich hieraus nicht. Der einseitige Motivirrtum über die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Erklärenden ist unbeachtlich, vgl. §  10 B. II. 1. 747  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  501. 748  BGHZ 74, 370, 373 = NJW 1979, S.  1818, 1819; BAG, NZA 2021, S.  344, 345; Ulmer, AcP 174 (1974), S.  167, 181 ff.; Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 503; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  507; Daßbach/Bayrak, NJ 2020, S.  185; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 81.  Aufl. 2022, §  313 Rn.  19. 749  Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 504. 750  Vgl. etwa KG, BeckRS 2006, 7808.

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anderen Vertragspartei übertragen wurde.751 Dies ist deshalb sachgerecht, weil sich der vertraglich bestimmte Risikoträger seine Risikoübernahme in aller Regel entsprechend vergüten lässt. Fehlt es an einer vertraglichen Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme und lässt sich eine solche auch nicht durch eine ergänzende Auslegung der Parteivereinbarung ermitteln, ist nach dem gesetzlichen Risikogefüge zu fragen. Mit Blick auf die hier interessierende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit lässt sich die Antwort unter Verweis auf den mehrfach genannten Grundsatz der Selbstverantwortung leicht finden. Das Risiko, dass die Vorstellung über die Fähigkeit, den Zahlungsanspruch zum Fälligkeitszeitpunkt zu erfüllen, falsch ist, trägt allein der Geldschuldner.752 An dieser Risikozuweisung ist auch dann festzuhalten, wenn bei unveränderter Vertragsdurchführung der „wirtschaftliche Ruin“753 des Schuldners droht. Eine „Einrede der Existenzvernichtung“, die im Rahmen einer Grundlagenstörung oder des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung im Erkenntnisverfahren zur Geltung gebracht werden könnte, ist dem materiellen Recht fremd. b) Drohende Existenzvernichtung Bereits das Reichsgericht positionierte sich zur Relevanz einer bei unveränderter Vertragsdurchführung drohenden Existenzvernichtung in einer Reihe von Entscheidungen. Dabei ging es zwar nicht um die hier interessierende vertrag­ liche Geldschuld, gleichwohl erscheint ein Blick auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung lohnend, um zu verdeutlichen, dass die in diesem Zusammenhang konstruierte und eben erwähnte „Einrede der Existenzvernichtung“754 auch mit Bezug auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts irreführend ist. Dahinter steht die Einsicht, dass die Zivilsenate dem Argument der drohenden Existenzvernichtung zwar in verschiedenen Entscheidungen eine eminente Bedeutung beimaßen.755 Am Ende verlagerte das Gericht das Risiko einer sich 751 

Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  497. BGH, MDR 1978, S.  132; Westermann, JZ 1989, S.  744, 747; Medicus, AcP 188 (1988), S.  489, 504 f.; Medicus, ZIP 1989, S.  817, 822; Huber, Leistungsstörungen, Band 1, 1999, S.  6 40. 753  RGZ 103, 177, 180. 754  So die Bezeichnung von Kege et al., Die Einwirkung des Krieges auf Verträge, 1941, S.  88. 755 So sah das Reichsgericht beispielsweise in einem Urteil, dass eine vertragliche Verpflichtung zur Herstellung eines Schiffes zum Gegenstand hatte, das Argument der Beklagten als entscheidend an, „sie sei gezwungen den Konkurs anzumelden, wenn sie“ – unter den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen – „an dem streitigen Vertrage oder anderen ähnlichen Verträgen festgehalten würde“, vgl. RGZ 98, 18, 21. Dass die ruinösen Folgen der Vertragserfüllung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, betonte das Gericht im Anschluss in zwei weiteren Entscheidungen. Dem in RGZ 100, 134, 136 f., zu findenden Satz, der Schuldner könne eine Befreiung von der Lieferpflicht beanspruchen, wenn anzunehmen sei, „daß die Vertragserfüllung, sei es auch nur mittelbar, ganz oder nahezu seinen geschäftlichen Ruin bedeuten würde“, folgte der Hinweis in RGZ 102, 272, 273, dass „derjenigen Vertragspartei, 752 Vgl.

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ändernden Wirklichkeit jedoch nicht allein wegen einer drohenden Existenzvernichtung auf den Gläubiger. Dies belegt etwa der Hinweis in RGZ 103, 177, „daß der Schuldner daraus, daß ihn die Leistung ruinieren müßte, ein Recht, sie zu weigern, nicht herleiten kann. Selbst wenn es zum Konkurse kommt und der Schuldner sein Alles hergibt, bleibt er nichtsdestoweniger schuldig.“756

Die drohende Existenzvernichtung wurde in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung lediglich zu einer zusätzlichen Voraussetzung erhoben, wenn der Schuldner behauptete, infolge der Veränderung der Zustände sei die Vertragsleistung wirtschaftlich zu einer ganz anderen geworden, als wie sie ursprünglich von beiden Parteien gedacht und gewollt gewesen sei.757 Man kann sagen, das Reichsgericht verengte gewissermaßen die Lehre von der „clausula rebus sic stantibus“ durch das Kriterium der drohenden Existenzvernichtung. Dieser Schritt führte schließlich zu der Folgefrage, ob eine Berufung auf veränderte Umstände schlechthin nur dann begründet sei, wenn die Erfüllung des Vertrags den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners zur Folge haben würde. Anders gefragt: Wenn eine Existenzgefährdung des Schuldners – wie eben gezeigt – nicht hinreichend ist, sollte sie dann zumindest notwendig sein? Das verneinte das Reichsgericht mit folgenden zeittypischen Worten: „Aber so durchschlagend auch da, wo es gegeben ist, dieses Moment [Anmerkung: der wirtschaftliche Zusammenbruch des Schuldners] immer sein wird, so ist es doch nicht unerläßlich. Denn offenbar wird mit ihm der Grundgedanke der clausula rebus sic stantibus, der Gedanke, der sie und ihre Wirkung zugleich rechtfertigt, nicht getroffen.“758

Heute ist es selbstverständlich, dass sich der Schuldner auf §  313 BGB berufen kann, auch wenn seine wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet ist. Gerichtliche Entscheidungen, in denen das Kriterium einer drohenden Existenzvernichtung die alle Nachteile der wirtschaftlichen Umwälzung der anderen Partei aufbürden will“, der Rechtsschutz zu versagen sei, wenn „die Vertragserfüllung sich wirtschaftlich als unmöglich erweist, wenn sie, sei es allein, sei es im Zusammenhang mit dem Zwange, andere gleichartige Verträge unter gleichen Opfern erfüllen zu müssen, den Lieferanten geschäftlich vernichten oder doch an den Rand des geschäftlichen Ruins bringen würde.“ 756  RGZ 103, 177, 178. Vgl. auch schon RGZ 101, 74: Auf die Frage, ob ein Liefervertrag deshalb aufgehoben werden könne, weil der Schuldner wegen inzwischen eingetretener Erhöhung der Materialpreise und der Arbeitslöhne in die Gefahr eines Vermögensverfalls geraten würde, wenn er seine sämtlichen noch unerledigten gleichartigen Lieferverträge zu erfüllen hätte, führte das Reichsgericht aus: „Es fehlt […] an demjenigen Momente, das nach der angeführten Rechtsprechung hinzukommen muß. Dies Moment kann auch nicht etwa darin gefunden werden, daß die Ausführungen der sämtlichen Lieferverträge dem Beklagten einen erheblichen Schaden bringen, ja, wie die Revision behauptet, seinen Vermögensverfall nach sich ziehen würde. Denn über die Rücksicht auf die subjektiven Verhältnisse des Einzelnen steht im Interesse der Allgemeinheit die ethische Rücksicht auf die Vertragstreue und die wirtschaftlich notwendige Rücksicht auf die Verkehrssicherheit.“ 757  RGZ 100, 129, 131. 758  RGZ 103, 177, 178 [Hervorhebung hinzugefügt].

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Berücksichtigung findet, beziehen es lediglich als einen Abwägungsfaktor im Rahmen der Prüfung einer Grundlagenstörung ein. So sieht es etwa der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bei einer vertraglichen Nutzungsüberlassung eines Gartengrundstücks, die sich nachträglich als undurchführbar erwies, als entscheidend an, dass die Beklagte in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet würde, wenn sie starr an dem Vertrag festgehalten würde.759 Auch für den XII. Zivilsenat ist es möglich, dass sich eine Partei in „extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt“, auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft.760 Eine vergleichbare Haltung lässt sich einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf entnehmen. Es bewertet im Zusammenhang mit einem offenkundigen Kalkulationsfehler den Umstand als bedeutsam, dass sich die schwere Folge dieses Fehlers für die Beklagte existenzbedrohend auswirken werde.761 Und jüngst weist im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie das Landgericht Wiesbaden darauf hin, dass die Beklagte „mit ihrer Behauptung, die fortbestehende Zahlungspflicht berühre sie in ihrer Existenz“, nicht gehört werden könne, allerdings nur, solange sie nicht vermeide „ihre unsubstantiierten Behauptungen ihre wirtschaftliche Situation betreffend bis hin zur tatsächlich oder vermeintlich drohenden Existenzgefährdung […] mit Zahlen zu unterlegen“.762 Schließlich konnte nach einer mittlerweile aufgegebenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber unter engen Voraussetzungen auch ohne ausdrücklichen Widerrufsvorbehalt die Zahlung versprochener Betriebsrenten ganz oder teilweise verweigern, „wenn und solange bei ungekürzter Weiterzahlung der Bestand des Unternehmens gefährdet ist“.763 Eine durch die unveränderte Vertragsdurchführung drohende Existenzvernichtung des Schuldners lässt sich zwar grundsätzlich mithilfe des in §  313 BGB 759 

BGH, BeckRS 1966, 31172055. BGH, NJW 2000, S.  1714, 1716. 761  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, S.  1419, 1420. Auch das OLG Naumburg misst dem Kriterium einer drohenden Existenzgefährdung im Rahmen des §  313 BGB Bedeutung bei, vgl. OLG Naumburg, NL-BzAR 2012, S.  281 Rn.  37: „Hier liegt auch kein Ausnahmefall vor, der aus besonderen Gründen ausnahmsweise eine andere Betrachtung rechtfertigen würde, wie etwa eine drohende Existenzgefährdung der Kläger.“ 762  LG Wiesbaden, BeckRS 2020, 32449. 763 Voraussetzung dieses Widerrufsrechts war nach der damaligen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insbesondere, dass der Arbeitgeber eine sachverständige Betriebsanalyse – aus der sich die wirtschaftliche Notlage und deren Ursache ergab – sowie einen Sanierungsplans, der die erforderlichen Einschränkungen gerecht zwischen Arbeitgeber, aktiven Arbeitnehmern und Betriebsrentnern verteilte, vorlegen konnte, BAGE 24, 63, 72 = NJW 1972, S.  733, 734. Zur Herabsetzung von Lohnansprüchen wegen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens vgl. zudem BAG, NJW 1973, S.  342, 343: „Es muß vielmehr eine wirtschaftliche Betrachtung erfolgen, und darauf abgestellt werden, ob der wirtschaftliche Bestand des Unternehmens […] durch die Lohnfortzahlung […] gefährdet würde.“ 760 

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zu findenden Unzumutbarkeitskriteriums im Institut der Störung der Geschäftsgrundlage verankern, ihre Berücksichtigung im Zusammenhang mit vertraglichen Geldschulden ist jedoch trotz der damit verbundenen Härte für den Schuldner abzulehnen.764 Gestützt wird diese Ansicht durch das bereits durch das Reichsgericht formulierte Argument, dass es anderenfalls zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Prüfung des §  313 BGB kommt, „je nachdem, ob man einen vermögenden Schuldner vor sich hat oder einen Mann, der nichts besitzt.“765 Denn eine vertragliche Geldschuld, deren Erfüllung etwa für einen Empfänger von Grundsicherungsleistungen existenzbedrohend ist, kann für ein anderes Privatrechtssubjekt eine Lappalie darstellen. Vor allem aber wird durch den Einbezug einer aus der Vertragsdurchführung resultierenden wirtschaftlichen Notlage die Vorschrift des §  313 BGB zu einer materiellrechtlichen Schuldnerschutzbestimmung,766 sodass die Frage, ob der Geldschuldner schutzbedürftig ist, nicht unbeantwortet bleiben darf. Diese könnte man allenfalls dann bejahen, wenn die unveränderte Vertragsdurchführung tatsächlich zu seiner wirtschaftlichen Existenzvernichtung führen würde. Das wird angesichts des gesetzlichen Pfändungsschutzes – dem die Insolvenzgerichte als besondere Vollstreckungsgerichte grundsätzlich gleichfalls Rechnung tragen müssen (§  36 Abs.  1 InsO) – in aller Regel nicht der Fall sein. Selbst wenn dieser Schutz ausnahmsweise nicht greifen sollte, weil der Schuldner etwa nur Einkünfte hat, die nach den Bestimmungen der §§  850 ff. ZPO nicht unpfändbar sind, so lautet das Ergebnis nicht anders. Zwar kommt es in diesem Fall dazu, dass das materielle Existenzminimum durch eine hoheitliche Durchsetzung 764  Wie hier der VIII. Zivilsenat. Als dieser im Jahr 1978 über die Zahlung von Pachtzinsen für ein Hotel zu urteilen hatte, welches für den Rest der Vertragsdauer voraussichtlich nur noch mit Verlusten bewirtschaftet werden konnte, folgte der Senat nicht der Ansicht, dass eine drohende Existenzvernichtung des Schuldners im Rahmen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen sei. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage bewertete der Senat als unwirksam und wies darauf hin, dass der Hotelpächter für sein Versagen als Unternehmer einstehen müsse, „auch wenn das bei weiterer Erfüllung des Vertrages u. U. den Verfall seines Vermögens zur Folge haben könnte“, BGH, NJW 1978, S.  2390, 2329. Vgl. auch LAG Hamm, NZA-RR 2005, S.   237, 238, zur Gewährung einer Gratifikation aufgrund betrieblicher Übung: „Für die Entscheidung […] kommt es danach allein auf die Frage an, ob die Bekl. im Hinblick auf die vorgetragenen Verluste und wirtschaftlichen Schwierigkeiten bzw. die behauptete Existenzgefährdung zu einer Beseitigung des einmal begründeten Rechtsanspruchs des Kl. berechtigt ist. Dies ist […] zu verneinen.“; zustimmend Huber, Leistungsstörungen, Band 1, 1999, S.  658; Finkenauer, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  313 Rn.  78, 224. Für die Berücksichtigung einer drohenden Existenzvernichtung hingegen Boemke, RdA 2010, S.  10, 14 f.; Teichmann, in: Soergel, BGB, 13.  Aufl. 2014, §  313 Rn.  88; Böttcher, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  313 Rn.  27; Daßbach/Bayrak, NJ 2020, S.  185, 190: „In der Tendenz dürfte aber festzustellen sein, dass das Maß der Unzumutbarkeit letztlich nur bei der substantiierten Darlegung des Mieters erreicht sein wird, in der eigenen Existenz gefährdet zu sein.“ 765  RGZ 103, 177, 178. 766 Kritisch daher auch Finkenauer, in: MünchKommBGB, 8.   Aufl. 2019, §  313 Rn.  78: „§  313 ist keine Schuldnerschutzvorschrift.“

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privater Rechte entzogen wird, denn nach zutreffender Meinung767 kann sich der Schuldner zum Schutz seines Existenzminimums nicht auf den richterlichen Vollstreckungsschutz des §  765a ZPO berufen.768 Allerdings ist auch insoweit entscheidend, dass ihm ein verfassungsrechtlich garantierter Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gegen den Staat zusteht.769 Der Umstand, dass damit an die Stelle der Fremdverantwortung eines Gläubigers eine Kollektivverantwortung tritt, begründet keine Schutzbedürftigkeit des Schuldners. Eine Überwälzung des wirtschaftlichen Risikos auf den Gläubiger wäre allenfalls dann zu legitimieren, wenn er im Falle der Risikoverwirklichung in wirtschaftlicher Hinsicht keinen Nachteil zu tragen hätte. Diese Konstellation spiegelt die Rechtslage zur betrieblichen Altersversorgung vor der Streichung des §  7 Abs.  1 S.  3 Nr.  5 BetrAVG a. F. wider. Seinerzeit kam es durch die gesetzliche Fixierung der Möglichkeit einer einseitigen „Kürzung oder Einstellung von Versorgungsleistungen wegen wirtschaftlicher Notlage des Arbeitgebers“ zu einer Risikoverlagerung auf die Versorgungsempfänger als Gläubiger.770 Im Gegenzug hierfür erhielten sie jedoch einen Ausgleich in Form des gesetzlichen Insolvenzschutzes. Da der Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung die Versorgungsansprüche für den Fall des Widerrufs wegen wirtschaftlicher Notlage zu übernehmen hatte (vgl. §  7 Abs.  1 S.  1 BetrAVG a. F.), erlitten die Versorgungsempfänger bei Eintritt des Risikofalls im Ergebnis keine finanziellen Nachteile. Der Gesetzgeber hat den die wirtschaftliche Notlage als Sicherungsfall anerkennenden §  7 Abs.  1 S.  3 Nr.  5 BetrAVG a. F. im Zuge des Inkrafttretens des neuen Insolvenzrechts aufgehoben.771 Weil seit dieser Streichung auch das Bundesarbeitsgericht nicht mehr an der oben erwähnten Möglichkeit des Widerrufs wegen einer wirtschaftlichen Notlage festhält,772 kommt es ohne die Zustimmung der Versorgungsempfänger 773 nicht mehr zu einer Verlagerung des 767  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, S.  1512; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2002, S.  1664; BGHZ 161, 371, 374 = NJW 2005, S.  681, 682; BGH, NZI 2017, S.  931, 933; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 7, 22.  Aufl. 2002, §  765a Rn.  7, 39; Erkelenz et al., ZRP 2007, S.  48, 49; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 12.  Aufl. 2021, S.  740; Scheuch, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 13.  Aufl. 2021, §  765a Rn.  17. 768  A. A. Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S.   186; Heßler, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  765a Rn.  36; Herberger, Menschenwürde in der Zwangsvollstreckung, 2022, S.  333 f. 769  Vgl. §  10 A. II. 770  Vgl. BGH, NZA 1989, S.  305, 306; BAG, NZA 1993, S.  941; BAG, BeckRS 2004, 40071. 771  Art.  91 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994, BGBl. I 1994, S.  2911. 772  BAGE 106, 327 = DB 2004, S.  324; BAGE 123, 307, 314 f. = NJOZ 2010, S.  174, 177; BAG, BeckRS 2009, 55849; bestätigt durch einen Nichtannahmebeschluss des BVerfG, NZA 2012, S.  788; BAG, NZA 2021, S.  344, 346. 773  Zur Möglichkeit des Versorgungsschuldners, mit Zustimmung des Trägers der Insolvenzsicherung einen außergerichtlichen Vergleich mit den Versorgungsempfängern zu schließen, vgl. §  7 Abs.  1 S.  4 Nr.  2 BetrAVG sowie BAGE 123, 307, 316 = NJOZ 2010, S.  174, 177.

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wirtschaftlichen Risikos des Arbeitgebers. Es gilt damit auch insoweit der Satz von der materiellen Unbeachtlichkeit des Geldmangels, oder anders gewendet: Der Arbeitgeber hat für seine finanzielle Leistungsfähigkeit selbstverantwortlich einzustehen.774 Insgesamt lässt sich somit festhalten: Die nicht zu bestreitende soziale Härte einer drohenden Existenzvernichtung ändert grundsätzlich nichts an der materiellrechtlichen Risikozuweisung, der zufolge der Geldschuldner das Risiko der eigenen Leistungsfähigkeit trägt.775 Wer dieses Risiko anders verteilen will, muss eine entsprechende Vereinbarung in den Vertrag verhandeln.776 Abschließend bleibt zu klären, ob dem Gläubigerverlangen, der Schuldner müsse ohne Rücksicht auf seine finanzielle Lage – sozusagen auf Gedeih und Verderb – sein vertragliches Versprechen erfüllen, der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden kann. Das wollte der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1967 offensichtlich bejahen. In dem entschiedenen Fall hatte sich der Beklagte in einem Erbvertrag verpflichtet, über ein Grundstück unter Lebenden nicht zu verfügen (§  137 S.  2 BGB). Der Senat musste die Frage beantworten, ob eine Veräußerung oder Belastung des Grundstücks selbst dann verwehrt sein sollte, wenn es dadurch zu einer finanziellen Notlage kommt. Hierzu führte er aus: „Selbst wenn hier von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht sollte gesprochen werden können – was der Senat mangels hinreichender tatsächlicher Erörterung nicht zu beurteilen vermag –, wäre zu bedenken, daß auch die rücksichtslose und unangemessene Verfolgung der eigenen Interessen eine Rechtsausübung unzulässig machen kann […] und es kann sich die Frage stellen, ob nicht der Kläger eine Belastung des Grundbesitzes in notwendiger und tragbarer Höhe hinnehmen muß.“777

Der Hinweis des Bundesgerichtshofs auf den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist wenig sachgerecht. Denn die Generalklausel des §  242 BGB ist nicht dazu bestimmt, den Schuldner vor einer finanziellen Notlage zu bewahren, die auf eine autonom begründete vertragliche Verpflichtung zurückzuführen ist, auch wenn dadurch seine materielle Existenz in Gefahr gerät.778 Von einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden unzulässigen Rechtsaus774 

Steinmeyer, in: Erfurter Kommentar, 22.  Aufl. 2022, §  1 BetrAVG Rn.  34. So auch BAG, NZA 2021, S.  344: „[N]ach den gesetzlichen Wertungen in §  7 BetrAVG vermag nicht einmal eine wirtschaftliche Notlage den Widerruf von laufenden Versorgungsleistungen und von Regelungen zu ihrer Anpassung zu begründen. Nähme man in so einem Fall eine Störung der Geschäftsgrundlage an, so widerspräche das der gesetzlich vorgese­ henen Risikoverteilung […].“ 776  Vgl. LAG Hamm, NZA-RR 2005, S.  237, 240. 777  BGH, BeckRS 1967, 31169345. 778 Vgl. Medicus, AcP 192 (1992), S.  35, 66 f.; kritisch auch Hagen, in: Schmoeckel/Kanzleiter, Vertragsschluss – Vertragstreue – Vertragskontrolle, 2010, S.  11, 23 f.; Hagen, DNotZ 2010, S.  6 44, 654 (jeweils zur Korrektur der Formnichtigkeit in Fällen drohender Existenzvernichtung nach dem Maßstab von Treu und Glauben). 775 

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übung kann nur dann gesprochen werden, wenn die Geltendmachung des Anspruchs zu einem untragbaren Ergebnis führen würde, das in einem eklatanten Widerspruch zu den Wertungen unserer Rechtsordnung stünde.779 Es entspricht aber gerade dem gesetzlichen Grundmuster, dass bei rechtsgeschäftlich begründeten Ansprüchen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners erst in der Vollstreckungsinstanz berücksichtigt wird. Jede Verlagerung in das Erkenntnisverfahren würde – worauf bereits hingewiesen wurde – zu einer sachlich nicht gerechtfertigten und vom Gesetz nicht gewollten Privilegierung einer bestimmten Einkommens- und Vermögensausstattung führen. Selbst wenn die speziellen Pfändungsschutzvorschriften nicht greifen und der Schuldner zur Sicherung seines Lebensunterhalts staatliche Transferleistungen in Anspruch nehmen muss, kann er die Befriedung des vertraglichen Anspruchs nicht unter Berufung auf §  242 BGB verweigern. Eine mit dem Bezug von Sozialleistungen verbundene soziale Härte stellt keinen Widerspruch zu den Wertungen unserer Rechtsordnungen dar, sondern ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, dass es nur in den normierten Fällen der §§  811, 850 ff. ZPO nicht zu einer Kollektiv-, sondern zu einer Fremdverantwortung kommt. Der Umstand, dass ein bedürftiger Schuldner Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss, weil er ein vertragliches Versprechen zu erfüllen hat, ist daher unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung unbeachtlich.780 Einem vertraglichen Anspruch kann allenfalls dann der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen, wenn die vertragliche Schuld auf einem unredlichen Vorverhalten des Gläubigers beruht. Ein solches liegt aber nicht bereits dann vor, wenn er die irrige Vorstellung des Schuldners über dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erkannt hat. Nur sofern den Gläubiger eine gesetzliche Pflicht zur Prüfung der Leistungsfähigkeit des Schuldners trifft und er diese nicht ordnungsgemäß erfüllt, gilt etwas anderes. Ein derartiger Sonderfall einer unzulässigen Rechtsausübung ist in §  505d Abs.  2 BGB für den Fall geregelt, dass der Darlehensgeber seine Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung verletzt.781 779 

Vgl. zu §  765a ZPO BVerfG, NJW 2015, S.  3083, 3085. die Notwendigkeit, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, an sich keine sittenwidrige Härte bedeutet, entspricht der allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Literatur zu §  765a ZPO, vgl. OLG Nürnberg, Rpfleger 1958, S.  319; OLG Frankfurt a. M., Rpfleger 1981, S.  24; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, S.  1512; BFH, DStR 1999, S.  351; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2002, S.   1664; BGH, NJW 2005, S.   681, 682; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 16.  Aufl. 1954, S.  31; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 7, 22.  Aufl. 2002, §  765a Rn.  7, 39; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 12.  Aufl. 2021, S.  740; Kindl, in: Saenger, ZPO, 9.  Aufl. 2021, §  765a Rn.  4; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 19.  Aufl. 2022, §  765a Rn.  14; a. A. Heßler, in: MünchKommZPO, 6.  Aufl. 2020, §  765a Rn.  36. 781  BT-Drs. 18/5922, S.  103; Artz, in: Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 10.  Aufl. 2019, §  505d BGB Rn.  12; Lauer, ZIP 2019, S.  2448, 2453. 780  Dass

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Festzuhalten ist damit, dass die vollständige Geltendmachung eines rechtsgeschäftlich begründeten Zahlungsanspruchs782 nicht deshalb rechtsmissbräuchlich ist, weil der Schuldner dadurch – wie es die Rechtsprechung bisweilen plakativ im Zusammenhang mit exorbitant hohen Schadensersatzansprüchen umschreibt – zu einer „kümmerlichen Lebenshaltung“783 gezwungen oder zum „finanziellen Krüppel“784 gemacht wird. Auch in diesen Fällen ist für eine materiellrechtlich wirkende Risikoverlagerung nach Billigkeitsgesichtspunkten kein Raum.785 Etwas anderes lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der bereits oben erwähnten Sonderregelung des §  1629a BGB vertreten. Ganz im Gegenteil: Sie zeigt, dass die finanzielle Überforderung des Geldschuldners als „Querschnittsproblem der Rechtsordnung“786 nicht durch eine Manipulation der vertraglichen Schuld, sondern auf der Ebene der Haftung zu lösen ist. Wer den Schutz finanziell überforderter Geldschuldner mithilfe des materiellen Rechts ausbauen möchte, der darf daher auch keine beschränkte Gattungsschuld konstruieren, wie es U. Reifner in seiner Schrift über ein „Alternatives Wirtschaftsrecht“787 versucht, sondern muss einen dogmatisch anderen Weg einschlagen, nämlich entweder de lege ferenda für eine gesetzliche Haftungsbeschränkung gegenständlicher Art plädieren788 oder behaupten, mithilfe einer 782  Für eine Entlastung des bedürftigen Schuldners bei kraft Gesetzes entstandenen Geldschulden mittels §  242 BGB als „Reduktionsklausel“ LG Bremen, NJW-RR 1991, S.  1432, 1435 (betreffend die deliktische Haftung eines Minderjährigen); Canaris, JZ 1987, S.  993, 1001 f.; Gärtner, JZ 1988, S.  579, 582 f. Kritisch zur Anwendung des §  242 BGB zur Begrenzung der deliktischen Haftung Medicus, AcP 192 (1992), S.  35, 65 ff.; Rolfs, JZ 1999, S.  233, 237 f.; Simon, AcP 204 (2004), S.  264, 276 f.: „Aber der Einwand des Rechtsmißbrauchs paßt hier nicht.“ Differenzierend Looschelders, VersR 1999, S.  141, 146 f.; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, 2019, §  242 Rn.  9 04: „Ein allgemeines Verbot der Geltendmachung exorbitanter Forderungen lässt sich hieraus zwar nicht ableiten. Ein Rückgriff auf §  242 BGB kommt aber in Betracht, wenn der Anspruchsteller keine realistische Aussicht auf die Verwirklichung seiner Forderung hat und der Anspruchsgegner aufgrund spezifischer Wertungen besonders schutzwürdig erscheint.“ Offen Rother, Haftungsbeschränkung im Schadensersatzrecht, 1965, S.  290 f., der einerseits darauf hinweist, dass die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse von Gläubiger und Schuldner zu einer „für den Gesamtzustand des Rechts gefährlichen Argumentation“ führt, und andererseits dafür plädiert, „diese Beurteilungsart aus ihrem bisherigen unterschwelligen Dasein zu befreien und in den Kreis der offiziell anerkannten Elemente des Schadensrechts aufzunehmen“, was eine „Aufgabe eines künftigen Schadensrechts“ sei. Rechtsvergleichend sowie unter Berücksichtigung des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften aus dem Jahr 1967, der eine Reduktionsklausel vorsah, die als §  255a BGB in das BGB eingefügt werden sollte, Hohloch, in: Bundesministerium der Justiz, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band 1, 1981, S.  375, 454, 459 ff.; v. Hippel, Rechtspolitik, 1992, S.  317 ff.; Looschelders, VersR 1999, S.  141, 143 f. 783  BAGE 5, 1, 7 = NJW 1958, S.  235, 238. 784  So LG Bremen, NJW-RR 1991, S.  1432, 1433. 785  Im Ergebnis wie hier Lange, Gutachten zum 43. DJT, 1960, S.  5, 28. 786  Wagner, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  828 Rn.  18. 787  Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979. 788 Vgl. K. Schmidt, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, S.  9, 19.

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„ergänzenden Vertragsauslegung“789 könne man zu einer gewillkürten (gegenständlichen) Haftungsbeschränkung gelangen. Dass eine derartige Vereinbarung grundsätzlich zulässig ist, hat der Gesetzgeber mittlerweile an versteckter Stelle – nämlich bei den Regelungen zum Immobilienverzehrkreditvertrag (§  491 Abs.  3 S.  4 BGB) anerkannt.790 Nur als ceterum censeo sei erwähnt, dass im Zusammenhang mit der rechtspolitischen Forderung nach einer gesetzlichen Haftungsbeschränkung ein Verweis auf die Wertung des §  1629a BGB verfehlt wäre. Denn der Grund, warum die Vorschrift dem volljährig Gewordenen eine „zweite Chance“ gewährt, liegt nicht etwa in der Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz – schließlich greifen auch bei ihm die vollstreckungs- und insolvenzrechtlichen Schutzmechanismen –, sondern in dem Umstand, dass die Verbindlichkeiten durch einen Akt der Fremdbestimmung begründet wurden. Der Minderjährige kann sich nämlich weder seine gesetzlichen Vertreter aussuchen noch auf deren Vertretungsbefugnis einwirken.791 Das tragende Element, das eine Durchbrechung des Prinzips der Selbstverantwortung rechtfertigt, ist damit nicht eine drohende Existenzgefährdung, sondern das Fehlen der vertragsanbahnungsbezogenen Selbstbestimmung. Sofern diese unbeeinträchtigt ist, lässt sich kein sachlicher Grund dafür finden, die Verantwortung durch eine Abweisung der Zahlungsklage als (derzeit) unbegründet unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§  242 BGB) auf den Gläubiger zu übertragen. Der Freiheitsschutz des Schuldners realisiert sich erst im Haftungsstadium durch den Vollstreckungsschutz und durch das Institut der Restschuldbefreiung. IV. Ist Selbstverantwortung entwicklungsfördernd? Damit ist man wieder bei der Ausgangsfrage dieses Unterabschnitts angekommen, die sich jetzt wie folgt abwandeln lässt: Wenn das Vertragsrecht nach dem eben Gesagten auch dann Selbstverantwortung einfordert, wenn eine bedürftige Vertragspartei eine rechtsgeschäftlich begründete Geldschuld nicht erfüllen kann, ja selbst eine drohende Existenzvernichtung bei unveränderter Vertragsdurchführung „durch harte Ausübung des Schuldrechts“ zu keiner Verlagerung der Verantwortung führt und damit „der Reiche den Armen untergehen lassen kann“792 , wie kann es dann einen freiheits- und damit entwicklungsfördernden 789  Zu diesem Ansatz vgl. Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979, S.  314 ff. („soziale Vertragsauslegung“). 790  Gemäß §  491 Abs.  3 S.  4 Nr.  1 BGB werden Immobilienverzehrkreditverträge aus dem sachlichen Anwendungsbereich der verbraucherschützenden Vorschriften der §§  491 ff. BGB nur dann ausgenommen, wenn die Parteien vereinbaren, dass der Darlehensgeber „nur einen Betrag aus dem künftigen Erlös des Verkaufs einer Wohnimmobilie erhält“. Zur gewillkürten (gegenständlichen) Haftungsbeschränkung beim Immobilienverzehrkreditvertrag vgl. Allstadt, Die zivilrechtlichen Aspekte des Immobilienverzehrkreditvertrages, 2020, S.  284 ff.; Kraft, AcP 222 (2022), S.  401, 413 ff. 791  BVerfGE 72, 155, 171 = NJW 1986, S.  1859, 1860. 792 So v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 1, 1840, S.  371.

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Beitrag leisten? Oder anders gewendet: Wieso schützt das Bekenntnis zur Selbstverantwortung den Freiheitsraum bedürftiger Schuldner, obwohl damit in einer „bourgeoisen Brutalität“793 etwas eingefordert wird, was überhaupt nicht geleistet werden kann? Worin liegt also der liberale Wert eines unbedingten Festhaltens am Grundsatz der Selbstverantwortung? Die Antworten auf diese Fragen sind leicht zu erkennen, wenn man überlegt, was es bedeuten würde, wenn der Erkenntnisrichter eine vertragliche Zahlungsverpflichtung korrigieren könnte, um dem bedürftigen Schuldner einen Mindestsockel an wirtschaftlicher Freiheit zu belassen. Die Folge wäre ein Freiheitsentzug zulasten bedürftiger Privatrechtsakteure in zweifacher Hinsicht. 1. Freiheit zur Armut Erfolgt der Eingriff in das schuldbegründende Rechtsgeschäft aufgrund der Annahme von Sittenwidrigkeit, dann wird der bedürftigen Vertragspartei ihre Freiheit genommen, sich auf der Grundlage eines von der Rechtsordnung anerkannten Vertrages willentlich selbst zu beschränken.794 Denn ihre wirtschaftliche Freiheit wird durch §  138 Abs.  1 BGB geschützt, ob sie es will oder nicht.795 Damit wird ihre Freiheit zur materiellen Armut nicht ernst genommen, obwohl das Bürgerliche Gesetzbuch auch diesen Freiheitsaspekt achtet, was sich mit folgenden Erwägungen begründen lässt: Ein Vertrag, in dem sich jemand verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen ohne Gegenleistung zu übertragen, ist wirksam, sofern er nur notariell beurkundet wurde (§  311b Abs.  3 BGB). Zudem steht es jedem frei, die nach den §§  811 ff. ZPO für unpfändbar erklärten Sachen rechtsgeschäftlich zu veräußern, selbst wenn mit der freiwilligen Verfügung eine Gefährdung oder gar Vernichtung der eigenen wirtschaftlichen Existenz einhergeht.796 Dem prozessualen Pfändungsschutz bei der Sachpfändung steht kein materiellrechtliches Verfügungsverbot und eine damit einhergehende Beschränkung der Privatautonomie gegenüber. Schließlich zeigt die tatbestandliche Ausgestaltung des §  519 Abs.  1 BGB ebenso wie die des §  528 Abs.  1 S.  1 793 

Westermann, ZHR 153 (1989), S.  123, 139. Gaßner, NJW 1988, S.  1131, 1132: „Überpflichtmäßige Anstrengungen sollen dem Schuldner nicht hoheitlich abgezwungen werden können, sie dürfen ihm aber auch nicht umgekehrt durch gesetzliches Verbot verunmöglicht werden.“; Westermann, ZHR 153 (1989), S.  123, 139: „Die Vernichtung des Vertrages nimmt den Parteien und damit auch dem Schuldner die Autonomie, sich aufgrund seiner Einschätzung seiner eigenen Leistungsfähigkeit und ihrer individuellen Abwägung gegen seine […] Bedürfnisse für ein Geschäft zu entscheiden.“; kritisch auch Westermann, JZ 1989, S.  744, 747: „Die Verpflichtungsbefugnis des wirtschaftlich schwachen Schuldners zu leugnen […] ist mit den Grundanforderungen einer Gesellschaft von freien und gleichen nicht vereinbar.“; ferner Schnabl, WM 2006, S.  706, 712; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  365 f. 795  Ein Verzicht auf die von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung ist nach richtiger Ansicht nicht möglich, vgl. Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  138 Rn.  295. 796  Trinkner, BB 1971, S.  14, 15; Eckert, WM 1987, S.  945, 948. 794 Ähnlich

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BGB, dass es allein in der persönlichen Entscheidung eines Privatrechtsakteurs steht, „entweder zu darben und damit an den Folgen seiner Großzügigkeit zu leiden“797 oder die Notbedarfseinrede zu erheben bzw. nach Schenkungsvollzug die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zu fordern.798 Selbst in der Zwangsvollstreckung wird diese Entscheidungsfreiheit geschützt, denn nach §  852 Abs.  2 ZPO darf der Anspruch auf Herausgabe des Geschenks wegen Notbedarf nur dann gepfändet werden, wenn der Schenker bereits durch Erhebung einer Klage oder durch ein vertragliches Anerkenntnis gezeigt hat, dass er sich für die Rückforderung entschieden hat. Weil das in §  852 Abs.  2 ZPO statuierte Pfändungsverbot dem Schutz der Entscheidungsfreiheit und nicht dem öffentlichen Interesse dient, darf auch das materielle Recht die Abtretung der Forderung nicht verhindern. Der Anwendungsbereich des §  400 BGB ist daher im Wege der teleologischen Reduktion einzuschränken.799 Die in §  528 Abs.  1 S.  1 BGB und §  852 Abs.  2 ZPO zum Ausdruck kommende Wertung, dass sich der Beschenkte aufgrund persönlicher Erwägungen auch für eine Verarmung bzw. gegen ihre Beseitigung entscheiden kann, wird schließlich auch nicht durch die rechtliche Möglichkeit einer Anspruchsüberleitung auf den Sozialleistungsträger (§  33 SGB II, §  93 SGB XII) konterkariert. Denn materielle Voraussetzung des Anspruchsübergangs ist, dass der Sozialleistungsträger tatsächlich (nachrangige) Sozialleistungen gewährt.800 Weil er nur dann in Vorlage tritt, wenn der Schenker sich gegen ein Leben in „versteckter Armut“801 entscheidet und einen Leistungsantrag stellt (vgl. §  37 Abs.  1 S.  1 SGB II, §  44 Abs.  1 S.  1 SGB XII), liegt es letztlich in der Hand des Schenkers, ob es zu einem Regressanspruch kommt oder nicht. Stellt er einen Leistungsantrag, so bringt er im Akt der Inanspruchnahme nachrangiger Sozialleistungen zum Ausdruck, dass er ohne die Rückfor-

797 

Krauß, ZEV 2001, S.  417. Vgl. BGHZ 147, 288, 291 = NJW 2001, S.  2084, 2085. 799  Walker, in: FS Musielak, 2004, S.  655, 656 f.; Busche, in: Staudinger, BGB, 2022, §  400 Rn.  1. 800  Ludyga, NZS 2012, S.  121; Giere, in: Grube et al., SGB XII, 7.  Aufl. 2020, §  93 Rn.  10; v. Koppenfels-Spies, in: Knickrehm et al., Kommentar zum Sozialrecht, 7.  Aufl. 2021, §  93 SGB XII Rn.  3. 801  Mit dem Begriff der „versteckten Armut“ wird das Phänomen bezeichnet, dass es Personen gibt, die freiwillig, aus Unwissenheit oder durch hohe Zugangshindernisse bedingt keinen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII stellen, obwohl die ihnen zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen unterhalb des Existenzminimums liegen und sie einen Anspruch auf Sozialleistungen hätten, dazu Hannes, in: Gagel, SGB II/SGB III, 84. EL Dezember 2021, §  3 RBEG Rn.  14; ferner Hauser, Sozialer Fortschritt 47 (1998), S.  159, 161, der in diesem Zusammenhang von „verdeckter Armut“ spricht; ebenso Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S.  49; Becker, in: Berlit et al., Existenzsicherungsrecht, 3.  Aufl. 2019, Kap.  5 Rn.  2; Jacobs, Soziale Welt 46 (1995), S.  403, 411, verwendet den Begriff der „verschämten Armut“. 798 

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derung des Geschenks nicht in der Lage ist, seinen notwendigen Unterhalt zu bestreiten, und macht zugleich von seinem persönlichen Wahlrecht Gebrauch.802 Damit kann festgehalten werden: Das materielle Recht erkennt eine freie und ohne Zwang getroffene Entscheidung zur finanziellen Armut ungeachtet ihrer Vernünftigkeit an. Die Freiheit zur Armut wird dem Schuldner – wie bereits ausgeführt wurde803 – erst in der Vollstreckungsinstanz zum Schutz des öffentlichen Fiskalinteresses genommen. 2. „Angesparte“ Freiheit Das Bekenntnis zur Selbstverantwortung ist aus einem zweiten Grund freiheitsfördernd. Diesen erkennt man, wenn man die Offenheit der Zukunft in die Betrachtung einbezieht. Die Grundgedanke lautet: Wer Selbstverantwortung einfordert, sichert eine künftige, gewissermaßen „angesparte Freiheit“804. Dies deshalb, weil davon auszugehen ist, dass potenzielle Vertragspartner die Möglichkeit der einseitigen Lockerung der Vertragsbindung zugunsten einer bedürftigen Partei in ihre Entscheidungen einbeziehen und sie daher künftig entweder von einem Vertragsschluss mit wirtschaftlich bedürftigen Personen absehen805 oder einen Vertragsschluss nur zu Konditionen anbieten, die sich die wirtschaftlich Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht leisten können.806 Ein durch den richterlichen Eingriff in das Vertragsverhältnis generiertes Mehr an wirtschaftlicher Freiheit führt damit zu einem Weniger an künftiger Vertragsfreiheit, weil das Vertrauen verloren geht, dass auch bedürftige Personen an ihre selbstbestimmt getroffenen Entscheidung gebunden sind. 807 Das Bekenntnis zur Selbstverantwortung liegt daher, wie es C.-W. Canaris einprägsam umschreibt, im „ureigensten Interesse“ der bedürftigen Person, „weil sonst vernünftigerweise niemand mehr Verträge mit Menschen in Notlagen schließen würde und diese somit insoweit geradezu ihrer (materialen) Vertragsfreiheit beraubt würden“808 . Anders gewendet: Jede Durchbrechung der Selbstverantwortung ist für bedürftige Personen 802 Vgl.

Krauß, ZEV 2001, S.  417, 420. Vgl. §  10 A. II. 804  Begriff nach Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  2 Abs.  1 Rn.  79. 805 Vgl. Westermann, JZ 1989, S.  744, 747; Cooter, Ala. L. Rev. 59 (2007–2008), S.  1107, 1110; Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  366. 806 Treffend Adomeit, NJW 1994, S.  2467, 2469: „Der Schutz des Schwächeren ist der Ruin des Schwächsten!“; in diesem Sinn auch Westermann, ZHR 153 (1989), S.  123, 140; Knütel, ZIP 1991, S.  493, 496 f.; Eichenhofer, JuS 1996, S.  857, 864; Bungeroth, in: FS Schimansky, 1999, S.  279, 280: „Schutzvorschriften zugunsten einer Gruppe […] wirken sich infolge marktgerechter Reaktionen der Gegenseite mitunter sogar zum Nachteil der besonders Schutzbedürftigen aus.“; Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  111. 807  Zu diesem Gedanken auch Fastrich, in: FS Canaris, 2007, S.  1071, 1077. 808  Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 278. Ähnlich argumentieren Zöllner, JuS 1988, S.  329, 803 

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„like a gift of contaminated cream, […] a sharp punishment disguised as a reward.“809

B. Personenbezogene Instrumente Das in §  10 verfolgte Ziel ist es, den entwicklungsfördernden Beitrag des Vertragsrechts offenzulegen. Weil Entwicklung als Prozess der Freiheitserweiterung verstanden wird, sind hierfür diejenigen Faktoren in den Blick zu nehmen, deren Zusammenspiel die Freiheiten wirtschaftlich bedürftiger Menschen begrenzen: die Güter, die persönlichen Umwandlungsfaktoren sowie die sozialen Umwandlungsfaktoren. Im vorangegangenen Unterabschnitt standen güterbezogene Instrumentarien im Fokus der Betrachtung. Es ging dabei um solche Vorschriften, die zu einer Durchbrechung des Selbstverantwortungsgrundsatzes führen, um einem Geldschuldner ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit zu sichern. Rechtliche Normen können sich aber nicht nur auf die individuelle Güterausstattung und die hieraus resultierende ökonomische Freiheit auswirken, sondern auch – wie oben gezeigt wurde810 – bestimmte persönliche Eigenschaften der Marktteilnehmer modellieren und auf diese Weise bedürftige Personen befähigen, die ihnen zur Verfügung stehenden knappen Ressourcen in Freiheiten zu konvertieren. An dieser Stelle soll nun eine bestimmte personenbezogene, durch rechtliche Normen formbare Eigenschaft näher betrachtet werden, nämlich die Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung. Die Auswahl dieses subjektiven Bestimmungsfaktors liegt deshalb nahe, weil verschiedentlich zu lesen ist, die Fähigkeit zur selbstbestimmten Entscheidung werde durch eine wirtschaftliche Mangelsituation beeinträchtigt.811 „Besitz 336; Medicus, ZIP 1989, S.  817: „Teilentmündigung der Vermögens- und Einkommensschwachen“; Eichenhofer, JuS 1996, S.  857, 864; Fastrich, in: FS Canaris, 2007, S.  1071, 1081; aus dem rechtsökonomischen Schrifttum vgl. etwa Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  94: „The inability to collect money damages from poor people stops them from making legally effective contracts, which erodes their ability to cooperate with strangers.“ 809  Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  95. Ein ähnlicher Gedanke findet sich bereits bei Green, Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract, 1881 (1891), S.  365: „If the law thus takes to protecting men, whether tenant-farmers, or pitmen, or railway servants, who ought to be able to protect themselves, it tends to weaken their self-reliance, and thus, in unwisely seeking to do them good, it lowers them in the scale of moral beings.“ 810  Vgl. §  8 A. 811  Vgl. etwa Caplovitz, The Poor Pay More, 1967, S.  190 f.; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art.  19 Abs.  2 Grundgesetz, 3.  Aufl. 1983, S.  16: „Menschen, die unter materieller Not leiden, geraten aber auch leicht in die Abhängigkeit wirtschaftlich Stärkerer. Damit vermögen sie erst recht keine freien Entscheidungen zu treffen.“; ähnlich Schuldt, Mietpreisbremse, 2017, S.  142, der davon ausgeht, dass eine durch wirtschaftliche Not hervorgerufene Zwangslage, die tatsächliche Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt.

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und Bildung“ sind – so heißt es – „in unserer Gesellschaft tendenziell miteinander verknüpft“, sodass schon „die im liberalen Marktkonzept jeder und jedem beigemessene Kompetenz zu rationalem Tauschverhalten keine Entsprechung in der Realität [findet].“812 Plakativ wird auch von einer „Geldnaivität“813 ­ärmerer Personen gesprochen. Andere behaupten, finanziell schlecht gestellte Menschen verfügten in der Regel weder über detaillierte Rechtskenntnisse noch fänden sie ohne Weiteres den Weg zu einem Rechtsanwalt, zu Gericht oder zu einem Verbraucherschutzverband. 814 Viele von materieller Armut Betroffene sollen sich gar „irrational verhalten“ und sich kaum um die Folgen ihres Verhaltens kümmern, was auf eine „spezifische Rechtsferne der Lebensverhältnisse der von Armut Betroffenen, aber auch auf allgemeine ‚patterns‘ der sozialen Ungleichheit im erfolgreichen Umgang mit Recht“815 zurückzuführen sei. Eine vergleichbare Stoßrichtung lässt sich einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus dem Jahr 1983 entnehmen. Die Unfähigkeit eines Kreditbewerbers zur „selbständigen rechtlichen und wirtschaftlichen Beurteilung der Finanzierungsfragen“ wurde dort ohne Weiteres aus seiner Zugehörigkeit zur „sozial schwächeren Bevölkerungsschicht“ abgeleitet.816 Und wenn C.-W. Canaris mit Blick auf ruinöse Schadensersatzansprüche darauf hinweist, das Argument, der Schädiger hätte sich durch eine Privathaftpflichtversicherung schützen können, benachteilige die „sozial schwächeren“ Schichten, weil der Entschluss für einen Versicherungsschutz ganz entscheidend vom Informationsniveau abhänge, 817 dann impliziert auch dieser Satz, dass eine bestimmte Personengruppe in der Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung beschränkt ist, denn anderenfalls könnten die „sozial Schwächeren“ durch das Erfordernis, eine rechtlich relevante Entscheidung zu treffen, nicht zurückgesetzt werden. Ob all diese Einschätzungen zur freien Entschlusskraft armer Rechtspersonen – die nebenbei bemerkt in gewisser Weise mit der in der politischen Philosophie der klassischen Antike zu findenden Annahme korrelieren, dass das „übermaßige Arme […] es schwer zu[lasse], der Vernunft zu folgen“818 – zutreffend sind, kann nur empirisch durch Untersuchung sozialen Tatsachenmaterials geklärt werden.819 Auch die mithilfe der Neurowissenschaften zu beantwor812 

Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  4 f. Reifner, BKR 2009, S.  51. 814 So Bungeroth, in: FS Schimansky, 1999, S.  279, 283. In diesem Sinn bereits Menger, Das Bürgerliche Recht und die Besitzlosen Volksklassen, 3.  Aufl. 1904, S.  21: „Die Armen dagegen besitzen nur eine dürftige Rechtskenntnis und sie können die Lücken und Mängel derselben auch regelmäßig nicht durch die Anfrage bei Kundigen ersetzen.“; Carlin et al., Law. Soc. Rev. 1 (1966), S.  9, 75 ff. 815 So Dimmel, in: Döring et al., Armutsforschung in Österreich, 2003, S.  46, 47. 816  OLG Düsseldorf, ZIP 1984, S.  166, 167. 817  Canaris, JZ 1990, S.  679, 680. 818  Aristoteles, Politik, nach der Übersetzung von Schwarz, 2019, S.  2 24 f. 819  Vgl. etwa Goldman, J. Mark. Res. 15 (1978), S.  11 ff.; McNeil et al., Law. Soc. Rev. 13 (1979), S.  695 ff.; Brodie et al., Poverty Law, Policy, and Practice, 2.  Aufl. 2021, S.  491 ff. 813 

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tende Frage, inwiefern sich materielle Armut auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns und damit auf die innere Willensfreiheit auswirkt, muss an dieser Stelle nicht interessieren. Denn im Rahmen der hier verfolgten deskriptiven Analyse geht es nicht um einen die Seinsebene betreffenden tatsächlichen Wirkungszusammenhang zwischen materieller Armut und der Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung. Es gilt vielmehr herauszufinden, ob es de lege lata einen von der Einkommens- und Vermögenssituation abhängigen und damit statusbezogenen Schutz der Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung gibt. Das ist – um das Ergebnis vorwegzunehmen – zu verneinen. Das Gesetz geht weder davon aus, dass ein Mangel an wirtschaftlichen Ressourcen die rechtsgeschäftliche Willensbildungsfähigkeit beeinträchtigt (hierzu §  10 B. I.), noch berücksichtigt es eine aus der individuellen finanziellen Verfassung resultierende Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (hierzu §  10 B. II.). Im Vertragsanbahnungsprozess stehen sich vielmehr „der Reiche und der Arme […] als ebenbürtige Vertragsteile gegenüber“820 . I. Willensbildungsfähigkeit Dass zwischen der Willensbildungsfähigkeit und der finanziellen Ausstattung einer Person kein innerer Zusammenhang besteht, 821 bringt das Bürgerliche Gesetzbuch an verschiedenen Stellen im Recht der Geschäftsfähigkeit zum Ausdruck. §  104 BGB knüpft die Wirksamkeit einer Willenserklärung lediglich an das Alter sowie an die kognitiv-psychischen Fähigkeiten einer Person und eben nicht an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Das gilt gleichermaßen für die besondere Geschäftsfähigkeit. Für die Ehemündigkeit und die Testierfähigkeit ist die Einkommens- und Vermögenssituation der Ehegatten bzw. des Testierenden unbeachtlich (§§  1303, 1304 BGB, §  2229 BGB). Ein Einfallstor für die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehegatten wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017822 geschlossen. Nach alter Rechtslage konnten die Familiengerichte bei einer Entscheidung über die Befreiung vom Alterserfordernis bei einem Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr vollendet hatte (§  1303 Abs.  2 BGB a. F.), im Zusammenhang mit der dann erforderlichen Kindeswohlprüfung auch vermögensrechtliche Interessen berücksichtigen. Dies war deshalb sachgerecht, weil nicht zu bestreiten ist, dass ein Mangel an wirtschaftlichen Ressourcen das Wohl eines Minderjährigen und seine Entwicklungschancen beeinträchtigen kann. Die fehlende wirtschaft820  Menger, Das Bürgerliche Recht und die Besitzlosen Volksklassen, 3.  Aufl. 1904, S.  144; ebenso Ehrenberg, Freiheit und Zwang auf dem Gebiete des Verkehrsrechts, 1905, S.  20 f. 821  Im Ergebnis wie hier Schur, in: Lampe et al., Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S.  226, 233. Zur Verbindung von Geschäftsfähigkeit und Vermögen im Schweizer Recht vgl. Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  40 ff. 822  BGBl. I 2017, S.  2429.

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liche Leistungsfähigkeit des Minderjährigen und/oder des volljährigen Ehegatten konnte aber auch seinerzeit für sich allein keine Ablehnung der Befreiung rechtfertigen, da die Einkommens- und Vermögenssituation nur Auskunft über ein unzureichendes materielles Wohlergehen des Minderjährigen gibt, aber nichts über die reale Lebenssituation in der künftigen Ehe aussagt und nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass der Minderjährige auch in finanziell beengten Verhältnissen, in denen die familiäre finanzielle Grundsicherung nur aufgrund staatlicher Leistungen gewährleistet ist, eine gedeihliche Entwicklung erfahren kann.823 In der Rechtsprechung wurde daher zutreffend darauf hingewiesen, dass weder der Sozialhilfebezug beider Ehegatten noch der Umstand, dass der volljährige Ehegatte über keine Einkünfte aus beruflicher Tätigkeit verfügt, für sich allein einen Grund darstellt, die Befreiung gemäß §  1303 Abs.  2 BGB a. F. zu versagen.824 Die fehlende Verknüpfung von finanzieller Ausstattung und Willensbildungsfähigkeit lässt sich ferner im Tatbestand des §  110 BGB nachweisen. Weil dort keine Höhe der vom gesetzlichen Vertreter überlassenen Mittel festgelegt wird, ist es für die Bewertung der Wirksamkeit des Vertrags irrelevant, ob der Minderjährige über einen hohen oder nur einen geringen Betrag verfügen kann. Maßgeblich für die Frage, ob ein vom Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag als von Anfang an wirksam gilt, ist somit nicht seine durch fremde Güter herbeigeführte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern allein der Umstand, dass er frei über diese Mittel bestimmen kann. Dass ein Mangel an wirtschaftlichen Ressourcen nicht auf die rechtsgeschäftliche Willensbildungsfähigkeit durchschlägt, bestätigen schließlich die Regelungen der Insolvenzordnung, die es dem Schuldner ermöglichen, auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechtsgeschäfte abzuschließen und vermögensrechtliche Verpflichtungen zu begründen. Denn er verliert zwar mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die materielle und verfahrensrechtliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögens (§  80 InsO), nicht jedoch seine Geschäftsfähigkeit.825 Der Grundsatz der Irrelevanz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für die Willensbildungsfähigkeit gilt im Übrigen nicht erst seit Inkrafttreten des Be-

823  So die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 103, 89, 108 = NJW 2001, S.  957, 960. 824  OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, S.  819; OLG Hamm, FamRZ 2010, S.  1801. 825  BGH, NZI 2015, S.  376, 377; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 23.  Aufl. 2010, §  40 Rn.  18; Sternal, in: K. Schmidt, InsO, 19.  Aufl. 2016, §  80 Rn.  10; Vuia, in: MünchKommInsO, 4.  Aufl. 2019, §  80 Rn.  11; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, 15.  Aufl. 2019, §  80 InsO Rn.  14; Kayser, in: Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 10.  Aufl. 2020, §  80 Rn.  19; Kroth, in: Braun, InsO, 9.  Aufl. 2022, §  80 Rn.  12.

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treuungsgesetzes mit Wirkung zum 1.1.1992.826 Zwar wurde erst im Zuge dieses Gesetzes der Tatbestand der Entmündigung wegen Verschwendung (§  114 BGB a. F.) aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch gestrichen. Für das Vorliegen einer Verschwendung war jedoch entscheidend, ob eine „Unmäßigkeit“ der Geldausgabe vorlag, d. h. eine solche, die in keinem Verhältnis zur konkreten Einkommensund Vermögenssituation stand. Weil damit eine relationale Betrachtungsweise entscheidend war, konnte das Tatbestandsmerkmal der Verschwendung von vermögenden wie bedürftigen Personen gleichermaßen erfüllt werden. Es galt damit nichts anderes als im Zusammenhang mit der Auslegung des heute noch in §  2338 Abs.  1 S.  1 BGB zu findenden Verschwendungsbegriffs.827 Zu einer Verknüpfung von rechtsgeschäftlicher Willensbildungsfähigkeit und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit kommt es schließlich auch nicht durch das betreuungsrechtliche Institut des Einwilligungsvorbehalts (§  1903 BGB).828 Ein solcher darf zwar nur angeordnet werden, wenn eine erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten besteht. Eine Vermögensgefährdung (erheblicher Art) ist aber sowohl bei bedürftigen als auch bei vermögenden Betreuten denkbar. Eine Differenzierung mit Blick auf die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse des Betreuten lässt sich nicht mit dem Einwand rechtfertigen, bei einem finanziell bedürftigen Betreuten könne schon keine Vermögensgefährdung eintreten, da er die von ihm eingegangen Schulden voraussichtlich ohnehin nicht ausgleichen werde. Denn bei bedürftigen Betreuten verhindert der Einwilligungsvorbehalt für Vermögensangelegenheiten eine Vertiefung der bereits bestehenden prekären Vermögenslage. 829 Der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Betreuten kommt erst im Rahmen des Verfahrens auf Festsetzung der Betreuervergütung Bedeutung zu (§  292 Abs.  1 i. V. m. §  168 Abs.  1 FamFG). Dort ist sie ausschlaggebend dafür, ob der Betreuer seinen Vergütungsanspruch auf Zahlung aus dem Vermögen des Betreuten oder aus Mitteln der Staatskasse zu richten hat. Ist der Betreute im Zeitpunkt der Entscheidung über die Betreuervergütung in der letzten Tatsacheninstanz mittelos i. S. d. §  1836d BGB, ist die Staatskasse der richtige Anspruchsgegner. 830 826  Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige vom 12.9.1990, BGBl. I 1990, S.  2002. 827 Dazu Baumann, ZEV 1996, S.  121, 122. 828 Mit Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021 (BGBl. I 2021, S.  882) wird das Vormundschafts- und Betreuungsrecht neu strukturiert und inhaltlich modernisiert. Der derzeit in §  1903 BGB statuierte Einwilligungsvorbehalt wird in §  1825 BGB n. F. geregelt. Das Gesetz wird gemäß Art.  16 am 1.1.2023 in Kraft treten. 829  BayObLG, FamRZ 1997, S.  9 02; Zimmermann, in: Soergel, BGB, 13.  Aufl. 2000, §  1903 Rn.  7; Bienwald, in: Staudinger, BGB, 2017, §  1903 Rn.  52; Roth, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  1903 Rn.  8. 830  BGH, FGPrax 2015, S.  267, 268. Durch das Gesetz zur Reform des Vormundschaftsund Betreuungsrechts vom 4.5.2021 wird zum 1.1.2023 die Vorschrift des §  1836d BGB durch §  1880 BGB n. F. ersetzt und in das Betreuungsrecht übertragen. Dass die Zahlungen bei Mittellosigkeit des Betreuten aus der Staatskasse zu leisten sind, wird sich nach in Kraft treten des

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II. Wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit Neben den Vorschriften über die rechtsgeschäftliche Willensbildungsfähigkeit gewährleisten verschiedene andere Rechtsnormen, dass eine vertragliche Regelung „wirklich willentlich in Selbstbestimmung“831 in Geltung gesetzt wird, 832 und auch insoweit ist zu prüfen, welche Bedeutung dabei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Vertragsparteien zukommt. Präzise lautet die Frage, die es im Folgenden zu beantworten gilt: Statuiert das Gesetz einen von der Einkommens- und Vermögenssituation abhängigen Schutz der persönlichen Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung, sodass es sich auf diese Weise positiv auf die Freiheiten bedürftiger Menschen auswirkt? Zur Beantwortung dieser Frage richtet sich der Blick zunächst auf die Vorschriften über die Anfechtung (§§  119 ff. BGB) sowie auf die verbraucherrechtlichen Informationspflichten und Widerrufsrechte zur Gewährleistung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit. Im Anschluss interessiert der Wuchertatbestand des §  138 Abs.  2 BGB. Dieser enthält nämlich nicht nur „Musterbeispiele einer Beeinträchtigung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit“833, von Interesse ist diesbezüglich auch, inwiefern die im Tatbestand zu findende „Zwangslage“, unter deren Eindruck der Bewucherte zum Abschluss des wucherischen Geschäfts veranlasst wird, allein aus einem Mangel an materiellen Ressourcen resultieren kann. Schließlich wird ein weiteres Mal der Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts eine Rolle spielen, denn dessen Gegenstand ist ebenfalls die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Bürgen. Und die Ausführungen des Ersten Senats hierzu haben nicht nur Bedeutung für die Überprüfung von Bürgschaften und Schuldbeitritten, sondern sie sind für sämtliche rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen relevant. 834 Diese Aufzählung der dem Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit dienenden Vorschriften ist natürlich nicht abschließend. Auch die gesetzlichen Formvorschriften tragen zur Sicherung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit und damit zu materialer Vertragsautonomie bei.835 Diese Funktion der Gesetzes aus §  1879 BGB n. F. ergeben. Das Verfahren für Zahlungen an den Betreuer wird in §  292 FamFG n. F. neu geregelt. 831  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.   Band, 4.  Aufl. 1992, S.  398; anschaulich auch Westermann, AcP 178 (1978), S.  150, 177: „Schutz der Reinheit verantwortlicher Willensbildung.“ 832  Grundlegend hierzu Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  111 ff.; Hönn, JZ 1983, S.  677, 680; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  20; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  88 ff.; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 24 f. 833  Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 280. 834 Vgl. Löwe, ZIP 1993, S.  1759; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  60 ff. 835 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Formvorschriften vgl. Ehrenberg, Freiheit und Zwang auf dem Gebiete des Verkehrsrechts, 1905, S.  10; Fountou-

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Form wird besonders deutlich, wenn – wie im Zusammenhang mit einer notariellen Beurkundung – ein neutraler Dritter dazu aufgerufen ist, den Willen der Vertragsparteien zu erforschen, den Sachverhalt zu klären und die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren, und dabei besonders darauf zu achten hat, dass „Irrtümer und Zweifel vermieden sowie unerfahrene und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden“ (§  17 Abs.  1 BeurkG).836 Ferner wird eine aus der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen resultierende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit („rationale Ignoranz des Vertragspartners“837) durch die in den §§  305 ff. BGB verankerte Inhaltskontrolle kompensiert.838 Weil allerdings beide „dogmatischen Kompensationsinstrumente“839 der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Parteien so offensichtlich keine Aufmerksamkeit schenken, soll es an dieser Stelle mit ihrer Benennung sein Bewenden haben. 1. (Eigene) Leistungsfähigkeit und Anfechtbarkeit Wenn sich eine Vertragspartei – was bei der Begründung einer Zahlungsverpflichtung in der Regel der Fall sein wird – vor der Äußerung ihres Willens fragt, ob der Vertragsschluss im Lichte ihrer derzeitigen oder zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse wirtschaftlich vernünftig ist, nimmt sie in ihren Willensbildungsprozess einen Umstand der sozialen Wirklichkeit auf. Die (gedachten) Modalitäten des Seins beeinflussen in diesem Fall das Motiv, auf dessen Grundlage ein Wille gebildet und anschließend nach außen erklärt wird. Diese Einbeziehung der äußeren Bedingungen der Wirklichkeit in

lakis, in: Peer et al., Die soziale Dimension des Zivilrechts, 2004, S.  51, 61; Wagner, AcP 205 (2005), S.  715, 726; Hagen, DNotZ 2010, S.  6 44, 647; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 24. 836  Dazu nur Reithmann, in: FS 125 Jahre Bayerisches Notariat, 1987, S.  159, 168 ff. 837  Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.   13, 34; ähnlich bereits Raiser, JZ 1958, S.  1, 7: „Die Schutzbedürftigkeit eines Kunden gegenüber den Geschäftsbedingungen eines Unternehmens ergibt sich […] daraus, daß von ihm eine klare Einsicht in die Tragweite der Formulare, denen er bei Vertragsschluß zustimmen soll, gar nicht erwartet werden kann, […].“; deutlich auch Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1986, S.  39: „Privatautonomie im Sinne individueller ‚Selbstrechtssetzung‘ im Vertrag findet in der AGB-Praxis nicht statt.“ 838 Zur AGB-Kontrolle als Mittel zur Gewährleistung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  14 ff., 230 f., 257 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  72 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  17; Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 321 ff.; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 34 ff.; Hagen, DNotZ 2010, S.  6 44, 646. 839  Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  69; ähnlich Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  109 („Kompensationsmittel“).

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den Willensbildungsprozess wird – worauf bereits hingewiesen wurde840 – zu einem juristischen Problem, wenn die Vorstellung über die Wirklichkeit unrichtig ist und das Ergebnis des Willensbildungsprozesses daher nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie das Recht auf diese Störung reagiert. Dass das Institut der Geschäftsgrundlage (§  313 BGB) hier nicht weiterhilft, wurde bereits gezeigt. 841 Weil das Gesetz mit §  119 Abs.  2 BGB eine ausdrückliche Regelung zur Behandlung von Fehlvorstellungen bei der Willensbildung bereithält,842 darf nicht unbeantwortet bleiben, ob ein Irrtum des Erklärenden über sein eigenes wirtschaftliches Leistungsvermögen von diesem Anfechtungsgrund erfasst wird. Natürlich lässt diese Vorschrift nur ausnahmsweise Raum für die Berücksichtigung von Irrtümern aus dem Bereich der Motivationsphase, nämlich dann, wenn ein „Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden“, vorliegt. Die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Erklärenden können hierunter nicht subsumiert werden. 843 Dies lässt sich allerdings nicht damit begründen, dass von dem Tatbestandsmerkmal der „verkehrswesentlichen Eigenschaft einer Person“ nur Eigenschaften des Erklärungsgegners oder einer sonst an dem Rechtsverhältnis beteiligten Person umfasst sind.844 Denn das ist nicht der Fall. Der Anwendungsbereich des §  119 Abs.  2 BGB erstreckt sich ebenso auf Irrtümer über Eigenschaften, die die Person des Erklärenden selbst betreffen.845 Zudem kann bekanntlich das wirtschaftliche Leistungsvermögen bei bestimmten Geschäften, namentlich Kreditgeschäften, durchaus als verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person qualifiziert werden, 846 obgleich es sich sowohl bei der Zahlungsfähigkeit als auch der Kredit840 

Vgl. §  10 A. III. 4. a). Vgl. §  10 A. III. 4. a) und b). 842 Vgl. Schiemann, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 7.   Aufl. 2020/2021, Das Rechtsgeschäft, Rn. D 185. Zum Eigenschaftsirrtum als Spezialfall des Motivirrtums vgl. Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, §  119 Rn.  2; Mansel, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  119 Rn.  11. 843  Wie hier Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, §  119 Rn.   89; differenzierend Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  4 46 ff. (zum Schweizer Recht). 844 Als Beispiel dafür, dass der Eigenschaftsirrtum auf den Eigenschaften einer dritten Person beruhen kann, sei hier lediglich die umstrittene Anfechtungsmöglichkeit des Bürgen wegen eines Irrtums über die Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners genannt, hierzu RGZ 134, 126, 129; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  490; Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  119 Rn.  139. 845  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  490, der einschränkend ergänzt: „Der Eigenschaftsirrtum hinsichtlich der eigenen Person spielt so gut wie keine Rolle“; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  41 Rn.  59, der als Beispiel den Irrtum über den eigenen Gesundheitszustand nennt; Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, §  119 Rn.  89; a. A. Löhnig, JA 2003, S.  516, 519. 846  Zur Bedeutung von Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit bei Kreditgeschäften (im Gegensatz zu Bargeschäften) vgl. RGZ 66, 385, 387; RGZ 105, 206, 208; Lindacher, MDR 1977, S.  797; Ahrens, Der mittellose Geldschuldner, 1994, S.  158; Löhnig, Irrtum über Eigenschaften des Vertragspartners, 2002, S.  203; Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  497 ff.; 841 

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würdigkeit um transitorische Zustände handelt. Trotz dieser Feststellungen begründet eine irrige Vorstellung des Erklärenden über die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kein Anfechtungsrecht. Es handelt sich in diesem Fall um einen unbeachtlichen Motivirrtum. Dahinter steht die Einsicht, dass eine Fehlvorstellung über die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit allein im Verantwortungsbereich des Erklärenden liegt. Diese Zuordnung ist deshalb sachgerecht, weil der Erklärungsempfänger überhaupt nicht in der Lage ist, die finanziellen Umstände, auf denen das Motiv des Erklärenden beruht, in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Sie liegen allein in der Sphäre des Erklärenden. Erst im Vollstreckungsverfahren steht dem anderen Teil mit der Vermögensauskunft (§  802c ZPO) ein Instrument zur Verfügung, um Auskunft über die Zusammensetzung des Vermögens zu erlangen. Lediglich im Fall einer Erbschaftsannahme können die mit einer finanziellen Fehlvorstellung bei der Willensbildung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile ein Anfechtungsrecht begründen (§  1954 BGB). Angeknüpft wird aber auch insoweit nicht an die konkrete Einkommens- und Vermögenssituation des Erklärenden, sondern an die Überschuldung des Nachlasses als „Sache“ i. S. d. §  119 Abs.  2 BGB.847 Auch wenn man berücksichtigt, dass eine Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Überschuldung möglich ist, bleibt es dabei, dass im Anwendungsbereich des §  119 Abs.  2 BGB nur ein Irrtum über die finanzielle Leistungsfähigkeit des anderen Teils eine Rolle spielen kann, was wiederum zu der – hier nicht weiter zu erörternden – Frage führt, in welchem Verhältnis die Anfechtbarkeit nach §  119 Abs.  2 BGB zu §  321 BGB steht.848 Selbst wenn der Erklärungsempfänger den Motivirrtum des Erklärenden über seine Leistungsfähigkeit erkennt, bleibt es bei der dargestellten Verteilung der Verantwortung. Etwas anderes ist nur in Fällen denkbar, in denen der Erklärungsempfänger einen Irrtum über die Bedeutung der fehlenden Leistungsfähigkeit beim Erklärenden hervorruft, etwa mit dem Hinweis, eine Zahlungsverpflichtung werde ihn beim fraglichen Rechtsgeschäft ohnehin nicht treffen. 849 Für ein Anfechtungsrecht nach §  123 Abs.  1 Alt.  1 BGB muss dann aber nicht nur der Nachweis gelingen, dass der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Bagatellisierung kennt, sondern auch, dass er das Bewusstsein und den Willen hatte, durch die irreführende Erklärung einen Irrtum zu erregen und den Getäuschten damit zu einer Willenserklärung zu motivieren, die er sonst nicht Sogo, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S.  311 f. (zum Schweizer Recht); Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, §  119 Rn.  92; Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  119 Rn.  138; Mansel, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  119 Rn.  15. 847  Vgl. dazu Singer, in: Staudinger, BGB, 2021, §  119 Rn.  99. 848  Zum Verhältnis von §  119 Abs.  2 BGB und §  321 BGB vgl. etwa Lindacher, MDR 1977, S.  797, 799 ff.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  490; Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  500 f.; Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  119 Rn.  138. 849 Vgl. Medicus, ZIP 1989, S.  817, 821 f.

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oder mit anderem Inhalt abgegeben hätte. 850 Der im Zusammenhang mit §  123 Abs.  1 Alt.  1 BGB häufig diskutierte Fall einer Täuschung des einkommensund vermögenslosen Erklärenden über seine eigene Leistungsfähigkeit851 in­ teressiert an dieser Stelle nicht. Die rechtliche Behandlung der eigenen Täuschung des Bedürftigen kann die Verbindung zwischen Leistungsfähigkeit und dessen rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit nicht erhellen, weil es in diesem Fall um die exogene Beeinträchtigung der Willensbildung des anderen Teils geht. 2. Einkommensschwache Verbraucher Allgemein wird behauptet, verbraucherrechtliche Widerrufsrechte und vorvertragliche Informationspflichten dienen der Gewährleistung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit. 852 Dies ist richtig, sofern die entsprechenden verbraucherschützenden Vorschriften auf den Prozess des Vertragsschlusses und die zu diesem Zeitpunkt bestehende Entscheidungssituation gerichtet sind. 853 Als Paradebeispiel seien hier die vorvertraglichen Informationspflichten und das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§  312b BGB) genannt. Wenn es in Erwägungsgrund Nr.  37 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU854 heißt, dass bei diesen Verträgen „dem Verbraucher aufgrund des möglichen Überraschungsmoments und/oder psychologischen Drucks das Recht auf Widerruf zustehen (sollte)“, so benennt der europäische Richtliniengeber hier zwei Entscheidungssituationen, in denen von einer Gefährdung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit auszugehen ist, nämlich die Überraschungs- und die Drucksituation. Auch die bereits erwähnten855 vorvertraglichen Informations- und Erläuterungspflichten des Darlehensgebers eines Verbraucherkreditvertrags, die den Verbraucher in die Lage versetzen sollen zu beurteilen, ob der Vertrag seinen Vermögensverhältnissen gerecht wird (Art.  5 Abs.  6 der Verbraucherkreditrichtlinie856 , §  491a Abs.  3 BGB), kann als ein besonders anschauliches Beispiel für eine Vorschrift zur Ge850 Vgl.

Armbrüster, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  123 Rn.  14. Medicus, ZIP 1989, S.  817, 821 (Fn.  56). 852 Zum Schutz der Entscheidungsfreiheit durch verbraucherschützende Informationspflichten und Widerrufsrechte vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S.  12 f.; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  47; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S.  29 m. w. N. in Fn.  60; Hagen, DNotZ 2010, S.  6 44, 646; Gsell, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 7.  Aufl. 2020/2021, Verbraucherschutz Rn. K 54; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 5.  Aufl. 2020, S.  112, 114; Busche, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  8. 853  Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 26 ff. 854  Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.2011, ABl. L 304 vom 22.11.2011, S.  6 4. 855  Vgl. §  10 A. III. 3. e). 856  Richtlinie 2008/48/EG vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22.5.2008, S.  66. 851 

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währleistung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit genannt werden. Demgegenüber reagieren etwa §  241a BGB sowie §  661a BGB nicht auf ein potenzielles Defizit der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Sie wollen den Verbraucher vielmehr vor unerwünschten Geschäftspraktiken eines anderen Marktteilnehmers bewahren.857 Sofern nun verbraucherschützende Vorschiften tatsächlich die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit gewährleisten sollen, könnte man argumentieren, einkommensschwache Verbraucher seien deshalb besonders schutzbedürftig, weil ihre Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Entscheidung eher gefährdet sei, als dies bei anderen Verbrauchergruppen der Fall sei. Man dürfe sie wegen ihrer „eingeschränkten Marktrationalität“858 daher nicht einfach wie „reiche Verbraucher ohne Geld“ behandeln, sondern müsse ihre rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit in besonderer Weise schützen.

857  Zum Schutzzweck des §  241a BGB vgl. Gsell, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 7.  Aufl. 2020/2021, Verbraucherschutz Rn. K 46. Weil der bloße Einsatz von Fernkommunikationsmitteln nicht dazu führt, dass der Verbraucher in der konkreten Vertragsabschlusssituation nicht mehr selbstbestimmt entscheiden könnte, reagiert auch §  312c BGB nicht auf eine eingeschränkte Fähigkeit des Verbrauchers, tatsächlich frei zu entscheiden. Der konkrete Schutzbedarf resultiert in diesem Fall vielmehr aus dem Umstand, dass der Verbraucher bei einer Bestellung per Post, Internet, Telefon oder Fax den Vertragsgegenstand vor Vertragsschluss nicht prüfend in Augenschein nehmen kann, vgl. Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 28. So heißt es im Erwägungsgrund Nr.  37 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU: „Da der Verbraucher im Versandhandel die Waren nicht sehen kann, bevor er den Vertrag abschließt, sollte ihm ein Widerrufsrecht zustehen. Aus demselben Grunde sollte dem Verbraucher gestattet werden, die Waren, die er gekauft hat, zu prüfen und zu untersuchen, um die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funk­ tionsweise der Waren festzustellen.“ 858 Dazu Schnapper, Yale Law J. 76 (1967), S.  745, 754: „[T]he new wave of informational legislation will be of little help to the poor because it presupposes values, motivation and knowledge which do not generally exist among them.“; McNeil et al., Law. Soc. Rev. 13 (1979), S.  695, 698 f. A. A. E. A. Posner, J. Leg. Stud. 24 (1995), S.  283, 297: „[I]t is difficult to say that all or even most poor […] people who accept risky credit do so because they have bad judgment.“; Zöllner, JuS 1988, S.  329, 332 f.: „Auch beim […] materiell nur durchschnittlich bemittelten Bürger ist die Schutzbedürftigkeit keineswegs evident.“; sowie Banerjee/Duflo, Poor Economics, 2011, S. IX: „[T]he poor are no less rational than anyone else.“

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a) „Armutsneutrale“ Formulierung des §  13 BGB Zwar findet sich sowohl in der deutschen und der europäischen Rechtspolitik859 als auch im wissenschaftlichen Schrifttum860 das Desiderat, sich vom Bild einer homogenen Verbrauchergruppe zu verabschieden und der vulnerablen Verbrauchergruppe der einkommensschwachen Personen einen besonderen Schutz zu gewähren. In den hier interessierenden verbraucherrechtlichen Vorschriften zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit hat sich diese rechtspolitische Forderung allerdings nicht niedergeschlagen. 861 Der materiellrechtliche Verbraucherbegriff des §  13 BGB, auf den die speziellen nationalen Regelungen zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit verweisen, ist neutral gegenüber Unterschieden in der finanziellen Leistungsfähigkeit. 859 So werden im verbraucherpolitischen Bericht der Bundesregierung des Jahres 2016 Menschen in „besonderen sozialen Lebenslagen“, zu denen auch der Bezug eines niedrigen Einkommens zählt, als eine „besondere Verbrauchergruppe“ mit Unterstützungsbedarf identifiziert, Bundesregierung, Verbraucherpolitischer Bericht 2016, BT-Drs. 18/9495, S.  30. In diesem Sinn mit Blick auf die digitale Souveränität der Verbraucher auch der verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung des Jahres 2020, Bundesregierung, Verbraucherpolitischer Bericht 2020, BT-Drs. 19/21470, S.  7. Eine vergleichbare Sichtweise findet sich auf europäischer Ebene. Dort hat das Europäische Parlament bereits im Jahr 2012 in seiner Entschließung „zu einer Strategie zur Stärkung der Rechte schutzbedürftiger Verbraucher“ (ABl. C 264 E vom 13.9.2013, S.  11, 13) darauf hingewiesen, dass bei der Bestimmung des Begriffs des schutzbedürftigen Verbrauchers das Kriterium der finanziellen Situation berücksichtigt werden müsse. Auch das europäische Verbraucherprogramm 2014–2020, das in seinem Erwägungsgrund Nr.  8 auf die Entschließung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2012 zu einer Strategie zur Stärkung der Rechte schutzbedürftiger Verbraucher Bezug nimmt, strebt eine „soziale Inklusion“ durch Berücksichtigung der spezifischen Situation schutzbedürftiger Verbraucher an, Erwägungsgrund Nr.  3 der Verordnung (EU) Nr.  254/2014 vom 26.2.2014 über ein mehrjähriges Verbraucherprogramm für die Jahre 2014–2020 und zur Aufhebung des Beschlusses Nr.  1926/2006/EG, ABl. L 84 vom 20.3.2014, S.  42. 860  Caplovitz, The Poor Pay More, 1967, S.  188 ff.; Micklitz, Gutachten zum 69. DJT, 2012, S.  40 f.; Rott, in: Liber Amicorum Micklitz, 2014, S.  675: „[P]overty is a criterion that needs to be considered when designing consumer law.“ 861  Dies ist im europäischen Energierecht anders. Dort ist nicht nur der Begriff „schutzbedürftiger Kunde“ seit langer Zeit bekannt, vgl. dazu Rott, in: Rutgers, European Contract Law and the Welfare State, 2012, S.  79, 84 f.; Kohte, VuR 2012, S.  338, 339; Rott, in: Liber Amicorum Micklitz, 2014, S.  675, 679 ff. Es wird auch ausdrücklich eine Verbindung zwischen der finanziellen Ausstattung und der Schutzbedürftigkeit der Verbraucher hergestellt. So verlangt Art.  28 der Strom-Binnenmarktrichtlinie (Richtlinie 2019/944/EU vom 5.6.2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU (Neufassung), ABl. L 158 vom 14.6.2019, S.  125) von den Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, und gestattet es, bei der Definition des Begriffs „schutzbedürftiger Kunde“ die Einkommenshöhe als Kriterium heranzuziehen. Auch in Art.  3 Abs.  4 der Erdgas-Binnenmarktrichtlinie (Richtlinie 2009/73/EG vom 13.7.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. L 211 vom 14.8.2009, S.  94) wird die besondere Verletzlichkeit einkommensarmer Verbraucher anerkannt. Dort heißt es: „Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, […] um die notwendige Gasversorgung für schutzbedürftige Kunden […] zu gewährleisten, damit die Energiearmut, soweit sie festgestellt wurde, bekämpft wird, auch im Zusammenhang mit der Armut insgesamt.“

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Das hängt mit dem Umstand zusammen, dass die generelle Gesetzesfassung des §  13 BGB, der zufolge „jede natürliche Person“ die Rolle des Verbrauchers einnehmen kann, dem konkret agierenden Verbraucher die Individualität nimmt, sodass auch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ausgeblendet wird. Dies entspricht der zu §  13 BGB vertretenen allgemeinen Meinung. 862 Will man sie aus dem Wortlaut des Gesetzes heraus ableiten, muss sie allerdings um einen weiteren Begründungsschritt ergänzt werden. Der Grund hierfür liegt in der tatbestandlichen Bezugnahme auf die „natürliche Person“. Diese Bezugnahme in §  13 BGB stellt nämlich nicht nur eine „eher oberflächliche Beziehung“863 dar, sondern ein Bekenntnis zu einem bestimmten rechtlichen Status des handelnden Akteurs. Denn mit dem Ausdruck „Person“ wird ein Wesen bezeichnet, das Rechtsfähigkeit besitzt. 864 Der Mensch wird – so heißt es etwa im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten – „insofern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt“ (I 2 §  1 PrALR) 865. Anschaulich wird diese Verbindung von Person und Rechtsfähigkeit auch von O. v. Gierke beschrieben: „Die Fähigkeit, Rechtssubjekt zu sein, heißt Persönlichkeit“866 . Wer daher aus dem Wortlaut des §  13 BGB ableiten will, dass der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Zusammenhang mit der Verbrauchereigenschaft keinerlei Bedeutung beizumessen ist, muss zugleich plausibel machen, dass diese Schlussfolgerung auch im Hinblick auf die Rechtsfähigkeit einer natürlichen Person gilt. Dabei kann man freilich nicht einfach auf den zur Geschäftsfähigkeit herausgearbeiteten Grundsatz der Irrelevanz der wirtschaft­ lichen Leistungsfähigkeit verweisen. Zwar stehen Rechts- und Geschäftsfähigkeit nicht beziehungslos nebeneinander, denn Erstere ist eine Voraussetzung der Zweiteren. 867 Sie sind gleichwohl strikt voneinander zu unterscheiden, denn die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, ist etwas anderes, als die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen. 868 862 Vgl. Kappus, NJW 1997, S.  2653 f.; Reichardt, Der Verbraucher und seine variable Rolle im Wirtschaftsverkehr, 2008, S.  213; Fritzsche, in: Staudinger, BGB, 2018, §  13 Rn.  41; Ellenberger, in: Grüneberg, BGB, 81.  Aufl. 2022, §  13 Rn.  2. 863  So aber Fritzsche, in: Staudinger, BGB, 2018, §  13 Rn.  16. 864  Kannowski, in: Staudinger, BGB, 2018, Vorb. zu §  1 Rn.  1. 865  Zitiert nach der Textausgabe von Hattenhauer (Hrsg.), Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3.  Aufl. 1996. 866  v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band 1, 1895, S.  265. Zur Verbindung von Person und Rechtsfähigkeit vgl. auch v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 2, 1840, S.  2: „Darum muß der ursprüngliche Begriff der Person oder des Rechtssubjects zusammen fallen mit dem Begriff des Menschen, und diese ursprüngliche Identität beider Begriffe läßt sich in folgender Formel ausdrücken: Jeder einzelne Mensch, und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig.“ 867  Spickhoff, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  8 . 868  Zur Trennung von Rechts- und Geschäftsfähigkeit vgl. nur Rehbinder, in: FS Hirsch, 1968, S.  141, 148. Anschaulich wird diese Unterscheidung im Schlussantrag des EuGH-Verfahrens in der Rs. C-200/02 Rn.  43 f. zum Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers und seines für ihn sorgenden Elternteils verdeutlicht: „Diese Argumentation kann nicht geteilt werden.

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Den weiteren Argumentationsschritt müsste man lediglich dann nicht gehen, wenn die Rechtsfähigkeit allein aus der Existenz des Menschen als seiendes Wesen folgen, sie sich also bereits aus dem Menschsein ergeben würde. In diesem Fall stünde weder die Zuerkennung noch die Aberkennung oder die Beschränkung der Rechtsfähigkeit aufgrund fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in der Regelungsmacht des Rechts. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Mensch wird „zum Rechtsubjekt erhoben […] dadurch, dass der Staat ihm die Fähigkeit zuerkennt […].“869 Dass die Rechtsfähigkeit ebenso wie die Geschäftsfähigkeit durch das Recht verliehen und dementsprechend auch mit der Möglichkeit gerechnet werden muss, dass eine Rechtsordnung bedürftigen Menschen ihr „Urrecht auf Anerkennung als Rechtssubjekt“870 abspricht, folgt aus der bereits mehrfach benannten Unterscheidung zwischen der Seins- und der Sollensebene. Recht ist – anders als das schlichte Menschsein – ein Menschenwerk, 871 das lediglich eine Sollens-Ordnung etabliert, die das Sein und Tun der Menschen beeinflusst, nicht aber mit der Seinsebene gleichzusetzen ist. 872 Diesen Unterschied würde man verwischen, wenn allein der Gesichtspunkt des Menschseins für die Rechtsfähigkeit ausschlaggebend und damit die Rechtsfähigkeit übergesetzlich vorgegeben wäre.873 Von der Zuerkennung der Rechtsfähigkeit durch das positive Recht geht offensichtlich auch unsere Rechtsordnung aus. Zwar bestimmt das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner Eingangsvorschrift lediglich, wann die Rechtsfähigkeit des Menschen zeitlich beginnt. Es findet sich in §  1 BGB also keine positive Aussage darüber, wodurch die Rechtsfähigkeit erlangt wird. Die in Art.  7 Abs.  1 S.  1 EGBGB zu findende Sonderanknüpfung, der zufolge über die Rechtsfähigkeit der natürlichen Person ihr Heimatrecht entscheidet, wäre jedoch überflüssig, wenn die Rechtsfähigkeit unmittelbar aus dem Menschsein folgen würde.874 Auch die Frage, ob die einmal erlangte Rechtsfähigkeit durch Erwerb Meines Erachtens liegt ihr eine Verwechslung der Fähigkeit einer Person, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (Rechtsfähigkeit), mit ihrer Fähigkeit zugrunde, Handlungen vorzunehmen, die Rechtswirkungen entfalten (Handlungsfähigkeit). Dass der Minderjährige ein Recht nicht eigenständig ausüben kann, bedeutet nämlich nicht, dass er nicht die Fähigkeit besitzt, Adressat der Rechtsnorm zu sein, auf der dieses Recht beruht.“ 869  Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2.  Aufl. 1905 (2011), S.  82. 870 Vgl. Wolff, Organschaft und juristische Person, Band 1, 1933 (1968), S.  133; vgl. auch v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 2, 1840, S.  2: „Es kann […] manchen einzelnen Menschen die Rechtsfähigkeit ganz oder theilweise versagt werden.“ 871  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  72. 872 Vgl. Lehmann, AcP 207 (2007), S.  2 25, 228, 235. 873  A. A. Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  11 Rn.  4. 874  Lehmann, AcP 207 (2007), S.  2 25, 227 f., weist ferner darauf hin, dass die Regelung des Art.  16 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. II 1973, S.  1534), der die Rechtsfähigkeit eines jeden Menschen garantiert und inhaltlich mit Art.  6 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) vom 10.12.1948 übereinstimmt, überflüssig, wäre, weil eine Zuerkennung der Rechtsfähigkeit durch die Rechtsordnung unnötig wäre.

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oder Verlust einer Staatsangehörigkeit beeinträchtig wird, wäre nicht regelungsbedürftig gewesen (Art.  7 Abs.  2 EGBGB875). Dass die Rechtsfähigkeit nicht übergesetzlich vorgegeben ist, erkannte schon das Reichsgericht. In seiner Entscheidung zum „Klostertod“ hob es hervor, „daß die Rechtsfähigkeit eines Menschen nach den Gesetzen seines Wohnsitzes zu beurteilen ist.“876 Fällt also die Rechtsfähigkeit in die Definitionsmacht des Rechts, kann einen Schritt weitergegangen und gefragt werden: Welche Bedeutung kommt dabei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu? b) Kein „Klostertod“ Diese Frage mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen. Nicht aber auf den zweiten. Bezieht man nämlich das katholische Kirchenrecht („Codex Iuris Canonici“ 877) in die Betrachtung ein, so rückt Can. 668 §  5 S.  1 C.I.C. in den Blick. Nach dieser Regelung verliert ein Ordensangehöriger mit der Ablegung der feierlichen ewigen Profess878 seine Erwerbs- und Besitzfähigkeit.879 Jegliches Vermögen, welches das Ordensmitglied nach Ablegung des öffentlichen Gelübdes erwirbt, fällt an den Ordensverband (Can. 668 §  5 S.  2 C.I.C.). Vom kanonischen Recht ist freilich das hier interessierende staatliche Recht zu unterscheiden. Auch insoweit ist allerdings zu konstatieren, dass materiell arme Menschen nicht immer als Rechtssubjekte anerkannt wurden. So kannte etwa das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten880 das Rechtsinstitut des „mors civil“.881 In II 11 §§  1199, 1200 PrALR ist zu lesen, dass Mönchen und Nonnen nach abgelegtem Klostergelübde hinsichtlich aller weltlichen Geschäfte als verstorben angesehen werden und sie unfähig sind, „Eigenthum oder andre Rechte zu erwerben, zu besitzen, oder darüber zu verfügen.“ Die Verbindung zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und der Fähigkeit, Träger eines Rechts zu sein, zeigt sich aber besonders deutlich im Zusammenhang mit dem 875  Nach in Kraft treten des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts am 1.1.2023 findet sich die entsprechende Regelung in Art.  7 Abs.  1 S.  2 EGBGB n. F. 876  RGZ 32, 173, 175 (Hervorhebung hinzugefügt). 877 Im Folgenden wird die deutsche Fassung der 9.   Aufl. 2018 des lateinisch-deutschen „Codex Iuris Canonici“ zitiert. Sie enthält die gesetzlichen Änderungen bis zum 28.2.2018. 878  Gemäß Can. 654 C.I.C. nehmen in der Ordensprofess die Mitglieder durch ein öffentliches Gelübde die Befolgung der drei evangelischen Räte auf sich, werden Gott durch den Dienst der Kirche geweiht und dem Institut mit den vom Recht festgesetzten Rechten und Pflichten eingegliedert. 879  Can. 668 §  5 C.I.C. lautet: „Ein Professe, der aufgrund der Eigenart des Instituts vollständig auf sein Vermögen verzichtet hat, verliert die Erwerbs- und Besitzfähigkeit und setzt infolgedessen dem Armutsgelübde widersprechende Rechtshandlungen ungültig. Was ihm aber nach der Verzichtsleistung zufällt, geht gemäß dem Eigenrecht an das Institut über.“ 880  Zitiert nach der Textausgabe von Hattenhauer (Hrsg.), Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 3.  Aufl. 1996. 881  Vgl. dazu die Nachweise bei Listl, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2.  Aufl. 1994, S.  841, 856 (Fn.  48).

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subjektiven Recht zu wählen.882 Selbst J. S. Mill – ein überzeugter Verfechter der Ausdehnung des Wahlrechts – setzte sich in seinem demokratietheoretischen Werk „Betrachtungen über die Repräsentativregierung“ aus dem Jahr 1861 zwar für die seinerzeit revolutionär wirkende Forderung nach einem Frauenwahlrecht ein, 883 zugleich sprach er aber jedem Bürger das Wahlrecht ab, der „sich durch seiner Hände Arbeit sein Brot nicht selbst verdienen kann“. Auch einem „Bankrotteur […] sollte das Wahlrecht so lange entzogen sein, bis er seine Schulden bezahlt oder zumindest nachgewiesen hat, dass er gegenwärtig und schon seit längerer Zeit ohne Unterstützung durch Almosen lebt.“884 Ganz in diesem Sinne statuierte beispielsweise auch das Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31.5.1869885 in §  3, dass sowohl „Personen, über deren Vermögen Konkurs- oder Fallitzustand gerichtlich eröffnet worden ist“ (§  3 Nr.  2), als auch „Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeinde-Mitteln beziehen, oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben“ (§  3 Nr.  3), von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen sind. Betrachtet man das geltende (staatliche) Recht, so fällt die Antwort auf die hier gestellte Frage eindeutig aus: Eine von den wirtschaftlichen Verhältnissen abhängige Rechtsfähigkeit einer natürlichen Person ist dem deutschen Recht fremd. Es gilt der Grundsatz, dass alle Menschen unabhängig von ihrer finanziellen Ausstattung in gleicher Weise rechtsfähig sind. Eine Wechselwirkung zwischen materieller Armut und der Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, besteht nicht. Die Rechtsfähigkeit einer natürlichen Person wird dementsprechend durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ebenso wenig berührt wie die Geschäftsfähigkeit. 886 Auch das Ablegen eines „Gelübdes zur Armut“ wirkt sich – trotz der oben dargestellten Anordnung des kanonischen Rechts – nicht im staatlichen Recht aus. 887 Die Rechtsfolge des Can. 668 §  5 S.  1 C.I.C. beschränkt sich auf den innerkirchlichen Bereich. 888 882 Zur differenzierten Behandlung wirtschaftlich Bedürftiger bei der Ausstattung mit dem subjektiven Recht zu wählen vgl. etwa Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, 2003, S.  31 m. w. N. in Fn.  62; Suter, Armut und Diskriminierung, 2015, S.  61 m. w. N. in Fn.  347; Hinrichs, in: Huster et al., Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung, 3.  Aufl. 2018, S.  223, 227. 883  Mill, Betrachtungen über die Repräsentativregierung 1861 (2013), S.  154: „Er [der Unterschied des Geschlechts – Anmerkung hinzugefügt] erscheint mir in Bezug auf politische Rechte genauso irrelevant wie ein Unterschied in der Größe oder Hautfarbe.“ 884  Mill, Betrachtungen über die Repräsentativregierung 1861 (2013), S.  144. 885  BGBl. des Norddeutschen Bundes, 1869, S.  145 ff. 886 Vgl. §   10 B. I. sowie BGH, NZI 2015, S.  376, 377; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 23.  Aufl. 2010, §  40 Rn.  18; Sternal, in: K. Schmidt, InsO, 19.  Aufl. 2016, §  80 Rn.  9; Kayser, in: Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 10.  Aufl. 2020, §  80 Rn.  19; Kroth, in: Braun, InsO, 9.  Aufl. 2022, §  80 Rn.  12. 887  Heimerl/Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche, 1993, Rn.  6/236. 888  BFH KirchE 6 (1962/63), S.  83, 87; AG München, AfkKR 158 (1989), S.  565, 568; Meu-

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Schließlich ist auch einer rechtsgeschäftlichen Beschränkung der Rechtsfähigkeit in Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Verhältnissen die Anerkennung zu versagen. 889 Dass Überlegungen hierzu nicht nur theoretischer Natur sind, sondern durchaus praktische Relevanz erlangen können, folgt wiederum aus dem katholischen Kirchenrecht. Denn Can. 668 §  4 S.  1 C.I.C. bestimmt, dass derjenige, der nach Ablegung eines Ordensgelübdes ganz auf sein Vermögen verzichten muss, diesen Verzicht – der nicht nur das gegenwärtige, sondern auch das künftige Vermögen betrifft890 – in einer nach Möglichkeit vor dem weltlichen Recht gültigen Form leisten muss.891 Weil nun allerdings nicht ausgeschlossen ist, dass ein Ordensmitglied ipso iure Vermögen erbt (§  1922 BGB) oder ein Betreuer auf dem Gebiet der Vermögenssorge bestellt wird, der für eine Vermehrung des Vermögens des Betreuten zu sorgen hat, besteht ein praktisches Bedürfnis für eine kautelarjuristische Absicherung der durch das Ordensgelübde begründeten Selbstverpflichtung zur materiellen Armut. Dabei ist zu bedenken, dass ein Vertrag, durch den sich das Ordensmitglied verpflichtet, sein künftiges Vermögen auf den Ordensverband zu übertragen, gemäß §  311b Abs.  2 BGB nichtig ist. Im Lichte dessen liegt die Überlegung eines rechtsgeschäftlichen Verzichts auf die Rechtsfähigkeit nahe. Denn damit verliert das Ordensmitglied die Fähigkeit, Träger von vermögensrechtlichen Rechten zu sein. 892 Analog dem kanonischen Recht würde das Ordensmitglied damit im staatlichen Rechtsraum „seine ganze vermögensrechtliche Persönlichkeit ablegen“893, sodass sich sein Vermögen weder mithilfe eines Betreuers noch kraft Gesetzes mehren könnte. Dieser Weg wird jedoch, wie eben gesagt, durch unsere Rechtsordnung versperrt. Anderslautende Vereinbarungen wären mit Art.  1 Abs.  1 GG nicht zu vereinbaren. Denn ein Individuum, das seine Rechtsfähigkeit verliert, kann nicht mehr eigenverantwortlich sein Schicksal gestalten. Das ist jedoch Teil der menschlichen Würde, 894 die jeder besitzt, und zwar „ohne Rückrer, Das katholische Ordenswesen nach dem Recht der deutschen Bundesstaaten, 1912, S.  42; Listl, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2.  Aufl. 1994, S.  841, 855 ff. m. w. N. in Fn.  47. 889  Dörner, in: Schulze et al., BGB, 11.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  3; Spickhoff, in: MünchKomm­ BGB, 9.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  16. 890  Sailer, Die Stellung der Ordensangehörigen im staatlichen Sozialversicherungs- und Vermögensrecht, 1996, S.  75. 891  Can. 668 §  4 C.I.C. bestimmt: „Wer aufgrund der Eigenart des Instituts ganz auf sein Vermögen verzichten muss, hat diesen Verzicht, der vom Tag der Gelübdeablegung an rechtswirksam sein soll, in einer nach Möglichkeit auch vor dem weltlichen Recht gültigen Form vor der ewigen Profess zu leisten.“ 892  Zu bedenken ist ferner, dass auch die Fähigkeit, Träger von Pflichten zu sein, entfallen würde, denn eine „hinkende Rechtsfähigkeit“, der zufolge zwar die Fähigkeit ausgeschlossen ist, Träger von Rechten zu sein, der zufolge man aber dennoch Träger von Pflichten sein kann, gibt es nicht. 893  AG München, AfkKR 158 (1989), S.  565, 567. 894  Vgl. nur BVerfGE 49, 286, 298 = NJW 1979, S.  595.

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sicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status.“895 Die Nichtigkeit wäre daher aufgrund des in Art.  1 Abs.  1 GG angelegten Schutzgebotes auch gegen den Willen der Vertragspartner anzuordnen (§  138 Abs.  1 BGB).896 Die Rechtsfähigkeit darf somit weder durch Gesetz und Rechtsprechung noch durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung beschränkt oder entzogen werden.897 Auch eine nach den Regeln des IPR im Inland anzuwendende ausländische Vorschrift, die einer natürlichen Person aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögenslosigkeit die Rechtsfähigkeit abspricht, ist mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar (Art.  6 S.  1 EGBGB) 898 und daher von deutschen Gerichten nicht anzuwenden. 899 Damit kann festgehalten werden: Aufgrund der tatbestandlichen „armutsneutralen“ Ausformulierung des §  13 BGB sowie des Umstands, dass das geltende Recht keine Abstufung der Rechtsfähigkeit nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kennt, als Person mithin „gleichermaßen der Besitzende und der Nichtbesitzende“900 gilt, wird der materiell arme Verbraucher durch die verbraucherrechtlichen Vorschriften zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als einer unter vielen Inhabern der gleichen Position angesprochen.901 Dieses Bekenntnis zu einer homogenen Verbrauchergruppe ist in diesem Zusammenhang sachgerecht.902 Sie entlastet nämlich nicht nur von der schwierigen Aufgabe einer positiven Definition des einkommensschwachen und damit besonders schutzwürdigen Verbrauchers.903 Es sind vor allem auch nicht die Fragen zu beantworten, warum ein besonders vermögender Verbraucher mit Blick auf seine rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit weniger 895 

BVerfGE 87, 209, 228 = NJW 1993, S.  1457, 1459. Vgl. §  9 A. II. 2. 897  Spickhoff, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  1 Rn.  16 m. w. N. 898  v. Hein, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, Art.  6 EGBGB Rn.  262 m. w. N. 899  Im Jahr 1893 hatte das Reichsgericht über die Bedeutung eines „Gelübdes zur Armut“ zu befinden, auf dessen Basis russische Ordensleute ein einkommens- und vermögensloses Leben führen mussten. Weil die beklagte Nonne nach dem seinerseits einschlägigen vorrevolutionären russischen Recht trotz eines abgelegten Klostergelübdes weiterhin fähig war, bewegliches Vermögen zu besitzen, konnte sich das Reichsgericht auf die Feststellung zurückziehen, dass „die Fähigkeit, Rechtssubjekt zu sein, […] mit dem Eintritte in das Kloster und nach Ablegung des Gelübdes nicht völlig erloschen [ist]. Danach ist die Beklagte nach russischem Rechte als parteifähig zu erachten; und wohnt ihr diese Eigenschaft bei, so unterliegt ihre Prozeßfähigkeit keinem Bedenken.“; RGZ 32, 173, 177. 900  Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S.  98. 901  In Anlehnung an Rehbinder, in: FS Hirsch, 1968, S.  141, 163. 902  Eingehend zu denkbaren Anknüpfungspunkten für die Bestimmung der persönlichen Anwendungsbereiche von Verbraucherschutzgesetzen Denkinger, Der Verbraucherbegriff, 2007, S.  112 ff. 903  Wenig hilfreich, weil an erheblicher Unschärfe leidend, ist die Definition von Hamilton/Catterall, Adv. Consum. Res. 32 (2005), S.  627. Sie definieren den Begriff „low-income consumer“ in Anlehnung an ein relatives Armutsverständnis als „individuals whose financial resources or income results in them being unable to obtain the goods and services needed for an ‚adequate‘ and ‚socially acceptable‘ standard of living.“ 896 

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schutzbedürftig ist und wie der Fall eines „nicht ganz so reichen“ Verbrauchers zu bewerten ist. Das Zwischenergebnis lautet somit: Weil im Verbraucherbegriff die finanziellen Unterschiede der Menschen ausgeblendet werden, ist auch der durch die verbraucherrechtlichen Vorschriften gewährte Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit frei von sozialer Differenzierung. 3. Vorvertragliche Verhaltenspflicht aufgrund Bedürftigkeit Nicht unterwähnt bleiben darf im Zusammenhang mit dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit schließlich die Möglichkeit einer schadensrechtlichen Rückabwicklung von Verträgen nach den Grundsätzen der „culpa in contrahendo“.904 Diesem in §  311 Abs.  2, §  241 Abs.  2, §  280 Abs.  1 BGB geregelten Schutzmechanismus kommt an dieser Stelle jedoch deshalb keine Bedeutung zu, weil allein die finanzielle Ausstattung einer Vertragspartei nicht darüber entscheidet, ob eine vorvertragliche Verhaltenspflicht – hier in Gestalt einer Aufklärungs- und Informationspflicht – besteht oder nicht. Jede andere Ansicht würde dazu führen, dass es zu einer Schadensersatzhaftung wegen Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht kommt, obwohl der Verhandlungspartner die pflichtauslösenden Umstände gar nicht kennen kann. Dass diesem erst im Vollstreckungsverfahren mit der Vermögensauskunft (§  802c ZPO) ein In­ strument zur Verfügung steht, um Auskunft über die Zusammensetzung des Vermögens seines Vertragspartners zu erlangen, wurde bereits erwähnt.905 Zwischen einer vorvertraglichen Verhaltenspflicht und der Leistungsfähigkeit des anderen Teils besteht allenfalls insoweit ein Zusammenhang,906 als die Leistungsfähigkeit des anderen Teils für die Frage eine Rolle spielen kann, wie eine im konkreten Fall bestehende vorvertragliche Pflicht zur Aufklärung und Information zu erfüllen ist. Diese Differenzierung nach dem Ob und dem Wie zeigt sich beispielweise bei den vorvertraglichen Erläuterungspflichten des §  491 Abs.  3 BGB. Für die Frage, ob den Darlehensgeber die entsprechende Pflicht trifft, sind die konkreten Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Verbrauchers irrelevant. Sie gewinnen erst im Zusammenhang mit dem Wie der Erläuterungspflicht an Bedeutung, denn dann entscheiden sie darüber, inwiefern die Erläuterungen des Darlehensgebers „angemessen“ im Sinne des §  491a 904  Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit über das Institut der „culpa in contrahendo“ vgl. nur Medicus, JuS 1965, S.  209, 211 ff.; Lieb, in: FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S.  251, 258 ff.; Esser/ Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  34; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  387 ff., 484; Lorenz, NJW 1997, S.  2578, 2579; Grigoleit, NJW 1990, S.  9 00 ff.; Wagner, AcP 205 (2005), S.  715, 732 ff.; Wagner, NJW 2005, S.  2956, 2958 f.; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 24; kritisch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  78 ff. 905  Vgl. §  10 B. II. 1. 906 Vgl. Medicus, ZIP 1989, S.  817, 822 („mittelbarer Zusammenhang“).

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Abs.  3 BGB erfolgen, weil sie inhaltlich an die konkrete wirtschaftliche Situation des Verbrauchers angepasst sind.907 Der Umstand, dass sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf die inhaltliche Umsetzung einer vorvertraglichen Aufklärungs- und Informationspflicht auswirken kann, ändert jedoch nichts an dem Befund, dass ein durch §  311 Abs.  2, §  241 Abs.  2, §  280 Abs.  1 BGB vermittelter Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit nicht zwischen Bedürftigen und Vermögenden differenziert. 4. Geldnot als Zwangslage In Beantwortung der Frage, ob es de lege lata einen von der Einkommens- und Vermögenssituation abhängigen und damit statusbezogenen Schutz der Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung gibt, kommt der tatbestandlichen Ausgestaltung des Wuchers in §  138 Abs.  2 BGB eine besondere Bedeutung zu. Die Vorschrift bringt nämlich zum Ausdruck, dass die tatsächliche Freiheit zur Bildung einer rechtsgeschäftlichen Entscheidung prinzipiell aufgrund eines Mangels an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein kann. Denn die „Zwangslage“, unter deren Eindruck der Bewucherte zum Abschluss des wucherischen Geschäfts veranlasst wird, kann fraglos durch Geldnot veranlasst sein. Dies gilt selbst dann, wenn die Geldnot nicht die wirtschaftliche Existenz des Bewucherten bedroht, wie es noch als Voraussetzung einer „Notlage“ i. S. d. §  138 Abs.  2 BGB a. F. gefordert wurde.908 Geldnot kann damit unter bestimmten Voraussetzungen eine Störung der Entscheidungsfreiheit begründen. Allerdings kommt – und das ist von zentraler Bedeutung – in der gesetzlichen Regelung des Wuchers zugleich zum Ausdruck, dass diese Schwäche einer Vertragspartei für sich genommen die Wirksamkeit des Vertrags nicht infrage stellt, und zwar selbst dann nicht, wenn die finanzielle Lage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses besonders prekär ist. Für den Wuchertatbestand ist nämlich kennzeichnend, dass er auf zwei objektiven Tatbestandsmerkmalen aufbaut.909 Das bedeutet: Neben einem subjektiven Element in Gestalt der „Ausbeutung“ muss ein weiteres, objektives Kriterium erfüllt sein, das sich in Form des „auffälligen Missverhältnisses“ zwischen versprochener oder gewährter Leistung und Gegenleistung auf den Inhalt des Vertrags bezieht.910 Weil es stets auf eine Kombination beider objektiven Merkmale ankommt, also neben dem Defizit an Entscheidungsfreiheit eine Äquivalenzstörung von Leis907 

Wie hier Metz, NJW 2012, S.  1990, 1995. BGH, NJW 1994, S.  1275, 1276. 909  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  380; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  387. 910  Zu diesen verschiedenen Tatbestandsmerkmalen vgl. etwa Fikentscher, in: FS Hefermehl, 1971, S.  41, 42; Larenz, Richtiges Recht, 1979, S.  66; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.  754; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  51 f.; Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 280. 908 

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tung und Gegenleistung vorliegen muss,911 führt materielle Armut als solche nicht dazu, dass die Rechtsordnung der vertraglichen Abrede die Anerkennung versagt.912 Insoweit besteht zwischen dem Tatbestand des §  138 Abs.  2 BGB und der Bürgschaftsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts ein Gleichlauf,913 auf den sogleich zurückzukommen sein wird. 5. Verhandlungsgleichgewicht trotz finanzieller Bedürftigkeit Gegenstand des Bürgschaftsbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts ist die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit,914 denn der Vorwurf an den Bundesgerichtshof lautet ja gerade, der Senat habe nicht danach gefragt, „ob und inwieweit beide Vertragspartner über den Abschluß und den Inhalt des Vertrages tatsächlich frei entscheiden konnten […]“, und darin liege „eine Verkennung der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie.“915 Für das hier verfolgte Erkenntnisinteresse ist nun wesentlich, dass das Bundesverfassungsgericht die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Bürgen aufgrund einer „strukturellen Unterlegenheit“ eingeschränkt sah. Weil eine solche ohne Überlegenheit des anderen Vertragsteils nicht gedacht werden kann – der Begriff „Unterlegenheit“ mithin ebenso wie der Begriff „Schwächerer“ nicht absolut, sondern relativ gefasst ist916 – darf man im Zusammenhang mit der Frage, ob der Vertrag als „Mittel der Fremdbestimmung“917 dient, nicht allein die Position einer Partei betrachten. Maßgeblich ist vielmehr das bestehende Kräfteverhältnis,918 das nur ermittelt werden kann, wenn man die Stellung beider Parteien vergleicht. Dass es auf eine relationale Sichtweise ankommt, ist keine besonders revolutionäre Erkenntnis. Sie findet sich bereits bei G. Radbruch, der von der Vertragsfreiheit als „Diktatfreiheit des sozial Mächtigen“ spricht, sobald sich „die Kontrahenten als Besitzende und Besitzlose gegenüberstehen“.919 Auch diesem Satz lässt sich 911  Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 280; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  385 f. 912 Vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  52. 913  Zu den Parallelen zwischen Bürgschaftsentscheidung und §  138 Abs.  2 BGB vgl. Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 296 f. 914 Vgl. Dieterich, RdA 1995, S.  129, 133; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S.  266 f.; Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 296 m. w. N. in Fn.  68; Wagner, AcP 205 (2005), S.  715, 720; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 25, 31. 915  BVerfGE 89, 214, 231 = NJW 1994, S.  36, 38. 916 Dazu Pfaff, Über den rechtlichen Schutz des wirtschaftlich Schwächeren in der römischen Kaisergesetzgebung, 1897, S.  11; v. Hippel, Der Schutz des Schwächeren, 1982, S.  1; Fischer, Beitrag zur Sozialschutztheorie, 1989, S.  66. 917  BVerfGE 89, 214, 234 = NJW 1994, S.  36, 39. 918  Hönn, in: FS Kraft, 1998, S.  251, 260. 919  Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  247 [Hervorhebung hinzugefügt]; Radbruch, Der Mensch im Recht, 1957, S.  38; ähnlich v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privat-

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die Einsicht entnehmen, dass nicht die „Besitzlosigkeit“ als solche, sondern eine zwischen den Vertragspartnern bestehende ungleiche Besitzlage „zur Diktathörigkeit des sozial Ohnmächtigen“920 führt, denn anderenfalls ließe sich G. Radbruchs weiterer Gedanke nicht erklären, wonach nur in einer „Gesellschaft sozial gleich Mächtiger, einer Gesellschaft von lauter kleinen Eigentümern“, die Vertragsfreiheit eine Vertragsfreiheit für alle sein könne.921 Aus dem vertragspartnerbezogenen Ansatz folgt zweierlei: Erstens: Allein die Knappheit der Mittel, die einer Vertragspartei zum Zeitpunkt des vertraglichen Einigungsprozesses zur Verfügung stehen, begründet für sich genommen kein Defizit an rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit, auf das die Gerichte reagieren dürfen. Sie müssen den wirtschaftlich Schwachen vielmehr als „selbstbestimmt“ handelndes Rechtssubjekt ansprechen,922 das trotz finanzieller Armut grundsätzlich in der Lage ist, frei zu entscheiden.923 Die Rechtsprechung ist also nicht aufgefordert, finanziell bedürftige Vertragsparteien per se zu schützen, auch wenn ihre Entscheidungsfreiheit durch einen aus der finanziellen Leistungsunfähigkeit resultierenden faktischen Zwang eingeschränkt sein sollte. Zweitens: Weil es nicht um den Schutz des ökonomisch Schwachen, sondern um den Schutz des ökonomisch Schwächeren geht, kann von einer „strukturellen Unterlegenheit“ dann nicht gesprochen werden, wenn beide Vertragsparteien bedürftig sind. Auch in diesem Fall ist für eine richterliche Intervention in das Vertragsverhältnis aufgrund der finanziellen Ausstattung der Parteien kein Raum. Bei näherem Hinsehen wird freilich deutlich, dass in der sozialen Realität eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende finanzielle Bedürftigkeit in aller Regel mit dem Zustand der Unterlegenheit zusammenfällt,924 wie es etwa auch bei den Bürgschaftsverträgen der Fall war, die den Gegenstand der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Zahlungsurteile bildeten.925 Logisch zwingend ist ein solcher Gleichlauf von Bedürftigkeit und Unterlegenheit aber nicht.926 Wer eine Vertragspartei pauschal als strukturell unterlegen quarechts, 1889 (1949), S.  478, 499: „Eine Privatrechtsordnung, die ihres sozialen Berufes eingedenk ist, wird zugleich auf einen materiellen Schutz der durch die Vertragsfreiheit gefährdeten Gesellschaftsschichten gegen den Druck wirthschaftlicher Übermacht hinarbeiten müssen.“ 920  Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  247. 921  Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  247. 922  So bereits Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1986, S.  180. 923  Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  110. 924 Ebenso Pfaff, Über den rechtlichen Schutz des wirtschaftlich Schwächeren in der römischen Kaisergesetzgebung, 1897, S.  11. 925  So verfügten beide Bürgen über kein Vermögen sowie über kein bzw. nur ein sehr geringes monatliches Einkommen (1.150 DM netto). 926 Ähnlich Zöllner, JuS 1988, S.  329, 335: „Ob sich ein Reicher oder Armer als Arbeitnehmer verdingt oder einen Job vergibt, eine Wohnung mietet oder vermietet, eine Sache kauft oder verkauft, führt für sich allein nicht zu unterschiedlichen Vertragskonditionen, sondern

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lifiziert, weil sie über wenig materielle Ressourcen verfügt, verwechselt die in der Bürgschaftsentscheidung in Rede stehende rechtsgeschäftliche mit einer sozialen Unterlegenheit.927 Auf die Letztgenannte kann nur der Gesetzgeber reagieren.928 Ein sich als „Sozialingenieur verstehender Richter“929 darf sie indes nicht zum Anlass nehmen, um auf eine vertragliche Abrede korrigierend einzuwirken. An dieser Einschätzung ist nicht trotz, sondern wegen der Bürgschaftsentscheidung festzuhalten. Denn diese zielt weder auf einen sozialen Schutz wirtschaftlich schwacher Vertragsparteien, noch lässt sich ihr die Wertung entnehmen, dass „ein Mangel an Vermögen eher Grund für mehr als für weniger Rücksichtnahme der Gerichte impliziert“930 . In anderen Worten: Ihr Anliegen ist nicht die soziale Förderung wirtschaftlich armer Personen, sondern die Durchsetzung materialer Vertragsfreiheit,931 und zwar sowohl für den finanziell Bedürftigen als auch für den Vermögenden.932 6. Finanzielle Unterlegenheit als ein Grund unter vielen Der vertragspartnerbezogene Ansatz des Bundesverfassungsgerichts findet in der tatbestandlichen Ausgestaltung des §  138 Abs.  2 BGB keine Entsprechung. Wie sich die Situation des anderen Teils darstellt, ist für den Wuchertatbestand unbeachtlich, sofern die Geldnot nur zu einer Zwangslage des Bewucherten führt. Weil sich der Norm allerdings die Einsicht entnehmen lässt, dass die Freiheit zur Bildung einer rechtsgeschäftlichen Entscheidung nicht allein durch eine Zwangslage beeinträchtigt sein kann, sondern ebenso aufgrund anderer Umstände, namentlich einer Unerfahrenheit oder einer erheblichen Willensschwäche sowie eines Mangels an Urteilsvermögen des Bewucherten, besteht zur allenfalls im Zusammenwirken mit anderen Umständen. Gelegentlich wird gesagt, Geld sei in Macht konvertibel. So einfach liegen die Dinge jedoch im Rechtsstaat nicht.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 927 So Rauscher, DNotZ 2004, S.  524, 541 (zur Relevanz der Vermögensdisparität in der ehevertraglichen Inhaltskontrolle); ähnlich bereits Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  104 f.: „Wirtschaftliche und subjektive Schutzbedürftigkeit sind gedanklich scharf zu trennen. Sie wurzeln in völlig verschiedenen […] weitgehend unvereinbaren gesellschaftspolitischen Konzeptionen.“ 928  Zu diesem Gedanken auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.  105: „Wirtschaftliche Schwachheit im Sinne eines geringen Einkommens kann, wenn bestimmte Grenzen unterschritten werden, Anlaß für fürsorgerische Maßnahmen sein, nicht aber Anknüpfungspunkt für eine allgemeine Reform des Privatrechts bilden.“ 929 So Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  165, 181. Zur Funktion des Richters als „Sozialingenieur“ im Zwangsvollstreckungsverfahren vgl. Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Konkursrechts, 2.  Aufl. 1979, S.  92 f. 930  Reifner, BKR 2009, S.  51, 54. 931 Vgl. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S.  267; Wagner, AcP 205 (2005), S.  715, 720. 932  Im Ergebnis wie hier wohl auch Eichenhofer, JuS 1996, S.  857, 862, der darauf hinweist, dass die „Unterlegenheit“ nicht aus persönlichen Eigenschaften resultiere.

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Bürgschaftsentscheidung insoweit ein Gleichlauf, als auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte „strukturelle Unterlegenheit“933 nicht nur wirtschaftliche Ursachen haben kann.934 Eine disparate Einkommens- und Vermögenssituation der Vertragsparteien begründet lediglich eine besonders deutliche Form der Unterlegenheit, die zudem durch die beweisbelastete Partei einfach dargelegt und erforderlichenfalls bewiesen werden kann. Dennoch ist wichtig zu betonen, dass vertragliche Disparität nicht allein bei einer zwischen den Vertragsparteien bestehenden Diskrepanz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auftritt.935 Dies kommt deutlich in den beiden grundlegenden Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen zum Ausdruck.936 In beiden Fällen wird nicht an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ehevertragsparteien angeknüpft, sondern die Schwangerschaft der Frau als entscheidender „Störfaktor“937 identifiziert, der die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit einschränkt. Im Lichte dessen ist es nicht zu kritisieren, wenn der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu bürgenden Familienangehörigen darauf hinweist, dass ein „unerträgliches Ungleichgewicht der Vertragspartner“ auch aus einer „geschäftlichen Unerfahrenheit“938 oder aus einer „seelischen Zwangslage des Bürgen“939 resultieren kann, wobei an dieser Stelle zu betonen ist, dass auch diese beiden Gesichtspunkte nicht als abschließende Aufzählung derjenigen Umstände zu verstehen ist, die auf eine subjektive Imparität hindeuten.940 Festzuhalten ist damit, dass eine Einkommens- und Vermögensdisparität eine zentrale, aber eben nicht die einzige Ursache für das Vorliegen einer ungleichen Verhandlungsposition darstellt.

933  Kritisch zum Begriff „strukturelle Unterlegenheit“ Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1, 35; Lorenz, NJW 1997, S.  2578, S.  2579. 934 Treffend Limbach, JuS 1985, S.  10, 13: „Das Phänomen der Macht ist zu vielschichtig, als daß es sich an wenigen handhabbaren Kriterien festmachen ließe.“; ähnlich Dieterich, RdA 1995, S.  129, 131. Zur Erfassung der verschiedenen Ursachen, die eine Unterlegenheit begründen können, vgl. etwa Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  307; Preis/ Rolfs, DB 1994, S.  261, 266; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 21 f. 935  So bereits Pfaff, Über den rechtlichen Schutz des wirtschaftlich Schwächeren in der römischen Kaisergesetzgebung, 1897, S.  11: „Es wäre ungenau, zu sagen, dies [der Schwächere – Anmerkung hinzugefügt] sei der Arme im Gegensatz zum Reichen. So einfach liegt die Sache nicht […] denn nicht nur der Mangel an Besitz im weitesten Sinne des Wortes kann den einzelnen im gegebenen Fall zum wirtschaftlich Schwächeren stempeln […].“ 936  BVerfGE 103, 89 = NJW 2001, S.  957 und BVerfG, NJW 2001, S.  2 248. 937  Dieterich, RdA 1995, S.  129, 131. 938  BGHZ 125, 206, 210 = NJW 1994, S.  1278, 1279. 939  BGHZ 128, 230, 232 = NJW 1995, S.  592. 940  Vgl. nur BGHZ 156, 302, 309 = NJW 2004, S.  161, 162; BGH, NJW 2018, S.  3637, 3638 („Angst um Arbeitsplatz“).

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7. Verhandlungsprozess und Verhandlungsergebnis Hinzu kommt eine weitere Parallele zwischen der Ausgestaltung des Wuchertatbestands und der Bürgschaftsjudikatur: Es wurde bereits darauf hinge­ wiesen, dass nach §  138 Abs.  2 BGB der vertraglichen Abrede nur dann die Anerkennung durch die Rechtsordnung versagt wird, wenn das Defizit an rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch eine vertragsinhaltsbezogene Komponente flankiert wird. Ein vergleichbarer kombinierter Ansatz liegt der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde.941 Das kommt instruktiv in dem folgenden, bereits oben zitierten Satz zum Ausdruck: „Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen.“942

Diese Formulierung macht deutlich, dass beide Voraussetzungen – eine strukturelle Unterlegenheit und eine ungewöhnliche Belastung durch den Vertrag – kumulativ vorliegen müssen. Selbst eine offensichtliche Einkommens- und Vermögensdisparität genügt somit nicht als isoliertes Wertungselement, um einen korrigierenden Eingriff in die vertragliche Abrede zu legitimieren.943 Weil die Bürgschaftsentscheidung argumentativ auf zwei Säulen ruht,944 von der keine mehr Bedeutung hat als die andere, ist es kritisch zu sehen, dass nach dem Bundesgerichtshof eine krasse finanzielle Überforderung eines dem Hauptschuldner emotional verbundenen Bürgen die widerlegliche Vermutung der Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrags begründet.945 Denn damit muss ein zum Hauptschuldner in einem anerkannten Näheverhältnis stehender Bürge zur Annahme der Sittenwidrigkeit nur noch eine krasse finanzielle Überforderung darlegen und beweisen. Gelingt ihm das, so führt dies nicht nur zu der tatsächlichen Vermutung, dass der Bürge sich von seiner emotionalen Bindung an den Hauptschuldner hat leiten lassen, sondern es wird auch vermutet, dass dies durch den Gläubiger in sittenwidriger Weise ausgenutzt wurde.946 Im Ergebnis wird damit der vertragsinhaltsbezogenen Komponente eine gegenüber dem vertragsanbahnungsbezogenen Element hervorgehobene Bedeutung beigemessen, die sich in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts so nicht widerspiegelt.947 941 Vgl. Rittner, NJW 1994, S.  3330; Lorenz, NJW 1997, S.  2578; Wagner, AcP 205 (2005), S.  715, 720 („zweigliedriger Ansatz“); Schnabl, WM 2006, S.  706, 709; Fischinger/Hofer, NZA 2017, S.  349, 352. 942  BVerfGE 89, 214, 232 = NJW 1994, S.  36, 38 [Hervorhebung hinzugefügt]. 943  Zutreffend OLG Hamm, NJW-RR 2003, S.  1659; OLG Hamm, FamFR 2011, S.  381; jeweils zur ehevertraglichen Inhaltskontrolle. 944  Fischinger/Hofer, NZA 2017, S.  349, 352. 945  BGH, NJW 2001, S.  2466, 2467; BGH, NJW-RR 2017, S.  241, 243. 946  BGH, NJW 2009, S.  2671, 2672; Nitze/Grädler, VuR 2012, S.  91, 92. 947 Vgl. Wagner, AcP 205 (2005), S.  715, 724; Habersack, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  765 Rn.  19; kritisch auch Schnabl, WM 2006, S.  706, 708.

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Aus dem Hinzutreten eines vertragsinhaltsbezogenen Elements, das nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts dann relevant wird, wenn „die Folgen des Vertrags für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend sind“948 , lässt sich nun allerdings keineswegs folgern, die Bürgschaftsrechtsprechung schütze in besonderem Maße bedürftige Vertragsparteien. Dass diese Annahme nicht richtig sein kann, lässt sich damit begründen, dass die Folgen eines Vertrags für eine vermögende Person ebenso „ungewöhnlich belastend“ sein können wie für eine bedürftige, sofern der Verpflichtungsumfang nur entsprechend groß ist. Zutreffend setzt der Bundesgerichtshof die verfassungsrechtlich geforderte Korrektur des Bürgschaftsrechts daher auch in der Weise um, dass der Schutz des Bürgen von einem „besonders groben Mißverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit“949 abhängig ist. Weil damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Verpflichtungsumfang ins Verhältnis gesetzt wird, zielt die richterliche Inhaltskontrolle nicht auf den Schutz vermögensloser Bürgen bzw. Mithaftender.950 Eine andere Ansicht, die den Anwendungsbereich der Judikatur auf bestimmte, durch ihre finanzielle Bedürftigkeit gekennzeichnete Personen begrenzt, wird vom Spruch des Bundesverfassungsgerichts nicht getragen. Zieht man an dieser Stelle eine Zwischenbilanz, so lässt sich Folgendes kon­ statieren: Ein Irrtum des Erklärenden über die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist nach dem Gesetz ebenso unbeachtlich wie die Frage, ob einkommensschwache Verbraucher in besonders hohem Maße in ihrer Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Entscheidung eingeschränkt sind. Verbraucherschützende Vorschriften, die auf ein Defizit an rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit reagieren, knüpfen nicht an die finanzielle Ausstattung des Verbrauchers, sondern an die Vertragsanbahnungssituation an. Selbst eine aus drückender Geldnot resultierende wirtschaftliche Zwangslage eines Privatrechtsakteurs lässt das Gesetz für sich genommen nicht genügen, um dem in dieser Situation geschlossenen Vertrag die Anerkennung zu versagen. Dies zeigt die Ausformulierung des Wuchertatbestandes, der die Nichtigkeitsfolge nur dann anordnet, wenn neben dem Defizit an rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit zugleich ein Leistungsmissverhältnis besteht. Dass wirtschaftliche Schwäche im Sinne eines geringen Einkommens- und Vermögens für sich genommen keinen korrigierenden Eingriff in den Vertrag rechtfertigt, belegt schließlich die Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Zwar lässt sich dieser Entscheidung entnehmen, dass ein zwischen den Vertragsparteien bestehendes Gefälle in der finanziellen Ausstattung eine „strukturelle Unterlegenheit“ begründen kann. 948 

BVerfGE 89, 214, 232 = NJW 1994, S.  36, 38. 125, 206, 210 = NJW 1994, S.  1278, 1279; BGHZ 128, 230, 234 = NJW 1995, S.  592; BGHZ 151, 34, 37 = NJW 2002, S.  2228, 2229. 950  A. A. Lorenz, NJW 1997, S.  2578; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 30. 949  BGHZ

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Damit ist jedoch nicht gesagt, dass eine bedürftige Vertragspartei stets unterlegen und damit typischerweise mit Blick auf ihre rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit schutzbedürftig ist. In anderen Worten: Ein finanziell Geschwächter ist nicht zwingend der Schwächere. Daraus ergibt sich ein weiteres Zwischenfazit: Einen von materieller Armut abhängigen und damit statusbezogenen Schutz der Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung gibt es de lege lata nicht. Das Gesetz geht weder davon aus, dass (typologisch betrachtet) zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Person und ihrer rechtsgeschäftlichen Willensbildungsfähigkeit eine Wechselwirkung besteht, noch lässt sich eine Positivierung des Gedankens finden, dass ein Mangel an materiellen Ressourcen an sich geeignet sei, eine juristisch relevante Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zu begründen. Damit lässt sich sagen: Eine aus materieller Armut resultierende Einschränkung der Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung muss der hiervon Betroffene eigenverantwortlich tragen.951 Der Grundsatz der Selbstverantwortung wird auch insoweit nicht durchbrochen.

C. Gesellschaftsbezogene Instrumente Die in den beiden vorangegangenen Unterabschnitten gefundenen Ergebnisse dürfen nicht zu dem Schluss verleiten, die Rolle des Vertragsrechts im Entwicklungsprozess erschöpfe sich in einem Bekenntnis zum Grundsatz der Selbstverantwortung. Wenn dem so wäre, dann müsste man an dieser Stelle einen Schlusspunkt setzen. Denn unser Vertragsrecht fordert – wie in §  10 A. III. dargelegt wurde – „vom Armen wie vom Reichen mit gleicher Schärfe die Bezahlung der Schulden“952 und geht – wie die Ausführungen in §  10 B. gezeigt haben – davon aus, dass eine aus finanzieller Bedürftigkeit resultierende Einschränkung der Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung der hiervon Betroffene grundsätzlich selbstverantwortlich zu tragen hat. I. Selbstverantwortung und sonst nichts? Von einer derart auf die Verteidigung des Grundsatzes der Selbstverantwortung limitierten Funktion des Vertragsrechts im Entwicklungsprozess gehen offensichtlich bedeutende Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts aus. In einem Beitrag mit dem Titel „Doing What You Say: Contracts and Economic 951 Treffend Schmidt, Zivilrechtlicher Grundkurs für Studienanfänger, 2.  Aufl. 1977, S.  69: „[Ö]konomische Defizite fallen hingegen dem davon Betroffenen zur Last. Sie sind sein Schicksal.“ 952  Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S.  9.

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Development“ greift etwa R. D. Cooter in die Debatte über die entwicklungsfördernde Wirkung des Vertragsrechts ein und hebt dabei in erster Linie die Bedeutung der Verlässlichkeit der Vertragsbindung für den Entwicklungsprozess und damit die zweite Seite der Selbstverantwortung hervor:953 „Competition involving transactions with strangers invigorates an economy and enables it to flourish. Making strangers do what they say requires them to commit legally. ­According to the contract principle for economic cooperation, the law should enable people to commit to doing what they say.“954

Natürlich geht es R. D. Cooter dabei nicht um die in dieser Schrift interessierende Freiheitsförderung der Vertragsbindung.955 Seine Ausführungen sind von einem Erkenntnisinteresse getragen, das im Vergleich zu dem hier verfolgten ein grundsätzlich anderes ist. Er untersucht – ebenso wie H.-B. Schäfer 956 – die Frage, inwiefern Vertragstreue einen Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlstand einer Volkswirtschaft leistet, denn die Kernthese beider lautet: „Making wealth requires people to do what they say.“957

Sie stellen damit den Entwicklungsprozess mit dem eindimensionalen Kriterium des gesellschaftlichen Reichtums gleich.958 Dabei betonen sie zwar unter Verweis auf die Schriften A. Sens, dass diesem Reichtum kein intrinsischer Wert

953 

Zur Vertragsbindung als zweite Seite der Selbstverantwortung vgl. §  10 A. III. Cooter, Ala. L. Rev. 59 (2007–2008), S.  1107, 1133; vgl. auch Cooter, Fla. State Univ. Law Rev. 33 (2005), S.  373, 385, 392; Cooter, Sw. J. L. & Trade Am. 12 (2005–2006), S.  181, 187; Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  100. 955  Vgl. §  10 A. IV. 956  Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012. 957  Cooter, Ala. L. Rev. 59 (2007–2008), S.  1107, 1133 [Hervorhebung hinzugefügt]. Ähnlich mit Blick auf den Entwicklungsprozess North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, 1990, S.  54: „[T]he inability of societies to develop effective, low-cost enforcement of contracts is the most important source of both historical stagnation and contemporary underdevelopment in the Third World.“; Posner, World Bank Res. Obs. 13 (1998), S.  1: „[T]he failure of governments in poor countries to provide the basic framework of a capitalist economy may be an important factor in keeping poor countries poor. Markets are more robust than some market-failure specialists believe. But their vigor may depend on the establishment of an environment in which legal rights, especially property and contractual rights, are enforced and protected – an environment that is taken for granted in wealthy nations“; und Pound, An Introduction to the Philosophy of Law, 1999, S.  225 f.: „Wealth, in a commercial age, is made up largely of promises. […] Hence, in a commercial and industrial society, a claim or want or demand of society that promises be kept and that undertakings be carried out in good faith, a social interest in the stability of promises as a social and economic institution, becomes of the first importance.“ 958 Siehe Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  10: „Like most of economics, this book is more concerned with making wealth than using it wisely.“, sowie S.  12: „This book explains how better law can promote innovation and increase a nation’s wealth. It does not explain what people ought to use the wealth for or how wealth can promote happiness.“ 954 

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beizumessen sei.959 Worin aber letztlich genau die Dienlichkeit des Reichtums einer Volkswirtschaft liegt und warum man sich bei der von ihnen aufgeworfenen Frage „How Law Can End the Poverty of Nations“ auf die Betrachtung einer instrumentellen Größe beschränken darf, die zudem nichts über die tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen aussagt,960 bleibt jedoch offen.961 Ihr Hinweis darauf, dass sich die Ökonomik schon immer darauf konzentriert habe, „how people can get more of what they want“, und es der Ethik obliege zu erforschen, „what people ought to want“,962 schließt diese Lücke ebenso wenig wie die Feststellung: „Wealth matters to people. Almost everyone would prefer the wealth of Belgium to the poverty of Bangladesh“.963

Auch wenn der letztgenannte Befund sicherlich zutrifft, so handelt es sich dabei lediglich um eine Beobachtung der menschlichen Natur. Der Diskurs über den Wert des Reichtums einer Volkswirtschaft lässt sich aber nicht auf eine Betrachtung der Seinsebene reduzieren.964 Anderenfalls würde man das Faktische zum Normativen erklären. Letztlich postulieren R. D. Cooter und H.-B. Schäfer damit einfach, dass es gut und richtig sei, wenn der gesellschaftliche Reichtum wächst. Es fehlt eine normative Letztbegründung. Hierauf wird im dritten Kapitel zurückzukommen sein.965 Auch der Hinweis auf die ethische Enthaltsamkeit der Ökonomik überzeugt nicht. Denn damit wird nicht nur der aus dem ersten Kapitel bekannte „explizit moralisch engagierte Beginn der Wohlfahrts­ ökonomik“966 übergangen.967 Es wird zudem ausgeblendet, dass es im rechts­ ökonomischen Denken nichts Befremdliches ist, zumindest einen Fuß auf das moralische Territorium zu setzen. Hiervon wird ebenfalls im dritten Kapitel die Rede sein.968 Schließlich bleibt unberücksichtigt, dass nichts dagegenspricht, 959  Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  10: „Wealth is a means, not an end like happiness, goodness, holiness, beauty, love, knowledge, or self-fulfillment.“ 960  Vgl. §  5 B. 961 Treffend Dworkin, A Matter of Principle, 1985, S.  240: „But now comes the nerve of the problem […] it is unclear why social wealth is a worthy goal.“ [Hervorhebung im Original]. 962  Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  10. 963  Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  10. 964  Vgl. dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 9.  Aufl. 2019, S.  58. 965  Vgl. §  14. 966  Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  36. Vgl. auch Sen, On Ethics and Economics, 1987, S.  2 f.: „[E]conomics has had two rather different origins, both related to politics, but related in rather different ways, concerned respectively with ‚ethics‘, on the one hand, and with what may be called ‚engineering‘ on the other.“; Hagel, Effizienz und Gerechtigkeit, 1993, S.  33; Kolb, Geschichte der Volkswirtschaftslehre, 2.  Aufl. 2004, S.  15. 967  Vgl. §  2 C. 968  Vgl. §  16 B. II.

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eine Wissenschaft, die sich prima facie nicht für ethische Fragen interessiert, mit solchen zu konfrontieren sowie den Versuch zu unternehmen, sie zu einer moralisch fundierten Sozialwissenschaft weiterzuentwickeln und zu etablieren. Für den weiteren Gang der Untersuchung ist jedoch ein anderer Gesichtspunkt entscheidend. Es versteht sich von selbst, dass jede Konzentration auf eine einzelne Referenzgröße zwangsläufig die Rolle des Vertragsrechts im Entwicklungsprozess limitiert. Wer Entwicklung mit dem Reichtum einer Volkswirtschaft gleichsetzt, kann nur fragen, wie sich das Vertragsrecht auf diese Größe positiv auswirkt. Wird Entwicklung hingegen nicht auf eine ökonomische Dimension reduziert, sondern, den Argumenten A. Sens folgend, als Freiheitserweiterung verstanden, die durch verschiedene Faktoren determiniert wird, dann offenbart sich ein wichtiger Punkt, an dem das Vertragsrecht im Entwicklungsprozess anknüpfen kann. Die Rede ist von den gesellschaftlichen Bedingungen, die eine Transformation der zur Verfügung stehenden knappen Güter in menschliche Freiheiten hindern können. In der Terminologie des Befähigungsansatzes geht es nun also um die sozialen Umwandlungsfaktoren. Diese freiheitsbeschränkenden Bedingungen nicht-monetärer Art sowie der Einfluss des Vertragsrechts hierauf stehen im Fokus des nächsten Unterabschnitts. Dabei wird das bestehende Recht weiterhin aus der bloßen Anschauung erkundet, also ohne Berücksichtigung von Sollens-Fragen. II. Abbau freiheitsbeschränkender Bedingungen nicht-monetärer Art Ob eine Person über grundlegende Freiheiten verfügt, hängt in einer entwickelten Gesellschaft wie der unsrigen entscheidend von ihrer Fähigkeit ab, sich Güter und Dienste auf dem Markt und damit mithilfe von Verträgen zu besorgen.969 Wer etwa über die Fähigkeit verfügt, ausreichend ernährt zu sein, der wird diese Freiheit in aller Regel nur deshalb besitzen, weil er über die positive Freiheit verfügt, sich Nahrung von einem anderen Marktteilnehmer zu verschaffen. Dabei kommt der finanziellen Ausstattung, wie oben bemerkt,970 eine entscheidende Bedeutung zu. Denn Güter und Dienstleistungen aller Lebensbereiche müssen mit Geld als Tausch- und Zahlungsmittel erkauft werden. Damit die Tür in die „Vergemeinschaftung kraft Geldgebrauchs“971 für einkommens- und vermögenslose Personen nicht verschlossen bleibt, sie – anders gewendet – „vertragsfähig“972 werden, wird in einer sozialen Marktwirtschaft durch steuerfinanzierte Mindestsicherungsleistungen ein Mindestmaß an öko969 Vgl. Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27, 34; Mattei, Eur. Law J. 10 (2004), S.  653, 655; Tjon Soei Len, Minimum Contract Justice, 2017, S.  45, 47. 970  Vgl. §  10 A. 971  Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von Winckelmann, 5.  Aufl. 1976, S.  382; vgl. dazu §  4 B. 972  Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  244.

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nomischer Freiheit für Hilfebedürftige bereitgestellt,973 womit ihnen eine Möglichkeit zur Teilnahme am Marktgeschehen eröffnet wird.974 Doch ist nicht gesagt, dass dieser Gütertransfer für eine allgemeine Grundbefähigung ausreichend ist. Die Überlegungen im ersten Kapitel haben vielmehr gezeigt, dass materielle Ressourcen zwar als eine notwendige, nicht aber als eine hinreichende Bedingung für wirkliche Freiheiten zu qualifizieren sind.975 Wer etwas anderes behauptet, verkennt, dass zwischen der Fähigkeit, den Preis für ein Gut zu bezahlen, und der positiven Freiheit, ein Gut auf dem Markt zu erwerben, ein grundlegender Unterschied besteht. Die Tatsache, dass ein Marktteilnehmer über finanzielle Ressourcen verfügt, sagt nämlich nichts darüber aus, ob er das gewünschte Gut im „freien Spiel der Einzelwillen in der Erzeugung von Rechtsverhältnissen“976 auch tatsächlich erwerben kann. Denn dem Erwerb nach „Marktgesetzen unter Knappheitsbedingungen wohnt ein systematisches Risiko inne, im Wettbewerb um Lebensgüter gegenüber anderen zu unterliegen.“977 Zur Erfassung dieses realen Risikos ist es erforderlich, die sozialen Umstände in den Blick zu nehmen, die einer Konversion verfügbarer Mittel in wirkliche Freiheiten entgegenstehen. Hat man sie identifiziert, lässt sich in einem nächsten Schritt untersuchen, inwiefern diese freiheitsbeschränkenden Bedingungen nicht-monetärer Art mithilfe rechtlicher Normen abgebaut werden. Dies soll im Folgenden am Beispiel des Wohnraummietrechts versucht werden. Die Erörterung konzentriert sich dabei nicht deshalb auf diesen Bereich, weil das Wohnraummietrecht „im Brennpunkt des (vermeintlichen?) Verteilungskampfes zwischen dem ‚reichen‘ Vermieter und dem ‚armen‘ Mieter“978 ansetzt. Der Grund für die Wahl dieses Normenkomplexes ist ein anderer: Am Wohnraummietrecht lässt sich besonders gut verdeutlichen, dass der Gesetzgeber zur Förderung einer bestimmten menschlichen Freiheit, nämlich der Fähigkeit, das individuelle Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen, nicht allein auf güterbezogene Instrumente setzt, sondern diese mit gesellschaftsbezogenen 973 

Vgl. §  10 A. II. Zu dieser Wirkung staatlicher Transferleistungen vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  67. 975 Ähnlich Däubler, in: FS Derleder, 2005, S.  39, 41; a. A. Reuter, AcP 189 (1989), S.  199, 209, der davon ausgeht, dass mithilfe eines durch das Sozialhilferecht gewährten Mindesteinkommens eine angemessene Teilhabe am allgemeinen materiellen und kulturellen Lebensstandard ermöglicht wird. 976  v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 498. 977  Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  7 7 [Hervorhebung im Original]. Treffend mit Blick auf die Begründung eines Mietverhältnisses über Wohnraum Leuschner, NJW 2014, S.  1929, 1930: „Allein der Umstand, dass ein Interessent in der Lage wäre, die geforderte Miete zu zahlen, impliziert bei einem Nachfrageüberhang nicht, dass er die Wohnung auch erhält.“ Vgl. ferner Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  66. 978  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  296. 974 

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Regelungsmechanismen verknüpft. Im Rahmen dieses kombinierten Ansatzes zählen zu den Ersteren vor allem §  19 Abs.  1 S.  3 SGB II, der die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zum integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II macht, sowie §  35 SGB XII, der die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt regelt. Hinzu treten die Regelungen zum Wohngeld, die ebenfalls als güterbezogen zu qualifizieren sind, weil sie auf die Mietzahlungsfähigkeit der Marktteilnehmer gerichtet sind und diese Fähigkeit durch einen Zuschuss zur Miete stärken (§  1 Abs.  2 WoGG), der endgültig bei dem Berechtigten verbleibt (§§  7, 26 Abs.  1 SGB I). Ergänzt werden diese güterbezogenen Instrumente – und das ist der entscheidende Punkt – durch verschiedene Vorschriften, die an den gesellschaftlichen Bedingungen nicht-monetärer Art ansetzen, um finanziell leistungsschwachen Personen zu mehr wirklicher Freiheit zu verhelfen. 1. Angebots- und Preisregulierung Um diese rechtliche Normen erkennen zu können, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass bestimmte Freiheiten durch die Anzahl der auf dem Markt angebotenen Güter determiniert werden. Das verfügbare Angebot ist in diesem Fall – wie oben ausgeführt979 – als eine freiheitslimitierende soziale Bedingung nicht-monetärer Art zu qualifizieren. Mit Blick auf das Gut „Wohnung“ lässt sich dies an einem einfachen Beispiel illustrieren: Wenn in Städten mit einem angespannten Wohnungsmarkt, wie er vor allem in wirtschaftsstarken Zuzugsräumen sowie in vielen Groß- und Universitätsstädten zu finden ist, nicht genügend Mietwohnungen auf dem Markt angeboten werden, deren Mietzins das Angemessenheitskriterium des §  22 Abs.  1 S.  1 SGB II erfüllt, dann beschränkt diese soziale Bedingung nicht-monetärer Art die wirkliche Freiheit von Leistungsbeziehern, ihr Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen. Der Gesetzgeber reagiert auf diese freiheitslimitierende soziale Bedingung auf verschiedene Weise. Zum einen setzt er unmittelbar an der Angebotsseite an:980 Sowohl der staatliche Wohnungsbau und die steuerliche (z. B. §  7b EStG) bzw. nichtsteuerliche Wohnungsbauförderung981 als auch die soziale Wohn979 

Vgl. §  4 C. II. Ganz im Sinne von Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S.  32, dem zufolge „[z]u allen Zeiten […] ein ausreichendes Wohnungsangebot der beste Mieterschutz gewesen [ist].“ 981 Dazu zählen beispielsweise die Vereinfachung von Genehmigungsprozessen gemäß §  13b BauGB durch Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren nach §  13a BauGB, die Erweiterung des Anwendungsbereichs des kommunalen Vorkaufsrechts gemäß §  24 Abs.  1 S.  1 Nr.  6 , Abs.  3 S.  2 BauGB und des Baugebots gemäß §  176 Abs.  1 Nr.  3 BauGB sowie die Einführung eines Genehmigungsvorbehalts für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in angespannten Wohnungsmärkten gemäß §  250 Abs.  1 S.  1 BauGB. Vgl. dazu das Gesetz zur Mobilisierung von Bauland vom 14.6.2021, BGBl. I 2021, S.  1802. 980 

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raumförderung zielen darauf ab, das Angebot an Mietwohnraum zu angemessenen Bedingungen zu verbessern. Auch das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum dient diesem Anliegen.982 Zwar wird mit diesem Instrument kein neuer Wohnraum geschaffen, es stellt jedoch sicher, dass die im Bereich des nicht öffentlich geförderten Wohnungsbaus vorhandenen Räume983 überhaupt genutzt und zur Nutzung als Wohnraum überlassen werden. Zweckentfremdungsverbote sind damit gleichfalls auf das Angebot auf dem Wohnungsmarkt gerichtet, und zwar mit dem Ziel, insoweit eine Normalsituation aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.984 Zum anderen modelliert der Gesetzgeber mithilfe eines genuin vertragsrechtlichen Instruments eine zweite freiheitslimitierende soziale Bedingung, nämlich den Preis des Gutes „Wohnung“. Außerhalb von Wohnungen, für die Fördermittel aus öffentlichen Haushalten in Anspruch genommen wurden,985 geschieht dies durch die im Rahmen des Mietrechtsnovellierungsgesetzes vom 21.4.2015986 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügten und im Anschluss mehrfach „nachgeschärften“987 Regelungen zur „Mietpreisbremse“ (§§  556d ff. BGB).988 Die hier interessierende Bestimmung zur Preisregulierung findet sich 982  Art.  6 §  1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Miet­ anstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4.11.1971 (BGBl. I 1971, S.  1745) enthält eine Ermächtigung an die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, in welchen Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, Wohnraum zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken, insbesondere zur gewerblichen Nutzung, nur mit Genehmigung der von der Landesregierung bestimmten Stelle genutzt werden darf. Da im Zuge der Föderalismusreform die Kompetenz für das Recht der Wohnraumförderung einschließlich des Zweckentfremdungsrechts auf die Länder übergegangen ist, kann diese bundesrechtliche Regelung durch Landesrecht ersetzt werden (Art.  125a Abs.  1 S.  2 GG). Hiervon hat etwa Bayern mit dem Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG) vom 10.12.2007 (GVBl., S.  864) Gebrauch gemacht. Dazu sowie zu weiteren landesrechtlichen Regelungen zur Zweckentfremdung vgl. Schüller, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5.   Aufl. 2019, Kap.  II Rn.  14. Rechtshistorische Ausführungen zum Zweckentfremdungsverbot finden sich bei Heinemann, NVwZ 2019, S.  1070. 983  Für geförderten Wohnraum findet sich ein Verbot der Zweckentfremdung in §  27 Abs.  7 Nr.  2 und Nr.  3 WoFG (ggf. i. V. m. §  7 Abs.  3 WoBindG). 984  BVerfGE 38, 348, 360 = NJW 1975, S.  727, 728. 985  Vorschriften über die Höhe des Mietzinses von öffentlich geförderten Wohnungen finden sich etwa in §  28 WoFG, §  50 Abs.  1 Nr.  1, Nr.  2 WoFG i. V. m. §§  1, 8 WoBindG und in §  50 Abs.  1 Nr.  3 WoFG i. V. m. §  87a Abs.  2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) vom 19.8.1994 (BGBl. I 1994, S.  2137); ebenso in §  50 Abs.  1 Nr.  4 WoFG i. V. m. §  88b II. WoBauG. 986  BGBl. I 2015, S.  610. 987  Vgl. das Gesetz zur Ergänzung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung der Mietsache vom 18.12.2018, BGBl. I 2018, S.  2648, sowie das Gesetz zur Verlängerung und Verbesserung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn vom 19.3.2020, BGBl. I 2020, S.  540. 988 Dazu etwa Börstinghaus, in: Blank/Börstinghaus, Miete, 6.   Aufl. 2020, §  556d BGB Rn.  1.

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in §  556d Abs.  1 BGB. Danach darf die Miete in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Sinne des §  556d Abs.  2 S.  2 BGB zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§  558 Abs.  2 BGB) höchstens um 10 % übersteigen.989 Zwar kommt der durch diese Vorschriften regulierte Preis nicht allein bedürftigen Personen, sondern unterschiedslos allen Mietinteressenten zugute,990 sie werden also rechtlich gleichbehandelt. Faktisch verbessern die Regelungen aber den Marktzugang vor allem für Erstere. Auf diesen Unterschied zwischen rechtlicher und faktischer Gleichheit wird sogleich zurückzukommen sein.991 An dieser Stelle ist zunächst festzuhalten, dass aus der Perspektive des Befähigungsansatzes die sozialpolitisch motivierte Preisregulierung und der damit verbundene Eingriff in den freien Markt992 prima facie freiheitsfördernd wirken, weil sie die Marktzugangschancen einkommensschwächerer Mieter verbessern993 und damit deren wirkliche Freiheit zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Obdach erhöhen.994 Der Umstand, dass diese Freiheitsmehrung zur Einschränkung der Freiheitssphäre eines anderen Privatrechtssubjekts führt, nämlich der zur Vermietung bereiten Wohnungseigentümer, weil die Preisregulierung sowohl in das durch Art.  14 Abs.  1 GG geschützte Eigentum als auch in die Vertragsfreiheit (Art.  2 Abs.  1 GG) eingreift, bleibt in einer befähigungsorientierten Betrachtung der §§  556d ff. BGB unberücksichtigt. Die „Informationsbasis“ bilden ausschließlich die wirklichen Freihei-

989  Generell ausgenommen werden von der Regelung solche Wohnungen, die nach dem 1.10.2014 erstmals genutzt und vermietet werden, sowie die Wiedervermietung umfassend modernisierter Wohnungen (§  556f BGB). Eine höhere Miete ist zudem zulässig, wenn die Miete, die der vorherige Mieter zuletzt geschuldet hat (Vormiete), höher ist als die nach §  556d Abs.  1 BGB zulässige Miete (§  556e Abs.  1 S.  1 BGB) oder wenn der Vermieter in den letzten drei Jahren vor Beginn des Mietverhältnisses Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des §  555b BGB durchgeführt hat (§  556e Abs.  2 S.  1 BGB). 990  BVerfG, NJW 2019, S.  3054, 3058; Gsell, WuM 2017, S.  305, 307. 991  Vgl. §  10 C. II. 2 c). 992 Treffend Leuschner, NJW 2014, S.   1929, 1931: „Ein regulierter Preis ist kein echter Marktpreis.“ 993  BVerfG, NJW 2019, S.  3054, 3057; Tietzsch/Raabe, WuM 2017, S.  688, 690. 994  Ob die Miethöhenregulierung tatsächlich mit dieser Wirkung verbunden ist, können nur empirische Untersuchungen zeigen. Dabei müssten auch die zahlreichen Einwände gegen die Mietpreisbremse berücksichtigt werden, wie beispielsweise, dass sie Neubauinvestitionen verhindert sowie die Tendenz zur Umwandlung von Mietwohnungen in selbstgenutztes Eigenheim verstärkt, sodass das Angebot an Mietwohnungen weiter sinken könnte. Vgl. hierzu etwa einerseits BVerfG, NJW 2019, S.  3054, 3057: „Trotzdem schneidet die Miethöhenregulierung Preisspitzen auf angespannten Wohnungsmärkten ab und kann damit zumindest die Voraussetzungen für einen Marktzugang einkommensschwächerer Mieter schaffen.“, sowie andererseits Blankenagel et al., NZM 2015, S.  1, 17: „Die Zugangschancen einkommensschwacher Mieter als Gruppe – und eben dies ist das erklärte Ziel des Gesetzesentwurfes – werden sich durch die Regelung keinesfalls verbessern: Die Regelung ist zur Erreichung ihres Zwecks offenkundig ungeeignet.“ Grundlegend zur Evaluierung der Mietpreisbremse aus ökonomischer Sicht Schuldt, Mietpreisbremse, 2017, S.  48 ff.

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ten bedürftiger Mietinteressenten. Die Belange der Vermieter spielen zunächst keine Rolle. 2. Verhaltensregulierung Mit dem Hinweis darauf, dass an einem Vertragsverhältnis mehrere Parteien beteiligt sind, tritt ein weiterer freiheitsbegrenzender sozialer Faktor nicht-monetärer Art in den Vordergrund. Der Umstand, dass bestimmte Grundfähigkeiten über den Markt vermittelt werden, bedeutet nämlich nicht nur, dass die Anzahl der auf dem Markt verfügbaren Güter sowie der Preis dieser Güter zu freiheitslimitierenden Faktoren werden, er führt auch dazu, dass in einer rechtlich verfassten Gesellschaft das individuelle Freisein von dem Verhalten eines anderen Privatrechtakteurs abhängt. Denn Austauschprozesse vollziehen sich auf der Grundlage von Verträgen, und diese setzen immer das Zusammenwirken von mindestens zwei Vertragspartnern voraus, die ihre widerstreitenden oder sich ergänzenden Interessen in einer einverständlichen Regelung verankern995 oder eben in Ausübung ihrer negativen Vertragsbegründungsfreiheit – die jede wettbewerblich verfasste Marktwirtschaft definitionsgemäß eröffnen muss996 – von der Eingehung eines Vertragsverhältnisses absehen. Diese „Verwiesenheit auf, Abhängigkeit von und Begrenzung durch andere Menschen“997 schlägt unmittelbar auf die wirklichen Freiheiten einer Person durch. In den Worten A. Sens: „The options that a person has depend greatly on relations with others and on what the state and other institutions do.“998

Die Verbindung zwischen Grundfähigkeiten und einem bestimmten Verhalten eines anderen Marktteilnehmers ist an dieser Stelle deshalb von besonderer Bedeutung, weil über rational handelnde Vermieter gesagt wird, sie präferierten eine vertragsbereite Partei, die ihr eingegangenes „Versprechen“ zur Entrichtung der vereinbarten Miete (§  535 Abs.  2 BGB) einhalten könne. Sie beziehen damit die Bonität des künftigen Mieters in ihre Auswahlentscheidung ein und entscheiden sich – so die Hypothese999 – in der Regel für den einkommensstär995 

Vgl. §  7 C. II. 1. Reichold, JZ 2004, S.  384, 392. 997  So die Formulierung von Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  42. 998  Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  6 [Hervorhebung hinzugefügt]. 999  Ob diese Annahme über ein bestimmtes vertragsanbahnungsbezogenes Verhalten von Vermietern gegenüber finanziell leistungsschwachen Mietinteressenten tatsächlich zutrifft, kann in dieser Schrift nicht beantwortet werden. Dazu sind Untersuchungen empirischer Art erforderlich. In Rechtsprechung und Literatur wird sie regelmäßig als richtig unterstellt, vgl. etwa BVerfG, NJW 2019, S.  3054, 3057: „Es liegt […] nahe, dass Vermieterinnen und Vermieter mit Blick auf die Bonität in der Regel die einkommensstärksten Bewerberinnen und Bewerber auswählen werden, mit der Folge, dass sich die Chancen auf eine bezahlbare Wohnung 996 Vgl.

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keren Bewerber. Wird ein wirtschaftlich leistungsschwacher Mietinteressent deshalb nicht als Vertragspartner in Betracht gezogen, weil der Vermieter ein (vermutetes) Bonitätsrisiko scheut und daher einen anderen Bewerber vorzieht, führt dies zu einer Freiheitsbeschränkung bedürftiger Privatrechtsakteure aufgrund eines bestimmten Verhaltens eines anderen Marktakteurs. Und auch auf diese soziale Bedingung nicht-monetärer Art kann das Recht natürlich reagieren. Ob dies der Fall ist, soll im Folgenden untersucht werden. a) Haftungserweiterung Wenn Vermieter einen Vertragsschluss mit einkommensschwachen Miet­ interessenten deshalb scheuen, weil sie darin ein wirtschaftliches Risiko erblicken, dann liegt es nahe, in einem ersten Schritt nach solchen Rechtsnormen zu suchen, die dieses Risiko reduzieren. Damit richtet sich der Blick auf §  1357 BGB. Obgleich die hier interessierenden Wohnraummietverträge in aller Regel schon kein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie darstellen,1000 darf diese Vorschrift an dieser Stelle nicht einfach übergangen werden. Denn zur güterstandsunabhängigen „Schlüsselgewalt“1001 ist zu lesen, dass durch die Anordnung einer Mitverpflichtung der Abschluss von Rechtsgeschäften ermöglicht werden soll, und zwar vor allem für haushaltsführende Ehegatten, die selbst über kein eigenes Einkommen verfügen.1002 Es muss daher geklärt werden, ob §  1357 BGB tatsächlich als rechtsgeschäftliche „Realisiefür einkommensschwächere Wohnungssuchende bei gleichbleibendem Angebot an Mietwohnungen nicht erhöhen.“; Leuschner, NJW 2014, S.  1929, 1930: „Üblicherweise trifft ein Vermieter diese Auswahlentscheidung im Wesentlichen anhand zweier Kriterien: Der Höhe des Preises, den der Wohnungssuchende zu zahlen bereit ist, und dessen Bonität.“; differenzierend Hoffmann/Bierlein, ZfPW 2021, S.  286, 301. Zu Bonitätserwägungen des Vermieters bei der Nachmietergestellung vgl. BGH, NZM 2015, S.  890, 891. Zur Vermeidung von Bonitätsrisiken als grundsätzlich legitimem Ziel eines Vermieters vgl. LG Nürnberg-Fürth, NZM 2020, S.  672, sowie AG Kiel, NZM 2012, S.  610, 611 (zur Absicherung des genossenschaftlichen Vermieters nur gegenüber finanzschwachen Personen). 1000  Vgl. LG Köln, FamRZ 1990, S.  744; OLG Koblenz NJW-RR 1991, S.  66 (zur Anpachtung eines Grundstücks zur gärtnerischen Nutzung); LG Mannheim, FamRZ 1994, S.  4 45; Pauly/Legleitner, Jura 1995, S.  193, 195 ff.; Roth, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  1357 Rn.  24; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7.  Aufl. 2020, §  19 Rn.  36; Kroll-Ludwigs, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  1357 Rn.  14; a. A. Weimar, ZMR 1977, S.  225 f. 1001  Kritisch zum Begriff der Schlüsselgewalt Käppler AcP 179 (1979), S.  245, 247; Brudermüller, NJW 2004, S.  2265. 1002 Vgl. BVerfGE 81, 1, 7 f. = NJW 1990, S.   175, 176; Kemper, in: Schulze et al., BGB, 11.  Aufl. 2021, §  1357 Rn.  1; Wellenhofer, Familienrecht, 6.  Aufl. 2021, §  10 Rn.  1; ähnlich Burschel, in: Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, 82. EL September 2021, Kap.  4, Allgemeines Rn.  73: „Diese Mitverpflichtung des jeweils anderen Ehegatten führt zu einer verstärkten Absicherung des Gläubigers, der bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs nicht prüfen muss, ob der mit ihm verhandelnde Ehegatte finanziell leistungsfähig ist. Er darf darauf vertrauen, dass jedenfalls auch der andere Ehegatte in der Mithaftung steht. Dies erhöht umgekehrt die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des haushaltsführenden Ehegatten.“

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rungshilfe“1003 zugunsten bedürftiger Ehegatten1004 qualifiziert werden kann. Dazu ist es nicht erforderlich, sämtliche in Rechtsprechung und Schrifttum existierenden Erklärungsversuche zum Normzweck dieser Vorschrift nachzuzeichnen.1005 Es genügt der Hinweis, dass sie jedenfalls nicht der rechtsgeschäftlichen Befähigung bedürftiger Ehegatten dient, weil ein solcher Normzweck nicht erklären kann, warum es für die Rechtsfolgen im Außenverhältnis auf die Art des Rechtsgeschäfts und nicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Handelnden ankommt.1006 Die finanzielle Ausstattung der Ehegatten spielt erst eine Rolle, wenn es um die Bestimmung der Ausgleichspflicht im Innenverhältnis geht. Weil sich diese nach dem Unterhaltsrecht (§§  1360 ff. BGB) richtet, ist insoweit zu berücksichtigen, dass der nicht erwerbstätige und damit meist weniger vermögende Ehegatte seine Ausgleichspflicht durch die Haushaltsführung erbringt (§  1360 S.  2 BGB).1007 Wenn nun §  1357 BGB nicht danach unterscheidet, ob sich der kontrahierende Ehegatte einkommenslos um den Haushalt kümmert oder in einer Doppel- bzw. Zuverdienerehe lebt,1008 dann kann auch die rechtsgeschäftliche Befähigung einkommensloser Ehegatten nicht den vorrangigen Zweck dieser Norm bilden. Neben dieses rechtliche Argument tritt ein praktisches. Es ist zu bedenken, dass es zur Verpflichtung beider Ehegatten als Gesamtschuldner (§§  421, 1357 Abs.  1 S.  2 Hs.  1 BGB)1009 nur dann kommt, wenn das Geschäft tatsächlich der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie dient. Zwar ist insoweit auf deren Lebenszuschnitt abzustellen, wie er objektiv nach außen in Erschei1003 

Dieser Begriff findet sich bei Wallerath, JZ 2008, S.  157, 163. Die folgenden Ausführen gelten auch für Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, vgl. § 1357 BGB i. V. m. § 8 Abs. 2 LPartG. 1005  Vgl. dazu BVerfGE 81, 1, 6 ff. = NJW 1990, S.   175; Käppler AcP 179 (1979), S.  245, 251 ff.; Brudermüller, NJW 2004, S.  2265, 2266 („facettenreiches Konglomerat von Normzwecken“); Berger, FamRZ 2005, S.  1129, 1131; Luther, FamRZ 2016, S.  271, 272 ff.; Voppel, in: Staudinger, BGB, 2018, §  1357 Rn.  8 ff.; Roth, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  1357 Rn.  1 ff.; Herberger, Von der „Schlüsselgewalt“ zur reziproken Solidarhaftung, 2019, S.  70 ff.; Budzikiewicz, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  1357 Rn.  1; Erbarth, in: BeckOGK, Stand: 1.12.2021, §  1357 BGB Rn.  27 ff. 1006  Roth, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  1357 Rn.  12: „§  1357 stellt gegenständlich auf die Zweckbestimmung des Geschäfts ab“; Erbarth, in: BeckOGK, Stand: 1.12.2021, §  1357 BGB Rn.  69. 1007  Voppel, in: Staudinger, BGB, 2018, §  1357 Rn.  86; Roth, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  1357 Rn.  40; Wellenhofer, in: Kaiser et al., BGB, Familienrecht, 4.  Aufl. 2021, §  1357 Rn.  26. Kritisch Herberger, Von der „Schlüsselgewalt“ zur reziproken Solidarhaftung, 2019, S.  73. 1008  Käppler AcP 179 (1979), S.  245, 251; Brudermüller, NJW 2004, S.  2 265. 1009 Mit Blick auf diese Wirkung besteht weitgehend Einigkeit, vgl. Käppler AcP 179 (1979), S.  245, 284; Voppel, in: Staudinger, BGB, 2018, §  1357 Rn.  77a; Roth, in: Münch­Komm­ BGB, 8.  Aufl. 2019, §  1357 Rn.  6; Herberger, Von der „Schlüsselgewalt“ zur reziproken Solidarhaftung, 2019, S.  74; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7.  Aufl. 2020, §  19 Rn.  41; Kroll-Ludwigs, in: Erman, BGB, 16.  Aufl. 2020, §  1357 Rn.  20; Budzikiewicz, in: Jauer­n ig, BGB, 18.  Aufl. 2021, §  1357 Rn.  6. 1004 

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nung tritt,1010 gleichwohl bleiben dadurch Unsicherheiten für den Gläubiger. Ist er zum Vertragsschluss mit einer bedürftigen Person nur dann bereit, wenn ihm ein zweiter Schuldner zur Verfügung steht, wird er sich daher nicht auf das Eintreten der Rechtsfolge des §  1357 BGB verlassen, sondern einen rechtssicheren Weg beschreiten und anstreben, auf vertraglichem Weg ein anderes Privatrechtssubjekt mitzuverpflichten bzw. dessen Ersatzhaftung zu begründen. Dass ein Gläubiger einen Vertrag mit einem bedürftigen Schuldner nur deshalb eingeht, weil er auf das Eingreifen der Rechtsfolge des §  1357 BGB vertraut, ist unwahrscheinlich,1011 auch wenn nicht auszuschließen ist, dass die Vorschrift im Einzelfall eine freiheitsfördernde Wirkung zugunsten einkommensloser Ehegatten entfalten kann. b) Änderung des Zahlungswegs Bereits oben spielte die Vorschrift des §  22 Abs.  7 SGB II als mögliches Instrument zum Abbau faktischer Vertragsschlussbarrieren eine Rolle.1012 Ebenso wie im Zusammenhang mit §  1357 BGB lautete die Ausgangsüberlegung dabei, dass sich der Gesetzgeber die Bonität eines anderen Rechtssubjekts – im Sozialrecht nun nicht in Gestalt des anderen Ehegatten, sondern des Grundsicherungsträgers als potenter und zuverlässiger Schuldner1013 – nutzbar machen kann, um die Position bedürftiger, vertragsbereiter Parteien im Einigungsprozess zu stärken. Konkret ging es dabei um die rechtsgeschäftliche Befähigung von Sozialleistungsempfängern mithilfe einer Änderung des Zahlungsweges für das Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Wenn dieses nicht auf das im Antrag angegebene Konto des Leistungsberechtigten (§  42 Abs.  3 S.  1 SGB II), sondern unmittelbar auf das Konto des Vermieters überwiesen wird, so wird dem Vermieter ein (vermutetes) Mietausfallrisiko aufgrund einer zweckfremden Mittelverwendung durch den Leistungsempfänger genommen,1014 was ihn zum Vertragsschluss mit einem Leistungsempfänger motivieren kann. Ob die Vorschrift diese rechtsgeschäftliche Befähigung von Sozialleistungsempfängern auch anstrebt, wurde bislang nicht untersucht. Das muss nun nachgeholt werden. 1010 

BGHZ 94, 1, 6 = NJW 1985, S.  1394, 1396; Brudermüller, NJW 2004, S.  2265, 2267. In diesem Sinn auch Käppler AcP 179 (1979), S.  245, 252; Berger, FamRZ 2005, S.  1129, 1131: „Welcher auf Kreditsicherung angewiesene Gläubiger würde auf weitere Sicherheiten verzichten, weil er die Aussicht hat, über §  1357 BGB den Ehegatten in Anspruch nehmen zu können?“; Roth, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  1357 Rn.  2: „Dass ein Gläubiger ein Rechtsgeschäft nur deshalb eingeht, weil er über §  1357 einen zweiten Schuldner erhält, dürfte eher selten sein“; siehe auch Herberger, Von der „Schlüsselgewalt“ zur reziproken Solidarhaftung, 2019, S.  72. 1012  Vgl. §  8 A. 1013  Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, BeckRS 2010, 76184, das von einem „zuverlässigen Zahler in Gestalt des Grundsicherungsträgers“ spricht. 1014  Dass der Gesetzgeber von der Existenz eines solchen Risikos ausgeht, zeigen die Regelungen in §  22 Abs.  7 S.  2, S.  3 SGB II und §  35 Abs.  1 S.  3, S.  4 SGB XII. 1011 

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Dazu ist zunächst festzuhalten, dass eine Direktzahlung der Miete an den Vermieter die Ausnahme darstellt,1015 weil sie dem gesetzlichen Ziel der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit zuwiderläuft, die in der Auszahlung des Regelbedarfs als monatlicher Pauschalbetrag (§  20 Abs.  1 S.  3 SGB II) zum Ausdruck kommt.1016 Sie ist daher nur möglich, wenn der Leistungsberechtigte einen entsprechenden (formlosen) Antrag stellt (§  22 Abs.  7 S.  1 SGB II) oder wenn ein Regelbeispiel aus der nicht abschließend gemeinten Aufzählung des §  22 Abs.  7 S.  3 SGB II („insbesondere“)1017 erfüllt ist.1018 Während der erstgenannte Fall ersichtlich auf dem Grundsatz „volenti non fit iniuria“ beruht und dazu führt, dass der Sozialleistungsträger zur Direktzahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte verpflichtet ist,1019 wird die Direktzahlung nach §  22 Abs.  7 S.  2 SGB II nach einer intendierten Ermessungsentscheidung des Sozialleistungsträgers ohne oder gegen den Willen des Leistungsberechtigten angeordnet, der hierüber lediglich schriftlich unterrichtet wird (§  22 Abs.  7 S.  4 SGB II).1020 Über die hier interessierende Frage, ob sich die Position eines leistungsberechtigten Mietinteressenten mithilfe des Instituts der Direktzahlung tatsächlich stärken lässt, entscheiden offensichtlich die damit verbundenen Rechtsfolgen. Schließlich wird ein Vermieter nur dann zum Abschluss eines Mietvertrags mit einem Leistungsempfänger motiviert sein, wenn er durch eine beantragte Direktzahlung ein eigenes Recht auf Zahlung des Mietzinses gegen den Sozialleistungsträger bekommt.1021 Dies ist jedoch nicht der Fall. §  22 Abs.  7 S.  1 1015  Zum Ausnahmecharakter dieser Vorschrift vgl. BGH, NJW 2018, S.  1079, 1080; Lauterbach, in: Gagel, SGB II/SGB III, 84. EL Dezember 2021, §  22 SGB II Rn.  128. Im Existenzsicherungsrecht des Vereinigten Königreichs wurde der Wechsel zu einem dem deutschen Recht vergleichbaren Modell, also der Auszahlung an den hilfebedürftigen Mieter als Regelfall („direct payment“), erst mit dem „Welfare Reform Act 2012“ vollzogen. Zuvor stellte die Überweisung an den Vermieter („landlord payment“) das Grundmodell dar, hierzu Irvine et al., Direct Payment of Housing Benefit: What Do Claimants Think?, 2007; Green et al., Direct Payment of Housing Benefit: Are Social Landlords Ready?, 2015; Hickman et al., Hous. Stud. 32 (2017), S.  1105 ff. 1016 Instruktiv zum Dilemma, dass sozialstaatliche Regelungen die Spielräume für eine privatautonome Lebensgestaltung des Nutznießers zugleich einschränken können, Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  502: „Das sozialstaatlich materialisierte Recht ist, wie sich auch am Sozialrecht zeigt, durch eine Ambivalenz von Freiheitsverbürgung und Freiheitsentzug geprägt […].“ 1017 Vgl. Berlit, in: Münder/Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  2 2 Rn.  242. 1018  Eine analoge Regelung für die Hilfe zum Lebensunterhalt findet sich in §  35 Abs.  1 S.  2 , S.  3 SGB XII. 1019  BT-Drs. 17/3404, S.  98; BGH, NJW 2018, S.  1079, 1080; Sauer, in: Sauer, SGB II, 2011, §  22 Rn.  131; Hahn, NZM 2018, S.  177, 178; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  307; Berlit, in: Münder/Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  239. 1020 Vgl. Breitkreuz, in: BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.3.2022, §  2 2 SGB II Rn.  31. 1021  Ebenso OVG Berlin, NJW 1984, S.  2593, sowie LG Berlin, NJW-RR 2001, S.  1090, jeweils zur Auslegung einer Mietübernahmeerklärung bzw. einer „Mietgarantie“ des Sozialleistungsträgers.

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SGB  II begründet keine gesetzliche Haftungserweiterung in dem Sinn, dass der Vermieter ein subjektives öffentliches Recht erhält, die vom Mieter geschul­ deten Zahlungen „unmittelbar“ vom Sozialleistungsträger zu fordern.1022 Anders als bei Bedarfsdeckungsgeschäften nach §  1357 BGB kommt es nicht zu einer Gesamtschuldnerschaft.1023 Die Vorschrift führt auch nicht zu einer „Verdoppelung der Vertragsparteien“ auf Mieterseite. Der zahlende Sozialleistungsträger wird also nicht etwa in den zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Vermieter geschlossenen Vertrag eingebunden und ist aus diesem Grund auch nicht schuldvertraglich zur Zahlung der Miete verpflichtet.1024 Dies ist deshalb sachgerecht, weil anderenfalls der Sozialleistungsträger an der Ausübung der aus dem Vertragsverhältnis erwachsenden Gestaltungsrechte mitwirken müsste. Die Rechtsposition des Vermieters verbessert sich durch §  22 Abs.  7 S.  1 SGB II lediglich insoweit „reflexhaft“1025 , als er zur Entgegennahme der Leistung durch den Sozialleistungsträger berechtigt wird (§§   362 Abs.   2, 185 ­BGB).1026 Aufgrund dieser Empfangsberechtigung kann der Sozialleistungsträger schuldbefreiend an den Vermieter leisten.1027 Tut er das, so erfüllt er den Anspruch des leistungsberechtigten Mieters aus §  22 Abs.  1 SGB II. Vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont des Vermieters aus betrachtet handelt es sich dabei nicht um eine Leistung des Sozialleistungsträgers, sondern um eine solche des leistungsberechtigten Mieters.1028 Das ist für den Vermieter zwar deshalb vorteilhaft, weil damit der Sozialleistungsträger zu Unrecht erbrachte Zahlungen aufgrund des Vorrangs der Leistungskondition1029 nicht vom Vermieter zurückfordern kann.1030 Dass ein Vermieter einen Mietvertrag mit einem hilfebedürftigen Mietinteressenten deshalb eingeht, weil es bei eventuellen 1022  LSG Niedersachsen-Bremen, BeckRS 2022, S.  3362; Boerner, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3.  Aufl. 2011, §  22 Rn.  115; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  310; Knickrehm, in: Knickrehm et al., Kommentar zum Sozialrecht, 7.  Aufl. 2021, §  22 SGB II Rn.  48; Berlit, in: Münder/Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  240; Breitkreuz, in: BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.3.2022, §  22 SGB II Rn.  31. 1023  Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, BeckRS 2016, 113795. 1024 Vgl. Hahn, NZM 2018, S.  177. 1025  BGH, NJW 2018, S.  1079, 1080; Berlit, in: Münder/Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  2 2 Rn.  239; Breitkreuz, in: BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.3.2022, §  22 SGB II Rn.  31. 1026  BT-Drs. 17/3404, S.  98; LSG Nordrhein-Westfalen, BeckRS 2010, 76184; BGH, NJW 2018, S.  1079, 1080; BSGE 126, 180, 188 = NJW 2018, S.  3740, 3741; Boerner, in: Löns/HeroldTews, SGB II, 3.  Aufl. 2011, §  22 Rn.  115; Flatow, NZM 2014, S.  841, 844; Hahn, NZM 2018, S.  177; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  310; Berlit, in: Münder/ Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  240. 1027  Boerner, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3.  Aufl. 2011, §  2 2 Rn.  115. 1028  BGH, NJW 2018, S.  1079, 1080. 1029  Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, NJW 2005, S.  60; BGH, NJW 2013, S.  2519; BGH, NJW 2018, S.  1079. 1030  BayLSG, NZS 2013, S.  467; Flatow, NZM 2014, S.  841, 844; Hahn, NZM 2018, S.  177, 182; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  310; Berlit, in: Münder/ Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  239.

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Überzahlungen zu einer Rückabwicklung „über das Eck“ kommt, liegt allerdings fern. Zudem hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2018 entschieden, dass der Sozialleistungsträger die Herausgabe der ohne rechtlichen Grund erfolgten Zuvielzahlung auch unmittelbar vom Vermieter gemäß §  812 Abs.  1 S.  1 Alt.  2 BGB verlangen kann, wenn der Mieter gegenüber dem Sozialleistungsträger seine Anweisung zur Direktzahlung konkludent durch Vorlage eines neuen Mietvertrags widerrufen hat und der Vermieter aufgrund der Beendigung des Mietvertrags bei Erhalt des Geldes wusste, dass ihm der Betrag nicht zusteht.1031 Zu bedenken ist ferner, dass eine beantragte Direktzahlung auch deshalb für den Vermieter keine rechtliche Sicherheit bietet, weil er selbst keinen entsprechenden Antrag stellen kann.1032 Er ist damit auf den Willen des Leistungsberechtigten angewiesen, der diesen jederzeit ändern und seinen Antrag auf Direktzahlung mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen kann.1033 Auch eine schuldrechtliche Verpflichtung im Mietvertrag, einen Direktzahlungsantrag zu stellen, ersetzt nicht das Erfordernis der Antragstellung durch den Mieter.1034 Ein Vermieter, der sich zur Sicherung der laufenden Miete die Bonität des Sozialleistungsträgers nutzbar machen will, muss sich folglich anderer Instrumente bedienen. So kann er sich etwa den Leistungsanspruch des Leistungsempfängers (§  194 BGB i. V. m. §  22 Abs.  1 SGB II) in Höhe des Mietzinses gegen den Sozialleistungsträger nach den Regeln der §§  398 ff. BGB abtreten lassen oder einen Schuldbeitritt bzw. eine Schuldübernahme vereinbaren.1035 Beides ist allerdings mit Schwierigkeiten verbunden. Zum einen kann bei den letztgenannten Sicherungsinstrumenten der rechtsgeschäftliche Bindungswille des Leistungsträgers, für die Miete des Leistungsberechtigten einzustehen, fraglich sein,1036 zum anderen muss die Forderungsabtretung durch privatrechtlichen Abtretungsvertrag zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Vermieter die sozialrechtliche Hürde des §  42 Abs.  4 S.  2 SGB II i. V. m. §  53 Abs.  2 Nr.  2 SGB I überwinden.1037 Dazu müsste der zuständige Leistungsträger feststellen, dass die Abtretung im wohlverstandenen Interesse des Leistungsberechtigten liegt. Das Sicherungsinteresse des Vermieters spielt bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „wohlverstandenes Interesse“ indes keine Rol1031 

BGH, NJW 2018, S.  1079, 1081. Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  307. 1033 Vgl. Hahn, NZM 2018, S.   177, 178; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  307; Berlit, in: Münder/Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  241. 1034  Flatow, NZM 2014, S.  841, 844; Hahn, NZM 2018, S.  177, 179; Berlit, in: Münder/Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  240. 1035 BayLSG, NZS 2015, S.   798; LSG Niedersachsen-Bremen, NZS 2017, S.  479; Hahn, NZM 2018, S.  177, 178. 1036  Aus der Rechtsprechung zur Auslegung von Mietübernahmeerklärungen bzw. „Mietgarantien“ vgl. LG Berlin, NJW-RR 2001, S.  1090; LSG Nordrhein-Westfalen, BeckRS 2010, 76184; weiterführend Hahn, NZM 2018, S.  177, 184. 1037  Zum Vorrang der sozialrechtlichen Regelungen gegenüber §  400 BGB vgl. BSG, NZS 2001, S.  104, 105. 1032 

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le.1038 Ohne diesen Verwaltungsakt ist die Abtretung unwirksam.1039 Die Voraussetzungen hierfür werden jedoch selten vorliegen, denn die Abtretung liegt in den wenigsten Fällen im Interesse des hilfebedürftigen Mieters.1040 Dies liegt darin begründet, dass dem Leistungsberechtigten durch die Abtretung einerseits faktisch sein Minderungsrecht nach §  536 BGB genommen wird, denn er müsste in diesem Fall zunächst den Leistungsträger überzeugen, einen Teil der Miete einzubehalten.1041 Andererseits kann der Leistungsberechtigte eine Änderung des Zahlungsflusses auch ohne einen Abtretungsvertrag und die damit einhergehende Beschränkung seines Gewährleistungsrechts herbeiführen, indem er den Sozialleistungsträger (widerruflich) ersucht, das Geld für die Kosten für Unterkunft und Heizung direkt an seinen Vermieter zu zahlen (§  22 Abs.  7 S.  1 SGB II). Im Fall von Sozialhilfeleistungen steht einer Abtretung bereits die Vorschrift des §  17 Abs.  1 S.  2 SGB XII entgegen, die als speziellere Regelung den allgemeinen Bestimmungen über die Übertragung, Verpfändung und Pfändung in den §§  53, 54 SGB I vorgeht. Eine Abtretung ist daher nach §  134 BGB nichtig.1042 Entscheidend ist an dieser Stelle jedoch ein anderer Punkt: Selbst wenn eine mithilfe des §  22 Abs.  7 S.  1 SGB II bewirkte Änderung des Zahlungsflusses die Chancen für einen Vertragsschluss erhöhen sollte, weil zur Vermietung bereite Wohnungseigentümer motiviert werden mit Leistungsempfängern zu kontrahieren – was für den deutschen Mietmarkt bislang nicht empirisch belegt ist1043 –, so wäre dies lediglich ein Reflex, nicht jedoch der Zweck der sozialrechtlichen Regelung. Das Institut der Direktzahlung zielt nämlich nicht auf eine Befähigung zum Vertragsschluss durch Verhaltenssteuerung, sondern auf Bestandsschutz. Die Vorschrift will Vermieter nicht dazu motivieren, Mietverträge auch mit Leistungsberechtigten zu schließen, sondern durch eine zweckentsprechende Verwendung der sozialrechtlichen Leistungen deren vertraglich begründete Rechtsposition sichern.1044 Die sozialrechtliche Vorschrift flankiert damit den 1038 

Flatow, NZM 2014, S.  841, 844. BSG, NZS 2001, S.  104, 105; BSGE 126, 180, 184 f. = NJW 2018, S.  3740, 3741; Flatow, NZM 2014, S.  841, 844. 1040  Flatow, NZM 2014, S.  841, 844. 1041 Vgl. Flatow, NZM 2014, S.  841, 844. 1042  VG München, BeckRS 2005, 39247; LSG Niedersachsen-Bremen, BeckRS 2016, 69526. 1043  Zu einem entsprechenden Feldexperiment vgl. Kraft et al., NZM 2020, S.  826 ff. Anders etwa in England, vgl. hierzu Ministry of Housing, Communities & Local Government, Private Landlords Survey 2010, S.  5: „Almost half (47 %) of all landlords were happy to rent to tenants on Housing Benefit (HB) or the Local Housing Allowance (LHA), with a further 21 % saying they would be encouraged to do so if payments were not made direct to the tenant.“ 1044  BT-Drs. 17/3404, S.  98 f.; instruktiv BGH, NJW 2018, S.  1079, 1080: „Die gesetzlichen Regelungen in §  22 VII SGB II sollen […] durch die Möglichkeit der Direktzahlung an den Vermieter insbesondere dazu dienen, dass die Transferleistungen zu den Wohnkosten den Vermieter tatsächlich erreichen, und tragen hierdurch dem Schutz des leistungsberechtigten Mieters vor einer Wohnungslosigkeit […] Rechnung.“; Boerner, in: Löns/Herold-Tews, 1039 

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mietrechtlichen Bestandsschutz,1045 der in den gesetzlichen Regelungen über die unabdingbare Kündigungsfrist (§  573c BGB), die Kündigungsgründe (§  573 BGB), die soziale „Härteklausel“ (§  574 BGB) sowie die Räumungsfrist (§§  721, 794a ZPO) zum Ausdruck kommt. c) Schutz vor Armutsdiskriminierung Bislang ging es um Rechtsnormen, die durch Nutzung der Bonität eines anderen Rechtssubjekts bedürftige Personen zum Mietvertragsschluss verhelfen können. Dabei wurden mit §  1357 BGB und §  22 Abs.  7 S.  1 SGB II zwei mögliche Anknüpfungspunkte außerhalb des Schuldvertragsrechts ausgemacht. Es hat sich gezeigt, dass sich die dort statuierten Rechtsfolgen zwar positiv auf die rechtsgeschäftliche Befähigung auswirken können, der Regelungszweck beider Vorschriften liegt hierin jedoch nicht. Mit diesem Ergebnis darf nun aber kein Schlusspunkt gesetzt werden. In welche Richtung man den Blick als Nächstes wenden muss, ist leicht zu erkennen, wenn man sich vor Augen hält, dass die hier in Rede stehende Freiheitsbeschränkung bedürftiger Mietinteressenten nichts anderes bedeutet als eine Ungleichbehandlung von materiell armen und reichen Personen. Damit ist man bei dem viel erörterten Problem des Verhältnisses von Freiheit und Gleichheit angelangt.1046 Für die hier verfolgten Zwecke müssen nun nicht sämtliche Verästelungen dieser Beziehung dargestellt werden. Zur Veranschaulichung des entscheidenden Punktes genügt es, den Unterschied zwischen dem Begriffspaar der rechtlichen und faktischen Ungleichbehandlung zu skizzieren und die Verbindung zum Sen’schen Begriff der Fähigkeiten herzustellen, der ja nichts anderes ausdrückt als die menschlichen (positiven) Freiheiten. Dies gelingt mit einem einfachen Beispiel aus dem Prozessrecht: §  50 Abs.  1 ZPO knüpft die Parteifähigkeit an die Rechtsfähigkeit, die – wie oben dargelegt wurde1047 – allen Personen unabhängig von ihrer finanziellen Ausstattung in gleicher Weise zusteht. Die Zivilprozessordnung verleiht damit dem Bedürftigen wie dem Vermögenden die Freiheit, Partei eines Prozesses zu sein. Man kann ebenso gut sagen, natürliche Personen werden rechtlich gleichbehandelt.1048 Der Personenbegriff ist also ein Gleichheitsbegriff.1049 Nun ist allerdings zu bedenken, dass eine völlig mittelose Person faktisch nicht Kläger eines Zivilprozesses sein kann. Sie verfügt bereits nicht über das SGB II, 3.  Aufl. 2011, §  22 Rn.  116; Sauer, in: Sauer, SGB II, 2011, §  22 Rn.  128; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  302; Berlit, in: Münder/Geiger, SGB II, 7.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  227. 1045  Grundlegend dazu v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  20 ff. 1046 Hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  379 m. w. N. in Fn.  66. 1047  Vgl. §  10 B. II. 2. b). 1048  Grundlegend zur Terminologie der rechtlichen Gleichheit Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  377 f. 1049 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.   Aufl. 1956, S.  229; Rehbinder, in: FS Hirsch, 1968, S.  141, 161.

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zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses (§  12 Abs.  1 S.  1 GKG) notwendige Geld. Die rechtliche Gleichheit schlägt damit in eine faktische Ungleichheit um.1050 Erst die Regelungen zur Prozesskostenhilfe (§§  114 ff. ZPO) stellen die Gleichbehandlung in der sozialen Wirklichkeit wieder her und eröffnen dem bedürftigen Kläger die Chance, sein selbst gewähltes Handlungsziel – Kläger eines Gerichtsprozesses zu sein – zu erreichen.

Der zentrale Satz ist der letzte. Er macht deutlich, dass faktische Gleichheit eng mit dem im ersten Kapitel vorgestellten Sen’schen Chancenaspekt der Freiheit verbunden ist. Beide nehmen die durch eine Handlung hervorgerufenen tatsächlichen Konsequenzen in den Blick und berücksichtigen, dass ein Mangel an materiellen Ressourcen der Realisierung eines gewünschten Handlungsziels entgegenstehen kann. Umgekehrt besteht zwischen dem Begriff der rechtlichen Gleichheit und dem Konzept der negativen Freiheit eine Parallelität.1051 Denn ebenso, wie sich ein negatives Freiheitsverständnis nicht für das Ergebnis des Freiheitsgebrauchs interessiert, liegt auch der rechtlichen Gleichbehandlung keine folgenbezogene Betrachtung zugrunde.1052 Ein Gesetz, das „dem Reichen wie Armen [verbietet], unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen“, führt nur dann zu der von A. France behaupteten „majestätischen Gleichheit“1053, wenn man ausschließlich auf den staatlichen Akt als solchen abstellt und seine faktischen Konsequenzen ausblendet. Im Lichte dieser Erkenntnisse lässt sich nun die eingangs aufgestellte Behauptung, die Auswahlentscheidung der Vermieter führe zu einer Freiheitsbeschränkung bedürftiger Mietinteressenten, in zweifacher Hinsicht präzisieren: Erstens: Die Beschränkung betrifft den Chancenaspekt der Vertragsfreiheit, der nicht von Art.  2 Abs.  1 GG geschützt wird.1054 Zweitens: Durch eine Vermieter­ entscheidung zulasten bedürftiger Privatrechtsakteure realisiert sich eine faktische Ungleichbehandlung, die durch die Rechtsordnung so lange ermöglicht wird, wie sie den differenziellen Gebrauch, den verschiedene Subjekte von demselben Recht machen können, zulässt,1055 sie – in anderen Worten – kein Gleichbehandlungsgebot zum Zwecke der Herbeiführung faktischer Gleichheit nor1050 Zur Bedeutung der Prozesskostenhilfe zur Herstellung faktischer Gleichheit vgl. BVerfGE 2, 336, 340 = NJW 1953, S.  1097; BVerfGE 56, 139, 143 ff. = BeckRS 1981, 5509. Zur Verlagerung dieses Anliegens vom Staat auf die Familie durch die Prozesskostenvorschusspflicht des leistungsfähigen Ehegatten gemäß §  1360a Abs.  4 BGB und §  1361 Abs.  4 S.  4 i. V. m. §  1360a Abs.  4 BGB vgl. Olzen, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, S.  141 ff. 1051 Hierzu Suhr, EuGRZ 1984, S.  529, 532; Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  380. 1052 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  377, der im Zusammenhang mit den Begriffen der rechtlichen und der faktischen Gleichbehandlung zwischen einer folgenbezogenen und einer aktbezogenen Deutung unterscheidet. 1053 Vgl. France, Die rote Lilie, 1894 (1951), S.  67. 1054  Vgl. §  7 C. II. 1. 1055 So Habermas, Faktizität und Geltung, 6.   Aufl. 2017, S.  500 f.; in diesem Sinn auch Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  6.

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miert. Weil das Letztgenannte nichts anderes bedeutet, als auf ein gesetzliches Verbot zur Diskriminierung zu verzichten,1056 wird deutlich, dass man den nächsten Blick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)1057 zu richten hat und sich folgende Fragen stellen muss: Werden bedürftige Mietinteressenten durch das in den §§  19 ff. AGG verankerte zivilrechtliche Benachteiligungsverbot vor einer Zugangsdiskriminierung geschützt,1058 um einer faktischen Ungleichheit bei der Begründung eines Mietvertrags über Wohnraum entgegenzuwirken? Das ist zu verneinen. Zwar erstreckt sich der Diskriminierungsschutz des AGG auch auf Mietverhältnisse, sofern der Wohnraum der „Öffentlichkeit zur Verfügung“ gestellt wird (§  2 Abs.  1 Nr.  8 AGG)1059 und durch das Mietverhältnis kein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird (§  19 Abs.  5 S.  1 AGG).1060 Allerdings zählt weder §  19 Abs.  1 AGG noch §  1 AGG die finanzielle Leistungsfähigkeit als Diskriminierungsmerkmal auf. Auch das äußerst unscharfe Kriterium des „sozialen und wirtschaftlichen Status“, wie es vor allem in den Umsetzungsgesetzen verschiedener osteuropäischer Länder zu finden ist,1061 stellt nach dem deutschen Recht keinen Diskriminierungsgrund dar. Die Ablehnung eines Mietinteressenten aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenssituation verstößt daher nicht gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot.1062 Auf die im Gesetz verankerte Unterscheidung zwischen „großen“ und „kleinen“ Vermietern kommt es insoweit nicht an.1063 1056  Zum Gleichbehandlungsgebot als positiver Formulierung eines Diskriminierungsverbots vgl. Reichold, JZ 2004, S.  384, 386; Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 241; Schiek, in: Schiek, AGG, 2007, Einl. AGG Rn.  42; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 47. 1057  Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.8.2006, BGBl. I 2006, S.  1897. 1058  Zur Bekämpfung von Zugangsbarrieren als Hauptanwendungsfall des privatrechtlichen Diskriminierungsschutzes vgl. Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, 2013, S.  83; zum Diskriminierungsschutz für bedürftige Menschen in der Schweiz Suter, Armut und Diskriminierung, 2015. 1059  Das ist bereits dann der Fall, wenn er öffentlich zum Vertragsschluss angeboten wird, vgl. BT-Drs. 16/1780, S.  32. Dabei genügt auch eine Aufforderung an eine unbestimmte Anzahl von Personen, ihrerseits einen bindenden Antrag abzugeben (invitatio ad offerendum), beispielweise durch ein Inserat in einem Immobilienportal, vgl. Schmidt-Räntsch, NZM 2007, S.  6 , 10; Derleder, NZM 2007, S.  625, 628 f.; Kraft et al., NZM 2020, S.  826, 828; Thüsing, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  2 AGG Rn.  28. 1060  Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ein derartiges Verhältnis insbesondere dann vorliegt, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen „Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen“ (§  19 Abs.  5 S.  2 AGG). 1061 Dazu Benecke, Rechtsvergleich der europäischen Systeme zum Antidiskriminierungsrecht, 2010, S.  70. 1062  Wie hier Däubler, in: FS Derleder, 2005, S.  39, 42; Friedl, Der Kontrahierungszwang im Wohnraummietrecht bei unzulässigen Benachteiligungen, 2015, S.  134 f. 1063  Für Vermieter, die insgesamt 50 Wohnungen oder weniger vermieten, gilt ein einge-

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Aus Art.  21 Abs.  1 GRCh folgt kein anderes Ergebnis. Diese Regelung untersagt zwar eine Diskriminierung wegen des Vermögens. Privatrechtssubjekte und damit zur Vermietung bereite Wohnungseigentümer werden durch die Grundrechtecharta allerdings nicht unmittelbar verpflichtet.1064 Sie richtet sich vielmehr an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie an die Mitgliedstaaten bei Durchführung des Unionsrechts (Art.  51 Abs.  1 S.  1 GRCh). Wird eine bedürftige Person bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts wegen ihrer finanziellen Lage benachteiligt, kann sie sich daher nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art.  21 Abs.  1 GRCh berufen.1065 Keinen Einwand hiergegen begründet der Umstand, dass §  19 AGG in erster Linie der Umsetzung der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG1066 und der Gleichbehandlungs-Richtlinie 2004/113/EG1067 dient, sodass sein Erlass eine Durchführung des Rechts der EU im Sinne des Art.  51 Abs.  1 S.  1 GRCh darstellt.1068 Beide Sekundärakte wurden nämlich auf der Grundlage des Art.  19 AEUV erlassen, der das Diskriminierungsmerkmal „Vermögen“ nicht nennt. Dementsprechend kennen auch die europäischen Diskriminierungsrichtlinien keinen armutsbeschränktes Diskriminierungsverbot. Dies resultiert aus der in §  19 Abs.  5 S.  3 AGG statuierten widerlegbaren Vermutung, der zufolge diese „kleinen“ Vermieter in der Regel kein Massengeschäft im Sinne des §  19 Abs.  1 Nr.  1 AGG tätigen. Sofern diese Vermutung nicht widerlegt wird, darf lediglich nicht aus Gründen der Rasse und wegen der ethnischen Herkunft benachteiligt werden (§  19 Abs.  2 AGG). Das zivilrechtliche Gleichbehandlungsgebot für die übrigen in §  19 Abs.  1 AGG genannten Merkmale besteht für diese Vermietergruppe nicht. Vgl. dazu Kraft et al., NZM 2020, S.  826, 828 f.; Thüsing, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  19 AGG Rn.  121 ff.; Hoffmann/Bierlein, ZfPW 2021, S.  286, 289 f. 1064 Vgl. Herresthal, ZEuP 2014, S.   238, 254 f.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 5.  Aufl. 2020, S.  22; Schubert, in: Franzen et al., Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 4.  Aufl. 2022, Art.  51 GRCh Rn.  42; differenzierend Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, 6.  Aufl. 2022, Art.  51 GRCh Rn.  24 ff. 1065  LAG Düsseldorf, NZA-RR 2012, S.  127, 128; Thüsing, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, §  1 AGG Rn.  70. Eine Sonderrolle nimmt insoweit das in §  3 ZKG normierte Benachteiligungsverbot ein. Es bestimmt in Umsetzung des Art.  15 der Zahlungskontenrichtlinie (Richtlinie 2014/92/EU vom 23.7.2014 über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen, ABl. L 257 vom 28.8.2014, S.  214), dass Verbraucher insbesondere dann, wenn sie ein Zahlungskonto in der Form des Basiskontos beantragen oder dieses nutzen, weder aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer Sprache oder ihres Wohnsitzes noch aus anderen Gründen, die in Artikel 21 GRCh genannt werden, benachteiligt werden dürfen. Weil §  3 ZKG das Benachteiligungsverbot auf alle der in Art.  21 GRCh genannten Gründe erstreckt, darf ein Antrag auf Eröffnung eines Zahlungskontos nicht mit Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse verweigert werden, vgl. BT-Drs. 537/15, S.  66 f. 1066  Richtlinie 2000/43/EG vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. L 180 vom 19.7.2000, S.  22. 1067 Richtlinie 2004/113/EG vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 vom 21.12.2004, S.  37. 1068  Terhechte, in: v. d. Groeben et al., Europäisches Unionsrecht, 7.   Aufl. 2015, Art.  51 GRCh Rn.  10; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4.  Aufl. 2021, Art.  51 GRCh Rn.  29.

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zogenen Diskriminierungsschutz. Dies konfligiert nicht mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, denn mit Art.  21 Abs.  1 GRCh wurde „weder eine Zuständigkeit zum Erlass von Antidiskriminierungsgesetzen in diesen Bereichen des Handelns von Mitgliedstaaten oder Privatpersonen geschaffen noch ein umfassendes Diskriminierungsverbot in diesen Bereichen festgelegt.“1069 Art.  21 Abs.  1 GRCh ändert also weder den Umfang der nach Art.  19 AEUV zugewiesenen Zuständigkeiten noch die Auslegung dieser Kompetenznorm zum Erlass von Sekundärrecht zur Bekämpfung von Diskriminierungen.1070 Mit dem Befund, dass die Ablehnung eines Mietinteressenten aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenssituation nicht gegen das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot verstößt, ist aber nur eine erste Seite der hier interessierenden Armutsdiskriminierung beleuchtet. Die andere Seite wird sichtbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Vermieter in der Vertragsanbahnungssituation in aller Regel keine rechtssichere Kenntnis von der konkreten Einkommensund Vermögenssituation der Mietinteressenten haben. Zwar können sie sich hiervon durch eine entsprechende Nachfragepraxis ein Bild machen.1071 Ein rechtliches Instrument, mit dessen Hilfe sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines anderen Privatrechtsakteurs auch gegen dessen Willen erhellen können, steht allerdings – wie bereits mehrmals erwähnt – erst im Vollstreckungsverfahren zur Verfügung (§  802c ZPO). In der Praxis ziehen die zur Vermietung bereiten Eigentümer daher oftmals Stellvertretervariablen heran, um ihre wirtschaftlichen Risiken besser einschätzen zu können. Hierzu zählt u. a. der „Bezug von Mindestsicherungsleistungen“. Es wird also davon ausgegangen, dass zwischen dem „Sozialleistungsbezug“ und der Zahlung des geschuldeten Mietzinses eine Korrelation besteht. Das bedeutet, zur Bewertung des Mietausfallrisikos wird an einen „statistischen Indikator“ angeknüpft.1072 Obgleich die Benachteiligung in diesem Fall also nicht mehr wegen der finanziellen Bedürftigkeit, sondern deshalb erfolgt, weil die zur Verfügung stehenden geringen materiellen Ressourcen aus steuerfinanzierten Transferleistungen stammen, stellt sich das Ergebnis aus rechtlicher Sicht nicht anders dar. Selbst wenn Empfänger von Grundsicherungsleistungen bzw. von Sozialhilfe allein aufgrund des Bezugs dieser staatlichen Leistungen bei der Begründung zivilrechtlicher Schuld1069 

Erläuterungen der Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303 vom 14.12.2007, S.  24. Erläuterungen der Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303 vom 14.12.2007,

1070 Vgl.

S.  24.

1071  Zur Zulässigkeit der Frage nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen vgl. BGH, NJW 2014, S.  1954, 1955. 1072  Zur Bewertung dieser sogenannten statistischen Diskriminierung im ökonomischen Ansatz vgl. Phelps, Am. Econ. Rev. 62 (1972), S.  659 ff.; Arrow, in: Pascal, Racial Discrimination in Economic Life, 1972, S.  83, 95 ff.; Epstein, Forbidden Grounds, 1992, S.  33 ff.; Besson, Int. J. Discrim. Law 3 (1999), S.  269, 282 ff., 288 f.; Norman, Rev. Econ. Stud. 70 (2003), S.  615 ff.; Baumgärtner, in: BeckOGK, Stand: 1.3.2022, §  3 AGG Rn.  12 ff.

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verhältnisse systematisch benachteiligt werden, was insbesondere im Zusammenhang mit dem Abschluss von Mietverträgen empirisch verifiziert werden konnte,1073 interessiert sich der vertragsrechtliche Diskriminierungsschutz hierfür nicht. Eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von §  3 Abs.  1 AGG scheidet bereits deshalb aus, weil der Bezug von staatlichen Mindestsicherungsleistungen kein pönalisiertes Merkmal nach dem AGG darstellt.1074 Anders als beispielsweise in Irland1075 ist dieses Kriterium nicht im Wege einer überschießenden Richtlinienumsetzung in den abschließenden Katalog des §  19 Abs.  1 AGG aufgenommen worden. Ob de lege ferenda einem diskriminierenden Verhalten zulasten von Sozialleistungsempfängern mit legislativen Maßnahmen begegnet oder in dieser Hinsicht besser den Selbstregulierungskräften des Marktes vertraut werden sollte, ist eine andere Frage, deren Beantwortung künftigen Studien vorbehalten ist. In der hier verfolgten deskriptiven Betrachtung ist sie nicht zu beantworten.1076 d) Entwicklungsfördernder Kontrahierungszwang Mit dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber zur Korrektur eines freiheitsbeschränkenden Verhaltens zulasten bedürftiger Privatrechtsakteure nicht auf das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot zurückgreift, rückt ein anderes Regelungsinstrument in den Blick, mit dessen Hilfe die Auswahlentscheidung der Vermieter zugunsten bedürftiger Mietinteressenten beeinflusst werden kann: der

1073 

Kraft et al., NZM 2020, S.  826, 827 f. Problem einer mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung, wenn Vermieter in einem Wohnungsinserat zum Ausdruck bringen, dass sie in ihrer Auswahlentscheidung keine SGB-II-Leistungsbezieher berücksichtigen werden, vgl. Kraft et al., NZM 2020, S.  826 ff. In diesem Zusammenhang ist ein englisches Judikat aus dem Jahr 2020 interessant. Konkret ging es um die Vermieterpraxis eines Immobilien- und Mietmaklers, der zufolge Bezieher von Wohngeld („housing benefit“) bei der Auswahlentscheidung für eine Mietwohnung generell unberücksichtigt blieben (sogenannte „No DSS policy“ – in Anlehnung an das mittlerweile aufgelöste Department of Social Security). Das Gericht bejahte u. a. einen Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung nach dem Equality Act 2010 und führte dazu aus: „A No DSS policy puts or would put women at a particular disadvantage. 53.1 % of female single-adult households renting privately claim Housing Benefit compared to 34 % of male single-adult households.“, vgl. County Court York/England, Urteil vom 2.7.2020, York County Court judgment – Claim Number F00YO154 Rn.  22. 1075  Dort wurde mit dem Equality (Miscellaneous Provisions) Act 2015 §  3 des Equal Status Act 2000 angepasst und nach Absatz 3a folgender Absatz eingefügt: „(3b) For the pur­poses of section 6(1)(c), the discriminatory grounds shall (in addition to the grounds specified in subsection (2)) include the ground that as between any two persons, that one is in receipt of rent supplement (within the meaning of section 6(8)), housing assistance (construed in accordance with Part 4 of the Housing (Miscellaneous Provisions) Act 2014) or any payment under the Social Welfare Acts and the other is not (the ‚housing assistance ground‘).“; vgl. dazu Hoffmann/Bierlein, ZEuP 2020, S.  47, 50. 1076 Offen Kraft et al., NZM 2020, S.  826, 831. 1074  Zum

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Kontrahierungszwang.1077 H. C. Nipperdey hat diesen denkbar „schärfsten Eingriff in die Vertragsfreiheit“1078 wie folgt definiert: „Kontrahierungszwang ist die auf Grund einer Norm der Rechtsordnung einem Rechtssubjekt ohne seine Willensbindung im Interesse eines Begünstigten auferlegte Verpflichtung, mit diesem einen Vertrag bestimmten oder von unparteiischer Seite zu bestimmenden Inhalts abzuschließen.“1079

Konfrontiert man diese Begriffsbestimmung mit dem Sen’schen Entwicklungsverständnis, dann ist ein Kontrahierungszwang als „entwicklungsfördernd“ zu qualifizieren, wenn er der Sicherung oder Gewährleistung grundlegender Freiheiten bedürftiger Privatrechtsakteure dient. Dass sich der Gesetzgeber des Instituts des Kontrahierungszwangs bedient, um speziell diesen Personenkreis zu privilegieren, zeigt etwa die Regelung des §  31 ZKG. Mit deren Hilfe sollen nach der gesetzgeberischen Intention – wie schon erwähnt1080 – in erster Linie einkommensarme Bevölkerungsgruppen mit der positiven Freiheit zum Abschluss eines Basiskontovertrags ausgestattet werden.1081 Bei näherem Hinsehen wird freilich deutlich, dass die Vorschrift nicht allein bedürftige Personen, sondern jeden Verbraucher begünstigt, sofern er sich nur rechtmäßig in der Europäischen Union aufhält, keinen festen Wohnsitz hat oder Asylsuchender bzw. Geduldeter ist (§  31 Abs.  1 S.  2 ZKG). Diese Folge resultiert daraus, dass im ZKG eine spezialgesetzliche Bestimmung des Begriffs „Verbraucher“ fehlt, sodass der Verbraucherbegriff des §  13 BGB Anwendung findet, der sich – wie gleichfalls bereits ausgeführt wurde1082 – für Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht interessiert. Rechtssätze, die faktische Gleichheit zum Preis rechtlicher Ungleichbehandlung herstellen, weil sie die Möglichkeit eines gesetzlich „vermittelten“1083 erstmaligen1084 Vertragsschlusses nur solchen Personen eröffnen, die mit geringen 1077  Zum Kontrahierungszwang als Mittel zur Lenkung privatautonomen Verhaltens siehe auch Latzel, Verhaltenssteuerung, Recht und Privatautonomie, 2020, S.  505 ff. 1078  Mestmäcker, JZ 1964, S.  4 41, 443; ebenso Fischer, DRiZ 1974, S.  209, 211. 1079  Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  7; dazu Bydlinski, AcP 180 (1980), S.  1, 3 f.; Kilian, AcP 180 (1980), S.  47, 52; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  110 f.; Busche, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  12. 1080  Vgl. §  9 B. I. 1081 BT-Drs. 18/7204, S.   86. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Kontrahierungszwangs für private Kreditinstitute vgl. Bachmann, ZBB 2006, S.  257, 268; Held, BKR 2016, S.  353, 358 ff. Zum Zusammenhang von Kontrahierungszwang und Beschränkung der vertraglichen Inhaltsfreiheit vgl. §  9 B. I. 1082  Vgl. §  10 B. II. 2. 1083 So Busche, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  12. 1084  Zur Beschränkung des Begriffs des Kontrahierungszwangs auf solche Fälle, in denen die Abschlusspflicht nicht aus einem vorangegangenen Rechtsverhältnis der Parteien abgeleitet werden kann, vgl. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  156 f.; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  272 ff.

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finanziellen Ressourcen ausgestattet sind, lassen sich in unserer Rechtsordnung aber ebenfalls finden. Die Rede ist von der „Sozialleistung innerhalb der Rechtspflege“1085 und dem in der Beratungshilfe (§  49a Abs.  1 S.  1 BRAO i. V. m. §  1 BerHG) sowie der Prozesskostenhilfe (§  48 Abs.  1 Nr.  1 BRAO i. V. m. §  121 Abs.  1, Abs.  2 ZPO, §  4a Abs.  2 InsO, §  11a ArbGG) verankerten besonderen Kontrahierungszwang für wirtschaftlich bedürftige Personen. Aber lassen sich vergleichbare, die bedürftige Person privilegierende Bestrebungen im geltenden Wohnraummietrecht nachweisen? Die Frage ist nicht abwegig, schließlich spielen soziale Gesichtspunkte in diesem Normenkomplex eine herausragende Rolle, und auch heute noch1086 ist das Rechtsinstitut des Kontrahierungszwangs im Wohnraummietrecht kein Fremdkörper.1087 Neben dem explizit in §  1568a Abs.  5 S.  1 BGB geregelten Abschlusszwang zugunsten einer zur Vermietung berechtigten Person sowie eines Ehegatten, dem die Ehewohnung anlässlich der Scheidung zu überlassen ist, sind hier vor allem die Ansätze in der Literatur zu nennen, die eine Verpflichtung des Vermieters zum Abschluss eines Mietvertrags mit einem diskriminierten Mietinteressenten aus dem AGG herleiten wollen.1088 Dass es dabei jedoch nicht speziell um den Schutz Wohnungssuchender mit geringen Einkommen geht, lässt sich den vorausgegangenen Ausführungen entnehmen. Das AGG kennt – wie dargestellt wurde1089 – keinen armutsbezogenen Diskriminierungsschutz. Bezieht man in die Überlegung den allgemeinen Kontrahierungszwang ein,1090 so ist zunächst 1085 

Nöker, in: Weyland, BRAO, 10.  Aufl. 2020, §  49a Rn.  2. Rechtshistorisch zum Abschlusszwang im Wohnraummietrecht vgl. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  73 ff.; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  271; Emmerich, in: Staudinger, BGB, 2021, Vorb. zu §  535 Rn.  2 ff.; Molinari, Die Tradition staatlicher Interventionen in den Mietwohnungsmarkt, 2021, S.  19; Beil, Historische Entwicklungslinien des Wohnraummietrechts, 2021, S.  154 ff. 1087  A. A. v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  272. 1088  Speziell zum Mietrecht etwa Hinz, ZMR 2006, S.  826, 831; Schmidt-Räntsch, NZM 2007, S.  6 , 14; Derleder, NZM 2007, S.  625, 633; Rolfs, NJW 2007, S.  1489, 1493 f.; Friedl, Der Kontrahierungszwang im Wohnraummietrecht bei unzulässigen Benachteiligungen, 2015, S.  160 ff.; Fervers, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15.  Aufl. 2021, vor §  535 BGB Rn.  300; differenzierend Häublein, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, vor §  535 Rn.  82 (für den Fall, dass die Diskriminierung nur durch Vertragsschluss beseitigt werden kann); ablehnend Reichold, JZ 2004, S.  384, 392; Drettmann, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5.  Aufl. 2019, Kap. II Rn.  237. 1089  Vgl. §  10 C. II. 2. c). 1090  Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass es einen sogenannten allgemeinen Kontrahierungszwang geben kann. Zur Begründung wird überwiegend §  826 BGB bemüht. Umstritten ist dabei, ob sich die Vertragsabschlusspflicht aus einer Schadensersatzverpflichtung nach dem Grundsatz der Naturalrestitution ergibt oder ob als Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolge des allgemeinen Kontrahierungszwangs ein quasinegatorischer Beseitigungsanspruch analog §§  12 S.  1, 862 Abs.  1 S.  1, 1004 Abs.  1 S.  1 BGB in Betracht kommt, der durch §  826 BGB „vermittelt“ wird, so Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  230; Busche, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  21. Andere stützen den all1086 

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zu konstatieren, dass ein mietrechtlicher Kontrahierungszwang jenseits spezialgesetzlicher Kontrahierungspflichten im Lichte der Rechtsprechung prinzipiell denkbar ist.1091 Denn das Gut „Wohnung“ dient nicht nur der Befriedigung eines lebensnotwendigen Bedarfs,1092 sondern die Gewährung eines Zugangs zum Wohnungsmarkt liegt zugleich im Allgemeininteresse.1093 Schließlich stellt – worauf sogleich zurückzukommen sein wird – eine aus der erfolglosen Wohnungssuche resultierende unfreiwillige Obdachlosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, die der Staat zu beseitigen hat. Ein allgemeiner mietrechtlicher Kontrahierungszwang scheidet allerdings in aller Regel deshalb aus, weil der Wohnungssuchende über zumutbare Ausweichmöglichkeiten1094 auf dem Mietwohnungsmarkt verfügt.1095 Selbst wenn keine Alternative zur Wahl steht und ein allgemeiner Kontrahierungszwang damit in Betracht kommt, dann zielt die Verpflichtung zum Vertragsschluss in diesem Fall nicht auf die Privilegierung einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe. Sie begemeinen Kontrahierungszwang auf eine Gesamtanalogie zu den Regelungen des besonderen Kontrahierungszwangs oder auf eine Drittwirkung der Gleichheitssätze des Art.  3 GG (vgl. dazu BVerfGE 148, 267, 283 f. = NJW 2018, S.  1667, 1669 f.) bzw. auf das Sozialstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  1 GG, Art.  28 Abs.  1 GG); siehe dazu die Nachweise bei Grüneklee, Der Kontrahierungszwang für Girokonten bei Banken und Sparkassen, 2001, S.  165 f. 1091 Vgl. Derleder, JA 1977, S.  337, 340 f.; Häublein, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  535 Rn.  6 . 1092  So auch Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  299. Zum Vorenthalten lebensnotwendiger Güter und Leistungen als Voraussetzung eines allgemeinen Kontrahierungszwangs vgl. BGH, NJW 1990, S.  761, 762 f.; BGH, NVwZ 1994, S.  1240, 1241; Wolf, in: Soergel, BGB, 13.  Aufl. 1999, vor §  145 Rn.  53; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  234; Bork, in: Staudinger, BGB, 2020, Vorb. zu §§  145 ff. Rn.  22; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  45, §  48 Rn.  15; Mansel, in: Jauernig, BGB, 18.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  11; siehe ferner die Nachweise bei Bydlinski, AcP 180 (1980), S.  1, 37 (Fn.  37), der den Anwendungsbereich allerdings ausdehnt und die „für das normale menschliche Dasein erforderlichen Güter und Leistungen“ entscheidend lassen will. Kritisch zur Anknüpfung an das Erfordernis der Befriedigung eines lebensnotwendigen Bedarfs oder Normalbedarfs Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  199 ff. 1093  Zu diesem Kriterium vgl. BGH, NVwZ 1994, S.  1240, 1241. 1094  Als angemessene Ausweichmöglichkeit sind dabei sämtliche Mietobjekte anzusehen, die gewisse Mindeststandards aufweisen und ein menschenwürdiges Wohnen ermöglichen. Obdachlosen- oder Behelfsunterkünfte kommen allerdings nicht in Betracht. Auch den persönlichen Eigenschaften des Wohnungssuchenden, wie etwa einer körperlichen Behinderung, sowie seiner Gebundenheit in örtlicher Hinsicht muss bei der Prüfung der angemessenen Ausweichmöglichkeit Rechnung getragen werden. So wohl auch Häublein, in: MünchKomm­ BGB, 8.  Aufl. 2020, §  535 Rn.  6 , der von einem allgemeinen Kontrahierungszwang zugunsten eines behinderten Wohnungssuchenden ausgeht, wenn dieser eine Wohnung mit bestimmten Anlagen und Einrichtungen benötigt, die es in zumutbarer Entfernung zu seinem Arbeitsplatz nur in einem Viertel gibt, in dem ein Wohnungsunternehmen eine Monopolstellung besitzt. 1095  Zur Voraussetzung der Abhängigkeit vgl. Reichold, JZ 2004, S.  384, 392; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 132; Däubler, in: FS Derleder, 2005, S.  39, 42; Bork, in: Staudinger, BGB, 2020, Vorb. zu §§  145 Rn.  22; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  10 Rn.  45, §  48 Rn.  15.

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zweckt demgemäß auch nicht eine Erweiterung des Freiheitsraums wirtschaftlich leistungsschwacher Mietinteressenten, sodass von einem entwicklungsfördernden Kontrahierungszwang nicht gesprochen werden kann. Weil das soziale Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht nur durch besondere Regeln der Zivilprozessordnung flankiert, sondern auch durch das Sozialrecht ergänzt wird,1096 darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die Regelungen in §  19 Abs.  1 S.  1, S.  3 i. V. m. §  22 Abs.  1 SGB II keine Wirkung in der Bürger-Bürger-Beziehung, sondern nur im Verhältnis des Leistungsberechtigten zum Staat entfalten, indem sie dem Leistungsberechtigten einen Anspruch gegen den Grundsicherungsträger auf Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für eine angemessene Unterkunft geben. Keinesfalls kann also mithilfe dieser Normen ein irgendwie gearteter privatrechtlicher Anspruch des Leistungsberechtigten gegenüber einem zur Vermietung bereiten Eigentümer begründet werden. Dies gilt auch dann, wenn der Mietinteressent über einen Wohnungsberechtigungsschein im Sinne des §  27 Abs.  2 bis Abs.  5 WoFG verfügt und einen Anspruch auf Vertragsschluss gegenüber einem konkreten Vermieter geltend macht, dessen Wohnung mithilfe öffentlicher Mittel gefördert wurde. Davon wird sogleich genauer zu sprechen sein.1097 Führt die vergebliche Suche nach einem Mietvertragspartner allerdings dazu, dass der Leistungsberechtigte unfreiwillig obdachlos wird, so muss der Staat (genauer: die Polizei- bzw. Ordnungsbehörden) eine hierdurch für die öffentliche Sicherheit drohende Gefahr abwenden.1098 Ist der Hilfebedürftige nicht in der Lage, seine Obdachlosigkeit aus eigener Kraft zu beseitigen, korrespondiert mit dieser Verpflichtung ein gegen die Sicherheitsbehörden gerichteter Anspruch auf öffentliche Unterbringung und Zuweisung einer vorübergehenden Unterkunft, den er notfalls gerichtlich durchsetzen kann.1099 In Erfüllung dieses Anspruchs kann der Staat zwar auch privaten Wohnraum zur vorübergehenden Unterbringung Obdachloser in Anspruch nehmen. Aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in das Eigentumsrecht des Wohnungseigentümers müssen zuvor allerdings sämtliche andere Möglichkeiten zur Beschaffung von menschenwürdigen Unterkünften ausgeschöpft werden, wozu auch eine Anmietung von Räumen ohne Rücksicht auf entstehende Kosten zählt.1100 Kommt es trotz dieser engen Voraussetzungen zu einer Einweisung Obdachloser in privaten Wohnraum, so wird damit – und das ist der hier entscheidende Punkt – kein 1096 Vgl.

Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  300; siehe auch §  10 C. II. 2. b). Vgl. §  10 C. II. 2. e). 1098  VGH Kassel, NVwZ 1992, S.  503; OVG Schleswig, NJW 1993, S.  413; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1995, S.  326; VGH Kassel, NVwZ 2003, S.  1402; OVG Lüneburg, NJW 2010, S.  1094, 1095; VG Frankfurt a. M., BeckRS 2011, 53588; VG Osnabrück, BeckRS 2012, 53665; Ruder, NVwZ 2012, S.  1283, 1284. 1099  Günther/Traumann, NVwZ 1993, S.   130, 131 f.; Ruder, NVwZ 2012, S.  1283, 1287; Luik, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  22 Rn.  51. 1100  OVG Lüneburg, NVwZ 2016, S.  164. 1097 

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privatrechtlicher Mietvertrag zwischen dem Eingewiesenen und dem Eigentümer begründet.1101 Vielmehr entsteht ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis zwischen der Behörde und dem Eigentümer.1102 Aus diesem Grund kann die sicherheitsrechtliche Wohnraumbeschlagnahme zur zeitlich befristeten Unterbringung von Obdachlosen nicht als ein Instrument sozialer Wohnungspolitik1103 zur rechtsgeschäftlichen Befähigung bedürftiger Mietinteressenten qualifiziert werden. e) Sanktionen als „bewegende Kraft“ Dieses Ziel der rechtsgeschäftlichen Befähigung soll vielmehr durch das Sanktionsregime der Belegungsbindungen erreicht werden. Die insoweit zentrale Vorschrift der sozialen Wohnraumförderung findet sich in §  27 Abs.  1 S.  1 WoFG, dem zufolge eine öffentlich geförderte Wohnung nur einem Wohnungssuchenden zum Gebrauch überlassen werden darf, wenn dieser zuvor seine Wohnberechtigung durch Übergabe eines Wohnberechtigungsscheins nachgewiesen hat.1104 Weil ein Wohnungsberechtigungsschein nur erteilt wird, wenn der Wohnungssuchende und seine Haushaltsangehörigen bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten (§  27 Abs.  3 i. V. m. §  9 Abs.  2, Abs.  3 WoFG), privilegieren die Vorschriften zur Belegungsbindung speziell bedürftige Mietinteressenten. Aufgrund der Übertragung der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit für den Bereich der Wohnraumförderung durch das Wohnraumförderungs-Überleitungsgesetz (WoFÜG)1105 im Rahmen der Föderalismusreform gelten diese bundesrechtlichen Bestimmungen allerdings nicht mehr in allen Ländern. Einige Bundesländer haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das WoFG durch Landesrecht zu ersetzen (Art.  125a Abs.  1 GG). Diese landesrechtlichen Vorschriften müssen an dieser Stelle nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden.1106 Zur Verdeutlichung der für diese Schrift 1101  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2.  Band, 4.  Aufl. 1992, S.  613; Schüller, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5.  Aufl. 2019, Kap. II Rn.  9; Häublein, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  535 Rn.  7; Streyl, in: Schmidt-Fut­ terer, Mietrecht, 15.  Aufl. 2021, §  546 BGB Rn.  7. 1102  BGHZ 130, 332, 337 = NJW 1995, S.  2918, 2919; BGHZ 131, 163, 165 = NJW 1996, S.  315, 317; BGH, NZM 2006, S.  267, 268: „eine polizeirechtliche Sonderbeziehung zwischen Einweisungsbehörde und Eigentümer, die man als verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis bezeichnen kann“; Pawlowski, ZZP 102 (1989), S.  4 40, 444 f.; Schoenenbroicher, MDR 1993, S.  97, 98 f.; Günther/Traumann, NVwZ 1993, S.  130, 135; März, JR 1998, S.  107, 113. 1103  So auch VG Frankfurt a. M., NVwZ 1990, S.  498. 1104 Eine vergleichbare Regelung sieht §   4 Abs.  2 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) vor. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift läuft jedoch aus. Das Gesetz gilt gemäß §  1 WoBindG i. V. m. §  50 WoFG nur noch für solchen Wohnraum, für den die Fördermittel bis zum 31.12.2001 bewilligt worden sind, vgl. dazu Hannig, NZM 2001, S.  831, 832; Söfker, WuM 2002, S.  291. 1105  Art.  6 des Föderalismusreform-Begleitgesetzes vom 5.9.2006, BGBl. I 2006, S.  2098, 2100. 1106  Eine mit §  27 Abs.  1 WoFG vergleichbare Regelung zur Zugangsberechtigung findet

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Zweites Kapitel: Anwendung

entscheidenden Punkte können im Folgenden exemplarisch die Regelungen des WoFG sowie des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG NRW)1107 herangezogen werden. Insoweit ist zunächst relevant, dass die Vorschriften zur Belegungsbindung – wie bereits angedeutet wurde – keinen Kontrahierungszwang im eigentlichen Sinn zugunsten bedürftiger Mietinteressenten statuieren. Denn dazu müsste aus ihnen „ein vom Willen des Normadressaten unabhängiger Rechtszwang zum Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages mit einem bestimmten – vom Rechtszwang begünstigten – Rechtssubjekt“1108 erwachsen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Durch die Ausstellung eines Wohnungsberechtigungsscheins gemäß §  27 Abs.  2 WoFG bzw. §  18 WFNG NRW gewinnt ein bedürftiger Mietinteressent keinen individuellen privatrechtlichen Anspruch gegen einen bestimmten Vermieter auf Abschluss eines Mietvertrags über eine öffentlich geförderte Wohnung,1109 den er durch eine Klage auf Verurteilung zur Abgabe der auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung (und der damit verbundenen einfachen Vollstreckung nach §  894 ZPO)1110 durchsetzen könnte.1111 Dem in einem Wohnungsberechtigungsschein ausgewiesenen wirtschaftlich schlecht Gestellsich beispielsweise in den landesrechtlichen Vorschriften von Baden-Württemberg (§   15 Abs.  1 des Landesgesetzes zur Förderung von Wohnraum und Stabilisierung von Quartierstrukturen vom 11.12.2007, GBl., S.  581), Bayern (Art.  3 Abs.  2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen in Bayern vom 23.7.2007, GVBl., S.  562, 781; 2011, S.  115), Bremen (§  4 Abs.  2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen vom 18.11.2008, GBl., S.  392), Hamburg (§  3 Abs.  2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 19.2.2008, GVBl., S.  74, ber. S.  172), Hessen (§  16 des Hessischen Wohnraumfördergesetzes vom 13.12.2012, GVBl., S.  600), Niedersachsen (§  7 Abs.  1 des Niedersächsischen Wohn­raum­ för­dergesetzes vom 29.10.2009, GVBl., S.  403), Nordrhein-Westfalen (§  17 Abs.  2 des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8.12.2009, GV. NRW, S.  772), Rheinland-Pfalz (§  18 Abs.  3 des Landeswohnraumförderungsgesetzes vom 22.11.2013, GVBl., S.  472) sowie Schleswig-Holstein (§  11 Abs.  1 des Gesetzes über die Wohnraumförderung in Schleswig-Holstein vom 25.4.2009, GVOBl., S.  194). 1107  Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8.12.2009, GV. NRW, S.  772. 1108  Busche, in: MünchKommBGB, 9.  Aufl. 2021, vor §  145 Rn.  12 [Hervorhebung hinzugefügt]. 1109  v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  274. 1110  A. A. Kilian, AcP 180 (1980), S.  47, 82: „Eine Klage auf Abgabe einer Willenserklärung (§  894 ZPO) kommt nicht in Betracht.“; einschränkend auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  238: „Eines besonderen Klageantrags auf Vertragsschluß […] bedarf es insoweit nicht.“ 1111  Zur Verbindung der Klage auf Vertragsschluss mit einer Klage auf Leistung Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  118: „Dieses Ergebnis entspricht dem praktischen Bedürfnis“; Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12.  Aufl. 2020, §  48 Rn.  18. Kritisch Bydlinski, AcP 180 (1980), S.  1, 16 f., 24 f., 27, der entweder eine Klage auf Vertragsschluss oder eine Klage auf reale Leistung für möglich erachtet und dafür plädiert, auch bei der Erhebung von Feststellungsklagen im Rahmen des prozessrechtlich Möglichen, Großzügigkeit zu üben.

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ten wird durch die Vorschriften der Belegungsbindung also nicht die Begründung eines Mietverhältnisses garantiert.1112 Dies gilt auch dann, wenn in der Förderzusage nicht nur ein allgemeines Belegungsrecht, sondern ein Besetzungsrecht begründet wurde. Ein solches Recht gibt der zuständigen Stelle zwar die Befugnis, dem Vermieter nur einen Wohnungssuchenden zu benennen, an den er die belegungsgebundene Wohnung zu überlassen hat (vgl. §  26 Abs.  2 S.  4 WoFG bzw. §  29 Nr.  6 S.  3 WFNG NRW). Auch in diesem Fall stehen sich Vermieter und Mieter jedoch insoweit ungebunden gegenüber, als in diesem Bürger-Bürger-Verhältnis durch das Besetzungsrecht kein privatrechtlicher Anspruch des Wohnungssuchenden gegen den Vermieter auf Abschluss eines Mietvertrags über den geförderten Wohnraum begründet wird. Damit kann festgehalten werden: Einen privatrechtlichen Teilhabeanspruch am staatlich geförderten Wohnraum für Personen, die einen Wohnungsberechtigungsschein vorlegen können, gibt es nicht. Auch ein Vermieter, dessen Eigentum aus dem öffentlichen Haushalt subventioniert wird, kann sich gegenüber einem Mietinteressenten weiterhin auf seine Vertragsfreiheit berufen, ohne für die Verweigerung des Vertragsschlusses Gründe vorbringen zu müssen. Die Verwendung öffentlicher Mittel führt nicht zu einer Änderung der Privatrechtsbeziehung1113 durch Begründung eines rechtlichen Zwangs zum Vertragsschluss. Damit wird nicht behauptet, durch die Belegungsbindungen der sozialen Wohnraumförderung komme es nicht zu einer Beschränkung der Vertragsfreiheit.1114 Sie wird vielmehr ganz konkret durch einen faktischen Zwang erheblich eingeschränkt.1115 Verstößt der Verfügungsberechtigte nämlich vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Belegungsbindung, dann begeht er nicht nur eine Ordnungswidrigkeit (§  52 Abs.  1 Nr.  1 WoFG bzw. §  27 Nr.  3 WFNG NRW), er hat auch auf Verlangen der zuständigen Behörde das Mietverhältnis zu kündigen und die Wohnung einem Wohnungssuchenden zu überlassen, der über einen Wohnungsberechtigungsschein verfügt (§  27 Abs.  6 S.  1 WoFG bzw. §  17 Abs.  6 S.  1 WFNG NRW). Für die Zeit, in welcher der Verfügungsberechtigte schuldhaft gegen die Belegungsbindung verstößt, kann zudem eine Geldleistung bis zu 1112 

v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  278. So RGZ 133, 388, 390, hinsichtlich der Abschlusspflicht eines städtischen Theaters mit einem Theaterkritiker. 1114  So indes v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  278: „Durch gesetzliche Regelungen, die eine Bindung des Verfügungsberechtigten über Sozialwohnung vorsehen, wird die Vertragsfreiheit nur scheinbar beschränkt […].“ Wie hier Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  321. 1115  Schüller, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5.  Aufl. 2019, Kap. II Rn.  99; Häublein, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2020, §  535 Rn.  7, bezeichnen diesen Fall als „mittelbaren Abschlusszwang“. Diese Terminologie findet sich auch bei Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S.  185, sowie bei Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  224 („positive Abschlußkontrolle in mittelbarer Weise“). 1113 

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Zweites Kapitel: Anwendung

monatlich 5 Euro je Quadratmeter Wohnfläche gegen den Verfügungsberechtigten festgesetzt werden (§  33 S.  1 WoFG bzw. §  26 Abs.  1 S.  1 WFNG NRW). Zusammenfassend ist somit festzuhalten: Die Chancen bedürftiger Miet­inte­ ressenten auf Abschluss eines Wohnraummietvertrags und damit ihre (positive) Freiheit, das Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen, werden nicht durch das Institut des Kontrahierungszwangs gefördert.1116 Die bewegende Kraft der Freiheitssicherung stellt vielmehr das zu den Belegungsrechten statuierte Sanktionsregime dar. Die damit verbundene faktische Einschränkung der Vertragsabschlussfreiheit beeinflusst die Auswahlentscheidung der Vermieter zugunsten wirtschaftlich bedürftiger Mietinteressenten, womit eine freiheitslimitierende soziale Bedingung nicht-monetärer Art abgebaut wird. III. Zum liberalen Wert eines sozialen Vertragsrechts Mit diesem Ergebnis tritt nun das Grundproblem jeder Instrumentalisierung des Vertragsrechts für den Entwicklungsprozess deutlich hervor. Wer mit seiner Hilfe die wirklichen Freiheiten bedürftiger Personen fördern will, muss ein Freiheitsopfer einer anderen Person in Kauf nehmen. Denn rechtliche Normen, die dem Abbau freiheitslimitierender Bedingungen nicht-monetärer Art dienen, gehen mit einer Beschränkung der Vertragsfreiheit einher. Werden diese sozialen Regelungen allerdings in den Ordnungsrahmen des Befähigungsansatzes eingebettet, lässt sich gleichwohl ein spezifisch liberaler Wert aufzeigen, der darin liegt, dass für bedürftige Menschen ein Mehr an wirklichen Freiheiten generiert wird. Vertragsrechtliche Normen, welche die freiheitsbeschränkenden Rahmenbedingungen nicht-monetärer Art modellieren, stellen sich aus dieser Perspektive nicht mehr bloß als eine Einschränkung der Vertragsfreiheit dar, sondern sie präsentieren sich zugleich als notwendige Voraussetzung der menschlichen Freiheitsverwirklichung.1117 Der Antagonismus von sozialem 1116 Auch nach Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.   12 f., kann ein tatsächlicher Zwang zum Vertragsschluss nicht als Kontrahierungszwang bezeichnet werden. Eine andere Ansicht lässt sich etwa im Sozialrecht nachweisen. Dort wurde mit Blick auf die im geltenden Recht nicht mehr zu findende Sanktionsmöglichkeit des §  31 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 lit.  a SGB II a. F. vertreten, dass aufseiten des erwerbsfähigen Hilfesuchenden hinsichtlich des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung ein Kontrahierungszwang besteht, so etwa Lang, NZS 2006, S.  176, 177; hierzu sowie mit weiteren Nachweisen zu den kritischen Stimmen nach alter Rechtslage, Kador, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5.  Aufl. 2021, §  15 Rn.  21. 1117  Zu diesem Gedanken sowie zur Konzeption eines „freiheitsfunktionalen Sozialstaates“ vgl. Jahrreiß, Freiheit und Sozialstaat, 1957, S.  22; Bettermann, Freiheit unter dem Gesetz, 1962, S.  34, 37; Wiethölter, in: FS Böhm, 1965, S.  41, 52; Martens, VVDStRL 30 (1972), S.  7, 28 f.; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S.  40 (Fn.  88), 41 ff.; Huh, Der Staat 18 (1979), S.  183, 191 ff.; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art.  19 Abs.  2 Grundgesetz, 3.  Aufl. 1983, S.  16 f.; Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S.  148 f.; Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3.  Aufl. 1998, S.  458; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  98; Wimmel, ZfP 50 (2003), S.  53, 69; Enders, VVDStRL 64 (2005), S.  7, 13; Rückert,

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und liberalem Vertragsdenken wird dadurch zwar nicht aufgehoben,1118 aber vertragsrechtliche Sozialgesetzgebung erscheint nicht mehr nur als ein störender, systemwidriger Fremdkörper eines auf Freiheit aufbauenden Vertragsrechts, sondern auch als ein konstituierender Teil einer auf einer anderen Ebene angesiedelten Freiheitsidee, die das reale freie Sein und Handeln der Menschen überhaupt erfasst. Dass dieser Eindruck entsteht, hängt freilich nicht nur damit zusammen, dass sich die Betrachtung auf den Freiheitsraum einer Vertragspartei konzentriert. Entscheidend ist vor allem die vorausgegangene Wahl eines ganz bestimmten Freiheitsverständnisses:1119 Nicht eine negative, sondern eine erweiterte, posi­ tive Freiheit bildete den Kristallisationspunkt, auf den sich die gesamte Analyse bezog. Hinzu kommt, dass die Vertragsfreiheit gleichsam aus der sozialen Lebenswirklichkeit hinausverlagert wurde, sodass sie einer anderen Art der Freiheit gegenüberstand: der wirklichen Freiheit der Menschen. Gegen eine solche Differenzierung zwischen Vertragsfreiheit und wirklicher Freiheit ist aber grundsätzlich nichts einzuwenden. Es spricht auch nichts dagegen, einer Analyse, die sich mit den Aus- und Folgewirkungen rechtlicher Normen in der sozialen Wirklichkeit befasst, ein theoretisches Freiheitsverständnis zugrunde zu legen, das positiv gedeutet wird.1120 Schließlich wurde nicht behauptet, die entwicklungsfördernden Regelungen seien Ausdruck einer „realistisch“1121 verstandenen Vertragsfreiheit. Die vertragsfreiheitsbeschränkenden Wirkungen wurden in den bisherigen Überlegungen vielmehr ausgeblendet. Dieser Gedanke – der Wechsel hin zur Perspektive der wirklichen Freiheit bei gleichzeitiger Wahl eines positiven Freiheitsverständnisses – kann allerdings auch keinerlei Originalität beanspruchen. Er wurde bereits von dem mehrfach zitierten englischen Idealisten T. H. Green in seiner „Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract“ formuliert: „[L]imitation of freedom of contract is needed in the interest of general freedom.“1122 „Frei und sozial“ als Rechtsprinzip, 2006, S.  43; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S.  7; Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  137, 232, 235; Sommermann, in: v. Mangoldt et al., GG, 7.  Aufl. 2018, Art.  20 Rn.  107 ff.; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  46; Bundesregierung, Sozialbericht 2021, BT-Drs. 19/32120, S.  14: „Sozialstaat als Garant für individuelle Freiheit“. 1118 Zur vertragsfreiheitsbeschränkenden Wirkung vgl. sogleich sowie A. der Schlussbetrachtung. 1119  Zur Bedeutung des theoretischen Freiheitsverständnisses für die Entfaltung eines liberalen Werts sozialpolitischer Interventionen vgl. Wimmel, ZfP 50 (2003), S.  53, 69 f.; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S.  182 ff. 1120 Auch T. H. Green legt seinen Überlegungen ein positives Freiheitsverständnis zugrunde, vgl. §  7 A. 1121  So die Bezeichnung von Schiek, in: Schiek, AGG, 2007, Vorb. zu §§  19 ff. AGG Rn.  12; ähnlich Serozan, JBl 1983, S.  561, 562, der von einer „realen“ Vertragsfreiheit spricht. 1122  Green, Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract, 1881 (1891), S.  365, 382.

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Zweites Kapitel: Anwendung

Damit zeigt sich am Ende des zweiten Kapitels: Die Rezeption des zeitgenössischen Sen’schen Befähigungsansatzes zur Hebung eines liberalen Werts sozialpolitischer Interventionen in die Vertragsfreiheit korrespondiert mit einer Überlegung, auf die bereits in der Philosophie der 1880er Jahre aufmerksam gemacht wurde.1123 Dass mit der Exploration dieses spezifischen liberalen Werts hier nun kein Schlusspunkt gesetzt werden darf, ist offensichtlich. Schließlich ist nicht nur jede Einschränkung der Vertragsfreiheit – auch wenn sie reale Freiheitschancen eröffnet – legitimationsbedürftig. Eingriffe dürfen auch nicht – um der Freiheit willen – grenzenlos erfolgen.1124 Für die Einschränkung der Vertragsfreiheit zur Förderung wirklicher Freiheit bedarf es damit eines rechten, genauer: eines gerechten Maßes, das seinerseits begründungsbedürftig ist. Damit sind die beiden Hauptprobleme des letzten Kapitels benannt.

§  11 Zusammenfassung Bevor diese beiden Probleme mithilfe des Befähigungsansatzes einer Lösung nahegebracht werden, sollen zunächst die wesentlichen Ergebnisse des zweiten Kapitels zusammengefasst werden: (1) Die Ausgangsüberlegung lautete: Warum deckt sich die Vertragsfreiheit nicht mit A. Sens materieller Idee von Freiheit? Zur Beantwortung dieser Frage wurde der Begriff der Freiheit entlang zweier Dimensionen differenziert: der inneren Freiheit und der äußeren Freiheit. In beiden Bereichen gibt es widerstreitende Ansichten darüber, ob Freiheit als negatives oder positives Konzept zu verstehen ist. 1123  Zu den historischen Verbindungslinien zwischen T. H. Green und A. Sen vgl. Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  135 (Fn.  151). 1124  Dass stets auf die Wahrung der Proportionen zu achten ist, betont etwa auch Huber, System und Geschichte des Schweizerischen Privatrechtes, Band 4, 1886–1893, S.  300: „Die Ideen eines socialistischen Privatrechts sind als Tendenz durch die Verhältnisse gegeben und gewiß als förderndes Element berechtigt, verwerflich aber als System, ebenso wie dasselbe anderseits vom individualistischen Privatrecht zu sagen ist […]. Glücklich der Staat und die Zeit, wo diese beiden Grundelemente der Rechtsbildung sich zu einer erträglichen Harmonie verbunden haben!“ Auch Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  15, mahnt zur „Vorsicht und Zurückhaltung“, wenn es um die Einschränkung der Vertragsfreiheit geht, um anderen Wirtschaftssubjekten mehr Bewegungsfreiheit zu gewähren. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  119, tritt ebenfalls einer beliebigen Verwirklichung distributiver Ziele zulasten der Vertragsfreiheit entgegen. Siehe ferner Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S.  21: „[D]as Privatrecht dient der Regelung sozialer Zusammenhänge und sieht sich damit stets mit beiden gleichermaßen gültigen Antworten auf die Frage nach dem legitimen Maß interpersonaler Verantwortlichkeit konfrontiert.“ [Hervorhebung hinzugefügt].

§  11 Zusammenfassung

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(2) Die äußere, positive Freiheit hebt sich von einem negativen Freiheitsverständnis dadurch ab, dass sie die Ergebnisse des Freiheitsgebrauchs berücksichtigt. Im Befähigungsansatz wird Freiheit in diesem umfassenden Sinn verstanden, denn der Begriff der Fähigkeiten enthält neben einem Prozessaspekt auch einen Chancenaspekt der Freiheit. Der Prozessaspekt der Freiheit bezieht sich auf die Verfahren, welche Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ermöglichen. Beim Chancenaspekt der Freiheit geht es demgegenüber um die Frage, ob es dem Einzelnen möglich ist, seine Handlungsziele zu erreichen. Beide Freiheitselemente sind im Befähigungsansatz gleichermaßen von zentraler Wichtigkeit. Sie werden im Begriff der Fähigkeiten miteinander verbunden. (3) Die Berücksichtigung eines Chancenaspektes der Freiheit begründet das Spannungsverhältnis zwischen der Vertragsfreiheit und den Fähigkeiten. Weil die Vertragsfreiheit von „abwehrfunktioneller Gestalt“1125 ist, darf der Chancenaspekt der Freiheit nicht in das Verständnis der Vertragsfreiheit aufgenommen werden. Dazu kommt es nicht, wenn man lediglich die Bedingungen berücksichtigt, die erfüllt sein müssen, damit die Vertragskontrahenten tatsächlich in der Lage sind, selbstbestimmt zu entscheiden. Eine derartige Materialisierung der Vertragsfreiheit führt nur dazu, dass die Funktionsdefizite des Freiheitsprozesses ausgeräumt werden. Das Augenmerk richtet sich mithin auf den Prozessaspekt und nicht auf den Chancenaspekt der Vertragsfreiheit. (4) Wenn der Prozessaspekt der Vertragsfreiheit nicht verletzt ist, gewährleistet der Konsens zweier gegensätzlich interessierter Vertragspartner einen prozedural gerechten Interessensausgleich. In dieser Gerechtigkeitsgewähr liegt allerdings nicht der Grund, warum unsere Rechtsordnung eine privatautonome Vereinbarung anerkennt und für bindend erklärt. Denn Menschen schätzen die Freiheit zum Vertragsschluss als solche, also nicht nur deshalb, weil der eröffnete Freiheitsraum einen gerechten Interessenausgleich im Vertragsverhältnis ermöglicht. Die negative Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung ist ein Wert an sich. Diesem Eigenwert der Vertragsfreiheit trägt unsere Privatrechtsordnung dadurch Rechnung, dass die Anerkennung privater Akte aus der individuellen Freiheit des Einzelnen selbst heraus begründet wird, d. h., die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen wird allein deshalb anerkannt, weil der Einzelne sie will. (5) Die ökonomische Analyse des Rechts muss den Eigenwert der Vertragsfreiheit aus konzeptionellen Gründen ausblenden. Aufgrund ihrer Nutzenorientierung kann sie den Wert der Vertragsfreiheit nur in ihrer Dienlichkeit finden. (6) Zwischen den Sen’schen Freiheiten und der Vertragsfreiheit besteht auch deswegen keine Identität, weil Vertragsfreiheit nicht ohne den Staat gedacht werden kann. Der Befähigungsansatz rekurriert hingegen nicht auf „normge1125 

Begriff nach Zöllner, AcP 196 (1996), S.  1, 6.

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Zweites Kapitel: Anwendung

prägte“ Freiheiten, sondern auf die wirklichen Freiheitsmöglichkeiten der Menschen in der gesellschaftlichen Realität. (7) Die Vertragsfreiheit kann aus dem sozialen Kontext gelöst werden, sodass ihr eine hiervon zu unterscheidende andere Art der Freiheit, nämlich die wirkliche Freiheit, gegenübersteht. Beide Freiheitsarten stehen allerdings nicht isoliert nebeneinander. Sie sind vielmehr auf dreifache Weise miteinander verknüpft. Erstens: Vertragsfreiheit dient der Herstellung wirklicher Freiheiten. Zweitens: Ein Mehr an wirklichen Freiheiten einer Person kann zu einem Weniger an Vertragsfreiheit einer anderen Person führen. Drittens: Menschen müssen über ein Minimum an wirklichen Freiheiten verfügen, um von ihrer privatrechtlichen Kompetenz zum Vertragsschluss überhaupt Gebrauch machen zu können. (8) Rechtliche Normen wirken sich auf vielfältige Weise auf menschliche Fähigkeiten aus. Sie beeinflussen nicht nur die Ausstattung der Menschen mit Gütern, sondern formen auch die nicht-monetären Bestimmungsfaktoren, die darüber entscheiden, ob die zur Verfügung stehenden Güter tatsächlich in wirkliche Freiheiten konvertiert werden können. Weil diese Faktoren nicht nur die sozialen Bedingungen widerspiegeln, sondern auch natürliche Persönlichkeitsmerkmale erfassen, beeinflussen Rechtsnormen auf dreifache Weise die menschlichen Freiheiten. Diese dreidimensionale Wirkweise kann für eine Kategorisierung „entwicklungsfördernder Rechte“ fruchtbar gemacht werden. Konzentriert man sich nicht auf die menschlichen Freiheiten, sondern auf die Funktionsweisen, kommt eine vierte Wirkweise hinzu. Das Entscheidungs­ verhalten hinsichtlich der Umwandlung einer Freiheit in die entsprechende Funktionsweise wird nicht nur faktisch durch die bestehende Rechtsordnung verändert, sondern kann auch ganz bewusst durch rechtliche Normen gelenkt werden. (9) Der Befähigungsansatz stellt weder eine umfassende juristische Theorie der Folgenermittlung noch eine solche der Folgenbewertung zur Verfügung. Hinsichtlich des erstgenannten Elements ist zwar zu konstatieren, dass das erweiterte Sen’sche Verhaltensmodell dem Menschenbild des Bürgerlichen Rechts viel näherkommt als das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus. Denn sowohl der Befähigungsansatz als auch das Bürgerliche Gesetzbuch sehen den Menschen als ein Subjekt an, das mit einem moralisch-praktischen Verantwortungssinn ausgestattet ist und das Wohlergehen der anderen Mitglieder einer Gesellschaft in seine Entscheidungen einbezieht. Das Sen’sche Verhaltensmodell ist für eine zuverlässige Prognose individuellen Verhaltens allerdings nicht in dem gleichen Maße brauchbar wie das ökonomische Verhaltensmodell. Denn indem es moralische Entscheidungen aus Verpflichtung und Metapräferenzen zum Baustein einer ökonomischen Handlungstheorie macht, wird der handelnde Mensch in eine konkrete Gesellschaft eingebettet. Dies resultiert aus dem Umstand, dass die Antwort auf die Frage, welche Metapräfe-

§  11 Zusammenfassung

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renzen wir ausbilden und welches Handeln wir als moralisch richtig bewerten, entscheidend von dem gesellschaftlichen Umfeld abhängt, in dem wir uns bewegen. Durch eine moralische Anreicherung des homo oeconomicus verliert das Verhaltensmodell daher seinen universellen Charakter. (10) Zwar gibt der Befähigungsansatz mit dem Begriff der Fähigkeiten ein Kriterium vor, mit dessen Hilfe das individuelle Wohlergehen zu bewerten ist. Er gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, wie die Freiheitsräume der Gesellschaftsmitglieder gemessen werden sollen. Damit steht eine befähigungsorientierte Rechtspolitik vor dem Problem, dass sie die realen Folgen rechtlicher Regeln praktisch nicht erfassen und damit nicht beurteilen kann, ob das angestrebte Ziel auch tatsächlich realisiert wird. Bevor der Befähigungsansatz als Leitlinie für die Rechtspolitik nutzbar gemacht werden kann, muss er zudem durch zahlreiche wertgebundene Gewichtungen und Abwägungen komplettiert werden. (11) Möchte der Gesetzgeber die Folgen rechtlicher Normen danach bewerten, inwieweit sie zur Grundbefähigung aller Gesellschaftsmitglieder beitragen, muss er die offene normative Tür des fehlenden Kanons grundlegender Fähigkeiten schließen und eine Auswahl derjenigen Freiheiten treffen, die als besonders wertvoll zu qualifizieren sind. Dadurch wird das Fundament für einen autonomieorientierten Paternalismus gelegt. Freiheiten, die nicht in die Liste grundlegender Fähigkeiten aufgenommen werden, können im wohlverstandenen Interesse des „Beschützten“ eingeschränkt werden, um eine höherwertige Freiheit grundlegender Art zu erhalten. (12) Der Einsatz des Befähigungsansatzes als rechtspolitisches Programm ist schließlich deshalb problematisch, weil der Gesetzgeber bei der Verwirklichung des Befähigungsziels an natürliche Grenzen stößt. Die mannigfaltigen Unterschiede im Alter, der Gesundheit, der Intelligenz der Menschen, sprich die persönlichen Umwandlungsfaktoren, können von rechtlichen Normen nicht abgebildet werden, da sich die Heterogenität der Menschen einer Erfassung durch abstrakt formulierte Gesetze entzieht. Ferner ist es unmöglich, sämtliche natürlichen Eigenschaften der Rechtsunterworfenen mithilfe des Rechts zu modellieren. Damit muss ein zentrales Anliegen des Befähigungsansatzes – die Einbindung der Relation zwischen Gütern und der individuellen Person – weitgehend unberücksichtigt bleiben. (13) In der richterlichen Rechtsanwendung kann der Befähigungsansatz seine Wirkung nur durch einen Befehl des Gesetzgebers entfalten. Sofern der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, so wie er im Gesetz klar zum Ausdruck kommt, in der Förderung einer bestimmten positiven Freiheit der Rechtsunterworfenen liegt, dürfen Richter auf der Grundlage von Befähigungserwägungen judizieren. Weil „Befähigung“ ein zentraler Begriff der Sozialpolitik ist und diese eng mit dem Sozialrecht verflochten ist, lassen sich Anwendungsbeispiele für eine am Befähigungsansatz orientierte teleologische Auslegung eher dort finden als im Zivilrecht.

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Zweites Kapitel: Anwendung

(14) Der Befähigungsansatz hat neben seiner normativen eine deskriptive Bedeutungskomponente. Sie ermöglicht eine systematische Anordnung entwicklungsfördernder Rechtsnormen des Vertragsrechts. Dabei handelt es sich um solche Vorschriften, die sich positiv auf die grundlegenden Freiheiten bedürftiger Menschen auswirken. (15) Aus der Wirkweise rechtlicher Normen im Befähigungsansatz lässt sich eine Einteilung entwicklungsfördernder Rechte nach drei Gesichtspunkten ableiten: erstens danach, ob Rechtsnormen dazu beitragen, dass bedürftige Personen über ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit verfügen („güterbezogene Instrumente“); zweitens danach, ob sie sich auf die Fähigkeit zur selbstbestimmten vertraglichen Selbstbindung positiv auswirken („personenbezogene Instrumente“); und drittens danach, ob sie die sozialen Umwandlungsfaktoren formen, die einer Transformation der knappen Güter in wirkliche Freiheiten entgegenstehen („gesellschaftsbezogene Instrumente“). (16) Hinsichtlich der ersten, „güterbezogenen“, Kategorie ist zunächst entscheidend, dass in einer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung jeder eigenverantwortlich seine Freiheit in wirtschaftlicher Hinsicht herzustellen und zu sichern hat. Diese erste Seite des Grundsatzes der Selbstverantwortung wird in unserer sozialen Marktwirtschaft eingeschränkt, wenn es um die Gewährleistung eines unantastbaren Mindestsockels an materiellen Gütern und der hieraus resultierenden wirtschaftlichen Freiheit geht. Für diese freiheitsfördernde Verlagerung von Verantwortung werden in erster Linie das öffentliche Recht, nämlich das Steuer- und Sozialrecht, sowie das Zwangsvollstreckungsrecht instrumentalisiert. Nur in Letzterem tritt an die Stelle der Selbstverantwortung keine Kollektiv-, sondern eine Fremdverantwortung eines anderen Privatrechtsakteurs. (17) Das führt zu der Frage, ob sich eine vergleichbare freiheitsermöglichende Verlagerung von Verantwortung im materiellen Recht identifizieren lässt. Hierauf wurde am Beispiel der Verantwortlichkeit des bedürftigen Schuldners für eine vertraglich vereinbarte Zahlungsverpflichtung eine Antwort gesucht. Der Blick richtete sich damit auf die zweite Seite der Selbstverantwortung, nämlich das Einstehen für das eigene Tun, was im rechtsgeschäftlichen Verkehr nichts anderes bedeutet als die Einhaltung eines gegenüber einem anderen abgegebenen Vertragsversprechens. Es zeigte sich: Unsere Rechtsordnung hält am Grundsatz der Selbstverantwortung auch dann fest, wenn die privatautonom begründete Verpflichtung zur Entgeltzahlung den Schuldner finanziell überfordert. Eine Intervention des Richters in einen für eine Partei derart belastenden Vertrag ist nur dann legitimiert, wenn während des Vertragsanbahnungsprozesses die Bedingungen echter Selbstbestimmung nicht gegeben waren. (18) Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Mangel an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht per se den Schluss auf eine Fremdbestimmung zulässt. Denn es ist nicht die wirtschaftliche Bedürftig-

§  11 Zusammenfassung

313

keit, sondern eine zwischen den Vertragsparteien bestehende Disparität, welche die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit infrage stellt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch findet sich zudem weder eine Wechselwirkung zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Person und ihrer rechtsgeschäftlichen Willensbildungsfähigkeit, noch lässt sich eine Positivierung des Gedankens finden, dass ein Mangel an materiellen Ressourcen an sich geeignet sei, eine juristisch relevante Beeinträchtigung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit zu begründen. Individuelle Selbstbestimmungsdefizite, die aus einem Mangel an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erwachsen, hat der bedürftige Privatrechtsakteur somit grundsätzlich selbstverantwortlich zu tragen. (19) Das Bekenntnis zur Selbstverantwortung ist aus zwei Gründen freiheitsfördernd: Es gewährleistet zum einen, dass der bedürftigen Vertragspartei ihre Freiheit zur willentlichen Selbstrestriktion auf der Grundlage eines von der Rechtsordnung anerkannten Vertrages nicht genommen und damit ihre Freiheit zur materiellen Armut ernst genommen wird. Nur am Rande sei bemerkt, dass man hier nicht das realitätsferne Bild des armen Poeten auf dem Dachboden im Bett unter dem Regenschirm im Kopf haben sollte, der mit weniger als dem Existenzminimum auskommen will,1126 sondern auch diejenige bedürftige Vertragspartei, die aus Rechtsgefühl, zum Erhalt ihres sozialen Ansehens, aus dem Wunsch, niemandem Rechenschaft über die eigene finanzielle Lage Auskunft zu geben, oder aus Angst vor staatlichem Zwang in der Zwangsvollstreckung ihre privatautonom begründete Schuld erfüllen will, auch wenn sie damit eine heteronom vorgegebene Armutsgrenze unterschreitet. Zum anderen sichert das Festhalten am Grundsatz der Selbstverantwortung eine künftige Freiheit, weil das Vertrauen potenzieller Vertragspartner in die Gültigkeit des Vertrages erhalten bleibt, sodass sie weiterhin auch mit wirtschaftlich bedürftigen Rechtspersonen kontrahieren werden. (20) Dieses Ergebnis stimmt mit der Ansicht bedeutender Vertreter der Rechtsökonomik überein. Auch für sie stellt die Verlässlichkeit der Vertrags­ bindung einen Entwicklungsfaktor dar. Weil dabei allerdings der Entwicklungsbegriff auf eine ökonomische Dimension reduziert wird, bleibt ein wichtiger entwicklungsfördernder Beitrag des Vertragsrechts unberücksichtigt. Dieser resultiert aus dem Einfluss vertragsbezogener Normen auf diejenigen gesellschaftlichen Bedingungen, die darüber entscheiden, ob bedürftige Personen in der Lage sind, ihre knappen finanziellen Ressourcen in Freiheiten umzuwandeln. Diese Wirkung wurde an dem Beispiel der Fähigkeit veranschaulicht, das individuelle Bedürfnis nach Obdach zu befriedigen. Dem Abbau freiheitsbeschränkender Bedingungen nicht-monetärer Art dienen hier in erster Linie die Bestimmungen zur Preisregulierung (§§  556d ff. BGB) sowie das zu den Be-

1126 Vgl.

Bergschneider, FamRZ 2007, S.  477, 479; Grziwotz, NJW 2009, S.  842, 846.

314

Zweites Kapitel: Anwendung

legungsrechten statuierte Sanktionsregime, das die Auswahlentscheidung der Vermieter zugunsten wirtschaftlich bedürftiger Mietinteressenten beeinflusst. (21) Durch eine Einbettung rechtlicher Normen in den Befähigungsansatz lässt sich ein liberaler Wert sozialgestaltender Interventionen in die Vertragsfreiheit zutage fördern. Indem sie zum Abbau freiheitsbeschränkender Bedingungen nicht-monetärer Art beitragen, verhelfen sie bedürftigen Menschen zu mehr Freiheiten in der sozialen Wirklichkeit. Dieser freiheitsfördernde Eindruck entsteht allerdings nur deshalb, weil die Aufmerksamkeit auf die positiven Freiheiten dieser Menschen gelenkt und die Vertragsfreiheit von dem realen freien Sein und Handeln gelöst wird. Mit diesen Schritten führt die vertragsrechtliche Rezeption des zeitgenössischen Befähigungsansatzes zurück zu einem Gedanken, den bereits der englische Philosoph T. H. Green im 19. Jahrhundert formuliert hat: Sozialgestaltende Interventionen in die Vertragsfreiheit eröffnen reale Freiheitsräume.

Drittes Kapitel

Legitimation „Our modern legislation […] involving as it does manifold interference with freedom of contract, is justified on the ground that it is the business of the state […] to maintain the conditions without which a free exercise of the human faculties is impossible.“1 T. H. Green

Im zweiten Kapitel wurde gezeigt, wie es mithilfe des Befähigungsansatzes gelingen kann, entwicklungsfördernde Rechtsnormen des Vertragsrechts systematisch zu erfassen.2 Weil dabei ein auf das bedürftige Individuum bezogenes deskriptives Programm verfolgt wurde, waren die bisherigen Überlegungen „neutral“ gegenüber den gesetzgeberischen Entscheidungen, die diesen Vorschriften vorausgegangen sind. Es wurde bislang also nichts dazu gesagt, ob es gut und richtig ist, dass das Vertragsrecht zur Grundbefähigung bedürftiger Personen instrumentalisiert wird. Wer diese Funktion begrüßt, beschränkt sich nicht mehr darauf, das Vertragsrecht als Entwicklungsfaktor zu beschreiben. Staatliche Interventionen in die Vertragsfreiheit werden vielmehr als positiv bewertet, weil sie zur Sicherung grundlegender Freiheiten beitragen. Damit betritt man eine normative Ebene. Sie spielte bereits vorn eine Rolle, als es um die Frage ging, ob mithilfe der Befähigungsidee eine der ökonomischen Analyse des Rechts vergleichbare Gesetzgebungstheorie konstruiert werden kann.3 Die für dieses Kapitel leitende Fragestellung ist nun allerdings in zweierlei Hinsicht eine andere: Zum einen verengt sich der Blick auf die Freiheitskategorie der Grundfähigkeiten. Zum anderen geht es im Folgenden um die Erstellung eines umfassenden „legitimatorischen Profils“4. Denn wer eine Antwort auf die Frage sucht, ob das Vertragsrecht einen entwicklungsfördernden Beitrag leisten soll, der kann sich nicht auf ein schlichtes Ja oder Nein zurückziehen. Es sind vielmehr Gründe für die eine oder andere Position anzuführen, sodass die ein1 

Green, Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract, 1881 (1891), S.  365, 374. Vgl. §  10. 3  Vgl. §  9 A. 4  Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, 2000, S.  1. 2 

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Drittes Kapitel: Legitimation

gangs formulierte und hier zu beantwortende zweite Forschungsfrage richtig und präzise lautet: Warum sollte die Vertragsfreiheit als das tragende Prinzip unseres Privatrechts zur Gewährleistung grundlegender Freiheiten eingeschränkt werden?

§  12 Legitimationsprogramm Zur Beantwortung dieser Frage muss man sich an erster Stelle bewusst machen, dass es bei ihr um zwei völlig unterschiedliche Legitimationsprobleme geht. Und zwar erstens um das Problem, wie das Ziel der menschlichen Grundbefähigung an sich legitimiert werden kann. Warum ist es also gut, dass jedes Mitglied einer Gesellschaft über grundlegende Freiheiten verfügt? Hat man dieses erste Legitimationsproblem gelöst, ist noch nicht gesagt, wem der Auftrag der allgemeinen Grundbefähigung zufällt. Mit dieser Unterscheidung zwischen der Legitimität eines Ziels und der Suche nach einem Subjekt, das für die Zielerreichung verantwortlich ist, eröffnet sich ein zweites Legitimationsproblem:5 Wie lässt es sich rechtfertigen, dass nicht nur der Staat, sondern auch einzelne Privatrechtssubjekte für die Gewährleistung und Förderung grundlegender Freiheiten anderer Individuen verantwortlich sind?6 Und zwar unabhängig davon, ob der Mangel an Grundfähigkeiten mit oder ohne ihr Zutun entstanden ist, sowie ungeachtet der Frage, ob zwischen dem Freiheitsnutznießer und dem Verpflichteten ein verwandtschaftliches Band besteht, das eine entsprechende Verantwortlichkeit – wie es etwa für die gesetzlichen Unterhaltspflichten kennzeichnend ist – begründen könnte. Auf eine kurze Formel gebracht, lässt sich also mit Blick auf diesen zweiten Problemkreis fragen: Woraus ergibt sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr eine „Solidarität unter Fremden“7 jenseits einer 5  Zum Subjekt der Verantwortung als Subkategorie des Verantwortungsbegriffs vgl. Rohn, Verantwortung und Verantwortungsfähigkeit, 2019, S.  5. Im Entwicklungskontext wird diese Frage beispielsweise von Crocker, in: Nussbaum/Glover, Women, Culture, and Development, 1995, S.  153, 191, gestellt: „How, for example, should obligations to promote welfare or personal security rights of persons in a poor country be apportioned among private individuals, the nation’s government, rich nations and (foreign) individuals, and international organizations?“ Zur Bedeutung der Suche nach einem Verantwortungssubjekt zur Herstellung von Gerechtigkeit vgl. auch Fastrich, in: FS Canaris, 2007, S.  1071, 1082 f.; Schweiger, in: Gaisbauer et al., Philosophical Explorations of Justice and Taxation, 2015, S.  33, 35; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  156 f. 6  So auch die Frage von Alexander, Cornell L. Rev. 94 (2009), S.  745, 768: „Just why does a person have an obligation to others in the community to promote the requisite capabilities?“ 7  Zu diesem Verständnis von Fremdverantwortung vgl. Spicker, in: Williams et al., Law and Poverty, 2003, S.  124, 133; Bydlinski, in: Kessal-Wulf et al., Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik, 2006, S.  99, 119: „Verantwortung als das Pathos der heutigen Gesellschaft, nämlich das der Solidarität, das heißt des Einstehens nicht nur der öffentlichen Gewalt, sondern auch der Gesellschaft und jedes einzelnen ihrer Mitglieder für die soziale

§  12 Legitimationsprogramm

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Verursachungsverantwortung, wenn es um die Sicherung grundlegender Freiheiten geht? Damit ist das Legitimationsprogramm allerdings noch nicht abgeschlossen. Denn es wurde noch nicht geklärt, wie eine Auswahl grundlegender Freiheiten, deren Mangel ein Leben in Armut bedeutet, gerechtfertigt werden kann. Im ersten Kapitel wurde ja schlicht behauptet, dass ein Mensch als arm zu bezeichnen ist, wenn er nicht über die Freiheiten verfügt, seine elementaren Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Hilfe bei Krankheit sowie seinen Wunsch nach Teilhabe am sozialen Leben zu befriedigen.8 Aber warum sollte beispielsweise eine Gesellschaft, in der alle Menschen nicht nur über die Freiheit verfügen, ihre physische Existenz zu sichern, sondern in der sie auch in der Lage sind, am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilzuhaben, besser sein als eine Gesellschaft, in der das egalitäre Ideal nicht die Freiheit zur soziokulturellen Teilhabe umfasst? Und müsste – um ein weiteres Beispiel zu nennen – in einer „digitalen Privatrechtsgesellschaft“9 nicht auch die Fähigkeit zur digitalen Partizipation als eine Freiheit grundlegender Art qualifiziert werden?10 Beide Fragen sollen verdeutlichen, dass jede Konkretisierung des vagen Begriffs der Grundfähigkeiten legitimationsbedürftig ist. Denn je weiter diese Freiheitskategorie gefasst wird, desto eher kommt es zur Freiheitsbeschränkung anderer Privatrechtssubjekte, wenn Grundfähigkeiten mithilfe vertragsrechtlicher Normen gefördert werden. Damit hat man ein drittes Legitimationsproblem formuliert, das ebenfalls im Folgenden beleuchtet werden muss. Weil sämtliche der eben skizzierten Probleme mithilfe des Befähigungsansatzes als normatives Instrument gelöst werden sollen, geht es in diesem letzten Kapitel nicht um die Suche nach einer aus höheren Rechtsnormen resultierenden rechtlichen Rechtfertigung und einer hiermit verbundenen rechtlichen Verantwortung der am Rechtsgeschäftsverkehr beteiligten Personen. Es wird vielmehr eine normativ-ethische Perspektive eingenommen und dementsprechend nach einer Verantwortung im Sinne eines moralischen Sollens gefragt.11 Aus diesem Grund wird im Folgenden auch nicht der Versuch unternommen, sozialgestaltende Interventionen in die Vertragsfreiheit im Lichte der allgemeinen SozialExistenz (ja mehr und mehr auch für den Wohlstand) jedes anderen Gesellschaftsmitglieds“, unter Verweis auf Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967 (2016), S.  621; ferner Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S.  121, der Solidarität mit dem „Gebot des mitmenschlichen Einstehens füreinander“ gleichsetzt; vgl. auch Volkmann, in: FS P. Kirchhof, Band 1, 2013, S.  37, 41 f., der den Begriff der Solidarität mit einem „Grundbestand wechselseitiger Verantwortlichkeit“ in Verbindung bringt. 8  Vgl. §  5 B. II. 9  Hennemann, Interaktion und Partizipation, 2020, S.  82. 10 Dazu Sen, Fem. Econ. 10 (2004), S.  7 7, 79. 11 Zu dieser Verantwortungsart sowie weiterführend zum Begriff der Verantwortung, Heidbrink, in: Heidbrink et al., Handbuch Verantwortung, 2017, S.  3 ff.; Rohn, Verantwortung und Verantwortungsfähigkeit, 2019, S.  5.

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Drittes Kapitel: Legitimation

staatsklausel des Art.  20 Abs.  1 GG zu verteidigen. Ob „die ‚Sozialstaatlichkeit‘ […] für den Bereich des Privatrechts ein Modell der zwischenmenschlichen Beziehungen vor[schreibt], in dem die Gewährleistung der Existenz des Rechtsgenossen den gleichen Raum einnimmt wie die Verfolgung der eigenen Interessen“12 , stellt damit eine Frage dar, die für dieses Kapitel nicht konstitutiv ist. Trotz dieser Abkoppelung vom positiven Recht sind die nun folgenden Ausführungen nicht nur von theoretischem Interesse. Das folgt aus dem Umstand, dass sich der praktische Wert rechtlicher Regelungen auch danach bestimmt, inwieweit sie von allen Rechtsunterworfenen anerkannt und akzeptiert werden.13 Wenn diese von den Gründen für die geforderte Verantwortung überzeugt sind und ihre Verantwortlichkeit innerlich als moralisch richtig bewerten,14 dann geht mit dieser Einsicht eine konkrete Handlungsmotivation einher,15 die sich zwar nicht zwangsläufig, aber in aller Regel in einer freiwilligen Übernahme der Verantwortung realisiert.16 Diese Annahme ist darin begründet, dass Menschen in den meisten Fällen moralisch handeln.17 „Sie tun dies, ohne zu klagen und ohne nachzudenken, denn das Moralische versteht sich immer von selbst.“18 So jedenfalls kann man es in der moralphilosophischen Literatur lesen. Im Lichte dessen wird daher zutreffend gesagt, dass „das Balancesystem des sozialen Rechtsstaats […] nur funktionieren [kann], wenn die Verpflichtung zu sozialer Verantwortung von den zu ihrer Tragung Berufenen […] erkannt und wenn diese Verantwortung von ihnen freiwillig übernommen und getragen wird.“19 Für die Rechtswissenschaft bedeutet dies, dass sie über das moralisch Richtige nicht nur in „pathologischen Fällen“ nachdenken muss, also 12  Wieacker, Das bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, 1960 (1974), S.  36, 45. 13  Dazu bereits v. Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848 (1956), S.  33 f.: „Ein Volk muß wissen, was das Recht im einzelnen Falle fordert, und es muß mit Liebe seinem Recht ergeben sein. Werden dem Recht diese Momente genommen, so bleibt es wohl ein großes Kunstwerk, aber ein totes, kein Recht mehr!“; ebenso Raiser, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  101, 115; Lindner, RW 1 (2011), S.  1, 8; Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  214: „Volle und dauerhafte Wirkung gewinnt das staatlich gesetzte Recht erst durch die Annahme im Volk.“ 14  Vgl. dazu Larenz, Richtiges Recht, 1979, S.  13, dem zufolge „der Mensch, der sich als ein zu eigenem Urteilen und zu durch ihn selbst bestimmten Handlungen fähiges Wesen begreifen gelernt hat, nur das als für sich verbindliche Richtschnur anzunehmen bereit ist, was er, wenigstens grundsätzlich, als ‚richtig‘ einzusehen vermag.“ Zur Überzeugungskraft einer gerechten Ordnung siehe auch Raiser, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  101, 119. 15  Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  285. 16  So auch Rittner, AcP 188 (1988), S.  101, 129. 17  A. A. Baumbach, Wettbewerbsrecht, 1.  Aufl. 1929, S.  175, der davon ausgeht, dass „die Mehrzahl der Menschen aus Unbegabten und aus Personen mit gering entwickeltem Anstandsgefühlt besteht, […].“ 18  Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  13 [Hervorhebung im Original]; vgl. auch Schapp, Freiheit, Moral und Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  225, der darauf hinweist, dass die Erfüllung der moralischen Pflichten als selbstverständliche Gewohnheit erscheint. 19  Bachof, VVDStRL 12 (1954), S.  37, 46.

§  12 Legitimationsprogramm

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wenn der Inhalt des rechtlichen Sollens mit dem des moralischen Sollens kon­ fligiert und man infolgedessen das Verhältnis der beiden Sollensarten bestimmen muss,20 sondern auch dann, wenn es um die Frage des Gesetzesgehorsams geht. Gelingt dem Gesetzgeber eine „Verrechtlichung der Moral“ und damit ein Gleichlauf zwischen den beiden Sollensarten,21 erhöht sich die Chance für eine Befolgung des rechtlich Gesollten aus reinem Pflichtgefühl, also „um seiner selbst willen“.22 Moralische Überlegungen spielen damit für die Durchsetzungskraft der Maßnahmen der Instanzen des Rechtssystems eine wichtige Rolle. Werden sie im Akt der Rechtssetzung ausgeblendet, dann beruht die Rechtsordnung – um es mit G. Radbruch zu sagen – nicht mehr auf einer „Pflichterfüllung aus Pflichtgefühl“ und gründet damit auf einem „sehr labilen, sehr zufälligen Zustand“.23 Bevor dieser Legitimationsdiskurs geführt wird, sei noch auf einen letzten Punkt hingewiesen: Obwohl sich die folgenden Ausführungen auf die menschlichen Grundfähigkeiten konzentrieren und sie demgemäß nicht einer „umfassende[n] Ethisierung […] der rechtsgeschäftlichen Freiheiten“24 das Wort reden, soll nicht behauptet werden, sozialpolitisch motivierte Eingriffe in die Vertragsfreiheit seien lediglich dann positiv zu bewerten, wenn sich ihre Wirkungen auf den Raum der grundlegenden Freiheiten beschränken. Fallen allerdings die Mitglieder einer Gesellschaft in diesem Kernbereich menschlicher Freiheiten systematisch unter die Schwelle, dann stellt dies eine offensichtlich ungerechte Situation dar, die einen dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf auslöst.25 Gerade diese Dringlichkeit soll durch Beantwortung der zweiten Forschungsfrage (Soll das Vertragsrecht einen entwicklungsfördernden 20  Vgl. dazu einerseits Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S.  38: „[D]ie Moral ist der Grund für die Geltung des Rechts […].“; Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, abgedruckt in Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.  Aufl. 1956, S.  335, 336: „Es gibt also Rechtsgrundsätze, die stärker sind als jede rechtliche Satzung, so daß ein Gesetz, das ihnen widerspricht, der Geltung bar ist“; andererseits Kelsen, Reine Rechtslehre, 2.  Aufl. 1960 (2000), S.  70: „[B]esteht […] die Möglichkeit eines Widerspruches zwischen Moral und Rechtsordnung, dann bedeutet die Forderung, Recht von Moral und Rechtswissenschaft von Ethik zu scheiden, daß die Geltung von positiven Rechtsnormen nicht davon abhängig ist, daß sie der Moralordnung entsprechen […].“; siehe ferner Hart, Harv. Law Rev. 71 (1958), S.  593 ff.; Hart, Der Begriff des Rechts, 1961 (2018), S.  99 ff. Grundlegend zum Verhältnis von Recht und Moral, Dreier, ARSP 44 (1991), S.  55 ff. m. w. N. 21  Damit ist nicht gesagt, dass jedes moralische Sollen in ein rechtliches Sollen transformiert werden sollte; ebenso Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  60; Thies, in: Beck/Thies, Moral und Recht, 2011, S.  9, 14, 16. 22 Vgl. Braun, JuS 1994, S.  727, 728. 23  Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S.  37; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  14: „Eine Rechtsordnung, die nicht den Anspruch erhebt, Gerechtigkeit zu verwirklichen, ist in ihrer Stabilität gefährdet.“; Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  17: „[N]och kein Rechtssystem konnte […] bislang überdauern, das nicht auch moralisch legitimiert, ergänzt sowie differenziert wurde.“ 24  Derleder, in: FS Wassermann, 1985, S.  6 43, 656 [Hervorhebung hinzugefügt]. 25 Vgl. Nussbaum, Women and Human Development, 2000, S.  71.

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Drittes Kapitel: Legitimation

Beitrag leisten?) in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Hinzu kommt, dass ein auf die grundlegenden Freiheiten beschränkter „kleinförmiger“ Ansatz prädestiniert ist, um in der Rechtsökonomik die Einsicht zu fördern, dass das Vertragsrecht nicht ausschließlich auf dem Ziel der Allokationseffizienz, sondern auch auf Elementen der Verteilungsgerechtigkeit aufbauen sollte. Hiervon wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels die Rede sein.

§  13 Freiheit als Mittel und Ziel Bereits im einleitenden Kapitel wurde darauf hingewiesen, dass sich die Wohlfahrtsökonomik mit der Bewertung von Zuständen in einer Gesellschaft und den staatlichen Handlungen und Entscheidungen beschäftigt, die zu diesen Zuständen geführt haben bzw. die zu diesen führen können.26 Dazu formuliert sie Entscheidungskriterien, um beurteilen zu können, ob sich ein sozialer Zustand x als besser gegenüber einem anderen Zustand y erweist. Im Zusammenhang mit den Ausführungen hierzu hat sich gezeigt, dass das Pareto-Kriterium nicht weiterhilft, wenn eine Entscheidung dazu führt, dass es sowohl Gewinner als auch Verlierer gibt.27 Obwohl es in der sozialen Wirklichkeit äußerst selten vorkommt, dass eine wirtschafts- bzw. rechtspolitische Maßnahme kein Individuum belastet, ist die Bedeutung des Pareto-Kriteriums in der Wohlfahrtsökonomik natürlich dennoch groß. Das zeigt sich, wenn man den Blick auf die freiwilligen Tauschhandlungen der Wirtschaftsteilnehmer richtet 28 und sich das wohlfahrtsökonomische Gedankengebäude vergegenwärtigt, dem zufolge rationale Marktakteure niemals in einen freiwilligen Tausch einwilligen, wenn sie dadurch schlechtergestellt werden. Sie tauschen vielmehr deshalb ihre Güter auf dem freien Markt, weil sie davon ausgehen, dass sie durch eine solche Transaktion bessergestellt sein werden als ohne einen Austausch der Güter. Weil freiwillige Transaktionen damit zur Folge haben, dass mindestens ein Gesellschaftsmitglied bessergestellt wird, ohne ein anderes schlechterzustellen, kommt es zu einer Pareto-Verbesserung im Vergleich zu einem Zustand ohne diese Transaktion.29 Die Frage, welche Verteilung der Güter sich im Zuge der Tauschhandlung einstellt, spielt dabei keine Rolle.30 Mit Blick auf die gesellschaftliche Wohlfahrt ist der Austausch deshalb wünschenswert, weil das Gut zu demjenigen wandert, der es ökonomisch am höchsten wertschätzt. Die Folge 26 

Vgl. §  2 C. Vgl. §  2 E. II. 28 Vgl. Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  65. 29  Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, 2010, S.   21; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  275. 30  Zur Ausklammerung des Verteilungsproblems durch das Pareto-Kriterium vgl. §  2 E. II. 27 

§  13 Freiheit als Mittel und Ziel

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von freiwilligen Transaktionen ist somit, dass das Gut am Ort seiner sozial nützlichsten Verwendung eingesetzt wird.31 Es wird optimal genutzt, sodass eine Verschwendung der einer Gesellschaft zur Verfügung stehenden knappen Güter vermieden wird.32 Treffend wird daher gesagt, dass dem eigennützigen Handeln des Einzelnen in der Tauschrelation eine gesamtwohlfahrtsfördernde Nebenwirkung zukommt.33 Im Lichte der vorangegangenen Ausführungen werden die wesentlichen Aufgaben des Rechts einsichtig. Im ökonomischen Ansatz sollen rechtliche Normen einen Rahmen für freie Allokationshandlungen schaffen,34 sie sollen den Austauschprozess auf dem freien Markt nicht stören 35 sowie Hindernisse für den Güteraustausch möglichst beseitigen und damit die Transaktionskosten 36 niedrig halten.37 Hieran schließt sich die weitere Aufgabe an, bei hohen Transaktionskosten die richtige (marktkonforme) Transaktion durch einen staatlichen Eingriff herbeizuführen.38 Positiv formuliert sind daher vor allem solche rechtspolitischen Maßnahmen erwünscht, die die Schranken der Vertragsfreiheit beseitigen,39 damit effizienzfördernde Austauschgeschäfte ermöglicht werden. Mit diesen Handlungsempfehlungen wird zugleich dem Wert der Vertragsfreiheit ein bestimmter Status zugeschrieben. Sie wird dem normativen 31  Kötz, Vertragsrecht, 2.  Aufl. 2012, §  1 Rn.  24; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XVIII. 32  Leschke, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, S.  281, 290; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XVI. 33  Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, S.  153. Vgl. auch Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141, 143: „When the market functions effectively, it operates to ensure that scarce resources are allocated to alternate uses in a way that recon­ ciles individual autonomy with collective welfare.“; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, 2010, S.  21 f.; Kötz, Vertragsrecht, 2.  Aufl. 2012, §  1 Rn.  24. 34  Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 50. 35  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  66. Vgl. auch Behrens, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 50. 36  Zu den Problemen der Operationalisierung des Begriffs der Transaktionskosten sowie deren Abgrenzung von sogenannten Produktionskosten als Kosten der Leistungserbringung vgl. Eidenmüller, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  11, 21 ff.; Baumann, RNotZ 2007, S.  297; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  97 ff. 37  Horn, AcP 176 (1976), S.  307, 310. 38  Horn, AcP 176 (1976), S.  307, 310; Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 216; Behrens, in: Bydlin­ ski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  35, 50 f.; Posner, Over­ coming Law, 1995, S.  403; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  17: „to mimic or simulate the market“. 39 Differenzierend E. A. Posner, J. Leg. Stud. 24 (1995), S.  283, 285: [T]he state is committed both to a free market and to the amelioration of poverty […] The provision of welfare in a free market produces perverse incentives to take credit risks, which both drive up the cost of the welfare system and undermine its goal of poverty reduction. The argument concludes that restrictive contract doctrines are appropriate means for deterring this socially costly bahavior.“

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Drittes Kapitel: Legitimation

Ziel der optimalen Allokation knapper Güter (und dem damit verbundenen Wohlfahrtsgewinn) unterworfen. Auch hiervon war bereits die Rede.40

A. Markteingriffe im Namen der Freiheit Es liegt auf der Hand, dass es zu der gewünschten Effizienzsteigerung nur dann kommt, wenn der Markt, auf dem Verträge geschlossen werden, bestimmte Anforderungen erfüllt. Unterstellt man es an dieser Stelle als gut, dass knappe Ressourcen an den Ort ihrer nützlichsten Verwendung gelangen, dann kommt man nicht umhin, auch die Bedingungen zu betrachten, unter denen es einer Gesellschaft überhaupt möglich ist, den Zustand der Allokationseffizienz zu erreichen.41 Damit ist man bei dem Modell der vollständigen Konkurrenz angelangt.42 In dieser idealtypischen Marktform mit vielen Anbietern und vielen Nachfragern kommt es durch den Preismechanismus zu einem Marktgleichgewicht, das eine effiziente, im Sinne von Pareto-optimale, Allokation der knappen Ressourcen bewirkt.43 An dieser Stelle sollen nun nicht die einzelnen Annahmen dieses in der Realität nicht zu findenden Modells interessieren, sondern die Frage, wie es sich auf die Beurteilung rechts- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen auswirkt, wenn diese Modellbedingungen nicht erfüllt sind und damit die Koordination über den Markt keine optimale Ressourcenallokation bewirkt.44 Die Antwort hierauf lautet: Staatliche Interventionen in den Marktmechanismus werden befürwortet, soweit sie darauf abzielen, das Marktversagen zu korrigieren und die Funktionsweise der Märkte im Sinne des Pareto-Kriteriums zu verbessern.45 Weil es um eine Kompensation der Funktionsdefizite 40 

Vgl. §  7 C. III. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XVI. 42  Zu den einzelnen Voraussetzungen des Modells vgl. Hagel, Effizienz und Gerechtigkeit, 1993, S.  205; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  116 ff. 43  Borrmann/Finsinger, Markt und Regulierung, 1999, S.  3; Leschke, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, S.  281, 290; Baßeler et al., Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, 19.  Aufl. 2010, S.  174; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  34. 44  Als klassische Ursache für ein derartiges Marktversagen wegen Nichterfüllung der idealen Modellbedingungen werden regelmäßig genannt: Marktmacht, öffentliche Güter, Informationsasymmetrien sowie Externalitäten, siehe hierzu Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 134; Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 16 f.; Johansson, An Introduction to Modern Welfare Economics, 1991, S.  60 ff.; Hermalin et al., in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S.  3, 30; Leschke, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, S.  281, 290; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  38 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  85 ff. 45  Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 130; Hermalin et al., in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S.  3, 30 ff., 48; Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie, 2008, S.  22; Voigt, Institutionenökonomik, 2.  Aufl. 2009, S.  212 f.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  34. Auch J. Rawls befürwortet derartige Eingriffe und weist sie einer „Allokationsabteilung“ zu, die „im Preissystem eine angemessene Kon41 

§  13 Freiheit als Mittel und Ziel

323

des freien Marktes geht, könnte man meinen, im Konzept des Marktversagens werden staatliche Eingriffe mit Freiheitserwägungen legitimiert. Das trifft in der Tat zu, sofern man ergänzt, dass sich diese Aussage auf eine Freiheit in ihrer instrumentellen Konzeption bezieht. Denn die mittels staatlicher Eingriffe wiederherzustellende Freiheit des Marktes stellt lediglich das Instrument zur Erreichung eines anderen, höheren Wertes dar. Der freie Markt wird nicht wertgeschätzt, weil die Freiheit zum Tausch als solche das menschliche Leben bereichert, sondern nur deshalb, weil er für eine effiziente Ressourcennutzung dienlich ist.46 In letzter Konsequenz werden damit reallokative Eingriffe in den Marktmechanismus nicht unter Rekurs auf die Freiheit, sondern auf den Nutzen gerechtfertigt. Das „elementare Argument für die Freiheit der Marktwirtschaft […] die grundlegende Wichtigkeit dieser Freiheit selbst“47 sowie der Umstand, dass Menschen die Freiheit des Marktes jenseits einer instrumentellen Verwendung schätzen, bleibt damit im Konzept des Marktversagens unberücksichtigt. Diese beschränkte Wahrnehmung von Freiheit in der ökonomischen Perspektive spielte bereits im ersten Kapitel eine Rolle.48 Auch die oben dargestellte Aufgliederung der Freiheit in einen Prozess- und Chancenaspekt berührt man an dieser Stelle erneut.49 Weil im Konzept des Marktversagens staatliche Interventionen der Sicherung und Wiederherstellung des Marktmechanismus dienen, bleibt die Aufmerksamkeit – vergleichbar der Materialisierung der Vertragsfreiheit50 – auf den Prozess des Freiheitsgebrauchs sowie auf die Frage beschränkt, ob dieser Prozess unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich „funktioniert“. Daraus lässt sich zugleich ableiten, dass sich die ökonomische Freiheitskonzeption zwar als materiale, aber nicht als positive Freiheit darstellt.51 Denn wenn ein Versagen des freien Marktes als Eingriffsanlass dient, dann geht es nicht um die Gewährleistung eines bestimmten Ergebnisses des Freiheitsgebrauchs, sondern allein um die Wiederherstellung des Prozessaspekts der Freiheit. Gelingt dies, läuft also der Marktprozess ohne Funktionsstörungen ab, so wird ein sachgerechtes Ergebnis hervorgebracht, nämlich kurrenz aufrechterhalten und die Bildung übermäßiger wirtschaftlicher Macht verhindern [soll].“; die „Allokationsabteilung“ wird flankiert durch eine „Stabilisierungsabteilung“, um „die Optimalität der Marktwirtschaft im allgemeinen aufrechtzuerhalten“; die „Umverteilungsabteilung“ ist demgegenüber zuständig für die Gewährleistung eines Existenzminimums, und der „Verteilungsabteilung“ fällt die Aufgabe der Herstellung einer gewissen Verteilungsgerechtigkeit mittels Besteuerung und Änderung der Besitzrechte zu, Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971 (2017), S.  309 ff. 46  Sen, Oxf. Econ. Pap.  45 (1993), S.  519: „The successes and failures of competitive markets are judged entirely by achievements of individual welfare (for example, in terms of utilitybased Pareto optimality), rather than by accomplishments in promoting individual freedom.“ 47  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  140. 48  Vgl. §  2 D. III. 49  Vgl. §  7 C. I. 3. 50  Vgl. §  7 C. II. 1. 51  Vgl. auch §  7 C. II. 1.

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Drittes Kapitel: Legitimation

die effiziente Allokation knapper Ressourcen. Gerechtigkeit wird also als Effizienz verstanden.52 Präziser muss man formulieren: Im ökonomischen Ansatz wird Tauschgerechtigkeit (als Teil der iustitia commutativa) als äquivalent dem Marktergebnis aufgefasst, das sich unter Bedingungen des Wettbewerbs zwischen gleich starken Käufern und Verkäufern einstellt.53 Damit wird deutlich: Gerechtigkeit bedeutet hier nicht iustitia distributiva.54 Dass ein derartiges auf prozeduralen Grundsätzen aufbauendes Gerechtigkeitskonzept für diejenigen Gesellschaftsmitglieder misslich ist, die mangels Kaufkraft „keine Eintrittskarte in das […] Spiel der Märkte“55 haben, ist offensichtlich.56 R. Sugden hat das Dilemma mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht:

52 Dazu Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XII: „Diese Sichtweise macht deutlich, dass die Vermeidung von Verschwendung auch ein Gebot der Gerechtigkeit ist, dass sich Effizienz und Gerechtigkeit über bestimmte Bereiche decken können.“ 53  v. Weizsäcker, ZfW 3 (1998), S.  257, 259; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 66; ähnlich Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  195; Köhler, ARSP 79 (1993), S.  457, 465. 54  Die Unterscheidung zwischen iustitia commutativa und iustitia distributiva geht bekanntlich auf das fünfte Buch der nikomachischen Ethik zurück, vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, nach der Übersetzung von Wolf, 7.  Aufl. 2018, S.  166: „Von der Gerechtigkeit im speziellen Sinn (kata meros) und dem in ihrem Sinne Gerechten findet sich die eine Form bei der Verteilung (dianomē) von Ehre, Geld oder anderen Gütern, die unter den Mitgliedern der Staatsgemeinschaft teilbar sind (denn in diesen Dingen kommt es vor, dass jemand einen ungleichen oder den gleichen Betrag hat wie ein anderer). Die andere Form betrifft den Ausgleich (diorthōtikon) in Transaktionen (synallagma) zwischen Menschen. Diese hat wiederum zwei Teile. Von den Transaktionen sind nämlich die einen gewollt (hekousion), die anderen gegen das eigene Wollen (akousion). Gewollt sind zum Beispiel Kauf, Verkauf, Darlehen, Bürgschaft, Nutznießung, Deposition, Miete (man bezeichnet diese als gewollt, weil der Ursprung der Transaktionen im eigenen Wollen liegt). Von den Transaktionen gegen das Wollen sind die einen heimlich, zum Beispiel Diebstahl, Ehebruch, Giftmischerei, Kuppelei, Verführung von Sklaven, Meuchelmord, falsches Zeugnis. Die anderen sind gewaltsam, zum Beispiel Misshandlung, Freiheitsberaubung, Totschlag, Raub, Verstümmelung, Verleumdung, Beleidigung.“ Während sich die iustitia distributiva bei Aristoteles also auf die Zuteilung von Ehre, Geld oder anderen Gütern bezieht, ist die iustitia commutativa zum einen als Tauschgerechtigkeit für den freiwilligen Austausch von Gütern und Leistungen im privaten Verkehr zuständig. Eine zweite Seite der iustitia commutativa stellt die wiedergutmachende bzw. korrektive Gerechtigkeit (iustitia correctiva) dar. Sie kommt im Strafrecht sowie bei unfreiwilligen Transaktionen (also insbesondere im Deliktsrecht) zur Anwendung. Zu diesen beiden Seiten der iustitia commutativa vgl. etwa Köhler, ARSP 79 (1993), S.  457, 463 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  33 f.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  66; Höffe, Gerechtigkeit, 5.  Aufl. 2015, S.  22 ff.; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  231 f. 55  Brodbeck, in: Sedmak, Option für die Armen, 2005, S.  59, 77. 56  Siehe zu diesem Problem bereits §  4 B. sowie Derleder, in: Brüggemeier/Hart, Soziales Schuldrecht, 1987, S.  194, 216; Reuter, AcP 189 (1989), S.  199, 212; Köhler, ARSP 79 (1993), S.  457, 466; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 66.

§  13 Freiheit als Mittel und Ziel

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„[T]he market system has a strong tendency to supply each person with those things that he wants, provided that he owns things that other people want, and provided that the things he wants are things that other people own.“57

Wer das in diesem Zitat angesprochene Problem lösen will, kann sich nicht auf die Betrachtung des Marktprozesses beschränken. Man muss vielmehr in die Verteilungsergebnisse des Marktes eingreifen.58 Damit verlässt man allerdings das dem Marktversagen zugrunde liegende prozedurale Konzept, denn angeknüpft wird nun an das durch den Marktmechanismus hervorgebrachte Ergebnis und die hieraus resultierende konkrete Position einzelner Gesellschaftsmitglieder, die eine bestimmte Umverteilung einfordert.59 Diese redistributiven Eingriffe in die Verteilungsergebnisse des freien Marktes müssen gerechtfertigt werden. Befragt man hierzu den Befähigungsansatz, so lautet die Antwort: Redistributive Markteingriffe, die darauf abzielen, reale Chancen herzustellen, die Menschen angesichts ihrer finanziellen Umstände fehlen, können mit dem Hinweis auf Freiheit legitimiert werden. Der Grund, warum sich dieser freiheitliche Legitimationsansatz eröffnet, wurde bereits im zweiten Kapitel genannt. 60 Er liegt im positiven Freiheitsverständnis des Befähigungsansatzes. Lässt man sich auf dieses Freiheitskonzept ein, erkennt man also an, dass Freiheiten neben dem Prozess- auch einen Chancenaspekt haben, dann lässt sich argumentieren, dass redistributive Interventionen in den Marktmechanismus nicht zu einer Einschränkung der Freiheit, 61 sondern zuallererst zu deren Ermöglichung führen, 62 weil sie die Bedingungen dafür schaffen, dass Freiheit besteht.

57  Sugden, in: Newman, The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, 1998, S.  485, 492 [Hervorhebung hinzugefügt]. 58 Vgl. Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 827: „Achieving a distributive ideal requires intervening in the market to redistribute income.“ 59 Vgl. Merle, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  73. 60  Vgl. §  10 C. III. 61  Siehe hierzu Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27, 28: „Because social policy interventions involve redistribution and regulation, they are often seen as the antithesis of market freedoms such as freedom of contract and the right to enjoy property.“; Deakin, in: Deakin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  1, 29: „Social legislation appears […] as an illegitimate interference.“ 62 Vgl. Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23, 43: „Sozialpolitik stellt im CA zuallererst eine Ermöglichung, nicht nur eine Einschränkung von Freiheit dar.“; Deakin, in: Deakin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  1, 21: „Thus, in the capability approach, institutional rules do not simply constrain, they also empower.“; Steckmann, in: Otto/Ziegler, Capabilities, 2.  Aufl. 2010, S.  9 0, 99: „Mit einem erweiterten, positiven Freiheitsbegriff eröffnet sich eine ethische Theorieperspektive, mit der auch eine Rechtfertigung sozialstaatlicher Leistungsansprüche in Reichweite rückt, die nicht von dem vermeintlich fundamentalen Gegensatz von Freiheits- und Gleichheitsrechten ausgehen muss, den vor allem libertaristische Sozialstaatskritiker gerne in das Aufmerksamkeitszentrum rücken.“ Zur Bewertung von Sozialtransfers als Befähigung zur Autonomie vgl. Heider/Opielka, Kritische Justiz 2010, S.  171, 178 f.

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Drittes Kapitel: Legitimation

B. Gerechtigkeit als Freiheit Wer Eingriffe in das Verteilungsergebnis des Marktes auf diese Weise rechtfertigt, setzt den Befähigungsansatz als „marktexogenes Gerechtigkeitskriterium“63 ein. Damit geht eine Entscheidung zugunsten eines bestimmten „Verteilungsobjekts“ einher. Was es zu verteilen gilt, sind die (positiven) Freiheiten eines Menschen, die er benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen. Es sind also die menschlichen Fähigkeiten, die das „territory of justice“64 bilden. Dieses Ergebnis wird im Lichte des im ersten Kapitel dargestellten grundlegenden Denkmusters des Befähigungsansatzes wenig überraschen. Eine viel schwierigere Frage ist jedoch, wie diese Freiheiten zwischen den Gesellschaftsmitgliedern zu verteilen sind. Denn Verteilungsgerechtigkeit bedeutet nicht zwangsläufig Ergebnisgleichheit. 65 Man muss daher an dieser Stelle Farbe bekennen und ein konkretes Distributionsprinzip benennen, auf dem die Idee der Befähigungsgerechtigkeit aufbaut. Sollen Fähigkeiten nach den individuellen Bedürfnissen oder nach dem Leistungsprinzip verteilt werden? Oder gilt, dass jeder über die gleichen Fähigkeiten verfügen muss, egal welche das sind? Wer die letztere Frage bejaht und damit Befähigungsgerechtigkeit als Befähigungsgleichheit versteht, 66 unterstellt A. Sen einen Egalitarismus, der sich seinen ge63 

Nass, Der humangerechte Sozialstaat, 2006, S.  25. Sen, Philos. Public Aff. 19 (1990), S.  111, 121. Ebenso Nussbaum, in: Annas/Grimm, Oxford Studies in Ancient Philosophy, 1988, S.  145 f. sowie S.  153: „Distribution does not aim simply at spreading some things around, as if they had significance in themselves […] We are aiming to make people able to live and act in certain concrete ways.“ [Hervorhebung im Original]; Vallentyne, in: Morris, Amartya Sen, 2010, S.  138, 139; Schweiger, in: Gaisbauer et al., Philosophical Explorations of Justice and Taxation, 2015, S.  33, 35; Nussbaum, Gerechtigkeit oder Das gute Leben, 11.  Aufl. 2020, S.  86, der zufolge das Ziel politischer Planung darin besteht, „für jeden Bürger des Staates die Voraussetzungen zu schaffen, die es ihm ermöglichen, ein gutes menschliches Leben zu wählen und zu führen. Diese distributive Aufgabe zielt auf die Entwicklung von Fähigkeiten (capabilities) ab.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Für eine Gerechtigkeit im Namen der Freiheit, die sich nicht auf eine maternalistische Umverteilung beschränkt, plädiert etwa auch Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  169. 65 Dazu Möller, Interpersonelle Nutzenvergleiche, 1983, S.  214; Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 47 ff.; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  232; Hofmann, Jenseits von Gleichheit, 2019, S.  35 f. 66  So etwa Kersting, in: Lessenich, Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe, 2003, S.  105, 118; Browne et al., in: Salais/Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  205, 209, 211: „The implication of this approach is that a procedure which aims at equality of capability should focus on the conversion factors […].“ [Hervorhebung hinzugefügt]; Deakin, Renewing Labour Market Institutions, 2004, S.  53; Browne et al., in: Salais/Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  205, 209: „Individual well being in the form of equality of capability is regarded as an ‚end‘ rather than as an instrumental device for achieving another goal such as economic efficiency.“; Krebs, in: Horster, Sozialstaat und Gerechtigkeit, 2005, S.  37; Kulkarni, Bus. Prof. Ethics J. 28 (2009), S.  3, 11; Gutmann, in: Kühler/Nossek, Paternalismus und Konsequentialismus, 2013, S.   27, 55: „entwicklungsegalitaristische Arbeiten Amartya Sens“; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  92: „Diese Fokussierung teilen auch 64 

§  13 Freiheit als Mittel und Ziel

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rechtigkeitstheoretischen Überlegungen nicht entnehmen lässt. 67 Im Befähigungsansatz geht es nicht um „jedem das Gleiche“, wie folgende Worte belegen: „Wenn Gleichheit wichtig und Befähigung tatsächlich ein zentrales Merkmal des menschlichen Lebens ist […], wäre es dann nicht angebracht, Befähigungs- oder Chancengleichheit zu fordern? Ich muss sagen, dass die Antwort Nein lautet.“68

A. Sen hält vielmehr kein spezifisches Distributionsprinzip parat,69 und er betont, dass nicht nur Egalität, sondern auch andere Prinzipien der Verteilung – wie beispielsweise das Leistungsprinzip – ausdrücklich zuzulassen sind.70 Er weist lediglich auf Folgendes hin: „[H]aving more of each relevant functioning or capability is a clear improvement“.71

Diese normative Offenheit hinsichtlich des Distributionsprinzips ist konsequent,72 denn im Befähigungsdenken geht es nicht – worauf bereits hingewiesen wurde73 – um die Konzeption einer vollständigen Theorie, sondern darum zu zeigen, in welcher „Währung“ distributive Werturteile zu fällen sind. Daher legt A. Sen zwar „the metric for evaluating […] the space in which individual shares should be defined and evaluated“74 fest,75 er verteidigt aber an keiner Stelle Gleichheit von Fähigkeiten als zentrales Ziel von Gerechtigkeit. Dass der Befähigungsansatz gleichwohl oftmals als egalitaristisches Gerechtigkeitskon-

modernere Theorien sozialer Gerechtigkeit wie beispielsweise die Entwürfe Sens und Nussbaums, die soziale Gerechtigkeit vor allem als Gleichheit bestimmter grundlegender Befähigungen (capabilities) interpretieren.“ [Hervorhebung hinzugefügt]; offen Deakin, in: Alston, Labour Rights as Human Rights, 2005, S.  25, 59: „A capability-orientated analysis also focuses our attention on how, more precisely, social rights can be used to shape the institutional environment in such a way as to enable all (or more) individuals to convert endowments in the form of human and physical assets into positive outcomes.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 67 Vgl. Roemer, Theories of Distributive Justice, 1996, S.  190, 192; Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23, 39. 68  Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  322. 69 Vgl. Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23, 39; Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  156. 70  Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  324. 71  Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  46; ebenso Alkire, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  115, 125: „[M]ore valuable states are those that have ‚expanded‘ valuable human capabilities […].“ 72  Kritisch indes Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  210. 73  Vgl. §  9 A. 74  Pogge, Philos. Top.  30 (2002), S.  167, 169. 75 Zutreffend Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141, 152: „Thus, the capability approach points to an informational focus in judging and comparing overall individual advantages, and does not, on its own, propose any specific formula about how that information may be used. It does not set out any particular blueprint for how to deal with conflicts between, say, aggregative and distributive considerations, and does not prescribe formal equality of capabilities, as opposed to the expansion of capabilities in general, as a meaningful goal.“ Vgl. auch Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  17 m. w. N. in Fn.  9.

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Drittes Kapitel: Legitimation

zept wahrgenommen wird,76 lässt sich wohl mit dem Titel einer seiner bekanntesten Vorlesungen („Equality of what?“) erklären,77 von der zu Beginn dieser Arbeit die Rede war.78 Im vorliegenden Armutskontext ist nun allerdings entscheidend, dass im Raum der Grundfähigkeiten – deren Mangel ein Leben in Armut bedeutet79 – etwas anderes gilt:80 Weil diese Freiheiten einen absoluten Kernbereich der menschlichen Fähigkeiten bilden und daher jedem Mitglied einer Gesellschaft zur Verfügung stehen müssen,81 ist es gerechtfertigt, im Raum der Grundfähigkeiten Gleichheit einzufordern. Dabei darf der hier in Rede stehenden Gleichheit jedoch kein Eigenwert zugesprochen werden. Warum dies so ist, wird sich weiter unten zeigen. 82

§  14 Warum gleiche Grundfähigkeiten? Die Forderung nach Gleichheit im Raum der grundlegenden Fähigkeiten lässt sich sowohl in den Entwicklungsberichten der Vereinten Nationen 83 als auch in den Schriften A. Sens84 nachweisen. Mit diesen Quellenhinweisen liefert man aber noch kein überzeugendes Argument dafür, warum ein Zustand, in dem jedes Gesellschaftsmitglied zumindest über ein „liberales Minimum“85 verfügt, das Prädikat „gut“ verdient. Selbst wenn man aus den angeführten Fundstellen eine Begründung für das Ideal der Grundbefähigungsgleichheit destillieren könnte, so wäre das Begründungsverfahren damit nicht abgeschlossen. Denn der gefundene Grund muss sich seinerseits die Frage nach der Rechtfertigung gefallen lassen. Damit gerät man in einen Begründungsregress, der erst ein Ende 76 Vgl. Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23,

39.

77 So auch die Vermutung von Robeyns, Wellbeing, Freedom and Social Justice, 2017, S.  155 f. 78  Vgl. §  2 A. 79  Vgl. §  5 B. II. 80  Im Ergebnis wie hier Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23, 40; Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  157. 81  Vgl. §  5 B III. 82  Vgl. §  14 C. 83  Vgl. etwa UNDP, Human Development Report 1996, S.  55: „Equity is usually thought of in terms of wealth or income. But human development takes a much broader view seeking equity in basic capabilities and opportunities.“ 84  Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 40 f.: „It is possible to argue that equality in the fulfilment of certain ‚basic capabilities‘ provides an especially plausible ap­ proach to egalitarianism in the presence of elementary deprivation.“ Auch Scholtes, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  23, 40, leitet aus A. Sens Überlegungen die Forderung nach Gleichheit im Raum der Grundfähigkeiten ab. Vgl. zudem Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  157. 85  Winkler, JCSW 57 (2016), S.  269.

§  14 Warum gleiche Grundfähigkeiten?

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findet, wenn sich an irgendeiner Stelle eine Letztbegründung auftut.86 Eine solche lässt sich allerdings nicht in der Beobachtung finden, dass sich faktisch jeder Mensch grundlegende Freiheiten wünscht. Aus diesem sicherlich zutreffenden deskriptiven Befund darf keine normative Aussage abgeleitet werden. Es gelten insoweit die Ausführungen zum ökonomischen Ansatz analog. Dort wurde bereits angeführt, dass aus der faktischen Ist-Aussage „wealth matters to people“87 keine logische Brücke zu einer normativen Aussage führt. 88 Gleiches gilt im Übrigen mit Blick auf das menschliche Bestreben, eine Verschwendung knapper Güter zu vermeiden. Auch aus dieser Beobachtung kann keine normative Aussage abgeleitet werden, sodass ein anderer Grund genannt werden muss. Warum also ist eine Gesellschaft, deren Mitglieder ihre individuellen Präferenzen durch freiwillige Transaktionen befriedigen können und damit knappe Ressourcen zum Ort ihrer nützlichsten Verwendung gelangen lassen, als an sich gut zu beurteilen? Im Zusammenhang mit der Vorstellung des utilitaristischen Nützlichkeitsprinzips wurde darauf hingewiesen, dass J. Bentham die Frage, warum das Nützlichkeitsprinzip das „richtige“ oberste Bewertungsprinzip sowohl für das Handeln des Einzelnen als auch für dasjenige staatlicher Entscheidungsträger ist, ausdrücklich offenließ.89 Die Wohlfahrts­ ökonomik sowie die auf dieser aufbauende Rechtsökonomik folgen im Ergebnis dieser Linie. Sie sagen ebenfalls nicht, worin die Güte von Nutzen als Ergebnis präferenzgeleiteter Wahlhandlungen liegt. Es wird einfach behauptet, dass es gut ist, wenn eine Sozietät nutzenmaximierend organisiert ist.90 Damit bleiben sie eine normative Letztbegründung schuldig und müssen sich – wie es beispielsweise R. A. Posner getan hat – auf eine pragmatische Beziehung von Nutzen und Güte zurückziehen: „The strongest argument for wealth maximization is not moral, but pragmatic […]. We look around the world and see that in general people who live in societies in which markets are allowed to function more or less freely not only are wealthier than people in other societies but have more political rights, more liberty and dignity, are more content […] – so that wealth maximization may be the most direct route to a variety of moral ends.“91 86 Zu diesem Problem siehe Simmel, Einleitung in die Moralwissenschaft, 1904 (1989), S.  27: „Jedes Glied […] erklärt sein Sollen aus dem Gesolltwerden des folgenden, und wo wir an dasjenige kommen, welches das Sollen nicht wieder von sich abwälzen, seine Dignität nicht mehr von einem andern herleiten kann, da bricht die Reihe ab und lässt es an diesem genau so unerklärt, wie es an dem ersten war: das Letzte, das wir erklären können, ist das Vorletzte.“; siehe auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  359. 87  Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  10. 88  Vgl. §  10 C. I. 89  Vgl. §  2 C. I. 1. 90  Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  72 f., sowie mit Blick auf den Utilitarismus Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.   Aufl. 2015, S.   232: „Das Nützlichkeitsprinzip hängt sozusagen ‚in der Luft‘: Es wird hypostasiert, aber nicht begründet.“ 91  Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  382.

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Drittes Kapitel: Legitimation

Man ist versucht, diesem Begründungsansatz zu folgen und das hier gewählte Ideal der allgemeinen Grundbefähigung apodiktisch als an sich gut zu postulieren und sämtliche damit abgelehnten Alternativen als schlecht zu bezeichnen. Vergleichbar dem Vorgehen R. A. Posners könnte man die Frage „Warum gleiche Grundfähigkeiten?“ einfach auch im Pragmatismus auflösen. Auf diese Weise wäre die hier gesuchte Antwort angenehm kurz. Dieser Weg soll an dieser Stelle jedoch nicht beschritten werden, denn anderenfalls verpasst man es, zumindest plausible Gründe vorzutragen, die dafür sprechen, dass ein Zustand der allgemeinen Grundbefähigung als gut zu bewerten ist.92 Daher sollen auf den nächsten Seiten die Folgen in den Blick genommen werden, die mit der hier gewählten normativen Alternative einhergehen.93 Mit diesem konsequentialistischen Ansatz entkommt man der normativen Ebene allerdings nicht. Denn nun wird eine Bewertung der Folgen erforderlich, sodass man letztlich zum Ausgangspunkt der Überlegung zurückgeworfen wird. Ein Rekurs auf die Folgen des Zustands der allgemeinen Grundbefähigung löst das Problem also nicht, sondern transferiert es nur auf eine andere Ebene. Gleichwohl ist diese Problemverschiebung gewinnbringend, denn sie legt offen, dass die Forderung nach gleichen Grundfähigkeiten ihre Rechtfertigung letztlich im Menschsein selbst findet.

A. (Re-)Integration in den Markt Die Frage nach den Folgen, die ein Zustand der allgemeinen Grundbefähigung mit sich bringt, führt zunächst zu einem bekannten Satz A. Smiths, dem zufolge „eine Gesellschaft nicht blühend und glücklich sein [kann], deren meiste Glieder arm und elend sind.“94 Auch insoweit drängt sich sofort die Frage nach dem Warum auf. Warum ist A. Smith der Ansicht, dass eine Gesellschaft nicht blühend und glücklich sein kann, deren meiste Glieder arm und elend sind? Zur Beantwortung dieser Frage muss man wissen, dass das Zitat aus dem Kapitel „Der Arbeitslohn“ in A. Smiths „Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Nationalreichtums“ stammt. Dort findet sich auch seine These, dass eine Zunahme des Einkommens und des Kapitals die Zunahme des Nationalreichtums bedeute95 und „die reichliche Vergütung der Arbeit sowohl eine notwendige Wirkung, als auch ein natürliches Merkmal des wachsenden National92  So auch Mill, Der Utilitarismus, 1871 (2019), S.  17: „Erwägungen können angestellt werden, die geeignet sind, den Geist entweder zur Zustimmung oder zur Verwerfung der Theorie zu bestimmen. Und das kommt einem Beweis gleich.“; siehe ferner Sidgwick, The Methods of Ethics, 4.  Aufl. 1890, S.  415. 93  Zu diesem konsequentialistischen Begründungsansatz vgl. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  359. 94  Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.  85. 95  Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.  75.

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reichtums“96 sei. Hungerleiden stelle hingegen einen Beweis dafür da, „daß es mit schnellen Schritten rückwärts“97 gehe. Mit diesen Ausführungen wird verständlich, dass A. Smiths Erkenntnisinteresse in erster Linie auf die Integration ärmerer Bevölkerungsschichten in den Wirtschaftsprozess und die damit verbundene Anhebung des gesellschaftlichen Wohlstands gerichtet ist. Er nimmt damit – zumindest in dieser Schrift98 – eine zweckrationale Perspektive auf bedürftige Wirtschaftssubjekte ein. Diese Ausrichtung finanziell leistungsschwacher Menschen auf den Markt ist nichts Außergewöhnliches. Man trifft sie nicht nur im rechtsökonomischen99 und philosophischen100 Schrifttum an. Sie lässt sich etwa auch im Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Restrukturierungsrichtlinie 2019/1023/EU in dem Hinweis finden, dass „kürzere Entschuldungsfristen erwiesenermaßen positive Auswirkungen auf Verbraucher und Anleger [haben], da sie sich schneller wieder am Verbrauchs- und Investitionskreislauf beteiligen können.“101 Auch der Bundesgerichtshof weist in seiner Entscheidung zur Unwirksamkeit eines Verzichts auf die Wirkungen der Restschuldbefreiung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf das „allgemeinwirtschaftliche und sozialpolitische Ziel“ hin, den „Schuldner wieder in den Markt zu integrieren“.102

96 

Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.  79. Smith, Wohlstand der Nationen, 1776 (2009), S.  79. 98 Grundlegend zu A. Smiths Armutsverständnis Gilbert, Rev. Soc. Econ. 55 (1997), S.  273 ff. 99  Vgl. etwa Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27, 33: „A market-creating role for social rights is one possible implication of the ‚capability approach‘ developed by Amartya Sen“; Deakin, Renewing Labour Market Institutions, 2004, S.  46: „Extremes of inequality have the effect of excluding certain groups from the market altogether. The result is not just that these individuals no longer have access to the goods which the market can supply; the rest of society also suffers a loss from their inability to take part in the system of exchange. Resources which could have been mobilized for the benefit of society as a whole will, instead, remain unutilized.“; Cooter, Fla. State Univ. Law Rev. 33 (2005), S.  373, 374: „A nation’s wealth comes from the productivity of its citizens.“; Deakin, in: Deakin/Supiot, Capacitas, 2009, S.  1, 19: „[L]egal interventions can be seen as enhancing the contractual capacity of market agents, in the sense of endowing them with the resources needed to participate in market exchange“; Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141, 149 f. Kritisch zum Ansatz der Befähigung für den Markt Routh, Enhancing Capabilities through Labour Law, 2014, S.  156. 100 Vgl. etwa Kersting, in: Lessenich, Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe, 2003, S.   105, 134: „Der Sozialstaat ist zur Sicherung der Marktmöglichkeit der Bürger da. Er hat die Bürger zum Markt zurückzuführen, sie marktfähig zu halten.“; Kersting, in: Kersting, Freiheit und Gerechtigkeit, 2010, S.  45, 55. 101 Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU vom 22.11.2016, COM(2016) 723 final, S.  4. 102  BGH, NJW 2015, S.  3029, 3030; hierzu Preuß, in: Jaeger, InsO, 2020, Vorb. §  286–303a Rn.  3. 97 

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Drittes Kapitel: Legitimation

Überträgt man diesen Begründungsansatz auf die hier gewählte normative Alternative der Grundbefähigungsgleichheit, so lautet die Logik des Arguments: Wenn jedes Gesellschaftsmitglied über grundlegende Freiheiten verfügt, dann hat dies zur Folge, dass Produktivität und Erwerbsfähigkeit gesteigert werden,103 wodurch sich der gesellschaftliche Wohlstand erhöht. Diese Argumentationslinie klingt verlockend, zumal nicht geleugnet werden kann, dass mit einem Mangel an grundlegenden Freiheiten tendenziell die wirtschaftliche Produktivität des Einzelnen sinkt, was wiederum das volkswirtschaftliche Wachstum reduziert. Die Schlussfolgerung, dass alle Gesellschaftsmitglieder über grundlegende Fähigkeiten verfügen sollten, weil damit wirtschaftliche Produktivität und eine Integration bzw. Reintegration der Bürger in den Markt einhergehen, verfängt jedoch nicht. Und zwar aus zwei Gründen: Zum einen stellt diese Schlussfolgerung den intrinsischen Wert der Freiheit infrage. Zum anderen wird das Prinzip des normativen Individualismus missachtet. Beides sind indes grundlegende Wertprämissen des Befähigungsansatzes.104 Dies soll im Folgenden genauer erläutert werden. I. Instrumentalisierung Wenn der Zustand der allgemeinen Grundbefähigung deshalb als gut bewertet wird, weil eine „gleiche Ausstattung mit […] Freiheitsbedürfnissen Voraussetzung dafür [ist], dass Privatrechtssubjekte wirtschaftliche Kräfte freisetzen“105 , dann richtet man die Aufmerksamkeit auf die Freiheit als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels. Damit sucht man aber etwas anderes als die Freiheit selbst. Man blendet somit ihren Selbstzweck aus. Dies schlägt unmittelbar auf den Menschen als Subjekt der Freiheit durch. Sein Wert als autonomes Wesen folgt nun nicht mehr aus seinem Menschsein, sondern aus seinem Status als „nützlicher Bürger im Staate“106 , weil er als produktives Glied der Gesellschaft für das Wirtschaftswachstum förderlich ist. Diese Reduktion des Menschen auf einen „ökonomischen Bürgerstatus“107 ist abzulehnen. Sie verstößt gegen den kantischen Grundsatz, dass jeder Mensch als ein Selbstzweck geachtet werden muss.108 Die einseitige Betonung des Zweckdenkens wurde dementsprechend 103 Vgl. Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  116: „Wie die Dinge liegen, tendiert die Verstärkung der Verwirklichungschancen dahin, mehr Produktivität und Erwerbsfähigkeit freizusetzen.“ 104  Vgl. §  2 D. III. sowie §  9 A. II. 1. 105  Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  11. 106  So die Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, erster Theil, Titel 24, §  95. 107 Vgl. Serrano Pascual, in: Serrano Pascual/Magnusson, Reshaping Welfare States and Activation Regimes in Europe, 2007, S.  11, 19. 108  Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1786 (2019), S.  61: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“; eindringlich auch v. Gierke, Die sozi-

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auch im Entwurf für das spätere Grundgesetz explizit zurückgewiesen. Dort konnte man nämlich in Art.  1 Abs.  1 GG noch folgenden Satz lesen: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“109

Noch grundlegender wiegt allerdings ein anderer Einwand: Mit einer Affirmation wirtschaftlichen Zweckdenkens ist immer die Gefahr verbunden, dass Individuen, die aufgrund persönlicher Eigenschaften, etwa einer schweren Behinderung, keinen Beitrag zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums leisten können, nicht vor einem Entzug ihrer grundlegenden Freiheiten bewahrt werden. Denn warum sollte – so könnte man argumentieren – hiergegen etwas getan werden, wenn der mit einer menschlichen Grundbefähigung verfolgte Zweck gar nicht erreicht werden kann? In einem wohlstandszentrierten Rechtfertigungsansatz müsste all denjenigen Menschen, die nicht (mehr) oder kaum in der Lage sind, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten, ein Anspruch auf Gewährleistung von Grundfähigkeiten konsequent abgesprochen werden. Man könnte ihnen grundlegende Freiheiten nur aus Gründen einer sozialen Barmherzigkeit „gnädig zugestehen“. Dieser Gefahr muss entschieden entgegengewirkt werden. II. Entindividualisierung Wird dem Zustand der gleichen Grundbefähigung deshalb das Prädikat „gut“ verliehen, weil sich Grundbefähigungsgleichheit positiv auf den gesellschaftlichen Wohlstand auswirkt, die Gesellschaft also – wie A. Smith es formuliert – hierdurch „blühend und glücklich“ wird, dann führt dies nicht nur zu der eben beschriebenen Degradierung bedürftiger Gesellschaftsmitglieder zum ökonoale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 485: „Erkennen wir im Privatrecht nicht mehr das Individuum als Selbstzweck an, verkümmern wir seine Ordnungen zu Mitteln des Gesellschaftszwecks, so hat das Christenthum umsonst den unvergleichlichen und unvergänglichen Werth jedes Menschendaseins offenbart und die Weltgeschichte vergeblich die Ideen der Freiheit und der Gerechtigkeit entwickelt!“; siehe ferner Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S.  95; Sen, in: Lall/Stewart, Theory and Reality in Development, 1986, S.  28, 32; BVerfGE 45, 187, 228 = NJW 1977, S.  1525, 1526: „Der Satz, ‚der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben‘ gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.“; vgl. auch Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  105; Kirchhof, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  3 Abs.  1 Rn.  109: „Die ‚Person‘ beansprucht das ursprüngliche Recht, im Geschehen der Welt und des Rechts Ursache zu sein, nicht als bloßes Objekt fremder Zielsetzung und Funktionsbestimmungen zu dienen.“ 109  Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Akten und Protokolle, Band 2, bearbeitet von Bucher, 1981, S.  580; treffend Auer, ARSP 93 (2007), S.  493, 496: „Jede Form einer die Subjektstellung verletzenden Instrumentalisierung ist ein Verstoß gegen […] die unantastbare Menschenwürde.“ Auch in der bekannten Objektformel von G. Dürig findet sich dieser Gedanke, vgl. Dürig, AöR 81 (1956), S.  117, 127: „Die Menschenwürde als solche ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“

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Drittes Kapitel: Legitimation

mischen Instrument, es wird auch das Prinzip des normativen Individualismus verletzt. Diese Behauptung führt zur Grundlegung des Eingangskapitels zurück. Dort wurde skizziert, dass nach einer wohlfahrtsökonomischen Prämisse das „Gemeinwohl“ ausschließlich mit Blick auf das persönliche Wohlergehen der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft zu bewerten ist.110 Formuliert man die Position des normativen Individualismus allgemeiner, so bedeutet sie, dass sämtliche „normative[n] Entscheidungen nur durch Rückführung auf die betroffenen einzelnen Individuen, nicht dagegen unter Berufung auf überindividuelle Entitäten oder Werte gerechtfertigt werden“111 können. Ein konsequentialistischer Begründungsansatz, der die Folgen für den gesellschaftlichen Wohlstand zum „rechtfertigenden Fixpunkt“112 erhebt, verletzt offensichtlich diese Anforderung, denn der einzelne Mensch und sein Wohlergehen treten hinter die Förderung des kollektiven Wohlstands zurück. Die mangelhafte Berücksichtigung der individuellen Position wird auch nicht durch den ergänzenden Hinweis geheilt, die Zunahme des gesellschaftlichen Wohlstands erhöhe letztlich den Wohlstand jedes Einzelnen („a rising tide lifts all boats“).113 Dass sich der Vorteil des Kollektivs „im Großen und Ganzen“ auch als individuell positiv erweisen kann, ändert nichts daran, dass der heteronom bestimmte gesellschaftliche Wohlstand die letzte Rechtfertigungsinstanz bildet. Denn eine etwaige vorteilhafte Wirkung für das Individuum stellt lediglich ein Nebenprodukt der Erhöhung des gesellschaftlichen Reichtums dar.114 Damit bleiben die Individuen einem „ökonomischen Kalkül“115 unterworfen. 110 

Vgl. §  2 C. Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  14 [Hervorhebung hinzugefügt]; vgl. ferner Vanberg, Anal. und Krit. 8 (1986) S.  113, 114; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S.  20; v. d. Pfordten, JZ 2005, S.  1069; Robeyns, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  93, 107; Bydlinski, in: Kessal-Wulf et al., Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik, 2006, S.  99, 118 (Fn.  51); Voigt, Institutionenökonomik, 2.  Aufl. 2009, S.  215; Steckmann, in: Otto/Ziegler, Capabilities, 2.  Aufl. 2010, S.  90, 91; v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  249 ff.; 258; Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  116. 112 So v. d. Pfordten, Information Philosophie 3 (2014), S.  5. 113  Vgl. dazu etwa v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23, 32 f.; Brodbeck, in: Sedmak, Option für die Armen, 2005, S.  59, 65, konkretisiert diese Position wie folgt: „Armut ist ein Zustand großer Knappheit von Gütern; doch eben dieser Zustand wird durch wirtschaftliches Handeln schrittweise überwunden. Daraus ergibt sich die Diagnose, dass die Armut nur durch Wirtschaftswachstum beseitigt werden kann.“; vgl. auch Cooter/Schäfer, Solomon’s Knot: How Law Can End the Poverty of Nations, 2012, S.  51: „[F]aster growth eventually increases the welfare of every­one, including the poor.“ Noch einen Schritt weiter geht v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  56, wenn er soziale Ungleichheit als Antrieb für wirtschaftlichen Fortschritt bewertet: „Der schnelle wirtschaftliche Fortschritt, an den wir uns gewöhnt haben, scheint in hohem Maß das Ergebnis dieser Ungleichheit und ohne sie unmöglich zu sein.“ Ähnlich auch Rehbinder, in: FS Hirsch, 1968, S.  141, 154: „Ein gewisses Maß von sozialer Ungleichheit muß also als Voraussetzung einer lebendigen und schöpferischen Gesellschaft hingenommen werden.“ 114 Vgl. Brodbeck, in: Sedmak, Option für die Armen, 2005, S.  59. 115 So Huber, AcP 209 (2009), S.  143, 163. 111 

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Im „kollektiven Ordnungsdenken“116 bleibt man auch dann verhaftet, wenn der Zustand gleicher Grundbefähigung als Stabilitätsbedingung einer funktionierenden Wirtschaftsordnung verteidigt wird, da „Hunger, Noth und Verwahrlosung die niederen Bevölkerungsklassen zur Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung treibe und ein staatsgefährliches Proletariat aufkommen lasse“.117 Dass man mit dieser Argumentation der „Entproletarisierung“ nicht nur in die „armenpolizeiliche Tradition“118 des 19. Jahrhunderts zurückfällt, sondern auch die individuenbezogene Betrachtung verlässt, belegt einprägsam der Satz von L. v. Stein, dass „die Hebung der niederen Klasse gewöhnlich eine Notwendigkeit und immer ein Vorteil für das Ganze ist.“119 Damit soll nicht bestritten werden, dass einer allgemeinen Grundbefähigung und dem damit einhergehenden Abbau „sozialer Inhomogenität“120 eine gewisse „Friedenssicherungsfunktion“ in einer privatwirtschaftlich organisierten bürgerlichen Gesellschaft zukommt.121 Es ist nur wichtig zu sehen, dass in diesem Begründungsansatz das Kollektiv den letzten Referenzpunkt der Rechtfertigung bildet, sodass „im Konfliktpunkt […] individuelle Interessen mit Rekurs auf diesen kollektivistischen Bezugspunkt verdrängt werden“122 können. Endlich findet eine Entindividualisierung auch dann statt, wenn die normative Entscheidung unter Bezug auf ein „Selbstzerstörungsargument“ verteidigt wird, dem zufolge „die privatwirtschaftlich organisierte bürgerliche Gesellschaft systematisch ihre eigenen Funktionsbedingungen untergräbt, indem sie durch die von ihr selbst generierte ökonomische Ungleichheit faktisch immer größere Gruppen von Gesellschaftsmitgliedern von der Marktteilhabe aus116  Reichold, in: Breidenbach et al., Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 1993, S.  63, 70. 117  Luthardt, Blätter für administrative Praxis und Polizeigerichtspflege zunächst in Bayern, Band 22, 1872, S.  25. Dieser Gedanke findet sich auch bei Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821 (2017), S.  389 f.; siehe ferner Menger, Das Bürgerliche Recht und die Besitzlosen Volksklassen, 3.  Aufl. 1904, S.  226; Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 131: „[S]ome, though presumably modest, efforts to achieve a more equal distribution of income and wealth may be economically justifiable because such a distribution may reduce the incidence and ­hence costs of crime […].“ Vgl. zudem Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  73: „Ab einem bestimmten Punkt kann die Stabilität der Gesellschaftsordnung verletzt sein, weil diejenigen rebellieren, die im Vergleich zu anderen Gesellschaftsmitgliedern sehr wenig besitzen.“ 118 So Neumann, NVwZ 1995, S.  426, 427; dazu auch Enders, VVDStRL 64 (2005), S.  7, 20: „Die Pflicht der staatlichen Gemeinschaft, ihre Glieder zu erhalten, bestand insofern allein im öffentlichen Interesse.“ [Hervorhebung im Original]. 119  v. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, Band 3, 1850 (1959), S.  39. 120  Prägnant auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  278, der von „sozial explosiven Wohlfahrtsdiskrepanzen“ spricht. 121  Diese Funktion sozialer Menschenrechte und des Sozialstaats im Allgemeinen betont etwa Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  93 f. Zum Stabilisierungsgedanken vgl. bereits Aristoteles, Politik, nach der Übersetzung von Schwarz, 2019, S.  310: „Es muß vielmehr ein echter Demokrat darauf sehen, daß die Volksmenge nicht zu sehr unbemittelt ist. Denn das ist die Ursache dafür, daß die Demokratie verkommt.“ 122  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  260.

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schließt.“123 Auch hier werden die individuellen Interessen nicht ernst genommen, sondern das Augenmerk wird auf das Interesse eines Kollektivs gelenkt, nämlich das der privatwirtschaftlich organisierten bürgerlichen Gesellschaft, die zum Zwecke der Selbsterhaltung bestrebt ist, die Funktionsfähigkeit ihrer Güteraustauschordnung zu schützen.

B. Würde ohne Sold Nach dem eben Gesagten wird einsichtig, dass zur Beantwortung der Frage „Warum gleiche Grundfähigkeiten?“ eine aus dem Zustand der Sockelgleichheit resultierende Folge benannt werden muss, die weder zu einem Rückfall in die Zweck-Mittel-Relation führt noch mit einer Aufgabe der individualistischen Prämisse verbunden ist. Man muss sich also auf die handelnden Subjekte konzentrieren124 und die Frage stellen, warum Grundbefähigungsgleichheit für diese begünstigte Entität gut ist. Die Antwort hierauf wird sichtbar, wenn man überlegt, was es bedeuten würde, enthielte man einzelnen Menschen ein Mindestmaß an grundlegenden Freiheiten vor. Es hieße, nicht allen Individuen die Möglichkeit zu geben, ein würdevolles Leben zu führen.125 Denn der Mensch bezieht seine Würde aus einem äußeren126 Freisein in einem positiven Sinn.127 123  Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.   77. Das wohl bekannteste Selbstzerstörungsargument in der rechtswissenschaftlichen Literatur findet sich bei v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 499: „Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst.“ Auch Eichenhofer, JuS 1996, S.  857, 863, verfolgt im Zusammenhang mit der Rechtfertigung einer sozialpolitischen Inpflichtnahme des Privatrechts diese Argumentationslinie: „Wenn sozialpolitisch in Pflicht genommenes Privatrecht die Grund­ axiome des Privatrechts beschränkt, so trägt es damit mittelbar auch zu deren Schutz bei. Denn insoweit es diese Grundaxiome modifiziert, soweit sie nicht passen, bewahrt es sie vor denunziatorischer Entwertung.“; siehe ferner Serozan, JBl 1983, S.  561, 562. 124 Ebenso Robeyns, J. Hum. Dev. Capab. 17 (2016), S.  397, 408: „Since capabilities are embodied in separate persons, we must treat each person as a holder of a set of capabilities and, ultimately, look at each person separately rather than on some aggregate level or at non-capability collective goals […].“ 125  Zu dieser Verankerung des Befähigungsansatzes in der Idee der Menschenwürde Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  104 ff.; Nussbaum, Fähigkeiten schaffen, 2011 (2015), S.  37 ff. 126  A. A. Goos, Innere Freiheit, 2011, S.  139 ff., der den grundgesetzlichen Würdebegriff auf eine innere Freiheit bezieht; vgl. auch Goos, in: Feinendegen et al., Menschliche Würde und Spiritualität in der Begleitung am Lebensende, 2014, S.  81 f.: „Selbstbestimmung ist weder Synonym noch ‚Kern‘ der grundrechtlich geschützten Menschenwürde, sondern allenfalls einer ihrer Aspekte. Die freie, selbstbestimmte, tätige Entfaltung der Persönlichkeit, der souveräne Selbstentwurf und dessen prinzipiell ungehinderte Realisierung […] sind […] nicht Thema des ersten, sondern des zweiten Grundgesetzartikels, dessen erster Absatz vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne gedeutet wird.“ 127  Zu einer autonomieorientierten Bestimmung des Würdebegriff vgl. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S.  133; Dürig, AöR 81 (1956), S.  117, 131 f.: „Freiheit zur Daseins­

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Allgemeine Grundbefähigung bedeutet somit nichts anderes als „Befähigung zur Humanität“128 . Weil nun allerdings Würde jedem Menschen allein wegen seines Menschseins zusteht,129 findet die Forderung nach gleicher Grundbefähigung letztlich ihre Legitimation im Menschsein selbst.130 Ob das Ideal eines egalitären Freiseins im Sockelbereich zugleich den gesellschaftlichen Wohlstand erhöht, bleibt damit ebenso unbeachtlich wie die Frage, ob dieser Zustand ein friedliches Zusammenleben oder das „Minimalfunktionieren der Güteraustauschordnung“131 bewahrt. Denn der Mensch ist – worauf bereits hingewiesen wurde132 – „über allen Preis erhaben; […] er [ist] nicht bloß als Mittel […], sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, […].“133 Damit hat man zwar für die normative Forderung nach einer allgemeinen Grundbefähigung keine Letztbegründung gefunden. Denn auch aus der faktischen Existenz einer Person als menschliches Wesen lässt sich keine Sollensaussage ableiten.134 Aber man hat zumindest sichtbar gemacht, dass der Zustand der allgemeinen Grundbefähigung ein Mittel zu etwas anderem ist, von dem ohne Beweis zuzugeben ist, dass es gut ist.135

C. Gleichheit ohne Eigenwert Die Forderung nach Gleichheit im Raum der Grundfähigkeiten sieht sich einem gewichtigen Einwand ausgesetzt.136 Dieser lässt sich leicht erkennen, wenn man sich eine Gesellschaft vorstellt, in der alle Menschen krank sind, jung sterben und nicht ihre materiellen Grundbedürfnisse befriedigen können. Obwohl in entfaltung“ [Hervorhebung im Original]; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S.  143: „‚Würde‘ ist Freiheit – aber sie ist mehr als das, sie beinhaltet eine ‚Freiheit zu etwas‘, die allein Wert ist.“; Dreier, in: Dreier, GG, 3.  Aufl. 2013, Art.  1 Abs.  1 Rn.  150; Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  11: „Die Freiheit ist das höchste Gut des Menschen, sie macht seine Würde aus.“ 128  Diese Bezeichnung findet sich bei Winkler, Semantiken der Befähigung, 2016, S.  189. 129  Instruktiv BVerfGE 87, 209, 228 = NJW 1993, S.  1457, 1459 f.: „Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen. Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch ‚unwürdiges‘ Verhalten geht sie nicht verloren.“; treffend Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 4.  Aufl. 2008, S.  39, der die Menschenwürde als eine „anthropologische Prämisse“ bezeichnet. 130 Vgl. Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  391. 131  Bydlinski, AcP 180 (1980), S.  1, 38. 132  Vgl. §  14 A. I. 133  Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  569. 134 Vgl. Schulze, in: Ackermann, Welche Freiheit, 2007, S.  62, 91. 135  Siehe zu diesem Argumentationsansatz Mill, Der Utilitarismus, 1871 (2019), S.  17: „Fragen nach letzten Zwecken sind eines direkten Beweises nicht fähig. Wenn von etwas gezeigt werden kann, dass es gut ist, dann nur dadurch, dass man zeigt, dass es ein Mittel zu etwas anderem ist, von dem ohne Beweis zugegeben wird, dass es gut ist.“ 136  Vgl. dazu auch Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  157.

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Drittes Kapitel: Legitimation

dieser Situation Gleichheit herrscht, kann sie offensichtlich nicht als „gut“ bewertet werden.137 Zur Lösung dieses Problems muss man auf das im ersten Kapitel vorgestellte Sen’sche Armutsverständnis zurückkommen. Danach ist ein Mensch, dem es an grundlegenden Freiheiten mangelt, als arm zu qualifizieren, und zwar unabhängig davon, wie sich seine Fähigkeiten relativ zu den Fähigkeiten der anderen Mitglieder einer Gesellschaft verhalten.138 Im Befähigungsansatz kommt es also entscheidend darauf an, dass alle Menschen über Grundfähigkeiten verfügen. Es geht dagegen nicht darum, dass sie gleichermaßen grundbefähigt sind.139 In anderen Worten: Grundfähigkeiten sind als Freiheiten nicht-relationaler Art zu qualifizieren. Dies ist deshalb richtig, weil grundlegende Freiheiten – wie eben gezeigt wurde140 – ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen, das jedem Menschen gewährt werden muss, unabhängig davon, wie andere gestellt sind.141 Im Lichte dessen wäre es falsch, Grundbefähigungsgleichheit zum Ziel einer gerechten Gesellschaft zu machen, denn es geht nicht um Gleichheit, sondern um die Gewährleistung eines absoluten Standards für jedermann. Es spricht jedoch nichts dagegen, rechtliche Normen zur Herstellung von „sozialer Sockelgleichheit“142 zu instrumentalisieren, wenn man sogleich ergänzt, dass die angestrebte Gleichheit keinen Eigenwert besitzt, sondern lediglich ein willkommenes „Nebenprodukt der Erfüllung des absoluten Gerechtigkeitsstandards für alle“143 darstellt. Gleichheit wäre in diesem Fall also nicht das zentrale und unabgeleitete Gerechtigkeitsziel, das um seiner selbst willen anzustreben wäre, sondern lediglich eine notwendige Konsequenz der Garantie eines menschenwürdigen Sockels für alle. Es wird damit einem „non­ egalitaristischen Humanismus“144 das Wort geredet.

137  Siehe dazu Huh, Der Staat 18 (1979), S.  183, 196; Schweiger, in: Gaisbauer et al., Philo­ sophical Explorations of Justice and Taxation, 2015, S.  33, 37. 138  Vgl. §  5 B. III. 139  Raz, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  50, 53 f. 140  Vgl. §  14 B. 141 Vgl. Krebs, in: Horster, Sozialstaat und Gerechtigkeit, 2005, S.   37; Möhring-Hesse, ZfMR 2 (2008), S.  7, 13. 142  Bezeichnung von Meyer, in: Meyer/Vorholt, Menschenrechte, universelle Grundrechte und Demokratie, 2009, S.  11, 16. 143  Krebs, in: Krebs, Gleichheit oder Gerechtigkeit, 2000, S.  7, 18 [Hervorhebung im Original] m. w. N. zum Nebenprodukteinwand in Fn.  12; Krebs, in: Horster, Sozialstaat und Gerechtigkeit, 2005, S.  37, 41. 144  Möhring-Hesse, ZfMR 2 (2008), S.  7, 14; weiterführend Molina, Die Politische Philosophie von Amartya Sen, 2016, S.  56 ff.

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§  15 Warum einer und nicht alle? Mit diesem Befund ist noch nicht gesagt, wer für die Herstellung des Ideals einer Sockelgleichheit im Raum der Fähigkeiten verantwortlich ist. Soll die Verantwortung allein der Solidargemeinschaft auferlegt werden, so muss man sich bei der Wahl des Verteilungsinstruments auf das Steuer- und Sozialrecht beschränken. Wer demgegenüber auch vertragsrechtliche Normen zur Herstellung von Grundbefähigungsgleichheit instrumentalisiert, macht einzelne Privatrechtssubjekte für die Sicherung grundlegender Freiheiten anderer Gesellschaftsmitglieder mitverantwortlich. Dies hängt damit zusammen, dass die Freiheiten verschiedener Personen im Rechtsgeschäftsverkehr miteinander verstrickt sind. Jede Freiheitserweiterung der einen führt zwangsläufig zu einer Beschränkung des Freiheitsraums der anderen.145 Damit löst der Einsatz des privaten Vertragsrechts als Verteilungsinstrument einen besonderen Rechtfertigungsbedarf aus.146

A. Allokations- und Umverteilungsabteilung Im rechtsökonomischen Ansatz stellt sich dieses Rechtfertigungsproblem indes nicht. Dort beschränkt sich das Legitimationsprogramm auf die durch das Steuer- und Sozialrecht bewirkte kollektive Finanzierungsverantwortung sowie die hiermit verbundene Freiheitsbeschränkung aller Steuerpflichtigen.147 Das liegt darin begründet, dass im ökonomischen Denken das Vertragsrecht allein dem normativen Zweck der Allokationseffizienz dient. Für staatliche Interventionen in den dezentralen Koordinationsmechanismus privater Verhandlungen ist nur dann Raum, wenn sie – wie bereits ausgeführt148 – der Korrektur eines Marktversagens dienen. Distributive Eingriffe in die Vertragsfreiheit zur Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit sind hingegen unerwünscht. 145 Vgl. Schaumann, JZ 1970, S.  48, 53; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S.  10, der aus diesem Grund das Zivilrecht als „die hohe Schule der Gerechtigkeit“ bezeichnet; Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, 1978, S.  4, 246; Westermann, AcP 178 (1978), S.  150, 169; Kronman, Yale Law J. 89 (1980), S.  472, 510; treffend Bungeroth, in: FS Schimansky, 1999, S.  279, 280: „Besonders problematisch sind Eingriffe des Gesetzgebers in zivilrechtliche Rechtsbeziehungen. In diesem Bereich hat der Staat nichts zu verteilen und kann nur umverteilen: Was er dem einen gibt, muß er dem anderen nehmen.“ 146  Zum Erfordernis einer besonderen Legitimation für die Überbürdung distributiv bedingter Lasten auf Privatrechtssubjekte vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  119; treffend auch Pogge, Philos. Top.  30 (2002), S.  167, 208: „In thinking about the just design of such institutional schemes, we must ask not merely whether we approve of the relative gains they bring to the ‚naturally disfavored‘, but also whether we can accept the relative losses they bring to others.“ 147  Vgl. §  10 A. II. 148  Vgl. §  13 A.

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Drittes Kapitel: Legitimation

„Some people passionately advocate government redistribution of income by class, gender, or race for the sake of social justice. A possible way to pursue redistribution is through private law – the law of property, contracts, and torts […]. We reject the redistributive approach to private law.“149

Dieser Aussage von R. D. Cooter und T. Ulen können viele weitere zur Seite gestellt werden. Denn die meisten Rechtsökonomen lehnen eine Umverteilung durch das Vertragsrecht ab.150 Das tun sie nicht deshalb, weil Ökonomen im Allgemeinen oder Rechtsökonomen im Speziellen alle Formen staatlicher Umverteilung schlechthin negativ bewerten. Davon kann nicht die Rede sein.151 Sie verneinen lediglich die Tauglichkeit des Vertragsrechts als Umverteilungs­ instrument. Die rechtsökonomische Debatte dreht sich also nicht um die Frage, ob Umverteilung überhaupt erwünscht ist, sondern darum, wie dieses Ziel wirksam und möglichst „kostengünstig“152 realisiert werden kann.153 Dabei bedeutet Wirksamkeit, dass das eingesetzte Mittel auch tatsächlich eine Umverteilung bewirkt, die verteilungspolitischen Maßnahmen mithin „erfolgreich“154 sind. Gesucht werden darüber hinaus solche Mechanismen, die sicherstellen, dass – um das bekannte Bild von A. M. Okun aufzugreifen – beim Transport des Geldes von den Reichen zu den Armen in einem löchrigen Eimer („leaky149 

Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  7 [Hervorhebung hinzugefügt]. Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 222; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  8; Schmolke, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  131, 160 f. 151 Vgl. Simons, Economic Policy for a Free Society, 1948, S.   5: „To stress commutative justice is not to ignore distributive justice, or the real problem of inequality, but merely to urge that two problems be distinguished in analysis, discussion, and action.“; Kronman, Yale Law J. 89 (1980), S.  472, 473; Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 222; v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  7 f.; Schmolke, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  131, 160; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XIX. Dass es natürlich auch Ökonomen gibt, die einer staatlichen Umverteilung, insbesondere durch progressive Besteuerung, kritisch gegenüberstehen, darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, vgl. etwa v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2, Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, 1976 (1981), S.  98: „Womit wir es im Falle der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ zu tun haben, ist einfach ein quasi-religiöser Aberglaube von der Art, daß wir ihn respektvoll in Frieden lassen sollten, solange er lediglich seine Anhänger glücklich macht, den wir aber bekämpfen müssen, wenn er zum Vorwand wird, gegen andere Menschen Zwang anzuwenden.“; v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  414 ff.; vgl. ferner Friedman, Capitalism and Freedom, 1982, S.  161 ff., 174: „I find it hard, as a liberal, to see any justification for graduated taxation solely to redistribute income.“ Die ökonomische Debatte um die prinzipielle Notwendigkeit einer Umverteilung von Einkommen und Vermögen wird ausführlich nachgezeichnet von Eidenmüller, Effizienz als Rechts­ prinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  276 ff. 152  Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 831: „Income redistribution […] should be pursued by its least costly methods“. 153  Kronman, Yale Law J. 89 (1980), S.  472, 510; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  283. 154 So Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  284 f. 150 So

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bucket experiment“155) möglichst wenig verloren geht.156 Dass die Armen stets weniger erhalten, als den Reichen weggenommen wird, lässt sich nicht vermeiden,157 denn Umverteilung verursacht immer Kosten, etwa durch die Errichtung einer entsprechenden Distributionsadministration oder weil sich das Verhalten auf Zahler- oder Empfängerseite ändert.158 Die Verluste der Umverteilungsmasse sollen aber möglichst niedrig gehalten werden, und diesem Anliegen werde – so lautet die nahezu einhellig vertretene These – nicht Rechnung getragen, wenn verteilungspolitische Umverteilungseffekte mithilfe des Vertragsrechts herbeigeführt würden.159 Die richtige „Umverteilungsabteilung“ stelle vielmehr das Steuer- und Sozialrecht dar.160 Mit Blick auf die eben angesprochene faktische Wirksamkeit der verteilungspolitischen Maßnahmen wird zudem vorgetragen, dass vertragsrechtliche Instrumente überhaupt nicht geeignet seien, die gewünschten Umverteilungseffekte zu erzielen. Denn eine durch zwingendes Vertragsrecht belastete „reiche“ 155 Vgl.

Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 11. Okun, Equality and Efficiency: The Big Tradeoff, 2013, S.  89 f. 157  Bettermann, Freiheit unter dem Gesetz, 1962, S.  36, spricht treffend von „Reibungsverlusten“ der Umverteilung; siehe ferner v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23; Eidenmüller, in: Schulze et al., Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S.  73, 83. 158  Zu den Kosten der Umverteilung vgl. Schmidtchen, in: Horstmann et al., Gerechtigkeit – eine Illusion?, 2004, S.  43, 68; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S.  650 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  286 ff. 159 Selbst Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  8 , die dem Privatrecht ein „Mandat zur (Mit-)Herstellung sozialer Gerechtigkeit“ aufgeben, konstatieren: „Das Recht der Schuldverhältnisse ist kaum der geeignete Ort zur relevanten Umverteilung des Volkvermögens.“ 160  Tobin, J. Law Econ. 13 (1970), S.   263, 264, 276; Shavell, Am. Econ. Rev. 71 (1981), S.  414 ff.; Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 104 f.; Zöllner, JuS 1988, S.  329, 336: „Demgegenüber ist der moderne Sozialstaat gut beraten, soziale Leistungen nicht in erster Linie im Wege einer Korrektur der durch Marktwirtschaft und Privatrecht bewirkten Primärverteilung der Güter zu suchen, sondern im Wege sekundärer Umverteilung mittels Transferleistungen aus öffentlichen Kassen.“; Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 222; Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  360; Kaplow/Shavell, J. Leg. Stud. 23 (1994), S.  667 ff.; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S.  647, 654 ff.; Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, 2006, S.  33 f.; Eidenmüller et al., JZ 2008, S.  529, 535: „Jedenfalls lässt sich zeigen, dass Umverteilungseffekte effizienter – also mit geringeren Wohlfahrtsverlusten – mittels Steuern und Transferzahlungen als mit privatrechtlichen Normen zu erzielen sind.“; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  7 f., 92 f.; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 5.  Aufl. 2018, S.  161; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  20, 543. Einen differenzierten Ansatz vertreten Calabresi, Yale Law J. 100 (1991), S.  1211, 1224 (Fn.  36): „[I]t is far from obvious that, as a general matter, tax and welfare programs are more efficient than a mixture of these and of other rules of law.“ [Hervorhebung im Original]; E. A. Posner, J. Leg. Stud. 24 (1995), S.  283, 296; Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.   279 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.   Aufl. 2015, S.  286 ff., 293: „Zumindest ist es nicht richtig, daß das Steuer- und Sozialrecht immer der insoweit kostengünstigere Mechanismus ist.“ [Hervorhebung im Original]; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  246 f. 156 

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Drittes Kapitel: Legitimation

Vertragspartei werde ihre Kosten auf die „arme“ Gegenpartei abwälzen.161 In anderen Worten: Die beabsichtigte Umverteilung wird durch den Preismechanismus kompensiert. Diesen Effekt hat R. A. Posner mit folgendem Beispiel illustriert: „A rule that makes it easy for poor tenants to break leases with rich landlords, for example, will induce landlords to raise rents in order to offset the costs that such a rule im­ poses, and tenants will bear the brunt of these higher costs. Indeed, the principal redistribution accomplished by such a rule may be from the prudent, responsible tenant, who may derive little or no benefit from having additional legal rights to use against landlords – rights that enable a tenant to avoid or postpone eviction for nonpayment of rental – to the feckless tenant. That is a capricious redistribution. Legislatures, however, have by virtue of their taxing and spending powers powerful tools for redistributing wealth.“162

Schließlich wird ins Feld geführt, dass zivilrechtliche Normen im Allgemeinen nicht an die finanzielle Ausstattung der Rechtsunterworfenen anknüpfen, sodass bereits aus diesem Grund eine systematische Umverteilung nicht gelingen könne.163 Sämtliche dieser in der rechtsökonomischen Literatur zu findenden Argumente sollen hier nicht weiter diskutiert werden. Sie wurden an anderer Stelle ausführlich erörtert.164 Der für diese Schrift entscheidende Punkt ist ein anderer.

B. Bedeutung des Verteilungsgegenstandes Das eben zitierte Beispiel R. A. Posners wurde an dieser Stelle deshalb gewählt, weil es anschaulich zeigt, um welchen Verteilungsgegenstand die ökonomische 161 Vgl. Posner, Hofstra Law Rev. 8 (1980), S.  487, 500; Kennedy, Md. L. Rev. 41 (1982), S.  563, 625; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S.  193; Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 834; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 14; Craswell, Stanf. Law Rev. 43 (1991), S.  361, 365; Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  359 f.; Eidenmüller, in: Pies/Leschke, John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S.  123, 127; Eichenhofer, JuS 1996, S.  857, 864; Oestmann, KritV 2003, S.  96, 114 f.; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S.  653 f.; Kaplow/ Shavell, Fairness versus Welfare, 2006, S.  156; Hermalin et al., in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S.  3, 46; Wagner, ZEuP 2007, S.  180, 208 ff.; Eidenmüller, in: Schulze et al., Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S.  73, 84; Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S.  13, 81; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6.  Aufl. 2014, S.  8; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S.  1102. 162  Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  359 f. [Hervorhebung hinzugefügt]. 163  Zu diesem Argument vgl. etwa Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 222; Eidenmüller, in: Pies/ Leschke, John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S.  123, 127; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S.  653; Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, 2006, S.  33 f.; Eidenmüller, in: Schulze et al., Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S.  73, 85; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 5.  Aufl. 2018, S.  162 f. 164  Grundlegend hierzu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  283 ff.

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Umverteilungsdebatte kreist. Was es zu verteilen gilt, sind materielle Ressourcen.165 Demgegenüber wird im Befähigungsansatz weder „Reichsein“ noch „Armsein“ auf eine monetäre, durch Märkte vermittelte Größe reduziert, sodass sich auch Umverteilung nicht auf einen Gütertransfer beschränkt. Die distributive Aufgabe zielt auf die Entwicklung von Fähigkeiten, d. h. die positiven Freiheiten eines Menschen, die er benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen.166 Im hier interessierenden Raum der Grundfähigkeiten geht es damit nicht um eine Angleichung der Einkommens- und Vermögenssituation der Gesellschaftsmitglieder, sondern um das Ideal einer nicht-monetären Gleichheitsdimension. Nun ist natürlich klar, dass jede Änderung des maßgeblichen Verteilungsgegenstandes Konsequenzen für die Funktion des Vertragsrechts im Umverteilungsprozess hat.167 Wenn Umverteilung auf die Herstellung von Grundbefähigungsgleichheit zielt und damit nicht monetaristisch verkürzt wird, dann können Umverteilungseffekte nicht allein durch eine kluge Ausgestaltung öffentlich-rechtlicher Transfersysteme erzielt werden. Denn aus einer mittels Steuer- und Sozialrecht bewirkten Umverteilung von materiellen Ressourcen resultieren noch keine menschlichen Freiheiten. Ein Mindestmaß an finanziellen Mitteln ist für ein freiheitliches Leben in einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung zwar notwendig, aber eben nicht ausreichend.168 Es kommt, und das führt zur Bedeutung der im ersten Kapitel dargestellten Umwandlungsfaktoren zurück,169 ebenso darauf an, dass die nicht-monetären Bedingungen persönlicher und gesellschaftlicher Art einer Umwandlung der Güter in wirkliche Freiheiten nicht entgegenstehen. Diese Verschränkung von materiellen Ressourcen und Umwandlungsfaktoren ist ausschlaggebend dafür, dass Umverteilung ohne flankierende Unterstützung des Vertragsrechts nicht gelingen kann. Dahinter steht die Einsicht, dass Freiheiten auch im Güter- und Leistungsaustausch und mittels Verträgen auf dem Markt realisiert werden.170 Und 165  Deutlich etwa v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23, 33: „Umverteilung ist gemäß dem Prinzip der egalitären Präferenz nur sinnvoll als Umverteilung von Reich zu Arm, d. h. von Personen mit hohem Wohlstand zu Personen mit niedrigerem Wohlstand.“; v. Weizsäcker, ZfW 3 (1998), S.  257, 260, insbesondere S.  261: „Verteilungsgerechtigkeit, iustitia distributiva ist also gerechte Verteilung von Einkommen.“; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 5.  Aufl. 2018, S.  7: „[T]he term equity will refer to the distribution of income among individuals.“ [Hervorhebung im Original]. 166  Vgl. §  13 B. 167  Vgl. hierzu bereits §  10 C. I. 168  Vgl. §  10 C. II. 169  Vgl. §  4 C. 170  Raiser, JZ 1958, S.  1, 3; vgl. auch Laufke, in: FS Lehmann, 1956, S.  145, 162: „Er [der Vertrag – Anmerkung hinzugefügt] ist das juristische Mittel zur […] Nutzbarmachung der eigenen Fähigkeiten […].“; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  165, der darauf hinweist, dass dem rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse des Einzelnen eine zentrale Rolle zu-

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weil Marktbeziehungen „verrechtlichte Beziehungen“171 sind, bliebe Grundbefähigung eine leere Phrase, wenn staatliche Umverteilungsmaßnahmen das Problem ignorierten, dass wirtschaftlich bedürftige Personen aufgrund der bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen nicht immer in der Lage sind, ihre knappen Güter in grundlegende Freiheiten zu konvertieren, weil sie vom Gestaltungsinstrument des Vertrags keinen Gebrauch machen können. Eine auf Freiheiten ausgerichtete Redistributionspolitik muss diese „soziale Bedingtheit“172 des realen Freiheitsgebrauchs berücksichtigen und versuchen, die freiheitsbeschränkenden Rahmenbedingungen nicht-monetärer Art mittels vertragsrechtlicher Normen so zu modellieren, dass auch wirtschaftlich leistungsschwache Personen ihre wirklichen Freiheiten mithilfe privatrechtlicher Verträge realisieren können.173 Die Palette der hierfür zur Verfügung stehenden Regelungsinstrumente ist breit. Das sollten die Ausführungen zu den gesellschaftsbezogenen Instrumenten in §  10 C. gezeigt haben. Aus dem dort Dargelegten geht ferner hervor, dass sich ein Abbau der freiheitsbeschränkenden Bedingungen nicht ohne einen Eingriff in die Vertragsfreiheit bewerkstelligen lässt.174 Das bedeutet: Zur Ermöglichung und Sicherung wirklicher Freiheiten grundlegender Art sollte der Gesetzgeber nicht nur, sondern muss er Solidarität unter Fremden einfordern, die sich in einer Einschränkung der Vertragsfreiheit manifestiert.175 Diese privatrechtliche Solidarität tritt neben176 eine auf finanziellen Transfer zielende kollekkommt; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art.  19 Abs.  2 Grundgesetz, 3.  Aufl. 1983, S.  13: „Er [der Grundrechtsberechtigte – Anmerkung hinzugefügt] bedarf […] zur Sicherung seiner Existenz der Möglichkeit, Verträge abschließen zu können […].“; Mattei, Eur. Law J. 10 (2004), S.  653, 664; Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141, 152; Tjon Soei Len, in: Weidtmann et al., The Capability Approach on Social Order, 2010, S.  132, 143; Tjon Soei Len, Minimum Contract Justice, 2017, S.  46: „[T]he ability to engage in market exchange is of crucial importance to human lives, that is, important for the central capabilities that may figure on a list such as the one articulated by Nussbaum.“ 171  Doering, in: Ackermann, Welche Freiheit, 2007, S.  156, 161. 172  Suhr, EuGRZ 1984, S.  529, 537. 173  Im Ergebnis wie hier Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  167: „Wenn aber die gerechte Teilhabe des Einzelnen am Ganzen als Anliegen der Wirtschaftsgemeinschaft erscheint, so muß auch das Vertragsrecht als Teil der Wirtschaftsverfassung diesem Streben nach Teilhabe Beachtung schenken und dadurch die Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben und seinen Werten eröffnen.“ 174  A. A. v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.  284; Eichenhofer, JuS 1996, S.  857, 864. 175  A. A. Eidenmüller et al., JZ 2008, S.  529, 535 „[D]er geeignetere Platz zur Verwirklichung von Solidarität, sozialer Verantwortung oder Nicht-Diskriminierung [dürfte] eher im öffentlichen Recht als im Privatrecht liegen.“ 176  Das Zivilrecht kann daher auch nicht von seiner sozialpolitischen Aufgabe umso eher entlastet werden, je leistungsfähiger das Sozialrecht ist; a. A. Schäfer, in: Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S.  1, 14; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  20. Das wäre nur dann anders, wenn der Sozialstaat eine eigentliche Staatsversorgung mit staatlichen Versorgungsanstalten für bedürftige Men-

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tive Solidarität, die durch das öffentliche Recht eingefordert wird. Sie ist – um es mit den Worten von C.-W. Canaris zu sagen – sozusagen der „Preis für die privatrechtliche Verfaßtheit der Wirtschaftsordnung und den damit verbundenen weitgehenden Verzicht auf eine Staats- und Planwirtschaft.“177 Zugunsten welcher Freiheiten sich diese privatrechtliche Fremdverantwortung entfalten sollte, ist damit freilich noch nicht gesagt. Diese Frage betrifft letztlich die gerechte Auswahl derjenigen Grundfähigkeiten, denen Priorität vor der Vertragsfreiheit einzuräumen ist. Sie wird in einem nächsten Schritt beantwortet werden.

C. Abgrenzung der Freiheitssphären Wenn eine Umverteilung von wirklichen Freiheiten nur mit flankierender Unterstützung des Vertragsrechts gelingt, dann kommt es zwangsläufig zur Kollision der Freiheitsinteressen verschiedener Privatrechtssubjekte und man muss – kantianisch formuliert – bestimmen, wie die Freiheit des einen mit der Freiheit des andern „nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden“178 kann. Die zentrale Frage lautet daher: Wie sind die wirklichen Freiheiten grundlegender Art des einen mit der Vertragsfreiheit des anderen Privatrechtsakteurs aufeinander abzustimmen, wenn die verschiedenen Freiheitsarten kollidieren? Der Befähigungsansatz gibt für dieses Problem der Freiheitskollision keine konkrete Lösung vor.179 Das überrascht nicht, denn die Beziehung der Menschen untereinander bildet nicht den Gegenstand dieses freiheitlich individualistischen Denkmodells. Es liefert vielmehr eine normative Orientierung für das gute und gelingende Leben der individuellen Person.180 Im Mittelpunkt der schen bereithalten würde, was nicht der Fall ist, vgl. Ryffel, Der Staat 9 (1970), S.  1, 15; Enders, VVDStRL 64 (2005), S.  7, 12. 177  Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  120. 178  Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  337: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“; vgl. auch BVerfGE 148, 267, 280 = NJW 2018, S.  1667, 1668; Bydlinski, in: Kessal-Wulf et al., Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik, 2006, S.  99, 118; Isensee, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S.  239, 252; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967 (2016), S.  352: „Ermöglichung der größten Freiheit, die mit der Freiheit der Rechtsgenossen zusammenbestehen kann“; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  43. 179  Kritisch daher Nussbaum, Fem. Econ. 9 (2003), S.  33, 44: „Some freedoms limit others […] Sen […] says nothing to limit the account of freedom or to rule out conflicts of this type.“ 180  Demgegenüber hat das Recht im Allgemeinen nicht das einzelne Individuum, sondern die Beziehung zwischen den Menschen zum Gegenstand. Zu diesem Merkmal des Rechtsbegriffs vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2.  Aufl. 1798 (2017), S.  337: „Der Begriff des Rechts […] betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Ein-

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Betrachtung steht also das Individualwohl des jeweils handelnden Subjekts181 und nicht die Frage, wie sich dieses verhalten muss, um das Wohlergehen anderer Menschen nicht zu beeinträchtigen.182 Diese Ausrichtung auf das individuelle Wohlergehen konfligiert weder mit der gleichzeitigen Anerkennung, dass der Mensch faktisch kein isoliertes Individuum ist,183 sondern notwendig in sozialen Bezügen existiert184 noch mit dem Umstand, dass die sozialen Gegebenheiten das individuelle Wohlergehen tatsächlich beeinflussen. Dass das Letztgenannte auch im Befähigungsdenken nicht ausgeblendet wird, sondern von zentraler Wichtigkeit ist, sollten die Ausführungen zu den sozialen Umwandlungsfaktoren im ersten Kapitel gezeigt haben.185 Man kann damit sagen: Der Befähigungsansatz konzentriert sich zwar auf den Einzelnen, nicht aber auf den vereinzelten Menschen.186 Wenn der Befähigungsansatz auf das Individualwohl des jeweils handelnden Subjekts ausgerichtet ist, so darf dies allerdings auch nicht als ein „Egoismus“ in dem Sinn verstanden werden, dass es ihm um eine unbeschränkte oder grenzenlose Ausweitung der individuellen Freiheitsräume geht. Dass auch die Freiheiten anderer Menschen zu berücksichtigen sind, wird vor allem an der von A. Sen gegebenen Definition des individuellen Vorteils deutlich: fluß haben können.“ [Hervorhebung hinzugefügt]; Raiser, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  101, 104 f.; Zippelius, Rechtsphilosophie, 6.   Aufl. 2011, S.   3: „Recht ist eine Ordnung menschlichen Handelns, die das Zusammenleben regelt“. Weiterführend zur Bedeutung des praktischen, über Handlungen vermittelten Wechselverhältnisses der Menschen im Kant’schen Rechtsbegriff Willaschek, in: Gerhardt, Kant im Streit der Fakultäten, 2005, S.  188, 191. 181 Vgl. Gore, J. Int. Dev. 9 (1997), S.  235, 242: „[T]he goodness or badness of social arrangements or states of affairs is evaluated on the basis of what is good or bad for individual well-being and freedom and is also reduced to the good of those individuals.“ [Hervorhebung im Original]; Evans, Stud. Comp. Int. Dev. 37 (2002), S.  54, 56; Robeyns, in: Comim et al., The Capability Approach, 2008, S.  82, 90; Robeyns, Hum. Dev. Capab. 17 (2016), S.  397, 408: „[T]he ultimate concern is the advantage of each and every affected individual. The effects on other entities are only relevant insofar as, and to the extent that, they affect the interests of individuals.“ 182 Kritisch zu A. Sens Ausrichtung auf den autonomen Einzelmenschen Evans, Stud. Comp. Int. Dev. 37 (2002), S.  54, 56: „Gaining the freedom to do the things that we have reason to value is rarely something we can accomplish as individuals.“ Ähnlich Deneulin, in: Comim et al., The Capability Approach, 2008, S.  105, 122: „If development is about enhancing the quality of life of human beings, then it cannot ignore that such a human life is a life whose sustenance and meaning can come only through others […].“ [Hervorhebung im Original]; Deneulin/McGregor, Eur. J. Soc. Theory 13 (2010), S.  501: „In this light, the telos of ‚living well‘ which is at the heart of Sen’s version of the capability approach is inadequate and must be modified to a telos of ‚living well together‘ which includes consideration of the social structures and institutions which enable people to pursue individual freedoms in relation to others.“ Kritisch auch Fudge, Comp. Labor Law Policy J. 29 (2007), S.  29, 62; Fudge, in: Davidov/ Langille, The Idea of Labour Law, 2011, S.  120, 133. 183  Vgl. nur Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  6 . 184  Vgl. BVerfGE 125, 175, 223 = NJW 2010, S.  505, 508: „[D]enn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen.“ 185  Vgl. §  4 C. II. 186  Zu dieser Unterscheidung vgl. Höffe, Kritik der Freiheit, 2015, S.  231.

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„In diesem Ansatz wird der individuelle Vorteil gemessen an der Befähigung einer Person, die Dinge zu tun, die sie mit gutem Grund hochschätzt.“187

Grundsätzlich geht es nach A. Sen also um die Freiheiten einer Person, die sie benötigt, um die Dinge zu tun, die sie nach ihrer eigenen Vorstellung vom guten Leben hoch bewertet. Diese Bewertung muss jedoch – so schränkt A. Sen ein – auf „guten Gründen“ beruhen. Das bedeutet: Jeder muss die Freiheit aller anderen als begrenzenden Faktor der eigenen Beliebigkeit in der Lebensplanung mitdenken.188 Denn anderenfalls wirkt sich aus, was K. R. Popper das „Paradoxon der Freiheit“ genannt hat. Freiheit hebt sich selbst auf, wenn sie völlig uneingeschränkt ist.189 Ohne Rücksichtnahme auf die Freiheiten des jeweils anderen kann der Mensch als soziales Wesen kein gutes und gelingendes Leben in Freiheit führen.190 Genau dieses freiheitliche Leben ist jedoch das oberste Ziel des Befähigungsansatzes. I. Vorrang von Grundfähigkeiten Dass im Befähigungsansatz das Problem konfligierender Freiheiten keine systematische Berücksichtigung findet, ist für die vorliegende Schrift unproble­ matisch, weil man sich in einem armutsbezogenen Kontext auf die Feststellung zurückziehen kann, dass grundlegende Freiheiten stets Vorrang vor der Vertragsfreiheit eines anderen Privatrechtsakteurs genießen. Hinter dieser Priorisierung steht der Umstand, dass die Freiheitskategorie der Grundfähigkeiten die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein definiert. Die Grundfähigkeiten stellen damit einen absoluten Kern dar, der jedem Menschen zur Verfügung stehen muss. Dieser Absolutheitsanspruch entzieht die Grundfähigkeiten von vornherein einer Abwägung.191 Demnach müssen in diesem Sockelbereich der Freiheiten die privatrechtlichen Grundaxiome, namentlich die Vertragsfreiheit sowie die formale Gleichheit aller Teilnehmer am Rechtsverkehr, zurückgedrängt werden. Mit den Worten F. Wieackers lässt sich diese Position in der Weise zusammenfassen, 187  Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  259 [Hervorhebung hinzugefügt]. Siehe auch Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S. XI. 188  So auch Neuhäuser, Amartya Sen zur Einführung, 2013, S.  61: „Es geht nach Sen […] um die Entwicklung der Freiheit, die je eigene Vorstellung vom guten Lebens tatsächlich realisieren zu können […]. Dies gilt allerdings nur, insofern diese Vorstellungen auch vernünftig sind, so schränkt Sen ein. Damit meint er vor allem und im klassischen liberalen Sinne, dass diese Vorstellungen eines Menschen die Freiheiten anderer Menschen genauso berücksichtigen müssen wie die eigenen.“ 189  Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 1, 1945 (1992), S.  147 f. 190 Ähnlich Bettermann, Freiheit unter dem Gesetz, 1962, S.  7: „Freiheit für alle ist […] nur zu verwirklichen, wenn jeder ein Stück seiner Freiheit opfert.“; Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, 1997, S.  9: „Unbeschränkte Freiheit führt in gedanklicher und häufig auch praktischer Konsequenz […] zur Abschaffung der Freiheit.“ 191  Vgl. §  5 B. III. und §  9 A. II. 2.

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Drittes Kapitel: Legitimation

„daß […] jeder einzelne das menschenwürdige Dasein eines jeden anderen zu verbürgen und sich zu diesem Ende Einschränkungen zu unterziehen [hat].“192

Mit der Prämisse eines abstrakten Vorrangs der Grundfähigkeiten und dem damit einhergehenden Abschied „vom sozialverantwortungsfreien Subjekt der Verträge“193 ist aber noch ungeklärt, wie weit das Verantwortungsspektrum jedes einzelnen Privatrechtsakteurs reicht und wann genau er auf seine Vertragsfreiheit verzichten muss, damit das Ideal der Grundbefähigungsgleichheit gefördert wird. Die Antworten auf beide Fragen hängen wesentlich vom Verständnis des unbestimmten Begriffs der Grundfähigkeiten ab. Wird dieser nicht expliziert, bleibt jede Abgrenzung der Freiheitssphären rudimentär. Die Lösung des Freiheitskonflikts führt somit zwangsläufig zu der Frage, wie die Auswahl derjenigen Freiheiten begründet werden kann, die das Fundament für ein Leben in Würde bilden und damit stets Vorrang vor der Vertragsfreiheit genießen. II. Fixierung konkreter Grundfähigkeiten Damit wird an dieser Stelle das Legitimationsproblem aus dem ersten Kapitel virulent, dessen Lösung zunächst zurückgestellt wurde. Dort wurde zum Zweck des Fortgangs der Untersuchung schlicht behauptet, dass ein Mensch nur dann in der Lage ist, ein würdevolles Leben zu führen, wenn er über die Freiheit verfügt, seine elementaren Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Hilfe bei Krankheit sowie seinen Wunsch nach Teilhabe am sozialen Leben zu befriedigen.194 Die Frage ist nun, wie diese oder jede andere Auswahl an konkreten Grundfähigkeiten begründet werden kann. Man ist versucht, insoweit sogleich auf die oben erwähnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art.   1 Abs.   1 i. V. m. Art.   20 Abs.   1 GG) zu verweisen.195 Schließlich lässt sich dieser Judikatur entnehmen, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen sowie ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst. Begründet man seine Position allerdings verfassungsrechtlich, dann argumentiert man nicht mehr normativ-ethisch, sondern rechtlich. Damit verlässt man die in diesem Kapitel gewählte außerrechtliche Perspektive. Um dies zu verhindern, muss die Frage daher richtigerweise lauten: Welche normative Orientierung liefert der 192  Wieacker, Das bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, 1960 (1974), S.  36, 44 [Hervorhebung hinzugefügt]; kritisch Nettesheim, AöR 130 (2005), S.  71, 102: „Die Substanz des freiheitlichen Verfassungsstaates wird bedroht, wenn die staatsethischen Gehalte des Art.  1 Abs.  1 GG über die Schutzpflichtdoktrin Privaten auferlegt werden.“ 193  Derleder, in: FS Wassermann, 1985, S.  6 43, 656. 194  Vgl. §  5 B. II. 195  Vgl. §  10 A. II.

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Befähigungsansatz für die Auswahl konkreter Grundfähigkeiten, welche die Vertragsfreiheit zurücktreten lassen? Befragte man hierzu eine der bedeutendsten Vertreterinnen des Befähigungsansatzes, nämlich die US-amerikanische Philosophin M. C. Nussbaum, so würde sie auf ihre Liste mit zehn „central human capabilities“ hinweisen, die sie als universell gültige Grundwerte für ein menschenwürdiges Leben ausgemacht hat.196 In der Literatur sind weitere Listen zu finden, die den offenen Befähigungsansatz mit Leben füllen sollen.197 A. Sen selbst erkennt zwar den heuristischen Wert derartiger Versuche an und gesteht ein, dass es im Zusammenhang mit bestimmten Erkenntniszielen erforderlich ist, eine Auswahl an Fähigkeiten zu treffen.198 Ganz im Sinne der programmatischen Offenheit des Befähigungsansatzes lehnt er jedoch eine Fixierung konkreter Grundfähigkeiten mit intersubjektiv zwingendem Inhalt konsequent ab.199 Diesem Vorgehen ist zuzustimmen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen bleiben bei einer wissenschaftlichen Listenkonstruktion die wichtigsten Ansichten unberücksichtigt, nämlich die der von Armut tatsächlich betroffenen Menschen,200 obwohl nur sie wissen können, was es heißt, ein unwürdiges Leben führen zu müssen.201 Zum anderen wird mit jedem Kanon an Grundfähigkeiten lediglich dasjenige festgelegt, was nach Ansicht des Autors der Liste eine menschenwürdige, autonome Lebensführung ausmacht,202 und zwar bezogen auf den Zeitpunkt der 196  Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  112 ff.; Nussbaum, Fähigkeiten schaffen, 2011 (2015), S.  41 f.; Nussbaum, Gerechtigkeit oder Das gute Leben, 11.  Aufl. 2020, S.  57 f. 197 Dazu Alkire, Valuing Freedoms, 2002, S.  25 ff.; Meißner, Kooperative Bildungsverantwortung als Weg aus der Armut, 2017, S.  38 ff. 198  Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.   30, 40; Sen, Inequality Reex­ amined, 1992 (1995), S.  4 4; Sen, Fem. Econ. 10 (2004), S.  77, 79. 199  Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, 1993, S.  30, 47; Sen, Fem. Econ. 10 (2004), S.  77; Sen, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  151, 157. A. Sens Unterlassen, eine explizite Liste vorzulegen, ist auf Kritik gestoßen, vgl. etwa Nussbaum, in: Annas/Grimm, Oxford Studies in Ancient Philosophy, 1988, S.  145, 176: „It seems to me, then, that Sen needs to be more radical than he has been so far in his criticism of the utilitarian accounts of well-being, by introducing an objective normative account of human functioning and by describing a procedure of objective evaluation by which functionings can be assessed for their contribution to the good human life.“; Sugden, J. Econ. Lit. 31 (1993), S.  1947, 1953; Roemer, Theories of Distributive Justice, 1996, S.  191 f.; Gasper, Rev. Political Econ. 14 (2002), S.  435, 453; Nussbaum, Fähigkeiten schaffen, 2011 (2015), S.  36. 200  Vgl. auch Arndt/Volkert, J. Hum. Dev. Capab. 12 (2011), S.  311, 326: „We argue that not experts, but the (poor) population and their values should (also) determine what is valuable for them.“ 201  Auf das Problem, dass Wissenschaftler in der Armutsforschung oftmals keine ausreichenden Kenntnisse über die wahre Lebenssituation armer Menschen haben, weisen etwa hin Chambers, Poverty Research, 2007, S.  33; Schweiger/Graf, A Philosophical Examination of Social Justice and Child Poverty, 2015, S.  2 f. 202  Treffend formuliert diesen Einwand mit Blick auf die von M. C. Nussbaum vorgelegte Liste Okin, Philos. Public Aff. 31 (2003), S.  280, 296: „As for the more sophisticated, even fanciful, items on her list, they seem to draw more from the life of a highly educated, artisti-

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Listenerstellung. Die Mitglieder einer Gesellschaft können dieser vorgegebenen „wahren“ Definition eines würdevollen Daseins lediglich zustimmen oder sie ablehnen, jedoch nicht ihre eigenen Wertvorstellungen einbringen. Ihnen kommt weder eine Inhalts- noch eine Änderungsfreiheit zu und dementsprechend auch keine individuelle Selbstbestimmung.203 Selbst wenn sich die Definition inhaltlich als Ausfluss der in einer pluralistischen Gesellschaft herausgebildeten herrschenden Meinung darstellen sollte, bleibt es – in Anlehnung an E.-W. Böckenförde – der „Struktur nach eine totalitäre Argumentation; konsequent verfolgt legitimiert sie die volle Nichtachtung der subjektiven Freiheit und der menschlichen Person.“204 Auf eine kurze Formel gebracht, kann man sagen: Jede Statuierung materieller, inhaltlicher Grundfähigkeiten durch die Wissenschaft missachtet das Prinzip des normativen Individualismus, denn die Gesellschaftsmitglieder können nicht selbst entscheiden, welche Freiheiten ein menschenwürdiges Leben konstituieren. Der Umstand, dass sich eine heteronom vorgegebene Liste auf die Formulierung eines unabdingbaren Freiheitsraums beschränkt, sodass es jedem selbst überlassen bleibt, ob er die gewährten Freiheiten nutzt oder verspielt, ändert an diesem Befund nichts. Denn mit jeder inhaltlichen Konkretisierung der Grundfähigkeiten ist die Gefahr verbunden, dass Freiheiten, die nicht in diese bevorrechtigte Kategorie eingeordnet werden, zum Erhalt der als besonders wertvoll qualifizierten Grundfähigkeiten eingeschränkt werden, und zwar auch dann, wenn der Einzelne über die Letzteren gar nicht (mehr) verfügen will. Auf diese paternalistische Implikation wurde bereits oben hingewiesen.205 Will man über die Pluralität verschiedener Wertvorstellungen sowie die kulturelle Inhomogenität unserer Gesellschaft nicht hinweggehen, darf der materiale Gehalt einer Liste grundlegender Freiheiten nicht einfach durch einzelne Wissenschaftler206 universal verbindlich vorgeben werden.207 Man muss vielcally inclined, self-consciously and voluntarily religious Western woman than from the lives of the women to whom she spoke in India.“ 203  Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  47. 204  Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 7.  Aufl. 2019, S.  47; ähnlich Pawlowski, in: FS Küchenhoff, 1972, S.  139, 157: „Die Durchsetzung einer bestimmten rechtlichen (d. h. als ‚richtig‘, ‚gerecht‘ behaupteten) Ordnung führt […] immer nur zur Herrschaft derjenigen, die diesen Inhalt für ‚richtig‘ (gerecht) halten“ [Hervorhebung im Original]; Rieth, ARSP 67 (1981), S.  369, 375 („Ruch des Totalitarismus“). 205  Vgl. §  9 A. II. 2. 206 Treffend daher die Enquete-Kommission, Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft, Schlussbericht, BT-Drs. 17/13300, S.  235: „Mit einer liberalen und pluralistischen Gesellschaft wäre eine allgemeinverbindliche Festlegung jener Faktoren, die zum Wohlstand und zur Lebensqualität aller gehören, unvereinbar.“ 207 Eindringlich insoweit Kersting, in: Lessenich, Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe, 2003, S.  105, 106: „In einer Gesellschaft von Individuen ist jeder Versuch, den gesellschaftlich-politischen Konsensbedarf auf inhaltlich-substantielle Wertüberzeugungen zu stützen, zum Scheitern verurteilt.“

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mehr einen Ansatz wählen, der sich wesentlich auf das Auswahlverfahren stützt, um die Bestimmung derjenigen Freiheiten zu rechtfertigen, welche die Vertragsfreiheit zurücktreten lassen. Nur wenn die letzte Konkretisierung dieser Freiheiten nicht durch eine akademische Definition, sondern im Rahmen eines näher zu bestimmenden Prozesses erfolgt,208 in den sich sämtliche Gesellschaftsmitglieder einbringen können, wird sowohl dem Freiheitsethos einer pluralistischen Sozietät als auch dem normativen Individualismus Rechnung getragen.209 Ist dieses Verfahren zugleich für Wiederholungen offen, gelingt eine „Dynamisierung“210 der Auswahl grundlegender Fähigkeiten, sodass der stetige Wandel der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse widergespiegelt werden kann. III. Prozeduraler Ansatz Es ist kein Zufall (aber auch keine logische Notwendigkeit), dass sich der Befähigungsansatz – der auch als eine systematisch erweiterte Artikulation der Gerechtigkeitstheorie von J. Rawls verstanden wird 211 – an dieser Stelle mit der demokratischen Idee verbindet. Denn in J. Rawls’ politischer Philosophie nimmt der Gedanke des „öffentlichen Vernunftgebrauchs“212 in einer demokratischen Gesellschaft ebenso wie in den Schriften A. Sens eine zentrale Rolle ein.213 Mit einem prozeduralen, auf demokratischer Partizipation aufbauenden Ansatz wird die letzte Entscheidung über die Auswahl konkreter Grundfähigkeiten auf die politische Gemeinschaft übertragen, die ihrerseits durch politische Organe vertreten wird.214 Und weil sämtliche Entscheidungen derjenigen Organe, welche die politische Gemeinschaft repräsentieren, in einem demokra208 So

Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  47. So die Formulierung von Canaris, AcP 200 (2000), S.  273, 287, mit Blick auf die Materialisierung der Vertragsgerechtigkeit. 210 Zur Flexibilisierung und Dynamisierung im Sen’schen Ansatz durch eine „radikale Prozeduralität“ vgl. Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  328 ff. 211 Vgl. Sen, in: McMurrin, The Tanner Lectures on Human Values, Vol. 1, 1980, S.  195, 219; Sen, Oxf. Econ. Pap.  35 (1983), S.  153, 164; Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  104. Zu den zentralen Einwänden A. Sens gegen die Rawls’sche Gerechtigkeitstheorie vgl. §  3. 212 Vgl. Rawls, The Law of Peoples, 1999, S.  131 ff.; Rawls, Politischer Liberalismus, 1993 (2016), S.  312 ff. 213 Vgl. Sen, in: Farina et al., Ethics, Rationality, and Economic Behaviour, 1996, S.  50, 58; Sen, Philos. Public Aff. 32 (2004), S.  315, 333, 348 ff.; Sen, Fem. Econ. 10 (2004), S.  77; Sen, J. Hum. Dev. 6 (2005), S.  151, 157; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  350, 352. A. Sen spricht auch von „partizipatorischen Verwirklichungschancen“, vgl. Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  29, 100; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970 (2017), S.  369. 214  v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  241, bezeichnet dies als ein doppeltes Repräsentationsverhältnis: „Die Gemeinschaft entscheidet für die Betroffenen und ein Organ entscheidet für die Gemeinschaft.“ 209 

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tischen Gemeinwesen durch den Willen der Gesellschaftsmitglieder legitimiert werden, 215 drängt sich die Frage auf, in welcher Weise der Wille des Volkes zum Ausdruck gebracht werden muss, damit er seine legitimierende Kraft entfaltet. Genügt es, dass die vom Volke ausgehende Staatsgewalt – wie es etwa in Art.  20 Abs.  2 GG heißt – „in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ wird? Schließlich könnte man einwenden, dass sich der Wille der Gesellschaftsmitglieder in diesem Fall nicht unmittelbar in der Auswahlentscheidung niederschlägt. In Wahlen und Abstimmungen kann über politische Programme entschieden werden. Wie diese letztlich in konkrete Entscheidungen gegossen werden, wird wesentlich durch die in aller Regel dem parlamentarischen Verfahren vorgelagerte Arbeit in den Ministerien geprägt.216 Die kreative Kraft kommt nicht aus dem Parlament, sondern entwickelt sich innerhalb des zwischen den Ministerien stattfindenden politischen Entscheidungsdiskurses, und oft genug ergeben sich nach einem mühsamen Austarieren von Interessengegensätzen in dieser Ressortabstimmung nur Kompromisse. Diese können für viele Bürger deshalb unbefriedigend sein, weil sie sich in den ministeriellen Abstimmungsprozess nicht unmittelbar einbringen konnten. Es ist daher nicht abwegig zu fragen, ob es einer anderen demokratischen Praxis bedarf, um eine Auswahl konkreter Grundfähigkeiten zu legitimieren. Mit dieser Überlegung wandelt sich das hier in Rede stehende Problem der „gerechten“ Auswahl konkreter Grundfähigkeiten in eine Frage nach dem „richtigen“ Demokratieverständnis.217 Genügt eine „aggregative Demokratie“,218 in der die Gesellschaftsmitglieder ihren Willen in freien Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck bringen können, oder bedarf es vielmehr eines „gehaltvolleren“ Demokratieverständnisses? Zur Beantwortung dieser Frage kann man nicht einfach darauf verweisen, dass das Grundgesetz nun einmal eine repräsentative Demokratie (Art.  20 Abs.  2 S.  2 GG) konstituiert.219 Auch der Einwand, dass sich in einer repräsentativen Demokratie die Teilhabe an der politischen Willensbildung nicht auf eine Stimmabgabe bei Wahlen beschränkt, 220 was sich eindrucksvoll etwa in der partizipativen Ausgestaltung 215  Grundlegend zur Trennung von Repräsentation und Legitimität v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  243 ff. 216  Badura, in: FS Scholz, 2007, S.  3, 9, spricht insoweit treffend von einem „Präparationsprozess“. 217  Zum Wechselspiel zwischen sozialen Rechten und Demokratie vgl. etwa auch Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S.  277 ff., 291: „Der freiheitsfunktionale Sozialstaat weist […] einen unabdingbaren Bezug zum demokratischen Verfassungsstaat auf: als freiheitsfunktionaler ist er immer auch ein demokratiefunktionaler.“ 218  Suntrup, Der Staat 49 (2010), S.  605, 608. 219  Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art.  20 Rn.  12; Magiera, in: Sachs, Grundgesetz, 9.  Aufl. 2021, Art.  38 Rn.  7; Butzer, in: BeckOK Grundgesetz, Stand: 15.2.2022, Art.  38 GG Rn.  10. 220  BVerfGE 20, 56, 98 f. = NJW 1966, S.  1499, 1503: „Das Recht des Bürgers auf Teilhabe

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der atomaren Endlagersuche durch das Standortauswahlgesetz zeigt, 221 muss an dieser Stelle nicht interessieren. Denn die vorliegende Schrift sucht eine normative Orientierung im Befähigungsansatz und nicht in unserer Rechtsordnung. Dennoch ist die Frage, ob sich das Ergebnis in das institutionelle Gefüge unserer Rechtsordnung einbetten lässt, natürlich von Bedeutung. Sie stellt sich jedoch erst in einem zweiten Schritt. Richtet man den Blick daher auf A. Sens Demokratieverständnis, so fällt die Antwort auf die Frage, in welcher Weise der Wille des Volkes zum Ausdruck gebracht werden muss, damit er seine legitimationsstiftende Kraft entfaltet, eindeutig aus. Nach seiner Überzeugung definiert sich Demokratie als „Regierung durch Diskussion“222 . Angeknüpft wird damit an die Idee einer deliberativen Demokratie, d. h. einer Demokratie, die durch eine vernünftige öffentliche Argumentation unter gleichberechtigten Bürgern außerhalb des Parlaments223 gekennzeichnet ist: „The notion of a deliberative democracy is rooted in the intuitive ideal of a democratic association in which the justification of the terms and conditions of association proceeds through public argument and reasoning among equal citizens. […] Deliberation is reasoned in that the parties to it are required to state their reasons for advancing proposals, supporting them or criticizing them.“224

Mit diesem Bekenntnis zur deliberativen Demokratie stellt sich A. Sen zugleich in die Tradition von J. Habermas 225 , der in seiner Diskurstheorie des Rechts den an der politischen Willensbildung äußert sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, der Bildung der ‚öffentlichen Meinung‘ […].“; vgl. auch BVerfGE 44, 125, 140 = NJW 1977, S.  751: „Meinungen aus dem Volk, sehr häufig vorgeformt und gestaltet vor allem in den politischen Parteien, aber auch z. B. über Verbände und über Massenmedien, wirken auf die Willensbildung in den Staatsorganen ein. Die Regierung und die sie tragenden politischen Kräfte im Parlament ebenso wie die Opposition werden bei ihrem Verhalten stets auch den Wähler im Blick haben. Dies alles ist Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie das Grundgesetz ihn versteht.“ 221  Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle vom 5.5.2017, BGBl. I 2017, S.  1074. 222  Sen, J. Democr. 10 (1999), S.  3, 10: „Democracy is a demanding system, and not just a mechanical condition (like majority rule) taken in isolation.“; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  350. 223  In einer älteren Begriffsbestimmung von deliberativer Demokratie geht es lediglich um eine Beratung der Repräsentanten, nicht jedoch um einen öffentlichen Diskurs, hierzu Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  243 (Fn.  576). 224  Cohen, in: Pettit/Hamlin, The Good Polity, 1989, S.  17, 21 f. [Hervorhebung im Original]; siehe hierzu Fuchs-Goldschmidt, Konsens als normatives Prinzip der Demokratie, 2008, S.   166. 225 Neben J. Habermas sind als bedeutende Vertreter der Diskurstheorie vor allem K.-O. Apel und R. Alexy zu nennen. Zu deren diskurstheoretischen Entwürfen sowie zur Abgrenzung zu J. Habermas’ Theoriengebäude vgl. etwa Gronke, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Stichwort „Diskurs/Diskurstheorie“, 1999, S.  264, 268 ff.; Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  217 ff.; Bausch, Ungleichheit und Ge-

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Gedanken der „deliberativen Politik“226 als Verfahrensbegriff der Demokratie eingeführt hat. Problematisch ist nun allerdings, dass das Sen’sche Denkmodell keine elaborierten Vorgaben für den geforderten öffentlichen Diskurs bereithält.227 Es ist daher vor allem zu klären, ob am Ende der diskursiv gestalteten Deliberation ein Konsens aller Diskursteilnehmer stehen muss, 228 sodass bejahendenfalls der in modernen Gerechtigkeitskonzeptionen 229 zu findenden zentralen Idee gefolgt wird: „Gerecht ist, was alle wollen“230 . Dass die im öffentlichen Diskurs gefundene Auswahl konkreter Grundfähigkeiten nur dann gerecht ist, wenn sie auf der Zustimmung aller beruht, ist nicht zwingend. Schließlich bindet das Konsenserfordernis den freien Willen des einen an die Zustimmung aller anderen und erscheint damit auf den ersten Blick alles andere als liberal.231 Zudem drängt sich der Einwand auf, dass ein Konsens ab einer gewissen Größe einer Gesellschaft schlicht unrealistisch ist, 232 sodass die hier angestellten Überlegungen praktisch wertlos sind. Dieser Einwand verfängt an dieser Stelle jedoch nicht. Die Frage, ob die Auswahl nur dann gerecht ist, wenn ihr alle zustimmen, wird nicht dadurch sinnlos, dass der Ansatz etwas einfordert, das in praktischer Hinsicht nicht gewährleistet werden kann. Denn die Erkenntnis, dass die Auswahl nur dann gerecht ist, wenn sie „von allen gewollt“ ist, lässt uns über praktische Verfahren nachdenken, die das Konsenspostulat zumindest annäherungsweise realisieren.233 Man darf die Frage nach der gerechten Auswahl daher nicht mit der Frage nach der praktischen Umsetzung vermengen. Warum also ist die im öffentlichen Diskurs gefundene Auswahl konkreter Grundfähigkeiten nur dann gerecht, wenn sie auf der Zustimmung aller beruht? Die Antwortet lautet: Allein das Konsenserfordernis nimmt die Freiheit jedes Einzelnen ernst, denn es verhindert freiheitseinschränkende Verpflichtungen, die nicht von einer Zustimmung des Betroffenen getragen werden. Weil damit jedes Gesellschaftsmitglied im diskursiven Rechtsetzungsprorechtigkeit, 1993, S.  155 ff.; Gronke, in: Dorschel et al., Transzendentalpragmatik, 1993, S.  273 ff.; Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  374 ff. 226  Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  349. 227  Alkire, Valuing Freedoms, 2002, S.  13; Fudge, Comp. Labor Law Policy J. 29 (2007), S.  29, 63; Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  144 f.: „prozedurale Leerstelle des Ansatzes“. 228  Diese Frage stellt etwa auch Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  146; anders etwa Crocker, in: Kaufman, Capabilities Equality, 2006, S.  155, 171: „[D]eliberation’s goal is to provide a fair way in which free and equal members of a group can overcome their differences and reach agreement about action and policy.“ 229  Zur Idee eines übergreifenden Konsenses vgl. etwa Rawls, Politischer Liberalismus, 1993 (2016), S.  4 4, 110 f.; Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  105; Nussbaum, Fähigkeiten schaffen, 2011 (2015), S.  93 ff. 230  Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  363. 231  In diesem Sinn Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S.  130, 157. 232  Vgl. §  2 E. II. 233  Siehe dazu auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  364; Zippelius, Rechtsphilosophie, 6.  Aufl. 2011, S.  66.

§  15 Warum einer und nicht alle?

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zess zu einem möglichen Veto-Spieler werden kann, ist zudem gewährleistet, dass die Freiheit des Einzelnen nicht dem gesellschaftlichen Gesamtwohl geopfert wird. Lediglich angemerkt sei an dieser Stelle, dass durch das Erfordernis der universellen Zustimmung234 zwischen der Diskurstheorie von J. Habermas und dem Befähigungsansatz eine Parallelität entsteht.235 Denn dessen Diskurs­ prinzip besagt für rechtsförmige Handlungsnormen, dass „nur die juridischen Gesetze legitime Geltung beanspruchen dürfen, die in einem ihrerseits rechtlich verfaßten diskursiven Rechtsetzungsprozeß die Zustimmung aller Rechtsgenossen finden können.“236 Weiterhin unklar ist, unter welchen Rahmenbedingungen der öffentliche Vernunftgebrauch stattzufinden hat. Es müssen daher konkrete Regeln eines idealen Diskurses237 formuliert werden, „der gleichzeitig die regulative Idee aller realen Diskurse ist.“238 Das in den verschiedenen Spielarten der Dis234 Auch A. Sen fordert ein „Entscheidungsverfahren, das sich auf demokratische Verfahren stützt, um zu einer Übereinkunft oder einem Kosens zu gelangen“ [Hervorhebung hinzugefügt], vgl. Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  100. 235  Zur Erklärung des Diskursprinzips muss man sich zunächst bewusst machen, dass in J. Habermas’ Diskurstheorie eine Trennung von Recht und Moral vollzogen wird (vgl. En­ derlein, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  53, 61). Es gilt, dass „sich auf dem nachmetaphysischen Begründungsniveau rechtliche und moralische Regeln gleichzeitig aus traditionaler Sittlichkeit ausdifferenzieren und als zwei verschiedene, aber einander ergänzende Sorten von Handlungsnormen nebeneinander treten.“ (Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  135 [Hervorhebung im Original]). Weil mit dieser Trennung von Moral und Recht nun „zwei Sorten von Handlungsnormen“ im Raum stehen, formuliert J. Habermas zunächst ein Diskursprinzip, das gegenüber Moral und Recht neutral ist, weil es sich auf Handlungsnormen überhaupt bezieht. Es lautet: „Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.“ (Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  138; eine ähnliche Formulierung findet sich bei Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S.  131: „Richtig und damit gültig sind genau die Normen, die in einem idealen Diskurs von jedem als richtig beurteilt werden würden.“). Im Anschluss wird das allgemeine Diskursprinzip für die verschiedenen Handlungsnormen spezifiziert. Für die Handlungsnormen, die in Rechtsform auftreten, führt diese Spezifizierung zu einem Demokratieprinzip, das ein Verfahren legitimer Rechtssetzung festlegen soll (Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  139, 141). Auch insoweit findet sich nun das Konsenserfordernis, denn das Demokratieprinzip besagt, dass „nur die juridischen Gesetze legitime Geltung beanspruchen dürfen, die in einem ihrerseits rechtlich verfaßten diskursiven Rechtsetzungsprozeß die Zustimmung aller Rechtsgenossen finden können.“ (Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  141). Zum Konsenserfordernis in anderen Spielarten der Diskurstheorie vgl. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  230 f. m. w. N. in Fn.  498. 236  Habermas, Faktizität und Geltung, 6.  Aufl. 2017, S.  141. 237 In der Diskurstheorie wird zwischen idealen und realen Diskursen unterschieden. Während der ideale Diskurs ein bestimmtes Ideal der Verständigung definiert, wird die nach den Umständen angemessene Annäherung an das Ideal als realer Diskurs eingestuft, vgl. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  218; Tschentscher, in: van Aaken/Schmid-Lübbert, Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, 2003, S.  119, 125. 238  Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.   222 [Hervorhebung hinzugefügt].

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Drittes Kapitel: Legitimation

kurstheorie zu findende „Spektrum der Diskursanforderungen“ kann hier nicht nachgezeichnet werden; es wurde an andere Stelle deutlich gemacht.239 Hervorgehoben werden soll lediglich die Regel der universellen Möglichkeit, am konsensgenerierenden Verfahren teilzunehmen, die das Erfordernis der universellen Zustimmung komplettiert. Sie besagt, dass jeder, der sprechen kann, an Diskursen teilnehmen darf.240 Weil damit die Freiheit zur Teilnahme jedem Individuum gleichermaßen zusteht, mithin eine egalitäre Prämisse eingeführt wird, ist insbesondere zu gewährleisten, dass auch denjenigen Gesellschaftsmitgliedern die Teilnahme an der diskursiv gestalteten Deliberation freisteht, die nur über geringe materielle Ressourcen verfügen. Damit gewinnt an dieser Stelle die Mehrdimensionalität des Befähigungsansatzes erneut an Bedeutung. ­Reale Teilnahmefreiheit erfordert nicht nur, dass alle Gesellschaftsmitglieder über eine minimale „Güterbasis“241 verfügen, die es ermöglicht, effektiv an der deliberativen Praxis teilzunehmen.242 Auch die freiheitsbeschränkenden gesellschaftlichen sowie persönlichen Bedingungen nicht-monetärer Art dürfen bei der Bewertung, ob eine reale Freiheit zur Diskursteilnahme für bedürftige Gesellschaftsmitglieder besteht, nicht ausgeblendet werden. Zur Gewährleistung ihrer (positiven) Teilnahmefreiheit stellt die Verfügbarkeit eines Mindestmaßes an materiellen Gütern zwar eine notwendige, aber eben keine hinreichende Bedingung dar. Werden in der Ausgestaltung des diskursiven Verfahrens die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgeblendet, dann etabliert sich ein „diskursiver Herrschafts- und Exklusionsmechanismus“243, der in erster Linie bedürftige Gesellschaftsmitglieder von der Partizipation ausschließt. Diese Rückbindung des diskursiven Verfahrens an einen Kerngedanken des Befähigungsansatzes, dem zufolge zwischen den verfügbaren Gütern und der Frage, was mit diesen in der Lebenswirklichkeit tatsächlich erreicht werden kann, ein grundlegender Unterschied besteht, gilt nicht nur im idealen Diskurs der Diskurstheorie, sondern ebenso im realen demokratischen Prozess. Mit der Rezeption des Befähigungsansatzes wird somit der Blick auf den gesetzgeberischen

239  Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.   222 ff. m. w. N. in Fn.  474; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 9.  Aufl. 2019, S.  233 ff. 240  Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  2 24; in diesem Sinn auch Cohen, in: Pettit/Hamlin, The Good Polity, 1989, S.  17, 22 f.; Gerstenberg, Bürgerrechte und deliberative Demokratie, 1997, S.  37; Crocker, in: Kaufman, Capabilities Equality, 2006, S.  155, 172: „[E]ach member has the right to make his or her voice heard and to contribute to the final decision.“ 241  Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  355. 242 Treffend Heinrichs, Grundbefähigungen, 2006, S.  200: „Politische Partizipation ist unter Bedingungen von Not und Armut kaum möglich.“; ähnlich Huh, Der Staat 18 (1979), S.  183, 195; Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  83: „Armut untergräbt die aktive intellektuelle wie praktische Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen […].“ 243  Loik, Juridismus, 2017, S.  335.

§  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens

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Handlungsauftrag gelenkt, die demokratischen Teilhabechancen aller Bürger 244 , insbesondere derjenigen mit geringem Einkommen, zu verbessern.245

§  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens Wenn sich die staatliche Umverteilungspolitik – wie es von den meisten Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts gefordert wird 246 – auf einen mittels Steuer- und Sozialrecht bewirkten monetären Transfer beschränkt, bleibt unberücksichtigt, dass die erzielten Umverteilungseffekte nicht zwangsläufig zu einem individuellen Freiheitsgewinn führen. Dies liegt darin begründet, dass freiheitsbeschränkende persönliche Bedingungen ebenso unberücksichtigt bleiben wie all diejenigen gesellschaftlichen Faktoren, die einer Konversion der verfügbaren knappen Güter in Freiheiten entgegenstehen.247 Diese Ignoranz gegenüber menschlichen Freiheiten und damit auch gegenüber Grundfähigkeiten, die eine menschenwürdige Existenz ermöglichen, gibt Anlass, darüber nachzudenken, welche Gründe ins Feld geführt werden können, damit die im ökonomischen Vertragsdenken zu findende ausschließliche Ausrichtung am Effizienzziel zugunsten eines Mindestschutzes humaner Integrität aufgegeben wird. Die letzte Frage, die in dieser Schrift zu beantworten ist, lautet somit: Warum sollten sich Rechtsökonomen auf eine maßvolle Korrektur ihres Vertragsdenkens einlassen und die Sicherstellung einer allgemeinen Grundbefähigung als eine Aufgabe des Vertragsrechts akzeptieren?

244 Vgl. Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  138: „Ein Ansatz, der Freiheiten zum zentralen Anliegen macht, muß die partizipatorischen Freiheiten in den Mittelpunkt der Analyse staatlicher Maßnahmen stellen.“; ferner Nussbaum, Fähigkeiten schaffen, 2011 (2015), S.  176: „Die Stärkung der Bürger mittels demokratischer Verfahren ist das gemeinsame Ziel der großen Mehrheit jener, die am Fähigkeitenansatz arbeiten, und eines seiner wirklich bedeutsamen Merkmale.“ 245  Zur Verbindung von politischer Teilhabe und Einkommen vgl. Bundesregierung, 5. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 18/11980, S. XXXI; Bundesregierung, 6. Armuts- und Reichtumsbericht, BT-Drs. 19/29815, S.  344 ff. 246  Vgl. §  15 A. 247 Vgl. Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  28: „An important and frequently encountered problem arises from concentrating on inequality of incomes as the primary focus of attention in the analysis of inequality. The extent of real inequality of opportunities that ­people face cannot be readily deduced from the magnitude of inequality of incomes, since what we can and cannot do, can or cannot achieve, do not depend just on our incomes but also on the variety of physical and social characteristics that affect our lives and make us what we are.“ [Hervorhebung im Original].

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Drittes Kapitel: Legitimation

A. Pluralität der Ziele Im Zusammenhang mit dieser Überlegung ist zunächst festzuhalten, dass auch im ökonomischen Ansatz – wie erwähnt248 – der Wert von Umverteilung weitgehend unbestritten ist. Lediglich im Vertragsrecht, als einer Teilordnung unseres gesamtgesellschaftlichen Handlungssystems, sollen distributive Gerechtigkeitsüberlegungen ausnahmslos hinter dem Ziel der Allokationseffizienz zurückzutreten. Für dieses vollständige Zurückdrängen eines konkurrierenden Anliegens besteht aber aus ökonomischer Sicht keine zwingende Notwendigkeit. Man muss nicht entweder Verteilungsgerechtigkeit oder Allokationseffizienz zum Ziel des Vertragsrechts erheben. Es ist gleichermaßen möglich, für eine Pluralität der Ziele einzutreten, selbst wenn sie konkurrierende Werte verkörpern.249 Natürlich geht mit einem solchen Schritt die Einfachheit der Überlegung verloren, denn wenn widerstreitende Werte aufeinandertreffen, dann muss im Konfliktfall ihre relative Bedeutung eingeschätzt werden.250 Allerdings ist das Problem des Ausgleichs konfligierender Werte zum einen in einer Rechtsanalyse nichts Außergewöhnliches, zum anderen kann es mit rationalen Argumenten gelöst werden. Dass auch dem rechtsökonomischen Denken eine Ausrichtung auf zwei divergierende Werte in einer Ordnung nicht wesensfremd ist, zeigen etwa die Worte von G. Calabresi, die man zu Beginn seines Werks „The Costs of Accidents“ lesen kann: „What, then, are the principal goals of any system of accident law? First, it must be just or fair; second, it must reduce the costs of accidents.“251

Schließlich belegt jede Wirtschaftsordnung, die als soziale Marktwirtschaft konzipiert ist,252 dass konkurrierende Werte nicht auf einen einzigen reduziert werden müssen,253 weil die Rechts- und Wirtschaftspolitik in der Lage ist, das 248 

§  15 A.

249  Grundlegend

zur Berücksichtigung einer Pluralität der Gründe in Bewertungsfragen Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  421 ff. 250  Zu diesem Gedanken auch Albert, in: Weinberger/Fischer, Internationales Jahrbuch für Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Demokratie und Rationalität, 1992, S.  343, 355. 251  Calabresi, The Costs of Accidents, 1970, S.  24. Ein vergleichbarer „Pluralismus“ findet sich auch bei Calabresi/Melamed, Harv. Law Rev. 85 (1972), S.  1089, 1093 ff.: „What are the reasons for deciding to entitle people to pollute or to entitle people to forbid pollution, to have children freely or to limit procreation, to own property or to share property? They can be grouped under three headings: economic efficiency, distributional preferences, and other justice considerations.“ 252 Zur Entstehungsgeschichte des Doppelbegriffs „soziale Marktwirtschaft“ vgl. etwa Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, 1997, S.  14; Quaas, in: Kersting, Freiheit und Gerechtigkeit, 2010, S.  139 ff. 253  Instruktiv zu dieser Verbindung A. Müller-Armack, der 1946 mit seiner Schrift „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ den Begriff der sozialen Marktwirtschaft geprägt und 1956 ihren Sinn wie folgt beschrieben hat: „Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden […] ihr Ziel ist

§  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens

359

Spannungsverhältnis zu moderieren. Der Grundgedanke, um den es hier also geht, ist, dass man Allokationseffizienz und Verteilungsgerechtigkeit nicht kontradiktorisch gegenüberstellen muss, sondern als komplementäre Ziele des Vertragsrechts begreifen und so mithilfe vertragsrechtlicher Normen auch allgemeine Grundbefähigung fördern kann. Damit stellt sich natürlich die Frage, wie genau Effizienz und Befähigung in einen Ausgleich zu bringen sind. Wie viel Gewicht soll dem Ziel der Befähigung neben dem Ziel der Allokationseffizienz zukommen? Definiert man Verteilungsgerechtigkeit als Befähigungsgleichheit im Raum der grundlegenden Freiheiten, dann beschränken sich distributive Eingriffe auf „Korrekturen im sozialen Extremfall“254. Effizienzverluste müssen also nur dann akzeptiert werden, wenn sie zur Gewährleistung eines „basalen sozialen Minimums“255 erforderlich sind. Oberhalb dieser Schwelle bleiben verteilungspolitisch motivierte Regulierungen privatrechtlicher Transaktionen unerwünscht. Es gilt somit: „Soviel Freiheit wie möglich, soviel soziale Verantwortung wie zum Schutz von […] Menschenwürde jedermanns nötig.“256 Es wird damit einer humangerechten ökonomischen Analyse des Vertragsrechts das Wort geredet, die das Effizienzziel mit einer grundbefähigungsorientierten Distributionsgerechtigkeit verknüpft,257 und zwar in dem Bewusstsein, dass jedes Mehr auf der einen Seite seinen Preis auf der anderen Seite fordert. Abgesichert wird der mit einer sozialen Verantwortung verbundene Freiheitsverlust der Privatrechtsakteure durch den auf den vorhergehenden Seiten beschriebenen prozeduralen Mechanismus.258 Bei der Bestimmung derjenigen Freiheiten, welche die Vertragsfreiheit zurücktreten lassen, wird nicht nur jedem die positive Freiheit zur Teilnahme am öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess eingeräumt. Die im öffentlichen Diskurs gefundene Auswahl konkreter Grundfähigkeiten, denen Priorität eingeräumt werden soll, heißt zudem nur dann gerecht, wenn sie vom Konsens aller getragen wird. Vertragsfreiheitsbeschränkende Verpflichtungen zur Förderung grundlegender Fähigkeiten einer anderen Person werden damit auf eine freiwillige Selbstbindung eine neuartige Synthese.“, Müller-Armack, in: v. Beckerath et al., Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 9, 1956, S.  390 [Hervorhebung im Original]. 254  Schmidt, JZ 1980, S.  153, 158. 255  Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2006 (2014), S.  104. 256  Bydlinski, in: Kessal-Wulf et al., Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik, 2006, S.  99, 117. 257 Ähnlich Esser/Schmidt, Schuldrecht, Band 1 AT, Teilband 1, 8.  Aufl. 1995, S.  39, die für eine „sozialökonomische Analyse des Rechts“ plädieren, in der sich Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen mit sozialen Gerechtigkeitsbemühungen verbinden. Überlegungen zur Ergänzung der ökonomischen Analyse finden sich auch bei Albert, in: Weinberger/Fischer, Internationales Jahrbuch für Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Demokratie und Rationalität, 1992, S.  343, 355 f. 258  Vgl. §  15 C. III.

360

Drittes Kapitel: Legitimation

des Betroffenen zurückgeführt.259 Eine solche Selbstbindung ist nicht Negation, sondern Manifestation von Freiheit und Selbstbestimmung.260 Das belegt jeder Vertrag, der als Instrument zur Entfaltung rechtsgeschäftlicher Selbstbestimmung gilt, obgleich er eine Beschneidung der künftigen Selbstbestimmungsoptionen durch Selbstbindung impliziert.261 Nun ist trotz der hier vorgeschlagenen Reduktion verteilungspolitischer Eingriffe auf ein befähigungsorientiertes Minimum sowie der legitimationsstiftenden Selbstbindung noch nicht gesagt, warum sich die Vertreter der Rechtsökonomik auf ein solches „nicht-nutzenorientiertes“ Gerechtigkeitsimplantat einlassen und damit ihr „Effizienzparadigma“262 aufgeben sollten. Es müssen daher Gründe angeführt werden, die einsichtig machen, dass Grundbefähigungsgleichheit zum Ziel des Vertragsrechts gemacht und damit die im ökonomischen Vertragsdenken zu findende ausschließliche Ausrichtung am ökonomischen Effizienzziel aufgegeben werden sollte. Diese Aufgabe führt zunächst zu der Feststellung zurück, dass grundlegende Freiheiten die Möglichkeit eröffnen, ein würdevolles Leben zu führen.263 In der hier verfolgten minimalistischen Weiterentwicklung des ökonomischen Vertragsdenkens wird das Ziel der Allokationseffizienz daher nur zurückgedrängt, um menschenunwürdige Folgen zu verhindern. Entscheidend ist nun, dass dieser Schritt für Vertreter des ökonomischen Ansatzes nichts völlig Befremdliches ist.264 Auch sie sind unter bestimmten Voraussetzungen bereit, zur Erreichung eines Gerechtigkeitsziels Effizienzverluste hinzunehmen. Damit beschäftigen sich die Ausführungen des folgenden Unterabschnitts.

B. Schutz unveräußerlicher Rechte Wenn gesellschaftliche Situationen – dem utilitaristischen Wohlfahrtsgedanken entsprechend – allein anhand des Nutzens beurteilt werden, dann sind die Rechte Einzelner nur insoweit wertvoll, als sie für die Gemeinschaft insgesamt 259  Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.  366. Siehe zu diesem Gedanken auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  119: „So läßt sich etwa der negative Freiheitsbegriff politisch fassen, indem nur solche Maßnahmen als Freiheitshindernis ausscheiden können, die auf einer entsprechenden Partizipation des Freiheitssubjekts beruhen.“ 260 Vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S.  46; Dierksmeier, Qualitative Freiheit, 2016, S.  58. 261  Vgl. §  10 A. III. 3. 262  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  274. 263  Vgl. §  14 B. 264 Selbst R. Nozick – ein radikal auf negative Freiheit abstellender Denker – gesteht in einer vielbeachteten Fußnote in seinem Werk „Anarchy, State, and Utopia“ ein, dass ein kompromissloser Vorrang der libertären Rechte nicht immer wünschenswert ist und Ausnahmen zur Vermeidung von „catastrophic moral horror“ zu zulassen sind, vgl. Nozick, Anarchy, ­State, and Utopia, 1974, S.  30.

§  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens

361

einen Nettonutzen stiften. Erfüllen sie diese Funktion nicht, gibt es keinen Grund, sie zu schützen. Das gilt auch für solche Rechte, die jedem Menschen allein wegen seines Menschseins zustehen. Mit dem hieraus resultierenden und bereits im ersten Kapitel 265 formulierten Einwand gegen den utilitaristischen Wohlfahrtsgedanken müssen sich die Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts auseinandersetzen. Denn auch in einer ausschließlich effizienzorientierten Rechtsordnung haben unveräußerliche Rechte und grundlegende Freiheiten nur eine instrumentelle Funktion, sodass sich ihr Schutz nur mit Kosten-Nutzen-Erwägungen legitimieren lässt. Ohne ein Korrektiv kann es somit zu sozial schwer erträglichen Auswüchsen kommen.266 Auf die Möglichkeit einer „pareto-verbessernden Versklavung“267 wurde bereits im ersten Kapitel hingewiesen. Paradigmatisch für diese problematische Konsequenz stehen auch die folgenden Worte R. A. Posners: „If a person wants to sell himself into slavery or participate in a sadomasochistic (but thoroughly voluntary) orgy or submit voluntarily to a legal system in which torture and lynching are used to increase the efficacy of crime prevention, nothing in a system of wealth maximization seems to forbid the transaction, whether the transaction is explicit or implicit.“268

I. Verfassungsrecht als Schutzschild Nun könnte man zur Lösung dieses Problems einfach darauf hinweisen, dass sich die rechtsökonomischen Handlungsempfehlungen primär an solche Gesellschaften richten, die über eine Verfassung als „Sicherheitsnetz“269 verfügen, sodass ein entsprechendes Schutzniveau gewährleistet ist.270 Und in der Tat argumentiert etwa R. A. Posner in diese Richtung: „Any possible collisions between wealth maximization and the strong modern feelings against slavery, lynching, and torture, however, are made moot by the constitutional prohibitions against these practices.“271

265 

Vgl. §  2 D. III. dieser Wirkung vgl. etwa Baumann, RNotZ 2007, S.  297, 303: „Das Primat einer ökonomischen Kaldor-Hicks-Effizienzjurisprudenz würde, um den Wohlstand aller zu mehren, nicht nur z. B. Euthanasie und Eugenik rechtfertigen, sondern müsste nach Nutzen-Kosten-Relationen die Vernichtung ökonomisch nutzlosen Lebens gesetzlich fordern.“ 267  So die Bezeichnung von Nass, Der humangerechte Sozialstaat, 2006, S.  135. 268  Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 25. 269 So Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 4.  Aufl. 2019, S.  2 26. 270  So auch Kübler, in: FS Steindorff, 1990, S.  687, 702. 271  Posner, Notre Dame J.L. Ethics & Pub. Pol’y, 2 (1985), S.  85, 104; Posner, Economia delle scelte pubbliche 1 (1987), S.  15, 25; ähnlich Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 836: „In general, the unflinching application of cost benefit analysis could seriously undermine individual liberties. […] Liberties are entrenched in the Bill of Rights to protect them from aggregative standards of social choice, including majority rule and cost benefit analysis.“ 266  Zu

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Drittes Kapitel: Legitimation

Auch H.-B. Schäfer und C. Ott ziehen sich auf das Grundgesetz zurück, wenn es um den Schutz unveräußerlicher Rechte geht: „Daneben existieren gewisse unveräußerliche Rechte, deren Ausübung sogar im Gegensatz zum Pareto-Kriterium stehen kann (Menschenwürde, Art.  1 I GG). Eingriffe sind rechtswidrig, selbst wenn eine Zustimmung des Rechtsinhabers vorliegt.“272

Sie sprechen unserer Rechtsordnung zudem eine gewisse „Multifunktionalität“273 zu, sodass Effizienzverluste zum Schutz bestimmter Rechte in Kauf zu nehmen seien: „Auch die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit oder der Schutz bestimmter unantastbarer persönlicher Rechte ist Gegenstand der Rechtsordnung, und es kann notwendig sein, zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter auch Effizienzverluste in Kauf zu nehmen.“274

Unbestreitbar kann die Problematik der unveräußerlichen Individualrechte mithilfe des bestehenden Verfassungsrechts und des dort verankerten Wertvorrangs der Menschenwürde gelöst werden. Die Argumentation überzeugt jedoch deshalb nicht, weil im ökonomischen Ansatz eine Bewertung der durch Rechtsnormen in der Wirklichkeit ausgelösten Folgen nicht auf der Grundlage des geltenden Rechts erfolgt. Der Maßstab der Rechtsökonomik ist vielmehr ein rechtsexterner. Es liegt daher nahe, entweder eine ökonomische Lösung zu konstruieren, wie es beispielsweise R. D. Cooter mit einer modifizierten ParetoAnalyse versucht hat,275 oder sich auf eine außerrechtliche Sollens-Ordnung zurückzuziehen. II. Moralische Intuitionen als „ultimativer Test“ Genau dieser letztgenannte Weg wurde bereits von R. A. Posner beschritten. Sein Reichtumsmaximierungsprinzip soll sich einem „ultimativen Test“ unserer 272 

Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  41. Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 219. 274  Ott/Schäfer, JZ 1988, S.  213, 219, 221; vgl. auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S. XVIII, XXI. 275  Cooter, Notre Dame L. Rev. 64 (1989), S.  817, 825, plädiert dafür, einen Vertrag, mit dem sich eine Person in die Sklaverei verkauft, zu vernichten, weil ein solcher der Langzeitpräferenz, „kein Sklave zu sein“, des derzeit Versklavungswilligen widerspricht: „Most normative systems that respect individual values may yet impose some restrictions on prefer­ences that are irrational or destructive, especially those short run preferences that undermine the decision maker’s ability to follow his long run preferences. Selling oneself into slavery is the classic example. A modified Paretian analysis would apply the standard of making someone better off and no worse off relative to their long run interests, which may correspond imperfectly to their immediate preferences. By this route, a Paretian analysis may support laws that restrict choice by allowing precommitment or enforcing the inalienability of some rights.“ Kritisch zu dieser Argumentation sowie zu weiteren Versuchen, eine Nichtigkeit des Ver­ sklavungsvertrags ökonomisch zu rechtfertigen, Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4.  Aufl. 2015, S.  367 ff. 273 

§  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens

363

moralischen Intuitionen stellen, um beispielsweise zu verhindern, dass es zu Versklavungen oder zu der Anwendung von Folter kommt: „Wealth maximization implies that if the prosperity of the society can be promoted by enslaving its least productive citizens, the sacrifice of their freedom is worthwhile. But this implication is contrary to the unshakable moral intuitions of Americans, and as I stressed in the last chapter, conformity to intuition is the ultimate test of a moral (indeed of any) theory […]. [E]ven the most degrading forms of torture would not necessarily be ruled out, even in the investigation of ordinary crimes […], but at some point these inroads would collide with, and be stopped by, strong moral intuitions that seem incompatible with economic thinking.“276

Diese Anknüpfung an die moralischen Intuitionen führt zu einer Vielzahl von Problemen, die in der Moralphilosophie häufig unter Bezug auf einen einflussreichen Beitrag von H. A. Prichard mit dem Titel „Does Moral Philosophy Rest on a Mistake?“ 277 aus dem Jahr 1912 diskutiert werden. Den Ausgangspunkt dieses Aufsatzes bilden die Fragen, ob es überhaupt Gründe für ein moralisches Handeln gibt 278 und inwiefern die Moralphilosophie durch einen Prozess der Reflexion und Argumentation in der Lage ist, einen Beweis zu führen, dass man moralisch handeln sollte, auch wenn dies dem eigenen Interesse zuwiderläuft.279 Nach einem Kerngedanken von H. A. Prichard könne die Moralphilosophie die letztgenannte Aufgabe gar nicht erfüllen, denn das moralische Sollen sei nichts anderes als ein „Gefühl der Verpflichtung“, das nicht das Resultat eines bewussten Denkens sei, sondern in unseren unreflektierten Überzeugungen entstehe, die durch die verschiedenen Situationen, in denen wir uns vorfänden, ausgelöst würden.280 Wenn nun allerdings das moralische Sollen mit einer situationsbezogenen, subjektiven Empfindung identifiziert wird – und nichts anders stellen die von R. A. Posner bemühten moralischen Intuitionen dar –, dann wird sich dieses Gefühl der Verpflichtung zwar in moralisch klaren Situationen reflexartig zeigen. In weniger eindeutigen Handlungssituationen kann es aber ebenso gut ausbleiben. Ein „situationsbezogener Intuitionismus“ hilft

276  Posner, The Problems of Jurisprudence, 1993, S.  377 [Hervorhebung im Original]; vgl. auch Posner, J. Leg. Stud. 8 (1979), S.  103, 111; Posner, Economic Analysis of Law, 9 Aufl. 2014, S.  35. 277  Prichard, Mind 21 (1921), S.  21 ff. 278  Prichard, Mind 21 (1921), S.  21: „Is there really a reason why I should act in the ways in which hitherto I have thought I ought to act?“ 279  Prichard, Mind 21 (1921), S.  21, 22: „[P]eople’s moral philosophising is an attempt to supply the answer, i.e. to supply by a process of reflexion a proof of the truth of what he and they have prior to reflexion believed immediately or without proof.“; dazu Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  63. 280  Prichard, Mind 21 (1921), S.  21, 36: „The sense that we ought to do certain things arises in our unreflective consciousness, being an activity of moral thinking occasioned by the vari­ ous situations in which we find ourselves.“; dazu Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  63.

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Drittes Kapitel: Legitimation

in diesen Fällen nicht weiter.281 Und wenn moralische Intuitionen nicht entstehen, dann läuft auch R. A. Posners „ultimativer Test“ ins Leere – und zwar selbst dann, wenn überzeugende Argumente dafürsprechen, dass sich moralische Intuitionen einer konkreten Handlung widersetzen sollten. Denn wo die spontanen moralischen Gefühle ausbleiben, weil ein Individuum die Richtigkeit einer moralischen Handlung nicht unmittelbar und intuitiv erkennt, da können selbst die besten Argumente nichts ausrichten.282 Hiervon geht offensichtlich auch R. A. Posner aus: „It is unrealistic […] to suppose that you can argue a person out of a position that he had not been argued into; and it is weak-minded to abandon a deep-seated moral belief just because you cannot think up a good retort to a clever argument. I do not mean that people’s moral beliefs never change […]. But they change because of experience rather than argument.“283

Schließlich ist zu bedenken, dass die moralische Erziehung nicht bei jedem Menschen gleich ist. Nicht jeder durchläuft eine moralische Sozialisation und verinnerlicht identische moralische Normen, sodass zwischen den Intuitionen zwangsläufig intersubjektive Unterschiede bestehen.284 Die soziale Wirklichkeit lehrt jedenfalls, dass es auch Menschen gibt, bei denen sich kein Gefühl der Verpflichtung einstellt, wenn sie ein Individuum foltern, weil es durch ein anderes Gefühl, etwa der Freude, verdrängt wird. Mithilfe von R. A. Posners „ultimativem Test“ können derartige Situationen nicht verhindert werden. Mehr noch: Er müsste sogar eingestehen, dass in diesen Fällen überhaupt keine moralische Pflicht besteht, „nicht zu foltern“, denn ein moralisches Sollen wird überhaupt nicht empfunden.285 Dieses Problem spielt für R. A. Posner indes keine Rolle. Er postuliert einfach, dass „many, sometimes most or even all, modern Americans“ über ein Gerechtigkeitsempfinden verfügen („sense of justice“).286 Entscheidend für den weiteren Gang der Argumentation ist an dieser Stelle, dass R. A. Posners Verweis auf die moralischen Intuitionen drei interessante Rückschlüsse zulässt. Weil er moralische Argumente nicht mit dem Hinweis auf eine Sinnlosigkeit, Verkehrtheit oder Schädlichkeit der Moral ablehnt, vertritt er zum Ersten keine nihilistische Position. Zum Zweiten folgt er offensichtlich keinem instrumentellen Moralverständnis, denn wenn in einer konkreten Situation moralische Intuitionen empfunden werden, dann gibt es einen zwin281 

Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  65. Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  6 4. 283  Posner, in: Owen, Philosophical Foundations of Tort Law, 1995, S.  99, 102. 284 Vgl. Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  103; siehe hierzu auch Harsanyi, Soc. Res. 44 (1977), S.  623, 625: „[P]eople’s ‚moral intuitions‘ seem to be highly dependent on accidents of their own upbringing and, more fundamentally, on the accident of being raised in one particular society rather than another.“ 285  Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  66. 286  Posner, Economic Analysis of Law, 9 Aufl. 2014, S.  35. 282 

§  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens

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genden Grund, moralisch zu handeln, und zwar unabhängig davon, ob es dem handelnden Individuum nützt oder nicht. Zum Dritten – und dies ist der zentrale Punkt – impliziert sein Bestreben, mithilfe moralischer Intuitionen Versklavung und Folter zu verhindern, dass jeder Mensch das Recht hat, vor Folter sowie unmenschlicher und erniedrigender Behandlung geschützt zu sein. Das Ziel, ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten, wird damit im Reichtumsmaximierungsprinzip grundsätzlich anerkannt.

C. Minimalistisches Gerechtigkeitsimplantat Mit der Diagnose, dass Vertreter des ökonomischen Ansatzes unantastbare persönliche Rechte prinzipiell für schutzwürdig halten und bemüht sind, menschenunwürdige Folgen einer effizienzorientierten Rechtsordnung zu verhindern, hat man eine wichtige normative Weichenstellung identifiziert, die für die Akzeptanz von Grundbefähigungsgleichheit bedeutsam ist. Die Frage, warum Rechtsökonomen auch distributive Eingriffe in die Vertragsfreiheit zur Erreichung dieses Ideals befürworten sollten, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Weil jedoch mit R. A. Posners Verweis auf die moralischen Intuitionen ein bedeutender Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts seinen Fuß auf das moralische Feld gesetzt hat, ist man versucht zu argumentieren, dass eine Reglementierung von Tauschvorgängen zur Herstellung von Grundbefähigungsgleichheit schlicht deshalb akzeptiert werden sollte, weil es das moralisch Richtige ist. Schließlich stellen grundlegende Freiheiten die notwendige Minimalbedingung für ein würdevolles Leben dar, die in der Realität einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung eben nur – wie gezeigt – durch die flan­ kierende Unterstützung des Vertragsrechts bereitgestellt werden können.287 Und weil es das moralisch Richtige ist, sollte es in einem normativen Ansatz, der sowohl den Gesetzgeber als auch den Richter leitet, berücksichtigt werden. Eine solche Argumentation ist jedoch offensichtlich unvollständig. Denn sie gibt zwar Auskunft darüber, was nach der hier vertretenen Ansicht das moralisch Richtige ist. Es bleibt aber unbeantwortet, warum das moralisch Richtige auch getan werden sollte.288 Im Lichte des oben zu findenden Hinweises, dass die meisten Menschen moralisch handeln, sobald sie erkennen, was das moralisch Richtige ist, könnte man zwar meinen, eine Antwort auf diese Frage müsse gar nicht gesucht werden. Dass dies nicht richtig sein kann, folgt daraus, dass eine moralische Sollens-Forderung immer impliziert, man könnte sich anders 287 

Vgl. §  15 B. Grundlegend dazu Weise, in: Seifert/Priddat, Neuorientierungen in der ökonomischen Theorie, 1995, S.  73 ff.; Lumer, Anal. und Krit. 24 (2002), S.  205 ff.; Gert, Morality, 2005, S.  338 ff.; Bayertz (Hrsg.), Warum moralisch sein?, 2.  Aufl. 2006; Ricken, Warum moralisch sein?, 2010; Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014. 288 

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Drittes Kapitel: Legitimation

verhalten, wenn man es wollte.289 Aus der Einsicht „oh, das ist ja interessant! Das ist also moralisch gut, na so was!“290 folgt eben nicht zwangsläufig, dass das moralisch Richtige in einer konkreten Handlungssituation auch umgesetzt wird. Schließlich geht damit in der Regel eine Einschränkung der eigenen Handlungsfreiheit einher.291 Wenn daher eine Normverletzung mit Sicherheit unbeobachtet bleibt und somit weder informelle Sanktionen anderer Menschen (Empörung oder Kritik) noch sozialer Druck zu befürchten ist, dem der, der sich unmoralisch verhält, normalerweise ausgesetzt ist, 292 dann fehlen den Menschen oftmals plausible Gründe für ein moralisches Handeln. Selbst wenn sie also das moralisch Richtige kennen, ist ihnen die Moral, um es mit den Worten J. P. Sartres zu sagen, in dieser Situation „schnuppe. Ganz schnuppe“293. Die Frage, warum man überhaupt moralisch handeln soll, ist also weder irritierend noch sinnlos.294 Wer daher Argumente sucht, die für eine Berücksichtigung des Ziels der Grundbefähigungsgleichheit im ökonomischen Vertragsdenken sprechen, der darf sich nicht auf den schlichten Hinweis zurückziehen, dies sei schließlich das moralisch Richtige. Man muss vielmehr Rechenschaft ablegen, warum das moralisch Richtige mithilfe vertragsrechtlicher Normen umgesetzt werden sollte.295 Vor allem aber müssen solche Gründe angeführt werden, für die speziell die Vertreter der Rechtsökonomik empfänglich sind. Anderenfalls wird das moralisch Geforderte nicht akzeptiert und bleibt praktisch wirkungslos. Weil damit an dieser Stelle auf die Frage, warum das moralisch Richtige mittels vertragsrechtlicher Normen eingefordert werden sollte, nicht nur eine Antwort, sondern vielmehr eine Antwort für etwas – nämlich für die ökonomische Analyse des Vertragsrechts – gesucht wird,296 gewinnt an dieser Stelle die aus dem zweiten Kapitel bekannte Gesetzeshypothese des rational eigennützigen Verhaltens der Privatrechtsakteure erneut an Bedeutung. Im ökonomischen Ansatz wird davon ausgegangen, dass die Vertragsparteien ihre Entscheidungen nur mit Blick auf ihre eigenen Präferenzen treffen und sie 289  Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  286; ebenso Schapp, Freiheit, Moral und Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  225. 290  Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  285. 291 Vgl. Schapp, Freiheit, Moral und Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  187. 292  Stemmer, DZPh 49 (2001), S.  831, 833; Schapp, Freiheit, Moral und Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  225. Zum Phänomen des sozialen Drucks vgl. etwa Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  69 f. 293  Sartre, Zeit der Reife, 1961, S.  240 f.; siehe dazu Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  13. 294  A. A. Posner, in: Owen, Philosophical Foundations of Tort Law, 1995, S.  99, 101 f.: „It would for example be extraordinarily odd for someone to say, ‚I know and believe that torturing children is bad, but I would like to know why it is bad‘.“ [Hervorhebung im Original]. 295  In diesem Sinn Graf, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S.  81, 83. 296  Dass man bei der Frage, warum überhaupt moralisch sein, die Position des Fragenden sowie dessen Hintergrundannahmen nicht aus dem Auge verlieren darf, legt Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  20, anschaulich dar.

§  16 Humanisierung des ökonomischen Vertragsdenkens

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den eigenen Nutzen zu maximieren versuchen.297 Damit ist die hier zu beantwortende Frage wie folgt abzuwandeln: Warum sollten sich selbstinteressierte Privatrechtsakteure bei der Verfolgung ihres Eigennutzens im Rechtsgeschäftsverkehr in ihrer Vertragsfreiheit beschränken lassen, um an der Grundbefähigung anderer mitzuwirken? Die Antwort liegt nahe: Wer Gründe sucht, warum das moralisch Richtige auch von Nutzenmaximierern getan werden sollte, muss die Nützlichkeit eines moralischen Handelns plausibel machen.298 Denn welches Argument könnte im ökonomischen Kontext besser sein als der Nachweis, dass moralisches Handeln den rational handelnden Privatrechtsakteuren nützt? Aber worin genau liegt der Nutzen einer Freiheitsbeschränkung, die der Grundbefähigung eines anderen Menschen dient? I. Zur doppelten Verbindung zwischen Freiheit und Verantwortung Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage führt zunächst zur zentralen Wichtigkeit des Grundsatzes der Selbstverantwortung zurück. In einer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung müssen sich die Gesellschaftsmitglieder nicht nur die Quelle materieller Mindestvoraussetzungen eigenverantwortlich erschließen. Jeder Privatrechtsakteur ist auch für die Einhaltung eines gegenüber einem anderen abgegebenen Vertragsversprechens selbst verantwortlich.299 Die letztgenannte Seite der Selbstverantwortung ist die Kehrseite der Freiheit, seine Rechtsbeziehungen nach dem eigenen Willen zu regeln.300 Damit ist allerdings nur eine erste Interaktion von Freiheit und Verantwortung benannt. Eine zweite Verbindung tritt hervor, wenn man sich nicht auf die Betrachtung der Vertragsfreiheit der Privatrechtsakteure beschränkt, sondern deren wirkliche Freiheiten einbezieht. Dann lässt sich nämlich konstatieren, dass die Frage, ob sie ihrer Selbstverantwortung tatsächlich nachkommen können, auch von der individuellen Ausstattung mit bestimmten Fähigkeiten abhängt. Auf eine einfache Formel verkürzt, kann man sagen: Selbstverantwortung setzt 297 

Vgl. §  7 B. III. diesem Begründungsansatz siehe z. B. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  174 f. Kritisch aufgrund der damit verbundenen Gefahr der „Erosion normativer Geltungsgründe“ Suchanek, in: Lohmann/Priddat, Ökonomie und Moral, 1997, S.  65, 72 ff.; Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S.  40 ff. 299  Zu den beiden Seiten der Selbstverantwortung vgl. §  10 A. I. 300  Zur Selbstverantwortung als Kehrseite der individuellen Freiheit vgl. Flume, in: FS 100 Jahre DJT, Band 1, 1960, S.  135, 159; Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  11; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.  75 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S.  350 f.: „Mit Vertragsfreiheit korrespondiert demgemäß Verantwortlichkeit.“; Ohly, Volenti non fit iniuria, 2002, S.  77; v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1960 (2005), S.  93; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S.  13; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  1; Latzel, Verhaltenssteuerung, Recht und Privatautonomie, 2020, S.  215. 298  Zu

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Drittes Kapitel: Legitimation

nicht nur die (innere) Freiheit des Willensentschlusses voraus,301 sondern auch, dass die Verantwortungssubjekte über wirkliche (äußere) Freiheiten grundlegender Art verfügen. Dieser Gedanke lässt sich an einem einfachen Exempel illustrieren: Einem Menschen, der nicht über die Freiheit verfügt, sich Nahrung mithilfe eines Vertrags von einem anderen Marktteilnehmer zu verschaffen, mangelt es offensichtlich nicht nur an individuellem Wohlergehen. Ihm wird auf lange Sicht auch die Freiheit zur Selbstverantwortung genommen. Dies hängt mit der nüchternen Wahrheit zusammen, dass er irgendwann dem Tod zum Opfer fällt und damit nicht mehr in der Lage sein wird, Verträge zu begründen und die hieraus resultierende Verantwortung zu tragen.

Freiheit und Selbstverantwortung sind also nicht nur deshalb aufeinander bezogen, weil derjenige, der von seiner Vertragsfreiheit Gebrauch macht, die Verantwortung für die Folgen seines Freiheitsgebrauch zu tragen hat. Eine weitere Verschränkung resultiert daraus, dass ein Mindestmaß an wirklicher Freiheit eine notwendige Bedingung für Selbstverantwortung ist.302 Anders formuliert: Selbstverantwortung ist die Kehrseite der Freiheit, seine Rechtsbeziehungen nach dem eigenen Willen zu regeln, aber sie kann dies eben nur in Verbindung mit wirklichen Freiheiten grundlegender Art sein,303 die ihrerseits nicht – wie oben gezeigt wurde304 – ohne Hilfe des Vertragsrechts gewährleistet werden. Es ergibt sich somit folgendes Bild: Ohne die Unterstützung durch das Vertragsrecht entsteht keine Grundbefähigung, und ohne Grundbefähigung kann Selbstverantwortung nicht wirksam werden. Wer diese Verbindung anerkennt und dafür eintritt, dass vertragsrechtliche Normen zur allgemeinen Grundbefähigung einen Beitrag leisten, der tritt daher in letzter Konsequenz für den Grundsatz der Selbstverantwortung ein.305 Damit ist zugleich der Grund formuliert, warum es „klug“306 ist, wenn Privatrechtsakteure bei der rechtsgeschäftlichen Verfolgung ihres Eigennutzes an 301  Vgl. §  7 B. I. Zur Verbindung von Selbstbestimmungsfähigkeit und Selbstverantwortung vgl. Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S.  13 m. w. N. in Fn.  9; Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2011, S.  165, 171 ff. 302 Vgl. Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  337; ähnlich Maier, in: Rechtswissenschaftliche Fakultät Wien, Armut und Recht, 2010, S.  31, 48: „Armut als Wurzel von die volle Entfaltung des Menschseins hindernden Abhängigkeiten, die […] der Ausbildung praktischer und politischer Verantwortlichkeit entgegensteht“; weiterführend zur „Befähigung zur Eigenverantwortung“ Winkler, Semantiken der Befähigung, 2016, S.  174 ff. m. w. N. 303  In diesem Sinn Scholtes, Umweltherrschaft und Freiheit, 2007, S.  152. 304  Vgl. §  15 B. 305  Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  337. 306  Zum klugen Handeln als demjenigen moralkonformen Verhalten, das langfristig dem Eigennutz dient, Höffe, ZPhF 31 (1977), S.  354, 367; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 4.  Aufl. 2013, S.  180; Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  136. Zur Unterstützung der Mittellosen aus Klugheitserwägungen vgl. bereits Aristoteles, Politik, nach der Übersetzung von Schwarz, 2019, S.  310: „Es ist aber bei den Anerkannten ein Zeichen von einem einnehmenden Wesen und von Verstand, wenn sie sich der Mittellosen annehmen, ihnen Anfangsmittel geben und sie so den Arbeiten zuführen.“

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der Herstellung grundlegender Freiheiten anderer mitwirken. Er liegt in der dargestellten Doppelbezogenheit von Freiheit und Verantwortung. Beschränkungen der Vertragsfreiheit zur allgemeinen Grundbefähigung tragen dazu bei, dass für jeden Menschen die Möglichkeit zum selbstverantwortlichen Handeln im Rechtsgeschäftsverkehr während seines gegenwärtigen sowie zukünftigen Daseins besteht und erhalten bleibt. Die Sicherung derjenigen menschlichen Freiheiten, welche die Grundlage individueller Selbstverantwortung konstruieren, stellt sich damit zumindest langfristig auch für denjenigen als nützlich dar, der sich durch eine Einschränkung seiner Vertragsfreiheit solidarisch verhält.307 Der dahinterstehende Gedanke, dass es nicht auf eine punktuelle Nutzenbetrachtung ankommt, sondern „ein sinnvolles Maß des Wohlstands eines Individuums sich auf sein ganzes Leben beziehen muß“308 , stellt in der ökonomischen Analyse keinen Fremdkörper dar. Der zeitlich übergreifende Aspekt wird beispielsweise bei der „Generalkompensation“ im Zusammenhang mit dem Kaldor-Hicks-Kriteriums aufgegriffen, das im ersten Kapitel eine Rolle spielte.309 Auch die Überlegung, dass Freiheitseinschränkungen nützlich sein können, sich mithin als eine Investition erweisen, die sich später auszahlen wird, stellt nichts grundstürzend Neues dar. Man denke etwa – um ein konkretes Beispiel zu nennen – an die Pfändungsbeschränkungen der ZPO. Sie sind für den vollstreckenden Gläubiger zwar mit einer Freiheitsbeschränkung verbunden.310 Diese führt aber letzten Endes dazu, „daß es im großen und ganzen und auf lange Sicht auch dem Gläubiger nützt, wenn die Lebensfreude und Arbeitsbereitschaft des Schuldners trotz der Zwangsvollstreckung erhalten bleibt.“311

307  Zur Überlegung, dass sich moralkonformes Verhalten langfristig für den Betroffenen „lohnt“, vgl. Rüthers et al., Rechtstheorie, 12.  Aufl. 2022, S.  70. 308  v. Weizsäcker, in: Rahmsdorf/Schäfer, Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 1988, S.  23, 31. 309  Vgl. §  2 E. III. 310  Vgl. §  10 A. II. 311  Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 4.  Aufl. 2011, S.  277; zu diesem Gedanken auch Falkmann, Gutachten zum 22. DJT, 1892 (2020), S.  240, 243: „Diese Beschränkung liegt zugleich im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger. Denn die Erhaltung der wirthschaftlichen Existenz des Schuldners bietet zugleich die beste Gewähr für demnächstige volle Befriedigung.“; ähnlich Grünberg, Gutachten zum 24. DJT, 1897 (2020), S.  213, 224, der darauf hinweist, dass durch die Pfändungsbeschränkungen die Arbeitstätigkeit des Schuldners geschützt und diesem nicht der Weg verschlossen wird, „sich durch Arbeit wieder hinaufzubringen“; Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners, 1906, S.  58 f.; vgl. ferner Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 16.  Aufl. 1954, S.  63; Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Konkursrechts, 2.  Aufl. 1979, S.  91; Lüke, Zivilprozessrecht II, 11.  Aufl. 2021, S.  113; a. A. Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S.  161.

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Drittes Kapitel: Legitimation

II. Moral für (kluge) Nutzenmaximierer Diese Ausführungen provozieren einen gewichtigen Einwand: Das Beispiel der gesetzlichen Pfändungsbeschränkungen verdeutlicht, dass man mit einer an der Nützlichkeit orientierten Argumentation in die oben kritisierte Instrumentalisierung bedürftiger Individuen zurückgefallen ist.312 Denn die Argumentation läuft auf die Behauptung hinaus, dass Privatrechtsakteure nur deshalb an der Sicherung eines Freiheitsminimums für jedermann mitwirken sollen, weil Grundbefähigung eine Bedingung für selbstverantwortliches Handeln im Wirtschaftsverkehr ist. Dass sich rational eigennützige Privatrechtsakteure hinsichtlich der Grundbefähigung anderer solidarisch verhalten sollen, wird folglich nicht mehr um der Freiheit willen gefordert, sondern deshalb, weil dadurch die Voraussetzung für eine selbstverantwortliche Teilnahme an Marktprozessen geschaffen wird. Man hat damit nicht nur den normativen Grund einer allgemeinen Grundbefähigung ausgewechselt – schließlich geht es jetzt nicht mehr um die Befähigung dazu, ein würdevolles Leben zu führen, sondern um die Befähigung zur Selbstverantwortung im Wirtschaftsverkehr313 oder, pointiert formuliert, um eine „Befähigung für den Markt“314 –, man kommt auch nicht über ein instrumentelles Moralverständnis hinaus. Denn Moral dient lediglich als Instrument zur Sicherung selbstverantwortlichen Handelns der „Wirtschaftsbürger“315 , das demjenigen dienlich ist, der sich solidarisch verhält. Dennoch bleibt der Gedankengang in diesem Kapitel konsistent. Schließlich wurde in diesem Unterabschnitt eine Antwort auf die Frage gesucht, warum auch eigennützige Privatrechtsakteure einen hinreichenden Grund haben, sich bei der Verfolgung ihrer am eigenen Nutzen orientierten Interessen in ihrer Vertragsfreiheit beschränken zu lassen. Die Frage wurde somit aus der ökonomischen Position heraus und unter der Annahme einer ökonomischen Gesetzeshypothese gestellt. Dadurch ist man zu einer „Moral für Egoisten“316 gelangt, die es ermöglicht, dass die eigennützigen und zugleich in ihrem Eigennutz klugen Privatrechtsakteure317 zwar nicht moralisch, aber moralkonform und damit men312 

Vgl. §  14 A. I. Gedanke der „Befähigung zur Eigenverantwortlichkeit“ ist grundlegend für den von E. Nass entfalteten Sozialstaatsentwurf, vgl. Nass, Der humangerechte Sozialstaat, 2006, S.  197 ff. 314  Cremer, Armut in Deutschland, 2.  Aufl. 2017, S.  210. 315  Begriff nach Schapp, Freiheit, Moral und Recht, 2.  Aufl. 2017, S.  263. 316  Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  154. 317  Zur Klugheit der eigennützig handelnden Rechtsunterworfenen vgl. auch Radbruch, Der Mensch im Recht, 1957, S.  12: „In der Tat muß nämlich jeder Gesetzgeber sein Gesetz so gestalten, als wäre der Mensch so eigennützig, daß er rücksichtslos seinem Interesse folgen würde, wären ihm nicht Rechtsschranken gesetzt, und so klug, daß er jede Lücke dieser Schranken sofort erkennen würde, sein Gesetz muß (mit Kant zu reden) auch für ein Volk von Teufeln passen, sofern sie nur Verstand haben […] Jedes Gesetz muß sich also an der fiktiven Konstruktion des sehr eigennützigen und sehr klugen Menschen orientieren und erproben.“ 313  Der

§  17 Zusammenfassung

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schengerecht handeln können,318 ohne ihr Nutzenstreben aufgeben zu müssen.319 Dass diese lediglich äußere Übereinstimmung mit dem moralisch Geforderten von Vertretern eines klassischen Moralverständnisses als moralische Handlung anerkannt würde, wird damit nicht behauptet.320 Für sie stellt schließlich die beabsichtigte Beförderung des Wohlergehens anderer eine notwendige Bedingung für moralisches Handeln dar.321 Obgleich die hier verfolgte nutzenkalkulatorische Überlegung also nicht geeignet ist, ein moralisches Handeln der Privatrechtsakteure zu begründen, man den rationalen Egoisten also – cum grano salis – in seinem „ethischen Niemandsland“322 belässt, kann auf ihrer Grundlage solidarisches Handeln eingefordert und mit ihrer Hilfe das Ziel der Grundbefähigungsgleichheit als ein plausibler Bestandteil des ökonomischen Vertragsdenkens legitimiert werden.

§  17 Zusammenfassung Die wesentlichen Ergebnisse des dritten Kapitels lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) Der Ausgangspunkt des dritten Kapitels war die Frage, warum die Vertragsfreiheit als das tragende Prinzip unseres Privatrechts zur Gewährleistung grundlegender Freiheiten eingeschränkt werden soll. Mit dieser Frage werden drei unterschiedliche Legitimationsprobleme thematisiert: Erstens: Wie kann das Ziel der menschlichen Grundbefähigung an sich legitimiert werden? Zweitens: Wie lässt es sich rechtfertigen, dass auch einzelne Privatrechtssubjekte für die Gewährleistung und Förderung grundlegender Freiheiten anderer Personen verantwortlich sind? Drittens: Wie kann eine „gerechte“ Auswahl derjenigen Freiheiten begründet werden, welche die Vertragsfreiheit zurücktreten lassen? 318 Vgl. Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  234: „Aus Klugheitserwägungen kann sich […] bestenfalls moralkonformes Handeln, aber niemals moralisches Handeln ergeben.“ 319  Weise, in: Seifert/Priddat, Neuorientierungen in der ökonomischen Theorie, 1995, S.  73, 74, spricht von einer gefühlsmäßigen Verankerung im Nutzenhaushalt eines Menschen. Ähnlich formuliert diesen Gedanken Rüstow, in: Hoch, Alexander Rüstow – Rede und Antwort, 1963, S.  230, 247: „[D]ie soziale Marktwirtschaft, insofern sie diesen Namen zu Recht trägt und sich von der früheren unsozialen Marktwirtschaft unterscheidet, [fordert] von allen denen, die von dieser bisherigen Wirtschaftsordnung begünstigt waren, Opfer […] und zwar Opferbereitschaft gar nicht nur aus christlicher Nächstenliebe und Uneigennützigkeit, sondern auch in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse.“ 320  So auch Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  158. 321  Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6.  Aufl. 2021, S.  283; ähnlich Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  59: „Die Funktion der Moral besteht im Schutz der Interessen anderer“. 322  Kersting, in: Lessenich, Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe, 2003, S.  105, 115.

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Drittes Kapitel: Legitimation

Für sämtliche Antworten liefert das Sen’sche Denkmodell normative Orientierungen. (2) Am Anfang des Legitimationsdiskurses steht eine Handlungsempfehlung der Rechtsökonomik. Rechtliche Normen sollen einen Rahmen für freie Allokationshandlungen schaffen und den Austauschprozess auf dem Markt nicht stören. Staatliche Eingriffe in den Marktmechanismus sind lediglich dann erwünscht, wenn sie die Funktionsweise des Marktes im Sinne des Pareto-Kriteriums verbessern. Wer behauptet, derartige Reallokationen erfolgten im Namen der Freiheit, weil sie die Unvollkommenheiten des freien Marktes beseitigten, der erfasst Freiheit lediglich in ihrer instrumentellen Bedeutung, denn sie dient auf diese Weise nur als Mittel zur Erreichung eines anderen, höher bewerteten Ziels: der optimalen Ressourcenallokation. Der Umstand, dass Menschen die Freiheit zum Tausch und zum Vertragsschluss auch jenseits ihres instrumentellen Werts schätzen, bleibt damit unberücksichtigt. (3) Im ökonomischen Konzept des Marktversagens beschränkt sich der Blick auf den Prozessaspekt der Freiheit. Reallokative Eingriffe dienen nicht der Herstellung eines bestimmten Verteilungsergebnisses des Marktes. Der Umstand, dass einige Menschen unter einem Mangel an Chancen zur Teilnahme am Marktgeschehen leiden, spielt keine Rolle. Mit der Begrenzung auf den Prozess­ aspekt der Freiheit verbunden ist die Annahme, dass der Marktprozess – sofern er ohne Funktionsstörungen abläuft – ein prozedural gerechtes Ergebnis hervorbringt. (4) Staatliche Interventionen in den Marktmechanismus, die darauf abzielen, reale Freiheitschancen herzustellen, können nur mithilfe marktexogener Gerechtigkeitsüberlegungen begründet werden. Rekurriert man insoweit auf den Befähigungsansatz, so lassen sich Eingriffe von einer Freiheitsidee aus legitimieren. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich im Begriff der Fähigkeiten ein Prozessaspekt und ein Chancenaspekt der Freiheit verbinden. Auf der Grundlage dieses gehaltvollen Freiheitsverständnisses lässt sich argumentieren, dass redistributive Eingriffe in den Marktmechanismus individuelle Freiheiten ermöglichen, weil sie die Bedingungen dafür schaffen, dass Freiheiten praktisch realisiert werden können. (5) Mit dem Einsatz des Befähigungsansatzes zur Rechtfertigung von Redistributionen geht eine Entscheidung zugunsten eines bestimmten Verteilungsgegenstandes einher. Was es zu verteilen gilt, sind die Freiheiten, die ein Mensch benötigt, um das von ihm mit Gründen geschätzte Leben zu führen. Weil Verteilungsgerechtigkeit nicht notwendig Gleichheit bedeutet, stellt sich die Frage nach dem maßgeblichen Distributionsprinzip. Der Befähigungsansatz impliziert nicht die Forderung nach Egalisierung. Befähigungsgerechtigkeit bedeutet also nicht Befähigungsgleichheit. Lediglich im Raum der Grundfähigkeiten lässt sich eine egalitäre Zielsetzung begründen, wenn man sogleich ergänzt, dass der angestrebten Gleichheit kein Eigenwert zukommt. Das bedeutet: Ein

§  17 Zusammenfassung

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Zuwachs an Gleichheit im Raum der Grundfähigkeiten ist nicht um der Gleichheit willen erstrebenswert, sondern deshalb, weil dadurch jedermann über einen humanen Mindestsockel an Freiheiten verfügt. Gleichheit stellt damit lediglich einen Nebeneffekt dar. Zu dieser Einschränkung zwingt der Umstand, dass grundlegende Freiheiten ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen, das für jeden Menschen zu gewährleisten ist, und zwar unabhängig davon, wie andere gestellt sind. (6) Obgleich der Zustand einer allgemeinen Grundbefähigung zur Stabilität einer Wirtschaftsordnung beitragen sowie mehr Produktivität unter den Gesellschaftsmitgliedern freisetzen kann, darf das Ideal der Grundbefähigungsgleichheit nicht mit diesen Folgeerwägungen gerechtfertigt werden. Denn in einem derartigen Begründungsansatz werden die handelnden Subjekte nicht nur auf eine instrumentelle Funktion reduziert, es wird auch das Wohl der Gesamtheit in den Mittelpunkt gerückt, also eine normative Entscheidung nicht mehr auf die betroffenen Individuen zurückgeführt. (7) Lässt man ein ökonomisches Zweckdenken sowie kollektive Ziele außen vor, wird deutlich, dass die Legitimation der Forderung nach gleichen Grundfähigkeiten unmittelbar im Menschsein selbst gesucht werden muss. Der Grund hierfür liegt darin, dass grundlegende Freiheiten eine notwendige Bedingung für ein würdevolles Leben bilden und Würde jedem Menschen allein wegen seines Menschseins zusteht. Ob der Zustand eines egalitären Freiseins im Sockelbereich für etwas anderes dienlich ist, spielt dabei keine Rolle. (8) Die Antwort auf die Frage, wer für die Herstellung grundlegender Freiheiten verantwortlich ist, wird durch die Wahl der rechtlichen Instrumente bestimmt, die zur Verfolgung verteilungspolitischer Ziele zum Einsatz kommen. Während Umverteilung über das Steuer- und Sozialrecht zwangsläufig mit einer Kollektivverantwortung der Angehörigen der Gruppe der Steuerzahler einhergeht, führen verteilungspolitisch ausgerichtete Normen des Vertragsrechts immer zur Fremdverantwortung eines anderen Privatrechtssubjekts. Eine solche Indienstnahme Privater wird im ökonomischen Ansatz abgelehnt. Die richtige „Umverteilungsabteilung“ stellt nach allgemeiner Meinung nicht das Vertragsrecht, sondern das Steuer- und Sozialrecht dar. Distributive Ziele werden damit ausschließlich auf Kosten der Allgemeinheit realisiert. (9) Wenn man wissen möchte, ob das Vertragsrecht als Umverteilungsinstrument eingesetzt werden sollte, dann muss man bei der Frage beginnen (oder sie zumindest nicht ausblenden), was der Gegenstand einer möglichen Umverteilung ist. Geht es nicht mehr um eine staatliche Umlenkung von materiellen Ressourcen, sondern um eine Umverteilung von menschlichen Freiheiten, dann funktioniert die in der ökonomischen Analyse zu findende einfache Dichotomie zwischen dem Steuer- und Sozialrecht als „Umverteilungsabteilung“ einerseits und dem Vertragsrecht als „Allokationsabteilung“ andererseits nicht mehr. Dahinter steht die Einsicht, dass eine Umverteilung von Freiheiten nur gelingen

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Drittes Kapitel: Legitimation

kann, wenn auch die freiheitsbeschränkenden Bedingungen nicht-monetärer Art in den Umverteilungsvorgang einbezogen werden. Wer dies akzeptiert, kann auf das Vertragsrecht als Umverteilungsinstrument nicht verzichten, denn mit seiner Hilfe werden die gesellschaftlichen Bedingungen des Freiheitsgebrauchs so modelliert, dass auch bedürftige Personen in die Lage versetzt werden, ihre knappen Ressourcen in grundlegende Freiheiten zu konvertieren. Weil durch das steuer- und sozialrechtliche Transfersystem nur Güter und keine menschlichen Freiheiten bereitgestellt werden, bedarf es zur Realisierung eines freiheitsbasierten Umverteilungsziels daher eines Zusammenspiels zwischen Vertragsrecht und öffentlichem Recht. (10) Mit dieser Position ist zwangsläufig eine Kollision der Freiheitsinteressen verschiedener Privatrechtssubjekte verbunden. Das Mehr an wirklichen Freiheiten grundlegender Art führt zu einem Weniger an Vertragsfreiheit. Es darf daher nicht unbeantwortet bleiben, wie die individuellen Freiheiten abzugrenzen sind. Weil grundlegende Freiheiten eine notwendige Bedingung für ein würdevolles Leben bilden, muss ihnen per se Priorität vor der Vertragsfreiheit eingeräumt werden. (11) Schwieriger zu beantworten ist die Frage, welche konkreten Grundfähigkeiten von dieser Vorrangstellung profitieren. Der Befähigungsansatz nach der Lesart A. Sens macht hierzu keine bestimmten inhaltlichen Vorgaben, sondern rekurriert für die Auswahl grundlegender Freiheiten auf einen prozeduralen, auf gesellschaftlicher Deliberation aufbauenden Ansatz. Damit wird der in einer offenen Gesellschaft zu findenden Pluralität von Vorstellungen über ein Leben in Würde Rechnung getragen und das freiheitszentrierte Argumentationsmuster des Befähigungsansatzes konsequent fortgeführt. (12) Um zu gewährleisten, dass die Freiheiten des Einzelnen in der diskursiv gestalteten Deliberation ernst genommen werden, ist vom Erfordernis der Zustimmung aller auszugehen. Damit bildet der Konsens, der unter bestimmten diskursiven Rahmenbedingungen von den Diskursteilnehmern hervorgebracht wird, den Indikator für die gerechte Auswahl derjenigen Grundfähigkeiten, denen ein Vorrang vor der Vertragsfreiheit eingeräumt werden soll. Vertragsfreiheitsbeschränkende Verpflichtungen zur Förderung grundlegender Fähigkeiten einer anderen Person werden dadurch auf eine Selbstverpflichtung desjenigen zurückgeführt, der sich solidarisch verhält. (13) Weil materielle Ressourcen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für menschliche Freiheiten darstellen, wird durch die im ökonomischen Ansatz favorisierte rein monetaristische Umverteilung über das Steuer- und Sozialrecht nicht sichergestellt, dass alle Menschen über Freiheiten grundlegender Art verfügen. Im Lichte dessen sollten Argumente ins Feld geführt werden, die für eine Abkehr von der ausschließlichen Ausrichtung des ökonomischen Vertragsdenkens auf das Effizienzziel sprechen. Dabei ist die Ausgangsüberlegung, dass eine durch Abwägung zu bewältigende Pluralität

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von Zielen weder im ökonomischen noch im rechtlichen Denken etwas Außergewöhnliches ist. Auch in der Teilordnung des Vertragsrechts müssen daher Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit nicht zwangsläufig als alternative Ziele bewertet werden, sondern sie können als spannungsvoller Verbund in Erscheinung treten. (14) Werden Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit derart kompromisshaft aufeinander abgestimmt, dass Abstriche am Ziel der Allokationseffizienz lediglich zur Verwirklichung des Ideals der Grundbefähigungsgleichheit zulässig sind, dann setzt sich das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit nur zur Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens durch. Dieses minimalistische Gerechtigkeitsimplantat ist „systemverträglich“, denn es greift das in der rechtsökonomischen Literatur zu findende Anliegen auf, menschenunwürdige Auswüchse einer ausschließlich effizienzorientierten Rechtsordnung zu verhindern. Effizienzeinbußen zur Verwirklichung eines höheren Gerechtigkeitsziels werden im ökonomischen Ansatz also prinzipiell akzeptiert. (15) Die normativ-ethische Forderung, dass nicht nur das Kollektiv, sondern auch einzelne Privatrechtsakteure an der allgemeinen Grundbefähigung mitwirken müssen, ist von der Frage zu unterscheiden, warum dieser Forderung nachgekommen werden sollte. Die Antwort auf diese Frage muss, weil es darum geht, das ökonomische Vertragsdenken für distributive Gerechtigkeitsüber­ legungen zu öffnen, auf dem Fundament der Gesetzeshypothese des rational eigennützigen Verhaltens der Privatrechtsakteure aufgebaut werden. Das bedeutet, es müssen Gründe angeführt werden, die einsichtig machen, dass Beschränkungen der Vertragsfreiheit zur Grundbefähigung eines anderen Menschen für den eigenen Nutzen förderlich sind. (16) Der Nutzen derartiger Freiheitsbeschränkungen zeigt sich, wenn man sich die Doppelbezogenheit von Freiheit und Selbstverantwortung vergegenwärtigt. Derjenige der von seiner Vertragsfreiheit Gebrauch macht, muss nicht nur die Verantwortung für die Folgen seines Freiheitsgebrauchs tragen. Eine zweite Verbindung zwischen Freiheit und Selbstverantwortung besteht darin, dass grundlegende Freiheiten eine notwendige Bedingung für ein verantwortliches Handeln im Rechtsgeschäftsverkehr darstellen. Wer nicht über wirkliche Freiheiten grundlegender Art verfügt, wird auf lange Sicht keine Verträge begründen und die hieraus resultierende Verantwortung tragen können. (17) Aus diesem Umstand, dass Grundbefähigung es überhaupt erst ermöglicht, individuelle Verantwortung zu tragen, ergibt sich der Grund, warum es „klug“ ist, wenn Privatrechtsakteure bei der rechtsgeschäftlichen Verfolgung ihres Eigennutzes an der Herstellung grundlegender Freiheiten anderer mitwirken: Die Grundbefähigung eines anderen zum verantwortlichen Handeln dient langfristig dem eigenen Nutzen. Damit wird zwar nicht mehr um der Freiheit willen gefordert, dass sich Privatrechtsakteure an der Herstellung wirklicher Freiheiten anderer beteiligen sollen. Der solidarischen Verantwortung wird

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Drittes Kapitel: Legitimation

vielmehr aus Nutzenerwägungen ein legitimer Platz eingeräumt. Nur durch einen solchen Schritt gelingt es jedoch, das nutzenorientierte Vertragsdenken der Rechtsökonomik für ein Minimum an Verteilungsgerechtigkeit empfänglich zu machen, den homo oeconomicus zu moralkonformem Handeln zu motivieren und damit die Rechtsökonomik der Verträge zu einem humangerechten Ansatz weiterzuentwickeln.

Schlussbetrachtung „Die Tatsache, daß wir zwar keine positiven Gerechtigkeitskriterien haben, jedoch negative Kriterien, die uns sagen, was ungerecht ist, ist in verschiedener Hinsicht sehr wichtig […] Solch ein Ungerechtigkeitstest kann genügen, um uns zu sagen, in welche Richtung wir ein bestehendes Rechtssystem entwickeln müssen […].“1 F. A. v. Hayek

In dieser Schrift wurde der Versuch unternommen, einen ökonomischen Ansatz für eine Analyse des Vertragsrechts nutzbar zu machen, der Entwicklung als Erweiterung der menschlichen Freiheitsräume und Armut als Mangel grundlegender Freiheiten begreift. Mit der Rezeption des Befähigungsansatzes waren drei Ziele verbunden: Es sollte erstens der liberale Wert eines sozialen Vertragsrechts zutage gefördert werden. Es ging zweitens darum, die Funktion des Rechts im Befähigungsansatz sowie die Bedeutung dieses Denkmodells für die Rechtsgestaltung zu erläutern. Drittens sollte die in der Rechtsökonomik geführte Umverteilungsdebatte mit einem auf Freiheit aufbauenden ökonomischen Ansatz konfrontiert und die Frage beantwortet werden, warum die Vertragsfreiheit zur Gewährleistung grundlegender Freiheiten eingeschränkt werden sollte.

A. Freiheitsorientierte Rechtsbeschreibung Eine befähigungsorientierte Rechtsanalyse legt offen, inwiefern soziale Regelungen des Vertragsrechts zur Wahrung und Weitung des Freiheitsraums bedürftiger Privatrechtsakteure beitragen. Es hat sich gezeigt, dass sich eine freiheitssichernde und freiheitserweiternde Wirkung durch ihren gestaltenden Einfluss auf den Prozess der Umwandlung von knappen Gütern in Freiheiten realisiert. Vertragsrechtliche Normen modellieren die sozialen Bedingungen, die darüber entscheiden, ob Privatrechtsakteure ihre finanzielle Ressourcen in 1 

v. Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, 1973 (2013), S.  193.

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Schlussbetrachtung

Fähigkeiten und damit in wirkliche Freiheiten konvertieren können. Damit entfaltet der „Vertrag als Mittel gerechter Ordnung“2 eine ganz konkrete soziale Funktion, nämlich eine solche, die auf Sicherung und Ausweitung des realen freien Seins und Handelns der Menschen überhaupt gerichtet ist.3 Obgleich durch diese freiheitsfunktionale Ausrichtung die Möglichkeit eröffnet wird, auch solchen sozialen Rechtsnormen einen liberalen Wert zuzusprechen, die mit einer Beschränkung der Vertragsfreiheit einhergehen, kommt es dadurch nicht zu einer harmonischen Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Vertragsfreiheit und sozialer Umverteilung. Dies hat seinen Grund darin, dass in einer befähigungsorientierten Rechtsbeschreibung das negative Freiheitsverständnis der Vertragsfreiheit nicht aufgegeben wird. Dementsprechend wird auch nicht behauptet, mithilfe vertragsrechtlicher Sozialgesetzgebung könnten menschliche Freiheiten im positiven Sinn ohne Einschränkung der Vertragsfreiheit ausgeweitet werden. Ganz im Gegenteil: Jede Befähigung bedürftiger Privatrechtsakteure durch vertragsrechtliche Normen trägt interventionistische Züge. Sie stellt kein „freiheitsrechtliches Nullsummenspiel“4 dar, sondern bleibt ein Dolchstoß in das Herz der material-negativ konzipierten Vertragsfreiheit.5 Anders gewendet: Jedes Mehr an wirklicher Freiheit des einen Rechtssubjekts wird durch ein Weniger an Vertragsfreiheit eines anderen Rechtssubjekts erkauft. Dieses Freiheitsopfer muss als solches benannt und darf nicht einfach im Wege einer Gesamtbetrachtung mit der Mehrung einer anderen 2 

Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.  3, 9 [Hervorhebung im Original]. Wechsel in die Perspektive der wirklichen Freiheit vollziehen etwa auch Green, Lecture on Liberal Legislation and Freedom of Contract, 1881 (1891), S.  365, 372, 374, 385 f.; Ryffel, Der Staat 9 (1970), S.  1, 9, für den die freiheitsfördernde Wirkung im Sinne einer „konkreten Entfaltungschance“ die konstituierende Bildungsregel aller Vorkehrungen des rechtlich fixierten sozialen Ausgleichs darstellt; auch Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970, S.  3, 19, lenkt den Blick auf eine außerrechtliche Freiheitsmehrung: „Die privatrechtlichen ‚Grundfiguren‘ der Privatautonomie – Eigentumsfreiheit, Vertragsfreiheit und Vererbungsfreiheit – mögen substantielle gegenständliche Einschränkungen erfahren haben. Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung haben aber – alles in allem genommen – gewonnen.“; vgl. ferner Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art.  19 Abs.  2 Grundgesetz, 3.  Aufl. 1983, S.  15: „Der Verfassung geht es aber gerade um ‚wirkliche‘ Freiheit. Sinn der Grundrechte ist es, einen freiheitlichen Lebensprozeß zu garantieren, […].“; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S.  384: „Als Ziel steht diese reale Freiheit kaum in Frage, […].“; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S.  132, sieht den letzten Zweck der Abwehrrechte in der Gewährleistung realer Freiheiten in einer Gesellschaft; speziell mit Blick auf die Vertragsfreiheit vgl. Collins, The Law of Contract, 4.  Aufl. 2003, S.  25: „This idea of freedom contains a negative element, which rejects the interference of the state in the terms of market transactions, but also a positive element, for it sees in the general licence to enter binding contracts an enhancement of freedom, because this facility permits new forms of co-operative endeavours which last over a period of time.“ 4  A. A. Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, S.  21, 26. 5  A. A. Mahlmann, in: Rust et al., Die Gleichbehandlungsrichtlinien der EU und ihre Umsetzung in Deutschland, 2003, S.  47, 59, mit Blick auf den privatrechtlichen Diskriminierungsschutz. 3  Einen

Schlussbetrachtung

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Art von Freiheit verrechnet werden. 6 Nur dadurch ist gewährleistet, dass der Wert der (negativen) Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung als ebenso wichtig anerkannt wird wie die Werthaftigkeit des freien Seins und Handelns der Menschen überhaupt. Erst in einem zweiten Schritt geht es um die Frage, welcher Freiheit man wann das höhere Gewicht geben will.7 Soll die Vertragsfreiheit oder die wirkliche Freiheit Vorrang haben? Fällt diese durch Abwägung zu bewältigende Freiheitskollision zugunsten der menschlichen Fähigkeiten aus, dann fordert dies eine Begründung ein, die einsichtig macht, warum die Vertragsfreiheit zur Erweiterung des realen Freiheitsraums einzuschränken ist.8

B. Freiheitsorientierte Rechtsgestaltung Mit dem Befund, dass der Antagonismus zwischen sozialer Umverteilung und Vertragsfreiheit weiterbesteht, weil es eben auch ein soziales Vertragsrecht „um einer Freiheit willen“ nur um den Preis von Freiheit gibt,9 steht nun natürlich die Frage im Raum, was mit einer Exploration der freiheitsfördernden Wirkung sozialer Rechtsnormen überhaupt gewonnen ist. Schließlich darf man in einer befähigungsorientierten Rechtsbeschreibung weder für eine grundlegende Neuorientierung des der Vertragsfreiheit zugrunde liegenden Freiheitsverständnisses plädieren noch sich für die Erweiterung des Schutzes der Vertragsfreiheit um einen Chancenaspekt einsetzen, um eine selbstbestimmte Teilhabe am Rechtsgeschäftsverkehr zu ermöglichen. Worin liegt also der konkrete Erkenntnisgewinn eines deskriptiven Ansatzes, der auf dem Boden menschlicher Freiheiten argumentiert? Er zeigt sich, wenn man den Bogen zur rechtsschöpferischen Arbeit des Gesetzgebers schlägt. Der Grund, warum die Rezeption des Befähigungsansatzes für die Rechtsgestaltung besonders fruchtbar ist, liegt in seiner Fokussierung auf den einzelnen Menschen. Im Zentrum der Befähigungsidee steht die Frage, ob der Mensch als Einzelwesen über die wirklichen Freiheiten verfügt, die er benötigt, um ein gutes Leben zu führen. In einer Analyse des Vertragsrechts ist eine solche „Perspektive der ersten Person Singular“10 ungewöhnlich: erstens, weil der Vertrag 6 

Für eine Gesamtbetrachtung indes Wolf, in: FS Raiser, 1974, S.  597, 611. Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  117, der darauf hinweist, dass es stets darum geht, „welche spezifischen Freiheitsbefugnisse gefördert, und welche spezifischen Freiheitsbefugnisse begrenzt werden sollen und können.“ 8 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 8.  Aufl. 2018, S.  343: „Eingriffe in die negative Freiheit bleiben stets das, was sie sind, nämlich Eingriffe in eine bestimmte Art der Freiheit. Dies bedeutet, daß sie als solche rechtfertigungsfähig sein müssen.“ 9  In Anlehnung an Jahrreiß, Freiheit und Sozialstaat, 1957, S.  5. 10  Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein?, 2.  Aufl. 2014, S.  35. Zur akteursbezogenen Perspektive des Befähigungsansatzes vgl. auch Dann, in: Dann et al., Entwicklung und Recht, 2014, S.  19, 29. 7 Treffend

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Schlussbetrachtung

damit nicht mehr als mehrseitiges Selbstbestimmungsinstrumentarium11 wahrgenommen wird, und zweitens, weil die Frage ausgeblendet wird, ob der freiheitsfördernde Beitrag einer sozialen Rechtsnorm im Lichte ihrer zugleich freiheitsbeschränkenden Wirkung zulasten anderer Privatrechtssubjekte überhaupt erwünscht ist. Genau in dieser Zurückdrängung des Freiheitskonflikts – dessen Lösung zentral bedeutsam bleibt – liegt jedoch ein entscheidender Vorzug. Denn es wäre falsch, sich ausschließlich auf die Frage zu konzentrieren, ob der Freiheitsgewinn des einen im Lichte des Freiheitsverlusts eines anderen positiv oder negativ zu bewerten ist. Den Auftakt des Disputs muss vielmehr das Problem bilden, wie eine Vergrößerung der menschlichen Freiheitsspielräume mithilfe rechtlicher Normen überhaupt gelingen kann. Durch diese Frage wird der Blick auf die wichtige Erkenntnis gelenkt, dass die Menge an Individualfreiheiten durch ein Zusammenspiel der Güterausstattung („Güter“), der persönlichen Eigenschaften („persönliche Umwandlungsfaktoren“) sowie der sozialen Gegebenheiten („soziale Umwandlungsfaktoren“) begrenzt wird. Setzt man diese Vorgabe in Beziehung zur Rolle des Rechts, so wird eine mehrdimensionale Freiheitsbedeutung rechtlicher Normen sichtbar, die in der Rechtsgestaltung berücksichtigt werden muss. Damit lässt sich aus dem Ordnungsrahmen des Befähigungsansatzes – obgleich er keine vollständige entscheidungsorientierte sozialwissenschaftliche Theorie des Rechts liefert – eine konkrete Handlungsanweisung an den Gesetzgeber ableiten. Möchte er mithilfe rechtlicher Normen die grundlegenden Freiheiten bedürftiger Personen fördern – und damit Armut bekämpfen –, darf er sich nicht auf die Güterausstattung der Rechtsunterworfenen beschränken, sondern er muss auch den freiheitsbeschränkenden Umwandlungsfaktoren sowohl persönlicher als auch sozialer Art seine Aufmerksamkeit widmen. Anderenfalls bleibt unberücksichtigt, dass zwischen den verfügbaren Gütern und den menschlichen Freiheiten ein grundlegender Unterschied besteht.12 11 

Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  102. In diesem Sinne auch Sen, Inequality Reexamined, 1992 (1995), S.  151 f.: „[T]he reorientation from an income-centred to a capability-centred view gives us a better understanding of what is involved in the challenge of poverty. It provides clearer guidance on the priorities of anti-poverty policy and also helps us to understand better the genesis of poverty in apparently unlikely circumstances (e. g. in the rich countries of Europe and America).“; Drèze/Sen, India: Development and Participation, 2002, S.  6: „The crucial role of social opportunities is to expand the realm of human agency and freedom, both as an end in itself and as a means of further expansion of freedom. The word ‚social‘ in the expression ‚social opportunity‘ […] is a useful reminder not to view individuals and their opportunities in isolated terms. The options that a person has depend greatly on relations with others and on what the state and other institutions do. We shall be particularly concerned with those opportunities that are strongly influenced by social circumstances and public policy […].“; Deakin/Browne, in: Hervey/Kenner, Economic and Social Rights under the EU Charter of Fundamental Rights, 2003, S.  27, 34; Deakin, Renewing Labour Market Institutions, 2004, S.  48, 53, 58; Browne et al., in: Salais/Villeneuve, Europe and the Politics of Capabilities, 2004, S.  205, 209: „The implication of this approach is that a procedure which aims at equality of capability should focus 12 

Schlussbetrachtung

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Zur Erfüllung dieser Aufgabe hat sich der Gesetzgeber rechtlicher Normen aus zwei unterschiedlichen „Abteilungen“ zu bedienen: Während es eine Aufgabe des öffentlichen Rechts ist, die wirtschaftliche Freiheit der Menschen zu erhalten, wird im Privatrecht der Blick auf die sozialen Hintergrundbedingungen gerichtet, die darüber entscheiden, ob die (auch mittels staatlicher Transferleistungen) zur Verfügung stehenden knappen Güter tatsächlich in die gewünschten Freiheiten konvertiert werden können. Der Grundgedanke ist also der, dass sich eine privatrechtliche „Umverteilungsabteilung“ auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der wirklichen Freiheiten sowie ihre Gestaltbarkeit durch vertragsrechtliche Normen zu konzentrieren hat. Damit tritt nun der Erkenntnisgewinn einer befähigungsorientierten Vertragsrechtsbeschreibung deutlich hervor. Eine nicht „auf die vertragliche Zweierbeziehung eingeengte zivilistische Blickweise“13 fördert nicht nur den Einfluss des Vertragsrechts auf die individuelle Realität freiheitsbeschränkter Bedingungen nicht-monetärer Art zutage, sondern führt auch zu einer klaren Aufgabenteilung zwischen einer privat- und einer öffentlich-rechtlichen „Umverteilungsabteilung“.

C. Umverteilung von Freiheiten Eine normative Bedeutung entfaltet der Befähigungsansatz im Zusammenhang mit der Frage, ob mithilfe des Vertragsrechts Umverteilungseffekte erzielt werden sollen. Die Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts sehen im Steuer- und Sozialrecht das Mittel der Wahl zur Realisierung von Umverteilungseffekten. Mit Blick auf das Vertragsrecht gilt hingegen das Credo: Verteilungsgerechtigkeit im Sinne einer Umverteilung zugunsten sozial Schwacher gehört nicht zu seinen Zielen.14 Diese einfache Dichotomie zwischen dem Steuer- und Sozialrecht als „Umverteilungsabteilung“ und dem Vertragsrecht als „Allokationsabteilung“ kann bei einer Änderung des maßgeblichen Verteilungsgegenstandes nicht aufrechterhalten werden. Wenn Reichsein oder Armsein nämlich nicht mehr durch Einkommen und Vermögen, sondern – dem Befähigungsansatz entsprechend – in der Sprache der positiven Freiheiten verfasst wird, dann wirkt sich dies unmittelbar auf die Wahl der geeigneten Umverteilungsinstrumente aus. Definiert sich der Umverteilungsgegenstand über den Begriff der on the conversion factors which, in a given society, determine the conversion of impersonal and transferable resources, such as human and physical capital, into functionings and capabilities.“; Volkert, in: Volkert, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 2005, S.  119, 120 f.; Deakin, Erasmus Law Rev. 3 (2010), S.  141, 152: „Thus, the capability approach opens up a debate, among other things, about the appropriate institutional conditions for substantive choice.“ 13  Limbach, JuS 1985, S.  10, 15. 14  Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6.  Aufl. 2020, S.  5 43.

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Schlussbetrachtung

Freiheit, können distributive Ziele nicht ohne flankierende Unterstützung solcher Regelungen erreicht werden, die den Rahmen von Verträgen bestimmen. Ausschlagend hierfür ist die nüchterne Wahrheit, dass sich in unserer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung wirkliche Freiheiten grundlegender Art in der Regel nicht ohne einen Austausch von Gütern und Dienstleistungen realisieren lassen. Und diese Austauschprozesse haben ihre Grundlage letzten Endes immer im Vertragsrecht. Damit wird in einem auf wirklichen Freiheiten aufbauenden Ansatz nicht nur die einfache Trennung zwischen dem Vertragsrecht als Motor für Allokationseffizienz und dem Steuer- und Sozialrecht als „Umverteilungsabteilung“ auf­ gegeben. Zudem entfernt man sich aus einem weiteren Grund von der hohen Präzision rechtsökonomischen Denkens. Denn mit der Entscheidung für eine freiheitsorientierte Perspektive geht die Frage nach der Auswahl konkreter Freiheiten einher, die im Umverteilungsprozess überhaupt eine Rolle spielen sollen. Schließlich gibt es in einer pluralistischen Gesellschaft eine Vielzahl an unterschiedlichen Vorstellungen davon, welche konkreten Freiheiten ein Mensch zur Führung eines würdevollen Daseins benötigt. Der im Befähigungsdenken verfolgte diskurstheoretische Ansatz gibt keinen materialen Gehalt in Form einer Liste grundlegender Freiheiten vor, sondern ist ergebnisoffen. Er sieht sich zudem dem Einwand ausgesetzt, dass die Durchführung einer auf Verständigung abzielenden diskursiv gestalteten Deliberation mit zahlreichen praktischen Schwierigkeiten verbunden ist.15 Und schließlich ist zu bedenken, dass es den Beteiligten möglicherweise nicht gelingt, den Diskurs mit einem Konsens zu beenden,16 sodass man sich letztlich auf die Forderung beschränken muss, das diskursive Verfahren müsse mit einer größtmöglichen Annäherung an einen solchen Konsens sein Ende finden.17 Mit all dem geht ein entscheidender Vorteil des Programms der ökonomischen Rechtsanalyse verloren: Die metho­dische Klarheit und Exaktheit ihrer Anwendung als rechtspolitisches Programm. Führt man sich jedoch vor Augen, dass eine mittels Besteuerung und Transferzahlungen zu bewirkende rein güterorientierte Umverteilung sowohl die divergierenden persönlichen Freiheitsbedingungen als auch die freiheitslimitie15  Kritisch daher Hamilton, Amartya Sen, 2019, S.  122 f.: „[W]e are left with an approach to democracy that lacks realism.“ 16 Vgl. Alexy, ZPhF 43 (1989), S.  81, 85: „[E]ine Konsensgarantie kann weder ausgeschlossen noch angenommen werden“; Cohen, in: Pettit/Hamlin, The Good Polity, 1989, S.  17, 23; Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S.  221; Tschentscher, in: van Aaken/Schmid-Lübbert, Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, 2003, S.  119, 130: „Es ist […] möglich, daß ein Konsens in bestimmten Fragen nie eintritt. Bei realen Diskursen ist das sogar die wahrscheinlichere Variante, weil diese Diskurse durch Zeitablauf zwangsläufig enden, ohne daß ein Konsens gesichert wäre […] bei idealen Diskursen, die nie enden […] ist weder die Möglichkeit noch die Unmöglichkeit eines Konsenses beweisbar.“ 17  Vgl. §  15 C. III.

Schlussbetrachtung

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renden sozialen Bedingungen ausblendet, sie – in anderen Worten – die reale Lebenssituation der Menschen nicht erfasst und auch nicht gewährleistet ist, dass jeder Einzelne über wirkliche Freiheiten grundlegender Art verfügt, dann gibt es keinen Grund, an dem allein an Allokationseffizienz orientierten Vertragsparadigma festzuhalten, nur weil dieser Ansatz gut handhabbar und angenehm einfach ist. Eine ökonomisch informierte Rechtswissenschaft darf im Lichte der dargestellten freiheitslimitierenden Konsequenzen keine präzise Vorstellung vom Falschen anstreben, wenn sie mithilfe eines aus dem Befähigungsansatz abgeleiteten normativen Bezugsrahmens ein vages Bild vom Richtigen entwickeln kann.18 Damit ist weder die Forderung nach einer „umfassenden Ethisierung des Privatrechts“19 noch die Forderung nach einer Einbettung des ökonomischen Effizienzziels in eine elaborierte Theorie der Gerechtigkeit verbunden.20 Es genügt, wenn die Rechtswissenschaft die dargestellte offensichtliche, aus der Verengung des normativen Leitvokabulars resultierende Ungerechtigkeit des rechtsökonomischen Vertragsdenkens benennt 21 und aufzeigt, wie sie mithilfe einer Gerechtigkeitsidee beseitigt werden kann. Dieser beschränkte Auftrag der Rechtswissenschaft ist nichts, was zu bedauern wäre. Er ist vielmehr Ausdruck der Einsicht, dass das Spannendste an der ökonomischen Rechtsanalyse nicht ihre Grenzen sind, 22 sondern die Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie diese überwunden werden können.

18 Vgl. Nussbaum, Political Theory 20 (1992), S.  202, 215: „The idea is that it is better to be vaguely right than precisely wrong“; in diesem Sinn auch Sen, Der Lebensstandard, 1987 (2000), S.  60; v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889 (1949), S.  478, 486: „Gewiß ist es glatter und einfacher, das Prinzip des Gegensatzes folgerichtig auszubauen. Leider nur birgt dasselbe geradlinige Schema, das den mathematischen Sinn befriedigt, für das organische Leben, dessen Formen es setzen will, den Todeskeim.“ 19  So aber Derleder, in: FS Wassermann, 1985, S.  6 43, 656; dazu kritisch Rittner, AcP 188 (1988), S.  101, 129; Reuter, AcP 189 (1989), S.  199, 220. 20 Anders v. d. Pfordten, Rechtsethik, 2.  Aufl. 2011, S.  378: „Das Effizienzziel sollte […] in eine umfassendere Theorie der Gerechtigkeit eingebettet werden, um nicht zu ungerechten Ergebnissen zu führen.“ 21  Zur Ungerechtigkeit als Ausgangspunkt einer Gerechtigkeitsanalyse vgl. Weinberger, Norm und Institution, 1988, S.  219; Brugger, JZ 1989, S.  1, 8; Kersting, in: Lessenich, Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe, 2003, S.  105, 134; Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2009 (2010), S.  421 ff.; Sen, Ökonomie für den Menschen, 1999 (2011), S.  302 f.: „Was wir brauchen, ist vielmehr eine praktikable Einigkeit über einige grundlegende Fragen benennbar grober Ungerechtigkeit oder Unfairneß. Das Beharren auf Vollständigkeit aller Gerechtigkeitsurteile über jede mögliche Wahl ist nicht nur der Feind praktischen sozialen Handelns, sondern zeigt auch, daß das Wesen der Gerechtigkeit selbst mißverstanden wird.“; Reimer, Gerechtigkeit als Methodenfrage, 2020, S.  39 f. 22 Dazu Posner, Tex. Law Rev. 53 (1975), S.  757, 772: „I asked a former teacher of mine at the Harvard Law School what he, as a noneconomist, would find most interesting in a discussion of the economic approach to law. He answered, ‚Its limitations‘.“

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Namensregister Alexy, R.  113, 354 Aristoteles  30, 81, 252, 324 Arrow, K. J.  61 ff. Bentham, J.  33 ff.; 38 ff., 46 f., 50, 70, 75, 169, 329 Bergson, A.  60 Berlin, I.  114 f., 132 Böckenförde, E.‑W.  350 Calabresi, G.  358 Canaris, C.-W.  250, 252, 345 Cooter, R. D.  278 f., 340, 362 Crocker, D.  175 Deakin, S.  168, 174 Dworkin, G.  179 Fichte, J. G.  136 Flume, W.  123 France, A.  294 Friedman, M.  56 Gierke v., O  10, 263 Green, T. H.  109, 114 f., 307 f., 314 f. Habermas, J.  354 f. Harsanyi, J. C.  66 Hayek v., F. A.  153 f., 195, 228, 377 Hegel, G. W. F.  150 Hicks, J. R.  53, 56 Hobbes, T.  66, 133, 156 Höfling, W.  158 Hume, D.  34 Kaldor, N.  53, 56 Kant, I.  11, 80, 92, 129, 132, 194, 332, 345 Kirchmann v., J.  1, 6

Lancaster, K.  74 Libet, B.  118 f. Little, I.  58 Locke, J.  66 Marshall, A.  94 f. Marx, K.  95 Menger, A.  4, 10 Mill, J. S.  33, 34 f., 266 Müller-Armack, A.  358 Nipperdey, H. C.  299 Nozick, R.  51, 360 Nussbaum, M. C.  12, 72, 80, 178, 181 f., 349 Okun, A. M.  340 Ott, C.  64, 362 Pareto, V.  44, 53 Pawlowski, H. M.  112 Pigou, A. C.  29, 38 ff., 46, 50 f., 70 Popper, K. R.  347 Posner, R. A.  71, 82 f., 160, 329 f., 342, 361 ff., 365 Prichard, H. A.  363 Radbruch, G.  8, 271 f., 319 Raiser, L.  150 f. Rawls, J.  17, 23, 29, 56, 66 ff., 72, 81, 83, 105, 109, 322, 351 Robbins, L.  52 f. Rousseau, J.‑J.  66 Samuelson, P.  60 Sartre, J. P.  366 Savigny v., F. C.  110 Schäfer, H.-B.  64, 278 f., 362 Schmidt-Rimpler, W.  123, 149

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Namensregister

Schopenhauer, A.  133 Sen, A.  11 ff., 16 ff., 22 ff., 26 ff., 33, 39, 41, 44 ff., 48, 50, 63, 65 f., 68, 71 ff., 81 ff., 86 ff., 97, 99 ff., 105 ff., 109 f., 113, 116, 120 ff., 124, 127 f., 131, 134, 136 ff., 147 f., 157, 160, 166, 170 ff., 176, 178, 278, 280, 285, 293 f., 299, 308 ff., 326 ff., 338, 346 f., 349, 351, 353 f., 372, 374 Sidgwick, H.  33, 50 Simmel, G.  97

Smith, A.  21 f., 103, 126 f., 330 f., 333 Stein v., L.  135, 335 Sunstein, C. R.  41 Townsend, P.  95 Ulen, T.  340 Weber, M.  79, 127 Wieacker, F.  347 Wolf, M.  143 ff.

Sachregister Abschlussfreiheit  139, 306 agency freedom, siehe Akteursfreiheit Aggregation – personelle  36, 176 – sachliche  36, 176 Aggregationsprinzip 36 Aggregationsproblem  88 ff. Akteursfreiheit 181 Allgemeine Geschäftsbedingungen  142, 257, 331 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten  263, 265 Allokationsabteilung  6, 323, 339, 373, 381 Allokationseffizienz  153, 322, 339, 358 ff., 375, 382 f. Anfechtung  145, 238, 257 ff. – Leistungsfähigkeit, wirtschaftliche  238, 257 ff. – Täuschung  259 f. – Überschuldung des Nachlasses  259 Angebotsregulierung  282 f. Ansatz der Verwirklichungschancen, siehe Befähigungsansatz Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden  215 f., 224 Äquivalenzstörung 270 Arbeitslosengeld II  165, 191, 217, 282, 288 Armenrecht 91 Armut – absolute  94 f. – als Mangel an Grundfähigkeiten  12, 98 ff. – Ausgrenzung, soziale  99 – Bedeutungswandel  1, 104 – Befähigungsansatz  12, 100 ff. – Bildung  92, 94, 99, 251 ff. – Diskriminierung  293 ff. – Einkommensarmut  96 f., 107

– Existenzminimum, physisches  94 f. – Existenzminimum, soziokulturelles  95 – freiheitsorientierte Perspektive  100 ff. – freiwillige  90, 248 f. – Handlungsdruck, politischer  2 – Intensität der  89 – Konsumausgaben 93 – Lebenslagenansatz  99 f. – Mehrdimensionalität  99 f. – Messung, siehe Armutsmessung – neue 15 – Pareto-Kriterium  55, 64 – Politik gegen  3, 6, 23 f. – Rechtswissenschaft  1 ff. – relative 95 – subjektive 94 – Vermögen 93 – versteckte 249 – Verzeitlichung von  87 – Wahlrecht 266 Armuts- und Reichtumsbericht  13 f., 24, 96 f., 99, 194 Armutsbegriff  1, 90 ff. Armutsdiskriminierung  293 ff. Armutsforschung  12 f., 24, 77, 87, 93, 349 Armutsgrenze  2, 88 f. Armutsmaß  89 f. Armutsmessung  87 ff. – Aggregationsproblem  88 ff. – Armutsgrenze  2, 88 f. – Armutsmaß  89 f. – Armutsrisikoquote 97 – Einkommensverteilung 97 – Grundprobleme  87 ff. – head-count ratio  88 f. – Identifikationsproblem  90 ff. – income-earning handicap  98 – income-gap ratio  89 – income-using handicap  98

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Sachregister

– Monotonie-Axiom 89 – Sen-Index 89 – Transfer-Axiom  89 f. – Werturteile  87 ff. Armutspolitik  3, 6, 23 f. Armutsrisikoquote 97 Arrow-Paradox, siehe Unmöglichkeitstheorem Asylbewerberleistungsgesetz  198, 232 Aufrechnung – im Notlagentarif  190 ff. Ausgrenzung, soziale  99 Autonomie – personale, siehe Freiheit, innere – Präferenzautonomie  43 f., 46, 64, 111, 113, 148, 228 – Privatautonomie  21, 112, 138 ff., 271 Autonomiepaternalismus  182 f. Axiom  44, 64, 89 f. Barmherzigkeit 333 basic capabilites, siehe Grundfähigkeiten Basiskonto  3, 188 f., 296, 299 Basistarif  188, 191 Bedürftigentestament 217 Bedürftigkeit – und Schuld  211 ff. – und vorvertragliche Verhaltenspflicht  269 f. Befähigung, rechtsgeschäftliche  140, 148, 287 f., 293 Befähigungsansatz – als ergänzungsbedürftiges Denk­ modell  25, 171, 178 – als juristisches Beschreibungs­ instrument  18, 192 – als objektivistischer Ansatz  75 – als rechtspolitisches Programm  170 ff. – Armutsverständnis  12, 100 ff. – Bedeutung in der Rechtsanwendung  187 ff. – Bedeutung rechtlicher Normen  159 ff. – Bedeutung von Einkommen und Vermögen  78 ff. – Befähigungsgerechtigkeit  326, 372 – capability set  76, 106, 166 – central human capabilities  12, 349 – Distributionsprinzip  19, 326 ff., 372

– Egalitarismus  326 f. – Entstehungszusammenhang, öko­ nomischer  27 ff. – Fähigkeiten  76 ff. – Funktionsweisen  73 ff. – Gesetzgebungstheorie  170 ff. – Glücksforschung  75 f. – Grundbegriffe 73 – Güterbegriff 81 – Individualität 84 – Lebenslagenansatz  99 f. – Nutzen  74 f. – Paternalismus  179 ff., 311, 350 – Umwandlungsfaktoren  83 ff. – und demokratische Teilhabechancen  357 – und Politik  13 f., 23 f. – und Wissenschaft  13, 24 f., 349 Befähigungsgerechtigkeit  326, 372 Behavioral Law and Economics  126 Behinderung, körperliche  51, 84, 98, 301, 333, Belegungsbindung  303 ff. Beratungshilfe 300 Bestandsschutz  292 f. Betreuung – Betreuervergütung 255 – Einwilligungsvorbehalt 255 – Vermögensgefährdung 255 Betriebsrente  96, 241, 243 f. Bildung  92, 94, 99, 251 ff. bounded rationality, siehe Rationalität, eingeschränkte Bruttoinlandsprodukt  83, 101, 160 Bürgschaftsbeschluss  143, 145, 154, 223, 256, 271 ff. – Entscheidungsfreiheit, rechtsgeschäftliche  146, 271 ff. – Restschuldbefreiung 223 capabilities, siehe Fähigkeiten capability – Begriff  27, 76 ff. – siehe auch Fähigkeiten Capability Approach, siehe Befähigungsansatz capability set  76, 106, 166 central human capabilities  12, 349

Sachregister

Chancenaspekt der Freiheit  137 Charta der Grundrechte der Euro­ päischen Union  296 f. clausula rebus sic stantibus  210, 240 Codex Iuris Canonici  265 commitment  128 f., 173 COVID-19-Pandemie – Corona-Abmilderungsgesetz 208 – Corona-Notbedarfseinrede 208 – Gutschein  209, 233 f. – Moratorium  208, 233 f. – Vertragshilfe, richterliche  209 culpa in contrahendo  269 f. Demokratie – aggregative 352 – deliberative 353 – Regierung durch Diskussion  353 – repräsentative 352 – Vernunftgebrauch, öffentlicher  351, 355 Determinismus, neuronaler  118 ff. – Libet-Experimente  118 f. Differenzprinzip  29, 68 ff., 83 Diktator  44, 61 Direktzahlung  164, 289, 291 f. Diskriminierung – Armutsdiskriminierung  293 ff. – Chancenaspekt der Freiheit  294 – Charta der Grundrechte der Euro­ päischen Union  296 f. – Kontrahierungszwang 300 – statistische 297 Diskurs – Diskursprinzip 355 – Diskursregeln  355 f. – Freiheit zur Diskursteilnahme  356 – Konsens  354 f. Diskurstheorie des Rechts  354 ff. Dispositionsmaxime 205 Distributionsprinzip  19, 326 ff., 372 Durchschnittseinkommen 96 Economic Analysis of Law, siehe Ökonomische Analyse des Rechts Effizienz – Allokationseffizienz  153, 322, 339, 358 ff., 375, 382 f.

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– Kaldor-Hicks-Effizienz  56 f. – Kompensation  57 ff. – Pareto-Effizienz 53 – Reichtumsmaximierungsprinzip  82 f. Effizienzkriterium, siehe Kaldor-Hicks-Kriterium Effizienzkriterium, siehe ParetoKriterium Effizienzverlust  359 f., 362 Egalitarismus – Befähigungsansatz  326 f. – Humanismus, nonegalitaristischer  19, 338 – Theorie der Gerechtigkeit  29, 67 – Utilitarismus  28, 37 – versteckter 28 Egoismus  21 f., 128, 346 Ehemündigkeit 253 Eigeninteresse  129 f. Eigennutzannahme  126 f., 174 Eigenverantwortung, siehe Selbstverantwortung Einkommensarmut  96 f., 107 – Äquivalenzskalen  93 f. – Durchschnittseinkommen 96 – Haushaltseinkommen  93, 208 – income-earning handicap  98 – income-using handicap  98 – Medianeinkommen 96 – Nettoäquivalenzeinkommen, bedarfsgewichtetes 96 – Werturteile  96 f. Einkommensverteilung 97 Einrede – Corona-Notbedarfseinrede 208 – der Existenzvernichtung  239 – des Notbedarfs  233, 249 – dilatorische 208 Einstiegsgeld 162 Einstimmigkeit  55 f., 61 – Pareto-Kriterium  55 f. Einwilligungsvorbehalt 255 Enquete Kommission des Bundestages  24, 350 Entscheidung – aus Sympathie  128 – aus Verpflichtung  128 f., 173 – Umwandlungsentscheidung  166 f., 184

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Sachregister

– unter Unsicherheit  69 Entscheidungsfreiheit – Allgemeine Geschäftsbedingungen  257 – Bürgschaftsbeschluss  146, 271 ff. – Formvorschriften  256 f. Entscheidungsregel, kollektive  61 Entwicklung – als multidimensionaler Prozess  9 – Begriff  9, 101 – Bruttoinlandsprodukt 101 – und Recht, siehe Law and Development Entwicklungsland  16, 101 Ersetzungsbefugnis 209 Ethik – Begriff 11 – deontologische 34 – Verbindung zur Ökonomik  11 f., 29 f., 279 Existenzminimum – menschenwürdiges  104, 163, 197 f., 243, 348 – physisches  94 f. – sozialrechtliches 200 – soziokulturelles 95 – steuerrechtliches 200 Existenzsicherung – Recht der  198 – Steuerfinanzierung 199 Existenzvernichtung, drohende  239 ff., 247 – clausula rebus sic stantibus  240 – Rechtsausübung, unzulässige  244 f. – Störung der Geschäftsgrundlage  240 ff. Fähigkeiten – Abgrenzung zu Funktionsweisen  77 – als realisierbare Freiheiten  76 – als wirkliche Freiheiten  157 f. – Chancenaspekt 137 – Einfluss des Rechts  159 ff. – Gesamtmenge 76 – Grundfähigkeiten  100 ff. – grundlegende, siehe Grundfähigkeiten – legal capability  165 – Liste grundlegender Freiheiten  12, 178, 180, 349 f., 382

– Paternalismus  179 ff., 311, 350 – Prozessaspekt  136 f. – Vereinigung von negativer und positiver Freiheit  137 Fähigkeitenansatz, siehe Befähigungs­ ansatz Fasten  77, 180 Fehlschluss, naturalistischer  35 Folgenbewertung  9, 174 ff. Folgenermittlung  9, 171 ff. Folter  48 f., 363 ff. Formvorschriften  256 f. Freiheit – Abschlussfreiheit  139, 306 – Akteursfreiheit 181 – als Mittel  49 f., 320 ff. – als Verteilungsgegenstand  342 ff., 381 ff. – angesparte 250 – äußere  130 ff. – Chancenaspekt 137 – Determinismus, neuronaler  118 ff. – formale 142 – Gleichheit, rechtliche  294 – grundlegende, siehe Grundfähigkeiten – Handlungsfreiheit  116, 139, 220 – innere  117 ff. – mehrseitige 141 – Messung von  76 f., 177 – metaphysische, siehe Freiheit, innere – negative  117, 132 ff. – nicht-relationaler Art  338 – Paradoxon der  347 – positive  117, 134 f. – Privatrecht als Reich der Freiheit  5 – Prozessaspekt  136 f. – realisierbare, siehe Fähigkeiten – rechtlich konstituierte  156 – republikanische 132 – subjektive, siehe Freiheit, innere – und Menschenwürde  336 – und Verantwortung  367 ff. – Vereinigung von negativer und positiver 137 – Wert, intrinsischer  48 f., 152 – Willensfreiheit  117 ff. – wirkliche  157 f. – Wohlergehensfreiheit 181

Sachregister

– zur Armut  233, 248 ff. – zur Diskursteilnahme  356 Freizeit 82 Fremdverantwortung  196, 199, 201, 210, 243, 245, 316 functionings, siehe Funktionsweisen Funktionsweisen – Abgrenzung zu Fähigkeiten  76 Gattungsschuld, beschränkte  230, 246 Gedankenexperiment des Urzustands  29, 66 f., 69 Geld – Befähigungsansatz 78 – Freiheit  21, 79 – Vergemeinschaftung kraft Geld­ gebrauchs  80, 280 Geldschuld – Institut eigener Art  230 – Modifikation, amtswegige  205 ff. – Stundung  206, 208 f., 233 – Wertverschaffungsschuld 230 Geltungsgrund  150 ff., 367 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien 8 Generalklausel  213, 219, 229, 244 Generalkompensation  57 f., 369 Gerechtigkeit – als Effizienz  324 – als Freiheit  326 ff. – als Gleichheit  28, 337 f. – Distributionsprinzip  19, 326 ff., 372 – iustitia commutativa  324 – iustitia distributiva  324 – prozedurale  149 ff., 324, 372 – Tauschgerechtigkeit 324 – Theorie der  66 ff. – Ungerechtigkeit 383 – Verteilungsgerechtigkeit  320, 323, 326, 339, 358 f., 362, 372, 375 f., 381 – Vertragsgerechtigkeit  142, 148 ff. Gerechtigkeitsgrundsätze  67 f. Gerechtigkeitsidee  66, 383 Gerichte, siehe Rechtsprechung Geschäft zur Deckung des Lebensbedarfs  286 f. Geschäftsfähigkeit – besondere 253

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– Insolvenz 254 – Willensbildungsfähigkeit  253 ff. Gesellschaftsvertrag  62, 66 Gesetzeslücke 190 Gesetzgeber – als Produzent von Freiheiten  160 – Gesetzgebung, freiheitsorientierte  379 ff. – Legitimation, demokratische  352 – Präferenzbeeinflussung durch  167 Gesetzgebungstheorie – Befähigungsansatz  170 ff. – Ökonomische Analyse des Rechts  169 Gleichheit – als Nebenprodukt  19, 338 – Diskriminierungsverbot  294 f. – Eigenwert  19, 337 f. – faktische  294, 299 – Gegenstand der  28 – Grundbefähigungsgleichheit  328 ff., 338, 343, 360, 365 – Humanismus, nonegalitaristischer  19, 338 – rechtliche 294 – und Freiheit  293 ff. – und Gerechtigkeit  27 ff., 337 f. Gleichstellungsbericht 24 Glück – Utilitarismus 34 Glücksforschung  75 f. – Befähigungsansatz 75 Grenznutzen  51 f. Grundbefähigungsgleichheit  328 ff., 338, 343, 360, 365 Grundeinkommen, bedingungsloses  199 Grundfähigkeiten – Absolutheitsanspruch  104 f., 107, 347 – Bedeutung des allgemeinen Wohlstandsniveaus  102 ff., 107 – Gleichheit von, siehe Grundbefähigungsgleichheit – Humanismus, nonegalitaristischer  19, 338 – Liste grundlegender Freiheiten  12, 178, 180, 349 f., 382 – Menschenwürde  336 f. – und Armut  12, 98 ff. Grundfreibetrag 200

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Sachregister

Grundfreiheiten  29, 67 f. Grundgesetz – Existenzminimum, menschenwürdiges  197 f. – Neutralität, wirtschaftspolitische  195 – Vertragsfreiheit 138 Grundgüter – als Nutzenindikator  71 – Individualität  69 ff. – Mindesteinkommen 70 – Vergleiche, interpersonelle  69 f. – zur Verwirklichung eines Lebens­ planes 71 Grundsicherung für Arbeitsuchende  161 ff., 198, 232, 242 Grundversorgung, medizinische  189 ff. Güter – aristotelische Ethik  81 – Befähigungsansatz  78 ff. – Begriff 81 – Freiheitssicherung durch  79 – Knappheit  2, 125, 272, 281 – Nutzwerk  78 ff. Gutschein  209, 233 f. Haftung – als Schatten der Schuld  211 – Begriff 204 – Beschränkung, gegenständliche  225, 246 f. – Erweiterung der  286 ff. – Grundsatz der unbeschränkten Vermögenshaftung  202, 229 – Minderjährigkeit  225, 246 Handlungsfreiheit  116, 139, 220 Handlungsutilitarismus 33 Happiness-Forschung, siehe Glücks­ forschung Hartz IV-Entscheidung  104, 166 head-count ratio  88 f. Hilfebedürftigkeit, sozialrechtliche  218 f. Hirnforschung, siehe Neurowissenschaft homo incurvatus in se  124 homo oeconomicus, siehe Verhaltens­ modell, ökonomisches Human Development and Capability Association 25

Human Development Index  23 Human Development Report  23, 328 Human Poverty Index  23 Humanismus, nonegalitaristischer  19, 338 Hume’sche Gesetz  34 Hunger  64, 77, 79, 134, 136, 140, 331, 335 Identifikationsproblem  90 ff. imaginative empathy  66 Immobilienverzehrkreditvertrag 247 income-earning handicap  98 income-gap ratio  89 income-using handicap  98 Index der menschlichen Armut, siehe Human Poverty Index Index der menschlichen Entwicklung, siehe Human Development Index Individualisierung im Recht  165 f., 184 ff., 200 Individualismus, normativer  31, 35, 43, 54, 64, 176, 332, 334, 350 f. Individualität – Befähigungsansatz 84 – Grundgüter  69 ff. – siehe auch Umwandlungsfaktoren informational base, siehe Informationsbasis Informationsbasis – Bedeutung 14 – Einschränkung der  46 f. – Paternalismus 181 Insolvenz – Geschäftsfähigkeit 254 – Null-Plan 223 – Restrukturierungsrichtlinie  223, 331 – Restschuldbefreiung  219, 222 f. – Verbraucherinsolvenzverfahren 222 – Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis  254 – Zahlungsunfähigkeit 236 Insolvenzschutz, gesetzlicher  243 Instrumentalisierung bedürftiger Menschen  332 f., 370 Interdisziplinarität  13, 25 Interesse, siehe Eigeninteresse Intuitionen, moralische  362 ff. Irrtum

Sachregister

– Leistungsfähigkeit, wirtschaftliche  257 ff. – Motivirrtum  238, 259 iustitia commutativa  324 iustitia distributiva  324 Kaldor-Hicks-Kriterium – Definition  56 ff. – Generalkompensation  57 f., 369 – Kompensation  57 f. – Kosten-Nutzen-Analyse  59 f. – und Verteilung  56 ff. Kalkül, hedonistisches  37, 47, 70 Kardinalität  36 f. Kirchenrecht, katholisches  265 Klostertod  265 ff. Knappheit  2, 125, 272, 281 Kollektiventscheidungstheorie, siehe Theorie der kollektiven Ent­ scheidungen Kollektivverantwortung  196 ff. Kompensation  57 f. – Generalkompensation 57 f., 369 Kompensationskriterium, siehe Kaldor-Hicks-Kriterium Konkurrenz, vollständige  322 Konsequentialismus  31, 34 – Utilitarismus 34 – Wohlfahrtsökonomik 31 Konsumententheorie 74 Kontrahierungszwang – allgemeiner  300 ff. – Basiskonto  188, 299 – Diskriminierung 300 – entwicklungsfördernder  298 ff. – Wohnraummietrecht 300 Konversionsfaktoren, siehe Umwandlungsfaktoren Kosten – Transaktionskosten 321 – Zwangsvollstreckung 221 Kosten-Nutzen-Analyse  59 f. Kreditwürdigkeitsprüfung  226, 245 Kriegsausgleichsverfahren 207 Law and Development  16, 25 Lebenslagenansatz  99 f. legal capability  165

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Leistungsfähigkeit, wirtschaftliche – Anfechtung  257 ff. – culpa in contrahendo  269 f. – Diskriminierung  293 ff. – Einwilligungsvorbehalt 255 – Geschäftsfähigkeit 253 – Irrtum  257 ff. – Rechtsfähigkeit  265 ff. – Unterhaltspflicht 236 – Verbesserung  163, 219 ff. – Wucher  270 f. Letztbegründung  279, 329, 337 Liberalismus  4, 26 Libet-Experimente  118 f. low-income consumer, siehe Verbraucher, armutsgefährdete Lustmonster 51 Markt – expliziter  81, 106, 162 – Funktionsbedingungen  323 f. – Gerechtigkeit 324 – impliziter  82 f. – Markteingriff  322 ff. – Marktversagen  146, 322 ff., 325, 339, 372 – Marktwirtschaft, soziale  194 ff., 237, 280, 312, 358, 371 – Marktzugang  163, 194, 284, 295, 301 – Modell der vollständigen Konkurrenz  322 – Preismechanismus  322, 342 – Simulierung 321 Markteingriff – im Namen der Freiheit  322 ff. Marktversagen  146, 322 ff., 325, 339, 372 Marktwirtschaft – Grundsatz der Selbstverantwortung  194 ff. – soziale  194 ff., 237, 280, 312, 358, 371 Maximierungsprinzip  31, 36, 65 Maximin-Regel 69 Maximum  37, 39 Medianeinkommen 96 Mehrdimensionalität  99 f., 110, 380 Mehrheitsregel 61 Mensch als geistig-sittliches Wesen  124, 139, 172

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Sachregister

Menschenbild  124, 172 f., 310 Menschenwürde – Freiheiten, positive  336 – Grundfähigkeiten  336 f. – Paternalismus  183 f. – Rechtsfähigkeit  267 f. – Schutz gegen sich selbst  183 f. Metapräferenzen  122 f., 173, 310 Mietmarkt, siehe Wohnungsmarkt, angespannter Mietpreisbremse  3 f., 283 ff. Minderjährigkeit – Haftungsbeschränkung  225, 246 Mindestlohn  3, 201 Mittellosigkeit  80, 91, 140, 223, 255 monotonicity axiom, siehe MonotonieAxiom Monotonie-Axiom 89 Moral – als Instrument  129, 364, 370 – Begriff 11 – für Egoisten  370 – Intuitionen  362 ff. – Nihilismus 364 Moralität – Vernunft, praktische  124 – Willensfreiheit  123 ff. Moratorium  208, 233 f. mors civil  265 Nettoäquivalenzeinkommen, bedarfs­ gewichtetes 96 Neurowissenschaft  118, 252 New Welfare Economics, siehe neuere Wohlfahrtsökonomik Nicht-Nutzeninformationen  47 ff. Nichtwissen, siehe Schleier des Nicht­ wissens Nihilismus 364 Notlage 270 Notlagentarif  189 ff. – Aufrechnungsverbot  190 ff. Nutzen – Befähigungsansatz  74 f. – Begriff  40 ff. – Gesamtnutzen  36 f., 59 – Grenznutzen  51 f. – Maximierung 36

– Nicht-Nutzeninformationen  47 ff. Nutzenmessung  47, 53, 58 – kardinale  37 f., 53, 58 – ordinale  37 f. Nutzenvergleiche, siehe Vergleiche, interpersonelle Nützlichkeitsprinzip  33 ff., 329 Obdachlosigkeit  206, 301 ff. Ökonomie – Begriff  11 f. Ökonomik – Begriff  11 f. – Verbindung zur Ethik  11 f., 29 f., 279 – Verhaltensökonomik  126, 172 Ökonomische Analyse des Rechts – Gesetzgebungstheorie 169 – philosophisches Fundament  27 – Umverteilung durch Steuer- und Sozialrecht  6, 339 ff., 342 ff., 381 ff. – Umverteilung durch Vertragsrecht  6, 339 ff., 342 ff., 381 ff. Optimum  31, 39, 53 Ordensangehörige  265, 267 f. Ordinalskala 37 Ordnung, lexikalische  68 pacta sunt servanda  205, 250, 278, 313 Paradoxon – der Freiheit  347 – liberales  44 ff. – Unmöglichkeitstheorem  61 ff. Pareto-Effizienz 53 Pareto-Kriterium – Armut  55, 64 – Besitzstandsschutz 55 – Einstimmigkeit  55 f. – hypothetisches 57 – Individualismus, normativer  53 f. – Nutzenvergleich 54 – schwaches 44 – starkes 53 – und Verteilung  53 ff. Pareto-Optimum  54, 64 Pareto-Verbesserung  53, 80, 320 Paternalismus – autonomieorientierter  182 f. – Befähigungsansatz  179 ff., 311, 350

Sachregister

– Begriff 179 – Freiheitsförderung durch  182 f. – Pfändungsschutz  203 f. – Unverfügbarkeit bestimmter Rechtsgüter  183 f. Person – Rechtsfähigkeit 263 personal conversion factors, siehe Umwandlungsfaktoren, persönliche Pfändungsschutz – Fiskalinteresse  202, 210, 250 – Freiheitseinschränkung  203 f. – Freiheitsgewährleistung  198 f. – gesetzlicher  201 ff., 210, 216 f., 219, 235, 242, 245 – Paternalismus 204 Philosophie – klassische Antike  252 – Moralphilosophie  21, 318, 363 Pluralität der Ziele  358 ff., 374 f. Präferenzautonomie  43 f., 46, 64, 111, 113, 148, 228 – Begriff 43 – Freiheitsgefährdung  43 ff. Präferenzen – adaptive 41 – Aggregation individueller  43 f., 64, 111 – Beeinflussung von  167 – einmischende  43 ff. – externe 45 – höherstufige, siehe Metapräferenzen – intervenierende 45 – stabile 126 – Wahlhandlung, präferenzgeleitete  43, 60, 64, 75, 124 f., 329 Präferenzordnung, kollektive  61 Präferenzstabilität 126 Pragmatismus  329 f. Preis, versteckter  172 Preiskampf 79 Preismechanismus  322, 342 Preisregulierung  282 ff., 313 primary goods, siehe Grundgüter principle of utility, siehe Nützlichkeitsprinzip Privatautonomie  21, 112, 138 ff., 271 Prozessaspekt der Freiheit  136 f. Prozesskostenhilfe  90 f., 294, 300

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Rangordnung, partielle  176 Rationalität – eingeschränkte  125 f. Recht – entwicklungsförderndes  168 f. – kanonisches 265 – und Moral  318 f. Rechtsanwendung, befähigungs­ orientierte  187 ff. Rechtsausübung, unzulässige  244 f. Rechtsdogmatik – Grenzen der  6 f. Rechtsfähigkeit – Klostertod  265 ff. – Leistungsfähigkeit, wirtschaftliche  265 ff. – Menschenwürde  267 f. – Person 263 – Zuerkennung durch Recht  264 f. Rechtsnormen – als versteckte Preise  172 – Bedeutung im Befähigungsansatz  159 ff. – Generalisierung 185 – offene 186 Rechtsökonomik, siehe Ökonomische Analyse des Rechts Rechtspolitik  3, 6, 170 ff. Rechtsprechung – ausgerichtet am Ziel der Fähigkeiten  187 ff. Rechtswissenschaft – Folgenorientierung  6, 9 – Forschungsgegenstand  6 ff. – funktional verstandene  8 – Rechtsdogmatik  6 f. Regelutilitarismus  33, 83 Regierung durch Diskussion  353 Reichtumsmaximierungsprinzip – Begriff des gesellschaftlichen Reichtums  82 f. – Bruttoinlandsprodukt 83 – Freizeit 82 – Intuitionen, moralische  362 ff. – Markt, impliziter  82 f. – sense of justice  364 – shadow price  82 Restrukturierungsrichtlinie  223, 331

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Sachregister

Restschuldbefreiung  219, 222 f. – Antrag 225 – Bürgschaftsbeschluss 223 – Restrukturierungsrichtlinie  223, 331 – Versagungsgrund 228 revealed preferences, siehe Wahlhandlung, präferenzgeleitete Richter, siehe Rechtsprechung Richtigkeitschance 149 Richtigkeitswahrscheinlichkeit 149 Risikoverteilung  238 f., 243, 246 Sanktion – faktischer Zwang zum Vertragsschluss  305 f. – Verhaltensregulierung  303 ff. Schleier des Nichtwissens  66, 68 Schlüsselgewalt 286 Schuld – Gattungsschuld, beschränkte  230, 246 – Leistensollen 211 – Wertverschaffungsschuld 230 Sein und Sollen  34, 130, 264, 329 Selbstverantwortung – Freiheitsförderung durch  247 ff. – Marktwirtschaft  194 ff. Selbstzerstörungsargument  335 f. Sen-Index 89 shadow price  82 Sittenwidrigkeit – Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden  215 f., 224 – Knebelungsvertrag 214 – Restschuldbefreiung 222 – Überforderung, finanzielle  214 ff. Sklaverei  56, 362 – siehe auch Versklavungsvertrag Social Choice Theorie, siehe Theorie der kollektiven Entscheidungen social conversion factors, siehe Umwandlungsfaktoren, soziale Solidarität  316 f., 344 f. Sollensordnung, außerrechtliche  216, 224 Sonderrecht 10 Soziale Marktwirtschaft  194 ff., 237, 280, 312, 358, 371 – Selbstverantwortung  194 ff. Sozialgeld  162, 191

Sozialpolitik  2 f., 311, 325 – europäische  99, 196 Sozialrecht – Hilfebedürftigkeit  218 f. – im formellen Sinn  161 Sozialschutzrecht 200 Sozialstaat – Grenzen 10 Sozialstaatsprinzip  140, 143, 197, 212, 318 Sozialwahltheorie, siehe Theorie der kollektiven Entscheidungen Steuer – Freiheitsbeschränkung durch  199, 339 – Grundfreibetrag 200 Störung der Geschäftsgrundlage – Existenzvernichtung, drohende  240 ff. – Risikoverteilung  238 f. Subsidiaritätsgrundsatz  199, 249 Summierung  36, 39, 47, 50 ff., 65 sum-ranking, siehe Summierung Sympathie 128 Tätigkeiten, siehe Funktionsweisen Tauschgerechtigkeit 324 Testierfähigkeit 253 Theorie der Gerechtigkeit – Differenzprinzip  29, 68 ff., 83 – Egalitarismus  29, 67 – Gerechtigkeitsgrundsätze  67 f. – Grundfreiheiten  29, 67 f. – Grundgüter  69 ff. – Kritik  69, 71 f. – Maximin-Regel 69 – Schleier des Nichtwissens  66, 68 – Urzustand  29, 66 f., 69 – Vergleiche, interpersonelle  69 f. Theorie der kollektiven Entscheidungen  26, 43 f., 61 – Unmöglichkeitstheorem  61 ff. – Wohlfahrtsfunktion  60 f. Titelverjährungsfrist 219 Transaktionskosten 321 Transfer-Axiom  89 f. Transitivität  62, 126 Treu und Glauben – Rechtsausübung, unzulässige  244 f. Überforderung, finanzielle

Sachregister

– Sittenwidrigkeit  214 ff. – Verbraucherdarlehensvertrag  225 ff. Überschuldung – Minderjährigkeit  225, 246 – Nachlass 259 Umkehrhypothek, siehe Immobilien­ verzehrkreditvertrag Umverteilung – durch Steuer- und Sozialrecht  6, 339 ff., 342 ff., 381 ff. – durch Vertragsrecht  6, 339 ff., 342 ff., 381 ff. – Gegenstand der  342 ff., 381 ff. – Kosten 341 – leaky-bucket experiment  340 f. – systematische 342 Umverteilungsabteilung  323, 339, 341, 373, 381 f. – Bedeutung des Verteilungsgegen­ standes  342 ff., 381 ff. Umwandlungsfaktoren – Begriff  83 ff. – persönliche 84 – soziale  85 f. Unfreiheit, ökonomische  134 Ungerechtigkeit 383 Ungleichheit, faktische  293 ff. Unmöglichkeit – Geldschuld  229 ff. Unmöglichkeitstheorem  61 ff. Unterhaltsverzicht 217 Unvermögen, finanzielles  229 ff. Urzustand  29, 66 f., 69 Utilitarismus – Aggregationsprinzip 36 – Egalitarismus  28, 37 – Grundmerkmale  33 ff. – Handlungsutilitarismus 33 – Kalkül, hedonistisches  37, 47, 70 – Konsequentialismus 34 – Lustmonster 51 – Maximierungsprinzip  36, 65 – Nutzenbegriff 34 – Nutzenvergleich, interpersoneller  36 ff. – Nutzenverteilung 36 – Nützlichkeitsprinzip  33 ff., 329 – Regelutilitarismus  33, 83

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– Summierung  36, 47, 50 – und Wohlfahrtsökonomik  29, 39 veil of ignorance, siehe Schleier des Nichtwissens Verantwortung – Finanzierungsverantwortung  200, 339 – Fremdverantwortung  196, 199, 201, 210, 243, 245, 316 – Kollektivverantwortung  196 ff. – Selbstverantwortung  194 f., 205 – und Freiheit  367 ff. – Verantwortungssubjekt  204, 316, 339 ff. – Verursachungsverantwortung 317 Verarmung  1, 249 Verbraucher – armutsgefährdete  4, 261 ff. – Begriff  262, 269, 299 – Verbraucherpolitischer Bericht  14, 262 Verbraucherdarlehensvertrag – COVID-19-Pandemie  208 f. – Kreditwürdigkeitsprüfung  226, 245 – Stundung  208 f. Verbrauchergruppen  4, 261 f., 268 Verbraucherinsolvenzverfahren 222 Verbraucherpolitischer Bericht  14, 262 Vereinte Nationen  2, 23, 328 Verfassungsrecht – als Schutzschild  361 f. Verfügungsverbot 248 Vergleiche, interpersonelle – Grundgüter  69 f. – imaginative empathy  66 – Kaldor-Hicks-Kriterium 58 – Pareto-Kriterium 54 – Utilitarismus  36 ff. Verhaltensmodell – nach A. Sen  124, 172 – ökonomisches  125 ff., 172 – Präferenzstabilität 126 – Rationalität, eingeschränkte  125 f. Verhaltensökonomik  126, 172 Verhaltensregulierung  285 ff. Vermögensauskunft  259, 269, 297 Vermögensgefährdung 255 Vernunft, praktische  124 Vernunftgebrauch, öffentlicher  351, 355

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Sachregister

Verschwendung  255, 321, 324, 329 Versklavungsvertrag 362 Verteilungsgegenstand  342 ff., 381 ff. Verteilungsgerechtigkeit  320, 323, 326, 339, 358 f., 362, 372, 375 f., 381 Verteilungsproblem  50 ff. – Grenznutzen  51 f. – Kaldor-Hicks-Kriterium  56 ff. – Pareto-Kriterium  53 ff. – Summierung  50 ff. – Wohlfahrtsfunktion 60 Vertrag – Geltungsgrund  150 ff. – Mechanismus  149, 152 – pacta sunt servanda  205, 250, 278, 313 – Richtigkeitschance 149 – Richtigkeitswahrscheinlichkeit 149 – Sozialfunktion  11, 378 – Vertragsgerechtigkeit  142, 148 ff. Vertragsbindung, siehe pacta sunt servanda Vertragsfreiheit – Abschlussfreiheit  139, 306 – Abwehrrecht  139 f., 145 – als rechtlich konstituierte Freiheit  156 – als Wert an sich  50, 150 ff. – Chancenaspekt  146 f. – formale 142 – Gerechtigkeit, prozedurale  148 ff. – Grundgesetz 138 – material-negative  138 ff. – normgeprägte Freiheit  157 – Prozessaspekt  142 f. – realistisch verstandene  307 – Wert der  50, 150 ff. Vertragsfunktion, soziale  11, 378 Vertragsgerechtigkeit  142, 148 ff. Vertragshilfe – Corona-Abmilderungsgesetz 208 – Kriegsausgleichsverfahren 207 – richterliche  207, 209 Vertragsmechanismus  149, 152 Vertragsparität, gestörte  154, 228, 274, 313 Vertragsrecht – als Umverteilungsinstrument  6, 339 ff., 342 ff., 381 ff. – Begriff 15

– zum Schutz des Schwächeren  15 Vertrauen  250, 295, 313 Verursachungsverantwortung 317 Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis  254 Verwirklichungschancenansatz, siehe Befähigungsansatz Verzug  214, 234, 237 volenti non fit iniuria  289 Vollstreckung, siehe Zwangsvoll­ streckung Vollstreckungsanspruch  202, 211 Wahlhandlung, präferenzgeleitete  43, 60, 64, 75, 124 f., 329 wealth maximization principle, siehe Reichtumsmaximierungsprinzip Wegfall der Geschäftsgrundlage, siehe Störung der Geschäftsgrundlage welfarism, siehe Wohlfahrtsgedanke well-being freedom, siehe Wohlergehensfreiheit Weltbank  23 f. Weltentwicklungsbericht, siehe Human Development Report Wert – der Freiheit  49 f., 150 ff., 332 f. – liberaler  5, 19, 110, 193, 248, 306 f., 314, 378 Werturteil – Armutsmessung  87 ff. – Einkommensarmut  96 f. – Wohlfahrtsökonomik  31 f. Wertverschaffungsschuld 230 Wille – Freiheit, siehe Willensfreiheit – vernünftiger 112 Willensbildungsfähigkeit  253 ff., 277, 313 Willensfreiheit – Determinismus, neuronaler  118 ff. – gefühlte  118, 121 – negatives Verständnis von  117 – positives Verständnis von  117 – starke 117 – und Moralität  123 ff. Wohlergehen, individuelles – als Gegenstand der Wohlfahrts­ ökonomik  31 f.

Sachregister

Wohlergehensfreiheit 181 Wohlfahrtsfunktion  61 ff. – Theorie der kollektiven Ent­ scheidungen 61 – Unmöglichkeitstheorem  61 ff. – Verteilung 60 Wohlfahrtsgedanke 39 – Nicht-Nutzeninformationen  47 ff. Wohlfahrtsökonomik – als normative Wissenschaft  32 – Gegenstand der  30 f. – Individualismus, normativer  31 – Konsequentialismus 31 – neuere  27, 29, 32, 42 ff., 53 f., 124 – Wohlfahrtsgedanke 39 – Wünsche 40 – Zufriedenheitsdilemma  40 ff., 63, 121, 216 Wohlfahrtsveränderungskriterium, siehe Kaldor-Hicks-Kriterium Wohlstand – Begriff 22 Wohlstandsniveau, allgemeines  24, 95, 102 ff., 107 Wohngeld  282, 298 Wohnraumförderung, soziale  283, 303 ff. Wohnungsbau, staatlicher  282 Wohnungsbauförderung 282 Wohnungsberechtigungsschein  302 ff. Wohnungsmarkt, angespannter  4, 282, 284

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Wucher – Äquivalenzstörung 270 – Geldnot 270 – Notlage 270 Wünsche 40 Würde, siehe Menschenwürde Zahlungsbereitschaft 40 Zahlungskontengesetz  3, 187 ff., 296, 299 – Basiskonto  3, 188 f., 296, 299 – Kontrahierungszwang  188, 299 Zahlungsverzug, siehe Verzug Zufriedenheit  40, 43, 74 – Dilemma  40 ff., 63, 121, 216 Zustände, siehe Funktionsweisen Zwang – faktischer  305 f. – rechtlicher 305 Zwangslage – Geldnot 270 Zwangsvollstreckung – Kosten der  221 – Pfändungsschutz, gesetzlicher  201 ff., 210, 216 f., 219, 235, 242, 245 – Vermögensauskunft  259, 269, 297 – Vollstreckungsschutz, richterlicher  210, 221, 243 Zweckentfremdung von Wohnraum  283 Zweck-Mittel-Relation  71, 336