Anhaltende Trauer: Wenn Verluste auf Dauer zur Belastung werden [1 ed.] 9783666406911, 9783525406915


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Anhaltende Trauer: Wenn Verluste auf Dauer zur Belastung werden [1 ed.]
 9783666406911, 9783525406915

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8,6mm

V  Psychologie

Urs Münch

Der Autor Urs C. E. Münch, Psychologischer Psychotherapeut mit Vertiefung Verhaltenstherapie, ist Psycho­ therapeut und Psychoonkologe im Viszeralonko­ logischen Zentrum Westend und im Palliativteam in den DRK Kliniken Berlin | Westend. Er ist aktiv in der ­Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).

Basisqualifikation Trauerbegleitung

9783525406915_UMS_Muench_Trauer_final.indd Alle Seiten

Münch  Anhaltende Trauer

Anhaltende Trauer kann für Betroffene sehr belas­ tend und im Alltag nachhaltig beeinträchtigend sein. Die international kontrovers diskutierte, mit der ICD-11 auf uns zukommende Diagnose der »Anhaltenden Trauerstörung« will für diese Trauernden eine verbesserte Versorgung sicher­ stellen. Eine solche Diagnose bringt aber auch Ängste vor einer Pathologisierung von Trauer mit sich. Umso mehr braucht es Wissen, das hilft, die Betroffenen in ihrer Beeinträchtigung erkennen zu können, ihnen Würde wahrend zu begegnen sowie ihnen angemessene Unterstüt­ zungsmöglichkeiten anzubieten. Das praxisnahe Buch vermittelt professionell und ehrenamtlich in der Trauerbegleitung und im Gesundheitswesen Tätigen eine hospizlich-palliative Haltung und Erkenntnisse aus der internationalen Trauerfor­ schung.

EDITION

 Leidfaden

Anhaltende Trauer Wenn Verluste auf Dauer zur Belastung werden

10.03.20 14:57

EDITION

 Leidfaden

Hrsg. von Monika Müller

Die Buchreihe Edition Leidfaden ist Teil des Programmschwerpunkts »Trauerbegleitung« bei Vandenhoeck & Ruprecht, in dessen Zentrum seit 2012 die Zeitschrift »Leidfaden – Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer« steht. Die Edition bietet Grundlagen zu wichtigen Einzelthemen und Fragestellungen im (semi-)professionellen Umgang mit Trauernden.

Urs Münch

Anhaltende Trauer Wenn Verluste auf Dauer zur Belastung werden

Mit 3 Abbildungen und 1 Tabelle

Vandenhoeck & Ruprecht

Für Jacob

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Alexey Seafarer/Shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-2856 ISBN 978-3-666-40691-1

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

7

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10 1 Begriffsklärungen zum Thema Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.1 »Grief«, »bereavement« und »mourning« . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.2 »Normale« Trauer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.3 »Nicht normale« Trauer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.4 Komplizierte Trauer, Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion und Anhaltende Trauerstörung . . . . . 

16 16 18 20

2 Anhaltende Trauerstörung (nach ­ICD-11) . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2.1 Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2.2 Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen . . . . . . . . . . . . . .  2.3 Diagnostik: Aktueller Stand der Dinge bei Fragebögen zur Anhaltenden Trauerstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

32 32 38

3 Modelle anhaltender Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3.1 Das Duale Prozessmodell und das Konzept der Double Awareness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3.2 Bindungstheoretische Erkenntnisse im Hinblick auf das Duale Prozessmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3.3 Zusammenführung wesentlicher Ansätze und Ableitung von Interventionszielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

51

4 Therapieansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4.1 Kognitive Verhaltenstherapie für Trauernde . . . . . . . . . . . . . . . . .  4.2 Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4.3 Familiy Bereavement Program . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4.4 Sinnbasierte Trauertherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

65 66 67 70 71

24

46

51 56 60

6   Inhalt

4.5 Chronic Grief Management Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4.6 Metakognitive Gruppentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4.7 Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4.8 Zusammenfassender Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

72 73 76 79

5 Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung . . . . . . .  82 5.1 Wirksamkeitsnachweise von Trauerbegleitung im deutschsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  82 5.2 Trauerbegleitende und Trauerberatende: Haltung und Beziehungsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  86 5.3 ABCD der Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  92 5.4 Optimale Versorgungsstrukturen für die Unterstützung Trauernder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  99 5.5 Erkennen von Risikofaktoren im Hospiz- und Palliativbereich  102 6 Tipps für Trauerberatende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  107 6.1 Eine Anhaltende Trauerstörung erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  107 6.2 Trauerberatung und Psychotherapie: Ist beides gleichzeitig möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  108 6.3 Wie finde ich geeignete Psychotherapeuten? . . . . . . . . . . . . . . . . .  109 6.4 Woran erkenne ich, ob Trauernde eine Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung haben? . . . . . . . .  110 6.5 Umgang mit Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  111 6.6 Haltung und Selbstfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  112 7 Ausblick und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  114 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  116

Vorwort

Im Jahr 1967 hielt Theodor W. Adorno einen Vortrag an der Wiener Universität. Die Mitschrift dieses Vortrages trägt den Titel »Aspekte des neuen Rechtsradikalismus« – Was Adorno 1967 schon über die neue Rechte wusste.« Der Philosoph und Soziologe erklärt darin, wie es zu radikalen Bewegungen kommt, und führt zahlreiche Gründe dafür an. Unter anderem benennt er den Aspekt der Teilhabe. Fühlen sich Teile der Gesellschaft ausgeschlossen, erzeugt dies Wut und daneben auch Angst, selbst bald zu den Abgehängten zu gehören. Das vorliegende Buch handelt nicht von der Radikalisierung der Gesellschaft, sondern von Menschen, die trauern, und denen, die Trauernde unterstützen. Was aber haben die Überlegungen Adornos damit gemeinsam? Die Aufnahme der Diagnose »Prolonged Grief Disorder« in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11; verabschiedet im Jahr 2019) löst immer noch heftige Abwehr­reaktionen aus. So scheint bei Fachkräften wie Trauerbegleitern und Trauer­ beratern die Sorge zu bestehen, als verlöre mit der trauer­ spezifischen Störung ihre Arbeit an Bedeutung oder als würde sie gar bedeutungslos. Auch ginge damit die Deutungshoheit auf die Psychologen und Mediziner über. Die Sorge ist auf den ersten Blick verständlich, denn eine Medikalisierung eines grundsätzlich zum Leben dazugehörenden Erfahrungsbereichs, der gemeinhin als natürlich bezeichnet wird, muss Kritik hervor-

8   Vorwort

rufen. Natürliches als krankhaft zu bezeichnen, ist schwerlich hinzunehmen. Doch die Argumentation der Gegner greift möglicherweise zu kurz, denn sie macht sich gemein mit dem, was sie kritisiert. Sie fokussiert in fast paralleler Gemeinsamkeit mit der ICD-11 lediglich nur auf das innerpsychische Erleben und verliert sich in Grenzstreitigkeiten zwischen »normal« und »störungs­wertig«. Die sozialen Belange außerhalb der innerpsychischen Parameter bleiben hingegen weitestgehend unberücksichtigt. Dabei haben die gesellschaftlichen Bedingungen eine solche Diagnose erst hervorgebracht. So zeichnen sich postmoderne Gesellschaften dadurch aus, dass sie eine weitreichende Dynamisierung und Veränderung der Zeitstrukturen erleben. In allen Bereichen finden stetig Veränderungen statt. Die Menschen sind angehalten, Zeit zu sparen, ihr Lebenstempo zu erhöhen und ihre Leistung zu steigern, um den Anschluss zu behalten. Rosa (2012) spricht in dem Zusammen­hang von einer beschleunigten Gesellschaft, in der Menschen unter Zeitknappheit leiden. Granek (2017) beschreibt darüber hinaus, wie das wissenschaftliche Paradigma auf alle Lebensbereiche übertragen wurde. Rationalität, Funktionalität und Effektivität sind Werte, die den Alltag der Menschen leiten. Es herrscht der Glaube, dass es für jedes Problem sowohl eine Erklärung als auch eine Lösung geben muss. Übertragen auf die Trauerthematik heißt das: Trauerprozesse müssen schnell verlaufen, damit sie die allgemeine Geschäftigkeit nicht stören. Falls dies nicht geschieht, ist psychotherapeutische Unterstützung die Lösung. Wenn aber Trauerbegleiter und Trauerberater ebenfalls nur das innerpsychische Erleben im Blick haben, machen sie sich dann vor diesem Hintergrund nicht nur zu bloßen Agenten dieser Auffassung? Damit wäre ihre Sorge berechtigt, mit der

Vorwort   9

sie die Bedeutung ihrer Arbeit schwinden sehen. Denn die Diagnose legitimiert fast ausschließlich ärztliche und psychologische Psycho­therapeuten als diejenigen, die Menschen mit ­Komplizierter Trauer zu betreuen haben. Trauer ist jedoch kein rein innerpsychisches Phänomen. Fokussierten die Trauerfachkräfte auf die sozialen Bedingungen und gingen sie dazu über, ihre wertvolle Arbeit verstärkt im sozialen Kontext zu verorten, bliebe ein Tätigkeitsfeld, von dem aus weitreichende Effekte erzielt werden können. Denn eine Gesellschaft, deren Glück auf der Anhäufung von Macht, Ansehen und Geld aufbaut, kann erheblich von Menschen profitieren, denen es um Mitmenschlichkeit, Respekt und Miteinander geht. Somit steht mit der Einführung der Diagnose gar nicht infrage, ob es noch einen Platz für die Trauerfachkräfte geben könnte. Im Gegenteil, die Diagnose könnte helfen, das eigene Tätigkeitsfeld besser zu definieren sowie Ziele und Schwerpunkte der eigenen Arbeit zu reflektieren. Kurz: Die Angst um Verlust von Teilhabe ist unbegründet. Heidi Müller Trauerzentrum Frankfurt

Einführung

Frau B. Und wieder war es keine gute Nacht, kein erholsamer Schlaf. Sie fühlt sich wie gerädert und noch bevor sie die Augen geöffnet hat, ist es wieder da: Thomas1. Und all die Fragen: Warum? Warum ist er nicht da? Warum diese Ungerechtigkeit, warum musste es ihn treffen? Warum hat er sie nicht gleich mitgenommen? Wechselnd schießen ihr die Fragen durch den Kopf, während sich ein Gefühl unendlicher Traurigkeit an seinem inzwischen angestammten Platz ausbreitet, so dass es kein Ausweichen oder Ablenken gibt. Wie ein stummer Schrei, fordernd, Raum greifend, permanent vorhanden. Es ist da und lässt nicht locker. Mühevoll erhebt sie sich und bewegt sich in Richtung Badezimmer. Alles ist nicht mehr so ordentlich und aufgeräumt wie früher. Früher. Sofort gehen wieder die Bilder vor ihrem inneren Auge los. Sie befin­ den sich beide im seichten Meer am Strand und bespritzen sich gegenseitig mit Wasser. Die Möwen kreischen, Wellen rauschen sanft heran, die wunderbar salzhaltige Luft, das Wasser ange­ nehm weich und kühlend bis zu den Waden. Ihr Blick ist immer nur auf ihn gerichtet, auf sein Lachen und seine wunderbar strah­ lenden und funkelnden Augen. Die Lachfältchen! Wie sehr sie diese liebt. Jedes einzelne. Nachdem sie vergeblich versucht, vor ihm wegzulaufen und nicht durchnässt zu werden, holt er sie ein und umschließt sie mit seinen Armen. 1 Name wurde geändert.

Einführung   11

Sie hat alles so genau vor Augen, als ob es gerade gesche­ hen würde. Aber bevor sie es richtig genießen kann, ist dieser Schmerz wieder da, dieser permanente, dunkle und umhüllende Schatten. In ihren Augen sammeln sich Tränen. Ihr Blick geht durch die Tür zu den auf dem Wohnzimmertisch liegenden Foto­ alben. Alles nur schöne Erinnerungen, aber extrem schmerzvolle schöne Erinnerungen. Jedes schöne Erlebnis, jede einzelne Situ­ ation, die sie in Gedanken durchgehen kann, ist immer überfrach­ tet vom Gefühl nie abebbender tiefer Traurigkeit. Sie waren ein­ fach ein tolles Team. Beruflich und privat. Unzertrennbar. Zwischen ihr und Thomas passe kein Blatt, meinte ihre Schwester früher immer. Früher, zu besseren Zeiten, als die Welt noch in Ordnung war. Jetzt lässt sich ihre Schwester auch nicht mehr blicken. Trauer­ kloß. So hatte sie sie bei ihrer letzten Begegnung genannt. Auch schon wieder ein paar Monate her. Und warum sie anrufen? Was sie selbst beschäftigt, will ihre Schwester eh nicht hören, und es ist zu mühsam, irgendetwas zu erfinden oder schönzumalen, was seit über einem Jahr einfach nicht mehr schön ist. Schön ist höchstens die Erinnerung. Teilweise. Besser: Das sind noch die Momente, in denen sie trotz der Traurigkeit Schönes erlebt und empfindet. Manchmal überkommt sie eine Wut. Wie konnte er sich ein­ fach nur davonstehlen und sie im Stich lassen?! Der Sonnen­ schein ist weg, alles ist nur noch grau und farblos. Nicht, dass sie das einfach nur hingenommen hätte. Aber nirgendwo fühlt sie sich richtig. Anfangs hatte sie ein paar Mal ein Trauercafé besucht in der Hoffnung, es könnte sich etwas bessern. Geduldig hörte sie anderen zu und erhoffte sich, von ihnen lernen zu können. Aber es passierte nichts, veränderte sich nichts. Sie bekam auch einige Ratschläge: Du musst den Tod akzeptieren, du musst Trauer­arbeit leisten, wenn du alle Phasen durchlaufen hast, wird es dir wieder besser gehen, aber da musst du erst einmal durch. Aber Thomas kam dadurch nicht zurück und so richtig besser fühlte sie sich nicht. Sehnsucht und Schmerz sind bis heute ihre

12   Einführung

Begleiter bis in den Schlaf hinein geblieben. Die einzige richtige Stütze war seit dem Tod ihre Hausärztin. Sie zog sie aus dem Ver­ kehr und sorgte dafür, dass sie krankgeschrieben blieb. Und das, ohne dass sie sich erklären musste. Manchmal reichte ein Blick und die Ärztin verlängerte seufzend die Krankschreibung. Die Tabletten, die sie ihr vor Monaten verschrieben hatte, nahm sie schon lange nicht mehr. Sie hatte sich damit eher wie betäubt und auf Watte gefühlt, als ob sie nicht mehr sie selbst sei. Das Gefühl der Betäubung war das einzig Positive, aber sie wollte kein Zombie sein. Zumindest nicht wegen der Tabletten. Da ihr gesagt wurde, dass ihr Ablenkung guttäte, war sie anfangs nach der Beerdigung arbeiten gegangen, aber ihre ­Chefin hatte sie bald mit den Worten »So nutzt du uns nichts, wenn du so neben dir stehst« nach Hause geschickt. Zu Hause war Platz für all die Erinnerungen. Anfangs konnte sie diese noch mit zwei Freundinnen und einer Nachbarin teilen, aber irgend­ wann wurden diese ungeduldig und zeigten sich genervt davon, dass sie nur ein Thema hatte: Thomas. »Du musst langsam wie­ der am normalen Leben teilnehmen und dich auch mal wieder mit anderen Dingen beschäftigen.« »Meinst du, Thomas hätte gewollt, dass du wie ein Häufchen Elend herumsitzt?« Irgend­ wann wurden die Kontakte weniger. Soziale Kontakte hat sie jetzt hauptsächlich beim Einkaufen und natürlich durch ihre Haus­ ärztin. Diese hatte ihr kürzlich die Überweisung zu einer Psycho­ therapie gegeben mit dem dringenden Rat, etwas für sich zu tun. Die Krankenkasse wollte sie unbedingt in die Reha stecken, denn bald würde das Krankengeld auslaufen. Frau B.s Oma hat es damals »geschafft«. Nachdem Opa gestor­ ben war, wollte sie einfach nicht mehr. Sechs Monate später wurde sie schwer krank und verstarb dann ganz schnell. Bei ihrem letzten Kontakt hat sie ihr mitgeteilt, dass er auf sie warte und sie sich so sehr freue, endlich wieder mit ihm vereint zu sein. Aber anschei­ nend ist Frau B. nicht so stark oder konsequent wie ihre Oma. Seuf­

Einführung   13

zend macht sie sich fertig, um zum Friedhof zu gehen, zu Thomas’ Grab. Der Ort, an dem sie sich manchmal Stunden aufhalten kann. Der Ort, den sie mit Hingabe pflegt, damit er es schön hat. Der Ort, an dem sie sich ihm nahefühlt und mit ihm reden kann. Aber auch ein Ort, den sie irgendwann wieder fluchtartig verlassen muss, weil sie es nicht mehr aushält, wenn sie der Schmerz überwältigt.

Anhaltende Trauer meint Trauer, die in ihrer Ausprägung und Intensität lang andauert, nicht innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten in einen erträglicheren Bereich kommt und bei der Alltag und Normalität nicht zunehmend wieder mehr Raum bekommen. Ein Trauerverlauf kann bei einigen Menschen Jahre, mitunter Jahrzehnte dauern (Wagner, 2013), andere Menschen erleben hingegen selbst nach einem bedeutsamen Verlust nur eine gering ausgeprägte Trauer und bei nicht wenigen stellt sich gar keine Trauerreaktion ein (Bonnano, Boerner u. Wortmann, 2008). Dauer und Intensität von Trauer sind neben soziokulturellen und individuellen Faktoren wie zum Beispiel Gesundheit und sozioökonomische Situation auch von der Art des Verlustes abhängig (Dyregov, Nordanger u. Dyregov, 2003; Pynoos u. Nader, 1990; Rando, 1985; Wagner, 2016). Das Eingangsbeispiel stellt eine anhaltende Trauer dar, wie ihr Trauerbegleiter und Trauerbegleiterinnen2 im Rahmen ihrer Tätigkeit begegnen können. Was führt dazu, dass zum Thema anhaltende Trauer jetzt ein weiteres Buch erscheint, obwohl es in den letzten Jahren für den deutschsprachigen Raum mit den Büchern von Birgit Wagner (2013) sowie von Heidi Müller und Hildegard Willmann (2016) hervorragende Zusammenfassungen zum Thema Trauer und Stand der Dinge in der Trauerforschung gegeben hat? 2 Es werden in diesem Buch nicht durchgängig Geschlechtsformen genannt, es sind aber immer alle gemeint.

14   Einführung

In den Jahren 2018/19 kam es zu einer einschneidenden Veränderung: Das Vorhaben, in die neue Auflage der von der WHO herausgegebenen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) eine Diagnose namens »Anhaltende Trauerstörung« aufzunehmen, war schon länger bekannt. In den letzten drei, vier Jahren hat dieses Vorhaben auch in Deutschland zum Teil heftige Kon­ troversen und vor allem Ablehnung ausgelöst (siehe Stellungnahmen DHPV, 2016, 2018)3. Im Mai 2019 wurde die I­CD-11 von der Weltgesundheitsversammlung WHA verabschiedet und damit wurden auch die Kriterien für die neue Trauerstörung festgelegt. Das schuf Tatsachen, die einen Umgang jenseits pauschaler Ablehnung oder Dämonisierung dieser Diagnose erfordern (Münch u. Gramm, 2017; Paul, 2017). Noch ist nicht klar (Stand: Oktober 2019), wann genau die ICD-11 in Deutschland eingeführt bzw. umgesetzt wird. Anstatt darauf zu warten und dann zu reagieren, soll dieses Buch einen Beitrag dazu leisten, die Diskussion über die Diagnose auf eine sachlichere Ebene zu heben und praktische Aspekte im Umgang mit der Anhaltenden Trauerstörung zu beleuchten. Es wird dabei das Zel verfolgt, zumindest ein Stück weit bei der Einschätzung zu helfen, wer wann welche Unterstützung braucht, wenn Trauer nicht aufhört. Mein beruflicher Schwerpunkt in der Psychoonkologie und der Palliativversorgung veranlasst mich, den Blick darauf zu werfen, was insbesondere die Palliativversorgung und die damit verbundene Forschung in der Begleitung, Betreuung und Behandlung von Menschen mit anhaltender Trauer beizutragen haben und womit sie bereichern können. Das betrifft sowohl Themen wie Haltung, Würde und das Konzept der »Double Awareness« als auch ethische Fragestellungen und die ethischen Richtlinien bzw. Leitlinien der Fachkräfte (Münch u. Müller, 3 https://www.dhpv.de.

Einführung   15

2019). ­Palliative und hospizliche Versorgung beinhalten zudem, Trauerprozesse von Menschen mit lebenslimitierender schwerer Erkrankung und deren Nahestehenden zu begleiten. Es ist in diesem Feld auch Aufgabe der Begleitenden und Behandelnden, Zugehörige und Nahestehende im Blick zu haben, bei denen ein Risiko für eine Anhaltende Trauerstörung besteht. Dafür wird in diesem Buch der aktuelle Wissensstand internationaler Forschung zusammengefasst und Wissenslücken sowie Pro­bleme für die Praxis werden aufgezeigt. Zuerst geht es aber um Begriffs­ klärungen, denn nur wenn klar ist, was welcher Begriff meint und welche wissenschaftlichen Positionen damit verbunden werden, kann in der Diskussion um Trauer und Trauerstörung eine gemeinsame Sprache gefunden werden.

1  Begriffsklärungen zum Thema Trauer

1.1  »Grief«, »bereavement« und »mourning«

Die wissenschaftliche Diskussion und die überwältigende Mehrheit der zu Trauer veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen sind in der Regel englischsprachig. Im Deutschen ist »Trauer« das umfassende Wort, das sämtliche Facetten und Aspekte der Trauer beinhaltet. Da dies im Englischen anders ist, bedarf es einer Klärung der Bedeutung der im wissenschaftlichen Diskurs verwendeten Begriffe. Im Englischen sind die Begriffe »grief«, »bereavement« und »mourning« im Zusammenhang mit Trauer zentral. Die Unterscheidung zwischen diesen Begriffen fächert mögliche Bedeutungen des Wortes »Trauer« auf. In der Diskussion um »normale« oder »nicht normale« Trauer werden im Englischen vor allem die Begriffe »grief« und »bereavement« verwendet. »Grief« ist definiert als der hauptsächlich emotionale/ affektive Prozess, auf den Verlust eines geliebten Menschen durch Tod zu reagieren. Der Fokus liegt dabei auf dem inneren, intrapsychischen Prozess des Individuums (Boerner, Stroebe, Schut u. Wortmann, 2017; Stroebe, Hansson, Schut u. Stroebe, 2008). Grief bezieht sich also auf das innere Erleben von Trauer und ist demnach, anders als »Bereavement«, vor allem eine psychisch-mentale Entität (Maciejewski, Maercker, Boelen u. ­Prigerson, 2016). »Bereavement« beschreibt hingegen die objektive Situation, in der man sich befindet, nachdem man eine wichtige Person durch Tod verloren hat (Boerner et al., 2017; Stroebe

»Grief«, »bereavement« und »mourning«   17

et al., 2008). Bereavement wird als der breiteste der drei Begriffe und als eine Aussage über die objektive Realität einer Situation des Verlustes durch den Tod verstanden (Maciejewski et al., 2016). Dieser Unterschied findet sich auch in der Praxis wieder. So wird im Internet zum Beispiel der Begriff der »bereavement support group« (Trauerselbsthilfegruppe) verwendet, aber es ist von einem »grief therapist« (Trauertherapeut) die Rede.4 Während »grief« sich also auf die innere oder intrapsychische Erfahrung des Verlustes konzentriert, bezieht sich »mourning« auf die äußeren oder öffentlichen Ausdrucksformen der Trauer (Stroebe et al., 2008). »Es gibt eine offensichtliche Überschneidung zwischen ›grief‹ und ›mourning‹, wobei sich beide gegenseitig beeinflussen. Das macht es oft nicht leicht, zwischen den beiden zu unterscheiden. Der öffentliche Ausdruck (d. h. ›mourning‹) der emotionalen psychischen Belastung durch den Verlust eines geliebten Menschen (d. h. ›grief‹) wird von kulturell bestimmten Überzeugungen, Sitten und Werten beeinflusst« (National Cancer Institute, 2017).5 Es mag hilfreich sein, den Begriff »Trauer« in der Vielfalt seiner Bedeutungen und Aspekte zu erläutern, damit die im deutschsprachigen Raum heftige (Glaubens-)Diskussion, ob Trauer an sich pathologisch sein kann, eventuell sachlicher geführt werden kann. In diesem Zusammenhang werden verschiedene Fragen aufgeworfen, zum Beispiel: Ist von Trauer als psychischer Entität die Rede? Handelt es sich bei Trauer um Emotionsverarbeitung mit Auswirkungen auf das Fühlen, Denken und Handeln? Meint Trauer die Auswirkungen auf das eigene Selbst, das Selbstverständnis, die Selbst- und Weltsicht oder die eigene Bedürftigkeit? Geht es um Trauer als Prozess, der 4 Z. B. https://www.losrobleshc.org/grief-and-bereavement. 5 Sofern keine deutsche Übersetzung vorlag, wurden alle englischsprachigen Zitate vom Autor übersetzt.

18    Begriffsklärungen zum Thema Trauer

hilft, mit einem Verlust zurechtzukommen und weiterzuleben? Wird der Begriff »Trauer« verwendet, wenn gemeint ist, wie ein Verlust und die damit verbundene Trauer sich auf ein soziales System und persönliche soziale Situationen auswirken oder wie die Gesellschaft und wir mit Trauer und Trauernden umgehen?

1.2  »Normale« Trauer 6

In ihrem Buch »Komplizierte Trauer« (Wagner, 2013) beschreibt Birgit Wagner anschaulich, was unter »normaler« Trauer verstanden wird. Laut der Autorin ist Trauer eine Reaktion auf einen bedeutsamen Verlust und ein Prozess im Finden eines Umgangs mit diesem. Sie ist ein fester Bestandteil des Lebens und ein Teil jedes Lebenszyklus (Wagner, 2016). Nahezu alle Wissenschaftler und Forscher, die sich mit Trauer beschäftigen, sind sich einig, dass die große Mehrzahl an Trauerverläufen als normal einzuschätzen ist. Die dabei angegebenen Zahlen variieren zwischen 65 und 99 Prozent (Wagner, 2013) und es sind seitdem keine wesentlichen Abweichungen hinzugekommen. Trauer als Reaktion beinhaltet im Sinne von »grief« auf der emotionalen Ebene Gefühle von Traurigkeit, Sehnsucht, Wut, Einsamkeit, Angst, Schuld, Verzweiflung und zum Teil physisch spürbaren Trennungsschmerz. Es kann auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Schlafstörungen kommen. Auf der Verhaltensebene kann Trauer dazu führen, dass Trauernde sich zurückziehen und es ihnen schwerfällt, im normalen Alltag zu funktionieren und ihre Rollen aufrechtzuerhalten bzw. sich in neue Rollen hineinzufinden. 6 »Normale Trauer« umfasst die überwiegende Zahl der Trauerverläufe, die keiner speziellen psychologisch-psychotherapeutischen Unterstützung bedürfen und davon auch nicht profitieren (z. B. Wagner, 2013).

»Normale« Trauer    19

Normale Trauer ist dadurch gekennzeichnet, dass es zunächst zu einer Zunahme der emotionalen Belastungen und des Erlebens von Nähe zum Verstorbenen kommt, die mehrere Monate bis etwa ein Jahr anhalten (Wittkowski u. Scheuchenpflug, 2015). Danach nehmen Häufigkeit und Intensität der Belastungen graduell wieder ab (Wagner, 2016). Menschen erleben Trauer in unterschiedlicher Intensität. Lange wurde das fehlende oder nur sehr leichte Erleben von Trauer im Sinne von grief und mourning als pathologisch eingestuft. Forschungsergebnisse konnten diese Annahmen nicht stützen, sondern zeigten im Gegenteil, dass fehlende Trauer eine der häufigsten Trauerreaktionen darstellt und per se nicht als pathologisch einzustufen ist (Bonnano et al., 2008; siehe auch Wagner, 2013). Umgekehrt gibt es je nach Art des Verlustes und der Beziehung zum Verstorbenen »normale« Trauer­verläufe, die deutlich länger als ein oder zwei Jahre dauern (Milic, Muka, Ikram, Franco u. Tiemeier, 2017; Wittkowski u. ­Scheuchenpflug, 2015). Trauer ist jedoch nicht nur mit negativen Emotionen verbunden, sondern auch mit Freude, zum Beispiel in Verbindung mit positiven Erinnerungen, oder mit Erleichterung, beispielsweise wenn der geliebte Mensch nicht mehr leiden muss oder nicht leiden musste oder eine eigene Last abgefallen ist (Wittkowski u. Scheuchenpflug, 2015). Menschen können sogar im Verlauf eines Trauerprozesses in Folge des Verlusterlebnisses an den Erfahrungen auch reifen und wachsen, was allerdings auch für andere kritische Lebens­ ereignisse gilt, etwa wenn Menschen sich mit ihrem eigenen Tod bzw. Sterben auseinandersetzen müssen (Davies, 2008). Es wird angenommen, dass eine zu dem jeweiligen Trauernden passende und für ihn stimmige Veränderung der Bindung zum Verstorbenen die Grundlage für posttraumatisches Wachstum ist (­Gerrish, Dyck u. Marsh, 2009; siehe auch Müller u. Willmann, 2016). In

20    Begriffsklärungen zum Thema Trauer

Bezug auf das posttraumatische Wachstum wünscht sich die Mehrzahl der Psychotherapeuten und Psychologen zum Beispiel »größere Wertschätzung des eigenen Lebens«, »verbesserte Empathiefähigkeit« oder »Zuwachs an innerer Stärke und Selbstvertrauen« (Wittkowski u. Scheuchenpflug, 2015) als Behandlungsergebnis für ihre Klienten, unabhängig von deren Störung oder Grundproblem. Die Reifung im Sinne eines posttraumatischen Wachstums wird unter anderem in Büchern wie »Die heilende Kraft der Trauer«, »Trauer hat heilende Kraft«, »Kraft aus der Trauer: ein heilsamer Begleiter« oder »Du wirst getröstet sein: die heilende Kraft der Trauer« als das Ziel schlechthin eines Trauerprozesses angesehen.7

1.3  »Nicht normale« Trauer 8

Im internationalen Diskurs besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es Trauerverläufe gibt, die sich von »normalen« Trauer­ verläufen unterscheiden (sehr kritisch dazu Wakefield, 2012). Dabei zeigt sich kein Unterschied in den Reaktionen auf den Verlust an sich, sondern bezüglich des Schweregrades in Kombination mit der Dauer (z. B. Maciejewski et al., 2016; P ­ rigerson, Horowitz, Jacobs et al., 2009; Shear, Simon, Wall et al., 2011; W ­ agner, 2016). Zudem kann ein schwerer, komplexer Trauerverlauf auch größere gesundheitliche Beeinträchtigungen mit sich bringen (Wittkowski u. Scheuchenpflug, 2016) wie zum Beispiel das 7 Ergebnisse der Online-Recherche zu den Stichwörtern »Trauer«, »heilend«, »Kraft« und »Buch«. 8 »Nicht normale Trauer« ist ein Sammelbegriff für alle Formen der Trauer bzw. Trauerverläufe, die als traumatisch, kompliziert, komplex oder pathologisch eingestuft bzw. von einer psychischen Störung wie einer Depression begleitet werden und bei denen Betroffene in der Regel von einer psychologisch-psychotherapeutischen Behandlung profitieren.

»Nicht normale« Trauer    21

Gebrochenes-Herz-Syndrom9, ein erhöhtes Risiko für Suizidalität, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronischer Schmerz, anhaltende Schlafstörungen, Krebs und Depressionen (z. B. ­Guldin, Kjaersgaard, Fenger-Grøn, Parner, Li, Prior u. Vstergaard, 2017; Shahane, Fagundes u. Denny, 2018; Shear et al., 2011; Stroebe, Schut u. Stroebe, 2007; Stroebe, Stroebe, Schut u. Boerner, 2017). Prigerson et al. (2009) gehen aufgrund ihrer Studienergebnisse davon aus, dass sich »nicht normale« Trauer nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach einem Verlust von »normaler« Trauer unterscheiden lässt, andere Autoren favorisieren den Zeitpunkt einer möglichen Unterscheidung nach frühestens einem Jahr (Wakefield, 2013) oder gar zwei Jahren (Wittkowski u. Scheuchenpflug, 2016). Das findet sich auch in den jeweiligen Konzepten für Diagnosekriterien »nicht normaler« Trauer wieder (siehe Kapitel 1.4 und 2.1). Allerdings sagt allein die Dauer von Trauerverläufen erst einmal nichts darüber aus, ob und ab wann eine Unterscheidung zwischen einem »normalen« und einem »nicht normalen«, das heißt einem in die Kategorie einer psychischen ­Störung einzuordnenden, Trauerverlauf möglich ist. Bisher wurde der früheste Zeitpunkt einer solchen Unterscheidung gezielt nur von ­Prigerson et al. (2009) untersucht, allerdings war deren Stichprobe in ihrer Aussagekraft in Bezug auf alle möglichen Verlustarten eingeschränkt. Daher liefern sie zwar einen ersten Ansatz, zu diesem Aspekt bedarf es aber weiterer Unter­ suchungen mit Menschen, die andere Verluste erlitten haben bzw. andere soziokulturelle Hintergründe aufweisen. Erste Befunde zu soziokulturellen Unterschieden lieferten zum Beispiel eine WHO-Feldstudie, bei der Kliniker aus 76 Län9 Die Stress-Kardiomyopathie ist eine seltene, akut einsetzende und oft schwerwiegende Funktionsstörung des Herzmuskels mit Symptomen ähnlich denen eines Herzinfarkts. Sie geht in der Regel von allein wieder weg, kann in manchen Fällen aber schwerwiegende Folgen haben.

22    Begriffsklärungen zum Thema Trauer

dern die Unterscheidung zwischen »normaler« und »nicht normaler« Trauer anhand vorgegebener Fallbeispiele zu treffen hatten und zu 92 Prozent übereinstimmten (Keeley et al., 2016), sowie ein Vergleich der Symptome zwischen Trauernden aus China und der Schweiz, bei denen sich Trauer­symptome ähnlich stark ausgeprägt zeigten. Bei den Teilnehmenden aus der Schweiz stand aber die anhaltende Beschäftigung mit dem Verstor­benen im Vordergrund, während in China vor allem die funktionalen Beeinträchtigungen im Alltag vorherrschend waren (Xiu, ­Maercker, Woynar, Geirhofer, Yang u. Jia, 2016). Laut Killikelly und Maercker (2018) gibt es aktuell international 17 Studien zu den von Prigerson et al. abgeleiteten Kriterien einer Trauerstörung, unter anderem aus dem Irak, Ost-­Timor und Indien. Noch fehlt es aber insgesamt an umfassendem Wissen, um präzisere und allgemeingültigere Aussagen treffen zu können. Daneben gibt es neuere Ansätze, die sich aus neuropsychologischer Perspektive mit Trauer beschäftigen. O’Connor und Arizmendi (2014) fanden in ihrer Studie einen Unterschied zwischen »normaler Trauer« und Komplizierter Trauer. Sie führten einen Emotions-Stroop-Test durch, bei dem Teilnehmende auf einem Monitor hintereinander Wörter dargeboten bekommen, die entweder mit Trauer verbunden werden oder allgemeine andere Wörter sind. Die Teilnehmenden haben die Aufgabe, diese Wörter als positiv, neutral und negativ einzuteilen. Dabei wird die Reaktionszeit gemessen, die es für diese Entscheidungen braucht. Als Ergebnis dieser Studie zeigten die Versuchs­ teilnehmenden mit Komplizierter Trauer signifikant langsamere Reaktionen bei Wörtern, die mit Trauer assoziiert werden, als diejenigen mit »normaler« Trauer. Die Autoren interpretieren dies als Vermeidungsreaktion, es bedarf ihrer Meinung aber einer Replikation der Studienergebnisse und weiterer Forschung mittels funktionalem MRT, um zu erkunden, auf welche Art und Weise sich die Verarbeitung im Gehirn voneinander unter-

»Nicht normale« Trauer    23

scheidet (O’Connor u. Arizmendi, 2014; siehe Diskussion in Kapitel 2.2). Wenn sich dieses Ergebnis bestätigen sollte, dann gäbe es ein Unterscheidungsmerkmal zwischen »normaler« und »nicht normaler« Trauer. Da der Unterschied zwischen »normaler« und »nicht normaler« Trauer bisher aber nur in der Ausprägung und der Dauer liegt, ist der Begriff »Symptom« zur Kennzeichnung der Facetten einer Trauerreaktion umstritten (Münch u. Müller, 2019). Symptom bedeutet Merkmal oder Hinweis auf eine Erkrankung oder Störung; »normale« Trauer mag zwar ein Ausnahme­zustand sein, ist aber ganz sicher keine Störung oder Krankheit. Dennoch wird in der internationalen Literatur der Begriff »Symptom« verwendet, wenn: • die Merkmale einer »nicht normalen Trauer« beschrieben werden (Milman, Neimeyer, Fitzpatrick, MacKinnon, Muis u. Cohen, 2018; Milic et al., 2017), • der Begriff »normales Symptom« gegenüber dem pathologischen Symptom abgegrenzt wird (z. B. Maciejewski et al., 2016), • »normale Trauer« definiert wird (Wagner, 2013). Es gibt gute Gründe dafür oder dagegen, den Begriff »Symptom« zu verwenden, aber man sollte sich dessen bewusst sein, welche Sichtweise damit transportiert wird, und sollte sie dann auch transparent machen. Zum Beispiel ist für mich als Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut die Verwendung des Begriffs nicht negativ besetzt, allerdings ist mir bewusst, dass ich mit der Verwendung des Begriffs Sichtweisen jenseits des Gesundheits- bzw. Krankheitsbetriebs wie zum Beispiel die soziologische Perspektive ausgrenze bzw. außer Acht lasse. Für die Beschreibung einer Störung werde ich im Folgenden den Begriff »Symptom« für Reaktionsweisen benutzen, unabhängig davon, ob es um Trauer, Depression oder Ängste geht.

24    Begriffsklärungen zum Thema Trauer

Für »nicht normale« Trauer10 gab und gibt es seit den 1990er Jahren verschiedene Begrifflichkeiten. Seit ca. zehn Jahren stehen vor allem drei in der Diskussion: Komplizierte Trauer (Complicated Grief, CG), die Forschungsdiagnose im DSM-5-­ Appendix11 Persistent Complex Bereavement Disorder (PCBD) und die im ICD-11 aufgenommene Prolonged Grief Disorder (PGD). Im Deutschen werden für letztere die Begriffe »Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion« (Falkai u. Wittchen, 2015) oder »Anhaltende Trauerstörung« verwendet.12

1.4 Komplizierte Trauer, Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion und Anhaltende Trauerstörung

Im Hinblick auf Begrifflichkeiten haben sich in den letzten Jahren zwei Positionen herauskristallisiert, die sich in der Außenwahrnehmung zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen. Die Gruppe um Shear und Zisook favorisiert das Konstrukt der Komplizierten Trauer, die Gruppe um Prigerson, Maercker und Maciejewski das der Anhaltenden Trauerstörung. Maciejewski et al. (2016) beschreiben den Hauptunterschied wie folgt: »Wenn man fragt, ob alle Arten von Trauer normal sind, würden Befürworter der Anhaltenden Trauerstörung sagen: ›Nein, nicht alle Trauer ist normal; insbesondere ist anhaltende, ungelöste, inten10 Zu den Traditionslinien der Trauerforschung in Bezug auf »nicht normale« Trauer und ihre Entwicklungen bieten Wagner (2013) und Maercker und Lalor (2012) ausführliche Überblicke. 11 Das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) wird von der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie herausgegeben und nicht nur in den USA für die Diagnostik psychischer Störungen verwendet. 12 Die Geschichte aller verschiedenen Begrifflichkeiten und ihre Entwicklungen werden bei Killikelly und Maercker (2018) beschrieben.

Komplizierte Trauer   25

sive Trauer nicht normal.‹ Befürworter der Komplizierten Trauer antworten hingegen: ›Ja, alles Leid ist normal. Abgesehen von der Trauer gibt es jedoch Komplikationen (psychische Störungen), die klinische Aufmerksamkeit verdienen‹« (Maciejewski et al., 2016, S. 266). Shear et al. (2011) haben letztere Position so formuliert: »Manchmal kann akute Trauer jedoch Fuß fassen und zu einem chronischen, schwächenden Zustand werden, der als Komplizierte Trauer bezeichnet wird. Darüber hinaus kann der durch solche Trauer verursachte Stress wie bei anderen Stressfaktoren die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass andere körper­liche oder geistige Störungen auftreten oder sich verschlimmern. Daher müssen einige Hinterbliebene diagnostiziert und behandelt werden« (Shear et al., 2011, S. 103 f.). Neben diesen zwei polarisierenden Gruppen gibt es Trauerforscher/­-innen, die sich weder der einen noch der anderen Gruppe zugehörig fühlen, weil für sie noch zu viele Fragen ungeklärt sind, um sich auf Diagnostikkriterien festzulegen, und es ihrer Meinung nach jenseits dieses Streits noch genügend andere Wissenslücken zu füllen gibt. Das Konzept der Persistent Complex Bereavement Disorder (PCBD) bzw. Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion wird als Versuch eines Kompromisses zwischen den Befürwortern des Konzepts der Komplizierten Trauer und denen des Konzepts der Anhaltenden Trauerstörung betrachtet (­Killikelly u. Maercker, 2018; Wakefield, 2013). In einer Analyse der Daten der sogenannten Yale-­Bereave­ ment-­Study wurde von der Arbeitsgruppe um Prigerson (Maciejewski et al., 2016) verglichen, was welcher Ansatz misst und welcher Proband welche Diagnose bekäme. Dabei wurden die Kriterien und die jeweils dafür konzipierte bzw. befürwortete Diagnostik der von Shear et al. (2011) vorgeschlagenen Komplizierten Trauer, der Störung durch anhaltende komplexe Trauerreaktion und der Anhaltende Trauerstörung verwendet, letztere sowohl nach den 2009 vorgeschlagenen Kriterien als auch nach

26    Begriffsklärungen zum Thema Trauer

den 2016 für die ICD-11 vorgesehenen Kriterien. Die Autoren ermittelten eine Häufigkeit von ca. 10 Prozent für die Anhaltende Trauerstörung und für die PCBD, aber von ca. 30 Prozent für die Komplizierte Trauer. Bei Mauro, Shear, ­Reynolds et al. (2017) wiesen die PCBD und die Anhaltende Trauer­störung (2009er-­Kriterien) ebenfalls ähnliche Werte auf, während sie bei Komplizierter Trauer höher ausfielen. Aufgrund eines Vorscreenings zur Probandenauswahl sind die Befunde bei Mauro et al. (2017) bezüglich der drei Diagnosearten jedoch nicht mit denen anderer Studien vergleichbar. Boelen, ­Reijntjes und Smid (2016b) fanden, dass 9,8 Prozent ihrer Probanden die 2009er-Kriterien einer Anhaltenden Trauerstörung erfüllten, und Aoun, Breen, Howting, Rumbold, McNamara und Hegney (2015) benennen 6,4 Prozent als »high risk« für die Anhaltende Trauerstörung. In der internationalen Literatur wird in Bezug auf die Häufigkeit des Auftretens »nicht normaler« Trauer oft die Studie von Kersting, Brähler, Glaesmer und Wagner (2011) zitiert, die für den deutschen Sprachraum eine repräsentative Befragung durchgeführt haben. Sie fanden als Ergebnis eine bedingte Wahrscheinlichkeit von 6,7 Prozent, nach dem Verlust einer nahestehenden Person die Diagnose einer Komplizierten Trauer13 zu erhalten. Für die Anhaltende Trauerstörung und die PCBD liegen die Häufigkeiten somit zwischen 6,5 und 10 Prozent, während sie für die Komplizierte Trauer nach den Kriterien von Shear et al. meistens höher (zwischen 20 und 30 Prozent) ausfallen. Bei besonderen Verlustarten sehen die Zahlen für »nicht normale« Trauer14 anders aus. Im Rahmen einer norwegischen Studie über Eltern, die ihre Kinder durch Suizid, plötzlichen Kinds13 2011 waren die Begrifflichkeiten noch nicht so unversöhnlich einander gegenüberstehend wie heute. 14 Ein Teil der zitierten Studien (Dyregrov et al., 2003; de Groot et al., 2007) ist älter als die Definitionen der drei hier diskutierten Begrifflichkeiten.

Komplizierte Trauer   27

tod oder durch Unfall verloren haben, liegen die Raten bei 57 bis 78 Prozent (Dyregrov et al., 2003). In einer niederländischen Studie über therapeutische Interventionen für Trauernde, die einen geliebten Menschen durch Suizid verloren hatten, lag in der Kontrollgruppe ohne therapeutische Intervention die Häufigkeit für »nicht normale« Trauer 13 Monate nach Verlust bei 32 Prozent (de Groot, Keijser, Neeleman, Nolen u. B ­ urger, 2007). Im Rahmen einer Untersuchung eines großen niederländischen Datensatzes mit dem Fokus auf Menschen, die einen Verlust durch Unfall, Suizid oder Mord erlitten hatten, wurde nur ein Viertel der Betroffenen als resilient eingestuft, während 39 Prozent unter einer Anhaltenden Trauerstörung und 35,5 Prozent unter einer Anhaltenden Trauerstörung und Depressionen litten (Boelen, Reijntjes, Djelantik u. Smid, 2016a). In einer Studie von Heeke, Stammel, Heinrich und Knaevelsrud (2017) konnten 73 Prozent der Probanden, die einen gewaltsamen Verlust in Kriegsgebieten erlitten hatten, als belastet bis hoch belastet identifiziert werden, darunter waren 25 Prozent von einer Anhaltenden Trauerstörung und ca. 25 Prozent zusätzlich von einer posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. Diese Ergebnisse entsprechenden denjenigen, die von Wagner (2013) für Trauernde infolge eines gewaltsamen Todes durch (Bürger-) Krieg aufgeführt werden. Allen erwähnten und weiteren Studien zu besonders belastenden Verlustarten sind eine erhöhte Rate an weiteren psychischen Störungen (Depression, PTBS) und eine erhöhte Suizidrate gemein. Die oben genannten drei Diagnosevorschläge wurden und werden heftig diskutiert. Eine Studie von Maciejewski et al. (2016), in der die Vorschläge verglichen wurden, erbrachte noch weitere diskussionswürdige Ergebnisse. Zur Erklärung sei einführend ein kurzer Ausflug in das Fach Statistik erlaubt. Bei Diagnosen bzw. Testverfahren zur Erfassung einer Diagnose macht es Sinn, möglichst viele Betroffene zu erfassen, die das entspre-

28    Begriffsklärungen zum Thema Trauer

chende Problem wie zum Beispiel eine Komplizierte Trauer haben. Je besser dies gelingt, desto höher ist die s­ ogenannte Sensitivität. Gleichzeitig sollten möglichst wenige Betroffene, die zum Beispiel einen »normalen« Trauerverlauf aufweisen, die Diagnose »Komplizierte Trauer« erhalten. Je besser dies einer Diagnose gelingt, desto höher ist die sogenannte Spezifität. Da Spezifität und Sensitivität eher gegenläufig sind, wird bei der Konstruktion von Diagnosen bzw. Tests zur Erfassung einer Diagnose darauf geachtet, sowohl möglichst eine hohe Sensibilität als auch eine hohe Spezifität zu erreichen. In der Studie von Maciejewski et al. (2016) wiesen die PCBD und die Anhaltende Trauerstörung eine den Gütekriterien entsprechende hohe Spezifität und eine hohe Sensitivität auf, während die Komplizierte Trauer zwar eine extrem hohe Sensitivität (100 Prozent) aufwies, aber dafür eine eher schlechte Spezifität. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass viele Trauernde fälschlicherweise die Diagnose »Komplizierte Trauer« erhalten, obwohl sie einen »normalen« Trauerverlauf haben (siehe auch Prigerson u. Maciejewski, 2017). Die im Vergleich zu den anderen beiden Diagnosen deutlich höhere Häufigkeit (30 Prozent) der Dia­gnose »Komplizierte Trauer« wird zudem als Beweis dafür angesehen, dass das Konstrukt deutlich weiter gefasst ist als das der Anhaltenden Trauerstörung und der PCBD (Gegenposition siehe Reynolds, Cozza u. Shear, 2017). Im Gegensatz zu den vorgeschlagenen Diagnosekriterien für Komplizierte Trauer wurden in der erwähnten Studie anhand von PCBD-Kriterien für das DSM-5 und Kriterien der Anhaltenden Trauerstörung (2009er-Kriterien und auch die für I­ CD-11) weitgehend die gleichen Betroffenen identifiziert. Insgesamt unterschied sich also lediglich die Komplizierte Trauer von den anderen Konstrukten, so dass die Autoren um Maciejewski et al. (2016) zum Schluss kamen: Sowohl die für das DSM vorgeschlagene Diagnose als auch die Diagnose für die ICD-11 messen sub-

Komplizierte Trauer   29

stanziell das Gleiche, nämlich die Intensität von Trauer­erleben als psychische Entität (»grief«). Ihrer Meinung nach disqualifiziert sich das Konstrukt der Komplizierten Trauer für eine Diagnose im DSM oder ICD. Darüber hinaus kritisieren sie an der Diagnose »PCBD«, dass es inkonsequent sei, den Begriff »grief« im Namen zu vermeiden, aber letztlich die Diagnostik genau nach dem inneren Trauererleben hin zu orientieren und dieses zu messen. Im Bereich der mentalen, psychischen Störungen mit »bereavement« einen Namen für eine Störung zu verwenden, der keine mentale, psychische Entität bezeichnet, stellt ihrer Ansicht nach ein nicht aufzulösendes Paradoxon dar. Man mag zum Streit der beiden Forschungsgruppen stehen, wie man will (z. B. Lenferink u. Eisma, 2018; Maciejewski et al., 2016; Wagner, 2016), aber das letztgenannte Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist zwar auch der Blickwinkel möglich zu sagen: Nicht der Mensch an sich ist gestört, sondern das gesellschaftliche System mit all seinen Bedingungen, in dem er lebt. Daraus ergeben sich wiederum Fragen wie: Entsteht eine psychische Störung als psychische Reaktion auf die Umweltbedingungen und Konsequenzen um einen herum durch den Verlust? Oder entsteht die Störung aus einem Menschen heraus, unabhängig von der Umwelt, die durch ihre Bedingungen lediglich moderierend einwirkt? Die Wahrscheinlichkeit einer wechselseitigen Bedingung ist meines Erachtens sehr hoch und es wäre eine müßige Diskussion um Henne und Ei, in diesem Fall eine andere Aussage zu treffen. Pragmatisch formuliert dürfte das denjenigen, die unter Trauer leiden, relativ egal sein, vor allem, wenn Kraft und Energie für höhere Aufgaben nicht vorhanden sind und der eigene Alltag nicht oder kaum zu bewältigen ist. Dennoch: Einerseits der Meinung zu sein, dass Trauer (»grief«) an sich keine Störung sein kann, aber andererseits um die Aufnahme in ein Manual für psychische Störungen zu kämp-

30    Begriffsklärungen zum Thema Trauer

fen, wirkt aus meiner Sicht nicht konsistent und auch nicht konsequent – selbst angesichts der Problematik, dass es den meisten Trauerforschern bislang schwerfällt, eine Grenze zwischen »normaler« und »nicht normaler« Trauer zu ziehen (Wagner, 2016). Allerdings stellen sämtliche psychischen Entitäten an sich jeweils in ihren Ausprägungsmöglichkeiten ein Kontinuum dar, das einen großen Bereich beinhaltet, der als normal angesehen wird. Daneben wird je nach kulturellen und gesellschaftlichen Gegeben­heiten und Normen auch ein Bereich als gestört oder nicht normal angesehen. Wie Wissenschaftler und Forscher, Kliniker und Praktiker, aber auch wir als Gesellschaft mit dem Störungs­begriff umgehen wollen, ist eine berechtigte, aber anderweitig zu diskutierende Frage (siehe auch Stroebe et al., 2017). Es gilt dabei im Grundsatz kritisch zu beleuchten, wie wir alle, wie wir als Gesellschaft mit Menschen umgehen, die in ihrem Erleben und Verhalten aufgrund von Belastung und Stress in den Bereich hineinkommen, der nicht unseren Normen entspricht. Denjenigen, die Diagnosen psychischer Störungen vergeben, kommt dabei eine besondere Verantwortung zu (z. B. Münch, 2017; Münch u. Gramm, 2017). Die vielfach geäußerte Sorge, dass Trauernde mit dem Label »Trauerstörung« stigmatisiert werden könnten, ist leider berechtigt (Eisma, 2018). Das zeigen auch Studien zur Stigmatisierung aufgrund von psychischen Störungen im Allgemeinen (­Clement, Schauman, Graham et al., 2015; Parcesepe u. Cabassa, 2013; Sowislo, Lange, Euler, Hachtel, Walter, Borgwardt, Lang u. Huber, 2017). Allerdings hängt der Grad der Stigmatisierung sehr davon ab, wie bedrohlich die Störung von anderen erlebt wird, ob die Ursache für die Störung für andere nachvollziehbar ist und inwieweit den Betroffenen eine Mitschuld für die Störung gegeben wird (Parcesepe u. Cabassa, 2013). Es darf zudem nicht vergessen werden, was Kliniker, Beratende und Begleitende in ihrem Alltag immer wieder erleben: Es gibt Menschen,

Komplizierte Trauer   31

die es als Entlastung empfinden, wenn »das Kind einen Namen bekommt«, der als stimmig erlebt wird.

☞ Merke: Neben den meisten Trauerverläufen, die als »normal« bezeich­ net werden können, gibt es ca. 10 bis 15 Prozent, bei denen die Trauernden jenseits von Depression und PTBS psychologisch-­ psychotherapeutischer Unterstützung bedürfen. Bisher waren und sind sich fast alle Forschenden darüber einig, dass sich diese Trauerverläufe nur durch ihre Dauer und Intensität von »norma­ len« Trauerverläufen unterscheiden, jetzt scheint es aus neuropsy­ chologischer Perspektive heraus einen ersten Anhalt dafür zu geben, dass es auch einen qualitativ messbaren Unterschied geben könnte. Bei den »nicht normalen« Trauerverläufen wird kontrovers diskutiert, ob das innere Trauererleben als gestört bezeichnet werden kann oder nicht. Die Vertreter der Komplizier­ ten Trauer verneinen es, während es die Vertreter der Anhalten­ den Trauerstörung bejahen. In der ICD haben sich aktuell letztere durchgesetzt, beim DSM ist das noch unklar. Um die Kontroverse zu verstehen, ist es hilfreich, die engli­ schen Begriffe für Trauer differenzierter zu übersetzen, da dies im Deutschen umfassend mit »Trauer« und ggf. mit »Verlust« bezeichnet wird. Im deutschsprachigen Raum bedarf es einer (sprachlichen) Unterscheidung der Aspekte von Trauer, damit eine entsprechend differenzierte und sachliche Diskussion zu den kontroversen Themen möglich ist.

2  Anhaltende Trauerstörung (nach ­ICD-11)

2.1 Diagnose

Trotz aller Kontroversen und aller Uneinigkeit findet sich in der ICD die Trauerdiagnose als Störung mit Krankheitswert. Nun gilt es, in irgendeiner Form und individuell unterschiedlich einen Umgang damit zu finden. Die meisten Menschen, die nicht ehrenamtlich oder professionell mit Sterbe- und Trauerbegleitung, Trauerberatung und auf Trauernde spezialisierte Psychotherapie zu tun haben, dürfte das nicht berühren. Auch bei der Mehrzahl der Psychologen sowie der Ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten steht die neue Diagnose der Anhaltenden Trauerstörung in Gremien sowie in Fort- und Weiterbildungskursen nicht im Fokus. Viele von ihnen haben die in Trauer-, hospizlichen und palliativen Fachkreisen stattfindenden, zum Teil heftigen Kontroversen um diese Diagnose nicht mitbekommen (siehe z. B. Kronberger, 2019), während sich für diejenigen, die sich damit befassen, nun folgende Fragen stellen: Wenn es so ist, wie es ist, was können wir möglichst Gutes daraus machen? Was können die Fachkräfte tun, um denen zu helfen, um die es geht? Was können sie tun, um den Trauernden, bei denen die Trauer nicht aufhört und die keine heilsame Kraft des Trauerns15 spüren können, beste Bedingungen zu schaffen, 15 EAPC-Blog: https://eapcnet.wordpress.com/2019/04/25/the-healing-­powerof-grief/.

Diagnose   33

um sich mit sich selbst und ihrer Lebenssituation wieder wohler fühlen zu können? Erste Ansätze dafür zeigen sich bereits (Paul, 2017), sind aber noch ausbaufähig. Zurück zur Diagnose an sich. Im Hinblick auf die Bezeichnung der Diagnose hat sich beim ICD-11 die Arbeitsgruppe um Prigerson durchgesetzt. Es geht um die Störung der Dauer und der Schwere des »grieving« (des Trauerns), um die psychische Perspektive und um deren Auswirkungen auf den Lebensalltag. Ein Vergleich zeigt, dass die Kriterien, die 2009 vorgeschlagen wurden, zwar denen ähneln, die jetzt in den ICD-11-Katalog aufgenommen wurden (siehe Tabelle 1), dass aber dennoch substanzielle Unterschiede bestehen. Die aktuelle ICD-11-Version der Diagnose ist anders als in der 2009er-Version nicht in Sektoren gegliedert, sondern existiert nur als Fließtext. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde dieser Fließtext in Tabelle 1 in fünf Abschnitte unterteilt. Tabelle 1: Diagnosen der Anhaltenden Trauerstörung im Vergleich Anhaltende Trauerstörung Vorschlag von Prigerson et al. (2009)16

ICD-11-Version (WHO, 2019)

A

Es liegt ein Verlust eines bedeut­ samen Menschen vor, z. B. Partner, Elternteil, Kind, andere enge Be­ zugsperson.

Es liegt ein Verlust eines bedeut­ samen Menschen vor, z. B. Partner, Elternteil, Kind, andere enge Be­ zugsperson.

B

Trennungsschmerz mit starker Sehnsucht nach dem Verstorbe­ nen als Leitsymptom: physisches und seelisches Leiden mit dem starken Wunsch und der Sehn­ sucht, z. B. wieder mit dem Ver­ storbenen vereint zu sein.

Andauernde und tiefgreifende Trauerreaktion in Form starker Sehnsucht nach dem Verstorbe­ nen oder anhaltender Beschäfti­ gung mit dem Verstorbenen

16 Nach Prigerson et al. (2009), in Anlehnung an Wagner (2013), Münch und Gramm (2017) und Kronberger (2019).

34    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

Anhaltende Trauerstörung Vorschlag von Prigerson et al. (2009)

ICD-11-Version (WHO, 2019)

C

Reaktionen auf kognitiver, emo­ tionaler und Verhaltensebene. Davon mindestens fünf der fol­ genden Symptome täglich oder zumindest zu einem beeinträchti­ genden Grad: Unsicherheit bezüglich der eige­ nen Rolle im Leben bzw. Gefühl, dass das eigene Leben keinen Sinn mehr macht (z. B. als ob ein Teil von einem selbst gestorben wäre), Schwierigkeiten, den Tod zu akzeptieren, Vermeiden von Erinnerungen, die mit dem Ver­ lust zusammenhängen, Unfähig­ keiten, anderen seit dem Verlust zu vertrauen, mit dem Verlust verbundene Verbitterung oder Wut, Schwierigkeiten, das eigene Leben fortzuführen (z. B. neue Freunde finden, eigenen Interes­ sen nachgehen), emotionale Taub­ heit seit dem Verlust, Gefühl, dass das Leben seit dem Verlust sinnlos, leer und unerfüllt ist, Gefühl von Fassungslosigkeit, Betäubung und Schock durch den Verlust

Begleitet von intensivem emo­ tionalen Schmerz, z. B. von Trau­ rigkeit, Schuldgefühlen, Wut, Verleugnung, Schuldzuweisung, Schwierigkeiten, den Tod zu ak­ zeptieren, Gefühl, einen Teil von sich selbst verloren zu haben, Unfähigkeit, positive Stimmung zu erleben, emotionale Taubheit, Schwierigkeiten, sich auf soziale oder andere Aktivitäten einzu­ lassen

D

Zeitkriterium: mindestens sechs Monate ab Verlust

Die Trauerreaktion hält nach dem Verlust eine atypisch lange Zeit an (mindestens sechs Monate) und geht eindeutig über die sozialen, kulturellen oder religiösen Nor­ men der jeweiligen Kultur und den Lebenszusammenhang des betroffenen Menschen hinaus. Trauerreaktionen, die für längere Zeiträume anhalten, die aber im kulturellen und religiösen Lebens­ zusammenhang des jeweiligen Menschen als »normale Trauer erachtet werden, wird keine Diag­ nose zugewiesen.

Diagnose   35

Anhaltende Trauerstörung Vorschlag von Prigerson et al. (2009)

ICD-11-Version (WHO, 2019)

E

Beeinträchtigung: Die Störung führt zu klinisch signifikanten Be­ einträchtigungen in sozialen, be­ ruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen.

Die Störung verursacht signifi­ kante Beeinträchtigungen auf persönlicher, familiärer, sozialer, Bildungs- und beruflicher Ebene oder anderen wichtigen Lebens­ bereichen.

F

Differentialdiagnostik: Die Stö­ rung kann nicht besser erklärt werden durch eine Depression, eine Generalisierte Angststörung oder eine Posttraumatische Belas­ tungsstörung.

Der Hauptunterschied zwischen den beiden Versionen besteht darin, dass die 2009er-Version Mindestkriterien vorgibt, damit die Diagnose vergeben werden darf. Die Version des ICD von 2019 benennt hingegen zentrale Symptome bzw. ­Reaktionsweisen und berücksichtigt die jeweils kulturellen und religiösen Normen des Trauerns der Betroffenen. Die Arbeitsgruppe der WHO für den Abschnitt stressbezogene Störungen (»stress-related disorders«), worunter auch die trauerspezifische Diagnose fällt, begründet die Veränderungen damit, dass die WHO bei der Erstellung der ICD-11 auf die Aspekte »klinische Benutzerfreundlichkeit« und »kultur­ übergreifend internationale Anwendbarkeit« Wert gelegt habe (­Killikelly u. Maercker, 2018). Die Zeiten seien vorbei, in denen anhand langer Listen von Symptomen abgezählt werden musste, ob von Symptomklasse A oder D ausreichend Symptome vorhanden seien, um die Diagnose X zu vergeben. Stattdessen werde mehr Wert auf die Urteilsfähigkeit der klinischen Anwender gelegt. Mit dem Verzicht auf Symptomchecklisten folge die ­ICD-11 einem typologischen Ansatz, der mit einer hohen Sensitivität einhergehe, das heißt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit

36    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

diejenigen ausfindig mache, die eine Störung hätten. Die Struktur der neuen Kriterien hebe als Typologie nur einige Kern­ symptome und Kriterien von Trauer hervor: • Sehnsucht und Verlangen nach der verstorbenen Person, • anhaltende Beschäftigung mit dem Verlust, • Symptome intensiven emotionalen Schmerzes, • signifikante psychosoziale Beeinträchtigungen, • mindestens sechs Monate nach Verlust andauernd, • jenseits der zu erwartenden soziokulturellen Normen für Trauer. Die Vertreter der Arbeitsgruppe sehen durch diese Veränderungen eine vereinfachte Anwendbarkeit und Nachvollziehbarkeit für alle Beteiligten (Killikelly u. Maercker, 2018). Statt Symptomchecklisten im Sinne einer diskreten Diagnostik steht ein kontinuumorientierter Ansatz im Vordergrund, der kulturelle und potenziell auch verlustspezifische Unterschiede im Trauern berücksichtigt (siehe auch Wagner, 2013). Das sorgt für eine von außen betrachtet recht unerwartete, vielleicht auch ungewollte Annäherung zwischen den Befürwortern der Komplizierten Trauer und denen der Anhaltenden Trauerstörung. Zumindest gab es angesichts der veränderten Kriterien seitens Mauro et al. (2017, S. 613) den Kommentar: »Sie [Prigerson et al.] schlugen jedoch nicht vor, die bisherigen Kriterien der Anhaltenden Trauerstörung anzuwenden. Die Beschreibung der Bedingungen [für die Diagnose] ähnelt vielmehr stark den vorgeschlagenen Kriterien für Komplizierte Trauer.« Beim Praktiker entsteht allerdings der Eindruck, dass die klinische Validität der Diagnosekriterien für die ICD-11 stark von der Kompetenz des Klinikers abhängig sein wird, da der Fokus durch diese Veränderungen stärker auf das Erleben der Trauernden und ihren subjektiven Leidensdruck gerichtet wird. Diese Diagnoseformulierung wirkt im Vergleich zu derjenigen

Diagnose   37

der Störung durch anhaltende komplexe Trauerreaktion deutlich handhabbarer (Lenferink u. Eisma, 2018). Es bleibt die Kritik am Zeitkriterium (z. B. Wagner, 2013; Wakefield, 2013), der die ICD-11-Arbeitsgruppe durch den Zusatz zu begegnen versucht, für länger anhaltende Trauer­ reaktionen, die im kulturellen und religiösen Lebenszusammenhang des jeweiligen Menschen als »normale« Trauer erachtet werden, keine Diagnose zuzuweisen. Ob dadurch das Argument der Kritiker entschärft wird, dass unterschiedliche Verlustarten unterschiedlich lange »normale« Trauerverläufe hervorbringen können, ist infrage zu stellen. Andererseits stellt sich die Frage, wem damit geholfen ist, wenn das Kriterium von mindestens sechs Monaten auf ein Jahr verlängert wird. Bisher hat das Fehlen einer trauerspezifischen Diagnose Trauernde auch nicht davon abgehalten, unter hohem Leidensdruck psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es bedarf somit vor allem einer gut erprobten, validen Dia­gnostik mit hoher Spezifität, damit diejenigen, die normal trauern, nicht fälschlicherweise eine Diagnose gestellt bekommen (Münch u. Gramm, 2017). Wie geht es jetzt mit der neuen Diagnose weiter? Laut des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ist aufgrund noch vielfältiger zu erledigender Arbeitsschritte keine Aussage darüber möglich, wann die ­ICD-11 in Deutschland eingeführt wird. Es sollen aber »sukzessive übersetzte und validierte Bereiche der ICD-11 bereitgestellt werden« (DIMDI, 2019). Es ist demnach auch noch offen, inwieweit eine Weiterentwicklung »der WHO-Fassung zu einer an die Erfordernisse des deutschen Gesundheitswesens angepassten ­GM-Fassung17« (DIMDI, 2019) auch für die Diagnose der Anhaltenden Trauerstörung stattfindet. 17 GM = German Modification.

38    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

2.2  Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen

In der Praxis stellt es sich nicht immer so einfach dar, Anhaltende Trauerstörung von Depression, Generalisierter Angststörung und Posttraumatischer Belastungsstörung abzugrenzen. Die Forschungsgemeinschaft ist sich dabei allerdings weitgehend einig darin, dass sich der Symptomkomplex der neuen Störung, das heißt die jeweilige Gesamtheit aller Symptome in ihren Wechsel- und Auswirkungen an sich, trotz einiger Überlappungen mit den anderen genannten psychischen Störungen klar von diesen unterscheidet (z. B. Boelen, van de Schoot, van den Hout, de Keijser u. van den Bout 2010; Prigerson et al., 2009; Reynolds et al., 2017; Shear et al., 2011; Wagner, 2013). Mit Überlappungen ist gemeint, dass einzelne Symptome bzw. Reaktionsweisen sowohl bei der Anhaltenden Trauerstörung als auch bei den anderen Diagnosen vorkommen können. Depressionen, Angststörungen oder die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) können auch ohne den Verlust eines geliebten Menschen diagnostiziert werden, eine Trauerstörung aber nicht ohne das Kriterium eines erlebten Verlusts. Dieses Buch behandelt das Thema der Anhaltenden Trauer. Es ist dennoch wesentlich, im Blick zu haben, dass Menschen mit sehr belastenden Verlusterlebnissen nicht nur eine Anhaltende Trauerstörung entwickeln können, sondern auch einem hohen Risiko für andere Störungen oder eine komplexe hohe Belastungssituation mit mehreren möglichen Störungsdiagnosen ausgesetzt sind. Ein Beispiel hierfür ist der Verlust durch Gewalt in Bürgerkriegssituation (siehe Kapitel 1.3; Heeke et al., 2017). Ein anderes Beispiel liefert eine Querschnittstudie mit Trauernden nach dem Verlust durch einen traumatischen Unfall am Arbeitsplatz, bei denen der Verlust im Schnitt 6,4 Jahre zurücklag. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass 61 Prozent der Probanden Hinweise auf eine PTBS zeigten, 44 Prozent Hinweise auf eine

Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen   39

mittlere bis schwere Depression und 43,2 Prozent Hinweise auf eine Anhaltende Trauerstörung. Zudem zeigten 41,9 Prozent Hinweise sowohl auf eine PTBS als auch auf eine Depression und 31,8 Prozent zeigten Hinweise auf eine PTBS, Depressionen und eine Anhaltende Trauerstörung. Bei 64,9 Prozent war vor dem Verlust keine psychische Störung in der Lebensgeschichte bekannt (Matthews, Quinlan u. Bohle, 2019). Bei einer Erweiterung der Perspektive über spezielle Verlustarten hinaus sind die Zahlen für andere Störungen erwartungsgemäß niedriger. In einer Studie von Simon et al. (2007) mit Menschen, die aufgrund ihrer Trauer eine Behandlung aufsuchten, fanden sich bei 32 Prozent der Teilnehmenden eine Komplizierte Trauer (gemessen mit dem Inventar für Komplizierte Trauer, ICG), bei 12,6 Prozent zusätzlich eine PTBS und bei 19,4 Prozent zusätzlich eine Depression und 35,9 Prozent erfüllten die Kriterien für alle drei Entitäten (Simon et al., 2007); allerdings sind die Befunde dieser Studie aufgrund des Auswahlkriteriums nicht repräsentativ für alle Trauernden. Als letztes Beispiel seien Zahlen aus einer Übersicht von Znoj (2017) genannt. Hier wurde anhand vorliegender Untersuchungen zur Häufigkeit von Depressionen bei Trauernden eine Spanne von 14 bis 94 Prozent gefunden. Znoj meint dazu: »Es kann angenommen werden, dass die zutreffende Komorbiditätsrate dazwischen liegt« (Znoj, 2017, S. 24). Wirklich repräsentative Zahlen für Trauernde über alle Verlustarten hinweg konnten in der Recherche nicht gefunden werden. Auch die verschiedenen Konstruktionen für »nicht normale« Trauer erschweren Vergleichbarkeit der vorhandenen Ergebnisse. Hier ist angesichts dessen, dass durch die neuen ICD-11-Kriterien hoffentlich mehr Klarheit besteht, dringend Forschungsbedarf gegeben. Um mindestens zu halbwegs präzisen Ergebnissen zu kommen, sollte aber noch ein weiterer problematischer Aspekt beachtet werden: Bei der Analyse und Interpretation einiger Studienergebnisse in gemeinsamen Untersuchungen von Depression und Anhal-

40    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

tender Trauerstörung bei Trauernden nach Verlust kristallisiert sich häufig keine eindeutige Gruppe für die Anhaltende Trauerstörung heraus bzw. zeigen sich hohe Komorbiditätsraten (siehe oben). Dies lässt in Frage stellen, ob Depression und Anhaltende Trauerstörung doch nicht so eindeutig zu unterscheiden sind, wie einige Forscher behaupten. Ist Trauer als eigene Entität also nur Humbug? Eine plausible Erklärung könnte sein, dass bei der Entwicklung der Fragebögen für die Anhaltende Trauerstörung sehr viel Wert darauf gelegt wurde, damit nicht Depression oder PTBS zu messen, sondern vor allem die Intensität der Trauer. Was aber ist mit den Depressionsfragebögen? Es wurde zum Beispiel beim Beck-Depressions-Inventar (BDI) nicht getestet, wie gut dieser zwischen möglicher Depression und Anhaltender Trauer­störung unterscheiden kann. Dieser Aspekt wird nur in wenigen der Studien berücksichtigt (Boelen et al., 2016a), mag aber ein Grund dafür sein, dass in Studien wie zum Beispiel von Maccallum und Bryant (2018) oder Galatzer-Levy und Bonnano (2012) keine eindeutige Gruppe für anhaltende Trauer(-störung) ausgemacht werden konnte. Galatzer-Levy und Bonnano (2012) analysierten Daten von Bonnano aus dem Jahr 2002 mit neueren statistischen Mitteln. Damals wurden ältere Trauernde, die ihre Partner verloren hatten, vor dem Verlust und bis 18 Monate nach dem Verlust auf den Verlauf ihrer Trauer hin untersucht. In der Studie von 2012 wurde der Zeitraum auf 48 Monate nach dem Verlust ausgedehnt. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der Studie von 2002 (fünf Verlaufsprototypen) konnten die Autoren in der Studie von 2012 vier Gruppen unterscheiden: 66,3 Prozent der Teilnehmenden wurden als resilient eingestuft, 9,1 Prozent waren chronisch Trauernde, 14,5 Prozent zeigten eine schon vor dem Verlust existierende und nach dem Verlust weiter bestehende Depression, und 10,1 Prozent hatten vor dem Verlust eine Depression, die

Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen   41

nach dem Verlust langsam abnahm. Über die Gruppe der chronisch Trauernden schreiben die Autoren: »[…] gekennzeichnet durch Depression nach Verlust, die sich innerhalb der Zeit von vier Jahren in einen normalen Bereich reduziert hat« (Galatzer-­ Levy u. Bonnano, 2012, S. 1987). Stutzig macht auch ein etwas älterer Ansatz zur Prävention aus Dänemark. Hier wurde nachgewiesen, dass in der untersuchten Stichprobe eine Vorhersage einer Anhaltenden Trauerstörung acht Wochen nach einem Verlust möglich war, indem man das Beck-Depressions-Inventar (BDI) zusammen mit einer einzigen ergänzenden Frage einsetzt hat (Guldin, O’Connor, Sokolowski, Jensen u. Vedsted, 2011). Auch wenn dazu keine weiteren Publikationen existieren, ist es doch ein Hinweis darauf, dass allem Anschein nach Studien zur Unterscheidung von Depression und Trauer ein grundsätzliches Problem haben. Durch welche weiteren Merkmale könnte neben dem Kriterium des Verlusts eine Anhaltende Trauerstörung von einer Depression oder einer PTBS unterschieden werden? Werfen wir zunächst einen Blick auf die Unterscheidung von Anhaltender Trauerstörung und PTBS. Bei einer PTBS beziehen sich die Inhalte auf die traumatisch erlebte Situation bzw. bei mehrfachen Traumata auf Situationen, die nie positiv, sondern immer mit dem Erleben massiver Bedrohung, Gefahr, absolutem Kontrollverlust und Verlust jeglichen Halts besetzt sind (Wagner, 2013). Menschen mit einer PTBS empfinden entsprechend den Diagnosekriterien, anders als Menschen mit einer Anhaltenden Trauerstörung, keine Traurigkeit und keine Sehnsucht nach einem geliebten Verstorbenen, fürchten jedoch Erinnerungen an das Trauma, haben jegliches Sicherheitsgefühl verloren und vermeiden die Nähe zu ereignisbezogenen Situationen oder Erinnerungen (Nakajima, 2018). Sollte ein Verlust mit dem Trauma in Verbindung stehen, ist eine daher rührende mögliche Trauer-

42    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

symptomatik kein führendes Symptom, sondern die Angst und damit einhergehende tiefgreifende Verunsicherung stehen im Vordergrund. Bei stark ausgeprägter Anhaltender Trauer­störung können zwar Intrusionen18 auftreten, aber diese sind nicht so stark ausgeprägt und belastend wie bei der PTBS. Im Gegensatz zur PTBS beziehen sich die Inhalte bei einer Anhaltenden Trauer auf den geliebten Menschen. Die damit verbundenen Intrusionen sind je nach Verlustart nicht nur negativ, sondern können auch positiv besetzte Inhalte aus dem gemeinsamen Leben beinhalten (Wagner, 2013). Depressive Störungen und die Anhaltende Trauerstörung teilen einige Gemeinsamkeiten, darunter Trauergefühle, Schuldgefühle, Selbsttötungsgedanken, rückläufiges Interesse am täglichen und sozialen Leben sowie soziale Isolation (Nakajima, 2018). Trauernde ohne Depressionen kennen die Ursache bzw. den Auslöser ihres Zustands und würden ihn eher als »normal« bezeichnen im Gegensatz zu Depressiven. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass bei Trauernden ohne Depressionen keine Gefühle von Wertlosigkeit, Selbstabwertung oder motorische Verlangsamung auftreten, wie es bei Menschen mit Depressionen der Fall ist (Wagner, 2013). Mögliche Schuldgefühle bei Trauernden drehen sich inhaltlich vordergründig immer um den Verlust selbst und die damit verbundene Vorgeschichte. Der inhaltliche Fokus auf den Verlust des geliebten Menschen stellt bei allen Symptomen bzw. Reaktionsweisen einen Unterschied zur Depression dar (Nakajima, 2018). Zudem zeigen Antidepressiva bei einer Anhaltenden Trauerstörung  – anders als bei Depressionen – kaum bis keine Wirkung auf das Trauer­erleben und die damit verbundenen Reaktionen (aktu18 Bei Intrusionen handelt es sich um durch Schlüsselreize ausgelöstes unkontrollierbares Wiedererinnern und Wiedererleben von bedeutsamen Situationen.

Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen   43

ell dazu Fenger-Grøn, Kjaersgaard, Parner, Guldin, Vedsted u. ­Vestergaard 2018; Shahane et al., 2018; siehe 4.7). Boelen et  al. (2016b) konnten einen signifikanten Unterschied zwischen Anhaltender Trauerstörung, Depressionen und PTBS ermitteln. Dabei legten sie den Fokus auf das Konzept »intolerance of uncertainty« (IU), das mit »Intoleranz von Unsicherheit« übersetzt werden kann. Während es zunehmend mehr Hinweise darauf gibt, dass IU in der Diagnostik von Depressionen eine wichtige Rolle spielt, wurden die emotionalen Reaktionen nach stressauslösenden Ereignissen wie zum Beispiel PTBS oder Verlust bislang kaum in den Blick genommen. Bei der IU werden eine hemmende und eine prospektive Variante unterschieden. Ein Item-Beispiel für die hemmende Variante ist: »Wenn ich handeln sollte, bin ich vor lauter Unsicher­ heit paralysiert.« Als ein Beispiel für die prospektive Variante steht das Item »Unvorhergesehene Ereignisse regen mich total auf« (Boelen et al., 2016b). Die Autoren befragten zu zwei Messzeitpunkten (zu Beginn und nach sechs Monaten) Personen, deren Verlusterlebnis zu Beginn der Studie zwischen einem und zwölf Monaten zurücklag. Sie interessierte, ob bei den Probanden eine störungsrelevante depressive, posttraumatische oder Trauerbelastung vorlag und welches Ausmaß die IU hatte; Letzteres wurde mithilfe der Intolerance of Uncertainty-Scale (IUS) erhoben. Zum zweiten Messzeitpunkt wurde die prospektive IU nur bei der Anhaltenden Trauerstörung beobachtet, jedoch nicht bei Depressionen und PTBS. Umgekehrt zeigte sich die hemmende Variante nur bei Menschen mit Depressionen oder PTBS. Die Autoren weisen darauf hin, dass das Nicht-aushalten-­ Können von Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Ereignisse eine besondere Eigenheit der Anhaltenden Trauerstörung im Sinne eines Ausdrucks von nicht stattgefundener Anpassung (Adaption) an eine veränderte Lebenssituation sein könnte. Sie

44    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

leiten aus den Untersuchungsergebnissen verschiedene Vermutungen darüber ab, wie sich die prospektive IU bei Trauernden auswirkt. Zum Beispiel könnte sie dazu führen, dass Trauernde aus Angst vor unerwarteten Ereignissen keine neuen Aktivitäten ohne den verstorbenen Menschen starten, die das eigene Befinden und den Gesundheitszustand verbessern könnten. Darüber hinaus könnte die prospektive IU mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein, sich bestimmte positive und negative Ereignisse in der Zukunft vorzustellen; solche Schwierigkeiten hängen mit einer ausgeprägten Anhaltenden Trauerstörung zusammen (siehe auch Maccallum u. Bryant, 2011). Schließlich blockiert nach Meinung von Boelen et al. (2016b) die prospektive IU möglicherweise eine hilfreiche und dem Gesundheitszustand förderliche Auseinandersetzung mit verlustbezogenen Gedanken, Emotionen und Erinnerungen, die zur Integration des Verlusts in das eigene Leben hilfreich und notwendig sein können. Der Befund von Boelen et al. schlägt mit seinen differenzierten Hinweisen und Anregungen eine Brücke zu den ähnlichen bzw. dazu passenden Ergebnissen der neuropsychologischen Studie von O’Connor und Arizmendi (2014; siehe Kapitel 1.3). Sollten sich diese Erkenntnisse in weiteren Untersuchungen bestätigen, könnte dies für die Diagnostik genutzt werden, und zwar sowohl als Abgrenzung zur »normalen« Trauer als auch als Abgrenzung zur Depression und PTBS. Darüber hinaus ließen sich von den Ergebnissen auch zielgerichtete Interventionen für die Therapie ableiten. Ein anderer Ansatz zur Unterscheidung verschiedener Psychopathologien ist die aus der Soziologie stammende Netzwerk­ analyse. Durch die Brille dieses Ansatzes werden psychische Störungen nicht als Vergleich zum Teil langer Checklisten gesehen, sondern plastisch als System interagierender Symptome. Die Art der Vernetzung und die damit verbundene Gewichtung einzelner Symptome bzw. der Verbindung zwischen einzelnen Sym-

Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen   45

ptomen können Aufschluss darüber geben, welche Symptome oder Symptom­gruppen bei einer Störung im Vordergrund stehen (Fried, van Borkulo, Vramer, Boschloo, Schoevers u. Borsboo, 2017). Für Depressionen haben Befunde ergeben, dass Symptome wie niedergedrückte Stimmung, Verlust von Interesse und Freude, Antriebslosigkeit und schnelle Erschöpfung oder Ermüdbarkeit eine zentrale Position im Netzwerk einnehmen. Für PTBS wurden mittels Netzwerkanalyse unter anderem Hypervigilanz, Konzentrationsstörungen, eine starke physiologische Reaktion bei Erinnerungen an das Trauma sowie Schlafstörungen als zentrale Elemente identifiziert (Fried et al., 2017). Maccallum, Malgaroli und Bonnano (2017) analysierten die Netzwerke für die Anhaltende Trauerstörung bei Menschen, die entweder einen Partner oder einen Elternteil verloren haben. Beide Verlustarten unterschieden sich im Netzwerk nur leicht voneinander. Die in ihrer Ausprägung stärksten Verbindungen fanden sich zwischen Sehnsucht und emotionalem Schmerz. Das Gefühl von Sinnlosigkeit war ebenfalls zentral wie auch das Gefühl von Schock oder Betäubung. In ihrer Untersuchung konnten sie jedoch der Vermeidung keine zentrale Rolle zuordnen (Maccallum u. Bryant, 2018). Die marginale Rolle der Vermeidung steht im Kontrast zu den Befunden von Boelen et al. (siehe oben). Der Unterschied könnte darin bestehen, dass Boelen et al. einen speziellen Fragebogen zur Messung der IU eingesetzt haben, während Maccallum et al. zur Messung der Vermeidung nur eine einzige Frage (Frage 4) des Fragebogens PG-13 (Prigerson et al., 2009; siehe Kapitel 2.3) nutzten. Fraglich ist, ob den Teilnehmenden der Studie von Maccallum et al. die eigene prospektive Intoleranz von Unsicherheit so bewusst war, dass die entsprechende Frage im PG-13 reflektiert beantwortet wurde. Zusammenfassend zeigt der Netzwerkansatz auf Basis der bisherigen Studien ebenfalls klar identifizierbare Unterschiede

46    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

zwischen Anhaltender Trauerstörung, Depression und PTBS und liefert zudem Hinweise für Schwerpunkte psychotherapeutischer Interventionen.

2.3 Diagnostik: Aktueller Stand der Dinge bei Fragebögen zur Anhaltenden Trauerstörung

Zu den verschiedenen Formen anhaltender Trauer liegen eine Reihe von Tests und Fragebögen vor. Eine aktuelle Übersicht, die darüber informiert, welche Verfahren in deutscher Sprache vorliegen, haben Müller, Berthold, Bongard, Gramm et al. (eingereicht/a) erstellt. Für die Erfassung der Anhaltenden Trauerstörung haben Prigerson et al. das Inventary for Complicated Grief revised (ICG-R) an die Entwicklung der Diagnose angepasst; Dieser Fragebogen heißt Prolonged Grief-13 (PG-13) (­Prigerson et al., 2009; Müller et al. eingereicht/a) und erfasst alle Symptome des ICD-Diagnoseentwurfs von 2009. Entsprechend den Antworten findet ein Vergleich mit den Kriterien statt, die in der kurzen und einfach gehaltenen Anleitung zu finden sind. Wenn dieser Vergleich positiv ist, sollte die untersuchte Person unbedingt zu »health care professionals« weitergeschickt werden, das heißt zu jemandem, der aufgrund seiner Ausbildung und Expertise den mithilfe des Tests erhaltenen Hinweis auf eine mögliche Störung überprüfen kann (z. B. Psycho­therapeut). Dieser Frage­ bogen existiert auch in Deutsch (Rosner et al., 2015) und hält sich sprachlich eng an das Original (Müller et al., eingereicht/a). Bei ihren Vergleichen der verschiedenen Diagnosevorschlägen (siehe Kapitel 1.4) haben Maciejewski et al. (2016) für die ICD-11-Version der Anhaltenden Trauerstörung nicht den kompletten PG-13-Fragebogen verwendet, sondern eine Version mit sechs Fragen aus dem PG-13 (Fragen 1, 2, 6, 7, 9 und 10) plus die Frage B28 aus dem ICG-R. Inhaltlich ist sie wie der

Diagnostik: Aktueller Stand der Dinge   47

PG-13 und das ICG-R in die Kategorien A und B unterteilt. In Kategorie A beziehen sich beide Fragen auf die Themen »Sehnsucht und Verlangen« bzw. »anhaltende Beschäftigung mit dem Verlust«. In der Kategorie B gibt es jeweils eine Frage zu den Punkten »Es fühlt sich an, als sei ein Teil von mir gestorben«, »Schwierigkeiten, den Tod zu akzeptieren«, »Wut und Verbitterung«, »Schwierigkeiten, das eigene Leben weiterzuleben« sowie »Schuld­gefühle, weiterzuleben«. Die Auswahl der Items der Kategorie B wurde statistisch errechnet, um trotz weniger Fragen eine hohe Spezifität und Sensibilität zu erreichen. Für die praktische Anwendbarkeit im Alltag (Beratungsstelle, Hausarztpraxis etc.) ist die kurze Version mit sieben Fragen hervorragend geeignet. Falls sie sich weiter bewährt, wäre es begrüßenswert, wenn es diesen Kurzfragebogen auch in deutscher Sprache gäbe. Der PG13+9-Fragebogen der Forschungsgruppe um Rosner ist im Internet zu finden, befindet sich aber auch in den von Rosner et al. (2015) herausgegebenen Manualen zur Anhaltenden Trauerstörung. Die Diagnostikhilfsmittel befreien jedoch nicht vom klinischen Urteil darüber, ob die Trauer aus soziokultureller bzw. religiöser Perspektive im Normbereich oder außerhalb des Normbereichs der jeweiligen Kultur einzustufen ist. Solange die Kurzversion des PG-7 noch nicht verfügbar ist, wird empfohlen, den PG13+9-Fragebogen ggf. nur mit den ersten 13 Fragen zu verwenden. Für ein ausführlicheres Screening in deutscher Sprache kann auch das Würzburger Trauerinventar (WüTi) verwendet werden (Wittkowski, 2013; siehe auch ­Müller et al., eingereicht/a). Bonnano und Malgaroli (2019) haben eine Studie veröffentlicht, für die sie kürzlich verwitwete Menschen unter 65 Jahren drei, 14 und 25 Monate nach dem Verlust befragt hatten. Hierfür wurden der PCBD-Fragebogen (der im Appendix des DSM-5 als Forschungsdiagnose gelisteten Störung durch anhaltende komplexe Trauerreaktion) und der PG-13 (Anhaltende Trauer­

48    Anhaltende Trauerstörung (nach ­I CD-11)

störung) eingesetzt. Zusätzlich wurden den Teilnehmenden Fragen zu Depressionen und PTBS gestellt. Mithilfe von Dat­analysen konnten drei Gruppen ermittelt werden: ­resiliente19 Teilnehmende (71 Prozent), Teilnehmende mit mäßig abnehmenden Symptomen (24 Prozent) und Teilnehmende mit anhaltend stabilen Symptomen (5 Prozent). Die PG-13-Ergebnisse identifizierten auch Trauerverläufe mit zunehmender und abnehmender Belastung, das heißt anhaltende Verschlechterung oder akute Erholung der Symptome. Die Vorhersage des Ergebnisses nach 25 Monaten erfolgte ebenfalls präziser durch die PG-13 (Bonnano u. Malgaroli, 2019). Auch wenn die Stichprobe nicht repräsentativ für alle Verlustformen und verschiedene Kulturen war, lieferte sie dennoch einen Hinweis darauf, dass die Verwendung des PG-13-Fragebogens bei der Identifikation von Risikogruppen sehr hilfreich und mit hoher Trefferquote verbunden sein kann. Das Eingangsbeispiel (S. 10 ff.) betrachtend stellt sich die Frage, ob Frau  B. die Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung bekäme. Ihr Verlust liegt mehr als sechs Monate zurück, dennoch bestehen weiterhin eine anhaltende Beschäftigung mit diesem Verlust und eine unstillbare Sehnsucht. Sie erlebt emotionalen Schmerz, der allerdings in der Beschreibung nicht physisch ist, hat Intrusionen und spürt Wut. Zudem sind Beeinträchtigungen im Alltag vorhanden: Sie geht nicht arbeiten, ihre Wohnung ist nicht so ordentlich wie früher20, sie zieht sich aus ihrem sozia­ len Umfeld zurück und reduziert soziale Aktivitäten. Sie berich­ tet aber nicht von Schuldgefühlen und hat auch keine Suizid­ gedanken, wenngleich ihr in manchen Situationen der Gedanke kommt: »Ach wäre ich doch tot.« Befragt mithilfe des PG-7 würde 19 Wörtliche Übersetzung. 20 Es ist wesentlich, zu erfragen, was das Gegenüber als unordentlich bezeichnet. Die Maßstäbe für das Gefühl für Unordnung können ex­trem unterschiedlich sein.

Diagnostik: Aktueller Stand der Dinge   49

sie wahrscheinlich bis auf die Frage nach Schuldgefühlen alle Fragen positiv beantworten, wobei fraglich ist, wie hoch die Aus­ prägungen wären. Bei den ersten beiden Fragen nach der Sehn­ sucht und der Intensität der Beschäftigung würde sie als Häufig­ keit des Auftretens »täglich« angeben. Formal erfüllt sie die Kriterien einer Anhaltenden Trauerstö­ rung. Jetzt stellt sich die Frage, ob ihre Trauer für unseren Kultur­ raum angemessen ist. Seitens Arbeitgeber und Kranken­kassen ist die Dauer schon deutlich zu lang, aus der Perspektive von Trauerberatern und Trauerbegleitern scheint ihr Fall aber nicht untypisch oder besonders schwer zu sein.

☞ Merke: Die Diagnosekriterien der Anhaltenden Trauerstörung im ICD sind angepasst an die Notwendigkeit, dass die ICD-11 interna­ tional und kulturübergreifend anwendbar sein muss. Die Krite­ rien wurden zwar vereinfacht, Trauer darf dennoch nur dann als Störung diagnostiziert werden, wenn sie jenseits der zu erwar­ tenden soziokulturellen Normen für Trauer liegt und seit dem Verlust mindestens sechs Monate vergangen sind. Für die Diagnostik ist es wichtig, Trauer von Depressionen und PTBS unterscheiden zu können. Allerdings besteht ein Bias (Fehler) dahingehend, dass zwar bei der Entwicklung des Kon­ strukts der Anhaltenden Trauerstörung und der damit verbunde­ nen Diagnostik auf eine Abgrenzung zu Depressionen und PTBS geachtet wurde, umgekehrt jedoch nicht. Daher unterscheidet Depressionsdiagnostik nicht zwischen Trauer und Depressionen, bzw. PTBS-Diagnostik nicht zwischen Trauer und PTBS. Das sorgt unter anderem für Verzerrungen zum Beispiel bei der Erfassung, wie viele Trauernde neben einer Anhaltenden Trauerstörung auch Depressionen oder PTBS haben. Mit der Messung prospektiver bzw. hemmender IU wurde ein vielversprechender Ansatz in die Forschung eingebracht, der

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vielleicht zukünftig helfen kann, zwischen Störung und Nicht-­ Störung bzw. zwischen Trauerstörung, PTBS und Depressionen zu unterscheiden. Genau wie auch die Ergebnisse der Netzwerk­ analysen kann der Ansatz der IUs auch hilfreiche Hinweise auf Schwerpunkte bei möglichen Interventionen geben. Aktuell gibt es mit dem PG-13 und dem WüTi zwei hilfreiche Fragebögen in deutscher Sprache. Die Kurzversion PG-7, die bisher nicht veröf­ fentlicht wurde, könnte ein handhabbares Format (nicht nur) für Beratungsstellen und Arztpraxen sein.

3  Modelle anhaltender Trauer

3.1 Das Duale Prozessmodell und das Konzept der Double Awareness

Ein Modell, das sich im Bereich Trauerforschung international und über Kulturen hinweg als hilfreich für Forschung und P ­ raxis erwiesen hat, ist das Duale Prozessmodell der Trauerverarbeitung (DPM) von Stroebe und Schut (1999).21 Eigen ist dem DPM-­ Modell, dass es zwei einander gegenüberstehende Bereiche gibt: ein verlustorientierter und ein wiederherstellungsorientierter. Dieses Modell wird nicht nur für den Bereich der Trauer von den Forschern favorisiert. Auch beim Sterben gibt es ein Modell jenseits reiner Phasenabfolgen oder vorgegebener Aufgaben. Dieses Modell der Double Awareness wurde in der Arbeit mit fortgeschritten krebserkrankten Menschen entwickelt, stammt also aus dem Bereich der Palliativpsychologie bzw. Psycho­onkologie (Colosimo, Nissim, Pos, Hales, Zimmermann u. Rodin, 2017; Mehnert u. Vehling, 2018; Rodin et al., 2018). Im Folgenden werden beide Modelle vom DPM ausgehend vorgestellt und miteinander verglichen (siehe Abbildung 1 und 2).22 21 Müller und Willmann (2016) haben das Modell in seiner Wichtigkeit gewürdigt und erklärt. Bei Wagner (2013, 2016) gibt es ausführliche Herleitungen der Entwicklung der wichtigen, die Arbeit mit Trauernden prägenden Trauermodelle. 22 Diese Darstellung des Konzepts der Double Awareness existiert so in der Literatur nicht, lässt sich aber plausibel daraus ableiten.

Palliativpsychologie bzw. Psychoonkologie (Colosimo, Nissim, Pos, Hales, Zimmermann u. Rodin, 2017; Mehnert u. Vehling, 2018; Rodin et al., 2018). Im Folgenden werden beide Modelle vom DPM ausgehend vorgestellt und miteinander verglichen (siehe Abbildung 1 und 2).23 52   Modelle anhaltender Trauer

Abbildung 1: Basismodell für die letzte Lebensphase mit Krankheit und für Trauer

Abbildung 1: Basismodell fürein die für letzte Lebensphase Krankheit und Schema. für Trauer Abbildung 1 zeigt beide Modellemit grundlegendes Setzerin: bitte die doppelte Abbildungsunterschrift löschen

In Abbildung 2 ist das vom Basismodell abgeleitete Double-­ Awareness-Modell für die fortgeschrittene palliative Situation 22 Müller und Willmann (2016) haben das Modell in seiner Wichtigkeit gewürdigt und erklärt. Bei Wagner erkrankter Menschen dargestellt23. (2013, 2016) gibt es ausführliche Herleitungen der Entwicklung der wichtigen, die Arbeit mit Trauernden Nach dem Konzept von Rodin et al. (2018) bezieht sich die prägenden Trauermodelle. 23 Diese Darstellung des Konzepts Doubleauf Awareness existiert so in der Literatur nicht, lässt sich aber eine Seite (linkesderOval) »Angelegenheiten des Sterbens« plausibel daraus ableiten. und die andere Seite (rechtes Oval) auf »Angelegenheiten des Lebens«. Beide Seiten beinhalten verschiedene Bewusstheits­ zustände und sind potenziell jedem schwer kranken Menschen mit begrenzter Lebenserwartung eigen. Er kann sich in der Regel nur in einem Zustand befinden, aber zu anderen Zuständen wechseln, insbesondere wenn die Konfrontation mit dem Sterben schwer auszuhalten ist. 23 In der Originalpublikation gibt es dieses graphische Modell nicht. Aber es lässt sich hervorragend in die Struktur des DPM übernehmen bzw. an diese anpassen.

Das Duale Prozessmodell    53

Dasein als fortgeschritten erkrankter Mensch Angelegenheiten des Sterbens Wissen und sich bewusst sein über • Erkrankungssituation • noch verbleibende Zeit Körperliche Veränderungen erleben Patient*in sein Sich als Last erleben Einen Umgang mit der Erkrankungssituation finden, an der Situation wachsen Wellen von Schmerz, Abschiede, Trauerarbeit

Angelegenheiten des Lebens • Alltagsprobleme bewältigen • Hoffnung, Wünsche, Träume, Pläne • das eigene Leben und die Krankheit organisieren • Die Zeit nutzen • Ablenkung von Krankheit und Sterben, Leugnung und Vermeidung

Hin und her oszillieren, aber auch flexibel nach Bedürfnis wechseln können

Abbildung 2: Basismodell der Double Awareness in palliativer Situation

Basismodell Double Awareness in palliativer Situation

Abbildung 2: Basismodell der Double Awareness in palliativer Situation Setzerin: bitte die doppelte Abbildungsunterschrift löschen

Lebenslimitierende Erkrankungen wie eine fortgeschrittene Krebserkrankung Herzinsuffizienz konfrontieren MenAbbildung 1 zeigt ein für beideoder Modelle grundlegendes Schema. In Abbildung 2 ist das vom schen mit ihrerDouble-Awareness-Modell eigenen Sterblichkeit, mit Abschied, Trauer und Basismodell abgeleitete für die fortgeschrittene palliative 24. SituationVerlusten. erkrankter Es Menschen bestehtdargestellt aber auch die Möglichkeit, an dieser in der Nach dem Konzept von Rodin et al. (2018) bezieht sich die eine Seite (linkes Oval) auf Regel nicht herbeigewünschten Situation zu wachsen. Das linke „Angelegenheiten des Sterbens“ und die andere Seite (rechtes Oval) auf „Angelegenheiten Oval enthält diesind Aspekte der Krankheit mitkranken ihren Auswirkungen, des Lebens“. Beide Seiten potenziell jedem schwer Menschen mit begrenzter ihren verschiedenen Bewusstseinszuständen und mit dem, wassein, aber Lebenserwartung eigen. Er kann in der Regel nur auf einer dieser beiden Seiten zur anderen wechseln, insbesondere wenn die Konfrontation mit dem Sterben schwer einem schwer erkrankten Menschen in Bezug auf seine Progauszuhalten ist. nose bewusst ist. Zentrales Element ist dabei das Bewusstsein Lebenslimitierende Erkrankungen wie eine fortgeschrittene Krebserkrankung oder bzw. Wissen in Bezug auf die Prognose (»prognostic awareness«), Herzinsuffizienz konfrontieren Menschen mit ihrer eigenen Sterblichkeit, mit Abschied, dasVerlusten. alle anderen Bereiche kann. an dieser in der Regel nicht Trauer und Es besteht aber beeinflussen auch die Möglichkeit, herbeigewünschten Situation zugibt wachsen. Das linkebei Oval enthältkranken die Aspekte der Krankheit Dem gegenüber es aber auch schwer Menmit ihrenschen Auswirkungen, ihren verschiedenen Bewusstseinszuständen und mit dem, was eine andere Seite (rechtes Oval), bei der die Herausforeinem schwer erkrankten Menschen in Bezug auf seine Prognose bewusst ist. Zentrales des Lebens neben der Krankheit imdie Mittelpunkt steElement derungen ist dabei das Bewusstsein bzw. Wissen in Bezug auf Prognose („prognostic hen.das Hier kann es um Alltag,beeinflussen Normalität,kann. Pläne schmieden oder awareness“), alle anderen Bereiche Dem gegenüber gibt es aber gehen auch beiund schwer eineauch andere Seite (rechtes Zukunftsträume beikranken der derMenschen Betroffene mal Oval), bei der es um die Herausforderungen des Alltags geht; die dem Leben zugewandt ist. Hier kann es um Alltag, Normalität, Pläne schmieden oder Zukunftsträume gehen und bei der der Betroffene auch mal etwas anderes ist als nur krank. Bei der es aber auch darum 24

In der Originalpublikation gibt es dieses graphische Modell nicht. Aber es lässt sich hervorragend in die

54   Modelle anhaltender Trauer

etwas anderes ist als nur krank. Bei der es aber auch darum geht, das eigene Leben um die und mit der Erkrankung zu regeln und zu meistern (»life awareness«). Die Vertreter des Modells »Double Awareness« (Abbildung 2) gehen davon aus, dass es für den betroffenen Menschen problematisch ist, wenn er an einer (oder ggf. mehreren) Herausforderung »hängenbleibt« und ein Hin-und-her-Wechseln zwischen den verschiedenen Zuständen dann nicht mehr möglich ist. Gezielte therapeutische Maßnahmen können dabei helfen, die Fixierung zu lösen und das Pendeln wieder in Fluss zu bringen. Ziel nach diesem Modell wäre, dass die Person dazu in der Lage ist, einen Umgang mit den Herausforderungen beider Seiten zu finden, damit sie flexibel zwischen den verschiedenen Zuständen wechseln kann, je nachdem, was ihr guttut oder notwendig ist. Dabei ist es möglich, Aufgaben oder Phasen ins Modell zu integrieren, wenn es für den jeweiligen Menschen in der jeweiligen Kultur passt. Die Flexibilität, zwischen den verschiedenen Zuständen beider Seiten wechseln zu können, wird im Englischen als »double awareness« bezeichnet (»doppelte Bewusstheit«; Colosimo et al., 2017; Rodin et al., 2018). Sie bietet den Betroffenen die Möglichkeit, auch mal Auszeiten von der Last des Leidens oder Sterbens nehmen zu können. Das kann sich beispielsweise darin zeigen, dass ein schwer kranker Mensch reflektiert mit einem Arzt oder einer Ä ­ rztin über seine Situation und die nur noch kurze verbleibende Lebenszeit spricht, aber zwanzig Minuten später, als ob es das Gespräch nicht gegeben hätte, gegenüber der Pflegekraft Pläne für einen Sommerurlaub im nächsten Jahr ausbreitet. Im Modell der Double Awareness und im DPM der Trauer­ verarbeitung wird Abwehr im Sinne von Vermeidung oder Verleugnung danach bewertet, ob sie den Fluss zum Stocken bringt oder eine wohltuende Auszeit von der schweren Situation

Das Duale Prozessmodell    55

Alltagserfahrungen

Wiederherstellungsorientiert

Verlustorientiert

Sich den Veränderungen des Lebens stellen

Trauerarbeit

Neue Dinge unternehmen

Wellen von Schmerz

Ablenkung von der Trauer, Leugnung, Vermeidung des Schmerzes

Transformieren der Bindung zum Verstorbenen Veränderungen im Leben vermeiden, verdrängen

Neue Rollen, neue Identitäten, neue Beziehungen aufnehmen

Hin und her oszillieren, aber auch flexibel nach Bedürfnis wechseln können

Abbildung 3: Duales Prozessmodell der Trauerverarbeitung nach Stroebe

Duales Prozessmodell Trauerverarbeitung nachWillmann Stroebe und(2016) Schut 1999, Modell nach Müller und Willmann 2016 und Schut der (1999) und Müller und

Abbildung 3: Duales Prozessmodell der Trauerverarbeitung nach Stroebe und Schut (1999) In beiden und Müllerermöglicht. und Willmann (2016) Modellen sind sowohl emotions- als auch Setzerin: Korrektur in der Abbildung: Bindung statt Bildungmöglich. problemorientierte Bewältigungsstrategien Setzerin: bitteÜbertragen die doppelteauf Abbildungsunterschrift löschen die Situation von Trauer nach einem Verlust

bekommen die Ovale im Schema zwar andere Namen, aber auch für die Trauernden ist es im oder Rahmen des DPMkönnte der TrauerverIn einem Trauerprozess hängenzubleiben festzustecken so aussehen: Eine abeitunges,hilfreich, wenn sie zwischenSie denstellt Herausforderungen Person vermeidet neue Dinge zu unternehmen. sich dadurch nicht den Veränderungen Lebens und nimmt keine neuen Rollen, Identitäten oderan Beziehungen beiderdes Seiten pendeln bzw. oszillieren können und nicht auf, weil die Angst vor Ungewissheit sie hemmt. Für die Person ist ein Pendeln einer oder mehreren Herausforderungen hängenbleiben (siehenicht möglich weil sie nur auf der verlustorientierten Seite bleibt. Prospektive Intoleranz von Unsicherheit Abbildung 3). (IU) wirkt in dieser Weise auf Trauernde und bringt den Fluss der Trauerverarbeitung ins In einem Trauerprozess hängenzubleiben oder festzustecken Stocken (Boelen et al., 2016b). könnte so gezielt aussehen: Eine Person vermeidet es, neue Dinge zu die Psychotherapie kann an der Angst vor dem Ungewissen ansetzen. Auch Ergebnisseunternehmen. der oben genannten Netzwerkanalyse setzen einen Schwerpunkt der Sie stellt sich dadurch nicht den Veränderungen Symptomatik auf der verlustorientierten Seite (Maccallum u. Bryant, 2017) und des Lebens und nimmt keine neuen Rollen, Identitäten oder lassen sich ins Modell einfügen. Beziehungen auf, weil die Angst vor Ungewissheit sie hemmt. Für die Person ist ein Pendeln möglich, sie Prozessmodell nur auf der 3.2 Bindungstheoretische Erkenntnisse imnicht Hinblick auf dasweil Duale Die Bindungstheorie basiert aufSeite der Analyse und Einschätzung der Qualität der frühen verlustorientierten bleibt. Prospektive Intoleranz von UnsiMutter-Kind-Beziehung. Sie konzentriert sich auf die emotionalen Bedürfnisse des Kindes und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung zu vor allem emotional bedeutsamen Menschen. Sie hat einen wichtigen Beitrag für die psychologische Forschung und Psychotherapie geleistet und ist auch im Bereich der Trauerberatung und Trauerforschung ein wichtiger Baustein. In das DPM lässt sich die Bindungstheorie sehr gut

56   Modelle anhaltender Trauer

cherheit (IU) wirkt in dieser Weise auf Trauernde und bringt den Fluss der Trauerverarbeitung ins Stocken (Boelen et al., 2016b). Psychotherapie kann gezielt an der Angst vor dem Ungewissen ansetzen. Auch die Ergebnisse der oben genannten Netzwerkanalyse setzen einen Schwerpunkt der Symptomatik auf der verlustorientierten Seite (Maccallum u. Bryant, 2017) und lassen sich ins Modell einfügen.

3.2 Bindungstheoretische Erkenntnisse im Hinblick auf das Duale Prozessmodell

Die Bindungstheorie basiert auf der Analyse und Einschätzung der Qualität der frühen Mutter-Kind-Beziehung. Sie konzen­ triert sich auf die emotionalen Bedürfnisse des Kindes und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung zu vor allem emotional bedeutsamen Menschen. Sie hat einen wichtigen Beitrag für die psychologische Forschung und Psychotherapie geleistet und ist auch im Bereich der Trauer­beratung und Trauerforschung ein wichtiger Baustein. In das DPM lässt sich die Bindungstheorie sehr gut integrieren, was Müller und Willmann (2016) anschaulich dargestellt haben. Prägende Bindungserfahrungen beginnen im Mutterleib und finden dann vor allem in den ersten Lebensmonaten statt. Menschen sind also nicht für ihren Bindungsstil verantwortlich. Und auch die den Bindungsstil prägenden Bezugspersonen sind jeweils Kinder ihrer Verhältnisse. Wenn ein gewisser Leidensdruck besteht, bleibt die Möglichkeit, sich mittels Unterstützung des eigenen Bindungsstils bewusst zu werden und dann an Veränderungen zu arbeiten mit dem Ziel, besser mit mit sich und anderen klarzukommen. Vier Bindungsstile werden bei Kindern nach Bowlby (2010) unterschieden:

Bindungstheoretische Erkenntnisse   57

• sicher, • unsicher-distanziert, • unsicher-vermeidend bzw. unsicher-ambivalent, • desorganisiert. Es wird davon ausgegangen, dass Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil nach einem Verlust das höchste Risiko haben, an einer psychischen Störung wie zum Beispiel PTBS und/oder Depressionen zu erkranken. Personen mit einem unsicher-­distanzierten Bindungsstil haben hingegen das höchste Risiko, eine Anhaltende Trauerstörung zu entwickeln. Erstere befinden sich schwerpunktmäßig auf der verlustorientierten Seite, Letztere weisen hingegen ein gestörtes Pendeln zwischen der verlustorientierten und der wiederherstellungsorientierten Seite auf (Müller u. Willmann, 2016). So hilfreich die Bindungstheorie für die Praxis ist, gilt es auch, Begrenzungen zu beachten. Beispielsweise müssen neben dem unbestreitbar großen Einfluss der Mutter auf den Bindungsstil auch andere wichtige Einflüsse berücksichtigt werden. Darüber hinaus kann nicht davon ausgegangen, dass allein der mütter­ liche Einfluss für das spätere Bindungsverhalten oder psychische Störungen verantwortlich ist (siehe z. B. Dornes, 1998; ­Grossmann u. Grossmann, 2011; Stahlmann, 2007). Nach Maccallum und Bryant (2018) wird in der aktuellen Diskussion um Bindungsstile bei Erwachsenen vor allem ein Modell diskutiert, das zwei Dimensionen und deren jeweilige Ausprägung beschreibt: Bindungsangst und Bindungsvermeidung (Minkulincer u. Shaver, 2012). Danach sind Menschen mit großer Bindungsangst in hohem Maße auf zwischen­menschliche Beziehungen angewiesen, um ein Gefühl der Sicherheit zu erhalten. Auf Stress und Belastung wie zum Beispiel soziale Ablehnung reagieren sie mit einer Überaktivierung des Bindungs­systems. Das kann zu Hypervigilanz führen, die sich zum Beispiel in einer

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stark erhöhten Aufmerksamkeit für den Menschen zeigt, auf den die Bindungsbedürfnisse gerichtet sind. Infolge davon kann ein starker Drang entstehen, die gewünschte Nähe herzustellen. Menschen mit Bindungsvermeidung vertrauen nicht darauf, dass sie in schwierigen Situationen von anderen Unterstützung bekommen. Sie neigen dazu, sich emotional von engen Beziehungen zurückzuziehen, um den damit verbundenen emotionalen Schmerz zu minimieren (Minkulincer u. Shaver, 2012). Es wird angenommen, dass starke Ausprägungen in Bezug auf Bindungsangst bzw. Bindungsvermeidung ein hohes Risiko für emotionale Probleme und Störungen mit sich bringen. Betroffene nach einem Verlust haben dezufolge ein erhöhtes Risiko für eine Anhaltende Trauerstörung. Im Zusammenhang mit Trauer kann eine mit Bindungsangst verbundene Hyper­aktivierung die Sehnsucht nach der nicht verfügbaren verstorbenen Bindungsfigur verstärken und so die Not aufrechterhalten. Die Bindungsvermeidung kann hingegen die Not lindern, aber auch die Inanspruchnahme sozialer Unterstützung und die Entwicklung neuer Bindungen behindern (Maccallum u. Bryant, 2018). Bisher gibt es zwar viele theoretische Abhandlungen über Bindungsstile und Trauer, aber wenig empirische Untersuchungen. Diese fanden laut Maccallum und Bryant einen Zusammen­ hang zwischen der Ausprägung der Bindungsangst und einem ungünstigeren Umgang mit der eigenen Trauer, inklusive damit einhergehenden psychischen Störungen wie Anhaltender Trauer. Zum vermeidenden Bindungsstil sind die wenigen Forschungsergebnisse nicht eindeutig. Maccallum und Bryant haben deshalb in einer Studie Trauernde mit einer durchschnittlichen Dauer von 3,59 Jahren nach einem Verlust dahingehend untersucht, inwieweit welcher Bindungsstil zu welcher Trauer­ reaktion führt. Sie erfassten unter anderem Depressionen und Anhaltende Trauerstörung als mögliche Trauerreaktionen und konnten die Teilnehmenden diesbezüglich in drei Gruppen ein-

Bindungstheoretische Erkenntnisse   59

teilen: Gruppe 1 zeigte starke Symptome Anhaltender Trauer­ störung und Depression, Gruppe 2 war charakterisiert durch starke Depressionssymptome und Gruppe 3 wies insgesamt nur gering ausgeprägte Symptome auf. Der Aspekt der Bindungsangst unterschied sich signifikant zwischen den drei Gruppen. In Gruppe 1 war die Bindungsangst stark ausgeprägt, in Gruppe 3 hingegen gering. In Gruppe 1 und 2 befanden sich Personen mit stark ausgeprägter Bindungsvermeidung und schweren Depressionen. In Gruppe 3 waren hingegen Personen mit gering ausgeprägter Bindungsvermeidung zu finden. Laut den Autoren kann die Ausprägung der Bindungsangst oder -vermeidung wichtige Hinweise auf das Risiko für eine Anhaltende Trauerstörung liefern. Zudem haben Personen mit starker Bindungsvermeidung ein hohes Risiko, an Depressionen zu erkranken. Wie lassen sich diese Ergebnisse in das DPM integrieren? Diejenigen mit starker Bindungsangst haben als Trauernde wahrscheinlich eine sehr starke Verlustorientierung und verharren vor allem im Trennungsschmerz (siehe auch Müller u. Willmann, 2016). Bei bindungsvermeidenden Trauernden kann nicht unbedingt eine Belastung abgeleitet werden, nur weil sie eine Auseinandersetzung mit dem Verlust vermeiden. Da diese Vermeidung aus Angst und zum eigenen Schutz geschieht und ihr nichts Positives oder Stärkendes zur Seite gestellt werden kann, verhindert sie, dass ein Prozess auf der verlustorientierten Seite in Fluss kommen kann. Dennoch entsteht ein Pendeln zwischen der verlustorientierten und der wiederherstellungsorientierten Seite, weil auf beiden Seiten genügend Herausforderungen warten. Allerdings findet auf der wiederherstellungsorientierten Seite ebenfalls eine Vermeidung statt, die keinen Prozess zulässt. Es stockt auf beiden Seiten, so dass das Pendeln nichts voranbringt und keine Entlastung schafft.

60   Modelle anhaltender Trauer

Diese Beschreibung träfe auf innerpsychische Prozesse von Personen zu, denen als Kind ein desorganisierter Bindungsstil zugeschrieben worden wäre. Allerdings haben sich solche Personen in der Studie von Maccallum und Bryant sowohl in Gruppe 1 als auch in Gruppe 2 befunden. Dies legt den Schluss nahe, dass es in der Gruppe mit stark ausgeprägter Bindungvermeidung Untergruppen gibt, die möglicherweise eingeteilt werden können in eine Untergruppe mit hohem Distress24 und hoher ­Symptomlast durch Anhaltende Trauerstörung und Depressionen, eine Untergruppe mit vorwiegend Anhaltender Trauerstörung und eine Untergruppe mit starken Depressionen.

3.3 Zusammenführung wesentlicher Ansätze und Ableitung von Interventionszielen

Nun gilt es zu überprüfen, inwieweit sich das DPM und die Ergebnisse der Bindungsforschung25 mit dem Konzept der In­­ tole­ranz gegenüber Unsicherheit (IU) kombinieren lassen. Bei den Bindungsvermeidenden dürften je nach der im Vordergrund stehenden Symptomatik beide IU, die hemmende und die prospektive, möglich sein. Die von Angst dominierte Vermeidung von Nähe, von neuen Rollen, von neuen Aufgaben oder Erlebnissen bzw. die Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem Verlust kann in einen Paralyse­zustand führen. Dieser mündet zusammen mit einer allgemein hohen Belastung und fehlenden Ressourcen bei Trauer fast zwangsläufig in eine Art erlernte Hilflosigkeit (Seligman, 1979) und den damit verbundenen Ohnmachtsgefühlen, die in eine schwere Depression 24 Distress meint negativen psychischen Stress und die damit einhergehende Belastung. 25 Beide oben beschriebenen Bindungsstile (Bindungsangst und -vermeidung) sind durch Angst in hoher Ausprägung gekennzeichnet.

Zusammenführung wesentlicher Ansätze   61

münden können (Gruppe 2). Sollte der Tod als traumatisch erlebt worden sein, mag die Symptomatik der PTBS im Vordergrund stehen (Gruppe 1). Wenn Symptome einer Anhaltenden Trauer­störung vorhanden sein sollten, dann wären nicht sie, sondern die PTBS-Symptome in Gruppe 1 das führende Problem. Die Struktur der Gruppe 1 als »Trauer­störung und Depression gemischt« macht es schwierig, einen Bezug zum IU-Ansatz herzustellen, da er zwischen Anhaltender Trauer­ störung, Depression und PTBS unterscheidet. Diesbezüglich bedarf es noch Untersuchungen, die die Mischgruppe »Depression/Trauer« genauer dahingehend betrachtet, inwiefern es voneinander abgrenzbare Untergruppen gibt, die eine Verbindung mit dem IU-Konzept ermöglichen. Die Heterogenität der Mischgruppe dürfte ihre Ursache in dem Bias haben, dass zwar die Anhaltende Trauerstörung von Depressionen und PTBS abgegrenzt wird, umgekehrt aber die Messverfahren nicht darauf ausgelegt sind (siehe Kapitel 2.2). Wenn wie bei der Untersuchung über die IU trotzdem ein Unterschied zwischen Depressionen und Trauer aufgezeigt wird, dann hat das unter diesen Umständen Gewicht. Die Ergebnisse einer Untersuchung von Trevino et al. (2018) unterstreichen die bisher diskutierten Befunde und stehen im Einklang mit den Annahmen des DPM. Die Autoren befragten pflegende Angehörige von schwer krebserkrankten Menschen vor dem Verlust und ca. sechs Monate nach dem Verlust mit dem Ziel, psychosoziale Herausforderung und ihren Einfluss auf Lebensqualität und Gesundheit zu untersuchen. Dafür setzten sie unter anderem die Bereavement Challenge Scale (BCS) ein. Anhand der Datenanalysen ergaben sich fünf Herausforderungen für die Trauernden: 1) Herausforderung, in (neue) Beziehungen zu treten, 2) Herausforderung bei den Veränderungen und dem Wandel, 3) Herausforderung, sich eine hoffnungsvolle Zukunft vorzustellen, 4) Herausforderung des Akzeptierens des

62   Modelle anhaltender Trauer

Verlusts und 5) Herausforderung, mit eigenen Schuld­gefühlen umzu­gehen. Außerdem zeigte sich folgender Zusammenhang: Je größer bzw. schwerer die Herausforderungen waren, desto schlechter wurde die Lebensqualität beurteilt, desto stärker ausgeprägt waren die Symptome einer anhaltenden Trauer und desto höher war die Wahrscheinlichkeit, Kriterien für eine psychische Störung zu erfüllen. Nach Meinung der Autoren sind diese Erkenntnisse wichtig, um die Herausforderungen, mit denen Trauernde konfrontiert sind, besser zu verstehen und daraus entsprechende thera­ peutische Interventionen abzuleiten. Allerdings müsste noch untersucht werden, wie mögliche Interventionen an Herausforderungen ansetzen sollten, damit sie zu einer Verringerung des Risikos einer psychiatrischen Diagnose und zu einer Reduktion der Symptome einer anhaltenden Trauer(-störung) führen können (Trevino et al., 2018). Drei der fünf Herausforderungen befinden sich auf der wiederherstellungsorientierten und zwei auf der verlustorientierten Seite des DPM. Die drei wiederherstellungsorientierten Herausforderungen passen zum Konzept der prospektiven IU und alle fünf stehen im Einklang mit den Annahmen der Bindungstheorie. Es stellt sich die Frage, wie alle bisherigen Erkenntnisse in Bezug auf die Bindungserfahrungen und deren Auswirkungen auf Trauerverarbeitung therapeutisch genutzt werden können. In der Therapie von Bindungsängstlichen sollten folgende Ziele verfolgt werden: • Reduktion der Angst vor Ungewissheit (Reduktion der prospektiven IU). • Potenzial schaffen für eine weniger abhängige Beziehungs­ gestaltung und mehr Eigenständigkeit der Betroffenen. • Gezielte Maßnahmen, um bei dem jeweiligen Zustand anzusetzen, an dem der trauernde Mensch im Bereich der Verlustorientierung ins Stocken gekommen ist, um dann wieder

Zusammenführung wesentlicher Ansätze   63

ins Pendeln kommen zu können; dabei bieten die Herausforderungen für Trauernde einen Anhalt, um gezielt nach Bereichen zu suchen, in denen Stärkung von entsprechender Kompetenz, Stärkung von vorhandenen und ggf. Aufbau von neuen Ressourcen sowie Sinnfindung je nach individueller Leidenssituation und Problematik eingesetzt werden können. Gerade das zweite Ziel bedarf sowohl im psychotherapeu­tischen Setting als auch in der Trauerberatung und in Trauergruppen Achtsamkeit seitens der Beratenden, Therapierenden oder Unterstützenden, damit nach gelungener Stabilisierung ein kontinuierlicher Ablösungsprozess erfolgt, der am günstigsten parallel zum Aufbau von Selbstwertgefühl stattfindet. Zeitgleich bedarf es einer systematischen Desensibilisierung hinsichtlich der Unsicherheit zum Beispiel mittels Exposition26, das heißt, es bedarf einer konstruktiven Auseinandersetzung inklusive praktischer Übungen mit dem Ergebnis, weniger Angst vor dem Ungewissen zu haben und mehr auf sich selbst vertrauen zu können. Dabei ist zu beachten, dass die Mitgliedschaft zum Beispiel in einer Trauergruppe das Risiko birgt, dass sich die emotionale Abhängigkeit vom Verstorbenen auf die Gruppe überträgt. Eine Konsequenz wäre die Verhinderung von posttraumatischem Wachstum und anstelle dessen nur eine Fortsetzung des bisherigen Bindungsmusters. Bei Bindungsvermeidenden bedarf es des Bewusstseins für das Risiko einer Depression bzw. einer PTBS (je nach Ausprägung des Bindungsstils und weiterer individueller Faktoren) und im Bedarfsfall entsprechender Therapieangebote. Erst wenn Depressionen bzw. PTBS sich in einem erträglichen Bereich befinden,

26 Desensibilisierung und Exposition sind Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie.

64   Modelle anhaltender Trauer

kann die Therapie Betroffener den Fokus auf Trauer richten und daran arbeiten, den Trauerprozess in Fluss zu bringen.

☞ Merke: Das DPM ermöglicht es, Problemfelder und Ressourcen bei Trauer zu identifizieren, und bietet ein Gerüst für verschiedene erfolgsversprechende therapeutische Ansätze bei Anhaltender Trauerstörung. Bei den vorhandenen Therapieansätzen bietet sich die Zielsetzung an, den Betroffenen zu ermöglichen, zwi­ schen den verschiedenen Zuständen der verlustorientierten und wiederherstellungsorientierten Seite zu pendeln und dabei mög­ lichst im Fluss zu sein. Dabei scheint insbesondere bei Anhalten­ der Trauerstörung die Reduktion der Intoleranz von Unsicherheit (IU) mit entsprechenden psychotherapeutischen Interventionen ein vielversprechender Ansatz zu sein. Bindungsstile in starker Ausprägung können einen Hinweis darauf geben, ob eher das Risiko für Depression, PTBS oder Anhaltende Trauerstörung besteht und welche Ängste im Vordergrund stehen können. Die Netzwerkanalyse und die Identifizierung der Herausforde­ rungen für Trauernde vermögen ebenfalls, wertvolle Hinweise für Ansatzmöglichkeiten in der Therapie zu liefern. Pro­blematisch für die Integration verschiedener Ansätze ins DPM ist der in Kapi­ tel 2 erwähnte potenzielle grundsätzliche Fehler hinsichtlich der Abgrenzung von Depression und PTBS zur Anhaltenden Trauer­ störung.

4 Therapieansätze

Im Folgenden sollen aktuelle Therapieansätze dahingehend beleuchtet werden, ob sie die aus den bisher diskutierten Untersuchungen abgeleiteten Ziele berücksichtigen. Bislang liegen zu Trauer bzw. zur Anhaltender Trauer­störung meines Wissens keine Studien über tiefenpsychologische, gesprächspsychotherapeutische oder – mit Ausnahme der eher präventiv orientierten Family Focused Grief Therapy (Kissane, McKenzie, Bloch, Moskowitz, McKenzie u. O’Neill, 2006) – über systemtherapeutisch orientierte Ansätze vor, deren Wirkungsweise wissenschaftlich untersucht worden wäre. Bis zum Jahr 2013 gab es nur Studien zu Interventionen der kognitiven Verhaltenstherapie, bei denen eine Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte (Wagner, 2013). Bei Wagner finden sich ein Überblick über Therapieansätze und ihre Wirksamkeit sowie ein hilfreiches Manual, das sich am Stand der Dinge zur klassischen kognitiven Verhaltenstherapie (angelehnt an Boelen, van den Hout u. van den Bout, 2006) orientiert und Elemente der Gestalttherapie und der Spurensuche einbezieht; allerdings liegen zum Manual keine Forschungsergebnisse vor. Die Arbeitsgruppe um Rosner et al. hat ebenfalls ein Therapiemanual vorgelegt (Rosner et al., 2015). Dieses unterscheidet sich nicht wesentlich von Wagners Manual. Aktuell wird dazu eine Studie durchgeführt, deren Ergebnisse noch ausstehen (siehe Rosner, Rimane, Vogel, Rau u. Hagl, 2018).

66   Therapieansätze

4.1  Kognitive Verhaltenstherapie für Trauernde

Boelen et al. haben einen Therapieansatz entwickelt und evaluiert (Boelen et al., 2006; Boelen, de Keijser, van den Hout u. van den Bout, 2007), der darauf basiert basiert, dass in der Entwicklung der Anhaltenden Trauerstörung drei Prozesse entscheidend sind: unzureichende Verarbeitung und Integration des Verlusts in das eigene autobiografische Wissen, negative gefestigte Überzeugungen und Fehlinterpretationen von Trauererleben sowie ängstlich-depressive Vermeidungsstrategien. Diesen Prozessen stehen drei übergeordnete Ziele gegenüber, über die Boelen et al. (2006, S. 119) schreiben: »Es bedarf der konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Verlust, damit dieser in das vorhandene autobiografische Wissen integriert werden kann. Problematische Überzeugungen und Interpretationen müssen identifiziert und geändert werden. Ängstlich-depressive Vermeidungsstrategien müssen durch hilfreichere Strategien ersetzt werden, die einen Anpassungsprozess erleichtern.« Die wesentlichen therapeutischen Elemente im Rahmen des Therapieansatzes sind kognitive Umstrukturierung und Exposition (siehe auch Kapitel 4.2). Kognitive Umstrukturierung meint hier, negative und nicht hilfreiche Gedanken in Bezug auf den Verlust, die Trauer, die eigene Person und andere wichtige Personen herauszuarbeiten und ihnen hilfreichere entgegenzusetzen. Ziel ist, dadurch auf Dauer dahinterliegende Überzeugungen zu verändern. Exposition ist eine gezielte Auseinandersetzung mit Dingen oder Situationen, die aus Angst vermieden wird, wie zum Beispiel das Aufsuchen der Grabstelle. Das beinhaltet, sich nach gezielter Vorbereitung angeleitet (Hilfe zur Selbsthilfe) und ohne jegliche Vermeidung einer Situation oder einem Gedanken auszusetzen, die oder der normalerweise Angst auslöst. Dadurch soll sich der Organismus an die Situation gewöhnen und die erlebte Emotion Angst soll sich zusammen mit den oft als extrem verunsichernden

Exposition   67

dazugehörigen körperlichen Reaktionen durch wiederholtes Üben dauerhaft reduzieren. Je nach Art der Angst können Expositionsübungen in vivo (z. B. bei Angst vor dem Straßenbahnfahren so lange Straßenbahn zu fahren, bis die Angst deutlich zurückgeht) oder in sensu (sich dem Reiz gedanklich auszusetzen, was vor allem bei angstauslösenden Gedanken oder Vorstellungen hilfreich ist, bei denen keine Situation konkret aufgesucht werden kann) durchgeführt werden. Je nach Art der Angst lassen sich beide Varianten auch kombinieren. Expositionsübungen können dabei helfen, eine nicht hilfreiche Vermeidung zu reduzieren. Boelen et al. haben in ihrem Therapieansatz den Part der Exposition so gestaltet, dass zunächst die belastenden Vorstellungen erarbeitet und in eine Hierarchie gebracht werden, um dann nach und nach mittels Exposition in sensu eine Gewöhnung und damit eine veränderte Bewertung der Vorstellungen zu erreichen (Boelen et al., 2007). Darüber hinaus sind auch Aktivierung und Förderung hilfreichen Verhaltens Teil der Behandlung. Sie unterstützen die Patienten darin, wieder am Leben teilzuhaben und positive Erfahrungen sammeln zu können. Die Therapie ist zudem offen für individuell notwendige weitere Interventionen wie zum Beispiel Psychoedukation oder Exposition in vivo bei vorhandener Vermeidung, sich zum Grab zu begeben (Boelen, 2008). In einer randomisierten Studie konnten Boelen et al. zeigen, dass ihr Therapiekonzept im Vergleich zu einer supportiven Trauerberatung ohne Interventionen mit kognitiver Verhaltenstherapie eine signifikante Verbesserung der Trauersymptomatik bewirkte (Boelen et al., 2007).

4.2 Exposition

Exposition ist keine eigene Therapie, aber meist zentrales Therapieelement in der Arbeit mit Trauernden, um die Selbstwirk-

68   Therapieansätze

samkeit zu erhöhen und Ängste zu reduzieren, die den Fluss des Trauerprozesses behindern. Deshalb wird im Folgenden auf die Wirksamkeit von Expositionen eingegangen. Mit der Zielsetzung, Exposition als Wirkfaktor einer Therapie zu untersuchen, teilten Bryant, Kenny, Joscelyne, Rawson, Maccallum, Cahill und Hopwood (2019) ihre Probanden zufällig in zwei Gruppen ein, wobei die eine Gruppe kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ohne Exposition und die andere Gruppe KVT mit Exposition erhielt. Die Therapie dauerte zehn Wochen mit einer Sitzung pro Woche und fand in Gruppen statt. Zusätzlich wurden nach der zweiten Gruppentherapiesitzung wöchentlich jeweils vier Einzel­sitzungen durchgeführt. In der Untersuchungsgruppe wurde eine Exposition in sensu zum Thema Tod bzw. Sterben des geliebten Menschen und zu den Umständen des Sterbens eingesetzt. In der Kontrollgruppe fanden ebenfalls vier Einzel­ sitzungen statt, in denen die Teilnehmenden über Themen sprechen konnten, die ihnen wichtig waren (Bryant et al., 2019). Inhalte der Sitzungen beider Gruppen waren: »1: Psychoedukation über anhaltende Trauer; 2: Vermittlung des Therapierationals, das heißt, warum wird was wie in der Therapie gemacht. 3, 4 und 5: kognitive Umstrukturierungen ungünstiger und wenig hilfreicher Annahmen zum Thema Trauer; 6: Strategien zum Umgang mit Grübeln erarbeiten plus Aufgabe, einen Brief an den verstorbenen Menschen zu schreiben, in dem Teilnehmer Fragen an den verstorbenen Menschen stellen sollen; 7: sich mit Herausforderungen auf kognitiver Ebene auseinandersetzen, Schreiben des Briefes und Freiraum zur Schilderung positiver Erfahrungen mit dem verstorbenen Menschen; 8: Fortsetzen des Schreibens, positive Erinnerungen wecken und Schritte für neue Ziele und Aktivitäten einleiten; 9: sich auf die Erarbeitung zukünftiger Ziele konzentrieren;

Exposition   69

10: Fortsetzung der Zielsetzung und Strategien zur Rückfallprophylaxe« (Bryant et al., 2019, S. 3 f.). Anhand der Datenauswertung zeigte sich ein signifikanter Rückgang der Symptome in der Gruppe mit Exposition im Vergleich zur Gruppe ohne Exposition. Darüber hinaus war festzustellen, dass die Therapie umso schlechter bei den Probanden ansprach, je stärker Schuldgefühle und Vermeidungstendenzen bei ihnen ausgeprägt waren. Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, dass Exposition für die Therapie mit Trauernden hilfreich sein kann, und empfehlen, gezielt Trauernden mit stärker ausgeprägten Schuldgefühlen und starker Vermeidung dafür hilfreiche Therapieinterventionen anzubieten. Die Arten des jeweiligen erlebten Verlusts der Trauernden waren in dieser Studie verschieden wie beispielsweise plötzlicher Verlust, lange Krankheit, Suizid und Unfall (Bryant et al., 2019). In dem Artikel bleiben Bryant et al. in Bezug auf eine Ursache für die Unterschiede der Intensität der Vermeidung bzw. der Schuldgefühle bei einer Andeutung, ohne auf diese ausführlicher einzugehen. Dabei wäre ein Blick auf die Verlustart oder auch auf den Bindungstypen hilfreich gewesen. In der Studie wird somit Exposition als wesentlich hilfreiches Therapieelement bei Trauernden hervorgehoben. Es fehlt dem Therapiemanual an Flexibilität im Umgang mit starken Vermeidungstendenzen und stark ausgeprägten Schuldgefühlen sowie an der angemessenen Ergründung der dazu führenden Ursachen. Trauernde mit starken Schuldgefühlen und/oder starken Vermeidungstendenzen sind demzufolge wahrscheinlich im Setting einer Einzeltherapie besser aufgehoben.

70   Therapieansätze

4.3  Familiy Bereavement Program

Das Family Bereavement Program von Sandler, Tein, Cham, Wolchik und Ayers (2016) richtet sich an Personen mit Kindern, die ihren Partner/einen Elternteil verloren haben. Es umfasst verschiedene Komponenten, die in zwölf Sitzungen erarbeitet werden. Zu Beginn werden eine Eltern- und eine Kinder-/ Jugendlichengruppe gebildet, die zum Teil voneinander getrennt und zum Teil gemeinsam arbeiten. Die Elterngruppe konzentriert sich auf • den Aufbau von Fähigkeiten zur Stärkung der positiven Elternschaft im Sinne einer positiven Eltern-Kind-­Beziehung, Zuhörfähigkeit und wirksamen Disziplin, • die Reduktion von Depressionen und anhaltendem ­Kummer sowie auf • den Schutz der Kinder vor zu belastenden Ereignissen, die oft auf den Tod eines Elternteils folgen. Die Kinder-/Jugendlichengruppe konzentrierte sich auf den Erwerb von Fähigkeiten, um • die adaptive Bewältigung und realistische Kontrollüberzeugungen zu stärken, • negative Stressbeurteilungen und die Hemmung des emotionalen Ausdrucks zu verringern und um • positive Interaktionen und familiäre Beziehungen zu fördern. In einer randomisierten kontrollierten Studie zur Evaluation des Family Bereavement Program absolvierte die Untersuchungs­ gruppe das Programm, während die Kontrollgruppe zum Selbst­ studium der Programminhalte angeleitet wurde. In einer Nach­ unter­suchung sechs Jahre später zeigte sich, dass bei den Kindern und Jugendlichen der Untersuchungsgruppe Pro­bleme wie Ein-

Sinnbasierte Trauertherapie   71

samkeit, Depressionen, Suizidalität, Impulsivität, Aggressivität, antisoziales Verhalten und Drogenkonsum seltener auftraten als bei der Kontrollgruppe. Bei den Eltern der Untersuchungs­gruppe hatten sich die Erziehungskompetenz verbessert und die Ausmaße depressiver Symptome und der Trauerintensität reduziert. Darüber hinaus zeigten sich bei ihnen im Vergleich zu der Kontrollgruppe weniger gesundheitliche Probleme, weniger Alkoholmissbrauch und ein verbesserter konstruktiver Umgang mit dem Verlust. Das Family Bereavement Program ermöglicht es durch die systemisch-orientierte Ausrichtung, die verbliebene ­Kernfamilie vollständig einzubeziehen und als Familie einen gemeinsamen Weg zu finden. Neben der Unterstützung in der Problembearbeitung ist der Fokus auf den Aufbau und die Stärkung von Ressourcen und sozialen Kompetenzen ein wesentlicher Baustein, der vor allem auf der wiederherstellungsorientierten Seite stressreduzierend wirken kann. Der Aufbau und die Stärkung von Fähigkeiten und Kompetenzen fördert zudem das Selbstwirksamkeitserleben, das heißt das Gefühl, auf Dinge Einfluss nehmen zu können und ihnen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Eine konkrete Arbeit mittels Exposition mit Angst und Vermeidung in Bezug auf stark belastende oder traumatische Erinnerungen findet nicht statt.

4.4  Sinnbasierte Trauertherapie

Bei der sinnbasierten Trauertherapie (Meaning-Centered Grief Therapy) handelt es sich um einen verhaltenstherapeutisch orientierten Ansatz, der die Annahmen von Viktor Frankl und der kognitiven Verhaltenstherapie kombiniert. Die Arbeitsgruppe um Lichtenthal und Breitbart (Lichtenthal et al., 2019) untersuchte in einer Pilotstudie die Wirkung der sinnbasierten Trauertherapie bei Eltern, die ein Kind durch eine Krebserkrankung verloren haben. Die Untersuchung fand mindestens sechs

72   Therapieansätze

Monate nach dem Verlust statt. Die Autoren nahmen an, dass die Auseinandersetzung mit der Sinnhaftigkeit des Verlusts in dieser Zielgruppe einen wesentlichen Belastungsfaktor darstellt (­Lichtenthal u. Breitbart, 2015). Die Teilnehmenden wurden mittels der sinnbasierten Trauertherapie darin gefördert, ihre eigene, für sie selbst stimmige Einstellung zum eigenen Leiden sowie einen Sinn im Verlust und im eigenen Leben nach dem Verlust zu finden, eine langfristig tragende und für die Verarbeitung des Verlusts hilfreiche Bindung zum verstorbenen Kind aufzubauen und ggf. offen gebliebene Dinge zu klären (­Lichtenthal et al., 2019). Die Trauertherapie wurde wöchentlich über 16 Sitzungen mit einer Dauer von 60 bis 90 Minuten durchgeführt. Die Teilnehmenden gaben generell ein positives Feedback, wünschten sich aber mehr Zeit, um hilfreiche Umgangsmöglichkeiten mit dem Verlust und der eigenen Trauer zu finden und dafür sinnbasierte Inhalte zu reduzieren. Wahrscheinlich profitieren von der sinnbasierten Trauertherapie eher diejenigen, bei denen Sinnfindung und das Hadern mit dem Verlust stark im Vordergrund stehen. Für diese Gruppe gibt die hier beschriebene Pilotstudie Hinweise darauf, dass die sinnbasierte Trauertherapie das Potenzial haben könnte, Intensität von anhaltender Trauer, Depressionen und Hoffnungslosigkeit zu reduzieren und die Sinnhaftigkeit des Verlusts zu verbessern. Außerdem könnte sie das Potenzial haben, ein posttraumatisches Wachstum sowie den Aufbau einer tragenden anhaltenden Bindung zum verstorbenen Kind zu fördern.

4.5  Chronic Grief Management Intervention

Die Chronic Grief Management Intervention von Paun, Farran, Fogg, Loukissa, Thomas und Hoyem (2015) richtet sich an pflegende Angehörige von Demenzerkrankten. Diese Zielgruppe

Metakognitive Gruppentherapie   73

befindet sich in einem fortwährenden Verlustprozess und ist zumeist stark belastet. Die Intervention beinhaltet eine wöchentlich stattfindende Gruppentherapie über zwölf Wochen hinweg. Folgende Inhalte werden dabei vermittelt: • Wissensvermittlung und Psychoedukation zu den Themen Demenz, Alternativen zur häuslichen Pflege und kommunale Unterstützungsmöglichkeiten, • Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten und des Konfliktverhaltens sowie praktische Pflegehinweise auf lange Sicht, • Trauer, Verluste (an-)erkennen, fortschreitende Reaktionen auf die zunehmende Trennung, die Beziehung zum erkrankten Menschen neu erfahren, bisherige Bindungen ablegen und neue Beziehungen eingehen. In Bezug auf die in Kapitel 3 abgeleiteten Ziele ist das Manual kompatibel mit dem Dualen Prozessmodell zur Trauerverarbeitung (DPM). Zudem stärkt die Intervention hilfreiche Fähigkeiten, Kompetenzen und Wissen und bietet Unterstützung für die Herausforderungen der verlustorientierten und der wiederherstellungsorientierten Seite. Allerdings kommen Expositionen nicht zum Einsatz. Im Rahmen einer Studie (Paun et al., 2015) zeigten sich bei der Untersuchungsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe drei Monate nach der Intervention signifikante Verbesserungen in der Intensität der Sehnsucht und der Traurigkeit, nach sechs Monaten kam es zudem zu einer signifikanten Reduktion der Schuldgefühle.

4.6  Metakognitive Gruppentherapie

Die Metakognitive Gruppentherapie für die Anhaltende Trauer­ störung wurde von Wenn, O’Connor, Kane, Rees und Breen

74   Therapieansätze

(2019) auf Basis der Metakognitiven Therapie (MKT) entwickelt. Eine Grundannahme der MKT ist27, dass psychische Störungen nicht von negativen oder dysfunktionalen Gedanken an sich ausgehen, sondern von der Art und Weise, wie Personen auf sie reagieren. Psychisch Erkrankte neigen zu einem bestimmten Denkstil, kognitives Aufmerksamkeitssyndrom genannt. Charakteristisch dafür sind Grübeln und Gedankenkreisen mit einem Fokus auf Bedrohung sowie ungünstiges Coping-­ Verhalten.28 Beispielsweise reagiert eine Person auf ein traumatisches Ereignis mit ständigem Grübeln, weil sie meta­kognitiv davon überzeugt ist, dass das Grübeln notwendig sei, um Antworten auf die Frage nach dem Warum zu finden. Meist führt dies zu keiner Besserung für die Person und ihre Aufmerksamkeit bleibt durch die ständige Beschäftigung mit dem Warum auf die belastende Situation gerichtet. Somit werden eine konstruktive Lösung und ein hilfreicher Umgang mit der Situation verhindert (Wenn et al., 2019). Die Metakognitive Gruppentherapie hat zum Ziel, das kognitive Aufmerksamkeitssyndrom zu unterbrechen, um zu ermöglichen, dass funktionale emotionale Prozesse stattfinden können bzw. dass dysfunktionale, das heißt ungünstige metakognitive Denkmuster positiv verändert werden. Nach Wenn, O’Connor, Breen und Rees (2018) zeichnen sich Personen mit einer Anhaltenden Trauerstörung durch folgende metakognitive Muster aus: • Intensives Grübeln ist ein nützliches Mittel, um den Tod des geliebten Menschen zu verstehen und mit ihm umzugehen oder um eine Antwort zu finden. 27 Siehe z. B. https://www.metakognitivetherapie.de/metakognitive-therapie. 28 Ungünstiges Coping-Verhalten meint Verhaltensweisen wie Gedankenunterdrückung oder Vermeidungsverhalten, die keinen konstruktiven Umgang mit einem Problem ermöglichen, sondern eher die Situation ungünstig stabil halten.

Metakognitive Gruppentherapie   75

• Trauerbezogene Gedanken sind unkontrollierbar oder schädlich. • Emotionen müssen möglichst kontrolliert werden, um einen Umgang mit der Trauer zu finden bzw. um dem Verstorbenen gegenüber Respekt und Liebe zu zeigen. • Vermeidungsverhalten kann dabei helfen, der Realität des Verlusts auszuweichen. • Symbolische Objekte und Rituale helfen dabei, eine Verbindung mit dem Verstorbenen aufrechtzuerhalten. Dysfunktionale metakognitive Denkmuster können laut Wenn et al. (2018) Hinterbliebene auf Verlustprobleme fokussieren, die sie daran hindern, den Verlust in ihr Leben zu integrieren und für die Zukunft zu planen. Die metakognitive Therapie konzentriert sich daher weniger auf die Inhalte von Gedanken, sondern soll vielmehr dahinterliegende, nicht hilfreiche metakognitive Denkmuster entdecken und verändern. Beispiele für Elemente metakognitiver Therapie sind losgelöste Achtsamkeit, Aufmerksamkeitstraining und Verhaltens­ experimente, wie zum Beispiel Exposition in sensu: • Losgelöste Achtsamkeit meint eine bewusste wertungs- und auseinandersetzungsfreie Wahrnehmung eigener Gedanken und Erinnerungen aus einer Beobachterperspektive heraus, ohne an einzelnen Gedanken haften zu bleiben. • Aufmerksamkeitstraining ist eine Art mentales Fitnesstraining und dient dazu, Kontrolle und Selbstwirksamkeit in Bezug auf Aufmerksamkeit zu stärken und dadurch kognitive und Aufmerksamkeitsprozesse besser steuern zu können. Mittels dieser Interventionen soll eine bessere Flexibilität der Gedanken erreicht werden. In der Logik des DPM könnten diese Interventionen eine Verflüssigung an der Stelle ermöglichen, an der der Trauerprozess stockt.

76   Therapieansätze

Wenn et al. (2019) konnten anhand einer randomisiert kontrollierten Pilotstudie eine vorläufige Evidenz für die Wirksamkeit und Durchführbarkeit dieses auf Trauer spezialisierten Ansatzes zeigen. Die Autoren berichteten einen signifikanten Unterschied zwischen der Therapiegruppe und der Kontrollgruppe in Bezug auf den Trauerverlauf und die Belastung, die auch sechs Monate nach Beendigung der Therapie noch nachzuweisen war. Zur Bestätigung der bisherigen Ergebnisse sind Studien mit größeren Stichproben nötig. Die metakognitive Gruppentherapie für Anhaltende Trauerstörung ist am DPM orientiert und liefert Lösungsansätze für alle in Kapitel 3 herausgearbeiteten Ziele. Neben der Veränderung der metakognitiven Muster beinhalten die Interventionen per se auch eine Verbesserung des Selbstwirksamkeitserlebens, wenn es einem gelingt, mittels losgelöster Achtsamkeit und Aufmerksamkeitstraining erfolgreich Einfluss auf das eigene Fühlen und das, was in einem selbst Raum bekommen soll, zu nehmen. Dieser therapeutische Ansatz wurde zwar für Gruppen erstellt, bietet allerdings auch Potenzial für eine Durchführung im Einzelsetting.

4.7 Medikamente

Psychopharmaka sind bei vielen psychischen Störungen therapeutisch wirksam. So kann der Einsatz von Psychopharmaka zum Beispiel bei schweren depressiven Störungen oder schwerer PTBS dazu beitragen, die Betroffenen hinsichtlich ihrer Funktionalität in einen Bereich zu bringen, in dem psychotherapeutische Interventionen wirksam werden können. Insofern sollte bei trauernden Menschen, bei denen zum Beispiel schwere Depressionen oder eine ausgeprägte PTBS vordergründig sind, der Einsatz entsprechender Psychopharmaka erwogen werden

Medikamente   77

(siehe dazu auch die entsprechenden S3-Leitlinien zu Depression und PTBS). Bei einer Anhaltenden Trauerstörung ohne wesentliche Depression oder PTBS sieht die Situation hingegen anders aus. In einem Editorial im »Lancet« (2012) heißt es dazu: »Trauer zu medikalisieren, so dass die Behandlung beispielsweise routinemäßig mit Antidepressiva legitimiert wird, ist nicht nur gefährlich vereinfachend, sondern auch ein Fehler. Die Evidenzgrundlage für die Behandlung von Menschen, die vor kurzem einen geliebten Menschen verloren haben, mit Standard-­ Antidepressiva fehlt vollkommen« (Lancet, 2012, S. 589). Lacasse und Cacciatore (2014) berichten in einer Übersichtstudie zur psychopharmakologischen Behandlung trauernder Eltern nach perinatalem bzw. neonatalem Verlust, dass etwa ein Drittel aller Betroffenen Medikamente verschrieben bekommen hatte, davon die meisten Antidepressiva, einige auch ­Benzodiazepine. Die Mehrzahl bekam die Medikamente innerhalb der ersten Woche nach dem Verlust verschrieben und nahm sie langfristig ein (Lacasse u. Cacciatore, 2014). Dies stellt eine Realität in Krisensituationen nach einem Verlust dar und zeugt zumindest teilweise von der Hilflosigkeit und Unwissenheit behandelnder Ärzte im Umgang mit einem Verlust. Darüber hinaus zeugt es von einem Mangel an Zeit und Ressourcen, trauernden Menschen in und direkt nach einer Verlustsituation eine adäquate Unterstützung anzubieten. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass sich Trauernde selbst die Verschreibung eines Medikaments wünschen, dies sogar einfordern. Ist die Stellungnahme im »Lancet« nach wie vor gerechtfertigt? Bui, Nadal-Vicens und Simon (2012) kommen in einem Review zum Ergebnis, dass es Hinweise auf eine positive Wirkung tri­zyklischer Antidepressiva bei depressiven Symptomen im Rahmen einer Trauer gibt und Selektive SerotoninWiederaufnahme-­Hemmer (SSRI) wie Escitalopram sowohl bei

78   Therapieansätze

depressiven als auch bei Trauersymptomen hilfreich sein könnten. Allerdings sind die Befunde aufgrund zu weniger Studien und viel zu kleiner Stichproben nicht repräsentativ (Bui et al., 2012). Fenger-Grøn et al. (2018) untersuchten dänische Registerdaten dahingehend, ob Trauernde zwei Jahre nach dem Verlust eines geliebten Menschen schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen aufwiesen und ob sie Gesprächstherapie29 und/oder Antidepressiva verordnet bekamen und in Anspruch nahmen. Während sich für die Gesprächstherapie ein Wirksamkeitsnachweis zeigte, konnte in Bezug auf Antidepressiva keine Aussage zu einer möglichen Wirksamkeit getroffen werden. Shahane et al. (2018) konnten in einem Review zu Interventionen zur Verbesserung des emotionalen Befindens von verwitweten Menschen für Antidepressiva nur Wirksamkeitsnachweise bei Symptomen begleitender Depressionen finden, aber nicht für die Trauersymptomatik. In keiner der verfügbaren Studien zur Wirksamkeit von Medikamenten bei Trauer gibt es einen Nachweis dafür, dass Antidepressiva bei Trauer – abgesehen von deren potenziellen Nebenwirkungen – schädlich seien. Allerdings belegt auch keine Studie, abgesehen vom Review von Bui et al. (2012), eine Wirksamkeit von Antidepressiva, die Trauer erträglicher machen könnte. Obwohl die Zusammenhänge noch zu wenig erforscht sind, rechtfertigt dies keinen Off-Label-Use bei der Verschreibung von Antidepressiva und Benzodiazepinen, vor allem wenn man das hohe Suchtpotenzial von Benzodiazepinen und die beeinträchtigenden Nebenwirkungen vieler Antidepressiva berücksichtigt. 29 Die Autoren konnten anhand der Daten lediglich feststellen, ob eine Gesprächstherapie stattgefunden hatte, nicht aber deren Inhalte oder konkrete Vorgehensweise.

Zusammenfassender Ausblick   79

4.8  Zusammenfassender Ausblick

Bei psychotherapeutischen Ansätzen für die Behandlung von Menschen mit einer Anhaltenden Trauerstörung hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Allerdings unterscheiden sich Personen mit einer Anhaltenden Trauerstörung in Bezug auf die Schwere einzelner Symptome und je nach Art des Verlusts so sehr voneinander, dass schematische Standardmanuale mit kognitiver Verhaltenstherapie für Gruppen (siehe Bryant et al., 2019) dem nur schwer gerecht werden können. Daher sind Ansätze nötig, die flexibel genug sind, um selbst im Gruppensetting auf die jeweils individuelle Bedürftigkeit und Problemlage je nach Verlustart und Persönlichkeitsmerkmalen ausreichend einzugehen. Ein solcher Ansatz ist zum Beispiel die Metakognitive Gruppentherapie für die Anhaltende Trauerstörung. Sie hat das Potenzial, bei Anhaltender Trauerstörung bessere Therapierfolge zu erzielen als die klassische kognitive Verhaltenstherapie (Shahane et al., 2018). Shahane et al. schätzen als Ergebnis ihres Reviews bei den psychotherapeutischen Interventionen ebenfalls emotionsregulierende Interventionsstrategien als wirksamste psychotherapeutische Unterstützung ein. Ihrer Meinung nach dürfte der Ansatz der kognitiven Neubewertung (Reappraisal) besonders für Trauernde erfolgsversprechend sein, da sich dieser Ansatz schon bei anderen kritischen Lebensereignissen als hilfreich erwiesen habe. Ähnlich wie bei der Metakognitiven Therapie für Anhaltende Trauerstörung ist das Ziel, das Selbstwirksamkeitserleben durch Emotionskontrolle, Integration positiver Erinnerungen und Akzeptanz nicht veränderbarer Gegebenheiten zu erhöhen. Bisher stehen Studien zu Reappraisal und Trauer noch aus. Um Akzeptanz geht es auch bei einem weiteren Ansatz der dritten Welle der Verhaltenstherapie, der sich im palliativpsychologischen Bereich zur Reduktion von Angst als wirksam erwiesen (siehe S3-Leitlinie Palliativmedizin 16.5): ACT, die

80   Therapieansätze

Akzeptanz- und Commitment-Therapie. »Basierend auf einer [individuellen] Verhaltensanalyse steht die Akzeptanz unangenehmer Gefühle und das Training, sich durch achtsames Erleben der Wahrnehmung durch die äußeren Sinne, des Spürens des eigenen Körpers, des Denkens und Fühlens (neue) Freiräume im Denken und Handeln zu schaffen, ohne Verzerrung durch soziale Erwünschtheit, Vermeidungs- oder Verführungsziele. Dabei kommen Techniken der Verhaltenstherapie, der Medi­ tation und der Hypnotherapie zum Einsatz« (AWMF, 2019; siehe ebenso Sonntag, 2017). Auch hier müsste erforscht werden, ob ACT bei anhaltender Trauer hilfreich und wirksam ist. Das Family Bereavement Program ist aufgrund der Kombination von systemischer Perspektive und verhaltenstherapeutischer Interventionen für die entsprechende Zielgruppe vielversprechend und ausbaufähig, auch wenn es aktuell keine Exposition beinhaltet. Es könnte hilfreich sein, mittels eines integrativen Therapieansatzes für die verschiedenen Verlustarten und Zielgruppen unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen und Psychoedukation jeweils inhaltlich anzupassen, ohne gleich jeweils komplett neue Manuale zu schreiben. Beispielsweise kommt ein Review zu therapeutischen Interventionen bei Menschen mit Verlust durch Suizid zu dem Schluss, dass das Nutzen von schreib­ therapeutischen Elementen in der Therapie hilfreich in der Auseinandersetzung mit dem Suizid des geliebten Menschen sein kann (Linde, Treml, Steinig, Nagl u. Kersting, 2017). Für die Wirksamkeit von Medikamenten bei normal ausgeprägter Trauer gibt es bislang keine wissenschaftlichen Belege. Lediglich für Trauernde mit schweren Depressionen und/oder einer ausgeprägten PTBS kann der Einsatz von Psychopharmaka hilfreich sein. Dem Plädoyer von Shahane et al. (2018) schließe ich mich an, eine möglichst individuelle Behandlung jenseits von »one

Zusammenfassender Ausblick   81

fits all« zu bevorzugen, die mit dem DPM kompatibel ist, Handlungsspielraum schafft, durch Emotionsregulation und Exposition angstreduzierend wirkt und das Selbstwirksamkeitserleben und eigene Kompetenzen stärkt. Hierfür bieten Verfahren der dritten Welle der kognitiven Verhaltenstherapie die spannendsten Ansätze. Bei diesen Therapieverfahren sollten aber unbedingt die Erkenntnisse aus der Forschung mit prospektiver und hemmender Intoleranz von Unsicherheit einbezogen werden, um zielgerichteter intervenieren zu können. Für andere Therapierichtungen jenseits der kognitiven Verhaltenstherapie wurden in der Recherche, abgesehen von der schon vor dem Verlust durch Tod in Folge einer schweren Erkrankung beginnenden Family Focused Grief Therapy (Kissane et al., 2006), keine Daten für ihre Wirksamkeit in Form wissenschaftlicher Studien vorgefunden.

☞ Merke: Die Metakognitive Gruppentherapie bei Anhaltender Trauer­ störung ist aktuell der vielversprechendste Ansatz über alle Ver­ lustarten hinweg. Weder für Antidepressiva noch für Benzodia­ zepine gibt es einen Nachweis, dass sie die Trauersymptomatik wirksam reduzieren. Es existieren bislang außer einer Studie zu einem systemischen Verfahren keine Studien zu Verfahren jen­ seits der kognitiven Verhaltenstherapie. Insgesamt bedarf es noch mehr Forschung zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen bei Anhaltender Trauerstörung. Fraglich ist, ob es für jede spezielle Verlustart ein eigenes Therapiemanual geben muss oder ob Verfahren aus der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie sich mit jeweils unterschiedlichen Schwer­ punkten je nach Zielgruppe für alle Verlustarten eignen könnten.

5 Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

5.1 Wirksamkeitsnachweise von Trauerbegleitung im deutschsprachigen Raum

Aktuell ist noch nicht abzusehen, wie sich die Möglichkeit, die Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung zu stellen, im deutschsprachigen Raum auswirken wird. Der Bundesverband Trauerbegleitung e. V. (BVT) ist neben dem Deutschen Hospizund Palliativverband (DHPV) die Stimme, die in Deutschland Trauerbegleitung und Trauerberatung etabliert hat, sie anbietet und durchführt. Chris Paul (2017) hat in der Zeitschrift »Leidfaden – Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer« die Mitglieder des BVT dazu aufgerufen, Ruhe zu bewahren, und angeregt, das Sechs-Monats-Kriterium der ICD-Diagnose zu ignorieren und stattdessen bei zwölf bis 14 Monaten anzusetzen. Außerdem forderte sie dazu auf, Aufbaumodule für die Behandlung anhaltender Trauer zu entwickeln und mit den Kostenträgern in Verhandlungen zu gehen, damit Betroffene von nach Maßstäben des Bundesverbands qualifizierten Trauerbegleitenden behandelt werden können und dies erstattet bekommen. Abgesehen davon, dass es befremdlich anmutet, wenn ein Verband wie der BVT Diagnosekriterien einfach ignorieren will, gelten bestimmte Regeln, wenn eine Refinanzierung durch Kosten­ träger erreicht werden soll. Das Behandeln bei einer Diagnose mit Krankheits- bzw. Störungswert ist jenseits des kritikwürdigen, weil nahezu regelfreien Freiraums für H ­ eilpraktiker/-innen

Wirksamkeitsnachweise von Trauerbegleitung   83

denjenigen vorbehalten, die eine Heilerlaubnis haben. Eine Heilerlaubnis erhält man in Deutschland durch eine Approbation, die an Voraussetzungen geknüpft ist, um wissenschaftlich anerkannte Heilverfahren auszuüben. Ob ein Heilverfahren als wissenschaftlich vom Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA anerkannt und durch die Krankenkassen finanziert wird, unterliegt gerade im psychotherapeutischen Bereich hohen, aber notwendigen Anforderungen. Der Blick auf Ausbildung, Beiträge wesentlicher Protagonisten und Vorschläge für Aufbaumodule zur Behandlung der Anhaltenden Trauerstörung zeigt bisher keine Ansätze, die eine Perspektive zur Anerkennung als Heilverfahren andeuten, vor allem wenn die internationale Forschung ignoriert wird. Es gibt vielversprechende Therapieansätze zur Behandlung von Menschen mit einer Anhaltenden Trauerstörung, die sich wissenschaftlicher Forschung stellen (siehe Kapitel 4), und Betroffene haben das Recht, mit fachlich fundierten Therapieansätzen behandelt zu werden, deren Wirksamkeit wissensschaftlich überprüft wurde oder wird. Nur dann ist eine Anerkenung möglich. Aussagen wie »Das haben wir immer so gemacht« oder »Ich habe damit in der Arbeit mit meinen Klienten gute Erfahrungen gemacht« entsprechen diesen Kriterien nicht. Ein Beispiel: Die Pionierarbeit von Elisabeth Kübler-Ross in der Arbeit mit Trauernden und Sterbenden verdient nach wie vor hohe Anerkennung. Wenn aber im Jahr 2019 ein ganzer Artikel zu ihrem Modell der Sterbephasen publiziert wird (Student, 2019), ohne kritisch auf die Begrenzungen rein deskriptiver Modelle mit fehlender wissenschaft­licher Fundierung und Evidenz einzugehen, ist das beunruhigend und sorgt seitens Autor und der Zeitschrift­ herausgeber dafür, sich an der Stelle fachlich zu disqualifizieren. Es gibt bessere und fundiertere Modelle (siehe das »double ­awareness«-Modell in Kapitel 3.1). Ebenso müssen die Trauerphasen nach Kübler-Ross sehr kritisch betarchtet werden (z. B.

84    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

Stroebe, Schut u. Boerner, 2017). Auch das Werk einer Ikone wie Elisabeth Kübler-­Ross darf fachlich kritisch reflektiert werden, insbesondere wenn es dafür reichlich Gründe bietet. Bewirken diejenigen, die Trauergruppen, Trauerberatung und Trauerbegleitung anbieten, bei den Betroffenen wirklich nur Gutes? Eine Studie aus Schweden weckt da Zweifel (Näppä, Lundgren u. Axelsson, 2016). Sie berichtet von Trauergruppen, die jeweils von einem Seelsorger, einem Sozialarbeiter und einer Palliative-Care-Fachpflegekraft angeleitet wurden. Alle hatten langjährige Erfahrung in der Beratung und Begleitung Zugehöriger von Palliativpatienten. Die Gestaltung und Leitung der Sitzungen folgte den Empfehlungen der schwedischen Krankenhauskirchen. Trotz dieser Expertise zeigte sich im Trauerverlauf von Personen, die eine dieser Trauergruppen besuchten, im Vergleich zu denjenigen, die nicht kommen wollten, kein positiver Effekt. Der Trauerverlauf von Personen, die an einer Trauergruppe teilnahmen, verschlechterte sich sogar innerhalb eines Jahres. Eine Studie von Newsom et al. (2017) zeigt zwar Erkenntnisse für eine Senkung der Belastung durch Trauer auf lange Sicht durch »grief counseling«. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Kombination aus Beratung und psychotherapeu­tischen Interventionen inklusive zum Beispiel Expositionen bei schwerer Symptomatik durch einen entsprechend ausgebildeten Experten (Newsom et al., 2017). Insofern kann diese Studie nicht als Gegenargument zum Befund von Näppä et al. (2016) genutzt werden. Erste, noch nicht veröffentlichte Ergebnisse einer versorgungsepidemiologischen Erhebung in Deutschland von ­Müller et al. (eingereicht/b) zeigen, dass nur knapp 20 Prozent der Trauer­beratenden eine standardisierte Eingangsdiagnostik nutzen und dass weniger als 10 Prozent Erfolgskontrollen durchführen. Viele der Trauerberatenden und Trauerbegleitenden können

Wirksamkeitsnachweise von Trauerbegleitung   85

nicht sagen, welche Interventionen bzw. Verfahren sie anwenden. »Ich arbeite nach Verena Kast« benennt allerdings keine wissenschaftlich fundierte Intervention, sondern eine Tradition. Möglicherweise ist der Blick vieler auf Trauer zu medizinisch-­ psychotherapeutisch und es mag auch andere Faktoren geben, von denen Menschen profitieren, die Trauerbegleitung oder Trauerberatung in Anspruch nehmen. Hinweise darauf gibt beispielsweise eine Studie von Müller, Pfister und Müller (2011), die mit Blick auf Salutogenese (Kohärenzgefühl) 123 Trauernde befragt haben, die sich zu dem Zeitpunkt in Trauerbegleitung befanden. Es zeigte sich, dass Trauerbegleitung zwar nur zu einer leichten Verbesserung der Trauersymptomatik führte, sich dafür aber die Kohärenz30 bzw. der eigene Umgang mit Gefühlen deutlich verbessert hatte. Allerdings sind die Befunde aufgrund verschiedener Studienmängel nicht generalisierbar und verwertbar. Im Rahmen der »Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen« wurde die Studie »TrauErLeben« (­Wissert, 2010, 2013) initiiert, die sich ebenfalls mit der Wirkung von Trauerbegleitung befasst hat. Sie umfasst fünf Module, wobei bislang nur Ergebnisse von zwei Modulen vorliegen (Stand: 03.12.2019). Wissert et al. kamen zum Ergebnis, dass Trauerbegleitung wirksam ist. Sie stellten vor der Trauerbegleitung einen signifikanten Unterschied in der Belastung zwischen den Teilnehmenden mit Trauerbegleitung (höhere Belastung) und denen ohne Trauer­ begleitung (niedrigere Belastung) fest. Zum zweiten Messzeitpunkt konnten die Autoren einen Rückgang der Belastung in beiden Gruppen beobachten. Der Rückgang in der Gruppe mit Trauerbegleitung war jedoch deutlich stärker, da der Unterschied in der Reduktion der Gesamt­belastung nicht mehr signifikant war. 30 Das Kohärenzgefühl besteht aus den Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit und ist ein zentrales Element dessen, was nach Antonovsky (1979) Menschen in Krisen und unter schwerster Belastung gesund hält.

86    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

Da die Aussagekraft der bisher veröffentlichten Ergebnisse dieser Studie aufgrund vielfacher Unklarheiten und Mängel sehr limitiert ist, liefert sie ebenfalls kein Gegenargument zu den Ergebnissen von Näppä et al. (2016). Angesichts bislang dürftiger Ergebnisse für Wirksamkeit von Trauerbegleitung bietet die Diagnosemöglichkeit einer Anhaltenden Trauerstörung eine neue Chance, Begrifflichkeiten zu klären, klare Angebots- und Versorgungsstrukturen für Trauernde zu etablieren sowie wissenschaftlich nachvollziehbare und transparente ethische Leitlinien zu erstellen. Nur so ist sicherzustellen, dass Trauernde davon profitieren und ihnen möglichst kein Schaden durch Trauergruppen und Trauerberatung zugefügt werden kann.

5.2 Trauerbegleitende und Trauerberatende: Haltung und Beziehungsgestaltung

Wie wird Trauerbegleitung definiert und was ist der Unterschied zu Trauerberatung? Bei Wikipedia findet sich folgende Definition: »Trauerbegleitung unterstützt Menschen bei der Bewältigung erlittener oder zu erwartender Verlusterfahrungen. Trauerbegleitung unterstützt Menschen in ihrem Prozess der Trauer durch Dasein, Mitschweigen, Zuhören sowie unterschiedliche Angebote und Methoden. Die Trauerbegleitung ist nicht mit einer ärztlichen Therapie einer Krankheit zu verwechseln, sondern kann von jedem Menschen geleistet werden, der bereit ist, sich dieser Situation zu stellen und sie mit dem Trauernden zusammen auszuhalten.«31 Im Englischen wird dort anstelle von »Trauerbegleitung« der Begriff »grief counseling« (»Trauerberatung«) verwendet. Bei 31 https://de.wikipedia.org/wiki/Trauerbegleitung (Zugriff am 31.10.2019).

Trauerbegleitende und Trauerberatende   87

Wikipedia steht dazu: »Beratung beinhaltet, Menschen dabei zu unterstützen, durch den Prozess unkomplizierter oder normale Trauer hin zu Gesundheit und Ablösung zu gelangen. Trauer­ therapie beinhaltet die Anwendung klinischer Interventionen passend für traumatische oder Komplizierte Trauer. Dies passiert, wenn die Trauerreaktion anhaltend ist oder sich in körperlichen Symptomen oder auffälligem Verhalten zeigt bzw. außerhalb der kulturellen oder psychiatrisch definierten Norm befindet.«32 In diesen Definitionen spiegelt sich ein unterschiedliches Verständnis von Trauerbegleitung bzw. -beratung wider. In der deutschen Version zu »Trauerbegleitung« heißt es zum Beispiel »[…] bei Bewältigung […] unterstützt«, »sich dieser Situation zu stellen« und »sie aushalten«, während es in der englischen Version zu »grief counseling« beispielsweise heißt »unterstützen, durch […] um […] hin zu […] gelangen«. Die englische Variante betont stärker die Eigenleistung des Trauernden und wirkt insgesamt nüchterner, weniger warm und weniger mutig als die deutsche. Der Duden nennt folgende Bedeutungen des Begriffs »begleiten«: »mit jemandem, etwas zur Gesellschaft, zum Schutz mitgehen, mitfahren; an einen bestimmten Ort bringen, führen (bzw.) gleichzeitig eng verbunden mit etwas sein, auftreten; mit etwas einhergehen […], ein Solo, einen Solisten auf einem oder mehreren Instrumenten unterstützen«.33 Begleiten hat also von seiner Bedeutung her etwas von Nähe, Fürsorge, Schutz, enger Verbundenheit und kontinuierlicher Unterstützung. Begleiten beinhaltet außerdem leiten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was für ein Menschen­ bild hinter dem Begriff »Trauerbegleitung« steckt und wie sich dadurch das Verhältnis von Begleitenden und Trauernden 32 https://en.wikipedia.org/wiki/Grief_counseling (Zugriff am 31.10.2019). 33 https://www.duden.de/rechtschreibung/begleiten (Zugriff am 31.10.2019).

88    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

gestaltet. Begleitende und Begleitete sind nicht auf einer Ebene, denn der Begleitende leitet und führt, während der Begleitete Leitung und Halt benötigt. Manche Trauernde suchen Leitung und Halt, weil es ihnen hilft und weil es in ihrer schwierigen Situation einfach ist. Ein bindungsängstlicher Trauernder profitiert von einem Begleitenden, der ihm nicht nur den Weg weist, sondern auch noch behütend begleitet, denn dann muss er nichts Neues ausprobieren, muss nicht aus der Schutzzone heraus. Allerdings verhindert eine derartige Beziehung das posttraumatische Wachstum und das Reifen an einer schwierigen Situation. In einer solchen Konstellation würde leitendes Begleiten zudem die Autonomie des Begleiteten zugunsten der Fürsorge verringern. An diesem Punkt wird das Machtgefälle in der Beziehung zum Thema. Das Machtgefälle entsteht dadurch, dass der Trauernde in der Trauer vulnerabel (verletzlich) ist und dadurch deutlich schlechter für sich sorgen kann als sonst. Im Zustand der Verletzbarkeit und Angst ist er stark beeinflussbar (siehe z. B. Hansen u. Bejenke, 2010). Begleitende oder Beratende sollten sich hingegen in einer vergleichsweise stabilen Situation befinden. Sie verfügen über Wissen hinsichtlich Trauer, Trauerprozesse, -verläufe und -modelle und können ggf. mithilfe von Diagnostik den Unterstützungs­ bedarf des Trauernden einschätzen. Darüber hinaus sind sie sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Rat und Hilfe suchenden Trauernden bewusst. Der Umgang mit dem Machtgefälle und der damit einhergehenden Verantwortung ist unterschiedlich. Im Bereich der Trauerbegleitung scheint dieses Gefälle negiert zu werden  – zumindest vermittelt folgende Aussage in der Broschüre »Trauer­ begleitung – Trauerbegleitende brauchen Kompetenzen« des Bundesverbands Trauerbegleitung e. V. diesen Eindruck: »Trauer als natürliche Reaktion eines Menschen auf Verlust erfordert

Trauerbegleitende und Trauerberatende   89

keine Therapie, sondern Menschen, die in der Lage sind, sich solchen Situationen zu stellen, sie auszuhalten und auf Augenhöhe im Tempo des trauernden Menschen in eine echte und zugewandte menschliche Begleitung zu gehen.«34 Die erwähnte »Augenhöhe« ist Wunsch und Mythos zugleich. Denn nur wenn der Begleitende sich des Machtgefälles bewusst ist, kann er in die Nähe von Augenhöhe zum Trauernden kommen. Der Begriff »beraten« basiert auf dem Raten, einen Rat geben. Der Duden nennt folgende Bedeutungen für »beraten«: »jemandem Rat geben, gemeinsam überlegen und besprechen, über etwas Rat halten, beratschlagen, sich mit jemandem besprechen«.35 Auch wenn bei diesem Begriff eher eine Beziehung auf Augenhöhe impliziert zu sein scheint, besteht dennoch ein Beziehungsgefälle zwischen Ratsuchenden und Beratenden. Jemandem einen Rat geben kann nur dann gelingen, wenn es auf eine Weise geschieht, die das Gegenüber annehmen kann. Dafür ist soziale Kompetenz in der Kommunikation erforderlich. Simonsen und Cooper (2016) untersuchten, wie Trauernde das Verhalten von Trauerberatenden einschätzen bzw. was sie positiv bewerten. Es zeigte sich, dass vor allem die Unabhängigkeit des Beratenden, wertschätzendes und einfühlsames Zuhören sowie nondirektives Verhalten als hilfreich angesehen wurden; mit nondirektivem Verhalten ist gemeint, seitens des Beratenden einen breiten Fokus an Themen und Inhalten zu erlauben und dem Trauernden die Führung zu überlassen. Ebenfalls positiv wurden Entpathologisieren, Normalisieren und ein kompetentes Vorgehen bei dysfunktionalen Gedanken bewertet; Letzteres beinhaltet eine Erweiterung der Per­spektive und der Art des Ansprechens von Schuldgefühlen und Wut (Simonsen u. Cooper, 2016). Die Autoren kamen zu dem Schluss: 34 http://bv-trauerbegleitung.de/wp-content/uploads/2015/07/2017_web_ bvt_broschuere_doppelseitig1.pdf, S. 5/6 (Zugriff am 31.10.2019). 35 https://www.duden.de/rechtschreibung/beraten (Zugriff am 31.10.2019).

90    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

»Zusammen­gefasst wertschätzen sie (die Klienten) die Neutralität und Unabhängigkeit der Berater« (Simonsen u. Cooper, 2016, S. 126). Das Ergebnis kann allerdings so nicht verallgemeinernd auf alle Trauenden übertragen werden. Auch hier braucht es weitere Forschung. Zurückhaltung bei den Beratenden sorgt aber sicher für mehr Autonomie und mehr Selbstbestimmung. Und auch für mehr Distanz, als es das Wort »begleiten« beinhaltet. Es gilt, eine Haltung zu finden hinsichtlich der Frage, mit welcher inneren Distanz ein Begleitender mit Trauernden arbeiten möchte und sie beraten will. In der bereits erwähnten Broschüre des Bundesverbands Trauerbegleitung e. V. finden sich dazu folgende Zeilen (S. 6): »Trauerbegleitende müssen die Bereitschaft mitbringen, sich einzulassen und verwickeln zu lassen in die Geschichte und das Schicksal eines trauernden Menschen.«36 Was sagt dies über Distanz aus, wenn ein Begleitender sich verwickeln lässt? Es zeugt von einer sehr großen Nähe, vielleicht von einer Nähe ohne Distanz. Hier stellt sich die Frage nach dem Nutzen. Der trauernde Mensch erfährt in der Trauerbegleitung eine nahezu bedingungslose Nähe. Das kann (muss aber nicht) für einen Trauernden, der die Nähe eines geliebten Menschen vermisst, sehr attraktiv und eine intensive Erfahrung sein, insbesondere für Trauernde mit ausgeprägter Bindungsangst. Welche Auswirkung kann das auf den Trauerbegleitenden haben? Wenn er sich intensiv in die Nähe des Trauernden begibt, kann dies im Fall von eigenen bedeutsamen Verlusterfahrungen dazu führen, dass er in dieser Nähe ein positives und intensives Gefühl erlebt, aber auch potenziell mit seinem Verlusterleben konfrontiert wird. Es ist auch mit mehr Distanz schwierig und erfordert viel Erfahrung und Selbstreflexion, unterscheiden zu können, wie 36 http://bv-trauerbegleitung.de/wp-content/uploads/2015/07/2017_web_ bvt_broschuere_doppelseitig1.pdf (Zugriff am 13.11.19).

Trauerbegleitende und Trauerberatende   91

Gefühle einzuordnen sind, die im Kontakt mit einem Klienten ausgelöst werden. Was davon hat mit dem Begleitenden und seiner Geschichte zu tun und was davon gehört zur Dynamik der Persönlichkeit des Begleiteten? Es ist bei extremer Nähe nahezu unmöglich, dies zu unterscheiden, weil keine Distanz mehr besteht, die Raum zur Selbstreflexion lässt. So entsteht eine Gratwanderung, bei der auf der einen Seite der Wunsch nach einem intensiven Erleben von Nähe und auf der anderen Seite das Risiko eines Burnouts besteht. Eine professionelle Distanz zu wahren wird umso schwieriger, je dichter ein Mensch einen anderen an sich heranlässt. Aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, ob das hinter der Tätigkeitsbeschreibung eines Trauerbegleitenden stehende Menschenbild und Beziehungsverständnis tatsächlich erforderlichen ethischen Bedingungen und Notwendigkeiten standhalten können. Im Bereich der medizinischen und therapeutischen Ethik sind Autonomie und Fürsorge zwei von mehreren zentralen Begriffen. Die Diskussion um Nähe und Distanz ist auch eine über das Verhältnis von Autonomie und Fürsorge. Was lässt sich im Palliativbereich zu diesem Verhältnis in Bezug auf die Beziehungsgestaltung finden? Im »White Paper on Education« der Europäischen Vereinigung für Palliative Care (EAPC) steht im Hinblick auf die Ziele unter »Ethik«, Punkt 7b: »[…] die Autonomie des Patienten im Gleichgewicht mit anderen ethischen Prinzipien, wie zum Beispiel Benevolence, Non-­Maleficence und Gerechtigkeit, stärken […]« (Krumm, Schmidlin, Schulz u. Elsner, 2015, S. 161), und unter 7e: »[…] sich bewusst sein, dass die am meisten geeignete ethische Versorgung nicht in jedem Fall immer den Präferenzen und Wünschen des Patienten entspricht« (S. 161)37. 37 Interview mit Henk Schut: http://www.trauerforschung.de/images/pdf/ newsletter/newsletter_2014_3.pdf.

92    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

In einem Artikel zu Standards und Richtlinien für die Hospizund Palliativversorgung in Europa wird eine partnerschaftliche Beziehung gefordert zu denjenigen, die versorgt und unterstützt werden (Radbruch u. Payne, 2011). Die Anforderungen an die Beziehungsgestaltung mit Trauernden folgen laut dem Bundesverband Trauerbegleitung also anderen Regeln als die Anforderungen für Sterbende und Zugehörige vor einem Verlust. Das stimmt nachdenklich. Wenn das Konstrukt »Trauerbegleitung« so weiter bestehen und zukunftsfähig bleiben soll, gilt es, in Bezug auf die Regulation von Nähe und Distanz Grundsätze zu entwickeln, die sowohl Trauernde als auch Begleitende schützen und eine hospizlich-palliative ethische Position vertreten. Zudem sollte das Machtgefälle in der Beziehung nicht verleugnet werden. Darüber hinaus gilt es, ein Konzept zu entwickeln, wie für den jeweiligen Trauernden trotz des begleitenden Ansatzes ein passendes Wachstum, eine Ablösung hin zu Selbstständigkeit und Eigenständigkeit sowie ein Stärken der Autonomie stattfinden können. Das Konzept der Trauerberatung klingt nüchterner. Rein semantisch beinhaltet »Beratung« weniger als »Begleitung«. In der Definition zur Trauerberatung werden Autonomie und individueller Entwicklung Raum gegeben. Insofern passt dieser Ansatz im Aspekt »Beziehungsgestaltung, Nähe und Distanz« deutlich besser zu den ethischen Grundsätzen und der Haltung der Hospiz- und Palliativversorgung.

5.3  ABCD der Würde

»Trauer und Palliative Care hängen zusammen und schließen sich gegenseitig ein. In begrifflicher und praktischer Hinsicht hängt Trauer eng mit Palliative Care zusammen, da beide

ABCD der Würde   93

Bereiche die Phänomene Verlust, Leiden und den Wunsch nach Schmerzlinderung betreffen« (Moon, 2013, S. 20). In der Palliativversorgung bzw. Palliative Care gibt es Konzepte, die für Trauer und den Umgang mit Trauernden hilfreich sind. Ein Beispiel dafür ist das Konzept der Würde nach Chochinov (2017). Es beinhaltet auf der einen Seite krankheitsbezogene Belange, auf der anderen Seite soziale Einflüsse und dazwischen ein Würde wahrendes Repertoire. Dabei sind folgende Aspekte zentral: • Erleben der Wertschätzung als ganzer Mensch samt seiner Schwächen, Stärken und Fehler, • ressourcenstärkende Würdigung der Lebensleistung mit Blick auf ein Vermächtnis, • Stärkung der Autonomie in einer Situation zunehmend erlebter Abhängigkeit. Das soziale Umfeld hat die Möglichkeit, durch entsprechendes Verhalten und Kommunikation die Würde des schwer kranken und/oder sterbenden Menschen zu stärken. Hilfreich dafür ist das ABCD der Würde (Chochinov, 2017): A (Attitude, Einstellung): Was löst der Mensch, mit dem ich zu tun habe, in mir aus? Mit welcher Einstellung gehe ich in den Kontakt und ins Gespräch? Was macht es mit meiner Haltung, wenn mir jemand besonders sympathisch oder unsympathisch ist? Es geht darum, sich des Machtgefälles in der Beziehung bewusst zu sein sowie die eigene Einstellung zu reflektieren, damit sie den Kontakt nicht überlagern kann. B (Behaviour, Verhalten). Hiermit mit sind gemeint: a) kleine Gesten und Handlungen, die den Stolz und die Autonomie stärken, zum Beispiel immer wieder um Erlaubnis fragen (»Darf ich mich setzen?«, »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«, »Ist das für

94    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

Sie in Ordnung, wenn ich wieder bei Ihnen vorbeikomme?«), b) Stolz machende Dinge ansprechen (»Haben Sie aber einen geschmackvollen Pullover an«, »Wer ist das denn alles auf dem Foto?«, »Wer hat denn das Bild gemalt?«), c) sich für den Menschen und sein Leben interessieren (»Was sind Sie von Beruf?«, »Wo sind Sie aufgewachsen?«), d) bestimmte Verhaltensweisen ausführen, zum Beispiel den Raum so verlassen, wie er vorgefunden wurde (es sei denn, man hatte den Auftrag, zu reinigen oder aufzuräumen), oder physisch Augenhöhe herstellen. C (Compassion): Mitgefühl aus dem Wissen heraus, dass auch ich ein verletzlicher, verwundbarer Mensch bin und es Zufall ist, dass ich derjenige bin, der Unterstützung anbietet. Das kann durch Gesten, Berührungen (die für beide möglichst angenehm sein sollten) oder einen warmherzigen Blick geschehen. D (Dialogue, Gespräch): Verbale und nonverbale Kommunikation haben einen großen Einfluss darauf, ob sich ein verwundbarer, vielleicht ängstlicher Mensch gesehen, wertgeschätzt und gut aufgehoben fühlt. Ein Beispiel für eine Eingangsfrage wäre: »Was sollte ich alles über Sie als Mensch wissen, damit ich Sie bestmöglich behandeln kann?« (nach Chochinov, 2017). Das ABCD der Würde löst den immer wieder vorhandenen Konflikt zwischen Fürsorge und Autonomie klar durch die Haltung »Nur so viel Fürsorge wie nötig und so viel Autonomie wie möglich«. Dies bedeutet, Grenzen zu erfragen, zu achten und einzuhalten; dabei sollte eine ressourcenorientierte Perspektive eingenommen werden. Somit soll ein Rahmen geschaffen werden, in dem der verletzliche Mensch seinen Umgang mit der Situation finden und auf ganz individuelle Weise wachsen kann (oder eben auch nicht). Dies meint Wertschätzung für das So-Sein und nicht für Leistung.

ABCD der Würde   95

Das ABCD der Würde von Chochinov lässt sich gut im Umgang mit Trauernden einsetzen. Es braucht nicht viel Anpassung, da es eine Frage der Haltung ist. Und es erfordert einen Balanceakt zwischen Distanz und Nähe, ist aber ganz sicher nicht ohne Distanz. Maßstab und Richtschnur für das Nähe-­ Distanz-Verhalten ist auch hier die Wahrung von Autonomie, von Würde und von Grenzen. Die Unterstützung und Rat anbietende Person darf eine Grenze ziehen, wenn es um die eigene Würde geht, allerdings immer im Bewusstsein, dass es ein Machtgefälle in der Beziehung zu den Trauernden gibt. Das Konzept von Würde passt gut zu den Untersuchungsergebnissen von Simonsen und Cooper (2016) über hilfreiche Verhaltensweisen von Trauerberaterinnen und Trauerberatern. Zur Einordnung ist wichtig, dass der Blick auf das Thema »Würde« auch ein kulturell bedingter ist. In Ostasien beispielsweise können Würde und palliativ-hospizliche Haltung ganz anders interpretiert und gelebt werden. Wie können diese Prinzipien der Haltung, der Würde und der Autonomie in alltägliche Dinge der Unterstützungsangebote für Trauernde übertragen werden? Hier lässt sich gut eine Brücke zum DPM der Trauerverarbeitung (siehe Kapitel 3.1) herstellen: ins Pendeln kommen, zwischen Zuständen wechseln können, Auszeiten von Trauer haben, im eigenen Tempo die Herausforderung beider Seiten angehen. Dazu gehört auch eine sinnvolle Einordnung von Vermeidung, Verdrängung oder Verleugung im Sinne einer Abwehr. Der Umgang mit Abwehrmechanismen stellt Trauerbegleitende und -beratende vor vielfältige Herausforderungen. Dennoch ist Abwehr per se eine Leistung. Sie dient dazu, sich vor Bedrohung und Gefahr zu schützen (siehe z. B. Drageset u. ­Lindstrøm, 2003; Mund u. Mitte, 2012; Zachariae et al., 2004). Im DPM wird unterschieden zwischen einer Abwehr, die eine Auszeit ermöglicht und Alltagsdinge erledigen hilft, und einer

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Abwehr, die dazu führt, an einer der Herausforderungen der verlust- oder wiederherstellungsorientierten Aufgaben hängenzubleiben (siehe Kapitel 3.1). Abwehr ist also nur dann ungünstig, wenn sie zu viel Kraft und Energie kostet. Abwehr kann auch stabilisieren und Halt geben. Wenn ich von außen unbedacht gegen die Abwehr vorgehe und sie meinem Gegenüber wegnehme, dann verliert dieser Mensch Halt und Sicherheit, schlimmstenfalls kommt es zu einer psychischen Dekompensation. Das Bedürfnis nach Sicherheit und Halt ist individuell unterschiedlich, ebenso das Ausmaß des Bedürfnisses nach Autonomie oder nach Halt und Versorgung. Auf das zu schauen, was geht, anstatt auf das, was nicht geht, ist eine hilfreiche Maxime bei der Unterstützung von Trauernden. Beispielsweise mehr auf die wiederherstellungsorientierte Seite zu fokussieren und zu schauen, was an kleinen bis größeren Fortschritten möglich ist, bei gleichzeitiger Wertschätzung und Empathie dafür, dass auf der verlust­ orientierten Seite bei Herausforderungen aufgrund von Vermeidung oder Verdrängung gerade keine Bewegung stattfindet. Was bekommt Frau M. in ihrem Leben nach Verlust hin? Wel­ che Möglichkeiten gibt es, bei ihr im Kleinen anzusetzen, mit dem Blick auf das, was geht? Zum Beispiel schafft sie es, sich zum Friedhof aufzuraffen. Es bestünde die Möglichkeit, wenn sie es möchte, sie zum Friedhof zu begleiten, ggf. dies mit einem Spaziergang zu verbinden. Gehen stimuliert durch den Wechsel von links und rechts abwechselnd beide Gehirnhälften und stößt dadurch einen Wirkmechanismus an, die sogenannte bifokale Stimulation. Dieser Wirkmechanismus fördert eine Verarbeitung traumatischer bzw. belastender Erlebnisse, insbesondere wenn die Stimulation mit einem Gespräch verbunden ist. Raum las­ send, zurückhaltend, Neugier und Interesse zeigend. Vertrauen Sie darauf, dass Frau M. in sich ihren ganz eigenen Lösungsweg

ABCD der Würde   97

für ihre Problematik besitzt, an den sie anscheinend noch nicht herankommt und den es für sie zu finden gilt. Haben Sie noch weitere Ideen, was Frau M. helfen könnte? Ich lade Sie ein zu überlegen, aufzuschreiben, was Sie in zehn Minu­ ten alles Frau M. positiv und lobend zurückmelden können, was sie gut macht, was sie gut hinbekommt.

Im hospizlich-palliativen Bereich hält sich der Mythos vom »guten Sterben«, das man allen Sterbenden ermöglichen möchte und das Ziel aller Bemühungen sein sollte. Der sterbende Mensch muss die Krankheit annehmen, den Tod akzeptieren, sich den Ängsten stellen, noch einmal alle unerledigten Dinge irgendwie klären und den eigenen Frieden finden, um dann möglichst friedlich im Kreis der Lieben einzuschlafen. Wenn das so klappt ist das schön. Aber für wen »muss« der schwer kranke Mensch das tun? Damit sich die Zugehörigen besser fühlen? Oder die Helfer/-innen, Behandler/-innen und Unterstützer/-innen? Das Einzige, was wir Menschen im Leben müssen, ist Sterben. Dennoch gibt es sowohl beim Sterben als auch beim Trauern Ansätze, die mit einem Muss, mit Leistung verbunden sind, auch wenn sie keinen wissenschaftlichen Untersuchungen standhalten können. Solche Normen geben denjenigen, die ihnen nicht entsprechen, das Gefühl, nicht in Ordnung zu sein. Das gilt für die sogenannten Sterbephasen wie auch für die Trauerphasen. Müller und Willmann (2016) haben die Kritik an den Phasenmodellen und den Nachfolgern übersichtlich und verständlich zusammen­gefasst (siehe auch Wagner, 2013). Die Sterbephasen klingen einfach und plausibel, aber sie können höchstens ein Weg sein, der für manche passend ist, aber sicher nicht für alle. Vehement und mit Nachdruck pflücken Stroebe, Schut und Boerner (2017) die Phasentheorie auseinander und führen alle Studien auf, die ihre Argumentation empirisch stützen. »Warum ist es so unmöglich, die Phasentheorie aus der Position eines beliebten Favoriten für Leh-

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rende, Kliniker und Klienten zu verdrängen? Der fortwährende Reiz ist vielleicht ihre Einfachheit. Inmitten einer emotionalen Komplexität, die das Trauererleben kennzeichnet, bieten die Phasen sowohl beschreibend als auch vorschreibend etwas, an dem sie festhalten können. Hinterbliebene möchten wissen, was sie erwartet und wie lange die Belastung anhält. Wie Hall […] ausdrückte, haben ›Phasentheorien eine gewisse ­verführerische Anziehungskraft – sie bringen ein Gefühl für konzeptuelle Ordnung in einen komplexen Prozess und bieten das emotional versprochene Land der »Genesung« und des »Abschließens«‹« (­ Stroebe et al., 2017, S. 467). Silver und Wortmann (2007), die auch von Stroebe et al. (2017) zitiert werden, führen zudem aus: »Ein falscher Glaube an das Phasenmodell […] kann verheerende Folgen haben. Dies kann dazu führen, dass Hinterbliebene das Gefühl haben, keinen angemessen Umgang zu finden, zudem weniger bis keine hilfreiche Unterstützung aus dem sozialen Netz bekommen sowie wenig hilfreiche oder sogar schädliche Reaktionen von im Gesundheitswesen in der psychosozialen Unterstützung tätigen Menschen erfahren« (Silver u. Wortmann, 2007, S. 2692). Bonnano und B ­ oerner (2007) ergänzen: »Sie [andere Autoren] argumentieren zum Beispiel, dass die Fokussierung auf die Phasen unser Verständnis dafür verbessert, wie ein normaler Mensch einen Verlust verarbeitet. Aber ein wichtiger Grund, warum das Phasenmodell keinen empirischen Nachweis generieren konnte, ist der Mangel an Erklärungsgehalt. Die Aspekte der Trauer, die das Phasenmodell umfasst, mögen informativ sein, aber es sind mit Sicherheit nicht die einzigen kritischen Faktoren bei der Verlustverarbeitung. Trauerphasen erzählen uns wenig darüber, wie die Menschen mit dem Verlust umgehen könnten. Warum sie unterschiedliche Art, Intensität und Ausmaß von Distress zu unterschiedlichen Zeiten erfahren; und wie sie sich mit der Zeit an ein Leben ohne ihren geliebten Menschen anpassen« (Bonnano u. Boerner, 2007, S. 2693). Dies betont die Notwendigkeit, auch

Optimale Versorgungsstrukturen   99

gesellschaftlich weit verbreitete Modelle zu hinterfragen, da diese potenziell für diejenigen Schaden anrichten können, denen damit eigentlich Gutes getan werden sollte. Ein Abgleich mit den Prinzipien palliativer Haltung und Würde und den damit verbundenen Werten, wie Anstand, Ehrlichkeit, Vertrauen, Kooperation, und insbesondere Demut (Münch u. Müller, 2019), ist dabei immer hilfreich. Insofern Vorsicht bei allem, was das Wort »muss« jenseits von sinnvoller Qualitätssicherung beinhaltet. Die Diskussion in den vorherigen Abschnitten zeigt auch auf, dass im Bereich der Trauerberatung und in verwandten Bereichen ein Mangel an ethischen Richtlinien und Normen für Beratende und Unterstützende herrscht (siehe auch Münch u. Müller, 2019). Anregungen für entsprechende Richtlinien und Normen bieten beispielsweise Ansätze aus der Medizin- oder Pflegeethik (z. B. Rabe, 2013).

5.4 Optimale Versorgungsstrukturen für die Unterstützung Trauernder

In Deutschland sind die Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Unterstützung in der Trauer sehr vielfältig: Trauercafés, Trauerberatung, Trauergruppe, Selbsthilfe für Trauernde, Trauer­begleitung, Trauertherapie, um nur einige zu nennen. Das ist als Außenstehender nicht immer einfach zu durchschauen. Was bekomme ich von wem? Die Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung wird in Deutschland dazu führen, dass Menschen mit Heilerlaubnis, also zum Beispiel approbierte Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen, Trauernden mit Unterstützungsbedarf oder Risko­faktoren behandeln dürfen und dies von der Krankenkasse bezahlt wird. Dies löst aber noch nicht das ohnehin bestehende Problem der mangelnden Verfügbarkeit von freien Therapie­

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plätzen und das noch eher selten vorhandene Fachwissen für die psychotherapeutische Arbeit mit Trauernden. Dennoch ist psychotherapeutische Versorgung von psychisch belasteten Menschen qua Gesetz ein Teil der Versorgungslandschaft. Was bleibt dann für die Trauerberater/-innen? Die neue Dia­gnose der Anhaltenden Trauerstörung bringt die Chance mit sich, ihre Situation angemessen zu reflektieren und Prozesse in Gang zu setzen, die sowohl Trauernden als auch Trauerberatern klarere Rahmen setzen, Qualität sicherstellen und Transparenz und Übersichtlichkeit schaffen. Es wäre wunderbar, wenn das aus den auf Trauer spezialisierten Verbänden heraus geschieht. Allerdings wird das nicht einfach sein, da Veränderungs­bestrebungen häufig zunächst einmal Widerstand erzeugen. Damit gilt es einen Umgang zu finden, um Entwicklungen nachhaltig voranzubringen. Meine Vision: Flächendeckend niedrigschwellige Angebote wie beispielsweise Trauercafés oder Selbsthilfegruppen an verschiedenen Institutionen. Daneben gibt es in allen Regionen Beratungsstellen für Trauernde, in denen sich qualifizierte Beratende um Trauernde kümmern, indem sie zum Beispiel sozialrechtliche Fragen klären und bei Bedarf soziale Unterstützung organisieren. Zudem sollten sie für alle Fragen rund um Trauer in der jeweiligen Kommune zur Verfügung stehen und Veranstaltungen organisieren, damit aktuelles Wissen über Trauer und einen hilfreichen Umgang mit Trauernden verbreitet wird und ehren- und hauptamtliche Trauerberatende fortlaufend weitergebildet werden. Zudem bestehen Kooperationen der Beratungsstellen mit Hochschulen, um Projekte und Qualität evaluieren zu lassen und um Forschung zu Trauer zu unterstützen. Die Beratungsstellen sorgen im Erstgespräch mithilfe eines Eingangsscreenings dafür, dass allen sie aufsuchenden Trauernden in Abhängigkeit vom Schweregrad der Trauer ein entspre-

Optimale Versorgungsstrukturen   101

chendes Angebot gemacht werden kann. Bei Risikofaktoren für oder Anzeichen einer Anhaltenden Trauerstörung, Suizidalität, Depression oder PTBS leiten sie die Trauernden an qualifizierte, mit den Beratungsstellen zusammenarbeitende Psychotherapeuten weiter. Die Beratungsstellen befinden sich zudem in einem fortwährenden Austausch mit niedergelassenen Ärzten der Region, um fachlich mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und Hand in Hand zu arbeiten. Für alle Trauernden bestehen angeleitete Trauergruppen, die Wissen über Trauer vermitteln und den Teilnehmenden in wertschätzender und Würde wahrender Atmosphäre Raum für einen hilfreichen Austausch bieten. Die approbierten Psychotherapeuten bieten fortlaufend Gruppentherapie an und verfügen zusätzlich über ein Kontingent an Einzeltherapieplätzen für schwere Fälle mit zusätzlichen Störungen. Sowohl die Beratungsstellen als auch die damit vernetzten Psychotherapeuten arbeiten mit den regionalen niedergelassenen Psychiatern und teilstationären und stationären Kliniken für Psychosomatik, Psychotherapie und Psychiatrie zusammen, um Trauernde mit einem Suizidrisiko oder einem Bedarf an medikamentöser Unterstützung in Abhängigkeit von der Eskalationsstufe und der Schwere der Situation eine angemessene Behandlung zukommen zu lassen. Personen, die in der Hospiz- und Palliativversorgung tätig sind, stehen ebenfalls eng mit den Beratungsstellen im Kontakt. Sie identifizieren die Zugehörigen schwer kranker und sterbender Menschen, die ein hohes Risiko für eine Anhaltende Trauer­ störung oder andere psychische Störungen und somit Unterstützungsbedarf haben (siehe Kapitel 5.5). Niedergelassene Hausärzte setzen bei Verdacht auf eine Anhaltende Trauerstörung Kurzscreenings ein, um die Betroffenen im Fall eines positiven Befunds an die Beratungsstellen zu vermitteln.

102    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

Darüber hinaus sollten Fragen der Haltung, der Ethik und des Wissensstands erörtert werden und es sollte geklärt werden, wie diese Werte Trauernden und Trauerberatenden vermittelt werden können.

5.5 Erkennen von Risikofaktoren im Hospizund Palliativbereich

Gemäß der S3-Leitlinie Palliativmedizin (AWMF, 2019) gehört es zu den Aufgaben der Hospiz-und Palliativversorgung, Trauernde zu unterstützen und ihnen adäquate Angebote zur weiteren Hilfe und Versorgung zu machen. Dafür ist es unter anderem notwendig, sich mit möglichen Risikofaktoren auseinanderzusetzen. Die Risikofaktoren lassen sich wie folgt einteilen: • Verlustart • Intrapsychische Faktoren • Belastung vor Verlust • Qualität der Beziehung zum Verstorbenden • Soziale Beziehungen nach Verlust • Wirtschaftliche Situation nach Verlust Verlustart

Zu den Risikofaktoren, die zur Entwicklung einer Anhaltenden Trauerstörung sowie von Depressionen, Angststörungen, PTBS, Manien, bipolaren Episoden und Alkoholabhängigkeit beitragen können, gehört der plötzliche und unerwartete Verlust zum Beispiel durch Krankheit, Unfall, Naturkatastrophen, Terrorismus, Gewalt oder Suizid (z. B. Keyes, Pratt, Galea, McLaughlin, Coenen u. Shear, 2014; Nielsen, Neergaard, Jensen, Vedsted, Bro u. Guldin, 2016). Hierzu gibt es weiterführende Erkenntnisse unter anderem aus folgenden Studien: Laut Boelen, de Keijser und Smid

Erkennen von Risikofaktoren   103

(2015) führt der plötzliche Verlust durch Unfall oder Gewalt zu einer höheren psychischen Belastung als der Verlust durch eine lebenslimitierende langwierige Erkrankung (Boelen et al., 2015). Nach Aoun et al. (2015) wird ein plötzlicher Verlust als massiver Bruch im Leben empfunden. Bei einer sehr engen Bindung zum Verstorbenen besteht nach einem Verlust durch Gewalt ein erhöhtes Risiko für eine Anhaltende Trauerstörung (Heeke et al., 2017). Der Verlust durch Mord oder Suizid ist ein Risiko­faktor für eine Depression (Lobb, Kristjanson, Aoun, Monterosso, ­Halklett u. Davies, 2010). Bei einem Verlust durch Suizid besteht für Hinterbliebene eine deutlich erhöhte Suizidalität (z. B. Linde, Treml, Steinig, Nagl u. Kersting, 2017; A ­ ndriessen et al., 2019). Wurden die Todesumstände des Verstorbenen als traumatisch erlebt, besteht für Trauernde ein erhöhtes Risiko für eine PTBS, Depressionen oder eine Anhaltende Trauer­störung (Lobb et al., 2010). Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ein Geschwister durch eine Krebserkrankung verloren haben, erhöht sich das Risiko für eine Anhaltende Trauer, wenn die Wahrnehmung eines nicht friedlichen Todes und eine ungünstige Kommunikation mit dem nahen Umfeld vorliegen (­Lövgren et al., 2018). Intrapsychische Faktoren

Unabhängig von der Verlustart besteht bei einer Anhaltenden Trauerstörung generell im Vergleich zur Normalbevölkerung ein erhöhtes Suizidrisiko. Mögliche Suizidalität sollte deshalb regelhaft angesprochen werden. Nach Guldin et al. (2017) weisen ein Drittel der von einer Anhaltenden Trauerstörung Betroffenen suizidale Handlungen oder Gedanken, selbstschädigendes Verhalten wie Alkoholmissbrauch oder psychiatrisch relevante Störungen auf. Eine vor einem Verlust bestehende psychische Störung geht mit einem erhöhten Risiko für eine Anhaltende Trauerstörung oder Depressionen einher (Nielsen et al., 2016). Ebenso erhöhen

104    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

eine stark ausgeprägte Bindungsangst bzw. eine unsichere Bindung dieses Risiko (Lobb et al., 2010; ­Thomas et al., 2014). Belastung vor Verlust

Auch für pflegende Angehörige bestehen Risikofaktoren für Depressionen oder eine Anhaltende Trauerstörung, wenn bei ihnen vor dem Verlust bereits stark ausgeprägte Trauer vorhanden war (Nielsen et al., 2016; Lobb et al., 2010; Thomas, Hudson, Trauer, Remedios u. Clarke, 2014), sowie bei einer hohen pflegerischen und allgemeinen Belastung vor dem Verlust (­Thomas et al., 2014). Qualität der Beziehung zum Verstorbenen

Bestand zwischen dem Verstorbenen und dem Trauernden eine enge bis symbiotische Paarbeziehung, erhöht dies das Risiko für Depressionen oder eine Anhaltende Trauerstörung; dies gilt nicht nur für ältere Menschen mit langen Beziehungen (Milic et al., 2017), sondern auch für jüngere Erwachsene (Nielsen et al., 2016; Lobb et al., 2010). Soziale Beziehungen und wirtschaftliche Situation nach Verlust

Soziale Unterstützung kann ein Schutzfaktor sein, wenn sie als hilfreich und ausreichend erlebt wird. Wenn soziale Unterstützung allerdings als nicht hilfreich und/oder nicht ausreichend erlebt wird, stellt das nach Lobb et al. (2010) zusammen mit einer negativen kognitiven Bewertung38 des Todes und einer hohen Belastung zur Zeit des Verlusts einen Risikofaktor für ­Depressionen und eine Anhaltende Trauerstörung dar. Zudem gilt auch ein hohes Maß an Konflikten innerhalb der Familie der 38 Beispiele für negative kognitive Bewertungen sind, dass der Tod nicht friedlich, sondern qualvoll war oder dass kein Sinn oder keine Sinnhaftigkeit in Bezug auf den Verlust bzw. das Sterben gefunden werden kann.

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Hinterbliebenen als Risikofaktor (Lobb et al., 2010). ­Aberkannte bzw. nicht anerkannte Trauer (»disenfranchised grief«) kann ebenfalls ein Risikofaktor für eine Anhaltende Trauerstörung sein (Müller u. Willmann, 2016). Darüber hinaus sind finanzielle Schwierigkeiten nach einem Verlust ein genereller Stressor und Risikofaktor für ­Depressionen und eine Anhaltende Trauerstörung (Galatzer-Levy u. Bonnano, 2012). Zur Erfassung des Risikos für eine Anhaltende Trauerstörung noch vor einem Verlust gibt es zwei Fragebögen: das Bereavement Risk Assessment Tool (BRAT) und der Bereavement Risk Index (BRI). Vom BRAT gibt es eine deutsche Version namens Multi­ professioneller Fragebogen zur Trauerbewältigung, die noch evaluiert werden muss (Stand: 10.11.2019; Müller et al., 2017; Müller et al., eingereicht/a). Er kann zur systematischen Früherkennung genutzt werden, um präventive Unterstützung anzubieten. Auch wenn sich die Schilderung des Befindens von Frau B. auf die Zeit nach dem Verlust bezieht, lässt sich vielleicht doch rück­ blickend der eine oder andere Risikofaktor erkennen. Das Alter ist nicht klar, Frau B. ist aber berufstätig. Es scheint vorher eine sehr enge Bildung zum Verstorbenen gegeben zu haben, es ist aber nicht eindeutig, dass diese symbiotisch eng gewesen ist. Die Verlustart ist nicht beschrieben, es klingt aber aus den Zei­ len, dass Frau B. auf den Verlust nicht vorbereitet war. Vielleicht kann man Ideen entwickeln, welche Risikofaktoren hier zutreffen. Frau  B. geht es wieder einigermaßen gut. Sie erlebt zwar immer wieder Momente tiefer Trauer, dennoch ist sie inzwischen wieder dazu in der Lage, einen Alltag zu haben und auch mal wie­ der und ohne schlechtes Gewissen Freude zu empfinden. Ihr hat eine Psychotherapeutin geholfen, die wusste, was in ihrem Fall hel­ fen könnte. Das hat allerdings eine ganze Weile gedauert. Ein paar Dinge hat sie im Leben geändert: Der Freundeskreis ist klein, aber

106    Umgang mit der Diagnose Anhaltende Trauerstörung

fein und besteht aus den Menschen, die trotzdem zu ihr gehalten haben und geduldig waren. Da sie es sich finanziell leisten kann, arbeitet sie nicht mehr in Vollzeit. Sie hat das ein oder andere lange verschüttete Hobby aktiviert und kann angenehme Aktivi­ täten gelegentlich genießen. Thomas ist zwar nach wie vor ein Teil ihres Lebens, aber sie hat das Gefühl, dass er einen anderen Platz eingenommen hat als vorher. Ob sie sich jemals wieder auf eine neue Beziehung einlassen kann? Das ist fraglich. Im Moment fühlt es sich nicht so an, aber wer weiß das schon im Voraus?

☞ Merke: Die Einführung der Diagnose Anhaltende Trauerstörung bie­ tet eine Chance, die Hilfe, Unterstützung und Versorgung von trauernden Menschen übersichtlich, transparent und mit nach­ vollziehbaren internationalen Qualitätskriterien in enger Zusam­ menarbeit mit Forschung zu gestalten. Bei der begrifflichen Unterscheidung zwischen Trauerbegleitung und Trauerbera­ tung gilt es, die damit verbundenen ethischen Prinzipien und das dahinterstehende Menschenbild zu erfassen: Der Begriff »Trauerberatung« entspricht in der Definition deutlich besser den Prinzipien der Hospiz- und Palliativversorgung als der Begriff »Trauerbegleitung« und bietet mehr Raum für posttraumatisches Wachstum, Autonomie und Würde. In Deutschland könnte ein gestuftes Modell der Versorgung und Unterstützung von Trauernden Trauerberatenden ein weites Feld an Möglichkeiten bieten, um ihre Kompetenz einzubringen und sich mit anderen beteiligten Berufsgruppen zu vernetzen. Im Hospiz- und Palliativbereich besteht eine wichtige Aufgabe darin, Risikofaktoren für eine Anhaltende Trauerstörung und andere psychische Störungen zu kennen, damit präventiv ent­ sprechende Unterstützungsangebote gemacht werden können.

6  Tipps für Trauerberatende

Die folgenden Punkte sind als Tipps, Hinweise, Anregungen oder Rat gedacht, die für die Arbeit mit anhaltend Trauernden hilfreich sein können.

6.1  Eine Anhaltende Trauerstörung erkennen

Ein wesentliches Kriterium zur Feststellung einer Anhaltenden Trauerstörung ist, dass mindestens sechs Monate seit dem Verlust vergangen sein müssen. Vorher darf diese Diagnose nicht gestellt werden. Für die Praxis ist es hilfreich, den Blick auf folgende Anhaltspunkte zu richten: • Wie hoch ist der Leidensdruck, den der trauernde Mensch verspürt? Das kann nicht von außen gemessen, sondern nur erfragt werden (ggf. auf einer Skala von 0 bis 10). • Steht die Sehnsucht nach dem Verstorbenen im Mittelpunkt? • Entsteht der Eindruck, dass die Trauer das Maß, das in unserer Gesellschaft als angemessen gilt, überschreitet? • Bekommt der Trauernde seinen Alltag geregelt? Wie schätzt er das selbst ein? Fragen Sie ruhig nach, ob und wie das Ganze funktioniert, zum Beispiel: Wie sieht es mit der Arbeit, mit dem Einkaufen, mit der Säuberung der Wohnung usw. aus? Werden Kontakte aufrechterhalten oder nicht? Gibt es Unterstützung? Wird die Unterstützung als hilfreich erlebt bzw. angenommen?

108    Tipps für Trauerberatende

Wenn Sie aufgrund der Antworten und dem subjektiven Leidens­ druck des Trauernden den Eindruck haben, dass er schwer beeinträchtigt ist, sollten Sie ihn an einen Psychologischen oder Ärztlichen Psychotherapeuten weitervermitteln. Allerdings gibt es keine wissenschaftlich fundierten Studienergebnisse, die dafür sprechen, eine psychotherapeutische Behandlung vor dem Ablauf von sechs Monaten nach einem Verlust durchzuführen.

6.2 Trauerberatung und Psychotherapie: Ist beides gleichzeitig möglich?

Trauerberatung, Trauergruppen und der Besuch eines Trauer­ cafés können sehr gut parallel zu einer ambulanten Psychotherapie stattfinden im Sinne eines Sowohl-als-auch. Es ist für Trauerberatende und -begleitende sowie für Psychotherapeuten wichtig, Hand in Hand zu arbeiten, sich zu ergänzen und die sich daraus bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Aber die Rollen­ verteilung muss klar sein und Trauerberatende und Psycho­ therapeuten sollten voneinander wissen. Es kann sein, dass an Sie als Trauerberatenden Anliegen herangetragen werden, die in eine Psychotherapie gehören. Bitte sagen Sie dies dem Trauernden freundlich und wertschätzend. Außerdem kann es passieren, dass der Trauernde das Gefühl hat, nicht beim richtigen Therapeuten zu sein. Fragen Sie ruhig nach, woran er das festmacht, und ermuntern Sie ihn ggf. dazu, sich nach Alternativen umzusehen. Hierfür können die ersten Therapiestunden genutzt werden, die dazu da sind, herauszufinden, ob eine tragfähige Beziehung zwischen Klient und Therapeut möglich ist. Der Trauernde sollte sich im Hinblick auf seine aktuelle Therapie folgende Fragen stellen: Fühle ich mich als Mensch gesehen, wahr- und angenommen mit allen meinen Zweifeln, Sorgen und Nöten? Kann ich »Nein« sagen, ohne dass

Wie finde ich geeignete Psychotherapeuten?   109

gefühlt »Liebesentzug« droht? Kann Ihr Gegenüber beide Fragen bejahen, dann ist er beim richtigen Therapeuten. Ein Mensch, der den Halt verloren hat, benötigt Möglichkeiten, um Halt zu finden. Trauerberatende haben die Aufgabe, ihm einen Halt zu geben, der so viel Raum und Luft lässt, dass Entwicklungen und Wachstum möglich sind (siehe auch Kapitel 5.2). Darüber hinaus kann es hilfreich und unterstützend sein, den Blick auf seine sozialen Belange, seine spirituellen Nöte und eventuell auf belastete Zugehörige zu richten.

6.3  Wie finde ich geeignete Psychotherapeuten?

Tun Sie sich mit anderen Trauerberatenden zusammen und knüpfen Sie ein Netzwerk, das neben Trauerberatenden auch niedergelassene Psychotherapeuten, Hausärzte sowie Hospiz- und Palliativmitarbeiter umfassen sollte. Netzwerke bieten viele Vorteile, beispielsweise Möglichkeiten für gemeinsame Fortbildungen. Wenn Sie von sich den Eindruck haben, nicht der beste Netzwerker zu sein, schauen Sie, wo sie sich anschließen können bzw. wer sie darin unterstützen kann. Ärzte und Psychotherapeuten sollten nicht über Aushänge, sondern direkt angesprochen werden. Durch den Kontakt zu Ärzten und Psychotherapeuten erfahren Sie, ob sie Interesse am Thema Trauer haben und Kompetenzen für die Behandlung und oder Beratung in diesen Bereichen besitzen. Wenn Sie sich untereinander kennen, sind Termine eventuell leichter auszumachen. Sollte Ihre Einladung, sich an einem Netzwerk zu beteiligen, abgelehnt werden, lassen Sie sie bestehen und vermitteln Sie, dass es auch zu einem anderen Zeitpunkt möglich ist, sich anzuschließen. Ein Hospiz oder eine Palliativstation bzw. ein ambulanter Hospizdienst können eine gute Basis für ein solches Netzwerk sein.

110    Tipps für Trauerberatende

6.4 Woran erkenne ich, ob Trauernde eine Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung haben?

Antriebs- und Gefühllosigkeit sowie Gefühle von Wertlosigkeit und innerer Leere, oft gepaart mit mimischer Ausdruckslosigkeit, können auf eine Depression hinweisen. Die Frage »Fühlen Sie sich depressiv?« kann zudem hilfreiche Aufschlüsse geben. PTBS ist bei einem Trauernden an auffälligem Verhalten und den damit verbundenen Emotionen auszumachen. In der Regel handelt es sich um eine Kombination aus Rastlosigkeit, fortwährender Übererregung und hohem Kontrollbedürfnis. Dahinter steht eine existenzielle Angst, die in Folge des Traumas oder der Traumata durch den erlebten absoluten Kontrollverlust und die damit verbundene Ohnmacht ausgelöst wurde. Mit dieser Angst sind stark ausgeprägte Ängste vor dem Wiedererleben der trauma­ tischen Situation(en) vor allem durch Intrusion verbunden. Vermeidung potenziell angstauslösender Situationen, Sicherheitsverhalten, Angst vor Hilflosigkeit und vor Panik. Albträumen und dadurch verursachten Schlafstörungen gehen damit einher. Intrusionen werden durch optische, akustische oder olfaktorische Reize ausgelöst, die für den Betroffenen direkt mit der traumatischen Situation in Verbindung stehen. Auch lassen traumatische Erlebnisse, beispielsweise ein traumatisch erlebtes Sterben eines geliebten Menschen, darauf schließen, dass sich eine PTBS entwickelt haben könnte. Eine erhöhte Vulnerabilität (Verletzlichkeit) kann im Zusammenspiel mit den anderen Symp­tomen ein Kennzeichen für eine PTBS sein (zur Unterscheidung von Trauer, Depressionen und PTBS siehe auch Kapitel 2.2). Wenn Sie den Verdacht haben, dass ein Trauernder von einer Depression oder PTBS betroffen ist, sollten Sie ihn an einen Psychiater oder an einen Ärztlichen oder Psychologischen Psychotherapeuten weitervermitteln. Falls kein dafür hilfreiches Netz-

Umgang mit Suizidalität   111

werk vorhanden ist, stellt der regionale Sozialpsychiatrische Dienst entsprechende Adressen zur Verfügung.

6.5  Umgang mit Suizidalität

Trauernde haben insbesondere im ersten Jahr nach dem Verlust ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko. Betroffene, die sich wirklich umbringen wollen, sind durch Prävention kaum oder überhaupt nicht zu erreichen, alle anderen mit erhöhtem Risiko sprechen hingegen darüber oder deuten ihre Absicht an und senden damit Hilfesignale. Wenn Sie jemanden aktiv auf Suizidalität ansprechen möchten, ist es hilfreich zu wissen, dass das Ansprechen selbst keine Ideen dazu auslöst oder das Risiko für Suizidalität erhöht. Im Gegenteil kann es für Betroffene entlastend sein, wenn jemand ihnen dafür Raum bietet und ihn so aus-halten kann. Fragen können sein: »Haben Sie zur Zeit Lebensüberdruss­gedanken?« oder »Haben Sie in letzter Zeit daran gedacht, sich das Leben zu nehmen?«. Wenn das bejaht wird, dann stellen Sie die Frage, wie konkret oder drängend diese Gedanken sind, wie zum Beispiel: »Muss ich mir um Sie Sorgen machen?« Danach können Sie im Gespräch klären, was Ihr Gegenüber an Unterstützung braucht. Sollten Sie solche Hilfesignale wahrnehmen und sich selbst nicht zutrauen, das anzusprechen bzw. zu klären, wie akut das ist, holen Sie sich Rat und Unterstützung beim Krisendienst oder dem jeweiligen Sozialpsychiatrischen Dienst. Sorgen Sie dann dafür, dass der suizidale Trauernde mit diesen Institutionen Kontakt aufnimmt. Bei Bedarf und wenn seitens des Suizidalen gewollt, sollten Sie ihn zur Notaufnahme eines Krankenhauses mit psychiatrisch-psychotherapeutischer stationärer Versorgung begleiten. Bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie mit dem Betroffenen in Kontakt. Weitere und hilfreiche Informationen liefert

112    Tipps für Trauerberatende

außerdem die S3-Leitlinie Palliativmedizin zum Thema Sterbewunsch oder die Homepage der Deutschen Depressionshilfe39.

6.6  Haltung und Selbstfürsorge

Ihre Haltung als Trauerberatender sollte wertschätzend, annehmend und verständnisvoll sein. Üben Sie sich in Demut, Anstand und Würde. Lassen Sie den Trauernden Raum und versuchen Sie, sie zu halten bzw. auszuhalten. Ihr Leitsatz sollte lauten: »So viel Fürsorge wie nötig, aber so viel Autonomie wie möglich.« Reflektieren Sie regelmäßig Ihr Tun und fragen Sie sich beispielsweise: Wem nutzt mein Handeln und Tun? Hat mein Gegenüber etwas davon oder dient es lediglich dem Selbstzweck, zum Beispiel der eigenen Beruhigung? Respektieren Sie es, dass Wege unterschiedlich sein können. Sollte Ihnen dies allzu schwerfallen oder sollten dadurch Konflikte entstehen, nehmen Sie bitte Supervision in Anspruch. Reagieren Sie nicht ungehalten auf Abwehr bei Ihrem Gegenüber, sondern sehen Sie sie als Leistung, die Respekt verdient. Statt seine Abwehr als Feind anzusehen, sollten Sie Ihren Blick darauf richten, an welcher Stelle bei ihm Bewegung möglich ist und Ressourcen aktiviert werden können, indem Sie sich zum Beispiel fragen, auf welchem Gebiet seine Kompetenzen liegen. Verstehen Sie Ihr Angebot immer als Einladung und vermitteln Sie das auch so. Das stärkt die Autonomie Ihres Gegenübers. Achten Sie auf Ihre Grenzen. Fragen Sie sich zum Beispiel, wann Ihnen etwas zu viel wird oder Sie etwas so sehr berührt, dass es Sie kaum noch loslässt. Sollten Sie selbst keine Lösung 39 Hilfreiche Tipps unter: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/depression-in-verschiedenen-facetten/suizidalitaet#Umgang %20mit %20suizidalen %20Menschen.

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finden, können Sie sich Unterstützung in Form von Beratung oder Supervision suchen. Machen Sie sich bewusst, dass Sie nur dann auf Dauer genug Kraft haben, um andere zu unterstützen, wenn Sie sich selbst ernst nehmen und Ihre Kraft einteilen. Halten Sie eine professionelle Distanz ein. Das ist in Ihrem Sinne und in dem Ihres Gegenübers. Denken Sie daran, dass Sie nicht nur geben, sondern auch von anderen lernen dürfen. Achten Sie auf Ihre Gesundheit und darauf, dass Sie sich in Ihrer eigenen Haut mit dem, wie Sie leben und was Sie tun, gut fühlen.

7  Ausblick und Dank

Danke, dass Sie bis hierhin gelesen haben. Hoffentlich regt Sie diese Lektüre zum Nachdenken an und stellt eine Bereicherung für Ihren Wissensschatz dar. Auch wenn manche Passage für Widerspruch und Diskussion sorgen wird, möchte ich mich mit diesem Beitrag gern notwendigen Diskussionen stellen. Wir benötigen angemessene und ausreichende Unterstützungsstrukturen und soziale Netze für diejenigen, die sich damit schwertun, einen Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen zu finden. Wir brauchen viel mehr qualitativ gute Forschung zu Trauer, die am besten an entsprechenden Lehrstühlen angesiedelt ist, die interdisziplinär Psychologie, Sozialwissenschaften, Soziologie und Spiritual Care mit einbeziehen. Wir wissen noch so wenig wissenschaftlich fundiert über Trauer. Und Erfahrungswissen ersetzt keine systematische Forschung, da sie deutlich mehr Fehlern unterliegt. Es bedarf darüber hinaus einer Kultur, die sowohl Trauernden wertschätzende Unterstützung bietet als auch die Beratenden vor Burnout schützt. In diesem Buch wurden vielversprechende neue Ansätze und Erkenntnisse zusammen mit bewährtem Wissen in das DPM zur Trauerverarbeitung eingefügt. Zugleich konnte hoffentlich deutlich gezeigt werden, dass dieses Modell und dazu passende therapeutische Ansätze zahlreiche Möglichkeiten in der Therapie von Menschen mit einer Anhaltenden Trauerstörung eröffnen. Wir dürfen gespannt sein, was die Zukunft bringt – aber nur, wenn sich immer wieder Menschen finden, die bereit sind,

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sich für die Sache und die damit verbundenen Werte einzusetzen, besteht die Chance, dass etwas Gutes, etwas Besseres entsteht. Bedanken möchte ich mich bei Monika Müller für das Vertrauen in mich, dieses Buch zu schreiben. Vielen lieben Dank an Heidi Müller, Laura Schilz, Julia Botsch, Ruthmarijke Smeding, Birgit Wagner, Daniel Berthold, Peter Hoffer und Thomas Steinmüller sowie Ulrike Rastin für ihre Hilfe und Unterstützung.

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