198 61 48MB
German Pages 419 [416] Year 2000
Annäherung an
Roland Ray Frankreich im Dienste Hitlers?
Studien
zur
Zeitgeschichte
Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 59
R. Oldenbourg Verlag München 2000
Roland Ray
Annäherung
Frankreich im Dienste Hitlers? an
Otto Abetz und die deutsche
Frankreichpolitik 1930-1942
R. Oldenbourg Verlag München 2000
Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme -
Ray, Roland:
Annäherung an Frankreich im Dienste Hitlers? : Otto Abetz und die deutsche Frankreichpolitik 1930 1942 / Roland Ray. München : Oldenbourg, 2000 (Studien zur Zeitgeschichte ; Bd. 59) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996 -
-
ISBN 3-486-56495-1
© 2000 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Otto Abetz (1940), Bundesarchiv Koblenz (183/L 7880) Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-56495-1
Inhalt Vorwort.
9
Einführung.
11
/.
Der Sohlbergkreis 1.
Rendezvous unter Schwarzwaldtannen: Das
Sohlbergtreffen 1930. Segen einer Nachbarschaft: Jugendjahre im badischen
23
2. Fluch und
Grenzland. 3. 4.
5. 6. 7.
II.
Drang nach Osten, Abschottung gegen Westen:
Jugendbeziehungen im Schatten von Versailles. Wider den Geist der Unbeweglichkeit: Abetz' Partner Jean Luchaire.
„Vermarktung Sohlbergtreffen Sohlbergkreis. Europäischer Geist und völkische Ideen: Deutsch-französisches einer Kreation"? Vom
34 38
zum
Treffen in Rethel 1931. Rückzug in nationale Bastionen: Die Mainzer Tagung 1932.
Sohlbergkreis zur Reichsjugendführung 1. Im Sog der „nationalen Erneuerung": Gleichschaltung der Jugendverbände. 2. Vom „wahren Charakter" der Hitlerbewegung: Begegnungen
46 57 65
Vom
(1933) und Berlin (1934). Anpassung mit Hintergedanken: Abetz' Weg in die HJ. Strategie der Selbstverharmlosung: Hitlers Frankreichpolitik „Freundschaft" gegen Machtverzicht: Abetz als Interpret der in Paris
3. 4. 5.
...
NS-Führung. ///.
26
72
78 93 100 102
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop für eine diplomatische Karriere: Abetz' Kontaktaufnahme mit den Anciens combattants. 2. Verständigung aus machtpolitischem Antrieb: „Sonderbotschafter" Joachim v. Ribbentrop. 3. Außenpolitik durch Außenseiter: Mitarbeiter und Aufgaben der Dienststelle Ribbentrop. 4. Kredit für die deutsche Friedenspropaganda: Jean Goy und Henri Pichot bei Hitler. 1. Anstoß
109 114
123 127
Inhalt
6 5.
Millionenheer des guten Willens: Frankreich und seine Veteranen.
6.
Besuchsprogramme und flammende Appelle:
Höhepunkte der
Frontkämpferverständigung. schwierige Einsicht, mißbraucht
139 143
7. Zerstörte Illusionen oder: die zu
IV.
2.
Rapprochement à l'allemande: Die Deutsch-Französischen
Monatshefte. Lobby des Ausgleichs mit Hitler-Deutschland: DeutschFranzösische Gesellschaft und Comité France-Allemagne.
Einflußnahme mit System: 1.
2.
VI.
„
le réseau Abetz
156 169
"
„Il rayonnait dans toute la France": Gespräche, Empfänge und politische Manöver. Franzosen für das Dritte Reich: Manipulation der Presse und Einladungen nach Deutschland.
Intrige der Reichsstudentenführung 1. Ein „judophiler, bündisch versippter Halbfranzose":
Kesseltreiben gegen Abetz.
2. Auslandsarbeit unter ideologischem Druck: Motive der Kläger. 3. „Zum Nutzen des Reiches große Erfolge gebucht": Gerichts-
VII.
150
Instrumente der „Offensive de charme": DFM und DFG 1.
V.
werden.
190 202
215 223
.
verfahren und Rehabilitierung.
232
Aufenthaltsverbot in Frankreich 1. Apaisement oder Konfrontation: Trügerische Ruhe im Winterhalbjahr 1938/39. 2. Ende einer Verständigungsphilosophie: Der Zerfall des Comité France-Allemagne. 3. Abgründe einer fixen Idee: Frieden mit Frankreich auf Kosten
240
Polens.
4. Grünes Licht für die Abwehr: Abetz wird persona non grata 5. „Les nazis sont-ils maîtres chez nous?" Panik vor Spionen 6.
.
.
248 255 260
.
und Sabotage. „Keine Regierung kann eine solche Propaganda dulden":
Vergebliche Rehabilitierungsversuche.
266
271
Inhalt
VILI.
7
Botschafter im besetzten Frankreich „Halten Sie sich für eine Mission bereit..." Im Rücken der Wehrmacht nach Paris. 2. Ein Stab versierter Propagandisten: Abetz und das FrankreichKomitee 3. Taktische Mäßigung der Sieger: Abetz' Part in der 1.
.
4.
Besatzungspolitik. Machtkampf der Propagandisten: Konflikte mit anderen Dienststellen.
IX.
283 289
296
301
Scheinblüte und Fehlschlagen der Kollaboration 1940
„Abetz était complètement gagné": Kontaktaufnahme zu Pierre Laval. 2. Verlogene Geschäftsgrundlage: Die deutschen Kollaborations1.
perspektiven
.
3. Einrücken in die Kontinentalfront? Der Weg nach Montoire... 4. Morgengrauen einer neuen Ära? Montoire und die 5.
X.
.
307 313 318
Folgegespräche.
326
Sturz Lavais.
333
„Ein Verbrechen an Frankreich": Der 13. Dezember und der
Kunstraub und Judenverfolgung
„Schlagartig in getarnter Form": Beutezug der Botschaft mit Hindernissen. 2. Schätze „aus vormals jüdischem Besitz": Der dreiste Versuch, Unrecht zu sanktionieren. 3. „Erbitte antisemitische Sofortmaßnahmen": Judenfeindliche Politik und Propaganda. 4. Motor der ,Endlösung' in Frankreich: Judenreferent Carltheo Zeitschel. 1.
340 349 355
370
Epilog.
375
Abkürzungsverzeichnis.
383
Quellen- und Literaturverzeichnis.
385
Register.
413
Vorwort Die vorliegende Studie wurde von der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen im Wintersemester 1995/96 als Dissertation angenommen und für den Druck inhaltlich ergänzt und überarbeitet. Allen, die ihr Entstehen mit Rat und Tat gefördert haben, sei von Herzen gedankt. An erster Stelle ist hier mein Doktorvater Professor Dr. Gerhard Schulz zu nennen, der es nie an umsichtiger Unterstützung und aufmunternden Worten hat fehlen lassen; ich bin stolz darauf, sein Schüler zu sein. Professor Dr. Franz Knipping gab wertvolle Anregungen und übernahm das Korreferat. Zu Dank verpflichtet bin ich den stets hilfsbereiten Damen und Herren in Bibliotheken und Archiven, besonders Madame Chantal de Tourtier-Bonazzi (Archives Nationales, Paris) und Vidar Jacobsen (Centre de documentation juive contemporaine, Paris). Eine wichtige Rolle bei den Recherchen spielten auch liebenswürdige Gastgeber: Ein herzliches „Vergelt's Gott" Herrn Professor Dr. Udo Wengst und seiner Gattin Ilona, die mich in Sankt Augustin bei Bonn beherbergten, sowie Barbara und Colonel e.r. François Arnold in Neuilly-sur-Marne, bei denen sich der Frankreichreisende so geborgen fühlen durfte wie in den eigenen vier Wänden. Ein Stipendium der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg schuf finanzielle Sicherheit während der Promotion auch dies keine Selbstverständlichkeit. Für die Aufnahme der Arbeit in die Studien zur Zeitgeschichte danke ich dem Wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Zeitgeschichte München, für die geduldige Betreuung der Drucklegung dem stellvertretenden Direktor des IfZ, Professor Wengst, für eine sorgfältige Durchsicht des Manuskripts Dr. Petra Weber. Profitiert habe ich nicht zuletzt von Gesprächen und Briefwechseln mit Dr. Barbara Unteutsch (Münster), Corinna Franz (Bonn) und Serge Klarsfeld (Paris), die Einblick in ihre Forschungsergebnisse gewährten und bei der Erschließung von Quellen behilflich waren. Daß das Manuskript für die Buchveröffentlichung erheblich erweitert werden konnte, ist auch ein Verdienst meiner Kollegen bei der Schwäbischen Zeitung Laupheim, Mathias Bartels und Beate ReuterManz: Sie haben dem „Geschichtler" wiederholt die nötigen Freiräume geschaufelt. Bei der Umsetzung des Manuskripts auf Festplatte und Diskette halfen Cornelius Renz und Volker Lukas. Inniger Dank gebührt meiner Mutter, die ihrem Sohn jede Unterstützung zukommen ließ, sowie meiner Frau Elke und den Töchtern Sonja und Lea, die wegen Otto Abetz häufig zurückstecken mußten und trotzdem ein großer Rückhalt waren. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. -
Mössingen, im Frühjahr 1999
Roland
Ray
Einführung Schnellstraße Köln-Düsseldorf, Montag, 5. Mai 1958. Bei Tempo 90 bricht ein VW-Käfer, vermutlich infolge eines Lenkungsschadens, unvermittelt aus, rammt ein anderes Auto und fängt Feuer. Für die Insassen gibt es keine Rettung: Otto
Abetz, während des Zweiten Weltkriegs Botschafter im besetzten Paris, stirbt in den Flammen, seine Frau Suzanne wird aus dem Fahrzeug geschleudert und ebenfalls getötet. Die in Düsseldorf wohnenden Eheleute hatten an einem Treffen ehe-
maliger Mitglieder der Bündischen Jugend in Baden teilgenommen und befanden sich auf dem Heimweg; ihre Urnen wurden in Karlsruhe, wo Abetz aufgewachsen war, beigesetzt1. Die Unfallursache blieb ungeklärt, jedoch sind Gerüchte, daß es sich um einen Racheakt für die Deportation französischer Juden handelte, nie ganz verstummt2. Ironie des Schicksals: Der Unfallwagen war Abetz nach Angaben seines Anwalts von Franzosen geschenkt worden, in Würdigung seiner Bemühungen, Paris beim Rückzug der Wehrmacht 1944 vor Zerstörungen zu bewahren3.
Aufbau der Untersuchung, inhaltliche Schwerpunkte,
Forschungsziele
Ein Frankreich vergleichsweise wohlgesonnener NS-Funktionär, als Kriegsverbrecher verurteilt, später begnadigt4 noch in der Todesstunde sind die Pole, zwischen denen Abetz' Leben sich bewegte, gegenwärtig. Sein herausragendes Interesse am Nachbarland gründete lange vor Hitlers Machtergreifung' und ließ den -
1 2
3
Todesanzeige der Abetz-Kinder Bernhard und Sonia; PA/AA, Nachl. Schleier/II. Diese Möglichkeit zieht Robert Wistrich in Betracht, Wer war wer im Dritten Reich, S. 9. Recherchen bei den Polizeidirektionen in Köln und Düsseldorf waren ergebnislos. Kölnische Rundschau, „Ehepaar Abetz tödlich verunglückt", 6. 5. 1958; Nachruf in: Der Fortschritt, 10. 5. 1958. General Dietrich v. Choltitz bezeugte 1949 vor Gericht, Abetz habe es ihm durch irreführende Telegramme nach Berlin wesentlich erleichtert, sinnlos gewordene Durchhaltebefehle, die unter anderem die Sprengung der Seine-Brücken anordneten, bis zum Eintreffen alliierter Streitkräfte zu ignorieren. Aussage Choltitz im Abetz-
Prozeß, Verhandlungsprotokoll vom 20. 7. 1949, pag. 7-14; AN, 334 AP 49. Vgl. ders., Brennt Paris ?, bes. S. 47 ff.; Lefranc, La France, S. 521 ff, 531, 538, 544. Über den Vorläufer seines Volkswagens, einen Opel Baujahr 1934, spottete Abetz: „Unser Wagen [...] ist unberechenbar; seine .Schallgrenze' liegt zwischen 35 und 40 km, und wenn er an diese Grenze herankommt, fangen die Vorderräder so wild zu schlingern an, daß sich Fußgänger in den
4
Straßengraben flüchten und entgegenkommende Kfz stoppen und den Rück-
wärtsgang einschalten." Brief an Schleier, 23. 8. 1955; PA/AA, Nachl. Schleier/III. Ende Oktober 1945 im Schwarzwald verhaftet, wurde Abetz am 22. Juli 1949 von einem Pariser Militärgericht zu 20 Jahren Haft verurteilt, in erster Linie wegen seiner Verwicklung in antijüdische Maßnahmen, Kunstraub und Zwangsdeportationen französischer Arbeitskräfte. Siehe Prozeß-Protokoll vom 22.7. 1949, pag. 151; AN, 334 AP 49. Ostern
Einführung
12
jugendbewegten Kunsterzieher, in seiner badischen Heimat von Kindesbeinen mit dem blutigen Ringen zweier verfeindeter Nationen konfrontiert, schon Ende der zwanziger Jahre Mittel und Wege suchen, das gegenseitige Verhältnis zu bessern,
damals keine Selbstverständlichkeit. Bei den Nationalsozialisten machte
er
Karriere auf dem Feld deutsch-französischer
Beziehungen, zunächst in Diensten Schirachs und Ribbentrops am Rande der amtlichen Diplomatie, nach dem Waffenstillstand 1940 als mit der Behandlung politischer Fragen betrauter Botschafter. Mehr als ein Jahrzehnt spielte er eine wichtige Rolle in der nationalsozialistischen Frankreichpolitik, deren doppelbödige Beschaffenheit sich gerade durch eine Rekonstruktion seines Wirkens erschließt. Nicht minder starkes Erkenntnisinteresse weckt der Umstand, daß Abetz' Handeln in beiden Ländern stets heftig umstritten war und sowohl zeitgenössische Urteile als auch Bewertungen von Historikern weit auseinanderdriften5. Das kommt nicht von ungefähr. Der gebürtige Schwetzinger, der sich ein jugendliches Aussehen bewahrte, in den Jahren des Aufstiegs sichtbar an Garderobe und Körperfülle zulegte, aber erst vor Gericht, ausgezehrt und ergraut, mehr dem Klischee des verantwortungsgebeugten Beamten entsprach denn an einen flinken Burschenschaftler erinnerte, war ein schillernder Charakter, der sich trefflich auf die Kunst des Kaschierens und Finassierens verstand eine im diplomatischen und propagandistischen Gewerbe ebenso ver-
1954 kam er vorzeitig auf freien Fuß, weil er, so die offizielle Begründung, seine Hände nicht mit Blut befleckt und sich nicht unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt habe. Als Botschafter habe er zudem lediglich die Weisungen seiner Regierung ausgeführt. Welt am Sonntag, „Otto Abetz in Düsseldorf", 18.4. 1954; Le Monde, „Bénéficiant d'une grâce présidentielle L'ex-ambassadeur Otto Abetz a quitté la prison de Loos et s'est immédiatement rendu en Allemagne", 18./19. April; Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Abetz in Deutschland" und Kommentar „Kein Verbrecher", 20. April. Während seiner letzten Lebensjahre war Abetz unter anderem für den Pressedienst des Düsseldorfer Montanarchivs und die liberale Wochenschrift Der Fortschritt tätig. Darüber hinaus hielt er Vorträge über das deutsch-französische Verhältnis. „Chargé de maintenir la France vaincue dans la ligne politique imposée par son vainqueur, il y réussit entièrement", meinte Ankläger Flicoteaux vor Gericht. „Aucun ne servit mieux les desseins d'Hitler." Acte d'accusation vom 20. 6. 1949, pag. 1; AN, 334 AP 49, ein weiteres Exemplar CDJC, CCII-2. Jean Tracou, früherer Chefsekretär Pétains, sagte im Zeugenstand, man habe sich in Vichy täglich zu der Tatsache beglückwünscht, daß Abetz deutscher Botschafter war. Verhandlungsprotokoll vom 20.7. 1949, pag. 61; AN, 334 AP 49. Goebbels verabscheute ihn als „weich und porös, [...] ganz in die französische Mentalität verstrickt". Tagebücher, I, Bd. 4, Eintrag vom 26. 11.1940, S. 411. Hans-Georg v. Studnitz, während des Krieges in der Informations- und Presseabteilung des Auswärtigen Amtes beschäftigt, notierte: „Abetz gehört zu den wenigen, die der französischen Einstellung politisch Rechnung tragen möchten. Aber er setzt sich hier nicht durch und muß das Feld Leuten überlassen, die entweder Revanchisten oder Idioten sind." v. Studnitz, Als Berlin brannte, Eintrag vom 28. 5. 1943, S. 75. Auch historische Nachforschungen ergaben kein einheitliches Bild. Dieter Wolf etwa schildert Abetz als „begeisterten Freund Frankreichs", der sein möglichstes tat, unbillige Härten der Besatzung zu mildern. Wolf, Doriot-Bewegung, S. 240. Für Henri Amouroux hingegen war er, „avant tout, un fonctionnaire allemand jalousé, préoccupé de se maintenir à un poste difficile et non quelque Français dévoyé". Amouroux, Les beaux jours, S. 57. Eine Fülle weiterer Zitate, in die folgenden Kapitel eingestreut, schlägt den Bogen vom idealistischen Schwärmer, den skrupellose Machthaber als Werkzeug mißbrauchten, zum abgefeimten Lügner, der gutgläubige Franzosen hinters Licht führte. -
5
Einführung
13
breitete wie unverzichtbare Eigenschaft -, nach 1945 fleißig an seiner Legende strickte und durch sein Verhalten wie durch beredte Erklärungsversuche den Betrachter häufig vor Rätsel stellt. Ein Persönlichkeitsbild zu entfalten, das zugleich eine Bestimmung seines Einflusses auf die Gestaltung des deutsch-französischen Verhältnisses erlaubt, ist eine wesentliche Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Kapitel I beschreibt Abetz' Herkunft, die formativen Jahre und seine zu Zeiten der Weimarer Republik aus eigenem Antrieb geknüpften Kontakte mit aufgeschlossenen jungen Menschen in Paris, die sich ebenfalls aus überkommenen Erbfeindvorstellungen lösen wollten. Es soll untersucht werden, welche weltanschaulichen und persönlichen Motive ihn zu seiner Mittlerrolle bewegten; bedeutsam erscheinen die Prägekraft einer Kindheit nahe der Westgrenze, mit erschütternden Einblicken in die Leiden von Soldaten und Zivilbevölkerung während des Ersten Weltkriegs, sein Studium an der Badischen Landeskunstschule, das ihn für französische Kultur begeisterte, und jugendbewegtes Gedankengut. Kommentierte Schilderungen der von Abetz bis 1933/34 maßgeblich organisierten und inspirierten deutsch-französischen Jugendaussprachen, die auf deutscher Seite im Sohlbergkreis, benannt nach dem ersten Tagungsort im Schwarzwald, einen institutionellen Rahmen fanden, beleuchten die Teilnehmer und ihre Absichten, Art und Ergebnis der Zusammenkünfte, ihren Stellenwert in den damaligen Beziehungen sowie die Brüchigkeit des Unterfangens, das von den politischen und wirtschaftlichen Wirren der Zeit nicht unberührt blieb. Es wird deutlich, daß viel guter Wille, aber auch nationale Bedingtheiten im Spiel waren und wichtige Verständigungsinitiativen nach 1933 und sogar Teilbereiche der späteren Kollaboration auf dem Sohlberg ihren Ausgang nahmen. Hinzu tritt ein Grundmuster Abetzschen Denkens, das seine Haltung gegenüber Frankreich wesentlich bestimmte: Transnationale Verständigungsfähigkeit war bei ihm von Anbeginn mit dem üblichen Verlangen nach Revision des Versailler Vertrags, den Prämissen nationaler Selbstbehauptung und Machterweiterung gekoppelt, was die bereitwillige Einordnung ins NS-Regime fraglos förderte, anderseits erste Zweifel an seinem idealistischen Gebaren weckt. Warum die Nationalsozialisten Verwendung für Abetz hatten, zeigt eine Betrachtung der Frankreichkonzeptionen von Hitler und Ribbentrop (Kapitel 11/ III). Beide gedachten, pazifistische und germanophile Strömungen im Nachbarland für ihre Zwecke auszunutzen. Es galt, die um ihre Sicherheit fürchtenden Franzosen zu beschwichtigen, einstweilen eine Voraussetzung für die ungestörte Vorbereitung einer expansiven Außenpolitik. Die verbale Friedfertigkeit, die hierbei an den Tag gelegt wurde, hat bei Abetz Illusionen genährt, daß ein Ausgleich aus seinem Blickwinkel ohnehin nur bei hinreichender Berücksichtigung deutscher Interessen möglich auch unter Hitler zu bewerkstelligen sei. Auch die großzügigen Arbeitsbedingungen, von denen er fortan bei seiner Mittlertätigkeit profitierte, und Berührungspunkte zur NS-Ideologie erschwerten die Einsicht, daß er lediglich einen Friedenswillen auf Zeit unterstützte. Überlagert wird die fast reibungslos verlaufene Integration in die nationalsozialistische Frankreichpolitik durch das von ihm nachdrücklich beanspruchte Motiv, einem Rapprochement abträglichen Entwicklungen durch Anschieben breiter, erhofftermaßen unumkehrbarer Verständigungsbewegungen ,von unten', nötigenfalls durch ver-
-
Einführung
14
Opposition im Tarngewand des Regimebefürworters, zu steuern. Diesen angeblichen Ambitionen steht entgegen, daß er zumindest nach außen bald jede Distanz zur immer aggressiver sich gebärdenden deutschen Außenpolitik vermissen ließ, was sein Handeln unweigerlich ins Zwielicht rückt. Ein verzweigtes, die unterschiedlichsten weltanschaulichen Lager in Frankreich umfassendes, akribisch ausgebautes Beziehungsgeflecht, Überzeugungsgabe und ein nachgerade missionarischer Eifer, auf eine gütliche Regelung schwelender Interessengegensätze hinzuwirken (selbstredend zum Vorteil Deutschlands), machten ihn zu einem idealen Werkzeug für Hitlers .pazifistische Platte'. Ungeachtet der Hürde, daß Selbstzeugnisse von Abetz aus jenen Jahren nur spärlich vorhanden sind, setzt sich Kapitel II zum Ziel, seinen Wandel vom bündischen Jugendführer zum versierten NS-Propagandisten, der einherging mit Verstrickung in unlautere Machenschaften und Verlust an Glaubwürdigkeit, zu dokumentieren und zu analysieren. Ausgangspunkt der versuchten, aber mißglückten Gratwanderung zwischen persönlichen Idealen, Opportunismus und aktiver Anpassung ans ,Dritte Reich' war eine bemerkenswert lineare Sichtweise des deutsch-französischen Problems6. Im Gegensatz zu Hitler, der taktierte und
deckte
Frankreich im Grunde verachtete, hielt Abetz unverrückbar am Ziel einer dauerhaften Annäherung fest, ein Bestreben, das zur ,idée fixe' wurde und dem er, die Schwelle zum skrupellosen Handlanger eines Unrechtsstaates scheinbar leichthin und endgültig passierend, alles andere subsumierte, in den Wochen und Monaten vor Kriegsausbruch die Freiheit von Tschechen und Polen, als Botschafter die Unversehrtheit der in Frankreich lebenden Juden. Sein massives Werben für ein .Rapprochement à l'allemande' in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, bei dem sich Frankreich deutsches Wohlwollen zuletzt mit empfindlichen machtpolitischen Positionsverlusten erkaufen sollte, diente nach Abetz' Verständnis dazu, einen neuen deutsch-französischen Waffengang zu verhindern, verschärfte anderseits die Uneinigkeit der Franzosen, wie Hitler zu begegnen sei, spielte mithin den Berliner Regierenden in die Hände und war insofern zum Scheitern verurteilt, als Hitler eine wie immer geartete partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den westlichen Nachbarn nie ernsthaft erwog7. Die Kapitel III, IV und V untersuchen Methoden und Wirkungen der nationalsozialistischen Verständigungsoffensive gegenüber Frankreich in den Jahren 1934 bis 1939. In allen, zum Teil institutionalisierten Bereichen gehörte Abetz zu den Protagonisten. Er war durchaus ein Sympathieträger des .Dritten Reiches', dem sich im sicherheitsbedürftigen, innenpolitisch zerstrittenen Nachbarland viele Türen öffneten. Es gelang ihm, dem Verständigungsgedanken und dem Glauben, 6 7
Diese Perspektive ermöglichte es, die Aktivitäten nach 1933 als konsequente Fortsetzung der Arbeit des Sohlbergkreises darzustellen. Während der Kriegsjahre tritt das irritierend Zwiespältige seines Tuns noch akzentuierter in Erscheinung. Folgt man den Beteuerungen des Botschafters, mäßigenden Einfluß auf die deutsche Besatzungsherrschaft auszuüben sei sein oberstes Ziel gewesen, so offenbart sich der ganze Aberwitz dieser Ambition in Einlassungen, er habe auf manchen Gebieten bewußt den Hardliner („le dur des durs") markiert, um Berliner Bedenken gegen seine Person zu zerstreuen und insgesamt Schlimmeres zu verhüten. Vgl. Abetz-Prozeß, Verhandlungsprotokoll vom 13. 7. 1949, pag. 1 ff.; AN, 334 AP 49.
Einführung
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daß ein Ausgleich mit den Deutschen möglich sei, in Frankreich zeitweise zu beachtlicher Breitenwirkung zu verhelfen. Mit Hilfe von Massenorganisationen und Meinungsmultiplikatoren in Politik, Presse und Kultur wurde die in der französischen Bevölkerung vorherrschende, entschieden pazifistische Gesinnung bestärkt und ein entschlossenes Auftreten gegen den deutschen Expansionismus hinausgezögert. Führende Repräsentanten der großen, Millionen Mitglieder zählenden Frontkämpferverbände wurden für Hitlers Friedensappelle empfänglich gestimmt, umfangreiche Besuchsprogramme in Gang gesetzt. Gezielte Einladungen zu Vorträgen, Interviews und den Nürnberger Reichsparteitagen förderten eine prodeutsche Berichterstattung in den französischen Medien. Weitere nützliche Kanäle für die nationalsozialistische Friedenspropaganda waren die unter Federführung der Dienststelle Ribbentrop wiederbegründete Deutsch-Französische Gesellschaft und ihr Organ, die Deutsch-Französischen Monatshefte. Eine Auswertung der zweisprachigen Revue dokumentiert einerseits die Vielfalt zwischenstaatlicher Begegnungen bis 1939, wodurch der Eindruck sich stetig normalisierender Beziehungen erweckt werden konnte, zum anderen die von der Dienststelle Ribbentrop vertretene, höchst einseitige Konzeption einer deutsch-französischen Annäherung. Das von deutscher Seite stark beeinflußte Comité FranceAllemagne, Gegenstück zur DFG, ist ein Paradebeispiel für Abetz' effiziente Bemühungen, den Franzosen Forderungen und Maßnahmen des .Dritten Reiches' möglichst durch eigene Landsleute zu vermitteln. Eine Beschreibung der CFAAktivitäten erlaubt nicht nur Rückschlüsse auf die erzielte Resonanz, sondern erhellt auch den Kreis und die Beweggründe jener, die sich mit Hitler-Deutschland einließen. Viele, allen voran die französischen Kriegsveteranen, wurden hierbei von überaus honorigen Absichten geleitet, während sich bei anderen virulente zur Gegnerschaft .Dritten Republik', Antisemitismus und Kommunistenhaß mit teilweise offener Bewunderung für den Nationalsozialismus paarten. Kurz vor Kriegsausbruch erteilte die Regierung Daladier Abetz wegen defätistischer Propaganda Aufenthaltsverbot (Kapitel VII). Eine Untersuchung des für die nervöse Krieg-in-Sicht-Stimmung jener Wochen symptomatischen Vorgangs enthüllt, daß Staatsschützer und etliche Publizisten Ribbentrops Referenten seit längerem der Korruption und Wehrkraftzersetzung beschuldigten, seine Aktionen jedoch wegen ihres kalmierenden Effekts und unzureichender juristischer Handhaben von diplomatischer Warte geduldet worden waren. Die Affäre wirft Licht auf den Arbeitsstil der Dienststelle Ribbentrop, die tiefe Verunsicherung der Franzosen über das tatsächliche Ausmaß der nationalsozialistischen Wühlarbeit im Lande und die mehr als fragwürdigen Argumente, die Abetz mittlerweile gebrauchte, um den drohenden deutsch-französischen Konflikt in letzter Minute abzuwenden. 1937/38 war er bereits in Deutschland in Bedrängnis geraten, durch eine aus dem Umfeld der Reichsstudentenführung gesteuerte Intrige, die ihn als Saboteur nationalsozialistischer Interessen und heimlichen Agenten Frankreichs zu brandmarken suchte. Eine Analyse dieser Affäre (Kapitel VI) gibt Aufschluß über Abetz' Vorgehensweise und seine Stellung im Regime; sie erscheint charakteristisch für das systemimmanente Neben- und Gegeneinander rivalisierender Dienststellen im Hitler-Staat, im besonderen für die hartnäckigen ideologischen Vorbehalte, die stramme Parteimitglieder Kontakten zur französischen Linken, so
Einführung
16
pragmatisch sie gehandhabt wurden, entgegenbrachten. Es deutet sich an, was sich während des Krieges bestätigen sollte: In Berlin hatte Abetz unversöhnliche Widersacher, dort war und blieb er ein Außenseiter.
Beweggründe Hitlers und Ribbentrops, ihn im Juni 1940 als Vertreter des Auswärtigen Amts erneut nach Paris zu schicken, werden zu Beginn des achten Kapitels hinterfragt. Dabei schält sich aus einem Bündel von Motiven heraus, daß Abetz' frankophile Reputation und seine Fähigkeiten als Propagandist, die er im Winterhalbjahr 1939/40 während der Phase des .Sitzkriegs' erneut demonstriert hatte, in der spezifischen Interessenlage vom Sommer 1940 mithelfen sollten, die geschlagenen Franzosen von Verzweiflungstaten abzuhalten, sie zu möglichst williger Unterordnung und in der Folge auch die Engländer zur Kapitulation zu bewegen. Ähnliche Qualitäten wie der designierte Botschafter besaßen seine engsten Mitarbeiter, von denen kaum zufällig viele aus dem Umfeld der Dienststelle Ribbentrop und der Deutsch-Französischen Gesellschaft kamen. Schon die ersten Aktivitäten dieses Stabes stießen auf Skepsis und Widerstände der Militärverwaltung und anderer Ressorts, die das NS-typische Ämterchaos und Gerangel um Zuständigkeiten binnen kurzem in der okkupierten Seine-Metropole reproduDie
zierten. Das zweite
Halbjahr 1940 war auch geprägt vom Ringen um eine Politik der Kollaboration (Kapitel IX). Vielversprechende Drähte zum stellvertretenden französischen Ministerpräsidenten Pierre Laval weckten bei Abetz frischen Ehrgeiz, die ersehnte Annäherung nun auf dem Umweg einer militärischen Allianz gegen England zustande zu bringen, die eine politische Bereinigung nach sich ziehen sollte. Fast schien es, als könnte dieses Konzept aufgehen, doch die Entmachtung Lavais im Dezember beraubte den deutschen Botschafter eben jenes Partners, der ihn unersetzlich dünkte bei seinem Bemühen, aus dem besiegten Land einen willigen, dafür wohlgelittenen Satelliten des Reiches zu formen, ein Kriegsbündnis zu schmieden und Berlin und Vichy zu vertrauenbildenden, die ärgsten Härten der Besatzung mildernden Vor- und Gegenleistungen zu bewegen. Gleich zweifach offenbart sich hier die ganze Absurdität des Vorhabens, unter nationalsozialistischen Vorzeichen eine konstruktive Mittlerrolle spielen zu wollen: Weder waren Hitler und seine wichtigsten Gefolgsleute dauerhaft geneigt, den Blickwinkel ihres diplomatischen Vertreters in Paris zu teilen, noch trug dessen „Kollaborationsperspektive"8 der Tatsache Rechnung, daß wahre Verständigung nur zwischen freien, gleichberechtigten Nationen gedeihen kann. Dunkle Schatten auf Abetz' Person wirft seine Beteiligung am nationalsozialistischen Kunstraub und an der Judenverfolgung (Kapitel X). Eine Flut von Dokumenten entlarvt ihn, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz, als treibende
Kraft bei der illegalen Beschlagnahme von Kunstschätzen und bei der Entrechtung und Diskriminierung der Israeliten in Frankreich. Im ersten Punkt handelte er gegen den Widerstand der Militärverwaltung, im zweiten weitgehend im Einklang mit ihr. Bis hin zur Komplizenschaft entwickelte sich die Zusammenarbeit mit der Pariser Dienststelle von Sipo und SD. Abetz organisierte im Sommer 1940 8
Ein Ausdruck von Franz Knipping, Die deutsche Frankreichpolitik 1940-1942, in: Carlier/Martens (Hrsg.), La France et l'Allemagne en guerre, S. 247.
17
Einführung
die ersten Beutezüge durch private Galerien und staatliche Depots und forderte als erster „antijüdische Maßnahmen", teils aus ideologischer Verblendung, teils das gab sie in seinen aus Berechnung. Für ihn waren die Juden Kriegshetzer und dem Botschafter eine eröffnete Augen schonungsloser Behandlung preis wohlfeile Möglichkeit, Linientreue zu demonstrieren und im Konkurrenzkampf mit anderen Statthaltern des Reiches Themen zu besetzen. Scheinbar skrupellos opferte er Leben und Eigentum unbescholtener Menschen, um sich in seinem Amt zu behaupten ein erschreckender Befund, der deutlich macht, wie weit ein verbrecherisches Regime seine Diener zu korrumpieren vermag. Die Darstellung der Ereignisse in der vorliegenden Studie endet im wesentlichen um den Jahreswechsel 1940/41. Aus der persönlichen und gestalterischen Sackgasse hat Otto Abetz auch in den folgenden Kriegsjahren nie herausgefunden. Im Gegenteil: Je stärker Kriegsverlauf, deutsche Repressalien und schier unersättliche Forderungen nach Geld, Rohstoffen und Arbeitskräften das Verhältnis zwischen Siegern und Besiegten belasteten, desto mehr geriet er zwischen alle Fronten. Die versuchte ideologische Einflußnahme der Botschaft auf das besetzte Land nahm unterdessen immer systematischere Formen an. Ein knapp gehaltener Epilog will diese Entwicklungslinien zumindest andeuten. -
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Quellenlage und Literaturübersicht Persönlichkeit, Werdegang und Bedeutung von Otto Abetz sind von der zeitgeschichtlichen
Forschung keineswegs erschöpfend untersucht worden. „Eine zuder Zentralgestalt der nationalsozialistischen Frankreichpolitik Analyse verlässige [...] bleibt ein Desiderat", schrieb Hans Manfred Bock 1993 in seiner Einleitung zu einem Sammelband über die deutsch-französischen Kulturbeziehungen der dreißiger Jahre9. Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag leisten, diese Lücke zu schließen. Weit verstreute, zum Teil wenig ergiebige Aktenbestände und ein als schmerzlich empfundener Mangel an privaten Selbstzeugnissen aus der Zeit vor 1945 gestalten die Annäherung an Abetz allerdings zu einer oft mühsamen Spurensuche und anspruchsvollen interpretatorischen Aufgabe. Auch von daher erklärt sich, daß sein Name in Abhandlungen über die deutsch-französischen Beziehungen breite Erwähnung findet, sein Denken und Handeln jedoch meist nur oberflächlich berücksichtigt werden. Der folgende Überblick über Sekundärliteratur und Archivalien skizziert das Gerüst des für diese Studie verwendeten Materials. Den bislang umfänglichsten biographischen Versuch unternahm 1969 der Amerikaner John Edmund Wallace im Rahmen einer Dissertation. Sie stützt sich vorwiegend auf Prozeßmaterialien, Zeitungsberichte und zeitgenössische Memoiren und kreist um die Frage der „relevancy of a diplomat's guilt in wartime"10. 9
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Bock, Zwischen Locarno und Vichy. Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen der
dreißiger Jahre als Forschungsfeld, in: ders./Meyer-Kalkus/Trebitsch (Hrsg.), Entre Locarno et Vichy, Bd. I, S. 39. Wallace, The Case of Otto Abetz. Speziell zur Vorkriegszeit ders., Otto Abetz and the
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Einführung
Gründlich erforscht ist inzwischen die Geschichte des Sohlbergkreises und der ihm initiierten Tagungen. Apologetisch durchwirkten Darstellungen ehemaliger Anhänger und Sympathisanten1 ' und einer wissenschaftlichen Kriterien genügenden Studie von Gräfin Hardenberg12 folgten zwei für diesen Themenkomplex wie auch für Abetz' Weg ins .Dritte Reich' grundlegende Monographien von Dieter Tiemann und Barbara Unteutsch13, die ergänzt werden durch mehrere Beiträge zu DFG, CFA und den in ihnen wirkenden Personen und Ideologien im schon erwähnten, aus einem Pariser Kolloquium vom Dezember 1990 hervorgegangenen Sammelband Entre Locarno et Vichy. Eine kenntnisreiche Beschreibung der Dienststelle Ribbentrop legte Hans-Adolf Jacobsen vor14. Die Beziehungen zwischen deutschen und französischen Frontkämpferverbänden, die neben der jungen Generation den zweiten großen gesellschaftlichen Kristallisationskern für Abetz' Verständigungsinitiativen bildeten, werden in Veröffentlichungen von Antoine Prost behandelt; er geht jedoch nur am Rande auf Abetz' Rolle ein15. Unverzichtbar zur Geschichte der Frontkämpferbeziehungen sind die biographischen Studien von Bock über Paul Distelbarth16. Methoden und Wirkungsfelder der von der Dienststelle Ribbentrop lancierten Propaganda in den Jahren 1934 bis 1939 wurden aus der emotionsgeladenen Sicht des Zeitzeugen Wilhelm v. Schramm beschrieben17, dann auf der Grundlage einschlägiger Akten des Bonner Auswärtigen Amts von Alfred Kupferman18. An neuerer Literatur zu diesem Thema ist an erster Stelle die Untersuchung von Unteutsch zu nennen. Hinsichtlich der Wiederbelebung der DFG, einer ursprünglich aus der Locarno-Ära stammenden Verständigungsinitiative, und ihrer Umdrehung zum Zwecke nationalsozialistischer Auslandspropaganda kann auf die Arbeiten Bocks verwiesen werden19. Ein Schub von Veröffentlichungen in den letzten Jahren zur Geschichte Frankreichs im Zweiten Weltkrieg und zur krisenhaften Endphase der .Dritten Republik'20, begünstigt nicht zuletzt durch die Freigabe von Vichy-Akten durch die Pariser Regierung und den erinnerungsträchtivon
Question of a Franco-German Reconciliation. Falsch datiert ist bei Wallace die Gründung
DFG und CFA; das von den Nationalsozialisten erzwungene Ende der „alten" DFG der Locarno-Ära bleibt ausgeblendet. Bentmann, Über Otto Abetz; Epting, Das Schicksal der briandistischen Generation; ders., Die Jugendbewegung und Frankreich, in: Nasarski (Hrsg.), Deutsche Jugendbewegung, S. 296-303; Weise, Deutsch-französisches Jugendtreffen in Rethel. Hardenberg, Bündische Jugend und Ausland. von aus
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Tiemann, Jugendbeziehungen; Unteutsch, Sohlbergkreis. Jacobsen, Außenpolitik, S. 252 ff. 15 Prost, Anciens combattants, Bd. 1; ders., Les anciens combattants français et l'Allemagne (1933-1938), in: La France et l'Allemagne 1932-1936, S. 131-148. 16 Bock, Paul Distelbarth und die „Verständigung von unten"; ders., Konservativer Einzelund pazifistischer Grenzgänger. gänger 17 v. Schramm,... sprich vom Frieden; ders., Hitlers psychologischer Angriff. 18 Kupferman, Diplomatie parallèle; ders., Le bureau Ribbentrop, in: Les relations franco14
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allemandes 1933-1939, S. 87-98. Bock, Die Deutsch-Französische Gesellschaft 1926 bis 1934; ders., Transnationale Begegnung im Zeitalter des Nationalismus, in: Krebs (Hrsg.), Sept décennies, S. 57-79. Siehe hierzu die instruktive Literaturübersicht von Martens, „Drôle de Guerre" Occupation Epuration: Frankreich im Zweiten Weltkrieg, in: NPL 37 (1992), S. 185-213. -
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Einführung
zu den Ereignissen von mehr als 50 Jahren, erweitert die Kenntnis der politisch-ideologischen Dispositionen wichtiger Zielgruppen und Ansprechpartner von Abetz, was indirekt den Erfolg seiner Bemühungen erklären hilft. Einmal mehr werden in die Vichy-Zeit reichende Kontinuitätslinien sichtbar21. Beide Abetz-Affären die Intrige aus Kreisen der Reichsstudentenführung und seine faktische Ausweisung aus Frankreich Ende Juni 1939 -, aber auch die Hintergründe seiner neuerlichen Mission 1940 wurden in der Sekundärliteratur vernachlässigt und sollen in diesem Buch ausführlich behandelt werden22. Der nationalsozialistische Kunstraub in Frankreich, nach der Veröffentlichung des „Bargatzky-Berichts" 1965 lange Jahre kaum ein Thema in der historischen Forschung, stand zuletzt gleich mehrfach im Blickpunkt wissenschaftlicher Studien23. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Vorreiterrolle der Deutschen Botschaft Paris bei den Plünderungen, die krass gegen die Auflagen des militärischen Kunstschutzes verstießen, und auf die fadenscheinigen Argumente, mit denen das Unrecht sanktioniert werden sollte. Sorgsam ausgeleuchtet ist inzwischen das Schicksal der jüdischen Bevölkerung Frankreichs hier geht es dem Verfasser vor allem darum, die Rolle der Botschaft bei Verfolgung und Deportationen zu präzisieren24. Gleiches gilt für die Schilderung des ersten Anlaufs zu einer „Collaboration d'Etat" 1940; die benutzten Quellen spiegeln die deutschen und französischen Erwartungen und zeigen stark gegenläufige Interessen auch im
gen Abstand
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jeweils eigenen Lager25. Die verfügbaren Quellenbestände sind von sehr unterschiedlicher Qualität und Dichte. Otto Abetz hat nach dem Krieg, in französischen Gefängnissen einsitzend, drei Bücher veröffentlicht, deren stark apologetischer Einschlag zu vorsichtigem Gebrauch mahnt26. Ein privater Nachlaß existiert nach Auskunft des Soh21
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Vgl. Literaturangaben und anregende Diskussion bei Müller, „Faschisten" von links?; Wirsching, Auf dem Weg zur Kollaborationsideologie. Aufschlußreich Hans Bellstedts Untersuchung der französischen Außenpolitik nach München, „Apaisement" oder Krieg. Die Studie stützt die Vermutung, daß Abetz noch 1939 auf wohlwollende Duldung Bonnets rechnen durfte. Dieser plädierte dafür, die seitherige Bündnispolitik zu überdenken und einen Ausgleich mit Mussolini und Hitler zu suchen.
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Kurz, Kunstraub; Nicholas, Der Raub der Europa; Dorléac, L'art de la defaite. Grundlegend für dieses Thema Hilberg, Vernichtung, sowie die Arbeiten und Dokumen-
tensammlungen von Klarsfeld und anderen Mitarbeitern des CDJC Paris. Zum Zusammenspiel von Botschaft und Militärverwaltung jetzt auch Herbert, Best. Zunehmend ins Blickfeld der französischen Öffentlichkeit rückte in den vergangenen Jahren die Verstrikkung des Vichy-Regimes in den Holocaust; vgl. Klarsfeld, Vichy-Auschwitz; Webster, Pétain's Crime; Cohen, Persécutions et sauvetages; erheblich früher bereits Marrus/Paxton,
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Vichy et les juifs.
Ein umfassendes Bild ergibt sich aus den Laval-Biographien von Kupferman und Cointet und den Arbeiten von Jäckel, Geschke, Brender, Krautkrämer, Aron, Duroselle, Burrin, Paxton und Delpla. Otto Abetz' damalige Vorstellungen zur deutschen Frankreichpolitik gewinnen vor allem im Schriftverkehr der Botschaft und in Memoranden Kontur, deren Inhalt er vor Gericht interpretierte und abzuschwächen suchte. Für den hier behandelten Zeitabschnitt fällt nur der Memoirenband Das offene Problem (1951) ins Gewicht. Pétain et les Allemands (1948) ist die französische Übersetzung einer Denkschrift, die Abetz unter dem Titel „Die deutsch-französischen Beziehungen seit dem Waffenstillstand und ihre Rückwirkungen auf die militärische Entwicklung im Mittelmeer -
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Einführung
nicht27. In eindeutiger Rechtfertigungsabsicht griffen auch ehemalige enge Mitarbeiter von Abetz zur Feder, allen voran sein Pariser Stellvertreter Rudolf Schleier, dessen im Auswärtigen Amt zugänglicher Nachlaß Korrespondenzen und mehrere hundert Schreibmaschinenseiten mit unveröffentlichten Erinnerungen birgt. Ungeachtet ihrer Tendenz enthalten diese Aufzeichnungen wertvolles Material: detailgenaue Innenansichten des Botschaftsalltags, Informationen über Mitarbeiter, Charakterskizzen, Entwürfe der eigenen politischen Konzeption in Abgrenzung zu rivalisierenden Behörden. Deutlich werden überdies die übertriebenen Erwartungen, die in der Rue de Lille an die Person Lavais und an das Treffen Hitler-Pétain im Oktober 1940 geknüpft wurden28. Ein im Pariser Centre de nes
und in Nordafrika" während seiner zeitweiligen Abberufung aus Paris verfaßte und am 1. 7. 1943 in Berlin vollendete. Er schildert die aus seiner Sicht völlig unbefriedigende Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen seit Juni 1940. Eine Zusammenstellung von Berichten, Telegrammen und Instruktionen weist ihn als eifrigen Befürworter einer engen Kooperation unter deutschem Kommando, den Kurs der Reichsregierung hingegen als Politik der verpaßten Gelegenheiten aus. Ein Teil der verwendeten Korrespondenz findet sich in ADAP, D, Bde. XI.2, XII.l, XII.2, XIII.l, XIII.2; E, Bde. I-III. Erstaunlicherweise wird bis in jüngere Fachpublikationen hinein behauptet, die ursprüngliche deutsche Fassung des Memorandums sei nirgends greifbar; vgl. Brender, Kollaboration, S. 117. Nach meinen Recherchen lagert das Original in den Archives de la justice militaire (Méaux/Le Blanc); hierzu eine amtliche Stellungnahme im Bestand MAE, Papiers 1940, Papiers Abetz/2. Insoweit sind auch die Angaben in ADAP, E I, S. 557, Anm. 1 zu korrigieren. Beglaubigte Kopien (236 S.) können im Quai d'Orsay (Papiers Abetz/1, Vermerk: „Archives personnelles d'Otto Abetz trouvées en Forêt Noire en 1946") und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Bonn (PA/AA, Botschaft Paris 2475, mit Stempelvermerk des französischen Archivs von 1984 „Vu et conforme à l'original") eingesehen werden. Das erscheint insofern ratsam, als die veröffentlichte französische Version, wie ein Vergleich zeigt, offenkundig gewollte Auslassungen, Erweiterungen und sinnverfälschende Übersetzungen enthält. D'une prison (1949) enthält neben Prozeßmaterialien eine längere Stellungnahme von Abetz über seine Bemühungen um eine konstruktive deutsch-französische Politik. Bernhard Abetz betonte während eines Telefonats mit dem Verfasser, daß die Habe seiner Eltern bei einem Bombenangriff auf Berlin weitgehend zerstört worden sei. Ein Schreiben der Botschaft Paris an den Kommandanten von Groß-Paris/Bezugscheinstelle vom 18. 5. 1944 (PA/AA, Personalakte Abetz/1) stützt diese Darstellung, ebenso eine Auskunft des Ex-Botschafters gegenüber den ermittelnden Polizeioffizieren (Verhörprotokoll Nr. 204/2 vom 24. 11. 1945, „Situation de fortune d'Abetz"; AN, F 7/15331). Eine mündliche und eine schriftliche Anfrage an B. Abetz mit der Bitte um ein persönliches Gespräch blieben erfolglos. Rudolf Schleier (1899-1958), gebürtiger Hamburger, wurde im Juni 1917 zum Militärdienst eingezogen und geriet im September 1918 in französische Kriegsgefangenschaft (bis Januar 1920). Seit 1924 verkehrte der gelernte Kaufmann regelmäßig beruflich in Frankreich und wurde eigenen Angaben zufolge „ein von Jahr zu Jahr überzeugterer Anhänger der Notwendigkeit einer deutsch-französischen Verständigung". Im Dezember 1931 der NSDAP beigetreten, war er von 1933 an ehrenamtlich für die Frankreicharbeit der Auslandsorganisation zuständig. Er baute eine Landesgruppe der A.O. in Frankreich auf, die er von 1936 bis April 1938 in Verbindung mit seinen Pariser Geschäftsreisen leitete. Schleier war Gründungsmitglied, seit 1938 Vizepräsident der DFG und Vorsitzender der 1936 eingerichteten Zweigstelle für die Hansestädte. Von November 1939 bis April 1940 erkundete er im Auftrag der Hamburger Handelskammer die wirtschaftlichen Verhältnisse im Warthegau. Versuche der Alliierten, ihn nach dem Zweiten Weltkrieg gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen, blieben ohne Ergebnis. Vgl. StA Nürnberg, KV-Anklage, -
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Einführung
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documentation juive contemporaine (CDJC) aufbewahrtes, 124 Schriftstücke umfassendes „Dossier Abetz" ist besonders für die Kriegsjahre von Bedeutung. Biographische Daten konnten anhand der im Berlin Document Center lagernden SS-Personalunterlagen überprüft und ergänzt werden; sie sind im übrigen der Schlüssel zur Rekonstruktion der Intrige gegen Abetz und das anschließende Gerichtsverfahren 1937/38, runden das Bild seiner Beziehungen in Frankreich und
bieten Einblick in seine Arbeitsweise und sein strategisches Kalkül. Aktenkonvolute der Dienststelle Ribbentrop, der Deutschen Botschaft Paris und verschiedener Abteilungen des Auswärtigen Amts werfen Licht auf die Arbeit des Sohlbergkreises, Abetz' Anbiederung an die Reichsdiplomatie in den Jahren 1930 bis 1933, Frontkämpferbeziehungen und DFG, propagandistische MaEinzelheiten der 1939 und die Schritte im besetzersten növer, Ausweisungsaffäre ten Paris. In Kombination mit vertraulichen Berichten der Sûreté Nationale (AN, Serie F 7), kleineren Beständen unterschiedlicher Provenienz und Presseberichten lassen sich Motive, Aktivitäten und Wirkungsgrad des Ribbentrop-Referenten präzisieren. Der Nachlaß des Frontkämpferführers Henri Pichot dokumentiert bis in Einzelheiten die von Abetz auf den Weg gebrachten, rasch an Umfang gewinnenden Kontakte zwischen deutschen und französischen Veteranen. Als Ergebnis tritt klar zutage, welch wichtigen Resonanzboden die Anciens combattants der nationalsozialistischen Paralleldiplomatie und Propaganda boten. Die PichotPapiere sind zudem ein beredtes Zeugnis für jenen leidenschaftlichen Glauben der französischen Weltkriegsteilnehmer an Aussöhnung, der sie dazu verleitete, für die friedlichen Absichten des .Dritten Reiches' gleichsam zu bürgen. Bemerkenswert ist auch die erstaunlich gute Meinung Pichots von Abetz selbst im nachhinein, als der Franzose erkannt hatte, daß sein Idealismus ausgenutzt worden war ein Befund, der die Erörterung von Abetz' Beweggründen und die Diskussion, wie es um seine Integrität bestellt war, befruchtet29. Lückenlos rekonstruieren läßt sich der von der Deutschen Botschaft Paris inszenierte Kunstraub. Unterlagen der Geheimen Feldpolizei und des Sonderkommandos v. Künsberg dokumentieren den Einsatz der Abetzschen Hilfstruppen. Auch über Umfang und Verbleib des Beuteguts geben die verwendeten Quellen präzise Auskunft, desgleichen über das Zusammenspiel zwischen Botschaft, Militärverwaltung und SD in „Judenfragen" und den politischen und propagandistischen Einfluß, den Abetz diesbezüglich auf die Vichy-Regierung und die französische Öffentlichkeit nahm. Die Botschaftsakten unterstreichen darüber hinaus die zentrale Rolle des Judenreferenten Carltheo Zeitschel, der keineswegs so willkürlich agiert haben dürfte, wie es seine Vorgesetzten später zur eigenen Entlastung vorschützten. Zwei nach längeren Bemühungen zur Einsicht freigegebene „Dossiers Abetz" -
Interrogations, S. 74 (mehrere Vernehmungen Schleiers im Mai/Juni 1947); PA/AA, Botschaft Paris 1778, Personalunterlagen Schleier; PA/AA, Nachl. Schleier/IV.l, Nr. 3: „Mein persönliches Verhältnis zu Frankreich". Ergiebige Quellen hierfür sind ferner die Erinnerungen von Romains, Sept mystères; Weil-Curiel, Le temps de la honte, Bd. II. Ein kritisches Korrektiv bilden unter anderem die Aussagen des langjährigen Pariser Botschaftsmitglieds Eugen Feihl; AN, 3 W 358.
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in den Archives Nationales, in den Findbüchern nur vage beschrieben, erwiesen sich im wesentlichen als Sammlung von Prozeßunterlagen. Neben Anklagedokumenten des Militärstaatsanwalts und Presseberichten enthalten sie einen kompletten Satz von 50 Protokollen, die unmittelbar nach Abetz' Verhaftung bei Verhören im November 1945 aufgenommen wurden. Der gewesene Botschafter äußerte sich teilweise ausführlich zu seiner Biographie und seinem Wirken im Kontext der
deutsch-französischen Beziehungen30. Abschriften einiger Protokolle finden sich auch in anderen Archiven, etwa im CDJC; anhand der AN-Unterlagen läßt sich diese Quelle nun aber vollständig und authentisch erschließen. Zusammen mit dem 1400 Seiten starken stenographischen Protokoll des Abetz-Prozesses ergibt sich ein genaues Bild der gegen den Deutschen erhobenen Vorwürfe und seiner wort- und phantasiereichen Rechtfertigungsstrategie. Er versuchte sich als Anwalt des französischen Volkes zu stilisieren und behauptete eine fortlaufende Kontinuität zwischen seinen frühen Verständigungsbemühungen und seiner Tätigkeit in Diensten des Hitler-Regimes. Seine Einlassungen erhellen, daß dieser Mann nicht frei von im Grunde seines Herzens ungewollten Verstrickungen war; anderseits sind viele Passagen exemplarisch für das häufig zu beobachtende Phänomen der Verleugnung persönlicher Schuld, ihrer Verdrängung oder gar Übertragung auf Gegner und Opfer.
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Die Benutzung eines dritten Abetz-Dossiers, das offenbar Material über die Gnadengesuche des Inhaftierten und seine Freilassung im Jahre 1954 enthält, wurde unter Hinweis auf das französische Archivgesetz verweigert.
I. Der Sohlbergkreis 1. Rendezvous
Das
unter
Schwarzwaldtannen:
Sohlbergtreffen 1930
Zwischen Ottenhöfen und Lautenbach, unweit der Hornisgrinde, ragt aus einem Kranz dunkler Tannen der Gipfel des Sohlbergs. Von diesem 780 Meter hohen westlichen Ausläufer des Schwarzwalds wandert der Blick an schönen Tagen weit hinunter ins Renchtal und in die Rheinebene, am Horizont zeichnet sich die Silhouette des Straßburger Münsters ab. In solch idyllischer Landschaft kam es im Sommer 1930, vom 28. Juli bis 3. August, zu einer denkwürdigen Begegnung: Rund 100 überwiegend junge Franzosen und Deutsche trafen sich in der neuerrichteten, geräumigen Herberge auf dem Sohlberg zur „ersten überbündischen deutsch-französischen Jugendaussprache"1. Wenige Wochen nach Abzug der letzten Besatzer aus dem Rheinland, vielerorts von Kundgebungen mit revanchistischem Unterton begleitet, wollten sie „die kulturelle, religiöse, politische und wirtschaftliche Lage beider Länder in der Nachkriegszeit und die besondere Stellung der jungen Generation in ihr" erörtern2. Die meisten deutschen Teilnehmer waren Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde (AKJ), einem Dachverband für rund 40 Gruppen unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher Couleur, unter dessen Auspizien die Zusammenkunft stand. Die anwesenden Franzosen gehörten in der Mehrzahl parteipolitisch ausgerichteten Organisationen an, etliche studierten an der Sorbonne oder waren in Paris schriftstellerisch und journalistisch tätig. Auf umfassende Tagesordnungen, Ausschüsse und Resolutionen wurde bewußt verzichtet. Das Camp sollte in erster Linie dem zwanglosen Einander-Kennenlernen dienen, in einer hinreißenden Atmosphäre der Kameradschaft, wie ein begeisterter Chronist vermerkt3. Der Tag begann mit Frühsport, „um unseren Gliedern durch kunstgerechte Morgenübungen, Waldlauf und Ballspiel Frische und Beweglichkeit zu geben"4. Nach Referaten, in der jeweiligen Muttersprache des Vortragenden gehalten, in Auszügen übersetzt und vervielfältigt, blieb genügend Muße für Spaziergänge, Ausflüge oder Gespräche im kleinen Kreis, wobei nicht selten eine lebhafte Gestikulation fehlende Sprachkenntnisse ersetzt haben soll. Viel hatten sich die jungen Leute zu erzählen: vom Elend Deutschlands und seiner täglich größer werdenden Arbeitslosigkeit, von Konflikten mit den in Erbfeind-Kategorien denkenden Eltern, vom französischen Sicherheitsbedürfnis und von der Not-
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Sohlbergkreis deutscher und französischer Jugend, Leitung und Redaktion: Otto Abetz, I (September 1931), S. 2. Ebenda.
Bentmann/Vallet/Paty, La réunion franco-allemande du Sohlberg, S. 866. Steinthal, Deutsch-französisches Jugendtreffen auf dem Sohlberg, S. 760 f.
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/. Der Sohlbergkreis
wendigkeit einer Revision des Versailler Vertrags, von Erziehungs- und Schulfragen, künstlerischen Strömungen, Forschung und Glauben5. Die Vorträge, für welche die Veranstalter zum Teil renommierte Wissenschaftler verpflichtet hatten, behandelten das geistige und politische Leben in beiden Ländern; sie wollten mit den jeweiligen Eigenarten vertraut machen und Ver-
ständnis dafür wecken, aber auch Gemeinsamkeiten herausstellen. Der Karlsruher Hölderlin- und Stifterforscher Adolf v. Grolman dozierte über deutsche, Guy Crouzet über französische Gegenwartsliteratur. Theologieprofessor Otto Piper aus Münster analysierte in der deutschen Jugend wirksame religiöse Strömungen, Jacques Chabannes, Chefredakteur der Zeitschrift Notre Temps, bezeichnete die Mystik Bergsons als bestimmend für jene jungen Franzosen, die ob des Verschwindens traditioneller Werte neuen Ufern zustrebten. Dr. Kurt Martin, Karlsruher Kunsthallenchef, verbreitete sich über zeitgenössische Kunst, während der Romanist und Gymnasiallehrer Friedrich Bentmann seine Zuhörer auf „rascher Wanderung durch die Jahrhunderte" Zeugen eines fruchtbaren Gebens und Nehmens zwischen den Nachbarvölkern werden ließ und hervorhob, daß der französische Nationalismus ohne deutsches Gedankengut ebensowenig vorstellbar sei wie die Einigung des Deutschen Reiches ohne die Ideen der Französischen Revolution. Der Studentenfunktionär Cecil Mardrus und der Heidelberger Staatswissenschaftler Arnold Bergstraesser beleuchteten gesellschaftliche Aspekte, Notre 7ew/>s-Herausgeber Jean Luchaire und Heinz Dähnhardt die politischen Verhältnisse ihrer Länder. Mit Nachdruck unterstrichen die jungen Leute ihren Willen, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Sie diskutierten Lösungsansätze, Europa auf eine Weise zu organisieren, die für einen „guten Deutschen" wie für einen „guten Franzosen" akzeptabel wäre. Im Brennpunkt stand hierbei der Plan einer „Europäischen Föderation", den der französische Außenminister Aristide Briand im Mai 1930 in einem Memorandum dem Völkerbund dargelegt hatte, den die Reichsregierung jedoch ablehnte, weil sie argwöhnte, er leiste insgeheim dem Bemühen Frankreichs und seiner osteuropäischen Verbündeten, den Status quo zu konsolidieren, Vorschub6. 5
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Die einzelnen Vorträge und Debatten, auch der beiden Folgekonferenzen 1931 in Rethel und 1932 in Mainz, sind in zeitgenössischen Dokumentationen und historischen Studien detailliert wiedergegeben. Es erscheint deshalb nicht zuletzt aus Platzgründen statthaft, das Hauptaugenmerk auf Aussagen zu richten, die die jeweilige Atmosphäre, Erfolg oder Mißerfolg der Tagungen spiegeln. Zum Sohlbergtreffen siehe neben den zitierten Berichten von Bentmann/Vallet/Paty und Steinthal vor allem die ganz diesem Ereignis gewidmete Sonderausgabe von Notre Temps vom 10.8.1930, Le congrès du Sohlberg 27 juillet— 3 août 1930. Compte rendu et exposés; Eine deutsch-französische Jugendbegegnung auf dem Sohlberg, in: Das junge Volk. Zeitschrift des Jungen Deutschland 2 (September 1930), S. 144f.; Crouzet, Huit jours franco-allemands au Sohlberg, in: La Grande Revue, August 1930, S. 193-202; Luchaire, Au camp de Sohlberg. Une expérience franco-allemande, in: La Volonté, 8. 8. 1930. Abetz, Das offene Problem, S. 27 ff.; ders., „Denkschrift betr. deutsch-französisches Jugendtreffen auf dem Sohlberg im Schwarzwald, 28. Juli—3. August 30" (masch. 7 S.), 30. 4. 1931, Adjb, A 168/1; dieses Dokument wird uns an anderer Stelle noch näher beschäftigen. Siehe ferner Hardenberg, Bündische Jugend; Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 114-119; Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 52-57. Zum französischen Europa-Memorandum Knipping, Ende der Locarno-Ära, S. 155-161.
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/. Das Sohlbergtreffen 1930
Bei aller Ernsthaftigkeit der Gespräche kam das Gesellige nicht zu kurz. Kammermusik und Laienspiel bereicherten das Programm. „Und lustig sind wir da oben gewesen", notierte ein Teilnehmer, „bei Tische, im gemeinsamen Schlafsaal, [...] wenn die deutsche Jugend ihre fröhlichsten Lieder zur Klampfe sang, da sprudelte der Übermut. Sogar einen Tanzabend gab es, wo sich denn die feingliedrige Südfranzösin, die graziöse Pariserin mit den schwarzen Locken gar seltsam von dem geruhsamen deutschen Gretchen mit den hellblonden Flechten abhob."7 Auch dem verwöhnten Gaumen der Gäste wurde schmunzelnd Rechnung getragen, nachdem sie beim Anblick eines dampfenden, bodenständigen Nudeleintopfs scharenweise in die Restaurants der näheren Umgebung geflüchtet waren8. Nach einer Woche trennte man sich im Bewußtsein einer „gemeinsamen Identität", die künftig zum Nutzen aller Früchte tragen sollte. Im Schein eines mächtigen Lagerfeuers gelobten die Sohlbergfahrer, mit gutem Beispiel voranzugehen und die begonnene Arbeit nicht eher ruhen zu lassen, bis ihre Völker sich versöhnt hätten, eingedenk der Worte Romain Rollands: „Wir sind die beiden Flügel des Abendlandes. Wer den einen zerstört, lähmt den Flug des anderen."9 Zu denen, die am 3. August ihr Ränzlein schnürten und heimkehrten, gehörte ein 27jähriger Studienassessor und Kunsterzieher aus Karlsruhe, ein ehemaliger Wandervogel voller Tatendrang, der sich berufen fühlte, auf eine gütliche Nachbarschaft am Rhein hinzuwirken: Otto Abetz. Im Bemühen, einen von seiner Generation geführten Dialog zwischen zwei Nationen, die sich nach verlustreichen Kriegen noch immer belauerten, in Gang zu setzen, hatte er das Sohlbergtreffen organisiert. Mit badischem Humor und Improvisationsgabe, aber auch durch sein bescheidenes Auftreten gewann er die Sympathien der jungen Franzosen, in deren Augen er die sprichwörtliche gute Seele einer harmonisch verlaufenen Zusammenkunft war10. „Sie sahen in ihm das Urbild des romantischen Deutschen, eine moderne Abart des Siegfried", berichtet in etwas überschwenglicher Manier sein Jugendfreund und späterer Schwager Friedrich Bentmann. „Vor allem spürten sie: Hier steht einer, der sich nicht ehrgeizig oder eitel herausstellen will. Ihm geht es um die Sache, um die Idee, daß die junge Generation beider Länder nach so vielem Blutvergießen, nach ständigem Mißtrauen und Mißverstehen zueinander finden will."11 Fortan spielte die deutsch-französische Frage, dieses „offene Problem", eine dominierende Rolle in seinem Leben.
7 8 9
Die ablehnende Antwortnote der AD AP, BXV,Nr. 136.
Reichsregierung
vom
11.7.1930 ist
abgedruckt
in
Steinthal, Deutsch-französisches Jugendtreffen, S. 761. Abetz, Das offene Problem, S. 28. Rollands in
verständigungsbereiten
Kreisen vielzitierter Satz findet sich in La nouvelle
journée, Paris 1912, S. 230. Der Autor läßt in diesem zehnten und letzten Band des Ro-
manzyklus Jean-Christophe seinen Helden angesichts des übersteigerten Nationalismus
jener Zeit über die schicksalhafte Verbundenheit Frankreichs und Deutschlands reflektieren.
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Vgl. die lobenden Worte Luchaires in Notre Temps, 10. 8. 1930, Sp. 359. Bentmann, Über Otto Abetz, S. 57 f.
/. Der Sohlbergkreis
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2. Fluch und
Segen einer Nachbarschaft:
Jugendjahre im badischen Grenzland
Otto Friedrich Abetz wurde am 26. März 1903 in Schwetzingen, unweit des nordbadischen Industriereviers Mannheim geboren12. Die fünf Jahrzehnte währende Regentschaft von Großherzog Friedrich L, der mit der katholischen Kirche zäh um ihre Rechte im Staat gerungen hatte, auf österreichischer Seite in den deutschen Krieg gezogen war und das erste Hoch auf Wilhelm I. anläßlich der Kaiserproklamation in Versailles schmetterte, neigte sich damals dem Ende zu. Der Karlsruher Rheinhafen war vor kurzem eröffnet worden und ein allgemeines, direktes Wahlrecht für den Landtag nicht mehr fern. Ottos Vater, auf denselben Vornamen getauft, kam 1863 in Rastatt als Sohn eines Wagnermeisters zur Welt. Dieses Handwerk besaß Tradition in der Familie, Otto sen. aber entschied sich für eine Beamtenlaufbahn in markgräflichen Diensten13. Mutter Anna Wilhelmine, geborene Laumann, Tochter eines Gutsbesitzers aus der Nähe von Worms, zählte Jäger und Förster zu ihren Ahnen. Die Eheleute hatten zwei weitere Kinder, Maria, die den Curtius-Schüler Friedrich Bentmann heiratete, und Karl (1896-1964), der sich als Forstwissenschaftler, zuletzt an der Universität Freiburg, einen Namen machte. Nach der Jahrhundertwende bewohnte die Familie Abetz Dienstgemächer im Schwetzinger Schloß. Die mittel-
alterliche, zur Barockzeit ausgebaute Wasserburg und der angrenzende, prachtvolle Park mit Blumenbeeten, Kastanienalleen und Wasserspielen gaben das Ambiente für Ottos frühe Kindheit. Jugendfreund Bentmann beschrieb das Elternhaus als „sehr eigenartig, um nicht zu sagen kurios"14. Vater Abetz wird als eigenbrötlerischer, pflichtversessener Tyrann geschildert, während seine Frau, warmherzig und lebensklug, den Kindern offenbar vieles nachsah. 1908/09 wurde Abetz sen. in die Landeshauptstadt Karlsruhe versetzt15. Dort besuchte Otto von 1911 an das Goethe-Realgymnasium. Er verabscheute Mathematik, glänzte im Deutschunterricht. 1913 trat er dem „Wandervogel e.V., Bund 12
Biographische Daten sind, soweit nicht anders vermerkt, den nachstehend genannten Quellen entnommen: „Fragebogen zur Berichtigung bzw. Ergänzung der Führerkartei der SS-Personalkanzlei" vom 2. 12. 1936; handgeschriebener Lebenslauf vom 23. 8. 1937; Abetz an Obergebietsführer John (RJF-Personalamt), 1. 9. 1937; genealogische Aufzeichnung Abetz' vom 10. 12. 1937; sämtliche BDC, SS-Personalunterlagen Abetz. „Curriculum vitae d'Otto Abetz" (9 S.), am 16. 11. 1945 von französischen Polizeikommissaren protokolliert und von Abetz per Unterschrift bestätigt; AN, F7/15331. Protokoll einer Vernehmung durch Dr. John H. E. Fried am 28. 5. 1947 im Pariser Gefängnis ChercheMidi; StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, A 2 (ein unvollständiges Exemplar un-
der Signatur LXXI-124 im Pariser CDJC). Abetz, Das offene Problem, S. 15ff.; Ottnad (Hrsg.), Badische Biographien, N. F., Bd. 1, S. 5 ff. Den oben aufgeführten Quellen zufolge bekleidete er im Jahre 1903 den Posten eines Rentamtmanns und wurde 1909 zum Domänenrat befördert. Der Geburtseintrag des Sohnes im Schwetzinger Standesamtsregister weist ihn dagegen schon 1903 als Markgräflichen Domänenrat aus. Bentmann, Über Otto Abetz, S. 51 f. Die meisten Quellen nennen das Jahr 1909, im Schwetzinger Adressbuch fehlt der Name Abetz jedoch schon 1908. Mitteilung des Stadtarchivs Schwetzingen vom 22. 3. 1993. ter
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2. Jugendjahre im
badischen Grenzland
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für deutsches Jugendwandern" bei, der im Jahr des 1. Freideutschen Jugendtags auf dem Hohen Meißner die meisten Wandervogel-Gruppierungen vereinigt hatte und in diesem Spektrum tonangebend, wiewohl stets von Spaltungen bedroht war16. 1920 zählte der Pennäler Abetz zu den ersten Köpfen des Karlsruher Wandervogels. Zwei Jahre später, der „e.V." war an Rivalitäten und programmatischen Auseinandersetzungen etwa über die Frage der Mitgliedschaft von Mädchen zerbrochen, schloß er sich einer Nachfolgeorganisation an, dem „Wandervogel, Wehrbund Deutscher Jugend". Dieser Verein war nicht militaristisch ausgerichtet, wie der Name vermuten lassen könnte, sondern wollte das Ideal kämpferischen Einsatzes zum Nutzen aller pflegen: „Wehrhaft ist uns derjenige, dessen Charakter in Gemeinschaftsjahren entwickelt und gestählt, dessen Denken objektiv, sozial und souverän, dessen Wesen harmonisch-geschlossen und aristokratisch sich unbedingt im Leben behauptet und der alle seine Kraft in den Dienst der Allgemeinheit stellt."17 Der Wandervogel-Wehrbund stieß alsbald zur Bündischen Jugend und bildete zusammen mit anderen Gruppen den „Wandervogel, Deutsche Jungenschaft", der 1926/27 in der „Deutschen Freischar" aufging. Abetz schied bereits 1924 unter ungeklärten Umständen aus. Das Eintauchen in Lebensformen und Gefühlswelt der bürgerlichen, um das Jahr 1920 in ihre bündische Phase eintretenden Jugendbewegung, die neben beachtlichem reformerischem Potential auch romantische, rückwärtsgewandte Züge besaß, nannte er „mein entscheidendes Jugenderlebnis"18. Hervorstechende Charaktereigenschaften des jungen Abetz spiegeln in der Tat milieutypische Einflüsse: Idealismus, Begeisterungsfähigkeit und Reiselust zeichneten ihn genauso aus wie das unbedingte Festhalten an einmal gesteckten Zielen, jugendbetontes Sendungsbewußtsein und der Wille zur mitverantwortlichen Neugestaltung überkommener Verhältnisse. Als nach dem Ersten Weltkrieg politische und gesellschaftliche Fragen zunehmend ins Blickfeld der heranwachsenden Generation rückten, gehörte er zu denen, die europäische Zusammenhänge verstehen lernen wollten und die Begegnung mit Altersgenossen aus anderen Ländern suchten, um gegenseitiges Verständnis bemüht, ohne deshalb nationale Positionen preiszugeben. Als klassisches Verhaltensmuster erscheint auch der Versuch, im kleinen, verschworenen Kreis Gleichgesinnter auf lokaler Ebene etwas in Gang zu setzen, so wie Abetz es Ende der zwanziger Jahre als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde praktizierte. Seine letztlich doch fatale Empfänglichkeit für Führertum und Volksgemeinschaft, großdeutsches Denken und Reichsidee entsprang ebenfalls jugendbewegten Leitbildern und war geeignet, seine spätere -
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Integration ins Hitler-Regime zu begünstigen19. 16 17 18 19
Kneip, Jugend der Weimarer Zeit, S. 238 ff.; Schneider, Daten zur Geschichte der Jugendbewegung, S. 9. Zit. bei Kneip, Jugend, S. 245. Abetz, Das offene Problem, S.
15.
Zu den Wertvorstellungen der deutschen Jugendbewegung bis 1933, hier lediglich summarisch hinsichtlich ihrer Prägekraft auf Abetz angerissen, siehe unter vielen: Fick, Die deutsche Jugendbewegung; Raabe, Bündische Jugend; Laqueur, Die deutsche Jugendbewegung; Kindt (Hrsg.), Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die bündische Zeit; Giesecke, Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend; Jovy, Jugendbewegung und National-
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Nachhaltig geprägt hat ihn zum anderen der Erste Weltkrieg. Er entstammt jener „Kriegsjugendgeneration"20, die zu jung für die Front war, die Auswirkungen des Schlachtentaumels aber schon bewußt wahrnahm: tiefgreifenden Wandel der Lebensbedingungen, Hunger und Tod, schließlich den Zusammenbruch des Vaterlandes, revolutionäre Wirren und Wirtschaftsnot. Erzogen nach den Konventionen des Kaiserreichs, reifte sie in einer spannungsgeladenen, krisenhaften Zeit des Umbruchs. Karl Epting, 1905 geboren, taufte sie „Generation der Mitte", nicht zuletzt weil sie aufgrund ihres friedlosen Erfahrungshorizonts um Mäßigung und Ausgleich bemüht gewesen sei21, eine Bewertung, die Abetz' Selbstverständnis nahekam. „Grenzland"-Erlebnisse markieren den Ausgangspunkt seiner Entwicklung zum Mittler. Die Spuren früherer deutsch-französischer Konflikte, in Baden allgegenwärtig, waren schon dem Knaben nicht verborgen geblieben22; im Weltkrieg zeigte sich erneut, welche Abgründe die Nachbarn am Rhein trenn-
was ihre Feindschaft anzurichten vermochte. Zwar blieb der Südwesten Deutschlands von Erdkämpfen verschont, doch war er als Aufmarschgebiet besonderen Belastungen ausgesetzt. Von den Vogesen hallte Gefechtslärm herüber. Luftangriffe, die zunächst Rüstungsbetrieben in Mannheim und Karlsruhe galten, in wachsendem Maße aber auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zogen, verbreiteten Angst und Schrecken. Insgesamt zwölfmal belegten alliierte Flugzeuge die badische Metropole mit Bomben23. Bei der folgenschwersten Attacke am Fronleichnamstag 1916 starben 82 Kinder, Besucher einer Tierschau auf dem Festplatz24. Der 13jährige Abetz mußte damals mit ansehen, „wie verzweifelte Mütter zwischen den in langen Reihen gelagerten und mit Tüchern verdeckten Kinderleichen herumirrten und nach ihren vermißten Buben und Mädchen suchten"25. Bald darauf verkündete sein Bruder, Leutnant bei den kaiserlichen Fliegern, daß er mit seinem Geschwader eine französische Stadt angreifen werde. Der Gedanke, Karl könnte den Tod unschuldiger Kinder verursachen, habe ihm das
ten,
Populärwissenschaftlich aufbereitet, gleichwohl informativ Malzacher/ Daenschel, Jugendbewegung für Anfänger. Raabe, Bündische Jugend, S. 26, rechnet hierzu die Jahrgänge 1900 bis 1907. Fast dieselbe zeitliche Zuordnung und Definition bei Bertrand de Jouvenel (geboren 1903), Un voyageur dans le siècle, S. 76 f. Epting, Generation der Mitte, S. 3. Er verlieh dieses Prädikat den Jahrgängen 1900 bis Sozialismus.
20
21
1910.
22
23
24 25
Abetz, Das offene Problem, S. 17. Hugo Ott, Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, in: Badische Geschichte, hrsg. von der Landes-
zentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, S. 141. Schulthess' Europäischer Geschichtskalender 1916, I, S. 326 f. Mit Henri de Kerillis, dem Kommandeur der todbringenden Schwadron, hat Abetz manchen Strauß ausgefochten. Zu Beginn der dreißiger Jahre lehnte es der nun als Journalist tätige Franzose ab, als versöhnliche Geste einen Kranz an den Gräbern der Opfer niederzulegen. Abetz fand wenig schmeichelhafte Worte für ihn. Seinen SS-Oberen sagte er 1937, Kerillis sei „neben den Kommunisten und Juden der größte Deutschenfresser, den es in Paris gibt"; „Vernehmungsniederschrift" vom 7. 12. 1937, pag. 4, BDC/Abetz. 1939 leitete Kerillis eine Pressekampagne gegen den Deutschen, der unter anderem der Spionage und Wehrkraftzersetzung bezichtigt wurde (siehe Kap. VII).
2. Jugendjahre im
badischen Grenzland
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zusammengeschnürt, beschrieb Otto Jahre später seine Empfindungen26. Erschütternde Einblicke in die Leiden der Truppe bestärkten nur seine „Feindschaft gegen alles, was zu Kriegen führt und die menschliche Wildheit in ihnen entfesselt"27. Siegesgewiß, mit Blumen an Helmen und Gewehrläufen, waren die Grenadiere im August 1914 ins Feld gezogen; doch schon bald liefen Züge mit Verwundeten in Karlsruhe ein, trugen Sanitäter wimmernde, zerschossene Soldaten aus der Bahnhofshalle. Gegen Ende des Krieges huldigte Abetz, beeinflußt von aus Norddeutschland stammenden, zum Heeresdienst nach Karlsruhe versetzten Führern der „Freideutschen Jugend", linksradikalen, internationalen Tendenzen. Mit seinen Klassenkameraden schwärmte er für Völkerfrieden und Weltverbrüderung, und da sich der Zeitgeist allerorten in Räten manifestierte eine am 10. November 1918 gebildete provisorische Landesregierung stützte sich auf Arbeiter- und Soldatenräte, im Februar 1919 sorgte die versuchte Ausrufung einer Räterepublik in Mannheim für blutigen Tumult28 -, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als einen Schülerrat zu gründen29. Ebenso rasch aber erloschen seine Sympathien für die revolutionäre Linke wieder, weil er es beschämend fand, daß Umstürzler heimkehrenden Soldaten Orden und Rangzeichen herunterrissen. Karl Abetz, im Luftkampf abgeschossen und schwerverletzt geborgen, entging nur knapp tätlichen Angriffen, als er an Krücken durch Karlsruhe humpelte. Von da an, erzählte Otto dem Pariser Publizisten Bertrand de Jouvenel, sei er „national" eingestellt gewesen, wobei sein Zorn keineswegs den siegreichen Franzosen, sondern jenen Landsleuten gegolten habe, die die Niederlage nicht mit Anstand ertrugen30. Kriegsgegnerschaft war für ihn mit der Anerkennung soldatischer Tapferkeit also durchaus vereinbar; umgekehrt hielt er gerade die Veteranen für legitimiert, neuen Feindseligkeiten entgegenzuwirken. Wenn er sich in den dreißiger Jahren bemühte, diese Männer zu „Waffenbrüdern" seiner Generation zu machen, so mag ihm dies der Respekt, den er den Frontkämpfern seit Schülerzeiten zollte, in besonderem Maße nahegelegt haben. Auch konnte er sich Hitler insoweit verbunden fühlen, als dieser die ehrlose Behandlung von Kriegsheimkehrern anzuprangern und ihnen eine Rolle bei der herausragende Verhütung künftiger Kriege zuzuschreiben pflegte31. Herz
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26
Brinon, Anmerkungen AN, 411 AP 6.
zu
Abetz, aufgezeichnet
im Vorfeld des Brinon-Prozesses 1947;
28
Abetz, Das offene Problem, S. 19. Hans Georg Zier, Politische Geschichte Badens 1918 bis 1933, in: Badische Geschichte, S. 148. Ausführlich Brandt/Rürup (Bearb.), Arbeiter-, Soldaten- und Volksräte in Baden
29
Abetz, Das offene Problem, S. 20.
27
1918/19.
30
31
Abetz berichtete Jouvenel, den er 1931 in Rethel kennenlernte, Einzelheiten des Zwischenfalls: Der Pöbel habe seinen Bruder in einen Hauseingang gezerrt und ihm die Auszeichnungen weggenommen. Weinend, eine Krücke zerbrochen, sei Karl nach Hause gekommen. Vgl. Jouvenel, Voyageur, S. 200 f. Einige Beispiele unter vielen: Jäckel/Kuhn (Hrsg.), Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924, S. 235, 1008; Hitler, Mein Kampf, S. 250 f. Einen auf Verständigung zielenden Impetus bei Veteranen nahm der Weltkriegsgefreite Hitler stets geschickt auch für sich in Anspruch. Noch am 27. August 1939 schrieb er Daladier, als alter Frontsoldat, der die
30
/. Der Sohlbergkreis
Anhänger der „Dolchstoß"-Legende, wonach die Armee 1918 in der Heimat geschlagen worden sei, war Abetz jedoch nicht.
Ein
Die Zeit der französischen Besatzung streift er in seinen Memoiren nur kurz und anekdotenhaft. Er erinnert sich farbiger Söldner, die im Winter auf einer Rheinbrücke frierend Wache schoben. „Mit der Grausamkeit der Jugend warfen wir vor ihren Augen die Kleider ab und schwammen [...] einige Stöße zwischen den Eisschollen des reißenden Stromes. Das winterliche Bad wurde gern in Kauf genommen, nur um uns daran zu weiden, wie die Söhne des heißen Erdteils vor Schrecken geschüttelt wurden."32 Der grimmige Unterton läßt ahnen, wie gespannt das Verhältnis zwischen Einheimischen und Besatzern war. Die Niederlage von 1918 traf Baden härter als andere deutsche Länder. Zwar vollzog sich der Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Demokratie, eingeleitet durch die Abdankung des Großherzogs, vergleichsweise reibungslos. Doch wurden die ohnehin drückenden Folgelasten des Krieges Demobilmachung, Reparationen, Inflation im Südwesten durch einige Faktoren verschärft, die aus der geographischen Lage und der französischen Deutschlandpolitik resultierten. Die Rückgabe von Elsaß-Lothringen an Frankreich zerschnitt wirtschaftliche Verflechtungen und bescherte einen Strom von Aussiedlern; Handelsvereinbarungen des Versailler Vertrags, zollrechtlich von Nachteil, lähmten zusätzlich die Konjunktur. 1919 wurde eine 50 Kilometer breite entmilitarisierte Zone geschaffen, rund um Kehl bildeten die Franzosen bis 1930 einen Brückenkopf. Vom Reich vollends im Stich gelassen wähnten sich die Badener während des Ruhrkampfes 1923/24, der eine mehr als 18 Monate dauernde Besatzung einiger Landesteile und der Rheinhäfen Karlsruhe und Mannheim mit sich brachte33. In der Bevölkerung machte sich ein Gefühl der Schutzlosigkeit und Randexistenz breit. Es hätte kaum verwundert, wäre Otto Abetz aufgrund dieser Erfahrungen wie so mancher seiner Landsleute in antifranzösischen Ressentiments erstarrt. Freund Bentmann schildert den angehenden Abiturienten als naturverbundenen Jüngling mit wilder Haartolle, von Fernweh geplagt, ein Künstlertyp mit ander für Rilke schwärmte34. Er verriet zeichnerisches TaHabitus, tibürgerlichem lent; sein Vater, während des Krieges als Hauptmann der Reserve bei der Heeresverwaltung tätig, hätte ihn jedoch lieber in eine Bank gesteckt. Über den innerfamiliären Konflikt, der sich hieran entzündete, kursieren zwei voneinander abweichende Darstellungen. Bentmann zufolge einigte man sich auf eine Buchhändlerlehre, doch in dem dafür ausersehenen, etwas angestaubten Laden hielt es Otto nicht lange aus. Er brannte durch, trieb sich eine Zeitlang in Italien und der Schweiz herum, verdingte sich auf einem Bauernhof am Bodensee. Abetz selber verbreitete eine Version, die sein Handeln überlegter, weniger impulsiv erscheinen -
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32 33
Schrecken des Krieges kenne, habe er sich um einen Ausgleich bemüht. Zit. bei Domarus, Hitler, Bd. II, S. 1274f. Abetz, Das offene Problem, S. 21. Zier, Politische Geschichte Badens, S. 149 f.; Hermann Schäfer, Wirtschaftliche und soziale Probleme des Grenzlandes, in: Badische Geschichte, S. 168-183; Hug, Geschichte Badens, S.
34
312ff.,318.
Bentmann, Über Otto Abetz, S.
52 ff., auch
zum
Folgenden.
2. Jugendjahre im
badischen Grenzland
31
läßt: Nach dem Abitur will er eine 18monatige (!) Studienreise nach Italien und Griechenland unternommen haben, um die Kunstschätze der Antike und Renaissance kennenzulernen35. Einzelheiten, etwa zur Finanzierung, blieb er schuldig. In seinen Memoiren, die auch diesen Lebensabschnitt kursorisch behandeln, erwähnt er ferner, wie jeder zünftige Wandervogel „gesiedelt" zu haben. In seinem Fall bedeutete das landwirtschaftliche Tätigkeit und Mitarbeit beim Aufbau eines Landschulheims am Bodensee36. Erleichtert über die Heimkehr des „verlorenen Sohnes", gestattete der Vater schließlich den Besuch der Badischen Landeskunstschule37. Abetz immatrikulierte sich im Jahre 1922 und wurde Meisterschüler der Fachklasse Holzschnitt. Sein Lehrer Ernst Würtenberger, bekannt geworden durch Holzschnitt-Illustrationen zu Gottfried Kellers Novellen und eine wissenschaftliche Abhandlung über den Maler Ingres, bewunderte als Verfechter eines linearen Stils und geordneten Bildaufbaus die traditionelle, formenstrenge französische Schule. Auch darüber hinaus brachte das Studium Abetz zunehmend mit französischer Kultur in Berührung. Sein Interesse am Nachbarland wurde hierbei nachhaltig geweckt; über die Beschäftigung mit Kunst und Literatur fand er „die entscheidende Brücke zu Frankreich"38. Ein Lesezirkel des frankophilen Literaturhistorikers Adolf v. Grolman machte ihn mit französischem Schrifttum vertraut39. Der Kunsthistoriker Waltzinger entführte ihn in die Welt gotischer Kathedralen nach den persönlichkeitsbildenden Einflüssen des Wandervogels und der vom deutsch-französischen Gegensatz geprägten „Grenzland"-Jugend ein drittes Schlüsselerlebnis, denn hier entdeckte er inneren Gleichklang und ursprüngliche Einheit abendländischer Kultur. „Da spannte sich mir ein Bogen zwischen dem Mont Saint-Michel und der Marienburg [...] Ich erkannte, daß das größte Bildwerk der Deutschen, der Reiter im Bamberger Dom, eines Blutes und eines Geistes mit seinem königlichen Ebenbild in der Reimser Kathedrale war, daß Bürgerschaften, die solche gewaltigen Kirchenhallen zum Himmel türmten, noch eine gemeinsame Sprache des Herzens geredet hatten."40 Damit war es zu Beginn der zwanziger Jahre nicht mehr weit her. Die Deutschen litten unter bürgerkriegsähnlichen Unruhen, Reparationslasten und Geldentwertung und machten Frankreich, das eine buchstabengetreue Erfüllung des Versailler Vertrags erzwingen wollte, für ihre Not verantwortlich. Zur selben Zeit, da Abetz beglückt eine „seelische Verwandtschaft" und einander befruchtende -
35
„Curriculum vitae d'Otto Abetz" (1945),
pag. 2; AN, F7/15331. Abetz-Prozeß, 12.7. 1949, pag. 11; AN, 334 AP 49. Das offene Problem, S. 24, allerdings ohne Angabe der
Aufenthaltsdauer. Diese Überlieferung fand Eingang in zahlreiche biographische Skizzen, Mitteilung der Agentur Interpress Hamburg, „Otto Abetz. Ein Deutscher aus Frankreich Zuerst das Palais, dann die Zelle", Nr. 82/1954, 9. 4. 1954; Internationales Biographisches Archiv (Munzinger-Archiv), Lieferung 22/58 vom 31.5. 1958. Abetz, Das offene Problem, S. 22. Wir folgen hier der glaubhaft klingenden Darstellung Bentmanns, wie Anm. 34. Protokoll einer Vernehmung Abetz' durch Robert Kempner und M. Orthmann am 6. 7. 1948, pag. 18; StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, A 2. Friedrich Bran bezeichnete v. Grolman als Abetz' „Mentor"; Befragung Bran, 18. 3. 1989. Abetz, Das offene Problem, S. 23.
u.a.:
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36 37 38 39 40
/. Der Sohlbergkreis
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„Kulturgemeinschaft" beider Völker konstatierte, fühlte er sich französischen Kaausgeliefert. Als „Fluch und Segen einer Nachbarschaft" hat er diesen Dualismus empfunden, der ein janusköpfiges Frankreichbild formte und künftigem Handeln die Richtung wies: Dem „Frankreich der Gewalt" sollte sein „ganzer Haß", dem „Frankreich des Geistes" seine „ganze Liebe" gelten41. Noch während des Studiums begann er eigenen Angaben zufolge -, in örtlichen Jugendpostillen Verständigung zu predigen42. Leitmotiv und zentrales Argument seines Werbens verklärend festgemacht am war das Wissen um eine längst vergangene „Einheit" Reich Karls des Großen und gemeinsame kulturelle Wurzeln; in seinen Augen bildeten sie ein unzerstörbares, tiefenwirksames Bindeglied, stärker als jeder politische Zwist, wie Abetz auch Jahre später, mit nationalsozialistischem Zungenschlag, doch unvermindert am einheitstiftenden Primat des Geistes festhaltend, unter Verwendung eines Hitler-Zitats emphatisch hervorhob: „Quel rôle jouent [...] deux ou trois millénaires dans l'humanité? Des peuples montent, des peuples périssent, mais les grandes bases des races subsistent. La langue, comme les formations des états n'ont toujours amené qu'à créer des confusions, à effacer les traces de l'origine commune et à ériger des murs entre ceux que la nature, à travers des nonen
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dizaines de millénaires, a formé de la même matière et de la même âme."43 1927 fand er, nach dem Staatsexamen und einem kurzen Gastspiel an der Rotteck-Oberrealschule Freiburg, eine Anstellung an einem Karlsruher Gymnasium. Im darauffolgenden Jahr starb der Vater. Abetz wohnte bei seiner Mutter, die wenig Geld hatte eine Spätfolge der Inflation und gelegentlich ein Möbelstück versetzen mußte44. Im September 1927 kürte die Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde (AKJ) den geselligen Junglehrer zu ihrem Vorsitzenden. Anscheinend völlig überrascht, willigte Abetz ein. Später erklärte er das Votum damit, daß die Abstimmenden seine Unparteilichkeit schätzten; seit seinem Austritt aus dem „Wandervogel-Wehrbund" hatte er sich keiner Formation mehr angeschlossen45. Daß die Wahl gerade auf ihn fiel, deutet jedoch darauf hin, daß er zumindest bis 1924 eine nicht ganz unwichtige Rolle in Kreisen der Karlsruher Jugend spielte. Neutralität und Toleranz waren in seinem neuen Amt gefragt, denn in der AKJ begegneten sich so gegensätzliche Temperamente wie Völkische, Sozialdemokraten und Kommunisten, Katholiken, Protestanten und Juden, Studenten, Sportler und Gewerkschafter. Bürgerliche Nationalisten trafen auf linksrevolutionäre Weltverbesserer, lebensreformerische Vorstellungen mischten sich mit sittlich-
41
42
43 44 45
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S. 25. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 246, verweist in diesem Zusammenhang auf eine zunehmende Fluchtbewegung des Bildungsbürgertums ab der Jahrhundertwende in geistige Sphären, von der Überzeugung geleitet, daß Geist und Macht gegensätzliche Kräfte seien. „Curriculum vitae d'Otto Abetz", pag. 2; AN, F 7/15331. Die gleiche Darstellung schon bei Lazareff, Dernière édition, S. 68. Zeugnisse dieses frühen Engagements konnten nicht ermittelt werden. Otto Abetz, A la recherche de l'Occident, in: DFM, Januar-Februar 1935, S. 115-118, das ZitatS. 118. So überliefert von einem guten Bekannten aus Sohlbergtagen, André Weil-Curiel, Le temps de la honte, Bd. II, S. 123. Abetz an John, 1. 9. 1937; BDC/Abetz. „Curriculum vitae", pag. 2; AN, F7/15331.
Ebenda,
2. Jugendjahre im badischen Grenzland
33
religiösen ein beeindruckendes Beispiel für die wiederholt beschriebene Fähigkeit jugendbewegter Gemeinschaften, einander gelten zu lassen und auf der Grundlage persönlicher Verbundenheit alle möglichen Überzeugungen und Ge-
sellschaftsschichten zusammenzuführen46. Eine Kehrseite der Medaille war, daß eine Abgrenzung gegen extreme, totalitäre Kräfte häufig, so auch in Karlsruhe, unterblieb. Nestabende der einzelnen Gruppen, Laienspiel, Sing- und Tanzkreise bestimmten den Ablauf im städtischen Jugendheim, über das die Arbeitsgemeinschaft verfügen konnte. Abetz indessen setzte bald andere Akzente, indem er einen Arbeitskreis für Auslandsfragen gründete, der im besonderen ein Treffen mit jungen Franzosen arrangieren wollte. Ein solches Vorhaben befürworteten im Juli 1929 sämtliche in der AKJ vereinten Bünde, „auf Grund ihrer überparteiischen Zusammensetzung, der fränkisch-alemannischen Stammesverwandtschaft und der günstigen Lage Karlsruhes als nächstgelegener deutscher Großstadt der Westgrenze"47. Die kommenden Monate dienten der inhaltlichen Vorbereitung des Projekts: Vorträge und Diskussionen vermittelten Kenntnisse über französische Geschichte und Kultur und untersuchten die aktuellen Beziehungen zwischen den Ländern48. Tatkräftige Unterstützung leistete Walter Strauss, ein jüdischer Bankierssohn, der für französische Kunst und Lebensart schwärmte49. Ostern 1930 fuhren Abetz und Friedrich Bentmann nach Paris, um direkten Kontakt aufzunehmen und zu einer Aussprache in den Schwarzwald einzuladen. Das war, nimmt man die Rahmenbedingungen jener Zeit als Maßstab, keine Selbstverständlichkeit, wie der folgende Exkurs verdeutlichen soll.
46
Jovy, Jugendbewegung und Nationalsozialismus, S. 2, 38; Raabe, Bündische Jugend, S. 44 f., 112, S. 48: „Das Moment der Soziabilität war aber das entscheidende, die ideelle
Programmatik trat nur hinzu." Abetz warb in Frankreich mit ebendieüberparteilichen Qualitäten der AKJ. Grundlage sei das alte Autonomieideal der Wandervogelbewegung, das in der Bündischen Jugend weiterlebe und einen wertvollen Beitrag zum deutsch-französischen und europäischen Einigungsprozeß leisten könne. Abetz, Mouvement de jeunesse et „Volkstum", in: Notre Temps, 13. 9. 1931, Sp. 78-80. Sohlbergkreis I, S. 2. Abetz, „Denkschrift betr. deutsch-französisches Jugendtreffen auf dem Sohlberg", oder ideologische sen
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48 49
pag. 1 f.; AdJb, A 168/1. Prozeß Abetz, 12. 7. 1949, pag. 12; AN, 334 AP 49. Strauss emigrierte nach Hitlers Machtübernahme nach Paris und produzierte Werkzeugmaschinen. Bei Kriegsausbruch meldete er sich zur Fremdenlegion. Während er in Nordafrika diente, beschlagnahmten zunächst französische Behörden, dann die deutschen Besatzer sein Vermögen. Demobilisiert, lebte er mit seiner Familie unter schwierigen Bedingungen in Aix-en-Provence. Im November 1940 bat Weil-Curiel, als Späher de Gaulies in Frankreich unterwegs, Abetz um Hilfe für Strauss. Der Botschafter habe jedoch abgewinkt: „Ce n'est pas que je renie mon amitié, mais je ne peux pas aventurer mon crédit pour de petites choses." Weil-Curiel, Eclipse en France, S. 123, 154ff., 262.
34
/. Der Sohlbergkreis
3.
Drang nach Osten, Abschottung gegen Westen:
Jugendbeziehungen im Schatten von Versailles
Das deutsch-französische Verhältnis nach 1918 wurde durch einen Gegensatz belastet, der einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiß weitgehend ausschloß. Die Siegermacht Frankreich pochte auf eine möglichst exakte Erfüllung des Versailler Vertrags, während sich die unterlegenen Deutschen nach Kräften gegen das „Schand-Diktat" sträubten. Hieraus resultierende Spannungen entluden sich vehement im Ruhrkampf 1923. Erst in der Ära Briand-Stresemann gelangten die Beziehungen in ruhigeres Fahrwasser „die Befriedung der Gemüter schien [...] eine Zeitlang Wirklichkeit zu sein"50. Das politische Tauwetter erleichterte Annäherungsversuche auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Erinnert sei an die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Internationalen Rohstahlgemein-
schaft, den Handelsvertrag von
1927 und den vom luxemburgischen Großindustriellen Emile Mayrisch ins Leben gerufenen bilateralen Studien- und Informationsausschuß, an dessen Arbeit sich namhafte Wirtschaftsexperten, Politiker und Kulturschaffende beteiligten. In Berlin und Paris bildete sich 1928 eine DeutschFranzösische Gesellschaft, welche die Zeitschriften Deutsch-Französische Rundschau und Revue d'Allemagne herausgab. Im selben Jahr entstand eine Liga für germanische Studien, die in Frankreich dafür warb, die deutsche Sprache zu erlernen und sich mit dem Nachbarland zu befassen. Auch der offizielle Kulturaustausch kam allmählich wieder in Schwung51. Otto Abetz mußte diese Entwicklung ermutigen, selber die Initiative zu ergreifen. Es war ein Unterfangen mit Pioniercharakter, denn Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Franzosen waren damals immer noch eine Ausnahme, keineswegs die Regel. Der Krieg hatte die ohnehin bescheidenen Ansätze in den Jugendbeziehungen verschüttet, seine Folgen blockierten eine rasche Wiederaufnahme52. Amtliche Stellen in Frankreich rieten zur Vorsicht im Umgang mit einer angeblich friedlosen, nach Revanche dürstenden deutschen Jugend, Reichsbehörden betrachteten eine Abschottung gegen Westen als notwendigen Akt nationaler Selbstachtung und fürchteten unliebsame Verwicklungen. Mißtrauen und Ressentiments beherrschten auch mehr als ein Jahrzehnt nach Kriegsende das Denken vieler. Bezeichnend hierfür ist die Korrespondenz zwischen einem Hamburger Mitglied der Christlichen Pfadfinder und dem Auswärtigen Amt im Frühjahr 1930. Irritiert ob der sich mehrenden Fahrten seiner Kameraden nach Italien und Frankreich, bezweifelte der Briefschreiber ihre „Zweckmäßigkeit" angesichts der 50 51
Poidevin/Bariéty, Frankreich und Deutschland, S. 359. Vgl. Lionel Richard, Aspects des relations intellectuelles et universitaires entre la France et l'Allemagne dans les années vingt, in: Bariéty u. a. (Hrsg.), La France et l'Allemagne entre les deux guerres mondiales, bes. S. 117; Meyer-Kalkus, Akademische Mobilität, S. 35 ff., in einer ersten Fassung abgedruckt in Lendemains 17 (1992), Nr. 68. Zum Mayrisch-Komitee L'Huillier, Dialogues franco-allemands, bes. Kap. II und IV Zur DFG nicht zu verwechseln mit der 1935 gegründeten Gesellschaft gleichen Namens unter NS-Kuratel -
(siehe Kap. IV) Bock, Die Deutsch-Französische Gesellschaft
Ligue d'Etudes Germaniques von 1928 bis 1936. -
52
Hierzu ausführlich Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 20^0.
1926 bis
1934; ders., Die
3. Jugendbeziehungen im Schatten
von
Versailles
35
aktuellen politischen Lage. Der eingeschaltete Pariser Gesandtschaftsrat Kühn mochte zwar kein „so kategorisches Veto [...] wie etwa gegen Reisen deutscher Regimentsvereine nach französischen Schlachtfeldern" einlegen, bat aber zu berücksichtigen, daß die Jugendbewegung in Frankreich so gut wie unbekannt sei und Gruppen in auffälliger Tracht dort „Kopfschütteln und Befremden", leicht sogar „Mißdeutungen politischer und wirtschaftlicher Natur" auslösen könnten. Er würde es deshalb begrüßen, wenn „bis auf weiteres" keine Wanderfahrten deutscher Scouts im Nachbarland stattfänden53. Charakteristisch für die verbreitete Abwehrhaltung erscheint auch die Abfuhr, die sich die Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde mit einem Zuschußantrag für das Sohlbergtreffen beim Reichsminister für die besetzten Gebiete Treviranus holte. Ganz abgesehen davon, daß der Sohlberg unbesetztes Territorium sei, gehöre „die Förderung deutsch-französischer Jugendaussprachen und ähnlicher Zusammenkünfte [...] unter keinem, wie immer gearteten Gesichtspunkt" zu den Aufgaben seines Ressorts, erwiderte Treviranus barsch54. Vergleichsweise vorurteilsfrei verkehrten in der ersten Nachkriegszeit nur internationalistisch ausgerichtete Parteien und ihre Nachwuchsorganisationen miteinander. Grenzüberschreitende Kontakte und Solidaritätsadressen sollten freilich in erster Linie die Weltrevolution vorantreiben, sie ermangelten einer nationenund jugendspezifischen Orientierung55. In den zwanziger Jahren mühten sich Friedensbewegte unterschiedlicher Provenienz um eine Aussöhnung der verfeindeten Nachbarn. Gelegenheit für Zusammenkünfte junger Franzosen mit deutschen Altersgenossen boten insbesondere die „Internationalen Demokratischen Kongresse" Marc Sangniers (1873-1950). Im August 1926, auf dem Höhepunkt seiner Popularität, versammelte der christliche Sozialreformer in Bierville südlich Paris 5500 Gäste aus 33 Nationen, darunter mehr als 3000 Deutsche. Aber auch unter Berufung auf die Gemeinschaft der Gläubigen ließen sich unvereinbare nationale Positionen nicht dauerhaft überspielen. In den folgenden Jahren „kümmerte der auf Erhaltung der bestehenden europäischen Ordnung ausgerichtete Pazifismus vor sich hin", während eine zunehmend politisierte deutsche Jugend „immer eindringlicher und unverblümter" Positionen bezog, „die den Frieden als Funktion der nationalen Wiederaufrichtung definierten"56. Bündische Auslandsaktivitäten konzentrierten sich auf nord- und südosteuropäische Gebiete, in denen deutsche Minderheiten lebten. Statistiken der „Deutschen Freischar" belegen, daß 1929 über 500 ihrer Mitglieder Ostpreußen, Danzig und das Baltikum bereisten, 260 die Tschechoslowakei, 189 Oberschlesien und Polen; rund 190 Jugendliche weilten in Ungarn, Rumänien oder Bulgarien, im53 54
Stellungnahme der Botschaft Paris (handschriftl. redigierter Entwurf) vom 16.4. 1930, Anfrage ans Auswärtige Amt vom 24. März; PA/AA, R 98887. Der Reichsminister für die besetzten Gebiete an Gustav Mittelstraß (Karlsruhe-Rüppurr), 3. 7. 1930. Mittelstraß, im badischen Unterrichtsministerium tätiger Gymnasiallehrer, hatte per Schreiben vom 5. Juni die und befürwortet; ebenda.
55
56
Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 62.
Ebenda, S. 77-84, 91.
AKJ-Bitte um finanzielle Unterstützung wiederholt
/. Der Sohlbergkreis
36
merhin 59 im
Elsaß, aber nur zwölf in sonstigen Gegenden Frankreichs57. Nicht
weniger eindeutig ist die Bilanz der „Sächsischen Jungenschaft", unter Leitung des gebürtigen Dresdeners Hermann Kügler zuerst Herzstück des „WandervogelJungenbundes", später der „Deutschen Freischar". Ihre Gruppenfahrten führten in den zwanziger Jahren Hunderte von Jugendlichen fast ausschließlich donauabwärts und zum Landdienst in die Grenzgebiete des deutschen Ostens. Erst 1928 erkor sich ein sechsköpfiges Häuflein Frankreich zum Ziel58. Solidarität mit „Volksdeutschen" und die Stärkung „bodenständigen Deutschtums durch Besuch aus dem Reiche in seinem Kulturbewußtsein"59 standen im Vordergrund, galten vielen als vaterländische Pflicht. Das verdeutlicht die Politisierung des Volkstumsgedankens nach ungünstigem Kriegsverlauf60, mußte allerdings nicht zwingend in nationales Eiferertum ausarten, wie etwa die Auslandsarbeit der „Schlesischen Jungmannschaft" und auch der „Sächsischen Jungenschaft" dokumentiert. „Wir wollen [...] unseren Gesichtskreis nicht durch die Grenzpfähle des Reiches einengen lassen", postulierte Kügler, „das Wesen des fremden Volkes mit Gefühl und Verstand erfassen, die Beziehung der Völker zueinander kennen und erkennen, die Lage der Deutschen [...] verstehen lernen, [...] Sitten und Gebräuche beachten."61 Gleichwohl schwebte vielen Bünden ein Schulterschluß Deutschlands und Zwischeneuropas vor, ein durch geographische, historische und nicht zuletzt völkische Bedingtheiten geeinter Wirtschaftsraum, der das Reich aus Abhängigkeiten befreien und dann ein Machtfaktor im internationalen Kräftespiel werden sollte62. Das Interesse der Bündischen an Frankreich war folgerichtig nur schwach entwickelt. In der „Deutschen Freischar" begrüßte man zwar die durch Locarno geschaffene Atmosphäre der Entspannung, warnte aber vor jeder Übertreibung des Verständigungsgedankens, die den inneren Widerstand der Nation gegen die Versailler Bestimmungen lähmen könnte63. Deutlich artikulierte sich Unzufriedenheit über den außenpolitischen Status quo, eine für die Weimarer Republik charakeristische Grundhaltung. Frankreichfahrten, für gewöhnlich gegen massive elterliche und behördliche Bedenken geplant, erschwert durch bürokratische Hindernisse bei der Beschaffung von Visa und Zahlungsmitteln, ähnelten unter solchen Voraussetzungen mutigen Expeditionen in ein verbotenes Land. Diesen Eindruck vermitteln die Begleitumstände einer sechswöchigen Studienreise, die im Frühjahr 1928 von der „Jungnationalen Vereinigung" veranstaltet 57 58
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63
Abgedruckt bei Hardenberg, Bündische Jugend, S. 35. Kneip/Liebs/Zimmermann, Vom Geheimnis bündischer Führung, S. 92 f., 106 ff.
Thierfelder, Der deutsche Reisende im Auslande, S. 525. Vgl. Laqueur, Jugendbewegung, S. 263. Die „Mittelstelle für Jugendgrenzlandarbeit", 1925 aus der Kooperation zwischen bündischer Jugend und dem „Deutschen Schutzbund für das Grenz- und Auslandsdeutschtum" hervorgegangen und 1930 in „Mittelstelle deutscher Jugend in Europa" umbenannt, trug diesem Aspekt in besonderem Maße Rechnung.
Gaurundbrief Küglers zu einer geplanten Ungarnfahrt, 12. 6. 1922; abgedruckt bei Kneip/ Liebs/Zimmermann, Vom Geheimnis, S. 78 f. Solche oft nur in Ansätzen vorhandenen Vorstellungen wurden um 1930 besonders in den Schriften des „Tatkreises" systematisiert. Vgl. Wallwitz, Zur Bedeutung des Volkstumsprinzips, S. 42 f. Hardenberg, Bündische Jugend, S. 84 f.
3. Jugendbeziehungen im Schatten
von
Versailles
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wurde. Als die 23 Teilnehmer ihre Erlebnisse publizierten, erachteten sie es für ratsam, „mit aller Eindeutigkeit", ja beinahe entschuldigend klarzustellen, daß die Reise „nicht beabsichtigte, Verständigung oder .rapprochement' in irgendeiner Form zu fördern"; sie sollte „lediglich dazu dienen, politisch interessierten Kreisen der deutschen Jugendbewegung ein unmittelbares Kennenlernen unseres westlichen Nachbarn, der sich bisher als unser schärfster politisch-militärischer Gegner gezeigt hat, zu ermöglichen"64. Hermann Kügler suchte den Eltern eines Vogtländer Oberprimaners einen Frankreichaufenthalt des Sohnes mit dem Argument schmackhaft zu machen, „im klassischen Land der Höflichkeit und feinen Form" erhalte ihr Filius nützlichen Anschauungsunterricht in Sachen Manieren65. Tatsächlich ging es ihm darum, ein seines Erachtens notwendiges erziehungspolitisches Korrektiv zur Balkanarbeit zu schaffen, „die von Südosteuropa her bestimmten Vorstellungen vom Überwert der deutschen Kultur auf das richtige Maß zurück[zu]führen", Interesse an deutsch-französischen Fragen zu wecken und langfristig auf eine Annäherung der alten Gegner hinzuwirken66. Auf Vermittlung Pierre Viénots vom Mayrisch-Komitee verbrachten 1928 erstmals sechs junge Sachsen einen vierwöchigen Aufenthalt bei Familien in Caen. Sie wurden von mißtrauischen Einheimischen anfangs als Spione verdächtigt, heischten Respekt ob ihres disziplinierten Arbeitseifers, erschreckten indes ihre Gastgeber, wie sich ein Ortsgeistlicher später entsann, durch ungeniert vorgetragene umfängliche Re-
visionsforderungen67.
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Diese Erklärung, Tagebuchauszüge von Berliner Fahrtteilnehmern sowie ein abschließendes Fazit „nur ganz fest geschlossene Gruppen mit absolut klarer Führung werden das Wagnis unternehmen können" sind abgedruckt in: Sohlbergkreis II (Dezember 1931), S. 13 ff. Zit. bei Kneip u.a., Vom Geheimnis, S. 111. Vgl. Küglers Angaben, ebenda, S. 106 ff. Reisebericht und Zeugnis des Priesters abgedruckt ebenda, S. 107-111. Pierre Viénot (1897-1944) gilt unter den französischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit, die sich eingehend mit Deutschland beschäftigten, als „der große Unbekannte" (Hans Manfred Bock). Der Juristensohn, 1917 als Kriegsfreiwilliger schwer verwundet, zu Beginn der zwanziger Jahre im persönlichen Stab Marschall Lyauteys in Marokko und von diesem in der Folge protegiert, während eines Studienaufenthalts in Bonn 1923 für das schwierige deutsch-französische Verhältnis und wechselseitige Fehldeutungen sensibilisiert, hatte maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des von Emile Mayrisch geleiteten Deutschfranzösischen Studienkomitees/Comité franco-allemand d'information et de documentation, dessen Berliner Büro er von 1926 bis 1930 leitete. Danach startete er eine politische Karriere, war 1936/37 Unterstaatssekretär im französischen Außenministerium und setzte sich für Emigranten des .Dritten Reiches' ein. 1940 befürwortete er eine Fortsetzung des Kampfes von Nordafrika aus, 1943 wurde er enger Mitarbeiter de Gaulles. Seinen Lebensweg schildert im Lichte neuer Quellenfunde Bock, „Connaître l'Allemagne et la reconnaî-
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65 66
67
tre".
/. Der Sohlbergkreis
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4. Wider den Geist der Unbeweglichkeit:
Abetz' Partner Jean Luchaire
Vor diesem Hintergrund erscheint Otto Abetz' Fühlungnahme mit der jungen Generation Frankreichs im Frühjahr 1930 als außergewöhnlicher, keinesfalls alltäglicher Schritt. In der Woche nach Ostern knüpfen er und sein Begleiter in Paris die ersten, entscheidenden Kontakte68. Im Quartier Latin treffen sie Robert Lange, Gründungsmitglied einer Internationalen Studentenvereinigung zur Unterstützung des Völkerbundes. Lange verweist die Deutschen an Cecil Mardrus, mit einigen Kommilitonen von der Sorbonne soeben dabei, ein „Groupement universitaire franco-allemand" aus der Taufe zu heben, das sich für den Frieden und
verstärkten Kulturaustausch engagieren will69. Mardrus genießt Sympathien bei Redakteuren der Zeitschrift Notre Temps, deren Herausgeber Jean Luchaire Abetz ebenfalls aufsucht eine Begegnung, die sich als „besonderer Glücksfall"70 für das Gelingen seiner Mission erweist und weitreichende Folgen für beide hat. Luchaire plaudert gerade mit seinem Mitarbeiter Jacques Neis, als die Sekretärin meldet: „Un jeune Allemand qui vient d'arriver désire vous voir." Herein tritt ein kräftiger, etwas vierschrötig wirkender Mann in zünftiger Fahrtkleidung, mit weißen Strümpfen und kurzen Hosen, wie Neis belustigt registriert. Er stellt sich vor: „Professeur de dessin à Karlsruhe, Otto Abetz."71 Schnell ist das Eis gebrochen und Luchaire für das Projekt eines deutsch-französischen Treffens gewonnen. Abends macht er Abetz mit Kollegen bekannt, die in einem kleinen Bistro am Seine-Ufer speisen. Anrührend, in holprigem Französisch erzählt der Gast, wie sehr er wünsche, daß die alte, verheerende Feindschaft endlich begraben werde, und daß er sich von seinem bescheidenen Gehalt, von welchem er die Mutter unterstützen muß, regelmäßig französische Zeitungen und Magazine kauft. Man hebt die Gläser und trinkt auf bessere Zeiten72. Jean Luchaire rührte in der Folge kräftig die Werbetrommel für das Sohlbergtreffen und koordinierte gemeinsam mit dem „Groupement universitaire", das Anmeldungen entgegennahm, die Vorbereitungen auf französischer Seite73. Sein -
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„Curriculum vitae d'Otto Abetz", pag. 3; AN, F 7/15331. Die Deutsch-Französische Rundschau berichtete über die Neugründung im Juniheft 1930, S. 518 f.; vgl. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 51 f. Epting, Das Schicksal der briandistischen Generation, S. 17. Neis, Fragments, S. 114f. Irrig die Behauptung, Abetz habe Luchaire schon 1928 kennengelernt; vgl. Sternfeld, Ambassador Abetz, in: Contemporary Review, CLXII (August 1942), S. 85. So bezeugt vom späteren Paris-Soir-Chefredakteur und Exilanten Pierre Lazareff, Dernière édition, S. 67 ff. Abetz vervollkommnete seine Sprachkenntnisse laufend, schon bald sprach er Französisch fast fehlerfrei, wie Weil-Curiel anerkennend vermerkt: „Otto était déjà arrivé à une extraordinaire maîtrise du français. Nourri des meilleurs auteurs contemporains, il disposait d'un vocabulaire inépuisable et parlait un langage raffiné qui traduisait toutes les nuances de sa pensée, qui était parfois subtile". Weil-Curiel, Eclipse en France, S. 125. Die Heirat mit einer Französin, Luchaires Sekretärin, im Sommer 1932 tat ein
übriges. Vgl. Notre Temps, 29. 6. 1930, letzte Seite, mit Einzelheiten zu Kosten, Anreise und Programm.
4. Abetz' Partner Jean Luchaire
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weiterer Lebensweg, vom gefeierten journalistischen Ausnahmetalent zum geächteten Kollaborateur, ist eng an Abetz' Werdegang gekoppelt, der seiner bedingungslosen Unterstützung stets gewiß sein durfte. Umgekehrt hat die überwältigende Resonanz, die der Karlsruher Initiative im Umfeld von Notre Temps beschieden war, Abetz endgültig und über alle politischen Wechselfälle hinweg auf das Problem der deutsch-französischen Annäherung fixiert Grund genug, das Profil der Zeitschrift und ihres Herausgebers zu beleuchten. Jean Louis Gabriel Luchaire, Sproß einer angesehenen Gelehrtenfamilie, wurde am 21. Juli 1901 in Siena geboren74. Sein Vater war Professor für italienische Literatur an den Universitäten Grenoble und Lyon, später Direktor der Französischen Institute in Florenz, Mailand und Neapel. Jean lebte von 1908 bis nach dem Krieg mit Unterbrechungen in Italien, in einem Umfeld, das dem Heranwachsenden vielfältige geistige Anregungen bot. Ein Jura- und Philosophiestudium gab er nach kurzer Zeit auf, desgleichen einen kleinen Posten in der staatlichen Kunstverwaltung, den ihm Edouard Herriot, ein Freund seiner Mutter, vermittelt hatte. Kaum 20 Jahre alt und verheiratet mit einer Enkelin des Malers Albert Besnard, schlug er, seinen Neigungen folgend, eine journalistische Laufbahn ein. Er spezialisierte sich auf außenpolitische Themen. Im Kollegenkreis galt er als außergewöhnlich begabt, als ein Mann, der das Metier ungeachtet seiner Jugend beherrschte, hochintelligent, mitreißend, ebenso gewandt wie leidenschaftlich in der -
Argumentation75. Der Erste Weltkrieg hat Luchaire, ebenso wie Abetz, entscheidend beeinflußt und bemerkenswertes Engagement für Pazifismus und Völkerverständigung ge-
weckt. In seinem 1929 erschienenen, auch in Deutschland beachteten Buch Une
génération réaliste schildert er, wie die Ausnahmesituation der Jahre 1914 bis 1918 Klassenunterschiede und politische Gegensätze in den Schützengräben und an der Heimatfront verwischte, wie der quälende Anblick verstümmelter, sterbender Soldaten nicht nur ihn, der in einem Lazarett bei Grenoble aushalf, sondern unzählige Heranwachsende zu Kriegsgegnern formte Erfahrungen, die Altersgenossen in allen
kriegführenden Staaten gemacht hätten und die mithin den gemeinsamen Ausgangspunkt seiner Generation markierten76. Groß sei die Hoffnung dieser Jugend auf eine gerechtere Weltordnung gewesen, als die Waffen endlich schwiegen, noch viel größer jedoch die Enttäuschung über restaurative, verhängnisvolle Mechanismen erneut in Gang setzende Tendenzen: „La fraternité -
biographischen Angaben stützen sich auf das Protokoll des Luchaire-Prozesses vom Les procès de collaboration, S. 353ff., 359ff., 558ff; präzise Erinnerungen des frühen Weggefährten Jacques Neis, Fragments, bes. S. 71 ff., 83-120; und die Studie von Lévy, Les Nouveaux Temps, S. 11-17. Vgl. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 50 f. „Il nous dépassait tous en précocité, en talent, en charme, en générosité. Hélas aussi en imprudences." Jouvenel, Voyageur, S. 81. Ähnlich zwiespältig das Urteil von Neis, der Energie und Überzeugungskraft rühmt, nicht ohne anzufügen: „Jean était un séducteur." FragDie
Januar 1946,
ments, S.
85, 109.
génération réaliste (1929), S. 9ff. Zur Genese und mentalen Prägung dieser „Kriegsgeneration" ders., Eine realistische Generation, in: Nord und Süd, 1929, S. 429—441. Die Lektüre des Buches lenkte Abetz' Aufmerksamkeit auf Luchaire und gab den Anstoß, ihn aufzusuchen; „Curriculum vitae", pag. 3. Luchaire habe „zahlreiche, auch für das junge Deutschland gültige Gedanken" vertreten; Abetz, Das offene Problem, S. 28.
Une
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/. Der Sohlbergkreis
internationale attendue faisait place à des haines nouvelles. Et à la fraternité intérieure on substituait la lutte sociale."77 Verbittert, so Luchaires Beobachtung, hätten sich daraufhin viele eine Zeitlang vom politischen Tagesgeschehen zurückgezogen78, um dann, zu „Realisten" gereift, den Kampf für eine evolutionäre Umgestaltung der Verhältnisse aufzunehmen. Ihn selber hielt es nicht, seinen Abscheu vor Krieg und Militarismus, seine Empörung ob des ausgebliebenen Wandels im Zusammenleben der Völker, der Wiederkehr von Grenzbarrieren und Geheimdiplomatie kundzutun. Auch an den Pariser Vorortverträgen, die künftige Konflikte programmierten, übte er scharfe Kritik. „La guerre", formulierte er 1919 für ein Manifest, „nous a rendu le monde ancien empiré, désordonné, croulant de toutes parts; elle nous a rendu des hommes anciens, impuissants, fatigués, découragés par l'épreuve inutile."79 Remedur erwartete Luchaire von einer Internationalen der Jugend, die über allen Nationen, Ideologien und Parteien stehend ein stabiles, einiges Europa verwirklichen und gleichsam den Kitt dafür bilden sollte80. Für diese Idee warb er zu Beginn der zwanziger Jahre in mehreren gemeinsam mit Freunden lancierten Zeitschriften, L'Effort, La Jeune Europe und Vita, die zum vertieften Studium internationaler und gesellschaftspolitischer Fragen einluden81, ihr Erscheinen aber allesamt aus Geldmangel bald wieder einstellten. L'Effort war Organ der „Union internationale de jeunes pour l'étude des questions sociales", einer wegen akuter Finanznot kurzlebigen Eigenschöpfung. Danach engagierte sich Luchaire vorübergehend bei der „Fédération des jeunesses laïques et républicaines", einer den Radikalsozialisten nahestehenden Organisation, mit der es wegen inhaltlicher Differenzen zum Bruch kam82. Seinen Lebensunterhalt verdiente er, schon damals einen fatalen Hang zum leichtfertigen Umgang mit Geld offenbarend, Wurzel späterer sprichwörtlicher Bestechlichkeit83, als Kolumnist bekannter linksgerichteter Blätter wie L'Ere Nouvelle, Le Petit Parisien und La Volonté. 1927 trat er den Radicaux, denen er Überalterung, verkrustete Strukturen und eine zu einseitige Beschäftigung mit innenpolitischen Themen vorwarf, nach einigem Zögern bei. Seine Ideen versuchte er dort in einem Zirkel überwiegend junger, aktionshungriger Intellektueller durchzusetzen, die nach dem Scheitern des Cartel des gauches eine stetig an Einfluß gewinnende Reformbewegung in der Radikalsozialistischen Partei und ihrem politischen Gravitationsfeld bildeten, Cail-
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Luchaire, Une génération réaliste, S. 37.
angedeutete Haltung der französischen Jugend in der ersten Nachkriegszeit unterschied sich offenbar nicht wesentlich von der in der deutschen Jugendbewegung vorherrschenden Stimmung so Luise Fick, Jugendbewegung, S. 138: „Um das Jahr 1921 setzte fast überall eine große Enttäuschungswelle ein. Wer von der Mühle der großen OrDie hier
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ganisationen nicht zermahlen war, wandte [...] dem politischen Tageskampf den Rücken, der nach wie vor von Klassen, Parteien, Interessenpolitik und Wirtschaftsegoismus be79 80 81 82
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stimmt war". Zit. im Luchaire-Prozeß, S. 559.
Luchaire, Une génération réaliste, S. 75 f. Vgl. „Le Manifest de L'Effort" vom Juni 1920, ebenda, Anhang II.
Neis, Fragments, S. 91 ff. Ebenda, S. 84, 189 f.; Jouvenel, Voyageur, S. 83 f.; über den verschwenderischen Lebensstil ihrer Eltern auch die älteste Tochter Corinne Luchaire, Ma drôle de vie, S. 27.
4. Abetz' Partner Jean Luchaire
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laux und Daladier nahestanden und unter dem Namen „Jeunes Turcs" bekannt wurden84. Um ihnen ein öffentliches Forum zu verschaffen, gab Luchaire zusammen mit dem Caillaux-Adepten und Vizepräsidenten der Radicaux, Emile Roche, eine neue Zeitschrift heraus: Notre Temps. Sie erschien von Juni 1927 an zunächst monatlich, von Redakteuren und Sympathisanten finanziert, mit einer Auflage von 3000 Exemplaren. Im Mittelpunkt standen neben literarischen Themen vor allem Visionen eines europäischen Zusammenschlusses, der als Vorbedingung für einen dauerhaften Frieden gesehen wurde. Diese Haltung, die auch im zeitweise verwendeten Untertitel Revue des nouvelles générations européennes zum Ausdruck kam, harmonierte mit der Politik Briands, der nach den Wahlen 1928 ins französische Außenministerium zurückkehrte. Briand zog Luchaire ins Vertrauen, nahm ihn zu internationalen Konferenzen mit und förderte Notre Temps auch materiell. Aus einem Sonderfonds des Quai d'Orsay flössen anfänglich 10000, dann 20000 Francs pro Monat, die der rasch an Reputation gewinnenden Zeitschrift ein wöchentliches Erscheinen mit erweitertem Umfang ermöglichten. Die Auflage kletterte bis 1930 auf etwa 5000 Exemplare85. Das Magazin, so seine Herausgeber, „donnait au public une synthèse des désirs et des caractéristiques de notre jeunesse"86. Tatsächlich artikulierte sich in den ersten Jahrgängen eine Vielzahl junger, aufstrebender Intellektueller, ein von „Jungtürken" und Sympathisanten der Sozialistischen Partei gebildeter Freundeskreis, der 1933/34 nicht zuletzt über die Frage der Haltung zu Hitler-Deutschland auseinanderfiel und dessen Mitglieder als Publizisten, Künstler und Politiker, als Kollaborateure der deutschen Besatzungsmacht oder im Widerstand von sich reden machen sollten. Zum festen Mitarbeiterstamm um Luchaire und Chefredakteur Jacques Chabannes zählten zu Beginn der dreißiger Jahre: Jacques Neis, ein naturalisierter Franzose polnisch-russischer Herkunft, der als Redaktionssekretär fungierte, 1935 zur linken Wochenzeitung Vendredi wechselte und als Romancier und Theaterfachmann bekannt wurde; Pierre Brossolette, Leiter des Ressorts Außenpolitik, als Resistancekämpfer hingerichtet, der Notre Temps ebenso wie Chabannes, Neis und andere den Rücken kehrte, weil er eine Verständigung mit Hitler für ausgeschlossen hielt und dem unter nationalsozialistischen Vorzeichen fortgesetzten Werben von Abetz mißtraute; Guy Crouzet, langjähriger Literaturkritiker und von Herbst 1940 an mit stark antisemitischem Einschlag dem Kollaborationsblatt Les Nouveaux Temps verschrieben; Bertrand de Jouvenel, Senatorensohn und neoliberaler wirtschaftspolitischer Vordenker der „Jeunes Turcs"; RaymondRaoul Lambert, Völkerbundexperte und „Chef du service franco-allemand", der nach 1933 im „Comité d'assistance aux réfugiés d'Allemagne" saß. Herausragende 84
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Den Ausdruck prägten politische Gegner in ironischer Absicht, in Anspielung auf die jungen Revolutionäre im alten Osmanischen Reich. Über Bedeutung und Ziele der „Jeunes Turcs" Berstein, Histoire du Parti Radical, Bd. II, S. 94-122; Nordmann, Histoire des Radicaux, S. 236 ff.; Andreu, Les idées politiques, in: ders., Révoltes de l'esprit, S. 175-189; du Réau, Daladier, S. 53 ff. Zahlenangaben nach Les procès de collaboration, S. 363, und Lévy, Les Nouveaux Temps, S. 16. Über die freundschaftlichen Bande zwischen alterndem Staatsmann und jugendlichem Bewunderer, die eine Passion für Kriminalromane teilten, Neis, Fragments, S. 114. Luchaire, Une génération réaliste, S. 108.
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Kolumnisten waren ferner der zeitweilige Generalsekretär der Radicaux und Daladier-Vertraute Jacques Kayser, der am Anfang seiner politischen Karriere stehende Pierre Mendès-France und sein Jura-Kommilitone André Weil-Curiel von der „Ligue d'action universitaire républicaine et socialiste", Theaterleute wie Marcel Achard und die Schriftsteller Jean Prévost, Claude Aveline und Julien Green; der Abgeordnete Jean Montigny, der künftige Minister Pierre Cot, Paul Marion, dereinst Generalsekretär für Propaganda des Vichy-Regimes, schließlich Bernard Lecache, Antirassist und Gründungsmitglied der „Ligue internationale contre l'antisémitisme"87. Luchaire selbst erwies sich als kongenialer Partner, der sich zum Teil aus genau denselben Motiven der Verständigung verschrieben hatte wie Abetz und dem Deutschen auch hinsichtlich persönlicher Stärken und Schwächen wesensverwandt war. Beide, von jugendlicher Unbekümmertheit und gewinnendem Auftreten, schienen für erfolgreiche Mittlerrollen prädestiniert und verfügten über beachtliche rhetorische und propagandistische Fähigkeiten; ihre Freundschaft strahlte auf Gleichgesinnte aus. Beiden kam nach Beginn der Nazi-Diktatur, während sie an hehren Zielen festzuhalten meinten, der Sinn für Realität und Redlichkeit allmählich abhanden; ihre Ideale und ihre persönliche Integrität glaubten sie selbst dann noch gewahrt, als sie längst materiellen Verlockungen erlegen und in verbrecherische Machenschaften verstrickt waren. Luchaire, der unter Abetz' Patronage ein Hauptorgan der Kollaborationspresse {Les Nouveaux Temps) leitete88, beteuerte noch 1946 vor den Schranken eines Pariser Gerichts, das ihn zum Tode verurteilte, daß er „même à l'heure actuelle" an Abetz' Aufrichtigkeit und Liebe zu Frankreich glaube89. Der wiederum kommentierte die Hinrichtung des Freundes mit der bissigen Bemerkung, Europa gehe nicht eben haushälterisch mit seinen Eliten um90. Hinsichtlich mancher Ziele und Lösungsstrategien keineswegs konform, einte die „Jeunes Turcs" der Wille zum Bruch mit Überkommenem. Insofern waren sie Teil jenes Phänomens revoltierender, sich nonkonformistisch gebärdender junger Franzosen, die um 1930 gegen die herrschenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse aufbegehrten91. Überzeugt, daß die bestehende Ordnung künftigen Herausforderungen nicht gewachsen sei, riefen sie zu Neubesinnung und Erneuerung auf, forderten eine vom antiquierten Wertesystem der Väter unbelastete Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Die „Jungtürken" bemängelten Schwachstellen im politischen System und wollten die ,Dritte Republik' durch Verfassungs- und Verwaltungsreformen modernisieren. Sozial unverträgliche Wucherungen des Kapitalismus sollten durch eine moderate, am Gemeinwohl orientierte staatliche Lenkung der Wirtschaft beseitigt werden. Leidenschaftliche Pazifisten -
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Vgl. Claude Lévy, Autour de Jean Luchaire: le cercle éclaté de Notre Temps, in: Bock u. a. (Hrsg.), Entre Locarno et Vichy, Bd. I, S. 121-130; du Réau, Daladier, S. 68 ff.; Neis, Fragments, S. HOff.; Berstein, Parti Radical, II, S. 101; Gilberte Brossolette/J.-M. Fitère, Il Pierre Brossolette, S. 49 ff. s'appelait 88 hierzu Lévy, Les Nouveaux Temps. Grundlegend 89
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Les procès de collaboration, S. 364. Abetz, Das offene Problem, S. 29.
Grundlegend hierzu Loubet del Bayle, Les non-conformistes des années 30.
4. Abetz' Partner Jean Luchaire
und
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Europäer, unterstützten sie den Völkerbund und erträumten sich eine euro-
päische Föderation auf der Basis einer deutsch-französischen Aussöhnung. Genau in diese Richtung mußte sich ihrer Meinung nach die Pariser Diplomatie bewegen; konziliante Gesten wie eine baldige Räumung des Rheinlandes und eine rasche Regelung der Saarfrage sollten den Entspannungsprozeß beschleunigen. „Nous étions une génération raisonnable, soucieuse de l'avenir, souhaitant que ce fût un avenir de réconciliation et de paix, et un avenir de progrès économique et social", erläuterte Bertrand de Jouvenel92. Unter solchen Prämissen war Abetz und Bentmann ein herzlicher Empfang gewiß. Die Notre 7em/?s-Equipe hatte bereits ein waches Auge auf Deutschland. Im Sommer 1928 versuchte eine Artikelserie mit dem Titel
„A la recherche de aktuelle und geistige Strömungen jenseits des Rheins ausl'Allemagne" politische zuloten, wobei die Jugendbewegung als wichtige Trägerin innovativen Ideenguts eingestuft wurde93. Daß es zwischen „Jungtürken" und Karlsruher Kundschaftern „funkte", stützt im übrigen die Annahme eines grenzübergreifenden, identitätstiftenden Generationsbewußtseins der Kriegsjugend. Die Suche nach neuen Wegen war seither zwar unterschiedlich verlaufen während ein Luchaire schon früh publizistische Breitenwirkung entfaltete und seine Ziele im Windschatten einer arrivierten politischen Partei verfolgte, hatten seine jugendbewegten deutschen Gesprächspartner ihre Gemeinschaftsideale bevorzugt in kleinen autonomistischen Gruppen gepflegt, freilich in der Absicht, ihnen eines Tages in der Gesellschaft Geltung zu verschaffen. Unbeschadet der beträchtlich voneinander abweichenden Herkunft und Lebensstile aber wurde der Brückenschlag mühelos vollzogen, dank bemerkenswerter Stimmigkeiten im Lebensgefühl. Die meisten Mitarbeiter von Notre Temps waren wie ihre neuen Freunde aus Baden um die Jahrhundertwende geboren und in einer Zeit gewaltiger Umbrüche aufgewachsen. Hüben wie drüben hatte man die Schrecken des Krieges verinnerlicht; man spürte die Dringlichkeit veränderter Grundlagen in den internationalen Beziehungen, rieb sich am Beharrungsvermögen der Altvorderen und betonte den Eigenwert der Jugend wie ihr Recht auf verantwortliche Mitgestaltung der Lebensverhältnisse. Es gelte den „Geist der Unbeweglichkeit", die unseligen „Dogmen, Formeln und Methoden einer vergangenen Epoche" zu bekämpfen, postulierte Luchaire zum Jahreswechsel 1929/3094. „Unsere heutigen Politiker gehören jener Generation an, der wir den Krieg verdanken", wird Abetz seinerseits mit einem -
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Jouvenel, Voyageur, S. 78. Das Ideengut der „Jeunes Turcs" findet sich in einem „Programme des Jeunes-Radicaux" vom März 1929, in einer von der Librairie Valois 1928/29 publizierten Buchreihe (in der Luchaires Une génération réaliste, L'Economie dirigée von B. de Jouvenel und ein Werk von Gaston Riou mit dem programmatischen Titel Europe, ma patrie erschienen) sowie in den 1927 bis 1929 unter jeweils maßgeblichem Anteil von Emile Roche lancierten Zeitungen Notre Temps, La Voix und La République. Eine konzise Zusammenfassung bei Berstein, Parti Radical. Vgl. die Notre Temps-Ausgaben vom Juni bis Oktober 1928, zu Geschichte und Gliederungen der Jugendbewegung im besonderen das Juli-Heft, S. 24-29. Deutschlands junge Generation und ihr Wollen waren in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre wiederholt Untersuchungsgegenstand französischer Autoren, vor allem in der Revue d'Allemagne. Einzelheiten bei Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 108 ff. Zit. von Hardenberg, Bündische Jugend, S. 98.
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Beitrag für ein christlich-soziales Stuttgarter Magazin zitiert. „Nur die Entschlossenheit junger Menschen junger Menschen, die aufrichtig für eine Beseitigung der alten Fehler und Ungerechtigkeiten arbeiten und den Grundstein für eine bessere, friedliche Welt legen wollen kann eine echte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich begründen."95 Die konkreten Bedingungen und Hindernisse für einen Ausgleich wurden im ersten freudigen Überschwang, im Nachbarland auf Gleichgesinnte gestoßen zu sein, offenbar nicht näher erörtert. Spätestens im darauffolgenden Jahr 1931 erschwerten dann solche Fragen den begonnenen Dialog und sorgten für allgemeine Ernüchterung. Etliche der neugewonnenen Pariser Bekannten, die in enger Beziehung zur Radikalsozialistischen Partei standen, attestierten dem jungen Abetz einen ähnlichen politischen Zuschnitt. Einzig Bertrand de Jouvenel reihte ihn schon für die Zeit vor 1933 in das Lager der Rechten ein und schildert einen temperamentvollen -
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Ausfall des Karlsruhers gegen die deutsche Linke, die der „unwiderstehlichen Kraft" des neuerwachten Nationalismus nichts entgegenzusetzen hätte, weshalb die Zukunft der deutsch-französischen Annäherung in verstärkten Kontakten zu rechtsgerichteten jungen Deutschen läge96. Jacques Chabannes indessen ging davon aus, daß Abetz SPD-Mitglied sei97, Alfred Silbert vom „Groupement universitaire franco-allemand" will ihn ermutigt haben, aufgrund seiner politischen Ambitionen ebendieser Partei beizutreten98. Die Journalisten Pierre Lazareff und Edouard Lavergne porträtierten ihn als Vertreter des katholischen Flügels99, André Weil-Curiel urteilte vager, er sei zu Sohlbergzeiten wie alle seine Landsleute gegen den Versailler Vertrag, ansonsten aber politisch nicht festgelegt gewesen100. Auch Franzosen, die Abetz' Bekanntschaft erst später machten, neigten dazu, ihn für einen ursprünglich aufrechten Pazifisten und Demokraten zu halten, so André François-Poncet und der Schriftsteller Jules Romains, dessen Erinnerungen zufolge sich Abetz für Deutschland ein gänzlich anderes Regime wünschte als das nationalsozialistische101. Diese Überlieferungen fanden Eingang in die zeitgeschichtliche Forschungsliteratur, etwa bei Lévy, für den ein sozialdemokratischer Hintergrund Abetz' außer Frage zu stehen scheint102, oder bei
Lazareff, Otto Abetz, Hitlers Termite, in: Current History, 23. 1. 1941, S. 17 nähere Quellenangabe, Rückübers. durch den Verfasser). (ohne 96 Jouvenel, Voyageur, S. 200, in fast wörtlicher Übereinstimmung mit einem Beitrag für 95
Zit. nach
Candide während der Abetz-Affäre 1939, zit.
Abetz, in: Justice, 21.7. 97
1939.
von
René
Naegelen, L'Ascension d'Otto
Zeugnis bei Brossolette, Pierre Brossolette, S. 53 („un social-démocrate"). „Il songeait à faire de la politique; nous étions nombreux à l'encourager [...] à entrer au
Mündliches
98
parti social-démocrate qui était encore le grand parti allemand de l'époque." Zeugenaus99
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Abetz-Prozeß, 19. 7. 1949, pag. 55; AN, 334 AP 49. Lazareff, Dernière édition, S. 267 („l'ancien démocrate chrétien"); Lavergne, J'ai connu Otto Abetz, in: Le Petit Parisien, 28. 7. 1939: „Dans sa première incarnation, Abetz fut sage Silberts im
[...] le chef des Jeunesses catholiques du duché de Bade." Weil-Curiel, Eclipse en France, S. 123 f. Schriftliche, im Abetz-Prozeß verlesene Erklärung Poncets, 12. 7. 1949, pag. 34; AN, 334 AP 49. Romains, Sept mystères, S. 225. Lévy, Les Nouveaux Temps, S. 18 („Abetz, dont les sympathies social-démocrates étaient connues").
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Luchaire
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Wallace, der christlich-soziale Bindungen hervorhebt103. Eine Agenturmeldung aus dem Jahr 1954 wiederum besagt, Abetz habe der linksliberalen, zur Weimarer
Koalition zählenden Deutschen Demokratischen Partei angehört104, was mit der Nachkriegskarriere seines Mitarbeiters und Rechtsanwalts Ernst Achenbach bei der F.D.P. zusammenhängen mag, allerdings ebensowenig zu belegen ist oder als glaubwürdiges Ergebnis fundierter Recherche anmutet wie die anderen Angaben über seine anfängliche parteipolitische Orientierung. Er selber schwieg dazu, hat die Behauptungen weder kommentiert noch dementiert105. Daß er das Image des republiktreuen Demokraten zumindest bereitwillig akzeptierte, von einem bestimmten Zeitpunkt an vielleicht bewußt pflegte, weil es geeignet war, französisches Vertrauen in seine Person zu stärken, liegt angesichts der ihm eigenen taktischen Wendigkeit nahe. Nicht von ungefähr betonte er den Stellenwert der Linksparteien für das politische Leben und die öffentliche Meinung in Frankreich. Nützliche Verbindungen in dieses Milieu unterhielt er später selbst gegen den erklärten Widerstand strammer Nationalsozialisten, was seine Sachkenntnis nur unterstreicht. Die Tatsache, daß die Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde Gruppierungen jedweder Couleur vereinte, konnte französische Gesprächspartner im übrigen ebenfalls verleiten, den sympathischen Badener ihren jeweiligen Präferenzen entsprechend zu verorten. So besehen hat die von der AKJ praktizierte Überparteilichkeit die Ungereimtheiten in diesem Punkt seiner Biographie gefördert, Abetz anderseits sicherlich geholfen, binnen kurzem Zugang zu unterschiedlichsten politischen und ideologischen Strömungen im Nachbarland zu finden, ein Kapital, das sich Schirach und Ribbentrop zunutze machten. Außer Zweifel steht die in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Langzeitwirkung der Ostern 1930 gleich beim ersten Anlauf geknüpften Kontakte. Luchaire, Crouzet, de Jouvenel und andere blieben auf Jahre hinaus, über die einschneidende Zäsur der nationalsozialistischen .Machtergreifung' hinweg, zum Teil selbst während der deutschen Besatzung willige Informanten und hilfreiche, manipulierbare Mittelsmänner, die Türen öffneten und das Meinungsklima im prodeutschen Sinn beeinflußten. Die Begegnung in Luchaires weißgetünchtem Büro wurde so zum Ausgangspunkt eines sich rasch verästelnden Beziehungsgeflechts und der propagandistischen Durchschlagskraft, die Abetz nach 1933 in Diensten des Hitler-Regimes zu entwickeln vermochte.
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105
Wallace, Otto Abetz, S. 16. Interpress Hamburg, 9. 4. 1954. Auch sein späterer Strafverteidiger René Floriot nannte ihn unwidersprochen einen „homme de gauche", weswegen er 1933 seines Postens als AKJ-Vorsitzender enthoben worden sei; Les procès de collaboration, S. 580.
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Vom
„Vermarktung einer Kreation"? Sohlbergtreffen zum Sohlbergkreis
euphorischer Erwartung verbreiteten Luchaire und Mardrus die Kunde vom bevorstehenden Treffen auf dem Sohlberg. Es sei „das erste seiner Art", meldete Notre Temps; aus eigenem Antrieb wünschten Jugendliche aus Baden sich offen und ernsthaft mit französischen Altersgenossen auszutauschen106. Interesse zeigten unter anderem die 1929 in enger Anlehnung an die Deutsch-Französische Gesellschaft entstandene „Ligue d'Etudes Germaniques", das den Radicaux nahestehende „Groupement universitaire pour la Société des Nations", die Zeitschrift La Jeune République, gegründet von Marc Sangnier, ferner mehrere politische Jugendorganisationen „vom linken Flügel der Sozialdemokratie bis zur Gefolgschaft der monarchistischen Action Française"107. Angeführt von Notre TempsRedakteuren und Vertretern des „Groupement universitaire franco-allemand", fuhr schließlich eine bunt zusammengewürfelte, etwa 60köpfige Delegation in den Schwarzwald. Die Karlsruher Gastgeber warben für ihr Vorhaben mit einem zweisprachig abgefaßten Einladungsschreiben, illustriert mit Bildern der Jugendherberge, des Kirchenaltars zu Lautenbach und einem Panorama „Blick vom Sohlberg auf die Rheinebene". Die vierseitige Broschüre, in nicht bekannter Anzahl verteilt, enthielt alles Wissenswerte über Anfahrtsmöglichkeiten, Programm und Aufenthaltskosten (Teilnahmegebühr 5 RM, Verpflegung pro Tag 1,25 RM, Übernachten im Schlafsaal 0,30 RM, im Einzelzimmer 0,60 RM, im Zelt 0,15 RM)108. Es gelang Abetz, die offiziöse, soeben eröffnete Deutsche Akademisch-Pädagogische Vermittlungsstelle in Frankreich (DAPV), Vorläuferin der DAAD-Zweigstelle Paris, für sein Projekt zu begeistern. DAPV-Leiter Hans Göttling setzte sich mit Erfolg dafür ein, daß den französischen Besuchern kostenlose Visa ausgestellt wurden. „Ich glaube, daß die Angelegenheit wirklich wert ist, daß man sie in dieser Weise unterstützt", empfahl er dem Auswärtigen Amt unter Hinweis auf ein beigefügtes Einladungsschreiben. Das Vorhaben mache einen „sehr guten Eindruck, und wenn es einigermaßen geht, werde ich selbst hinfahren"109. Heinz Dähnhardt, Vorsitzender des mehr als 3,5 Millionen Mitglieder zählenden Reichsausschusses der deutschen Jugendverbände, nahm gleichfalls Notiz und sagte sein Mitwirken In
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sie sei jedoch von den französischen Behörden verboten worden. Daraufhin habe man den Sohlberg als Veranstaltungsort gewählt. Abetz an Obergebietsführer John (RJF-Personalamt), 1. 9. 1937; desgleichen in einer persönlichen Aufzeichnung „zum Vorwurf, vor der Machtergreifung aktiver Gegner des Nationalsozialismus gewesen zu sein"; BDC/ Abetz. Die Richtigkeit dieser Angaben steht dahin. Steinthal, Jugendtreffen, S. 760; vgl. Abetz, Das offene Problem, S. 27; Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 53. Abetz gab 1945 zu Protokoll, er habe Ostern 1930 im Anschluß an die Gespräche mit Luchaire auch Sangnier auf seinem Anwesen in Bierville aufgesucht. „Curriculum vitae", pag. 4; AN, F 7/15331. Im Aktenbestand PA/AA, R 98888. Göttling an Geheimrat Terdenge (AA), 10. 7. 1930, ebenda.
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Temps, 29. 6. 1930. Während eines SS-Ehrengerichtsverfahrens 1937/38 (siehe Kap. VI) behauptete Abetz, ursprünglich habe die Tagung in Straßburg stattfinden sollen,
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Sohlbergtreffen zum Sohlbergkreis
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als Referent zu, was das landesweite Echo auf die Tagung verstärkte und dem Bekanntheitsgrad des wenig später gebildeten „Sohlbergkreises" gewiß förderlich war110. Viele Teilnehmer des Sohlbergcamps kamen zum ersten Mal mit Angehörigen des Nachbarlandes zusammen und empfanden die Begegnung als überaus anregend. Auf die Franzosen, an Großstadtgetriebe und die politisch-literarischen Diskussionszirkel der Pariser Salons gewöhnt, machten die von den Gastgebern demonstrativ vorgelebten Formen jugendbewegter, naturverbundener Gemeinschaft tiefen Eindruck. „Was im guten Sinn an ,Romantik' in uns lebt, unser Fahrten- und Lagerleben, unsere Lieder, die Freundschaft und Aufgeschlossenheit unseres Gruppenlebens", habe die Gäste am stärksten fasziniert, berichtete Das junge Volk111. Etliche von ihnen schwärmten im Anschluß an die Tagung aus, um Deutschland und die bündischen Gepflogenheiten näher kennenzulernen. Der weltgewandte Journalist Silbert, der auf dem Sohlberg von seiner jüngsten Afrikareise erzählt hatte, besichtigte Heidelberg, Rothenburg, Nürnberg und Mannheim, überzeugte sich vom praktischen Nutzen des Herbergwesens und zollte den erzieherischen Leistungen der Jugendbewegung höchstes Lob: Sie forme körperlich gesunde, geistig rege, uneigennützige junge Menschen, biete ihnen Halt und Orientierung, was in schwierigen Zeiten wie diesen eine immense Beruhigung gerade für das Ausland darstelle. „En ces temps difficiles où l'Allemagne souffre politiquement, économiquement, moralement [...], la Jugendbewegung constitue, dans sa simplicité égalitaire, un refuge pour une jeunesse dont le standard de vie est moins élevé que le nôtre; c'est un magnifique creuset social en même temps qu'une école de raisonnement et de tolérance." Selbst der Umstand, daß sich Hitler-Anhänger in größerer Zahl offen zu erkennen gaben, vermochte Silberts positiven Gesamteindruck nicht zu trüben; er konnte keinen unlösbaren Widerspruch erkennen zwischen ihrer dezidiert nationalen Haltung und ihren Sympathiebezeugungen für Frankreich. Warum also „s'imaginer qu'un nationaliste allemand est automatiquement un ennemi de la France?"112 Zur blauäugigen Beurteilung künftiger Verständigungschancen verleitete nicht zuletzt der abgeschiedene, malerisch gelegene Tagungsort, ein wahrhaft konfliktfreier Raum hoch über den Niederungen des Alltags, wo „die Natur selber Fäden von Volk zu Volk spinnt", wie Chronist Steinthal lyrisch beschwingt schrieb113. Manchen überwältigte das Gefühl, von einem solchen Punkt aus wäre die Welt zu kurieren. Jahre später erklärte Friedrich Bran114 den Sohlberg zu einer Art Kult-
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Der Jungnationale Dähnhardt war auch Geschäftsführer der im Januar 1930 aus der Taufe gehobenen Volkskonservativen Vereinigung und gehörte ihrem Führerring an. Das junge Volk, September 1930, S. 144. Vgl. Abetz, „Denkschrift" vom 30.4. 1931, pag. 3;AdJb,A168/l. Silbert, La jeunesse allemande chez elle, in: Notre Temps, 24. 8. 1930, Sp. 411—413. Steinthal, Jugendtreffen, S. 760. Friedrich Alexander Bran (Jg. 1904), in Karlsruhe aufgewachsener Verlegersohn, studierte nach einer Buchhändlerlehre Geisteswissenschaften in Frankfurt und Heidelberg (unter anderem bei Alfred Weber, Arnold Bergstraesser und Ernst Robert Curtius), promovierte 1929 mit einer Arbeit über Herder, engagierte sich in der Deutschen Freischar und der Arbeitslager-Bewegung. Die Lektüre von Hesse und Spengler weckte sein Inter-
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Stätte („colline inspirée") der deutschen und französischen Jugend115. „Rien d'officiel, rien de préparé, rien de politique", resümierte Jean Luchaire, der seine Er-
wartungen übertroffen und seinen Glauben an eine engverwandte Lebenseinstellung der jungen Europäer bestätigt sah116. In supranationalem Wir-Gefühl schwelgend, schilderte er seinen Lesern die Höhepunkte einer stets kameradschaftlich geführten, nur selten von Vorurteilen belasteten Aussprache, in deren Verlauf die Diskutanten „unzählige" Übereinstimmungen und wechselseitige Verpflichtungen entdeckt hätten. Alle seien sich darüber klargeworden, daß ein verheißungsvolles gemeinsames Aufbauwerk möglich sei117. Eben hierzu hatte Luchaire schon in seinem Schlußwort auf dem Sohlberg aufgerufen. Eindringlich beschwor er die Versammelten, nun, da sie um ihre annähernde Gleichheit („identité presque complète") wüßten, nicht länger tatenlos nebeneinander her zu leben, sondern ihre Energien zu bündeln, gegen die verbohrten alten Männer an den Schalthebeln der Macht anzutreten und eine „neue Ordnung" durchzusetzen. Gerechter Lohn der Mühen werde eine europäische Union auf der Grundlage eines deutsch-französischen Ausgleichs sein „seul certitude de paix, seul certitude de
prospérité"118. Daß die Sohlbergfahrer, ob sie es wahrhaben wollten oder nicht, letztlich Anwälte ihrer jeweiligen Landesinteressen blieben, enthüllten spätestens die handfesten Kontroversen, die in den folgenden Jahren untereinander ausgefochten wur-
ebenso die Verhandlungen zwischen Briand und StreseVölkerverständigung, er 1928 in Genf als Journalist verfolgte. Nach dem Sohlbergtreffen 1930 nahm er Verbindung zu Abetz auf und war fortan maßgeblich an den Aktivitäten des Sohlbergkreises beteiligt. Im Frühjahr 1933 trat er in die NSDAP und die HJ ein; bis 1936 war er als Hauptreferent im Auslandsamt der Reichsjugendführung tätig. Er wurde Hauptschriftleiter der Deutsch-Französischen esse an
mann,
die
unter
den
Monatshefte, offizielles Organ der Ende 1935 Auspizien der Dienststelle Ribbentrop neugegründeten Deutsch-Französi-
schen Gesellschaft, und blieb über den Kriegsbeginn 1939 hinaus ein sinnesverwandter Mitarbeiter und Weggefährte von Abetz. Brans Werdegang ist ausführlich nachgezeichnet bei Unteutsch, Sohlbergkreis, bes. S. 151 ff.; dies., Dr. Friedrich Bran Mittler in Abetz' Schatten, in: Bock u.a. (Hrsg.), Entre Locarno et Vichy, I, S. 87-105. Bran, Le pont de Saint-Jean de Losne?, in: DFM, Dezember 1934, S. 45. Bezeichnend die Formulierung im Reisebericht einer französischen Jugendgruppe vom Sommer 1934, auf den Sohlberg „gepilgert" zu sein. In Zelten nächtigte man „à l'endroit même où eut lieu [...] la première rencontre des jeunesses franco-allemandes". Pierre Chérny, Jeunesse française en Allemagne, in: DFM, Oktober-November 1934, S. 39. -
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La Volonté, 8. 8. 1930. Luchaire, Deux jeunesses
en présence, in: Notre Temps, 10. 8. 1930, Sp. 321-324. Die während des Camps geleistete Aufklärungsarbeit dünkte Luchaire bedeutsam, die Schubrichtung irreversibel: „Qu'on n'aille plus raconter aux jeunes Français du Sohlberg que les Allemands appartiennent à une race irréductiblement hostile à la France: ces jeunes Français hausseront les épaules. Qu'on ne prétende pas devant les jeunes Allemands du Sohlberg que les Français sont un peuple qui cherche à opprimer la race germanique: ces jeunes Allemands souriront avec dédain. Les uns et les autres sont devenus des amis." (Sp. 322) Von dieser Ausgabe an führte Notre Temps den Untertitel Revue des nouvelles
générations européennes. Luchaire,
Discours final, ebenda, Sp. 355-358. Von seiner Kritik an den vergreisten Regierungsriegen, die keiner wegweisenden Impulse mehr fähig seien, nahm Luchaire seinen Mentor und Gönner Briand ausdrücklich aus. Vgl. ders., Les tendances politiques de la nouvelle génération française, ebenda, Sp. 347 f.
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Sohlbergtreffen zum Sohlbergkreis
den. Selbst bei Otto Abetz und seinen engsten Mitarbeitern scheint von Anbeginn eine gehörige Portion Nationalegoismus im Spiel gewesen zu sein, ein Verdacht, der erste Zweifel am sorgsam gepflegten idealistischen Habitus keimen läßt. Im Vorfeld der Tagung hatte Gustav Mittelstraß in Briefen an den Reichsminister für die besetzten Gebiete und das Auswärtige Amt hervorgehoben, es handele sich „nicht um eine von uns gesuchte Verbrüderung mit beliebigen Franzosen, sondern um den Versuch, national fühlenden Vertretern der beiden Völker die Möglichkeit einer Begegnung zu geben im Stile eines bündischen Jugendtreffens"119. Neun Monate nach dem Sohlbergtreffen verfaßte Abetz einen Bericht für den Staatspräsidenten und den Kultusminister von Baden, Reichsinnenministerium, Auswärtiges Amt sowie den Reichsausschuß deutscher Jugendverbände. Darin bekannte er sich zu den Prinzipien bündischer Grenzlandarbeit, zu denen er „Beeinflussung vor allem der jungen Ausländer zu Gunsten der deutschen Interessen" zählte, ein Ziel, das auf dem Sohlberg voll und ganz erreicht worden sei120. Für Dieter Tiemann, der erstmals auf dieses wichtige Dokument hingewiesen hat, offenbart sich hier „ein hoher Grad von Bereitschaft zur Konformität mit der offiziellen Politik, eine Angepaßtheit, über die drei Jahre später leicht verfügt werden konnte". Abetz habe frühzeitig einen „praktischen Sinn für die Vermarktung seiner Kreation" bei den Regierenden bewiesen und sich als Revisionist zu erkennen gegeben und zu profilieren versucht. Auf dem Sohlberg sei deshalb kein neues Kapitel bilateraler Beziehungen aufgeschlagen, sondern unter bemüht jugendspezifischem Gepräge „lediglich ein neuer deutscher Anlauf zu alten Zielen" unternommen worden mit der Absicht, die öffentliche Meinung in Frankreich aufzuweichen121. Anhaltspunkte, Abetz habe ein doppeltes Spiel getrieben ein Makel, der seiner späteren Laufbahn unauslöschlich anhängt -, finden sich demnach schon in den Jahren 1930/31. Ob die Indizien genügen, ihm originären Idealismus gänzlich abzusprechen, erscheint indessen fraglich. Seine Überzeugung, daß der Versailler Vertrag ein Unding sei, war deutsches Allgemeingut, was ehrenwertes Bemühen um Revision nicht ausschloß. Die notwendige Flexibilität traute Abetz am ehesten der jungen Generation, seinesgleichen zu. Auf dem Sohlberg konnte die heikle Thematik ohne Gefahr für den Lagerfrieden angeschnitten werden, so von Heinz Dähnhardt, der ein Gutteil der wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten des Reiches als Folgelast der „unglücklichen Lösung der Ostprobleme" darstellte122. Daß der brennende Wunsch nach Wandel nicht zwangsläufig in gewaltbereiten Revanchismus auszuarten brauchte, wenn auch die Verhältnisse eine solche Entwicklung begünstigten, verdeutlichte Sohlbergreferent Otto Piper einige Monate später in einem Beitrag für Notre Temps. Deutschlands Jugend, so der Theologe, dürste nach sozialer Gerechtigkeit, nationaler Ehre und internationaler -
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Schreiben Mittelstraß'
(Karlsruhe-Rüppurr) vom 5. 6. 1930; PA/AA, R 98887. Abetz, „Denkschrift" vom 30. 4. 1931; Adjb, A 168/1. Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 116 ff. Nicht minder entschieden Rita Thalmann, Du Cercle de Sohlberg au Comité France-Allemagne, in: Bock u.a. (Hrsg.), Entre Locarno et Vichy, I, S. 67f., 85. Zit. von Steinthal, Jugendtreffen, S. 763.
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Gleichberechtigung. Um der Integrität dieser Werte willen lehne man die niedere Gesinnung und Roheit der Nationalsozialisten ab, die freilich unverändert Zulauf hätten und vom jugendlichen Verlangen nach Visionen profitierten, solange das Ausland an der seither praktizierten Politik festhalte123. Die „Jeunes Turcs" ihrerseits, klare Meinungsführer bei den französischen Sohlbergfahrern, hatten aus pazifistischem Antrieb, Europabegeisterung und im Zuge ihrer Systemkritik von jeher Verständnis für deutsche Gravamina gezeigt124. Während Luchaire nun dazu aufrief, sich speziell auch der nationalen Unterschiede bewußt zu werden und wohlwollend zu prüfen, ob sie einander beim großen europäischen Aufbauwerk nicht gewinnbringend ergänzen könnten125, stellte Guy Crouzet das friedensvertragliche Regelwerk gleich umfassend zur Disposition: „Si le Sohlberg avait duré quinze jours, quel assaut pour le traité de Versailles!"126 Diese Männer mußten aus deutscher Sicht weder propagandistisch bearbeitet noch moralisch unter Druck
gesetzt werden. Hatte Abetz sie schon damals vorsätzlich vereinnahmen wollen, dann waren sie allerdings ebenso leichte wie willige Beute. Plausibel klingt die Erklärung, daß argwöhnische Ministerialbeamte alten Schlages, in deren Augen Kontaktaufnahmen über den Rhein vielfach noch etwas Landesverräterisches hatten, ohne deren Zustimmung und finanzielle Unterstützung jedoch wenig bewegt werden konnte, einstweilen durch Hervorheben „nationaler" Aspekte zu besänftigen waren. Mancher Behördenchef verweigerte sich trotzdem, im Falle des Sohlbergtreffens Reichsminister Treviranus, der es nachgerade als Zumutung empfand, eine Zusammenkunft mit Angehörigen einer „Besatzungsmacht" fördern zu sollen127. Das Auswärtige Amt sah sich unter Hinweis auf leere Kassen außerstande, einen Zuschuß zu bewilligen, und beschränkte sich auf die Erteilung geführenfreier Sichtvermerke128. Beihilfen gewährten schließlich das Reichsinnenministerium und das badische Kultusministerium129; quasi als Gegenleistung schickte Abetz einen schriftlichen Rapport, besagte „Denkschrift". Daß er seine Argumentation auf die politischen Empfänglichkeiten der Sponsoren abstellte, liegt auf der Hand und fügt sich nahtlos in das Bild des gewieften Überzeugungskünstlers, das etliche Weggefährten von ihm zeichneten. Mit Vergnügen entsinnt sich Friedrich Bran seines Einfallsreichtums, um Unterstützung zu werben und Ziele auf Umwegen anzusteuern: „Da zeigten sich seine diplomatischen
Qualitäten."130 Ebenso typisch für Abetz und die Annäherung an seine Person ist allerdings, Otto Piper, La jeunesse allemande et Hitler, in: Notre Temps, 30. 11. 1930, Sp. 326 f. Vgl. Berstein, Parti Radical, II, S. 104f.; Nordmann, Histoire des Radicaux, S. 238; Jouvenel, Voyageur, S. 77 ff. Neis schmähte den Versailler Vertrag als Werk gegenwartsfremder Revanchisten, die Reparationen als wirtschaftliche und den polnischen Korridor als politisch-geographische Absurdität; Fragments, S. 87. 125 123
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Discours final, Sp. 357 f. Crouzet, Huit jours franco-allemands, S. 199f. Der Reichsminister für die besetzten Gebiete an Gustav Mittelstraß
wärtige Amt), 3. 7. 1930; PA/AA, R 98887.
Böhme (AA) an Mittelstraß, 17. 7. 1930, ebenda. Abetz an Auswärtiges Amt, 3. 7. 1930, ebenda.
Befragung Bran, 18. 3. 1989.
(Abschr.
ans
Aus-
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daß auf diesen an sich sympathischen Charakterzug sogleich ein Schatten fällt, gedenkt man der phantasievollen, teilweise hanebüchenen Rechtfertigungsversuche späterer Memoranden und Telegramme, deren Inhalt den selbstpostulierten Ansprüchen häufig diametral zu widersprechen scheint. Wer seine Korrespondenz aufrollt, stößt anderseits auf erstaunliche methodische Kontinuität im Dialog mit den Regierenden, ob es sich um Vorschläge für „antijüdische Sofortmaßnahmen" im besetzten Frankreich handelt131, mit denen angeblich noch Schlimmeres verhütet werden sollte, oder nur darum, störrischen Bürokraten Reiseerleichterungen abzuringen. Stets redet Abetz den Adressaten nach dem Munde, rückt ihre tatsächlichen oder vermuteten Interessen in den Mittelpunkt und präsentiert sich als nützlicher Helfer, wortreichen nachträglichen Beteuerungen zufolge immer im Bestreben, sich auf diese Weise persönlichen Handlungsspielraum zu erschließen. Dieses Verhaltensmuster, das bereits im Vorfeld des Sohlbergcamps aufblitzt, wurde ihm zur zweiten Natur. Sein Argument, daß zumal in einem totalitären System mit den Wölfen heulen muß, wer sie überlisten will, entbehrte nicht einer gewissen Logik. Der Graben zwischen den erklärten Motiven und den praktischen Auswirkungen seines Tuns aber weitete sich mit jedem Jahr, wesentlich bedingt durch die Schrankenlosigkeit des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, mit dem er sich einließ. Abetz' Glaubwürdigkeit hat darunter gelitten, wurde nach Meinung vieler irreparabel lädiert. Tatsächlich stößt der Betrachter in wachsendem Maße auf Verstrickung und Schuld, hinter die die vorgeblich guten Absichten zuweilen bis zur Unkenntlichkeit zurücktreten. Abetz' Einlassungen zu dieser Thematik werden uns in den folgenden Kapiteln immer wieder beschäftigen. Während manche, auf zusätzliche Quellen gestützt, zu überzeugen vermögen, zumindest bedenkenswert erscheinen, verstimmen andere durch schiere Apologetik. In ihrer Gesamtheit stellen sie den Biographen vor nicht geringe interpretatorische Probleme und bedürfen einer kritischen Würdigung im Einzelfall132. Gerade deshalb aber wäre es unangemessen, aus bloßer Kenntnis seiner späteren, unstrittigen Verfehlungen schon die ersten Auftritte auf der deutsch-französischen Bühne in Bausch und Bogen als unseriöses Blendwerk zu disqualifizieren. Dagegen sprechen in eine andere Richtung weisende prägende Einflüsse, die der Heranwachsende erfuhr, und die rundum positive Beurteilung seiner Persönlichkeit durch alle selbst künftige Gegner -, die ihn zu Sohlbergzeiten kannten133. Vorsicht gebietet überdies die schlichte Tatsache, daß Menschen sich entwickeln, auch -
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Abetz an Auswärtiges Amt, 20. 8. 1940; CDJC, LXXI-35. Die Behauptung, Diktion und Inhalt seiner Vorschläge und Berichte hätten häufig nicht die eigene Meinung gespiegelt, seinen wahren Intentionen aber gerade durch das vordergründige Eingehen auf Mentalität und Erwartungshaltung des Empfängers den Weg ebnen sollen, war Dreh- und Angelpunkt der Abetzschen Verteidigung nach 1945. Er selber und frühere Mitarbeiter verbreiteten sich ausführlich über Notwendigkeiten und Finessen der taktischen Wortwahl, wobei sie sich eine unerschütterlich frankophile Gesinnung, ja sogar riskante Doppelspiele zu französischen Gunsten attestierten. Vgl. insbesondere die auf Angaben von Abetz beruhenden Aufzeichnungen Rudolf Schleiers, „Taktische Berichterstattung als Tarnung oder Mittel zum Zweck" und „Berichterstattung einer diplomatischen Mission an ihr Ministerium"; PA/AA, Nachl. Schleier/IV.l, Nr. 7 und IV.2, Nr. 9. Siehe Kap. II.
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Schlechten. In ihrer ganzen Vielschichtigkeit lassen sich am Fall Abetz reale und vermeintliche Möglichkeiten, durch die eigene Persönlichkeit und äußere Faktoren gezogene Grenzen des einzelnen studieren, auf die deutsch-französischen Beziehungen von damals Einfluß zu nehmen. Das geglückte Experiment im Schwarzwald ermunterte zu neuen Taten. Am 26. Oktober 1930 konstituierte sich unter Leitung von Abetz innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde ein „Kreis der Freunde des Sohlbergcamps". Er machte sich im darauffolgenden Jahr selbständig, weil seine Mitarbeiter inzwischen übers ganze Reich verstreut waren und nicht mehr ausschließlich der Jugendbewegung entstammten. „Gruppen in Stuttgart, Heidelberg, Freiburg, Düsseldorf und Berlin sind in Gründung", meldete im September 1931 die erste Ausgabe des von Abetz redigierten Vereinsblattes Sohlbergkreisn*. Obwohl die Mitgliederzahl nie sehr hoch war Friedrich Bran beziffert den harten Kern auf „wenige Dutzend", die Zahl der Sympathisanten mit „unter hundert" -, steigerte eine rührige Öffentlichkeitsarbeit rasch den Bekanntheitsgrad. Zu den Karlsruher Aktivisten gehörten außer Bran, Bentmann, Mittelstraß, Strauss und v. Grolman Kunsthallenchef Dr. Kurt Martin, Kapellmeister Joseph Keilberth und der Jugendheimleiter Artur Meißgeier. Von der Zeitschrift Sohlbergkreis erschienen bis Mai 1932 drei Nummern; sie wurden wie von Oktober 1934 an die DeutschFranzösischen Monatshefte im Karlsruher Verlag G. Braun gedruckt, dessen Mitinhaber Friedrich Brans Vater war135. Der Sohlbergkreis wollte „Zwischenstelle für deutsche und französische Jugendbestrebungen" sein, in Zusammenarbeit mit „Frankreichkennern" Material für die Auslandsarbeit der Bünde bereitstellen und einen sachlichen Informationsfluß zwischen beiden Ländern fördern. Es sollte für keine bestimmte politische Losung geworben, sondern „der Versuch gemeinsamer außenpolitischer Schulung aller Richtungen" unternommen werden. „Auf diese Weise sollen alle, die kein besonderes Frankreichstudium treiben können, die erforderlichen Kenntnisse erhalten, und die studierenden Romanisten sollen mit den aktiven Kreisen der deutschen Jugend zusammengeführt werden [...] Die Nationen sollen ihr Wesen durch die jungen Generationen offenbaren."136 Pädagogischer Impetus, Experizum
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Sohlbergkreis I, S. 2. Befragung Bran, 18. 3. 1989. 136 Sohlbergkreis II (Dezember 1931), S. 22f. Wie dieser Ansatz in der Praxis aussah, verdeutlicht das Winterprogramm 1931/32 des Sohlbergkreises, dessen Abdruck wegen des 134 135
hohen dokumentarischen Werts sinnvoll erscheint: „Die ersten vier Abende werden die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit Deutschlands mit den großen Mächtegruppen untersuchen (Literatur ist in Klammern angegeben): 10.XL: O. Abetz: Zusammenarbeit mit Frankreich? (Curtius, Französ. Kultur. Massis, Verteidigung des Abendlandes) 26. XL: O. Wagner: Ostorientierung (TAT-Aufsätze. Wirsing, Zwischen-Europa als deutsches Schicksal) 7. XII.: G. Mittelstraß: Angelsächsische Nationen (Dibelius, England. M. J. Bonn, Amerika) 21. XII.: F. Bran: Kulturelle Autarkie? (Deubel, Deutsche Kulturrevolution. Viénot, Deutsche Unsicherheiten). Die fünf Abende nach Neujahr werden Sondergebiete in ihrer verschiedenartigen Ausprägung in Deutschland und Frankreich behandeln: 11.1.: O. Stolzer: Religiöse Lage (Jean Rupp, Découverte de la Chrétienté) 25. I.: A. v. Grolman: Literatur (Bücherangaben folgen) 8. IL: K. Martin: Bildende Kunst (mit Lichtbildern) 22. IL: W Strauss: Wirtschaft (Bergstraesser, Frankreichs Staat -
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Überzeugung, daß gemeinsames kulturelles Erbe über Grenzen hinweg verbindet, waren augenfällige Merkmale bündischen Handelns. Zudem stand der von Abetz und seinen Freunden gewählte Ansatz Arnold Bergmentierfreude und die
Konzeption von der „kulturellen Begegnung" nahe, wie sie der Heidelund Politikwissenschaftler in einer 1930 veröffentlichten Kulturhistoriker berger programmatischen Abhandlung über Sinn und Grenzen der Verständigung zwischen Nationen entwarf, die die deutsche auswärtige Kulturpolitik, im besonderen den Studentenaustausch auf Jahre hinaus beeinflußte137. Bergstraesser, Jahrgang 1896, ehemals führendes Mitglied im „Wandervogel e.V.", Wegbereiter des Akademischen Austauschdienstes und Teilnehmer des ersten Sohlbergtreffens138, verwarf internationalistische und pazifistische Annäherungsbestrebungen139. Er ging von der grundsätzlichen Dominanz nationalstaatlicher Machtinteressen aus. Verständigungsinitiativen diplomatischer oder wirtschaftlicher Natur hielt er insofern für untauglich, als sie den Status quo eher festigten denn im deutschen Interesse revidierten140. Auf Frankreich bezogen bedeutete dies, daß Eintracht mit dem westlichen Nachbarn nur in Bereichen möglich sei, „die nicht die Grundlagen der machtpolitischen Konstellation antasten, welche der Versailler Vertrag geschaffen hat"141. Kulturellen Austausch begriff Bergstraesser, nicht ohne auf gemeinsame Wurzeln der europäischen Staaten zu verweisen, als „Kampf der geistigen Welten"142, als eine Konfrontation, die nicht in Aggression umzuschlagen brauchte, sondern durch persönliche Fühlungnahme Vorurteile zerstreuen, Verständnis wecken, ein positives Bild des eigenen Landes vermitteln und zugleich das nationale Selbstwertgefühl steigern konnte. Direkter Kontakt mit Ausländern erzwinge jene Aufmerksamkeit für den anderen, deren Fehlen erst „die fürchterlichen Ausmaße und die grotesken Formen des Hasses zwischen Nationen" erstraessers
Wirtschaft) 7. III.: A. Meißgeier: Parteiwesen (Clauss, Frankreich. Siegfried, Das heutige Frankreich). Über .Französ. Philosophie der Gegenwart' unterrichtet das Bändchen von Müller aus dem Verlag G. Braun (Karlsruhe) [...] Neben diesen Abenden findet noch eine Einführung in moderne französische Musik sowie eine Vortragsfolge von französ. Rednern (Revision, Regionalismus, Unterrichtswesen) statt, deren Daten noch bekanntgegeben werden. Zur laufenden Information des Kreises werden folgende Gebiete bearbeitet: Abrüstung: Meißgeier Kriegsschuld: Minners Minderheiten: Längin Kolonien: Gäpfrich Sozialpolitik: Seitz. -Jeder Mitarbeiter wird aus den ihm zugänglichen Zeitschriften und Zeitungen die für unsere Arbeit wichtigsten Artikel für das Sohlberg-
und
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Archiv (Belfortstr. 1 [= Abetz' Privatadresse]) ausziehen bezw. ausschneiden." Privatbesitz Bran (Kopie beim Verf.). Ygl Laitenberger, Theorie und Praxis der „Kulturellen Begegnung zwischen den Nationen", S. 196 ff.; ders., Akademischer Austausch und auswärtige Kulturpolitik, S. 73 ff.; Meyer-Kalkus, Akademische Mobilität, S. 53 ff. Biographische Angaben bei Kindt (Hrsg.), Dokumentation der Jugendbewegung, Bd. II, S. 1049; Meyer-Kalkus, ebenda, S. 54 ff. Vgl. Bergstraesser, Sinn und Grenzen, S. 8 ff. „Hinsichtlich [...] z. B. der Abrüstungsfrage, der Frage der Ostgrenze und des Anschlusses sich zu verständigen, hieße heute den Willen der Gegner zu dem seinigen machen, d. h. praktisch das Vorrecht selbstbestimmender staatlicher Gestaltung aufgeben." Ebenda, -
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möglicht habe; natürliche Gegensätze würden „aus der immer blinden und ungesichtigen Sphäre der Ideologie in das Menschliche selbst" erhoben gleichsam personifiziert -, was stereotypen Freund-Feind-Schemata vorbeuge143. Seien sich zwei Parteien über ihre jeweiligen Bedingtheiten im klaren, so könne aus dieser Erkenntnis „eine wirkliche Würdigung des anderen, eine gegenseitige Achtung" erwachsen, die „trotzdem kein Aufgeben von Eigenem" bedeute und vielleicht einmal politische Früchte tragen werde. Einander verstehen heiße „ebensosehr sich gegen den anderen absetzen, wie ihn in sich aufnehmen". Solch komplementäres Zusammenspiel erachtete Bergstraesser für praktikabel, sofern die Beteilig-
sich in fremde Gewohnheiten hineinzufühlen vermochten und über die „historische Sonderart der nationalen Gestaltungen" Bescheid wußten, anderseits fest genug in ihrer eigenen Kultur verwurzelt waren, um sie glaubwürdig und auf hohem Niveau zu repräsentieren alles in allem Fähigkeiten, die nur von wenigen erwartet werden durften. Verständigung in diesem Sinn war mithin „Angelegenheit einer geistigen Oberschicht"144. Nationalbewußtes Anforderungsprofil und elitäre Selbsteinschätzung, Methodik und Zielvorgaben entsprachen in hohem Maße den sowohl bei der jugendbewegten als auch der jungkonservativen Intelligenz verbreiteten Orientierungen. Die Möglichkeit langfristiger, werbender Einflußnahme auf die Meinungsbildung im Ausland, die Bergstraessers Theorie aufzeigt, hat die Arbeit des Sohlbergkreises ohne Zweifel inspiriert, der potentielle politische Nutzen kultureller Begegnungsaktivitäten den revisionistischen Ambitionen führender Mitglieder ein Betätigungsfeld eröffnet. Eine antithetische Sichtweise der Nationalcharaktere, als Mittel der Selbstfindung und angebliche Voraussetzung harmonischer auswärtiger Beziehungen, prägt die ab Herbst 1934 publizierten, von Abetz und Bran redigierten Deutsch-Französischen Monatshefte^. Über Bergstraesser hinaus wies Abetz' Bestreben, die „psychologische Annäherung der breiten Völksmassen" voranzutreiben146, was dank der korporativen Teilhabe französischer wie deutscher Massenorganisationen an den zwischenstaatlichen Gesellschaftskontakten nach 1933 vordergründig zu gelingen schien, im Kalkül der nationalsozialistischen Machthaber jedoch vor allem ihren Expansionsdrang kaschieren sollte147. Jugendbewegtes Gedankengut findet sich in einem Brief, den Friedrich Bran im November 1932, die jüngste Sohlbergkreis-Ausgabe kommentierend, an die Deutsche Botschaft Paris richtete: „Wir beginnen unsere Arbeit grundsätzlich von unten, das heißt beim einzelnen Menschen, aber wir glauben gerade dadurch allmählich für die Allgemeinheit etwas Nützliches leisten zu können." Dabei wolle man „so illusionsfrei wie möglich" vorgehen; Ziel sei eine sachlich-nüchterne Schulung für die außenpolitische Wirklichkeit, wofür jährliche Zusammenkünfte, Wanderungen, Skilager und ähnliche Veranstaltungen mit jungen Franzosen eine „sehr lebendige Grundlage" böten. „Es würde uns freuen", versicherte Bran dem ten
-
143 144 145 146 147
Ebenda, S. 65 ff. Ebenda, S. 77 f. Bergstraesser dachte hierbei in erster Linie an Akademiker. Vgl. die Beispiele in Kap. IV.l sowie Arend, Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren, S. Abetz, Das offene Problem, S. 61. Arend, Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren, S. 148.
145 ff.
5. Vom
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Sohlbergtreffen zum Sohlbergkreis
soeben in sein Amt eingeführten Botschafter Köster, „wenn wir dadurch auch Ihrer großen diplomatischen Mission nützlich sein könnten."148 Köster erwiderte, die Botschaft verfolge die Aktivitäten des Sohlbergkreises schon seit geraumer Zeit und begrüße sie „aufs wärmste", weil sie auf dem richtigen Ansatz fußten, „daß alle politische und diplomatische Arbeit letzten Sinnes vom einzelnen Menschen ausgehen und sich an den einzelnen Menschen richten muß". Ein reger Meinungsaustausch könne „auf die Dauer unseren beiden Völkern nur dienen und dazu beitragen, den Begriff Verständigung, mit dem so viele nicht zu Ende gedachte Ideen verbunden werden, durch die gegenseitige Achtung vor den nicht immer gleich laufenden Bedürfnissen und Zielen Deutschlands und Frankreichs zu ersetzen"149. Der Übereinstimmung signalisierende Schriftwechsel findet sich in einer seit Juni 1931 von der Pariser Vertretung geführten Akte „Soolbergkreis" [sie!], die darauf hindeutet, daß die Karlsruher Initiative in deutschen diplomatischen Kreisen ein fester Begriff geworden und einigermaßen wohlgelitten war. Auch die französischen Sohlbergfahrer trachteten nach einer soliden organisatorischen Verankerung ihrer Verständigungsarbeit. Unter Federführung der Notre Temps-Grappe, hoben sie im Juni 1931 das „Comité d'Entente des jeunesses françaises pour le rapprochement franco-allemand" aus der Taufe, dem binnen Monatsfrist sechs Jugend- und Studentenverbände mit zusammen rund 270000 Mitgliedern korporativ beitraten150. Stolz verkündete Notre Temps die Geburt des „mächtigsten Jugendkartells", das Frankreich je gesehen151. In einem Gründungsaufruf, der unverkennbar die Handschrift des zum Vorsitzenden bestimmten Jean Luchaire trägt, erklärte das Comité, es wolle nationalistische Auswüchse bekämpfen und auf eine friedvolle Zukunft hinwirken, wofür die Verträge von 1919 keine ausreichende Sicherung darstellten. Angestrebt wurde eine möglichst enge politische, wirtschaftliche und geistige Kooperation zwischen freiwillig assoziierten Völkern mit gleichen Rechten und Pflichten, ein geeintes Europa, das der unverzichtbaren Stütze einer deutsch-französischen Allianz bedürfe. Zu diesem Zweck wollte man jede Initiative fördern, die geeignet schien, vor allem junge Menschen beider Länder in freundschaftlichen Kontakt zu bringen, unabhängig vom weltanschaulichen oder konfessionellen Hintergrund152. Daß die deutsche Seite hierbei auf weitreichendes Entgegenkommen zählen durfte, ist den Erinnerungen WeilCuriels zu entnehmen, der als Generalsekretär des Comités fungierte und seine damalige Haltung so beschrieb: „avec toute mon ardeur, j'essayai de faire com148 149
'50
Bran an Köster (Paris), 25. 11. 1932; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Köster an Bran, 19. 12. 1932, ebenda. Association catholique de la jeunesse française, Jeunesses laïques et républicaines, Fédération des associations chrétiennes d'étudiants, Groupement universitaire franco-alle-
151
mand, Foyer international des étudiants de Paris, Etudiants jeunes-républicains. La jeunesse française pour le rapprochement franco-allemand, in: Notre Temps, 5. 7. 1931, Sp. 361f. Siehe ferner DFR 4(1931), S. 680ff.; Revue d'Allemagne, 15.8. 1931,
152
Vgl.
S. 752 ff. Art. 2 und 3 der Vereinsstatuten, abgedruckt in Notre Temps, a.a.O. Das Comité konnte sich wohl nicht zuletzt deshalb so demonstrativ über parteipolitisches Gezänk erheben, weil extreme Gruppen wie Action Française und kommunistische Jugend in seizumindest vorläufig nen Reihen fehlten. Auch im Sohlbergkreis spielten Extremisten keine ausschlaggebende Rolle. -
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/. Der Sohlbergkreis
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prendre aux Français les difficultés dans lesquelles se débattaient les Allemands, qui provoquaient chez eux des réactions qui nous heurtaient, mais qui n'étaient pas sans fondement."153 Aufmerksam registrierte die Deutsche Botschaft Paris, daß es Luchaire, der in Kreisen der linksstehenden französischen Jugend eine führende Stellung erworben habe, dem doktrinären Laizismus der radikalsozialistischen Partei jedoch wie viele seiner Altersgenossen im Grunde fremd gegenüberstehe, gelang, eine Brücke zu wichtigen Organisationen der katholischen Jugend zu schlagen. Seine Persönlichkeit, urteilte Gesandtschaftsrat Kühn, sei „eine Bürgschaft dafür, daß es bei der bloßen Gründung des französischen Jugendaus-
schusses [...] nicht sein Bewenden haben wird, und daß der ernsthafte Versuch gemacht werden wird, praktische und fruchtbare Arbeit zu leisten"154. Eine Kostprobe seines kreativen Elans hatte Luchaire schon zu Jahresbeginn gegeben. Am 18. Januar 1931 veröffentlichte Notre Temps ein Manifest „contre les excès du nationalisme, pour l'Europe et pour l'entente franco-allemande", signiert von 186 Schriftstellern, Künstlern und Gelehrten. Sie verkörperten die Elite französischen Geisteslebens der Nachkriegszeit, wie die Initiatoren voller Stolz betonten. Zu den Unterzeichnern bis April gesellten sich noch einmal 30 hinzu gehörten Marcel Arland, Julien Benda, Emmanuel Berl, Jean Cocteau, Pierre Drieu La Rochelle, Georges Duhamel, Alfred Fabre-Luce, Jean Galtier-Bossière, Jean Giono, Jean Guéhenno, Arthur Honegger, François Mauriac, André Mau-
-
rois, Jean de Pange, Jean Paulhan, Jean Prévost, Jules Romains, Georges Suarez und natürlich die gesamte Entourage von Notre Temps. In einer Stunde, da Europa die Wahl habe, sich zu organisieren oder in einer neuerlichen Katastrophe
unterzugehen, wollten sie ein Zeichen für Frieden und Ausgleich setzen; sie verurteilten Kriegstreiberei, forderten internationale Gleichberechtigung für alle Staaten und beteuerten, „que le vrai visage de la France n'est pas de haine et de guerre, mais de justice et de paix"155. Die Erklärung erregte beträchtliches Aufsehen, wurde von etlichen Pariser Zeitungen gedruckt und teilweise scharf kritisiert. Während La Volonté einen eindrucksvollen Beweis vorliegen sah, wie sehr das „Frankreich von morgen" jenem schmalspurigen Nationalismus, den gewisse Blätter unverändert hochhielten, entsage, beklagte L'Action Française eine verantwortungslose intellektuelle „Mißgeburt". Der Figaro wähnte gar eine Volkes Meinung entzweiende antifranzösische Verschwörung am Werk156. Um so größer war Luchaires Befriedigung, als am 27. Februar ein von annähernd 200 deutschen geistigen Kapazitäten getragenes Antwort-Manifest publik wurde. Der vom Berliner Pen-Club redigierte Text versicherte die französische Seite der uneingeschränkten Loyalität der Unterzeichnenden, befürwortete wärmstens gemeinsame Schrittmacherdienste für ein deutsch-französisches Rapprochement und ein ,neues Europa', bat aber auch 153 154
155
156
um
Verständnis
Weil-Curiel, Eclipse en France, S.
dafür, daß die Friedensfreunde
im Reich
124.
Kühn an Auswärtiges Amt, 18. 7. 1931; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. „Le manifeste de Notre Temps", abgedruckt in der Ausgabe vom 18. 1. 1931, Sp. 81-84; Luchaire, Histoire d'une initiative, ebenda, Sp. 85 f.; ders., Pas de temps d'arrêt dans l'oeuvre intellectuelle, in: Notre Temps, 5. 4. 1931, Sp. 529 f. Zit. nach Notre Temps, 8. 2. 1931, Sp. 210ff.
6.
Deutsch-französisches Treffen in Rethel 1931
57
einen schweren Stand hätten: Außer der allgemeinen politischen Erregung und den Parolen der Ewiggestrigen dämpften besonders die Deutschland auferlegten moralischen und materiellen Folgelasten des Krieges, die als ungerecht und untragbar empfunden würden, die Versöhnungsbereitschaft. Die Unterschriftenliste, die in den kommenden Wochen noch anschwoll, vereinte so illustre Namen wie Georg Bernhard, Rudolf G. Binding, Ernst Robert Curtius, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Otto Grautoff, Walther Mehring, Heinrich und Thomas Mann, Rudolf Olden, Adolf Reichwein, Carl Sternheim, Jakob Wassermann, Ernst Wiechert, Theodor Wolff, Carl Zuckmayer und Arnold Zweig. „D'un côté comme de l'autre la bonne foi n'est couverte d'aucun voile", resümierte Luchaire. „C'est ce que nous souhaitions."157
6.
Europäischer Geist und völkische Ideen:
Deutsch-französisches Treffen in Rethel 1931 Den Jahreswechsel 1930/31 feierten 40 Studenten des „Groupement universitaire franco-allemand" mit ihren Freunden vom Sohlbergkreis auf einer Skihütte im Schwarzwald, „sous l'impulsion d'Otto Abetz, imprésario de classe"158. Ein zweiter großer Kongreß kam dann vom 2. bis 9. August 1931 in Rethel zustande. Luchaire hatte das im Krieg stark in Mitleidenschaft gezogene Ardennenstädtchen bewußt als Tagungsort gewählt, um auf diese Weise bei seinen Gästen Verständnis
für das enorme französische Sicherheitsbedürfnis zu wecken159. Bedenken, die Retheler Bevölkerung könnte feindselig reagieren, erwiesen sich als unbegründet. „Es wurde wieder Wahrheit", so Abetz, „daß Menschen, die selbst schwerstes Leid erduldet haben, oft am wenigsten dazu neigen, aus Rachsucht anderen wieder dasselbe zuzufügen, sondern vielmehr eine große Bereitschaft zeigen, das Ihre beizutragen, damit des Leids unter den Menschen wenigstens in der Zukunft etwas weniger werde."160 Das Treffen fand in einer Landwirtschaftsschule statt und stand unter dem Motto „Französische und deutsche Jugend im Angesicht der europäischen Aufgabe". Diese Aufgabe war seit dem Sohlbergcamp gewiß nicht leichter geworden. Die deutsch-französischen Beziehungen hatten sich im Gegenteil spürbar verschlechtert. Alarmiert verfolgten die Franzosen das Geschehen im krisengeschüttelten Nachbarland, wo Konkurse und Arbeitslosigkeit, gekürzte Sozialleistungen und höhere Steuern, politisches Chaos und zermürbende Not Hitler neue 157
„Manifeste de 188 intellectuels, artistes et savants d'Allemagne en réponse au manifeste de Temps" und Stellungnahme Luchaires, in: Notre Temps, 8. 3. 1931, Sp. 369-373.
Notre
Appelle vergleichbaren 158 159 160
Zuschnitts lancierten im Krisensommer 1931 das „Comité franco-allemand d'information et de documentation" (vgl. Revue d'Allemagne, 15. 7. 1931, S. 577 ff.) und die Deutsch-Französische Gesellschaft (15. August, S. 752f). Weil-Curiel, La rencontre du Feldberg, in: Notre Temps, 8. 2. 1931, Sp. 247f.; Sohlbergkreis I, S. 2. So Abetz' Darstellung als Zeuge im Luchaire-Prozeß; Les procès de collaboration, S. 488. Abetz, Das offene Problem, S. 30.
/. Der Sohlbergkreis
58
Wähler in Scharen zutrieben. Anläßlich der Reichstagswahl am 14. September 1930 entlud sich eine „sechzigmillionenfache Mischung aus Besorgtheit, Unruhe, Müdigkeit, Ratlosigkeit, Widerwillen, Erbitterung und Hysterie"161. 107 Mandate, statt der bisherigen zwölf, kürten die NSDAP zur zweitstärksten Fraktion im Parlament; auch andere Flügelparteien legten kräftig zu. Im März 1931 entbrannte zwischen Paris und Berlin eine hitzige Kontroverse um den Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion, der als Präludium für einen politischen Anschluß der Alpenrepublik beargwöhnt wurde und selbst gestandene Männer des Ausgleichs wie Briand erzürnte162. Damit nicht genug: Eine Erklärung der Regierung Brüning vom 5. Juni, daß die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Reiches „gebieterisch zur Entlastung Deutschlands von untragbaren Reparationslasten" zwinge163, läutete die letzte Runde im Kampf um die Beseitigung der Kriegsschulden ein. Gegen den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Hoover, der den Europäern am 20. Juni ein Feierjahr für alle zwischenstaatlichen politischen Zahlungen offerierte, sträubten sich die Franzosen mehrere Wochen lang ein Zeitverlust mit fatalen Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft, die von massiven Kapitalabzügen des Auslands beinahe stranguliert wurde164. Seit längerem schließlich schwelte der Streit um die deutsche Forderung nach mehr Gleichberechtigung in der Rüstung165. Daß der Retheler Kongreß ungeachtet solcher Spannungen zustande kam, unterstreicht den guten Willen der Teilnehmer. Gar mancher habe sich gefragt, „ob es denn überhaupt noch einen Sinn macht, irgend etwas von einer Aussprache mit Frankreich zu erwarten", vermerkt ein zeitgenössischer Bericht166. Die untereinander geknüpften Bande waren der äußeren Belastung jedoch gewachsen. Immerhin aber hielt Abetz es für angebracht, das Auswärtige Amt vorab um Instruktionen zu ersuchen, wie sich die Reichsregierung eine Neuordnung Europas vorstelle, damit man den Franzosen „nichts Falsches" sage167. Diese Rückversicherung ist einmal auf die stürmische politische Großwetterlage zurückzuführen, in der jede Unbotmäßigkeit amtliche Sanktionen auslösen konnte. In seiner Begrüßungsansprache in Rethel berichtete Abetz von materiellen und psychologischen Hürden, die seine Kameraden und er vor der Abreise nach Frankreich zu nehmen hatten; so sei man nur mit Mühe um eine unlängst verfügte drastische Erhöhung der Visagebühren herumgekommen168. Zum zweiten erscheint die Anfrage be-
Der linksliberale Publizist Leopold Schwarzschild, zit. von Schulze, Weimar, S. 326. Vgl. J. Curtius, Bemühung um Österreich; Hauser, Der Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion; Rödder, Stresemanns Erbe, Kap. VII; Schulz, Von Brüning zu Hitler, S. 298 ff., der das gesamte Krisengeschehen detailliert und die verschiedenen Ereignisstränge in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten darstellt. 163 Abgedruckt in Schulthess' 1931, S. 120 f. 164 Helbich, Reparationen. Vgl. 165 Hierzu Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit. 166 Deutsch-französisches Jugendtreffen in Rethel (Ardennen), in: Hochschule und Ausland 161
162
(November 1931), S. 19. an Auswärtiges Amt, 31. 7. 1931 eine auffallend kurzfristige Anfrage zit. bei Bündische Jugend, S. 102. Eine Antwort wurde nicht ermittelt. Hardenberg, 168 Notre Temps, 16.-23.8. 1931 (Rethel-Sonderheft), Sp. 605f. Am 27. Juli, eine knappe 9
167
Abetz
,
-
Woche
vor
-
Tagungsbeginn, schrieb Walter Strauss an Nora Gunzert aus Düsseldorf, die
6.
Deutsch-französisches Treffen in Rethel 1931
59
zeichnend für den persönlichen Stil des Bittstellers wie für einen augenfälligen strukturellen Wandel. Der Sohlbergkreis war nicht mehr jener verschworene, außerhalb Karlsruhes so gut wie unbekannte Zirkel von 1930, sondern auf dem besten Weg, sich einem landesweiten Publikum als Forum für deutsch-französische Begegnungen zu empfehlen. Mitgliederstarke Studentenverbände und Gruppen der Bündischen Jugend, etablierte zwischenstaatliche Organisationen und oberste Reichsbehörden nahmen inzwischen Notiz und Anteil an den Aktivitäten. Das setzte den Kreis verstärkt äußeren Einflüssen aus, zumal Abetz erklärtermaßen „die der jungen Generation gemeinsame Haltung [...] wahren" und zum Ausdruck bringen wollte169, ein Ziel, das ohne Berücksichtigung mächtiger weltanschaulicher Strömungen in Deutschland, an erster Stelle Revisionismus und völkisches Gedankengut, schwerlich zu realisieren war. Die Art, wie Abetz sich mit diesen politischen und geistigen Gegebenheiten arrangierte, ja identifizierte, verleiht seiner ursprünglich eher emotional begründeten Mittlerrolle schärfere, zunehmend von rechten Ideologien bestimmte Konturen. Das rege Interesse an der Retheler Tagung mußte ihn freuen. Gleich zwei Dutzend zum Teil namhafte Organisationen aus dem Reich waren dort vertreten170. Nimmt man die französische Delegation hinzu, die ebenfalls viele tausend Landsleute repräsentierte, entsteht bei oberflächlicher Betrachtung leicht der Eindruck einer breitangelegten, rasch anschwellenden Verständigungsbewegung in beiden Ländern, die der erst vor Jahresfrist ergriffenen Karlsruher Initiative ein glänzendes Zwischenzeugnis ausstellt. Scheinbar folgerichtig wurde die Zusammensetzung der Retheler Runde denn auch als „Fortschritt" gegenüber dem Sohlbergtreffen gepriesen, das noch überwiegend individuell interessierte Teilnehmer ohne Mandat vereint hatte171. Der primär informelle Charakter, der wie das nach jugendbewegter Manier zelebrierte Gemeinschaftserlebnis entscheidend zum harmonischen Verlauf des Schwarzwaldcamps beitrug, war freilich, wie sich bald herausstellte, dahin. Zwar schwärmen die vorliegenden Berichte von vielfältigen persönlichen und kulturellen Kontakten, doch wurden diese überlagert von inhaltlich scharfen Kontroversen in außenpolitischen Fragen, die fast ausnahmslos um
iw ,7°
sich für Rethel angemeldet hatte: „Wir haben nun Mitteilungen aus Berlin und Frankfurt, ebenso in Karlsruhe, daß die Ausreisegebühr von RM. 100- von Campteilnehmern nicht bezahlt werden braucht." Es folgten genaue Instruktionen, was zu tun wäre, sollten die Düsseldorfer Behörden bei der Visumausgabe Schwierigkeiten machen (Kopie des Briefes aus Privatbesitz Bran beim Verf.).
Sohlbergkreis I, S. 2. Bund Deutscher Jugendvereine, Bund der Wandervögel und Kronacher, Mittelstelle deutscher Jugend in Europa, Neudeutschland, Sozialistische Jugend, Reichsausschuß Deutscher Jugendverbände, die Arbeitsgemeinschaften der Karlsruher, Stuttgarter und Württembergischen Jugendbünde, Christdeutscher Bund, Kinderfreunde, Leuchtenbergkreis, Reichsverband der Windthorstbünde, Turnerjugend, Wandervogel, Akademi-
Auslandsstelle, Deutsch-Französische Gesellschaft, Deutsch-Französisches Studienkomitee, Deutsche Studentenschaft, Deutscher Studentenverband, Deutsches Studentenwerk, Deutsche Studienstiftung, Frauenliga für Frieden und Freiheit, Politische Gesellschaften deutscher Hochschulen, Zentralverband der Angestellten. Teilnehmerliste sche
•71
in Notre Temps, 16.-23. 8. 1931, Sp. 603 f. Deux jeunesses en présence, a.a.O., Sp. 601.
60
/. Der Sohlbergkreis
deutsche Gravamina kreisten. Aller demonstrativen Verständigungsbereitschaft zum Trotz brachen latent vorhandene Gegensätze auf, sattsam bekannte Klischees erschwerten den Dialog. Weder waren die Deutschen gewillt, den Status quo in Europa länger zu ertragen, noch mochten die Franzosen leichthin Revisionen zugestehen. Insoweit spiegelte die Tagung nur das Gezänk in den nationalen Parlamenten, im Völkerbundsrat und anderenorts wider172. Wie schon auf dem Sohlberg referierten Angehörige beider Nationen über Einzelfragen. Danach wurde im Plenum diskutiert. Die ersten Redner suchten noch eine euphorische Stimmung zu erzeugen oder hielten sich vornehm bedeckt wie André Berge, der den „tiefen Wunsch nach europäischem Geist" in Frankreich betonte und meinte, das wahre Problem liege zunächst in der Anpassung von Denkweisen und Überzeugungen173. Rasch zeichnete sich indessen ab, was die deutschen Gäste sehr zum Verdruß ihrer Gastgeber umtrieb: Friedrich Bran zitierte Hans Freyers Satz „Frei ist der Mensch, wenn er in seinem Volk frei ist, und dieses in seinem Raum"174 und appellierte an Frankreich, Europa dadurch zu dienen, „daß es die Not und die ewige Bestimmung des Deutschtums versteht". In den Forderungen nach Anschluß und Gleichberechtigung deutscher Minderheiten liege „die deutsche in der europäischen Aufgabe einbeschlossen"175. Gustav Mittelstraß konstatierte, daß im Reich eine beispiellose Enttäuschung über die Chancen internationaler Kooperation Platz greife, was eine allgemeine Steigerung des Nationalgefühls und eine Besinnung auf das Volkstum im In- und Ausland zur Folge habe176. Klartext redete auch der Geschäftsführer des Reichsausschusses deutscher Jugendverbände, Hermann Maaß. Er erläuterte den Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise und politischem Extremismus. Junge Menschen in Deutschland neigten in besorgniserregendem Ausmaß dazu, sich kollektiven Ideen zu unterstellen; die individualistische, vorwiegend kulturpolitisch orientierte Jugendbewegung sei am Ende. „Damit ist aber die Gefahr verbunden, daß man die geistige Bildung und Verantwortlichkeit des Einzelnen vergißt." Die fragwürdigen französischen Reparationsansprüche leisteten radikalen Tendenzen
172
Die Tagung von Rethel ist dokumentiert in: Notre Temps, 16.-23. 8. 1931, Une exploration psychologique franco-allemande; Sohlbergkreis I, S. 7-15; Benz, Deutsch-französisches Jugendtreffen in Frankreich, in: DFR 4 (1931), S. 782-785; Hochschule und Ausland 9 (November 1931), S. 19 f.; Berge, Après le congrès de Rethel, in: Notre Temps, 20./27. 9. 1931, Auszüge in deutscher Übers, in Hochschule und Ausland 10 (Mai 1932), S. 22-27; G. M. (i.e. Gustav Mittelstraß), „Deutsch-französisches Jugendtreffen in Rethel, 2.-9. August 1931" (masch. Aufzeichnung), Adjb, A 168/1; Weise, Deutsch-französisches Jugendtreffen in Rethel, S. 60-63, ein spätes, zur Verklärung neigendes Zeugnis eines Dabeigewesenen („Es waren Tage der Fülle; die Entdeckung von Freunden von jenseits der Grenzen ergriff uns wie ein Rausch [...] Wir waren bewegt, viele von uns wurden für das Leben gewandelt."); siehe ferner Abetz, Das offene Problem, S. 30-32; Hardenberg, Bündische Jugend, S. 104-109; Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 119-125;
Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 59-63.
Sohlbergkreis I, S. 14. Revolution von rechts, S. 69. Vgl. Freyer, 175 I, S. 15. Sohlbergkreis i™ 173
Zit. nach
174
Ebenda, S.
13.
6.
Deutsch-französisches Treffen in Rethel 1931
Vorschub; gerade Jugendliche empfänden die Zahlungen als
61
pure
Erpressung,
nicht als Wiedergutmachung177. Nicht nur in diesem Punkt stimmte der Sozialist Maaß178 mit dem rechtsstehenden Außenamtsleiter der Deutschen Studentenschaft, Walther Reusch, überein. Der nahm ebenfalls kein Blatt vor den Mund und prangerte die in seinen Augen skandalöse Tatsache an, daß die deutschen Gelder nicht zur Behebung von Kriegsschäden, sondern zur Tilgung alliierter Schulden bei den Vereinigten Staaten verwendet würden: „Das ist nicht mehr Reparation, sondern Tribut!" Er verlangte Expansionsmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaft in Südosteuropa und als „Grundbedingung für jede ernste Zusammenarbeit" den Widerruf der These von der deutschen Alleinschuld am Krieg. Den Volkstumsgedanken bemühend, hielt er es für angezeigt, deutsche Minderheiten entlang der Reichsgrenzen mit dem Mutterland zu vereinigen und Deutschstämmigen in weiter entfernten Gebieten kulturelle und korporative Autonomie zu gewähren. Ein sofortiger Anschluß Österreichs sei nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen zwingend geboten. Reusch und andere beteuerten, das seien „wahrhaft europäische Vorstellungen"179, ernteten jedoch energischen Widerspruch. „Fast geschlossen", so der Korrespondent einer regionalen Tageszeitung, sträubte sich das Empfinden der französischen Zuhörer gegen die vorgebrachten völkischen Theorien, die sich politischer Ratio zu entziehen und von ei-
Flutwelle des Nationalismus zu künden schienen180. Allen voran Pierre Brossolette die Gäste davor, ihren „Dynamismus" auf eine bloße Restauration der Vergangenheit und die Rückeroberung alter Grenzen zu richten. Speziell das Volkstumsprinzip tauge nicht als Fundament einer fruchtbaren Kooperation, es werde von den meisten Franzosen als bedrohliches Hegemonialstreben gedeutet. Frankreich und Deutschland sollten sich besser auf ein wahrhaft schöpferisches Programm verständigen und die europäische Union verwirklichen, samt Rüstungskonvention und Schiedsgericht. Mit einem solchen Instrumentarium wären übertriebene Härten des Versailler Vertrages dann leicht zu korrigieren181. Ein Kompromiß zwischen beiden Modellen wurde nicht gefunden. So blieb dem spürbar enttäuschten Jean Luchaire nur übrig, die Versammelten fast flehentlich zu bitten, die Suche nach einem gangbaren Mittelweg entschlossen fortzusetner neuen
warnte
177
Ebenda, S. 9.
Hermann Maaß (Jg. 1897) entstammte der zur SPD gehörigen Sozialistischen Arbeiterjugend, die sich für die Weimarer Republik engagierte und führend am Reichsausschuß der deutschen Jugendverbände beteiligte. Nach 1933 stieß er zum Widerstand. Im Oktober 1944 wurde er in Plötzensee hingerichtet. 179 Sohlbergkreis I, S. lOf. 180 Nord-Est, 8. 8. 1931. Neis' Erinnerungen stützen diese Beobachtung: „Le congrès est décevant. Les Allemands, intarissables, ne répondent pas aux questions des Français et semblent déjà gagnés par un nationalisme exacerbé." Fragments, S. 118. 'gl Sohlbergkreis I, S. llf. Luchaire hatte schon auf dem Sohlberg eine „Entwertung der Grenzen" („dévalorisation des frontières") gefordert. Er dachte an eine Bereinigung von Grenz- und Territorialfragen im Rahmen einer europäischen Föderation, die allein imstande wäre, die geistige und politische Freiheit nationaler Minderheiten zu sichern. Vgl. Notre Temps, 10. 8. 1930, Sp. 356. •78
62
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Hierbei müßten beide Seiten zu Abstrichen an ihren Idealvorstellungen bereit sein; niemand dürfe sich darauf versteifen, Europa exklusiv nach eigenem Gusto gestalten zu wollen. Die Deutschen stünden in der Pflicht, ihre fatale germanische Egozentrik zu überwinden, betonte er mit mühsam gezügeltem Unmut; gefragt sei ein höherer, kontinentaler Patriotismus. Seinen Landsleuten empfahl er, Deutschlands unmittelbaren Bedürfnissen in schwerer Zeit vermehrt Beachtung zu schenken und dem Eindruck entgegenzuwirken, Frankreich sinne nur auf eine wohlfeil verpackte Kopie der ungerechten, hastig improvisierten Regelungen von 1919. Um einen versöhnlichen Ausklang bemüht, konzedierte er den rechtsrheinischen Nachbarn, Niederlage, Besetzung und Inflation hätten sie verständlicherweise gegen demokratische und ökonomische Gepflogenheiten des Westens eingenommen. Getrieben von derselben inneren Unruhe und gleichermaßen unzufrieden mit den herrschenden Verhältnissen, müsse die junge Generation beider Länder jedoch über alle zeitweiligen Meinungsverschiedenheiten hinweg Solidarität üben182. Auch Abetz beschwor die Anwesenden, an einem Strang zu ziehen. Er verknüpfte seinen Appell mit düsteren Prophezeiungen, die Besorgnis ob der Ungewissen Entwicklung wie auch anderseits eine unterschwellige Tendenz erkennen lassen, die französischen Gesprächspartner moralisch unter Druck zu setzen. Gelinge es nicht, die Regierenden in Paris und Berlin auf Verständigungskurs zu zwingen, drohe eine gefährliche Zuspitzung der Lage. Gewännen Nationalisten oder Kommunisten die Oberhand im Reich, würden sie das Geschehen auf unabsehbare Zeit bestimmen. „Nous sommes prêts à créer un homme nouveau: le jeune Européen", behauptete Abetz, schränkte aber sogleich ein, für die krisengeschüttelten Deutschen bedeute europäische Zusammenarbeit zunächst eine wirtschaftliche Notwendigkeit, wohingegen sie sich außerstande sähen, die weitgreifenden politischen Visionen der französischen Freunde im gewünschten Tempo zu konkretisieren183. Die Euphorie war gewichen, der Traum von einer jugendlichen Internationalen, die unwiderstehlich das Tor in eine bessere, gemeinsame Zukunft aufstößt, erst einmal zerplatzt. Vor dem Hintergrund wachsender internationaler Spannungen traten nationale Befangenheiten auch in diesem vorgeblich progressiven Kreis akzentuiert in Erscheinung, besonders auf deutscher Seite184. Die gelöste Aufbruchstimmung des Sohlbergcamps blieb Episode die in Rethel versammelten Franzosen, unter ihnen kritische Analytiker wie Robert Aron und Philippe Lamour, ferner Pierre Viénot, der gerade ein Buch über die „incertitudes allemandes" veröfzen.
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184
Luchaire, „Discours final" (9. 8. 1931), in: Notre Temps, 16.-23. 8. 1931, Sp. 654-662. „Discours final d'Otto Abetz", ebenda, Sp. 651-654. Etlichen, auch neutralen Beobachtern erschien diese Form bilateraler Kommunikation dennoch unvermindert richtungweisend. Der päpstliche Osservatore widmete dem Retheler Treffen einen ausführlichen Bericht und kommentierte, die Gespräche hätten das gegenseitige Verständnis bestmöglich gefördert und die einer Annäherung entgegenstehenden Hindernisse aufgezeigt. Nach Einschätzung des französischen Geschäftsträgers beim Heiligen Stuhl, Gentil, stellte die Veröffentlichung nicht zuletzt eine Ermahnung an die faschistischen Machthaber in Rom dar, die Italiens Jugend mitnichten zur Völkerverständigung erzögen. Gentil an Briand, 18. 8. 1931; MAE, Europe 1918-1940, Allemagne 739.
6.
Deutsch-französisches Treffen in Rethel 1931
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fentlicht hatte185, schwankten zwischen Erstaunen und Entsetzen über den dezidiert revisionistischen, der regierungsamtlichen Linie verhafteten Standpunkt der Gäste, den sie in solch geballter Konsequenz nicht akzeptieren mochten186. Die deutschen Konferenzteilnehmer ihrerseits monierten mangelnde Sensibilität für den Volkstumsgedanken. Erich Benz, künftiger Leiter des deutsch-französischen Schüleraustauschdienstes, verstieg sich in die dümmliche Folgerung, der Franzose besitze eben „kein nennenswertes Rasseempfinden, wie er ja auch dem Eindringen fremden, farbigen Blutes, im Süden des Landes beispielsweise, kaum einen Widerstand entgegensetzt"187. Hier artikulierte sich ein Überlegenheitsdünkel, der menschenverachtende Trennlinien zog. Otto Abetz hatte sich von den lauter gewordenen Revisionsforderungen nicht distanziert. Er teilte sie im Grundsatz und versuchte, sie mit der deutschen Not zu erklären. Bemüht, den Dialog aufrechtzuerhalten und einen friedlichen Wandel zu fördern, lag ihm daran, französische Befürchtungen zu zerstreuen, der in Rethel massiv herausgekehrte Volkstumsgedanke künde von einer neuen nationalistischen Bedrohung. Erste Gelegenheit zur Beschwichtigung bot Ende August eine dreitägige Zusammenkunft von Mitgliedern des Sohlbergkreises mit vierzehn französischen Studenten und Dozenten, die als Vertreter des Weltstudentenwerks Deutschland bereisten. Abetz nutzte die Aussprache auf dem Kniebis im Schwarzwald, um das Verhältnis der Jugendbewegung zum Volkstumsbegriff und die damit verbundenen inhaltlichen Vorstellungen zu erläutern. Sein Vortrag, zwei Wochen später in französischer Übersetzung von Notre Temps abgedruckt und auf diese Weise einem größeren Publikum zugänglich gemacht, war der idealisierenden Leitidee einer organisch gegliederten „Volksgemeinschaft" verpflichtet, die in den Bünden beispielhaft vorgelebt werden sollte, auf einer im Wortsinne erwanderten Liebe zu Heimat und Brauchtum fußte und sich durch ihren im Kern apolitischen Ansatz grundlegend von den aggressiven Blut- und Bodentheorien völkischer Agitatoren unterschied188. Autonomiestreben und erzieherische Impulse der Wandervogelzeit, so Abetz, besäßen für die Bündischen nach wie vor Gültigkeit. Mehr noch: dieser Geist, wichtiges Charakteristikum der neuen Hinwendung zum Volkstum und zugleich potentieller Schrittmacher einer deutschfranzösischen Annäherung, habe sich ausgebreitet und selbst junge Nationalsozialisten vereinnahmt189. Die letzte Behauptung, die im Rückblick wie ein frühes Beispiel irreführender Verharmlosung des Nationalsozialismus aus seinem Munde 185 186
Viénot, Incertitudes allemandes. Das Buch wurde umgehend ins Deutsche und Englische
übersetzt. Während einer Diskussion brauste Luchaire auf, die Deutschen hielten an imperialistischem Gehabe fest, während sich seine Landsleute größte Mühe um eine verantwortungsbewußte Gestaltung der künftigen Beziehungen gäben; Notre Temps, 16.-23. 8. 1931, Sp. 650. Mittelstraß nannte drei Faktoren für das Auftreten der deutschen Delegation: „Unsicherheit des Lebensgrundes, grenzenlose Enttäuschung in allen Fragen, die den Völkerbund betreffen, und das Erlebnis des Volkstums"; „Deutsch-französisches
Jugendtreffen", pag. 2.
Benz, Deutsch-französisches Jugendtreffen, S. 783. Raabe, Bündische Jugend, S. 115 ff. Vgl. '89 Abetz, Mouvement de jeunesse et „Volkstum", in: Notre Temps, •87 188
13. 9.
1931, Sp.
78-80.
/. Der Sohlbergkreis
64
bezog ihren Optimismus möglicherweise aus der Tatsache, daß sich die HJ respektive der NS-Schülerbund auf sein Betreiben hin seit 1927 an Aktivitäten und Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde beteiliganmutet,
ten190.
Das nächste Heft des Sohlbergkreises faßte die Diskussion im Anschluß an Abetz' Referat zusammen. Trotz seiner zuversichtlichen Aussagen sparten die französischen Gäste nicht mit kritischen Fragen. Unvermindert besorgt, am „Volkstum" könnte sich ein gefährlicher Nationalismus entzünden, regten sie an, doch besser nach französischem Vorbild in „europäischen" Kategorien zu denken. Die Antworten der Gastgeber dokumentieren einmal mehr, wie sehr Vergangenheit und krisenhafte Entwicklungen auch auf jungen Leuten lasteten, die erklärtermaßen anders als ihre Väter miteinander umgehen wollten, und sie in ihrer Argumentation festlegten. Volkstümliches Empfinden sei „natürlich und gut", insistierte ein von dem Chronisten als „linksradikal" eingeschätzter Teilnehmer; „es entartet erst, wenn der Kapitalismus den Bazillus Nationalismus in die natürliche Liebe des Volkes zu seiner Heimat und Eigenart hineinpflanzt und sie für seine Zwecke und Kriege mißbraucht". An anderer Stelle wurde zwar eine Tendenz zu Übertreibungen eingeräumt, zugleich aber unmißverständlich betont, daß Deutschlands Jugend sich und ihr Volk den saturierten Nachbarn gegenüber in der Rolle des „Proletariers" sehe, dem nur ein leidenschaftliches „Klassen-", sprich Nationalbewußtsein dazu verhelfen könne, „den notwendigen wirtschaftlichen Lebensraum und die politische Gleichberechtigung zu erlangen". Dieses Bewußtsein werde sich solange steigern wie die deutsche Not. Nicht zuletzt die Parabel vom europäischen Klassenkampf entlarvte den beflissen idealisierten Volkstumsgedanken als ideologische Stütze des Revisionismus191. Drei weitere Beiträge im Dezemberheft des Sohlbergkreises versuchten ein brisantes Thema aufzuarbeiten, vermochten indes die spezifisch ausgeprägte deutsche Staatsauffassung des „Volkes", basierend auf identischer Herkunft und Sprache, „Wesensverwandtschaft" und „Eigenart", und die französische von der „Nation", gegründet auf einheitliche Lebensform, Bildung und politische Geschichte, ebensowenig in Einklang zu bringen wie die Diskussionszirkel in Rethel und auf dem Kniebis192. Das Zeitgeschehen war eher geeignet, Vorbehalte und Vorurteile zu schüren, anstatt sie abzubauen. Konnte ein .guter Deutscher' auf den Anspruch der Gleichberechtigung, ein ,guter Franzose' auf die Erfüllung seiner Sicherheits-
Darstellung von 1937 „zum Vorwurf, vor der Machtergreifung aktiver Gegner des Nationalsozialismus gewesen zu sein"; BDC/Abetz, von Abetz für ein SS-Verfahren
190
So Abetz'
191
Vom
192
zusammengestelltes Entlastungsmaterial, Aufzeichnung lila. Kniebistreffen, in: Sohlbergkreis II, S. 11-13.
Friedrich Bran versicherte unverdrossen, deutsches Volkstum in Europa kennzeichne in erster Linie eine kulturelle und soziale Schicksalsgemeinschaft, politischer Anschluß aber werde nur dort gefordert, wo die Reichsgrenzen unmittelbar tangiert wären; ebenda, S. 5-8. Louis Dumat, junger Pariser Abgeordneter und Mitglied der rechtsgerichteten Jeunesses Patriotes, bestätigte, daß etliche deutsche Manifestationen in Frankreich als neue Anzeichen von Pan-Germanismus gewertet würden; S. 3 f.; François Berge wünschte sich eine „vom Bewußtsein der allgemein menschlichen Verbundenheit" getragene
Ergänzung von Heimatliebe und Zugehörigkeitsgefühl zu Europa; S. 8-11.
7. Die Mainzer
65
Tagung 1932
bedürfnisse verzichten? Schlössen Glück und Größe des einen Vaterlandes Geltung und Selbstbehauptung des anderen ein für allemal aus? Gerade die junge Generation beider Länder, so Abetz, habe „wegen der ehrlichen Sympathien, die sich zwischen ihr bereits über die Grenzen gebildet hatten, das Unausweichliche, die Tragik und Gefährlichkeit dieser Fragestellung" empfunden193.
7.
Einen weiteren
Rückzug in nationale Bastionen: Die Mainzer Tagung 1932
Dämpfer
erlitten die
Vermittlungsbemühungen
später, beim dritten Kongreß des Sohlbergkreises
vom
sieben Monate
21. bis 26. März 1932 in
Mainz. Rund 100 Teilnehmer stiegen in der Karwoche zur alten Zitadelle hinauf, bis 1930 Quartier für französische Besatzungstruppen, nun Sitz eines Instituts für Völkerpädagogik und Begegnungsstätte194. Die Leitung des Treffens oblag Friedrich Bran und Abetz, der am Schlußtag seinen 29. Geburtstag feierte, Anlaß für Cecil Mardrus, seine Verdienste um die deutsch-französische Verständigung in einer beschwingten Laudatio zu würdigen195. An der Spitze der französischen Delegation stand François Berge, seinerzeit Lektor an der Universität Heidelberg. Jean Luchaire mußte wegen einer schweren Erkältung auf die Teilnahme verzichten; sein mitreißender, Mißklänge zudeckender Enthusiasmus fehlte allenthalben. Erneut ging es um die politische, wirtschaftliche und kulturelle Lage in beiden Ländern, doch von Harmonie konnte kaum mehr die Rede sein. Das Bemühen einzelner um Sachlichkeit wurde immer wieder durch den Radikalismus anderer durchkreuzt. Das lag zum einen an der vermehrten Anwesenheit rechtsextremer Kräfte Action Française, Jeunesses socialistes nationales (Hervé-Jugend) und erstmals auch Vertreter von HJ und NSDAP196 -, die mit den „Weltbürgerlichen" zankten, ein Gegensatz, der sogar landsmannschaftliche Fronten sprengte: Einer Kranzniederlegung zu Ehren Stresemanns wohnten französischer- wie deutscherseits fast ausschließlich Angehörige linksgerichteter Verbände bei, während die -
193
Abetz, Das offene Problem, S. 32.
Ursprünglich war Aachen als Tagungsort vorgesehen. Die Veranstalter des Sohlbergkreises sprachen von 120, Walther Reusch nur von etwa 80 Gästen. Die Tagung ist ausführlich dokumentiert in Sohlbergkreis III-IV (Mai 1932), einem Doppelheft, das auf 32 Seiten Vorträge und Diskussionen zusammenfaßt, und in einer Spezialausgabe von Notre Temps, 3.-10.4. 1932. Siehe ferner: Hartmann, Die Jugend baut Brücken, in: DFR 5 (1932), S. 367-369; Reusch, Drittes deutsch-französisches Treffen des Sohlbergkreises, in: Hochschule und Ausland 10 (Mai 1932), S. 14-20; Roßmann, Deutsch-französische Jugendaussprache. Die Arbeit des Sohlbergkreises, in: Kölnische Zeitung, 18.4. 1932; Abetz, Das offene Problem, S. 32 ff.; Hardenberg, Bündische Jugend, S. 109 ff.; Tiemann, S. 125 ff.; Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 65 ff. Jugendbeziehungen, 195 Notre 3.-10. 4. 1932, Sp. 495. Temps, 196 J\jeu dabei waren auf deutscher Seite außerdem: Reichsverband deutscher Zentrumsstudenten, Hochschulgruppe der Deutschen Volkspartei, Deutsche Freischar, Quickborn, Neudeutschland, Katholische Weltjugendliga, Bund religiöser Sozialisten, Deutsche Turnerschaft, Deutsch-französischer Arbeitskreis für Wirtschaftspolitik; vgl. ebenda, i94
Sp. 442.
/. Der Sohlbergkreis
66
rechten Flügel beider Delegationen grenzübergreifend Kampfstellung gegen „Pazifisten" und „Internationalisten" bezogen197. Zugleich stand auch dieser Kongreß ganz im Zeichen der Weltwirtschaftskrise198, die immer katastrophalere Auswirkungen besonders in Deutschland zeitigte, was den Ruf nach Revisionen noch lauter erschallen und Meinungsverschiedenheiten noch schärfer hervortreten ließ. Unter solchen Bedingungen setzte sich der schon in Rethel deutlich gewordene „Rückzug in nationale Bastionen"199 fort, eine Entwicklung, die namentlich den Deutschen geradezu als ein Gebot der Stunde erschien. „Die außenpolitische Haltung Deutschlands muß einheitlich sein", postulierte im Anschluß an die Tagung das von Abetz redigierte Vereinsorgan Sohlbergkreis und signalisierte unmißverständlich, daß transnationale Begegnungen inzwischen auch von diesem Zirkel primär als Bühne für die Zurschaustellung und Abgrenzung deutscher Interessen begriffen wurden. Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Angehörigen eines anderen Landes, so hieß es, verlange „nicht nur ehrliche Gesinnung, sondern klare Erkenntnis der eigenen Artung und des Eigenrechts jeder Nation"200. Die Betonung verbindender Elemente verblaßte demgegenüber mehr und mehr und vermochte für den Augenblick keine wesentlichen Impulse mehr zu geben. Die getreuen Partner von Notre Temps, mit Briands Tod am 7. März ihres Mäzens und geistigen Mentors beraubt, hatten zwar unverdrossen an der Vision einer europäischen Union auf der Grundlage eines deutsch-französischen Ausgleichs festgehalten und sich auch durch massive Vorbehalte skeptischer Landsleute nicht davon abbringen lassen, den Dialog fortzusetzen, doch trauerten sie besseren Zeiten nach: „On ne chanta guère [...] Nous étions loin de Rethel ou du Sohlberg", resümierte Leitartikler Claude Bordas mit nostalgisch verklärtem Blick zurück. Immerhin, so tröstete er sich und seine Leser, bestünden allen politisch-ideologischen Gegensätzen zum Trotz „liens profonds et intimes"; darüber hinaus habe sich die junge Generation in Mainz zumindest unverstellt und in ihrer ganzen Komplexität offenbart201. Die französischen Tagungsgäste mußten sich den offenen Vorwurf gefallen lassen, ihre Regierung schüre durch einen „brutalen" Wirtschaftskrieg Not und Anarchie im Nachbarland, „mit dem Ziel einer vollkommenen Lahmlegung von Wirtschaft und Handel"202. Eindringlichen Schilderungen des sozialen Elends und der gefahrvollen politischen Zuspitzung im Reich folgten, mehr oder weniger moderat formuliert, die bekannten Forderungen nach Streichung der Reparationen und nach wirtschaftlichen Einflußzonen in Südosteuropa. Hermann Maaß machte deutlich, daß Deutschlands Jugend ungeachtet der Frage der Zahlungsfähigkeit nicht länger gewillt sei, Verpflichtungen nachzukommen, „für die sie in197
198
Vgl. Abetz, Das offene Problem, S. 33. „Le Congrès fut dans l'incapacité absolue et compréhensible de se détacher du fait primordial de la crise", ters; Léon-Marie
199
2°° 201 202
so das um Wohlwollen bemühte Urteil eines französischen BeobachBrest, Mayence, Pâques 1932, in: Notre Temps, 3.-10. 4. 1932, Sp. 445.
Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 130. Sohlbergkreis III-IV, S. 4. Claude Bordas, Une seule jeunesse, in: Notre Temps, Sp. 439 ff. Diskussionsbeitrag von Edmund Holdmann, nach eigenem Bekunden nalist"; Sohlbergkreis, S. 12.
„extremer
Natio-
7. Die Mainzer
Tagung 1932
67
nerlich sich nicht verantwortlich fühlt"203. Cecil Mardrus, der unterstrich, daß „die Franzosen die Deutschen nicht mehr zwingen [können], bezahlen zu wollen", und die Vertreter der Jeunesses socialistes nationales zeigten in diesem Punkt Entgegenkommen; letzte vermeldeten sogar in territorialer Hinsicht und auf dem Rüstungssektor Kompromißbereitschaft204. Für Aufregung sorgte dagegen Walther Reuschs Ansinnen, im Zuge einer „konstruktiven Revision" müsse Paris der bodenständigen deutschen Kultur im Elsaß „ungehinderte Entwicklungsmöglichkeit" garantieren. Allemal befremdlich für französische Ohren klang seine Begründung, in Deutschland unterscheide man zwischen „staatlichem Bewußtsein" und einem „Gemeinschaftsbewußtsein als Volk, als historisch gewachsene, kulturelle Einheit, die von altersher über die staatlichen Grenzen hinausreichte" und zu welcher eben auch das Elsaß gehöre205. Obwohl Reusch die nachbarlichen Grenzen im selben Atemzug für unverletzlich erklärte, beschuldigte ihn ein französischer Zuhörer sofort des Pangermanismus. Andere waren auf Nachfragen von Abetz zwar bereit, sich bei den zuständigen Stellen gegebenenfalls für den Erhalt deutschen Kulturgutes zu verwenden, insistierten aber, daß es sich grundsätzlich um eine rein innerfranzösische Angelegenheit handele206. Erneut erschwerten Vokabeln mit betont landesspezifischer Konnotation wie „Volkstum", „Nation" oder „sécurité", für die Gegenseite verwirrend oder von vornherein negativ besetzt, eine unvoreingenommene Debatte. Definitorische Hilfestellung sollte künftig ein von François Berge angeregtes zweisprachiges politisches Glossar leisten, einer der seltenen produktiven Vorschläge während der Mainzer Tagung207. Ein Bild, das betroffen machte, zeichnete der Karlsruher Jugendpfarrer Heinz Kappes von der verzweifelten Lage junger Arbeitsloser. Der Besuch eines Arbeitslagers, das existenzgefährdete Jugendliche vor dem völligen Abrutschen bewahren sollte, unterstrich seine Ausführungen208. Der in Frankfurt lehrende belgische Sozialist und Soziologe Hendrik de Man beleuchtete Zusammenhänge zwischen ökonomischer Krise und politischem Extremismus, sozialen Ressentiments und übersteigertem Nationalismus209. Seiner Auffassung, daß der Nationalismus in wachsendem Maße den Frieden bedrohe, widersprachen sowohl deutsche als auch französische Rechtsradikale, etwa mit dem Hinweis, daß „dem wirklichen Nationalismus [...] jeder Angehörige seines Volkes zu wertvoll [ist], als daß er ihn in einem sinnlosen Krieg opfert". Auf Rüstung wollten sie freilich nicht verzichdiese Haltung, belehrte einer seine Zuhörer, resultiere „aus einem Ehrenten -
203
20" 205 206 207 208
Maaß, Ungewisses Deutschland?, ebenda, S. 7; vgl. die Ausführungen des Freideutschen
Ludwig Oppenheimer „Zum Problem der Reparationen", S. 19, ausführlich Temps, Sp. 486 ff., sowie Reusch, Drittes deutsch-französisches Treffen, S. 16. Sohlbergkreis III-IV, S. 18 f.
in Notre
Reusch, Die Revision der Friedensverträge, ebenda, S. 16 f. Ebenda, S. 18. Reusch, Drittes deutsch-französisches Treffen, S. 16. Ob das Projekt verwirklicht wurde, ist nicht bekannt. Kappes, Die Lage des
Temps, Sp. 462 ff. 209
jungen deutschen Arbeitslosen, in: Sohlbergkreis, S. 10; vgl. Notre
de Man, Über den sozialen Wandel in Deutschland; Sohlbergkreis, S. 10 f.; Notre Temps, Sp. 469 ff.
/. Der Sohlbergkreis
68
Standpunkt. Ein Mann ist stolz auf seine Kraft und ein Volk ist stolz auf seine Waffen."210 So fand denn Hans Hartmanns Vorschlag, stufenweise vorzugehen und zunächst einmal in allen Ländern die Angriffswaffen zu verschrotten, wenig Resonanz. Hartmann meinte, anschließend sollten die Regierungen zusammen mit autorisierten übernationalen Jugendgremien in gewissen Zeitabständen prüfen, ob das aktuelle Sicherheitsgefühl der Völker die Abschaffung weiteren militärischen Geräts zulasse. Ein solches Procederé böte nicht nur der Rüstungsindustrie genügend Frist, ihre Produktion umzustellen, sondern auch Spielraum, die Denkgewohnheiten der Menschen zu ändern und die mentale Abrüstung voranzutreiben211. Den hieran anknüpfenden Vorschlag eines Franzosen, eine europäische Armee als gleichsam „höhere Form der Friedenswache auf unserem Kontinent" zu bilden, begrüßte Abetz wärmstens, vorausgesetzt, das über Einsätze beschließende Kontrollorgan hätte andere völkerrechtliche Grundlagen als den Versailler Vertrag. Anderenfalls würde lediglich ein Zustand verlängert, „den wir alle als unerträglich empfinden"212. Ungebrochen war die Begeisterung, die Kultur des Nachbarlandes näher kennenzulernen. Eine Exkursion nach Frankfurt bot Gelegenheit, den dortigen Feierlichkeiten zum 100. Todestag Goethes beizuwohnen. In den Gewölben der Zitadelle wurde eine Kunstausstellung organisiert, Nachwuchsmusiker brachten eigene Kompositionen und Werke zeitgenössischer Meister zu Gehör. Eine Bücherschau präsentierte mehrere dutzend Proben schöngeistigen und zeitkritischen Schrifttums, deren Lektüre man sich gegenseitig empfahl213. Doch obschon das Lob reichlich ausfiel, taugten auch diese Aktivitäten nur bedingt, Gemeinschaftsbewußtsein zu erzeugen, geschweige die Stagnation in den politischen Debatten aufzuwiegen. Bei näherem Hinsehen sticht wiederum das Bemühen der Gastgeber ins Auge, in Konzeption und Interpretation des Dargebotenen vaterländische Tugend und Größe oder was man dafür hielt herauszukehren. Unterschiedliche künstlerische Ansätze wurden sorgsam gegeneinander abgegrenzt und als typisch für den jeweiligen Nationalcharakter gedeutet. Während die Gäste eine breite Palette moderner französischer Malerei zeigten und zu unbefangener Bewertung einluden, war eine durch zahlreiche Leihgaben ermöglichte Schau deutscher Graphik repräsentativ angelegt, bezüglich der Werkauswahl wie des didaktischen Hintergedankens: Gerade dieses Genre mit seiner „zugrunde liegenden Tendenz zum Kollektiven" fessele den deutschen Ausdruckswillen seit jeher ganz beson-
-
ders, erläuterte der Direktor des Wiesbadener Museums, Frhr. Schenk v. Schweinsberg214. Auch die deutsche Literaturauswahl, Ergebnis einer Umfrage bei Jugend- und Studentenverbänden nach den „kennzeichnendsten und maßgeblichsten" Publikationen, beanspruchte, „die Seele unseres Volkes" zu spiegeln; hervorstechende Qualifikation der Autoren sei ihr Wissen um die Not im Lande,
210 211
Sohlbergkreis, S. 12. Ebenda, S. 368.
212
213 214
S. 13 f.; Notre
Temps, Sp. 465 f.; vgl. Hartmann,
Die
Jugend
baut
Brücken,
Sohlbergkreis, S. 14f. Das kulturelle Rahmenprogramm ist zusammenfassend dokumentiert ebenda, S. 21 ff. Ebenda, S. 24 f.
7. Die Mainzer
69
Tagung 1932
„ihre Deutschheit, [ihr] Kampf gegen die hohle Phrase, ihre aufrechte und saubere
Gesinnung"215. Unter solchen Prämissen lag der Schwerpunkt bei nationalkonservativen Schriftstellern, bei geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus, Kriegserlebnis und Heimat idealisierenden Romanen216. Vergleichsweise vielseitig mit linkem Einschlag einmal mehr das französische Angebot: Unter dem vorwärts weisenden Motto „Les guides spirituels de la France de demain" wurden bevorzugt Bücher junger Autoren präsentiert, von denen etliche noch am Anfang -
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ihrer literarischen Karriere standen217. Ob politischer Diskurs oder musisch inspirierter Gedankenflug die einst leuchtende Perspektive von der ausgleichstiftenden Vorreiterrolle einer über Landesgrenzen verschworenen Jugend, die „als zukunftsgerichtete Gegenelite zu den überlebten herrschenden Mächten"218 ein neues Kapitel in den deutsch-französischen Beziehungen aufschlagen wollte, flackerte in Mainz allenfalls sporadisch auf, wenn überhaupt, dann aus französischem Munde vorgetragen219. Das hehre Ziel war viel zu weit. Die Bewegung steckte unverkennbar in der Sackgasse, drohte letztlich verkleinertes Abbild der krisenhaften Gesamtentwicklung an ideologischem Gezänk und nationalem Prestigedenken zu zerbrechen. Sensiblen Gemütern blieb dies nicht verborgen. „Vielleicht laufen auch Veranstaltungen wie die des Sohlbergkreises sich leer und sind nach einer bestimmten Zeit erschöpft", schrieb Alexander Roßmann in einem kritischen Beitrag für die Kölnische Zeitung. Er machte die schwierigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse verantwortlich, die eigentlich nur noch Versammlungen von Spezialisten sinnvoll erscheinen ließen, und orakelte, künftige Begegnungen könnten „noch mehr Versuch sein" als die Mainzer Tagung. Angesichts der „rückläufigen Bewegung, die man, vom Sohlberg ausgehend, verfolgen kann", müßten „neue Wege" gesucht, „regenerative Kräfte" zugeführt werden, „um aus dem Versuchsstadium wieder zu einer festen Form zu gelangen"220. Die Hoffnungen richteten sich vor allem auf den kulturellen Austausch, unverfänglicher als das politische Fach und stetig im Aufwind begriffen. Damit verbunden waren neuerliche Appelle, das gemeinsame zivilisatorische Erbe, das zu konstruktiver Lösung der drängenden Probleme ermahne, zu bewahren221. Im Rahmen dieser großen, verantwortungsvollen Aufgabe hätten die Tagungen des Sohlbergkreises ihren Sinn, befand Wal-
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Vgl. die einführenden Worte des Neudeutschen Rudolf Fechter, Neues für den Westen. Eine Schau noch nicht übersetzter deutscher Bücher der Nachkriegszeit, ebenda, S. 21 f.; dort auch ein Verzeichnis der ausgestellten Bücher. Notre Temps, Sp. 455 f. 216 Eine detaillierte Zuordnung nach Themen und Autoren bei Unteutsch, Sohlbergkreis, 215
217
218
S. 70 f., 262 f. Einzelheiten ebenda, S. 71 f. Ein Großteil des Kontingents wurde dem Sohlbergkreis geschenkhalber überlassen und als Grundstock für eine geplante französische Bibliothek dankbar in Empfang genommen; Sohlbergkreis III—IV, S. 32. Tiemann, Nachwuchseliten für die Verständigung?, in: Hudemann/Soutou (Hrsg.), Eliten,
Bd. 1,S. 105.
Vgl. Louis Martin-Chauffier, Clercs d'après-guerre en France, in: Sohlbergkreis, S. 26f.; Notre Temps, Sp. 476 ff. 220 Roßmann, Deutsch-französische Jugendaussprache, in: Kölnische Zeitung, 18.4. 1932. 221 So der katholische Bonner Theologe Prof. Alois Dempf, Erbe und Gegenwart, in: Sohlbergkreis, S. 31 f.; Notre Temps, Sp. 490 ff. 219
/. Der Sohlbergkreis
70
ther Reusch, wenngleich sich die Frucht dieser Arbeit erst später zeigen werde. „Man kann höchstens ihre Erfolgsaussichten beurteilen; sie bestimmen sich nach dem geistigen Einfluß, den die Anregungen eines solchen Treffens bei der Jugend des anderen Volkes haben. Es läßt sich nicht verkennen, daß solche Wirkungen vorhanden sind."222 Ein ähnlich zuversichtliches, Bergstraessers Theorie der
„kulturellen Begegnung" verpflichtetes
Art der direkten
Resümee zog Hans Hartmann:
„Diese
Kulturvergleiche hat sich als fruchtbar erwiesen und sollte überall, wo es möglich ist, in ähnlicher Weise versucht werden. Das Interesse haftet an den unmittelbaren Eindrücken noch viel lebendiger, als an den ewig wiederholten theoretischen Ausführungen"223. Aber auch der Kulturaustausch diente, wie gezeigt, zumindest den Deutschen in steigendem Maße zur Abgrenzung und Absicherung, nicht primär als Medium zur Überbrückung nationaler Positionen. Die mehrfach angemahnte „Revision der Mentalitäten"224 blieb trügerisches Stückwerk. Bedeutsamer als die Vermittlung von Fakten sei, „was wir heute Haltung nennen", betonte Walther Reusch225. Es ist nicht ersichtlich, daß Abetz sich dem Sog dieser Entwicklung, verstärkt durch innen- und außenpolitische Zuspitzungen, entgegengestemmt hätte. Ausweislich der Tagungsberichte ist er in Mainz, anders als in den Jahren zuvor, nicht mehr als charismatische, mit flammenden Appellen Eintracht einfordernde Leitfigur in Erscheinung getreten. Zwar vermochte er über den Tellerrand hinauszublicken, war Frankreich und seinen Menschen zugetan und bemüht, die Faszination des Landes anderen
zu erschließen. Der Notwendigkeit einer konstruktiven Neugestaltung der deutsch-französischen Beziehungen gewahr, hatte er sich der selbstgewählten Aufgabe verschrieben, die Öffentlichkeit für diese brennende Gegenwartsfrage zu interessieren, überspannte Ressentiments abzutragen und an gütlichen Lösungen mitzuwirken, um neuen kriegerischen Verwicklungen vorzubeugen. Im Kern aber war er Revisionist, moderat zwar und ohne Hang zur Gewalt, jedoch weltanschaulich geprägt durch seine Sozialisation in der bürgerlichen Jugendbewegung den virulenten Theorien von Volk, Raum und Führertum näher als Schranken durchbrechendem Nonkonformismus, ein Schwarmgeist und pragmatisches Einvernehmen mit der Obrigkeit suchender Stratege zugleich, parteiischer als er es sich eingestehen mochte, ein energischer Anwalt traditioneller deutscher Interessen, der, einer mächtigen Zeitströmung folgend, karrierebewußt, -
-
aber nicht frei
von Zweifeln, in nationalistisches Fahrwasser geriet. Seine gegenläufigen Anlagen begründeten einen nie überwundenen Zwiespalt des Handelns und der erzielten Wirkung, obschon seine subjektive Weltsicht alle Widersprüche beiseite schob. Sie prädestinierten ihn zum Werkzeug der Verständigungsbereitschaft vortäuschenden Frankreichpolitik Hitlers nach 1933. Im privaten Bereich machte die deutsch-französische Annäherung Fortschritte: Am 1. September 1932 heiratete Otto Abetz in Karlsruhe Suzanne Sidonie de Bruyker, Luchaires Sekretärin. Die beiden hatten sich in Rethel kennengelernt.
222 223 224 225
Reusch, Drittes deutsch-französisches Treffen, S. Hartmann, Die Jugend baut Brücken, S. 369.
19.
Reusch, Drittes deutsch-französisches Treffen, S.
19 f.
Vgl. Sohlbergkreis, S. 17, 19f.
7. Die Mainzer
Tagung 1932
71
Amüsiert verfolgten die Bewohner der Villa des Ternes, Domizil der Luchaires und Redaktionsquartier, wie sich die zarten Bande festigten, bis Abetz eines Tages Freund Jean halb förmlich, halb theatralisch um die Hand seiner Mitarbeiterin bat, die er nach Deutschland zu entführen gedachte226. Suzanne, geboren am 27. Juli 1899, Weberstochter, stammte aus einer kinderreichen flämischen Familie, die um die Jahrhundertwende nach Lille gezogen und kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs von den französischen Behörden naturalisiert worden war. 1928/ 29 war sie als Angestellte der Tageszeitung La Voix erstmals einige Monate für Luchaire tätig. Nach einjährigem Sprachkurs in England, wo sie bei einer Familie in Oxford lebte, stieß sie 1930 zur Redaktion von Notre Temps227. Luchaires älteste Tochter Corinne beschrieb sie als intelligent, kultiviert, zurückhaltend, doch von einigem Einfluß auf den Vater, der ihren Rat schätzte228. Jacques Neis erinnert eine zierliche Person, nicht auffallend hübsch, aber von freundlichem Wesen und der Reputation ihres Gatten förderlich: „Le mariage nous parut un témoignage des bonnes intentions d'Abetz envers la France et les Français."229 Bei ihrer Vernehmung 1945 sagte Madame Abetz, die durch die Eheschließung die deutsche Staatsbürgerschaft erlangte, sie sei von denselben Idealen beseelt gewesen wie ihr Mann und habe sein Bemühen, die junge Generation beider Länder zusammenzubringen, nach Kräften unterstützt. Im Oktober 1933 gebar sie einen Sohn, Bernhard, den der Schriftsteller Jules Romains als lebendes Symbol des voranschreitenden Aussöhnungsprozesses pries230.
226 227
228 229 230
Corinne Luchaire, Ma drôle de vie, S. 63. Diese Einzelheiten nach: Gouvernement militaire de la zone française d'occupation, Délégation Supérieure pour le Gouvernement militaire du Württemberg, Contrôle de la Sûreté, Niederschrift eines Verhörs von Suzanne Abetz am 31.10.1945 in Tübingen; AN, F 7/15331, Nr. 204/45bis. Weitere biographische Details finden sich im Protokoll einer Vernehmung von Otto Abetz durch SS-Richter am 7. 12. 1937, pag. 8; BDC/Abetz. Siehe auch Das offene Problem, S. 34. In den SS-Akten wird als Geburtsdatum von Suzanne, abweichend von ihren eigenen Angaben, mehrfach der 28. Juli 1903 genannt. Wie Anm. 226. Neis, Fragments, S. 115. Romains, Sept mystères, S. 237. Abetz' Tochter Sonia wurde im März 1936 geboren.
II. Vom Sohlbergkreis
zur
Reichsjugendführung
Sog der „nationalen Erneuerung": Gleichschaltung der Jugendverbände
1. Im
„Es ist soweit", notierte ein überglücklicher Joseph Goebbels. „Wir sitzen in der Wilhelmstraße. Hitler ist Reichskanzler. Wie im Märchen!"1 Am 30. Januar 1933 wurde der neue Regierungschef vom greisen Reichspräsidenten v. Hindenburg vereidigt. Die Nationalsozialisten feierten das Ereignis mit lautem Getöse, Berlin glich „einem aufgescheuchten Ameisenhaufen". 25000 uniformierte Hitler-Anhänger passierten Brandenburger Tor und Reichskanzlei, um ihrem .Führer' Reverenz zu erweisen. In einem „sinnlosen Taumel der Begeisterung" endete die „Nacht des großen Wunders"2. Der totalitäre Anspruch der braunen Machthaber brach sich umgehend Bahn. Auf dem Weg zur Alleinherrschaft veränderten sie die bestehenden Verhältnisse ebenso rasch wie tiefgreifend. Politische Gegner wurden mundtot gemacht oder ins Exil gejagt, die demokratischen Institutionen der Weimarer Republik und die verfassungsmäßigen Grundrechte Schlag auf Schlag außer Kraft gesetzt, Parlamentarismus, Parteien und Gewerkschaften beseitigt, Länder und gesellschaftliche Organisationen gleichgeschaltet, öffentliche Meinung und Kultur zensiert. Im Zuge dieser Umwälzung stützten sich die Nationalsozialisten auf staatsstreichartige, einen permanenten Ausnahmezustand begründende Verordnungen und Gesetze, die scheinlegale Handhaben für die Usurpation der Staatsgewalt, die Errichtung der Diktatur und verschärften Terror gegen Mißliebige und Oppositionelle boten. Bei alldem fand Hitler durchaus die Zustimmung breiter Schichten, die er mit Versprechungen, populistischen Maßnahmen, suggestiver Rhetorik, bald auch mit tatsächlichen oder vorgeblichen politischen und wirtschaftlichen Erfolgen mobilisierte und für sich vereinnahmte3. Dem gängigen Muster der Machteroberung entsprach die Auflösung und Gleichschaltung der Jugendverbände. Bei dezidiert völkischen und manchen pro1 2 3
Fröhlich (Hrsg.), Goebbels-Tagebücher, I, 2, S. 357 (Eintrag vom 31. 1. 1933). Ebenda, S. 359, 361. Vgl. Fest, Hitler, S. 507. Aus der Fülle der Literatur über die einzelnen Stufen der .Machtergreifung' und die Anfänge des totalitären Maßnahmenstaates siehe die grundlegende Darstellung von Bracher/ Sauer/Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung; Schulz, Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg, S. 117-138; Broszat, Der Staat Hitlers; ders./Möller (Hrsg.), Das Dritte Reich; Frei, Der Führerstaat, S. 38-85; Matthias/Morsey (Hrsg.), Das Ende der Parteien 1933; Höhne, Die Machtergreifung; Jäckel, Hitlers Herrschaft, Kap. 2. Zur Strategie der Koppelung „revolutionärer Überrumpelung mit Akten juristischer Sanktionierung" auch Fest, Hitler, S. 533 ff. Die wichtigsten Gesetzestexte in Auszügen bei Hofer, National-
sozialismus, S. 55 ff.
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Gleichschaltung der Jugendverbände
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testantischen Gruppen verursachte das wenig Aufwand, da sie in ihrer Denkweise und Gefühlswelt der neuen Staatsdoktrin nahe genug standen, um sich bereitwillig einzuordnen4. „Ein Jämmerling wäre jeder junge deutsche Mann, der in diesen Tagen gleichgültig mit den Händen in der Tasche dem zuschaut, was um ihn herum geschieht, statt daß er mit ganzem Herzen an dem Aufbruch der Nation teilnimmt", heißt es in einem Aufruf evangelischer Jungmänner5. Konfliktträchtiger gestaltete sich das Verhältnis zur bündischen Jugend bürgerlicher Abkunft. Dabei opponierten viele Bündische kaum ernsthaft gegen den Nationalsozialismus, zu dem es weltanschauliche Berührungspunkte gab. Auch in ihren Kreisen spielten Begriffe wie Reich, Führung und Gefolgschaft eine zentrale Rolle, wurde großdeutsch, antirepublikanisch, antiliberal und häufig judenfeindlich gedacht, nährte der Regimewechsel Hoffnungen, Klassenkampf und politischen Partikularismus, das ganze .morsche System von gestern' zugunsten einer ständisch gegliederten .Volksgemeinschaft' überwinden zu können im Bürgertum insgesamt verbreitete Leitvorstellungen, die ungeachtet gewichtiger inhaltlicher Unterschiede zur NS-Ideologie ein Aufgehen in der jugendbetont und sendungsbewußt agierenden Hitlerpartei begünstigten6. Anderseits kämpften die Bündischen um das Recht auf eigene Lebensgestaltung; sie stießen sich an militanter Intoleranz und rohem Gesinnungsterror der NSDAP, die innere Freiheit durch unbedingten Gehorsam, persönliche Verantwortung durch starren Fanatismus, elitäre Kleingruppe durch Massenerfassung, Verbundenheit durch Uniformität ersetzten. Ihr Streben nach Autonomie erwies sich indes als unvereinbar mit den totalitären Ansprüchen der HJ. Die 1926 gegründete Parteijugend, bis 1933 eine Organisation unter vielen, nun mit geballter Staatsmacht im Rücken, forderte kompromißlos das Monopol in der Jugendarbeit. Ihre Strategen, allen voran Baidur v. Schirach, lockten mit der Vision einer geeinten, die nationale Erhebung vollendenden -
Staatsjugend und proklamierten einen „rücksichtslosen Kampf" gegen die Bünde, deren Zersplitterung angeprangert und denen jede weitere Existenzberechtigung abgesprochen wurde7. Am 8. März 1933, drei Tage nach den Reichstagswahlen, die Hitlers Regierungsgewalt festigten, wichen fünf prominente Führer der „Deutschen Freischar" (DF) und der „Schlesischen Jungmannschaft" dem wachsenden Druck, erklärten ihren Eintritt in die NSDAP und äußerten öffentlich die Erwartung, „daß die deutsche bündische Jugend sich nach unserem Beispiel dem Gebot der Stunde 4 5
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Hierzu Klönne, Jugendbewegung und Faschismus, S. 25 ff.; Brandenburg, Geschichte der HJ, S. 98 ff., 139 ff.; Giesecke, Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend, S. 187 f. Zit. bei Priepke, Evangelische Jugend, S. 46. Zur Diskussion über ideologische Affinitäten zwischen Jugendbewegung und Nationalsozialismus, auch zum Folgenden siehe Stachura, Deutsche Jugendbewegung und Nationalsozialismus, S. 35-52; Kater, Bürgerliche Jugendbewegung und Hitlerjugend, S. 127174; v. Hellfeld, Bündische Jugend und Hitlerjugend, S. 57 ff., 73 f., 211 ff.; Brandenburg, Geschichte der HJ, S. 67 f.; Giesecke, Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend, S. 94 ff., 180 f.; Jovy, Jugendbewegung und Nationalsozialismus; Bleuel/Klinnert, Deutsche Studenten, S. 41 ff. Vgl. v. Schirach, Hitler-Jugend, bes. S. 34, 48 ff., 69.
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nicht versagt"8. Ein Akt mit Signalwirkung, denn unmittelbare Gefahr war nicht im Verzug gewesen, und die vergleichsweise liberale DF, mit rund 12000 Mitgliedern der bedeutendste Zusammenschluß von Bündischen, hatte rechtsextremistischen Avancen seither weitgehend widerstanden und sich um positive Mitarbeit im Weimarer Staat bemüht9. Weitere Ergebenheitsadressen an die neuen Machthaber folgten, wenn auch der Anspruch auf Selbstbestimmung zumindest verbal aufrechterhalten wurde. Am 5. April stürmte ein bewaffneter HJ-Trupp unter Führung von Schirachs Stellvertreter Carl Nabersberg die Berliner Geschäftsstelle des Reichsausschusses der deutschen Jugendverbände, suspendierte den Vorstand und beschlagnahmte Vermögenswerte und umfangreiche Unterlagen. Das widerrechtliche Vorgehen blieb ungesühnt und ermunterte nur zu weiteren Überfällen und anderen Schikanen. Als Schirach am 17. Juni zum Jugendführer des Deutschen Reiches' ernannt wurde, verfügte er unverzüglich die Auflösung des Reichsausschusses und des „Großdeutschen Bundes", den autonome Bünde zwischenzeitlich zur kollektiven Selbstbehauptung gebildet hatten. In der Folge kapitulierten immer mehr Gruppierungen, traten der HJ und dem Jungvolk zum Teil geschlossen bei, lösten sich aus Protest selber auf oder wurden verboten und in die Illegalität gedrängt. Lediglich katholische Verbände vermochten sich im Schutz des Konkordats noch einige Zeit zu halten10. Die mit dem Regime kooperierten, ließen sich nicht selten vom Sog der „nationalen Erneuerung" mitreißen, wähnten den stets erstrebten gesellschaftlichen Aufbruch für gekommen, handelten häufig aber auch aus Furcht, Opportunismus oder in der Erwartung, durch demonstrative ideologische Nähe etablierte Freundeszirkel, einen Rest an Autonomie und eigene Zielsetzungen bewahren zu können. Daß HJ und Jungvolk, lawinenartig angewachsen, enormen Bedarf an qualifiziertem Führungspersonal hatten, schien Chancen der Einwirkung zu eröffnen und nährte ebenso wie die Übernahme zahlreicher bündischer Rituale und Gesellungsformen Hoffnungen, daß es gelingen würde, bündischen Geist zu tradieren. Auch Otto Abetz wurde von dieser dramatischen Entwicklung erfaßt und gezwungen, sein Verhältnis zum NS-Regime zu definieren. Im Staat des notorischen Franzosenfeindes Hitler drohte ihm Ungemach. Fast wäre er ein Opfer jener politischen Säuberungen geworden, mit denen die Nationalsozialisten gewaltsam jede oppositionelle Regung auszumerzen trachteten. Kaum hatte die Reichsregierung, gestützt auf die sogenannte Reichstagsbrandverordnung, am 8. März 1933 den badischen Landtagsabgeordneten und Gauleiter Robert Wagner als Reichskommissar eingesetzt, ihn zur „Wahrnehmung der Befugnisse der obersten Landesbehörde" ermächtigt und damit das Signal zum Umsturz im Südwesten gegeben11, erschienen NS-Kommissare zu einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde und erklärten Abetz unmißverständlich, er genieße nicht 8 9 10 11
Zit. nach Paetel, Jugendbewegung und Politik, S. 124. Vgl. Brandenburg, Geschichte der HJ, S. 68 f. Vgl. Raabe, Bündische Jugend, S. 167 ff.; Thamer, Verführung und Gewalt, S. 402 ff. Die evangelischen Verbände wurden mit Hilfe des Reichsbischofs Müller eingegliedert. Vgl. Ott, Das Land Baden im Dritten Reich, in: Badische Geschichte, S. 184 ff.; Hug, Geschichte Badens, S. 335 ff.
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das Vertrauen der neuen Machthaber. Sein Einwand, die HJ sei von ihm stets genauso unparteiisch behandelt worden wie alle anderen Gruppen, fruchtete nichts. Er wurde als „Pazifist" und „Französling" beschimpft und seines Amtes enthoben12. Nicht zuletzt zwei im Februar veröffentlichte Aufsätze aus seiner Feder hatten ihn gefährlich in Mißkredit gebracht. In der Deutsch-französischen Rundschau bemühte er sich, der verschärften inhaltlichen Polarisierung bei den Sohlbergkongressen entgegenzuwirken und die ursprüngliche Begeisterung neu zu entfachen. Die Zukunft der bilateralen Jugendbeziehungen liege nicht in Diskussionen über unterschiedliche Wesensart und Vergangenheit, sondern im „gemeinschaftlichen Erarbeiten neuer Lebensinhalte und neuer Lebensformen". Es gelte „die Grundlagen zu suchen und zu festigen, welche das heute so zerrissene Abendland zu einem politisch, wirtschaftlich und kulturell gesunden Staatenblock machen, der Asien und Amerika gewachsen ist". Entschieden wandte er sich gegen eine einseitig ostwärts gerichtete Orientierung des Reiches und verknüpfte diesen Standpunkt geschickt mit einem Appell an Frankreich, seinen deutschlandpolitischen Kurs zu korrigieren: „Es liegt nur an dem, daß Frankreich und die von ihm aufrechterhaltene politische und wirtschaftliche Ordnung dem hungernden, arbeitslosen und in seinem nationalen Stolz verletzten Jugendlichen Mitteleuropas keine Lösungen zu bieten oder zu versprechen hat. Der Tag, der den schöpferischen, formkräftigen Genius der französischen Nation auf den Plan ruft, um mutig und vorurteilslos an der europäischen Neuordnung mitzuarbeiten, wird auch die Einheitsfront der deutschen und französischen Jugend sehen. Nicht Verschiedenheit der Wesensart, sondern das andere politisch-wirtschaftliche Schicksal und die Unkenntnis der gemeinsamen Aufgaben stehen heute dem Kontakt im Wege." Deutschlands Jugend sehe sich „nicht zwischen West und Ost, sondern an der Seite der französischen mit West und Ost vor Europa"13. In einem Beitrag für Notre Temps schilderte Abetz die Bündische Jugend als unerschütterlich unabhängige Kraft, gegen deren erklärten politischen Willen kein Reichskabinett regieren könne. Allein die nach Mitgliedern recht kompakte „Deutsche Freischar" vermöge die Haltung der gesamten deutschen Jugend stärker zu beeinflussen als irgendeine Massenorganisation. Er entwickelte das auf Freiwilligkeit basierende Führer-Gefolgschaftsverhältnis unter Jugendbewegten „trop précieuse pour être remplacée par le ,drill' d'avant-guerre" und erklärte die bündische Autonomie zur Grundvoraussetzung einer Mitarbeit im Reichskuratorium für Jugendertüchtigung, „sous condition qu'il reste fidèle à son programme sportif". Das waren provokante, nachgerade dreiste Töne in nationalsozialistischen Ohren, die den totalitären Gestaltungswillen der Braunhemden völlig zu ignorieren schienen, -
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Zuvor widersetzte sich Abetz, eigenen Angaben zufolge, noch der Forderung, den protestantischen Jugendpfarrer Kappes, der im Wahlkampf couragiert gegen Wagner aufgetreten war, unverzüglich des Versammlungsraumes zu verweisen. „Curriculum vitae" vom 16.11.1945, pag. 5; AN, F 7/15331. Vernehmungsprotokoll vom 28.5. 1947, pag. 1; StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, A 2. Abetz, Das offene Problem, S. 34 f.; Be-
fragung Bran, 18.3. 1989. Abetz, Deutsche Jugend zwischen West und Ost, in: DFR 6 (1933), S. 128-132.
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Luchaire hingegen zu dem beruhigenden Hinweis an seine Leser veranlaßten, der Artikel zeige, daß es ungerecht wäre, Leibeserziehung in Deutschland automatisch mit vormilitärischer Ausbildung gleichzusetzen, gegen die sich Widerstände im Reich selber formierten14. Wie der damalige HJ-Gebietsführer in Baden, Friedhelm Kemper, später bezeugte, hatte er aus Berlin Weisung erhalten, Abetz festnehmen und in ein Konzentrationslager verbringen zu lassen, dies jedoch abgelehnt15. Anders als die ortsfremden NS-Kommissare, die den AKJ-Vorsitzenden ohne Umschweife maßregelten, war er Abetz, der ihn zu Veranstaltungen des Sohlbergkreises einzuladen pflegte, offenbar gewogen16. Überhaupt zahlte es sich in jenen unsicheren Monaten, da willkürliche Verhaftungen und Drangsalierungen an der Tagesordnung waren, für den zur Renitenz neigenden Abetz aus, daß er stets gute Beziehungen zur Karlsruher HJ unterhalten und sich wiederholt für sie eingesetzt hatte. 1927, soeben zum Leiter der AKJ gewählt, drückte er die Aufnahme des Nationalsozialistischen Schülerbundes durch, der die Einrichtungen der Arbeitsgemeinschaft fortan gleichberechtigt nutzen durfte17.1929 protestierte er gegen das vom sozialdemokratischen Innen- und Kultusminister Remmele verhängte Verbot der Hitlerjugend an Badens Schulen, einem zentralen Feld nationalsozialistischer Penetration18. Nachdem sein Antrag, die AKJ möge geschlossen gegen das Verdikt intervenieren, am Veto linker und konfessioneller Gruppen gescheitert war, will er 14
Ders., L'orientation actuelle de la Jeunesse allemande, in:
Notre Temps, 26. 2. 1933, September 1932 verfügte Gründung des Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung, von Kritikern als Tarninstrument beargwöhnt, sollte den Plänen der Reichswehrführung dienen, die Tätigkeit der diversen Wehrjugendverbände unter staatlicher Aufsicht zusammenzufassen, die Heranwachsenden einer systematischen paramilitärischen Schulung zu unterziehen, auf diese Weise das Wehrpflichtverbot des Versailler Vertrags zu umgehen und verborgene Reserven zu schaffen. Die Regierung Hitler konnte an diese und andere Vorarbeiten zur psychologisch-propagandistischen Mobilmachung der Bevölkerung anknüpfen. Vgl. Wolfram Wette, Ideologien, Propaganda und Innenpolitik als Voraussetzungen der Kriegspolitik des Dritten Reiches, in: Deist u.a., Ursachen und Voraussetzungen, S. 145f.; Wortmann, Baidur von
Sp. 395-399. Die durch Erlaß Hindenburgs vom
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Schirach, S. 96 f., 104 f.
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Eidesstattliche Erklärung Kempers vom 7. 8. 1949, abgedruckt in: Scheinwerfer 2 (1949), Nr. 19, S. 9. Abetz erwähnt den Vorgang in seinen Memoiren und datiert ihn ungefähr auf Ende April 1933, nach seiner Rückkehr vom deutsch-französischen Jugendtreffen in Paris; Das offene Problem, S. 38. „Otto Abetz unterhielt zu mir gute Beziehungen. Er stand bei vielen Auseinandersetzungen auf meiner Seite." Darstellung Kempers vom Januar 1978, „Meine Begegnungen mit Otto Abetz", abgedruckt in: Rüdiger (Hrsg.), Hitler-Jugend, Anhang Abb. 60. Biographische Einzelheiten zu Kemper, Jg. 1906, NSDAP-Mitglied seit 1923 und Wagner-Intimus, bei Bräunche, Die Entwicklung der NSDAP in Baden bis 1932/33, S. 342; Grill, The Nazi Movement in Baden, S. 216ff., 314f., 338f. Laut Hug, Geschichte Badens, S. 341, machte Kemper als HJ-Funktionär eine „gewinnende Figur". Im selben Jahr schickte sich die NSDAP in Baden an, das Image einer bedeutungslosen Splitterpartei abzustreifen. Bei der Reichstagswahl 1928 erzielte sie 2,9% und lag damit bereits über dem Reichsdurchschnitt (September 1930: 19,2% gegenüber 18,3% im Reichsmittel). Diese Zahlen nach Hug, Geschichte Badens, S. 327. Vgl. Bräunche, Entwicklung der NSDAP, S. 353; Verhandlungen des Badischen Landtags, 1. Session 1929/30, Beilagenheft, Dok. 66.
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persönlich bei seinem obersten Dienstherrn vorstellig geworden sein, obgleich er „noch nicht einmal im planmäßigen Beamten Verhältnis stand"19. 1932 schließlich trat er in Kontakt mit Leopold Plaichinger, einem außenpolitisch am-
sogar
bitionierten Parteiveteranen mit direktem Draht nach München, Mitarbeiter von Hitlers Wirtschaftsberater Wilhelm Keppler in den Eberbacher Odin-Werken und eine bekannte Parteigröße in Nordbaden20. Bei einer Unterredung im Juni soll es bereits um die Auswertung der Frankreichbeziehungen des Sohlbergkreises für die NSDAP gegangen sein21. Wiewohl sich sämtliche Angaben näherer Überprüfung entziehen und zu berücksichtigen ist, daß sie Abetz Jahre später während eines SS-Ehrengerichtsverfahrens entlasten sollten, mithin naheliegt, daß er eher übertrieb, um seine Linientreue hervorzuheben22, entbehren sie doch nicht gänzlich der Glaubwürdigkeit. Weder die nach jugendbewegter Tradition praktizierte Überparteilichkeit in der AKJ noch das geistige Marschgepäck etlicher Mitglieder und Sohlbergsympathisanten gestatteten eine energische Abgrenzung gegen extremistische Kräfte. So vermittelte Friedhelm Kemper um die Jahreswende 1933/ 34 entscheidende Gespräche für Abetz' Mitwirken in der Reichsjugendführung23. Zu den Kontaktpersonen soll auch ein gewisser Graf Mirbach-Geldern gehört haben, der nachweislich der kleinen Delegation des Sohlbergkreises angehörte, die nach zähen Verhandlungen mit der Reichsdiplomatie im April 1933 nach Paris fuhr24. Dank dieser Querverbindungen und mit einem tüchtigen Schuß Zivilcourage konnte einstweilen sowohl die Arbeit des Sohlbergkreises weitergeführt als auch der eine oder andere Ärger mit der Geheimpolizei ausgestanden werden. Die Gestapo, so Abetz nach dem Krieg, habe wegen Verbreitung französischer Zeitschriften gegen ihn ermittelt und ihm Spionagetätigkeit vorgeworfen, als ein französischer Gast, der Pariser Filmschaffende Gabriel Monod-Herzen, im Sommer 1933 Aufnahmen von einem HJ-Lager im Schwarzwald machen wollte25.
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Abetz an John, 1. 9. 1937; Lebenslauf vom 23. 8. 1937; BDC/Abetz. Laut Lebenslauf wurde er 1932 als Assessor für das künstlerische Lehramt verbeamtet. Grill, Nazi Movement in Baden, S. 155 f. Abetz an John; desgleichen in seiner Aufzeichnung „zum Vorwurf, vor der Machtergreifung aktiver Gegner des Nationalsozialismus gewesen zu sein"; BDC/Abetz. Der 1889 in Österreich geborene Plaichinger, von Beruf Chemiker, erlag im Februar 1933 einem Lun-
genleiden. Zwingend in diese Richtung weisen seine im nachhinein schwer widerlegbaren Argumente von 1937, er habe als Gymnasiallehrer „stets den Kunstbolschewismus bekämpft", alle großen Kundgebungen der NSDAP in Karlsruhe besucht und sich an einer Protestaktion der HJ gegen die Aufführung eines Theaterstücks eines jüdischen Autors beteiligt. Abetz an John, ebenda. Vgl. Kemper, „Meine Begegnungen mit Otto Abetz". Vgl. das deutschsprachige Kommunique der Tagung in PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. „Curriculum vitae", pag. 6; AN, F 7/15331. Detaillierter hinsichtlich des ersten Vorfalls, knapper zum Vorgang Monod-Herzen Das offene Problem, S. 38. Monod-Herzen gehörte zum Freundeskreis von Notre Temps. Probleme mit der Gestapo deutete Abetz auch bei seiner Zeugenaussage im Luchaire-Prozeß an: „J'ai risqué plus d'une fois d'être -
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arrêté"; Les procès de collaboration, S. 489.
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„wahren Charakter" der Hitlerbewegung: Begegnungen in Paris (1933) und Berlin (1934)
2. Vom
Abetz' Tatendrang war ungebrochen: „Ich vertrat [...] den Standpunkt, daß meine Abberufung von der Leitung der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde die in meiner Hand liegende Leitung des Sohlbergkreises nicht berühre, und setzte diese Tätigkeit unverändert fort. Insbesondere betrieb ich die Vorbereitungen zur deutsch-französischen Jugendtagung, die für Ostern 1933 in Paris vereinbart war."26 Die Art und Weise, wie er hierbei um enge Abstimmung mit den zuständigen Behörden rang, verrät einmal mehr den Taktiker, der hartnäckig seine Vorstellungen verficht und zugleich nach Rückversicherung strebt, darüber hinaus ein hohes Maß von Anpassungsbereitschaft an das NS-Regime und sicheren Instinkt, welche Argumente in Anbetracht der gewandelten politischen Verhältnisse verfangen würden. Von einem „Waffengang" mit dem Auswärtigen Amt, den seine Memoiren suggerieren27, kann nach Aktenlage jedoch nur beschränkt die Rede sein. Die Diplomaten agierten passiv, hielten sich ob des weitgehend ungeklärten außenpolitischen Kurses der Regierung Hitler bedeckt, vermochten den offenkundig als lästig empfundenen Karlsruher Organisator, der überdies finanzielle Hilfe beantragt hatte, jedenfalls nicht abzuschütteln. Mit Bezug auf Roland Kösters Brief an Bran vom Dezember 1932, der „zu unserer lebhaften Freude" wohlwollendes Interesse am Sohlbergkreis signalisiere, bat Abetz die Pariser Botschaft Ende Februar um „Beratung und Unterstützung", entwickelte sein Vorhaben und problematisierte es zielgerichtet. Geplant sei ein vom 15. bis 21. April dauernder Kongreß über das „Staatsbild des jungen Deutschland und Frankreich", ein mit Bedacht gewähltes Motto, das es ermögliche, „den Franzosen Unverständliches in der jüngsten deutschen Entwicklung, die Staats- und Volksidee des neuen deutschen Nationalismus, den Einsatz der Bünde für Arbeitsdienst, Wehrsport und Werkjahr" zu erläutern. In diesen Zusammenhang könnten selbst „die aktuellsten politischen Fragen und die deutsche Stellungnahme zu ihnen auf das Beste" eingebettet werden28. Die werbend herausgekehrte Zuversicht wurde in der Rue de Lille jedoch keineswegs geteilt. Mit Bleistift notierte Botschafter Köster seine Zweifel auf den Briefrand: „Ist sich der Sohlbergkreis über die Entwicklung und die Staats- und Volksidee des neuen deutschen Nationalismus, besonders aber über die weitere Entwicklung dieses Nationalismus vollkommen im Klaren?" Die Formulierung „auf das Beste" erntete ein skeptisches „?!". Lediglich Abetz' Ankündigung, deutsches Kulturleben durch eine Bücherschau, Lichtbil26
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Abetz, Das offene Problem, S. 35. Friedrich Bran erklärte hierzu, er habe damals die Führung des Kreises übernommen, um den politisch mißliebigen Abetz, der unter anderem als Kommunist verleumdet worden sei, „aus der Schußlinie zu holen". Am 1. Mai 1933 wurde Bran NSDAP-, am 1. Juni HJ-Mitglied, wenig später Hauptreferent im Auslandsamt der RJF. Befragung Bran, 18. 3. 1989; Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 154, 332f. Abetz, Das offene Problem, S. 35. Abetz an Botschaft Paris; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Das im Original erhaltene Dokument trägt, wie sich aus dem Eingangsstempel „25. II." und dem nachfolgenden Schriftverkehr ergibt, fälschlicherweise das Datum 23. März 1933; gemeint war zweifelsfrei der 23. Februar.
2.
Begegnungen in Paris (1933) und Berlin (1934)
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dervorträge und musikalische Darbietungen vorteilhaft zu präsentieren, fand Beifall29. Eine konkrete Darlegung seines eigenen Standpunktes scheute Köster ange-
sichts der Umbruchsituation im Reich. Statt dessen ließ er ausrichten, „daß der Komplex der von Ihnen angeschnittenen Fragen leider für eine Korrespondenz nicht recht geeignet ist. Die Botschaft ist gern bereit, ihn mit Ihnen oder einem Ihrer Herren Mitarbeiter durchzusprechen, möchte aber von schriftlichen Erörterungen Abstand nehmen." Damit einher ging die Empfehlung, sich in dieser Angelegenheit besser an das Berliner Auswärtige Amt zu wenden30. Dort sprach Abetz wenige Tage später vor, wie eine Mitteilung an die Botschaft Paris vom 14. März belegt31. In der Wilhelmstraße suchten ihm „distinguierte, im Mienenspiel unbewegliche, durchgeistigte" Herren der Kulturpolitischen Abteilung sein Vorhaben auszureden, mit der stereotypen Begründung, es sei ungewiß, ob die geplante Tagung dem Wollen der neuen Regierung entspreche. Abetz erwiderte nur von ihm überliefert, aber durchaus typisch für sein aufbrausendes Temperament -, der Sohlbergkreis werde das Treffen in jedem Fall beschicken, notfalls würden seine Mitglieder eben illegal nach Frankreich einreisen32. Letztlich waren beide Seiten zu Zugeständnissen bereit. Die Diplomaten, von der Entschlossenheit und den Argumenten des Karlsruhers nicht unbeeindruckt geblieben, verlegten sich darauf, wenigstens den Umfang des Projekts und das erwartete öffentliche Aufsehen einzugrenzen. Abetz für seinen Teil grollte, er habe nur der finanziellen Abhängigkeit wegen eingelenkt33. Im Kern hatte er sich allemal behauptet. Man kam überein, den eigentlichen Kongreß auf den Herbst zu verschieben und sich für April mit einer deutsch-französischen Zusammenkunft in kleinem Rahmen zu begnügen, die als „vorbereitende, interne Führerbesprechung" tituliert wurde34. Am darauffolgenden Wochenende eilte Abetz nach Paris, um die geänderte Planung mit den französischen Freunden abzustimmen, was offenbar ohne Schwierigkeiten gelang. Seine Bitte um eine Audienz in der Botschaft wurde erfüllt, in Abwesenheit Kösters empfing ihn Botschaftsrat Forster. Während ihrer Unterredung am 19. März insistierte Abetz, „daß gerade in der gegenwärtigen Zeit alles geschehen müsse, um die bestehenden Fäden aufrechtzuerhalten". Auch sein maßgeblicher Kontaktmann in Berlin, Legationsrat v. Rintelen, erkenne an, daß die nun gefundene Lösung nützliche „Bewegungsfreiheit" biete und „den Franzosen den Gedanken nehme, daß die Deutschen die Beziehungen ganz abbrechen wollten". Forster bestätigte die Notwendigkeit, das Ausland zu informieren und den reichlich kursierenden „Alarmgerüchten" entgegenzutreten. Er billigte den ausgehandelten Kompromiß, nicht ohne ausdrücklich zu verlangen, die deut-
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Ebenda, Hervorhebung im Original. Kühn (Botschaft Paris) an Abetz, 3. 3. 1933; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Abetz an Botschaft Paris, 14. 3. 1933, ebenda. Eine „schriftliche Vorladung" (Das offene Problem, S. 35) hat er wohl kaum erhalten; alles deutet darauf hin, daß er sich selber um den Termin bemühte. Abetz, Das offene Problem, S. 35, mit verächtlichem Unterton, den er im Gefühl, ein diplomatischer Avantgardist gewesen zu sein, bei der Charakterisierung von Berufsdiplomaten der alten Schule häufiger anschlug. Aktenvermerk Forster (Paris), 21. 3. 1933; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Abetz an Forster, 2. 4. 1933, ebenda.
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sehen Konferenzteilnehmer müßten „jede Gelegenheit ergreifen [...], den wahren Charakter der Hitlerbewegung und des heutigen Deutschlands" zu erläutern. Auf keinen Fall dürften innenpolitische Kontroversen vor französischem Publikum ausgetragen werden35. Diesen Vorgaben ordneten sich die Sohlbergler bereitwillig unter. Abetz gelobte Forster, nur sichere Kantonisten nach Paris mitzunehmen, von Verbänden, „welche fest auf dem Boden der neuen Regierung stehen". Die Position der übrigen Jugendorganisationen wolle er persönlich interpretieren, wobei, so seine beschwichtigende Auskunft, hinsichtlich Arbeitsdienst, Jugendertüchtigung und ähnlichem sowieso keine fundamentalen Gegensätze bestünden, sondern nur Meinungsverschiedenheiten in der Führungsfrage. Auch das war meilenweit entfernt von jener vor Selbstbewußtsein strotzenden Präsentation der Bündischen Jugend als mächtigem, auf Unabhängigkeit pochenden Faktor im innerdeutschen Kräftespiel, deren er sich noch wenige Wochen zuvor in Notre Temps befleißigt hatte. Nach Motiven für den auffälligen Kurswechsel wird zu suchen sein; sie versprechen näheren Aufschluß darüber, unter welchen Prämissen er seine Karriere in Diensten des Nationalsozialismus begann. „Breitesten Raum", versicherte Abetz weiter, „werden natürlich Entgegnungen zur Greuelpropaganda einnehmen; wir wollen eine Sonderbesprechung mit allen uns erreichbaren Redakteuren von Zeitschriften der jungen französischen Generation wegen der künftigen Berichterstattung über die deutschen Verhältnisse ansetzen." Soviel Botmäßigkeit verquickte er geschäftstüchtig mit der Beschwerde, das Auswärtige Amt habe immer noch keinen Zuschuß bewilligt, ohne den kaum einer fahren könne. Jugendführer, die sich bereit fänden, „eine so schwere und unangenehme Arbeit zu tun wie die, welche uns in Paris bevorsteht", dürften gewiß mehr Entgegenkommen erwarten, immerhin gehe es „um eine Sache, deren NichtZustandekommen viele wertvolle Verbindungen zum jungen Frankreich zerstören würde"36. Das saß. Eine Woche später meldete Abetz beglückt, das AA habe 800 RM angewiesen, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, die psychologischen Rückwirkungen der Pariser Tagung möchten den finanziellen Aufwand rechtfertigen. Die meisten deutschen Teilnehmer würden sich schon einige Tage im voraus zusammenfinden, um Richtlinien für ein einheitliches Auftreten in Frankreich festzulegen37. Statt der ursprünglich vorgesehenen 60köpfigen Delegation passierten schließlich nur sieben Emissäre die Grenze: außer Abetz Graf Mirbach-Geldern („unser nationalsozialistisches .Renommierstück'"38), Walther Reusch (Deutsche Studentenschaft), Hellmuth Roether (HJ), Dr. Max (Freie Jugendbewegung), Waldemar Kirstein (Jungteutonischer Orden) und Gustav Mittelstraß (Sohlbergkreis)39.
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Aktenvermerk Forster, ebenda. Abetz an Forster, 2. 4. 1933, ebenda. Abetz an Forster, 9. 4. 1933. Forster hatte v. Rintelen zwei Tage zuvor eine Abschrift des Abetz-Briefes vom 2. April geschickt „mit dem Anheimstellen, sich seiner Wünsche anzunehmen"; ebenda. Abetz, Das offene Problem, S. 37. Wie Anm. 24.
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Begegnungen in Paris (1933) und Berlin (1934)
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In Paris bekamen sie zu spüren, wie sehr die nationalsozialistische Machteroberung die Gemüter beschäftigte. Der .Führer' hatte eine denkbar schlechte Presse, noch waren seine Hetztiraden und Racheschwüre in allzu frischer Erinnerung. Von besorgter Ratlosigkeit bis hin zu lautstarken Protesten gegen gewalttätige Auswüchse des NS-Regimes reichte die Bandbreite der Reaktionen. Viele Franzosen glaubten damals, was sie später nicht mehr wahrhaben wollten: Hitler bedeutet Krieg40. „Seit vier Wochen werden täglich fast zehntausend Fragen an mich ge-
stellt", berichtete der Korrespondent der Frankfurter Zeitung, Friedrich Sieburg, Anfang April. „Sie richten sich wie Gewehrläufe gegen meine Brust, ihre Zahl und Heftigkeit ist in den letzten acht Tagen so gewachsen, daß man über Engelszungen verfügen müßte, um auch nur einen Bruchteil von ihnen zu beantworten." Wer aber seiner patriotischen Pflicht genüge und den Umschwung in Deutschland verteidige, wer darauf verzichte, „ihn als einen Sieg niedriger Mächte oder einen Akt kollektiven Wahnsinns zu bezeichnen", sei in den Augen etlicher Franzosen fast zwangsläufig ein Agent Adolf Hitlers. Auch ihn, Sieburg, habe man bereits bezichtigt, mit vollem Gepäck ins Lager der Mörder übergewechselt zu sein, obwohl er lediglich das Recht in Anspruch nehme, sein Land um jeden Preis zu lieben41. Anwürfe dieses Kalibers blieben Abetz und seinen Begleitern vorerst erspart sie
sahen sich in Paris bestaunt „wie Wundertiere" und konfrontiert mit einer unübersichtlichen Gemengelage aus Neugier, Ablehnung und bemühter Unvoreingenommenheit. Etwa 30 Franzosen beteiligten sich an der zweitägigen Konferenz (21./22. April), die in den Redaktionsräumen von Notre Temps tagte, zu einem Gutteil Mitarbeiter der Zeitschrift und altbekannte Repräsentanten von linksgerichteten und katholischen Jugend- und Studentenverbänden. Hinzu gesellten sich einige von der Entwicklung in Deutschland elektrisierte Beobachter, unter ihnen Alfred Fabre-Luce, wie Bertrand de Jouvenel ein wirtschafts- und außenpolitischer Vordenker der jungradikalen Bewegung in den zwanziger, nach rechts driftender zeitweiliger Parteigänger Doriots in den dreißiger Jahren42, und der spätere intellektuelle Kollaborateur Pierre Drieu La Rochelle, der 1928 in seinem Buch Genève ou Moscou für ein föderales Europa plädiert hatte43. Ziel der Zusammenkunft war es, so ein gemeinsam veröffentlichtes Kommunique, „de rétablir le contact entre les mouvements de jeunesse en Allemagne et en France contact relâché, affaibli par les récents événements politiques". Betont wurde der strikt private Charakter des Treffens, ein Hinweis, daß die Organisatoren in An-
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Zur überwiegend düsteren Stimmungslage Kimmel, Aufstieg des Nationalsozialismus, S. 152 ff. Seinen Recherchen zufolge befürchteten französische Mitte-Links-Kreise 1933, eine „Politik des bewaffneten Friedens" einschlagen zu müssen, die schon 1914 den Krieg nicht verhindert hatte. Scharf antideutsch eingestellte Nationalisten werteten den Nationalsozialismus als neue, bedrohliche Variante des Pangermanismus. Allen Richtungen gemein war anfänglich die Forderung nach „fermeté", das heißt einer nationalsozialistischen Regierung sollten keine vorschnellen Konzessionen gemacht werden. Sieburg, Persönliches und etwas mehr. Von den Pflichten des Auslandsdeutschen, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 9. 4. 1933, Abendblatt/Erstes Morgenblatt. Vgl. Sick, Vom Neoliberalismus zum Faschismus?, S. 59-75; Burrin, La dérive fasciste, S. 79 ff. Vgl. Andreu/Grover, Drieu La Rochelle, S. 214 f.; Burrin, S. 91 ff.
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betracht der aufgewühlten Stimmung im Lande unnötiges Aufsehen und den Eindruck allzu ausgedehnter Beziehungen zur nationalsozialistischen Jugend vermeiden wollten44. Die Gäste deuteten die jüngsten Ereignisse in Deutschland, im Einklang mit der NS-offiziellen Lesart, als noch in vollem Gang befindliche nationale Revolution, in ihrer Tragweite vergleichbar den Umwälzungen von 1789 und 1917, die sich bekanntlich auch nicht ohne Gewalt, Einschränkung von Persönlichkeitsrechten und patriotischen Überschwang vollzogen, sondern im Gegenteil einen viel höheren Blutzoll gefordert hätten. Der Grundsatz Gemein- vor Eigennutz verlange einschneidende Maßnahmen, nicht zuletzt gegen die Juden, deren stark überproportionaler Einfluß in Politik, Wirtschaft und Kultur eine unsichtbare Unterdrückung („oppression invisible") der Bevölkerung bewirkt habe. Sobald das Regime gefestigt sei, würden sich die Verhältnisse normalisieren. Schon heute könne sich „aufbauwillige Kritik" ungehindert entfalten, mit der jüdischen Minderheit werde man einen achtbaren Modus vivendi finden. Letzteres lag den französischen Zuhörern offenbar besonders am Herzen. Außenpolitisch erstrebe die Hitler-Regierung wie ihre Vorgängerinnen Gleichberechtigung in der Rüstung, ohne die an eine dauerhafte Beruhigung der abendländischen Welt nicht zu denken sei, und auf der Grundlage eines Ausgleichs nationaler Interessen eine „konstruktive" Neuordnung Europas mit friedlichen Mitteln. Mit Ansprüchen hielt man keineswegs hinter dem Berg. Als „Leitstern unserer Wünsche", rekapitulierte Abetz, sei die Vereinigung geschlossener deutscher Siedlungsgebiete in einem Staat genannt worden; gemeint waren der Anschluß von Österreich, Danzig und Ostpreußen, die Rückgabe Ostoberschlesiens und des Saargebiets „ohne alle Vorbehalte" sowie kulturelle Autonomie für deutsche Minoritäten. Kombiniert wurden diese Forderungen mit Bekenntnissen zu Europa vom .Dritten Reich' angeblich vor dem Kommunismus gerettet und gegen den Krieg45. Summa summarum keine neue, aber doch eine bemerkenswert offensive, ideologisch einseitige Argumentation, in der, wie Barbara Unteutsch treffend feststellt, gefährliche Verharmlosungen, Geschichtsklitterung und versteckte Drohungen einander ablösten46. Den Franzosen sei klargemacht worden, resümierte befriedigt ein deutscher Chronist, daß der Nationalsozialismus „eine deutsche Tatsache" sei, „mit der die Nachbarländer jetzt und zukünftig zu rechnen haben"47. Erleichtert registrierte Abetz, daß zumindest Jean Luchaire gewillt schien, auch weiterhin für eine Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen einzutre-
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Das sämtliche Teilnehmer aufführende Kommunique ist enthalten im Tagungsbericht Luchaires, La jeunesse du IIIeReich parle, in: Notre Temps, 30. 4. 1933, Sp. 200f.; die deutsche Fassung in PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Luchaire bemäntelte die Verschiebung des geplanten großen Kongresses mit nicht näher erläuterten materiellen Gründen. Zusammengefaßt nach Luchaire, Notre Temps, 30. 4. 1933, Sp. 202 ff., und einer sechsseitigen „Denkschrift des Sohlbergkreises zur Pariser Aussprache vom 21./22. April 1933", von der Abetz Botschaftsrat Forster am 3. 5. 1933 ein Exemplar übersandte; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Ihre inhaltlichen Aussagen werden durch Luchaires Bericht weitge-
hend gestützt.
Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 272. Ove
auch in Frankreich, in: DFR 6 (1933), S. 352.
Hegedüs, Aufbruch
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2.
Begegnungen in Paris (1933) und Berlin (1934)
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ten48. Im Spätsommer 1932 hatte der Journalist auf wirkmächtige Affinitäten zwischen Nationalsozialismus, typisch deutschen Denkweisen und der Mentalität der jungen Generation jenseits des Rheins hingewiesen. Trotzdem, so mahnte er damals, sei Deutschland ein zu wichtiges und zu eng mit den Geschicken der westlichen Zivilisation verbundenes Land, als daß es den beharrlichen Initiativen für eine Reform des internationalen Systems fremd oder gar feindselig gegenüberstehen dürfte49. Nun verschwieg er nicht, daß in den Reihen des von ihm geführten „Comité d'Entente" massive Kritik an den demokratiefeindlichen und antisemitischen Ausschreitungen im Reich laut geworden war. Gleichwohl neige man schon aus informellen Gründen dazu, die bestehenden Verbindungen beizubehalten und das Verständigungswerk, soweit möglich, fortzuführen. Eine intensive Kontaktpflege helfe verhindern, daß zu den vorhandenen Gegensätzen, die freilich nicht unüberbrückbar seien, aufgrund mangelnden Informationsflusses gravierende Mißverständnisse hinzukämen. Das offiziell verbreitete Fazit der Rumpftagung vom 21./22. April fiel denn auch sehr positiv aus: Von einer „atmosphère de cordialité et de sincérité réciproques" war die Rede und davon, daß die deutschen Gäste den innen- und außenpolitischen Kurs ihres Landes ausgiebig erläutert und dabei einiges richtiggestellt (!) hätten50. Deutschland, ergänzte Luchaire, befinde sich in einem heftigen Gärungsprozeß, verletze dabei sicherlich des öfteren die Empfindsamkeiten seiner Nachbarn, suche sich jedoch aufrechten Mutes. „Ce courage et cette sincérité sont respectables." Man müsse dem teutonischen Mahlstrom ohne Feindseligkeit begegnen, die künftige Evolution des Hitler-Staates abwarten und einstweilen den weisen Rat des römischen Kaisers Marc Aurel beherzigen: „Penser ensemble, non. Pousser ensemble, oui."51 Etlichen Franzosen, die das Geschehen im Nachbarland mit Abscheu verfolgten, war dieser Nenner entschieden zu groß. Ein hitziger Meinungsstreit über Sinn und Legitimation aufgeschlossener Beziehungen zum Nazi-Reich hob an, der gewachsene Freundschaften im radikalsozialistischen Lager entzweite, das stürmische Echo auf die Pariser Tagung reflektiert und Abetz' Anstrengungen, den Sohlbergkreis als unentbehrliches Hilfsinstrument deutscher Frankreichpolitik zu präsentieren, indirekt entgegenkam. Besonders schlagzeilenträchtig beharkten sich zwei alte publizistische Weggefährten der Linken, Albert Dubarry und Victor Basch. Der 63jährige Dubarry, Direktor der Tageszeitung La Volonté, hatte einer von Abetz anberaumten „Sonderbesprechung" mit Pariser Journalisten und Kulturschaffenden beigewohnt52 und die jugendlichen Verständigungsbefürworter beider Länder zu ihrer klarsichtigen Haltung beglückwünscht: „Une influence qui ne peut que contribuer [...] à la pacification des esprits"53. Basch, 68, 48 49
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Abetz, Das offene Problem, S. 36. Luchaire, Les trois Allemagnes aux prises, in: Notre Temps, 4. 9. 1932, Sp. 611 f. Ders., La jeunesse du IIIe Reich parle, in: Notre Temps, 30. 4. 1933, Sp. 199ff.; PA/AA,
Botschaft Paris 1050/1. Notre Temps, Sp. 205 f. Hochzufrieden war Luchaire über deutsche Versicherungen, der Status quo in Elsaß-Lothringen bleibe gemäß Locarno-Vertrag unangetastet. Vgl. „Denkschrift des Sohlbergkreises"; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Alfred Dubarry, Pour le maintien du contact franco-allemand, in: La Volonté, 4. 5. 1933. Pikanterie am Rande: La Volonté, wo Luchaire bis September 1933 als Generalsekretär
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Sohlbergkreis zur Reichsjugendführung
Philosophieprofessor und Präsident der „Ligue des droits de l'homme", machte seiner Empörung hierüber in einem geharnischten Brief Luft. Angesichts der ekla-
Verstöße gegen die Menschenrechte in Deutschland hielt er es für schändlichen Verrat an der Demokratie und den Opfern des Nationalsozialismus, bekennende Hitler-Anhänger willkommen zu heißen, die, selbst wenn sie nicht zu den Tätern zählten, zumindest der geistigen Komplizenschaft schuldig seien. Wer versuche, Terror und Unterdrückung zu „erklären", sie als notwendiges Übel bagatellisiere, befinde sich auf dem besten Weg, sie zu entschuldigen54. In einer Replik warf Dubarry seinem Kontrahenten vor, das höchste Gut, den Frieden, auf dem Altar der Demokratie zu opfern. Er verurteilte die gewalttätigen Ausschreitungen im Reich, betrachtete sie indes als vorübergehende Erscheinung und lieferte eine Begründung für den freundschaftlichen Gedankenaustausch zwischen „Comité d'Entente" und Sohlbergkreis, die in den kommenden krisenhaften Jahren noch häufig zur Rechtfertigung zwischenstaatlicher Kontakte herhalten mußte: „Pour servir la paix, les contacts officiels ne suffisent pas [...] des contacts privés sont indispensables. Et si ces contacts ont lieu, il faut qu'y préside un esprit de correction réciproque, de compréhension cordiale."55 Abermals antwortete Basch, mit beißendem Spott für den vorgeblichen „Realismus" namentlich der jüngeren Generation. Er betonte, daß Frieden und Demokratie eine untrennbare Einheit bildeten. Einziges Mittel, den vom Nazi-Regime Verfolgten gerecht zu werden, sei dessen schärfste Mißbilligung; freundliche Empfänge für junge Nationalsozialisten in Paris würden die Barbaren hingegen nur in ihrem verwerflichen Tun ermutigen. Frankreichs Jugend habe die verdammte Pflicht, solches Paktieren zu unterlassen56. Auch im engeren Mitarbeiterkreis von Notre Temps bewirkte die Diskussion der künftigen deutsch-französischen Beziehungen eine wachsende Polarisierung. Unmittelbar nach der Pariser Tagung schieden zwei Redakteure aus, weil sie Luchaires Kurs nicht länger mittragen mochten. Bernard Lecache, führender Kopf der „Ligue internationale contre l'antisémitisme", erklärte ohne Wenn und Aber, daß nur Verbindungen zu deutschen Demokraten statthaft seien: „s'entendre avec Hitler, c'est faire le lit, en France, du fascisme et c'est condamner, une deuxième fois, les victimes du Troisième Reich"57. Kaum weniger kategorisch verweigerte der Literat Louis Martin-Chauffier, im Vorjahr beim deutsch-französischen Treffen in Mainz noch als Referent hervorgetreten, jeden weiteren, in seinen Augen tanten
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57
fungierte, erhielt wenigstens bis 1930 Finanzhilfen des Auswärtigen Amtes und veröffentlichte im Gegenzug Artikel über Deutschland und zur Kriegsschuldfrage. Vgl. Bariéty, L'appareil de presse de Joseph Caillaux, S. 388 f.
Victor Basch, Lettre ouverte à Albert Dubarry, in: La Volonté, 7. Mai. Dubarry, Réponse à Victor Basch, in: La Volonté, 8. Mai. Basch, Paix et démocratie, in: La Volonté, 14. Mai. Die Kontroverse ist unter dem Titel „Français et Hitlériens. A propos d'une rencontre" dokumentiert in Les Cahiers des Droits de l'Homme, 33. Jg. (Nouvelle Série), Nr. 14 vom 20. 5.1933, S. 319-322. Ein deutscher Beobachter zog aus diesen und anderen Stellungnahmen den Schluß, die program-
matischen Erklärungen der sieben Parisfahrer hätten „zweifellos aktivierend auf das junge Frankreich gewirkt", die an Ostern geführten Gespräche „stärkere Räsonnanz [sie!] gefunden als je zuvor"; Hegedüs, Aufbruch, S. 353. Aus einem Beitrag für Droit de Vivre, zit. in Notre Temps, 21.5. 1933, Sp. 346.
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unmoralischen Umgang mit Faschisten58. 1934 brach die Redaktionsmannschaft vollends auseinander, bezeichnenderweise in direktem Zusammenhang mit Otto Abetz' aufstrebender Karriere unter dem Hakenkreuz. Als der in ernster Bedrängnis geglaubte Karlsruher plötzlich frohgemut als Abgesandter der HJ durch Paris streifte, um seine Kontakte aufzufrischen und neue zu knüpfen, kehrten auch Pierre Brossolette und Jacques Chabannes, die eine Zusammenarbeit mit autoritär regierten Staaten um des Friedens willen verteidigt hatten, Notre Temps definitiv den Rücken. Sie mißtrauten Abetz59 und befürchteten zu Recht, wie sich zeigen sollte -, daß er verhängnisvollen Einfluß auf den bekanntermaßen käuflichen Jean Luchaire nehmen würde, der nach der Umwandlung seiner Revue zur Tageszeitung und dem politischen Rechtsruck vom 6. Februar einmal mehr in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Schon kursierten einschlägige Gerüchte im Pariser Pressemilieu. „Il faut qu'on se tire de là", entschied Brossolette. „Notre politique de rapprochement, juste et réaliste hier, se retourne maintenant contre son propre idéal. Abetz arrive avec de l'argent à distribuer. Et Jean en a toujours besoin. On ne peut pas continuer."60 Fortan schrieben sie für linksdemokratische, antifaschistisch ausgerichtete Blätter wie Marianne und L'Europe Nouvelle. Andere verdiente Notre Tew/75-Mitarbeiter wie Jacques Kayser, Claude Aveline und Jacques Neis wechselten zur neugegründeten, unter anderem von Martin-Chauffier und André Chamson geleiteten Wochenzeitung Vendredi^. Trotz schneidender Kritik beharrten Jean Luchaire und einige Getreue unterdessen auf dem Standpunkt, daß der Erhalt des Friedens die Fortsetzung und Pflege der Beziehungen zu Deutschland nicht nur rechtfertige, sondern unabhängig vom dort herrschenden politischen System gebiete. Statt Ängste zu schüren und einen unsichtbaren Sperrzaun um die Nachbarn zu errichten, solle man bes-
Vgl. seinen Brief an Luchaire, abgedruckt in Notre Temps, 4. 6. 1933, Sp. 439^150. Brossolette wurde in seiner Vorsicht möglicherweise bestärkt durch einen Freund seit Studientagen, Robert Minder. Mit großem zeitlichem Abstand (1977) schilderte der Altmeister der französischen Germanisten seine einzige Zusammenkunft mit Abetz, dem „falschen Europäer", im Januar 1933. Abetz habe um eine Liste christlich inspirierter französischer Romanliteratur gebeten, deren Übersetzung und Verbreitung dazu beitragen sollte, der katastrophal anschwellenden Hitler-Bewegung etwas entgegenzusetzen. Minder schickte eine Liste, erhielt jedoch keine Antwort. Wenig später warnte ihn ein Karlsruher Freund: „Laissez tomber, il s'est vendu aux nazis." Minder, Médiateurs alsaciens à Paris, in: Le colloque de Strasbourg 1977, hrsg. von Olbert u.a., S. 107. 60 Mit der Zeitangabe „Frühjahr 1934" überliefert von Chabannes, zit. bei G. Brossolette, Pierre Brossolette, S. 53. Abetz hat stets energisch bestritten, Schmiergelder verteilt zu haben. Belegt ist, daß Luchaire vor dem Krieg über die Deutsche Botschaft Paris monatlich bis zu 3000 Francs für politische Hintergrundinformationen und prodeutsche Berichterstattung erhielt. Außerdem nahm die Botschaft mehrere tausend Exemplare von Notre Temps ab, wie der damalige Presseattache Eugen Feihl („On pouvait dire à M. Luchaire: .Publiez cet article'. Alors, il le publiait.") enthüllte. Zeugenaussage Feihls ¡m Abetz-Prozeß, 18. 7. 1949, pag. 52 f.; AN, 334 AP 49. Vgl. Kap. V der vorliegenden Arbeit. 61 Vgl. Lévy, Autour de Jean Luchaire, S. 127ff. Wehmütig beschrieb Neis seine allmähliche Entfremdung von Notre Temps: „Le cœur ni l'esprit n'y étaient plus. Les rumeurs qui venaient de l'Allemagne hitlérienne, les rapports toujours cordiaux entre Luchaire et Abetz m'indisposaient et m'inquiétaient [...] Moi aussi, je prenais mes distances. Non sans tri58
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stesse."
Fragments, S.
123.
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77. Vom
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Gespräche mit ihnen suchen; das heiße mitnichten „Hitlers Spiel stellte Luchaire die Vorgänge in Deutschland als revolutioWiederholt spielen"62. nären Ausnahmezustand dar, dessen Ende offen und für dessen tiefere Ursachen das könne er, der lange Jahre die wirtschaftliche und seelische Depression und die ser
klärende
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„geistige Metamorphose" der jungen Deutschen verfolgt habe, beurteilen Verständnis angezeigt sei: „la violence d'aujourd'hui est née de la souffrance d'hier"63. In Verbindung mit dem Vorwurf, die Altvorderen hätten diesem Drama tatenlos zugesehen, versuchte er, ein Leitmotiv seines politischen Handelns aufgreifend, den Richtungsstreit der französischen Pazifisten als neue Runde im unvermindert schwelenden Generationenkonflikt zu interpretieren64. Der Aufstieg des Nationalsozialismus war in seinen Augen kein Grund, die Perspektive zu ändern. Seine Überzeugungen, sein .pacifisme à tout prix' blieben unerschüttert, ebenso sein Glauben an die segensreiche Funktion lebendiger zwischenstaatlicher Kontakte, ohne die jedes Gespräch auf Regierungsebene gleichsam im luftleeren Raum stattfinde65. Eine gewisse Trotzhaltung und das einträgliche Werben der Deutschen um seine Dienste gesellten sich, der inneren Distanz nicht eben förderlich, hinzu. Bei all dem galt Luchaire, ähnlich wie Abetz, ein deutsch-französisches Miteinander als kategorischer Imperativ, an welchem er, scheinbar unberührt von ideologischen Barrieren, moralischen Fragezeichen und dem fortschreitenden Verlust französischer Machtpositionen, meinte festhalten zu müssen66. Den letztlich schrankenlosen Eroberungswillen der nationalsozialistischen Führung, der eine für Frankreich akzeptable Partnerschaft ausschloß, haben beide, wie zu zeigen sein wird, gründlich unterschätzt, teilweise fahrlässig ignoriert, meist nur vermeintlich konterkariert, unter dem Strich sogar gefördert. Vor 1933 und auch danach war Luchaires Engagement mit der Vision eines geeinten Europas verknüpft, jenes von Abetz mit dem Ziel einer Revision der in Versailles gezogenen Grenzen. Diese „Geradlinigkeit", in Kombination mit bestimmten Charakterzügen, erwies -
62 63
Vgl. Luchaire, Sp. 247-250.
franco-allemandes, in:
Notre
Temps,
7. 5.
1933,
April, Sp.217ff. et
crise des démocraties".
Luchaire, La paix, problème de conscience?, in: Notre Temps, 25. 6. 1933, Sp. 565. Damit bezog er unmißverständlich Position gegen Basch, der verlangt hatte, sich auf die nötigsten offiziellen Beziehungen zu Deutschland zu beschränken (La Volonté, 7. Mai). In den kommenden Jahren
66
réunions
Luchaire, Retour à la querelle des générations, sicherlich auch ein Konter gegen die gallige Koketterie Baschs mit seinem Alter, das ihm vermutlich den rechten Durchblick verstelle. Siehe ferner die Sonderausgabe von Notre Temps vom 2./9. 7. 1933, „Querelle des générations
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aux
Ders., Retour à la querelle des générations, in: Notre Temps, 14. Mai, Sp. 295-300; mit gleichem Tenor Jean-Louis Crémieux, La jeunesse allemande, Notre Temps, 28. Mai, Sp. 391-395. Mit deplazierter Jovialität appellierte Guy Crouzet an die Einsicht der Franzosen, daß Volkscharaktere völlig unterschiedlich beschaffen seien und die Deutschen, so es ihnen gefalle, das Recht hätten, sich an Massenaufmärschen, Gleichschritt, Bier und völkischer Gefühlsduselei zu ergötzen. Crouzet, L'esprit de la paix à l'épreuve, Notre Temps, 30.
64
Réactions
zeigten sich weite Bevölkerungskreise, allen voran die französischen Kriegsveteranen, gesprächsbereit, eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der NS-Propaganda insgesamt und für Abetz' Initiativen im besonderen. Vgl. Bertrand de Jouvenels selbstironischen Kommentar in La République vom 7. 5. 1933: „Je veux un rapprochement. Là est mon crime!"
2.
Begegnungen in Paris (1933) und Berlin (1934)
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sich als
verhängnisvoll. Mit beklagenswerter Konsequenz entwickelte sich der eloquente, über die Maßen geschäftstüchtige Franzose zum allzeit verfügbaren Claqueur der immer aggressiver sich gebärdenden NS-Diplomatie, sein ebenso sendungsbewußter wie obrigkeitsbeflissener deutscher Freund zu einem ihrer umstrittensten Handlanger. In welche Untiefen sie ihre schleichende Verstrickung führen würde, ließ sich im Frühjahr 1933 kaum absehen; die Gabelung, an der sie auf „faschistische Abwege"67 gerieten, war allerdings erreicht. Aus Paris heimgekehrt, war Abetz Verdächtigungen und Ermittlungen der po-
litischen Polizei ausgesetzt, blieb aber von weiterer Unbill verschont. Er formulierte umgehend eine für die Reichsbehörden bestimmte Denkschrift, die die Tagung als durchschlagenden Erfolg wertete und seine Aktivitäten einmal mehr als vorzügliches Mittel anpries, zum Nutzen der neuen Regierung auf die beunruhigte französische Öffentlichkeit einzuwirken. Den nach längerem Tauziehen mit dem Auswärtigen Amt gewählten Veranstaltungsrahmen begründete er nun, Einsichtsfähigkeit demonstrierend, damit, daß „die Entstellung der innerpolitischen Entwicklung Deutschlands im Ausland einer fruchtbaren außenpolitischen Aussprache größeren Stils zum vorgesehenen Zeitpunkt im Wege zu stehen schien". Anderseits, verteidigte er seine Hartnäckigkeit, habe es die „auch in Frankreich um sich greifende antideutsche Greuelpropaganda" erfordert, „im Sinne der AufHerrn des Reichskanzlers alle Beziehungen zu ihrer Bekämpfung ausforderung zunützen". Die „Gefahr eines Umfalls der vom Sohlbergkreis in die Antiversaillesfront gewonnenen französischen Verbände" sei „immer akuter" geworden. Mit sicherem Gespür für zugkräftige Argumente berief er sich kurzerhand auf Hitler, und das Ergebnis, das er präsentierte, sollte alle Zweifler Lügen strafen: „Schon unser Kommen allein und die Erneuerung alter persönlicher Bindungen war für die jungen Franzosen Ursache genug, Versteifung und Ablehnung aufzugeben, und die Atmosphäre des guten Willens war geschaffen." Man habe über die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Ursachen und Ziele der „nationalen Revolution" informiert und für ihr Verständnis unerläßliche Zusammenhänge aufgedeckt: „Die Franzosen wußten nicht, daß die Mehrheit der deutschen Jugend das System 1918 bis 1933 nur als innerpolitisches Exekutionsinstrument der Siegermächte [...] empfunden hat. So erklärt sich auch die in Frankreich so schwer verständliche Behandlung der Juden, die sich mit dem System identifiziert und daher am stärksten in seinen Fall verstrickt hatten." Die Aufgeschlossenheit seiner Pariser Gesprächspartner nannte Abetz „frappierend"; am Ende hätten sich etliche „begeistert zur geistigen Parole der deutschen Revolution" bekannt, „und diejenigen, welche uns nicht zu folgen vermochten, riefen zu sachlichem, gutnachbarlichem Verstehenwollen unseres politischen Weges auf", womit zumindest ein neutralisierender Effekt bewirkt sei. Gestützt auf diese Erfolgsbilanz, tat Abetz dann gerade so, als sei eine ungehinderte und vor allem selbständige Fortsetzung seiner Aktivitäten bereits ausgemachte Sache: „Es wird Aufgabe aller weiteren Sohlbergarbeit sein, diese Ebene der Betrachtung zu wahren, weil erst von ihr aus die Mißverständnisse, welche sich im Ausland um die taktischen Maßnahmen [!] Ein Ausdruck des Genfer Historikers
Philippe Burrin; vgl. ders., La dérive fasciste.
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II. Vom
Sohlbergkreis zur Reichsjugendführung
der deutschen Revolution häufen, zu beheben sind. Die Mehrzahl der durch die Pariser Besprechungen erfaßten Zeitungen und Zeitschriften wird von uns laufend mit Artikeln beliefert werden [...] Auch die persönlichen Kontakte werden systematisch durch Besuche, Briefwechsel und Vorträge ausgebaut."68 Kann es einen zwingenderen Beweis dafür geben, daß sich Abetz, sein Fähnchen karrierebewußt nach dem Wind drehend, zur willfährigen Anpassung an die neuen Machthaber und offensiven Verbreitung ihrer Propaganda bereit fand?69 Binnen weniger Wochen, so scheint es, war aus dem aufmüpfigen bündischen Autonomisten ein linientreuer, zuverlässiger Gefolgsmann Hitlers geworden, der seine vielfältigen Verbindungen nach Frankreich und sein frankophiles Renommee nicht mehr allein dazu benützte, traditionellen deutschen Revisionsansprüchen Geltung zu verleihen, sondern darüber hinaus für eine wohlwollende Tolerierung der NS-Diktatur warb und ihren Terror gegen Oppositionelle und zum Feindbild verdammte Bevölkerungsgruppen zu legitimieren suchte. Die „Metamorphose vom jugendbewegten Idealisten zum nationalsozialistischen Funktionär"70 hatte ein entscheidendes Stadium erreicht. Über mögliche Motive seines auf den ersten Blick prinzipienlosen Verhaltens, das massive Zweifel an seiner politischen wie charakterlichen Lauterkeit weckt, wird gleich zu sprechen sein. Zunächst ist festzuhalten, daß Abetz' demonstrative Kooperationsbereitschaft bei Behörden und in Parteikreisen zusehends auf Resonanz stieß. Nach einigen Monaten der Ungewißheit, wohl auch persönlicher Zurückhaltung im Gefolge kleinerer Scharmützel mit der Geheimpolizei wurde er vom Herbst 1933 an nicht nur geduldet, sondern im Kontext der an Kontur gewinnenden, auf Beschwichtigung zielenden deutschen Frankreichpolitik regelrecht umworben. Die Reichsjugendführung (RJF), soeben dabei, ein eigenes Grenz- und Auslandsamt einzurichten, begann sich für seine Mittlerfähigkeiten zu interessieren, und mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes durfte er unter dem Signum des Sohlbergkreises, also im Zeichen äußerer Kontinuität, eine weitere deutsch-französische Zusammenkunft organisieren. In Berlin habe sich allmählich „eine objektivere und gerechtere Würdigung der Arbeit des Sohlbergkreises" durchgesetzt, kommentierte er diese Entwicklung, die seinen hauptberuflichen Einstieg in die halbamtliche nationalsozialistische Außenpolitik brachte, noch in seinen Memoiren mit spürbarer Genugtuung71. Zur Vorbereitung des für Januar 1934 geplanten Treffens, das namhafte französische Jugendfunktionäre, Publizisten und Schriftsteller in die Reichshauptstadt lockte, weilte Abetz Ende Oktober 1933 in Paris. Dort stieß er auf „nicht unerhebliche" Schwierigkeiten, „da die Gegner unserer Arbeit vor den häßlichsten Verunglimpfungen unserer französischen Partner nicht Halt machen". Luchaire 68 69
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„Denkschrift des Sohlbergkreises zur Pariser Aussprache vom 21./22. April 1933"; PA/ AA, Botschaft Paris 1050/1. Mit diesem Tenor Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 135 f., 249; Thalmann, Du cercle de Sohlberg au Comité France-Allemagne, bes. S. 71 ff. Differenzierter Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 85 f. Tiemann, S. 251. Abetz, Das offene Problem, S. 39.
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Begegnungen in Paris (1933) und Berlin (1934)
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nach der Ostertagung und seinem „mutigen Eintreten für Deutschland in Presse und Versammlungen" derart attackiert worden, daß ein Wechsel an der Spitze des „Comité d'Entente" vorteilhaft erschien72. Den Vorsitz hatte nun Bertrand de Jouvenel, ebenfalls ein ausgewiesener Befürworter des Dialogs mit HitlerDeutschland73, für den er auch rechte Gruppierungen wie die „Jeunesses patriotes" und die „Action Française" zu interessieren suchte74. Trotz erschwerter Bedingungen sei das Comité entschlossen, den „Gedanken eines freundschaftlichen Ausgleichs der nationalen Interessen" zu verteidigen, meldete Abetz, der im übrigen gezielt an Skeptiker und NS-Gegner herantrat, „um aufgrund der persönlichen Beziehungen politisch aufklärend wirken zu können", offenbar mit dem Erfolg, daß etliche Verbände ihren ablehnenden Standpunkt überdenken und wenigstens Beobachter nach Deutschland entsenden wollten, darunter solche, die das Comité zwischenzeitlich schon verlassen hatten. Die Berliner Veranstalter, resümierte Abetz, dürften „auf eine sehr repräsentative Beschickung aus Frankreich rechnen"75. Das war angesichts früherer Teilnehmerkreise übertrieben; die tiefere Bedeutung der Sondierungen lag sicherlich darin, daß es gelang, einige bewährte Kontakte über die Wechselfälle des Jahres 1933 hinwegzuretten. Die etwa 15köpfige Abordnung, die Anfang Januar nach Deutschland fuhr, rekrutierte sich im Kern aus vertrauten Gesichtern und Organisationen, vorneweg Bertrand de Jouvenel vom „Comité d'Entente". Notre Temps entsandte Léon-Marie Brest und den Sohlbergveteranen Alfred Silbert, der zwischenzeitlich in Indochina gearbeitet hatte, die künftigen Friedensaussichten pessimistisch beurteilte, indes wie so viele Landsleute überzeugt war, „qu'il faut toujours essayer"76. Auch das „Groupement universitaire pour la Société des Nations" und die „Ligue d'action universitaire républicaine et socialiste" (Weil-Curiel) waren erneut vertreten, ebenso Drieu La Rochelle, der ein freundschaftliches Verhältnis („une espèce d'amitié") zu Abetz entwickelte77. So effektiv sich Abetz wieder einmal in Szene zu setzen wußte, zumindest für die französische Diplomatie war er noch immer ein Niemand, was besonders in
war
72
Abetz
an
Auswärtiges Amt, 31. 10. 1933, mit dreiseitigem „Bericht Pariser Reise Abetz
1933"; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Der Briefkopf des Anschreibens weist Abetz als Geschäftsführer, Friedrich Bran als Leiter des Sohlbergkreises aus, was Brans Angaben über einen taktischen Führungswechsel im Frühjahr 1933 (siehe Anm. 26) stützt. Abetz' Bericht zufolge erhielt er für seine Sondierungen vom Auswärtigen Amt 450 RM. Vgl. de Jouvenel, Mort de l'Allemagne démocratique, in: DFR 6 (1933), S. 218-220. Thalmann, Du cercle de Sohlberg au Comité France-Allemagne, S. 74, mutmaßt, das AA könnte Luchaires Ablösung unter Hinweis auf gesellschaftliches Prestige und politischen Einfluß der Familie de Jouvenel betrieben haben. Abetz nennt als zusätzlichen Rücktrittsgrund die starke berufliche Inanspruchnahme des Freundes nach der soeben erfolgten Umwandlung von Notre Temps in eine Tageszeitung. „Bericht Pariser Reise Abetz"; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Mit gleichem Tenor Abetz an Legationsrat Kühn (Paris), 18. 11. 1933, ebenda. In diesem im Original vorliegenden Dokument hat Abetz das Wort „Leiter" (des Sohlbergkreises) handschriftlich in „Geschäftsführer" verbessert. Zeugenaussage Silberts im Abetz-Prozeß, 19. 7. 1949, pag. 55 f.; AN, 334 AP 49. Vgl. Drieu La Rochelle, Fragment de mémoires 1940-1941 (niedergeschrieben im Jahre 1943), S. 37. 22.-28. Oktober
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II. Vom Sohlbergkreis zur Reichsjugendführung
jüngsten, öffentlich ausgefochtenen Kontroversen um Sinn und Zulässigkeit Austauschbeziehungen mit dem .Dritten Reich' doch etwas erAuf eine staunt. Anfrage des Quai d'Orsay, von de Jouvenel über das neue Vorhaben informiert, antwortete Botschafter François-Poncet, er werde sich beim Karlsruher Konsulat hinsichtlich der Seriosität des Sohlbergkreises erkundigen, desgleichen über den Leumund von Abetz, den er fälschlich als Fabrikdirektor („directeur d'usine") einstufte. Ob es opportun war, der Einladung nach Berlin zu folgen, hing für François-Poncet vom jeweils letzten Stand im deutsch-französischen Verhältnis ab; sollten Konflikte ausbleiben, spreche nichts gegen das Tref-
Anbetracht der
von
fen78. Berlin als Tagungsort war gewählt worden, um den Gästen „einen unmittelbaren Eindruck unserer nationalsozialistischen Politik zu geben", wie Friedrich Bran in Hochschule und Ausland vermerkte79. Diesem Zweck diente ein „Feuerwerk gezielt-propagandistischer Darbietungen"80, ein Dinner mit hochrangigen HJ-Funktionären ebenso wie der Besuch eines Arbeitslagers und eines Spielscharabends der Hitlerjugend81. Die deutschen Referenten, unter ihnen der Präsident der Reichsschrifttumskammer, Hans Friedrich Blunck, kehrten die vermeintlichen Segnungen des Nationalsozialismus für Staat, Wirtschaft und Kultur mit einer Mischung aus Heilsgewißheit, Überlegenheitsdünkel und Anspruchsdenken heraus, die den ohnehin verblaßten Traum einer jugendlichen Internationale als Gegenpol und Korrektiv zur politischen Wirklichkeit vollends zum Trugbild verzerrte. Walther Reusch von der Deutschen Studentenschaft geißelte Frankreichs „Hauptfehler" die Illusionen bezüglich der Anwendbarkeit des Versailler Diktats -, ein Berliner HJ-Führer schwadronierte über jüdische Störenfriede im Land und die Verdienste der Partei um die Reinhaltung der deutschen Rasse82. Zugleich aber waren die NS-Offiziellen bemüht, sich als berechenbare Partner zu präsentieren, wozu sie sich in bezeichnender Weise des Sohlberg-Mythos bedienten. „Die Vertreter der Hitlerjugend stehen heute vor Ihnen als Repräsentanten der gesamten deutschen Jugend [...] Auch hier im Sohlbergkreis steht Ihnen diese Ju-
gend gegenüber", sagte Nabersberg in seiner Begrüßungsrede. „Helfen Sie uns beim Brückenbau."83 In einer amtlichen Pressemitteilung hieß es, die „Tradition 78
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François-Poncet an das französische Außenministerium, 4. 12. 1933; Archives diplomatiques du MAE/Nantes, Berlin: Série B, Télégrammes de Berlin, Canon 128. Für diesen Hinweis danke ich Corinna Franz (Univ. Bonn).
Bran, 5. Deutsch-französische Jugendbegegnung des Sohlbergkreises, in: Hochschule und Ausland 12 (Februar 1934), S. 41-46, das Zitat auf S. 43. Als weitere Quellen wurden herangezogen: DFM, Januar-Februar 1935, S. 122f. („Jahresrückschau 1934"); die Notre Temps-Ausgaben vom 5.-10. 1. 1934; die gründlichen Analysen von Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 251 ff., und Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 86 ff.
Tiemann, S. 254.
Silbert berichtet, er und Drieu La Rochelle seien auch von Alfred Rosenberg empfangen worden, wobei Abetz dolmetschte; wie Anm. 76. Peinlich vor diesem Hintergrund Abetz' spätere Behauptung, die Gastgeber seien den „Volljuden" in der französischen Delegation ausgesucht höflich begegnet. „Curriculum
vitae", pag. 6; AN, F 7/15331. Das offene Problem, S. 39. DNB, Nr. 19 vom 4. 1. 1934, „Deutsche und französische Jugend auf derTagung des Solberg-Kreises" [sie!]; PA/AA, R 70545.
2.
Begegnungen in Paris (1933) und Berlin (1934)
91
des Sohlbergkreises" ermögliche „eine offene, kameradschaftliche Diskussion" zwischen jungen Franzosen und Nationalsozialisten84, und zum Abschluß der Tagung meldete das Deutsche Nachrichtenbüro: „Der Sohlbergkreis wird getreu seiner Überlieferung und seines Auftrags von der Reichsjugendführung die Beziehungen der Jugend beider Nationen auch weiterhin pflegen."85 Gleichschaltung und Vereinnahmung der Karlsruher Verständigungsinitiative waren offenkundig vollzogen. Bran seinerseits stellte die Berliner Veranstaltung als konsequente, auf Kontinuität bedachte Fortsetzung der 1930 begonnenen Arbeit dar, die in Frankreich „für unseren Volkstumsbegriff" und „für unsere nationalsozialistische Revolution" Verständnis geweckt sowie „drüben den Revisionsgedanken gefördert" habe. Nachdem „eine Epoche unheilvoller deutscher Zwietracht" abgeschlossen worden sei, könne „das Verhältnis der erbfeindlichen Nachbarn eine neue Grundlage erhalten"86. Die Gäste, streckenweise beeindruckt von der geballten Demonstration kraftstrotzender Selbstsicherheit, beließen es bei eher zaghaften Einwänden und waren nicht einmal einer Meinung, ob drohende Konflikte besser im Rahmen des Völkerbundes oder in bilateralen Verhandlungen zu entschärfen seien. Drieu La Rochelle meinte, die Franzosen hätten weder die verheerenden moralischen Auswirkungen der Reparationszwänge noch die in der Krise zu suchenden Antriebskräfte der deutschen Massenbewegung jemals hinreichend erkannt, noch seien sie in vergleichbarem Maße marxistischen Parolen ausgesetzt gewesen (womit er sich offenbar den aggressiven Antisemitismus des HitlerRegimes erklärte). Er forderte Verständnis für den „deutschen Sozialismus" und interpretierte das nationalsozialistische Gesellschaftskonzept als notwendige „Blutsauffrischung der Führerschicht", ohne daß Deutschland deswegen auf ein Monopol des Germanentums in der Welt pochen dürfe. Das „nordische Element im Franzosentum" sah Drieu als künftigen Brückenkopf zwischen beiden Nationen, ebenso die Gilde der Schriftsteller, deren Aufgabe laute, „die deutsche Art in Frankreich verständlich zu machen". Die französischen Gäste reisten mit gemischten, aber keineswegs feindseligen Gefühlen nach Hause. Gesandtschaftsrat Kühn, der in den nächsten Wochen mehrfach Presseausschnitte über öffentliche Äußerungen der Berlinfahrer übermittelte, resümierte, vor allem de Jouvenel und Weil-Curiel machten „keinen Hehl" aus ihren günstigen Eindrücken87. Kritischer, vielleicht am treffendsten beschrieb René Georges-Etienne, wie Weil-Curiel ein Delegierter der „Ligue d'action universitaire républicaine et socialiste", die Stimmungslage: „Notre impression générale est qu'il est évidemment impossible, pour nous Français, de nous entendre sur le terrain idéologique avec les jeunes Allemands, qu'il est également très difficile de s'accorder sur les problèmes politiques, mais qu'en matière économique, le mouvement national-socialiste mérite d'être mieux compris et mieux étudié."88 Ökonomische Aspekte fesselten wie üblich auch de Jouvenel, der schon in 84
Ebenda.
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DNB, Nr. 43 vom 7. 1. 1934, ebenda. Bran, Jugendbegegnung, S. 41 f. Kühn (Paris) an Auswärtiges Amt, 27. 1. 1934; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Zit. nach den Cahiers des Droits de l'Homme, in: Kühn an AA, 16. 2. 1934, ebenda. Bran
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//. Vom
Sohlbergkreis zur Reichsjugendführung
Berlin „großes Verständnis für Deutschlands Bemühungen um die Neuordnung des eigenen Wirtschaftsraumes" bekundet hatte89. Silbert für seinen Teil honorierte die „sympathische Glut" der Hitlerjungen, denen er begegnet war: „leur enthusiasme était réel"90. Drieu La Rochelle sah seine faschistischen Neigungen bestärkt, was sich umgehend im schriftstellerischen Werk niederschlug91. Abetz berichtete über „sehr begeisterte Briefe" aus Frankreich, die zeigten, daß die Partner ihre Impressionen „mit Eifer weitertragen"92. Insgesamt darf man der Tagung einen Werbeeffekt für das .Dritte Reich' bescheinigen. Entscheidend aus Abetz' Sicht mußte sein, daß sich das vom Sohlbergkreis geknüpfte Beziehungsnetz wiederum als tragfähig erwiesen hatte, obwohl die Maschen dünner waren als zu Beginn der dreißiger Jahre. Doch auf dem Erreichten ließ sich aufbauen, in Frankreich wie in Deutschland, und Abetz frohlockte: „Jedenfalls ist unsere Arbeit jetzt über den kritischen Punkt hinweg, und wir haben für 1934 neue Möglichkeiten vor uns."93 Sogleich schmiedete er Pläne: Französische Jugendliche sollten Ostern und die Sommerferien im Schwarzwald verbringen; die nächste Tagung von Sohlbergkreis und „Comité d'Entente" war für August vorgesehen, eventuell auf einem Landgut der Jouvenels nahe Orléans. Schirach oder Carl Nabersberg, Leiter der RJF-Auslandsabteilung, sollte auf Einladung französischer Verbände im Rahmen einer großen Jugendkundgebung in Paris sprechen, ein Projekt, an dem besonders ein politisch heterogener Kreis um den Schriftsteller Jules Romains Interesse zeigte94. Außerdem regte Abetz einen Artikeldienst für deutsch-französische nach dem Krieg Mitglied in einem Freundeskreis der „Ligue d'action", dem GeorgesEtienne präsidierte. Das geht aus einem Bericht über die Generalversammlung des Kreises am 25. Qktober 1978 hervor; Privatbesitz Bran (Kopie beim Verf.). In einem Rückblick auf die Verbandsgeschichte bekannte der frühere Vorsitzende der Sektion Paris, Roger Pinto: „A la L.A.U.R.S. nous étions européens, et donc partisans du rapprochement franco-allemand. Mais pas à n'importe quelles conditions." Zit. nach Bran, Jugendbegegnung, S. 44. Wie Anm. 76. In einem Beitrag für die Nouvelle Revue Française schrieb er: „Or moi, je suis séduit par le courage des fascistes [...] et comme ils sont seuls entièrement courageux en Europe, je veux espérer encore qu'ils emploierent ce courage à faire le socialisme. Car si les fascistes ne font pas le socialisme, qui le fera?" Drieu La Rochelle, Une semaine à Berlin, in: NRF, Februar 1934, S. 887. Zu diesem Berlinaufenthalt und den hierbei gewonnenen Eindrükken, die auch die Endfassung des im November 1934 veröffentlichten Buches Socialisme fasciste beeinflußten, siehe Andreu/Grover, Drieu La Rochelle, S. 264 ff.; eine zeitgenössische Charakterisierung Drieus durch de Jouvenel, abgedruckt in ders., Voyageur, S. 201; Hofer, Faschistoide Literatur, in: Kohut (Hrsg.), Literatur der Résistance und Kollaboration, I, S. 119ff. Abetz an Konsul Depfel (AA), 30. 1. 1934, erstmals mit „Heil Hitler" unterzeichnend; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Ebenda. Ebenda und Notiz Epting (DAAD-Paris) über eine Besprechung mit Abetz, 3. 4. 1934. Der Pariser Botschaftsattache v. Dincklage notierte hierzu am 12. April, Romains habe einflußreiche Persönlichkeiten von den Neosozialisten bis zu den Croix de feu um sich geschart, so daß Schirachs Emissär „nicht vor einem x-beliebigen oder unmaßgeblichen Milieu, sondern vor einer Versammlung sprechen [würde], von welcher die Rede wieder in weiteste Schichten ausstrahlen würde"; ebenda. Zu Romains' „Gruppe des 9. Juli" siehe Burrin, La dérive fasciste, S. 82 f.; Andreu, Révoltes de l'esprit, S. 107-111. Mehrere Quelwar
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3.
Abetz' Weg in die HJ
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Themen an, schließlich habe man „Zugang zu etwa 20 Zeitschriften" des Nachbarlandes. Bedauerlich fand er, „daß alle diese Initiativen nicht mit dem nötigen Maße an Zeit und Geld verfolgt werden können. So muß manches unerledigt bleiben, das für das Deutschlandurteil der jungen Franzosen nützlich sein könnte."95
3.
Anpassung mit Hintergedanken: Abetz' Weg in die HJ
grundlegend ändern, denn schon bald standen ihm Ressourcen in ungekannter Größenordnung zur Verfügung. Sein Konzept, sich zugleich als Wegbereiter eines friedlichen Ausgleichs und loyaler Interpret der Regierung Hitler zu profilieren, ging auf und ermöglichte ihm den Einstieg in eine steile Karriere unter dem Hakenkreuz. Auf Vorschlag von Nabersberg, der die Berliner Veranstaltung positiv bewertete, und Friedhelm Kemper, der verschiedene Aussprachen mit der HJ vermittelt hatte, offerierte ihm die Reichsjugendführung vermutlich noch im Januar 1934 ihr Frankreichreferat. Vorgabe: die Intensivierung der deutsch-französischen Jugendbeziehungen96. Auch die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes soll ihn für diese Funktion empfohlen haben97. Abetz indessen zögerte und stellte „Bedingungen", um sich gestalterische Freiheiten zu bewahren. Seine Behauptung, der Sohlbergkreis sei daraufhin „als unabhängige Organisation" in die Reichsjugend integriert worden98, suggeriert durchschlagenden Verhandlungserfolg, spiegelt freilich nicht die Wirklichkeit, sondern allenfalls persönliches Wunschdenken. Das subjektive Gefühl, weitgehend selbständig zu operieren, wurde durch sein rasches Hineinwachsen in eine Schlüsselposition der halbamtlichen deutschen Frankreichpolitik, von Hitler gefördert und in gewollter Abgrenzung zur offiziellen Diplomatie betrieben, fraglos genährt. Dies sollte sich
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len weisen darauf hin, daß ein Vortrag Nabersbergs in Paris tatsächlich zustande kam. In der „Jahresrückschau 1934" der DFM wird als Datum der 16. Juni, als Thema „das Wollen der deutschen Jugend" genannt (Januar-Februar 1935, S. 122). Schirach erwähnt den Auftritt seines Abteilungsleiters (Hitler-Jugend, S. 154) und zählt ihn zu den seither „wesentlichsten Begegnungen zwischen deutscher und fremder Jugend". Johannes Maaß (Deutsche Studentenschaft) schreibt in einem Bericht vom Juli 1934, daß er während seines jüngsten Parisaufenthalts Nabersberg „bei seinem Vortrag an die Hand" gegangen sei; enthalten in: Böhme (AA) an Botschaft Paris, 20. 7. 1934, ebenda. Über den Inhalt von Nabersbergs Ausführungen konnte nichts ermittelt werden. Nabersberg, Jg. 1908, war in der Folge Abetz' direkter Vorgesetzter und nachweislich wiederholt an organisatorischen Besprechungen mit Franzosen beteiligt. Romains referierte am 12. November 1934 auf Einladung des Sohlbergkreises in Berlin. Abetz an Depfel, 30. 1. 1934; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Vgl. „Vernehmungsniederschrift" vom 7. 12. 1937, pag. 1 f.; BDC/Abetz. Vernehmung durch John Fried am 28. 5. 1947, pag. 1; StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, A 2. Affidavit Kemper, Scheinwerfer, Nr. 19 (September 1949). Abetz-Prozeß, 12. 7. 1949, pag. 14; AN, 334 AP 49. Das offene Problem, S. 39. Verhörprotokoll Nr. 204/4 der Renseignements Généraux vom 21. 11. 1945, „Circonstances de l'adhésion d'Otto Abetz au National-Socialisme"; AN, F 7/15331. Vgl. Abetz, Das offene Problem, S. 40: „Meinen Bedingungen wurde entsprochen".
94
//. Vom
Sohlbergkreis zur Reichsjugendführung
Gesichert erscheint, daß er darauf bestand, ehrenamtlich tätig zu werden, und dadurch privat in einen erheblichen finanziellen Engpaß geriet. Sein Antrag auf Beurlaubung aus dem badischen Schuldienst für zunächst zwei Jahre und Versetzung an ein Berliner Gymnasium wurde zwar bewilligt. Doch nachdem er mit seiner Familie nach Berlin gezogen und zum 31. Juli 1934 im Rang eines Unterbannführers der Hitlerjugend beigetreten war, nahmen ihn RJF und bald auch Ribbentrop, seine vielen Reisen und nicht zuletzt die eigenen Ambitionen derart in Anspruch, daß er keine Unterrichtstätigkeit mehr ausübte99. Jules Romains, der die Eheleute Abetz im November in ihrer bescheidenen Etagenwohnung besuchte, fühlte sich an ein Studentenpärchen auf dem Montparnasse erinnert, das von Luft und Liebe lebt. Suzanne erzählte ihm, die schwindenden Reserven hätten eine Anleihe bei ihrer Familie in Lille notwendig gemacht. Otto stelle lediglich Reisekosten in Rechnung, weigere sich aber, Gehalt zu empfangen, weil seine Arbeit dadurch kompromittiert werden könnte100. Wie lange dieser Zustand andauerte, läßt sich nicht exakt rekonstruieren. Nach dem Krieg erklärte Abetz einmal, das ganze Jahr 1935 ohne geregelte Einkünfte geblieben zu sein101. An anderer Stelle gab er an, von 1935 bis 1939 in Höhe seiner letzten Assessorenbezüge entschädigt worden zu sein102. Spätestens von 1936 an vergütete ihm die Dienststelle Ribbentrop nachweislich 850 RM brutto im Monat103. Daß er so perfide war, eine Existenz nahe der Armutsgrenze vorzutäuschen, um französisches Mißtrauen zu zerstreuen, glaubten nicht einmal spätere Gegner; etliche von ihnen hatten 1934 im Gegenteil den bestimmten Eindruck, mit einem um Anständigkeit bemühten, insgeheim sogar gegen seine Regierung opponierenden Mann zu verkehren. Daß er sich anderseits auf Finten verstand und schon geraume Zeit als kämpferischer Anhänger des Nationalsozialismus gerierte, rückt erneut die Frage nach seinen Motiven und Absichten in den Brennpunkt. Zu Beginn und nach dem Zusammenbruch des .Dritten Reiches' versuchte Abetz den Franzosen sein engagiert-linientreues Gebaren als eine Art Doppelspiel zu erklären, als verantwortungsbewußt kalkulierten Kunstgriff im Interesse einer höheren Sache. Allen Anwürfen zum Trotz beteuerte er, sich mit den Nationalsozialisten nicht identifiziert, sondern lediglich arrangiert zu haben, um bedenklichen Entwicklungen nach Kräften steuern zu können: „Die Verständigungsarbeit mit Frankreich war unter Hitler unendlich viel schwieriger, aber da99
Vgl. Lebenslauf vom 23. 8. 1937 und Angaben zur Person vom 13. 2. 1944; BDC/Abetz. Ferner 12. 7.
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Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
Frankreichkontakte des Hochverrats und erließ Haftbefehl, dem er sich durch vorläufigen Verbleib in Paris entzog41. Seine „fanatische"42 Hingabe an die Verständigung und die außerordentlichen Sympathien, die er in französischen Veteranenkreisen genoß, paßten freilich zu perfekt ins Konzept der Hitlerschen Beschwichtigungskampagne, als daß die politische Verfolgung von Dauer gewesen wäre. Zudem setzten sich einflußreiche Franzosen für ihn ein, namhafte Frontkämpfer ebenso wie Daladiers Kabinettschef, der erklärte, solange solche Männer geächtet würden, könne seine Regierung unmöglich an die Aufrichtigkeit nationalsozialistischer Annäherungsversuche glauben43. Das Verfahren wurde eingestellt; Distelbarth konnte fortan unbehelligt zwischen Paris, wo er journalistisch tätig war, und seiner im schwäbischen Unterland gebliebenen Familie pendeln44. Weihnachten 1935 erschien im Rowohlt-Verlag sein vielbeachtetes, mit ideeller und materieller Unterstützung der Union fédérale geschriebenes Buch Lebendiges Frankreich, für damalige Verhältnisse ein Bestseller, bis 1939 fünfmal aufgelegt und auch ins Französische übersetzt45. Das Werk, eine auf eigenem Erleben basierende, von tiefer Zuneigung getragene Wesensbestimmung des französischen Volkes, in vielerlei Hinsicht eine Replik auf Sieburgs Gott in Frankreich?46, wollte zählebige Klischees und Vorurteile ausräumen und so zu einem friedlichen Miteinander beitragen. Gegen den Strom der nationalsozialistischen Publizistik schwimmend, die bevorzugt auf vermeintliche französische Schwächen abhob, porträtierte Distelbarth die .Grande Nation' als ausgereiftes, lebenstüchtiges Staatsgebilde, das seine wahre Stärke aus der Provinz schöpfe und unter der turbulenten Oberfläche verblüffend homogen sei. Er scheute sich nicht, den Idealen von 1789 zu huldigen47. Selbst deutsche Emigranten staunten über soviel Eigenständigkeit. Hermann Wendel fragte sich, ob das Buch tatsächlich aus „dem brau-
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Ebenda, S. 172.
So Friedrich Sieburg in einer Rezension von Lebendiges Frankreich, in: Frankfurter Zeitung, 17. 3. 1936. Zit. bei Bock, Einzelgänger, S. 109. Um seinem bedrängten deutschen Freund zu helfen, wandte sich Pichot an das Außenministerium. Am 11. Mai 1933 antwortete Paul-Boncour: „Je vais bien volontiers faire mon possible en faveur de M. Paul Distelbarth, dont la situation est vraiment émouvante [...] Mais je crois que cela sera très difficile." AN, 43 AS 1, dr. 2. Bock, Paul Distelbarth, S. 222; ders., Einzelgänger, S. 107 ff. Distelbarths Situation nach 1933 erscheint vor dem Hintergrund familiärer Bande, persönlicher Überzeugungen und gebotener taktischer Zurückhaltung einigermaßen kompliziert. Er will es nicht gewagt haben, „für dauernd nach Deutschland zurückzukehren, wo ich dem sicheren Untergang verfallen wäre" (Franzosen und Deutsche, S. 172). Kritischen Anmerkungen zum teils erzwungenen, teils selbstgewählten Exil in Frankreich von Geiger, Sympathie für den Feind?, S. 605, stellt Bock in seinen Arbeiten überzeugend das Porträt eines geradlinigen, um größtmögliche Unabhängigkeit bemühten, stets ehrlich für eine Besserung des deutsch-französischen Verhältnisses eintretenden Mannes gegenüber. Zu Entstehung, Veröffentlichung und Rezeption Bock, Paul Distelbarths Lebendiges
Frankreich, S. 99-113. Siehe Margot Taureck, „Esprit" und „Bonne volonté" bei Friedrich Sieburg und Paul Distelbarth, in: Bock u.a. (Hrsg.), Entre Locarno et Vichy, I, S. 187-202. Distelbarth, Lebendiges Frankreich, S. 217ff.
2.
„Sonderbotschafter" Joachim v. Ribbentrop
121
Berlin des Jahres 1936" stamme48. Die meisten Rezensenten im Reich zerrisideologischen Gründen förmlich in der Luft. Einzig die überaus positive internationale Resonanz und der Umstand, daß ein Verbot einer „Selbstwiderlegung der nationalsozialistischen Verständigungsrhetorik gleichgekommen" wäre, sicherten die fortgesetzte Publikation eines Werkes, das erkennbar Züge „verdeckter Opposition" gegen das Hitler-Regime trug49. Auch die DeutschFranzösischen Monatshefte, programmatisch dem Ausgleich verpflichtet, monierten spitz, man vermisse „den für uns unerläßlichen stolzen Willen, auch die französische Seite zum Verständnis, gerade des neuen Deutschland, zu führen"50. Distelbarth focht das nicht an. In seinem zweiten, 1938 veröffentlichten Buch Neues Werden in Frankreich schilderte er die im Reich gemeinhin als Ausgeburt des Bolschewismus verteufelte Volksfrontregierung als harmlosen Ausdruck eines verbreiteten Unwillens gegen den Einfluß der Hochfinanz und mochte allenfalls eine „marxistische Etikette" erkennen. Die eigentliche marxistische Doktrin sei französischem Wesen hingegen fremd51. Solche interpretatorischen Freiräume duldeten die nationalsozialistischen Herrscher nicht ohne Hintergedanken. Distelbarths „blinde Verliebtheit", wie Kritiker seine Haltung zu Frankreich tadelten52, nützte ihnen insofern, als sie aus propagandistischen Gründen Wert darauf legten, sich dem Ausland als weltoffen und meinungsfreudig zu präsentieren. Der Autor stützte diese Absicht, wenn er schrieb, die durch sein Buch ausgelöste Diskussion und nicht zuletzt die Möglichkeit einer Neuauflage hätten bewiesen, „daß eine so heikle Frage, wie die deutschfranzösische, in Deutschland sehr wohl in voller Unabhängigkeit erörtert werden kann"53. Mit Feststellungen dieser Art, die wie lästige Konzessionen anmuten, ertrotzte er sich ein véritables Stück Meinungsfreiheit. Daß ihr zwangsläufig Grenzen gesetzt waren, dokumentiert der Hinweis an seine Leser, von Freimaurern, Juden und Emigranten sei deshalb keine Rede, „weil sie schlechterdings nicht zu den lebendigen Kräften des französischen Volkes gerechnet werden können"54. Gewissen Spielraum sicherte auch Distelbarths unverminderte Geltung bei den vom Hitler-Regime umworbenen Anciens combattants, denen er entscheidendes innenpolitisches Gewicht beimaß: Allein durch ihre Zahl seien sie eine große Macht, „die stärkste, die es in Frankreich gibt". Für bestimmte Ziele, etwa gegen einen mutwillig heraufbeschworenen Krieg, könne diese Masse leicht mobil gemacht werden: „keine Polizei, keine Truppe würde wagen, sich ihr in den Weg zu nen
sen es aus
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Leo Parth
(i.e.
Hermann
(Jg. 1936), S. 354.
Wendel), „Lebendiges Frankreich", in: Das Neue Tagebuch
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Bock, Distelbarths Lebendiges Frankreich, S. 109 ff. Drei Bücher über Frankreich, in: DFM, Januar 1936, S. 24 (Hervorhebung im Original). Distelbarth, Neues Werden, S. 27, 38 ff. Vgl. Ewald Dolch, Lebendiges Frankreich?, in: Stuttgarter Neues Tagblatt, 11./12. 1. 1936. Der Rezensent rügte Distelbarths fehlendes „inneres Verhältnis" zum Nationalsozialismus. „Man sieht, wo man auch das Buch aufschlägt, Voreingenommenheit für Frankreich und gegen Deutschland. Für den Verfasser ist die Uhr des Geschehens am 30. Januar 1933
stehengeblieben." Lebendiges Frankreich, Vorwort zur 2. Aufl. (Oktober 1936), S. 3. Ebenda, S. 2.
122
777.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
stellen"55. Der auch im Reich überaus populäre Henri Pichot pries Lebendiges Frankreich in einem Vorwort als warmherzigen Versuch, „hineinzuleuchten in das deutsch-französische Mißverständnis, Quelle tragischer Konflikte", der einzig erfolgverheißenden Richtschnur folgend, daß man einander kennen müsse, um sich verstehen und verständigen zu können56. Am Fall Distelbarth wird deutlich, wie früh Ribbentrop danach trachtete, etablierte, massenwirksame deutsch-französische Gesellschaftsbeziehungen der Weimarer Zeit zu reaktivieren und damit einhergehend als Kanäle für die nationalsozialistische Paralleldiplomatie und Friedenspropaganda zu nutzen. Otto Abetz mit seinen in Eigeninitiative geknüpften Verbindungen zu französischen Frontkämpfern kam da wie gerufen, war allerdings, zumindest aus chronologischer Sicht, zweite Wahl zuerst hatte sich Ribbentrop ja um Paul Distelbarth bemüht. Abetz' spontane Rekrutierung zum Frankreichreferenten, obwohl er für Ribbentrop ein gänzlich unbeschriebenes Blatt war, läßt ahnen, wie sehr Hitlers Sonderbotschafter nach Distelbarths Verweigerung geeignete Kontaktpersonen zum Neuaufbau zwischenstaatlicher Organisationsstrukturen fehlten57. Der karrierebewußte HJ-Mann war zwar ein Neuling auf dem Gebiet des Frontkämpfertums, dafür brachte er gleichsam als Mitgift exzellente Verbindungen zu anderen gruppenspezifischen Verständigungsbewegungen im Nachbarland Jugendverbände und aufstrebende junge Intellektuelle in sein neues Amt ein. Wie Distelbarth, von dessen Reputation bei den Anciens combattants er bei seinem Werben indirekt profitiert haben mag58, stand auch er als Repräsentant aussöhnungswilliger Kreise nach der nationalsozialistischen Machtübernahme am Scheideweg. Beider Engagement gründete auf der Maxime, neuen Feindseligkeiten durch vertrauenbildende gesellschaftliche Kontakte entgegenzuwirken. In der Folge aber wählten sie grundlegend verschiedene Ansätze, um ihre vor f 933 begonnene erfolgreiche Mittlertätigkeit im .Dritten Reich' fortführen zu können. Der spätere Herausgeber der Heilbronner Stimme demonstrierte, daß es möglich war, sich dem ideologischen Konformitätsdruck zu entziehen und selbst dann aktiv für alte Ziele einzutreten, wenn man sich treu und außerhalb des Machtapparats blieb. Letzteres hatte Abetz als aussichtslos erachtet er setzte auf gestalterische Einflußnahme in Diensten des Regimes, kompromittierte sich mit dieser vermeintlichen Alternative jedoch rasch und gründlich. Distelbarth verachtete den „Renegaten der Jugendbewegung" dafür aus tiefstem Herzen, schimpfte ihn „das widerlichste Pro-
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Ebenda, S. 191. Henri Pichot, „Dem deutschen Leser", ebenda, S. 5, 7. „Ich kann sagen, daß Herr von Ribbentrop ursprünglich mich für diesen Posten in Aussicht genommen hatte", bestätigte Distelbarth Robert Kempner. Vernehmungsprotokoll
11. 8. 1947; StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, D 34. Im Juli 1934 bemühte Ribbentrop vergeblich um eine erneute Unterredung mit Distelbarth; Bock, Einzelgänger, S. 108. Das Überraschungsmoment bei Abetz' Verpflichtung klingt in dessen Einlassung vor Gericht an. Er sprach von „diesem Zufall mit Ribbentrop", der ihn „mit Beschlag belegt" habe. Abetz-Prozeß, 12. 7. 1949, pag. 15; AN, 334 AP 49. Mit diesem Tenor Prost, Les anciens combattants français et l'Allemagne, S. 139.
vom
sich
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3. Mitarbeiter und Aufgaben der Dienststelle Ribbentrop
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dukt von Schleim und Gallert, das es je gegeben hat"59. Vor propagandistischem Mißbrauch seiner Person war indessen auch er nicht gänzlich gefeit. Ungewollt hat er womöglich eine verhängnisvolle Entwicklung begünstigt: Indem er immer wieder die „unendliche Sehnsucht" der französischen Veteranen nach Frieden herausstellte und gleichzeitig ihren enormen Einfluß auf die Öffentlichkeit betonte60, gehörte er nach Einschätzung des Historikers und Zeitzeugen Gilbert Badia zu jenen, die Hitler zu der Auffassung verleiteten, die Franzosen würden eher jede beliebige Verletzung des Versailler Vertrags hinnehmen als einen neuen Krieg riskieren61.
Außenpolitik durch Außenseiter: Mitarbeiter und Aufgaben der Dienststelle Ribbentrop 3.
Nicht allein seine ausgezeichneten Kontakte nach Frankreich machten Otto Abetz interessant für Ribbentrop, sondern zumindest unterschwellig auch der Umstand, daß er, an den Maßstäben der klassischen Diplomatie gemessen, ein Außenseiter war. Deren gab es viele im ,Büro' des Sonderbotschafters, vom 1. Juni 1935 an .Dienststelle' genannt, angefangen beim Chef selber. Offizierssohn Ribbentrop, Oberleutnant im Ersten Weltkrieg, Wein- und Spirituosen-Importeur, nicht zuletzt durch seine Heirat mit der Tochter des Sektfabrikanten Henkeil zu ansehnlichem Wohlstand gelangt, bewirtete in seiner noblen Dahlemer Villa illustre Gäste aus Wirtschaft und Politik und bezeichnete sich als Anhänger der Deutschen Volkspartei, enthielt sich aber bis 1930 jeder aktiven politischen Betätigung62. Ein Regimentskamerad brachte ihn mit Hitler zusammen, den Ribbentrop mit Erzählungen über Auslandsaufenthalte beeindruckte. Für den ,Führer' war er „in vieler Hinsicht der Mann von Welt, dessen Ansichten mit den seinigen oft überraschend übereinstimmten"63. Am 1. Mai 1932 trat Ribbentrop der NSDAP bei, von August an vermittelte er zwischen seinem langjährigen Bekannten v. Papen und Hitler, die über die Bildung einer „nationalen" Regierung verhandelten. Sein Anspruch, nach dem 30. Januar 1933 zum Staatssekretär des Aus59
60 61
Distelbarth, Deutsch-französische Verständigung, in: Heilbronner Stimme, 2. 11. 1946. Die gleichen Formulierungen in Franzosen und Deutsche, S. 174. Vgl. ders., Lebendiges Frankreich, S. 185, 194, 201 ff. Badia, La France vue par Paul Distelbarth: un pays modèle, in: Bock u. a. (Hrsg.), Entre
et Vichy, I, S. 180. Im Oktober 1939 widersetzte sich Distelbarth dem Ansinnen Reichspropagandaministers, im Rundfunk zu den französischen Kriegsteilnehmern zu sprechen. Während des Krieges lebte er zurückgezogen auf seinem Gut. Über sein Wirken nach 1945 Bock, „Ich setze immer noch meine Hoffnung auf Frankreich", in: Lende-
Locarno
des
(1993), Nr. 71/72, S. 64-89. Michalka, Ribbentrop, S. 24 ff.; Döscher, Das Auswärtige Amt im Dritten Reich, S. Vgl. Bloch, Ribbentrop, Kap. I; Weitz, Ribbentrop, Kap. 2-7. mains 18
62 63
146 ff.
Jacobsen, Außenpolitik, S. 259. Mehrfach bezeugt ist die Unterwürfigkeit Ribbentrops gegenüber Hitler, dem er meist eilfertig nach dem Munde zu reden pflegte. Der spätere Staatssekretär des AA, Baron Steengracht v. Moyland, sprach in Nürnberg von einer „gewissen hypnotischen Abhängigkeit". Vernehmung Steengrachts am 26. 3. 1946; IMT, X, S. 127.
124
///.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
wärtigen Amtes berufen zu werden, blieb unerfüllt. Papen bedeutete ihm, für diesen Posten werde ein Mann „von breitem Wissen und erprobten Fähigkeiten" benötigt, ein Außenseiter käme dafür „am wenigsten in Betracht"64. Um parteiintern an Gewicht zuzulegen, stieß Ribbentrop daraufhin zur SS, wo er von Himmler protegiert und rasch befördert wurde. Auch auf außenpolitischem Terrain konnte er seinem rastlosen Ehrgeiz bald freien Lauf lassen, als sich eine ganze Reihe neuer, nichtstaatlicher Stellen in die internationalen Beziehungen einzumischen begann65. Hitler selbst hat diese Entwicklung wie auch in anderen Ressorts gefördert, um Verwirrung zu stiften und machtpolitische Konkurrenten in Kompetenzstreitigkeiten zu verstricken66. Hinzu kam, daß er das konservative Beamtenkorps des AA für ein völlig ungeeignetes Instrument hielt, seine revolutionären Ziele zu verwirklichen. Noch immer müsse sich die Staatsführung gegen die Bürokratie im Lande durchsetzen, klagte er im November 1938 vor DNB-Vertretern; am schlimmsten herrsche sie im Auswärtigen Amt. Diplomaten alten Schlages seien nicht Vertreter ihrer Völker, sondern Angehörige einer inter-
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nationalen Gesellschaftsklasse. Dieses Übel sei nicht von heute auf morgen abzustellen, es werde Jahre dauern, bis nationalsozialistisch geschulter Nachwuchs bereitstünde. Als bisher einzigen Mann des .Dritten Reiches', der es verstanden habe, „im Ausland richtig aufzutreten und das neue Deutschland dort zu repräsentieren", pries Hitler Ribbentrop, einen „Diplomat neuen Stils", der sich durch „Energie, Härte, Mut und Nerven" auszeichne67. Der servile Streber avancierte 1934 nach inoffiziellen Missionen in Paris und London zum Beauftragten der Reichsregierung für Abrüstungsfragen. In dieser Eigenschaft bezog Ribbentrop Büroräume in der Berliner Wilhelmstraße und sah sich nach Mitarbeitern um. Selber ein Amateur, galten ihm die gestrengen Kriterien, die Anwärter für den Auswärtigen Dienst erfüllen mußten, herzlich wenig. Er suchte seine Angestellten vielmehr danach aus, „ob sie ihm aufgrund ihrer Beziehungen im zwischenstaatlichen Verkehr persönlich nützlich sein konnten, in der Partei anerkannt wurden oder entsprechend seinen eigenen Vorstellungen Initiative entwickeln würden"68. Dieses Anforderungsprofil wurde umgehend zum Programm erhoben, aus weltanschaulicher Überzeugung wie aus Gründen der Selbstlegitimation. Jeder „Volksgenosse" müsse ungeachtet seiner Herkunft die Chance erhalten, seine Befähigung zur diplomatischen Laufbahn durch Leistungen und Charakter nachzuweisen, forderte ein Memorandenschreiber der .Dienststelle', der ein „Nachwuchshaus deutscher Diplomaten" projektierte. Bewerber sollten willensstark, unternehmungslustig, verantwortungsfreudig und von „klaren nationalsozialistischen Grundsätzen" geleitet sein, sich „von frucht-
Papen, Der Wahrheit eine Gasse, S. 421.
64 v. 65 Neben
der .Dienststelle' vor allem: Auslandsorganisation der NSDAP (AO), Außenpolitisches Amt der NSDAP (APA), Volksdeutscher Rat, Reichsministerium für Volksaufklä-
66 67
68
rung und Propaganda, SS/SD. Dazu ausführlich Jacobsen, Zur Struktur der NS-Außenpolitik, in: Funke (Hrsg.), Hitler, S. 137-185. Aufzeichnung Likus vom 11. 11. 1938 über Hitlers Auftritt vor der deutschen Presse am Vortag in München; PA/AA, R 27091. Jacobsen, Außenpolitik, S. 267.
3. Mitarbeiter und Aufgaben der Dienststelle Ribbentrop
125
loser Theorie fernhalten" und statt dessen durch „dauernde persönliche Fühlungnahme mit allen Schichten und Berufen [...] im In- und Ausland" ein wirklichkeitsnahes Weltbild entwickeln. Bar jeder Eitelkeit müßten sie Erfolge des .Führers' als größtmögliche Anerkennung ihrer Arbeit werten69. Die .Dienststelle' spezialisierte sich auf zwischenstaatliche Kontaktpflege. Den Kern bildeten die Referate „Frankreich", „England", „Osten" und „Volkstum/ Frontkämpfer". Die Mitarbeiter waren gehalten, Deutschlands internationales Ansehen zu mehren und ihren Chef rund um die Uhr mit aktuellen Informationen zu versorgen. Alles drehte sich darum, persönliche Beziehungen zu Angehörigen anderer Staaten aufzubauen und bei Bedarf spielen zu lassen, die Stimmung zugunsten des .Dritten Reiches' zu beeinflussen und feindseliger Propaganda entgegenzuwirken. Fremdsprachenkenntnisse und Auslandserfahrung waren erwünscht, ein gewinnendes Auftreten oberstes Gebot. „Die Leute aus Ribbentrops Umgebung gefallen denen, die mit ihnen zu tun bekommen", notierte Italiens Außenminister Ciano. „Es sind nicht die üblichen hölzernen deutschen Knoten, [...] sondern sympathische Jünglinge, welche fremde Sprachen gut sprechen und gelernt haben, eine Dame im Salon höflich zu behandeln, anstatt mit den Absätzen zu knallen."70 Unter solchen Prämissen fiel die Wahl unter anderem auf Wilhelm Rodde, der eine Kaufmannslehre in New York absolviert und zeitweise in Brasilien gelebt hatte; auf den Psychologie-Professor Karlfried Graf v. DürckheimMontmartin, der im Anschluß an einen Erzieher-Kongreß in Südafrika einen Bericht zur Lage des Deutschtums am Kap verfaßte; auf Dr. Hermann v. Raumer, ehemaliger Lufthanseat und überzeugter Antibolschewist; auf die .alten Kämpfer' Rudolf Likus und Walther Hewel, die Ribbentrops kümmerliche Hausmacht in der Partei aufpolieren sollten. Die Beispiele ließen sich fortsetzen71. In diesem heterogenen Kreis ins Auge stechen das geringe Alter, die akademische Bildung und die große Auslandserfahrung zahlreicher Mitglieder war die Zugehörigkeit zur NSDAP zunächst nicht zwingend erforderlich, der Beitritt zur SS ganz offensichtlich erwünscht72, in jedem Fall aber Platz für Männer vom Schlage eines Otto Abetz. Anläßlich seiner Ernennung zum Botschafter im August 1940 feierte ihn die NS-Propaganda als Vorbild für jenen neuen Diplomatentypus, den Ribbentrop heranzüchten wollte. Daß er nicht die übliche Karriere durchlaufen habe, werde „vielen, die sich mit der Entwicklung der Diplomatie be-
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69 70 71 72
Denkschrift „Zweck und Ziel des Nachwuchshauses junger deutscher Diplomaten", ohne
Datum, unsig.; PA/AA, R 27188. Ciano, Tagebücher 1939-1943, S. 86f. (Eintrag am 7. 5. 1939). Ein ausführlicher Überblick mit Kurzbiographien der wichtigsten Mitarbeiter bei Jacob-
Außenpolitik, S. 268 ff. Nach Abetz' Darstellung waren für die Mitarbeiter von Ribbentrop, der zur Absicherung seiner Position Anlehnung an die Schutzstaffel suchte, SS-Ränge obligatorisch. Vgl. Verhörprotokoll Nr. 204/4; AN, F 7/15331. Er selbst trat zum 1. 8. 1935 ein (Dienstgrad SSMann, SS-Nr. 253314), wurde zunächst im RFSS Stab, vom 13. 9. 1936 an beim SS-Hauptamt geführt. Die letzte Beförderung, zum Brigadeführer, datiert vom 30. 1. 1942. Übersichtsblatt „Dienstlaufbahn", SS-Stammrollen-Auszug vom 21. 7. 1937; BDC/Abetz. Unzutreffend seine Behauptung, nie den Treueid geleistet zu haben (Vernehmung durch John Fried 1947, StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, A 2); laut Stammrollen-Auszug geschah dies am 11.2. 1936. sen,
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III.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
faßt haben, als ein Wendepunkt erscheinen, der unvermeidbar kommen mußte", schrieb sein mit Frontkämpferfragen betrauter Kollege Heinrich Georg Stahmer im Entwurf eines geplanten Presseartikels über Abetz. „Diplomatie ist nicht mehr eine Angelegenheit einer besonderen Menschenklasse, die durch Vermögen oder Namen sich für diese Tätigkeit allein berechtigt hält, sondern eine Frage der Eignung und der für diesen Beruf nötigen Fähigkeiten, wie Menschenkenntnis im allgemeinen und Kenntnis der Mentalität der verschiedenen Völker im besonderen."73 Tatsächlich vermittelte seine Tätigkeit Abetz das beglückende Gefühl, zu einer den alten Diplomaten überlegenen Avantgarde zu gehören, die mutig neue Wege beschritt hatte er das nicht schon Ende der zwanziger Jahre getan, als er das Sohlbergtreffen organisierte? Ebenso nostalgieverbrämt wie selbstbewußt kontrastiert er in seinen Memoiren den Typus des angegrauten AA-Theoretikers, der über eine akribisch genaue Lagebeurteilung selten hinauskommt, mit den jungen Aktivisten der .Dienststelle', die nicht lockerlassen, bis sich die internationalen Beziehungen gemäß dem Reichsinteresse entwickelt haben. „Hier ein unbestreitbares Übergewicht an Fachwissen, an Kenntnis der Geschichte [...] Dort eine lebensnähere Verbindung mit den Menschen und Mächten, die das gegenwärtige politische Bild und Streben des ausländischen Volkes bestimmten."74 Nach Darstellung des langjährigen Pariser Botschaftsmitglieds Feihl haben Ribbentrops Gefolgsleute dieses Elitebewußtsein geradezu verinnerlicht: „Pour ces jeunes gens [...], nous étions tous des vieilles barbes."75 Die unkonventionellen, großzügigen Arbeitsbedingungen in der rasch expandierenden Dienststelle', die 1936/37 weit über f 00 Mitarbeiter zählte, motivierten Abetz. Er verfügte über ausreichende Geldmittel, konnte auf Antrag jederzeit ins Ausland reisen und bei Bedarf sogar ein bereitstehendes Flugzeug benutzen. Zu den operativen Möglichkeiten gesellte sich, den Blick weiter verengend, ein dem äußeren Anschein nach einem liberalen Führungsstil verpflichteter Korpsgeist, den Ribbentrop seinem Team als unerläßlich für „bestimmte Spezialaufgaben" einimpfte. Seine Vorgabe war „eine Kameradschaft, die ihre Aufgaben von der Führung bekommt, und in der jeder sein Stückchen Selbständigkeit hat [...], ohne nach scharfen Richtlinien oder sonstigen Dingen zu sehen". Gleichzeitig betonte er, die Reichsregierung wünsche inniglich Frieden, und appellierte an seinen Stab, „alles daran zu setzen, daß diesem Geist des Führers überall draußen Eingang verschafft wird"76. Solche Rahmenbedingungen waren zweifellos geeignet, den Blick dafür zu trüben, wie es um die deutsche Frankreichpolitik wirklich bestellt war. Seine Zufriedenheit über vermeintliche Möglichkeiten, die Aussöhnung voranzutreiben, mußte Abetz die Einsicht erschweren, daß skrupellose Machthaber ihn als Werkzeug mißbrauchten. Ribbentrop machte es ihm leicht, von der Friedfer-
73
„Botschafter Otto Abetz", Entwurf mit Anschreiben Stahmers an Abetz (Paris) vom 11. 8. 1940; PA/AA, Personalakte Abetz/1. Dieser Entwurf bildete offenkundig auch die Grundlage eines Beitrags im Giornale d'Italia am 13. 11. 1940, „Nuovi diplomatici per la
74
Abetz, Das offene Problem, S. 48 f. Aussage Feihls im Abetz-Prozeß, 19. 7. 1949, pag. 51; AN, 334 AP 49. „Rede des Botschafters [Ribbentrop] auf der Weihnachtsfeier im ,Kaiserhof 1936";
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grande Germania".
AA,R 27183.
PA/
4. fean
Goy und Henri Pichot bei Hitler
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der NS-Führung zu künden. „Sie können in meinem Namen jede der deutsch-französischen Verständigung dienende Initiative ergreifen und fördern", instruierte er Abetz' Erinnerungen zufolge den begeisterungsfähigen Novizen. „Auch mir ginge ein alter [...] Wunsch in Erfüllung, wenn die zwei großen europäischen Kulturnationen zu guten Nachbarn werden könnten."77 Abetz interpretierte diese Worte als Blankovollmacht, von der er ausgiebig Gebrauch machen wollte.
tigkeit
4. Kredit für die deutsche
Friedenspropaganda:
Jean Goy und Henri Pichot bei Hitler
Schon im Oktober 1934 reisten Abetz und Oberlindober, jetzt mit ausdrücklicher Billigung Ribbentrops, in Erwiderung des Pichot-Besuches nach Paris. Die Gespräche im „Maison de l'Union fédérale" Hauptthema war das für Januar 1935 vorgesehene Plebiszit zur Zukunft des Saarlandes gelangten jedoch rasch an einen toten Punkt. Pichot störte, daß seine Gäste gebetsmühlenartig Hitlers Standpunkte wiederholten: „Leurs phrases essentielles sont comme stéréotypées." Ihrem Vorschlag, im Vorfeld der Saarabstimmung eine gemischte Überwachungskommission aus Frontkämpfern beider Länder zu bilden, räumte er nur geringe Chancen ein78. Anlaß zu dieser Offerte gaben hartnäckige Gerüchte über einen drohenden nationalsozialistischen Putsch an der Saar und angebliche französische Präventivschläge. Beide Seiten verdächtigten einander, eine freie, geheime Abstimmung sabotieren zu wollen. Jede Eskalation aber gefährdete den internationalen Prestigegewinn, den sich die Reichsregierung von einem eindeutigen Bekenntnis der Saarbevölkerung zu Deutschland erhoffte. Wiederholte Beteuerungen, nach der Rückkehr des kraft Versailler Vertrags abgetrennten Landstrichs bestünden keinerlei territoriale Forderungen mehr gegen Frankreich, vermochten die Wogen nicht zu glätten. Im Kreise der NS-Führung sann man deshalb auf zusätzliche Mittel und Kanäle, Befürchtungen eines gewaltsamen deutschen Vorgehens zu zerstreuen79. Auch an Jules Romains, der am 12. November auf Einladung des Sohlbergkreises in Berlin über „Latinität und Germanentum" referierte und während seines Aufenthalts in der Reichshauptstadt etliche Nazigrößen traf80, wurde der Kommissionsgedanke herangetragen. Alfred Rosenberg betonte, ein regierungsamtliches Aufsichtsmandat für deutsche und französische Veteranen „Männer mit Selbstkontrolle" sei „eine Bürgschaft für Unparteilichkeit" und garantiere Ruhe und Ordnung an der Saar. Goebbels wollte eine solche Maßnahme „mit Freuden" begrüßen. Romains vermochte keinen „Fallstrick" zu erkennen; ihn begeisterte -
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Abetz, Das offene Problem, S. 51. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 17f. Das Auswärtige Amt mahnte seit Monaten, jede Provokation zu unterlassen. Vgl. AD AP, C III.1, Nr. 242, 281, 283; III.2, Nr. 290, 307, 311, 314, 320. Jules Romains à Berlin, in: DFM, Dezember 1934, S. 80 f. Sein Vortrag in deutscher Übersetzung im selben Heft, S. 47-63. Zit. bei
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///. Über die Frontkämpfer zur Dienststelle
Ribbentrop
die Vorstellung, daß „einige der besten Elemente" beider Völker in „ritterlicher Weise" zusammenarbeiten würden. So gelobte er, sich für den Kommissionsplan zu verwenden, dessen geistige Urheberschaft er Abetz zuschrieb. Dieser habe seine Idee klugerweise nicht nur Ribbentrop mitgeteilt, sondern sie auch im Umfeld der Konkurrenten Rosenberg und Goebbels ventiliert, um die Erfolgsaussichten zu verbessern und zugleich allen Parteien das schmeichelhafte Gefühl zu geben, die Initiative ergriffen zu haben. Zurück in Paris, warb der Schriftsteller in einer Rede an der Sorbonne, bei Frontkämpferfunktionären und im Quai d'Orsay für das Projekt. Alexis Léger ließ ihn mit „sanfter Störrigkeit" abblitzen, während Außenminister Laval eine genauere Prüfung zusagte. Auf Beschluß des Völkerbundrates vom 12. Dezember überwachte schließlich ein 3000 Mann starkes internationales Truppenkontingent, gebildet aus Briten, Italienern, Schweden und Holländern, die Abstimmung, in Romains' Augen immerhin ein halber Sieg, wobei allerdings die „psychologischen und moralischen Vorzüge" der Frontkämpferlösung verschenkt worden seien81. Vor dem Hintergrund der Saarkrise und den deutschen Bemühungen, sie aus taktischen Gründen zu entschärfen, ist ein weiterer Anlauf Abetz' bei Henri Pichot zu sehen. Ende Oktober kreuzte er unangemeldet in Orléans auf und bekniete den Franzosen, unverzüglich mitzukommen und Hitlers Vorschläge anzuhören. Doch Pichot zierte sich erneut, fühlte sich überrumpelt und verlangte mehr Vorbereitungszeit82. Zweifellos bremste ihn die Ungewißheit, wie eine solche Mission, die noch nicht einmal von seinem Verband abgesegnet war, in Frankreich aufgenommen würde. Schon bald durfte er sich in seiner Vorsicht bestätigt sehen. Abetz reiste unzufrieden ab, hatte dann aber mit seinen Bemühungen, prominente Veteranen nach Berlin zu locken, unverhofft Glück bei der Konkurrenz: Jean Goy, konservativer Parlamentarier für das Seine-Département und Vizepräsident der Union nationale, willigte ein, in die Reichshauptstadt zu kommen, desgleichen Robert Monnier, Stadtverordneter von Paris und führendes Mitglied der Semaine du combattant. Im Urteil de Jouvenels gelang Abetz damit ein „Meisterstück"83. Eine überraschende Entwicklung war es allemal, da beide Verbände die Chancen eines deutsch-französischen Ausgleichs in der Vergangenheit skeptisch beurteilt hatten84. Der aus der Auvergne stammende Goy, im Vorstand eines großen Pariser 81
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Nach Romains, The Mystery of Ribbentrop & Co., in: The Saturday Evening Post, 16. 11. 1940; deutsche Übersetzung bei den Akten der Dienststelle Ribbentrop; PA/AA, R 27159. Auch Jean Goy, führendes Mitglied der UNC, äußerte sich positiv über den Kommissionsgedanken; Le Petit Journal, 30. 11. 1934. Vgl. Das Archiv, November-Dezember 1934, S. 1239f. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 18 f.
Jouvenel, Voyageur, S. 202.
Vgl. Prost, Les anciens combattants, I, S. 106. Distelbarth, Lebendiges Frankreich, S. 190, schildert Goy als „bis dahin ausgesprochen deutschfeindlich". Jouvenel, S. 203, spricht von einer „Kehrtwende". Botschafter v. Hoesch verzeichnete im März 1930 immerhin eine Milderung der „ursprünglich nationalistischen Tendenzen" bei der UNC, verbunden mit dem Rücktritt stramm rechtsgerichteter Führer. „Neuerdings [...] hat sich eine Mehrheit für die Politik der Verständigung ausgesprochen"; Hoesch, „Übersicht über französische Kriegsteilnehmerorganisationen" vom 7. 3. 1930; PA/AA, R 70536. Den DDF-Editoren zufolge wurden Goy und Monnier begleitet von Jean Desbons von der Vereinigung
4. Jean
Goy und Henri Pichot bei Hitler
129
tätig, hatte allerdings am 18. September im Petit Journal Gesprächsbereitschaft signalisiert und eine starr germanophobe Haltung als unproduktiv und töricht bezeichnet. Die jüngsten Erklärungen von Hitler und Heß dürften nicht einfach ignoriert werden, sie eröffneten Chancen für einen dauerhaften Frieden und gehörten deshalb ausgelotet85. Daß ein gütliches Auskommen mit anderen Nationen unabhängig von den dort herrschenden politischen SysteMaschinenbaukonzerns
anzustreben sei, hatte die UNC schon in einem Manifest vom Oktober 1933 betont86. Hitler empfing Goy und Monnier am 2. November 1934 in Anwesenheit von Ribbentrop, Oberlindober und Heß; letzterer hatte wenige Tage nach seiner Königsberger Rede in einem Interview des Petit Journal noch einmal Notwendigkeit und wirtschaftliche Signalwirkung eines Rapprochements betont und eine aktive Unterstützung des Annäherungsprozesses durch die französischen Anciens combattants für unerläßlich erklärt, weil sie mehr Verständnis für die deutschen Gleichberechtigungsforderungen aufbrächten als irgend jemand sonst87. Abetz dolmetschte und konnte den .Führer' erstmals aus der Nähe beobachten. Er registrierte ein gepflegtes Äußeres, vermißte „klare Winkel und Linien" im Gesicht. Faszinierend fand er Hitlers Augen „von einem ungewöhnlichen suggestiven Blau" und die „sparsamen, aber ungemein ausdrucksvollen Gesten" der „feinnervigen, schmalen Hände". Im Mienenspiel des Kanzlers entdeckte er „nichts [...], was ein persönliches menschliches Interesse an seinen französischen Gästen verraten hätte, aber auch nichts, was den Rückschluß auf versteckte Hintergedanken erlaubte"88. Der Termin schien mit Bedacht gewählt Allerseelen war ein denkbar geeigneter Tag, um an die Millionen Kriegsopfer zu erinnern und für gutnachbarliche Beziehungen zu werben89. Hitler hob zielsicher auf das Selbstverständnis seiner Besucher ab, indem er betonte, gerade Kriegsveteranen seien es gewohnt, Schwierigkeiten offen anzupacken. Ohne Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten müßten sie einander ihre Besorgnisse mitteilen, um so drohende Konflikte rechtzeitig zu entschärfen. Er wünschte ein Ende des Wettrüstens auf dem Wege bilateraler Verhandlungen und malte den Gästen aus, wie sehr eine deutsch-französische Aussöhnung in ganz Europa als Ende eines Alpdrucks empfunden, wie sehr sie Psyche und wirtschaftlichen Unternehmungsgeist der Völker beflügeln würde. „Von unseren beiden Völkern hängt es ab, daß dieser Traum verwirklicht wird." Mein Kämpftet er wie üblich als inhaltlich längst überwundene men
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Prisonniers de guerre; DDF, 1, VIII, S. 13, Anm. 3; in keinem der ausgewerteten Berichte aber wird sein Name erwähnt. Luchaire, „Une explication franco-allemande est devenue possible, nécessaire" affirme M. Jean Goy, am 19. September abgedruckt in Notre Temps. Hierzu Köster an Auswärtiges Amt, 22. 9. 1934; PA/AA, R 70556. Zit. bei Prost, Les anciens combattants (1914-1939), S. 223 ff. „M. Rudolf Hess porte-parole d'Hitler. Celui qui demain sera peut-être vice-chancelier compte pour éviter la catastrophe sur les anciens combattants", in: Le Petit Journal, 5. 8. 1934. Das Gespräch mit Heß führte Stanislas de La Rochefoucauld. Abetz, Das offene Problem, S. 53. Schulthess' 1934, S. 260f.; Das Archiv, November-Dezember 1934, S. 1247f. FrançoisPoncet an Laval, 3. 11. 1934; DDF, 1, VIII, Nr. 11. Domarus, Hitler, I, S. 460f.
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III.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
Philippika vergangener Tage ab. Die Reichsregierung denke nicht an zu erobernde Quadratkilometer, sondern konzentriere sich auf die Verwirklichung einer neuen sozialen Ordnung und die Sicherung des Friedens. Er verneinte ausdrücklich deutsche Ambitionen auf Elsaß-Lothringen und dementierte, zur aktuellen Tagespolitik überschwenkend, Putschvorbereitungen an der Saar. Es sei „reine Torheit" zu glauben, daß Deutschland durch Gewaltanwendung das Plebiszit stören
wollte. In Erwartung von Goys Besuch habe er einen Befehl vorbereitet, der in einer 40 Kilometer breiten Zone entlang der saarländischen Grenze Aufmärsche uniformierter SA- und SS-Einheiten verbiete90. Im übrigen werde man sich „dem Ergebnis der Volksabstimmung, gleichviel wie sie ausfällt, beugen". Oberlindober, der hernach zu einem Frühstück lud, beobachtete, daß Hitlers Ausführungen „starken Eindruck" gemacht hatten. Die Gäste äußerten den Wunsch, politisch zu einer Entspannung beizutragen, regten eine organisatorische Verankerung der Kontakte zu ihren deutschen Kameraden an und empfahlen eine „beruhigende gemeinsame Erklärung"91. Optimistisch gestimmt fuhren Goy und Monnier nach Hause die Reichsregierung schien tatsächlich gute Absichten zu hegen, in diesem Sinn informierte Goy Kriegsminister Pétain, der darum bat, den Berliner Regierenden „auf sein Manneswort" auszurichten, daß auch Frankreich die Saarfrage friedlich zu lösen gedenke. Außenminister Laval gelobte dasselbe92, und die Tageszeitung Le Matin berichtete am Í 8. November groß über die Deutschlandreise der Veteranen; der regierungsnahe Petit Parisien hatte zuvor abgelehnt93. Das Echo in Frankreich war gespalten. Kaum jemand traute der nationalsozialistischen Verständigungsofferte ohne Vorbehalt, wie ein Blick in die Pariser Tagespresse zeigt94. Wohlwollend urteilten allein linkspazifistische Blätter wie dessen Leitartikler die L'Œuvre, Völkerverständigung zum überparteilichen Ziel erhob und den rechten Abgeordneten Goy uneingeschränkter Solidarität versicherte (20. 11.). La Vz'ciozVe-Direktor Gustave Hervé, dem Frontkämpfermilieu verbunden, mochte an Hitlers Aufrichtigkeit nicht zweifeln; der Diktator sei gewiß ein fanatischer, zur Gewalt fähiger Hitzkopf, aber kein Intrigant und -
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Bericht Goys auf der Generalversammlung der UNC-Sektion Vincennes am 21. November: „Pourquoi Jean Goy a-t-il rencontré Hitler?", in: La Tribune Cantonale, 25. 11. 1934. Der Saarbevollmächtigte der Reichsregierung, Gauleiter Bürckel, richtete am selben Tag, da Goy und Monnier bei Hitler weilten, ein entsprechendes Verdikt an SA und SS des Saargrenzgebiets. Ihre Aktivitäten sollten vom 10. Januar bis 10. Februar 1935 ruhen. Auch im Foreign Office war man hierüber zufrieden. Vgl. Simon an Phipps (Berlin), 5. 11. 1934; DBFP, 2, XII, Nr. 169. Am 6. Dezember eine weitere taktisch bedingte Konzession wurde allen SA- und SS-Angehörigen, soweit sie nicht abstimmungsberechtigt waren, die Einreise ins Saargebiet untersagt. Das Archiv, November-Dezember 1934, S. 1234 f., 1240. Abetz, Das offene Problem, S. 54, datiert die Ankündigung der Maßnahme irrtümlich auf den Empfangstermin Pichots bei Hitler. Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats v. Rintelen (AA), 12.11. 1934; AD AP, -
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CIII.2,Nr. 321.
Hoesch (London) an Auswärtiges Amt, 8. 11. 1934, mit Bezug auf ein Telegramm Ribbentrops; ebenda, Nr. 311. Zum Kalkül der französischen Diplomatie in dieser Phase Mühle, Frankreich und Hitler, S. 328. Bericht der Sûreté Nationale vom 7. 12. 1934; AN, F 7/13433. Die folgenden Beispiele sind Pressespiegeln im DNB-Rohmaterial vom 19. und 21. 11. 1934 entnommen; PA/AA, R 70556.
4. Jean
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Goy und Henri Pichot bei Hitler
Heuchler (19. 11.). Politisch gemäßigte Journalisten vernahmen des Kanzlers Kunde wohl, wollten sie freilich gern durch Taten bestätigt sehen (L'Intransigeant, La République, 19. 11.). Der Rest war schiere Kritik. Viele Kommentatoren argwöhnten, Goy und Monnier hätten sich für ein billiges Propagandamanöver
Saarabstimmung einspannen lassen; Gewerkschaftsgazetten und die kommunistische L'Humanité (19. 11.) nannten sie unverblümt „Hitler-Agenten". Rechtsorientierte Zeitungen zitierten Passagen aus Mein Kampf und ziehen die Berlinfahrer blinder Vertrauensseligkeit, ja Gefühlsduselei. Wie könne man so naiv sein, wunderte sich L'Ordre (19. 11.), dieser Sprache auch nur einen Funken Glauben zu schenken. Die Deutschen seien als professionelle Lügner weltbekannt, ereiferte sich die ultranationalistische Action Française (19. 11.), während das konservative Journal des Débats an die militante Intoleranz des NS-Regimes gegen Andersdenkende erinnerte und nicht zu Unrecht einen raffinierten Schachzug witterte, der Teil einer Strategie sei, die Westmächte von Verteidigungsmaßnahmen abzuhalten, während Deutschland sein Angriffsinstrument schmiede (19./21. 11.). Zusätzliches Mißtrauen weckte der Umstand, daß deutsche Zeitungen bis zum 24. November nichts über die Frontkämpfer-Audienz bei Hitler berichteten. Wurden seine Erklärungen der eigenen Bevölkerung etwa bewußt vorenthalten? Erst nach besorgten Meldungen der Botschaft Paris, die Nachrichtensperre nähre Zweifel an Hitlers Glaubwürdigkeit und schmälere die Wirkung seiner Worte, wurden entsprechende Weisungen an die deutsche Presse korrigiert95. Über den vertraulichen Empfang in der Reichskanzlei „sollte abredegemäß nichts erscheinen", behauptete Staatssekretär v. Bülow; Hitlers Standpunkt sei der deutschen Öffentlichkeit im übrigen hinlänglich bekannt96. „Wozu der Lärm?" fragte demzufolge die Berliner Börsenzeitung (24. 11.), und die gleichgeschaltete Journaille im Reich verbreitete die offizielle Begründung des Auswärtigen Amts, nicht ohne den kritischen Pariser Kollegen Beckmesserei, ja Sabotage am Verständigungsprozeß vorzuwerfen. Auch innerhalb seines Verbandes wurde Jean Goy hart angegangen. UNCChef Georges Lebecq erklärte, sein Vize habe ohne Auftrag gehandelt, und entzog ihm kurzerhand das Vertrauen97. Die antifaschistische Ligue des anciens combattants pacifistes forderte die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ihren Verantwortlichen wollte nicht in den Kopf, wie ein Mann, der so oft Kontakte zu den ehemaligen Feinden abgelehnt hatte, nun Shake-hands mit dem „Henker des deutschen Volkes" machen und ihn als Friedensapostel präsentieren könne98. Die Proteste kulminierten im Vorfeld der
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Forster (Paris) an Auswärtiges Amt, 21. 11. 1934; PA/AA, R 70556. NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit, hrsg. von Hans Bohrmann, 2, S. 515. Bülow an Botschaft Paris, 22. 11. 1934; PA/AA, R 70556. Goy behauptete, ausgehandelt zu haben, daß ihm allein die Entscheidung über eine Bekanntgabe des Gesprächsinhalts überlassen bliebe. Bericht des Deutschen Generalkonsulats Marseille vom 12. 12. 1934 über einen öffentlichen Vortrag Goys, ebenda. Prost, Anciens combattants, I, S. 178. Bericht der Sûreté Nationale vom 1. 12. 1934 mit Rundschreiben der Ligue; AN, F 7/ 13433. Goy wurden faschistische Neigungen nachgesagt. Vorwürfe, es sei ihm vielleicht
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Ribbentrop
in einer erregten Kammerdebatte zur außenpolitischen Lage am 30. November. Unter teilweise lebhaftem Beifall quer durch die Fraktionen verneinte der natio-
nalistische Abgeordnete
Henry Franklin-Bouillon, frankreichfeindliche Passagen
Mein Kampf rezitierend, kategorisch die Möglichkeit einer Verständigung mit Nazi-Deutschland: „C'est impossible, même si vous le vouliez." Er warnte eindringlich, Hitlers Versicherungen für bare Münze zu nehmen, und nannte den von Goy gewählten Weg geneigter Konzilianz eine „fürchterliche Gefahr" für die Sicherheit des Landes, geeignet, die Paktverhandlungen mit Sowjetrußland zu sabotieren. Deutschlands Veteranen stünden unter strenger Kuratel ihrer Regierung und Heß' Königsberger Rede sei nichts als ein Köder, dem Goy prompt erlegen sei. Ihm und besonders Robert Monnier, dem er Unregelmäßigkeiten in Bankaus
und
Privatgeschäften unterstellte, sprach Franklin-Bouillon die Qualifikation ab,
im Namen Frankreichs mit einer Macht zu verhandeln, zu deren Herrschaftsaxiomen nach wie vor die Vernichtung des westlichen Nachbarn zähle99. In dieser prekären Situation zeigte sich, daß Otto Abetz schwerlich einen wirksameren Hebel als die Frontkämpfer hätte finden können, um die Franzosen für Hitlers Avancen empfänglich zu stimmen. Die vielgescholtenen Berlinfahrer
stürmischen öffentlichen Diskussion, warfen bereitwillig ihren moralischen Kredit in die Waagschale und verhalfen so ihrem Anliegen, Brücken über den Rhein zu schlagen und die Aussöhnungsbereitschaft des .Dritten Reiches' möglichst unbefangen zu erkunden, binnen kurzem zu erstaunlicher Popularität. Robert Monnier betonte in einer tumultuösen Veranstaltung im überfüllten Club du Faubourg, in deren Verlauf wiederholt auf die nationalsozialistischen Terrormaßnahmen und Aufrüstungsbestrebungen hingewiesen wurde, den privaten Charakter der Reise. Man habe sich aus erster Hand über die deutsche Frankreichpolitik informieren wollen. Scharf wandte er sich gegen jede Panikmache, die den eigenen Interessen nur schade. Er persönlich glaube an Hitlers Friedenswillen. Heß habe ihm auf Französisch gesagt, daß Deutschland zur Aussöhnung be-
trotzten der
weniger auf Versöhnung angekommen als auf eine Stärkung faschistischer Strömungen in Frankreich, hielt zumindest Distelbarth für „unberechtigt"; Lebendiges Frankreich, S. 190.
Annales de la Chambre des députés, Nouvelle série, Débats parlementaires, 3e séance du 30 novembre 1934, S. 2836-2848. Zu den Anwürfen gegen Monnier, Verwaltungsrat der von Betrugsaffären geschüttelten Pariser Banque centrale du commerce, ferner Berichte der Sûreté Nationale vom 28. 11. und 10. 12. 1934; AN, F 7/13433. Abetz zufolge schürte Franklin-Bouillon auch den Verdacht, Goy habe von Hitler so viel Bestechungsgeld kassiert, daß man gezwungen sei, den Zahlungsverkehr künftig in „Goys" statt in Francs abzuwickeln. Das offene Problem, S. 54; danach Duroselle, La décadence, S. 207. Das Parlamentsprotokoll vom 30. November erwähnt diesen Vorwurf nicht. Für Goy, der von einer starren Frontstellung zwischen revisionistischen und dem Status quo verpflichteten Staaten abriet, ergriff der Neosozialist Barthélémy Montagnon Partei. Er hielt Aussprachen mit dem .Dritten Reich' für unumgänglich unter Hinweis darauf, wie tief die NS-Bewegung in der deutschen Bevölkerung gründe. Prompt wurde Montagnon von der deutschen Presse als Kronzeuge dafür präsentiert, „wieweit die Wandlung der Geister" in Richtung einer Verständigung bereits gediehen sei (Völkischer Beobachter, 22. 12. 1934). Mit demselben Tenor äußerten sich in den folgenden Tagen in VB-Interviews, die zweifellos die Debatte in Frankreich anheizen sollten, unter anderem Pierre Cot (23724. Dezember), Drieu La Rochelle („Hitler flößt Vertrauen ein", 25. Dezember) und Goy (6./7. 1. 1935).
4. Jean
Goy und Henri Pichot bei Hitler
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reit sei, weil
es seine Ehre wiedergefunden habe. Dieses psychologische Moment erscheine von ausschlaggebender Bedeutung100. Jean Goy stellte es als vaterländische Pflicht dar, für die Verständigung zu arbeiten. Er war ebensowenig wie Monnier frei von gutgläubiger Naivität. Dem Abendblatt La Presse erzählte er, man habe in bequemen Sesseln Platz genommen und Hitler, der „eher als ehemaliger Soldat denn als Staatschef" sprach, gelauscht. Der .Führer' vermittle den „Eindruck eines Menschen von gut ausbalanciertem Gleichgewicht", worin sich notwendigerweise ein „intellektuelles und moralisches Gleichgewicht" spiegele101. Anläßlich der UNC-Versammlung am 21. November in Vincennes unterstrich er die politische Verantwortung und Zuständigkeit der Frontkämpfer für die Geschicke Frankreichs. Ein Bericht der Sûreté zitiert ihn mit den Worten: „Il faut que nos diplomates et hommes politiques, dont l'incompétence n'est plus maintenant à démontrer, laissent la place aux anciens combattants pour traiter les destinées de la France et c'est pourquoi l'U.N.O, qui en a assez de toutes ces conférences oiseuses au bord des lacs suisses, italiens et autres, a décidé de passer aux actes." Heß' Rede am 8. Juli und Hitlers Äußerungen ergäben jenes formelle deutsche Engagement, „que j'avais toujours recherché"102. Den letzten Aspekt vertiefte Goy, unverkennbar autoritäre Neigungen verratend, in einem Interview für das Petit Journal am 30. November: Frühere Verhandlungen seien vergeblich gewesen, weil die Gesprächspartner „nicht wirklich die Herren Deutschlands waren". Nun aber habe man es mit einer Reichsregierung zu tun, die nicht Gefahr laufe, schon morgen durch den Verlust der parlamentarischen Mehrheit desavouiert zu werden103. Goy durfte sich in seinem Engagement umgehend bestätigt fühlen. Am 26. November gelangte der UNC-Verwaltungsrat mehrheitlich zu der Auffassung, daß er den Franzosen durch seine Reise wichtige Informationen erschlossen habe. Der Vorstand wurde ermächtigt, nützlich erscheinende Kontakte mit autorisierten deutschen Vertretern weiterzuverfolgen104. Solchermaßen gestärkt, trat der Berlinfahrer im Parlament Franklin-Bouillon entgegen und warnte davor, einen „Stahlring" um Deutschland zu legen und das überkommene System militärischer Blockbildung zu perpetuieren. Frankreichs Frontkämpfer wollten sich nicht an die Stelle der Staatsmänner drängen, im Konfliktfall sich aber auch nicht den Vorwurf machen müssen, Verhandlungschancen verschenkt zu haben105. Die Vetera-
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Bericht der Sûreté Nationale vom 30. 11. 1934; AN, F 7/13433. Bericht eines „Vertrauensmannes in Paris" an das Auswärtige Amt, o.D.; PA/AA, R 70556. In einem auch in Deutschland zitierten Zeitungsbeitrag rechnete Monnier mit allen „berufsmäßigen Brunnenvergiftern" ab; DFM, Dezember 1934, S. 81. Zit. nach DNB-Rohmaterial vom 19. 11. 1934, abends; PA/AA, R 70556. Bericht vom 22. 11. 1934; AN, F 7/13433. Le Petit Journal, 30. 11. 1934. DNB-Rohmaterial vom 26. 11. 1934, abends; PA/AA, R 70556. Das Journal des Débats nannte die Beschlüsse „verwunderlich und beunruhigend". Hitlers Taktik, unmittelbar auf die französische Öffentlichkeit einzuwirken und sie in zwei Lager zu spalten, zeitige erste Ergebnisse. Das sei aber nur möglich durch die Verblendung jener, die sich zu solchen Manövern herbeiließen. DNB-Rohmaterial vom 1. 12. 1934, morgens; PA/AA, R 70556. Dem Völkischen Beobachter (6./7. 1. 1935) sagte Goy, Franklin-Bouillon handele falsch, Hitler ausschließlich
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Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
als nützliche diplomatische Hilfstruppe an diesem Image, das die scheinbar auf gleicher Wellenlänge funkenden deutschen Kameraden ebenfalls pflegten, feilte der künftige UNC-Boß. Am 11. Dezember sprach er vor 800 begeisterten Zuhörern in Marseille, auf Einladung der „Nouvelle école de la paix", unter deren Auspizien auch Jules Romains für eine deutsch-französische Annäherung warb. Nach neuerlichem Rekurs auf die legendäre Heß-Rede, die nur als eindeutiges Bekenntnis zum Frieden gewertet werden könne, bezeichnete Goy den seitherigen erfreulichen Verlauf der Saarverhandlungen und die „sichtbar eingetretene Entspannung" in den gegenseitigen Beziehungen als unmittelbare Folgen seiner Aussprache mit Hitler. Damit sei Frankreich ein „ungeheurer Dienst" erwiesen worden. Die Frontkämpfer hätten an Stelle der Diplomaten gehandelt, überließen nun aber gern der Regierung den Ruhm106. Letztere verfolgte die beschriebene Entwicklung mit Sorge. Ministerpräsident Flandin beschwerte sich „sehr verstimmt" bei Botschafter Köster über sich häufende „deutsche Kundgebungen durch den Mund oder die Feder von französischen Staatsangehörigen", die keineswegs als kompetent gelten könnten. Kontroversen über die Zweckmäßigkeit solcher Aktionen störten empfindlich die Arbeit seines Kabinetts und machten das deutsch-französische Problem zusehends zum Zankapfel der ohnehin reichlich mit Streitfragen gespickten Parteienpolitik. Bis die Saarfrage vom Tisch sei, müßten halboffizielle Fühlungnahmen „unbedingt" unterbleiben. Sie zu unterbinden, weil sie zum gegebenen Zeitpunkt nur Unruhe und Polemik entfachten, verlangte am selben Tag der Kammerausschuß für auswärtige Angelegenheiten von Außenminister Laval107. Ins gleiche Horn blies der einflußreiche Senator Henri Bérenger: „Dunkle Besprechungen mit nichtqualifizierten Persönlichkeiten" statt offener Aussprachen auf Regierungsebene seien das „unangebrachteste Mittel", die Verständigung voranzutreiben108. In Berlin reflektierte Botschafter François-Poncet über die Möglichkeit, Hitler könnte in Wahrheit nur daran gelegen sein, Verwirrung zu stiften und die Franzosen in fruchtlose deutschlandpolitische Debatten zu verstricken109. Botschaftsrat Arnal warnte, seine Regierung könnte bei einem zu raschen Ausbau der Frontkämpferbeziehungen gezwungen sein, sich öffentlich von den Wortführern der Veteranen zu distanzieren. Die für Frankreich zuständige AA-Abteilung nahm die Kritik zum Anlaß, nachdrücklich darauf hinzuweisen, wie sensibel die Pariser Kammer gegen Versuche sei, ihre Bedeutung als entscheidende Instanz für den Gang der französischen Politik zu schmälern und sie durch außerparlamentarische Faktoren zu ersetzen. Das Auswärtige Amt empfahl deshalb ein behutsames und vor allem koordiniertes Vorgehen, was freilich durch Eigenmächtigkeiten wie nen
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nach früheren Erklärungen zu beurteilen. „Was zählt, ist des Kanzlers heutige Einstellung, und niemand kann die Anstrengungen leugnen, die der Reichsführer macht, um sich Frankreich anzunähern." Gespräche zu verweigern sei eine „negative Haltung", mit der sich „Männer der Tat" nicht zufriedengeben könnten. Deutsches Generalkonsulat Marseille an Auswärtiges Amt, 12. 12. 1934; PA/AA, R 70556. Köster an
Auswärtiges Amt, 30. 11. 1934, ebenda. Zit. nach DNB-Rohmaterial vom 26. 11. 1934, abends, ebenda. Zit. bei Mühle, Frankreich und Hitler, S. 329 f.
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Goy und Henri Pichot bei Hitler
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die Parisreisen Oberlindobers und die Art der Einladung Goys und Monniers nach Berlin, „unter offenkundig absichtlicher Nichtbeteiligung des AA", vereitelt werde110. Ebendies erzürnte auch Botschafter Köster in Paris, der ein Vertrauensverhältnis zwischen deutschen und französischen Veteranen als „äußerst wertvolles Moment" erachtete, inoffizielle Fühlungnahmen und die Einschaltung von Mittelsmännern, die außerhalb der Frontkämpferverbände ständen damit war fraglos Abetz gemeint -, indessen klar verurteilte. Dadurch werde nur der „Eindruck unruhiger, [...] sich widersprechender Geschäftigkeit" hervorgerufen und ein Anbiederungsbedürfnis suggeriert, das Mißtrauen errege und die Gefahr berge, „daß die deutsche Aktion in innerfranzösische Gegensätze hineingezogen wird und versandet"111. Ribbentrop, dessen auf zwischenstaatliche Kontaktpflege spezialisiertes .Büro' stetig expandierte, fochten solche Lamentos nicht an112. Lakonisch bestätigte er dem Auswärtigen Amt, daß „parallel laufende Initiativen" auf dem Frontkämpfersektor von Nachteil seien113, ließ aber zugleich keinen Zweifel daran, in wessen Kompetenzbereich die Angelegenheit seiner Meinung nach gehörte, und stieß energisch nach. Vom 30. November bis 3. Dezember, als die Franzosen noch immer die Glaubwürdigkeit der Hitlerschen Aussagen vom 2. November und die Legitimation der Anciens combattants, den Reichskanzler aufzusuchen, diskutierten, weilte er ohne Vorankündigung in Paris, begleitet von seiner Frau, Oberlindober und Abetz. Er konferierte mit Goy, Pichot, dem populären kriegsblinden Abgeordneten Georges Scapini und angeblich auf Vermittlung von Brinon und Bunau-Varilla mit Pierre Laval114. Über den Inhalt der 45minütigen Audienz im Quai d'Orsay drang nichts nach außen. Englische Zeitungskorrespondenten vermuteten schlicht eine Fortsetzung jener breitangelegten Sondierungsgespräche, die Ribbentrop unlängst noch in London geführt hatte115. Vom Foreign Office -
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Aufzeichnung v. Rintelen für Ministerialdirektor Köpke, 3. 12. 1934; PA/AA, R 70556. Köster an Auswärtiges Amt, 14. 11. 1934; AD AP, C III.2, Nr. 324. Daß er nicht gänzlich falsch lag, zeigten die Reaktionen auf den Matin-Bericht vom 18. November. Reichsau-
ßenminister v. Neurath unterstrich die Einwände seines Botschafters in einem Schreiben an Heß vom 19. November, das in Abschrift auch den Kollegen im Propaganda-, Innen-, Erziehungs- und Wehrministerium sowie dem Staatssekretär in der Reichskanzlei zuging. Ein „Wettrennen" zwischen den mit Auslandspropaganda befaßten Stellen schade nur, betonte Neurath und ersuchte die NSDAP-Reichsleitung, dafür zu sorgen, daß das AA vor jedweder Aktion konsultiert werde. PA/AA, R 70556; Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, I, 1, Regest Nr. 10546. Bezeichnend François-Poncets Eindruck, Ribbentrop, den er vor „Verständigungsreisen zum falschen Zeitpunkt" warnte, habe „erkennen lassen, daß er alle Diplomaten [...] für ausgemachte Trottel halte". Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Bülow (AA), 10. 12. 1934; ADAP, C III.2, Nr. 388. Auch zu englischen Veteranen suchte Ribbentrop damals Verbindung. Sein Vorschlag, für 1935 Zusammenkünfte mit deutschen Kriegsteilnehmern zu verabreden, wurde von der British Legion begeistert aufgegriffen. Bloch, Ribbentrop, S. 65. Köster
an Auswärtiges Amt, 14. November. Berichte der Sûreté Nationale vom 1. und 3. 12. 1934; AN, F 7/13433. Vgl. The Times, 27. November, 3., 4. und 5. Dezember 1934. Ausführlich Bloch, Ribbentrop^. 62 ff.
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Ribbentrop
sehr reserviert behandelt worden116, und auch Laval schien keineswegs erbaut über die Visite und verlangte eine Einstellung der Frontkämpfer-Diplomatie. Signale für eine Entspannung seien zwar willkommen, müßten aber unbedingt auf amtlichen Kanälen gesendet werden, um unerwünschten Rückwirkungen auf die französische Innenpolitik vorzubeugen117. Ribbentrop ignorierte das geflissentlich und kündigte zum gelinden Entsetzen des Außenministers an, nach Möglichkeit noch vor Weihnachten gemeinsam mit Rudolf Heß aufzukreuzen, ein Ansinnen, gegen das sich Laval und Botschafter François-Poncet jedoch erfolgreich verwahrten118. Nicht zu verhindern war, daß die deutschen Emissäre in Pariser Veteranenkreisen auf wachsende Resonanz stießen. Sie luden gezielt solche Funktionäre nach Berlin ein, die sich bislang zögerlich oder abwartend verhalten hatten. Jean Desbons, Präsident der „Fédération interalliée d'anciens combattants" (FIDAC), in der ausschließlich Kriegsteilnehmer der Siegermächte vertreten waren, signalisierte daraufhin Gesprächsbereitschaft. Jean Claude von den nationalistisch ausgerichteten „Prisonniers de guerre" erwirkte von seiner Organisation eine grundsätzliche Reiseerlaubnis, unter der Auflage, daß er in Deutschland Umsicht walten lasse und sich auf den Part des „aufmerksamen Beobachters" beschränke119. Die folgenreichste Zusage gab Henri Pichot, der sich nicht länger zierte, Hitler aufzusuchen „il faut voir cet homme" -, ungeachtet eines Zusammenstoßes mit Ribbentrop. Dieser erregte sich während eines Essens darüber, daß verständigungswillige Franzosen als Landesverräter behandelt würden. Wenn es tatsächlich so schlimm um die gegenseitigen Beziehungen stehe, könne alles beim alten bleiben und man werde sich in fünf Jahren wiedersehen. Betretenes Schweigen machte sich breit, als Pichot gereizt erwiderte: „Dans cinq ans? La guerre pour 39>"i20 Bei seinem Wunsch, nun doch nach Berlin zu kommen, trieb Pichot auch eine gewisse Eitelkeit. Nicht sein Verband, dem man das viel eher zugetraut hätte, sondern die vermeintlich so reaktionäre UNC leistete plötzlich Schrittmacherdienste war er
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Bezeichnend eine Notiz des britischen Außenministers Sir John Simon von Ende November: „Assured us of Germany's peaceful intentions. No indication that he had anything else to say. Germany represented in this country by a most competent Ambassador I do not believe that it is in the interest of good Anglo-German relations to go behind his back and conduct two Foreign Offices at the same time." DBFP, 2, XII, Nr. 231. Campbell (Paris) an Simon, 3. 12. 1934, nach einem mündlichen Bericht Lavais; ebenda,
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Nr. 244. Ebenda. François-Poncet an Laval, 3. 12. 1934; DDF, 1, VIII, Nr. 189. Köster an Auswärtiges Amt, 3. Dezember; PA/AA, R 70556. Akten der Partei-Kanzlei, Regest Nr. 10565: „Eine Reise des Reichsministers Heß nach Paris ,im Laufe Dezember' 1934 beabsichtigt." Am 7. Dezember gab der britische Botschafter Phipps Entwarnung: „French Ambassador has succeeded in getting Herr Hess' visit to Paris postponed"; DBFP, 2, XII, Nr. 282. Drei Tage später hakte Poncet, unter Hinweis auf Zeitungsberichte über eine unmittelbar bevorstehende Reise, nochmals im Auswärtigen Amt nach. Er insistierte, Heß' Anwesenheit in Paris sei derzeit „nicht genehm". Staatssekretär v. Bülow versicherte, daß ein solcher Besuch vorerst nicht stattfinden werde; Aufzeichnung Bülows, wie Anm. 112. Vgl. auch Mühle, Frankreich und Hitler, S. 330 f.; Bloch, Ribbentrop, S. 66; Kordt, Nicht aus den Akten, S. 88 ff. Berichte der Sûreté Nationale vom 10. und 11. 12. 1934; AN, F 7/13433. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 22.
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Goy und Henri Pichot bei Hitler
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im deutsch-französischen Dialog. „Le voyage à Berlin de nos camarades Jean Goy et Robert Monnier n'a été possible que parce que d'autres avaient su faire le premier geste", stellte er klar und verwies auf seine diskreten Kontakte zu Oberlindober und Abetz seit August, die nun Früchte trügen121. Der Wirbel um die Kollegen mahnte jedoch zur Vorsicht. Ehe Pichot am 19. Dezember zusammen mit UF-Generalsekretär Maurice Randoux aufbrach, sprach er bei Laval vor, um zu demonstrieren, daß die Union fédérale loyal zur Regierung stand, im Einvernehmen mit ihr handelte und nicht für ein falsches Spiel zu mißbrauchen sei122. Auch öffentlich versuchte er den Boden zu bereiten: In Beiträgen für L'Œuvre und die Cahiers de l'Union fédérale warnte er davor, autoritär regierte Länder gleichsam unter Quarantäne zu stellen; Europa bestehe nun einmal nicht aus lauter Demokratien. Die Anciens combattants huldigten beileibe nicht dem Hitlerismus, es gehe ihnen schlicht darum, einen friedenssichernden Modus vivendi zu finden. Auf diesem Gebiet hätten sie eine „moralische Mission" zu erfüllen: „Notre rôle est d'aérer l'atmosphère franco-allemande, de rechercher et d'exploiter les bonnes volontés, de préparer les esprits à des gestes compréhensifs." Hierbei, so Pichot, wolle man sich weder politisch ausnutzen lassen noch den Regierenden und Parlamentariern ins Gehege kommen123. Einer, der ihm fest die Daumen drückte, war Henri de Jouvenel. „Je ne vois pas pourquoi la méthode qui a été bonne à Rome serait mauvaise à Berlin", meinte der mit der UF sympathisierende Senator zuversichtlich und erinnerte an die atmosphärisch wichtige Mittlerrolle der Weltkriegsteilnehmer bei den laufenden diplomatischen Verhandlungen zwischen Frankreich und Italien124. Am 20. Dezember versammelten sich in der Reichskanzlei gemeinsam mit den französischen Gästen Ribbentrop, Heß, Oberlindober und Abetz. Erneut hinterließ Hitler gewaltigen Eindruck. „So freimütig [...], wie Frontkämpfer untereinander zu sprechen gewohnt sind", verurteilte er den Krieg und gab inbrünstig der Hoffnung Ausdruck, die beiden „großen Kultur- und Soldatennationen" möch-
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Pichot, Offener Brief
Jean Luchaire,
30. 11. 1934. Notre Temps hatte die UF am der UNC gleichzutun. Die eigenen Bemühungen herausstellend, entgegnete Pichot, man habe es nicht nötig, andere zu imitieren. Beide Dokumente abgedruckt in Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 68, 1. 12. 1934. Goys Vorpreschen und latente Rivalitäten zwischen UF und UNC beleuchtet auch ein Bericht der Sûreté Nationale vom 3. 12. 1934, „Les anciens combattants et les conversations franco-allemanan
28. November aufgefordert,
es
des"; AN, F 7/14715. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 23. 123 Pichot, Le pont sur le Rhin, in: L'Œuvre, 13. 12. 1934. Ders., Français, Allemands et les Autres, in: Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 69, 15. 12. 1934. 124 Jouvenel an Pichot, 13. 12. 1934, mit Bezug auf den L'Œuvre-Artikel; AN, 43 AS 1, dr. 2. Am 7. 1. 1935 unterzeichneten Laval und Mussolini ein Abkommen, das die französisch122
italienischen Differenzen bereinigen sollte und dem ,Duce' wirtschaftlich freie Hand in Abessinien gewährte. Jouvenel, Sondergesandter in Rom, schrieb den französischen Veteranen großen Einfluß hinter den Kulissen beim Zustandekommen der Vereinbarung zu, desgleichen Distelbarth: Sie hätten „immer einen sanften Druck" ausgeübt, „damit die Diplomaten sich endlich entschlössen, die eingefahrenen Geleise zu verlassen und zu
handeln"; Lebendiges Frankreich, S. 206.
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Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
endlich zusammenfinden125. Sattsam bekannten Beteuerungen, daß ElsaßLothringen zu Frankreich gehöre, erfolgreiche Abrüstungsverhandlungen möglich seien und die Rüstungsetats sinnvoller im sozialen Bereich eingesetzt würden, folgte eine aktuelle außenpolitische Erklärung, die Pichot nach Frankreich überten
mitteln sollte: Der .Führer' versicherte nochmals feierlich, daß es bei der Saarabstimmung von deutscher Seite zu keinen Gewalttätigkeiten kommen werde, dafür wolle er persönlich Sorge tragen. Nach Erledigung der Saarfrage gebe es keine historischen Streitpunkte mehr zwischen Deutschland und Frankreich126. Wie sehr er seine Gäste in Bann zu ziehen und zu überzeugen vermochte, ist bei der Lektüre der zehn Jahre später verfaßten Erinnerungen Pichots immer noch greifbar. Mit den Vokablen „Eclatement! Volcanisme! Ouragan! Fulguration!" charakterisiert er Hitlers tempermentvollen Auftritt. Dann: „Apaisement [...] Sourire [...] Regard éclairci [...] jaillissant comme une lave d'un cratère: .Ich will den Frieden mit Frankreich.'"127 Das Echo dort fiel aus deutscher Sicht um einiges günstiger aus als noch vor Monatsfrist. Daß diesesmal „unanfechtbare Persönlichkeiten wie Pichot und Randoux" beim .Führer' waren, habe selbst hartnäckige Kritiker in Verlegenheit gestürzt, meldete Botschafter Köster. Henri de Kerillis sei auf einer Frontkämpferversammlung vehement attackiert worden, seine Kameraden bei ihren Bemühungen um einen Ausgleich im Stich zu lassen und die Geisteshaltung eines Politikasters statt wahre Schützengrabengesinnung zur Schau zu tragen128. Der Pariser Korrespondent des Völkischen Beobachters verzeichnete eine „Auflockerung der französischen Öffentlichkeit zugunsten einer direkten Verständigung mit Deutschland"; ein „vor kurzem sozusagen noch verbotenes Thema" war plötzlich, ganz im Sinne der Hitlerschen Strategie, „Tagesgespräch und Problem des Tages"129. Proteste und warnende Stimmen verstummten indes mitnichten. Mehrere Pariser Zeitungen wiesen beunruhigt darauf hin, daß die Anciens combattants eine „gefährliche Liebschaft"130 mit ihren deutschen Partnern eingingen, tückisch vor allem deshalb, weil sie auf gänzlich ungleichen Voraussetzungen basiere. Pointiert, aus heutiger Perspektive bemerkenswert klarsichtig beschrieb Pierre Bernus im Journal des Débats die Divergenzen zwischen den dramatis personae: auf der einen Seite disziplinierte, weisungsgebundene Agenten des Hitler-Regimes, die ein sorgfältig berechnetes Manöver ausführten; auf der anderen eher unbedarfte Idealisten, die von den Methoden des .Dritten Reiches' ungenügende Vorstellungen hätten und Bauern auf dem Berliner Schachbrett seien. An der ihnen zugedachten Rolle hegte Bernus keinen Zweifel: Sie sollten die Mär von der national-
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DNB-Meldung Nr. 2638
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Nachtausgabe; PA/AA,
Ygj Reisebericht von Maurice Randoux für die Cahiers de l'Union fédérale, in Auszügen abgedruckt DFM, Januar-Februar 1935, S. 133; Völkischer Beobachter, 22. 12. 1934; Abetz, Das offene Problem, S. 54. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 27ff. Köster
an
Auswärtiges Amt, 22. 12. 1934; PA/AA, R 70557.
Völkischer Beobachter, 6./7. 1. 1935. L'Ere Nouvelle, 22. 12. 1934.
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J. Frankreich und seine Veteranen
sozialistischen Friedfertigkeit verbreiten, die Franzosen einschläfern und schließlich dazu bringen, Hitlers sinistre Pläne hinzunehmen131.
5. Millionenheer des guten Willens:
Frankreich und seine Veteranen
überwiegende Mehrheit der französischen Frontkämpfer kam diese Einsicht zu früh. Es entbehrt nicht der Tragik, daß ihre Begeisterungsfähigkeit und ihre tugendhafte staatsbürgerliche Pflichtauffassung, der Nation ein neuerliches Blutbad um jeden Preis ersparen zu müssen, der hinterhältigen NS-Propaganda von nun an auf Jahre hinaus einen effektvollen Resonanzboden boten. Henri Pichot und Jean Goy avancierten nach ihren Berlinreisen zu unumstrittenen Lenkern der mit Abstand größten Verbände und schufen gemeinsam mit anderen eine tragfähige Basis für das Verständigungswerk. Die Zeit leidenschaftlich geführter Kriege zwischen beiden Ländern sei passé, verkündete Pichot zum Jahreswechsel, um Kredit für Hitlers Beteuerungen werbend, und verlieh der nationalsozialistischen Bewegung im Überschwang der Gefühle das Prädikat „mouvement combattant [...] pour une bonne part"132. Mitte Januar 1935 nahm das UF-Präsidium „erfreut Kenntnis" von den jüngsten Kontakten nach Deutschland und beauftragte den Vorstand, am Ball zu bleiben133. Auch bei der UNC sah man, zumal nach der ordnungsgemäß verlaufenen Saarabstimmung, die am f 3. Januar ein eindeutiges Votum zugunsten des Reiches erbrachte, verheißungsvolle Perspektiven für eine dauerhafte Aussöhnung134. Fördern wollte man den Ausgleich auf eine Weise, die ebenso erfolgversprechend wie der eigenen Stellung und Funktion in der Gesellschaft angemessen erschien: durch unmittelbare Begegnung mit dem einstigen Feind, unabhängig und bar diplomatischer Sachzwänge, aber gerade deshalb zum Vorteil auch der Regierenden, denen eine breitangelegte, massenwirksame Verständigungsbewegung .von unten', ausgehend von der Versöhnung der Kriegsopfer, das Handwerk erleichtern sollte. Maurice Randoux hat Aufgabe und Spielraum wie folgt definiert: „Rien des devoirs, des soucis, des entraves, des responsabilités de la diplomatie officielle. Mais la volonté de l'aider, de lui ouvrir des chemins, d'éclaircir l'horizon. Une liberté de pensée et de langage qu'elle ne saurait se permettre, une liberté contrôlée, guidée par le bon sens, le sens des réalités, le sens critique dont les hommes de la guerre ne sont pas forcément dépourvus."135 Für die
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dangereux, in: Journal des Débats, 22. 12. 1934. Weiteres PressemateBerlinreise Pichots in den Akten des Auswärtigen Amts; PA/AA, R 70557. Eine eingehende Erörterung der Berlinreisen von Goy und Pichot bei Mühle, Frankreich und Pierre Bernus, Jeu
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Hitler, S. 326-333. Pichot, Entre nous la guerre est finie, in: L'Œuvre, 30. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 30. Nach der Abstimmung: Furcht oder 1935, S. 91-93. Zit. im selben Heft, S. 133.
Vgl. Goy,
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Hoffnung?,
in: DFM,
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III.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
glich dieser Ansatz der von Sohlbergkreis, RJF und Dienststelle Ribbentrop gepflegten Begegnungsphilosophie wie ein Ei dem anderen, was viel von der Leichtigkeit erklärt, mit der Abetz bei den Anciens combattants zum Ziel gelangte. Strahlkraft auf die französische Gesellschaft besaß er nicht zuletzt deshalb, weil die Wortführer der Veteranen glaubhaft versichern konnten, glühende Theoretisch
Patrioten zu sein. Man nahm ihnen ab, daß sie stets nur das Beste fürs Vaterland wollten. Verhängnisvoll daran war, daß sie ihre Fähigkeit, einem Mißbrauch ihrer Ideale unverzüglich und entschlossen entgegenzutreten, überschätzten136. Die nationalsozialistische „offensive de charme"137 wurde so präzise auf ihre Vorstellungen, wie fruchtbare zwischenstaatliche Gesellschaftsbeziehungen beschaffen sein müßten, zugeschnitten, daß eine Unterscheidung in Sein und Schein nicht einfach war. Hitler traf instinktsicher den Nerv der alten Kämpfer, schmeichelte ihrer Raison d'être, wenn er Pichot und Randoux erklärte, gerade das Engagement der besonderer von sei für Weltkriegssoldaten Bedeutung eine harmonische Gestaltung des deutsch-französischen Verhältnisses, weil ihnen in der Gesellschaft eine Beispiel- und Vorkämpferfunktion zukomme138. Das amtliche deutsche Kommunique hob in vollem Einklang mit dem Selbstverständnis der Berlinfahrer heraus, die Frontkämpfer wollten zum Segen der Völker für ein Rapprochement arbeiten, freilich ohne „den offiziellen Vertretungen beider Länder in ihren Aufgaben vorzugreifen"139. Weitere Bestätigung erfuhren Goy, Pichot und Kameraden aus dem Quai d'Orsay, wo man die Entwicklung inzwischen mit einigem Wohlwollen verfolgte. Der Berliner Botschaftsrat Arnal versicherte einem Gesprächspartner des Auswärtigen Amtes im Februar 1935, er halte „die Fortsetzung der wechselseitigen Beziehungen zwischen deutschen und französischen Frontkämpfern für sehr zweckdienlich", da sie „auf alle Fälle ein Mittel seien, die Atmosphäre zu entgiften". Der Meinungsaustausch dürfe allerdings nur privaten, „nicht etwa Regierungs- oder auch nur offiziösen Charakter" besitzen140. Auch die französische Diplomatie stufte die Veteranen mithin als nützliches Hilfsinstrument ein, um unerwünschte politische Spannungen abzufedern, und begünstigte so Hitlers Taktik, beschwichtigende Worte unter Umgehung amtlicher Kanäle möglichst direkt unters Volk zu streuen. Warum Frankreichs Frontkämpfer derart anfällig für die nationalsozialistische Propaganda waren und welch wichtige Multiplikatoren sie für Hitlers Friedensappelle darstellten, erhellt eine Untersuchung ihrer Mentalität und ihres demographisch-politischen Gewichts141. 1935 lebten in Frankreich rund 5,5 Millionen Weltkriegsteilnehmer, das entsprach 42 Prozent der männlichen Bevölkerung 136
„Wenn Sie glauben, daß unsere tiefe Friedensliebe ein Zeichen von Schwäche und Selbstaufgabe ist und daß man sich uns gegenüber alles erlauben darf, befinden Sie sich im Irrtum", mahnte Pichot seine deutschen Leser Anfang 1937. Ders., Je dis que la France est
la France, in: DFM, Januar 1937, S. 4. Ein Ausdruck von Alfred Kupferman, Diplomatie parallèle, S. 87. Vgl. Reisebericht Randoux, wie Anm. 126. Völkischer Beobachter, 22. 12. 1934; vgl. The Times vom selben Tag. Aufzeichnung von Legationsrat Dumont über eine Unterredung mit PA/AA, R 70557. Die folgenden Zahlen nach Prost, Les anciens combattants, S. 131 ff. encore
137 138 139 140 141
Arnal, 22. 2. 1935;
Í. Frankreich und seine Veteranen
141
über 20 Jahre. Mehr als drei Millionen waren organisiert, und obwohl sie sich auf Dutzende von Verbänden verteilten, bildeten sie doch eine Massenbewegung, größer als die Gewerkschaften, mit erheblichem Einfluß auf öffentliche Meinung, Regierung und Parlament, den sie unter anderem in Forderungen nach wirtschaftlichen Reformen und sozialer Gerechtigkeit geltend machten142. Ihre Zusammensetzung, überwiegend aus Bauern und Kleinbürgern, glich einem „Querschnitt durch das ganze Volk". Paul Distelbarth schwärmte von der „vollkommensten Volksorganisation, die man sich denken kann"; keinen Sonderinteressen verpflichtet, reflektiere der .esprit combattant' unverzerrt „die wahre öffentliche Meinung", wirkten seine Ideen „wie Fermente, die die ganze Nation umzugestalten begonnen haben"143. In fast jedem Ort gab es Basisgruppen, die im Gemeindeleben eine wichtige Rolle spielten. Mehr als 1000 Verbandszeitschriften und Mitteilungsblätter trugen Neuigkeiten, natürlich auch die Kunde von den deutschen Verständigungsofferten, buchstäblich bis ins kleinste Dorf. Aus der Tatsache, daß sie ihr Vaterland verteidigt und gerettet hatten, leiteten die hochangesehenen Veteranen ihren Anspruch ab, das .wahre Frankreich' zu verkörpern und befugt zu sein, im nationalen Interesse zu handeln144. Sie betrachteten sich in umfassendem Sinn als „bevorrechtigte Gläubiger" der Nation, für die sie Gesundheit und Leben riskiert hatten145. Neben ausreichender materieller Entschädigung und sozialrechtlichem Schutz verlangten sie vor allem eines: daß Vorsorge getroffen werde, um einen neuen Krieg zu verhindern. „Die Krönung unseres Werkes ist die Verteidigung des Friedens", postulierte Henri Pichot146. Das sollte einerseits durch Entschärfung innergesellschaftlicher Konflikte, die als wichtige Ursache für Gewaltbereitschaft nach außen galten, erreicht werden. Hierbei setzten die Anciens combattants auf sozialen Fortschritt, besonders auf eine gerechte Verteilung von Arbeit und Einkommen, Aspekte, denen sie sich vor allem nach den Februar-Unruhen 1934 intensiv widmeten147. Zum anderen er142
Beispielhaft der schon erwähnte „November-Plan" 1934, den eine UF-Expertenkommission nach der Staatskrise vom Februar ausarbeitete. Die Programmschrift mit dem bezeichnenden Titel La République des Combattants wurde in 600 000 Exemplaren verbreitet. Die Autoren forderten eine Stärkung der republikanischen Instanzen und einen Umbau der Wirtschaft mit dem Ziel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und jedermanns „Recht auf Arbeit"
zu
verwirklichen. Die Ideale der Französischen Revolution wurden
abgewandelt in „Liberté -Justice sociale Paix", wobei sozialer Friede als unverzichtbare Voraussetzung für die Vermeidung internationaler Konflikte galt. Vgl. Interview Pichots für Paris PTT-Radio, Mai 1937; AN, 43 AS 1, dr. 5. Distelbarth, Lebendiges Frankreich, S. 226 ff. Wenngleich sie letztlich apolitisch blieben, mußte mit den Anciens combattants „aufgrund ihrer quantitativen Stärke als innenpolitischem Faktor und .groupe de pression' stets gerechnet werden"; Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 197. 143 Distelbarth, Lebendiges Frankreich, S. 194, 196. 144 Robert Soucy, France: Veterans' Politics Between the Wars, in: Ward (Hrsg.), The War Generation, S. 85, gebraucht in diesem Zusammenhang den Ausdruck „the veterans' mystique". 145 Pichot, „Pour le salut de la nation. Appel au parlement français", 16. 3. 1938, abgedruckt in Cahiers de l'Union Fédérale, Nr. 141 vom 20. 3. 1938. 146 Ders., „Ansprache an die ehemaligen Kriegsteilnehmer von Hamburg", 20. 11. 1936 (ins Deutsche übertragenes Manuskript); AN, 43 AS 2, dr. 1. 147 -
Auf dem UF-Kongreß des Départements Drôm 1934 schilderte Pichot Not und Arbeits-
///. Über die Frontkämpfer zur Dienststelle
142
Ribbentrop
strebten sie, bar jeglicher Revanchegelüste und schwüler Schützengrabenmystik, internationale Verständigung, gerade mit den ehemaligen Gegnern, bei denen man dieselbe Besonnenheit, die gleichen Einsichten und Ziele voraussetzte. Die Männer auf der anderen Seite des Stacheldrahts mußten das Grauen genauso erlebt und als Warnung begriffen, genauso gelitten und genug davon haben. In gemeinsamer Anstrengung sollten die „Hüter der Erinnerung"148 deshalb Mißtrauen abbauen und Wegbereiter einer friedvolleren Zukunft sein. Sie seien „dazu berufen", einen Beitrag zur Befriedung der Welt und vor allem zur Entspannung des deutschfranzösischen Verhältnisses zu leisten, erklärte Jean Goy am 16. Januar 1935 auf einer gutbesuchten Veranstaltung der „Union belge pour la Société des Nations" in Brüssel. Deutsche Beobachter priesen die ausgezeichnete propagandistische Wirkung seines Vortrags. Besonderen Eindruck machte, daß „Goy nie einen Zweifel darüber ließ, daß er ein 100%iger französischer Patriot sei, daß er aber gerade deswegen sich verpflichtet fühle, den Standpunkt der Patrioten anderer Länder, wenn er vernünftig und von gutem Willen beseelt sei, anzuerkennen"149. Goys .bonne volonté' verleitete ihn sogar dazu, Verständnis für die deutsche Aufrüstung zu bekunden, angesichts des französischen und vor allem des russischen Militärpotentials, das Berlin mehrfach in „eindrucksvollen Statistiken" dokumentiert habe. Es sei indessen nicht Sache der ehemaligen Frontkämpfer, „sich auf das Gebiet technischer Erörterungen zu begeben". Sie müßten in erster Linie das gegenseitige Vertrauen fördern, „unablässig das schwache Gebäude des Friedens mit festen Baustoffen untermauern"150. Der aus tiefempfundener Verantwortung für die Nachlebenden gespeiste Pazifismus der französischen Veteranen und ihre prononcierte Achtung des Krieges151 fanden starken Widerhall in einer vom Weltkrieg traumatisierten Gesellschaft, die ihre Energien im innerpolitischen Kräftespiel zerschliß, aber wenig Kampfbereitschaft gegen äußere Gegner demonstrierte, selbst wenn dies etwa in der Rheinlandkrise 1936 im eklatanten Widerspruch zur französischen Sicherheitspolitik stand152. Nach furchtbaren Blutopfern wollte man endlich in Ruhe leben, -
-
148 149 150 151
152
losigkeit in Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre und warnte davor, ähnliche Verhältnisse in Frankreich zuzulassen. „Hitler a gagné la partie parce que les citoyens allemands ont eu à choisir entre ces deux alternatives: le bulletin de vote libre ou le morceau de pain. Ils ont choisi le morceau de pain. Voilà où conduit la misère engendrée par le chômage." Abgedruckt in der Verbandszeitschrift Le rescapé du combat (Valence), September 1934. Wie Anm. 133. Graf Adelmann (Deutsche Gesandtschaft Brüssel) an Auswärtiges Amt, 19. 1. 1935, Stempelvermerk: „Der Herr Reichskanzler hat Kenntnis"; PA/AA, R 70557. Goy, Der neue Abschnitt der deutsch-französischen Beziehungen und der Standpunkt der Frontkämpfer, in: Europäische Revue, Januar 1935, S. 1 ff. Distelbarth konstatierte einen „fast leidenschaftlichen Glauben an den Frieden, als eine religiöse Idee", in Kombination mit einer wohltuenden „Abwesenheit von Gepränge, von tönenden Worten, überhaupt alles Lauten". Wie Frankreich den Waffenstillstand feiert, in: Deutsche Zeitung Bohemia (Prag), 18. 11. 1937. Vgl. Roland Höhne, Innere Desintegration und äußerer Machtzerfall. Die französische Politik in den Jahren 1933-1936, in: Rohe (Hrsg.), Die Westmächte und das Dritte Reich 1933-1939, S.
177.
6.
Höhepunkte der Frontkämpferverständigung
143
wünschte Sicherheit vor allem dem unruhigen östlichen Nachbarn gegenüber. Die kurzlebigen Regierungen der .Dritten Republik' aber hatten ein verläßliches Sicherheitsgefühl bisher nicht erzeugen können, trotz Locarno, trotz des kostspieligen Baus der Maginot-Linie. Nicht zuletzt deshalb suchte man die unmittelbare Begegnung .von Mensch zu Mensch', zumal die als tapfere Gegner von einst geachteten deutschen Kameraden unter Hitler regelrecht um Freundschaft warben153. Genügend Einfluß im eigenen Land, um auf diesem Weg etwas zu erreichen, trauten sich die französischen Frontkämpfer ohne weiteres zu. „Dites-vous que le président de l'U.F, élu par 900000 votants, a plus de voix que n'importe quel député", verkündete Pichot selbstbewußt vor Kameraden in Aubusson154. Wieviel innenpolitisches Gewicht die NS-Propaganda den Veteranen jenseits des Rheins und ihrem ausgedehnten Kommunikationsnetz beimaß, klingt in den überlieferten Dokumenten immer wieder an. Ihr „sehr beachtlicher" Einfluß werde sich „ohne Zweifel weiter verstärken", meldete ein vertraulicher Bericht für das Auswärtige Amt vom Frühjahr f 935. Das Wort der führenden Köpfe besitze „für uns und für Frankreich ein ganz anderes Gewicht, als das der sicherlich auch recht achtungswerten, aber einflußlosen intellektuellen, die wir gelegentlich in Deutschland begrüßen durften". Eindeutige Empfehlung: „Diese Verbindungen müssen von uns mit allen Mitteln, aber auch mit größter Vorsicht gepflegt und ausgebaut werden"155. Die Europäische Revue berichtete über „das riesenhafteste Interessensyndikat [...], mit dem Parlament und Regierung in Frankreich zu tun haben; seine Wirkung ist um so gewaltiger, als es nationale Ideen wie Vaterlandsliebe, Landesverteidigung, Heroismus usw. ins Treffen führt"156.
Besuchsprogramme und flammende Appelle: Höhepunkte der Frontkämpferverständigung
6.
begann für die Friedensfreunde und jene, die sich dafür ausgaben, verheißungsvoll. Das Saarplebiszit, bei dem eine erdrückende Mehrheit von über 90 Prozent der Wähler für den Anschluß ans Reich stimmte, verlief ohne größere Zwischenfälle und schien eine „neue Epoche deutsch-französischer Beziehungen" einzuläuten157. Der mäßigende Einfluß der Frontkämpfer galt vielen Beobachtern als erwiesen, weitere initiativen waren damit hinreichend legitimiert. Beiderseits des Rheins wurde fieberhaft am Ausbau der Kontakte gearbeitet. „Unsere Aktion Das Jahr f 935
153
154 155 156 157
Rolf v. Humann-Hainhofen, Les devoirs de l'homme, in: DFM, Januar-Februar 1935, S. 95. Aufgabe der Frontkämpfer sei es, „de contribuer de toutes nos forces à un rapprochement entre deux peuples vaillants de grande histoire et civilisation, pour servir ainsi au noble but de l'apaisement de nos patries et du monde". Redemanuskript vom 30. 4. 1937, pag. 20; AN, 43 AS 1, dr. 5. „Die französischen Frontkämpferverbände und ihre Bedeutung für die Verhandlungen
Ygl
mit Deutschland", Paris o.D.; PA/AA, R 70557. pierre Frédérix, Die innenpolitische Lage in Frankreich, in: Europäische Revue, September 1934, S. 574. So das überschwengliche Urteil der DFM, Januar-Februar 1935, S. 123, wie auch Henri Pichots; vgl. ders., Um den Frieden am Rhein, in: Europäische Revue, Januar 1935, S. 3-8.
144
77/.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
läuft weiter", sagte Jean Goy in einem Presse-Interview158. Etwa zur gleichen Zeit regelte Ribbentrop verbindlich die Zuständigkeiten, wobei er zum Zwecke größtmöglicher Einflußnahme auf Pärchenbildung setzte. Die Pflege der Beziehungen zur UNC übertrug er Rolf v. Humann-Hainhofen vom Kyffhäuserbund; der spätere Stabsführer der .Dienststelle' verströmte tiefe Genugtuung darüber, daß den Veteranen und ihren Idealen im .neuen' Deutschland, anders als zu Zeiten der Weimarer Republik, gebührende Beachtung geschenkt werde159. Hanns Oberlindober sollte die Verbindungen zu Pichot und zur Union fédérale „fortentwikkeln", während Berlin-Pionier Robert Monnier als potentieller Mittler aussortiert wurde. Franklin-Bouillons Attacken hätten seinen Leumund irreparabel geschädigt, beschied Abetz das Auswärtige Amt160. Wachsende Differenzen mit dem AA, das weiterhin Störungen der offiziellen Außenpolitik befürchtete, veranlaßten dann Heß und das Reichskriegsministerium im August 1935, Ribbentrop mit der einheitlichen Leitung der Weltkriegsveteranen zu beauftragen ein neuer Erfolg für den ehrgeizigen Karrieristen, der ohne Abetz' Vorarbeit so nicht möglich gewesen wäre. Zur Organisation und Koordination von Veranstaltungen im „Geiste der Versöhnung" wurde in der .Dienststelle' ein spezielles Frontkämpferreferat eingerichtet, dessen Leitung erst Hermann Kügler, bald darauf Heinrich Georg Stahmer übernahm161. Unteutschs Folgerung, Abetz sei das Betätigungsfeld des Frontkämpfertums Anfang 1935 entzogen worden162, erscheint unzutreffend. Als Frankreichreferent der Dienststelle' blieb er nachweislich auch weiterhin in die Verhandlungen der Veteranen eingeschaltet. In der ersten Märzwoche begleitete er eine NSKOV-Delegation Oberlindober, v. Cossel, v. Humann-Hainhofen und v. Trautmannsdorff zu neuen Sondierungen nach Paris. Auch diese Visite soll von Luchaire, ferner von Bertrand de Jouvenel und Monnier vorbereitet worden sein. Berichten der Sûreté zufolge verliefen die Gespräche mit führenden Köpfen der großen französischen Verbände diesmal unbefriedigend: Pläne einer publicityträchtigen Parisreise von Rudolf Heß wurden höchst reserviert aufgenommen, Versuche, die französisch-sowjetischen Beziehungen zu diskreditieren, abgewiesen. Statt dessen hagelte es Kritik an der aggressiven Rüstungspolitik des Reiches163. Auf die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland am 16. März reagierten UF und UNC besorgt. Eine UNC-Delegation, auf dem Sprung nach Berlin zu weiteren Sondierungsgesprächen, verschob ihr Unterfangen164. „En parlant perpétuellement de paix et en armant moralement et matériellement au-delà des limi-
-
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158 159 160 161
162 163 164
DNB-Material vom 10. 1. 1935; PA/AA, R 70557. y Humann-Hainhofen, Les devoirs de l'homme. Le rapprochement après le plébiscite, in: DFM, Januar-Februar 1935, S. 94 f. Aufzeichnung v. Rintelen vom 12. 2. 1935 über einen mündlichen Bericht Abetz'; PA/ AA, Botschaft Paris 1050/1. Anordnung des Stellvertreters des Führers vom 27. 8. 1935, zit. bei Jacobsen, Außenpolitik, S. 290. Vgl. ebenda, S. 286 f. Stahmer war zugleich .Stabsleiter der deutschen Front-
Ygj
kämpferverbände'.
Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 116.
Berichte der Sûreté Nationale vom 9., 11. und 12. März 1935; AN, F 7/13433 und 14715. Forster
an
Auswärtiges Amt, 22. 3. 1935; PA/AA, R 70557.
6.
Höhepunkte der Frontkämpferverständigung
145
permises non seulement par les traités mais même par le simple souci d'une sécurité que personne n'entend troubler, votre pays joue un jeu fort dangereux", entrüstete sich Georges Lebecq in einem Brief an NSKOV-Chef Oberlindober165. Seine Beschreibung des deutschen Doppelspiels traf ins Schwarze, den nachgerade missionarischen Verständigungseifer der Anciens combattants aber bremsten solche Einsichten nicht. Wenige Tage später erschloß Otto Abetz der Reichsregierung die Sympathien eines weiteren populären Frontkämpferführers. Gemeinsam mit Robert Lange, einem Bekannten aus Sohlbergzeiten und Vertrauten Luchaires, begleitete er den kriegsblinden Pariser Abgeordneten Georges Scapini (Union des aveugles de guerre), der bei einer Podiumsdiskussion über die politische Zweckmäßigkeit unmittelbarer Aussprachen zwischen deutschen und französischen Veteranen den Kassandrarufen Kerillis' Paroli geboten hatte166, zu einer Audienz bei Hitler. Das Treffen fand in Bad Godesberg statt, wo Scapini eine Zeitlang am Protestantischen Pädagogium zur Schule gegangen war. Dolmetscher Abetz registrierte Tränen in den Augen des .Führers', als man den Franzosen hereinbrachte, mochte freilich nicht entscheiden, ob der Kanzler Ergriffenheit vortäuschte oder die Erinnerung an eigene Kriegserlebnisse ihn tatsächlich für einen Moment überwältigte. „Ich, der ich selbst vorübergehend erblindet war und das Augenlicht nicht wieder zu finden glaubte, kann ermessen, welches Opfer Sie Ihrem Vaterland gebracht haben", sagte Hitler, ehe er, die Emotionen beiseite wischend, seine Thesen zur Rüstungsfrage vortrug167. Die .Droge Hitler' wirkte wie so oft. Nach mehrstündiger Unterredung war Scapini endgültig für die Verständigung mit dem .Dritten Reich' gewonnen, eine Haltung, an die er 1940 als Befürworter der Kollaboration tes
anknüpfte. Daß Scapinis Autorität ein Pfund war, mit dem die NS-Propaganda wuchern konnte, veranschaulicht folgende Beurteilung durch André Germain: Wenn ein tapferer Mann wie er, der im Felde sein Augenlicht verloren, für Freundschaft und Verständigung eintrete, müßten „selbst die wildesten Chauvinisten auf ihn hören" und die „empfindlichsten Nationalisten alter Prägung" verstummen168. Unmittelbaren publizistischen Flankenschutz bot Jean Luchaire, der der Reise nach Godesberg eine kalmierende Wirkung auf das durch Wehrpflicht und Stresafront
neuerlich belastete deutsch-französische Verhältnis zuschrieb. Zwar dämmerte ihm, daß sich das Kräftefeld zwischen beiden Ländern zu Frankreichs Ungunsten zu verschieben begann, doch hielt er, in seiner Argumentation den Frontkämpfern eng verwandt, an der Überzeugung fest, daß die Bewahrung des Friedens oberste 165
166
Abgedruckt in La Voix du Combattant, 23. 3. 1935. Kühn (Paris) an Auswärtiges Amt, 12.2. 1935; PA/AA, S. 174 f.
167
168
R 70557.
DFM, März 1935,
Abetz, Das offene Problem, S. 56. Vgl. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 117; DFM, Mai-Juni 1935, S. 260. Zu Hitlers zeitweiliger Erblindung durch Giftgas im Oktober 1918
Zit. bei
siehe Fest, Hitler, S. 113 f. André Germain, Der Weg zur Verständigung, S. 39 f. Germain, von den Berliner Machthabern darob hofiert, sah europäische Kultur und christliche Zivilisation vor allem durch sowjetischen Expansionismus und jüdisches Großkapital bedroht. Vgl. ders., Hitler ou Moscou.
146
III.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
Priorität haben müsse: „La paix ne se fait pas seulement avec des amis, elle se fait surtout avec les ennemis possibles"169. Dieser Satz hätte von Henri Pichot stammen können, der sich beim UF-Nationalkongreß Ende April in Le Touquet nachdrücklich zu seinen Berlin-Kontakten bekannte, die es ungeachtet aller Panikmache mit Realitätssinn (!) und Offenheit fortzusetzen gelte. Die Versammelten erteilten ihm hierfür ein offizielles Mandat170. Der Verständigungswille der alten Kämpen überdauerte auch jene Demütigungen und Brüskierungen, die Hitler Frankreich in den nächsten Jahren in regelmäßigen Abständen zumutete, fast unbeschadet, f 935 rollten Besuchsprogramme an, die rasch an Umfang gewannen, andere Verbände und Bevölkerungsgruppen zur Nachahmung animierten und ganz im Sinn der nationalsozialistischen Propaganda ein sich stetig normalisierendes Nachbarschaftsverhältnis vorspiegelten, immer wieder setzten dabei die Frontkämpfer neue Maßstäbe. Den Anfang machten 45 Mitglieder der „Fédération nationale des blessés du poumon", die Ende Juni f 935 auf Einladung von Robert Bosch eine Woche in Stuttgart weilten und hernach deutsche Kameraden mit in ihre Lyoneser Heimat nahmen. Reichskriegsopferführer Oberlindober hieß die Franzosen willkommen und betonte, in Deutschland denke „kein Mensch an einen neuen Krieg". Die jüngsten Turbulenzen um die deutsche Aufrüstung bemäntelte er mit einem für französische Ohren eingängigen Argument: „Weil wir unser Vaterland so lieben wie ihr, [...] sind wir auch auf unsere Sicherheit so wie ihr bedacht." Es folgten Kranzniederlegungen, Empfänge, Ausflüge und ein Besuch im Bosch-Werk Feuerbach, wo die Gäste „von Tausenden deutscher Arbeiter umringt und begrüßt" wurden171. Die Wirkung entsprach den Erwartungen der Gastgeber. „Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß die Leute überglücklich aus Deutschland zurückkamen und der Anerkennung voll waren", zog ein Mitarbeiter des Deutschen Konsulats Lyon Bilanz. Etwaige Vorbehalte der Besucher waren hinweggefegt, sie sahen das ,Dritte Reich' nun erst einmal durch die sprichwörtliche rosarote Brille und „versicherten wiederholt, daß ihre Organisation nicht nachlassen würde, in ihren Annäherungsversuchen immer weiterzugehen und daß sie [...] sich durch keine Kritik und keine Widerstände [...] beirren lassen würde". Soviel Begeisterung steckte an: Auch die Provinzpresse, so der Bericht aus Lyon, habe „in ansprechender Weise" Notiz genommen, was für künftige Begegnungen „alle Aussichten" er-
-
öffne172. Das nationalsozialistische Konzept, friedensdürstenden Besuchern nach dem Munde zu reden, Skeptiker mit ausgesuchter Gastfreundschaft zu betören und ihnen durch üppigen protokollarischen Aufwand das erhebende Gefühl zu vermitteln, etwas Besonderes zu sein, ging in der Folge vielfach auf, wobei sich spe169
Luchaire, La France se dégage des périls de l'est européen [...] tandis que l'entretien Hitler-Scapini prouve qu'on peut encore faire en Occident une paix solide, in: Notre Temps,
26. 4. 1935. 170
171 172
Forster an Auswärtiges Amt, 26. 4. 1935; PA/AA, R 70557. Le 15e Congrès National de l'Union Fédérale, in: DFM, Mai-Juni 1935, S. 253. DFM, Juli-September 1935, S. 279; DNB-Material vom 24. 6. 1935; Heuss, Robert Bosch, S. 660 f.
Wilde (Lyon)
an
Auswärtiges Amt, 3. 7. 1935; PA/AA, R 70557.
6.
Höhepunkte der Frontkämpferverständigung
147
ziell Otto Abetz als ein Meister dieses Fachs bewährte. Ein anschauliches Beispiel liefert UF-Generalsekretär Georges Pineau, der restlos hingerissen über einen viertägigen Berlinaufenthalt berichtete. Erlesene Mahlzeiten mit hochrangigen Würdenträgern des Reiches, die Teilnahme an Neuraths Neujahrsempfang für das diplomatische Korps, schließlich ein Empfang bei Hitler, der vehement die Nutzlosigkeit von Kriegen geißelte, erstickten jeden Rest an kritischer Distanz. Der Frontkämpfer übernahm gleichsam die Bürgschaft für Deutschlands friedliche Absichten. „Le Chancelier n'a pas ce masque sévère et brutal sous lequel les photographies le représentent", schrieb Pineau in kindlich anmutender Naivität. „Ses yeux sont bons. Et, pour dire ce que je crois être la vérité, Hitler offre plutôt l'aspect d'un timide que d'un violent." Auf solchen Boden konnte die NS-Propaganda säen, ohne Anstoß zu erregen, etwa den von Pineau pflichtschuldig weiterverbreiteten Hinweis, wenn etwas die deutschen Freunde vergraulen würde, dann Frankreichs Zusammenarbeit mit dem Osten ein gezielter Hieb gegen die dem Abschluß zustrebenden Paktverhandlungen zwischen Paris und Moskau173. Binnen kurzem entwickelte sich ein regelrechter Frontkämpfertourismus. Sonderzüge mit Tausenden von Veteranen und ihren Angehörigen überquerten in beiden Richtungen den Rhein, man überbot einander an Herzlichkeit und Zuwendung. Friedensliebe und gegenseitige Wertschätzung wurden wie Schutzengel beschworen, auf ungezählten Banketten, bei Vorträgen und Gedenkfeiern, Ausflügen und gemeinsamer Grabpflege. Man verteufelte übereinstimmend den Krieg, bekräftigte die absolute Notwendigkeit, einen neuen Waffengang zu vermeiden, und bemühte nimmermüde die Hoffnung, daß Revanchegelüste und Mißtrauen der Regierenden irgendwann dem guten Willen und gesunden Menschenverstand der Völker weichen müßten174. Die Bühne für flammende Appelle gaben wiederholt Massenaufmärsche. Herausragend ein Friedensschwur, den über 30000 Veteranen, Abgesandte aller am Weltkrieg beteiligten Nationen, in der Nacht zum 13. Juli 1936 während einer ergreifenden Gedenkfeier auf dem Schlachtfeld von Verdun leisteten. An diesem „größten Ereignis, das die Frontkämpferbewegung für die Völkerverständigung bis jetzt zu verzeichnen hatte"175, nahmen 500 Deutsche unter Führung von Hauptmann a.D. v. Brandis, der einst das hartumkämpfte Fort Douaumont erstürmte, und auch Otto Abetz teil. „Jamais plus noble geste n'aura été fait sur une terre plus auguste", schwärmte Henri Pichot, der die Idee dazu mit einigen Kameraden ausgeheckt hatte und zur Verwirklichung Geldmittel von der Pariser Regierung erhielt176. Am 4. Juli 1937 wurden 1000 französische Veteranen in Freiburg -
173 174
175 176
Georges Pineau, Le Comité France-Allemagne à Berlin, in: Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 92, 10.2. 1936.
Fundgruben für einschlägige Äußerungen und Berichte über den regen Austausch der Jahre 1935 bis 1938 sind die DFM und die Verbandszeitschrift Cahiers de l'Union fédérale, von der sich eine vollständige Sammlung im Nachlaß Pichot befindet (AN, 43 AS 6
und 7). Leitartikel Le Rassemblement de Verdun, unsig., in: DFM, Juli 1936, S. 233. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 48 f. Ders., Le silence de Verdun, in: Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 105, 20. 7. 1936. Eine nicht minder bewegte Schilderung bei Abetz, Das offene Problem, S. 58 f.: „Wer diese Stunde miterlebt hat, wird sie nie verges-
777. Über die Frontkämpfer zur Dienststelle
148
Ribbentrop
begrüßt, am 1. August sprach Pichot bei einer Großkundgebung im Berliner Olympiastadion vor mehr als 100000 Menschen. Die Menge klatschte frenetisch
er sich auf deutsch an seine „Kameraden" wandte177. Ende Oktober fuhren 1600 Veteranen aus Baden, Württemberg und der Pfalz nach Besançon, marschierten gemeinsam mit französischen Verbänden unter dem Jubel der Bevölkerung durch die Stadt, ehrten die Gefallenen und erneuerten den ,Eid von Douaumont'. Dazu erklangen die Nationalhymnen beider Länder, Trikoloren mischten sich mit Hakenkreuzfahnen178. Es gelang Abetz, das Wirken führender französischer Frontkämpfer eng mit den Aktivitäten der Dienststelle Ribbentrop zu verzahnen, was eine noch gezieltere propagandistische Einflußnahme erlaubte. Im Ende 1935 gegründeten Comité France-Allemagne, Pendant zur kurz zuvor wiederbelebten und mit Mitarbeitern der .Dienststelle' durchsetzten DFG, fungierten Goy und Pichot als Generalsekretäre. Ihre Verbände traten der Gesellschaft korporativ bei und bildeten fortan eine wichtige soziologische Komponente. Präsident wurde Commandant René-Michel L'Hôpital, ein ehemaliger Adjutant Marschall Fochs, nach dessen Rücktritt wegen der Rheinlandkrise Georges Scapini179. Eine wiederholt ins Auge fallende Verflechtung der Jugend- und Veteranenarbeit war ebenfalls maßgeblich Abetz' Werk, eingedenk seines erklärten Ziels, diese beiden Bevölkerungsgruppen zu einem gewichtigen Faktor im deutsch-französischen Verhältnis zu koppeln. Auch diese Entwicklung wurde 1935 angebahnt. Am 26. Juli sprach Henri Pichot auf dem Heldenfriedhof von Saint-Quentin zu 60 Charlottenburger Jungvolkbuben, die sich auf großer Frankreichfahrt befanden. Er appellierte an sie, nach dem Vorbild der Frontkämpfer „offen, ehrlich und guten Willens" zu fruchtbarer Zusammenarbeit mit ihren französischen Altersgenossen zu finden, statt wie die Väter und Großväter vernichtend übereinander herzufallen180. Die dreiwöchige
Beifall, als
können". Vgl. Das Archiv, Juli 1936, S. 572f.; DFM, Juli 1936, S. 233ff., 271, sowie August-September-Heft, S. 280 ff. Die UNC versagte ihre Teilnahme aus Protest gegen die Remilitarisierung des Rheinlands; Prost, Anciens combattants, I, S. 181. Die deutsche Delegation beeindruckte mit einer im Programm nicht vorgesehenen Kranzniederlegung in Verdun. 177 DFM, Juli-August 1937, S. 270; Pichot, Cent vingt mille Anciens Combattants manifestent pour la Paix, in: Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 128/129, August-September 1937. sen
das
Pineau
befand, Pichot sei der beliebteste Franzose in Deutschland; ebenda, Nr. 92, 10. 2.
1936.
178 179
180
DFM, Oktober-November 1937, S. 361 f.; Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 132, 10. 11. 1937; vgl. Haumann, Eine inszenierte Friedensaktion. Vgl. DFM, Februar 1936, S. 72, und Kap. IV der vorliegendenzuArbeit. Besonders der Umstand, daß Pichot als Exponent der Linken gelte, mache ihn einem überaus wertvollen Medium für die Nationalsozialisten, urteilte ein anonymes, wahrscheinlich aus der deutschen Emigrantenszene stammendes, nach Einschätzung des Pariser militärischen Ab-
wehrdienstes aber weitgehend zuverlässiges Dossier „Les formes de la propagande allemande" vom September 1938; MAE, Papiers 1940, Fonds Daladier/1, Bl. 101-118, hier Bl. 115f. Abetz schilderte seinen Vorgesetzten das linke politische Spektrum in Frankreich als „auf lange Sicht hinaus ausschlaggebend". Abetz an SS-Hauptamt, 20. 7. 1937; BDC/Abetz. La République, 27. 7. 1935; Kreuz-Zeitung (Berlin), 28. Juli. Auszüge aus Pichots Rede ferner in DFM, August-Oktober 1935, S. 275 f., und in einem Reisebericht von Hans-
6.
149
Höhepunkte der Frontkämpferverständigung
Fahrt, die nach Paris, durch Loiretal, Normandie und Bretagne führte, stellte auch insofern ein Novum dar, als eine „Kombination von martialischer Erinnerung an den Weltkrieg und friedensbewegter Konzilianz", gepaart mit einem als Regime-
werbung inszenierten dynamisch-disziplinierten Auftreten vor Ort, den deutschfranzösischen Jugendbeziehungen unter Trägerschaft der HJ neuen Auftrieb geben sollte181. Um der verständigungspolitischen Zielsetzung gerecht zu werden, scheuten sich die Organisatoren nicht einmal, dem populären Pazifisten Marc Sangnier Reverenz zu erweisen, der vor kurzem noch deutschfeindlicher Hetze beschuldigt worden war, auf dessen Anwesen in Bierville die Jungvolkbuben nun aber ungeniert campierten. „Intensive Vorbereitung durch den Sohlbergkreis" und eingehende Betreuung durch die Union fédérale und das „Groupement universitaire français pour la Société des Nations" ermöglichten eine Reihe von Kontakten zur französischen Jugendszene. Die Heimkehrer waren begeistert „wie oft reichte man uns Wein, wenn wir um Wasser baten" und gelobten, das sei nur der Anfang gewesen, denn die in der HJ geeinte deutsche Jugend wolle „mit der Jugend Frankreichs gern in guter Kameradschaft leben". Zuweilen mochte Abetz -
-
tatsächlich davon träumen, alte Ideale auch unter nationalsozialistischen Vorzeichen verwirklicht zu sehen. Er hatte für die Fahrt beim Auswärtigen Amt einen Zuschuß von 2500 RM erbeten, der ob des „kulturpolitischen Wertes" des Projekts umgehend gewährt wurde182. An der Schnittstelle Jugend/Frontkämpfer florierten besonders die Beziehungen zur Union fédérale. Im Sommer 1936 durften sich mehr als 100 Angehörige der UF-Jugendsektion, zwischen 15 und 30 Jahre alt, von HJ und DFG betreut drei Wochen lang ein Bild vom .Dritten Reich' machen. Ausführlichen Berichten in ihrer Verbandszeitschrift ist zu entnehmen, was den jungen Franzosen am .neuen' Deutschland positiv auffiel: Gastfreundschaft, Ordnung und Disziplin, Strebsamkeit im Beruf, Gemeinschaftssinn, Lebenskraft und ein unbeugsamer Glaube an die „deutsche Bestimmung". Befremdlich, ja beängstigend empfanden sie den manischen Hang ihrer Nachbarn zu Aktionismus und Uniformen, den politischen Konformismus und Zwang zu bedingungslosem Gehorsam, die Allgegenwart des Staates sowie das völlig übersteigerte Rassedenken183. Es war bezeichnend für Pichots scheuklappenträchtiges Harmoniestreben, daß er solch augenfällige Defizite und von raubtierhafter Unberechenbarkeit kündende Merkmale des NS-Staates seinen Landsleuten gegenüber immer wieder zu erklären, wenn nicht schönzureden versuchte. So geschehen anläßlich eines Vortrags beim Rotary-Club Orléans, wo er es schlicht unfair nannte, den Deutschen stets mit kleinmütigem Mißtrauen zu begegnen. Sie fänden nun einmal keinen Geschmack
181 182
Erich Heidsieck, Deutsches Jungvolk wandert durch Frankreich, ebenda, S. 265-272, ebenfalls veröffentlicht im Reichs-Jugend-Pressedienst. Vgl. Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 343 ff. Abetz an Auswärtiges Amt, 12. 6. 1935, und Antwortschreiben vom 24. Juni; PA/AA, R 98893.
183
„Accueillis en toute cordialité cent-vingt Jeunes de l'Union fédérale font en Allemagne intéressant et profitable voyage", in: Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 107-108,
un
-
15. 9./10. 10. 1936. Siehe auch
DFM, August-September 1936, S. 298f. (Randnotizen
eines französischen Teilnehmers) und 321 f.
(eine Chronik aus deutscher Feder).
777. Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
150 an
Politik und
Botschaft,
von
Parlamentarismus, sondern liebten, so seine beruhigend gedachte ihrem Naturell her Gründlichkeit, Befehle und ein geregeltes
Gruppenleben. Fünfzehn Jahre Not und innerer Kämpfe hätten sie dazu gebracht, ihr Heil im .Führer' zu suchen. Ihre Fähigkeit, Entbehrungen zu ertragen und ihrer Regierung ohne nachzudenken durch dick und dünn zu folgen, könnte in der Tat gefährlich werden, wäre Hitler nicht ein erklärter Mann des Friedens, was alles andere relativiere184. Aber auch grundsätzlich mochte Pichot unterschiedliche politische Systeme als Hindernis für einen Ausgleich nicht akzeptieren. „Für uns Kriegsteilnehmer ist es keines", versicherte er deutschen Veteranen und DFGMitgliedern. „Jedes Volk ist frei, bei sich zuhause zu leben, wie es wünscht. Der Frieden wird nicht aus der Gleichheit der politischen Staatsformen kommen, sondern aus dem Willen der Völker, der seinen Ausdruck im Willen der Regierenden finden muß, den ersten Dienern ihrer Völker. Wichtiger als das politische Regime ist die Art, wie ein Volk lebt, wie es arbeitet, wie es unter den verschiedensten Lebensumständen sich verhält."185 Illusionen oder: die schwierige Einsicht, mißbraucht zu werden 7. Zerstörte
Als Patentrezept für eine „détente morale" verordnete Pichot, in diesem Therapieansatz von vielen Gleichgesinnten bestärkt, einen möglichst zahlreichen und vielfältigen Austausch an der Basis, der allein wechselseitiges Verständnis fördern könne, „volkstümliche Reisen" statt symbolischer Einladungen. Im Zeitalter der Massenbewegungen genügten individuelle, vereinzelte Bemühungen nicht mehr,
sondern die Völker selber müßten zusammenkommen186. Zu diesem Zweck wurde ein „Service courant des informations et échanges internationaux" eingerichtet, der Einladungen publik machen und potentielle Austauschpartner vermitteln sollte187. Die Voraussetzungen für ein Aufgehen der NS-Strategie, den Verständigungstourismus als hoffnungsfroh stimmende Zeitenwende erscheinen zu lassen, ihn aber gleichzeitig als Vehikel für eine breite propagandistische Streuwirkung zu nutzen, waren blendend. Wärmstens begrüßten UF und UNC ein Angebot Schirachs, 1000 französische Frontkämpfersöhne im Frühjahr 1938 zur HJ in 184
„Allocution devant le Rotary-Club", Orléans,
dr. 5. 185
186
187
22. 2. 1937
(Manuskript); AN, 43 AS 1,
„Allocution devant la D.F.G. et les A.C.: N.S.K.O.V. et Kyffhäuserbund", gehalten in Bremen und Lübeck, 25726. 11. 1937 (Manuskript und deutsche Übersetzung); AN, 43 AS2,dr. 1. Ansprache Pichots in Hamburg an die DFG der Hansestädte, 26. 11. 1937 (deutsche Übersetzung von Otto Abetz), ebenda. Wie sehr verschiedene germanophile Zirkel in diesem Punkt übereinstimmten, dokumentiert ein Beitrag Drieu La Rochelles für das HJFührerorgan Wille und Macht, das dem deutsch-französischen Verhältnis am 15. 10. 1937 eine komplette Ausgabe widmete. Alles sei eine Frage „des Sichkennens, des lebendigen Kennenlernens", meinte der Schriftsteller. „Also Reisen, Reisen und immer wieder Reisen!" Notiz im Nachlaß Pichot; AN, 43 AS 2, dr. 1.
7. Zerstörte Illusionen oder: die schwierige
Einsicht, mißbraucht zu werden
151
die Ferien zu schicken188. Kurz zuvor hatte er Fühlungnahmen zwischen Jugendlichen beider Länder als „eine der schönsten Verheißungen unserer Zeit" bezeichnet und den Wunsch geäußert, die alte Gegnerschaft möge in gemeinsamen Lagerfeuern „für immer verbrennen"189. Auch diese Offerte zeitigte eine nicht zu unterschätzende Öffentlichkeitswirkung. Die Deutsche Botschaft Paris wurde mit Anfragen zu Einzelheiten der geplanten Massenfahrt förmlich überschwemmt190. Nach dem .Anschluß' Österreichs im März 1938 nahmen die Anciens combattants indessen unverzüglich Abstand von dem Unterfangen191. Verbindliche internationale Verträge seien zu gravierend verletzt worden, als daß der Reise noch die ursprüngliche Bedeutung zukommen könne, beschieden die Veteranen Schirach in einem offenen Brief192. Ernüchternd endete für Pichot und seine Kameraden auch ein anderes Experiment auf internationaler Bühne. Das Tauwetter in den deutsch-französischen Frontkämpferbeziehungen hatte die FIDAC im Juli 1935 bewogen, zum ersten Mal überhaupt eine deutsche Delegation zu einer Vollversammlung einzuladen. Die in Paris anberaumte Konferenz vereinte Vertreter aus elf exalliierten Staaten, von deutscher Seite das NSKOV-Dreigespann Oberlindober, v. Cossel und Dick sowie v. Humann-Hainhofen (Kyffhäuser) und v. Bary (Stahlhelm). In mehreren Resolutionen forderten die Teilnehmer eine wirksame Rüstungsbegrenzung, die strikte Einhaltung gültiger Verträge und die Bereitschaft, zwischenstaatliche Streitfragen einem internationalen Schiedsgericht zu unterwerfen. Sie verpflichteten sich, durch möglichst objektive Würdigung anderweitiger Interessen, Eindämmung tendenziöser Meinungsmache und Erziehung der Jugend zu Frieden und Gerechtigkeit eine dem Entspannungsprozeß dienliche Atmosphäre zu fördern193. Oberlindober zeigte sich angenehm überrascht über die herzliche Aufnahme. Binnen 48 Stunden, versicherte er Reportern, habe man auf diese Weise mehr erreicht als die Staatskanzleien in vielen Jahren194. Das Echo in Frankreich wurde noch verstärkt durch den zur selben Zeit stattfindenden Besuch von 50 deutschen Veteranen in Lyon, die Herriot in seiner Eigenschaft als Bürgermeister als „erste Schwalbe des Frühlings" willkommen hieß195. War es bloßer Zufall oder eine flankierende Maßnahme, daß just in jenen Tagen auch Otto Abetz wieder
188
DpM; Dezember 1937, S. 410; Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 132,
10. 11. 1937: „Un
puissant mouvement se dessine dans la jeunesse allemande pour un contact et une entente' avec la France. Nous en reparlerons." 189 190
191
Schirach, Gruß an Frankreich, in: Wille und Macht, 15.
10.
1937, S. 4 f.
Tiemann,Jugendbeziehungen, S. 351. Als Termin warder 10.-24. April 1938 vorgesehen. Die Reise sollte von Freiburg über Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, Mainz, Köln, das Ruhrgebiet, Hannover und Hamburg bis nach Berlin führen. DFM, Februar 1938, S. 87. Le Ministre chargé de la coordination des services de la Présidence du Conseil an das
Ministère des Affaires Etrangères, 29. 3. 1938; AN, F 60/174. Abgedruckt in Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 141, 20. 3. 1938. DNB-Rohmaterial vom 2. 7. 1935, abends. Forster (Paris) an Auswärtiges Amt, 4. Juli; PA/AA, R 70557. DFM, August-Oktober 1935, S. 283. 194 192 193
195
La Presse, 4. 7. 1935. Forster an Auswärtiges Amt, 4. Juli. Bissiger Kommentar in L'Ere Nouvelle „Hoffentlich folgen weitere Schwalben, nicht der Flug von Sperbern."
vom
2. Juli:
152
7/7.
Über die Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
werbend durch Paris zog? Mit Empfehlungsschreiben Brinons gewappnet, sondierte er diesmal die Stimmung in Journalistenkreisen196. Ein englischer Antrag, den Austausch mit Veteranenverbänden ehemaliger Feindstaaten zu vertiefen und ihnen durch eine Umbenennung der FIDAC in „Fédération Internationale" den Beitritt zu ermöglichen, fand auf dem nächsten Kongreß im September in Brüssel keine Mehrheit197. Doch 14 Monate später, im November 1936, die etablierten Institutionen FIDAC und CIAMAC waren „an einem toten Punkt"198 angelangt, Rom und Berlin durch eine .Achse' verbunden, wurde auf italienische Initiative ein Komitee gebildet, das die Satzung für einen nach allen Seiten offenen Frontkämpferbund ausarbeiten sollte199. Im Februar 1937 hoben Delegierte aus 14 Nationen in Berlin das „Comité international permanent des anciens combattants" (CIP) aus der Taufe. Ungeachtet aller Gegensätzlichkeiten der politischen Systeme wollten sie Verständnis und Solidarität füreinander in ihren Heimatländern fördern. Ob des weltweiten Interesses trieb die NS-Führung wiederum hohen protokollarischen Aufwand, glanzvolle Empfänge bei Göring, Blomberg, Heß und bei Hitler auf dem Berghof inbegriffen. Heß, dessen Königsberger Rede vom Juli 1934 erneut als wegweisend herausgestellt wurde, rechtfertigte routiniert und ohne Widerspruch zu ernten die deutsche Aufrüstung: Ein großes und zugleich schwaches Reich sei eine Gefahr für die internationale Stabilität, weil es eine Versuchung für potentielle Angreifer darstelle. Der .Führer' gab sich in bewährter Manier als Kamerad unter seinesgleichen, posierte bereitwillig für Erinnerungsfotos und bekräftigte, ein von Veteranen regiertes Land könne kein Interesse am Krieg haben200. Auf kritische Einwände französischer Zeitungen, die ein billiges Propagandamanöver der .Achsenmächte' witterten, reagierten Goy und Pichot mit heftiger Presseschelte. Sie unterstellten Teilen der Journaille krankhaftes Mißtrauen und mutwillige Sabotage des Verständigungsprozesses201. Einmal mehr hatte ihre Gutgläubigkeit die Oberhand behalten. Ein Jahr später sollten sie eines Besseren belehrt werden: Zunächst lehnte es der italienische CIP-Vorsitzende Delcroix ab, im Namen des Comités den Einmarsch der Wehrmacht in Österreich zu verurteilen. Dann verlangten die Deutschen auf der CIP-Tagung im Mai 1938 in London turnusgemäß die Präsident196
197 198
199 200 201
Bericht der Sûreté Nationale vom 2. 7. 1935, „Au sujet de Otto Abetz, envoyé spécial de Ribbentrop"; AN, F 7/13433. Bräuer (Deutsche Gesandtschaft Brüssel) an Auswärtiges Amt, 7. 9. 1935; PA/AA,
R 70558. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 55. Prost, Anciens combattants, I, S. 184. Pichot, Et ce fut, pag. 55 ff.; DFM, Februar 1937, S. 77; Das Archiv, Februar 1937, S. 1646 ff. YgJ Pichot, Une nouvelle internationale combattante. La réunion de Berlin 14-19 Février, in: Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 118,10. 3.1937. Goy wetterte im Februar 1938, soeben von einer Berlinreise zurück, gegen „les criminels ou imbéciles qui se plaisent à répandre [...] de fausses nouvelles", und bezeichnete ganz zuverlässiges Sprachrohr der NS-Propaganda die Achse Berlin-Rom und den Antikominternpakt als logische, „defensive" Antwort Deutschlands auf das französisch-sowjetische Beistandsabkommen. Gringoire, 18. 2. 1938; L'Œuvre, 22. Februar („Et M. Jean Goy de plus belle donne raison -
-
à
l'Allemagne").
7. Zerstörte
Illusionen oder: die schwierige Einsicht,
mißbraucht zu werden
153
schaft und beharrten in ultimativer Form auf ihrer Forderung, obwohl Pichot, Goy und Delegierte aus Belgien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei sie dringend ersuchten, mit Rücksicht auf die heikle politische Großwetterlage vorläufig zu verzichten. Als der deutsche Kandidat, der Herzog v. Sachsen-Coburg-Gotha, in einer Kampfabstimmung gewählt wurde und prompt eine vorab formulierte, maschinenschriftliche Dankesrede zückte, argwöhnten die Franzosen ein abgekartetes Spiel unter Regie der .Achsenmächte' und traten aus dem Verbund aus202. Man könne und wolle sich nicht mit sentimentalen Fühlungnahmen begnügen, während Europa in Flammen aufzugehen drohe, machte Pichot seiner Enttäuschung Luft203. Die lange währende „Blindheit" der französischen Frontkämpfer gegenüber den deutschen Doppelspielen steht nach Meinung von Antoine Prost in engstem Zusammenhang mit ihren ehrenwerten Zielen. Derart groß war ihr Sehnen nach Ruhe und Sicherheit, daß sie sich trotz zahlreicher Alarmsignale geraume Zeit gegen die Einsicht sträubten, ihr guter Wille werde mißbraucht204. Gerade bei Pichot ist das Festhalten an illusionären Hoffnungen, das qualvolle, dem Innersten widerstrebende Ringen um die Erkenntnis, daß Hitlers Worte mitnichten seinen letzten Absichten entsprachen, greifbar. Beredt suchte er seine ob deutscher Dreistigkeiten beunruhigten Landsleute zu beschwichtigen, vermittelte das Bild eines beispiellos dynamischen, herkömmliche Grenzen sprengenden, aber im Grunde friedfertigen Nachbarn, selbst wenn im Unterbewußtsein massive Zweifel nagten. Die Frage, ob das Reich Krieg wolle, verneinte er im Oktober 1936 auf einer UFVersammlung in Riom unter Hinweis auf die Haltung der deutschen Bevölkerung und Hitlers Beteuerungen. Im selben Atemzug mußte er eingestehen, daß der Preis unerträglich hoch ausfallen könnte: „La paix allemande, c'est la France enfermée dans l'ouest de l'Europe et ne s'occupant pas du reste." Das aber war dem aufrechten Patrioten erklärtermaßen zu wenig. „Votre frontière n'est pas sur le Rhin", belehrte er seine Zuhörer, „elle est en Autriche, en Tchéchoslovaquie. C'est la raison du pacte franco-russe, c'est un pacte de défense"205. Anläßlich des großen Frontkämpfertreffens von Besançon bestritt Pichot, der trügerischen Vorstellung anzuhängen, daß sich deutsch-französische Probleme „einfach mit einem Austausch von heiteren Mienen und höflichen Liebenswürdigkeiten" regeln ließen, doch müsse man einander ein Höchstmaß an Verständnis und Sympathie zollen, um eingewurzeltes Mißtrauen zu tilgen206. Über einen Auftritt vor 7000 Hamburger Veteranen im November 1936 notierte er: „L'accueil [...] est plus que chaleu-
202
185. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 75 ff. der deutschen Frontkämpfer-Verbände, internaPräsident der Vereinigung Herzog, tional aber ein unbeschriebenes Blatt, war nach Pichots Einschätzung eine Wahl Ribbentrops. Pichot, Il y a un mois, à Londres, in: L'Œuvre, 20. 6. 1938. Prost, Les anciens combattants, S. 147. Zit. nach Journal des Combattants et Mutilés du Puy-de-Dôme, November 1936, S. 6. Ansprache Pichots am 24. 10. 1937 (Manuskript in deutscher Übersetzung); AN,
Prost, Anciens combattants, I, S. Der
203 204 205
206
43
AS2,dr.
1.
777. Über die
154
Frontkämpfer zur Dienststelle Ribbentrop
Il est incontestable qu'il existe une commune résonnance interne entre gens de la guerre."207 Der fast unerschütterliche Glaube an eine Wesensverwandtschaft aller Kriegsteilnehmer trug entscheidend dazu bei, die überwiegende Mehrheit der französischen Frontkämpfer ungewollt zu „Handlangern der Nationalsozialisten"208 werden zu lassen. Tatsächlich meinte es das Gros der ehedem kaiserlichen Landser wohl ebenfalls ernst mit der Aussöhnung viele Zeugnisse sprechen eine ehrliche Sprache. Ziel der „Grabenkämpfer, der schlammwatenden Helden der Granattrichter" könne stets nur der Frieden sein, schrieb mit lyrischem Einschlag eine hessische Veteranengruppe an Botschafter Köster209. Ein Traditionsclub ehemaliger Infanteristen aus Bochum ersuchte die Pariser Botschaft um Adressen vergleichbarer französischer Organisationen. Seither habe man die Hauptaufgabe darin gesehen, wehrhaften Geist und Schießkünste der Mitglieder hochzuhalten. Nun aber stelle die Friedenspolitik des .Führers' neue Aufgaben, im besonderen die Pflege freundschaftlicher Beziehungen zu Veteranen ehemaliger Feindstaaten, um eine fruchtbare Zusammenarbeit der Völker Europas vorzubereiten210. „Noch recht lange haben diese unvergeßlichen Stunden in uns nachgeklungen", versicherte ein Hermann Teufel aus Frankfurt-Eckenheim im Namen seiner Kameraden Henri Pichot und bat um Bilder und Zeitungsmaterial über „die Weihenacht" von Douaumont, damit die Wirkung künftiger Vorträge gesteigert werden könne. Denn wo immer er Gelegenheit habe, so Teufel, „spreche ich von Eurem Wollen und Eurem Kampfe für das große Werk. Ich finde überall eine gläubige Hörergemeinschaft, die mithelfen will." Frontkämpfer wüßten eben, „was das Wörtlein Krieg bedeutet. Und sie alle sind sich einig in dem Wunsch, daß unseren Kindern dieses Leid erspart bleiben möge."211 Hinreichendes politisches Gewicht wuchs diesem Verlangen indessen nicht zu. Entgegen den Annahmen der Anciens combattants existierte ein Unterschied zwischen den politischen Systemen des .Dritten Reiches' und der .Dritten Republik', der das Verständigungswerk zu zerstören imstande war: Während im demokratischen Frankreich der Druck der öffentlichen Meinung die Politik direkt beeinflußte und mitunter in andere Bahnen lenkte, gab im totalitären NS-Staat ein oberster Wille den Ausschlag. Ein Gegenbefehl konnte die Marschrichtung ändern, wie es geschah, als Hitler sich stark genug fühlte. Nur langsam verinnerlichten die französischen Veteranen die Lektion, daß ihre Kameraden am anderen Rheinufer nicht entfernt die gleiche Unabhängigkeit genossen, die Kontakte nicht auf paritätischer Grundlage fußten und Regierungen womöglich doch gegen den reux.
-
207 208 2°9 210
211
Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 52. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 111. „Wir Kriegsfreiwillige von 1914/15" an Köster, 27. 6. 1934; PA/AA, R 70556. Verband ehemaliger Jäger und Schützen von Rheinland und Westfalen an Köster,
31. 7.
1935; PA/AA, R 70558. In beiden Fällen bremste Köster den an ihn herangetragenen Vernicht vergessen, daß der Sieger und nicht ständigungseifer als verfrüht.zur„Wir wollen doch der Unterlegene die Hand Versöhnung ausstrecken muß." Antwortschreiben vom 14. 8. 1935, ebenda. Die gegensätzliche Position der Botschaft zu Abetz wird auch an diesem Beispiel deutlich. Brief an Pichot vom 30. 12. 1936, unterzeichnet von 24 Personen; AN, 43 AS 1, dr. 2.
7. Zerstörte Illusionen
oder: die schwierige Einsicht,
mißbraucht zu werden
155
,Volkswillen' agieren konnten. Einschlägige Warnungen hatten sie, auf ihren .Realitätssinn' vertrauend und dabei die roßtäuscherischen Qualitäten der NS-Propaganda fahrlässig unterschätzend, jahrelang in den Wind geschlagen212. Erst 1938 setzte sich die Einsicht durch, daß man düpiert, der leidenschaftliche Idealismus manipuliert worden war. Schlagartig brachen die Besuchsprogramme ab. Im Bemühen um friedliche Lösungen gehörten Goy und Pichot zwar zu den engagiertesten .Munichois', doch spätestens im Frühjahr 1939 stimmten auch sie in den Chor jener ein, die energische, notfalls gewaltsame Gegenmaßnahmen gegen Hitlers Expansionismus befürworteten. Mit dem kollektiven Austritt ihrer Verbände entzogen sie dem Comité France-Allemagne die Massenbasis213. Bis dahin leisteten die Veteranen der nationalsozialistischen Beschwichtigungspolitik unschätzbare Dienste. Es ist Otto Abetz' höchst fragwürdige Leistung, der NS-Propaganda diesen und andere Kanäle erschlossen zu haben, zugleich eine persönliche Tragödie und bezeichnend für sein Scheitern, daß er es schwerlich mit kriegerischen Hintergedanken tat. Sein ursprüngliches Wollen, so wie er es darstellte und überzeugend zu vermitteln wußte, deckte sich vielmehr so weitgehend mit der Verständigungsphilosophie der Anciens combattants, daß man geneigt ist, sein Wirken zumindest in diesem Punkt in milderem Licht zu beurteilen. Jules Romains nahm an oder wollte zumindest hoffen, daß Abetz unter Gewissensbissen litt214. Henri Pichot suchte derweilen Trost in der Weisheit, daß alles Handeln zwar letztlich an den Resultaten gemessen wird, begreiflich aber nur in Kenntnis der tieferen Absichten. Unter diesem Blickwinkel zählen seine ehrenwerten Motive und das politische Wagnis, das er ihretwegen einging215. 212
213 214
215
Goy sprach von einer überaus bitteren Erfahrung. „C'est autrement que nous avions espéré cette collaboration [...] Nous nous sommes trompés." Zit. nach Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 164-165, 10.-25. 4. 1939, S. 20. Siehe Kap. VIL Romains, The Mystery of Ribbentrop & Co. Pichot, „Bilan 1916-1940", pag. 1; AN, 43 AS 4, dr. 3. Deprimiert über den Zusammenbruch der .Dritten Republik', für den er Systemschwächen, Dekadenzerscheinungen und mangelnden ,esprit combattant' verantwortlich machte, trat Pichot im Juli 1940 von sei-
Amtern zurück. Aus Furcht, wegen seiner Haltung nach dem Münchner Abkommen den Deutschen verhaftet zu werden, wechselte er in die unbesetzte Zone. Auf eine Intervention bei Botschafter Abetz zugunsten seines kriegsgefangenen Sohnes Pierre verzichtete er: „Moi et les miens, nous ne devons rien à l'occupant." Er half die pétaintreue, im Stile einer Einheitsorganisation gestaltete Légion français des combattants gründen, weil der Marschall in seinen Augen jene Frontkämpfertugenden verkörperte, die das Land so dringend benötigte. Hervorgetreten ¡st Pichot in der neuen Organisation jedoch nicht. Die Légion, nördlich der Demarkationslinie verboten, befehdete sich heftig mit der UF, die die Deutschen ebenso wie die UNC und zwei weitere Verbände zu propagandistischen Zwecken im besetzten Gebiet wieder zuließen, wofür sie politische Gefügigkeit erwarteten. AN, 43 AS 3 und 4; ferner AN, AJ 40/551, drs. 6 und 7 (Akten der Militär-
nen
von
verwaltung zum Thema „Frontkämpfervereinigungen"); PA/AA, Nachl. Schleier/IV2, Nr. 6: „Kriegsopfer- und Frontkämpferverbände". Etliche prominente Veteranen der dreißiger Jahre wählten nach der Niederlage 1940 den Weg in die Kollaboration. Scapini kümmerte sich in Berlin um die Interessen der französischen Kriegsgefangenen. Goy gehörte einige Zeit dem Direktorium von Marcel Déats Rassemblement national populaire (RNP) an. Randoux lenkte weiterhin maßgeblich die Geschicke der UF. -
IV. Instrumente der „Offensive de charme": DFM und DFG 1. Rapprochement à l'allemande: Die Deutsch-Französischen Monatshefte
„Die Begegnungen mit der Nachbarnation wollen wir auf das gegenseitige Ver-
in die Ehrlichkeit des anderen stützen. Unsere Zeitschrift soll dieses Verund Verstehen fördern, damit Volksehre und Völkerfrieden miteinander vereinbart werden", schrieb Otto Abetz in der ersten Ausgabe der Deutsch-Französischen Monatshefte^. Fast fünf Jahre lang, bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, haben sich die verantwortlichen Redakteure auf ihre Weise bemüht, diesem Anspruch gerecht zu werden, selbst dann noch, als andere nationalsozialistische Periodika, in denen der Stellenwert Frankreichs ohnehin meist niedrig angesiedelt war, im Zuge einer verstärkten psychologischen Einstimmung auf den Krieg in wachsendem Maße ein konfliktbestimmtes Weltbild artikulierten. Insofern sind die im politisch-kulturellen Ressort angesiedelten Monatshefte „untypisch" für die NS-Publizistik jener Jahre2. Das lag am Einfluß der Sohlbergkreisler Abetz und Bran, die im wesentlichen den Inhalt besorgten ein Redaktionsstab im landläufigen Sinn existierte nicht -, und natürlich an den beteiligten Berliner Instanzen, die bei ihren Beschwichtigungskampagnen in Frankreich gerade von diesem Organ profitieren wollten. Da die Zuständigkeiten, anders als es ein flüchtiger Blick auf die betont binationale Aufmachung vermuten läßt, ungeschmälert auf deutscher Seite lagen, versprechen die DFM näheren Aufschluß darüber, wie sich das deutsch-französische Verhältnis aus dem Blickwinkel bestimmter nationalsozialistischer Kreise darstellte und in welche Richtung man es zu beeinflussen suchte. Zugleich wirft ihre Lektüre Licht auf die spezifische, wiederum zwiespältige Rolle, die Abetz in diesem Unterfangen spielte. Die durchschnittlich 40 bis 70 Seiten starken Hefte, deren Umfang und Ausstattung kontinuierlich wuchsen, erzielten eine Auflage von maximal etwa 2000 Exemplaren3. Sie knüpften an die unregelmäßig erschienenen, Mitte 1932 eingestellten „Blätter des Sohlbergkreises" an und wurden wie diese im Karlsruher Verlag G. Braun veröffentlicht. Die Publikation erfolgte zunächst wohl unter Obhut der RJF. Dafür sprechen Verhandlungen, die Abetz im Herbst 1934 mit Carl Nabersberg vom Grenz- und Auslandsamt führte. „Nabersberg ist jetzt mit Karlsruhe [als Verlagsort] einverstanden", teilte er Bran am 6. Oktober mit, „ich als trauen
trauen
-
1 2
3
Abetz,
1930-1934: Rückblick und
Ausschau, in: DFM, Oktober-November 1934, S. 2.
Klaus-Jürgen Müller, Die deutsche öffentliche Meinung und Frankreich 1933-1939, in: Hildebrand/Werner (Hrsg.), Deutschland und Frankreich 1936-1939, S. 28 ff., 34. Während des Krieges erschienen die DFM weiter, bis ins Jahr 1944 hinein. Befragung Bran, 18. 3. 1989. Zuverlässige Angaben fehlen. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 23, hält die genannte Zahl frühestens ab 1937 für wahrscheinlich.
1. Die Deutsch-Französischen
157
Monatshefte
Hauptschriftleiter, Du als gesetzlicher Schriftleiter."4 Diese Rollenverteilung war notwendig, weil Abetz, eigentlicher Animateur der Revue, keinen Schriftleiterausweis besaß. Bran hingegen nannte das begehrte Dokument als Mitarbeiter des ebenfalls bei Braun erscheinenden Magazins Frau und Gegenwart sein eigen5. Das
Projekt stand offenbar unter erheblichem Zeitdruck: „Wir müssen jetzt rasch auf den Plan treten", drängte Abetz, „denn unsere Idee einer deutsch-französischen Zeitschrift hat bereits in vier amtlichen Stellen Liebhaber gefunden, die die Sache selbst in eigene Regie nehmen möchten." Wer die Konkurrenten waren, blieb unerwähnt; dafür geht aus dem Schreiben an Bran hervor, daß mehrere geplante Beiträge noch Ribbentrop vorgelegt werden mußten, „um zu wissen, ob man sie so drucken kann". Nebst einigen Vorschlägen zur Kostendämpfung instruierte Abetz den Freund, Briefpapier mit dem Kopf „Sohlbergkreis Deutsch-Franzö...
sische Monatshefte" zu beschaffen, denn: „Ich möchte nach Frankreich etwa 200 Begleitschreiben mit der ersten Nummer schicken, nur nicht das Papier der RJF dazu benützen."6 Er setzte demnach bei der Verbreitung im Nachbarland auf die Zugkraft des alten, Kontinuität verheißenden Vereinsnamens, wohingegen ein NS-Signum ihm nicht unbedingt als Empfehlung erschien. Sein Schachzug paßt ins Bild seiner damaligen Bemühungen, sich Franzosen gegenüber vom Nationalsozialismus zu distanzieren. Was die Finanzierung der DFM betrifft, fehlen eindeutige Belege. Möglicherweise gewährte das Außenpolitische Amt Rosenbergs eine Zeitlang Zuschüsse. In einem Brief an Bran vom 6. November 1934, der wenige Tage vor Erscheinen des ersten Heftes geschrieben wurde und detaillierte Anweisungen für den Seitenumbruch gibt, berichtet Abetz, daß er kurzfristig vom Chefideologen der NSDAP einbestellt worden sei. Da es sich vermutlich um eine reine Formalität handele, riet er Bran, der die Produktion betreute, den Druckvorgang abzuschließen. „Sollte es dennoch unerwartete Schwierigkeiten geben und der Versand nicht möglich sein, übernehmen wir die Kosten mit dem Januarzuschuß des Sohlbergkreises."7 Spätestens von Ende 1935 an kam die Dienststelle Ribbentrop für die Zeitschrift auf8. Zum selben Zeitpunkt wurde sie offizielles Organ der neugegründeten Deutsch-Französischen Gesellschaft, womit einer „Arbeits- und Zielgemeinschaft auch äußerlich Ausdruck" verliehen werden sollte9. Die Schriftleitung wurde in der DFG-Geschäftsstelle in der Berliner Hildebrandstraße untergebracht, wo es auch ein Lesezimmer gab, in dem aktuelle Veröffentlichungen aus beiden Ländern auslagen10. Die Beibehaltung des Namens Sohlbergkreis im 4
an Bran, 6. 10. 1934 (handschriftl.); Privatbesitz Bran (Kopie beim Verf.). In einer Aufzeichnung des Auswärtigen Amts vom Februar 1935 ist die Rede von der RJF und „ihrer" Zeitschrift Sohlbergkreis; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Bestätigung findet der
Abetz
Sachverhalt bei Abetz, Das offene Problem, S. 61.
Befragung Bran, 18. 3. 1989. Abetz an Bran, 6. 10. 1934. 7 Abetz (Berlin) an Bran (Karlsruhe), 6. 11. 5
6
8 9 10
beim Verf.).
Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 22. DFM, Januar 1936, S. 1.
1934
(handschriftl.); Privatbesitz Bran (Kopie
PA/AA, Botschaft Paris 1049/1 (Akten betr. Deutsch-Französische Gesellschaft).
158
7V Instrumente der
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Offensive de charme": DFM und DFG
Obertitel bis Januar 1936, im Untertitel bis Februar 1938 täuschte eine inhaltliche Beständigkeit vor, die nur sehr bedingt gegeben war11. Auffällig ist, daß das Markenzeichen Sohlbergkreis just in dem Moment getilgt wurde, als Ribbentrop zum Reichsaußenminister avancierte und Abetz eine aus Kreisen der Reichsstudentenführung lancierte Intrige, deren Urheber ihn als bündischen Landesverräter abstempeln und stürzen wollten, glimpflich überstanden hatte und eilends der Partei beitrat12. Nicht noch einmal, so scheint es, sollte Gelegenheit sein, seine jugend-
bewegte Vergangenheit zur Zielscheibe zu machen. Die Gestaltung der Deutsch-Französischen Monatshefte folgte einem methodischen Ansatz, der schon die Tagungen des Sohlbergkreises geprägt hatte: Durch wechselseitige Präsentation von Denk- und Lebensweisen sollten zwei Völker
einander kennen- und schätzenlernen. Hierzu wurden Texte deutscher Autoren ins Französische übersetzt und umgekehrt. Die jeweils acht bis zehn Ausgaben pro Jahrgang enthielten außer Leitartikeln, politischen Aufrufen und Betrachtungen thematische Schwerpunkte aus dem kulturellen, landeskundlichen oder sozialen Bereich. Hinzu kamen Illustrationen und regelmäßig wiederkehrende Rubriken wie „Jugend zweier Länder/Deux jeunesses en présence", „Die Stimme der Frontgeneration /La voix de la génération du feu" womit zwei gesellschaftlichen Eckpfeilern der Abetzschen Mittlertätigkeit Reverenz erwiesen wurde -, „Schaffendes Deutschland/La France en travail", „Deutschland und Frankreich im Bilde/La France et l'Allemagne par l'image", „Kunst und Schrifttum/Arts et lettres", „Bücher/Livres", „Zeitungen und Zeitschriften/Revue de revues", „Begegnungen/Contacts". Die Hefte dokumentieren Umfang und Vielfalt zwischenstaatlicher Fühlungnahmen bis 1939, im besonderen die Aktivitäten der DFG. Sie spiegelten ganz im Sinne der obersten NS-Führung ein sich normalisierendes bilaterales Verhältnis vor. Dabei kam den Blattmachern Abetz und Bran die Strategie des Hitler-Regimes, sich aus propagandistischen Gründen im Ausland als dialogfähig und meinungsfreudig zu profilieren, vordergründig durchaus zustatten. Nicht zuletzt weil Verbreitung und Rezeption der DFM in Deutschland „verschwindend gering"13 waren, billigte man ihnen getrost ein wenig Spielraum in Thematik und Tendenz zu, duldete hin und wieder ein offenes Wort, um Spannungen zu mildern. Kooperationswillige Franzosen und Deutsche sollten in dieser Nische ihren Idealen frönen und dazu beitragen, daß militärische Konfrontationen unterblieben, wenigstens solange in Berlin der Zeitpunkt ungünstig erschien. Querverbindungen innerhalb der Reichsjugendführung bewirkten in dieser Hinsicht sogar einen zeitweiligen Ansteckungseffekt. Das HJ-Führerorgan Wille und Macht, auf das Schirach starken persönlichen Einfluß nahm, vertrat die auf Ausgleich bedachte Gedankenwelt der DFM wiederholt derart prononciert und eigenständig, „weit über die taktisch-propagandistischen Intentionen der -
11 '2 13
Den zweiten Jahrgang schmückte eine von einem Ring umschlossene Tanne,
grafische Re-
miniszenz an das erinnerungsträchtige Treffen auf dem Sohlberg. Siehe Kap. VI. So das Urteil der Historikerin Barbara Unteutsch; schriftl. Mitteilung vom 14. 3. 1989.
1. Die Deutsch-Französischen
Monatshefte
159
NS-Führung hinaus", daß es vom Propagandaministerium gerügt wurde14. In der Ausgabe vom 15. Oktober 1937 appellierte der französische Ministerpräsident Chautemps persönlich an die HJ-Führung, für die Verständigung zu arbeiten,
weil sie „einer der wertvollsten Faktoren für den Weltfrieden sein würde". Vereint hielten die deutsche und die französische Jugend „die Zukunft Europas und der menschlichen Kultur in Händen"15. Solche Appelle, an vermeintlich exponierter Stelle plaziert, müssen Abetz immer wieder in seinen trügerischen Hoffnungen bestärkt haben, ein Ausgleich sei möglich und durch kontinuierliche, geschickte Bearbeitung der öffentlichen Meinung Frankreichs im prodeutschen Sinn auch zu verwirklichen. Eine solche Beeinflussung entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eigentlicher Zweck der Revue, die typisches Produkt einer doppelbödigen Politik als publizistisches Aushängeschild der von der Dienststelle Ribbentrop gesteuerten „offensive de charme" gelten kann, jedoch mitnichten so ausgewogen und unparteiisch Stellung bezog, wie ihre Redakteure gern behaupteten. Hinter der wohlgeformten Fassade der Mäßigung und des Dialogs, zwischen ungezählten Zeugnissen herzlicher Verbundenheit, die aufrichtiges Interesse an den Menschen im Nachbarland spiegeln, stechen allenthalben propagandistische Versatzstücke ins Auge, manifestiert sich die höchst einseitige nationalsozialistische Konzeption einer deutsch-französischen Annäherung16. Abetz und Bran setzten sie konsequent in Wort und Bild um, so daß ihr zweischneidiges Wirken wie unter einem Brennglas hervortritt. Ein Modus vivendi mit Frankreich blieb erklärtes Ziel, doch mußte er immer kompromißloser deutschen Bedingungen genügen. Dafür zogen die Schriftleiter sämtliche Register ihrer Überredungskunst, die unterschwellig, häufig genug penetrant darauf hinauslief, Hitlers Politik in allen Belangen zu rechtfertigen und den Franzosen von der überlegenen psychischen und physischen Stärke des .neuen' Deutschland zu künden, das, obwohl unüberwindbar, doch zum Schulterschluß mit einem nachgiebigen westlichen Nachbarn bereit -
-
sei. Zu den bevorzugten Themen der DFM gehörte die These vom bekennenden deutschen Nationalismus, der nicht imperialistischer Natur sei, sondern seine 14
15
16
Die deutsche öffentliche Meinung und Frankreich, S. 32. Lobende Erwähnung findet Wille und Macht in DFM, Juli 1935, S. 216. Wille und Macht, 5. Jg./Heft 20,15. 10.1937, S. 1 f. Im selben Heft weitere Hohelieder auf die deutsch-französischen Jugendbeziehungen unter anderem von Botschafter FrançoisPoncet („Die Jungen [...] bringen es fertig, himmelweit auseinandergehende Meinungen und Überzeugungen aufeinanderprallen zu lassen, ohne daß darunter die Kameradschaft und die Freundschaft irgendwie leiden. In diesem Punkt erteilen die Jungen uns kostbarsten Unterricht"; S. 2) und Schirach („Möge in den Lagerfeuern unserer geliebten Jugend die alte Gegnerschaft unserer Länder für immer verbrennen!"; S. 5). In Frankreich wurden angeblich 80000 Gratis-Exemplare in der Landessprache über den Hachette-Verlag verteilt. „Les formes de la propagande allemande", pag. 112; MAE, Papiers 1940, Fonds Daladier/1. Mit diesem Tenor die analytisch brillante Studie von Michel Grunewald, Le „couple
Müller,
vu par les nazis. L'idéologie du „rapprochement franco-allemand" dans les Deutsch-Französische Monatshefte/Cahiers franco-allemands (1934-1939), in: Bock u. a. (Hrsg.), Entre Locarno et Vichy, I, S. 131-146.
France-Allemagne"
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IV. Instrumente der
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Offensive de charme ": DFM und DFG
Energien einzig nach
innen richte. Blut und Boden verpflichtet, strebe er nach landsmannschaftlicher Geschlossenheit und sozialer Gerechtigkeit. Aus diesem Harmonie und Patriotismus vermittelnden Prinzip, das zumal bei den französischen Frontkämpfern verfangen konnte, wurde eine frohe Botschaft an die Staatengemeinschaft abgeleitet: Ein Volk, dergestalt gefestigt, hüte den Frieden und respektiere ganz selbstverständlich Gewohnheiten und Bedürfnisse der anderen. „Wir wollen nichts als Deutschland erobern", wurde Baidur v. Schirach wiederholt zitiert, ein Satz, der laut Abetz „deutlich genug für die außenpolitische Disziplin unsrer jungen Mannschaft" sprach. „Wir sind Garant für die Sicherheit des neuen Europa."17 Rege Austauschbeziehungen sollten Verständnis für die jeweiligen „Lebensnotwendigkeiten" wecken, zugleich aber das Bewußtsein der eigenen Identität schärfen, unterschiedliche Wertsysteme und politische Strukturen einander nicht ausschließen, sondern in friedlichem, fruchtbarem Wettstreit ergänzen. „Wie eng wirkt f...] die ganze Fragestellung, im Kampf der Geister zweier Nationen nichts als die Absicht und Möglichkeit der Lähmung des Gegners zu sehen", kommentierte Abetz. „Wie freier und mutiger ist da die Auffassung des deutschen Nationalismus, der diesen Kampf begrüßt, weil er gegenseitig bereichert!"18 Einzig die Konfrontation mit fremden Lebensgesetzen verschaffe jungen Menschen „letzte Klarheit" über ihre Existenz und schütze vor Mißverständnissen auf internationaler Bühne infolge mangelnder Information, betonte auch Reichsstudentenführer Scheel im Februar 1938 vor französischen Jungakademikern in München19. Auf dieser Leitvorstellung verschiedenartiger und doch komplementärer Nationalismen fußte ein in den Monatsheften beharrlich verfochtenes Schema dialektischer deutsch-französischer Beziehungen: Die kontrastierenden, aber einander nicht notwendig negierenden Elemente „Latinität" und „Germanentum", aus gemeinsamen kulturellen Wurzeln gespeist, sollten zu einem produktiven Verhältnis finden, von dem die gesamte abendländische Zivilisation profitieren würde20. Besonders herausgestellt wurden in diesem Zusammenhang, latente 17
Abetz, Rückblick und Ausschau, in: DFM, Oktober-November 1934, S. 2. Vgl. Herbert Curtius (Auslandspressereferent der RJF), La voie est libre vers la Jeunesse Française, a.a.O., Januar-Februar 1935, S. 97. Noch im Frühsommer 1939 insistierten die Monats-
seien Eroberungen von Natur aus fremd, weshalb das Reich keine Veranlassung zu Kriegen sehe, es sei denn, sie würden ihm aufgezwungen. Leitartikel „Revolution und Außenpolitik", unsig.; DFM, Juni 1939, S. 344-348. Abetz, Französischer Nationalismus 1934, in: DFM, Oktober-November 1934, S. 24. Gustav Adolf Scheel, Discours aux étudiants français, in: DFM, März-April 1938, S. 106-108. Jules Romains etablierte das Begriffspaar mit seinem Berliner Vortrag vom November 1934 (abgedruckt im Dezember-Heft, S. 47-63) im Sprachschatz der DFM, die es fortan stetig zur Interpretation der bilateralen Beziehungen verwendeten. Aus einer Fülle von Beispielen vgl. Alfred Baeumler, La dialectique de l'Europe, Dez. 1934, S. 64-69; Otto Abetz, A la recherche de l'Occident, Januar-Februar 1935, S. 115-118; Rudolf Ströbel, L'Europe et la Préhistoire Nordique, August-September 1936, S. 301-303; François Berge, Die Ursprünge Frankreichs und die Entwicklung des nationalen Gedankens, Oktober 1936, S. 325-331, in Verbindung damit auch S. 356 f.; Besprechung eines Buches von Hans Hartmann im Januar-Heft 1938, S. 43; Joseph Noulens, Deutschlands und Frankreichs kulturelle Verwandtschaft, September 1938, S. 364-367; Fritz Bran, Germanentum und Latinität in der französischen Geschichte, August-September 1939, S. 564-568. An
hefte, dem Nationalsozialismus
18 19 20
1. Die Deutsch-Französischen
Monatshefte
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Ängste vieler Franzosen schürend, die Vorteile eines gemeinsamen Abwehrblocks
wider den als gottlos und zivilisationsmordend verfemten Bolschewismus, gegen den Deutschland ein weiteres Argument, seinen machtpolitischen Ambitionen nichts in den Weg zu legen sich in der Rolle eines Frankreich beschirmenden -
Vorpostens präsentierte21.
-
Rollands Bild zweier Flügel und mit der strikten Ablehnung universeller Werte und Normen deutsch-französische Eintracht war unter solchen Prämissen nur in Kombination mit der Berechtigung des Reiches, anders sein und autonom handeln zu dürfen, denkbar. Einen Widerspruch mochte die NS-Propaganda darin nicht erkennen. Gerade aus der Akzeptanz nationaler Besonderheiten, so DFG-Präsident v. Arnim, könne ein neues Gefühl europäischer Solidarität erwachsen22. An anderer Stelle wurden die nationalsozialistischen Ideen als ebenso typisch für den deutschen Geist charakterisiert wie die Ideale von 1789 für den französischen; daran knüpfte sich die rhetorische Frage, ob die glücklichsten Verbindungen im Leben nicht jene wären, „où des êtres très différents se complètent"23. Das Hitler-Regime mißbrauchte den kategorisch vertretenen Anspruch bedingungsloser Selbstbestimmung indessen permanent, um seine immer dreisteren Coups zu legitimieren, eine Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf internationalen .common sense' abzustreiten und sich jede Einmischung in innen- wie außenpolitische Maßnahmen zu verbitten. Die Monatshefte stützten diese Strategie, im Ton oft verführerisch moderat, in der Sache kompromißlos. Im Windschatten stereotyper, gefällig klingender Postulate nach „freimütiger Anerkennung und Achtung der gegenseitigen Lebensinteressen", ohne die kein dauerhafter Friede möglich sei24, brach sich besonders von 1938 an immer unverhüllter die Forderung Bahn, Hitler quasi einen Freischein für seine Politik der Grenzrevisionen und Annexionen im Osten auszustellen. Nach dem .Anschluß' Österreichs hob der stets anonyme Leitartikler (Abetz?) auf „eine Gemeinschaft der Geschichte, des Blutes, der Sprache und des Nationalgefühls" ab, die schlicht stärDer dialektische
Ansatz, mit Anklängen
an
Bergstraessers Kulturkunde, ging deutscherseits einher -
der Schwelle
Krieg ließ Bran ein über Jahre gepflegtes Thema Revue passieren: „Es allem darum, die Verflechtungen dieser beiden Traditionen zu zeigen und auch über unbestreitbare Gegensätze hinaus auf Verbindungen und Ergänzungen rassischer, kultureller und landschaftlicher Art hinzuweisen, die geeignet sind, an der Gestaltung einer glücklichen Zukunft Europas mitzuwirken." Beispielhaft Achim v. Arnim, Aspects de la Communauté Européenne, in: DFM, MärzApril 1937, S. 101 f.: „Si le bolchevisme triomphe en Europe, il n'y aura plus de culture latine ou germanique, car toute cette variété, qui constitue la véritable richesse de l'Europe, ging [...]
21
doit être anéantie pour faire place à un vide et froid collectivisme." Die künftige Formel der .Festung Europa' vorwegnehmend, kontrastierte Abetz-Intimus Jean Fontenoy nach einer Reise ins polnisch-russische Grenzgebiet westliche Blüte und „asiatische Erstarrung" und erklärte die Notwendigkeit einer Trajanischen Mauer zum Schutz vor Barbaren für ungebrochen. Ders., Die trajanische Mauer, in: DFM, Mai 1939, S. 288-293. Ansprache v. Arnims auf der ersten öffentlichen Veranstaltung des Comité France-Allemagne, Paris 29. 11. 1935, abgedruckt DFM, Januar 1936, S. 7. Hans Eberhard Friedrich, La France devant l'opinion publique allemande, in: DFM, Januar 1938, S. 9. Leitartikel „Pour un armistice .total'", unsig.; DFM, November 1938, S. 466. von
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zum
vor
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IV. Instrumente der
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Offensive de charme": DFM und DFG
ker gewesen sei als Verträge und diplomatisches Kalkül, und nannte es eine „tiefe Tragik", daß Frankreich im Werden Großdeutschlands unerwünschte machtpolitische Tendenzen sehe, „während derselbe Vorgang für die Deutschen rein auf der Gefühlsebene liegt und den Schlußstein im Werk der nationalen Einigung bedeutet"25. Nach dem Münchner Abkommen verkündete ein französischer Autor, sein Land habe „endgültig begriffen, daß die Entwicklung der letzten 20 Jahre auf einem folgenschweren Irrtum beruhte"26. Fast beiläufig dann am Ende eines unruhigen Jahres, das Paris an allen diplomatischen Fronten auf dem Rückzug sah, in einer Buchbesprechung die Bemerkung, Frankreichs Machtanspruch werde sich „auf das eigene Reich (empire) beschränken müssen, sonst wird er immer wieder zu innereuropäischen Konflikten führen"27. Diese Feststellung war Ausfluß einer geopolitischen Konzeption, die die Zeitschrift von f937 an engagiert vertrat und die eine definitive Neuverteilung der Rollen im deutsch-französischen Gespann nach endgültiger Beseitigung des Versailler Systems anpeilte: Frankreich sollte sich künftig auf seine ausgedehnten Kolonien konzentrieren und dem Reich die uneingeschränkte Führung in Europa überlassen. Das Modell, für das desto intensiver geworben wurde, je dramatischer sich der europäische Konflikt zuspitzte, an das Abetz sich 1939 geradezu klammerte, weil es einen Ausweg zur Vermeidung eines deutsch-französischen Waffengangs zu eröffnen schien28, wurde zuerst in einem Beitrag von Alfred Rosenberg skizziert, der bei der Zuteilung von Interessensphären auch gleich Italien und England berücksichtigte und wie üblich die Bollwerkfunktion gegen verderbliche Einflüsse aus Asien und Afrika hervorhob29. Nur zu gern boten Abetz und Bran in diesem Kontext französischen Autoren eine Plattform, die dem Gedanken des .repli impérial' anhingen, einer Strömung, die vor dem Hintergrund des Machtverlusts in Europa danach verlangte, dem Empire bevorzugten Stellenwert im politischen Denken und Handeln der .Grande Nation' einzuräumen30. Daß die Monatshefte, die sich als „Zeitschrift der deutsch-französischen Verständigung" definierten31, ähnlich wie die Frontkämpfer für taktische Schachzüge benützt wurden und letztlich als Propaganda-Instrument zur Stützung einer zeitlich wie inhaltlich begrenzten Entspannungspolitik dienten, tritt an vielen Stellen 25
26 27 28 29 30
31
Leitartikel „Le respect des réalités", unsig.; DFM, März-April 1938, S. 90f. In diesem Beitrag wird gleich mehrfach auf „freundschaftliche und achtungsvolle Anerkennung der gegenseitigen nationalen Belange" gedrängt.
Mettetal, Am Tage von München, in: DFM, Oktober 1938, S. 415. Rubrik „Das Bild vom Nachbarn", in: DFM, Dezember 1938, S. 570. Siehe hierzu Kap. VII.3. Alfred Rosenberg, La situation spirituelle et politique, in: DFM, Oktober-November 1937, S. 313-322. Vgl. Bertrand de Jouvenel, Das französische Weltreich, in: DFM, März-April 1938, S. 103: „Ein Weltreich zu besitzen heißt für die französische Jugend die Möglichkeit haben, ein heroisches und begeisterndes Leben zu führen, ohne dadurch etwas zu zerstören oder das alte Europa zu schädigen [...] Europa hat alles Interesse daran, daß der französische Abenteurergeist sich in Afrika austobt." Zum Ansatz des ,repli impérial' René Girault, La politique extérieure française de Paprès-Munich (septembre 1938-avril 1939), in: Hildebrand/Werner (Hrsg.), Deutschland und Frankreich 1936-1939, bes. S. 509 ff. Leitartikel „Regards vers l'année nouvelle", unsig.; DFM, Januar 1938, S. 4. René
1. Die Deutsch-Französischen
Monatshefte
163
hervor. Ein drastisches Beispiel liefern die Ausgaben vom Frühjahr 1936, die die Remilitarisierung des Rheinlands zu rechtfertigen suchen. Im März-Heft qualifiziert Friedrich Grimm den Einmarsch als logische Konsequenz des soeben ratifizierten französisch-russischen Paktes, der wegen seiner militärischen Implikationen den Locarno-Vertrag ebenfalls in Frage stelle; im übrigen sei die Zeit „überreif" für eine Liquidation der Versailler Bestimmungen32. Französische Gegenargumente, wie sie ein fairer Dialog geböte, sucht der Leser im Anschluß an dieses Plädoyer vergeblich. Statt dessen kommt Jean Weiland zu Wort, CFA-Mitglied, Champagnerhändler wie einst Ribbentrop und dem Hause Henkell freundschaftlich verbunden. „Zu denken, daß Deutschland [...] angesichts eines französischrussischen Blocks passiv bleiben würde, war einfach Wahnsinn", meinte er und erteilte dem deutschen Vorgehen bereitwillig Absolution. Seinen Landsleuten suggerierte er: „Die Franzosen empfinden dunkel, daß die Verständigung mit Deutschland, die ihnen von der Vernunft diktiert wird, durch die Unterzeichnung dieses nebelhaften Paktes mit einem Volk [dem sowjetischen], das sie wenig kennen und dem sie kaum trauen, erschüttert ist." Das Konfliktpotential in bewährter Manier verflachend, fügte er hinzu, die jüngste Entwicklung werde der Aussöhnung keinen allzu schlimmen Abbruch tun: „sie kann auch außerhalb der ewig schwankenden Politik existieren, denn ihre Wurzeln reichen sehr tief"33. Das April/Mai-Heft zitiert frankreichfreundliche Passagen eines Interviews, das Hitler am 21. Februar 1936 Bertrand de Jouvenel gab34, sowie den Kammerabgeordneten Philippe Henriot, der während der Ratifizierungsdebatte vehement gegen das französisch-sowjetische Abkommen protestiert hatte35. Es folgen, jeweils in französischer Übersetzung, Auszüge aus vier öffentlichen Reden Hitlers unmittelbar nach der Rheinlandbesetzung, in denen der ,Führer' seine Aktion rechtfertigt und erneut seinen Friedenswillen unterstreicht, Extrakte einer Rede Ribbentrops vor dem Völkerbundrat in gleicher Sache, schließlich „Friedenspläne" der deutschen und der französischen Regierung. Lediglich Ausschnitte einer Rundfunkrede von Ministerpräsident Sarraut am 8. März enthalten Kritik am nationalsozialistischen Procederé36. „In Mißachtung des bestimmten Rechtes hat die deutsche Regierung bedeutende Streitkräfte in die entmilitarisierte Zone einrücken lassen", kommentierte Sarraut den völkerrechtswidrigen Akt Hitlers. Von einer offenen, ausgewogenen Debatte kann nicht die Rede sein, eher von propagandistischem Trommelfeuer. An diesem Beispiel wie an anderen wird ein weiteres grundlegendes Prinzip der Monatshefte ersichtlich: Ebenso routinemäßig wie sie jede Kritik an Deutschland als unzulässige, uninformierte Einmischung in innere Belange ablehnten, be32
33 34 35 3
Friedrich Grimm, „Chiffon de papier", in: DFM, März 1936, S. 81-89. Am 27. Februar hatte die französische Kammer einen im Mai 1935 zwischen Paris und Moskau vereinbarten Beistandspakt ratifiziert, den die deutsche Propaganda als gegen das Reich gerichtetes Militärbündnis interpretierte und über Monate hinweg heftig bekämpfte. Jean Weiland, Ist eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich immer noch möglich?; ebenda, S. 90-98, die Zitate in der gewählten Reihenfolge auf den S. 93, 91, 96. Siehe Kap. V „Chronique franco-allemande"; DFM, April-Mai 1936, S. 168 f.
Ebenda, S.
170-180.
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kämpften sie Schritte der französischen Regierungen, die den Nationalsozialisten nicht ins Konzept paßten, oder gebrauchten sie im Stile Hitlers als Vorwand, um überfallartige deutsche Entscheidungen zu legitimieren. Ständige Appelle an Frankreich, sich konstruktiv, sprich nachgiebig zu zeigen, ersetzten die Suche nach einvernehmlichen Lösungen37. Die allem pluralistischem Anstrich zum Trotz höchst einseitige Unterteilung in .Richtig' und .Falsch' zieht sich wie ein roter Faden durch die fünf stattlichen Vorkriegsjahrgänge und erstreckte sich auch auf die Kulturseiten. Strenge, kritische Beurteilungen des .Dritten Reiches' in Li-
und Presse des Nachbarlandes fanden bei den Rezensenten keine Gnade; wohlwollenden oder gar lobhudelnden Publikationen bescheinigten sie dagegen politisches Augenmaß und bewundernswertes Einfühlungsvermögen in die deutschen Verhältnisse. Über den Schellenkönig gelobt wurde etwa Châteaubriants Buch La gerbe des forces (Paris: Grasset, 1937), ein Hitler und die NS-Bewegung verherrlichendes Werk, das unter dem Titel Geballte Kraft. Ein französischer Dichter erlebt das neue Deutschland bald auch in einer deutschen Ausgabe erschien (Karlsruhe: G. Braun, 1938). Die DFM lieferten einen Vorabdruck38 und warben auf ihren Einbanddeckeln für „einen der ersten Ausländer, die überhaupt das Wesentliche im Nationalsozialismus nicht nur gesehen, sondern auch verarbeitet [...] und in meisterhafter Sprache zum Ausdruck gebracht haben"39. Wie im Fall Jean Weilands oder der Verfechter des ,repli impérial' wurden gern französische Autoren herangezogen, ihren Landsleuten die deutschen Argumente nahezubringen40. Deutscherseits wurden regelmäßig hohe Repräsentanten des NS-Regimes aufgeboten, was wohl signalisieren sollte, daß der von den DFM propagierte Verständigungskurs volle Rückendeckung oberster Staats- und Parteistellen genoß, zugleich freilich die Funktion der Zeitschrift als Propaganda-Instrument zur Einwirkung auf die französische Öffentlichkeit unterstreicht41. teratur
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Vgl. Grunewald, Le „couple France-Allemagne", S. 133. Alphonse de Châteaubriant, Nouvelle Allemagne, in: DFM, März-April 1937, S. 81-90.
Münchener Neueste Nachrichten, 2. 10. 1938; aus einer Auswahl von Pressestimmen. Zur deutschen Ausgabe siehe ferner DFM, Oktober 1938, S. 455. Den Versuch, Propaganda durch den Mund oder die Feder von Franzosen zu betreiben, unternahm Abetz als Referent Ribbentrops wie auch während des Krieges in vielfältiger Weise. Zu den ersten Maßnahmen, die er und seine Mitarbeiter nach ihrer Ankunft in der Rue de Lille am 14. Juni 1940 ergriffen, gehörte die Schaffung einer „Meinungspresse [...], deren Redaktionen mit uns ergebenen Franzosen besetzt sind und nicht nur in der nachträglichen Zensur, sondern auch schon in der Planung der Beiträge von uns gelenkt werden können". Gesandter Abetz an den Chef der Militärverwaltung Frankreich, General Streccius, 15. 7. 1940; PA/AA, Botschaft Paris 1270. Rudolf Heß, Appel aux anciens combattants, in: DFM, Oktober-November 1934, S. 18 f.; Robert Ley, Méthodes et buts du Front du Travail allemand, Mai-Juni 1935, S. 223-232; Hans v. Tschammer und Osten, Le Sport en Allemagne et les Jeux Olympiques, Februar 1936, S. 40-52; Hans Frank, Notre notion du peuple et du droit, Mai 1937, S. 131-134; Hermann Göring, Une économie nationale saine est la condition d'une économie mondiale saine, September 1937, S. 274-276; Alfred Rosenberg, La situation spirituelle et poliponts tique, Oktober-November 1937, S. 313-322; Bernhard Rust, L'art et la science, d'une compréhension mutuelle, Juni 1938, S. 197f.; v. Tschammer und Osten, L'évolution du sport allemand, Februar 1939, S. 69 f.; Wilhelm Frick, Les minorités ethniques du Reich
1. Die Deutsch-Französischen
Monatshefte
165
Aber auch die Inszenierung von Scheinkontroversen, deren tiefere Funktion es war, die Stichhaltigkeit der deutschen Thesen, den überlegenen Horizont des nationalsozialistischen Weltbildes herzuleiten, hatte Methode. Aus Anlaß des 150. Jahrestags der Französischen Revolution durfte Edouard Herriot, damals Präsident der Pariser Abgeordnetenkammer, zwar den im Menschenrechtskatalog verankerten Gleichheitsgrundsatz preisen42; dem hielt jedoch Reichsminister Frank sogleich die Überzeugung entgegen, Reinhaltung und Pflege der Rasse seien ganz unentbehrliche Voraussetzungen für Leistungsfähigkeit und Fortbestand eines Volkes. Allein deshalb fänden Deutsche es unerträglich, mit Juden zusammenzuleben. Weil aber 80 Millionen Deutsche nur wegen einer Million Juden auswandern könnten, sei es an den Juden, den deutschen ,Lebensraum' zu verlassen43. Der Leitartikler der Monatshefte kommentierte die Beiträge dahingehend, jener von Herriot reflektiere das juristische Denken der Franzosen, die das Recht des Einzelnen in den Mittelpunkt stellten, der von Frank hingegen eine biologische, an Mehrheitsinteressen und Gemeinschaftspflichten orientierte Sichtweise. Eine Gewichtung zugunsten Franks war zwischen den Zeilen unschwer herauszulesen, wiewohl im Bestreben, die ungeschmälerte Möglichkeit außenpolitischer Kooperation zu bekräftigen, betont wurde, viel wichtiger als die Akzeptanz einer Weltanschauung im Ausland sei die Begeisterung dafür im eigenen Volk44. An einigen Stellen offenbart sich eine Ventilfunktion der DFM für unzufriedene, ernüchterte oder gegen Hitlers Politik aufbegehrende Franzosen, mit deren Beiträgen sich zugleich das stets behauptete paritätische Profil der Zeitschrift belegen ließ. So durfte Léon Baréty, Vizepräsident der französischen Abgeordnetenkammer, im Dezember 1936 kritisch anmerken: „Deutschland erscheint [...] wie eine Nation, die unaufhörlich ihre Wiederaufrüstung betreibt. Unser Land wird dadurch in Aufregung versetzt, und man bietet ihm keine Gewähr dafür, daß diese Aufrüstung nicht ebenso stark oder gar stärker gegen es gerichtet ist als gegen andere Länder."45 Im Januarheft 1937 erboste sich Henri Pichot über Vorwürfe, die Pariser Regierung stehe im Solde Moskaus, und schalt die übliche deutsche Besserwisserei: „Nehmen Sie bitte ein für allemal an, daß es nicht genügt, daß Sie sprechen, um von A bis Z recht zu haben, und daß es kein Zeichen von Unehrlichkeit oder Ungezogenheit ist, [...] wenn man nicht zu jeder Geste und jeder Handlung der deutschen Regierung Amen sagt."46 Der Schriftsteller Henri de Montherlant konnte Anfang 1938 vorausgegangen war eine fast 18 Monate währende Zeitspanne, die als Höhepunkt der deutschen Détente-Politik gegenüber Frankreich gilt unverhohlene Skepsis äußern, ob der Friede von Dauer sein würde. Rundheraus bekannte der Franzose, er „glaube nicht, daß die Annäherung der Elite oder der Massen irgend etwas für den Frieden tun kann. Es ist nicht das -
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42 43 44 45 46
allemand, Mai 1939, S. 273-287; Hans Frank, L'aspect juridique de la révolution allemande, Juli 1939, S. 438-445. Edouard Herriot, Die Ideale der Französischen Revolution, in: DFM, Juli 1939, S. 431437. Hans
Frank, L'aspect juridique de la révolution allemande, ebenda, S. 438-445. Leitartikel „Révolution française Révolution allemande", unsig.; ebenda, S. 425^130. Léon Baréty, Die deutsch-französische Frage, in: DFM, Dezember 1936, S. 409. Pichot, Je dis que la France est encore la France, in: DFM, Januar 1937, S. 3. -
166
IV. Instrumente der
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Offensive de charme ": DFM und DFG
gegenseitige Verstehen zweier Völker, das den Führer eines dieser beiden Völker hindern wird, das andere anzugreifen, wenn er glaubt, daß sein Land daraus Vorteil zieht."47 Nach dieser vernichtenden Feststellung, die die von Abetz und den Anciens combattants, Deutsch-Französischer Gesellschaft und Comité FranceAllemagne kultivierte Verständigungsphilosophie prinzipiell für untauglich erklärte, erzählte er die Geschichte zweier japanischer Samurai, die sich, weil es regnet, plaudernd unter dem gleichen Schirm zum Duellplatz begeben, dort aber ihre Schwerter ziehen und einander töten. „Die verschiedenen deutsch-französischen Kundgebungen zur Friedenszeit", so Montherlant schneidend, „sind für mich das Gespräch unter dem Schirm."48 Selbst 1939, nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Prag, war Kritik an der Hitler-Regierung in den DFM möglich. Dr. Félix Bérard, ein junger Arzt aus Lyon, der sich während der tschechischen Ereignisse in Köln aufhielt, schilderte seine Bestürzung unter der Schlagzeile „Das Hakenkreuz weht über Prag Wir begreifen nicht mehr". Bedeute, so Bérard, „ein solcher Akt nicht ein völliges Abweichen von allen rassischen Grundsätzen und vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, das vom Führer so oft [...] angerufen wurde?" Im Gegensatz zum „Geist von München" drohe nun eine „Politik der vollendeten Tatsachen und des Faustschlags auf den Tisch" die Oberhand zu gewinnen49. Die Schriftleitung ging in solchen Fällen in die Offensive50 oder verschanzte sich, wie nach Montherlants ketzerischem Gleichnis von den Samurai, hinter stereotypen Verständigungsformeln. Zwischen Deutschland und Frankreich gebe es keine unmittelbaren Interessengegensätze mehr, nur psychologisch begründetes Mißtrauen, heißt es da. „Es sind aber weder die Politiker noch die Finanzleute und Diplomaten, welche selbst bei gutem Willen die psychologischen Grundlagen verändern können" möglich sei so etwas „nur durch eine unmittelbare Verständigung von Volk zu Volk"51. Welch hohe Erwartungen man in diese Form zwischenstaatlicher Kontakte nach wie vor setzte oder zu setzen vorgab -, kommt wenige Zeilen später zum Ausdruck: „Ein wahrer Staatsmann", so die DFM-Ed'itoren, die damit explizit Hitler meinten, „steht in ständiger Verbindung mit allen Kräften und Strömungen seiner Nation. Wie könnte er da die Stimmen überhören, welche aus dem Volk zu ihm aufsteigen und ihm, auf weitgehende Erfahrungen gestützt, den Glauben an die Möglichkeit einer Verständigung mit dem Nachbarvolk zutragen?"52 Daß der Diktator sich den Wünschen der Völker beugen würde, behauptete Abetz auch noch im Herbst 1938. Der Beweis stehe aus, schrieb er nach der Münchener Konferenz, „que l'Allemagne ait désiré à gagner ...
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47
48 49
50 51
"
Henri de Montherlant, Franzosen und Deutsche, in: DFM, Februar 1938, S. 55. Es handelt sich ursprünglich um einleitende Worte Montherlants zu einem Vortrag, den Abetz am 11. Januar 1938 zum Thema „Die deutsche Jugend und der Glücksbegriff" in Paris hielt (abgedruckt in französischer Übersetzung ebenda, S. 59-69). Ebenda, S. 58. DFM, Mai 1939, S. 269-272. Beispielhaft die Erwiderung auf Pichots Kritik: Walter Franke, Etre soi-même c'est le meilleur chemin vers les autres, in: DFM, Februar 1937, S. 41—44. Leitartikel „Unter dem Schirm des Samurai", unsig.; DFM, Februar 1938, S. 51 f. Ebenda, S. 52.
1. Die Deutsch-Französischen
Monatshefte
167
qui ne souhaitent pas rentrer au Reich"53. Als der Beweis mit wenige Monate später dem Überfall auf die Tschechei eindeutig erbracht war, traten die blamierten Schriftleiter trotzig und die nackte Aggression bemäntelnd die Flucht nach vorn an: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es nach dem reinen Rassenprinzip wünschenswerter wäre, daß dieses fremde Volkstum [...] aus dem Staatsverband ausgeschlossen bliebe. Das geographische Prinzip war aber in diesem Falle derartig zwingend, daß ihm der Vorzug gegeben werden mußte."54 Den in der NS-Publizistik häufig scharf konfigurierten Gegensatz zwischen einem vor Dynamik berstenden Reich, dem die Zukunft gehöre, und einer rückständigen, degenerierten .Grande Nation' vermittelten die Monatshefte nur in moderater Dosierung. Eine allzu negative Darstellung des Nachbarlandes hätte die Sympathiewerbung konterkariert und Abetz' Frankreichbild, seiner schwärmerischen Begeisterung für französische Kultur widersprochen. Meist beschränkte man sich darauf, von den wundersamen Errungenschaften des ,neuen' Deutschland zu künden, eine Präsentation, die für sich selber sprechen sollte. Unterschwellig schlug der ausgeprägte Hang des Nationalsozialismus, sich anderen Völkern gegenüber herauszuheben und als Motor des europäischen Fortschritts zu brüsten, aber doch auf den Inhalt durch. Unzulänglichkeiten der parlamentarischen Demokratie, Korruption, soziale Defizite und innere Grabenkämpfe in Frankreich wurden hie und da, stets in Form indirekter Vergleiche, mit dem auf Eintracht und gebündelten Energien fußenden Modellstaat Hitlers kontrastiert55. Daran konnten, vorerst unausgesprochen, hierarchische Vorstellungen eines künftigen deutsch-französischen Miteinanders anknüpfen. Keimenden Argwohn, Deutschland erstrebe ein Übergewicht, suchte die Schriftleitung indes aus naheliegenden Gründen zu zerstreuen. Viele Franzosen glaubten, Deutschland wolle Frankreich aus Mitteleuropa „verbannen", in eine „periphere Lage" manövrieren und zu einer „Nation zweiten Ranges" degradieren, kommentierten die Monatshefte auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise. Dabei verstehe man in Frankreich unter „Mitteleuropa" immer jenes Gebiet, „das man in Deutschland als Ost- oder Südosteuropa bezeichnet. Dieser Unterschied der Terminologie ist bedeutsam. Denn er beweist, daß nach deutschem Denken der Schwerpunkt Europas weiter westlich liegt und Frankreich durchaus in jene Mitte Europas einbezogen wird." Verbrämt wurde der geopolitische Kraftakt mit mehrfachen Verbeugungen „vor
des groupes de peuples
53
Abetz,
La victoire des
vaincus?, in: DFM, Oktober 1938, S. 416-419, das Zitat auf
S. 417.
54 55
Leitartikel „Blut und Boden", unsig.; DFM, April 1939, S. 195. Vgl. etwa Rhenus Gelpke, Ein Schweizer über Frankreich, in: DFM, Oktober-November 1934, S. 9-16; Otto Abetz, Französischer Nationalismus 1934, ebenda, S. 23-26, bes. die Thierry Maulnier und Passagen über das Buch Demain La France von Robert Francis,entwarf Abetz in La jeuJean Maxence. Ein Idealbild vom ,Dritten Reich' als Jugendstaat
allemande et le bonheur, DFM, Februar 1938, S. 59-69. Bezeichnend auch die Bildauswahl im illustrierten Teil desselben Heftes, der unter dem Motto „Jeunesse allemande/ Französische Jugend" stand: auf der einen Seite sportgestählte Jungmänner in Reih und Glied, mit Fahnen und Spaten, auf der anderen überwiegend verspielt wirkende Knaben und Mädchen in Ferienstimmung.
nesse
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IV. Instrumente der
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Offensive de charme ": DFM und DFG
der französischen Kultur und ihrer Geschichte"56. Von diesem Szenario führt eine unsichtbare, abfallende Linie zu Vorstellungen, die Abetz als Botschafter im besetzten Paris entwickelte. Hiernach schied der besiegte Nachbar als selbständiger Machtfaktor aus. „In den politischen und militärischen Lebensraum des deutschen Volkes" integriert, dem Rüstung und wirtschaftliche Ressourcen erschlossen wurden, fiel es ihm zu, schöngeistige Talente und verfeinerte Lebensart zu kultivieren57. Es ist festzuhalten, daß die DFM wesentliche Facetten der janusköpfigen nationalsozialistischen Frankreichpolitik dokumentieren, ihre Friedensschwüre und Sympathiebezeugungen ebenso wie die dahinterstehenden Machtansprüche und die beachtliche Resonanz der „offensive de charme" in der französischen und deutschen Bevölkerung. Über die Breitenwirkung der Zeitschrift selbst sind keine verläßlichen Angaben möglich. Als Mitgliederorgan auch des Comité France-Allemagne kursierte sie, von der Auflage her ohnehin beschränkt, wahrscheinlich überwiegend in Kreisen, die eher unkritisch einer Verständigung das Wort redeten. Viele französische Beiträge stammten aus der Feder von CFA-Angehörigen, so daß zumindest teilweise von einem geschlossenen propagandistischen Kreislauf auszugehen ist. Anderseits wurde die Verbreitung der Hefte in Frankreich durch Preissubvention gefördert58. Die Lektüre verdeutlicht, wie umfassend Otto Abetz, neben Bran spiritus rector der Revue, die völkerpsychologische Vereinnahmungsstrategie der Dienststelle Ribbentrop verinnerlichte und wie geschickt er sie publizistisch umzusetzen wußte. Dabei ist eine Entwicklung von traditionellen deutschen Gleichberechtigungsforderungen, die aus der Opposition gegen das Versailler System erwuchsen und die Abetz von jeher vertreten hatte, zur Verteidigung der immer schrankenloseren Expansionsgelüste Hitler-Deutschlands nicht zu übersehen. Das Ziel eines deutsch-französischen Ausgleichs blieb prinzipiell wiederum unberührt, wiewohl der Bogen der für Frankreich zu tragenden Konsequenzen zusehends überspannt wurde, ein Spagat, den weder Abetz noch die Monatshefte auf Dauer ohne Rufschädigung vollführen konnten. Nachdem Ribbentrops Referent am 30. Juni 1939 von der Regierung Daladier zur unerwünschten Person erklärt und aufgefordert worden war, das Land schleunigst zu verlassen (siehe Kap. VII), ereilte die DFM am 18. August wegen des dringenden Verdachts, ihr Inhalt schade nationalen Interessen, ein Vertriebsverbot in Frank56 57
Leitartikel „Le .Couple France-Allemagne'", unsig.; DFM, September 1938, S. 361-363. Vgl. Abetz, „Politische Arbeit in Frankreich", 30. 7. 1940; CDJC, LXXI-28. Ders., „Laein Jahr nach dem Waffenstillgebericht für den Herrn Reichsaußenminister. Frankreich stand", 23. 6. 1941; MAE, Papiers 1940, Papiers Abetz/2. Dort der für Abetz ungewöhnlich
unzweideutige, mildere Betrachtungen diskreditierende Ausblick,
daß
günstige
es
landwirtschaftliche Erzeugerpreise, Absatzmärkte für die Luxusgüterindustrie und gebührende Beachtung von Kunst und Wissenschaft vorausgesetzt möglich sei, „die großen Volksmassen und entscheidende Teile der französischen Eliten mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß Frankreich politisch und militärisch ein Vasallenstaat Deutsch-
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58
lands wird. Frankreich ist innerlich reif, sein .Altenteil' in Europa zu beziehen." Dies werde erleichtert, „wenn das moralische und materielle Wohlergehen [...] gewährleistet erscheinen". Dies ergibt ein Vergleich der deutschen und französischen Verkaufspreise unter Berücksichtigung des Franc-Verfalls; vgl. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 22 f.
2. Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
169
reich. Die Schriftleitung verkündete daraufhin trotzig, sie gedenke „die Herausgabe der Hefte fortzusetzen, da die augenblickliche Verurteilung der Idee der deutsch-französischen Verständigung in einigen französischen Kreisen nichts gegen die Idee selbst sagt". Man prophezeite zweckoptimistisch, daß das Verbot „nur ein vorübergehendes Zugeständnis an eine besonders deutschfeindliche Clique" sei59, und ignorierte geflissentlich, daß die Geduld der friedliebenden Nachbarn und nicht minder die eigene Glaubwürdigkeit restlos erschöpft waren.
Lobby des Ausgleichs mit Hitler-Deutschland: Deutsch-Französische Gesellschaft und Comité
2.
France-Allemagne Nichtöffentlich gab Adolf Hitler seit 1933 wiederholt zu verstehen, daß sich am Feindbild und an der Rolle Frankreichs in seinen Plänen grundsätzlich nichts ändern werde. Im Februar 1934 sagte er vor Reichswehrgeneralen, SA- und SS-Führern über die Optionen deutscher Außenpolitik, „kurze, entscheidende Schläge" zuerst nach Westen könnten nötig werden, um jenen ,Lebensraum' zu erobern, „den uns [...] die Westmächte nicht gönnen"60. Konkrete Kriegspläne enthüllte er während einer Besprechung mit Außenminister v. Neurath, Kriegsminister v. Blomberg und den Oberbefehlshabern der Teilstreitkräfte am 5. November 1937 in der Reichskanzlei. Zur Lösung der deutschen Frage und zur Eroberung von ,Lebensraum', so der .Führer' damals, könne es nur den Weg der Gewalt geben. Von wachsender Ungeduld getrieben und offenkundig entschlossen, bei sich bietender Gelegenheit kurzfristig einen Angriffskrieg zu entfesseln, entwickelte er seinen zum Teil sichtlich betroffenen Zuhörern mehrere Konfliktszenarien, die zunächst auf die Einverleibung Österreichs und der Tschechoslowakei zielten. Eine ernste Schwächung des „Haßgegners" Frankreich etwa durch eine schwere innere Krise oder einen bewaffneten Zusammenstoß mit Italien im Mittelmeer gedachte er in diesem Zusammenhang kompromißlos auszunutzen. Auch England zog er jetzt bewußt als Gegner ins Kalkül, nachdem die Hoffnungen auf ein Bündnis sich nicht erfüllt hatten61. Daß sein beständig praktiziertes verbales -
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59 60
61
Leitartikel „Dunst über Frankreichs Flur", unsig.; DFM, August-September 1939, S. 510. Nach den Erinnerungen des Generalfeldmarschalls v. Weichs zit. von Müller, Das Heer und Hitler, S. 99. Hitlers Ausführungen, die er als „testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall seines Ablebens anzusehen" bat, sind durch die Kopie einer Niederschrift überliefert, die sein Wehrmachtadjutant Oberst Hoßbach einige Tage nach der Konferenz mit Hilfe persönlicher Notizen anfertigte. Das Dokument diente den Nürnberger Anklägern 1946 als wichtiges Beweismittel für den Vorwurf der „Verschwörung gegen den Frieden". Obschon es sich nicht um ein amtliches, wortgetreues Protokoll handelt, geht die zeitgeschichtliche Forschung davon aus, daß zumindest Hitlers Vortrag im Kern zutreffend wiedergegeben wird. Vorbehalte hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Quelle betreffen in erster Linie die Schilderung der anschließenden Diskussion, auf die Hoßbach nur in stark verkürzter Form einging. Von den Einwänden, die vor allem Neurath, Fritsch und Blomberg erhoben, führt eine direkte Linie zu jenem einschneidenden personellen Revirement im Fe-
170
IV. Instrumente der
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Offensive de charme": DFM und DFG
Wohlverhalten den Westmächten gegenüber keineswegs seinen letzten Absichten entsprach, hat er ein Jahr später, im November 1938, anläßlich einer Rede in München vor rund 400 Journalisten und Verlegern eingeräumt: „Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang [!] fast nur vom Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens [...] war es mir möglich, dem deutschen Volk Stück für Stück die Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Voraussetzung notwendig
war."62 Ein Baustein in diesem Konzept war die Deutsch-Französische Gesellschaft, die am 25. Oktober 1935 im Rahmen einer Abendgala auf Schloß Monbijou aus der Taufe gehoben wurde. Mehr als 200 geladene Gäste, unter ihnen Neurath, Ribbentrop und Botschafter François-Poncet, lauschten bei Kerzenschein Kompositionen alter Meister63. Die Festreden hielten der frischgekürte Vorsitzende der DFG, Prof. Achim v. Arnim, Rektor der Technischen Hochschule BerlinCharlottenburg, Wehrwissenschaftler, SA-Oberführer und Träger des Ordens ,Pour-le-mérite', und der Schriftsteller Régis de Vibraye, der schon dem DeutschFranzösischen Studienkomitee angehört und es als Pflicht seines Landes bezeichnet hatte, im Interesse des Friedens Hitlers Verständigungsofferten auszuloten64. Nun verkündete er feierlich, Aufgabe der DFG sei es, zum Nießbrauch der Politik die Bande zwischen den Völkern zu festigen. Durch regen Austausch an der Basis den Regierenden das Handwerk erleichtern und den Weg weisen das entsprach dem Selbstverständnis von Abetz, der französischen Beobachtern wie deutschen Freunden zu Recht als „principal animateur du nouvel organisme" galt65. Auch die deutsche Presse hob den Aspekt der Massenerfassung hervor. Die Essener National-Zeitung erkannte einen „hoffnungsvollen Auftakt zu einer Ge-
62
63 64
«5
bruar 1938, das Wehrmachtführung und Auswärtiges Amt zu willfährigen Instrumenten der Hitlerschen Kriegspolitik machen sollte. Die Hoßbach-Niederschrift, der die meisten Historiker zentrale Bedeutung im Hinblick auf die beginnende territoriale Expansion des Reiches beimessen, ist abgedruckt in AD AP, D I, Nr. 19. Schriftstück und Zusammenkunft in der Reichskanzlei werden ausführlich erörtert u. a. bei Wendt, Großdeutschland, S. 11-37; Fest, Hitler, S. 742 ff.; Steinert, Hitler, S. 365 f.; Messerschmidt, Außenpolitik und Kriegsvorbereitung, S. 752 ff.; Bloch, Das Dritte Reich und die Welt, S. 213 ff.; Hildebrand, Das vergangene Reich, S. 636 ff.; ders., Deutsche Außenpolitik 1933-1945, S. 55 ff., unter besonderer Hervorhebung der veränderten Haltung Hitlers gegenüber Großbritannien; Bußmann, Zur Entstehung und Überlieferung der „Hoßbach-Niederschrift". Treue, Rede Hitlers vor der deutschen Presse (10. November 1938), S. 182. Diese Rede ist bezeichnend für die seinerzeit einsetzenden propagandistischen Bemühungen um eine der „Heimatfront" für den Krieg. psychologische Mobilisierung v. Rintelen (AA) an Botschaft Paris, 29. 10. 1935; PA/AA, Botschaft Paris 1049/1. Ein Programm und eine Einladungskarte im Bestand R 70555. „Cette Allemagne de demain que nous ne pouvons empêcher d'exister, faut-il, par nos refus, l'obliger à se cristalliser contre nous?" Deutsch-Französisches Studienkomitee Berlin, 15. 11. 1933, aus einem Bericht Vibrayes über einen Besuch in Berlin Ende Oktober/
Anfang November; PA/AA, R 70545. Arnal (Geschäftsträger in Berlin) an Laval, 13. 11.
1935; DDF, 1, XIII, Nr. 228. Mit gleichem Tenor Zeugenaussage Grimm im Abetz-Prozeß, 20.7. 1949, pag. 16; AN, 334 AP 49. Abetz selber sah sich als „un des membres dirigeants les plus actifs de la Société franco-allemande"; Les procès de collaboration, S. 490.
2.
Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
171
meinschaftsarbeit, um die einzelne schon seit langen Jahren in stiller Beharrlichkeit sich bemühen". Überzeugt davon, daß es „für die feste Fundierung einer Idee und eines
politischen Willens" unerläßlich sei, sie „in den breiten Volksschichten
verankern", würden die Nationalsozialisten Sorge tragen, daß sich das Wirken der neuen Gesellschaft „nicht wie die Tätigkeit ihrer Vorgängerin nachnovemberlicher Prägung [...] in schöngeistiger, jüdisch-freimaurerischer Ideologie er-
zu
schöpft"66. Die abfällige Bemerkung verweist auf eine Organisation gleichen Namens zu Zeiten der Weimarer Republik. Ihr Gründer und Präsident, der Lübecker Kunsthistoriker und Frankreich-Publizist Dr. Otto Grautoff (f876-f937), ein Jugendfreund Thomas Manns, hatte f 926/27 im Zeichen der Locarno-Ära einen kultur-
politisch-frankreichkundlichen Brückenschlag über den Rhein unternommen, dem bis ins Jahr 1930 wachsender Erfolg beschieden war. Getragen von Kreisen des Besitz- und Bildungsbürgertums die Mitgliederzahl erreichte etwa 2500, mit deutlichem Schwerpunkt in Berlin -, wollte die Gesellschaft „das Verständnis für Frankreich in Deutschland heben und vertiefen" und „unter Wahrung des eigenen Staatsgefühls" den Entspannungsprozeß fördern67. Hierzu dienten Vorträge, Tagungen, direkte Kontakte zwischen Angehörigen beider Nationen durch Studien-
reisen, Schülerbriefwechsel und akademischen Austausch, schließlich die Deutsch-Französische Rundschau und ihr Parallelorgan Revue d'Allemagne. Impulsen der Kulturkunde-Bewegung und dem Prinzip reziproker Verständigungsbemühungen folgend, worunter im besonderen gleiches Recht bei der Kulturwerbung im Nachbarland verstanden wurde, avancierte Grautoff zu einer „Schlüsselgestalt" gesellschaftlich-kultureller Kontakte, die DFR zur führenden deutschen Frankreich-Zeitschrift68. Mit Beginn der großen Wirtschaftskrise wurde die auf Gönner angewiesene DFG von chronischer Finanznot geplagt, der Grautoff mit flehentlichen Bitten um Unterstützung bei Behörden und Politikern vergeblich Herr zu werden suchte; zuletzt drohte ein Konkursverfahren. Aus seiner Ablehnung des Nationalsozialismus machte er keinen Hehl. Im Juni 1933 entzog er sich möglicher Verhaftung durch die Emigration nach Paris, wo er als Gastdozent am Institut d'art et d'archéologie arbeitete, im Juli erschien die letzte Ausgabe der DFR. Ein wenig später erfolgter Vorstoß Goebbels', der darniederliegenden DFG zu propagandistischen Zwecken neues Leben einzuhauchen, schlug fehl. Daraufhin verfügten die Nationalsozialisten im Juli 1934 die Auflösung der „an den Geist einer früheren Epoche gebundenen" Organisation, die den aktuellen Erfordernissen zur Pflege der deutsch-französischen Beziehungen „nicht mehr entspreche"69. 66 67
68
69
National-Zeitung (Essen), „Brücken über den Rhein", 28. 10. 1935. DFG-Satzung vom 12. 1. 1928, § 3; v. Friedberg (AA) an Hermann Röchling (Völklingen), 15. 4. 1931; PA/AA, R 70554. Dazu und zum Folgenden ausführlich Bock, Die Deutsch-Französische Gesellschaft 1926 bis 1934; ders., Transnationale Begegnung im Zeitalter des Nationalismus, in: Krebs (Hrsg.), Sept décennies de relations franco-allemandes, S. 57-79; ders., Deutsch-Französische Gesellschaften der Weimarer Zeit. Anhand der einschlägigen Akten im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes dokumentiert von Bock, Deutsch-Französische Gesellschaft, S. 95 f. Im Auftrag von Goebbels hatte Dr. Max ligner (I. G. Farben) im Oktober 1933 bei Pariser Bankiers und Wirt-
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IV. Instrumente der
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Offensive de charme ": DFM und DFG
Um den Jahreswechsel 1934/35 interessierte sich Ribbentrop, in dessen Kalkül zwischenstaatliche Gesellschaften hohen Stellenwert besaßen70, für eine Neuauflage. Sein Frankreichreferent Abetz erblickte eigenen Angaben zufolge die Chance, seither isolierte Verständigungsinitiativen in beiden Ländern, die Gefahr liefen, wirkungslos zu verpuffen, zu einer von möglichst vielen Menschen getragenen Anstrengung zu bündeln71 zu nationalsozialistischen Konditionen, die er immer offener akzeptierte und vertrat, wie hinzugefügt werden muß. In der ersten Februarwoche berichtete er dem Auswärtigen Amt über Sondierungen, ob in Paris die Voraussetzungen für eine .Société franco-allemande' vorhanden seien. Mehrere Persönlichkeiten des politischen Lebens hätten ihr Mitwirken zugesagt, darunter Goy, Scapini, der zur radikalsozialistischen Fraktion gehörende Abgeordnete Clerc und sein Kollege Montagnon von den Neosozialisten72. Der Plan, gleich auch ein französisches DFG-Pendant zu schaffen, wurde in der Wilhelmstraße prinzipiell begrüßt. Das Fehlen einer solchen Einrichtung war stets als Mangel empfunden worden, der eine Kulturpolitik auf Gegenseitigkeit erschwerte und angeblich dazu führte, daß die alte DFG „sich langsam aber sicher zu einer Institution zur Propagierung französischer Ansichten und [...] Auffassungen in Deutschland" entwickelte73. Den gewählten Zeitpunkt hielten die Diplomaten indes für verfrüht. Der Pariser Botschaftsrat Forster, dem Abetz Anfang März seine Aufwartung machte, warnte vor übereilten Schritten. Die genannten Interessenten seien zwar „sehr wohl brauchbar", in Sachen Rapprochement aber schon so weit vorgeprescht, daß andere, auf die es ankomme, sich vorläufig hüten würden, an ihrer Seite „in die Arena zu treten, um den öffentlichen Kampf für die deutsch-französische Verständigung mit allen seinen Widerwärtigkeiten aufzunehmen". Erst unter Bedingungen, die eine „ruhige Mitarbeit" erlaubten, seien sie für das Projekt zu gewinnen. Abetz, an schnelle Erfolge gewöhnt, entgegnete verärgert, die Botschaft sei auch in früheren Jahren „immer für Abwarten gewesen und dadurch sei nie etwas aus der französischen Gesellschaft geworden". Man müsse ohne Verzug die Werbetrommel rühren und Begeisterung für die neue Vereinigung wecken74. Das Auswärtige Amt empfahl, ihn gewähren zu lassen; er fungiere „mehr oder weniger als das Sprachrohr des Herrn v. Ribbentrop", der das Thema DFG „in seine persönliche Obhut genommen hat"75. Danach konnte -
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schaftsbossen vorgefühlt, jedoch erfahren müssen, daß eine Wiederbelebung der DFG unter NS-Kuratel dort momentan keine sonderliche Resonanz finden würde. Zu tief saß das Mißtrauen angesichts der Vorgänge im Hitler-Staat. aus den Akten, S. 127. Vgl. das Zeugnis eines ehemaligen Mitarbeiters: Kordt, Nichtvom „DéclaratiVerhörprotokoll Nr. 204/6 der Renseignements GénérauxF 20. 11.ein1945, weiteres Exemons relatives au Comité France-Allemagne" pag. 1; AN, 7/15331, ,
72 73
plar CDJC, LXXI-112. Aufzeichnung v. Rintelen, 12. 2. 1935; PA/AA, Botschaft Paris 1050/1. Aufzeichnung v. Rintelen, 21.11. 1933; PA/AA, R 70555. Vgl. Kühn (Paris) an v. Rintelen, Botschaft 26. 1. 1934: DFG und DFR „waren und wären vor allem für die Französische
74 75
in
Berlin interessant". Mit einem Wiederaufbau erweise man ihr „einen Dienst [...], für den wir eine Rechnung präsentieren können", nämlich die „Gegenforderung [...], diesmal eine vollständige Reziprozität zu erreichen". PA/AA, Botschaft Paris 1049/1. Forster an v. Rintelen, 8. 3. 1935; PA/AA, R 70555. v. Rintelen an Forster, 19. März, ebenda.
2. Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
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Abetz seine Vorbereitungen ungestört vorantreiben, zumal das AA als Richtschnur ausgab, zwischenstaatliche Organisationen „möglichst außerhalb des Rahmens der amtlichen Politik" zu bilden76. Mitte August meldete er, die Vorarbeiten in Deutschland seien so weit gediehen, daß eine neue DFG „jederzeit ins Leben gerufen werden kann". In Paris hingegen gebe es Probleme, weil die designierten Vorstandsmitglieder „schwer unter einen Hut zu bringen sind". Ständig lehne der eine diesen, der andere jenen „mit Nachdruck" ab77. Auch diese Hürde wurde überwunden. Am 14. November 1935 versammelten sich im Pariser Hotel „Claridge" etwa 60 Franzosen, um über die Bildung einer ähnlichen Gesellschaft wie der neuen DFG zu beraten. Am Konferenztisch saßen etliche vertraute Gesichter, Pichot, Goy, Brinon, Jouvenel, Drieu La Rochelle, sowie der seit langem auf zwischenstaatlicher Ebene tätige Germanist Henri Lichtenberger, der betonte, eine Nichtbeantwortung der deutschen Geste käme „nicht nur einer Enthaltung, sondern einer wahrhaft feindlichen Handlung" gleich78. Danach ging es Schlag auf Schlag. Einigen weiteren Besprechungen, an denen Abetz und ein Mitglied der Pariser NS-Kolonie, Westrick, beteiligt waren79, 76 v. Renthe-Fink an 77 Ebenda.
Botschaft Paris, 19. 8. 1935; PA/AA, Botschaft Paris 1049/1.
DNB-Rohmaterial Nr. 317, 15. 11. 1935, abends, nach Informationen de Jouvenels; PA/ AA, R 70555. Der gebürtige Elsässer Henri Lichtenberger (1864-1941), ein bedeutender Germanist, 1934 emeritierter Sorbonne-Professor, mit Arbeiten über Nietzsche, Wagner, Heine und Goethe, aber auch mit zeitkritischen Studien über Kaiserreich, Weimarer Republik und das deutsch-französische Verhältnis hervorgetreten, war nach Locarno ein beinahe allgegenwärtiger Mittler in den soziokulturellen Austauschbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Im Bestreben, einen Ausgleich zwischen den Nachbarn am Rhein zu fördern, wirkte er im Rahmen der Carnegie-Stiftung und bis 1939 im MayrischKomitee, unterstützte die Grautoff-DFG und das mit akademischen Auslandskontakten befaßte Office national des universités et écoles françaises. Er engagierte sich in der Ligue d'études germaniques und leitete das im Dezember 1930 an der Sorbonne eingerichtete Institut d'études germaniques, schrieb für die Revue d'Allemagne, die Deutsch-Französische Rundschau und andere einschlägige Periodika. In einem 1936 veröffentlichten Buch analysierte er das ,Dritte Reich', verwies auf Intoleranz, Machtwillen, Rassismus und gewaltbereites politisches Gebaren der Nationalsozialisten, plädierte jedoch für eine Fortsetzung des schwieriger gewordenen Dialogs unter Wahrung der französischen Interessen. Er brachte Vorbehalte und Irritationen zum Ausdruck, sah anderseits die nationalen Interessen des Nachbarlandes in einem Maße gesättigt, das den Konflikt mit Frankreich unnütz erscheinen ließ. Frankreich schien ihm weitgehend immun gegen nationalsozialistische Werte, und gerade die extremen Gegensätzlichkeiten der Systeme nährten seine Hoffnung, daß man einander respektieren werde eine Sichtweise, die hilfreich in die von DFM und Ribbentrop-DFG verkündete Verständigungsphilosophie eingebunden werden konnte. Beeindruckt zeigte sich Lichtenberger von Disziplin und Gemeinsinn der Deutschen, die sich vom „Hyperindividualismus" seiner Landsleute positiv abzuheben schienen. Lichtenberger, L'Allemagne nouvelle, S. 153 ff., 262 ff., 282. Vgl. Bock, Henri Lichtenberger, in: Espagne/Werner (Hrsg.), Histoire des études germaniques en France, S. 155-169; Hofer, Faschistoide Literatur, S. 116. 79 Forster an Auswärtiges Amt, 6. 12. 1935; PA/AA, Botschaft Paris 1049/1. Einem Bericht der Sûreté zufolge wohnte Abetz auch der Versammlung im „Claridge" bei, desgleichen außer den schon Genannten Jules Romains, Paul Morand, Jean Luchaire und Mgr. Mayol de Lupé. „Au sujet de l'Allemand Otto Abetz, envoyé de M. von Ribbentrop", 20. 11. 1935; AN, F 7/13434.
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IV. Instrumente der
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Offensive de charme ": DFM und DFG
folgte am 22. November die konstituierende Sitzung des Comité France-Allemagne80. Eine Woche später trat es zum ersten Mal vor die Öffentlichkeit, mit einem Bankett im Hotel „George V" zu Ehren des Reichssportführers Hans v. Tschammer und Osten, der im „Olympia-Flugzeug" auf Europa-Tournee war und die Gelegenheit nutzte, Frankreich offiziell zu den Spielen 1936 in Garmisch-Parten-
kirchen und Berlin einzuladen81. Der erste CFA-Präsident, Commandant RenéMichel L'Hôpital, ein ehemaliger Ordonnanzoffizier Marschall Fochs, erblickte in der Olympischen Idee, dem Symbol friedlichen Wettstreits, einen idealen Aufhänger für die Präsentation seines Komitees, „denn wir wollen unseren Bestrebungen die Haupteigenschaften des Sports und des Fair Play voranstellen: Tatkraft, Willensstärke, Offenheit und Treue". Ziel und Zweck des CFA definierte er betont unpolitisch: „die persönlichen und öffentlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland auf allen Gebieten und ganz besonders in kultureller, wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, künstlerischer und sportlicher Richtung zu fördern, um durch ein besseres gegenseitiges Verständnis zur Festigung des europäischen Friedens beizutragen"82. DFG-Vorsitzender v. Arnim hob auf den „glücklichen Zufall" der fast gleichzeitigen Gründung beider Gesellschaften ab und schrieb die Urheberschaft den Frontkämpfern zu. Seine Behauptungen entsprachen freilich nicht den Tatsachen, sondern waren Blendwerk, das verdecken sollte, wie gezielt die Dienststelle Ribbentrop den Entstehungsprozeß beeinflußt hatte und daß sie DFG und CFA auch künftig maßgeblich zu steuern gedachte83. Kritischen Beobachtern schwante bereits, wie es um Unabhängigkeit und angebliche Parität der Schwestergesellschaften bestellt war. In einem Beitrag für L'Œuvre nannte André Pierre die Aussage L'Hôpitals, in Berlin existiere ein dem CFA „vergleichbares" Komitee, irreführend. Die DFG sei nichts anderes als ein Zusammenschluß von Nazifunktionären, offiziellen und halbamtlichen Agenten der Hitler-Propaganda. Deutsche, mit denen man gern über geistige, wissenschaftliche und politische Themen diskutieren würde, befänden sich im KZ oder im Exil; jene hingegen, mit denen das Comité France-Allemagne fraternisieren wolle, hätten Bücher verbrannt und die Menschenrechte mißachtet. Eindeutiges Urteil des Pressemannes: „Ce comité est fondé sur une équivoque malsaine."84 Zur selben Einschätzung gelangte André Chamson, Direktor der neugegründeten linken Wochenzeitung Vendredi. Er erinnerte an die Verfemung eines Einstein 80 81
Aufzeichnung vom Rath, 23. November; PA/AA, Botschaft Paris 1049/1. Vgl. DFM, Januar 1936, S. 30. Tschammer referierte an diesem Abend über den „Sport in Deutschland und die Olympischen Spiele"; in französischer Übersetzung abgedruckt ebenda, S. 40-52.
Ansprache L'Hôpitals am 29. November, zit. ebenda, S. 4 ff. 61. RichVgl. Rede v. Arnims, ebenda, S. 6 f. Ebenso später Abetz, Das offene Problem, S.innehatten tig ist, daß Weltkriegsteilnehmer im DFG-Vorstand Führungspositionen (v. Arnim, Oberlindober, Schleier). Zwei Gründe erscheinen ausschlaggebend: Zum einen hat die 1934 eingeleitete Frontkämpferverständigung die Gründung der Gesellschaft erleichtert und ihre Akzeptanz in Frankreich zweifelsohne erhöht. Zweitens bedurfte man schon aus optischen Gründen eines Gegengewichts zum CFA-Präsidium, wo die Chefs der größten französischen Veteranenverbände eine herausragende Rolle spielten. 84 André Pierre, La constitution d'un comité „France-Allemagne". Sur quelles bases Français et Hitlériens peuvent-ils s'entendre?, in: L'Œuvre, 29. 11. 1935.
82 83
2.
Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
175
oder Thomas Mann und kommentierte schneidend: „Un véritable rapprochement culturel ne peut reposer sur une telle trahison des choses de l'esprit." Es erhebe sich die Frage, ob man es im Falle von DFG und CFA wirklich mit einer Annäherungsinitiative kulturellen Charakters und nicht mit einer flankierenden Maßnahme für ein politisches Manöver zu tun habe85. Das Pariser Tageblatt flüchtete sich in bissige Ironie und widmete der DFG die Schlagzeile „Ein ganzer Klub ausgeschickt zum Auslandsbluff"86. Unter den 80 beim Bankett anwesenden Franzosen habe man all jene bemerkt, „deren Namen mit sensationellen Hitlerinterviews und ähnlichen literarischen Produkten schon traditionell verbunden sind, und daneben einige Kreise der Gesellschaft, die den Abend als mondänes Ereignis betrachteten"87. Die französische Botschaft in Berlin bewertete die Neugründungen verhalten, wies aber ebenfalls nachdrücklich darauf hin, daß die wiedererweckte DFG sich unter veränderten Vorzeichen präsentiere. „D'après les informations qui m'ont été fournies", meldete Arnal, „cette association se distinguerait de l'ancienne Société franco-allemande, d'abord par le choix de ses membres allemands, mais aussi par son esprit. Tandis que l'organisme du Dr. Grautoff était, disent les organisateurs actuels, d'inspiration internationaliste, la nouvelle société aura, au contraire, pour but de faire connaître à chacun des deux pays les manifestations de l'activité nationale de l'autre."88 Nach dem Krieg behauptete Abetz, die DFG habe Reichsministerien und Parteiämtern gegenüber ideell wie finanziell „völlige Unabhängigkeit" gewahrt89. Ein Blick auf Entstehungsgeschichte und Organisationsstrukturen genügt, seine Darstellung als unzutreffend zu entlarven. In Wahrheit war die Gesellschaft in das Institutionengeflecht des NS-Staates eingebunden, ihre Führungsriege als „letztentscheidende Instanz im Sinne des Führerprinzips" mit Mitarbeitern der Dienststelle Ribbentrop förmlich durchsetzt, die nach den Richtlinien ihres Chefs handelten und „in ständiger Fühlungnahme mit allen außenpolitischen Stellen und der Partei" standen90. Ehrenvorsitzender wurde der preußische Staatsrat Dr. h.c. 85 86 87
88 89 90
André Chamson, La Société des esprits, in: Vendredi, 29. 11. 1935; in deutscher Übersetzung abgedruckt DFM, Januar 1936, S. 32 f.
Pariser Tageblatt, 3. 12. 1935. Manuel Humbert, Diner mit Baron von Tschammer und Osten, in: Pariser Tageblatt, 1. Dezember. Pichot erinnert „un assez riche échantillonage de personnalités du journalisme, de la littérature, de l'industrie, des arts et de la science"; ders., Et ce fut quand même la guerre, pag. 41. Den Mahnern, im besonderen Chamson, hielt Schriftleiter Rasche von der NSZ-Rheinfront entgegen, einzig „Mißverständnisse, Irrtümer und vielleicht auch die heute schärfer betonten Eigenarten des nationalen Lebens" trennten Deutsche und Franzosen. Daß man sich von gewissen Schriftstellern distanziere, sei weder politisch motiviert noch geistiger Verrat. Diese Autoren hätten „keine Beiträge zum schöpferischen Leben unserer Nation" geleistet, ihre Figuren „wirkten vor allem nicht menschlich" und seien in einer dekadenten Gesellschaft angesiedelt. E. J. Rasche, Zusammenarbeit der Geister, in: NSZ-Rheinfront, 9. Dezember; in französischer Übersetzung abgedruckt DFM, Januar 1936, S. 33 f. Arnal an Laval, 13.11. 1935; DDF, 1, XIII, Nr. 228. Verhörprotokoll Nr. 204/6 vom 20. 11. 1945, „Déclarations relatives au Comité FranceAllemagne", pag. 4; AN, F 7/15331. Vgl. Nachtrag zur DFG-Satzung laut Vorstandsbeschluß vom 16. 11. 1936 sowie v. Arnim an Strenger (Vorsitzender der DFG Rheinland), 31. 5. 1937; PA/AA, R 27129.
176
IV. Instrumente der
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Offensive de charme": DFM und DFG
Emil-Georg v. Stauß, seit Dezember
1933 Vizepräsident des Reichstags, ein einflußreicher Berliner Bankier, der diversen Aufsichtsräten deutscher Großunternehmen, von 1915 bis 1932 dem Vorstand der Deutschen Bank angehörte und einst Hugenbergs Ruf zur Heerschau der nationalen Rechten nach Bad Harzburg Folge geleistet hatte91. Im Ehrenvorstand saßen Ribbentrop, die Reichsminister Goebbels, Frank und Seldte, Reichssportführer v. Tschammer und Osten, der Altpräsident der Reichsschrifttumskammer Blunck, Reichskulturwalter Hinkel und Reichsfrauenführerin Scholtz-Klink. Den Geschäftsführenden Vorstand leitete Professor v. Arnim, als Stellvertreter fungierten Reichskriegsopferführer Oberlindober und der Jurist Prof. Dr. Friedrich Grimm. Letzterer hatte während des Ersten Weltkriegs belgische und französische Staatsangehörige vor deutschen Militärgerichten, nach 1918 deutsche Angeklagte vor französischen Spruchkammern verteidigt und sich auch in den rechtlichen Auseinandersetzungen engagiert, die sich hinsichtlich des deutschen Industriebesitzes im Saargebiet aus dem Versailler Vertrag ergaben. Grimms häufige Aufenthalte und erstklassige Beziehungen in Frankreich hatten Ribbentrop 1934 veranlaßt, ihn um regelmäßige vertrauliche Lageberichte zur Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses zu bitten92. Die übrigen Vorstandsposten bekleideten zum Teil nicht durchgängig, aber kaum zufällig fast ausschließlich Angehörige der .Dienststelle': v. Raumer und Abetz waren stellvertretende Vorsitzende, Stahmer Schatzmeister, Ludwig Frhr. von dem Bongart, seit Februar 1936 auf Ribbentrops Gehaltsliste, Generalsekretär; zum erweiterten Vorstand zählten die Ribbentrop-Mitarbeiter Hans Maubach (als Abetz-Assistent und Vertreter der RJF) und Dr. Albert Prinzing (als Vorsitzender der DFG Südwestdeutschland)93. Hitlers Sonderbotschafter und künftiger Außenminister hatte die DFG allein aufgrund dieser personellen Verschränkungen jederzeit im Griff. Gewisse Mitspracherechte besaßen delegierte Vertreter einer stattlichen Reihe von NS-Organisationen, die der Gesellschaft auf Vermittlung von Abetz korporativ beitraten und zur Finanzierung beitrugen94. Daß Geld kein Problem war, zeigt die schnelle Eröffnung eines gediegenen DFG-Hauses im Berliner Stadtteil Tiergarten, mit Geschäftsstelle, Repräsentationsräumen und Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste95. Die Dienststelle Ribbentrop bewilligte „bei außenpolitisch wichtigen -
-
9' 92
Vgl. Fest, Hitler, S. 419.
Siehe Grimm, Frankreich-Berichte; Fritz Taubert, Friedrich Grimm patriote allemand, européen convaincu, in: Bock u. a. (Hrsg.), Entre Locarno et Vichy, I, S. 107-120. Zur personellen Zusammensetzung vgl. DFM, November 1936, S. 398; Jacobsen, Außenpolitik, S. 278, 701 ff., mit einer Übersicht zur personellen Entwicklung der Dienststelle Ribbentrop im Jahre 1936, die v. Arnim als „zugeteilt" ausweist. Unübertroffen detailliert Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 127f., 307ff. Deutsche Arbeitsfront, Reichsnährstand, Reichshandwerk, Reichswirtschaftskammer, -
93
94
Rechtswahrerbund, Reichsjugendführung, Reichsarbeitsdienst, Frauenschaft, Studentenbund, Dozentenbund, DAAD, Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft, Reichsschrifttumskammer, Reichsmusikkammer, Reichstheaterkammer, Reichsrundfunkkammer, Reichs(Stand Novempressekammer, Reichsfilmkammer, Reichskammer der bildenden Künste KdF und Volksber 1936). Abetz, Das offene Problem, S. 61 f., nennt außerdem NSKOV, wohlfahrt.
93
Vgl. DFM, Februar 1936, S. 72; Juli 1936, S. 271. Kordt, Nicht aus den Akten, S. 127.
2. Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
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Reisen und Führungen [...] auf Antrag besondere Mittel"96. Schwer vorstellbar, daß Abetz Zuschüsse aus dem eigenen Haus verschmähte und das pulsierende gesellschaftliche Leben in der DFG-Zentrale ganz ohne Subventionen auskam, die seiner Darstellung zufolge zwar häufig angeboten, aber angeblich nie entgegengenommen wurden97. Bestenfalls Wunschdenken auch seine Behauptung, mit den inkorporierten NS-Institutionen über „einen einzigartigen und von den Schwankungen der hohen Politik unabhängigen Generalstab für die Verbreitung des Verständigungsgedankens in allen Schichten und Gliederungen des deutschen Volkes" verfügt zu haben98. Hierdurch und dank der sieben bis 1939 eröffneten DFG-Zweigstellen seien landauf, landab die erstaunlichsten Resultate in Sachen Rapprochement erzielt worden99: „Ce mouvement [die DFG] avait atteint dans toutes les classes du peuple allemand une importance dont le gouvernement devait se rendre compte."100 Vor dem Hintergrund der weiteren, verhängnisvollen Entwicklung geraten solche Thesen naturgemäß in den Ruch verharmlosender Schönfärberei; sie erscheinen als Versuch des Täters, einem perfiden Täuschungsmanöver noch im nachhinein einen seriösen Anstrich zu geben. Berücksichtigt man die erkennbare, dem Selbstbetrug förderliche Neigung, sich und seiner Tätigkeit ein Höchstmaß an Autonomie zuzuschreiben101, und das erklärte Ziel, einen neuerlichen Waffengang durch intensive Gesellschaftsbeziehungen zu verhindern, so offenbart das Beispiel DFG anschaulich, daß Abetz die Rahmenbedingungen seines Tuns falsch eingeschätzt hat. Ungezählten Menschen Gelegenheit zu bieten, ihre gewiß aufrichtige Verständigungsbereitschaft zu artikulieren, genügte am Ende nicht, den totalitären Eroberungswillen der braunen Machthaber entscheidend zu bremsen. Auch auf französischer Seite hegte man irrige Vorstellungen von der Bedeutung und Haltbarkeit jener breitgefächerten Kontakte, die DFG und CFA in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre knüpften. Im Comité France-Allemagne spielten Kriegsveteranen eine führende Rolle, was nicht verwundert, war doch die deutsche Verständigungsoffensive gerade bei ihnen auf Gegenliebe gestoßen. Als der Präsident des Geschäftsführenden Vorstands, Commandant L'Hôpital, nach der Remilitarisierung des Rheinlands zurücktrat, übernahm Georges Scapini das Amt, im Urteil der DFM Garant einer ruhigen und stetigen Weiterentwicklung auch in Tagen innenpolitischer Turbulenz102. Henri Pichot und Jean Goy, deren Frontkämpferverbände nach deutschem Vorbild korporativ angegliedert wurden und je sieben Delegierte in den
Veranstaltungen,
96 v.
Arnim an Strenger, 31.5. 1937, wie Anm. 90. Nr. 204/6 vom 20. 11. 1945, pag. 4, wie Anm. 89. Verhörprotokoll 98 97 99 100 101
Abetz, Das offene Problem, S. 63. Verhörprotokoll Nr. 204/6, pag. 1.
Verhörprotokoll Nr. 204/8 vom 26. 11. 1945, „Déclarations d'Otto Abetz au sujet de ses activités propagandistes (conférences)"; AN, F 7/15331 (Hervorhebung durch den Verf.). Auch zu seinem Eintritt in die RJF sagte Abetz, er habe „sur la base d'une très large indépendance" mitarbeiten können. Verhörprotokoll Nr. 204/4 vom 21. 11. 1945, „Circonstances
102
de l'adhésion d'Otto Abetz au
National-Socialisme", pag. 4, ebenda.
DFM, Juli 1936, S. 271. Scapini bezeichnete die annähernd zwei Millionen Männer von UN und UNC als „die aktivsten Elemente des Comité France-Allemagne"; zit. in DFM,
Juni 1937, S. 211.
178
IV. Instrumente der
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Offensive de charme ": DFM und DFG
Vorstand entsandten103, arbeiteten als Generalsekretäre. Die Vizepräsidentschaft teilten sich Prof. Ernest Fourneau vom Pasteur-Institut, Gustave Bonvoisin, Chef des Sozialwerks der Familienausgleichskassen, und Fernand de Brinon. Schatzmeister war Comte Armand de Chappedelaine, als Beisitzer fungierten unter anderem die Schriftsteller Jacques Benoist-Méchin, Bertrand de Jouvenel und Régis de Vibraye. Auch im Ehrenkomitee, angeführt vom früheren Minister Joseph Noulens, gaben sich arrivierte Literaten, Wissenschaftler und Politiker ein Stelldichein: Jules Romains und Henri Lichtenberger, die Mitglieder der Académie française Pierre Benoît und Louis Bertrand, die Senatoren de Chambrun und Henry-Haye (Bürgermeister von Versailles), der Komponist Florent Schmitt, Comte Melchior de Polignac, Präsident des Comité des fêtes de Paris, und andere mehr104. Im Verwaltungsrat saßen weithin bekannte Persönlichkeiten wie Léon Baréty, Pierre Béranger, Jean de Castellane, Raoul Dautry, Drieu La Rochelle, Eugène Frot, André Langeron, Léon Noël, François Piétri, Charles Pomaret, Jacques Renouvin und Emile Roche105. Die Finanzierung erfolgte laut Brinon über Beiträge und Spenden von Mitgliedern und aus der Wirtschaft. 1938 soll das französische Außenministerium einen Zuschuß von 300000 Francs gewährt haben106. Der damalige Pressechef des Quai d'Orsay, Pierre Comert, hat hingegen nach dem Krieg behauptet, der CFA-Etat sei zu großen Teilen von deutscher Hand gedeckt
worden107. Wiewohl sich der Wirkungsgrad des Comité France-Allemagne aufgrund fragmentarischer Quellenbasis genauer Bestimmung entzieht und zu berücksichtigen ist, daß die Vereinigung anders als ihre Schwestergesellschaft in Deutschland demokratischer Meinungsfreiheit, d. h. unbequemen Fragen und öffentlicher Kritik ausgesetzt war, darf ihre Bedeutung als Brückenkopf und Einfallstor der NSPropaganda nicht unterschätzt werden. Zwar bemühte sich Otto Abetz als Entlastungszeuge im Brinon-Prozeß aus durchsichtigen Gründen, Reichweite und Resonanz der Organisation herunterzuspielen108. Doch allein das angeschlossene, weitverzweigte Kommunikationsnetz der Anciens combattants sicherte dem geographisch auf Paris fixierten Komitee breite Beachtung. Die in seinen Reihen versammelten Honoratioren verfügten über mannigfache Verbindungen zu politischen und geistigen Führungszirkeln der Seine-Metropole, was Sympathiefängern wie Abetz Türen öffnete, Bekanntschaften und Informationen erschloß und weitere Gelegenheit zur Einflußnahme bot. Etliche CFA-Präsiden hatten bereits zu Zeiten der Weimarer Republik zwischenstaatlichen Vereinigungen angehört, so Fourneau, Lichtenberger und Vibraye dem Deutsch-Französischen Studienkomi-
103 i°4 105 106
-
DFM, Juni 1936, S. 228. DFM, Februar 1936, S. 72.
Vgl. Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 132 f. Protokoll einer Vernehmung Brinons am
16. 1.
1946; AN, 411 AP 6, dr. 1. Laut Duro-
selle, La décadence, S. 208, wurde das CFA von allen Pariser Regierungen bis März
107 108
1939
subventioniert. Aussage Comerts vor der parlamentarischen Untersuchungskommission am 27. 12. 1949; AN-Enquête, VII, S. 2183. Protokoll der Verhandlung am 5. 3. 1947; Les procès de collaboration, S. 174f.
2. Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
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tee109, was sie in den Rang von Kennern der Materie erhob. Guten Wllens, nun mit den Nationalsozialisten auszukommen, zum Teil auch ideologisch in Bann ge-
schlagen, brachten diese Multiplikatoren der deutschen Friedensbeteuerungen ihre germanophilen Ansichten ins gesellschaftlich-kulturelle Leben ein und suchten das Negativbild zu korrigieren, das Linksintellektuelle und deutsche Emigranten, Kronzeugen und exemplarische Opfer der faschistischen Gefahr, vom HitlerReich zeichneten110. Auf einer Generalversammlung im März 1937 rechnete Régis de Vibraye es zu den vornehmsten Aufgaben des Komitees, die öffentliche Meinung zu „entgiften" und jenen Vorurteilen entgegenzutreten, die durch eine „tendenziöse und parteiische" Berichterstattung über Deutschland genährt würden. Zu diesem Zweck sollte ein Arbeitsausschuß für Pressefragen gebildet werden, „s'efforçant de répandre en France une information objective sur l'Allemagne et les nécessités vitales auxquelles elle obéit"111. Daß die Mehrheit der CFA-Mitglieder einer guten Sache zu dienen meinte, „im besten Glauben der Welt", wie ein amtlicher Untersuchungsbericht vom Mai f 940 einräumt112, konnte ihre Glaubwürdigkeit bei den eigenen Landsleuten nur erhöhen. Auch hier galt das simple Prinzip .einander kennen einander verstehen' als richtungweisend zur Anbahnung einer deutsch-französischen Freundschaft, sofern es nicht „Sonderrecht bevorzugter Kreise" war, sondern die gesamte Bevölkerung einbezogen wurde113. „Aufgabe unseres Komitees ist es", formulierte Pichot, „dieses gegenseitige Verständnis zu wecken und zu entwickeln, vor dem das -
Mißtrauen schmilzt, dieses Bedürfnis nach engem Einvernehmen, das beiderseits des Rheins unserem Denken Sicherheit und unseren Herzen Ruhe geben wird."114 Zwölf Monate später wähnte er das Projekt auf einem vielversprechenden Weg: „Die Bewegung ist im Wachsen begriffen", frohlockte er anläßlich des einjährigen Bestehens der DFG in den Hansestädten. „Man könnte schon eine kleine und sehr beachtliche Chronik schreiben, welche den bezeichnenden Titel verdienen würde:
Vgl. Mitgliederliste bei den Akten des Politischen Archivs; PA/AA, R 70544. Als Mitglied der deutschen Sektion wird auch v. Stauß genannt. 110 Vgl. Karl Kohut, Die antifaschistische Einheitsfront der Schriftsteller und Künstler; Margrit Zobel-Finger, Die Rolle der deutschen Emigranten; beide Aufsätze in: Kohut 109
(Hrsg.), Literatur der Résistance und Kollaboration, I, S. 40-60, 99-112. Den Einfluß der deutschen Exilpresse in Frankreich beurteilt Zobel-Finger (S. 103) als relativ gering; es habe sich in der Regel um Missionsliteratur für längst Bekehrte gehandelt. Siehe auch Rita Thalmann, L'immigration allemande et l'opinion publique en France de 1933 à 1936, in: La France
111
112
et
l'Allemagne 1932-1936, S. 149-172.
Zit. nach einem Bericht in den Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 119, 20. 3. 1937; vgl. DFM, März-April 1937, S. 124. Zum Fortgang der Initiative siehe Kap. V. Inspection générale des Services de police administrative, Bericht vom 25. 5. 1940, „Propagande allemande en France. Au sujet de M. de Brinon", pag. 8; AN, 411 AP 6. Zu undifferenziert ist das Urteil einer DDR-Studie, die das CFA „unter Leitung von Abetz" als Sammelbecken der „Hitlerschen Fünften Kolonne" sieht; vgl. Schiller u.a., Exil in Frankreich, S. 33, 589. Benoist-Méchin hat diesen Ansatz 1947 vor Gericht erläutert und beteuert: „J'ai cru que ce Comité pouvait faire du bien"; Procès Benoist-Méchin, Protokoll vom 29. 5. 1947, pag. 35; Haute Cour de Justice/Ministère public, compte rendu Bluet (BDIC). Ansprache Pichots bei einem Abendessen der DFG am 21. 11. 1936 in Hamburg (Manuskript in deutscher Übersetzung); AN, 43 AS 2, dr. 1. -
113
114
-
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.die Menschen guten Willens sind auf dem Marsch'."115 Allein die Fortschritte in Frankreich blieben hinter seinen Erwartungen zurück. „Le Comité ne se développe guère", bedauerte er im Rückblick auf das Jahr 1937, nicht ohne die heillose Zerrissenheit der ,Dritten Republik' anzuprangern, die er auch für die schleppende Entwicklung des CFA verantwortlich machte. Das allgegenwärtige politische Gezänk habe dessen Arbeit ebenso beeinträchtigt wie die immer noch verbreitete Abneigung, zu einem Land Beziehungen zu pflegen, das durch eine scheinbar unüberwindliche ideologische Barriere getrennt war, oder der Umstand, daß Vereinigungen wie Pilze aus dem Boden schössen und viele seiner von allen Seiten bedrängten Landsleute mit wachsender Apathie reagierten. Die Franzosen, resümierte Pichot, lebten damals „jenseits der Freiheit" („au-delà de la liberté"), in einem Zustand nicht enden wollender Zersplitterung und Zerstückelung, woraus die Deutschen den fatalen Schluß gezogen hätten, die Nation sei handlungsunfähig. In die Verbitterung hierüber mischte sich noch ein knappes Jahrzehnt später Anerkennung für die großzügigen Möglichkeiten der DFG, die im vergleichenden Urteil Pichots aus dem vollen schöpfen und der uneingeschränkten Unterstützung im eigenen Lager gewiß sein konnte116. An den unterschiedlichen Rahmenbedingungen störten sich auch doktrinäre Kreise in der NSDAP, die der DFG einen überzogenen Verständigungskurs bei ungenügender Gegenleistung der Franzosen ankreideten. Der durch Rivalitäten verschärfte Unmut gefährdete 1937 die Position des „heimlichen" DFG-Vorsitzenden Abetz117. Massive Zweifel am Nutzen des Comité France-Allemagne waren auf deutscher Seite im übrigen schon bei seiner Gründung Ende 1935 laut geworden. Der Pariser Botschaft schien der Termin wegen der gespannten inneren Lage in Frankreich nach wie vor „verfrüht". „Gelingt es schon nicht, die Geister im eigenen Lande politisch zu einen, um so weniger ist es dann angebracht, die Persönlichkeiten aus den verschiedensten Lagern in einer Gesellschaft zu fruchtbringender Arbeit zusammenzuschließen", schrieb der vom Reichspropagandaminister abkommandierte Presseattache Schmolz an sein Ministerium118 eine Bemerkung, die Unkenntnis oder Unverständnis der von Abetz stetig verfolgten Strategie verrät, zum Zwecke maximaler Nachrichtenbeschaffung und Einflußnahme mit verteilten Rollen zu spielen und bewußt Fäden zu sämtlichen Fraktionen zu spinnen. Ein anderer Kenner der Pariser Szene, Heinrich Baron, Korrespondent der Berliner Börsenzeitung und Geheimdienstler, stufte das CFA denn -
Ansprache Pichots am 26.11. 1937 in Hamburg (Manuskript, von Abetz ins Deutsche übertragen), ebenda. 116 Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 64. Auch Benoist-Méchin wies auf die ungleichen Ressourcen hin; wie Anm. 113. Strukturelle Unterschiede sind allein daran abzulesen, daß sich das Comité France-Allemagne bis 1939 lediglich auf Lyon auszudehnen vermochte, während im selben Zeitraum übers Reichsgebiet verteilt sieben DFG-Zweigstellen eröffneten: 1936 in Hamburg, 1937 in Köln, Heidelberg und Karlsruhe, 1938 in Frankfurt und Stuttgart, 1939 in Wien. Geplant waren für 1938 außerdem Zweigstellen in 115
117
118
München und Dresden (DFM, Februar 1938, S. 85). Siehe Kap. VI. François-Poncet, häufiger und gerngesehener Gast bei Veranstaltungen der DFG, betrachtete Abetz ungeachtet der äußeren Hierarchie als „Directeur effectif". Schriftl. Stellungnahme Poncets im Vorfeld des Brinon-Prozesses, o.D.; AN, 411 AP 6. Schmolz an Reichspropagandaministerium, 6. 12. 1935; PA/AA, R 70555.
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auch als idealen Resonanzboden und überaus ergiebige Informationsquelle für Ribbentrops Propagandisten ein. Behutsam ausgebaute freundschaftliche Bande zu den Mitgliedern des Komitees hätten sich jederzeit im gewünschten Sinn auswerten lassen119. Paradox mutet im nachhinein an, daß sich das Comité France-Allemagne mit ausdrücklicher Billigung und finanzieller Unterstützung des Quai d'Orsay entfalten durfte. Auch dort hielt man die Vereinigung für ein nützliches Hilfsinstrument im zwischenstaatlichen Verkehr. Mit den Worten Arnals: „L'existence d'un organisme privé devrait [...] permettre de conserver entre la France et l'Allemagne des relations artistiques et intellectuelles, même si les relations politiques ne sont pas aussi satisfaisantes que possible."120 François-Poncets Segen war dem Comité ebenfalls gewiß, wie sich seiner stilblütenträchtigen Laudatio zum einjährigen Bestehen der Schwestergesellschaft in den Hansestädten unschwer entnehmen läßt. „Wenn Wolken sich ballen, wenn Gewitter nahen", fabulierte der Botschafter, „dann steigt der Flieger höher, er steigt in ruhigere Luftschichten und verfolgt dort seinen geraden Kurs. So die Mitglieder der Deutsch-Französischen Gesellschaft, getragen von einer höheren Sorge für die Zukunft, den Blick auf das endgültige Ziel gerichtet [...] Sollte dieser Vergleich mir den Vorwurf einbringen, daß man auf diese Weise Gefahr läuft, den Kontakt mit der Wirklichkeit zu verlieren und in der Luft hängen zu bleiben, dann würde ich sagen, daß nicht alle Pflanzen auf dem erstbesten Boden gedeihen. Dieser Boden muß zubereitet werden. Die Deutsch-Französische Gesellschaft ist eine Vereinigung friedlicher Gärtner, die den Boden vorbereiten, in den die Politik tiefe und starke Wurzeln schlagen kann."121 DFG und CFA haben, um Poncets Bild aufzugreifen, das Feld deutsch-französischer Gesellschaftsbeziehungen in den Jahren 1936 bis 1938 fleißig bestellt. Eine Vielzahl von Veranstaltungen, Empfängen und Besuchsprogrammen bot Tausenden von unbescholtenen Bürgern beider Staaten Gelegenheit, eigene Eindrücke über das Nachbarland zu sammeln122. Doch über ihr ehrenwertes Engagement triumphierte einmal mehr die Doppelzüngigkeit. Denn die DFG-Aktivitäten, aus der Sicht ihres Regisseurs Abetz ein institutionalisierter, durchaus ernstgemeinter Werbefeldzug mit dem Ziel, einen deutsch-französischen Krieg durch Verständigungsarbeit an der Basis unmöglich zu machen, waren zugleich Bestandteil einer raffinierten Beschwichtigungskampagne, geeignet, französisches Wahrnehmungsvermögen zu trüben und eine Politik der festen Hand zu vereiteln, als Hitler auf gewaltbereiten Expansionskurs schwenkte. Der NS-Propaganda eröffnete dieser 1,9
120 121 122
Ministère de l'Intérieur, „Quelques renseignements sur le Comité France-Allemagne et sur de Brinon", Protokoll einer polizeilichen Vernehmung Barons am 5. 6. 1940; AN, F la/3749. Zu Baron siehe auch Kap. VII. Arnal an Laval, 13. 11. 1935; DDF, 1, XIII, Nr. 228. Zit. nach einem undatierten Ausschnitt aus dem Hamburger Tageblatt (November 1937) im Nachl. Pichot; AN, 43 AS 2, dr. 4. Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Kowalsky bemerkt in diesem Zusammenhang, „daß es nie zuvor so enge und intensive deutsch-französische Beziehungen gegeben hat wie in der damaligen Zeit: Sie stellen alles Dagewesene in den Schatten." Ders., Kulturrevolution?, S. 48.
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Kanal Anlässe zuhauf, das ,neue' Deutschland als Hort des Friedens zu präsentieund en passant eine seinen außenpolitischen Ambitionen geneigte Stimmung zu fördern. Mit der germanophilen Lobby des CFA verfügte man über eine Art Signalverstärker vor Ort, der es überdies erlaubte, die Berliner Urheberschaft vieler Impulse vor weniger kritischem Publikum zu verbergen. Ein gelungener Einstieg in eine dreijährige, kaum zu erschütternde Kooperation war jener glanzvolle Empfang, der den Spitzen des Comité France-Allemagne Anfang Februar 1936 in Deutschland zuteil wurde. In der Reichshauptstadt und bei einem Abstecher zur Winterolympiade nach Garmisch wie Staatsgäste behandelt ein gängiges Muster nationalsozialistischer Vereinnahmungsstrategie, das uns auch im folgenden Kapitel beschäftigen wird -, kehrten sie bar jeder Distanz zum Erlebten heim und schwärmten vom deutschen Verständigungswillen. „A la manifeste bonne volonté allemande [...], il convient de répondre par autant, sinon plus, de gentillesse", forderte der UF-Delegierte Georges Pineau in einem Begeisterung atmenden Reisebericht123. Während der Olympischen Sommerspiele, vor Hitlers Machtantritt nach Berlin vergeben, war der Andrang von Seiten der Schwestergesellschaft dann derart rege, daß es Engpässe bei der Unterbringung gab124. Das Großereignis bot den Nationalsozialisten die einzigartige Chance, Gastgeber der Welt zu sein, und sie setzten alles daran, dem Greuelbild vom hektisch aufrüstenden, kriegslüsternen Regime den Anblick einer friedvolren
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len, geschäftigen Idylle entgegenzustellen125. Aufwendig inszenierte Spektakel hielten die Besucher bei Laune, so eine „Italienische Nacht" mit Feuerwerk auf der Pfaueninsel, zu der Goebbels 1000 Personen lud. Die schmucke DFG-Zen-
trale war in jenen Tagen eine besonders stark frequentierte Begegnungsstätte und bat zu einem festlichen „Olympia-Empfang", an dem hochrangige Würdenträger teilnahmen. Gewiß sprach Fernand de Brinon im Namen seiner anwesenden Landsleute, wenn er feststellte, „daß uns als dauernder Eindruck verbleiben wird, die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich als eine natürliche und selbstverständliche Sache zu betrachten". Offenbar völlig überwältigt bekannte er: „Mir fehlen die Worte, um Ihnen für Ihre Gastlichkeit zu danken."126 Gelegenheit, sich zu revanchieren, kam in der ersten Novemberwoche, als Vorstandsmitglieder der DFG zu Gesprächen über die weitere Zusammenarbeit in Paris weilten. Sie wurden in der Ecole libre des sciences politiques und vom Dachverband der Anciens combattants begrüßt, in die Kunstschätze des Louvre und die Welt der Pariser Salons eingeführt, mit Vertretern verschiedener Berufszweige und so-
123 124 125 126
Le Comité France-Allemagne à Berlin, in: Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 92, 10. 2. 1936. Vgl. DFM, Februar 1936, S. 73 f. Abetz, Das offene Problem, S. 65. Vgl. Fest, Hitler, S. 707. Zit. in DFM, August-September 1936, S. 321. Abetz sah sich in seiner trügerischen Hoff-
Pineau,
nung, eine kriegsbereite Stimmung werde von einem bestimmten Punkt an nicht mehr zu erzeugen sein, durch die Eröffnungsfeier bestärkt, bei der die französischen Sportler enthusiastisch begrüßt wurden. „Auch die bestorganisierte Claque kann nicht 200000 Menschen in Begeisterungsstürme versetzen." Das offene Problem, S. 66.
2. Deutsch-Französische
zialer tet127.
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
Einrichtungen zusammengebracht
selbstredend
und -
183
fürstlich bewir-
ein vergleichsweise ruhiges Jahr in den deutsch-französischen Bezieund CFA weiteten ihre Aktivitäten erheblich aus. Scharen deutDFG hungen. scher Besucher besichtigten die am 24. Mai eröffnete Weltausstellung in Paris, umsorgt vom Comité France-Allemagne, dessen Verwaltungsrat de Castellane das städtische Empfangskomitee leitete128. Für Reichsminister Schacht, der den deutschen Pavillon einweihte, wurde ein Empfang gegeben, auf welchem Brinon für einen freundlicheren Umgangston in der Presseberichterstattung warb und Scapini die Bedeutung der Frontkämpferkontakte, die 1937 ihren Höhepunkt erreichten, unterstrich. Schacht versicherte, sein Land stehe einer Mitarbeit im Völkerbund „nicht feindselig gegenüber, wenn der Völkerbund keine Strafkammer, sondern eine beratende Einrichtung sei, vor der die Völker ihre Probleme behandeln könnten"129. Die DFG schleuste Führerkader der ihr korporativ angeschlossenen NS-Verbände nach Paris, wo sie ein ausgetüfteltes Besichtigungsprogramm erwartete. Abetz kümmerte sich im August persönlich um eine 42köpfige Delegation der Reichsjugendführung, um ihr „ein möglichst anschauliches und von Vorurteilen freies Bild" des Nachbarlandes zu vermitteln130. Befürchtungen, Paris werde während der Weltausstellung von fanatischen Nationalsozialisten überschwemmt, begegnete er mit dem Hinweis, daß es Frankreich doch nur recht sein könne, wenn Deutschland seine „besten Repräsentanten" schicke; diese Eliten verbreiteten nach der Heimkehr „une image vibrante et enthousiaste de la France"131. Auf Initiative Abetz' veranstaltete das CFA im Rahmenprogramm der Weltausstellung eine bilaterale Aussprache, die „Journées d'Etudes franco-allemandes", nach den Worten Bonvoisins ein Versuch „von berufenen Vertretern des deutschen und französischen Geisteslebens [...], einige der großen Probleme anzuschneiden, deren mangelnde Lösung in unseren Ländern ein Unbehagen andauern läßt, dessen Fortdauer zu einem Konflikt führen könnte"132. Vier Tage lang, vom 1937
127 128
129
130 "l 132
war
Besuch der Deutsch-Französischen Gesellschaft in Paris (4.-8.11. 1936), in: DFM, Dezember 1936, S. 442 f. Nach einem Bericht der Botschaft Paris sicherte die Stadt Paris dem CFA zu, daß es „bei allen Veranstaltungen, die Deutschland betreffen, zugezogen wird, bzw. Wünsche des CFA bereitwillig unterstützt werden". Kühn an v. Rintelen, 28. 4. 1937; PA/AA, Botschaft Paris 1049/2. Einweihung des deutschen Pavillons durch Minister Schacht; DFM, Juni 1937, S. 211. Über den deutschen Pavillon notierte ein Zeitzeuge: „Hunderttausende standen voller Bewunderung vor Maschinen und Modellen. Viele waren überzeugt, daß alle diese Vollkommenheiten erst seit Hitlers Regierungsantritt entstanden seien. Es lief eine Sympathiewelle für Deutschland durch das Land. Die bürgerliche Gesellschaft in Paris ging in sie jenen sonnigen Monaten mit dem beruhigenden Gefühl schlafen, daß das Dritte Reich auf vor dem so bedrohlich stürmenden Menschenpaar, das den Sowjet-Pavillon krönte, ewig beschützen werde." H. E. Lichten (pseud.), „Collaboration", S. 12. Abetz, Das offene Problem, S. 69. Abetz, L'Exposition de 1937, in: DFM, Juni 1937, S. 169ff. Gustave Bonvoisin, Die deutsch-französische Studientagung, in: DFM, Juli-August 1937, S. 249.
IV. Instrumente der
184
23. bis 26. Juni, wurden
„
Offensive de charme ": DFM und DFG
politische, wirtschaftliche und kulturelle Themen disku-
tiert, eine „immense tour d'horizon", wie Pichot erinnerte. „Symptomatisch" dünkte ihn die Tatsache, daß wenigstens so viele Deutsche wie Franzosen an der Tagung teilnahmen („Et nous sommes à Paris!")133 ein deutliches Indiz für straffe Führung und organisatorische Überlegenheit der Berliner Gesellschaft, -
deren Troß die Pariser Bühne weidlich für seine Parolen nutzte134. Friedrich Grimm verbreitete sich in sattsam bekannter Manier und unwidersprochen über den Nationalsozialismus als „internationalen Friedensfaktor", jeglichem Angriffsdenken abhold und dem Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten verpflichtet135. Abetz assistierte während einer von den Frontkämpfern geleiteten sicherheitspolitischen Debatte mit der längst zur Phrase verkommenen Offerte, Deutschland akzeptiere jede Rüstungsbegrenzung und -kontrolle, sofern dies auch die anderen Staaten täten136. Charakteristisch für sein Konstrukt einer deutsch-französischen Entente erscheinen seine Anmerkungen zu den kulturpolitischen Referaten. Vom „gemeinsamen Bodensatz" zweier großer Nationen schwärmend, die „mystische Bande" einten, plädierte er für eine koordinierte, wechselseitige Übersetzung zeitgenössischer Literatur, die das jeweils vorherrschende Denken authentisch wiedergebe137. Gewichtigen Anteil hatte Abetz am Zustandekommen einer Entschließung deutscher und französischer Journalisten, die zu den wenigen konkreten Ergebnissen der Tagung zählte. Die rund 30 Unterzeichner wollten im Einvernehmen mit den Frontkämpfern in „ständigen Nachrichtenaustausch" treten, um Gefahren für den Frieden durch „falsche und tendenziöse" Berichterstattung vorzubeugen und eine „schnelle Richtigstellung von Irrtümern oder Entstellungen" zu gewährleisten138. „Deutschland ist in Frankreich zurzeit geradezu Mode", scherzte Ernst v. Weizsäcker im November 1937, ahnungsvoll ergänzend, lange werde diese
133 134
Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 64. Laut offiziellem Tagungsbericht war die
DFG mit 125 Personen präsent. Comité France-
Allemagne, Journées d'Etudes franco-allemandes, Compte rendu, Paris o.J. (173 S.); ein AN, 43 AS 9. Das Tagungsprogramm abgedruckt bei UnExemplar im Ñachi. Pichot, teutsch, Sohlbergkreis, S. 136 f. Einladungsschreiben des CFA und Programm bei den Akten der Dienststelle Ribbentrop; PA/AA, R 27183. Das Juli-August-Heft der DFM veröffentlichte die beiden Grundsatzreferate in Sachen Kultur: Hans Friedrich Blunck, Les relations culturelles entre la France et l'Allemagne, S. 223-234; Henri Lichtenberger, Die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, S. 235-245 (dieser Beitrag hat im Tagungsprotokoll den abweichenden Titel „L'influence de la culture allemande
sur
la culture
française"); außerdem das schon zitierte Schlußwort Bonvoisins,
S. 246-249. Für die thematische Beschränkung wurden Platzgründe geltend gemacht; vgl. Walter Franke, Les Journées d'Etudes franco-allemandes, S. 221. Die Auswahl spiegelt
freilich ausgerechnet den Bereich, in dem werden konnte.
am
unverbindlichsten Harmonie demonstriert
Vgl. Grimm, L'Allemagne et l'Europe, Compte rendu, S. 14ff. Bonvoisin nannte Grimms Ausführungen „meisterlich" (DFM, S. 246). 136 Diskussionsbeitrag Abetz, 24. Juni, Compte rendu, S. 92 ff. 137 Diskussionsbeitrag Abetz, 25. Juni, ebenda, S. 142ff. 138 Abgedruckt DFM, Juli-August 1937, S. 247. Dieser Vorgang wird im nächsten Kapitel näher erörtert, im Zusammenhang mit Abetz' Einflußnahme auf die französische Presse.
135
2. Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
185
„günstige Disposition wohl nicht mehr vorhalten"139. Einstweilen aber erlebte der deutsch-französische Verständigungstourismus einen regelrechten Boom. Frontkämpfer und Jugendliche, Künstler und Athleten, Verwaltungsfachleute und Notare, Psychologen und Hundezüchter überquerten in beiden Richtungen den Rhein, häufig unter den Auspizien von DFG und CFA140. Selbst Spitzenmilitärs trafen sich zum zwanglosen Meinungsaustausch. Im Juni 1937 reiste der Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, nach Paris. Während seines als Privatbesuch deklarierten Aufenthalts konferierte er mit Gamelin, Pétain und Daladier141 und bereitete gewissermaßen den Boden für eine Visite von Fliegergeneralen im Oktober, die angeführt wurden vom Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium, Erhard Milch. Wenige Jahre zuvor hatte die deutsche Luftwaffe noch als illegal gegolten, nun wurden ihre Vertreter mit militärischen Ehren empfangen und hoffte der betagte Kommandeur des Luftkreises Paris, Keller, daß die Streitaxt „nach tausendjährigem Krieg" für ewig begraben sei142. Beide Missionen paßten in den Rahmen der Hitlerschen Frankreichpolitik „mit ihrem opportunistischen Offenhalten beider Optionen, der Kooperationsoption und der Vernichtungsoption"143. Daß viele Franzosen lange, allzulange auf die erste setzten, war zu nicht geringen Teilen zweifelhaftes Verdienst der DFG. Sowenig der ,Anschluß' Österreichs im März 1938 Otto Abetz an der Rechtmäßigkeit großdeutscher Ambitionen zweifeln ließ144, sowenig vermochte er den Elan führender CFA-Mitglieder zu bremsen; lediglich bei manchen Anciens combattants machte sich Ernüchterung breit. Ende Juni (20.-25.6.) gaben sich die Gesellschaften beim „2. Deutsch-Französischen Kongreß" in Baden-Baden ein Stelldichein. Acht Jahre waren vergangen seit jenem denkwürdigen Treffen auf dem nahen Sohlberg. Statt in Zelten nächtigte man nun in komfortablen Hotels, Darbietungen im Konzertsaal ersetzten die Gesänge am Lagerfeuer, die alte Garde aber war zahlreich vertreten. Zu einem Zeitpunkt, da das deutsch-französische Verhältnis „nicht unerheblichen Rückschlägen" ausgesetzt war145, die Sudetenkrise schwelte und der Spanische Bürgerkrieg tobte, erörterten die Konferenzteilnehmer eine Woche lang den „Beitrag Deutschlands und Frankreichs zum kulturellen Leben Europas" ein denkbar unverfängliches Thema, das bewußt die große Politik ausklammerte, „für die ja weder die Deutsch-Französische Gesell-
139 v. Weizsäcker an v. 140 Siehe die fortlaufende 141
142 143 144
145
Papen, 23. 11. 1937; AD AP, D I, Nr. 35. Chronik „Begegnungen/Contacts" in den DFM. Becks Reisebericht in ders., Studien, S. 295 ff. Beck ging es nicht um einen Schachzug im psychologischen Krieg, sondern um einen persönlichen Beitrag zum Brückenschlag zwi-
schen militärischen Befehlshabern beider Nationen, wie v. Schramm,... sprich vom Frieden, S. 89, hervorhebt. Zit. bei Irving, Die Tragödie der deutschen Luftwaffe, S. 107. Vgl. den Bericht „Kamerad-
schaft der Flieger", in: DFM, Oktober-November 1937, S. 362. Klaus-Jürgen Müller, Frankreich in der Sicht des Auswärtigen Amtes und der militärischen Führung, in: Bariéty u. a. (Hrsg.), La France et l'Allemagne, S. 39. Abetz, Das offene Problem, S. 85ff.; vgl. den DFM-Leitartikel „Le respect des réalités", März-April 1938, S. 89-94. So der Vorsitzende der DFG Baden, Frhr. v. Dusch, mit Blick auf Österreich. Den Anschluß' verteidigte er als „Verwirklichung des Traumes unserer Besten seit Jahrhunderten"; DFM, Juli-August 1938, S. 245.
186
IV. Instrumente der
„
Offensive de charme ": DFM und DFG
schaft noch das Comité France-Allemagne zuständig sind"146. Georges Scapini erhoffte sich eine „Bestandsaufnahme" zivilisatorischen Erbes und zugleich ein geschärftes Bewußtsein dafür, wie sehr ein Krieg dieses kostbare Gut gefährden würde147. Das korrespondierte mit der von Abetz und Bran gepflegten Vorstellung, kulturelle Austauschbeziehungen und friedlichen Gedankenwettstreit zu intensivieren, auf daß die beiden Nationen „in den übrigen Welträumen [weniger hart] aufeinander stoßen"148. Fast im selben Atemzug wurde freilich versucht, mit dem „einigenden Band" der Kultur ein neues Paket revisionistischer Ansprüche zu schnüren und Energien, die dem Expansionsstreben des Reiches Einhalt gebieten wollten, zu fesseln. „Wenn sich Frankreich heute vor die Alternative gestellt sieht, ob es den Willen von VA Millionen Sudetendeutschen, sich aus einer ihrer unwürdigen Vormundschaft zu befreien, bekämpfen oder verstehen soll, so liegt auch hier jenseits richtiger oder irriger machtpolitischer Erwägungen eine geistige Gewissensfrage vor: Ist deutsche Kultur wert, der tschechischen geopfert zu werden?" Die zynische Frage findet sich im Leitartikel eben jener DFM-Ausgabe, die den Baden-Badener Kongreß dokumentiert149. Experten ihres Fachs referierten vor zahlreich erschienenem Publikum und einiger Politprominenz über zeitgenössische Literatur, Architektur, Theater und Film, wissenschaftliche Forschung und die „Schönheit der Lebensgestaltung", die sich den Gastgebern bezeichnenderweise vor allem bei Arbeit und KdF erschloß, während der französische Dozent zu einem appetitanregenden kulinarischen Streifzug durch seine Heimat ausholte150. Ähnliche Divergenzen waren bei sämtlichen Referaten zu beobachten: Um Objektivität bemühte Ausführungen wech146 147 148
Ist eine deutsch-französische Verständigung noch möglich?, in: Wille und Macht, 6. Jg./ Heft 14, 15. 7. 1938, S. 27. Scapini, Was wir von Baden-Baden erwarten, in: DFM, Juli-August 1938, S. 247. Bran in der Zeitschrift Die Westmark. Monatsschrift für deutsche Kultur, August 1938, zit. bei Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 144. Auch Hitler hat in seinen Friedensbeteuerungen immer wieder die „kulturelle Gemeinschaft" Deutschlands und Frankreichs hervorgeho-
ben, sie mit Schreckbildern eines kulturfeindlichen Bolschewismus kontrastiert und
gewiß eine besondere Saite in Abetz zum Klingen gebracht. So meinte er am vor dem Reichstag, beide Völker achteten einander nicht nur als tapfere Kämpfer, sondern auch „wieder als Träger und Forterhalter eines großen allgemeinen menschlichen Kulturguts". Alphonse de Chäteaubriant sagte er bei einem Interview Ende August 1938, es bestünden „Bande, die aus unserem Gedächtnis nicht verwischt werden können. Wir haben Ideale ausgetauscht und uns gegenseitig Beispiele und Lehren gegeben [...] Wir haben weniger Grund, uns zu hassen, als uns gegenseitig zu bewundamit
7. März 1936
dern." Botschafter Coulondre versicherte er bei dessen Antrittsbesuch (22. 11. 1938), Deutsche und Franzosen hätten „allen Anlaß [...], sich auf geistigem wie auf wirtschaftlichem Gebiet zu ergänzen und ehrlich zusammenzuarbeiten", zur „allseitigen Bereicherung nicht nur unserer beiden Länder, sondern ganz Europas". Zit. bei Domarus, Hitler,
149 150
I, S. 586, 887, 979. Leitartikel „Der zweite deutsch-französische Kongreß", unsig.; DFM, Juli-August 1938,
S.242Í. Herbert Steinwarz, Schönheit der Arbeit, ebenda, S. 334-342; Edouard de Pomiane, Die französische Kochkunst, S. 343-351. Die meisten Beiträge und eine stattliche Anzahl Fotos in einer „Kongreßsondernummer" der DFM, in einer deutsch- und einer französischsprachigen Ausgabe erschienen. Das Tagungsprogramm im Juni-Heft, S. 238 f., und bei Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 139 f.
2. Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
187
ideologisch aufgeladenen Elogen auf völkische Dichtkunst, größenwahnsinnige Bauvorhaben und anderes mehr151. Eine krasse Kostprobe nationalsozialistischen Ungeistes, kaschiert durch den harmlos klingenden Titel „Neue Forschungen der deutschen Wissenschaft", lieferte Prof. Eugen Fischer, Leiter des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie. Er verbreitete sich über Erblehre, Rassenhygiene und sogenanntes „unwertes Leben", wobei er offen und unumwunden bekundete: „Daß es hier nötig ist, daß der Staat eingreift, ist eine Selbstverständlichkeit." Hitler, der das Problem richtig erkannt habe, pries er als genialen Politiker152. DFG-Präsident v. Arnim prahlte hernach von „Forschungsergebnissen, die uns auf diesem Gebiet an die Spitze der internationalen Wissenschaft stellen"153, während Brinon, mit einer Jüdin verheiratet, sich zu der peinlichen Würdigung herbeiließ, Fischer habe „eine Sicht auf eine bessere Menschheit selten mit
[eröffnet], über die man auch bei uns nachdenken sollte"154. Freudig überrascht reagierten die Franzosen auf die Einweihung eines Couber-
tin-Denkmals im Stadtpark, eine Episode, die nebenbei ein Schlaglicht auf Abetz' fmprovisationsgabe und sein Gespür für vereinnahmende Effekte wirft. Die idee, schreibt er in seinen Memoiren, sei ihm erst unmittelbar vor der Abreise von Berlin nach Baden-Baden gekommen. Von einer eilends aufgetriebenen Büste wußte indes keiner der deutschen Organisatoren mit Sicherheit zu sagen, ob sie tatsächlich den Erneuerer der Olympischen Spiele, dem auf der Tagung ein Vortrag gewidmet war, darstellte. Daß er richtig lag, konnte Abetz erst bei der Enthüllung an den entzückten Mienen im Publikum ablesen155. Der Kongreß, angereichert durch kulturelle Veranstaltungen, Ausflüge und eine Modenschau, endete in demonstrativer Eintracht. Zwar erinnerte v. Arnim das deutsch-französische Verhältnis an „zwei Parallelen, die sich erst im Unendlichen schneiden", doch dominierte in seinem Schlußwort wiederum das Hohelied „geistiger Verwandtschaft", die die „gefährliche Strömung der letzten politischen Ereignisse" zu korrigieren imstande sei. Herausgestellt wurde das Engagement Brinons, dessen Hartnäckigkeit es in erster Linie zu verdanken sei, daß die Tagung ungeachtet der politischen Spannungen stattfand, der es ferner verstanden habe, die französische Presse für das Ereignis zu interessieren: „Er zeigte sich vom Schlage jener Männer, für die Widerstände nur da sind, um überwunden zu werden."156 Die propagandistische Bedeutung, die dem Unterfangen auf deutscher Seite beigemessen wurde, tritt in diesen Worten klar zutage. Der Gelobte versprach, sein von „restloser Überzeugung" getragenes Wirken gegen „alle Angriffe,
Vgl. Josef Nadler, Zeitgeschehen im neueren deutschen Schrifttum, in: DFM, JuliAugust 1938, S. 248-262; Ernst Sagebiel, Die neuere deutsche Architektur, S. 275-282; Leni Riefenstahl, Der Dokumentarfilm als Kunstwerk, S. 290-292. Genaue Analyse bei Unteutsch, Sohlbergkreis, S. 140ff. 152 DFM, Juli-August 1938, S. 296-309. 153 v. Arnim, Rückblick auf Baden-Baden, ebenda, S. 353. 154 Brinon, Schlußansprache, ebenda, S. 358. 155 Abetz, Das offene Problem, S. 72 f. Siehe auch Melchior de Polignac, Baron Pierre de Coubertin und die Wiedererweckung der Olympischen Idee durch Frankreich, in: DFM, Juli-August 1938, S. 321-333. '56
151
v.
Arnim, Rückblick, S. 352 ff.
188
7V. Instrumente der
„
Offensive de charme": DFM und DFG
Böswilligkeit, Ränke und Dummheit" fortzusetzen157. Aus solchem Holz ein kommender führender Kollaborateur der deutschen Besatzungsmacht geschnitzt. Bei einigen von Brinons Vorstandskollegen im Comité France-Allemagne zeichnete sich dagegen ein Ende der wohlwollenden Tolerierung NaziDeutschlands ab. Im Urteil Pichots hatte das Tête-à-tête am Fuße des Schwarzwalds keinen Bezug mehr zur Realität, erschöpfte sich die Arbeit der Schwestergesellschaften, ohne die politische Entwicklung in geringster Weise zu beeinflussen, jenseits der Schmerzgrenze im nutzlosen Austausch nobler Gesten: „L'effet de tout cet effort de connaissance et de compréhension sur les événements est nul." Das Tagungsprogramm erschien ihm ebenso verführerisch wie halluzinös, die Auftaktrede v. Duschs voller Trugschlüsse und Widersprüche: „S'il ne parlait sérieusement et avec conviction, on penserait qu'il est plein d'humour." Das Experiment einer Verständigungsbewegung .von unten', organisiert von zwischenstaatlichen Institutionen, drohte unwiderruflich zu scheitern158. Nach der Münchener Konferenz weitete sich die Kluft innerhalb des Komitees zwischen Befürwortern einer festen Deutschlandpolitik (besonders Pichot und Goy) und solchen, die wie Brinon, Henry-Haye oder Scapini allen Belastungsproben zum Trotz einem Ausgleich das Wort redeten und eine Abgrenzung der Einflußsphären als entscheidenden Schlüssel betrachteten159. Beide Fraktionen drängte es in dieser Phase, aktiv auf die politische Willensbildung im Lande einzuwirken. Pichot fuhr nach München, um den Schulterschluß der Union fédérale mit der Regierung Daladier zu demonstrieren160. Scapini weilte Anfang September 1938 in Berlin, sprach ausgiebig mit Weizsäcker, Abetz und Ribbentrop und setzte den französischen Außenminister Bonnet postwendend über die grimmige Entschlossenheit seines deutschen Amtskollegen in Kenntnis. Ihm leuchte nicht ein, so Ribbentrop, weshalb Frankreichs Ehre berührt sei, wenn 3,5 Millionen Sudetendeutsche das Reich um Schutz und Unterstützung bäten. Bei neuerlichen Provokationen werde man die Tschechoslowakei kurzerhand vernichten („anéantir"). Sollte sich hieraus ein deutsch-französischer Krieg entwickeln, wäre dies ein Wahnsinn ohnegleichen, obschon die Deutschen Recht und Moral auf ihrer Seite wüßten161. Am 26. Oktober legte Scapini dem CFA-Präsidium einen „Aktionsplan" vor, der die Bildung eines ständigen Forums anregte, in dem Europas Staatsmänner die Interessen ihrer Nationen aufeinander abstimmen sollten162. Einem Brief Jean Weilands vom darauffolgenden Tag ist zu entnehmen, daß das Präsidium beschloß, eine Delegation ins Außenministerium und zum Ministerpräsidenten zu entsenden, um Vorschläge für eine tragfähige Deutschlandpolitik zu gegen
war
157
158
Brinon, Schlußansprache, S. 356 ff.
Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 76 ff. Mit einer Mischung aus Wehmut und spricht Pichot vom „letzten deutsch-französischen Salon" und betitelt diesen Ab-
Wut
schnitt seiner Erinnerungen „Die Totenglocke von Baden-Baden". Vgl. Kap. VII. 160
159 161
162
Pichot, Et ce fut, pag. 81.
an Bonnet, „Note sur la situation franco-allemande à la date du 4 Septembre 1938"; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. Vgl. Text der Ausführungen Scapinis bei den Akten des Auswärtigen Amts; PA/AA, Bot-
Scapini
schaft Paris 1049/2.
2.
Deutsch-Französische
Gesellschaft und Comité France-Allemagne
189
traute man sich offenkundig zu. „Notre mieux effet Comité", Weiland, „est qualifié que qui que ce soit pour éclairer le Gouvernement, car les contacts qu'il a eus depuis quelques années avec nombre de dirigeants allemands lui permettent d'avoir une opinion motivée et une doctrine."163 Exemplarisch geben diese selbstbewußten Worte, ebenso wie Scapinis Bericht für Bonnet, den Blick auf eine jener Einfallschneisen frei, deren sich die
unterbreiten. Die so
nötige Kompetenz en
NS-Führung dank der umtriebigen Bemühungen eines Otto Abetz immer wieder
bedienen konnte, um die Franzosen in zeitraubende Diskussionen über die deutschen Absichten und die eigene Position zu verwickeln. Auch der Hoffnungsfunke, der sich an der Unterzeichnung einer deutsch-französischen Freundschaftserklärung am 6. Dezember 1938 in Paris entzündete, verglomm rasch. Ein letztes Mal konnte sich das CFA öffentlichkeitswirksam als taugliches Relais für friedliche Vermittlung präsentieren; es war mit einem Frühstücksempfang zu Ehren Ribbentrops in den Staatsakt eingebunden. Einmal mehr versicherte man einander, im „Rahmen der Möglichkeiten" (Scapini) einen „wertvollen psychologischen Beitrag" (Ribbentrop) zur Verbesserung der Beziehungen leisten zu wollen164. Noch am 16. Februar 1939 sprach Henri Lichtenberger anläßlich der Gründung einer DFG-Sektion Ostmark in der Wiener Hofburg. Zusammen mit dem Wiener Romanisten Moldenhauer behandelte er den Evergreen der von DFG und CFA verfochtenen Verständigungsphilosophie: die verwandten, zu fruchtbarer Ergänzung prädestinierten kulturellen Wurzeln von Latinität und Germanentum165. Wenige Wochen später entzog der nationalsozialistische .Griff nach Prag' solchen Parolen endgültig den Resonanzboden in Frankreich. Ein landesweiter, gravierender Stimmungsumschwung gegen die deutschen Aggressoren spaltete das Comité France-Allemagne, das seine Tätigkeit nach heftigen internen Kontroversen einstellte166. Auf die grundsätzlich prodeutsche Haltung etlicher Mitglieder hatte das blamable Ende keinen Einfluß. Nicht zuletzt in ihren Reihen rekrutierte Otto Abetz, kaum daß er im Jahre 1940 ins besetzte Paris zurückgekehrt war, zuverlässige Stützen der Kollaboration.
163 164
165 166
Weiland an Gustave Bonvoisin, 27. 10. 1938, ebenda (Hervorhebung durch den Verf.). Georges Scapini, Bereinigung der Atmosphäre (Ansprache beim Empfangv. Ribbentrops Ribbentrop, am 7. 12. 1938), abgedruckt DFM, Dezember 1938, S. 529f.; Joachim D'Etat à Etat, de Peuple à Peuple (Erwiderung des Reichsaußenministers), S. 531 f. Fondation de la section „Ostmark" de la Deutsch-Französische Gesellschaft, in: DFM, März 1939, S. 188.
Vgl. Kap. VII.
V. Einflußnahme mit System: „le réseau Abetz" 1.
„Il rayonnait dans toute la France":
Gespräche, Empfänge und politische Manöver August 1940 griff Heinrich Georg Stahmer, ein enger Mitarbeiter des Reichsaußenministers, zur Feder, um einen für die Presse bestimmten Artikel über den Im
soeben zum Botschafter ernannten Otto Abetz zu entwerfen. „Wer ihn seinerzeit bei der Arbeit beobachtete", schrieb er im Rückblick auf ihre gemeinsame Wegstrecke in der Dienststelle Ribbentrop, „mußte sich sagen, daß hier der richtige Mann am richtigen Fleck stand. Sein Einfühlungsvermögen und seine genaue Kenntnis der französischen Denkweise befähigten ihn, bei den Vertretern der verschiedensten Kreise Verständnis für die deutschen Ideen zu wecken. Sein Schwung und die Art seiner Sprache waren Franzosen verständlich und sympathisch."1 Was wie schiere Lobhudelei klingt, wird im Kern selbst von späteren Kritikern bestätigt. Jules Romains porträtiert Abetz als stets zu Spaßen aufgelegten jungen Mann mit guten Manieren und angenehmer Stimme: „il aurait très bien pu être de Flandre française ou d'Alsace"2. Henri Pichot beeindruckten die exzellenten landeskundlichen Kenntnisse: „C'est un homme cultivé. Il sait beaucoup de choses sur la France, sur sa littérature, son histoire, ses arts même." Wer je erlebt, mit welcher Leichtigkeit und Sicherheit er sich in Paris bewegte, habe kaum glauben mögen, einen ehemaligen Zeichenlehrer aus kleinen Verhältnissen zu treffen3. Ohne Berührungsängste, charmant und eloquent knüpfte Ribbentrops Frankreichreferent in den Vorkriegsjahren ein engmaschiges Beziehungsnetz, das Politiker aus entgegengesetzten Lagern ebenso umspannte wie Menschen, die aus vorwiegend persönlichen Motiven Interesse am ,neuen' Deutschland zeigten. Dieses „réseau Abetz"4 erscheint in mehrfacher Hinsicht symbolträchtig: Es kennzeichnet das zunehmend schizophren wirkende Bemühen seines Schöpfers, durch umfassende informelle Kontakte und propagandistische Infiltration einem deutsch1 2
3
4
H.G. Stahmer, „Botschafter Otto Abetz", mit Anschreiben Stahmers (Berlin) an Abetz (Paris) vom 11. 8. 1940; PA/AA, Personalakte Abetz/1. Romains, Sept mystères, S. 222. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 41. Mit gleichem Tenor das Urteil Lazareffs, bezogen auf Jahresbeginn 1936: „Il avait pris plus d'assurance et plus de légèreté. Il était surtout beaucoup mieux habillé. Je n'avais plus devant moi le petit professeur de dessin de province en chandail et en espadrilles, mais un monsieur élégant qui portait une chemise de soie et des vêtements foncés de bonne coupe." Lazareff, Dernière édition, S. 265. Ein Ausdruck des Historikers Pascal Ory, Les collaborateurs, S. 14. Mit den Worten Feihls: „il rayonnait dans toute la France"; Verhörprotokoll Nr. 149/2 der Sûreté Nationale vom 1. 9. 1946, „Activité des services spéciaux en France et de leurs agents au sujet
d'Abetz", pag. 10; AN, 3 W 358, Dossier Feihl.
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Gespräche, Empfänge und politische Manöver
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französischen Konflikt vorzubeugen, bei ungeschmälerter Durchsetzung deutscher Machtansprüche. Es spiegelt charakteristische Züge nationalsozialistischer Frankreichpolitik bis 1939, die die westlichen Nachbarn gleichermaßen zu umgarnen wie zu fesseln trachtete. Darüber hinaus ist es ein Indiz für den desolaten Zustand der .Dritten Republik', das ihre mangelnde Entschlossenheit gegen äußere Feinde erklären hilft. Zentrale Zielgruppen Abetzscher Einwirkung -Jugendverbände, Anciens combattants, aufstrebende Publizisten und die im Comité FranceAllemagne versammelten Honoratioren wurden in den voraufgegangenen Kapiteln erfaßt. Dieser Abschnitt will das Bild seiner komplexen Verbindungen vervollständigen, wobei besonderes Augenmerk den Beziehungen im politischen und im journalistisch-literarischen Milieu gilt. Mit erkennbarem Stolz legte Abetz während eines SS-Disziplinarverfahrens 1937/385 seine Kontakte nach Frankreich offen. Eine für das Gericht angefertigte Liste nennt zunächst 17 Jugendverbände und studentische Organisationen, mit denen der Sohlbergkreis „schon vor der Machtübernahme" verkehrte6. „Gestützt auf diese Jugendbeziehungen" sei es 1934 gelungen, die Führer der größten Frontkämpferverbände, der „rechts eingestellten" UNC, der „gemäßigt linken" UF, der „politisch neutralen" Semaine du combattant sowie des Dachverbandes Confédération nationale für eine Fühlungnahme mit ihren deutschen Kameraden und Hitler zu gewinnen. Seit Beginn seiner Tätigkeit für die Dienststelle Ribbentrop habe er dann Beziehungen zu folgenden Parlamentariern „aufgenommen und ausgebaut": Barthélémy, Bedouce, Chouffet, Moutet, Rivière, Spinasse, Tasso (Sozialistische Kammergruppe); Bastid, Delbos, Le Bail, Lyautey, Mistler, Réthoré, Herriot, Chautemps, de Tessan (Radikalsozialisten); Béranger'% Fror', Lapie, de -
Monzie, Montagnon, Pomaret*, Déat, Bergery, Renaitour* (Neosozialisten/ Union socialiste); Blanchoin, Serre (Parti de la Jeune République); Baréty*, Creyssel, Fould, Poitou-Duplessy, Taittinger, Valentine, Dommange, Masset, Bataille, Chappedelaine*, Desbons, Dupuy, Montigny*, Beaumont, Besse, Piétri'% Thellier, Goy*, Chiappe, Scapini"', Ybarnegaray, Héraud, Peissel, Polignac*, Quenette, Barbot (Rechtsblock der Kammer); Pezet (Groupe démocrate populaire); Hüber, Elsaesser, Mourer, Stürmel (elsässische Abgeordnete)7. Unter den franzö5
Siehe
6
„Nachtrag zur Vernehmungsniederschrift vom 7. Dezember", 8. 12. 1937; BDC/Abetz. Die Aufzählung umfaßt: Jeunesses socialistes, Jeunesses radical-socialistes, Jeunesses laïques et républicaines, Ligue d'action universitaire, Union nationale des étudiants, Groupement universitaire franco-allemand, Groupe de Notre Temps, Groupe de l'Ordre Nouveau, Eclaireurs de France, Eclaireurs unionistes, Association catholique de la jeunesse française, Scouts de France, Jeunesses républicaines nationaux, Jeunesses patriotes, Jeunesses national-socialistes, Phalanges universitaires, Jeunes de l'Action Française. Die politischen Zuordnungen nach Abetz, ebenda. Etliche dieser Abgeordneten gehörten zeitweilig einer der häufig wechselnden französischen Regierungen an. Vgl. hierzu den
7
Kap. VI.
von 1932 bis 1940 bei du Réau, Daladier, S. 552 ff. Die mit Asterisken gekennzeichneten Deputierten waren Mitglieder des CFA, dessen stark konservativer Einschlag an dieser Aufstellung deutlich wird. Abetz verneint Kontakte zu Kommunisten. Die Straßburger Abgeordneten Jean-Pierre Mourer und Charles Hüber vertraten zwar die Elsässische Arbeiter- und Bauernpartei (Parti communiste autonomiste alsacien), doch hatten sie längst mit dem PCF gebrochen und gebärdeten sich
Überblick über die Pariser Kabinette
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sischen Schriftstellern rechnete er zu seinen Bekannten die Académie-Mitglieder Louis Bertrand, Pierre Benoît, Louis Gillet, Paul Valéry, Abel Bonnard und Georges Duhamel; ferner Jules Romains, Jean Giraudoux und aus dem Lager der politischen Rechten Pierre Drieu La Rochelle, Paul Morand, Thierry Maulnier, Robert Brasillach, Paul Marion, Georges Blond, Romain Roussel und Alphonse de Châteaubriant. An anderer Stelle weitete Abetz seine Erfolgsstatistik noch erheblich aus. „Die Jugendführer der .Action Française', Taittinger und die Jeunesses Patriotes', der Kreis um Hervé, [...], die Gruppen der .Francisten', [...], die Partei Doriots, die nationale Bauernjugend, Senator Henry-Haye und die parlamentarischen Freunde, die mit ihm gegen den Russenpakt intervenierten, die zahlreichen kleinen nationalen Kampfgruppen der französischen Jugend und die deutschfreundlichen Journalisten der nationalen Zeitungen und Wochenschriften Candide, Gringoire, Je suis partout, Emancipation Nationale und Liberté sowie die heute mit uns sympathisierenden Führer der Feuerkreuz-Bewegung sind durch mich [...] zu einem Einsatz in Wort, Schrift und Tat für die Verständigung mit dem Dritten Reich gewonnen worden."8 Zwar liegt die Vermutung nahe, daß er unter den obwaltenden Umständen Anschuldigungen aus Kreisen der Reichsstudentenführung gefährdeten damals seine Position Umfang und Bedeutung seiner Verbindungen hochspielte; anderseits tauchen die meisten Namen im einen oder anderen Zusammenhang der von Abetz und der DFG gesteuerten Austauschbeziehungen wieder auf. In Polizeiverhören nach dem Krieg hat er viele der Genannten als Kontaktpersonen bestätigt. Befragt, mit welchen Franzosen er vor 1940 näheren Umgang gepflogen habe, berichtete er auch von eingehenden politischen Gesprächen mit Senator Henri de Jouvenel und den Ministern Herriot, Bonnet, Champetier de Ribes, de Monzie und Reynaud9. In Pariser Journalistenkreisen kannte sich Abetz ebenfalls aus. Seine bevorzugten Ansprechpartner auf diesem Gebiet waren neben Luchaire und Bertrand de Jouvenel vor allem Brinon, dessen Bekanntschaft er Anfang Dezember 1934 gemacht hatte, und Jean Fontenoy, Mitarbeiter ¿er Agence Havas, ein strammer Antibolschewist, der sich ein faschistisches Frankreich erträumte und wie Jouvenel in Doriots Sammlungsbewegung Parti populaire français (PPF) mitmischte10. Eine weitere überaus nützliche -
-
„chaque jour plus
S. 179 vermerkt. 8
9
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autonomistes que communistes", wie
Ory,
Les
collaborateurs, auf
„Aktennotiz Abetz zum Vorwurf, in seiner Arbeit als Frankreich-Referent der Dienststelle des Botschafters französische Linkskreise ungerechtfertigt zu bevorzugen und dadurch Beziehungen zum nationalen Lager in Frankreich zu gefährden"; Entlastungsmaterial Abetz im SS-Gerichtsverfahren 1937/38, Aufzeichnung III.d; BDC/Abetz. L'Emancipation Nationale und La Liberté waren Zeitungen Doriots. Verhörprotokoll Nr. 204/35 der Renseignements Généraux vom 21. 11. 1945, „Relations d'Otto Abetz avec certaines personnalités françaises (hommes politiques, intellectuels, artistes, milieux mondains etc.)"; AN, F 7/15331, ein weiteres Exemplar CDJC, LXXI-113. Über eine wichtige Unterredung mit Reynaud im Oktober 1938, bei der Abetz die Stimmung nach dem Münchener Abkommen auslotete, siehe Kap. VII. Vgl. Verhörprotokoll Nr. 204/13 vom 21. 11. 1945, „Action exercée par l'ex-ambassadeur Abetz sur les milieux de presse français"; AN, F 7/15331. Zu Fontenoy und dem PPF Burrin, La dérive fasciste, S. 286 ff. Feihl bezeichnete Fontenoy, der von vielen Deutschen ge-
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Kontaktbörse waren die Pariser Salons, traditioneller Treffpunkt klangvoller Namen aus Politik und Wirtschaft, Adel und Kultur. Abetz, den Kniebundhosen der Sohlbergzeit entwachsen und zum „diplomatischen Freischärler"11 im gut geschnittenen Anzug mutiert, „un garçon d'une grande intelligence, poète, artiste, homme de cœur"12, fand unter anderem Eingang bei der mit Reynaud liierten Comtesse de Portes und der Comtesse de Castellane, desgleichen bei den Crussols, den Polignacs und den d'Harcourts13. Seine vielen Pariser Bekannten, die ihn ihrerseits Parteifreunden, Geschäftspartnern, Verbandsmitgliedern vorstellten oder weiterempfahlen, ermöglichten Abetz die erfolgreiche Wahrnehmung jener „Spezialaufgaben"14, für die die Dienststelle Ribbentrop zuständig war: Sondierung der politischen Lage und der Stimmung vor Ort, Einflußnahme im Sinne der Reichsregierung durch informelle Gespräche, Korrespondenz und Verteilung einschlägigen Schriftmaterials, Bearbeitung der Presse mit Hilfe von materiellen Anreizen und verlockenden Exklusiv-Informationen, gezielte Einladungen nach Deutschland und Vermittlung eines positiven Bildes vom .Dritten Reich', das überaus selbstbewußt aber friedfertig, verständigungswillig, einzig auf legitime Ansprüche pochend dargestellt wurde. Abetz warb um Vertrauen, suchte germanophile Strömungen zu fördern, germanophobe zu neutralisieren, unterhaltsam, findig und mit System, die weltanschaulichen Präferenzen seines jeweiligen Gegenübers stets im Auge15. Er mag darin wiederum eine Chance erblickt haben, dem Ziel eines wie immer gearteten deutsch-französischen Ausgleichs zu dienen, den Annäherungsprozeß durch Einbindung aller erreichbaren Notabein und Bevölkerungskreise irreversibel zu gestalten. Aber auch diese Aktivitäten nützten letztlich nur Hitlers Plan, die Vormachtstellung der Franzosen zu brechen, sie jedoch in Sicherheit zu wiegen und in fruchtlose Debatten zu verwickeln, bis er sich zur kriegerischen Eroberung von .Lebensraum' gerüstet glaubte. Endgültig zerfließen an diesem Punkt die Grenzen zwischen Verführen und Verführtwerden: Eine NS-typische Blitzkarriere, groß-
11
ring geschätzt worden sei, als „ami personnel" von Abetz; Verhörprotokoll Nr. 149/8 vom 1. 9. 1946, „Quotidiens, hebdomadaires et périodiques ayant paru sous contrôle allemand durant l'occupation", pag. 9; AN, 3 W 358, Dossier Feihl. Laut Feihl eine Selbstcharakterisierung von Abetz. Verhörprotokoll Nr. 149/4 vom 1. 9. 1946, „Activité et organisation de l'Ambassade d'Allemagne à Paris en 1940", pag. 7, ebenda.
12
13
Brinon, „Bemerkungen zu Abetz", o.D. (aufgezeichnet im Vorfeld des Brinon-Prozesses 1947); AN, 411 AP 6. Ory, Les collaborateurs, S. 13. Abetz spielte diesen Bereich nach dem Krieg herunter: „Ils [les milieux mondains] furent peu fréquentés par moi." Protokoll Nr. 204/35, pag. 3; AN, F 7/15331.
14
Ansprache Ribbentrops auf der Weihnachtsfeier der .Dienststelle' 1936; PA/AA, R 27183. Vgl. Abetz: „Bei Ausübung meiner Tätigkeit stütze ich mich vor allem auf meine Beziehungen zu den führenden Politikern Frankreichs, den Journalisten und Schriftstellern, führende Frontkämpferverbände, Jugendverbände und Berufsverbände." Vernehmungs-
15
Vgl. Kupferman, Diplomatie parallèle; ders.,
niederschrift vom 7.12. 1937, pag. 2; BDC/Abetz.
Le bureau Ribbentrop et les campagnes franco-allemand in: Les relations franco-allemandes le 1934-1937, rapprochement pour 1933-1939, S. 87-98; Paillât, Le désastre de 1940, I, S. 300ff.; Piekalkiewicz, Ziel Paris, S. 38ff.
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zügige Arbeitsbedingungen und häufige angenehme Aufenthalte in Paris, das ihm
zur zweiten Heimat wurde16, mußten Abetz fast zwangsläufig den Blick dafür verstellen, daß sein Handeln den Lauf der Dinge nicht im erhofften Sinn beeinflußte, sondern die von ihm erzielten Resultate Hitler und Konsorten höchstens die Planung ihrer Coups erleichterten, weil französische Reaktionen besser abzu-
schätzen waren und man über zuverlässige Interpreten im Nachbarland selbst verfügte. Das bestärkte die braunen Machthaber in der verächtlichen Annahme, es mit einem zerstrittenen, zögerlichen, zu entschlossener Gegenwehr unfähigen Widerpart zu tun zu haben. Einflußreiche Leute jeglicher Couleur hörten Abetz, den Lobbyisten des Ausgleichs, der vielfach von seinem vor 1933 erworbenen Kredit zehren konnte17, an
und versorgten ihn mit nützlichen, manchmal brisanten Informationen. Über den Blum-Vertrauten Weil-Curiel, den er als „sehr impulsiv" und als „leidenschaftlichen Antifaschisten" beschrieb, brachte er, indem er ihn in Streitgespräche verwickelte, die Haltung der französischen Sozialisten zu tagespolitischen Fragen in Erfahrung. „Besonders wichtig war dies bei der Frage der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, der Wiederherstellung unserer Wehrfreiheit im Rheinland und der [...] Intervention Frankreichs im Spanienkrieg zugunsten der Roten. Die dabei ermittelten Entschließungen [der Sozialisten] waren von ausschlaggebender Bedeutung für meine Berichte an den Botschafter [Ribbentrop] kurz vor dem 16. März 1935, 7. März 1936 und [...] um die Jahreswende 1936 u. 37."18 Ein zweiter Draht zu Blum führte über Brinon, in dessen Haus der Parteichef ein häufiger Gast war. Die Bekanntschaft ging auf Brinons Frau zurück, Jeanne Franck, geschiedene Ullmann, die dem jüdischen Großbürgertum entstammte und im November 1934 zwei Söhne, Geld und Verbindungen mit in die Ehe brachte19. Besonders über Brinon, des öfteren in halboffizieller Mission nach Berlin geschickt und dort behandelt, „als sei er Frankreichs Außenminister"20, aber auch
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18
19
„Paris me devient une patrie." Zit. von Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 84. Vgl. Lazareff, Dernière édition, S. 267: „Beaucoup [...] lui avaient gardé une sympathie personnelle". Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 10; BDC/Abetz. Abetz zufolge zog Blum, Ministerpräsident der Volksfrontregierung 1936/38, Weil-Curiel, der ihm bei einer tätlichen Auseinandersetzung mit Angehörigen der Action Française zu Hilfe geeilt war, zu „allen wichtigen internen Parteibesprechungen hinzu". Für die Aufhellung dieses Zusammenhangs danke ich Corinna Franz von der Universität Bonn. Auch ohne Auftrag beeilte sich Brinon, in Richtung Berlin zu versichern, daß die Volksfront ebenfalls einen Ausgleich mit NS-Deutschland wünsche. In einem Beitrag für die Deutsch-Französischen Monatshefte beschrieb er sie als „ein Wahlbündnis, das eher Widerstände und Unzufriedenheiten als bestimmte Anschauungen vereint". Blums Regie-
„weder nach innen noch nach außen etwas Revolutionäres". Was die Kommunisten betreffe, so werde man, „nachdem die Angst vor einer Beeinflussung der französischen Außenpolitik durch eine vom Ausland geleitete Partei sich gelegt hat, schließlich sehr bald feststellen, daß der Franzose, wenn es sich um die Regelung seiner Beziehungen zu geachteten und ehrlichen Nachbarn handelt, sich gegen alle Ratschläge von dritter Seite auflehnt". Brinon, Die Regierung der Volksfront und die deutsch-französischen Beziehungen, in: DFM, Juli 1936, S. 237-239. Maximilian Scheer, Ribbentrop und Brinon, in: Neue Weltbühne, 17. 11. 1938. rungsprogramm habe
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mit Hilfe von Luchaire, Senatorensohn de Jouvenel21 und anderen kam Abetz dicht an Spitzenpolitiker wie Daladier, Chautemps und Bonnet heran. Im Vorfeld der Stresa-Konferenz (11.-14. April 1935) erkundete er gemeinsam mit einem Mitarbeiter von Heß die öffentliche Meinung in Frankreich und traf sich zu diesem Zweck mit Abgeordneten, Journalisten und Frontkämpferführer Robert Monnier22. Wo traditionelle Werte wie Ehre und Gleichberechtigung im Spiel waren, mit denen Hitler Revisionsforderungen so geschickt begründete, fiel es ihm offenkundig leicht, den französischen Wehrwillen zu torpedieren, wie etwa vor Ausbruch der Rheinlandkrise. Anfang März 1936 streute er in Paris das Gerücht, daß 95 Prozent der Bevölkerung um den Preis einer Beseitigung des Versailler Vertrags dauerhaft Frieden mit Deutschland wünschten. In Windeseile war diese Zahl in aller Munde. In der Krisensitzung des Kabinetts am 7. März nahmen zwei Minister darauf Bezug und folgerten, daß es wohl aussichtslos wäre, das französische Volk zu den Waffen zu rufen23. Als sich die Sudetenkrise dramatisch zuspitzte, war er wiederum in der französischen Hauptstadt zur Stelle, antichambrierte und suchte aus seinem Blickwinkel nach „Sicherungen", die „den .Kurzschluß', den Krieg, verhinderten"24. Anatole de Monzie, damals Minister für öffentliche Arbeiten (Travaux publics) im Kabinett Daladier, empfing den Deutschen am 29. September 1938 auf Vermittlung de Jouvenels im Garten seines Ministeriums: „Je suis surpris de son optimisme. Il me parle de collaboration allemande, comme si rien ne s'opposait plus au travail en commun des deux nations toujours rivales et si souvent ennemies."25 Die Wochenzeitung La Lumière berichtete später, Abetz und andere hätten die Berliner Regierung während der Septemberkrise dank vorzüglicher Verbindungen mit außergewöhnlicher Genauigkeit über die politische Entwicklung in Paris, über Meinungen und Entschlüsse von Ministern, hohen Beamten und Parlamentariern unterrichten können. Zu den ergiebigsten Informationsquellen habe hierbei das Comité France-Allemagne gehört26. Daß solche Behauptungen nicht aus der Luft gegriffen waren, bestätigt ein Brief des CFA-Mitglieds Jean Weiland an den Vizepräsidenten Bonvoisin vom 27. Oktober, in dem Weiland schreibt: „J'ai entendu avec plaisir plusieurs de nos collègues affirmer, sans fausse modestie, que l'action du Comité France-Allemagne a certainement contribué à créer cette atmosphère grâce à laquelle la réunion -
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Bertrand de Jouvenel, nach den Februar-Unruhen 1934 aus der radikalsozialistischen Partei ausgetreten und in der Folge Visionen eines autoritären, nationalen Sozialismus anhängend, Gegner der Volksfront-Regierungen, gehörte von 1936 bis Herbst 1938 Doriots faschistischem Parti populaire français (PPF) an. Bis zur Münchener Konferenz blieb er Verfechter einer Verständigung mit Hitler-Deutschland, das er wie etliche seiner Altersgenossen als „aufsteigende Nation" begriff, ganz im Gegensatz zur .Dritten Republik', die zu wirksamen Reformen nicht in der Lage schien. Seine politisch-intellektuelle Biographie skizziert Sick, Vom Neoliberalismus zum Faschismus? Bericht der Sûreté Nationale vom 10. 4. 1935; AN, F 7/13434.
Lévy, Les Nouveaux Temps, S. 23. Abetz, Das offene Problem, S. 97. de Monzie, Ci-devant, S. 39. Monzie und der im Oktober 1935 verstorbene Henri de Jouvenel waren eng befreundet gewesen; vgl. B. de Jouvenel, Voyageur, S. 78. Le réseau
secret
de l'espionnage nazi
en
France, in: La Lumière, 9.
12. 1938.
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de Munich a été rendu possible."27 Die Zufriedenheit verströmende Feststellung ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß es Abetz gelungen war, dem Machtzentrum Frankreichs ein nach seinen Stichworten operierendes prodeutsches Meinungskorrektiv zu implantieren28. Mannigfache Gelegenheit, zwanglos, fast beiläufig auf die politische Willensbildung im Nachbarland einzuwirken, boten die Empfänge der Deutsch-Französischen Gesellschaft, denen häufig bekannte französische Politiker und Personen, die an internationalen Kongressen in der Reichshauptstadt teilnahmen, beiwohnten; meist wurden sie sogar ihretwegen inszeniert29. In Berlin war Botschafter François-Poncet Stammgast der DFG; Angehörige des Diplomatischen Korps besuchten regelmäßig Veranstaltungen der Zentrale und der Zweigstellen im Reichsgebiet. Eine kursorische Durchsicht der DFM -Jahrgänge 1936 bis 1939 ergibt folgende Liste hochrangiger Gäste (CFA-Mitglieder ausgenommen), denen anläßlich eines nicht unmittelbar von der DFG organisierten Aufenthalts an der Spree die Honneurs gemacht wurden: Handelsminister Paul Bastid und eine 15köpfige Gruppe französischer Abgeordneter (September 1936); Jacques Greber (Chefarchitekt der Pariser Weltausstellung) und der Politiker Anatole de Monzie (Oktober 1936); eine französische Delegation für Wirtschaftsverhandlungen und ca. 100 Automobilingenieure (März 1937); Pierre Comert, Pressechef des Quai d'Orsay (Dezember 1937); Ex-Ministerpräsident Flandin (Januar 1938); eine Gruppe französischer Verleger (Juni 1938; so wie sie wurden wiederholt Delegierte von Berufsverbänden begrüßt); General Vuillemin, Generalstabschef der französischen Luftwaffe (August 1938); eine Delegation der Pariser Handelskammer unter Leitung ihres Präsidenten Férasson (Oktober 1938); Paul Elbel, ehemaliger Wirtschaftsminister und Fraktionschef der Radicaux (Dezember 1938). Im gleichen Monat wurde dem neuen Botschafterehepaar Coulondre ein großer Empfang bereitet, im Januar 1939 einer Abteilung der Kavallerieschule von Saumur unter General Bridoux. Der Germanist Jean-Edouard Spenlé, Hochschulrektor aus Dijon, berichtete erkennbar geschmeichelt über die Aufmerksamkeit, die ihm während einer Vortragsreise in Deutschland allenthalben zuteil wurde. Auch ihn hieß die Berliner DFG willkommen, wie üblich im Beisein von Vertretern mehrerer Reichsministerien. Abetz brachte einen „toast particulièrement cordial" aus und feierte die deutsch-französische Zusammenarbeit auf geistigem Gebiet, wodurch sich bei Spenlé der Eindruck weiter festigte, französische Sprache und Kultur genössen jenseits des Rheins ein bislang unerreichtes Prestige30. Welchen Stellenwert 27 28
29
Weiland an Bonvoisin, 27. 10. 1938; PA/AA, Botschaft Paris 1049/2. Abetz berichtet von „mehreren interessanten Gesprächen" während der kritischen Tage Ende September, „mit politischen Persönlichkeiten aller Nuancen": Reynaud, Flandin, Champetier de Ribes, de Monzie, Herriot, Henri Bonnet. Das offene Problem, S. 87 f. Die DFM bemerkten hierzu, daß „alle internationalen Veranstaltungen, die in Berlin stattfinden, im Hause der Deutsch-Französischen Gesellschaft ihre Ergänzung nach der Seite einer besonderen und intimen Aussprache hin finden"; DFM, März-April 1938, S. 126. Umgekehrt dienten Veranstaltungen des CFA in Paris NS-Repräsentanten als Plattform zur
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Selbstdarstellung.
Bericht Spenlés vom 9. 12. 1938 bei den Akten des französischen Außenministeriums; zit. von Dominique Bosquelle, Voyages et séjours de germanistes français en Allemagne dans
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Zusammenkünfte dieser Art im Kalkül der Organisatoren hatten und wie akribisch sie geplant wurden, verrät ein Schreiben vom Juli f 939. DFG-Mitarbeiter Westrick bat das Auswärtige Amt um zügige, zuverlässige Benachrichtigung, wann immer politisch einflußreiche Franzosen in Deutschland erwartet würden. Dadurch werde „eine schnellere Erfassung und eine bessere Vorbereitung für den Besuch solcher Persönlichkeiten gewährleistet"31. Franzosen, die dem NS-Regime kritisch gegenüberstanden, erfreuten sich nicht selten ebenso hartnäckiger wie sanfter Einwirkungsversuche durch Otto Abetz. Davon zeugen seine ausdauernden Bemühungen um Vertreter der gemäßigten Linken, deren Mißtrauen nur „bei geschickter, persönlicher Bearbeitung" zu überwinden sei32. Ähnlich verfuhr er im Fall des Kölner Generalkonsuls Dobler, der Anfang Februar f 937 bei einem Vortrag an der Universität Köln den Rassentheorien Gobineaus und der Nationalsozialisten widersprach33. Abetz kreidete ihm an, einen für Februar f 935 vorgesehenen Vortrag Jules Romains' in der Domstadt mittels einer Intervention im Quai d'Orsay sabotiert zu haben34. Im Mai 1937 ließ er „nichts unversucht", eine Rede des Senators und führenden CFAMitglieds Henry-Haye zu hintertreiben. Laut Abetz bezeichnete Dobler die geplante Veranstaltung die Eröffnungsfeier der DFG Rheinland in Briefen an Henry-Haye und Scapini als „reine Nazipropaganda-Angelegenheit". Als Generalkonsul im Rheinland kenne er die Stimmung führender Kreise und der Bevölkerung gegenüber Frankreich und halte es angesichts der herrschenden Gehässigkeit nicht für opportun, den Anschein des Gegenteils erwecken zu wollen35. In Anbetracht dieser Vorgänge muß Abetz' Rat an die Kölner DFG-Leitung verblüffen: Ganz der Ribbentropschen „offensive de charme" verpflichtet, empfahl er, Dobler bei aller Vorsicht „mit dem größten Entgegenkommen" zu begegnen. Es wäre „erwünscht und angenehm, wenn ihm zu Ehren eventuell im Laufe des Sommers ein Abendessen in Köln arrangiert würde"36. -
31 32 33 34
35 36
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les années trente, in: Espagne/Werner (Hrsg.), Histoire des études germaniques en France, S. 260 f. Westrick an v. Rintelen (AA), 31. 7. 1939. Am 14. August antwortete die Kulturpolitische Abteilung des Auswärtigen Amtes zustimmend. PA/AA, Botschaft Paris 1270. Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 3 f.; BDC/Abetz. Siehe DFM, März-April 1937, S. 127. Aktennotiz Garben (Dienststelle Behrenstraße) über eine Besprechung mit Abetz, „Betr.: Vorbereitung der Gründung der DFG in Köln", 10. 5. 1937 (Dobler wird hier fälschlich
„Doppier" buchstabiert); PA/AA, R 27129.
Abetz an Robert Thiel (Gauleitung Köln-Aachen), 19. 5. 1937, ebenda. Aktennotiz Garben, ebenda. Henry-Haye trat auf und gab zu bedenken, daß der „bewundernswerte Dynamismus" der Deutschen die Aufgabe derer nicht eben erleichtere, die den Franzosen begreiflich machen wollten, daß er „nicht zwangsläufig aggressiv" sei. Er würdigte Deutschlands Rolle „im Hinblick auf die Verteidigung der europäischen Gemeinschaft gegen den drohenden asiatischen Ansturm" und meinte, der Glaube an „endgültige Aussöhnung" sei „heute schon so tief im französischen und deutschen Volke verwurzelt, daß keine Macht der Welt den Sieg des Verständigungsgedankens mehr aufhalten kann". Redemanuskript vom 28. 5. 1937 in deutscher Übersetzung bei den Akten der Dienststelle Ribbentrop, ebenda. Auch Dobler nahm an der Veranstaltung teil; DFM, Juni 1937, S. 211.
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sich nicht damit, ihre Pariser Schwestergesellschaft für lassen. Außerhalb der französischen Metropole, wo das CFA abgesehen von den Verbandszeitschriften der Anciens combattants kaum präsent war, versuchte man eigene Kommunikationsstrukturen zu schaffen. „An jede Zweigstelle ergeht die Anregung, [...] einen Teil der französischen Provinz zu betreuen", instruierte v. Arnim die neue Filiale in Köln. „Unsere südwestdeutschen Mitarbeiter haben sich den französischen Südosten mit der Hauptstadt Lyon, die Hansestädte Bordeaux und Marseille vorgenommen." Die DFG Rheinland sollte Lille und das nordfranzösische Industrierevier beackern und ihren Zielen „alle in diesen Bezirk fallenden kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Initiativen der Verständigung" erschließen37. Als „sehr geeigneter Ansatzpunkt" galten regionale Messen; so sollten auf Vereinbarung von Abetz Ende September 1937 auf einer Ausstellung in Marseille Exponate deutschen Kunsthandwerks und des Hamburger Tropeninstituts sowie ein Modell des Hamburger Hafens gezeigt werden38. Während seiner häufigen Aufenthalte in Paris trat Abetz gelegentlich selber als Vortragsredner in Erscheinung. Am 11. Januar 1938 sprach er auf Einladung des „Comité des conférences Rive Gauche" über das Thema „Die deutsche Jugend und der Glücksbegriff". Die gastgebende Gesellschaft, 1936 von Annie Jamet gegründet, von Georges Blond, Robert Brasillach und Thierry Maulnier unterstützt, wollte durch Sammlung junger rechtsrevolutionärer Kräfte eine innere Erneuerung Frankreichs vorbereiten39. Abetz idealisierte das nationalsozialistische Deutschland als vollkommenes Jugendreich, in dem eine verunsicherte junge Generation wieder Tritt gefaßt und zu sinnvoller Betätigung gefunden habe, ihre Begeisterungsfähigkeit neu entfacht worden sei. Die HJ habe eine Utopie verwirklicht: die autonome Erziehung der Jugend für die Herausforderungen des Staates, mit Aufgaben und Verantwortlichkeiten, gleichen Rechten und Pflichten für jedermann. Spielerisch lerne man dort gehorchen und führen, organisieren und verwalten, „et avant tout à vivre en commun", eine soziale Verhaltensform, die er als Grundzug deutschen Wesens beschrieb. Pantheistisch ausgerichtet, zugleich an christlicher Ethik orientiert und nach rassischer Vollendung strebend, liebe diese Jugend ihr Vaterland über alles, die deutsche Erde, in jungen Jahren erwandert, im Die DFG
begnügte
Deutschland werben -
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38
39
zu
-
Vorgabe in der Praxis aussehen konnte, veranschaulicht ein Dokument aus der Parteiverbindungsstelle der Dienststelle Ribbentrop. Abetz hatte erfahren, daß vom Parteitag der Radikalsozialisten Ende Oktober 1937 in Lille auch Emile Roche, Direktor der Zeitung La République und einstiger Partner Luchaires, berichten würde. Roche galt als Verfechter eines „Los von Moskau"-Kurses. Abetz regte daraufhin an, Journalisten aus dem Rheinland zu entsenden, die mit Roche und nordfranzösischen Abgeordneten KonWie diese
takt aufnehmen sollten. Aktennotiz Garben, 1. 10. 1937; PA/AA, R 27129. Am 4. Oktober notierte Garben, die Anregung sei aufgegriffen worden, die Devisenanträge würden beschleunigt bearbeitet. v. Arnim an Strenger, 31.5. 1937, ebenda. Im März 1937 war die DFG bereits auf der Lyoner Frühjahrsmesse mit einer kunsthandwerklichen Schau präsent. In Ergänzung hierzu sprach Friedrich Grimm als Gast der Gesellschaft für auswärtige Beziehungen über die Chancen einer deutsch-französischen Verständigung. DFM, März-April 1937, S. 127. Annie Jamet, sechsfache Mutter, starb im Februar 1938 im Alter von 32 Jahren. Ein Nachruf in DFM, März-April 1938, S. 131. Vgl. Ory, Les collaborateurs, S. 20.
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Arbeitsdienst kultiviert, während des Militärdienstes bewacht. Das militaristische Gebaren der Reichsjugend tat der Referent als weitgehend symbolisch ab; soldatische Tugenden wie Einsatzbereitschaft und Opfermut kämen auf den „Schlachtfeldern des Lebens", beim Aufbau Deutschlands zum Tragen. In diese Ausführungen, die Abetz nachgerade als Bannerträger der NS-Ideologie ausweisen, aber auch Reminiszenzen an jugendbewegte Sehnsüchte enthalten, war die rhetorische Frage eingeflochten, ob eine dergestalt saturierte Jugend nicht von der Hoffnung beseelt sein müsse, daß ihre Nation ebenfalls ein „Anrecht auf Glück" haben möge. In Anbetracht der unmittelbar bevorstehenden expansiven Phase nationalsozialistischer Außenpolitik mutet diese Bemerkung wie eine leise Vorwegnahme jener zweifelhaften Argumente an, mit denen Abetz und die Deutsch-Französischen Monatshefte künftig erst den .Anschluß' Österreichs und des Sudetenlandes, schließlich die Zerschlagung der Resttschechei und die Einverleibung Danzigs zu bemänteln suchten40. Wie raffiniert Abetz in taktische Manöver eingespannt wurde, verdeutlichen die Begleitumstände eines Interviews, das Hitler am 21. Februar 1936 Bertrand de Jouvenel für die Zeitung Paris-Soir gab. „Der Zeitpunkt war so gewählt", sagte Abetz, „um durch den Inhalt dieses Interviews Einfluß auf die französische Kammerabstimmung vom 27.2. zu gewinnen."41 Dabei ging es um die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes, den die deutsche Propaganda seit Monaten heftig bekämpfte und der auch in Frankreich keineswegs unumstritten war42. Hitler wollte nun offenbar über die Presse eine letzte Mahnung an die Adresse Frankreichs richten, den für die „Zusammenarbeit der europäischen Kulturnationen" angeblich so verderblichen Vertrag lieber nicht abzuschließen und statt dessen die Chance einer Verständigung mit dem Reich wahrzunehmen, für die er mit bewegten Worten warb43. Abetz und de Jouvenel hatten die Audienz um die Jahreswende 1935/36 eingefädelt. Aus Garmisch-Partenkirchen, wo erurlaubte und die Olympischen Winterspiele verfolgte, fragte der Franzose am 29. Januar schriftlich an, ob ein Gesprächstermin im Laufe der kommenden drei Wo40
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Abetz, La jeunesse allemande et le bonheur, in: DFM, Februar 1938, S. 59-69. Das „Rive
Gauche" bot auch anderen Emissären des .Dritten Reiches' eine Bühne. Am 15. Dezember 1936 sprach der Leiter des RJF-Auslandsamtes, Schulze, über das Thema „Jeunesse d'Allemagne -Jeunesse d'Europe". Er wurde eingeführt vom Präsidenten der Jugendorganisation der UF, der den Wunsch äußerte, die französische Außenpolitik möge künftig „weniger Engherzigkeit und Schwäche und mehr Großzügigkeit und Stärke" zeigen. Ein Bericht in DFM, Januar 1937, S. 37f. Am 26. Januar 1937 referierte DFG-Vorsitzender v. Arnim über gemeinsame Pflichten beim Erhalt abendländischer Kultur. Er variierte das propagandistische Leitthema, wonach eine konzertierte germano-latinische Anstrengung zur Abwehr zerstörerischer Kräfte aus dem Osten nötig sei. Siehe DFM, Februar 1937, S. 76 f. Am 26. Januar 1939 gab Leni Riefenstahl Kostproben ihres Filmschaffens; DFM, Februar 1939, S. 117. Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 6; BDC/Abetz. Am 21. November 1935 hielt Hitler François-Poncet eine „lange Schmährede gegen den Pakt", den er als ein gegen Deutschland gerichtetes Militärbündnis interpretierte. Poncet will schon damals die Überzeugung gewonnen haben, daß Hitler „zu einer Erwiderung" entschlossen war, etwa zur Besetzung der entmilitarisierten Zone im Rheinland. FrançoisPoncet, Botschafter in Berlin, S. 284 f.; siehe auch AD AP, C IV.2, Nr. 425. Interview-Text bei Domarus, Hitler, I, S. 579ff.
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chen möglich sei. Er unterstrich die zu erwartende Resonanz des Interviews, mit der er allein wegen des zur Veröffentlichung ausersehenen Mediums rechnete: „Tu sais que Paris-Soir tire maintenant à 2 200 000 exemplaires. Je n'ai pas besoin de te signaler combien le journal est anti-allemand. Qu'on lui donne quelque chose, sacrebleu, et le ton changera!"44 In der Tat beurteilte das Boulevardblatt HitlerDeutschland kritisch, obschon hinsichtlich der Friedenschancen optimistische Töne vorherrschten eine treffliche Gelegenheit, den Stier bei den Hörnern zu
packen45.
-
Abetz behauptet, er sei nach Paris beordert worden, um die Drucklegung der autorisierten Textfassung zu überwachen. Vor Ort habe er jedoch feststellen müssen, daß die französische Regierung bei Paris-Soir-Eigner Jean Prouvost interveniert und eine Sperrfrist bis zur Ratifizierung des .Ostpaktes' veranlaßt hatte. Bemühungen, das Veto aufzuheben oder das Interview kurzfristig bei einem anderen Blatt unterzubringen, seien gescheitert. Am Abend des 27. Februar, nach erfolgter Pakt-Ratifizierung, habe Ribbentrop angeordnet, daß ein Erscheinen jetzt nicht mehr in Frage komme. Eine unautorisierte Veröffentlichung in Paris-Midi, einer erheblich auflageschwächeren Zeitung der Prouvost-Gruppe, am Morgen des 28. Februar, die den Eindruck erwecken konnte, daß Hitler Frankreich wegen des Sowjet-Bündnisses nicht weiter gram war, sei indes nicht mehr zu verhindern gewesen46. Diese Darstellung, für sich genommen, läßt Abetz' Verhalten geradlinig erscheinen, zumal einleuchtet, daß gerade er das deutsch-französische Verhältnis ungern durch ein Abkommen zwischen Paris und Moskau belastet sehen wollte. Auch erscheint gesichert, daß Außenminister Flandin im Einvernehmen mit Ministerpräsident Sarraut auf Paris-Soir einwirkte, um den Publikationstermin des Interviews zu manipulieren47. Daß mehr hinter der Geschichte steckte, wird deutlich, sobald man die Schilderung Bertrand de Jouvenels daneben hält. Ihm zufolge zeigte Berlin nämlich von Anfang an keine Eile, das Interview in Druck zu bekommen, obwohl die Ratifizierungsdebatte im Pariser Parlament schon seit dem 11. Februar lief und vieles auf eine glatte Entscheidung zugunsten des Paktes hinwies. Man habe ihn lange warten lassen, ehe Hitler ihn empfing, und Ribbentrop habe fürs Korrekturlesen des fertigen Textes reichlich Zeit beansprucht. Da Interview und begleitende Reportage für eine Sonntagsausgabe vorgesehen waren, avi44 45
46 47
Jouvenel an Abetz (handschriftl.), 29. 1. 1936; BDC/Abetz. Zur politischen Linie von Paris-Soir Pierre Albert, La presse française de 1871 à 1940, in: Bellanger u. a., Histoire générale de la presse française, III, S. 526. Die durchschnittliche Auflage lag 1936 erheblich unter der von Jouvenel genannten Zahl, bei Ereignissen von großer Aktualität wurde jedoch häufiger die Zweimillionenmarke überschritten (S. 524 f.).
„Wer dieses Blatt besitzt, besitzt auch den Schlüssel für die Meinung der breiten Masse", urteilte die Propagandastaffel Paris im März 1941 und bescheinigte Paris-Soir einen vormals „riesigen" antideutschen Einfluß. Gruppe Presse der Propagandastaffel Paris, Dossier „Aufbau der Pariser Presse" (13 S. mit knappen Bewertungen); AN, AJ 40/1008. Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 6 f.; BDC/Abetz. Abetz, Das offene Pro-
blem, S. 78.
Vgl. Reynaud, Au cœur de la mêlée, S. 85; Lazareff, Dernière édition, S. 273 ff.; Jouvenel,
Voyageur, S. 255. Duroselle, La décadence, S. 163, zieht eine Intervention François-Poncets beziehungsweise des Quai d'Orsay in Betracht.
/.
Gespräche, Empfänge und politische Manöver
201
Pdris-SoiV-Equipe zunächst den 22. Februar, dann aufgrund der deutscherseits verursachten Verzögerungen den l.März als Erscheinungstermin; sierte die
Abetz sei hierüber unterrichtet gewesen, niemand habe Einwände erhoben. Dann aber sei Abetz am 25. Februar unangemeldet in Paris aufgetaucht, um im Auftrag Ribbentrops energisch zu verlangen, das Interview müsse sofort erscheinen, was Chefredakteur Lazareff, ein alter Bekannter des Deutschen, mit Blick auf die unmittelbar bevorstehende Abstimmung in der Kammer verweigerte. Von Abetz bedrängt, habe sich Lazareff auf Flandin berufen48. Jouvenel folgert, daß Ribbentrop wohl wissend, daß eine überzeugende Mehrheit für den Pakt nicht zu verhindern war49 die Publikation des Interviews ebenfalls, freilich aus anderen Beweggründen als die Pariser Regierung, hinauszögerte, um dann in einem völlig inakzeptablen Moment die unverzügliche Veröffentlichung zu fordern. Auf diese Weise konnten die Deutschen im nachhinein behaupten, Hitlers Annäherungsversuch sei der französischen Öffentlichkeit erst einmal böswillig vorenthalten worden. Eben dieses Argument wurde denn auch weidlich ausgeschlachtet, als es wenige Tage später darum ging, die Remilitarisierung des Rheinlands zu rechtfertigen50. Der Verdacht erhärtet sich, daß Abetz' Darstellung nicht die ganze Wahrheit spiegelt und er ausführendes Organ einer kühl berechneten Finte war, die darauf zielte, Hitlers Friedensbeteuerungen in möglichst scharfen Kontrast zur Entscheidung des französischen Parlaments zu setzen, Zweifel an ihrer Richtigkeit zu nähren und auch auf diese Weise die Bereitschaft der Franzosen, den nächsten deutschen Gewaltstreich hinzunehmen, zu erhöhen51. Verräterisch erscheint Abetz' Bemerkung, das Jouvenel-Interview habe „durch seine verzögerte Veröffentlichung im Zusammenhang mit der Ratifikation des Russenpaktes [...] weltpolitische Bedeutung" erlangt. „Genaue Kenner des französischen Lebens vertreten den Standpunkt, daß ohne die psychologische Wirkung in den Massen der französischen Bevölkerung es für die Pariser Regierung am 7. März [1936] leichter gewesen wäre, ernste militärische Maßnahmen zu ergreifen."52 Die Empörung ob der angeblich zu späten Veröffentlichung war offenkundig nur jenes Klappern, das zum propagandistischen Handwerk gehört53. -
-
Jouvenel, a.a.O., S. 250 ff. Das Abstimmungsergebnis in der Kammer lautete 353:164. Am 4. März stimmte auch der Auswärtige Ausschuß des Senats zu. 30 1936, Beispielhaft für diese Strategie die Darstellung der Ereignisse in DFM, April-Mai S. 168 ff. Schon am 2. März schimpfte Hitler im Gespräch mit François-Poncet über die „Intrige". François-Poncet, Botschafter in Berlin, S. 288. 51
48 49
52 53
Mit diesem Tenor Burrin, La dérive fasciste, S. 84 f. Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 5; BDC/Abetz. Ein Vortrag zum Thema „Hitler nous parle", den de Jouvenel am 14. März 1936 in Paris hielt, zeigt ihn, obwohl er für ein politisches Manöver mißbraucht worden war, um Verständnis für Nazi-Deutschland bemüht. Bedenkenswert seine Feststellung, die französische Politik habe seit Versailles weder den Mut besessen, Deutschland rechtzeitig und freiselwillig Zugeständnisse zu machen, noch die Energie, es zu hindern, seine Forderungenman ber zu verwirklichen. Das verleite die Deutschen zu der gefährlichen Überzeugung, könne von Frankreich auf dem Verhandlungsweg nichts und durch einen Gewaltakt alles erhalten. Das verspätete Erscheinen des Interviews erklärte Jouvenel mit dem Wunsch von Paris-Soir, „als reines Informationsblatt nicht mit der Veröffentlichung eines so hochpoli-
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Noch eineinhalb Jahre später wurde Rekurs auf die Episode genommen, um das Bündnis Paris-Moskau als „Anachronismus" und schwerwiegendes Hindernis für eine deutsch-französische Annäherung zu diffamieren. Im schon erwähnten, ganz auf Verständigung gestimmten Sonderheft von Wille und Macht vom Oktober 1937 fällt ein mit den Initialen „O.A." gezeichneter Beitrag auf, der mit großer Wahrscheinlichkeit von Abetz stammte54. Eine Schilderung des angeblich diabolischen kommunistischen Einflusses in Westeuropa „geschicktes Spiel der Sowjetunion, einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich zu provozieren" ging einher mit dem bekümmerten Hinweis, das Reich sehe sich „genötigt, bei allen deutsch-französischen Entscheidungen [...] die Rote Armee und die Komintern als bedrohende Gruppe" einzukalkulieren. Zukunft, suggerierte der Autor, verheiße eine ganz andere Konstellation: Deutschland, „Vorkämpfer des Germanentums" und durch „eigene Kraft gesicherte Großmacht", die sich „für den Fortbestand der über 2000jährigen Kultur Europas verantwortlich" fühle, „reicht Italien, dem Wiedererwecker der lateinischen Tradition, die Hand. Warum sollte es nicht möglich sein, daß die andere Großmacht der lateinischen Kulturwelt, Frankreich, und das große germanische Weltreich der Angelsachsen [...] gemeinsam mit Deutschland und Italien neue Grundlagen für die Sicherung des europäischen Friedens und der europäischen Kultur finden?"55 Das Modell reflektiert Hitlers Hoffen auf ein Bündnis mit Großbritannien ebenso wie Ribbentrops Konzeption eines kontinentaleuropäischen Blocks mit antisowjetischer Spitze. -
-
2. Franzosen für das
,Dritte Reich':
Manipulation der Presse und Einladungen nach Deutschland Zu den bevorzugten Kanälen der Nationalsozialisten, auf die französische Öffent-
lichkeit einzuwirken, zählten Journalisten und Presseorgane des Nachbarlandes. Reichsaußenministerium und Reichspropagandaministerium widmeten sich in starkem Maße der Aufgabe, prodeutsche Berichte und Kommentare in einer Reihe von französischen Zeitungen und Zeitschriften unterzubringen. Aber auch die Dienststelle Ribbentrop spielte in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle. Aufmerksam wurde dort der Pariser Blätterwald studiert und ausgewertet; das Verzeichnis der vorhandenen Periodika umfaßte zu Jahresbeginn 1937 immerhin 30 Titel56. Die Manipulation der Berichterstattung durch Schmiergeld, auch im Welt-
54
55
56
tischen Dokuments auf die Beratungen und Beschlüsse der Kammer zur Ratifizierung des Russenpaktes einzuwirken". Zit. in DFM, März 1936, S. 122 (hier wird fälschlich der 14. Februar als Datum des Vortrags genannt). Dafür spricht neben der Argumentationsweise auch der Umstand, daß etliche Autoren des Heftes zum DFG/CFA-Kreis gehörten (Brinon, Drieu La Rochelle, v. Grolman, Weiland; hinzu kamen längere Zitate von Henry-Haye und Louis Bertrand). In der Zange Paris-Moskau, gez. O. A., in: Wille und Macht, 15. 10. 1937, S. 35-37. La République, Excelsior, Nouvelles Littéraires, Vendredi, Gringoire, Je suis partout, Candide, L'Illustration, Journal de Genève, Marianne, Vu, L'Echo de Paris, L'Humanité, Le Populaire, Pariser Tageszeitung, Le Petit Journal, L'Ami du Peuple, Le Figaro, ParisMidi, Paris-Soir, L'Information, Le Matin, Le Journal des Débats, L'Action Française, Le
2.
Manipulation der Presse und Einladungen nach Deutschland
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krieg und zu Zeiten der Weimarer Republik üblich57, scheint jedoch nicht primär das Ressort von Abetz gewesen zu sein, obwohl manche Beobachter überzeugt waren, ein nicht geringer Teil der in Frankreich aufgewendeten Summen sei über ihn geflossen58. Vieles spricht dafür, daß auf diesem Gebiet Angehörige der Deutschen Botschaft Paris Regie führten, allen voran die ihr vom Reichspropagandaminister zugewiesenen Presseattaches, zuerst v. Dincklage, dann Schmolz, dem Gestapo-Kontakte nachgesagt wurden und der ein .Maison Brune' als Sammelpunkt der Pariser NS-Kolonie gründete, von 1936 an ein gewisser Faber59. Über Schmolz heißt es in einem Sûreté-Bericht vom März 1935: „C'est lui qui est chargé de subventionner les journaux français ou étrangers paraissant dans notre pays et favorables à la politique allemande."60 Lazareff vermutete, daß er eng mit Abetz kooperierte; sobald letzterer signalisierte, daß eine Zeitung oder ein Journalist zu deutschfreundlicher Berichterstattung zu bewegen wäre, habe der GoebbelsMann finanzielle Lockangebote unterbreitet61. In eine ähnliche Richtung, mit charakteristischen Einschränkungen zugunsten von Abetz, weist das Urteil Pierre Comerts, bis Oktober 1938 Pressechef des Quai d'Orsay: „[Abetz] est venu à Paris pour corrompre et il a certainement acheté beaucoup de Français. Mais il n'a acheté que ceux qu'il savait prêts à se vendre. Sa responsabilité me paraît limitée."62 Jour, Le Petit Parisien, Le Journal, L'Œuvre, L'Intransigeant, Le Temps. „Zeitungs- und
Zeitschriftenbestand des Hauptreferats Presse", Aufstellung vom 5. 2. 1937 („Allen Refe-
raten 57
58
39 60
61
zur
Kenntnis!"); PA/AA, R 27183.
Siehe hierzu Ageron, La vénalité de la presse française; Bariéty, L'appareil de presse de Joseph Caillaux. Entsprechende Behauptungen in der französischen Presse verdichteten sich Ende 1938 und besonders während der Abetz-Affäre im Juli/August 1939 (siehe Kap. VII). Exemplarisch Le Droit de Vivre, 10. 12. 1938 („Révélations sur les amis de von Ribbentrop"). Eugen Feihl, Pressechef der Botschaft Paris, sagte aus, Abetz habe über geheime Mittel verfügt, die jene der Botschaft überstiegen. Verhörprotokoll Nr. 149/2 vom 1. 9. 1946, pag. 10; AN, 3 W 358, Dossier Feihl. Einer amerikanischen Quelle zufolge standen Abetz monatlich etwa 350000 Francs zur Verfügung; Current Biography, 1941, S. 5. Genauere Belege wurden nicht ermittelt. Abetz seinerseits untertrieb, wenn er verkündete, der geheime Pressefonds der Botschaft sei „lächerlich gering" gewesen und habe „vielleicht zur gelegentlichen Honorierung journalistischer Stimmungsberichte" getaugt, jedoch nicht ausgereicht, „auch nur eine nachgeordnete Zeitung oder Schriftleitung in einem gewünschten Sinne zu orientieren"; Das offene Problem, S. 104. Er versicherte „ehrenwörtlich", vor dem Krieg kein Geld in Frankreich verteilt zu haben. Verhörprotokolle Nr. 204/ 3 („Otto Abetz et 5eme colonne") und 204/5 („Déclarations d'Abetz relatives à la mesure d'expulsion prise à son encontre en 1939") vom November 1945; AN, F 7/15331.
Vgl. Aussage Feihl; AN, 3 W 358. AN, F 7/13434.
Lazareff, Dernière édition, S. 286. Dem widerspricht die Einschätzung Feihls, Schmolz sei
„ipso facto" ein Opponent des Ribbentrop-Mitarbeiters Abetz geAussage Feihl, AN, 3 W 358. Aussage Comerts vor der parlamentarischen Untersuchungskommission, 27. 12. 1949; AN-Enquête, VII, S. 2183. Comert, der von Hitlergegnern in der Rue de Lille frühe Hinweise auf das Treiben der NS-Propaganda erhalten haben will, erhob nach der Münchener als Promi-Funktionär
62
wesen;
Konferenz schwere Vorwürfe gegen Bonnets Informationspolitik und wurde von diesem umgehend in die Amerika-Abteilung des Quai d'Orsay versetzt. Vgl. ebenda, S. 2175 ff.; Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 150 f.
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Ständige, schon gewohnheitsmäßige Empfänger deutschen
Geldes
waren
Lu-
chaire, Ferdonnet, Albert Dubarry (La Volonté) und Claude Jeantet (Je suis partout), um nur einige zu nennen63, auf die eine oder andere Weise wohl auch Bri-
non, der von vielfältigen Publikations- und Vortragsgelegenheiten in Deutschland profitieren konnte64. Comert zählte ihn zur ersten Garnitur jener journalistischen „Söldner", die mit beträchtlichen Summen geködert worden seien65. In aller Regel machten sich die Deutschen nicht komplette Zeitungen dienstbar, sondern bestachen gezielt einzelne Schreiber in den Redaktionen, was billiger kam und die Tarnung erleichterte66. Als die Sudetenkrise dem Höhepunkt zusteuerte, erwarb die Botschaft allerdings kurzerhand die Wochenzeitung Le Cri du Peuple67'. Gängige Praxis war die auflagesteigernde Abnahme einiger tausend Druckexemplare68. Das meiste Geld zur Finanzierung deutscher Propaganda wurde indes verdeckt
über den „Werberat für die deutsche Wirtschaft" und Firmen aus der Chemieund Pharmaziebranche angewiesen, die als Anzeigenkunden exorbitante Preise entrichteten69. Einer besonders raffinierten Zahlungsmethode kam die Sûreté im Mai 1935 auf die Schliche: Die Berliner Regierung hatte Anteile deutscher Staatsangehöriger an brasilianischen Firmen aufgekauft. Seitens dieser Unternehmen wurden nun in französischen Zeitungen Anzeigen geschaltet, angeblich sogar über den brasilianischen Botschafter in Paris, unter der Auflage, zugunsten eines deutsch-französischen Rapprochements und gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt zu schreiben70. 63
Crémieux-Brilhac,
Les
Français de l'an 40, I, S. 78. Zu Luchaire siehe Kap. II der vorlie-
genden Arbeit. 64 Nach Angaben von Heinrich Baron, dem im Februar 1939 unter Spionageverdacht verhafteten Pariser Korrespondenten der Berliner Börsenzeitung, erhielt Brinon für seine Bemühungen üppige „Spesen" vergütet. Aussage Baron vom 5.6. 1940; AN, F la/3749. Der 1987 gestorbene Historiker Charles Bloch ging davon aus, daß Brinon „wahrscheinlich schon 1933 ein von der nationalsozialistischen Regierung bezahlter Agent war", blieb aber eindeutige Belege schuldig; ders., Das Dritte Reich, S. 89. In einer früheren Studie berief er sich auf das mündliche Zeugnis seinerzeit tätiger französischer Staatsmänner und Diplomaten; ders., Hitler und die europäischen Mächte 1933/1934, S. 86. 65 AN-Enquête, VII, S. 2180ff. Besonders bei Ferdonnet, so Comerts Beobachtung, wurde der Bogen zum eigenen wie zum Nachteil der deutschen Geldgeber überspannt. Seine Nachrichtenagentur Prima sei derart offensichtlich von den Nationalsozialisten unterhalten worden, daß kaum eine Pariser Zeitung es gewagt habe, eine Neuigkeit aus dieser Quelle abzudrucken. 66 Barons Frau Katharina zitierte Feihl mit den Worten „Les journalistes français ne comptent des bei den Akten des französischen Incher". über Dossier Baron Ehepaars Aussagen pas nenministeriums, o.D.; AN, F la/3749. Vgl. die Darstellung Comerts, AN-Enquête. 67 Kupferman, Diplomatie parallèle, S. 92. 68 Laut Baron hortete die Botschaft größere Chargen von Notre Temps, La Victoire, Le Jour, 69
70
Gringoire, Candide und L'Homme Libre; „Révélations du journaliste allemand Baron et de sa femme", wie Anm. 66. Duroselle, La décadence, S. 204; Crémieux-Brilhac, Les Français de l'an 40, I, S. 78; vgl. Lacaze, L'opinion publique, S. 112. Dossier „Les formes de la propagande allemande", September 1938, Bl. 105; MAE, Papiers 1940, Fonds Daladier/1. Ein Sûreté-Bericht vom 9. 1. 1935 demonstriert diese Methode am Fall von Persil-Werbung der Firma Henkel; AN, F 7/13434.
Berichte der Sûreté Nationale vom 29. 4. und 15. 5. 1935, ebenda.
2.
Manipulation der Presse und Einladungen nach Deutschland
205
In vielen Fällen konnte Berlin darauf zählen, daß mit dem NS-Regime sympathisierende oder kategorisch gegen Feindseligkeiten eingestellte Presseleute, ohne daß es der Bestechung bedurfte, Artikel deutschfreundlichen oder zumindest gemäßigten Inhalts lancierten. Beispielhaft wären hier zu nennen Matin -Direktor Bunau-Varilla, Jean Piot (L'Œuvre) und Emile Roche (La République), faschistoide, kommunistenfeindliche und antisemitische Wochenzeitungen wie Je suis partout (Chefredakteur ab 1937: Brasillach), Gringoire und Candide, und natürlich die im journalistischen Metier tätigen Mitglieder des Comité France-Allemagne. Der Redakteur und Blum-Mitarbeiter Georges Boris hat auf die Schwierigkeit hingewiesen, im Zweifel zwischen politischer Überzeugung und Korruption zu unterscheiden71. Abetz interpretierte die häufig unübersichtlichen Verhältnisse in typischer Manier und zur eigenen Entlastung: Wenn Journalisten beiderseits des Rheins in den spannungsgeladenen Vorkriegsjahren für eine Politik der guten Nachbarschaft eingetreten seien, „so sprach dies nicht für die Kapital-, sondern für die Überzeugungskraft des deutsch-französischen Friedensgedankens"72. Zu überzeugen, besser: zu verführen, das war sein Stil auch im Umgang mit den Medien. Ein simples Mittel, die Neugier ausländischer Pressevertreter zu wecken, auf sie einzuwirken und sie für Deutschland zu vereinnahmen, waren Informationsreisen. Ein Bericht bei den Akten der Dienststelle Ribbentrop veranschaulicht exemplarisch, nach welchem Schema solche Veranstaltungen abliefen. Die Zielpersonen, in diesem Fall eine Stammtischrunde Berliner Auslandskorrespondenten, begaben sich mit deutschen Kollegen und Mitarbeitern diverser Ämter (AA, Promi, Dienststelle Ribbentrop) auf einen mehrtägigen Ausflug. Dabei sollten einerseits „menschliche Berührungspunkte geschaffen werden, um die berufliche Fühlungnahme zu erleichtern", zum anderen galt es, „unauffällig und unaufdringlich" positive Eindrücke vom ,Dritten Reich' zu vermitteln. Die Gruppe besuchte zu diesem Zweck einen „Musterbetrieb nationalsozialistischer Wirtschaftsführung" (eine Fabrik für Zellwolle in Thüringen) und ein Kloster im Maingau, wo ein Franziskanermönch versicherte, „daß in diesem Gotteshaus täglich für den Führer und sein nationales Aufbauwerk gebetet werde". Abschließender Höhepunkt war ein Abendmahl auf der Veste in Coburg. Zufrieden resümierte der Berichterstatter: „Auch solche Auslandskorrespondenten, die noch weit davon entfernt sind, das neue Deutschland wirklich zu begreifen, waren sichtlich beeindruckt. Einer von ihnen meinte nachdenklich, daß diese Wochenendfahrt für ihn ein Erlebnis sei. Sie habe nämlich in eindrucksvoller Weise gezeigt, daß die nationalsozialistische Revolution keineswegs sinnlos über alle Werte der Vergangenheit
hinweggewalzt sei."73 71 72
AN-Enquête, VIII, S. 2443. Abetz, Das offene Problem, S. 104. Duroselle, La décadence, S. 205, bezweifelt eine durchschlagende Wirkung der Versuche, die französische Öffentlichkeit mit Hilfe bestochener Journalisten zu beeinflussen zu vielfältig sei die Meinungspresse in jenen Tagen gewesen und zu gering das Interesse breiter Leserschichten an außenpolitischen Themen. „Bericht über dreitägige Ausflugsfahrt der Berliner Auslandspresse zum Herzog Carl Eduard in Coburg", unsig., Ende Oktober 1937; PA/AA, R 27090. -
73
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7m den wirksamsten Methoden, ausländische Autoren zu beeindrucken und sich ihrer wohlwollenden Berichterstattung zu versichern, gehörten Exklusiv-Interviews mit Hitler, wie im Falle Jouvenels wiederholt auch von Abetz vermittelt, und Einladungen zu den Nürnberger Reichsparteitagen. Dort präsentierte sich das NSRegime in seiner ganzen Machtfülle und Gigantomanie, wurde der Mythos von der Volksgemeinschaft ebenso wie der Personenkult um Hitler mit großem dramaturgischem und choreographischem Aufwand in Szene gesetzt74. Es herrschte eine „fast mystische Ekstase", der ausländische Besucher häufig genug erlagen, wie François-Poncet beobachtet hat: „Wenn sie heimkehrten, waren sie verführt und gewonnen, reif zur Mitarbeit, ohne die gefährliche Wirklichkeit bemerkt zu haben, die sich hinter dem trügerischen Prunk großartiger Aufmärsche verbarg."75 Paris-SoirReporter Robert Lorette schilderte seine Eindrücke von einer HJ-Kundgebung in Nürnberg wie folgt: „Man kann kaum gleichgültig bleiben angesichts des Bildes, das 50 000 junge Menschen bieten, die Kraft atmen und die auf die fade Atmosphäre der Städte zugunsten des Lebens in der freien Luft verzichtet haben [...] Man liest auf den Gesichtern ein neues Ideal ab. Es ist eine Tatsache, daß dieses Deutschland von morgen viele Versprechungen in sich birgt."76 Bei der Auswahl der Parteitagsgäste redeten die Länderreferenten der Dienststelle Ribbentrop ein gewichtiges Wort mit. Abetz tönte während seines SS-Disziplinarverfahrens, in Nürnberg seien stets nur solche Franzosen zugegen gewesen, „die auf Grund meiner Einladung gekommen waren"77. In welchem Umfang und nach welchen Kriterien er den Ausleseprozeß beeinflußte, veranschaulichen einschlägige Akten aus dem Jahr 1937. Bei einer Konferenz Anfang Juli, auf der Vertreter des Auswärtigen Amtes, der .Dienststelle', des Reichspropagandaministeriums und des Außenpolitischen Amtes ihre Vorbereitungen koordinierten, wurde er zum „Hauptbetreuer und Delegierten" für Frankreich bestimmt78. Von den insgesamt 457 Vorschlägen (darunter 152 ,Ehrengäste des Führers'), die Luther am darauffolgenden Tag der Reichsorganisationsleitung im Namen der Dienststelle Ribbentrop meldete79, entfielen 61 auf das Frankreichreferat80. Zehn Ehrengäste, fast ausnahmslos Vorstandsmitglieder des Comité France-Allemagne, hatte Abetz persönlich ausgesucht: Léon Baréty, Pierre Benoît, Fernand de Brinon, Paul Creyssel (Parti social français), Ernest Fourneau, Louis Gillet (Mitglied der Académie française), Jean Goy, Jean Montigny, François Piétri und Florent Schmitt81. Hinzu kamen 50 „führende Persönlichkeiten" aus Politik, Wirtschaft 74 75 76 77 78 79 80 81
Siehe Henke, Die Reichsparteitage der NSDAP, in: Boberach/Booms (Hrsg.), Aus der Arbeit des Bundesarchivs, S. 398^122; Reichel, Der schöne Schein, Kap. 4. François-Poncet, Botschafter in Berlin, S. 308. Zit. in DFM, Dezember 1935, S. 314. Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 11; BDC/Abetz. Aufzeichnung (gez. Hinrichs) über eine Besprechung im Auswärtigen Amt am 9. 7. 1937;
PA/AA, R 98689.
an Reichsleitung der NSDAP/Amt für Ehrengäste, 10. 7. 1937; PA/AA, R 99144. „Gesamtaufstellung der vorgeschlagenen Einladungen zum Reichsparteitag 1937"; PA/ AA, R 99143. „Zum Reichsparteitag 1937 vorgeschlagene Ehrengäste" (Anm.: „sämtlich vorgeschlagen
Luther
von
Herrn
Abetz"), ebenda.
2.
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und Kultur unter ihnen die Schriftsteller Benoist-Méchin, Berge, Maulnier, Montherlant und Morand, UF-Vizepräsident Randoux und UF-Jugendführer Mouraille sowie der Industrielle Louis Renault und eine 40köpfige Gruppe von Austauschschülern, die „eine Anzahl von Söhnen sehr einflußreicher Familien" in ihren Reihen hatte82. Auch die Equipe der französischen Pressevertreter verrät Abetz' Handschrift: Von 21 Reportern, die eine offizielle Einladung der NSDAPReichsleitung erhielten, firmierten acht unter der Rubrik „Auch d.furch] Botschafter] v.[on] R.[ibbentrop] empfohlen"83. An anderer Stelle verbürgte sich Abetz für sieben weitere Pariser Zeitungsleute, die zugleich „Korrespondenten von etwa 20 teilweise sehr wichtigen französischen Provinzzeitungen" seien, mithin „für unsere Propaganda in Frankreich von außerordentlich praktischer Bedeutung"; außerdem hätten sie „größere und grundsätzlichere Artikel" geplant84. Eine Lanze brach er ferner für den Fotografen Roger Schall, „der schon mehrmals außerordentlich wirkungsvolle und künstlerisch sehr hochstehende Reportagen über das nationalsozialistische Deutschland in führenden illustrierten Zeitungen Frankreichs und der angelsächsischen Länder veröffentlicht hat". Schall bitte darum, auch „jenseits der Absperrungen" fotografieren zu dürfen85. Einige subalterne Kandidaten sollten aus persönlicher Gefälligkeit zugelassen werden, etwa Simone Mittre (langjährige Sekretärin Brinons, „dem wir zu großem Dank verpflichtet sind") und Pierre Haye („politisch unbedeutend", aber Bruder des Senators)86. Strategischen Weitblick und eine missionarische Ader, die Franzosen für Hitler-Deutschland einzunehmen, zeigt die Empfehlung, den großen alten Mann des Petit Parisien, Jean Dupuy, willkommen zu heißen. Dupuy sei in Pariser Finanz- und Pressekreisen sehr mächtig, dem ,Dritten Reich' aber wenig gewogen, „so daß der Versuch einer Aufklärungsarbeit bei ihm besonders wünschenswert -
-
wäre"87. Von seiner Sachkompetenz überzeugt und kampfeslustig wie immer, wenn es gegen die „vieilles barbes" des Auswärtigen Amts ging, reagierte Abetz auf einen Einwand des Pariser Botschafters Graf Welczeck. Dieser hatte die Vorschläge zur 82
83
Wie Anm. 72. Es waren dies:
Georges Agnesse (Le Jour), Georges Blun (Le Journal), Yves le Dautec (L'Intransigeant), Albert Huard (Agence Radio), Brinon (L'Information), René Lauret (Le Temps), Robert Lorette (Paris-Soir), Paul Ravoux (Agence Havas). „Aufstellung nach Ländern:
84
Auslandspressevertreter,
die
Aufforderung
zur
Teilnahme
am
Reichsparteitag
erhielten"; PA/AA, R 27191. Pierre Cousteau (Le Journal), Madame Cousteau (Radio Magazine), Lucien Rebatet (Je suis partout), Georges Blond (La Liberté), Madame Blond (L'Emancipation Nationale), Robert Brasillach (Combats), F. de Roux (L'Intransigeant). Aktennotiz Abetz, „Betrifft: 1937
Ausländische Besucher aus Frankreich, deren Teilnahme am Reichsparteitag 1937 auf Kosten der Dienststelle vorgeschlagen wird", 30. 8. 1937; PA/AA, R 99143. Brasillach schrieb hernach seinen berühmten Bericht Cent heures chez Hitler. Le congrès de Nuremberg, 85 86
87
abgedruckt Revue Universelle, 1. 10.
1937.
Abetz, Notiz für Pg. Büttner, 20. 8.1937; PA/AA, R 99143. Bilder von Schall wurden vor-
zugsweise auch von den DFM gedruckt.
Aktennotiz Abetz, wie Anm. 81. Abetz an Hauptreferat V (Parteiverbindungsstelle), z. Hd. Kramarz, 16. 8. 1937; PA/AA, R 99143. Dupuy („Interesse für SA-Vorbeimarsch und Wehrmacht") stand auf einer Liste mit ergänzenden Vorschlägen der Auslandspressestelle der NSDAP; PA/AA, R 99141.
208
V.
Einflußnahme mit System: „le réseau Abetz"
Begutachtung erhalten und dafür plädiert, Paul Creyssel „weil er das für eine derartige Ehrung erforderliche Format nicht besitzt" aus der Liste der Ehrengäste zu streichen88. Ribbentrops Referent widersprach vehement und demonstrierte einmal mehr ausgeprägten Sinn für politischen Langzeitnutzen. Creyssel, den das AA für unwichtig halte, sei „neben dem an Prestige verlierenden Abgeordneten Ybarnegaray der einzige Abgeordnete der de la Rocque-Partei, der eine positive Einstellung zu Deutschland hat, und von außerordentlicher Intelligenz und Beredsamkeit". Über ihn könne man sich „Einfluß auf die als Opposition auf lange Sicht hinaus bedeutsame Partei der Feuerkreuzler sichern"89. Einmal in Fahrt, ersuchte er dringend darum, die von ihm eingeladenen Schriftsteller „bei etwaigem Platzmangel vor allen anderen zu berücksichtigen". Nicht zufällig stammten von den acht bislang in Frankreich erschienenen und dem .Dritten Reich' freundlich gesinnten Büchern vier aus der Feder von Autoren, „welche ich zu den vergangenen R.P.T. eingeladen hatte"90. Kaum anders, ergänzte er ohne falsche Bescheidenheit, verhalte es sich mit den „positivsten französischen Pressestimmen über Nürnberg"91. -
-
Der Literaturwissenschaftler Hermann Hofer mißt der Summe dieser Publikationen eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu: Sie hätten „wesentlich zu einem falschen und politisch entschärften Bild des Nationalsozialismus in Frankreich" beigetragen und eine Geisteshaltung gefördert, die „die Niederlage akzeptiert und daraus die Verpflichtung zur Kollaboration ableitet"92. Drieu La Rochelle, Brasillach, Châteaubriant und andere, die die westlichen Demokratien der Dekadenz ziehen und militante Antibolschewisten waren, berauschten sich, von Abetz zu den Parteitagen begleitet, an der dargebotenen „pontifikalen Prachtentfaltung"93. „Ce que je vois dépasse tout ce que j'attendais", notierte Drieu im September 1935. „En tout cas, il est impossible que la France continue à vivre immobile à côté d'une Europe pareille."94 Brasillach schrieb hernach von „hitlerschen Messen", verglich die Fahnenweihe mit einer Eucharistiefeier und rief Frankreich auf, dieses geistig-ästhetische Wunder, ein Werk von Kraft und Jugend, nachzuvollziehen95. Für Châteaubriant, einen nicht minder willigen Rezipienten der NS88
89 90
91
Welczeck an Auswärtiges Amt, 15. 7. 1937, ebenda. Abetz, Notiz für Pg. Kramarz, 20. 7. 1937, ebenda. Den Anspruch indirekter Geburtshilfe erhob Abetz für: Fernand de Brinon, France-Allemagne 1918-1934; Louis Bertrand, Hitler; Maurice-Yvan Sicard, L'avenir de l'Allemagne; Alphonse de Châteaubriant, La gerbe des forces. Die gleiche Behauptung, ergänzt um den Titel Principes d'action von Henri Muller, in der Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 11 f.; BDC/Abetz. Abetz für Kramarz, wie Anm. 89. Einen zweiten Vorbehalt Welczecks gegen Louis Gillet „weil er in katholischen Fragen eine intransigente Haltung einnimmt"- akzeptierte Abetz. Für Gillet rückte Abel Bonnard nach. Hofer, Die faschistoide Literatur, in: Kohut (Hrsg.), Literatur der Résistance und Kolla-
92 93 94 95
boration, I, S. 119, 137. Fest, Hitler, S. 706.
von Lüsebrink, „Ce que je vois dépasse tout ce que j'attendais", in: ders./Riesz (Hrsg.), Feindbild und Faszination, S. 118. Brasillach, Notre avant-guerre, in: Œuvres complètes, VI, S. 260, 273 f. (Erstveröff. 1941).
Zit.
Das
einschlägige Kapitel basiert zu Teilen auf Cent heures chez Hitler.
2.
Manipulation der Presse und Einladungen nach Deutschland
209
Propaganda, bereit, „eine außerordentlich große schriftstellerische Werbetätigkeit
entfalten"96, war der .Führer' schlicht ein Mann Gottes: „Si Hitler a une main qui salue, qui s'étend vers les masses de la façon que l'on sait, son autre main, dans l'invisible, ne cesse d'étreindre fidèlement la main de Celui qui s'appelle Dieu."97 zu
Louis Bertrand bekniete seine Landsleute, den Dialog mit den Nationalsozialisten zu intensivieren, „auch außerhalb der geheiligten Stätten' von Genf, die bekannterweise nur das Werkzeug okkulter Kräfte sind"98. Daß Abetz in Sachen Einladungen schon zu einem frühen Zeitpunkt seiner NSKarriere beträchtlichen Handlungsspielraum besaß, zeigt der Fall des Schriftstellers Denis de Rougemont. Der gebürtige Schweizer, dem Personalismus von Ordre Nouveau verbunden, hatte kritisch über die Erziehung der deutschen Jugend zu einem gefügigen Instrument der Nationalsozialisten berichtet. Im Juli 1935 war er einer Einladung des Pariser DAAD-Zweigstellenleiters Karl Epting ins „Deux Magots" gefolgt. Dort kam er mit dem ebenfalls anwesenden Frankreichreferenten Ribbentrops ins Gespräch, der ihn ermunterte, sich mit eigenen Augen ein Bild von den Umwälzungen in Deutschland zu machen, und zu diesem Zweck eine Lektorenstelle an der Universität Frankfurt offerierte, die er nach Rücksprache in Berlin unabhängig vom regulären Auswahlverfahren binnen zwei Wochen beschaffen könne99. Rougemont griff zu. Er lebte von Oktober f 935 bis Ende Juni 1936 in Frankfurt und veröffentlichte, wie von Abetz ausdrücklich gewünscht, seine fmpressionen. Zu den nachhaltigsten Eindrücken zählte die tiefe Verehrung vieler Deutscher für ihren .Führer', die den Nationalsozialismus in den Rang einer Religion zu erheben schien. Dieser mystischen, die Energien der Massen bündelnden und kollektiv freisetzenden Ideologie sei weder durch Aufrüsten noch Krieg beizukommen, resümierte Rougemont anläßlich der Publikation seiner Tagebuchnotizen im Krisensommer f 938; Stärke könne der Westen allenfalls durch eine Rückbesinnung auf demokratische, freiheitliche Werte demonstrieren100. Nicht nur eine NS-freundliche Berichterstattung in Frankreich, auch eine der erstrebten Annäherung zweckdienliche deutsche Pressepolitik suchte Abetz zu fördern. Anschauliches Beispiel hierfür ist eine Zusammenkunft deutscher und französischer Journalisten im Juni 1937, die auf seine Anregung während der vom CFA veranstalteten „Journées d'études franco-allemandes" in Paris zustande kam und dem „Kampf gegen Tendenzmeldungen" gewidmet war101. Bei einer internen 96 97
98 99 100 101
Abetz für Kramarz, wie Anm. 89. de Châteaubriant, La gerbe des forces, S. 136. Andreas Wirsching nennt Châteaubriant den „wohl genuinsten französischen Bewunderer des nationalsozialistischen Deutschlands"; ders., Auf dem Weg zur Kollaborationsideologie, S. 43. Siehe ferner Reichel, A Berlin! Bertrand, Hitler, Auszug in deutscher Übersetzung in Wille und Macht, 15. 10. 1937, S. 48 f. Vgl. de Rougemont, Journal, S. 285 ff. Ders., Journal d'Allemagne, bes. S. 67 ff. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf zwei Dossiers von Günter Lohse, Pressebearbeiter in der Dienststelle Ribbentrop: „Bericht über den deutsch-französischen Journalistenkongreß in Paris" (8 S.) vom 13. 7. 1937 [künftig zit. Lohse I] und „Deutsch-französischer Journalistenkongreß in Paris" (18 S.), o.D., unsig.; die Urheberschaft Lohses
210
V.
Einflußnahme mit System: „le réseau Abetz"
Vorbesprechung in der Dienststelle Ribbentrop am 4. Juni entwickelte Abetz seine Vorstellungen und empfahl, prominente Frontkämpferführer „im Hintergrund" einzuschalten, als „Panzerplatte gegen Angriffe" und zur „Ausübung eines mäßigenden Einflusses"102. Dienststellen-Kollege Lohse, gebeten, den bilateralen Journalistengipfel vorzubereiten, prüfte erst einmal die Chancen des Projekts. Er ging davon aus, daß bei einem positiven Ergebnis des Treffens „in den sich deutscherseits beteiligenden Blättern eine neue, sich von den generellen Anweisungen des Propagandaministeriums unterscheidende Tendenz bezüglich der Frankreich-Politik einsetzen muß"103. Kompetenzstreitigkeiten mit anderen Ämtern schienen mithin vorprogrammiert. Gespräche mit Zeitungsredakteuren, die als Teilnehmer in die engere Wahl gezogen hatte, führten indes zu der ermutigenden Erkenntnis, daß die Herren von der Notwendigkeit einer Aussprache überzeugt waren und „die Dringlichkeit einer Änderung der amtlichen Frankreich-Politik betonten"104. Propagandaministerium, Außenpolitisches Amt und Reichspressestelle gaben nach kurzen Sondierungen grünes Licht, hoben allerdings den strikt „privaten Charakter" der Veranstaltung hervor105. Am 24. Juni trafen sich in den Räumen des Comité France-Allemagne in der Rue Fortuny etwa 30 Pressevertreter beider Länder zu einer knapp zweistündigen Aussprache106. Mehrere französische Kollegen bemängelten die häufig restriktive, im ganzen ungenügende Informationspolitik deutscher Behörden; auch klang Besorgnis an ob der frankreichfeindlichen Passagen in Hitlers Mein Kampf. Wann immer die Kritik massiv zu werden drohte, griff der anwesende Brinon „mit einer bewundernswerten taktischen Geschicklichkeit ausgleichend ein", wie Lohse dankbar vermerkte107. Der Wortführer auf deutscher Seite, Rasche von der NSZ Rheinfront, stimmte zur Freude der Gastgeber dem Vorschlag zu, im Rahmen von CFA und DFG Informationsdienste in Paris und Berlin einzurichten, die tendenziöse Nachrichten in kürzester Zeit richtigstellen sollten108. Zum Schluß er
102
103 104
105 106
ergibt sich jedoch zweifelsfrei aus dem über ganze Passagen hinweg identischen Wortlaut [künftig zit. Lohse II]; beide Dokumente BA Potsdam, Auswärtiges Amt, 60396/1. Lohse II, pag. 2. Für die Studientagung waren u.a. Oberlindober und Goy als Referenten angekündigt. Ebenda., pag. 3. Ebenda, ein deutlicher Hinweis auf den Konzeptionenpluralismus im NS-Staat. Ebenda., pag. 6 ff. D¡e Teilnehmer im einzelnen: Rasche (NSZ Rheinfront), Dr. Schmidt (Völkischer Beob-
achter), Kränzlein (Angriff), Dr. Wirsing (Münchner Neueste Nachrichten), Neuscheler (Der Führer, Karlsruhe), Dr. Fischer (Berliner Tageblatt), Pfaffenrott (Westfälische Landes-Zeitung), Leider (Pariser Vertreter des VB München), Herbert (Pariser Vertreter des VB Berlin), Stellbogen (DNB Paris), Wendt (Reischach), Krug v. Nidda (DAZ Paris), Gerlach (Europa Press). Von amtlicher Seite kamen hinzu: Lohse, Wagner, Dr. Prinzing, Maas, Dr. Liebe, Bran (Dienststelle Ribbentrop), Faber (Presseattache an der Botschaft Paris), Diewerge (Promi), Dr. Gruber (APA), Lersner, Dick (NSKOV). Zwischen ihnen köchelten fast unablässig Eifersüchteleien, wie den Lohse-Dossiers unschwer zu entnehmen ist. Von französischer Seite waren vertreten: Havas, Le Temps, Paris-Soir, L'Information, La République, Le Jour, L'Ouest-Eclair, Le Journal, sowie die Frontkämpferverbände FIDAC und UF. Vgl. Lohse I, pag. 4; Lohse II, pag. 10. 107 ,os
Lohse II, pag. 11.
Ebenda,
pag. 12.
2.
Manipulation der Presse und Einladungen nach Deutschland
211
wurde eine gemeinsame Proklamation verkündet: „Die [...] unter der Schirmherrschaft des Comité France-Allmagne und der Deutsch-Französischen Gesellschaft versammelten [...] Journalisten sind überzeugt, daß die Darstellung und Regelung der deutsch-französischen Beziehungen eine wesentliche Bedingung des Friedens bildet. Sie sind sich der Gefahren bewußt, denen der Frieden durch falsche oder tendenziöse Nachrichten ausgesetzt ist. Sie wünschen daher, daß alle Deutschland und Frankreich betreffenden Fragen ernsthaft und sachlich behandelt werden, und beschließen im Einvernehmen mit den Vertretern der Verbände ehemaliger Frontkämpfer, untereinander einen ständigen Nachrichtenaustausch einzurichten, der geeignet ist, in beiden Ländern eine schnelle Richtigstellung von Irrtümern oder Entstellungen zu ermöglichen, auf die sie sich gegenseitig aufmerksam machen werden. Sie geben außerdem ihrem Willen Ausdruck, untereinander verständnisvolle Beziehungen gegenseitiger Achtung aufrechtzuerhalten."109 Einer Folgekonferenz sollte es vorbehalten sein, über einen Austausch von Artikeln zu beraten und eine „ständige Kommission" zu bilden, die die deutsch-französischen Pressebeziehungen in regelmäßigen Abständen einer Manöverkritik unterziehen sollte110. Lohse bewertete die Aussprache positiv. In einer „Atmosphäre des Vertrauens" sei der „Grundstein zu einer notwendigen Arbeit" gelegt worden, ohne falsche Perspektiven hinsichtlich der Grenzen der Zusammenarbeit aufkommen zu lassen. Das Gebot, wonach die deutsche Presse „an vorderster Stelle [...] ein Kampfinstrument in der Hand der Reichsregierung" zu sein habe, sei unangetastet geblieben. „Es ging lediglich darum, sicherzustellen, daß [...] die Presse nicht mehr durch bewußt falsche Berichterstattung [...] zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich und der Atmosphäre der Völker überhaupt beiträgt." Man habe eine Formel gesucht, „nach der sich die politische und geistige Diskussion über die Grenzen bewegen kann"111. Die Journalisten beiderseits des Rheins müßten ihre Aufgabe verstärkt darin sehen, das Verständnis ihrer Landsleute füreinander durch sachliche Aufklärung über die jeweiligen Mentalitäten und Lebensnotwendigkeiten zu fördern112. Geradezu idealtypisch umreißt diese Einordnung die auf mehreren Schienen verfolgte Strategie der Dienststelle Ribbentrop, zwischenstaatliche Austauschbeziehungen wo immer möglich zu intensivieren, Kanäle zu erschließen, um nationalsozialistisches Denken und Handeln präsentieren und bei Bedarf rechtfertigen zu können, stets aber um Akzeptanz zu werben, Gegenpositionen aufzuweichen, Proteste abzufedern und dem Reich auf diese sanfte Tour machtpolitischen Geländegewinn zu verschaffen. Recht deutlich tritt der fortwährende, sich fortlaufend verschärfende konzeptionelle Gegensatz zwischen den durchaus selbstgefälligen außenpolitischen „Praktikern" der .Dienststelle' und anderen Reichs- und Parteibehörden zutage113, 109 110 111 112 113
Zit. nach DFM, Juli-August 1937, S. 247. Lohse II, pag. 14. Ebenda, pag. 14 f. Ebenda, pag. 18. Ein Konfliktpotential, daß sich auf anderer Ebene Abetz entladen sollte; siehe Kap. VI.
nur
wenige
Wochen
später
gegen
212
deren
V.
Einflußnahme mit System: „le réseau Abetz"
an die Presse „zumeist von innerpolitischen Motiven diktiert Lohse Hinblick auf AA, APA und Propagandaministerium kritisch wie im sind", festhielt. Er hoffte jedoch auf Möglichkeiten „in absehbarer Zeit", zumindest für die an der Pariser Aussprache beteiligten Blätter, deren Schriftleiter vom Ergebnis einigermaßen überrascht heimgekehrt seien, eine „abweichende Tendenz" einzuschlagen114. Vor diesem Hintergrund erscheint die von Abetz initiierte Journalistentagung als ein Vorstoß, die deutsche Pressepolitik gegenüber Frankreich
Weisungen
gemäß der eigenen Verständigungsphilosophie zu korrigieren.
Weiterreichende Konsequenzen der Initiative wurden nicht ermittelt. Abetz erwähnt sie in seinen Erinnerungen mit keinem Wort. Die Resonanz in Frankreich war offenbar sehr gering, die Proklamation durfte nach Darstellung Lohses noch nicht einmal in Brinons Hausblatt L'Information abgedruckt werden. „Der französische Journalist selbst", kommentierte Lohse, „hat zweifellos zumeist den guten Willen, ist aber nicht in der Lage, gegenüber der Tendenz der politischen Inspiratoren und der das Unternehmen finanziell haltenden Hintermänner seiner persönlichen Überzeugung Ausdruck zu geben."115 Unbewußt charakterisierte er damit auch die eigene Abhängigkeit. Comert berichtete über eine Einladung nach Berlin im Dezember 1937 mit dem Ziel, ein Presseabkommen auszuarbeiten, das den wechselseitigen Beziehungen schädliche Meinungskampagnen unterbinden sollte. Die offenbar vage gehaltenen Vorschläge der deutschen Gesprächspartner zeitigten jedoch ebenfalls kein Ergebnis116. Nicht anders erging es Brinon, als er das Thema im Januar 1938 während eines Aufenthalts in der Reichshauptstadt nochmals anschnitt117. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Abetz behilflich, wenn es darum ging, germanophile französische Autoren mit lukrativen Verträgen für Vortragsreisen oder deutsche Ausgaben ihrer Werke zu ködern118. Kleinere Aufträge, die Pariser Freunden das Salär aufbesserten, vermittelte er ebenfalls. Im November 1937 dankte Jean Fontenoy überschwenglich für die Gelegenheit, einen Artikel im Berliner Tageblatt unterzubringen. Die Vergütung werde es ihm ermöglichen, zwischen den Jahren einen Wintersporturlaub in Deutschland zu verbringen119. Abetz' Offerte, während dieser Zeit unter den Auspizien der DFG einen Vortrag zum Thema „Ein Franzose sieht Rußland" einzuschieben, griff er freudig auf. 114
115 116
117
Lohse II, pag. 14, 18.
Ebenda, pag. 16. Aussage vom 27. 12. 1949; AN-Enquête, VII, S. 2180. Mulhouse Bote, 26. 1. 1938.
Vgl. Loiseaux, La littérature, S. 57f.; Ory, Les collaborateurs, S. 15. Das Reichspropagandaministerium kaufte unter anderem die Übersetzungsrechte für die Schriften Louis Bertrands zu einem ansehnlichen Preis. Vgl. Crémieux-Brilhac, L'image de l'Allemagne dans l'opinion des Français de 1939-1940 ou de quelques facteurs psychologiques dans la „drôle de guerre", in: Carlier/ Martens (Hrsg.), La France et l'Allemagne en guerre, S. 96. Nach Darstellung von Jacques Tarbé de Saint-Hardouin, Mitglied der französischen Botschaft Berlin in den Jahren 1933-1935 und 1939, wurden Übersetzungsrechte in vielen Fällen lediglich erworben, jedoch nicht verwertet. Mit Vertragsabschluß aber waren die französischen Autoren und Verleger begreiflicherweise gehemmt, Kritisches über das .Dritte Reich' zu publizieren. Aussage Tarbés vom 3. 3. 1949; AN-Enquête, VI, S. 1530. 119
118
Fontenoy an Abetz, 6. 11. 1937 (handschriftl); BDC/Abetz.
2.
Manipulation der Presse und Einladungen nach Deutschland
213
Gern wollte er darüber sprechen, „wie der Bolschewismus aus einem normalen Wesen einen dummen und verrückten Kopf macht". Abetz hatte seine Bitte mit
der Bemerkung verbunden: „Der Abschluß des französisch-russischen Paktes hat bei uns mancherlei falsche Vorstellungen über die Denkart des französischen Volkes hervorgerufen."120 Ein großer Bahnhof in Berlin war dem Referenten jedenfalls gewiß, wie allen französischen Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten, Verbandsfunktionären, auch gewöhnlichen Bürgern, die eingeladen wurden, sich mit eigenen Augen ein Bild vom ,neuen' Deutschland zu machen. Hofiert und mit Aufmerksamkeiten bedacht, von der deutschen Presse ungeachtet ihres tatsächlichen Stellenwerts als Literaten oder Forscher von Weltrang gefeiert, „mit Speisen und Getränken verwöhnt und mit Nazi-Propaganda gefüttert", wie US-Korrespondent William Shirer sarkastisch anmerkt121, begannen viele dieser „Touristen" regelrecht für das ,Dritte Reich' zu schwärmen. Sie kehrten in der Überzeugung heim, daß die nationalsozialistische Gefahr Zuhause hoffnungslos übertrieben dargestellt werde, die deutschen Gravamina indessen nicht gänzlich unbegründet seien, und fühlten sich verpflichtet, dies ihren Landsleuten kundzutun. Während des Gastaufenthalts geknüpfte Bekanntschaften wurden bei nächster Gelegenheit vertieft und erweitert. Peu à peu entwickelten sich auf diese Weise deutschfreundliche Zirkel in Frankreich, deren Angehörige häufig unbewußt Teil eines komplizierten propagandistischen Räderwerks wurden122. Manchmal genügte es für die Zwecke der Gastgeber schon, in die Rolle von Fremdenführern zu schlüpfen. Der Geschäftsführer der DFG Rheinland berichtet über eine Besichtigungstour historisch interessierter Franzosen zu Spuren römischer und germanischer Kultur in Trier, Mainz, Köln, Speyer und Worms: „Wie die Äußerungen der Gäste [...] von Tag zu Tag erkennen ließen, erscheinen derartige Reisen außerordentlich geeignet, um unzutreffende Ansichten über das historische und gegenwärtige Deutschland zu zerstreuen."123 Eindringlich und anhand von Beispielen wies das mehrfach erwähnte, in den Daladier-Papieren befindliche Dossier „Les formes de la propagande allemande" auf diese heimtückische, politisch vereinnahmende Art der Gastfreundschaft hin: „Chaque personne est tra120
121
122
'23
Abetz an Fontenoy, 23. 11. 1937; Fontenoy an Abetz (handschriftl. in deutscher Sprache), 27. November, ebenda. Fontenoy bittet in diesem Brief um Mitteilung, wieviel Geld er vom Berliner Tageblatt zu erwarten hat, „so daß ich vor der Abfahrt weiß, wie lange ich in Deutschland bleiben kann". Shirer, Der Zusammenbruch Frankreichs, S. 433. Vgl Jig Schilderung von Tarbé de Saint-Hardouin vor der parlamentarischen Untersuchungskommission, wie Anm. 118. Abetz galt ihm als treibende Kraft hinter den Kulissen. Mit gleichem Tenor eine schriftliche Stellungnahme François-Poncets zum BrinonProzeß, o.D.; AN, 411 AP 6. Abetz bestätigte, daß die Berliner Zeitungen großen Wirbel um Auftritte französischer Intellektueller entfalteten. Er behauptete, die DFG habe Spesen bezahlt, ansonsten aber keine materiellen Vorteile gewährt. Nur einmal habe er sich persönlich um die Drucklegung eines französischen Autors bemüht, anläßlich einer deutschen Ausgabe von La terre des hommes und Vol de nuit von Saint-Exupéry. Verhörprotokoll Nr. 204/7 vom 22. 11. 1945, „Renseignements fournis sur les voyages d'intellectuels français en Allemagne"; AN, F 7/15331. v. Palézieux (Köln) an Gesandtschaftsrat Kühn (Paris), 22.4. 1938; PA/AA, Botschaft Paris 1049/2.
214
V.
Einflußnahme mit System: „le réseau Abetz"
vaille individuellement."124 Im Fall des CFA-Vizepräsidenten Fourneau, Mitglied der Académie de médecine und am Pariser Pasteur-Institut tätig, bedeutete das häufige Einladungen zu Fachkongressen, wo er als berühmter Wissenschaftler behandelt wurde. Den Deutschlandbesuchen folgten Klagen über angeblich schlechte Forschungsbedingungen in Frankreich. „Presque tout ce qui se fait de bien dans la lutte contre les maladies vient d'Allemagne", wird aus einem Brief Fourneaus an Jean Weiland zitiert, „c'est triste du point de vue français si l'on veut, mais cela explique que je ne puisse me défendre d'une certaine admiration pour ce pays où l'on crée vraiment un monde nouveau."125 Der Betrachter dieser Vorgänge kann nicht umhin, dem Urteil Lazareffs über Abetz Reverenz zu erweisen: „Il n'espionnait pas, il dépistait, s'informait, cherchait à convaincre. Il n'était pas directement le corrupteur, il était l'indicateur. Il pesait le poison, tâtait l'homme dont il fallait s'assurer et le définissait à ses chefs: ,à vendre', ,à prendre par la vanité', .par l'envie', ,par le sentiment', ,par la naïveté', parfois ,par la générosité' ou .par l'idéologie'. De toute façon, Otto Abetz pêcheur de consciences, tranquille et patient."126 Man könnte Abetz Übereifer zugute halten, das Deutschlandbild mißtrauischer Franzosen zu korrigieren, mit fragwürdigen Methoden und auf Kosten des Nachbarlandes den Frieden am Rhein zu bewahren, aber auch von einer Obsession sprechen, die seinen Horizont auf Fragen des deutsch-französischen Dialogs verengte und ihn für verhängnisvolle Entwicklungen, die er indirekt förderte, gleichsam betriebsblind machte. Vielleicht wurde er einfach nur vom „Reiz des politischen Spiels mitgerissen", wie François-Poncet vermutet hat127. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel brachte sein Wirken auf die knappe Formel: „Ein Mann, der das Gute will und doch das Böse schafft."128 Für viele Franzosen wiederum, die am „réseau Abetz" partizipiert hatten, führte der Weg nach der Niederlage 1940 in die Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht eine Saat, die aufging, aber nichts Bleibendes zur ersehnten festen Verbindung beider Länder beitrug129. -
-
124
125
MAE, Papiers 1940, Fonds Daladier/1, Bl. 101-118, hier Bl. 107.
112. Vgl. Lazareff, Dernière édition, S. 278 ff. Bezeichnend ein Beitrag Fourder 1898 als Mitarbeiter des Chemikers Emil Fischer in Berlin gelebt hatte, auf dem deutsch-französischen Kongreß in Baden-Baden 1938: Der in seinen Augen eher abstrakten, wenig planmäßig betriebenen Forschung in Frankreich stellte er die Praxisbezogenheit und effiziente industrielle Nutzanwendung in Deutschland, etwa bei der Produktion synthetischer Rohstoffe, gegenüber; dort werde mit der „Planmäßigkeit eines gut organisierten Bienenstocks" gearbeitet. Ernest Fourneau, Wissenschaft und Forschung in Frankreich und in Deutschland, in: DFM, Juli-August 1938, S. 310f.
Ebenda, Bl. neaus,
126
127 •28 129
Lazareff, Dernière édition, S. 276.
Erklärung Poncets, verlesen im Abetz-Prozeß, 12. 7. 1949, pag. 34; AN, 334 AP 49. Hier zit. nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 14. 7. 1949. Der Spiegel, 22. 1. 1949, S. 11. Ory, Les collaborateurs, S. 17, benutzt in diesem Kontext für die Vorkriegszeit den BeSchriftliche
griff „précollaboration".
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
1. Ein
„judophiler, bündisch versippter Halbfranzose": Kesseltreiben gegen Abetz
Hitlers herausragende Stellung im NS-Staat korrespondierte mit einem unübersichtlichen Neben- und Gegeneinander rivalisierender Gefolgsleute und Bürokratien, die unablässig befürchten mußten, ihre Position von anderen geschwächt zu sehen. So tobten hinter der scheinbar fugenlosen Fassade des .Dritten Reiches' nie versiegende Kämpfe um Einfluß, Befugnisse und rechte Gesinnung, angeheizt durch Ambitionen einzelner, willkürlich und unklar abgegrenzte Zuständigkeiten und ein sich überschneidendes Geflecht von staatlichen und parteiamtlichen Institutionen, die sich häufig parallel mit ähnlichen Aufgaben befaßten1. Auf paradiplomatischem Parkett etwa tummelten sich neben der Dienststelle Ribbentrop das Außenpolitische Amt Rosenbergs, die Auslandsorganisation von Gauleiter Bohle, Kultur- und Volkstumspolitiker; etliche andere Ressorts betrieben eigene Auslandsämter2. Die permanenten Spannungen im Herrschaftsgefüge entluden sich in Eifersüchteleien, Ressortegoismus und fortwährenden Versuchen vieler Amts1
2
Zur Diskussion um monokratische und polykratische Elemente im nationalsozialistischen Herrschaftssystem und zum Verhältnis von Führergewalt und Herrschaftsapparat, auf die an dieser Stelle nicht vertiefend eingegangen werden kann, siehe Bracher, Stufen totalitärer Gleichschaltung („Der Antagonismus der Machtfunktionen ist einzig in der omnipotenten Schlüsselstellung des Führers aufgehoben." Diese wiederum „ist gerade in dem unübersichtlichen Nebeneinander und Gegeneinander der Machtgruppen und persönlichen Bindungen begründet"); Wendt, Großdeutschland, S. 99 f. (er spricht von „Ämteranarchie" und „institutionellem Darwinismus"); Hirschfeld/Kettenacker (Hrsg.), Der „Führerstaat"; Broszat, Der Staat Hitlers, bes. Kap. 8 und 9; Bollmus, Das Amt Rosenberg; Hüttenberger, Nationalsozialistische Polykratie; Funke, Starker oder schwacher Diktator?, bes. Teil III; Benz, Herrschaft und Gesellschaft im nationalsozialistischen Staat, S. 29-62. Baron Steengracht von Moyland, im Mai 1943 zum Staatssekretär des Auswärtigen Amts ernannt, sagte vor dem Nürnberger Tribunal: „Es gab praktisch kaum eine Dienststelle der Partei oder ihrer Gliederungen, die ab 1933 keine außenpolitischen Ambitionen gehabt hätte [...] und eigene außenpolitische Kanäle zu erschließen suchte." Vernehmung am 26. 3. 1946, IMT, X, S. 125. Zum außenpolitischen Instrumentarium des .Dritten Reiches' und zur Frage konkurrierender Zielvorstellungen Jacobsen, Außenpolitik; ders., Zur Struktur der NS-Außenpolitik 1933-1945, in: Funke (Hrsg.), Hitler, S. 137-185; Michalka, Die nationalsozialistische Außenpolitik im Zeichen eines „Konzeptionen-Pluralismus" Fragestellungen und Forschungsaufgaben, ebenda, S. 46-62; Recker, Außenpolitik, S. 64-70. Abetz hat das Gerangel wie folgt charakterisiert: „Da sich [...] Energien die guten wie die bösen nie verlieren, feierte der deutsche Partikularismus seine fröhliche Urständ in den nationalsozialistischen Ressorts. In der Arbeitsgemeinschaft der Karlsruher Jugendbünde [...] hatten zwischen den kommunistischen und nationalen, den christlichen und den freireligiösen Gruppen weit geringere Spannungen bestanden, als ich sie zwischen den verschiedenen Ministerien und Parteistellen im Berlin Adolf Hitlers zu beobachten Gelegenheit fand." Das offene Problem, S. 62. -
-
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216
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
zur Festigung der eigenen Macht zusätzliche Kompetenzen auf Kosten der Konkurrenz zu erlangen, deren Autorität zu untergraben, wozu sie sich gänzlich ungebeten in ihre Arbeit einmischten. Beziehungen, Durchsetzungsvermögen, Wendigkeit und das Talent, sich unentbehrlich zu machen, entschieden bei dieser Art von .Lebenskampf über Erfolg und Niederlage. An vorderster Front mischte häufig Joachim v. Ribbentrop mit, stets ein großzügiger Interpret, wenn zur Debatte stand, ob etwas in seinen Aufgabenbereich gehörte. Von rastlosem Ehrgeiz getrieben und besessen davon, Hitler zu gefallen, weitete er sein Aktionsfeld ständig aus und scheute hierbei keinen Zwist. Das von konservativen Grundhaltungen geprägte Auswärtige Amt forderte er mit seiner .Dienststelle' heraus, die sich zu einem „nationalsozialistischen Parallel-Außenministerium" entwickelte3. 1935 brachte er die verantwortliche Leitung der Kolonialpolitik an sich, Bohle entriß er Zuständigkeiten für die Volksdeutschen in anderen Staaten. Ende 1936 richtete er in Konkurrenz zum Außenpolitischen Amt eine „Parteiverbindungsstelle" ein, mit deren Hilfe er die Lenkung aller Vorgänge innerhalb der NSDAP und ihrer Gliederungen, die im weitesten Sinn zur Außenpolitik zählten, anpeilte4. Mit Goebbels stritt er hartnäckig um die Federführung in der Auslandspropaganda, wofür ihn der nicht minder skrupellose Propagandaminister mehr als einmal zum Teufel wünschte: „Weiß nur die Ellenbogen zu gebrauchen. Ansonst aber takt- und bildungslos [...] Er mischt sich in alles hinein. Der Führer vertraut ihm zuviel [...] Aber wir zeigen ihm die Zähne. Er wird sich wundern."5 Auch andere Rivalen ließen kein gutes Haar an ihm: „ein richtig dummer Mensch mit der üblichen Arroganz", der sich abgesehen von Hitler „nur Feinde gemacht" habe, bestätigten Rosenberg und Göring einander6. Ihnen wie anderen altgedienten Nationalsozialisten aus der „Kampfzeit" galt der vergleichsweise spät zur Partei Gestoßene als eitler Emporkömmling, der nichts für den Aufstieg der Bewegung riskiert hatte und sie lediglich als Karrieresprungbrett benutzte. „Seinen Namen hat er gekauft, sein Geld hat er geheiratet, und sein Amt hat er sich erschwindelt", giftete Goebbels7. Der offenkundig fehlende Rückhalt bei der alten Garde trug erheblich dazu bei, daß Ribbentrop aus der Sicht eines Untergebenen in „laufendem Abwehrkampf gegenüber anderen Reichsbehörden und Parteidienststellen" stand und „von ihnen nie [...] voll und im Sinne der Partei als völlig zuverlässig" akzeptiert wurde8. Bis 1938 kam hinzu, daß er als „Beauftragter für Rüstungsfragen" und Botschafter dem Reichsaußenminister zugeordnet, ansonsten aber im Stab des .Führer'-Stellvertreters Heß verankert war.
inhaber,
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6 7 8
Reichel, Wieder gelesen: „Frankreich im Widerspruch", S.
149.
Jacobsen, Außenpolitik, S. 296 ff. Goebbels-Tagebücher, I, 3, Einträge vom 17. Mai, 6. und 19. März 1937. Der Machtkampf zwischen den beiden spitzte sich mit Kriegsbeginn zu, was auch die Arbeit der Deutschen Botschaft Paris unter Abetz immer wieder erschwerte oder behinderte. Hierzu ausführlich Longerich, Propagandisten. Seraphim (Hrsg.), Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs, S. 70 (Eintrag vom 21. 5.
1939).
Zit. bei Fest, Joachim von Ribbentrop oder die Degradierung der Diplomatie, in: Das Gesicht des Dritten Reiches, S. 246. PA/AA, Nachl. Schleier/IV, dr. 4, Nr. 2: „Politisches Führungschaos".
ders.,
1.
Kesseltreiben gegen Abetz
217
Obschon Heß bestrebt schien, auf diese Weise innerhalb der NSDAP außenpolitisches Profil zu zeigen, und die Anbindung an eine hohe Ebene der Parteihierarchie der Dienststelle Ribbentrop die Selbstbehauptung erleichterte, blieb sie doch eine halb staatliche, halb parteigebundene Sonderkonstruktion, die von keiner Seite hundertprozentig anerkannt wurde9. Von den Scharmützeln, die die mit außenpolitischen Fragen befaßten Instanzen einander beständig lieferten, blieb Ribbentrops Personal nicht verschont. Diese Erfahrung machte auch Otto Abetz, der nicht zuletzt wegen seiner frankophil erscheinenden Aktivitäten und seines Arbeitsstils manchen ein rotes Tuch war. An Schärfe zunehmende Sticheleien gegen ihn kulminierten 1937 in einem „Kesseltreiben"10, das seine Karriere vorübergehend gefährdete. Neid und persönliche Mißgunst spielten eine wichtige Rolle bei dieser Intrige, die indes „bei aller Trivialität doch symptomatische Züge trägt"11. Beispielhaft illustriert sie das systemimmanente Machtgerangel auf den Ebenen unterhalb des .Führers' und die infamen Methoden, mit welchen man einander zusetzte. Zugleich verdeutlicht die Affäre, daß Verbindungen zu Franzosen in gewissen Parteikreisen grundsätzliches Mißtrauen erregten und selbst dann auf ausgeprägte ideologische Vorbehalte stießen, wenn sie von oberster Warte angeordnet und gefördert wurden. Bezeichnenderweise machten Abetz' Gegner zu einem Zeitpunkt mobil, als sein Mentor Ribbentrop den Londoner Botschafterposten bekleidete und deshalb häufig von Berlin abwesend war. Die Drahtzieher saßen, wie ein Gerichtsverfahren „eindeutig" ergab, in vermeintlich sicherer Deckung im Auslandsamt der Reichsstudentenführung12. Ihr Sprachrohr war SS-Untersturmführer Dr. jur. Lothar Kühne, der seit 1. März 1937 in der kurz zuvor eröffneten Parteiverbindungsstelle der Dienststelle Ribbentrop arbeitete. Mit Hilfe dieser Einrichtung, die sich unter Leitung von Martin Luther rasch zu einer zweiten tragenden Säule der .Dienststelle' mauserte, gleichberechtigt neben den Länderreferaten, und entsprechend ihrer Unterbringung den Namen Dienststelle Behrenstraße bekam, erstrebte Ribbentrop eine „absolut gleichmäßige Ausrichtung" sämtlicher NSDAPGliederungen in außenpolitischen Fragen und ihre „unbedingte Festlegung auf die vom Führer bestimmte Linie". Besonders das Außenpolitische Amt, mäkelte Luther, habe in dieser Hinsicht „völlig versagt", wodurch „nachweisbar erheblicher außenpolitischer Schaden" verursacht worden sei13. Offenkundiges Ziel Ribbentrops war es, eine möglichst umfassende Kontrolle über die Auslandsaktivitäten der Partei zu gewinnen und sich selber als eine Art Oberaufseher zu etablieren. Zu diesem Zweck wurden zwölf Verbindungsreferate geschaffen und mit langjährigen, als zuverlässig eingestuften Parteigenossen besetzt, die enge Fühlung 9
10 11 12 13
Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 264; Longerich, Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparats durch den Stab Heß und die Parteikanzlei Bormanns, in: ders. (Bearb.), Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, II, Regesten, 3, S. 27 f. Abetz, Das offene Problem, S. 83.
Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 347.
des SS-Gerichts vom 2.2. 1938, gez. Reinecke, pag. 17 und 19f.; BDC/ Abetz. Denkschrift Luthers vom 9. 8. 1937, „Betr.: Dienststelle des Beauftragten für außenpolitische Fragen im Stabe des Stellvertreters des Führers"; PA/AA, R 27183.
Stellungnahme
218
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
den einzelnen Organisationen, angeschlossenen Verbänden und Gauleitungen halten sollten. Ihr Auftrag lautete, alle außenpolitisch relevanten Schritte im NSApparat zu erfassen, den Länderreferaten der .Dienststelle' darüber zu berichten und von diesen veranlaßte Entscheidungen zu übermitteln. Die Verbindungsreferenten zu den Gauleitungen sollten sich zudem bei volks- und grenzpolitischen Themen für die ebenfalls dem Stabe Heß zugeordnete Volksdeutsche Mittelstelle zu Wort melden14. Ein Verzeichnis vom August 1937 nennt folgende Kontakte: zu
Reichsleitung, 32 Gauleitungen, Reichsführer-SS/SD-Hauptamt, Oberste SAFührung, Reichsstudenten- und Reichsjugendführung, Korpsführung von NSKK und NSFK, Reichssport- und Reichsärzteführer, Deutsche Arbeitsfront, NS-Lehrer-,
Beamten-, Rechtswahrer- und Dozentenbund, NS-Frauenschaft und NSV,
Reichsarbeitsführer, Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen, Reichs-
nährstand. Untersturmführer Kühne, Jahrgang 1908, Ende der zwanziger Jahre als Aktivist des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes an der Universität Jena hervorgetreten, gehörte zum Stab des Reichsleiters Bouhler, Chef von Hitlers Privatkanzlei, und wurde für den Dienst in der Behrenstraße beurlaubt15. An seinem neuen Arbeitsplatz sollte er sich um die Verbindungen zum Reichsführer-SS, zum Akademischen Austauschdienst, zu den Nationalsozialistischen Erziehungsanstalten und zur Reichsstudentenführung kümmern, der er früher selber angehört hatte16. Hinzu kamen zwei Spezialaufträge: Karl Hederich, ein Bekannter aus Studienzeiten, inzwischen stellvertretender Vorsitzender der ebenfalls bei Bouhler angesiedelten Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schütze des nationalsozialistischen Schrifttums, bat Kühne, auf einen „beschleunigten Prüfungsgang" von Volksdeutschen, außen- und kolonialpolitischen Publikationen hinzuwirken. Auch der SD spannte ihn ein. Heydrich instruierte ihn, das Dienststellenpersonal kritisch zu durchleuchten und „alles zu tun", was im Interesse der Bewegung und des Botschafters liege. Ribbentrop, so Heydrich, sei der einzige Außenpolitiker, der dem .Führer' bislang wirklich geholfen habe; er habe jedoch „keinen leichten Stand"17. Solche Fürsorglichkeit rührte vermutlich daher, daß Ribbentrop, um Abschirmung gegen parteiinterne Feinde bemüht, sich bei seinem Duzfreund Heinrich Himmler anlehnte, was wiederum dessen Absicht entgegenkam, den Einfluß der Schutzstaffel auszudehnen. Seit kurzem tauschte man, das Auswärtige Amt geflissentlich ignorierend, vertrauliche Berichte zu Vorgängen im In- und Ausland aus18. Kühne nahm die ihm zugedachte Überwachungsfunktion ernst. Pflichteifrig studierte er die im Sicherheitshauptamt lagernden Personalakten der RibbentropMitarbeiter und gewann prompt den Eindruck, daß die .Dienststelle' ein wahrer 14 15
Zirkular zur Organisation der Dienststelle Ribbentrop, 13. 8. 1937, ebenda. Vernehmung Kühnes durch das SS-Gericht, Niederschrift vom 2. 12. 1937, pag. 1; BDC/
Abetz. 16
Geschäftsverteilungsplan
der
R27183. 17 18
Verbindungsstelle
Behrenstraße 14/16, o.D.; PA/AA,
Vernehmungsniederschrift Kühne, pag. 1 f.; BDC/Abetz. Vernehmungen Hederichs im April, Oktober und Dezember 1947; StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, H 60. Döscher, Auswärtiges Amt, S.
150 f.
1. Kesseltreiben gegen Abetz
219
Augiasstall sei, den es auszumisten gelte. Er trug eine lange Reihe von Vorwürfen und Anschuldigungen zusammen und verfaßte einen Bericht für den SD, der sich „durch Irrtümer, Entstellungen und Einseitigkeiten auszeichnete"19 und Ribbentrop über die Maßen erzürnte. Kleinere Unregelmäßigkeiten wurden aufgebauscht; daneben entlarvte Kühne mehrere Mitarbeiter als Mischlinge zweiten Grades und „nichtarisch versippt", monierte die hohe Zahl von Nicht-Parteigenossen und behauptete, die .Dienststelle' sei von Bündischen und Probolschewisten unterwandert20. Geradezu abenteuerliche Gerüchte und Verleumdungen sammelte er über Abetz. Seine wichtigsten Informanten waren die Münchener Studentenschaftsfunktionäre Reiche und Sonnenhol21 sowie eine Clique von ehemaligen Angehörigen der RStF, inzwischen für andere Parteistellen und in Ministerien tätig, allen voran der frühere Außenamtsleiter Hagert, den Abetz als treibende Kraft hinter den Diffamierungen vermutete22. Sie wiederum steckten mit dem französischen Grafen Clément Serpeille de Gobineau unter einer Decke, dem sektiererischen, von rechtsextremen Gesinnungsfreunden belächelten, angeblich homosexuellen Enkel des Rassentheoretikers. Abetz hatte ihn im Auftrag Schirachs Ostern 1935 zum Reichsjugendberufswettkampf nach Saarbrücken eingeladen, eine „für einen Erfolg in Frankreich ungeeignete, 150% ige Begeisterung für den Nationalsozialismus" konstatiert und die im ganzen unerquickliche Verbindung bald wieder abgebrochen. Als Gobineau dann auch noch die Leitung der Jugendsektion des Comité France-Allemagne verweigert wurde, soll er Abetz persönliche Rache geschworen haben: „Je le ferai sauter à Berlin!" In der Folge suchte er ihn unter anderem beim Rassepolitischen Amt der NSDAP anzuschwärzen23. Auch der Schriftsteller André Germain, von Abetz ebenfalls der Homosexualität bezichtigt und gemieden, konspirierte nach Erkenntnissen des französischen Botschaftsattaches Raoul Bertrand mit den Intriganten, die den Karlsruher „dauernd der gehäßigsten Kritik unterzogen"24. '
19 20
Jacobsen, Außenpolitik, S. 308.
Vernehmungsniederschrift Kühne, pag. 3 ff. Tatsächlich arbeiteten in der .Dienststelle' einige sogenannte Nichtarier, die Ribbentrop bis 1937 zu halten verstand. Etliche Beschwerden in diese Richtung hatten nach Auffassung der SS-Richter „Hand und Fuß" (Stellungnahme vom 2. 2. 1938, pag. 13), waren jedoch dank „zwischenzeitlicher Maßnahmen", sprich Ausscheiden der Inkriminierten, „gegenstandslos" geworden, wie Stabsführer
Humann-Hainhofen am 13. Dezember 1937 vermeldete. BDC/Abetz. jur. Gustav Adolf Sonnenhol, persönlicher Referent des Reichsstudentenführers Scheel, war nach 1945 unter anderem in den Bundesministerien für Angelegenheiten des Marschallplans und für wirtschaftliche Zusammenarbeit tätig und vertrat die Bundesrepublik bei der OEEC, in Südafrika und in der Türkei. Dr. ing. Hans-Werner Hagert, Jg. 1906, NSDAP-Mitglied seit Juli 1930, arbeitete 19371939 in der Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie des Dr. Ungewitter, später auf Vermittlung Hederichs in der Privatkanzlei des .Führers'. Vgl. StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, H 11 und H 60. Von Abetz zusammengestelltes Entlastungsmaterial für ein SS-Ehrenreinigungsverfahren, V: „Aufzeichnungen über die Gründe, in Dr. Hagert den intellektuellen Urheber der Angriffe gegen die Arbeit und Person des Frankreich-Referenten der Dienststelle zu sehen"; BDC/Äbetz. Abetz an Ribbentrop, 12. 8. 1937; Entlastungsmaterial Abetz, Aufzeichnungen II und V.5; Stellungnahme des SS-Gerichts vom 2. 2. 1938, pag. 20; ebenda. Entlastungsmaterial Abetz, V: „Äußerungen [...] Bertrandfs] über Intrigen gegen meine v.
21
22
23 24
Dr.
220
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
Die Herren, auf deren Zeugnis sich Kühne berief, verbreiteten knapp zusammengefaßt -, Abetz sei ein judophiler, linksradikal inspirierter süddeutscher Sepa-
ratist und obendrein „Halbfranzose". Seine Mutter stamme aus der Auvergne, seine Frau sei Sekretärin bei Daladier gewesen, sein französischer Schwiegervater verlege sozialistische Schriften. Abetz habe Maßnahmen Hitlers „planmäßig sabotiert", so die rechtzeitige Publikation des Jouvenel-Interviews, die er „bei gutem Willen" ohne weiteres hätte bewerkstelligen können. Bei seiner Arbeit in Frankreich vernachlässige er sträflich die politischen Rechtsparteien und funke andauernd der Deutschen Botschaft in Paris dazwischen. Einen Strick versuchte man ihm ferner aus seiner jugendbewegten Vergangenheit zu drehen: Der Sohlbergkreis habe unter nationalem Anstrich marxistisch-universalistisches Gedankengut propagiert und müsse im nachhinein als „besonders gefährlich" eingestuft werden. Abetz sei „bündisch versippt", was unter anderem daraus hervorgehe, daß er über den früheren Freischarführer Kügler Zugang zur Dienststelle Ribbentrop gefunden habe und mit diesem und anderen Bündischen „intim befreundet" sei25. Sein Verhalten, resümierte Kühne, grenze an „Hoch- und Landesverrat", er müsse „unter allen Umständen von seinem Posten entfernt werden"26. Um dieser Forderung Gewicht zu verleihen, versuchte Kühne Kollegen des Karlsruhers aufzuwiegeln, blitzte aber sowohl bei Personalchef Böttger als auch bei Ribbentrops Stellvertreter Dr. v. Raumer ab. Raumer erinnerte an die wertvollen Kontakte des Frankreichreferenten und gab zu bedenken, „daß der Botschafter gerade Herrn Abetz ganz besonders schätze"27. Daraufhin nahm Kühne die Kolonialexperten Hans Kuhlmann und Wolfgang Oetting ins Visier. Gelegentlich einer Besprechung am 3. Juli 1937, die sich zunächst um unterschiedliche Auffassungen von nationalsozialistischer Kolonialpolitik drehte28, ließ er kein gutes Haar an Abetz. Der Mann sei derart belastet, daß diverse Parteistellen, etwa die Reichsstudentenführung und Gauleiter Bohle, jede weitere Zusammenarbeit mit der .Dienststelle' in Frankreichfragen ablehnten, solange er noch dort säße. Es sei unvereinbar mit den Aufgaben einer NS-Behörde, einen solchen Menschen als Hauptreferenten an politisch exponierter Stelle zu halten. Als Wink mit dem Zaunpfahl folgte der Hinweis, daß die Ribbentrop-Organisation „sowieso von allen Seiten beschossen" werde. „Erste Vorbedingung" für eine Festigung ihrer Position innerhalb der Partei sei, daß Leute wie Abetz verschwänden. Kuhlmann wies die Anschuldigungen ebenfalls zurück und alarmierte Stabsführer v. Humann-Hainhofen, der eilends Erkundigungen bei der Gestapo einholte. Als feststand, daß dort „nicht das geringste Material" gegen Abetz vorlag, informierte Kuhlmann diesen über Kühnes Äußerungen. Abetz stellte den SD-Inquisitor zur Rede und offenbarte, einmal in Fahrt, südländisches Temperament. Allem AnPerson seitens der Deutschen Studentenschaft". Er datierte Bertrands 25 26 27 28
Mitteilungen auf Ende September 1935; ebenda. Undatierter Bericht Kühnes, vermutlich von Anfang September 1937; Stellungnahme des SS-Gerichts, pag. 3 ff.; ebenda. Zit. in der Stellungnahme des SS-Gerichts, pag. 5. Zit. in Aktennotiz Kuhlmann vom 9. 7. 1937, „betreffend Mitteilungen des Herrn Dr. Kühne über Herrn Abetz"; ebenda. Dort auch das Folgende. Vernehmungsniederschrift Kühne, 2. 12. 1937, pag. 6f., ebenda.
1. Kesseltreiben gegen Abetz
221
schein nach im Bilde, woher der Wind wehte, sagte er Kühne auf den Kopf zu, Urheber der Verleumdungen seien die Reichsstudentenführung, Kreise um Hagert und Gobineau, ferner Teile des französischen Botschaftspersonals in Berlin, die ein Interesse hätten, „das beste Pferd aus dem Stall Ribbentrop" zu neutralisieren. Er
schimpfte
seine
Gegner „schmutzige intriganten", „Lausbuben", „rassische
Untermenschen" und dergleichen mehr, „Balkantypen", denen er liebend gern „rechts und links in die Fresse schlagen" würde. Wiederholte Ordnungsrufe Kühnes steigerten nur seinen Zorn. Hagert und Konsorten seien erbärmliche Lumpen, erst recht, wenn sie das Goldene Parteiabzeichen trügen. Die Reichsstudentenführung befinde sich „noch im außenpolitischen Reifezustand", er dagegen habe „in Frankreich schon hunderttausend Leute auf die Beine gebracht, die für Deutschland eintreten"29. Sein mit Verbalinjurien gespickter Gemütsausbruch trug Abetz mehrere Ehrenhändel ein, sobald Kühne den Gesprächsinhalt herumerzählte. Hagert forderte zum Duell mit Pistolen, Sonnenhol bevorzugte schwere Säbel30. Sieben weitere SS-Führer verlangten moralische Satisfaktion und disziplinarische Schritte gegen Abetz' „unglaubliche Anwürfe", wie einer der Kläger empört formulierte. Zu diesem Zweck bemühten sie die SS-Gerichtsbarkeit31. Ein Blick auf ihre Biographien verrät, daß Abetz es keinesfalls mit Leichtgewichten, sondern altgedienten, zum Teil hochdekorierten Parteigenossen zu tun bekam, mit einer Seilschaft, deren Glieder ihre Karrieren im NS-Studentenbund begonnen und sich als Wegbereiter Hitlers an den Hochschulen profiliert hatten. Der Jurist Hans Glauning, persönlicher Referent von Reichserziehungsminister Rust, war f 927/28 Stellvertreter des NSDStB-Gründers Tempel und ein Programmatiker der ersten Stunde. Walter Lienau und Kurt Ellersiek vom Rasse- und Siedlungshauptamt agierten zu Beginn der dreißiger Jahre als Kreisleiter für NSDStB bzw. Deutsche Studentenschaft in Bayern, desgleichen der Schutzstaffelveteran Eberhard v. Künsberg, der 1937 zur SS-Hauptreitschule München stieß. Gerhard Krüger, promovierter Historiker und seit 1935 Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der Parteiamtlichen Prüfungskommission, daneben Cheflektor im Leipziger Verlag Bibliographisches Institut, machte als Studentenfunktionär in Mitteldeutschland von sich reden, mußte allerdings 1933 den DSt-Vorsitz wegen Belästigung von Kommilitoninnen
abgeben32.
29
30 31
Nach einem Gedächtnisprotokoll Kühnes vom 8. 7. 1937, ebenda. Die Unterredung fand am gleichen Tag statt. Abetz, der betonte, er sei kein „Form-Mensch", hat die Ausdrücke später mehrfach bestätigt. Aufzeichnungen Abetz' vom 12.8. und 8. 10. 1937, ebenda. Sturmbannführer Ellersiek an RSHA, 13. 8. 1937; Hauptsturmführer v. Lieben, auch im
Auftrag von Hauptsturmführer Lienau, an RSHA, 13. August; Hauptsturmführer Frhr. Künsberg an Reichsführung-SS, 15. August; Reichshauptamtsleiter Hederich und Reichsamtsleiter Dr. Krüger an das Oberste Parteigericht, Krüger an Oberste SA-Führung, 19. August; Obersturmführer Glauning an Reichsführung-SS, 4. September. Reichs-
v.
32
studentenführer Scheel versuchte den Beschwerden durch einen Brief an SS-Richter Scharfe (17. September) Nachdruck zu verleihen. Sämtliche Dokumente BDC/Abetz. Diese Angaben nach Faust, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, 2, S. 157 ff. und passim. Speziell zu Krüger auch Michels, Deutsches Institut, S. 104 ff.
222
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
Auffällig ist, daß sechs der Kläger laut Kühne-Protokoll von Abetz gar nicht namentlich attackiert worden waren, was letzterer denn auch energisch bestritt33. Er sollte wohl von einer Beschwerdeflut überrollt werden. Anderseits will er die Ehrenhändel absichtlich provoziert haben, um seine Feinde, die sich bevorzugt als Heckenschützen betätigten, zum offenen Kampf zu zwingen34. Von unbändiger Wut erfüllt, erweiterte er die Fronde gegen sich sogar noch, indem er zwei Kartellträgern, die im Auftrag ihrer Kameraden Genugtuung verlangten, in schroffer Manier die Tür wies35. Selbstbewußt strengte er ein Disziplinarverfahren gegen sich selber an, „um die Haltlosigkeit der gegen mich in Umlauf gebrachten [...] Verleumdungen festzustellen, und um die Erfinder und Verbreiter dieser Verleumdungen zur Rechenschaft ziehen zu können" ein Indiz, daß er sich in hinreichend günstiger Position wähnte, seinen Widersachern standzuhalten36. Entlastung erwartete er nicht nur aus dem eigenen Hause, sondern auch durch die Reichsjugendführung. In einem Schreiben an das RJF-Personalamt bat er um Nachforschungen in seiner badischen Heimat, die belegen sollten, daß er weder der Bündischen Jugend angehört hatte noch vor 1933 als aktiver Gegner des Nationalsozialismus aufgetreten war37. Die alten Weggefährten ließen ihn nicht im Stich wenige Wochen später vermerkte er befriedigt, das Ergebnis der Recherchen liege nunmehr vor und die Reichsjugendführung wolle ihm „beim Schutz meiner Ehre beistehen"38. Mit einem ausführlichen Brief setzte er seinen in London weilenden Chef ins Bild und beteuerte, „weder vor noch nach der Machtergreifung jemals etwas getan [zu haben], was ich nicht jederzeit als Nationalsozialist verantworten könnte"39. Ribbentrop ließ daraufhin ausrichten, daß Abetz (wie auch Kühne) bis zur Klärung der Angelegenheit beurlaubt sei, laufende Arbeiten, die keinen Aufschub duldeten, jedoch fortsetzen dürfe40, eine Regelung, mit welcher er offenbar gut leben konnte. Die meisten Projekte, stellte er erleichtert fest, „kann ich in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Deutsch-Französischen Gesellschaft [...] weiterführen, da sie meistens nach außen hin in diesem Rahmen begonnen worden sind"41. Einmal mehr wird die Feigenblattfunktion der DFG für Aktivitäten der Dienststelle Ribbentrop bestätigt. -
-
33
34 35
Gedächtnisprotokoll Kühnes vom 8. 7.
1937 und Nachtrag vom 14. Juli; v. Lieben, „Bericht über den Besuch bei SS-Untersturmführer Abetz", 13. August, und Aufzeichnung Abetz' hierzu vom Vortag; Rückäußerung Abetz' zu einem Schreiben Hederichs und Krügers an die Reichsführung-SS, 1. September; BDC/Abetz.
Rückäußerung
pag. 15; ebenda.
37 38 39
40 41
1.
September; Vernehmungsniederschrift Abetz,
7.
Dezember,
„A.[betz] schlug auf den Tisch, sprang auf, packte P.[atutschnik] bei der Schulter, riß die Tür auf und versuchte ihn hinauszustoßen. Dabei brüllte er: .Machen Sie, daß Sie rauskommen, ich will mit Ihnen nichts mehr zu tun haben!' Und zu mir: ,Sie auch'." Bericht Lieben, 13. August, ebenda. Abetz an SS-Hauptamt, 20. 7. 1937; Abetz an Ribbentrop, 12. August; ebenda. Abetz an Obergebietsführer Heinz John, 1. 9. 1937, ebenda. Abetz, „Notiz für Botschafter v. Ribbentrop", 9. 10. 1937, ebenda. Abetz an Ribbentrop, 12. August. v. Raumer an Abetz, 20. August, ebenda. Abetz an v. Raumer, 21. August, ebenda.
v.
36
vom
223
2. Motive der Kläger
Es ist nicht erkennbar, daß Abetz in der Folge zurücksteckte. Unmittelbar nach seiner „Beurlaubung" begleitete er 42 Amtschefs der Reichsjugendführung und Gebietsführer der HJ zur Pariser Weltausstellung, entgegen seiner Ankündigung, sich vom DFG-Vorsitzenden v. Arnim vertreten zu lassen42. Zu bedeutsam erschien ihm und wohl auch seinen Vorgesetzten die Visite der Repräsentanten von Millionen junger Deutscher im Nachbarland, als daß er freiwillig in Berlin geblieben wäre. Die hochkarätige Delegation unter Leitung von Schirachs Stellvertreter Hartmann Lauterbacher, auf dessen Bitte er die Fahrt vorbereitet hatte, wurde im Rathaus von Versailles, vom Comité France-Allemagne und den großen Frontkämpferverbänden empfangen und besuchte die Schlachtfelder von Verdun43. Auch bei der Einladung französischer Gäste und Journalisten zum Reichsparteitag sprach Abetz seitens der .Dienststelle' wie gewohnt ein gewichtiges Wort mit; ausweislich der Akten unterbreitete er Heß noch Ende August letzte Vorschläge samt Begründungen44. Lediglich im Hinblick auf den Parteitag selbst disponierte er „vorbehaltlich einer [...] anders lautenden Anweisung des Botschafters" um: v. Arnim sollte sich um die im Nürnberger „Grand Hotel" logierenden Ehrengäste Hitlers kümmern, während er selbst im Hintergrund bleiben und in Zivil nach den in Bamberg untergebrachten anderen französischen Besuchern sehen wollte45. Prompt monierten Hederich und Krüger, daß er „trotz seines mit nationalsozialistischer Ehrauffassung nicht zu vereinbarenden Verhaltens Betreuungsdienst für ausländische Parteitagsteilnehmer geleistet hat und auch sonst noch in jeder Weise dienstlich tätig ist"46. Die Beschwerde blieb ohne Folgen, ein früher Hinweis dafür, daß Abetz' Stellung nicht ernstlich erschüttert war. -
-
-
-
2. Auslandsarbeit
ideologischem Druck: Motive der Kläger unter
Beweisaufnahme und Gerichtsverfahren erhellten die Motive der Intriganten und lassen das stereotype Merkmale aufweisende Strickmuster ihrer Kampagne hervortreten. Im institutionalisierten Konkurrenzkampf nationalsozialistischer Organisationen waren Reibereien zwischen Studentenschaft und .Dienststelle' nicht ausgeblieben. Gegen Ribbentrops Anspruch, sämtliche über die Landesgrenzen hinausweisenden Regungen zu koordinieren und zu kontrollieren, stemmten sich die DSt-Funktionäre aus programmatischen wie materiellen Gründen. Sie begriffen vor allem den studentischen Bereich auswärtiger Kulturpolitik als eigene Do42
43
44 45 46
Ebenda. Kiersch (Behrenstraße) an Konsul Dopffel (AA), 12. 8. 1937; PA/AA, Botschaft Paris 1061 b. DFM, September 1937, S. 307; Abetz, Das offene Problem, S. 69; Tiemann, Jugendbeziehungen, S. 349. Lauterbacher, von Abetz gedolmetscht, bekräftigte vor der Pariser Presse den Aussöhnungswillen der deutschen Jugend. Paris-Midi, 27. 8. 1937, Le
Temps vom 28. August. PA/AA, R 99143; vgl. Kap. V.
Abetz an v. Raumer, 1. 9. 1937; BDC/Abetz. Hederich und Krüger an das Oberste Parteigericht, 24. 9. 1937, ebenda.
224
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
gegründeter, im Hauptamt II (Grenzland- und Außender Reichsstudentenführung verankerter „Kreis Ausland", Vertrauenspolitik) leute an den ausländischen Hochschulen und offizielle DSt-Repräsentanten im jeweiligen Gastland sollten unabhängige Informationskanäle und Betätigungsfelder erschließen. Auslandssemester wurden primär nach politischen Kriterien vergeben, die Kandidaten ideologisch geschult und vor Ort überwacht. Sie sollten einzeln oder gruppenweise „eingesetzt" werden, wo immer dies „im Interesse von Volk und Staat geboten" schien. Was damit gemeint war, umreißt eine Dienstanweisung des Außenamtes vom November 1934: „Ziel der Außenarbeit der DSt ist, im deutschen Studenten den Willen zur Gestaltung des europäischen Raumes zu wecken [...] und die Werte der Revolution des Nationalsozialismus in Europa durchzusetzen."47 Vor kontraproduktiven Folgen einer allzu radikalen Politisierung der akademischen Auslandsbeziehungen und unverblümter weltanschaulicher Wühlarbeit, die leicht als subversiv interpretiert werden konnte, warnte nicht nur der DAAD48. Gerade ein Abetz, der subtile Propaganda bevorzugte, könnte ob ihrer Gestaltung in Frankreich mit der Reichsstudentenführung über Kreuz geraten sein, zumal er die monopolistischen Ambitionen seines Dienstherrn teilte und gegenüber anderen Stellen zu hochfahrender Belehrung neigte, erkennbar eingenommen von den eigenen Methoden49. Die Vermutung, daß unterschiedliche Strategien hinsichtlich der ideologischen Einfärbung der Auslandsarbeit ein Hauptgrund für das Zerwürfnis mit der Reichsstudentenführung waren, erhärtet sich im Spiegel der Prozeßakten. Eifernde, gedanklich unbewegliche Parteigenossen vom Schlage eines Hagert oder Kühne mißtrauten Abetz allein deshalb, weil ihnen seine französische Klientel in alarmierendem Ausmaß politisch linkslastig, ja „marxistisch" erschien ein Beschwerdegrund, der sich wie ein roter Faden durch die Dokumente zieht50. Schon im Mai 1935 fühlte Abetz sich brüskiert, als Hagert einen von der Studentenschaft organisierten Vortrag des jungen, der Jeune Droite zugehörigen Dichters Thierry Maulnier in Berlin sinngemäß einleitete, dies sei die erste deutsch-französische Jugendkundgebung auf einwandfreier nationaler Grundlage. An allen voraufgegangenen wären Repräsentanten und Verbände der Linken beteiligt gewesen; eine mäne. Ein im März 1934
-
47 48
49
Die vorstehenden Angaben nach Laitenberger, Akademischer Austausch, S. 164 ff., 241 ff., die Zitate S. 243. Vgl. Meyer-Kalkus, Akademische Mobilität, S. 46. Hierbei verschonte er nicht einmal das eigene Lager: Waldemar Strenger, Reemtsma-Direktor und Präsident des DFG-Ablegers Rheinland, ereilte ein Rüffel, weil er mit Neurath korrespondiert hatte, „ohne hiervon der Partei, dem Vorstand der DFG oder uns Mitteilung zu machen". Aktennotiz Dr. Garben (Dienststelle Behrenstraße) über eine Besprechung mit Abetz, 11. 12. 1937; PA/AA, R 27129. Der diplomatischen Vertretung in Brüssel, die wiederholt Beschwerde führte, nicht über die Aktivitäten von Ribbentrops Belgienreferent Max Liebe informiert zu werden, attestierte Abetz in der Diktion kein Einzelfall „völlige Ahnungslosigkeit in der Handhabung und [...] Auswertung von Beziehungen zu Ausländern in Deutschland ideologisch nicht nahestehenden Staaten". Aktennotiz Abetz, 14. 1. 1939; PA/AA, R 27135. Die mit osteuropäischen Fragen befaßten Ribbentrop-Mitarbeiter Kleist und v. Raumer wurden entsprechend als „Probolschewisten" verunglimpft. Vernehmung Kühne, pag. 9 ff.; BDC/Abetz. -
-
50
2. Motive der Kläger
225
Verständigung sei aber nur möglich und statthaft, wenn aus beiden Ländern aus-
schließlich Vertreter der nationalistischen Lager zusammenkämen. Das konnte durchaus gegen Abetz gemünzt sein, der die Jugendkontakte seither maßgeblich gestaltet und ein halbes Jahr zuvor den „Linken" Jules Romains zu einem gefeierten Vortrag in Anwesenheit prominenter Nationalsozialisten nach Berlin geholt hatte51. Die Episode verdeutlicht, wie schwer sich manche Parteigenossen mit der von Ribbentrops Leuten lancierten Verständigungsoffensive taten, die Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten signalisierte. Sie wollten statt dessen Fühlungnahmen strikt auf das rechte Spektrum beschränkt wissen und akzeptierten einzig ein dezidiert ideologiebetontes Auftreten im Ausland. Diplomaten des ,neuen' Deutschland sollten „Priester der nationalsozialistischen Weltanschauung" sein52, Außenpolitik wurde auf die bloße „Durchsetzung unserer Weltanschauung" reduziert53. Solche Eindimensionalität belastete das Verhältnis zur flexibel agierenden Dienststelle Ribbentrop, wo Diplomatie als „Tauziehen" definiert wurde54 und man sich nicht scheute, mit Rücksicht auf realpolitische Gegebenheiten und in Abwägung möglicher Vorteile zumindest zeitweise auch mit Personen zu kooperieren, „die weltanschaulich abzulehnen sind"55. Verborgen blieb den Fundamentalisten die taktische, Hitlers nicht minder elastische Frankreichpolitik gekonnt umsetzende Finesse, gerade den „auf lange Sicht hinaus ausschlaggebenden Links-Kreisen"56 im Nachbarland gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, um das beachtliche Potential an Verständnis und Verständigungsbereitschaft auch in ihren Reihen auszuschöpfen und germanophobe Strömungen in direkter Auseinandersetzung nach Kräften zu neutralisieren57. Auf ihresgleichen fixiert, erkannten Abetz' Gegner darin nur eine sträfliche, den Reichsinteressen abträgliche Vernachlässigung der „nationalstolzen" Rechtsparteien und stellten sogleich seine
politische Zuverlässigkeit in Frage.
Die Zweifel manifestierten sich unter anderem in massiver Kritik an der Deutsch-Französischen Gesellschaft und dem Comité France-Allemagne. Am Reichsleistungskampf der Deutschen Studentenschaft f 936 beteiligten sich Angehörige der Außenstelle Nordwest/Köln mit einer Arbeit über „Die französische Kulturpropaganda in West- und Mitteleuropa"58, die den gängigen Vorwurf aufgriff, Frankreich sabotiere systematisch einen auf dem Prinzip der Gleichberechtigung basierenden kulturellen Austausch und treibe statt dessen zerstörerische, einem „unsichtbaren Eroberungskrieg" ähnelnde Kulturpropaganda, dem tradi51 32
53 54 55 56 37 58
Entlastungsmaterial Abetz, Aufzeichnung V, ebenda. Maulnier sprach über „Die Krise des Humanismus"; DFM, Mai-Juni 1935, S. 255.
Notiz Kühnes zur Erziehung des diplomatischen Nachwuchses, 19. 10. 1937 lage bei dem Herrn Botschafter"); PA/AA, R 27114. Vernehmungsniederschrift Kühne, 2. 12. 1937, pag. 10; BDC/Abetz. v. Raumer, zit. von Kühne, ebenda. v. Humann-Hainhofen an Reinecke (SS-Gericht), 13. 12. 1937, ebenda. Abetz an SS-Hauptamt, 20. 7. 1937, ebenda.
Vgl. Entlastungsmaterial Abetz, Frankreich", ebenda.
IV:
„Stellungnahme
zur
außenpolitischen
(„Zur Vor-
Arbeit in
Die Schrift mit der offiziellen Registriernummer 371 konnte im Original nicht ermittelt werden. Abetz zitierte sie ausführlich in seinem Entlastungsdossier, Aufzeichnung V.4, ebenda.
226
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
tionellen Ziel verpflichtet, das Reich ohnmächtig zu halten. Die Pariser Regierenden benützten die deutsche „Willfährigkeit", französisches Geistesleben einfließen zu lassen, um gesunde Abwehrinstinkte gegen ihr „imperialistisches Machtstreben" zu korrumpieren, während sie gleichzeitig versuchten, ihre eigenen Landsleute gegen alle Träger deutschen Kulturbewußtseins abzuschirmen. In diesem Kontext erschien den Autoren das Comité France-Allemagne als nachgerade beispielhafte Einrichtung, „jeden Ansatz deutscherseits, in Frankreich Freunde zu finden, in möglichst wirkungslosen Vereinigungen abzufangen". Überzeugt, daß der kulturpolitische Leitgedanke, „die nationale Kultur so zu stärken, daß sie in dem ewigen Kampf gegen die anderen Kulturen bestehen kann", hier mit gänzlich untauglichen Mitteln verfolgt werde, polemisierten sie munter drauflos: Allein der Umstand, daß Männer wie Lichtenberger („französischer Kulturemissionär [sie!] in allen germanischen Ländern"), Fourneau („vertraulicher diplomatischer Missionar") und de Jouvenel („bekannt durch die fünftägige Unterschlagung des Führerinterviews") im CFA etwas zu sagen hätten, gebe „Gewißheit, daß es französischerseits kaum ernst mit der Verständigung und der Gegenseitigkeit des Kulturaustausches gemeint ist. Oder hat man schon etwas von einem deutschen Konzert in Frankreich gehört als Erwiderung auf das im Schloß Monbijou stattgefundene französische unter Teilnahme höchster politischer und kultureller Persönlichkeiten? Die Rede des Reichssportführers in Paris am 29. November 1935 hätte gewiß [...] größere Wirkung in französischen Sportskreisen gefunden, wenn die Veranstaltung nicht durch das Comité aufgefangen worden wäre."59 Abetz witterte hinter der „völlig irrigen" Beurteilung des CFA, das gewöhnlich eher der Vorwurf treffe, zu einseitig nationalistisch besetzt zu sein, eine ebenso gezielte wie symptomatische Attacke gegen seine Person und versuchte zu eruieren, woher die Verfasser ihre Informationen bezogen hatten60. Er verdächtigte die Zweigstelle des Akademischen Austauschdienstes in Paris, deren Leiter Karl Epting, ein kritischer Analytiker französischer Geisteshaltung, mehrfach zitiert worden war. Epting pflegte Frankreich als ein Land zu porträtieren, das den Zenit an politischer Strahlkraft, künstlerischer Kreativität und biologischer Regenerationsfähigkeit überschritten habe, jedoch dank seines ausgeprägten Sendungsbewußtseins und geschickter auswärtiger Kulturpolitik, gepaart mit rigider Abschottung gegen fremde Ideen, den fälligen Abschied als geistige und politische europäische Tschammer und Osten, der offiziell zu den Olympischen Spielen einlud, trat mitnichten dem CFA auf. Er wurde von Ministerpräsident Laval, Marineminister Piétri, dem für Sport zuständigen Kabinettskollegen Lafont und dem französischen Olympischen Komitee empfangen und besuchte die Redaktion der Sportzeitung L'Auto; DFM, Januar 1936, S. 30. In die gleiche Kerbe hieb Kühne, der eine angebliche Äußerung von Henri de Kerillis kolportierte, die CFA-Mitglieder hätten keinerlei politische Bedeutung; Bericht vom 3. 9. 1937, pag. 5 f.; BDC/Abetz. Abetz deutete den Vorwurf nach Kriegsende gegenüber französischen Ermittlungsbeamten an: „La Deutsch-Französische Gesellschaft se vit à Berlin souvent vivement critiquée car on lui reprochait de faire un travail de dupe en propageant l'idée du rapprochement d'une manière si large et intensive en Allemagne alors qu'il n'y avait en France aucune contrepartie de la part du Comité France-Allemagne." Verhörprotokoll Nr. 204/6 vom 20. 11. 1945, „Déclarations relatives au Comité FranceAllemagne", pag. 4; AN, F 7/15331.
59 v.
nur vor
60
Entlastungsmaterial Abetz, wie Anm. 57.
2. Motive der Kläger
227
Führungsmacht gekonnt hinauszögere61. Beim Pariser DAAD dementierte man indes jede tätige Mithilfe am Elaborat der Kölner Studenten. Sie mutet schon deshalb wenig wahrscheinlich an, weil Abetz und Epting seit Jahren freundschaftliche Beziehungen unterhielten. Abetz, so wurde behauptet, durfte die technische Ausstattung der Zweigstelle zur Übermittlung von Berichten nach Berlin benutzen, was es ihm erleichterte, unabhängig von der Botschaft zu operieren und ihr Einzelheiten und Resultate seiner Missionen vorzuenthalten62. Zudem war auch Epting in Führungszirkeln der Deutschen Studentenschaft nicht eben wohlgelitten, was dem Umstand, daß ausgerechnet er als Kronzeuge für Gefahren der französischen Kulturpropaganda aufgeboten wurde, eine pikante Note verleiht. Die Reichsstudentenführung warf ihm vor, eine übertrieben sachliche, zu wissenschaftlich orientierte Tätigkeit zu entfalten, anstatt die Arbeit der Zweigstelle im erforderlichen Maße „politisch [zu] unterbauen"63. Eptings taktische Mäßigung auf diesem Gebiet er lehnte unter anderem die Bespitzelung emigrierter deutscher Hochschullehrer an französischen Universitäten durch DAAD-Stipendiaten ab64 provozierte Drohgebärden, die ihren Höhepunkt im Herbst 1938 erreichten. Ähnlich wie in der Abetz-Affäre ein Jahr zuvor wird der rüde-verschlagene Umgang der Reichsstudentenführung mit vermeintlichen Rivalen und mißliebigen Verfechtern alternativer Konzeptionen in der Frankreicharbeit schlaglichtartig beleuchtet. Ein gemeinsamer Erfahrungshorizont zweier Opfer von Rufmordkampagnen tut sich auf, der für ihren später praktizierten Schulterschluß, wann immer die Botschaft während des Krieges kulturpolitisch unter Beschüß geriet, ohne Zweifel bedeutsam war. Im Falle Eptings woirde unter Pariser DAAD-Mitarbeitern und in französischen Universitätskreisen das Gerücht seiner baldigen oder schon erfolgten Ablösung gestreut, was Beunruhigungen auslöste und die Arbeit der Zweigstelle vorübergehend beeinträchtigte. Sonnenhol, der tatsächlich auf den Posten des Zweigstellenleiters schielte, bedeutete Epting, auf dessen bislang erfolglose Bemühungen um die NSDAP-Mitgliedschaft anspielend, es werde „allerdings verlangt, daß die Stelle von einem durch die Partei gegangenen Mann bekleidet werde. Dies sei insbesondere auch die Forderung der -
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Vgl. Michels, Deutsches Institut, S. 19 ff., 32 ff. Nach Michels' Erkenntnissen hat sich Epting, 1905 als Sohn eines Missionars der Basler Evangelischen Missionsgesellschaft an der afrikanischen Goldküste geboren, promovierter Germanist, 1929-1931 Leiter der Akademischen Auslandsstelle und Geschäftsführer des Studentenwerks Tübingen, 19311933 Mitarbeiter des Genfer Weltstudentenwerks, seit Anfang 1934 in Paris, mühelos mit dem Nationalsozialismus arrangiert und die DAAD-Zweigstelle zu einem „Zentrum kultureller Ausstrahlung des ,neuen' Deutschlands" gemacht. Aussage Feihl gegenüber der Sûreté Nationale, Protokoll Nr. 149/2 vom 1. 9. 1946; AN, 3 W 358, Dossier Feihl. Epting bestätigte nach dem Krieg, Abetz beim Anbahnen von Kontakten und der Organisation kultureller Veranstaltungen von CFA und DFG geholfen zu haben, bestritt aber, ins Kommunikationsnetz der Dienststelle Ribbentrop eingeklinkt gewesen zu sein. Anhörung bei der Direction des Renseignements Généraux, 7. 6. 1947; ebenda, Dossier Epting. So Günter Diehl, früherer Mitarbeiter der Kölner Studentenschaft und Ex-Vertrauensmann der DSt für Frankreich, Mitte Oktober 1938 im Gespräch mit Epting. Aktennotiz im Nachl. Epting, Fotokopie im BA Koblenz, Sammlung Laitenberger.
Meyer-Kalkus, Akademische Mobilität, S. 49.
228
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
SS."65 Günter Diehl, nach Aktenlage einer der übelsten Intriganten, belehrte eine Mitarbeiterin Eptings, ihr Chef sei „gerade gut genug, um im Reichsstatistikamt beschäftigt zu werden oder einen Lektorenposten an der Universität Greifswald einzunehmen". Immerhin, schüchterte er seine empörte Gesprächspartnerin ein, opponiere man doch mit „anständigen Mitteln. Wenn wir Schweine wären, könnten wir ja einfach behaupten, Herr Dr. Epting fiele unter den § 175 [...] Wer wollte uns das Gegenteil beweisen?"66 Fortgesetzte Versuche der Reichsstudentenführung, organisatorisch an der Dienststelle Ribbentrop vorbeizulavieren, erzeugten ebenfalls Spannungen. „Unter absichtlicher Umgehung" der .Dienststelle', klagte Luther, träten die Studentenschaftler an das Auswärtige Amt heran, um dort Genehmigungen für Auslandsreisen, Visa für ausländische Gäste oder Geldmittel zu erbitten. Diese Masche sei auch bei anderen Parteigliederungen eingerissen, wohl weil sie glaubten, ihre Wünsche bei den vergleichsweise unkritischen AA-Referenten leichter durchsetzen zu können. Zuschußanträge für Reisen, Lager und sonstige Veranstaltungen würden zum Teil gar bei beiden Instanzen gestellt, um hernach doppelt abzukassieren67. Einige gravierende Fälle dokumentierte Luther im Juli 1938 für den inzwischen zum Reichsaußenminister avancierten Ribbentrop. Erstaunlich viele Verstöße gegen den korrekten Dienstweg lastete er der Reichsjugendführung an, zu deren Stab Abetz zumindest formell als Bannführer immer noch gehörte. Das legt einerseits den Schluß nahe, daß es Abetz nicht gelungen ist, seine .alte' Wirkungsstätte im Sinne der .neuen' zu domestizieren, und unterstreicht zum anderen, wie gewohnheitsmäßig man einander auszustechen versuchte. Remedur erhoffte Luther von einem Vorschlag, den er Ribbentrop zusammen mit seinem Dossier unterbreitete: Das Deutschland-Referat im Auswärtigen Amt sollte geteilt und im Zuge des Umbaus ein Ressort D II geschaffen werden, das künftig in „sämtliche Parteiangelegenheiten" einzuschalten wäre und eine einheitliche außenpolitische Linie sowie gerechte Mittelverteilung gewährleisten würde. Als D If-Chef diente sich der machthungrige Luther gleich selber an68. Sein wiederholtes Drängen, das „planlose" Herumfuhrwerken in den auswärtigen Beziehungen abzustellen und sie „von höherer Warte" zu koordinieren, führte schließlich im November f 938 zur Bildung eines Sonderreferats Partei im Auswärtigen Amt
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Aktennotiz
Epting, 23. 11. 1938, über eine Unterredung mit Sonnenhol am 20. Novem-
ber; Fotokopie BA Koblenz, Sammlung Laitenberger. Epting begründete seine Schwierigkeiten, in die Partei aufgenommen zu werden, unter anderem mit seiner früheren Tätigkeit in Genf und seiner angeheirateten Schweizer Verwandtschaft; beides habe Mißtrauen erregt. Vgl. Michels, Deutsches Institut, S. 20 f.
Aktennotiz Gertrud vom Steeg, 10. 11. 1938, über ein zufälliges Zusammentreffen mit Diehl Ende September. Weitere einschlägige Aufzeichnungen sowie ein zusammenfassender Bericht Eptings vom 11. 11. 1938 über Intrigen der RStF in der Sammlung Laitenberger. Der § 175 RStGB (gleichgeschlechtliche Unzucht), 1935 unter Verschärfung der Strafbestimmungen novelliert, diente in vielen Bereichen als Waffe des politischen Terrors, etwa gegen katholische Priester. Die Dienststelle Ribbentrop förderte „außenpolitisch wichtige Veranstaltungen, Reisen und Führungen". Vgl. v. Arnim an Strenger, 31. 5. 1937; PA/AA, R 27129. Vortragsnotiz Luther vom 13. 7. 1938; PA/AA, R 27652.
2. Motive der Kläger
229
seiner Leitung69 ein Kontrollorgan à la Behrenstraße, das Eigenmächtigkeiten in Parteikreisen einen Riegel vorschieben und Ribbentrops alleinigen Führungsanspruch in außenpolitischen Fragen untermauern sollte. In der Wahl ihrer Mittel wenig zimperlich, schöpften Abetz' Widersacher aus
unter
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dem Arsenal gängiger Diffamierungen gegen mißliebige Personen. Dazu zählte, den biographisch-familiären Hintergrund des Opfers ins Zwielicht zu rücken, ihm nach Möglichkeit jüdisch-marxistische Verbindungen anzudichten, um seine Reputation und Regimetreue anzweifeln zu können. Ein anderes Odium, an dem sich trefflich einhaken ließ, war die frühere Zugehörigkeit oder angeblich beibehaltene Nähe zur 1933 zwangsaufgelösten, drei Jahre später durch den Reichsinnenminister endgültig verbotenen Bündischen Jugend, ein Sammelbegriff, der im NS-Staat soviel wie politische Opposition bedeutete und dem auch historisch ältere Zweige der Jugendbewegung subsumiert wurden. Nach einer ersten Säuberungswelle 1934/35 in HJ und Jungvolk nahm die Verfolgung sogenannter „bündischer Umtriebe" in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erheblich an Schärfe zu. „Bündische" wurden nun offiziell zu Staatsfeinden erklärt und mit Hilfe von Gestapo und Sondergerichten rigoros bekämpft70. Als probate juristische Handhabe, in die Illegalität gedrängte Gruppen abzuurteilen, erwies sich auch hier der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches, der häufig in Ermangelung anderer Straftatbestände und unabhängig vom Wahrheitsgehalt willkürlich angewandt wurde71. Homosexueller Handlungen Beschuldigte aber standen automatisch im Ruf, Kulturbolschewisten und Volksschädlinge zu sein, die ob ihrer Verderbtheit das Erziehungswerk an der deutschen Jugend in Frage stellten72. Wie existenzgefährdend sich bereits einschlägige Verdächtigungen auswirken konnten, bekam Abetz' Dienststellenkollege Hermann Kügler zu spüren. Ende 1935 mußte der prominente Ex-Freischarführer seinen Schreibtisch nach Verleumdungen der Auslandsorganisation räumen. Er verbrachte bange Wochen in Gestapo-Haft und wurde im März 1936 aus der SS ausgeschlossen. Kügler hatte den erfolggekrönten Versuch Ribbentrops, per Entscheid Hitlers die Federführung in der Volksdeutschenarbeit zu erlangen, angestoßen und sich damit wohl den „heiligen Zorn" von Gauleiter Bohle und Rosenberg zugezogen. Da die Rivalen Ribbentrop „nicht packen konnten", resümierte Kügler, „gingen sie eben gegen mich los". Auch in diesem Fall wurden wiederum unter tätiger Schützenhilfe der Reichsstudenten-
2. 11. 1938; Anordnung betr. Bildung eines Sonderreferats vom November 1938; ebenda. Vgl. v. Hellfeld, Bündische Jugend und Hitlerjugend, bes. Kap. 10; Brandenburg, Geschichte der HJ, S. 194-201. In einem 1941 von der RJF herausgegebenen Lagebericht zur „Kriminalität und Gefährdung der Jugend" heißt es wörtlich: „Bei der Bekämpfung der Bündischen Jugend aus politischen Gründen gelang mangels anderer gesetzlicher Grundlagen die Zerschlagung der Bünde fast immer auf dem Wege über ein Strafverfahren wegen Vergehens nach § 175." Wiederveröffentlicht unter dem Titel Jugendkriminalität und Jugendopposition im NS-Staat. Ein sozialgeschichtliches Dokument, hrsg. und eingeleitet von Arno Klönne,
Vortragsnotiz Luther,
Münster 1981.
Fallbeispiele, unter anderem einen im Herbst 1936 in Düsseldorf angestrengten Prozeß gegen Angehörige des Nerother Wandervogels, schildert Grau (Hrsg.), Homosexualität in der NS-Zeit, S. 174 ff., 277 ff.
230
führung
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
die üblichen Vorwürfe des Hochverrats sowie der ominöse
175 bemüht73. -
Paragraph
Wenigstens die letzte Anschuldigung blieb Abetz erspart, wiewohl seine Gegihm geistige Komplizenschaft und „intime" Freundschaft mit dem verfemten Kügler und anderen Bündischen nachsagten, vor dem Hintergrund der herrschenden Unrechtspraxis eine tückische Anspielung, die dem Diffamierten leicht das Genick brechen konnte. Der Sohlbergkreis, dessen Mitglieder aus Vereinigungen unterschiedlicher Provenienz stammten, wurde postum zum universalistisch-pazifistischen Gefahrenherd, die .Dienststelle' zu einem Knotenpunkt subversiver bündischer Verflechtungen erklärt, wobei auch die Namen Bran, Schlottmann, Hetzler und Maubach fielen74. Abetz, die Gefahr, in der er schwebte, vor Augen, bestritt kategorisch, jemals private Beziehungen mit Kügler gepflegt zu haben. „Es ist mir auch nicht aufgefallen oder irgendwie nur in den Sinn gekommen, daß er homosexuell sein könnte."75 Dafür unterstellte er seinen Gegnern, mit gleicher Münze zahlend, hemmungslos gleichgeschlechtliche Veranlagungen. Mit Hinweis auf Gobineau und Germain erwähnte er einen „Pariser homosexuellen Klüngel, ner
den ich aus meiner Arbeit ausschalten mußte". Die Rädelsführer von der Studentenschaft aber hätten sich ein Skandal von solch verruchten Elementen freihalten lassen76. Um Abetz als untragbaren Vorgesetzten und Regimegegner abzustempeln, suchten Hagert und seine Helfershelfer auch geringfügige, nebensächliche Vorkommnisse auszuschlachten, etwa einen verbalen Zusammenstoß des Referenten mit einer Sekretärin oder ein kameradschaftliches Hilfsangebot an einen gestrauchelten Mitarbeiter der .Dienststelle', der vorübergehend von der DFG beschäftigt wurde. Es bestand eine ausgeprägte Neigung, fragwürdige Quellen heranzuziehen und wohlfeile Behauptungen und Gerüchte ungeprüft zu übernehmen. Ein Musterbeispiel war die Anschuldigung, Abetz habe Anfang März 1937 an einem Empfang in Lyon teilgenommen, bei dem auch der frühere Heidelberger Extraordinarius für Statistik Gumbel, 1932 von seinem Lehrstuhl vertrieben und im darauffolgenden Jahr ausgebürgert, zugegen gewesen sei in Kühnes Augen ein Akt „nationaler wie politischer Würdelosigkeit" und eine Schädigung deutschen Ansehens77. Niemand freilich vermochte ernstlich den Nachweis zu führen, daß -
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Küglers Schilderung der Ereignisse in Kneip/Liebs/Zimmermann, Vom Geheimnis bündischer Führung, S. 158 ff. Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 268 f. Gert Schlottmann, mit 24 Jahren einer der jüngsten Mitarbeiter Ribbentrops, zuvor im Auslandsamt der Universität Berlin tätig, fungierte seit Sommer 1937 als Geschäftsführer der Deutsch-Englischen Gesellschaft. Dr. Erich Hetzler arbeitete seit Juli 1935 im Hauptreferat England, Hans Maubach assistierte Abetz sowohl im Auslandsamt der RJF als auch in der .Dienststelle'; Jacobsen, Außenpolitik, S. 279 ff., 300, 701 ff., 726. Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 2; BDC/Abetz. Abetz an SS-Hauptamt, 20. 7. 1937; Entlasrungsmaterial Abetz, Aufzeichnung V; ebenda. Aktennotiz Kuhlmann, 9. 7. 1937; Vernehmung Kühnes vom 2. Dezember, pag. 6; ebenda. Emil Julius Gumbel (1891-1966), ein gebürtiger Münchener jüdischer Abkunft, Mitglied der USPD und der Liga für Menschenrechte, leidenschaftlicher Pazifist, war seit Beginn der zwanziger Jahre Zielscheibe für nationalistische, antidemokratische Kräfte. Er publizierte sorgfältig recherchierte Berichte über das mörderische Treiben von Rechtsextremisten, das Versagen der Justiz vor dem Terror und die illegale .Schwarze Reichswehr' und
2. Motive der Kläger
231
sich der Geächtete tatsächlich unter den Gästen befunden hatte, die einem Vortrag Friedrich Grimms über die deutsch-französische Verständigung lauschten78. Abetz machte glaubhaft, dem Emigranten nie begegnet und wegen eines anderweitigen Termins erst am Ende der Veranstaltung eingetroffen zu sein79. Die Vorwürfe gründeten, wie sich herausstellte, einzig auf einer Schilderung des RJFFrankreichreferenten Hans Maubach, die in ihr Gegenteil verkehrt kolportiert wurde. Maubach, gemeinsam mit Abetz in Lyon, versicherte schriftlich, er habe HJ-Führern die frei erfundene Geschichte aufgetischt, Abetz hätte Gumbel aus dem deutschen Pavillon der Lyoner Messe gedrängt. „Ich wollte damit den Jungen zu verstehen geben [...], daß es heute dank unserer Regierung den ehemaligen Geistesheroen nicht mehr möglich ist, auch nur irgendwie eine Rolle zu spielen."80 Wohl ebenfalls ins Reich der Fabel gehörte eine angebliche Äußerung des französischen Journalisten Jean Fontenoy, der einem Vertreter der Deutschen Handelskammer in Finnland und Abetz' Kollegen Gustav Meissner gesagt haben soll: „Abetz ist doch gar kein Deutscher. Der treibt nur unsere Politik."81 Meissner, „Nord-Referent" der Parteiverbindungsstelle Behrenstraße, war vor Gericht bemüht, den ungünstigen Eindruck abzuschwächen. Die fraglichen Sätze seien zwar gefallen, allerdings unter Alkoholeinfluß und kaum in dem Sinne, der Beschuldigte arbeite für die gegnerische Seite. „Mit dieser Äußerung kann auch gemeint sein, Abetz sei in seiner Arbeit mit der Art der Franzosen verwandt."82 Daß Fontenoy, leitender Redakteur der Agence Havas, dem engbefreundeten Abetz schaden wollte, ist unwahrscheinlich verdächtig perfekt paßte das strittige Zitat hingegen ins Konzept der Intriganten, die Abetz seine frankophilen Neigungen verübelten. Für ihre Gesinnungsschnüffelei nutzten sie auch ihre Drähte zur Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schütze des nationalsozialistischen -
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wurde auch wegen seiner pointierten Stellungnahmen zu Kriegskult und Heldengedenken von der völkisch-nationalen Presse als Vaterlandsverräter förmlich in der Luft zerrissen. Seine Ernennung zum außerordentlichen Professor 1930 löste massive Proteste von radikalisierten Studenten und Teilen des Heidelberger Lehrkörpers aus; unrühmlich hervor tat sich dabei der spätere Reichsstudentenführer Scheel. Nach Querelen um eine weitere umstrittene Äußerung Gumbels im Mai 1932 entzog ihm das badische Kultusministerium die Lehrbefugnis. Im August 1933 gehörte er zu den ersten Deutschen, die von den Nationalsozialisten offiziell ausgebürgert wurden. Im Januar 1934 trat er eine Gastprofessur an der Universität Lyon an, engagierte sich weiter als Menschenrechtler und Antifaschist, unter anderem im von Exilierten gebildeten „Vorläufigen Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront", und emigrierte später in die USA. Vgl. Brenner, „Hirngespinste"; Faust, Nationalsozialistischer Studentenbund, 2, S. 57-62; Zier, Politische Geschichte Badens, S. 154-158; Grill, The Nazi Movement in Baden, S. 220 ff.; E. J. Gumbel (Hrsg.), Freie Wissenschaft, S. 267 f. Grimm sprach auf Einladung der Lyoneser Gesellschaft für auswärtige Angelegenheiten. Am nächsten Tag, dem 7. März, wurde im Rahmen der Lyoneser Messe eine von der DFG organisierte kunsthandwerkliche Ausstellung eröffnet. DFM, März-April 1937, S. 124. „Aktennotiz zum Vorwurf, den Emigranten Gumbel bei einer deutsch-französischen Veranstaltung in Lyon nicht aus dem Saal verwiesen zu haben"; Entlastungsmaterial Abetz, Aufzeichnung III.c; BDC/Abetz. Erklärung Maubachs zum Fall Gumbel, 19. 7. 1937, ebenda. So zit. in Kühnes Bericht vom 3. 9. 1937, pag. 1, ebenda. Aktenvermerk Reinecke über eine Vernehmung Meissners, 25. 1. 1938, ebenda.
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VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
Schrifttums. Kühne übermittelte Abetz von dort den Auftrag, für ein Handwörterbuch des deutschen Volkstums das Stichwort „Elsaß-Lothringen" zu bearbeiten. Aus Sicht des Spitzels schnappte die ideologische Falle zu, mit deren Hilfe belegt werden sollte, daß Abetz „bündischen Gedankengängen auch heute noch huldige". Seine Ausführungen, so Kühnes verworrene Analyse, seien „außerordentlich gefährlich". Abetz habe für die Regionen Elsaß-Lothringen und Baden „den alemannischen Menschen konstruiert, [...] das landschaftlich Soziologische herausgestrichen und das Rassische geleugnet", seine Argumentation dabei geschickt in ein nationalsozialistisches Tarnmäntelchen gehüllt. Der Gedanke des alemannischen Menschen und Raumes aber spekuliere mit dem Sachlichkeitsgefühl der Deutschen und sei geeignet, Widerstände gegen den französischen Separatismus zu lähmen83.
3.
„Zum Nutzen des Reiches große Erfolge gebucht": Gerichtsverfahren und
Rehabilitierung
Abetz hatte insgesamt wenig Mühe, die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen zu entkräften. Er argumentierte gewohnt listig, wußte sein Denken und Handeln als vorbildlich nationalsozialistisch, nach Bedarf auch geschönt zu präsentieren. Den Makel gefährlicher Linkslastigkeit in seinen Kontakten zu Frankreich wischte er mit einer Selbstanklage beiseite, die Verantwortungsbewußtsein verströmte und es ihm gestattete, propagandistische Kompetenz herauszukehren: „Wenn ich mir einen Vorwurf machen könnte, dann den, gerade zu den in Frankreich auf lange Sicht hinaus entscheidenden Links-Gruppen zu wenige Beziehungen geknüpft zu haben."84 Damit waren die gemäßigten Linksparteien, in erster Linie die Radikalsozialisten gemeint, bei denen aufgrund der herrschenden Mehrheitsverhältnisse und ohne Rücksicht auf eigene weltanschauliche Präferenzen der Hebel anzusetzen sei. „Ein kämpferischer Nationalsozialist" werde immer danach trachten, „neue Stellungen mitten im Lager der Feinde zu erobern", anstatt sich ein Seitenhieb gegen Hagert und Konsorten auf wohlfeiles Schulterklopfen mit Brüdern im Geiste zu beschränken. Indem er die französischen Linken pauschal zu „Hauptträgern des Widerstands gegen das Reich" erklärte, attestierte sich Abetz sodann eine Aufgabe von höchster Dringlichkeit: „Solange man nicht diese Gegner niedergerungen oder zum mindesten paralysiert hat, ist außenpolitisch, vor allem in Frankreich, nichts zu gewinnen." Gelinge es hingegen, Persön-
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Bericht Kühnes vom 3.9. 1937, pag. 3 f.; Vernehmungsniederschrift vom 2. Dezember, pag. 5 f.; ebenda. Das SS-Gericht schenkte diesem Vorwurf keine Beachtung. Lapidar wurde Abetz' Rechtfertigung wiederholt, er habe den alemannischen Menschen aus taktischen Gründen herausgestellt, als Kontrapunkt zu den Begriffen des Elsässer- und Schweizertums. Vernehmungsniederschrift Abetz, 7. Dezember, pag. 15; Stellungnahme des SS-Gerichts vom 2. 2. 1938, pag. 6. Aktennotiz „zum Vorwurf, französische Linkskreise ungerechtfertigt zu bevorzugen"; Entlastungsmaterial Abetz, Aufzeichnung IILd (Hervorhebung im Original). Gleichlautend Abetz an SS-Hauptamt, 20. 7. 1937, ebenda.
3.
233
Gerichtsverfahren und Rehabilitierung
lichkeiten der Linken mit dem .neuen' Deutschland in Tuchfühlung zu bringen, so werde dies ihr Gesichtsfeld dergestalt erweitern, „daß sie dem Gedanken einer autoritären Staatsführung viel verständnisvoller gegenüberstehen"85. Hartnäckige Reklame sollte ihre Abwehrhaltung aufweichen und sie allmählich empfänglicher stimmen für deutsche Wünsche und Forderungen. Anstrengungen dieser Art, betonte Abetz, lohnten die Mühe, gestalteten sich allerdings stets schwierig, weil Repräsentanten des .Dritten Reiches' enormes Mißtrauen entgegenschlage, das nur „bei geschickter, persönlicher Bearbeitung" zu überwinden sei86. Um den Argwohn auf französischer Seite nicht unnötig zu schüren, habe er nie „obwohl seine Aufnahme in die NSDAP bevon jeher überzeugter Nationalsozialist" (!) den in Die antragt87. Augen der Widersacher ein Skandalon, Nichtmitgliedschaft, schien damit hinreichend gerechtfertigt. Sein gegenüber Franzosen gebrauchtes Argumentationsmuster der bewußten inneren Distanz zum NS-Staat wird durch diese Aussage freilich diskreditiert, sofern er nicht doch in Berlin sein doppeltes Spiel trieb. Wendig und sprachgewandt erläuterte Abetz ein weiteres, strategisches Kalkül, weshalb Deutschland an der französischen Linken gelegen sein müsse. Es erhebe sich die Frage, ob ein geeintes Nachbarvolk unter autoritärer Führung den wehrund wirtschaftspolitischen Interessen des Reiches von Nutzen wäre. Ungeachtet ideologischer Affinitäten würde ein solches Regime der kulturpolitischen Lage des Deutschtums in Elsaß-Lothringen wie der machtpolitischen Position des Reiches in Europa vermutlich schaden und Kolonialforderungen weitaus stärkeren Widerstand entgegensetzen als ein linksorientiertes Frankreich. Am besten wäre es, „in Paris auf lange Zeit hinaus eine Regierung zu haben, welche zwischen einer starken Linksopposition und einer noch etwas stärkeren Rechtsopposition lavieren muß. Die Parteien der Mitte haben in einer solchen Kombination trotz ihrer schwierigen Lage bei allen praktischen [...] Entscheidungen die Schlüsselstellung, und unsere außenpolitischen Bemühungen und die Haltung unserer Presse [müssen] dahingehen, zu diesen Gruppen der Mitte wirksame Beziehungen zu unterhalten."88 Austarierte Gewichte und Gegengewichte, so die Idealvorstellung, sollten das kräftezehrende innerfranzösische Ringen perpetuieren und so die Durchsetzung deutscher Ansprüche erleichtern. Bei allem sicherem Gespür dafür, was den SS-Oberen einleuchten und ihm aus seiner Bedrängnis helfen würde, offenbarte sich hier ein Nationalist, der unbeschadet frankophiler Neigungen und seines Eifers, auf eine unblutige Regelung deutsch-französischer Gegensätze hinzuwirken, Einfluß und Größe seines Landes imperativisch obenan stellte; ein Pragmatiker der Macht, der den klassischen, zumal einer NS-Karriere förderlichen Leitsatz .divide et impera' verinnerlicht hatte und ihn während des Krieges folgerichtig auf seine ränkehaften Versuche anwandte, die unterschiedlichen politi-
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„Stellungnahme zur außenpolitischen Arbeit in Frankreich"; Entlastungsmaterial Abetz,
IV, ebenda.
Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 3 f., ebenda. Abetz an Ribbentrop, 12. 8. 1937, ebenda. Wie Anm. 84.
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VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
sehen Strömungen in Frankreich entsprechend den Bedürfnissen und Zielen der deutschen Besatzer gegeneinander auszuspielen. Die ausführliche Rechtfertigung seiner Verbindungen zu Politikern der gemäßigten Linken ging einher mit Beteuerungen, nationale Kreise im Nachbarland
keineswegs zu vernachlässigen. Die erwähnte, zu respektheischendem Umfang angewachsene Liste seiner französischen Kontaktpersonen spiegelte ein ungefähres Gleichgewicht vor89. Genealogische Nachforschungen widerlegten die hanebüchenen Behauptungen über seine familiären Verhältnisse90. Von den inopportun erscheinenden Freundschaften zu Weil-Curiel und de Jouvenel distanzierte er sich und verfiel im Bemühen, nicht als .judophil' zu gelten, in antisemitischen Jargon, vor Kriegsausbruch sonst kaum einmal bei ihm zu finden. Weil-Curiel, in einer jüdischen Familie aufgewachsen, Pazifist und Antifaschist, sei „gesinnungsmäßig sehr stark verjudet" und ohne Nationalgefühl, jedoch eine überaus wertvolle Quelle zu Vorgängen im „marxistischen" Lager (gemeint waren die Sozialistische Partei Frankreichs und Léon Blum); einzig der „informatorischen Bedeutung" wegen habe er diese Beziehung aufrechterhalten. Ähnlich verhalte es sich mit Bertrand de Jouvenel, der dank seines Vaters, des verstorbenen Senators und Botschafters, ergiebige Kontakte zu italienischen und englischen Diplomatenkreisen besitze und sich der Doriot-Bewegung angeschlossen habe; in Abetz' Urteil ein charakterlich schwacher, wetterwendischer, aber stilistisch hochbegabter Autor, der deutschfreundliche Leitartikel für die Zeitung Liberté schrieb, mit seiner jüdischen Mutter zerstritten war und ob seines äußeren Erscheinungsbildes selbst den .Führer' zu anerkennenden Bemerkungen über seine „fabelhafte Rasse" veranlaßte. Daß er es gewagt hatte, Hitler ohne Vorwarnung einen Halbjuden zu präsentieren, verteidigte Abetz mit dem „ungeheuren politischen Erfolg" des Intervom Februar 193691. Entschieden dementierte er bündische Wurzeln. Gerade der Umstand, daß er nach 1924 keiner Formation der Jugendbewegung mehr zugehörig, folglich nie ein „Bündischer" gewesen sei, habe die Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Jugendbünde seinerzeit bewogen, ihm den Vorsitz anzutragen92. Neben solchen Haarspaltereien suchte er aus Karlsruher Tagen zusammen, was nur entfernt geeignet war, ihn als unerschrockenen Vorkämpfer des Nationalsozialismus und Förderer der Hitlerjugend in Baden erscheinen zu lassen. Die Verteufelung des Sohlbergkreises entschuldigte er als Fehldeutung, nachvollziehbar angesichts des Umstandes, daß seinerzeit „alle Verständigungsinitiativen über die Grenze einen pazifistischen oder sonstigen landesverräterischen Charakter hatten". In diesem Fall lägen die Dinge freilich anders; schon vor der .Machtergreifung' habe man „scharfe Stellung gegen den Pazifismus und die Verzichtfriedenspolitik" bezogen, wofür er gern den Beweis antreten wolle. Wegen seines klaren Neins zu Versailles sei der
views
89 90 91 92
Nachtrag zur Vernehmung am 7. 12. 1937, ebenda. Aufzeichnung Abetz vom 10. 12. 1937 und Aktenvermerk Reinecke (SS-Gericht), 25. 1. 1938, ebenda.
Vernehmungsniederschrift vom 7. 12. 1937, pag. 5ff., 9ff. Vgl. Kap. V Abetz an Ribbentrop, 12. 8. 1937; Aktennotiz „zum Vorwurf, früher der Bündischen Jugend angehört zu haben"; Entlastungsmaterial Abetz, Aufzeichnung III.b; ebenda.
3.
Gerichtsverfahren und Rehabilitierung
235
Sohlbergkreis dann nach dem 30. Januar 1933 „die einzige deutsch-französische Verständigungsinitiative" gewesen, der „in Frankreich kein Gesinnungswandel vorgeworfen und damit auch nicht das menschliche Vertrauen entzogen werden konnte. Er war damit in den kritischen Monaten der Machtübernahme das wirksamste Instrument der deutschen Außenpolitik, Breschen in die damals besonders gehässige und zu einer Intervention gegen das nationalsozialistische Deutschland
drängenden jüdisch-französische Greuelpropaganda zu schlagen."93 Das war ebenso clever interpretiert wie dick aufgetragen, zeitigte aber Wirkung wie schon 1933, als Abetz seine Aktivitäten im Umfeld des Sohlbergkreises als vorzügliches Mittel angepriesen hatte, im Sinne der NS-Regierung auf die beunruhigte französische Öffentlichkeit einzuwirken. Vor Gericht wurde er vollständig rehabilitiert, nachdem der Kleine Schiedhof beim Reichsführer-SS Mitte September 1937 nach nochmals verschärften Anschuldigungen Kühnes zunächst eine dienststrafrechtliche Untersuchung für nötig erachtet, einen Beschluß über die anhängigen Ehrenhändel vertagt und die Angelegenheit an die höhere SS-Gerichtsbarkeit verwiesen hatte94. Die Richter rüffelten allenfalls Abetz' verbale Entgleisungen „innerlich berechtigt, nach der äußeren Form falsch" -, erteilten ansonsten aber bereitwillig Absolution: sämtliche Vorwürfe seien zu Unrecht erhoben worden, an ihnen sei „nicht das Geringste daran"95. Der Urteilsspruch stützte sich auf Mitteilungen des Sicherheitshauptamtes, das anerkannte, Ribbentrops Frankreichreferent leiste ausgezeichnete Arbeit und habe „zum Nutzen des Deutschen Reiches bereits große Erfolge gebucht". Seine politische Linie gehe in Ordnung, in Ausübung seiner Tätigkeit müsse er „selbstverständlich auch mit Juden" verkehren. Die SD-Rechercheure bestätigten die Darstellung des Beklagten in allen Punkten und nahmen ihn auch gegen die reichsamtliche Diplomatie in Schutz, indem sie betonten, gerade die Deutsche Botschaft Paris sei immer noch „absolut parteifeindlich" eingestellt, weshalb es nicht verwundere, daß die Zusammenarbeit nicht funktioniere. Um Abetz' Vergangenheit wurde kein Aufhebens gemacht. Der Sohlbergkreis, hieß es, könne nicht als typisch bündisch bezeichnet werden, zudem säßen vor allem in der Reichsjugendführung genügend „sogenannte Bündische" in leitenden Positionen, „die heute jedoch durchaus wertvolle Arbeit leisten". Im übrigen, so die opportunistische Ausflucht, sei es „aus politischen Gründen" unmöglich, den „bündischen Fragenkomplex grundlegend zu klären" das hätte willkürliche Diskriminierungen in anderen Fällen, die gang und gäbe waren, womöglich behindert96. Die eigene Dienststelle bescheinigte Abetz, er sei ein „tadelloser und politisch wertvoller Mensch", „unentbehrlich", weil er über „die besten und nützlichsten Beziehungen zu Frankreich" verfüge97. -
-
93
94 95 '"'
97
Abetz an John, 1. 9. 1937. Fast wortgleich seine gesonderte Stellungnahme „zum Vorwurf, vor der Machtergreifung aktiver Gegner des Nationalsozialismus gewesen zu sein"; Entlastungsmaterial Abetz, III.a; ebenda. Dort ist von „Greuelpropaganda der Emigranten in Frankreich" die Rede. Bericht Kühnes vom 3. 9. 1937; Beschluß des Schiedhofes (Berlin) vom 17. September; ebenda. Stellungnahme des SS-Gerichts (München) vom 2. 2. 1938, pag. 20, ebenda. Kbenda, pag. 13 ff.
Ebenda, pag.
15.
236
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
Milde kam der blamierte Ankläger Kühne davon. Das Gericht hielt ihm jugendlichen Übereifer zugute. Mit einer Aufgabe betraut, „zu deren Erfüllung er die erforderliche Reife noch nicht besitzt", habe er sich von fragwürdigen Elementen einspannen lassen und „den Blick für Gerücht und Tatsache verloren"98. Von einer Bestrafung, so der Chef des SS-Gerichts Scharfe, könne abgesehen werden, da Kühne „aus innerer Überzeugung pflichtmäßig [...] zu handeln glaubte"99. Selbst die Dienststelle Ribbentrop, allem Anschein nach bemüht, das nach einigem Wirbel um verschiedene Mitarbeiter gespannte Verhältnis zum SD zu glätten, legte ein gutes Wort für den Spitzel ein. Rudolf Likus, einer von Ribbentrops Exponenten in der Partei, lobte Kühne als tüchtigen, idealistischen SS-Führer, der mit etlichen Beschwerden gar nicht falschgelegen und, wo er wie im Fall Abetz danebengegriffen, „bestimmt in gutem Glauben" gehandelt habe100. Herbe Schelte setzte es dagegen für die Hintermänner aus der Reichsstudentenführung und ihr Umfeld. Ihre Anschuldigungen waren laut Urteilsspruch „glatt aus den Fingern gesogen" „alles, was diesen Herren irgendwie in ihre gegen Abetz gerichteten Intentionen hineinpaßte, wurde ohne Prüfung auf Richtigkeit verwertet". Die Richter witterten ein „übles Konkurrenzmanöver", um so verabscheuungswürdiger, als die selbst außenpolitisch aktiven Drahtzieher bewiesen hätten, daß sie „an Stellen sitzen, von denen sie überhaupt nichts verstehen". Als Paradebeispiel hierfür wurde der „unglaublich leichtfertige" Vorwurf zerpflückt, Abetz habe die termingerechte Veröffentlichung des Jouvenel-Interviews sabotiert. Daß er Hitler einen Halbjuden zumutete, wog die Breitenwirkung auf, die dem Schreiber einer Tageszeitung mit mehr als zwei Millionen Lesern zuzutrauen war; im übrigen „ist ganz klar, daß in diesen außenpolitischen Dingen nicht der gleiche Maßstab angelegt werden kann und darf wie im Inland". Als besonders verwerflich wurde empfunden, daß die Intriganten für ihre haltlosen Behauptungen nicht geradestehen wollten und die Verantwortung für die Affäre auf Kühne abwälzten, der vertrauliche Gesprächsinhalte unautorisiert an die Öffentlichkeit getragen habe. „Es wird deshalb unbedingt notwendig sein, den Reichsstudentenführer um dienstliche Maßregelung der Gerüchteverbreiter zu ersuchen."101 Reiche und Sonnenhol, erkennbar um Schadensbegrenzung in eigener Sache bemüht, hatten ihre Vorwürfe noch unmittelbar vor dem Gerichtstermin zurückgezogen, wobei letzterer weismachen wollte, er schätze Abetz' Arbeit seit jeher, die anfänglich guten Beziehungen seien jedoch leider „irgendwie gestört worden"102. Von geordne-
Rückzug konnte keine Rede sein. Per Entscheid Himmlers vom 7. März 1938 endete das Disziplinarverfahren gegen Abetz „wegen erwiesener Schuldlosigkeit"103. Er durfte sich wieder ungestört seiner Arbeit in der .Dienststelle' widmen und gehörte zu jener Minderheit tem
98
Ebenda, pag.
19.
Stellungnahme Scharfe vom 7. 2. 1938, ebenda. 100 Aktenvermerk Reinecke über eine Vernehmung von Likus, 25. 1. 1938, ebenda. 101 des SS-Gerichts, pag. 18 f., ebenda. Stellungnahme 102 Aktenvermerk Reinecke über eine Vernehmung von Sonnenhol und Reiche, 1. 2. 1938,
99
103
ebenda. Scharfe
(SS-Gericht) an richt, 7. März; ebenda.
v.
Humann-Hainhofen,
9. 4.
1939; Tondock (RFSS)
an
SS-Ge-
3.
Gerichtsverfahren und Rehabilitierung
237
der dort Beschäftigten, die Ribbentrop von 1938 an nach und nach ins Auswärtige Amt übernahm104. Der Reichsaußenminister machte es seinem Frankreichreferenten allerdings zur Auflage, schleunigst in die NSDAP einzutreten, damit seine nationalsozialistische Gesinnung künftig nicht mehr so leicht angezweifelt werden könnte105. Am 31. Dezember 1937 meldete sich Abetz bei der Ortsgruppe Zehlendorf als Parteianwärter an und wurde unter der Mitgliedsnummer 7011 453 registriert106. Die vom Freispruch unberührten Ehrenhändel verliefen im Sande. Ende 1938 bat Stabsführer v. Humann-Hainhofen darum, die leidige Angelegenheit möglichst geräuschlos aus der Welt zu schaffen: „Ich kann nur nochmals [...] wiederholen, [...] daß Abetz nicht nur unbedingt ein hochintelligenter Mensch ist, sondern daß ich ihn auch für absolut zuverlässig und [...] in jeder Weise nationalsozialistisch denkend und handelnd kenne. Wenn er damals zu weit gegangen ist, muß man das der begreiflichen Erregung zugute halten und gleichzeitig auch seiner Jugend."107 Doch der zuständige Schiedmann des Großen Schiedhofes beim Reichsführer-SS, v. Woyrsch, war nicht gewillt, die Akten zu schließen. Ihn erzürnte, daß Abetz, offenbar unter Umgehung des Dienstweges, nun „laufend in Gestalt von Beförderungen geehrt" wurde, was wegen des schwebenden Ehrenverfahrens formal gar nicht zulässig sei108. In der Tat nahm Abetz' SS-Karriere nach Ende der disziplinarrechtlichen Untersuchung einen ungewöhnlich steilen Verlauf109: Am 20. April 1938 wurde er zum Obersturmführer ernannt, am 21. Dezember „auf Grund seiner Verdienste um die deutsch-französische Verständigungsarbeit" zum Hauptsturmführer, bei gleichzeitiger Zusage, den nächsthöheren Dienstgrad eines Sturmbannführers am 30. Januar 1939 zu erlangen110. Am 20. April 1939 folgte die vierte Aufwertung binnen eines Jahres, jetzt zum Obersturmbannführer, was in der Wehrmacht dem Rang eines Oberstleutnants
entsprach. Der Karrieresprung
mag
zusammenhängen
mit
Ribbentrops Aufstieg
zum
Reichsaußenminister und der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen im Herbst 1938, als die von Abetz so maßgeblich inspirierte Beschwichtigungspolitik letzte Erfolge zeitigte. Er könnte jedoch ebenso ein Indiz dafür sein, daß die SS um Wiedergutmachung für erlittene Unbill bemüht war. Denn in An104
Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 284. Abetz wurde im April 1940 mit dem Rang eines Ge-
105
Abetz, Das offene Problem, S. 84. Vernehmungsprotokoll der Sûreté Nationale Nr. 204/4 vom 21. 11. 1945, „Circonstances de l'adhésion d'Otto Abetz au National-Socialisme";
sandten ins AA berufen.
106 107
108
109 110
AN, F 7/15331.
„Personalnachweis"; BDC/Abetz. Das korrekte Aufnahmedatum ist auf diesem Blatt unkenntlich gemacht und auf den 1. 5. 1937 zurückdatiert worden. v. Humann-Hainhofen an v. Woyrsch, 22. 11. und 29. 12. 1938, das Zitat im zweiten Schreiben; ebenda. v Woyrsch an Scharfe (SS-Gericht) und an Schmitt (SS-Personalkanzlei), 25. 4. 1939; an v. Humann-Hainhofen, 27. 12. 1938 („können Sie versichert sein, daß ich über diesen Vorgang mehr wie erschüttert bin"); ebenda. Vgl. Übersicht zur Dienstlaufbahn, ebenda. Die letzte Beförderung zum SS-Untersturmführer datierte vom 13. 9. 1936. Böttger an SS-Personalkanzlei, 28. 1. 1939; Der Stabsführer des Persönlichen Stabes RFSS an SS-Personalkanzlei, 11. Februar; ebenda.
238
VI.
Intrige der Reichsstudentenführung
betracht dessen, daß Ribbentrop Rückhalt bei Himmler suchte und die beiden zusehends enger kooperierten, mutet das Verhalten des SD-Spitzels Kühne, der Ribbentrop ausdrücklich vor politischem Schaden bewahren sollte, wie eine bedauerliche Panne an. Zwar argwöhnte vorübergehend auch Himmler, Abetz sei ein „gefährlicher Mann"111, doch produzierten SD und Gestapo im weiteren Verlauf der Affäre kein belastendes Material, sondern lobten uneingeschränkt seine Zuverlässigkeit und wertvolle Arbeit. Mit ihm wäre ein herausragendes Mitglied der .Dienststelle' gestürzt worden, bei dem wichtige Fäden der psychologischen Offensive gegen Frankreich zusammenliefen. Seine fanatischen, auf Einfluß erpichten Widersacher kümmerte das nicht, sofern sie die doppelbödige Frankreichpolitik ihrer obersten Führung überhaupt begriffen. Wahrscheinlich ist, daß die gegen Abetz gerichtete Kampagne, ähnlich der Treibjagd auf Kügler, zugleich Teil eines umfassenden Versuchs war, dem Partei-Außenseiter und Emporkömmling Ribbentrop zu schaden. Dafür spricht die „Planmäßigkeit", mit welcher Kühne Angehörige der .Dienststelle' anschwärzte, weit über die Notwendigkeiten seines Auftrags hinaus und der Wahrheit nicht eben verpflichtet, wie v. Humann-Hainhofen monierte112. Ein mögliches Motiv ist selbst intern zu erkennen, bei Martin Luther, dem nur bedingt loyalen Leiter der Parteiverbindungsstelle. Sein Machthunger provozierte Auseinandersetzungen mit Kollegen, unter anderem mit v. Raumer, die wohl den Anstoß für seine Ablösung Ende 1937 gaben113. Sollte Luther darauf ausgewesen sein, sich an den außenpolitischen Praktikern in der .Dienststelle' zu rächen, dann kamen ihm die Intrigen der Reichsstudentenführung
gewiß gelegen.
SS-Richter Scharfe übernahm gegenüber Schiedmann v. Woyrsch die Verantwortung für Abetz' häufige Beförderungen. Das SS-Gericht habe sie insoweit „verschuldet", als es versäumt habe, die Personalkanzlei darauf hinzuweisen, daß mit dem Schlußstrich unter das Disziplinarverfahren der Ehrenhandel zwischen Abetz und seinen Gegnern nicht automatisch erledigt sei114. Vor allem aus Gründen der institutionellen Bestandssicherung drängte er Woyrsch, das Ehrenverfahren beschleunigt voranzutreiben. Sonst könnte das Oberste Parteigericht (OPG), erpicht darauf, die Rechtsprechung innerhalb der NSDAP zu vereinheitlichen und die Selbständigkeit der SS auf juristischem Feld zu beschneiden, womöglich den Fall an sich reißen ein weiteres Kapitel des allgegenwärtigen Kompetenzengerangeis, auf das die Abetz-Affäre Licht wirft115. Woyrsch indessen hielt unbeirrt an grundsätzlichen Bedenken fest. Er erachtete ein Ehrenverfahren für obsolet, „weil RFSS den Spruch des Schiedhofes, der m.E. sich gegen Abetz wenden muß, nicht anerkennen kann, da ja Abetz in der Zwischenzeit am laufenden Bande befördert worden ist"116. Mit Kriegsausbruch löste sich das Problem auf andere -
111
Zit. bei
Browning, The Final Solution, S. 49.
Humann-Hainhofen an Reinecke, 13. 12. 1937; BDC/Abetz. Jacobsen, Außenpolitik, S. 303, 307. 114 Scharfe an v. Woyrsch, 24. 4. 1939; BDC/Abetz. 115 Scharfe an v. Woyrsch, 3. 5. 1939, ebenda. Das OPG erkundigte sich laut Scharfe andauernd nach dem Verfahrensstand. 116 v. Woyrsch an Scharfe, 13. 6. 1939, ebenda. (Hervorhebung im Original) 112 v. 113
3.
Gerichtsverfahren und Rehabilitierung
Weise. Im Januar 1940 teilte Reinecke dem OPG
239
mit, das Verfahren sei „bis nach
Beendigung des Krieges zurückgestellt", da sich die Beteiligten im Felde befänden117. Schließlich versuchte Abetz, die Kläger ausgenommen Hagert mit der schriftlichen Erklärung zu saturieren, daß es ihm „völlig ferngelegen" habe, sie zu beleidigen118. Die Streitaxt war damit nicht begraben. Noch als Botschafter im besetzten Paris sollte Abetz die Antipathien der einstigen Gegner zu spüren be-
kommen.
117 118
Reinecke an Oberstes Parteigericht, 20. 1. 1940, ebenda. Hederich an Koch-Schweisfurth (Richter am OPG), 15. 3. 1940, ebenda.
-
VII. Aufenthaltsverbot in Frankreich Apaisement oder Konfrontation: Trügerische Ruhe im Winterhalbjahr 1938/39 1.
Gesichtspunkt, daß sich nur das legitime Selbstbestimmungsrecht der Völker Bahn breche, vermochte Otto Abetz auch die Einverleibung der sudetendeutschen Gebiete ins Reich zu rechtfertigen. Beglückt registrierte er die Reaktion der Pariser Bevölkerung, die Ministerpräsident Daladier bei seiner Rückkehr von der Münchener Konferenz (29./30. September) einen triumphalen Empfang bereitete. Aus Abetz' Blickwinkel handelte es sich um die „machtvollste Manifestation des Friedens- und Verständigungswillens, welche die französische Hauptstadt je in ihren Mauern gesehen hatte"1. Euphorisch verkündeten die Deutsch-Französischen Monatshefte, die Flamme des Krieges sei ausgetreten worden2. Abetz beschwor voller Pathos eine Wende zum Guten: „Dans le livre de l'histoire du monde une page a été tournée, la page de l'après-guerre. Une page est placée vierge devant la plume des hommes d'Etat, et tous les peuples [...] attendent d'eux que le premier et le dernier mot de cette page s'appelle ,Paix'."3 An eine derart segensreiche Fügung glaubten nach München keineswegs alle Franzosen. In die ungeheuere Erleichterung darüber, daß es gelungen war, den Frieden zu retten, mischten sich Scham ob der moralisch verwerflichen Preisgabe der verbündeten Tschechoslowakei4 und ein würgendes Gefühl diplomatisch-militärischer Ohnmacht. Das System der kollektiven Sicherheit hatte erneut versagt, in Mitteleuropa vollzog sich ein dramatischer Wandel der Kräfteverhältnisse. „Frankreichs außenpolitische Konzeption, wie sie seit Versailles und Locarno gegolten hatte, war endgültig eingestürzt."5 Eine leidenschaftlich geführte Debatte, wie künftig mit dem deutschen Expansionsdrang umzugehen wäre, spaltete die französische Gesellschaft6. Auch die Befürworter des Münchener Abkommens einte einzig das grundsätzliche Bestreben, einen Krieg zu verhindern. Doch während manche dachten, das sei nur im ,Geist von München', durch größtmögliche
Unter dem
1 2 3 4
5 6
Abetz, Das offene Problem, S. 85 ff., das Zitat auf S. 89. Leitartikel „Der Durchbruch", unsig.; DFM, Oktober 1938, S. 410. Abetz, La victoire des vaincus?, ebenda, S. 419. Der damalige Le Temps-Korrespondent in Prag, Hubert Beuve-Méry, schrieb bedrückt: „La France vient de manquer, à la face du monde, à des promesses mille fois répétées [...] Si, demain, des millions de Tchèques retombent en servitude, si le maintien de la paix apparaît plus difficile et plus dangereux encore qu'il n'était hier, la France aura trahi purement et simplement. Et l'échec politique s'aggravera du déshonneur." Zit. bei du Réau, Daladier, S. 234. Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 50.
Siehe hierzu die ausführliche Studie von Lacaze, L'opinion publique française et la crise de Munich.
1.
Konzilianz
Festigkeit.
Trügerische Ruhe im Winterhalbjahr 1938/39
gegenüber
den
Diktatoren,
zu
bewerkstelligen,
241 setzten
andere auf
Die Kluft reichte bis in die Führungsspitzen der Außenpolitik. Daladier, ,Munichois' wider Willen, verstand die Vereinbarung vom 30. September als taktischen Rückzug und dringend benötigte Atempause, um Frankreich für den fast schon als unvermeidlich erachteten Waffengang mental, wirtschaftlich und militärisch zu rüsten; auf eine dauerhafte Übereinkunft mit Hitler mochte er nicht vertrauen. „Wenn ich drei- oder viertausend Flugzeuge gehabt hätte, dann hätte es München nicht gegeben", sagte er am 3. Oktober bei einem Essen mit Jean Monnet, Luftfahrtminister Guy La Chambre und US-Botschafter Bullitt7. Außenminister Georges Bonnet, ein entschiedener Appeaser, drängte hingegen auf weitere Verhandlungen und ein umfassendes Arrangement mit dem Reich, überzeugt, daß Frankreich nur noch zu Berliner Bedingungen Sicherheit finden könne. Er wollte das Verhältnis zum östlichen Nachbarn durch Anpassung berechenbar gestalten, es durch intensivere Wirtschaftsbeziehungen entkrampfen und Deutschland eine ökonomische Durchdringung Südosteuropas gestatten, während die Franzosen sich verstärkt auf ihr Kolonialreich besinnen sollten8. Die hier skizzierte Zweigleisigkeit, wobei zunächst Bonnet, von März 1939 an Daladier die Akzente setzte, beeinflußte auch die Entfaltungsmöglichkeiten der nationalsozialistischen Propaganda in Frankreich. Kurzlebiger Höhepunkt des Annäherungskurses war eine Freundschaftserklärung, die Bonnet und Ribbentrop am 6. Dezember 1938 im historischen Uhrensaal des Quai d'Orsay unterzeichneten. Sie ließ all jene, die guten Willens waren, noch einmal hoffen. Beide Regierungen bekundeten in dem Schriftstück ihren Wunsch nach guter Nachbarschaft, erklärten die Grenzen zwischen ihren Ländern für „endgültig" und trafen eine Konsultationsabsprache9. ,Tout Paris' strömte anläßlich der Paraphierung zu Staatsbanketten und Empfängen; die Monatshefte sahen „eine Entwicklung bestätigt, die sich im Bewußtsein beider Völker schon seit geraumer Zeit vollzogen hat". In den politischen Rahmengesprächen bedauerte Ribbentrop, daß sich das psychologische Klima allen Anstrengungen zum Trotz nicht entscheidend verbessert habe. Er ermunterte zu neuen Besuchsprogrammen, besonders von Front7
8
Zit. bei Jean Monnet, Erinnerungen, S. 151. Das Motiv des Zeitgewinns wird deutlich in einer Denkschrift des Quai d'Orsay für Daladier, „Politique étrangère de la France", vom 16. 11. 1938; DDF, 2, XII, Nr. 314. Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, belegt die schon vor .München' beginnende Neuorientierung Bonnets, der „Sicherheit gerade mit und bei Deutschland" dem überkommenen französischen Bündnisgefüge vorzog (S. 124), seinen Kurs im Oktober 1938 auf dem Parteitag der Radikalsozialisten in Marseille behauptete (S. 174) und zur Durchsetzung ein personelles Revirement im Quai d'Orsay anschob (S. 147 ff.). Siehe auch du Réau, Frankreich vor dem Krieg, in: Hildebrand u.a. (Hrsg.), 1939 An der Schwelle zum Weltkrieg, S. 173-195; Crémieux-Brilhac, Les Français de l'an 40, I, S. 32 ff. Zum Ansatz des ,repli impérial' Girault, La politique extérieure française de l'après-Munich. Abgedruckt ADAP, D IV, Nr. 369. Knippings Urteil, diese Erklärung sei kein substantieller Verständigungsversuch gewesen, tritt Bellstedt hinsichtlich der Motivation Bonnets entgegen (S. 259f.). Vgl. Franz Knipping, Die deutsch-französische Erklärung vom 6. Dezember 1938, in: Hildebrand/Werner (Hrsg.), Deutschland und Frankreich 1936-1939, S. 551. -
9
242
VII.
Aufenthaltsverbot in Frankreich
kämpfern und Jugendlichen, was den Stellenwert unterstreicht, den solche Kontakte in seinem Kalkül nach wie vor besaßen10. Nach der Ermordung des deutschen Botschaftsangehörigen vom Rath durch einen jungen Juden Anfang November wurde die Berliner Delegation hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Abetz, der Ribbentrop begleitete, blieb indes bei der Abreise aus Paris ein anrührendes Bild haften: „Am Ausgang, ich weiß nicht mehr welchen Vororts, erstreckte sich längs des Bahnkörpers ein mehrstökkiges Fabrikgebäude. Als der deutsche Sonderzug in Sicht kam, füllten sich die Fabrikfenster mit Männern und Frauen in weißen Arbeitsblusen, und die hellen Punkte von hunderten winkender Taschentücher grüßten noch ferne aus dem Grau des Wintermorgens, als der Zug die Bannmeile der französischen Hauptstadt schon hinter sich gelassen hatte."11 So unwirklich wie diese Szene erscheint in der Rückschau die Ruhe, die Europa im Winter 1938/39 noch vergönnt war. Die Bekundungen des Versöhnungswillens klangen wohl schon damals vielfach „so seltsam schal wie heute beim Studium der Akten"12. Die Erklärung vom 6. Dezember blieb Episode, ihr taktisch-provisorischer Charakter offenbarte sich allenthalben. Während Daladier und Reynaud die Konsolidierung der französischen Staatsfinanzen und die Aufrüstung vorantrieben, ging es Hitler einmal mehr darum, die Westmächte zu beschwichtigen und die Front am Rhein abzusichern als Korrelat für den geplanten Ausgriff nach Osten. Unter dieser Prämisse bot ihm die Freundschaftserklärung eine vorteilhafte Gelegenheit, zu einem „mittelfristig berechneten Modus vivendi mit Frankreich" zu kommen13. Der rapide Verfall vermeintlicher französischer Machtpositionen in der Sudetenkrise, erkennbar am wirkungslos gebliebenen Paktsystem, eröffnete aus deutscher Sicht sogar neue Ansatzpunkte für eine Annäherung, bezeichnenderweise aber nur auf der Basis verschobener Gewichte. Infolge seiner geschwächten Position und der wachsenden Beschränkung auf die Verteidigung landeseigener Interessen werde der Nachbar den Bedürfnissen des Reiches „in Zukunft eher Rechnung zu tragen bereit sein als bisher", prophezeite der Pariser Botschaftsrat Carl Bräuer. „Hier bieten sich für uns Möglichkeiten zum Ausbau unseres Verhältnisses zu Frankreich, die sich nicht nur in wirtschaftlichen, kulturellen und sonstigen Beziehungen auswirken würden, sondern uns für lange Zeit den Rücken im Westen freihalten könnten, ohne daß wir uns nach anderen Seiten zu binden hätten."14 Kaum zufällig schlug Botschafter Coulondre in jenen Wochen in Berlin eine Woge der Sympathie entgegen. Sämtliche Persönlichkeiten der Reichshauptstadt, mit denen er sich unterhielt, wünschten nachdrücklich gute bilaterale Beziehungen. An der vordergründigen Ernsthaftigkeit ihrer Aussagen mochte Coulondre nicht zweifeln, über die tieferen Absichten war er sich gleich10
11 12 13 14
Leitartikel „Zum Jahresende", unsig.; DFM, Dezember 1938, S. 521. Aufzeichnung Léger, „Entretiens de M. Georges Bonnet et de M. von Ribbentrop en présence de M. Léger et du Comte Welczeck", 7. 12. 1938; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. Abetz, Das offene Problem, S. 93. Knipping, Deutsch-französische Erklärung, S. 551.
Ebenda, S. 538. Bräuer
an
Auswärtiges Amt, 10. 10. 1938; PA/AA, R 102840.
/.
Trügerische Ruhe im Winterhalbjahr 1938/39
243
völlig im klaren: Die nationalsozialistische Führung suche das Einvernehmit Frankreich „pour se couvrir à l'ouest en prévision d'entreprises dans d'autres directions". Teil eins von Hitlers Programm, die Integration aller Deutschen im Reich, sei verwirklicht „c'est maintenant l'heure du .Lebensraum' qui sonne". Verschlüsselt, so der Botschafter, deuteten dies alle seine Gesprächspartner an, wobei stets betont werde, daß es keine Desiderata gegen Frankreich mehr gebe. Hitlers Stoßrichtung schien eindeutig: „Se rendre maître de l'Europe Centrale en vassalisant la Tchécoslovaquie et la Hongrie, puis créer la Grande-Ukraine sous l'hégémonie allemande"15. Die Beunruhigungen über Hitlers nächsten Schlag rückten das Treiben der NSPropaganda zunehmend in den Blickpunkt der französischen Diplomatie und Öffentlichkeit. In besorgten Telegrammen vom 19. und 20. Dezember 1938 bezifferte Botschafter Coulondre das Propaganda-Budget nationalsozialistischer Ministerien und Organisationen auf zig Millionen Reichsmark jährlich16. Unmittelbar nach dem 6. Dezember beschuldigten mehrere linksorientierte Pariser Blätter vor allem die Gefolgsleute Ribbentrops der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und Bestechung. An erster Stelle wurde hierbei Otto Abetz genannt. Le Droit de Vivre, Organ der „Ligue internationale contre l'antisémitisme", porträtierte ihn als rechte Hand des Reichsaußenministers und unterstellte ihm, dafür gesorgt zu haben, daß sich ein warmer Geldregen auf eine Anzahl Pariser Redaktionsstuben ergoß17. Die Wochenzeitung La Lumière zählte Ribbentrops Stab ob seiner effizienten Aufklärungsarbeit über den Willensbildungsprozeß in der französischen Regierung zu den wichtigsten Architekten des deutschen Triumphes von München18. Kein anderer als Jean Luchaire nahm Abetz daraufhin publizistisch in Schutz. Dramaturgisch geschliffen entschuldigte er sich im Namen seiner Landsleute für die Anwürfe, pries den Freund als seriös („le caractère le plus droit, le plus probe que je connaisse") und erinnerte an seine Verdienste um die Verständigung seit Sohlbergzeiten: „C'est beaucoup grâce à son action amicale, tenace, inlassable voire dangereuse pour lui en Allemagne à certain époque que la jeunesse de notre voisine de l'Est grandit depuis plusieurs années avec le sentiment qu'une amitié est nécessaire entre la France et l'Allemagne." Auch Abetz' jetzige Tätigkeit sei redlicher Natur und über jeden Zweifel erhaben19. Dafür bürgte Luchaire mit seiner „Ehre und Rechtschaffenheit", denn wer Abetz' Rolle attackiere, ziele auch gegen ihn persönlich20. Mit seinen Elogen diente er wohl wieder einmal mehreren Herren. Ständig knapp bei Kasse, bezog er nicht nur regelmäßig Geld von der Deutschen Botschaft, sondern zu Amtszeiten Bonnets auch monatlich 20000 Francs aus einem Geheimfonds des Quai d'Orsay21. Es gibt Hinweise, daß er im infor-
wohl men
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Coulondre an Bonnet, 15. 12. 1938; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. Zit. bei. Duroselle, La décadence, S. 209. Révélations sur les amis de von Ribbentrop, in: Le Droit de Vivre, 10. 12. 1938. Le réseau secret de l'espionnage nazi en France, in: La Lumière, 9. 12. 1938.
Jean Luchaire, Un mot personnel, in: Notre Temps, 25. 12. 1938, Sp. 400. Ders., Lettre ouverte an Pierre Brossolette, in: Notre Temps, 8. 1. 1939, Sp. So die
unangefochtene Feststellung des Vorsitzenden Richters
Luchaire; Les procès de collaboration, S. 368.
107.
Ledoux im Prozeß gegen
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Aufenthaltsverbot in Frankreich
mellen Beziehungsgeflecht zwischen den Spitzen der deutschen und französischen Außenpolitik zeitweilig ähnlich wie Abetz und Brinon als Medium fungierte, zumindest dahingehende Ambitionen hegte22. Der Handlungsbedarf in diesem Fall erscheint evident: Bonnet, die druckfrische Freundschaftserklärung in Händen, war auf weitergehende Vereinbarungen mit dem Reich erpicht; er betrachte das Dezember-Abkommen keineswegs als nichtssagenden Akt, sondern als Basis „für weitere Besprechungen im freundschaftlichen Geiste zur dauernden Besserung der deutsch-französischen Beziehungen", erläuterte er Botschafter Welczeck23. Es konnte dieses Vorhaben gefährden, wenn Ribbentrops Frankreichreferent gänzlich unwidersprochen an den Pranger gestellt wurde. Mit Hilfe ihrer seit langem aufeinander eingespielten Emissäre tasteten sich die Außenminister in den Monaten nach .München' ab, in Verfolg der jeweiligen Annäherungsstrategie. Am 24. Oktober berichtete Abetz über eine Unterredung mit Bonnet vom gleichen Tag. Hierbei ging es zunächst um einen gewünschten „Gegenartikel" Daladiers zu einem geplanten Beitrag Ribbentrops für die DeutschFranzösischen Monatshefte. Daladier zögerte offenbar und wollte sich frühestens nach dem Kongreß der Radikalsozialisten Ende Oktober entscheiden24. Bonnet versprach, in dieser Sache persönlich beim Ministerpräsidenten vorstellig zu werden. Dann verbreitete sich Abetz über die „Möglichkeiten einer weitgehenderen Fühlungnahme der beiden Länder auf geistigem Gebiete, vor allem seitens der Jugend", und erklärte Schirachs Bereitschaft, einen ursprünglich im Frühjahr vorgesehenen Vortrag an der Sorbonne über „Goethe und Frankreich", der wegen der Ereignisse in Österreich hatte ausfallen müssen, nunmehr im Dezember zu halten. Bonnet seinerseits signalisierte ein angebliches Interesse Herriots, des Präsidenten der Abgeordnetenkammer, von Hitler empfangen zu werden, und nannte die Erörterung einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit als geeigneten Ansatzpunkt für eine „offizielle deutsch-französische Aussprache"25. Um ein solches Gipfeltreffen, bei dem möglichst ein die Beziehungen stabilisierendes Abkommen unterzeichnet werden sollte, war Bonnet nach der Münchener Konferenz emsig bemüht; es sollte seine Außenpolitik in Frankreich stützen. Ribbentrop zeigte sich aufgeschlossen; es müsse nur der „Anschein vermieden werden, als handle es sich ein deutsches Angebot an Frankreich"26. Die Vorverhandlungen mündeten schließlich in die deutsch-französische Erklärung vom 6. Dezember.
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Bei einer Vernehmung nach dem Krieg behauptete Luchaire, Bonnet habe ihn nach der Münchener Konferenz gebeten, mit Abetz Kontakt zu halten, „pour des sondages officieux auprès de M. von Ribbentrop, voire du Chancelier Hitler". Zit. vom Abgeordneten Charles Serre in der Sitzung der parlamentarischen Untersuchungskommission am 3. 3. 1949; AN-Enquête, VI, S. 1531. Bei Bonnets Vorgänger im Amt, Paul-Boncour, hatte sich der geschäftstüchtige Journalist gleich selber als Mittelsmann angedient. Wenige Minuten nach dessen Vereidigung zum Außenminister des zweiten Kabinetts Blum am 13. März 1938 sprach Luchaire vor und erklärte sich bereit, vertrauliche Mitteilungen an die Deutschen über Abetz weiterzuleiten. Paul-Boncour lehnte unter Hinweis auf die offiziellen diplomatischen Kanäle ab. Aussage Boncours vom 16. 3. 1948; AN-Enquête, III, S. 813. Welczeck an Auswärtiges Amt, 24. 1. 1939; AD AP, D IV, Nr. 380. Keiner der beiden projektierten Aufsätze ist in der Folge in den DFM erschienen. Notiz Abetz' für Welczeck, Paris, 24. 10. 1938; AD AP, D IV, Nr. 342.
Ribbentrop an Botschaft Paris, 5. 11. 1938; ebenda, Nr. 346.
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Abetz' Bericht dokumentiert einen von zahlreichen Vorstößen der französischen Diplomatie auf dieses Ziel hin und belegt, daß er mittlerweile routinemäßig in Sondierungen auf höchster Ebene eingeschaltet wurde27. Prominenten Kritikern Bonnets fühlte er hierbei ebenfalls auf den Zahn, so Paul Reynaud, den er als „unbestrittenes Haupt der ,anti-munichois"' taxierte28, anläßlich eines Mittagessens am 22. Oktober. Der damalige Justizminister ließ anklingen, daß Frankreich das „Gespenst einer deutschen Gefahr" brauche, weil sonst der Bevölkerung Wehrwillen und Opferbereitschaft völlig abhanden kämen. Eine Verständigung sei nicht mit .rnous', „womit er offenbar Flandin meinte", sondern nur mit ,durs', was er „mit einem deutlichen Seitenblick auf sich selbst" sagte, zu bewerkstelligen. Die öffentliche Meinung Frankreichs werde Männer wie Bonnet schon in Kürze desavouieren und den Gegnern der Münchener Vereinbarung zustimmen29. Auch über Gegenströmungen zum Schmusekurs Bonnets war die Reichsregierung mithin im Bilde, was präzise propagandistische Reaktionen erleichterte. Wie ein direkter Konter mutet es an, daß der anonyme Leitartikler der DFM (Abetz?) wenige Tage nach den Einlassungen Reynauds „moralische Abrüstung" postulierte und es für „sehr bedauerlich" erklärte, wenn der Erneuerungsprozeß im Nachbarland, den das „national denkende Deutschland Frankreich von Herzen wünscht", propagandistisch „auf der Fiktion einer .deutschen Gefahr'" fuße, nur „weil angeblich kein anderes wirksames Argument gefunden werden könnte"30. Umgekehrt versuchte Bonnet, die Haltung der Berliner Führung zu erkunden und zu beeinflussen. Auch er stützte sich ganz offensichtlich nicht allein auf seine Berufsdiplomaten, sondern bevorzugte wiederholt inoffizielle Kanäle, was ihm den Vorwurf eintrug, an Parlament und Öffentlichkeit vorbei Geheimdiplomatie zu betreiben. Ebendies war allen Dementis der Beteiligten zum Trotz wohl der Fall, als Fernand de Brinon am 4. Februar 1939 in Berlin eintraf. Offiziell weilte er in seiner Eigenschaft als CFA-Präsidiumsmitglied bei einem internationalen Reitturnier, an dem eine Abteilung der berühmten Kavallerieschule von Saumur teilnahm. Daß Pferdenarr Brinon während seines fünftägigen Aufenthalts in der Reichshauptstadt unter anderem mit Ribbentrop konferierte, ohne daß Botschafter Coulondre eingeweiht war, löste indes Spekulationen aus. Die Pariser Presse mutmaßte, er habe im Auftrag Bonnets hinter dem Rücken der offiziellen französischen Vertretung verhandelt.
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Schlicht unwahr die Behauptung Bonnets im Jahre 1951, er habe Abetz seinerzeit gar nicht
gekannt; AN-Enquête, IX, S. 2609.
Abetz, Das offene Problem, S. 118. Wie Anm. 25. Abetz war in Begleitung de Jouvenels bei Reynaud. Verhörprotokoll Nr. 204/49 der Renseignements Généraux vom 26. 11. 1945, „Déclarations relatives à une entrevue Paul Reynaud-Abetz en 1938"; AN, F 7/15331. Flandin hatte Hitler nach dem Münchener Abkommen ein Glückwunschtelegramm geschickt, worauf ihn die Kommunisten als „Seyss-Inquart Frankreichs" beschimpften und es zu Austritten aus seiner rechtsgerichteten Partei Alliance démocratique kam, allen voran Reynaud. Vgl. Aufzeichnung der Botschaft Paris, 15. 11. 1938; ADAP, D IV, Nr. 353. „Pour un armistice .total'", in: DFM, November 1938, S. 465^168.
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Aufenthaltsverbot in Frankreich
Tatsächlich hatte die Unterredung „eminent politischen Charakter"31. Den Hintergrund bildete die als bedrohlich empfundene Herausforderung der Pariser Regierung durch italienische Gebietsansprüche auf französischen Mittelmeerbesitz. Am 30. November 1938 war es in der römischen Kammer zu antifranzösischen Kundgebungen und lautstarken Rufen nach Tunis, Djibouti, Korsika, Savoyen und Nizza gekommen32, die von der heimischen Presse begierig aufgegriffen wurden. Während die italienische Regierung es unterließ, sich eindeutig von den Vorfällen zu distanzieren, bereiste Daladier demonstrativ Nordafrika und verkündete, Frankreich werde nicht einen Millimeter seines Territoriums abtreten, selbst wenn daraus ein bewaffneter Konflikt entstünde33. Ribbentrop, den Part des lachenden Dritten und potentiellen Schlichters auskostend, behandelte das Thema bei seinem Paris-Besuch am 6. Dezember mit herablassender Gleichgültigkeit. Er äußerte aus ethnographischen Gründen Verständnis für die Forderungen hinsichtlich Tunesiens und charakterisierte die deutsche Position zu diesem Komplex als „nicht unmittelbar interessiert", jedoch bestimmt von der „unverrückbaren Grundlage" der .Achse' Berlin-Rom34. Nun legte Brinon dem Reichsaußenminister „in vorsichtiger Form" nahe, zwischen Frankreich und Italien zu vermitteln. Sein Hinweis, die Beziehungen zu Rom seien derart vergiftet, daß sich Frankreich zu Verhandlungen nicht imstande sehe, kam einer verdeckten Bitte gleich, Berlin möge mäßigend auf Mussolini einwirken. Ribbentrop ging allerdings nicht darauf ein. Er ließ selbstgefällig seine „langjährigen" Verständigungsofferten Revue passieren, anknüpfend an den gemeinsam mit Brinon 1933 eingefädelten Versuch, ein Treffen Hitler-Daladier zu arrangieren. Eine große Konferenz erscheine ihm zum jetzigen Zeitpunkt zwecklos, ja der allgemeinen Stimmung abträglich, wäre sie doch von vornherein zum Scheitern verdammt, weil Paris und London die deutschen Ansprüche „Abgrenzung der Interessensphären, vor allem Zurückgabe der Kolonien und ähnliches" nicht offen anerkennen könnten. Es sei deshalb die „viel bessere Politik, die gegenwärtigen Probleme ausreifen [...] und der natürlichen Entwicklung Zeit zu lassen"35. Die Annahme, daß Brinon im Auftrag Bonnets bei Ribbentrop vorsprach, wird durch fndizien erhärtet, nach denen seine Mission Teil einer umfassenderen Initiative war, das gespannte französisch-italienische Verhältnis aufzulockern. Nur wenige Tage zuvor hatte Paul Baudouin, Direktor der Bank von Indochina und späterer Außenminister der Vichy-Regierung, anläßlich einer Geschäftsreise nach Rom mit Ciano und dem ,Duce' gesprochen und danach Daladier, der ihm Instruktionen auf den Weg gegeben hatte, berichtet36. Auch in diesem starke Paral-
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Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 164. Vgl. v. Mackensen an Auswärtiges Amt, 1. 12. 1938; ADAP, D IV, Nr. 412. DDF, 2, XIII,
Nr. 2. Am 13. Dezember 1938; zit. bei Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 115. Aufzeichnung des Gesandten Schmidt, o.D.; ADAP, D IV, Nr. 370. Aufzeichnung des Legationsrats Brücklmeier „über ein Gespräch des Herrn R.A.M. mit Graf de Brinon am 6. Februar 1939"; ebenda, Nr. 384. Einzelheiten bei Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 163 f., und du Réau, Daladier, S. 330 ff. Baudouin hat den Sachverhalt nach dem Krieg bestätigt; AN-Enquête, VII,
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lelen aufweisenden Fall war der französische Botschafter vor Ort, François-Poncet, vorab nicht informiert worden. Am 6. Februar empfing Ribbentrop nicht nur Brinon, sondern unabhängig davon auch Botschafter Coulondre, der bekräftigte, daß Mussolinis Ambitionen die Kriegsgefahr schürten37. Ein Fingerzeig, wie eng Brinon und Abetz kooperierten, könnte schließlich eine Beschwerde Abetz' beim Auswärtigen Amt vom 7. Februar sein. Er beanstandete einen Artikel in der jüngsten Ausgabe der Europäischen Revue, der die italienische Frankreichpolitik mit dem grausamen Spiel der Katze (Rom) mit der Maus (Paris) verglich eine Darstellung, die geeignet sei, „das französische Empfinden auf das Schärfste zu verletzen und unsere Beziehungen zu deutsch-freundlichen Kreisen in Paris zu gefährden". Das AA möge für eine taktvollere Unterstützung der italienischen Forderungen sorgen und die Europäische Revue anweisen, „die Katze nicht derartig aus dem Sack zu lassen", wie er, die bildhafte Sprache aufgreifend, formulierte38. Zurück in Paris, sah sich der als notorischer Hitler-Bewunderer verschriene Brinon herben Attacken ausgesetzt. „Comment tolère-t-on ici cet agent allemand? C'est un scandale", echauffierte sich Senator de Leusse im Ratssaal des Hohen Hauses39. Henri de Kerillis, der auch in L'Epoque kräftig vom Leder zog, schrieb Brinon, er betrachte es als Gefahr für die Allgemeinheit, wenn eine Person ohne klares Mandat sich erdreiste, zwischen den Regierenden zu pendeln, nach Berlin zu fahren und dort Erklärungen zur französischen Politik abzugeben40. Erst Ende Dezember hatte Brinon, durch die permanenten Angriffe seines journalistischen Intimfeindes entnervt, de Kerillis nach alter Väter Sitte zum Duell gefordert und Sekundanten benannt. Kerillis, der in Duellforderungen „les rites démodés, grotesques et publicitaires" sah, verweigerte die Satisfaktion41. Georges Bonnet, schon des öfteren undurchsichtiger Manöver und mangelnder Information der Öffentlichkeit geziehen, stand ebenfalls im Kreuzfeuer der Kritik. Ein erlauchter Zirkel von Wissenschaftlern, Künstlern und Literaten, unter ihnen mehrere Nobelpreisträger, verlangte gar die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die seine Amtsgeschäfte durchleuchten sollte42. So vehement der Außenminister und Brinon auch bestritten, daß in Berlin irgendwelche verdeckten Verhandlungen geführt oder angebahnt worden seien43, -
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S. 2058 (Aussage vom 12. 7. 1949). Duroselle, La décadence, S. 513, verknüpft auch die Berlin-Reise Brinons mit dem Namen Daladier. Aufzeichnung Schmidt, 6. 2. 1939; ADAP, D IV, Nr. 382. Abetz an die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes, 7. 2. 1939; ebenda, Nr. 385. Vgl. Frhr. v. Freytag-Loringhoven, Politik und Recht: Die französisch-italienische Spannung, in: Europäische Revue, XV. Jg., Februar 1939, S. 109 ff. Aux Ecoutes, 26.2. 1939. Kerillis an Brinon, 2. 3. 1939, nach einem Beschwerdebrief Brinons vom Vortag; AN, 411 AP 1, dr. 6. Vgl. L'Epoque vom 17. 2. und 25. 3. 1939. Lebenslauf „Biographie de Fernand de Brinon"; AN, 411 AP 7, dr. 3. Kerillis an Pierre Benoît (Sekundant), 24. 12. 1938; 411 AP 1, dr. 6. Schreiben der „L'Union des intellectuels français pour la justice, la liberté et la paix" an den Staatspräsidenten, die Vorsitzenden von Senat und Abgeordnetenkammer sowie Ministerpräsident Daladier vom 11. 3. 1939; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. L'Epoque, 17.2. 1939; Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 165f.; AN-Enquête, IX, S. 2606 f. Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß beschrieb Bonnet 1951
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massive Zweifel an ihren Einlassungen scheinen erlaubt. Mißtrauen weckte nicht zuletzt der große Bahnhof, der Brinon bei seinen Deutschlandvisiten regelmäßig bereitet wurde44. Den Anhängern einer deutsch-französischen Verständigung blies ein immer rauherer Wind ins Gesicht, wie auch Otto Abetz bald erfahren sollte.
2. Ende einer Verständigungsphilosophie:
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Vernichtung des tschechoslowakischen Reststaates und die Errichtung eines .Protektorats Böhmen und Mähren' Mitte März 1939 erschütterten endgültig den Glauben der Appeaser, daß Hitlers Ziele begrenzt seien und er großzügige Konzessionen auf der Basis eines general settlement mit außenpolitischem Wohlverhalten honorieren würde. Statt dessen unterjochte der Diktator nun erstmals eine nichtdeutsche Bevölkerung, entgegen den bislang proklamierten ethnischen Maximen. Seine Beteuerungen, daß er nur den legitimen Wunsch habe, alle für das Reich optierenden Landsleute in einem Staat zu vereinen, waren damit ebenso hoffnungslos diskreditiert wie die hartnäckigen Verständigungsversuche westlicher Staatsmänner. In deren Lager machte sich Ernüchterung breit, während sich Die
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die Hiobsbotschaften häuften: Am 23. März zwangen die Nationalsozialisten Litauen zur Rückgabe des Memelgebiets, ein am gleichen Tag besiegelter Handelsvertrag mit Rumänien erschloß den Zugang zu wehrwirtschaftlich bedeutsamen Ölvorräten. Am 7. April fielen italienische Truppen in Albanien ein. Nächstes Etappenziel deutschen Expansionsdrangs war vordergründig die Freie Stadt Danzig, genau besehen das nunmehr strategisch in die Zange genommene Polen. Mussolini schwebte ein faschistisches ,Mare nostrum' vor. So reifte in Paris und Lonseine Beziehungen zu Brinon als „sehr schlecht". Er habe mit ihm in dessen Eigenschaft als politischer Journalist verkehrt, darüber hinaus aber jeden persönlichen Kontakt vermieden. Mehrere Schriftstücke im Nachlaß Brinon sprechen eine andere Sprache, etwa ein Gratulationsschreiben Bonnets, als Brinon 1933 zum Offizier der Ehrenlegion ernannt wurde; AN, 411 AP 1, dr. 4. In seinen 1949 postum veröffentlichten Memoiren übergeht Brinon die Februar-Reise 1939, in den DFM fand sie ebenfalls keinen Niederschlag. Exemplarisch ein Aufenthalt in Berlin im Januar 1938 auf Einladung Schirachs. Bei seiner Ankunft schritt der Journalist gemeinsam mit dem Reichsjugendführer zu den Klängen der Marseillaise und des Deutschlandliedes eine vor dem Bahnhof Friedrichstraße angetretene Ehrenformation der HJ ab. Hernach wurde er von Göring, Ribbentrop, dem Präsidium der DFG und Reichsminister Frank empfangen. Eine Unterredung des ausgebildeten Juristen Brinon mit Justizminister Gürtner und dem Direktor der Akademie für deutsches Recht, Lasch, in Anwesenheit des französischen Geschäftsträgers, sollte der „Vertiefung der Beziehungen auf dem Gebiete des Rechts" dienen. Vgl. Völkischer Beobachter, 21. 1. 1938. Die zurückhaltende Berichterstattung hierüber in der Pariser Presse schrieb der englische Daily Telegraph (22. Januar) dem Umstand zu, daß Brinon als Vertrauter Daladiers anzusehen sei, „the strong man of the new French Government" (Daladier war seinerzeit Verteidigungs- und Kriegsminister). Die kommunistische L'Humanité (22. Januar) hingegen fand es höchst bedenklich, wie Brinon sich gleichsam als Sprachrohr ministerieller Kreise geriere.
2. Der Zerfall des Comité France-Allemagne
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don die späte Einsicht, daß mit den .Achsenmächten' auf Dauer nicht gütlich auszukommen sei45. Der nationalsozialistische .Griff nach Prag' am 15. März 1939 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs. Einmal mehr demonstrierte das Hitler-Regime, daß es weder durch Verträge noch Konzessionen zu bändigen, geschweige denn zu saturieren war. Chamberlain und Daladier, ein halbes Jahr zuvor in München bereit, den Frieden um den Preis der Verleugnung eines Verbündeten zu retten, zeigten jetzt, auch unter dem Druck einer empörten Öffentlichkeit, zumindest verbal ihre Entschlossenheit, weitere Schläge nicht mehr hinzunehmen. Bei einem Auftritt in Birmingham am 17. März zählte der britische Premierminister Hitlers Wort- und Vertragsbrüche auf und kündigte energischen Widerstand gegen eine fortgesetzte deutsche Expansion an: „any attempt to dominate the world by force was one which the Democracies must resist"46. Amtskollege Daladier bekräftigte ebenfalls, daß das Maß voll sei. Frankreich werde sich künftig „mit einmütiger Kraftanstrengung zur Verteidigung der Freiheit erheben" und „jeder durch Gewalt oder durch die Drohung mit Gewalt erzwungenen Änderung des Status quo [...] entgegentreten"47. Der Wille zu mehr Festigkeit manifestierte sich in britisch-französischen Garantien für Polen (31. März), Griechenland und Rumänien (13. April) sowie halbherzig geführten Bündnisverhandlungen mit der Sowjetunion. Auch in der französischen Öffentlichkeit war ein spürbarer Umschwung zu verzeichnen. Weite Bevölkerungskreise schienen trotz tiefempfundener Friedensliebe nicht länger gewillt, ein Arrangement mit Deutschland und Italien um jeden Preis zu akzeptieren. Botschafter Welczeck konstatierte einen „Zustand der Gereiztheit [...], der seinen Ausdruck findet in den häufig zu hörenden Worten ,ça ne peut pas continuer ainsi'".48 Daladier, autoritär und volkstümlich zugleich, gestärkt nicht zuletzt durch die erfolgreiche Wirtschaftspolitik seiner Regierung, genoß größere Popularität denn je49. Unter dem Druck der äußeren Ereignisse verloren innenpolitische Gegensätze an Schärfe, präsentierte sich die Nation so geschlossen wie seit langem nicht50. Friedrich Grimm, wie häufig am Puls des Geschehens, kommentierte trocken: „München ist tot [...] Wir haben keinerlei Rückendeckung mehr in Frankreich, jedenfalls im Augenblick." Der Bruch im massenpsychologischen Gefüge dünkte ihn „vielleicht tiefgehender als jemals zuvor"51. Doktrinäre Pazifisten der nichtkommunistischen Linken und Ultrarechte gerierten sich aus unterschiedlichen Motiven zwar weiterhin als .Muni-
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Ein konziser Abriß zur Appeasementpolitik und ihrem Making of the Second World War, Kap. 5 und 6. Zit. bei Taylor, Origins of the Second World War, S. 253.
Fehlschlagen bei Adamthwaite,
Radioansprache am 29. 3. 1939, Regierungserklärung vom 13. April; zit. bei Jean-Pierre Azéma, Die französische Politik am Vorabend des Krieges, in: Benz/Graml (Hrsg.), Sommer 1939, S. 284 f. Welczeck an Auswärtiges Amt, 13. 5. 1939; ADAP, D VI, Nr. 379. Vgl. Heimsoeth, Dritte Republik, S. 33 ff.; du Réau, Daladier, 3. Teil, Kap. V Bericht Bräuers vom 19. 4. 1939; PA/AA, R 102859. „Bericht über Pariser Reise vom 12.-18. März 1939", in: Grimm, Frankreich-Berichte, S. 132-137, die Zitate S. 134.
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chois', doch im nun vorherrschenden Meinungsklima blieb der Einfluß selbst so
pointierter Stellungnahmen wie der von Marcel Déat begrenzt. „Flanquer la guerre en Europe à cause de Dantzig, c'est y aller un peu trop fort", hatte Déat erklärt, „les paysans français n'ont aucune envie de mourir pour les Poldèves."52
Zwar blieb das Bedürfnis nach Frieden bestimmendes Moment in der öffentlichen Diskussion, doch erschien der Preis vielen allmählich zu hoch. Selbst ein exponierter .Munichois' wie Jean Luchaire wurde nachdenklich. Noch Anfang März hatte er Bonnet vorbehaltlos verteidigt und für eine in Gourdon gehaltene Rede gelobt. Der Außenminister hatte unter Hinweis auf entsprechende Äußerungen Ribbentrops seine Zuversicht bekräftigt, daß die deutsch-französische Erklärung vom 6. Dezember die erste Etappe auf dem Weg zu vertrauensvollen Beziehungen sei. Notre Temps stellte sein Wirken „dans l'esprit comme dans la pratique" in eine direkte Kontinuitätslinie zu Aristide Briand, nicht ohne zu betonen, daß die Zeitung stets das gleiche hehre Ziel verfolgt habe53. In der nächsten Ausgabe legte das Blatt nach: Man müsse, wie Bonnet es praktiziere und Briand es getan hätte, den Frieden mit den vorhandenen Mitteln und letztem Einsatz bewahren54. Wiederum eine Woche später räumte Luchaire ein, daß Hitlers Beteuerungen als Trug entlarvt seien. Mit dem Einmarsch in Prag habe der .Führer' unstrittig die „völkische Plattform" verlassen und die seitherige ideologische Rechtfertigung seiner Gebietsansprüche ad absurdum geführt55. Ungewohnt scharf reagierte Luchaire auf den Leitartikel in der April-Ausgabe der DFM, der die jüngste deutsche Expansion mit geopolitischen Argumenten zu bemänteln suchte. Wer die Staatsräson über die Gerechtigkeit erhebe, das geographische über das ethnische Prinzip, die Theorie des .Lebensraums' über Freiheit und Unabhängigkeit, betreibe „klassischen fmperialismus". Dieser aber, warnte Luchaire, habe noch stets im letzten siegreiche Koalitionen gegen sich vereint56. Besonders anschaulich läßt sich der Gezeitenwechsel bei den Frontkämpferverbänden dokumentieren, die so geduldig einem Ausgleich das Wort geredet hatten. Nun verlangten sie entschieden die Eindämmung nationalsozialistischer Expansionsgelüste. UNC-Präsident Jean Goy rief unter dem Beifall von 50000 Zuhörern in Arcachon: „Les promenades militaires, les conquêtes sans risque, c'est maintenant fini; la France crie: Halte-là!"57 Henri Pichot, der nach der als Demütigung -
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5. 1939. Neuere Untersuchungen stimmen darin überein, daß der Artikel hauptsächlich entschiedenen Widerspruch erntete. Siehe Azéma, La France de Daladier, in: ders./Bédarida (Hrsg.), La France des années noires, 1, S. 35; Burrin, La dérive fasciste, S. 273; Brender, Kollaboration in Frankreich, S. 66ff. Schramm nannte ihn einst „ein psychologisches Geschenk [...], das gut und gern ein Panzerkorps wert war"; ders., Hitlers psychologischer Angriff, S. 56. Luchaire, De Gourdon à Gourdon, in: Notre Temps, 5. 3. 1939, Sp. 817ff. Georges Suarez, De Briand à G. Bonnet, in: Notre Temps, 12. 3. 1939, Sp. 867f. Luchaire, Le IIIe Reich à Prague, in: Notre Temps, 19. 3. 1939, Sp. 915. Dort auch die aus heutiger Perspektive weitsichtige Vorhersage: „L'histoire dira peut-être un jour que la date du 15 mars 1939 aura été plus fatale au Troisième Reich qu'à la Tchécoslovaquie ellemême." Luchaire, Persévérer? Mais comment?, in: Notre Temps, 16. 4. 1939, Sp. 1057ff. Vgl. DFM, April 1939, S. 193-200 (Leitartikel „Blut und Boden", unsig.). Zit. bei Crémieux-Brilhac, La France devant l'Allemagne et la guerre au début de septem-
Déat, Mourir pour Dantzig?, in: L'Œuvre, 4.
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Frankreichs empfundenen Münchener Konferenz eindringlich zu nationaler Geschlossenheit aufrief, erklärte ebenso unmißverständlich: „Il ne s'agit plus de discuter avec Hitler. Il s'agit d'opposer nos actes à ses actes et de faire que notre force barre sa force. Le reste, littérature."58 Ende April geißelte er vor Veteranen in Colmar den „gefährlichen und maßlosen Ehrgeiz" der Diktatoren, die Europa im Namen des ,Lebensraums' zu knechten versuchten. Doch die Welt sei „erwacht" und sammele sich. Auch das friedliebende französische Volk sehe sich angesichts der von Deutschland und Italien ausgehenden Kriegs- und Dominationsgefahr gezwungen, „Gewalt mit Gewalt zu beantworten". Die Rettung des Friedens liege im Zusammenschluß der freien Völker zur Verteidigung von Menschenrecht und Zivilisation. „Europa will sich nicht in ein Konzentrationslager verwandeln lassen"59. In einem privaten Gespräch hatten die beiden Generalsekretäre des CFA bereits Ende Dezember 1938 eine traurige Bilanz gezogen: Jahre wechselseitiger Besuche und rege kulturelle Austauschbeziehungen hatten die politische Entwicklung nicht entscheidend beeinflußt. Die Mitglieder der Deutsch-Französischen Gesellschaft seien aufrichtig, insistierte Goy; doch wenn sie nicht erkennen wollten, daß sie nur die Galerie belustigten, während ihr .Führer' den Völkern ins Fleisch schneide, dann sei das kein Grund für die französische Schwestergesellschaft, sich ebenfalls an der Nase herumführen zu lassen. Es gebe zudem unbestreitbar Mißstimmigkeiten in der Auslegung der Menschenrechte, ergänzte Pichot. Man dürfe nicht länger schweigen und so den Eindruck erwecken, als billige man die inneren Zustände im NS-Staat60. Dieselben Männer, die es über Jahre hinweg als patriotische Pflicht erachteten, Versöhnungsarbeit an der Basis zu leisten, die ebenso naiv wie von Friedensliebe beseelt an Hitlers Wohlverhalten hatten glauben wollen, steigerten sich nun, restlos desillusioniert, in eine regelrechte Kreuzzugstimmung wider den braunen Terror hinein. Das Comité France-Allemagne, von den Frontkämpfern maßgeblich inspirierter Hort der Verständigungsphilosophie, geriet zwangsläufig unter Druck und brach auseinander. Prominente Mitglieder verweigerten ihre Unterstützung, schieden im Groll. „Am bittersten sprechen sich gerade unsere Freunde aus", notierte Grimm. Selbst wohlmeinende Persönlichkeiten wie Brinon beklagten sich, daß sie „keinerlei Informationen" hätten und keine stichhaltigen Argumente, um das deutsche Vorgehen vor der französischen Öffentlichkeit zu begründen. „Sie müssen sich heute entschuldigen. Sie ziehen sich darauf zurück, daß sie guten
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bre 1939, in: Hildebrand/Werner (Hrsg.), Deutschland und Frankreich 1936-1939, S. 604 f.; ders., Les Français de l'an 40,1, S. 63 ff. Pichot, Voir clair, in: L'Œuvre, 25. 3. 1939. Ansprache vor der Union des invalides et anciens combattants d'Alsace et de Lorraine, 30. 4. 1939; Redemanuskript im Nachl. Pichot, AN, 43 AS 2, dr. 1. Pichot, Et ce fut quand même la guerre, pag. 87. Die letzte Bemerkung spielt auf die .Kristallnacht' an. Nach dem Judenpogrom wies Pichot die Behauptung, der Volkszorn habe sich spontan entladen, als nationalsozialistische Propagandalüge zurück: „il n'en peut pas être ainsi dans un pays où tout est ordonné, où rien se passe sans permission". Ders., Pour être lu à Berlin, in: L'Œuvre, 16. 11. 1938.
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Glaubens gewesen [...], daß sie getäuscht worden seien."61 Schon im Herbst 1938 Austritten aus dem CFA gekommen. In den Augen Bertrand de und anderer machte bereits .München' alle Hoffnung auf eine dauerJouvenels hafte Einigung mit Hitler-Deutschland zunichte. Jouvenel diente sich deshalb sogar der militärischen Abwehr als Informant an. Auf Vermittlung von Abetz bereiste er im November/Dezember 1938 in seiner Eigenschaft als Journalist Deutschland, besichtigte Hochöfen, Siemens und die Junkers-Werke, wo ihm in unverkennbarer Einschüchterungsabsicht Einblicke in die Rüstungsanstrengungen und die umfassende Mobilisierung der Werktätigen ermöglicht wurden. Bestürzt registrierte er, daß der Respekt vor Frankreich und seiner Armee nicht mehr sonderlich groß sei62. Noch vor den Prager Ereignissen legte Georges Scapini den CFA-Vorsitz nieder. Ein Nachfolger wurde nicht mehr gewählt. Statt dessen erschien in der Pariser Tagespresse am 24725. März 1939 folgende Notiz: „Le comité directeur, réuni le mercredi, 22 mars, considérant les récents événements en Europe centrale, a décidé, à l'unanimité, de suspendre son activité et de convoquer une assemblée générale afin d'envisager une dissolution éventuelle du Comité France-Allemagne."63 Ein Teilnehmer der Sitzung erklärte hierzu vor Reportern, man habe nach besten Kräften für die Verständigung gearbeitet, glaube weiter, daß das deutsche Volk in Frieden leben wolle, könne aber nicht umhin festzustellen, daß Hitlers Politik Europa an den Rand einer Katastrophe geführt habe64. Die am 22. März im Präsidium getroffene Entscheidung, die Aktivitäten des Komitees zumindest bis zur Einberufung einer Generalversammlung ruhen zu lassen, fiel keineswegs einstimmig. Goy und Pichot hatten sogar eine unverzügliche Auflösung der Organisation beantragt65 und offenbar etliche Vorstandsmitglieder auf ihrer Seite. Nur mit Mühe gelang es Brinon, Ernest Fourneau und dem Comte de Chappedelaine, „einen übereilten Beschluß zu vermeiden", wie Botschaftsrat Bräuer nach Berlin meldete. Der jetzt vereinbarte Modus sei das mindeste gewesen, was den Verfechtern einer sofortigen Liquidation zu konzedieren war. Brinons Fraktion spiele nun auf Zeitgewinn und hoffe auf ruhigeres Fahrwasser für die Vollversammlung. Nach Bräuers Informationen hatte das CFAPräsidium die Deutsch-Französische Gesellschaft umgehend über seine Beschlüsse in Kenntnis gesetzt, ebenso „wie üblich" die „zuständigen Herren" war es zu ersten
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61 62
Grimm, Frankreich-Berichte, S. 134,
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136.
Jouvenel, Voyageur, S. 338ff.; ders., Nach der Niederlage, S. 105f. Vgl. Sick, Vom Neo-
liberalismus zum Faschismus?, S. 69f. Den Generalstabschef der französischen Luftwaffe, Vuillemin, schauderte nach einem Deutschlandbesuch im August 1938 vor den materiellen Ressourcen und der Moral der deutschen Verbände. Seine
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Gastgeber hätten keine Gelegenheit ausgelassen, ihre militärische Schlagkraft zu demonstrieren. In charakteristischem Kontrast hierzu unterstrich Hitler bei einem Empfang seine Sympathien für Frankreich und die Frontkämpferverständigung. Aufzeichnung Vuillemins vom 23. 8. 1938 über Gespräche mit Hitler und Goring am 18. August, zusammenfassender Bericht des Generals über seine Mission vom 2. September; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. Zit. nach Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 163, 25. 3. 1939. Höhnischer Kommentar Kerillis': „M. von Brinontrop perd son emploi." L'Epoque, 25. März. Le Journal, 24. 3. 1939. Cahiers de l'Union fédérale, Nr. 163.
2. Der Zerfall des Comité France-Allemagne
253
der Dienststelle Ribbentrop66. Fast beiläufig bestätigt diese Formulierung, daß die .Dienststelle' via DFG routinemäßig auf deren Pariser Pendant Einfluß zu nehmen
pflegte.
Otto Abetz eilte nach Paris, um den Zerfallsprozeß aufzuhalten. Er versuchte Pichot umzustimmen, bot seine ganze Überzeugungskraft auf, plädierte leidenschaftlich für den Fortbestand des Comités vergebens67. Der Generalsekretär
anerkannte den guten Willen der DFG, betonte indes, daß man sich über den kulturellen Austausch hinaus der Verbesserung der politischen Beziehungen verpflichtet fühle und diesbezüglich gescheitert sei. Gegenwärtig, da ausschließlich die Politik bestimme, sei kein Platz mehr für „Spiele". Seine Kameraden und er stünden loyal hinter ihrer Regierung, alles andere wäre unwürdig. Abetz schien „erschüttert, aufgewühlt, betrübt"68 zu sein, Pichot erstaunlicherweise nach wie vor überzeugt von der persönlichen Integrität des Deutschen. Noch 1944, im Rückblick auf die dreißiger Jahre, fühlte er mit ihm: „Je sais tout ce qu'il a fait [...] pour la naissance d'un .esprit franco-allemand'. Je sais que c'est là sa raison d'agir la plus intime et la plus sincère [...] Il m'a fait plus d'une confiance. Sa francophilie avouée et militante lui a valu des soupçons, des accusations, des menaces. Il a parfois joué sa situation, sinon sa sécurité personnelle." Die mit Spannung erwartete Generalversammlung des CFA am 24. Mai besiegelte das Ende der Gesellschaft, wenngleich die laut Satzung für eine Auflösung erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht zustande kam. Es war ein Abgesang voller Mißklänge. Nach erregten Debatten, Radau, tumultartigen Szenen und einer wahren Abstimmungsschlacht schieden die Anwesenden im Unfrieden. Einige jüngere Mitglieder sollen durch englandfeindliche Parolen aufgefallen sein. Senator Henry-Haye, der Abgeordnete Pierre Béranger und Professor Fourneau machten sich für den Fortbestand des Comités stark, während Jean Goy „in einer recht hetzerischen Rede", wie Botschafter Welczeck erfuhr und Henri Pichot „in gemäßigter Form" als Wortführer der Auflösungsbefürworter hervortraten und den Austritt ihrer Verbände aus dem CFA bekanntgaben69. Nicht zum ersten Mal habe eine Minderheit ihren politischen Passionen schamlos freien Lauf gelassen, dem auf Ausgleich bedachten Geist der Gründerväter zuwider, kommentierte die Verbandszeitung der Union fédérale70. Über das genaue Abstimmungsergebnis herrschte heillose Verwirrung. Die Nachrichtenagentur Havas meldete 173:124 Stimmen zugunsten einer Auflösung des Comités, L'Epoque ein Votum von 132:125. Die Unsicherheit resultierte nach Darstellung Welczecks aus der hitzig diskutierten Frage, ob Goy und Pichot im Namen der Anciens combattants jeweils 40 Kollektivstimmen abgeben dürften. Versammlungsleiter Scapini erlaubte dies schließlich mit dem vielsagenden Hinweis, daß -
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66 67 68
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Bräuer an Auswärtiges Amt, 26. 3. 1939; PA/AA, Botschaft Paris 1297. Das Folgende nach Pichot, Et ce fut, S. 92 f.
„Emu, troublé, peiné".
Welczeck an Auswärtiges Amt, 27. 5. 1939; PA/AA, Botschaft Paris 1297. Vgl. Pichot, Et ce fut, S. 93f., und L'Epoque vom 27. Mai („La tumultueuse agonie de l'Association
France-Allemagne").
Cahiers de L'Union fédérale, Nr. 167, 25. 5. 1939.
254
VII.
Aufenthaltsverbot in Frankreich
Vergangenheit die Sonderstellung der Präsidenten der Frontkämpferverbände respektiert habe. Kaum aber waren die Stimmzettel eingesammelt, soll Pichot mit Rücksicht auf die geharnischten Proteste doch auf seine 40 man
auch in der
Stimmen verzichtet
haben, was dann zu Rechenfehlern und unterschiedlichen Auszählungsresultaten führte71. Das Comité France-Allemagne, wiewohl faktisch erst bei Kriegsbeginn aufgelöst, stellte nach diesem skandalträchtigen Abend alle Aktivitäten ein. Die karge Acht-Zeilen-Meldung der DFM, die Versammlung habe sich für eine „Weiterführung" entschieden, entsprach nicht den Tatsachen und verdrehte den Umstand, daß die erwähnte Zweidrittelmehrheit nicht erzielt wurde, auf unseriöse Weise zu propagandistischen Zwecken72. Vizepräsident Brinon, zunächst zum Weitermachen bereit, zog sich auf sein Landgut Orriule nahe der spanischen Grenze zurück, schmollend und der ständigen Anschuldigungen überdrüssig, ein verkappter Nazi-Agent zu sein73. Damit entfielen wichtige Anlaufstellen, Informanten und Meinungsmultiplikatoren für Abetz. Seine propagandistische Tätigkeit in Frankreich wurde im Frühjahr f 939 außerdem durch mehrere regierungsamtliche Dekrete zur inneren Sicherheit und eine zunehmend kritische Berichterstattung der Presse im Gefolge der wachsenden internationalen Spannungen weiter erschwert74. Die Zeiten, da ihm die Sympathien leichtgläubiger Franzosen zuflogen,
passé. Statt dessen sah er sich nun vielerorts mit massiven Vorbehalten und Fragen konfrontiert, so im März bei einem vom CFA organisierten in Vortrag Lyon. Abetz sollte vor Studenten über „soziale Errungenschaften im waren
bohrenden
Dritten Reich" referieren. Die Diskussion drehte sich aber rasch um den Einmarsch der Wehrmacht in Prag, und er hatte, wie er Jahre später vor Gericht sagte, Schwierigkeiten, sich zu verteidigen75. 71 72
73 74
75
Welczeck an Auswärtiges Amt, wie Anm. 69. DFM, Juni 1939, S. 422. Die gleiche Falschmeldung im August/September-Heft, S. 508. „Biographie de Fernand de Brinon"; AN, 411 AP 7, dr. 3. Les procès de collaboration, S. 14. An erster Stelle ist hier das „Décret tendant à réprimer les propagandes étrangères" zu nennen, am 21. April von Staatspräsident Lebrun unterzeichnet und laut Anschreiben Daladiers „une nécessité de défense nationale". Es richtete sich besonders gegen die Bestechung und propagandistische Vereinnahmung von Franzosen durch Fremdmächte. Mit Gefängnis bis zu fünf Jahren mußte rechnen, wer in Diensten bzw. im Sold ausländischer Propagandastellen stand. Der Erhalt ausländischer Geldmittel für kommerzielle Werbezwecke war fortan meldepflichtig (J.O., Lois et décrets, 25. 4. 1939, S. 5296). Ein Dekret vom 6. Mai erleichterte es dem Innenminister, ausländische Druckerzeugnisse zu verbieten; aufgrund dieser Handhabe wurden im August die Deutsch-Französischen Monatshefte aus dem Verkehr gezogen. Weitere Dekrete untersagten die unautorisierte Weitergabe militärischer Informationen (20. März), verschärften die Sanktionen bei Verunglimpfung bestimmter ethnischer und religiöser Bevölkerungsgruppen (21. April) und stellten die Verbreitung von Flugschriften, Handzetteln und ähnlichen Publikationen, die ausländischer Herkunft oder von Fremdmächten inspiriert waren und die nationale Sicherheit gefährdeten, unter Strafe (24. Juni). Vgl. Fernand Terrou, L'Evolution du droit de la presse de 1881 à 1940, in: Bellanger u.a. (Hrsg.), Histoire générale de la presse française, III, S. 51 f. Abetz-Prozeß, 12.7. 1949, pag. 23 ff.; AN, 334 AP 49. Die Behauptung eines Lyoneser Offiziers, wonach Abetz vor befreundeten Franzosen in einem Lokal erklärt haben soll,
3. Frieden mit Frankreich
3.
auf Kosten Polens
255
Abgründe einer fixen Idee:
Frieden mit Frankreich auf Kosten Polens Die Unterwerfung der Tschechoslowakei stürzte Abetz nach eigener Darstellung in ein Dilemma. „Waren mir alle bisherigen außenpolitischen Initiativen der deutschen Regierung, trotz ihrer manchmal anfechtbaren Form, innerlich berechtigt erschienen, so befand ich mich gegenüber dieser neuen Aktion in der peinlichen Lage, daß ich sie auch in der Sache nicht gutheißen konnte", schreibt er in seinen Memoiren76. Doch schon zwei Absätze weiter ist er wieder ganz nationalsozialistischen Denkkategorien verhaftet und riskiert einen gewagten Vergleich: „Die .tschechische Bastion' nahm unbestreitbar im deutschen Staats- und Volksraum den gleichen beherrschenden Platz ein wie etwa das Massif Central in Frankreich, sie konnte im Kriegsfall einer feindlichen Koalition als Waffenlager und Flugbasis dienen. Gleich welcher Nationalstaat hätte ein derartig gelegenes Gebiet im Laufe seiner Geschichte schon längst politisch und kulturell mit sich verschmolzen."77 Auch im Spiegel zeitgenössischer Dokumente ist ein qualvoller Gewissenskonflikt nicht zu erkennen, geschweige denn eine Distanzierung von den Geschehnissen. Vielmehr erscheint Abetz wieder einmal als loyaler Interpret der Berliner Machthaber. Unter seiner maßgeblichen Mitwirkung führten die Deutsch-Französischen Monatshefte erneut eine massive Kampagne zur Rechtfertigung der nationalsozialistischen Außenpolitik78. Völkische Argumente, die bei früheren Annexionen in deutschfreundlichen Kreisen im Ausland durchaus verfangen hatten, stachen nicht mehr das Reich hatte das vielbemühte Prinzip der Selbstbestimmung und der ethnischen Revision der in Versailles gezogenen Grenzen zu eindeutig verletzt und in den Augen der Weltöffentlichkeit nackten Imperialismus praktiziert. So wurden nun im Fall Böhmen/Mähren kurzerhand die historischen und geographischen Gegebenheiten für „derartig zwingend" erklärt, daß diesesmal das eigentlich viel erstrebenswertere „reine Rasseprinzip" habe hintanstehen müssen. Im Gleichklang mit anderen NS-Organen wurden die Einwände des Auslands mittels schlichter Arithmetik als wunderlich abqualifiziert: „Als im Staate des Professors Benesch sieben Millionen Tschechen dreieinhalb Millionen Sudetendeutsche politisch bevormundeten, fanden Herr Benesch und mit ihm fast die ganze Welt dieses in Ordnung [...] Wenn heute in einem föderalistischen Staatsgefüge 80 Millionen Deutsche die politische Führung über sieben Millionen Tschechen übernehmen, nimmt die Welt hieran Ärgernis." Dabei werde den Tschechen eine nachgerade beispielhafte administrative und kulturelle Autonomie zugestanden79. Im Mai-Heft der DFM -
76 77
78
79
linksrheinische Gebiete germanischen Ursprungs müßten wieder ins Reich eingegliedert werden, wies der Angeklagte als Erfindung zurück. Abetz, Das offene Problem, S. 95. Ebenda, S. 95 f. Einziger Kontrapunkt war der schon erwähnte kritische Beitrag des Lyoneser CFA-Mitglieds Bérard, der freilich auch als Aufhänger für Repliken, mithin propagandistischen
Gesichtspunkten, diente.
Leitartikel „Blut und Boden", unsig.; DFM, April 1939, S. 193-200. Die gleichen Begrün-
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VIL
Aufenthaltsverbot in Frankreich
entwarf Reichsinnenminister Frick ein höchst vorteilhaftes Tableau von der Lage der ethnischen Minderheiten im Großdeutschen Reich. Er verneinte ihre zwangsweise Germanisierung und beteuerte, Staat und Partei achteten, ja garantierten die natürlichen Lebensrechte dieser Bevölkerungsgruppen [sie!]. Böhmen und Mähren beanspruchte er als einen von alters her traditionell „deutschen Lebensraum"80. In der Juni-Ausgabe der Revue legte Abetz persönlich nach, die mittlerweile sattsam bekannten Argumente wiederholend. Der Ton ist merklich schärfer als in den voraufgegangenen Beiträgen, die primär auf eine Beruhigung der Gemüter in Frankreich zielten. Abetz beschuldigte die Westmächte, sie hätten das Münchener Abkommen nur akzeptiert, um einen Konflikt zu vermeiden, nicht um geschehenes Unrecht gutzumachen. Die Tschechen hätten sich dem Reich gegenüber längst nicht so kooperativ verhalten, wie man das habe erwarten dürfen; auch dies rechtfertige die Wiederherstellung einer „von den geographischen Gesetzen und einer über 1000jährigen Geschichte gewollten Ordnung". Im übrigen verortete er den ,Griff nach Prag' als notwendigen Schritt zur unumgänglichen Revision des Versailler Vertrages81. Seine Überzeugung, daß das Versailler System obsolet sei, ließ ihn auch für die offiziellen deutschen Forderungen in der Danzig- und Korridorfrage einstehen, die im Frühsommer 1939 wieder aktuell wurden. Doch nicht Danzig, sondern „die Erweiterung des Lebensraumes im Osten" war eigentliches Objekt nationalsozialistischer Begierde, wie der .Führer' am 23. Mai vor Wehrmachtgenerälen bekannte. Polen, das sich hartnäckig weigerte, in ein Satellitenverhältnis zum Reich zu treten, sollte „bei erster passender Gelegenheit" liquidiert werden82. Im April hatte Hitler den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt und das Flottenabkommen mit England aufgekündigt und dem OKW befohlen, den .Fall Weiß' (Angriff auf Polen) so zu bearbeiten, „daß die Durchführung ab 1.9. 1939 jederzeit möglich ist"83. Inwieweit Abetz über diesen hemmungslosen Hang zur Gewalt im Bilde war, entzieht sich unserer Kenntnis. In seinen Erinnerungen verteilt er die Verantwortung für die hereinbrechende Katastrophe, die NS-Führung entlastend, auf viele Schultern, angefangen bei den Siegern des Ersten Weltkriegs, die mit der Abtrennung Danzigs vom Reich und der Errichtung des Korridors eine „Todsünde am Frieden" begangen hätten. Er rügt wahnwitzige italienische Forderungen und „übereilte Schritte" der Reichsregierung, die bei den Westmächten „Befürchtungen wecken und die Kriegsbereitschaft erhöhen" mußten, ebenso wie die angeblich Oberwasser gewinnende „Kriegspartei" jener Länder, so daß man die Schuld „nicht ausschließlich Deutschland zuschreiben" dürfe. Von einer mysteriösen „Aufhetzung Polens gegen Deutschland" ist die Rede, mit deutlich antibritischer Spitze. Eine insgesamt peinliche Argumentationskette, die sich zwölf Jahre
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düngen, zum Teil in fast wörtlicher Übereinstimmung, bei Abetz, Das offene Problem, S. 96. Vgl. Joachim Benecke, Un nouveau Saint-Empire?, in: DFM, April 1939, S. 201-204 („l'espace vital du peuple exige ça et là des corrections pour des raisons géographiques"). Wilhelm Frick, Les minorités ethniques du Reich allemand, in: DFM, Mai 1939, S. 273287.
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Abetz, Versailles, vingt ans après, in: DFM, Juni 1939, S. 349-355. Protokoll des Wehrmachtadjutanten Oberstleutnant Schmundt; AD AP, D VI, Nr. 433. Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen für die Kriegführung, Nr. la, das Zitat S. 22.
3. Frieden mit Frankreich
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nach Kriegsausbruch noch immer in streng revisionistischen Bahnen bewegt und zwischen den Zeilen manche Schuldzuweisung an den überfallenen Nachbarn im Osten enthält84. Als sich der Nervenkrieg um Danzig zuspitzte, war Abetz erneut unterwegs, um die öffentliche Meinung in Frankreich im nationalsozialistischen Sinn zu beeinflussen. Er warb um Verständnis für die „durchaus diskutablen" deutschen Forderungen und bestürmte seine vielen Bekannten, auf eine friedliche Lösung des Konflikts hinzuwirken. Hierbei ist er, wie seine eigenen Einlassungen belegen, wohl ziemlich massiv geworden. Man solle keine Illusionen hegen, schärfte er seinen Gesprächspartnern ein, daß die Westmächte Hitler durch Unnachgiebigkeit in die Knie zwingen könnten. Die Deutschen stünden in der Danzigfrage geschlossen hinter ihrer Regierung, militärische Gegenmaßnahmen seien angesichts der Stärke des Reiches sinnlos und würden „mit blutigen Verlusten für den Angreifer" abgewiesen. Polen selbst wäre im Ernstfall „in spätestens 15 Tagen militärisch völlig zerschlagen"85. Nach amtlicher französischer Lesart hat er „in sensationeller Weise" einen unmittelbar bevorstehenden Handstreich auf Danzig angekündigt und systematisch das Gerücht verbreitet, der Westen würde sich für die Freie Stadt nicht schlagen86. Durch seine Kampagne, deren Schwerpunkt auf Abschreckung lag und mit deren Hilfe die französische Kampfbereitschaft geschwächt werden sollte, machte sich Abetz zum Handlanger für das Vorhaben, Polen zu isolieren. Auf der Suche nach Motiven tritt schlaglichtartig das irritierend Zwiespältige seines Wirkens zutage. Denn es ist keineswegs von der Hand zu weisen, daß der überzeugte Revisionist seine fragwürdigen propagandistischen Methoden auch deshalb anwandte, damit ungeachtet sonstiger aus nationalsozialistischer Aggression resultierender Feindseligkeiten wenigstens ein neuer deutsch-französischer Waffengang vermieden würde. Seinem beängstigend auf das bilaterale Verhältnis reduzierten Denken hätte ein solches Verhalten sehr wohl entsprochen. Seit Sohlbergzeiten war er darauf fixiert, Frieden zwischen den beiden Nationen zu stiften. Mit dieser Idee hatte er Karriere gemacht und sich im Strickwerk der Doppelmoral verheddert; nun war die bedingungslose Hingabe an die selbstgestellte Aufgabe zum kategorischen Imperativ geworden, der es erforderte, etwaige moralische Skrupel beiseite zu schieben. Seine propagandistische Tätigkeit konnte helfen, den drohenden Krieg zu gewinnen, ohne ihn im Westen führen zu müssen. Ob billige Selbstlegitimation oder verzweifelte Notbremse, der Anspruch, ein rundum integrer Freund Frankreichs zu sein, blieb in jedem Fall auf der Strecke. Die mit guten Gründen widerstrebenden Nachbarn sollten in den Jahren 1938/39 gleichsam überredet werden, um ihrer nationalen Sicherheit willen Hitlers Eroberungen zu dulden. Von gütlicher Konfliktregelung im Wortsinn konnte hierbei natürlich keine Rede sein die -
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Abetz, Das offene Problem, S. 95-103. Ebenda, S. 103 f.
der Pariser Unsignierte deutsche Aufzeichnung, die den Vorgang anhand von Berichten Botschaft und französischen Pressemeldungen zusammenfaßt, Berlin 19. 7. 1939; PA/AA, R 29586. Phipps an Halifax, 30. 6. 1939; DBFP, 3, VI, Nr. 186, nach persönlichen Mitteilungen Daladiers.
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VII.
Aufenthaltsverbot in Frankreich
Regierung Daladier sollte sich den Frieden am Rhein mit empfindlichen Positionsverlusten anderenorts erkaufen. Indem er diese Politik stützte, vollzog Abetz
in seinem Verständnis von der Rolle Frankreichs einen entscheidenden Schritt hin zu jener Haltung, die ihn nach dem Westfeldzug die Degradierung und Umerziehung des besetzten Landes zum willfährigen, dafür wohlgelittenen Juniorpartner der europäischen Hegemonialmacht Deutschland befürworten ließ. Dessenungeachtet quälte ihn die Vorstellung, Deutsche und Franzosen aufeinander schießen zu sehen. Zu wessen Lasten sich diese beiden Parteien arrangierten, war aber offenkundig zweitrangig. Sollten seine Landsleute einen Krieg anzetteln, eröffnete er im Oktober 1938 Henri Pichot, dann wünsche er inständig, daß sie es im Osten täten und Westeuropa, vor allem Frankreich verschont bliebe87. Mit anderen Worten: Marschierten Hitlers Divisionen ostwärts, dann war das bedauerlich, doch immerhin das kleinere Übel. In den Deutsch-Französischen Monatsheften wurde die Freundschaftserklärung vom 6. Dezember folgerichtig mit dem Hinweis gefeiert, sie schaffe „in einem begrenzten Raum Europas eine Beruhigung"88, im Januar-Heft hieß es: „Europa ist um ein mögliches Schlachtfeld ärmer geworden."89 Sollte alle Überzeugungsarbeit umsonst gewesen sein? Vehement bestritt Abetz lauter werdende Vorwürfe, die Deutschen hätten mit ihren Verständigungsofferten ein gigantisches Täuschungsmanöver inszeniert. Solchen Gedanken Raum zu geben, barg nicht zuletzt die Gefahr, das f 933 formulierte Ziel Verständigung als Lebenslüge zu entlarven. Lieber klammerte er sich an ein Welttrotz Hitler vermeintliche das bild, eine Kongruenz von Hitlers Worten und Taten gegenüber Frankreich suggerierte. Die deutsche Politik habe schlimmstenfalls die Beseitigung unhaltbarer Zustände in Europa beschleunigt, insistierte er im Juni 1939, die nationalsozialistische Strategie effektvoll umsetzend. Ein „so junges und so starkes Volk" wie das deutsche hätte die Ketten des Versailler Vertrags eines Tages ohnehin gesprengt, eine frühzeitige militärische Intervention Frankreichs diesen Prozeß höchstens um ein paar Jahre verzögert. Quasi als Gegenleistung für sein Stillhalten besitze Frankreich nun größtmögliche, nie dagewesene Sicherheiten, im besonderen „la neutralisation psychologique d'un peuple de 80 millions d'habitants à sa frontière de l'Est, le désir du peuple allemand et de la jeunesse allemande de vivre en paix avec elle"90. Schon unmittelbar nach .München' hatte er mit der Behauptung gelockt, die Franzosen genössen, dank der Vernunft einiger ihrer Staatsmänner, künftig den Schutz einer „moralischen Maginotlinie" im Herzen der Deutschen91. War ein so märchenhafter Zustand am Rhein nicht ein Opfer an anderer Stelle, eine Aufteilung der politisch-ökonomischen Interessensphären nach deutschem Gusto wert? Ebendies suggerierten die Monatshefte, die potentiellen kompensatorischen Funktionen des Empire preisend, kaum daß die Sudetenkrise beigelegt schien. Sie bedienten sich wie üblich französischer Schützen-
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Pichot, Et ce fut, pag. 84.
Leitartikel „Zum Jahresende", unsig.; DFM, Dezember 1938, S. 521. Leitartikel „Pensées pour 1939", unsig.; DFM, Januar 1939, S. 3. (beide durch den Verf.) Abetz, Versailles, vingt ans après, in: DFM, Juni 1939, S. 354. Ders., La victoire des vaincus?, in: DFM, Oktober 1938, S. 417.
Hervorhebungen
3. Frieden mit Frankreich
auf Kosten Polens
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hilfe. Der bekannte Militärschriftsteller Jacques Benoist-Méchin nannte es „die große Lehre des Monats September", daß man Männer nur für „wesentliche Ziele" sterben lassen dürfe, „nicht für Dinge, die keine Lebensinteressen der Nation darstellen". Diese ließen sich im übrigen „sehr wohl miteinander in Einklang bringen", meinte Méchin und steckte die Claims ab: Osteuropa galt ihm als deutsche, das östliche Mittelmeer als italienische Domäne; den Franzosen riet er zur „Entfaltung der großen Möglichkeiten, die im afrikanischen Imperium schlummern"92. Als die Danzig-Krise schwelte, empfahl ein gewisser Pierre Gardère eine säuberlich getrennte Hinwendung Frankreichs nach Übersee und Deutschlands gen Osten: „So sieht ein normales, berechenbares, ein logisches Europa aus." Auf diese Weise könnten die Franzosen ihr „Unterlegenheitsgefühl", ihre „nervöse Empfindlichkeit" überwinden und sich endlich wieder „freuen, wenn auch andere größer werden"93. Hitler selber signalisierte immer wieder Interesse an einem Modus vivendi mit den Westmächten, sofern sie ihm freie Hand in Polen gewährten94. In der trügerischen Option, der drohende Krieg lasse sich auf das Reich und Polen beschränken, mag Abetz eine Chance erblickt haben, die ihm kostbaren deutsch-französischen Beziehungen vor einer tödlichen Zerreißprobe zu bewahren. Mußte er nicht erkennen, wohin die Entwicklung trieb und welch zweifelhafte Qualität ein unter solchen Vorzeichen gefundener „Ausgleich" mit Frankreich besessen hätte? Nach 1945 hielt er sich zu diesem Thema, wie zu vielen anderen, bedeckt aus seiner Sicht verständlich angesichts der Tatsache, daß er in französischer Haft saß und kein Interesse haben konnte, seine Lage durch das Eingeständnis zu verschlimmern, sehenden Auges als Werkzeug für Hitlers Ablenkungsmanöver gedient zu haben. Er wollte seine Tätigkeit bis 1939 am liebsten als Beitrag zu einem „Wettlauf zwischen Krieg und Frieden" gewertet wissen95. Seinen Richtern versicherte er: „Je cherchais, de toutes mes forces, avec la dernière vigueur, à influencer, dans les deux pays, du reste, dans un sens, une solution à l'amiable du conflit du couloir de Dantzig."96 Daß ihm Hitlers Taktik letztlich nicht verborgen blieb, enthüllt die schon zitierte Denkschrift vom Juli 1940, die eine Usurpation des Friedensgedankens durch das nationalsozialistische Deutschland zum Zwecke einer moralischen Schwächung Frankreichs verzeichnete97. -
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Jacques Benoist-Méchin, Deutsches und französisches Soldatentum, in: DFM, November 1938, S. 475^192. Es handelt sich um den Abdruck eines historisierenden Vortrags, den Méchin am 10. November zum 20. Jahrestag des Waffenstillstands von Compiègne im Berliner DFG-Haus hielt. Er wiederholte ihn am 26. November anläßlich der Gründung einer DFG-Sektion „Württemberg" in Stuttgart. Vgl. DFM 1938, S. 519, 594. Pierre Gardère, Die Nachbarreiche, in: DFM, Juni 1939, S. 356-359. Noch auf dem Höhepunkt der Augustkrise unterbreitete er, in gewohnter Manier auf die deutsche Ehre und Gleichberechtigung abhebend, fragwürdige Kompromißangebote, z. B. in einem Brief an Daladier vom 27. 8. 1939, abgedruckt bei Domarus, Hitler, II, S. 1273ff. Dem britischen Botschafter Henderson offerierte er am 25. August für ein Entgegenkommen in der Polenfrage deutsche Waffenhilfe zum Schutz des Empire; ebenda, S. 1257. Abetz, Das offene Problem, S. 59. Abetz-Prozeß, 12. 7. 1949, pag. 22; AN, 334 AP 49. Abetz, „Politische Arbeit in Frankreich", pag. 11; CDJC, LXXI-28.
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Aufenthaltsverbot in Frankreich
Der Versuch, das deutsch-französische Verhältnis aus dem sich zuspitzenden Konflikt herauszuhalten, mußte schon deshalb fehlschlagen, weil es Hitler nicht einfiel, Verständigung um ihrer selbst willen zu treiben. Seine Offerten dienten dem strategischen Zweck, einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden; der programmatische Vorsatz, früher oder später mit Frankreich abzurechnen, blieb davon unberührt. Abetz' Danzig-Kampagne war von der NS-Führung mithin als offensive, den Polenfeldzug vorbereitende Maßnahme intendiert98 und wurde von Daladier auch so bewertet. Prompt wurde Abetz in Frankreich zur persona non grata erklärt. Eine Affäre nahm ihren Lauf; die nähere Betrachtung lohnt, weil sie sowohl den eingetretenen Wandel im zwischenstaatlichen Umgangston als auch die Perzeption der nationalsozialistischen Friedenspropaganda im Jahre 1939 und ihre Tiefenwirkung in Frankreich dokumentiert.
4. Grünes Licht für die Abwehr: Abetz wird persona non grata Französischen Staatsschützern bot sich eine willkommene Gelegenheit, gegen einen Mann vorzugehen, den sie dringend kaltzustellen wünschten. Abetz galt ihnen als führender Kopf einer großen Schar ebenso charmanter wie heimtückischer Brunnenvergifter, die in einer halboffiziellen Grauzone arbeiteten und das Recht auf freie Meinungsäußerung mißbrauchten, um die Öffentlichkeit zu manipulieren. „La propagande nazie s'infiltre chez nous comme l'eau dans le sable [...] elle divise de plus en plus les Français, neutralise leur esprit de résistance, alimente les foyers de discorde", so die beredte Klage Paul Paulóles von der DeutschlandAbteilung des Deuxième Bureau. Er hielt diese sanfte Tour der Zersetzung längerfristig für weitaus gefährlicher als etwa die Tätigkeit gewöhnlicher Spione99. Während letztere der französischen Abwehr zuhauf ins Netz gingen 274 im Jahr 1938, über 300 allein im ersten Halbjahr 1939 und strafrechtlich zu belangen waren, fehlte es zum Leidwesen der Fahnder aber lange Zeit an wirksamen juristischen Handhaben, um Propagandisten vom Schlage eines Otto Abetz beizukommen. Die Politiker, bemängelten sie, nahmen das Problem auf die leichte Schulter oder bremsten Gegenmaßnahmen aus Furcht vor außenpolitischen Verwicklungen100. Die Exekutive, so Paulóle, sei sich der „unheilvollen Macht" jener Agitation nicht hinreichend bewußt geworden; gegen eine Ausweisung Abetz' hätten sowohl Bonnet wie Daladier Einwände erhoben101. Auch an öffentlich vorgetra-
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Vgl. Coulondre an Bonnet, 1. 6. 1939; DDF, 2, XVI, Nr. 326. Paillole, Services spéciaux, S. 107, 111 ff., 146. 100 Ebenda, S. 117. Vgl. Navarre, Le service des renseignements, S. 88, 93; Paillât, Le désastre 98 99
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de 1940,1, S. 305. Schriftl. Mitteilung an den Verf. vom 11. 4. 1993. Laut Paillole wurde das Archiv seiner Dienststelle, einschließlich der Berichte über die „tödliche Gefahr" der NS-Propaganda jener Jahre, zuerst von der Wehrmacht, dann von sowjetischen Truppen erbeutet. Seit geraumer Zeit bemüht sich der Oberst a. D. um eine Rückgabe der Bestände möglicherweise ergeben sich hier noch neue Erkenntnisse. -
4.
Abetz wird persona non grata
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Haltung hat es nicht gefehlt: „On sait bien que cette fera des ravages dans notre pays", tadelte etwa de Kerillis. propagande „Mais on se tait. On refuse de voir et de savoir [...] Tant pis si le silence devient une complicité!"102 Dabei darf freilich nicht übersehen werden, daß die französische Diplomatie die Aktivitäten der Dienststelle Ribbentrop über Jahre hinweg als durchaus nützliches Hilfsmittel bewertet hat, um unerwünschte Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis abzumildern. Erst als sich die gegenseitigen Beziehungen rapide verschlechterten, fanden die Warnungen der Sicherheitsexperten Gehör. Sie erhielten zunächst grünes Licht für eine Aktion gegen deutsche Journalisten, die subversiver Umtriebe verdächtig waren. Großes Aufsehen erregte die Verhaftung von Heinrich Baron, Korrespondent der Berliner Börsenzeitung, und seiner Frau Anfang Februar 1939, nachdem man ihnen telefonische Kontakte zu Geheimdienststellen im Reich nachgewiesen hatte. Baron war seit Januar 1935 als Nachfolger Eugen Feihls, der als Presseattache zur Botschaft wechselte, in Paris tätig. Er räumte ein, in Verbindung mit der Abwehrstelle Münster/Westfalen zu stehen. Dorthin übermittelte er im Rahmen seiner Berufstätigkeit erlangte Informationen über die Armee und politische Lagebeurteilungen103. Fast zum selben Zeitpunkt scheiterte der Versuch Himmlers, einen SD-Vertreter als Polizei-Attache an der Botschaft zu installieren, am Veto der französischen Einreisebehörden. Vier weitere Zeitungsleute wurden festgenommen oder des Landes verwiesen104. Am 11. Februar protestierte Botschafter Welczeck im Namen der Reichsregierung gegen diese Maßnahmen, die nach dem Stand der Ermittlungen völlig ungerechtfertigt seien, und drohte Vergeltung an105. Seine Demarche blieb wirkungslos. Eine Serie von Dekreten schränkte die Informationsfreiheit im Lande ein. Ende April verbot die Pariser Regierung mehrere autonomistische Ligen im Elsaß, die vom Bund Deutscher Westen, einer der Volksdeutschen Mittelstelle angegliederten Organisation, kontrolliert wurden106. Vage Befürchtungen, die Nation sei nationalsozialistisch unterwandert, steigerten sich im Lauf des Frühjahrs allmählich zu einer durch alarmierende Presseberichte angeheizten Massenpsychose. Vorneweg segelte wieder einmal Henri de Kerillis, der in seinem Blatt die Furcht vor einem unsichtbaren, aber allgegenwärtigen, allwissenden deutschen Überwachungsapparat schürte, vergleichbar unseren heutigener Kritik gegen diese laxe a
102
103
fait
et
„La propagande allemande est multiforme mais admirablement camouflée", in: L'Epoque, 27. 5. 1939. Heinrich Franz Baron, Jg. 1900, brach Mitte der zwanziger Jahre ein Studium zum Bergbau-Ingenieur zugunsten einer journalistischen Laufbahn ab. Er und seine Frau Katharina wurden nach Kriegsbeginn wegen Spionage zum Tode verurteilt, jedoch 1940 von deutschen Soldaten befreit. Danach arbeitete Baron, Mitglied der „Abteilung VII/Ausland" im Reichspropagandaministerium, als Korrespondent in Lissabon. Feihl zufolge
antinazistisch orientiert; über seine Berichte habe die Botschaft verhaltene Kritik der deutschen Politik äußern können. Vgl. Protokoll einer polizeilichen Vernehmung Barons am 8. 2. 1939; AN, F la/3749. Angaben Feihls gegenüber der Sûreté Nationale, Protokoll Nr. 149/15 vom 1. 9. 1946; AN, 3 W 358, Dossier Feihl. Paillole, Services spéciaux, S. HOL, 137f. Vermerk Bonnets vom 11.2. 1939; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. war er an
104 105 106
Kupferman, Diplomatie parallèle, S. 94; Jacobsen, Außenpolitik, S. 245.
262
VIL
Aufenthaltsverbot in Frankreich
gen Vorstellungen von der Stasi-Krake und ihren Aus Sicht der französischen Abwehr war dies ein
.Informellen Mitarbeitern'107.
günstiger Moment, um Abetz auszuschalten. Anlaß für energische Schritte bot sein Verhalten im mittlerweile voll entbrannten Nervenkrieg um Danzig. Die polnische Regierung hatte sich im Winterhalbjahr 1938/39 standhaft geweigert, Hitlers Forderungen Rückkehr Danzigs zum Reich, exterritoriale und zu Deutschland gehörige Auto- und Eisenbahn durch den Korridor, Beitritt Polens zum Antikominternpakt und anderes mehr zu akzeptieren108. Seither mußte damit gerechnet werden, daß der Diktator erneut zu gewaltsamen Mitteln griff. Die anglo-französische Garantie vom 31. März 1939, die Danzig de facto einschloß, internationalisierte das Problem entgegen seinen Wünschen109. Aber würden die Westmächte ihren Verpflichtungen im Ernstfall tatsächlich nachkommen? Vielleicht ließ sich das verhindern. „Nous devons [...] nous attendre dans les semaines qui vont suivre à une violente offensive contre l'armature morale de la France et de l'Angleterre", warnte der französische Geschäftsträger in Berlin, de Vaut SaintCyr, am 6. April. Die deutsche Propaganda werde alles daran setzen, die gegnerische Kampfbereitschaft zu schwächen und Keile zwischen die Verbündeten zu treiben, und eben diesem Zweck diene höchstwahrscheinlich auch der jüngste Aufenthalt von Otto Abetz in Paris110. Äußerer Anlaß hierfür waren die Auflösungserscheinungen im Comité France-Allemagne. Abetz wollte versuchen, „die Sache einzurenken"111. Nachdem dieses Vorhaben gescheitert war, tingelte er, um Freundschaft und Vertrauen werbend, in Begleitung seiner Frau durchs Land112. Unterdessen registrierten aufmerksame Beobachter, daß systematisch Angehörige von SS und Wehrmacht, als Touristen getarnt, nach Danzig eingeschleust wurden. Man argwöhnte, Hitler bereite einen „kalten Anschluß" vor, eine von Berlin aus gesteuerte Erhebung der Danziger Bevölkerung, die die Vereinigung mit dem Reich erzwingen sollte113. Auf diese Weise konnte Hitler Polen unter Druck setzen und sich, wenn etwas schieflief, elegant aus der Verantwortung ziehen. Ende Juni verdichteten sich die Anzeichen, daß der kritische Moment nahe war. „Il semble [...] que les préparatifs militaires du Reich dans la Ville libre aient -
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107
108 109
„La machine allemande est si formidable, elle a enchevêtré et confondu tant de choses, si bien lié malgré eux des braves gens à des traîtres avérés, si bien enchaîné les uns aux autres tant de vastes intérêts avouables ou non avouables, que tout le monde est comme frappé de paralysie. On a peur d'atteindre, sans le vouloir, un voisin et un ami. On a peur de découvrir avec horreur que soi-même on est tombé sans le savoir dans le filet de l'ennemi." Kerillis, La propagande allemande, L'Epoque, 27. 5. 1939. Vgl. ADAP, D V, Nr. 81, 101, 119, 120, 126; D VI, Nr. 61,101. Hierzu Bernd-Jürgen Wendt, Danzig Ein Bauer auf dem Schachbrett nationalsozialistischer Außenpolitik, in: Funke (Hrsg.), Hitler, S. 793. -
110
Saint-Cyr an Bonnet, 6. 4. 1939; DDF, 2, XV, Nr. 281. Saint-Cyr an Bonnet, 4. 4. 1939, ebenda, S. 477, Anm. 1. 112 Theodore Draper, Nazi Spies in France, in: New Republic, 23. 8. 1939, S. 72. Daß Abetz im Frühjahr 1939 über längere Zeiträume in Frankreich weilte, läßt sich auch der amtlichen Verlautbarung in Le Temps vom 30. Juni entnehmen, wonach er sich „im Laufe der 111
letzten Wochen" mit den französischen Interessen schädlichen Aktivitäten hervortat.
1"
Vgl. Coulondre an Bonnet, 27. 6. 1939; DDF, 2, XVII, Nr. 12 und 13 sowie S. 67, Anm. 6. Bonnet, Vor der Katastrophe, S. 235.
4. Abetz wird persona
non
grata
263
pris un rythme accéléré", meldete Botschafter Coulondre besorgt114. Er erwartete spätestens für August eine Teilmobilmachung der Wehrmacht und eine Machtprobe ähnlich wie im vergangenen Jahr115. Die allgemeine Beunruhigung wurde noch verstärkt durch die Tatsache, daß die Bündnisverhandlungen des Westens mit der Sowjetunion in einer Sackgasse steckten. Am 29. Juni erschien in der Prawda ein Aufsehen erregender Artikel von Politbüro-Mitglied Schdanow, der nur geringes Interesse an einer Allianz bekundete116. England und Frankreich mußten befürchten, daß sich Stalins Mißtrauen ihnen gegenüber verfestigte, wodurch eine deutsch-sowjetische Annäherung womöglich erleichtert wurde, gewiß aber Hitlers Entschluß zum Angriff auf Polen117. So lagen in Europas Schaltzentralen die Nerven einige bange Tage lang bloß. Erst Anfang Juli wich die Anspannung, setzte sich die Erkenntnis durch, daß bezüglich Danzig zumindest keine akute Gefahr mehr drohte und die Reichsregierung wohl nur einen Versuchsballon gestartet hatte, um Reaktion und Kampfbereitschaft der potentiellen Gegner
testen118. Die Franzosen demonstrierten Standfestigkeit. Daladier beendete die Sitzungsperiode des Parlaments am 27. Juni mit dem flammenden Appell, sich mit allen Kräften gegen Versuche zu stemmen, die bestehenden Verhältnisse in Europa umzustürzen. „S'armer, s'unir, veiller, voilà le devoir présent." Scharf verurteilte er propagandistische Kampagnen, die Uneinigkeit stiften sollten und deren ausländische Urheberschaft erwiesen sei119. Der Ministerpräsident, so Welczecks Erkenntnis, sei „vollständig in das Lager der .Antimünchner' hinübergewechselt"; er wolle offenbar durch kompromißloses Gebaren eine gewaltsame Aktion der totalitären Staaten verhindern, die ein französisches Eingreifen notwendig machen würde120. Auch Coulondre empfahl eine „attitude d'extrême fermeté" vis-à-vis Berlin121. Bonnet versuchte zumindest, den Anschein von Härte zu erwecken. Frankreich müsse eine „unbeugsame Entschlossenheit" an den Tag legen, seine Verpflichtungen in Osteuropa zu erfüllen, notierte der Außenminister am 1. Juli; zu
114
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120 121
Coulondre an Bonnet, 28. 6. 1939; DDF, 2, XVII, Nr. 27. Vermerk Bonnets über eine Unterredung mit Coulondre, 24. 6. 1939; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. Siehe DDF, 2, XVII, Nr. 56 und 110. Der deutsche Botschafter in Moskau, Schulenburg, wertete den Artikel als mögliche Replik auf einen Kommentar in Le Temps vom 24. Juni. Darin hieß es, daß Rußland seine Verschleppungstaktik fortsetze, obwohl Frankreich und Großbritannien ihren guten Willen bei den Verhandlungen bewiesen hätten. ADAP, D VI, Nr. 582.
Coulondre an Bonnet, 1. 6. 1939: „On pense qu'il risquera la guerre s'il n'a pas à combattre la Russie"; DDF, 2, XVI, Nr. 326. Coulondre an Bonnet, 4. 7. 1939; DDF, 2, XVII, Nr. 91, 92 und 95. Ebenda, S. 165, Anm. 1. Schulthess' 80 (1939), S. 438, zit. Daladier mit den Worten: „Im Innern unseres Landes entfaltet sich eine äußerst tätige Propaganda, um die Franzosen zu entzweien und die Solidarität Frankreichs und Englands zu brechen, ohne die nach meiner Ansicht keine große Hoffnung mehr auf die Freiheit der Welt bliebe [...] Wir haben die Überzeugung gewonnen, daß ein Versuch gemacht worden ist, Frankreich in einem Netz von List, Spionage und noch Schlimmerem einzufangen." Welczeck an Auswärtiges Amt, 1. 7. 1939; PA/AA, Botschaft Paris 1156c. Vermerk Bonnets vom 24. Juni, wie Anm. 115.
Ygl
264
VII.
Aufenthaltsverbot in Frankreich
Mißverständnis diesbezüglich könne unübersehbare Folgen zeitigen122. Anfang Juni aber hatte Coulondre gemeldet, deutsche Diplomaten seien instruiert worden, Gerüchte zu verbreiten, daß die Westmächte sich für Danzig nicht schlagen würden123. Und genau diese Meinung vertrat Otto Abetz in den letzten Junitagen, als die Situation zum Zerreißen gespannt war, bei seinen zahlreichen Pariser Bekannten. Etliche von ihnen erstatteten Bericht beim Innenministerium, bei der Polizei, der Sûreté oder beim Ministerpräsidenten persönlich124. Daladier war empört und offenbar entschlossen, ein Exempel zu statuieren. Wer wollte noch ernsthaft bezweifeln, daß Abetz auf höheren Befehl handelte, ein
jedes
Schon
Agent provocateur war? Am Morgen des 30. Juni informierte der aufgebrachte Ministerpräsident Bonnet über seine Absicht, sofort einen Ausweisungsbefehl zu erlassen. Bonnet je-
doch warf ein, in Anbetracht der „tension actuelle" wäre es ratsamer, Abetz zur freiwilligen Abreise zu bewegen. Mit Daladiers Zustimmung will er dann Graf Welczeck den Sachverhalt geschildert und angeregt haben, Abetz solle das erste Flugzeug nach Berlin nehmen, um sich weiteren Ärger zu ersparen125. Im gleichen Sinne wirkte eine Ebene tiefer Kabinettschef Pierre Bressy auf Botschaftsrat Bräuer ein. Bressy begründete die gegen Abetz eingeleiteten Schritte damit, daß dieser „in den letzten Tagen eine Anzahl von französischen Persönlichkeiten aufgesucht und ihnen bei dieser Gelegenheit in sensationeller Weise einen bevorstehenden deutschen Handstreich auf Danzig angekündigt" habe. Seine Äußerungen würden in verschiedenen Varianten wiedergegeben, welche aber im Tenor übereinstimmten. Mehreren Zeugen zufolge nannte er als konkretes Angriffsdatum den 1. Juli. In der planmäßigen Verbreitung solcher Gerüchte sehe die französische Regierung den Tatbestand einer nach den neuesten Verordnungen verbotenen Propaganda erfüllt. Ministerpräsident Daladier habe deshalb persönlich den Erlaß eines Ausweisungsbefehls angeordnet. Der Chef des Quai d'Orsay seinerseits lege „großen Wert" darauf, daß dieser Befehl nicht vollstreckt werde; man möge deshalb Abetz nahelegen, Frankreich umgehend zu verlassen126. Deutlich wird hier das Bemühen Bonnets erkennbar, nicht unnötig Staub aufzuwirbeln, sondern die heikle Angelegenheit möglichst im stillen zu bereinigen. Obwohl sein Appeasementkurs seit dem deutschen ,Griff nach Prag' vor der Öffentlichkeit und im Kabinett völlig diskreditiert war und er äußerlich auf Daladiers Linie der Stärke einschwenkte, hielt er „verdeckt" an seiner konzessionsbe122
123 124 125
126
Vermerk Bonnets vom 1. 7. 1939; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. Die zitierten Wendungen sind wörtlich enthalten in einer Note der französischen Regierung, die Bonnet am selben Tag Welczeck übergab; abgedruckt AD AP, D VI, Nr. 602. Coulondre an Bonnet, 1. 6. 1939, wie Anm. 117. Nach Angaben von Bonnets Kabinettschef Bressy. Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes vom 19. 7. 1939; PA/AA, R 29586. Bonnet, Dans la tourmente, S. 157 f. Die hier behauptete Unterredung mit Welczeck ist allerdings weder in den deutschen noch französischen Akten belegt. Die beiden Diplomaten konferierten nachweislich am 1. Juli, freilich ohne den Fall Abetz anzuschneiden. Bonnet nennt in seinen Erinnerungen auch kein Datum. Daß die Affäre am 30. Juni ins Rollen kam, geht indes zweifelsfrei aus anderen Dokumenten hervor. Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes, 19. 7. 1939; PA/AA, R 29586.
4.
Abetz wird persona non grata
265
reiten Deutschlandpolitik fest127. Er bevorzugte vergleichsweise leise Töne und wollte es vermeiden, die deutsche Seite zu reizen. Im Gespräch mit Welczeck warb er Mitte Mai 1939 um Verständnis für den erlittenen „Vertrauensschock" der Franzosen. „Der Mann auf der Straße sei es eben satt, alle Augenblicke aus der Zeitung einen neuen Gewaltcoup zu erfahren und in ständiger Unruhe zu leben." Er persönlich werde aber den „Gedanken einer wieder ins Geleise kommenden, sich mit der Zeit enger gestaltenden Zusammenarbeit mit Deutschland" nicht fallenlassen und sei „immer bereit" dazu128. Daß eine solche Einstellung die von Sicherheitsexperten wie Paillole und Journalisten wie de Kerillis kritisierte Laxheit im Umgang mit nationalsozialistischer Agitation begünstigte und auch Otto Abetz noch geraume Zeit Entfaltungsmöglichkeiten eröffnete, erscheint evident. Nicht von ungefähr hatte Bonnet in den voraufgegangenen Monaten mehrmals zugunsten von Reichsangehörigen interveniert, denen die Ausweisung drohte129. Botschaftsrat Bräuer legte sofort „schärfste Verwahrung" gegen die Abschiebung von Abetz ein und beteuerte, jener habe in Paris lediglich Gespräche über das weitere Schicksal des Comité France-Allemagne führen wollen. Bei der momentan herrschenden Nervosität könne sich jedoch kein Deutscher, der mit Franzosen zusammenkomme, Fragen zum Schicksal Danzigs entziehen. Abetz' Äußerungen hätten „sicher nur so viel bedeutet, daß wir [...] Vertrauen auf unser gutes Recht hätten und die Frage Danzig eines Tages in unserem Sinne gelöst werden müsse". Im übrigen habe sich Abetz im Laufe des Vormittags auf der Botschaft verabschiedet und sei bereits abgereist130. Durchatmen im Quai d'Orsay es schien so, als ließe sich die Sache problemlos regeln. Einige Journalisten aber hatten Wind davon bekommen. Le Temps meldete in der Abendausgabe vom 30. Juni: „Un arrêté d'expulsion vient d'être pris contre un sujet allemand, mandataire des services de propagande du gouvernement du Reich et qui s'est signalé, au cours de ces dernières semaines, par son activité contre les intérêts de la France."131 Daß das regierungsnahe Blatt keinen Namen nannte, unterstreicht nur Bonnets Absicht, jedes Aufsehen zu vermeiden. Anderseits wurde gerade hierdurch die Neugier der Öffentlichkeit angestachelt, wie die Pariser Tageszeitung hervorhob132. Die Behörden weigerten sich, die Identität des Delinquenten preiszugeben133, doch schon zwei Tage später war das Geheimnis gelüftet: „Le sujet allemand expulsé [...] est M. Abetz", verkündete triumphierend die Zeitung L'Epoque und sprach von einem längst überfälligen Schritt. Henri de Kerillis, der seine Landsleute seit Jahren unablässig vor der nationalsozialistischen Gefahr -
127
Überzeugend dargelegt S. 242-254.
128 129
130
131 132 133
und dokumentiert
von
Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg,
Welczeck an Auswärtiges Amt, 20. 5. 1939; ADAP, D VI, Nr. 409.
Ebenda, S. 448, Anm. 2. Wie Anm. 126. Daladier zufolge fiel die Bemerkung, Abetz sei wichtiger als der Botschafter: „Chargé d'Affaires [Bräuer] professed to be horrified and said Abetz was more important than the Ambassador." Phipps an Halifax, 30. 6. 1939; DBFP, 3, VI, Nr. 186. Le Temps, 30. 6. 1939, abends. Pariser Tageszeitung, 2./3. Juli.
L'Epoque, 1.7. 1939.
266
VII.
Aufenthaltsverbot in Frankreich
warnte134, beschrieb den Ribbentrop-Emissär als perfiden Propagandisten und Nachrichtendienstler mit ergiebigen Ministerien hinein135.
Informationsquellen bis
in die Vorzimmer
von
5.
„Les nazis sont-ils maîtres chez nous?" Panik vor Spionen und Sabotage
Damit trat de Kerillis eine Lawine los. Sensationell aufgemachte Presseberichte in den folgenden Wochen dämonisierten Abetz als gerissenen Meisteragenten, der den Wehrwillen der Nation systematisch untergraben habe136. Er wurde als „Seele der deutschen Propaganda in Paris"137 bezeichnet, als „Spion, der Frankreich mit allen Mitteln geschadet hat"138, in ultimativer Steigerung und besonders schlagzeilenträchtig gar als „Superspion"139. Die Kolumnisten bescheinigten ihm „mephistophelische" Verschlagenheit140, rieben sich an seinem weltmännischen Habitus und verführerischen Charme, Eigenschaften, die es ihm erleichtert hätten, eine „schlichtweg erstaunliche" Anzahl hochrangiger Persönlichkeiten kennenzulernen, auszuhorchen und zu beeinflussen141. Es hieß, er habe Parlamentarier und Industrielle, Journalisten und Intellektuelle korrumpiert und sich „mit bemerkenswertem Erfolg" der Aufgabe gewidmet, die Franzosen zu entzweien und zu demoralisieren142. Manche brüsteten sich, seit Jahren vor seinem verderblichen Tun zu warnen, und attestierten der Pariser Regierung einen „Langmut, der an Idiotie grenzt"143. Auch erblickte man in Abetz nur die Spitze des Eisbergs, den heimlichen Gebieter über ein Heer von Kundschaftern, Informanten und üppige Bestechungsgelder verteilenden Helfershelfern144. „Les nazis sont-ils maîtres chez nous?" fragte ein besorgter Schreiber145, und vielstimmig erscholl der Ruf, mit eisernem Besen auszukehren. Einzig Jean Luchaire wer sonst brach eine Lanze für den Verfemten: „On a traité Abetz d'espion, ce qui est indigne. On l'a accusé d'avoir disposé de traitements gigantesques, ce qui est risible [...] Bref, on a imprimé la plus stupéfiante avalanche de sottises, de mensonges, d'âneries qui se puisse imaginer." Dabei exi-
-
134 135
Siehe etwa Kerillis, Français, voici la guerre!, Paris 1936.
136
Sammlungen
L'Epoque, 2. 7.
1939.
Presseausschnitten hierzu in den Pariser Archives Nationales, AJ 465/3 und 602. Die für unser Thema wichtige Zeitung L'Epoque ist, auf Mikrofilm archiviert, in der Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine (BDIC) von
72
137
138 139 140 141 142 143 144 >43
in Paris-Nanterre leicht zugänglich. Le Journal, 15.7. 1939. Aux Ecoutes, 8. Juli. L'Epoque, 10. Juli und 11.
August.
L'Indépendent, 13. August.
Le Cri de Paris und L'Epoque vom 9. Juli. La Lumière, 14. Juli; L'Epoque, 5., 9. und 16. Juli. L'Action Française, 16./17. Juli. L'Ordre, 8. Juli, wo der Fall Abetz unter der Rubrik „L'homme du
wurde. L'Epoque, 11. Juli. André Stibio in L'Ordre, 11. Juli.
jour"
behandelt
y Panik
vor
Spionen und Sabotage
267
lediglich eine „Einladung", Frankreich zu verlassen, wo Abetz' Aufenthalt „vorübergehend für inopportun" gehalten werde. Luchaire wollte eine „von der Humanité, Kerillis [!] und anderen Verteidigern einer französischen Unterwerfung unter sowjetische Gebote" lancierte Kampagne erkennen146. Mit seiner verharmlosenden, die Kommunisten zu Sündenböcken stempelnden Sicht stand er freilich allein auf weiter Flur und bezog, wie zu erwarten, Prügel. Paul Nizan etwa verlangte bündige Aufklärung darüber, ob Luchaire als „bezahlter Agent" Deutschlands zu gelten habe147; Kerillis rechnete Notre Temps zu jenen Organen, die den Spion Abetz durch Schweigen oder tendenziöse Berichterstattung zu decken versuchten148. Bereits am 7. Juli hatte La Lumière gefordert, Notre Temps solle Konten und Einnahmequellen offenlegen. Unmittelbar nach dem Einsatz für Abetz mußte Luchaire, an Tuberkulose erkrankt, ein Sanatorium aufsuchen, seine Zeitung, von Gläubigern bedrängt, das Erscheinen vorläufig einstellen. Wie es scheint, beschied der Quai d'Orsay einen Hilferuf um zusätzliche finanzielle Unterstützung abschlägig149. Die Abetz-Affäre zog Kreise und gab den Anstoß zu weiteren Enthüllungen. Wer immer näheren Umgang mit ihm gepflegt hatte, schien zumindest der geistigen Komplizenschaft mit Hitler-Deutschland überführt und verdächtig, ein Wegbereiter des Defätismus, womöglich ein Landesverräter zu sein. Langjährige Bekannte gingen vorsichtig auf Distanz, so das frühere CFA-Vorstandsmitglied Henry-Haye. Von de Kerillis befragt, ob er Schritte zur Aufhebung der gegen Abetz verhängten Maßnahmen unternommen habe, antwortete er mit einem „glatten Nein". Vergeblich empfahl Botschafter Welczeck den Senator bei Daladier als Bürgen für Abetz' lautere Absichten150. Eine allgemeine Panik vor Spionen und Saboteuren erfaßte die Nation, die Gerüchteküche brodelte. Die britische Botschaft in Paris erfuhr vom Deuxième Bureau, Verästelungen der NS-Propaganda erstreckten sich „in alle Lebensbereiche"151. Abetz hatte sich angeblich vor kurzem mit falschem Paß in London aufgehalten, um das dortige nationalsozialistische Spionage- und Propagandanetz zu reorganisieren152. Paul Ferdonnet, ehemaliger Chef der Nachrichtenagentur Prima, beschuldigt, deutsche Schmiergelder stiere doch
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Notre Temps, 15. und 16. Juli. Ce Soir, 15. Juli. „Et maintenant, vive Abetz!" L'Epoque, 24. Juli. Les procès de collaboration, S. 354, 368. AN-Enquête, IX, S. 2609 (Aussage Bonnet). Notre Temps erschien erneut im März 1940, dank tätiger Zuwendung des Informationsministers Frossard. Luchaires Nibelungentreue zu Abetz sollte sich unter deutscher Besatzung auch im Wortsinn auszahlen. „Je lui ai gardé une profonde reconnaissance de cette attitude loyale, amicale et courageuse qui devait lui fermer bien des portes", sagte der Ex-Botschafter im Zeugenstand. Les procès de collaboration, S. 490. L'Epoque, 7. und 8. Juli. Aufzeichnung des Auswärtigen Amts vom 19. Juli; PA/AA, R 29586. Campbell an Foreign Office, 31.7. 1939; zit. bei Adamthwaite, France, S. 332. Vgl. de Monzie, Ci-devant, S. 127f., 130f., dem ersichtlich zuviel Aufhebens um die Sache gemacht wurde: „Quiconque a fréquenté M. Abetz, doit être tenu pour suspect. Fernand de Brinon est le centre de cette suspicion [...] J'ai le dégoût de cette curée morale que provoque chaque crise de la patrie." -
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L'Epoque, 18. Juli.
-
268 zu
VII.
verteilen, darüber hinaus
Aufenthaltsverbot in Frankreich mit
hitlerfreundlichen, antisemitischen und die Li-
quidierung der Tschechoslowakei rechtfertigenden Publikationen ins Fadenkreuz der Fahnder geraten, entzog sich drohender Strafverfolgung durch fluchtartige Abreise ausgerechnet nach Berlin. Nach Kriegsbeginn suchte er als Mitarbeiter einer von Stuttgart aus betriebenen Radiostation die französische Kampfmoral zu schwächen153. Daladier stellte in einer amtlichen Erklärung vom 15. Juli zwar fest, daß unkorrekte, zum Teil unhaltbare Behauptungen kursierten, und rief speziell der Presse in Erinnerung, daß bewußte Falschmeldungen und Eingriffe in schwebende Ermittlungsverfahren durch unautorisierte Verbreitung von Nachrichten strafbar seien. Gleichzeitig aber kündigte er eine gründliche Untersuchung und Säuberung an; die Justiz werde ohne Ansehen der Person gegen jede vom Ausland gesteuerte Korruption und Agitation vorgehen154. Auch er wähnte Frankreich überzogen von einem „Netz aus List, Spionage und Schlimmerem"155. Ein vertraulicher Bericht für den Regierungschef verzeichnete für den Zeitraum von Juni bis September die Aufdeckung von 150 Spionagefällen und damit einhergehend über 250 Festnahmen156. Die aufgeschreckte Öffentlichkeit sah sich massiv in der Befürchtung bestätigt, daß das „Krebsgeschwür" nationalsozialistischer Infiltration in wichtigen Nervenzellen der Gesellschaft wuchere157. Besonderes Aufsehen erregte die Verhaftung zweier Pressevertreter in leitenden Positionen am 12. Juli. Loys Aubin, Nachrichtenchef von Le Temps, Offizier der Ehrenlegion, und Julien Poirier, bewährter Anzeigenverkäufer des Figaro, waren geständig, für die Deutschen gearbeitet zu haben158. Aubin (66), der angeblich viel Geld in Antiquitäten und Pferdewetten investierte, soll für die verdeckte Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda über einen Mittelsmann Goebbels' mehr als vier Millionen Francs erhalten haben; er wurde im Mai 1940 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Poirier (69), der offenbar gern an der Börse spekulierte, soll mit ähnlichen Summen entlohnt worden sein; er starb wenige Tage nach seiner Enttarnung an den Folgen einer Darmoperation159. Ein enger Zusammenhang mit der Ausweisung von Abetz, dem rege finanzielle Einflußnahme gerade im Pressemilieu nachgesagt wurde, drängte sich auf und wurde lebhaft diskutiert. „Herr Abetz wurde mit Namen in fast allen Pariser Blättern mit dieser BestechungsLes procès de la radio. Ferdonnet et Jean Hérold-Paquis, S. 12 f., 21 ff.; Paillole, Services S. 137; Gallo, La cinquième colonne, S. 24 f. spéciaux, 154 die Pariser Tagespresse vom 16./17. Juli. Vgl. 155 Zit. in Paris-Soir, 16. Juli. 156 153
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159
Zit. bei du Réau,
Daladier, S. 322 f. La Lumière, 14. Juli; Ce Soir, 15. Juli. In Daladiers Kommunique vom 15. Juli hieß es verbrämt, die unlängst festgenommenen Personen seien „mit Agenten einer ausländischen Macht in Kontakt getreten" und hätten „bedeutende Geldsummen" empfangen. Paris-Soir, 15. Juli; Match, 20. Juli; L'Epoque, 25. Juli. Vgl. du Réau, Daladier, S. 319ff.; nach ihrer Darstellung bestärkte der Fall Aubin-Poirier Daladier in seinem Entschluß, Nachrichtenwesen und Rundfunk unter staatliche Kontrolle zu stellen. Zwei am 29. Juli erlassene Dekrete schufen hierzu ein „Commissariat général à l'information" unter Leitung des Schriftstellers Jean Giraudoux. Bonnet hatte vergeblich Jules Romains favorisiert.
5. Panik
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Spionen und Sabotage
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affäre in Verbindung gebracht", vermerkte das Auswärtige Amt160. Botschafter Welczeck beklagte, daß diese Verquickung von amtlicher französischer Seite „unwidersprochen" bleibe. Mit dem Fall Aubin-Poirier sei „jeder Bann gebrochen und die bisherige Zurückhaltung in der Presse einem hemmungslosen, nur noch als hysterisch zu bezeichnenden Wüten über die deutsche Spionage in Frankreich gewichen". Selbst Zeitungen, „die bisher trotz aller grundsätzlichen Gegnerschaft zu Deutschland [...] ein gewisses Niveau wahrten, wie z.B. Petit Parisien", beteiligten sich mittlerweile an diesem „Feldzug". Der Botschafter witterte ein auch von englischer Seite inspiriertes „konzentrisches Vorgehen aller deutschfeindlichen Kräfte" und interpretierte das Geschehen dahingehend, daß es sich „nicht nur um den Fall Abetz selbst, sondern um das größere Ziel der Störung der deutsch-französischen Beziehungen" handele. Nicht zuletzt sei die Absicht erkennbar, Bonnet zu stürzen; man versuche, ihn über seine Frau zu diskreditieren, der Botendienste zwischen ihrem Gemahl und den Deutschen unterstellt würden161. Die „vom Fall Abetz ausgehende Deutschenhetze" schlug auch auf Angehörige der Pariser Botschaft durch, wie Welczeck am 21. Juli berichtete. Mehrere Zeitungen warfen Gesandtschaftsrat Dr. Ehrich und Konsulatssekretär Geiger unter Hinweis auf ihre Tätigkeit in der NS-Auslandsorganisation vor, ihren Status zum Zweck unerlaubter Propaganda zu mißbrauchen162. Am 19. Juli behaupteten L'Ordre und L'Œuvre, der im März nach Berlin zurückberufene Gesandtschaftsrat Bräutigam habe im Schütze diplomatischer Immunität zusammen mit Abetz, Bran und anderen frankreichfeindliche Propaganda getrieben. Er sei wegen seiner zu exponierten Stellung aus Frankreich abgezogen worden. In der Reichshauptstadt soll Bräutigam dann eine 120 Seiten starke Denkschrift mit dem Titel „Die Ansatzpunkte an der inneren Widerstandskraft Frankreichs" verfaßt haben, basierend auf seinen Erfahrungen während der Septemberkrise 1938. Das Memorandum diene den zuständigen Reichsstellen als Leitfaden und habe sie bewogen, den Etat für Auslandspropaganda aufzustocken163. Die beiden Zeitungsberichte erscheinen typisch für jene Mischung aus Tatsachen, Halbwahrheiten und Sensationseffekten, die gerade in spannungsreichen Phasen Konjunktur hat und zum vorsichtigen Gebrauch der Quellen mahnt. Da wird von einer verschworenen Troika Abetz-Bran-Bräutigam seit gemeinsamen Karlsruher Jugendzeiten er160 161
Aufzeichnung vom 19. Juli; PA/AA, R 29586. Welczeck an Auswärtiges Amt, 15. 7.1939; PA/AA, Botschaft Paris 1156c. Abetz bestritt, vor dem Krieg Geld verteilt, geschweige Aubin und Poirier gekannt zu haben. Protokoll
der Sûreté Nationale Nr. 204/5 vom 26. 11. 1945, „Déclarations relatives à la mesure d'exF 7/15331. Die zitierte AA-Aufzeichnung vom 19. 7. 1939 vermerkt, der „Pressesturm" habe sich seit Veröffentlichung der Dala„fast ganz gelegt". Eine kursorische Durchsicht der Pariser Tagespresse dier-Erklärung stützt diesen Eindruck nicht die Abetz-Affäre und ihre Weiterungen blieben bis Kriegsausbruch ein unvermindert heißes Thema, das mit Abetz' Bemühungen, einen Prozeß gegen Kerillis anzustrengen, neuen Zündstoff erhielt.
pulsion prise à son encontre en 1939"; AN, -
162 163
L'Epoque, 9. Juli; Messidor, 14. Juli; Regards, 20. Juli.
Welczeck an Auswärtiges Amt, 21. 7. 1939; PA/AA, R 101322. Beigefügt ist eine Kopie des Ordre-Artikels, der laut Welczeck auf einer Meldung der Agence radicale indépendante von Anfang Mai fußte.
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VII.
Aufenthaltsverbot in Frankreich
zählt, für die sich im Lebenslauf Bräutigams jedoch kein Anhaltspunkt findet. Geboren 1895 in Wesel und aufgewachsen im westfälischen Coesfeld, bekleidete der Wirtschaftsexperte nach Studien in Grenoble, Oxford, Straßburg und Münster in den zwanziger Jahren diplomatische Posten in Tiflis, Baku, Charkow, Odessa und Moskau. Von 1930 bis 1935 war er im Wirtschaftsreferat Sowjetunion des Auswärtigen Amtes tätig, von Januar 1936 bis März 1939 Leiter der Konsulatsabtei-
lung an der Pariser Botschaft frühestens hier dürfte er in engeren Kontakt zu Abetz gekommen sein. Eine Denkschrift mit dem genannten Titel und Inhalt ließ sich im Fundus des Auswärtigen Amtes nicht ermitteln164. Aus der üblichen Presseberichterstattung zum Fall Abetz, die zuweilen etwas hysterisch anmutet und die allenthalben tiefe Verunsicherung über das Ausmaß nationalsozialistischer Umtriebe in Frankreich spiegelt, ragen einige Beiträge heraus, deren Verfasser offensichtlich um eine differenzierte Beurteilung des Deutschen bemüht waren. Sie zeigen einmal mehr die Schwierigkeiten schon der Mitlebenden, den schillernden Charakter und zwiespältigen Werdegang von Abetz zu begreifen. Daß sie in einem so krisenhaften Moment publiziert wurden, mag je nach Standpunkt belegen, wie überzeugend sein Verständigungsstreben geraume Zeit gewirkt haben muß oder wie erfolgreich er, seine wirklichen Absichten verbergend, an der Legende des wahren Frankreichfreundes strickte. Keiner der Autoren kam indessen umhin, einen Bruch, einen Persönlichkeitswandel hin zur Doppelzüngigkeit zu konstatieren. Eine psychologisch einfühlsame Reportage in Match, die Sohlberg-Ära als idealistischen Ausgangspunkt skizzierend, sah Abetz 1933 in der klassischen Situation des La Fontaineschen Schilfrohrs: „Il faut plier ou être rompu." Zurück in Paris, habe er seine Zustimmung zum NS-Regime keineswegs verleugnet und erfolgreich zu vermitteln gewußt, daß die Gelegenheit zur Aussöhnung günstig sei: „II triomphe d'autant plus allègrement qu'il est sincère et qu'il croit à la sincérité de son Führer." Doch der Aufrichtigkeitsanspruch verkam spätestens nach .München' zum Roßtäuschertrick: „S'il continue de le servir, il ne fait plus de convertis, il fait des dupes. Il était loyal, il ment. Sa sincérité devient un métier [...] Un sale métier." Längst war es zu spät, zurückzuziehen: „reculer, c'est tomber dans un gouffre. Très bas, et de très haut." Am Ende dieser Entwicklung, resümierte Match, stehe ein „verdorbener Idealist", der nicht spioniere, wohl aber sondiere, irreführe, zu überreden suche, mit viel Gespür für die Schwäche seines jeweiligen Gegenübers: Käuflichkeit, Eitelkeit, Gefühlsduselei, Naivität165. Die Zeitung L'Ordre prangerte seine „skandalösen Aktivitäten" an166, stellte aber zugleich fest, daß Abetz nach der nationalsozialistischen .Machtergreifung' nicht zu jenen gehörte, die von heute auf morgen die Farbe wechseln: „Lentement, et comme à regret, M. Abetz se persuadait de la grandeur du nazisme." Gerade diese augenscheinliche Mäßigung habe das Mißtrauen bei alten Freunden der Linken eingeschläfert ein Konvertit sei schließlich kein Abtrünniger. „La propagande hitlé-
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1993 mit einem tabellarischen Lebenslauf Otto
164
Schriftl.
165
„Otto Abetz, l'idéaliste corrompu et content", unsig.; Match, 20. 7. L'Ordre, 3. Juli.
166
Mitteilung an den Verf. vom 3. 6. Bräutigams.
1939.
6.
Vergebliche Rehabilitierungsversuche
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rienne sut tirer parti de la nuance."167 Der Publizist und Deutschlandexperte Edouard Lavergne, mit Abetz bekannt, nannte dessen frühere Lehrertätigkeit, in pointierter Abgrenzung zur späteren Laufbahn, eine „erste Fleischwerdung". In einem Beitrag für den Petit Parisien porträtierte er den Badener als glänzenden Verwandlungskünstler und zuweilen miesen Heuchler „il joua la naïveté avec une apparence de sincérité qui était humiliante" -, der beim Anschluß an die Hakenkreuzpartei enorme Wendigkeit bewiesen habe, eine Geschmeidigkeit, die ihm gesprächsweise fehle. Nun bemühe er sich, eine Rolle zu spielen, die ihm schlecht anstehe, und flüchte sich in Zynismus. Dabei hege er im Grunde seines Herzens Bewunderung für den französischen Geist. Betrübliche Folge dieser Unstimmigkeit: „La blague et le paradoxe, dans sa bouche, font l'effet d'un vin de Bordeaux que l'on boirait dans un pot de bière." Eine Gefahr erblickte Lavergne darin, daß Abetz in Paris häufig mit Naivlingen, Extremisten und NS-Symphatisanten verkehrt habe, deren vom nationalen Wollen abweichende Ansichten die Berliner Führung verleiten könnten, die französische Entschlossenheit zur Gegenwehr zu unterschätzen168. Der Marineoffizier, Journalist und spätere prominente Widerständler Emmanuel d'Astier de La Vigerie, der Abetz auf dem Nürnberger Parteitag 1936 kennenlernte, diagnostizierte ebenfalls einen wachsenden Hang zur Unehrlichkeit. Abetz ließ sich nach seinem Urteil zu sehr mit dem Nationalsozialismus ein, als daß er es hätte vermeiden können, eines Tages seine Überzeugungen zu verraten. Die Schwierigkeiten, denen er 1937 in Deutschland ausgesetzt war ein Hinweis auf die Intrige der Reichsstudentenführung -, seien wohl der Auslöser gewesen, Hitlers Spiel in Frankreich mit größerer Konsequenz und Unverfrorenheit zu betreiben als zuvor169. -
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6.
„Keine Regierung kann eine solche Propaganda dulden":
Vergebliche Rehabilitierungsversuche
Durch das Eingreifen Ribbentrops gewann die Affäre abermals eine neue Dimension. Kaum hatte sich die Aufregung um Danzig etwas gelegt, kündigte er energische Schritte an, um „eine alsbaldige Wiederzulassung von Herrn Abetz herbeizuführen". Listig versuchte der Reichsaußenminister den fatalen Eindruck zu mildern, den das Verhalten des „Freundes und langjährigen Mitarbeiters" hinterlassen hatte, indem er auf dessen schwer widerlegbaren persönlichen Verständigungswillen abhob und seine seit Jahren im institutionellen Rahmen der .Dienststelle' verankerten Initiativen zum rein „privaten Verständigungswerk" erklärte. Welczeck sollte Daladier nachdrücklich darauf hinweisen, daß Abetz sich stets „in völlig selbstloser Weise als Privatmann" (!) um einen Ausgleich bemüht und in schwierigen Lagen dazu beigetragen habe, die wechselseitigen Beziehungen „in 167 168 169
„L'homme du jour: Herr Abetz"; L'Ordre, 8. Juli. Edouard Lavergne, J'ai connu Otto Abetz, in: Le Petit Parisien, 28. Juli. Enthält die sonst nirgendwo aufgestellte Behauptung, Suzanne Abetz sei „überzeugte Nationalsozialistin". Emmanuel d'Astier, Mon ami Otto Abetz, in: Marianne, 26. Juli.
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VIL
Aufenthaltsverbot in Frankreich
ruhige Bahnen zu lenken". Die deutsch-französische Freundschaft sei „sein Lebensziel", die für seinen Ausschluß aus Frankreich genannte Begründung „eine ganz gesuchte und widersinnige"170. Zwei Gründe erscheinen ausschlaggebend für Ribbentrops Zorn. Es mußte ihn schmerzen, einen für die psychologische Kriegführung überaus wertvollen Mann nicht länger vor Ort einsetzen zu können171. Darüber hinaus litt seine eigene Glaubwürdigkeit noch stärker als ohnehin, solange Abetz nicht rehabilitiert war. Einen solchen Prestigeverlust aber wollte er nicht hinnehmen, zumal er gerade auf anderem Feld einen erbitterten Meinungsstreit mit Bonnet ausfocht. Hierbei ging es um die Frage, ob die französische Regierung anläßlich der Unterzeichnung der Freundschaftserklärung am 6. Dezember 1938 ein generelles Desinteresse an osteuropäischen Entwicklungen bekundet habe172. Während Ribbentrop Bonnets damalige Äußerungen dementsprechend interpretierte173 und den Osten unverblümt
exklusiven Einflußzone des Reiches erklärte, bestritt letzterer ein derartiges Entgegenkommen174. Paris habe allenfalls ein wirtschaftliches Übergewicht Deutschlands in Mitteleuropa akzeptiert, bekräftigte er am 1. Juli 1939 gegenüber Welczeck. Eine Politik der freien Hand in den jeweiligen Interessensphären könne jedoch nicht bedeuten, daß man manu militari Teile des Nachbarlandes einfach unterwerfe175. Ribbentrop konterte, die Reichsregierung verbitte sich „ein für allemal" Einmischungen in „ureigenste" Angelegenheiten. Hinsichtlich der jüngsten Entwicklung hieß das: keine Erörterung der deutsch-polnischen Beziehungen mit Frankreich und schon gar nicht „das Recht zu einer Einflußnahme auf Fragen [...], die mit der künftigen Gestaltung des Schicksals der deutschen Stadt zur
Danzig zusammenhängen"176.
In Anbetracht dieser Polarisierung verwundert nicht, daß beide Seiten auch die Abetz-Affäre als Prestigesache behandelten. Als Botschafter Graf Welczeck am 170 171
172 173 174
Ribbentrop an Botschaft Paris, 9. 7. 1939; AD AP, D VI, Nr. 640. Kerillis hat diesen Aspekt klar erkannt: „De toute évidence, l'absence d'Abetz [...] est gravement ressentie par la diplomatie allemande [...] Il se trouve loin de France au moment où son action serait plus utile que jamais!" L'Epoque, 15. 8. 1939.
Zur Genese dieser Kontroverse DDF, 2, XIII, Nr. 58; AD AP, D IV, Nr. 370; ausführlich Bellstedt, „Apaisement" oder Krieg, S. 43-49; Duroselle, La décadence, S. 387 ff. Unter anderem in einer Unterredung mit Coulondre am 7. 2.1939; AD AP, D IV, Nr. 383. Zur Unhaltbarkeit der Ribbentropschen Position Knipping, Deutsch-französische Erklärung, S. 547 ff. Kritik am insgesamt zu unverbindlichen Kurs Bonnets übt Adamthwaite, France, Kap. XV, bes. S. 278: „The distinctive trait of French diplomacy in the six months from Munich to Prague was ambiguity". Tatsächlich sah sich Bonnet schon unmittelbar nach dem 6. Dezember zu einem Dementi im Parlament veranlaßt: „l'accord ne laisse nullement, comme on l'a dit parfois, à l'Allemagne des mains libres à l'Est." „Exposé du ministre à la Commission des affaires étrangères de la chambre du 6 décembre 1938 sur l'Allemagne"; MAE, Papiers 1940, Cabinet Bonnet/1. Welczeck sagte er im Hinblick auf eine anstehende Parlamentsrede, manche Passagen seien „für den inneren Gebrauch abgefaßt [...] Hierbei erwähnte er das absolute Festhalten an der französischen Politik im östlichen Europa." Welczeck an Auswärtiges Amt, 24. 1. 1939; -
175 w
ADAP, D IV, Nr. 380. Bericht Welczecks; ADAP, D VI, Nr. 603. Aufzeichnung Bonnets vom 2, XVII, Nr. 67. Ribbentrop an Bonnet, 13. 7. 1939; ADAP, D VI, Nr. 669, Anlage.
1. 7.
1939; DDF,
6.
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11. Juli bei Daladier vorsprach und weisungsgemäß argumentierte, Abetz, ein verdienter Vorkämpfer der deutsch-französischen Verständigung, sei über jeden Zweifel erhaben und infam verleumdet worden, blitzte er rundweg ab. Auf seine wortreiche Beschwerde über eine „konzentrisch von unseren Gegnern systematisch betriebene Hetze", wofür der Fall Abetz geradezu ein Schulbeispiel sei, entgegnete der Regierungschef lakonisch, daß bestimmte Worte und Handlungen in einer günstigen Atmosphäre eben anders wirkten und beurteilt würden als in Krisenzeiten. Aufgrund übereinstimmender Informationen und telefonischer Kontrollen sei der „Eindruck alarmistischer Nachrichtenverbreitung" entstanden, was er nicht dulden könne. Nur vage stellte er eine Überprüfung in Aussicht, ob und inwieweit Mißverständnisse vorlägen. Welczecks Einwurf, der Zwischenfall strapaziere unnötig die bilateralen Beziehungen, parierte Daladier mit der Bemerkung, das Vertrauen in Hitler sei ohnehin „schwer erschüttert". Die Franzosen fühlten sich „durch unseren dem Wort und dem Geist des Münchener Abkomdie Unterwerfung der Tschechei „gemens widersprechenden Willkürakt" täuscht" und „ridikülisiert". Welczeck hatte wenig entgegenzusetzen und resümierte einigermaßen ratlos: „Einfach denkend, oft etwas stur, ist Daladier, einmal in eine Idee verrannt, schwer zu überzeugen, ganz besonders aber, wenn persönlich verärgert."177 Damit gab sich Ribbentrop natürlich nicht zufrieden. Er drängte zu „frontalem Vorgehen", da Paris den Fall Abetz offenbar verschleppen wolle. Sichtlich bemüht, eine Nagelprobe herbeizuführen, kündigte er die Wiedereinreise seines verbannten Mitarbeiters nach Frankreich „in den nächsten Tagen" an178. Welczeck wollte eigentlich lieber bei Bonnet nachfassen, bei dem er mit guten Gründen mehr Nachgiebigkeit erwarten durfte, doch der Reichsaußenminister bestand auf einer zweiten Demarche bei Daladier179. In dessen Amtszimmer sprach Welczeck am 20. Juli erneut vor, wiederholte seine Argumente „in energischster und dringlichster Form" und verlangte, daß wenigstens „die ehrabschneiderische Pressehetze gegen Herrn Abetz mit allen Mitteln unterbunden" werde. Daladier rückte keinen Deut von den erhobenen Vorwürfen ab: Es stehe fest, daß Abetz „in alarmistischer Form" eine baldige Aktion gegen Danzig angekündigt und „durch seine Geschäftigkeit propagandistische Absichten" verraten habe. Im übrigen versuchte der Ministerpräsident den deutschen Protesten die Spitze zu nehmen, indem er hervorhob, der Ausweisungsbefehl sei ja gar nicht zugestellt worden, man habe Abetz nur höflich gebeten, das Land zu verlassen. Daraufhin behauptete Welczeck weisungsgemäß, Abetz halte sich seines Wissens in Südfrankreich auf, „was Daladier zu einem Ausruf stärksten Erstaunens veranlaßte. Seinem Versuch, gegen die Wiedereinreise aufzubegehren, begegnete ich mit dem Hinweis -
177
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Welczeck an Auswärtiges Amt, 12. 7. 1939, ebenda, Nr. 658. In einem 1949 vor Gericht verlesenen Brief bekräftigte Daladier, „des informations nombreuses et précises" hätten Abetz' propagandistische Umtriebe, zuletzt in Vorbereitung der deutschen Aggression gegen Polen, dokumentiert. Protokoll vom 16. 7. 1949, pag. 95 f.; AN, 334 AP 49. Weizsäcker an Botschaft Paris, 13. Juli; ADAP, D VI, Nr. 664. Welczeck an Auswärtiges Amt, H.Juli; Weizsäcker an Botschaft Paris, 16. Juli; PA/AA, R 29586.
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auf seine eigene Feststellung, daß eine gültige Ausweisung ja nicht vorliege."180 Man beharkte einander mit diplomatischen Winkelzügen. Abetz hielt sich zum fraglichen Zeitpunkt mitnichten in Frankreich auf, sondern urlaubte mit seiner Familie in einem Ostseebad181. Anderslautende Meldungen waren eine kühl kalkulierte Finte, um die Pariser Regierung unter Druck zu setzen und die Affäre am Kochen zu halten182. Daladier hätte sich gern hinter der Tatsache verschanzt, daß Abetz, obschon ein Ausweisungsbefehl existierte, „freiwillig" abgereist und somit eine formelle Vollstreckung der Order unterblieben war. Genau an diesem Punkt hakte das Auswärtige Amt ein und bestritt die rechtliche Grundlage, Ribbentrops Referenten zur unerwünschten Person zu erklären. Das gesteckte Ziel, ihn fernzuhalten, erreichte die französische Regierung trotzdem mühelos, indem sie ihm bei nächster Gelegenheit einfach die Wiedereinreise verwehrte so geschehen Anfang August, als Abetz am Grenzübergang Basel abgewiesen wurde183. Er wollte, getarnt durch einen Umweg über die Schweiz, nach Paris fahren, um „zur Rettung seiner Ehre" einen Verleumdungsprozeß gegen de Kerillis anzustrengen. Staatssekretär v. Weizsäcker instruierte Welczeck, behilflich zu sein und dem Kläger „als Privatperson in der Botschaft Wohnung zu geben"184. Hitler hatte persönlich die Einleitung juristischer Schritte gebilligt. Ende Juli bestellte er Abetz und den in französischer Jurisdiktion bewanderten Friedrich Grimm nach Bayreuth, wo er heiter gestimmt als Gast Cosima Wagners die Festspiele genoß. Abetz hatte seinen DFG-Kollegen über Einzelheiten ins Bild gesetzt und behauptet, die „Hetze gegen unsere Freunde in Paris" sei so unerträglich geworden, daß sie ihn um ihrer eigenen Entlastung willen gebeten hätten, Anzeige zu erstatten185. Hitlers fadenscheinige Frage, ob er auch wirklich nie eines der ihm von seinen Feinden zur Last gelegten Vergehen begangen habe, verneinte er. „Solche Dinge wie Spionage gibt es leider", erwiderte Hitler gleichgültig. „Sie sind nicht schön, aber auch wir kommen nicht darum herum"186. Er hielt es für wenig opportun, ein Verfahren anzustrengen, denn bei solchen Beleidigungsprozessen komme ja doch nichts heraus: „Ich habe mit dieser Form demokratischer Justiz -
180 181 182
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Welczeck an Auswärtiges Amt, 20. Juli; ADAP, D VI, Nr. 690. Friedrich Grimm, „Die Affäre Abetz", in: Lebenserinnerungen eines deutschen Rechtsanwalts (Manuskript), VI, pag. 338f.; BA Koblenz, Nachl. Grimm/14. Vgl. Aussage Feihl, Protokoll Nr. 149/2 der Sûreté Nationale vom 1. 9. 1946. Brief Feihls an Welczeck vom 30. 9. 1946 (Auszug in französischer Übersetzung): Er habe bei seiner Vernehmung in Paris berichtet „sur les instructions mensongères selon lesquelles Abetz se serait à nouveau trouvé en France à l'époque". AN, 3 W 358, Dossier Feihl. Weizsäcker an Botschaft Paris, 4. 8. 1939; ADAP, D VI, Nr. 767. Ein „hinterhältiges" Manöver, wie der Botschafter befand. Welczeck an Auswärtiges Amt, 7. August; PA/AA, R 29586.
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Weizsäcker an Botschaft Paris, 2. August; ADAP, D VI, Nr. 755. In diesem Telegramm heißt es, daß Abetz „bereits in Frankreich ist und in den nächsten Tagen sich in Paris einfinden wird", womit Weizsäcker entweder bewußt eine Fiktion aufrechterhielt oder voreilig davon ausging, die Einreise werde gelingen. Grimm, „Die Affäre Abetz", pag. 339f. Zit. bei Abetz, Das offene Problem, S. 107. Eine verkürzte Version gab er den Nürnberger Anklagebehörden am 25. 8. 1946 zu Protokoll. „Les motifs de ma nomination comme ambassadeur à Paris"; CDJC, LXXI-111.
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schlechte Erfahrungen gemacht. Da bleibt dann immer etwas hängen [...], da in der Presse alles entstellt dargestellt wird."187 Friedrich Grimm hingegen riet dringend zur Klage das sei man den französischen Freunden einfach schuldig. Über das Procederé hatte er sich schon eingehend Gedanken gemacht, entwickelte nun seine Strategie, wobei er hervorhob, daß man das Verfahren nach Belieben verschleppen könne. Indem man sich auf de Kerillis konzentriere, der „am lautesten geschrien" habe, jage man zugleich allen anderen Schreiberlingen „einen heillosen Schrecken" ein. Abetz müsse seine Anzeige „sehr energisch begründen" und eine Geldstrafe von mindestens einer Million Francs verlangen. Journalisten vom Schlage eines Kerillis seien meist feige und geizig und die Zeitungen nicht geneigt, ihre Schriftleiter bei derartigen Schadenersatzansprüchen schadlos zu halten. Diese Marschroute schien Hitler zu überzeugen; er revidierte seine Meinung und gab grünes Licht für einen Prozeß. Auch Ribbentrop stimmte ausdrücklich zu. Anfang August, nach einer effektheischenden Pressekonferenz in Berlin, reichte Abetz bei den Pariser Justizbehörden eine von Grimm formulierte Klageschrift ein. Sie richtete sich vor allem gegen de Kerillis' Behauptung, er sei ein Mittelsmann bei der Finanzierung nationalsozialistischer Propaganda in Frankreich gewesen188. Sodann hielt Grimm in Paris Ausschau nach einem geeigneten Anwalt. Besondere Eile sei nicht geboten, meldete er Mitte August, da „alle in Ferien". Als Wunschkandidaten, der Abetz' Klage vertreten sollte, benannte er Jean Montigny. Der rechte Kammerabgeordnete, Renegat aus der Radikalsozialistischen Partei, hatte in den zwanziger Jahren gemeinsam mit Luchaire, Emile Roche, Jacques Kayser, Robert Lange und anderen zu den „Jeunes Turcs" gehört. Er saß geraume Zeit im Ehrenpräsidium des Comité France-Allemagne und schrieb seit 1938 Kolumnen für Notre Temps. Als entschiedener Kriegsgegner hatte er soeben mit 14 anderen Parlamentariern ein „Comité de liaison contre la guerre" gegründet. „Es wäre sehr glücklich, wenn er akzeptierte", schrieb Grimm. „Ist sowohl politisch wie auch als Anwalt sehr angesehen."189 Zufrieden vermerkte die Wilhelmstraße, Abetz' Klage mache die „französischen Kriegsschürer nervös". Neue Geschichten würden verbreitet, um eine Stimmung zu erzeugen, die eine Rückkehr des Deutschen nach Paris zur Wahrnehmung seiner Interessen vereiteln solle190. Henri de Kerillis mäßigte sich mitnichten, sondern quittierte die Entwicklung mit beißendem Spott: Der „gewesene Großmeister Hitlerscher Propaganda und Bestechung" wolle den Franzosen -
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Zit. bei Grimm, „Die Affäre
gende. 188 Vgl. L'Epoque, 3. 8. 1939. 189
Grimm (Paris) an Abetz (Berlin), 19. 8. 1939; Vermerk Grimm, „Betrifft: Prozeß Abetz", selben Tag; PA/AA, Personalakte Abetz/1. Grimm favorisierte auch Gaston Bergery: „ist politisch abgestempelt, aber mutig und zuverlässig und würde als Gegenstück zu Paul-Boncour [Anwalt von Kerillis] eine sehr glückliche Wahl bedeuten". In Abetz' Memoiren heißt es, Rechtsanwalt Maurice Garçon von der Académie française habe sich bereit erklärt, ihn juristisch zu vertreten; Das offene Problem, S. 106. Grimm kannte Garçon seit 1926, als letzterer einen Leutnant der französischen Besatzungstruppen verteidigte, der des Totschlags an einem Bürger von Germersheim angeklagt war. Grimm, Mit offenem Visier, S. 100 ff. Auswärtiges Amt an Botschaft Paris, 9. 8. 1939; PA/AA, Botschaft Paris 1270.
vom
190
Abetz", pag. 340; nach seinen Erinnerungen auch das Fol-
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unschuldiger Tourist sei, begeistert von schönen Konversation191. Hohntriefend regte er die Grüngepflegter Hitlerfreunde" an und wähnte ein einer dung „Vereinigung £/>o