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German Pages XV, 203 [207] Year 2021
Jessica Schäfer
Altersgemischte Teams in der Pflege Miteinander arbeiten – voneinander lernen
Altersgemischte Teams in der Pflege
Jessica Schäfer
Altersgemischte Teams in der Pflege Miteinander arbeiten – voneinander lernen
Jessica Schäfer Garmisch-Partenkirchen, Deutschland
ISBN 978-3-662-62061-8 ISBN 978-3-662-62062-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Sarah Busch Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Vorwort
Ob Müsli, Obstsalat, Gummibärchen, Smoothie, Farbpalette, Werkzeugkasten, Gewürzregal oder Orchester: die Mischung macht’s! Das trifft auch auf altersgemischte Teams zu, denn dadurch werden die Potenziale der verschiedenen Generationen nicht nur addiert, sondern im Idealfall sogar multipliziert. Teams mit verschiedenen Altersgruppen gab es zwar schon immer, doch die Generationen arbeiten heute länger überlappend zusammen als früher. Das bringt einerseits größere Vielfalt, andererseits aber auch Konfliktpotenzial mit sich. Daher werden die Herausforderungen von altersgemischten Teams in diesem Buch weder ausgeklammert noch über die Maßen problematisiert. Mit dem Thema „Generationsübergreifende Teamarbeit“ beschäftigte ich mich erstmals intensiver im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit vor gut zwanzig Jahren. Damals leitete ich ein Team mit einem Generationenmix und war auf der Suche nach entsprechender Literatur, die es zu diesem Zeitpunkt jedoch nur sehr vereinzelt gab. Überhaupt war die gesamte Thematik „Generationenmanagement“ in den Unternehmen eine Randerscheinung. Die Vorreiter waren Wirtschaftsunternehmen, denen das Gesundheitswesen langsam folgte. In dieser Hinsicht war es spannend zu beobachten, wie das Thema von anfänglich „ganz interessant“ über „sinnvoll“, „relevant“, inzwischen als „überlebensnotwendig“ eingestuft wird. Inhaltlich ging und geht es in der Literatur, aber auch in Schulungen und Projekten, meist darum, wie die jüngsten Generationen eingebunden werden und es gelingt, dass die älteren Beschäftigten möglichst lange arbeitsfähig bleiben und ihre Erfahrung einbringen können. Neben diesen unbestritten wichtigen Gesichtspunkten kommt häufig der Aspekt zu kurz, wie die Zusammenarbeit der verschiedenen Generationen erfolgreich sein kann – und zwar für alle Beteiligten. Daher dieses Buch, das für Mischkultur statt Monokultur und Vielfalt statt Einfalt in Teams wirbt. Doch der Mix aus verschiedenen Generationen in einem Team ist nur in den seltensten Fällen ein erfolgreicher Selbstläufer. Vielmehr kommt es darauf an, die Mischung gut zusammenzustellen und immer wieder aufs Neue entsprechend zu dosieren. Die einzelnen Zutaten, wie das gelingen kann, finden Sie in diesem Buch. Wie so oft gibt es auch für erfolgreiche altersgemischte Teamarbeit nicht die eine Rezeptur oder das eine Konzept, womit sie wirklich immer gelingt. Vielmehr braucht es eine möglichst hohe Passgenauigkeit im Blick auf die jeweiligen Rahmenbedingungen und die dazugehörigen Menschen. Und es V
VI
braucht Wollen, Können, Kreativität, Ausdauer und Mut, um Gestaltungsräume sowie Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen. Daher können viele aus diesem Buch lernen, nicht jeder kann alles umsetzen, doch alle können etwas zum Gelingen von altersgemischter Teamarbeit beitragen. Die Empfehlungen und Tipps, die ich in diesem Buch gebe, wurden in der Praxis vielfach erprobt und auf ihre Wirksamkeit hin geprüft. Herausgekommen sind Best-Practice-Ideen aus meinen Berufsjahren am Krankenbett, in Führungspositionen und im Consulting. Beim Schreiben war es mir wichtig, die Balance zwischen Wissenschaft und dem „echten Leben“ zu halten: also zwar mit der nötigen Tiefe, aber „runtergebrochen“ und gleichzeitig praktisch genug, um es „bequem“ zu lesen und umzusetzen. Herausgekommen ist kein „klassisches“ Pflegebuch, sondern eines mit Blick über den Tellerrand. Und der ist bekanntlich entscheidend – nicht nur für die gelingende Zusammenarbeit der verschiedenen Generationen. Sie werden merken, dass Sie einiges, was Sie in den folgenden Kapiteln lesen, schon mal irgendwann gehört oder gelesen haben, manches praktizieren Sie vielleicht auch schon erfolgreich in Ihrem Berufsalltag und wieder anderes ist Neuland. Ich wünsche Ihnen, dass Sie beim Lesen Ihren Berufsalltag reflektieren, neue Ideen für Ihren Arbeitsbereich entdecken und ermutigt werden, Ihre altersgemischte Teamarbeit weiter zu optimieren. Denn wie heißt es so schön: Wer aufhört, besser zu werden, hört auf gut zu sein! Aus den vielen Seminaren, Vorträgen, Trainings on the job und Consultings zu diesem Thema weiß ich, dass es sich oftmals um ein emotionales Thema handelt. Alter(n) ist für viele an sich schon mit negativen Emotionen behaftet – und dann auch noch die Sache mit den Teammitgliedern... Sollte Ihnen also das Buch stellenweise zu persönlich werden, dann nutzen Sie die Gelegenheit zur Selbstreflexion oder gehen Sie einfach davon aus, dass ich garantiert eines Ihrer Teammitglieder, Ihre Führungskraft, Ihre Beschäftigten oder mich, doch auf gar keinen Fall Sie meine. Apropos „wen ich meine“: Wann immer Sie „Unternehmen“, „Klinik“ etc. lesen, sind immer auch Pflegeheime, ambulante Pflegedienste, Arztpraxen, Medizinische Versorgungszentren, Behinderteneinrichtungen usw. gemeint. Daher sind „Patienten“ also genauso „Bewohner“, „Gäste“, „Klienten“ oder „Kunden“ – alle jedes Mal aufzuführen, hätte den Lesefluss gestört, genauso wie eine Gender-Schreibweise. Wenn es sich manchmal so liest, als würde ich vor Ihnen stehen oder sitzen, dann ist das der Tatsache geschuldet, dass ich es vorziehe, mit Menschen im direkten Kontakt zu sein. Daher habe ich mir beim Schreiben vorgestellt, wie Sie dieses Buch lesen: an welchen Stellen Sie zustimmend nicken, mit dem Kopf schütteln, lachen oder nachdenklich sind und welche Kapitel, Sätze oder Bilder für Sie besonders wichtig sein könnten. Ob ich mit meinen Interpretationen richtig liege, werde ich wohl nie erfahren. Außer Sie lassen es mich wissen, worüber ich mich freuen würde. Die ersten Kapitel legen das theoretische Grundgerüst, auf dem dann in den folgenden Kapiteln aufgebaut wird. Trotz dieses inhaltlichen Aufbaus ist es möglich, ein Thema auch mal „auf die Schnelle“ nachzuschlagen. Die Entscheidung, ob Sie dieses Buch also „am Stück“ oder „geschnitten“ konsumieren, liegt bei Ihnen.
Vorwort
Vorwort
VII
Dank an mein Basislager: Ein alpines Basislager dient als Stützpunkt für Bergtouren, ist Versorgungs- und Regenerationsort und zugleich Rückzugsort bei schlechten Wetterverhältnissen. In diesem Sinne gilt der große Dank meinem persönlichen Basislager und allen Menschen, mit denen ich bereits Seilschaften bilden durfte. Ob für einen bestimmten Streckenabschnitt oder für längere Distanzen, ob beim Durchqueren eines Talabschnittes bei strömendem Regen oder beim Gipfelpanorama-Genießen bei Kaiserwetter.
Inhaltsverzeichnis
1
Demographie – eine kurze Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
2
Derzeitige Generationen im Berufsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Wodurch zeichnet sich eine Generation aus?. . . . . . . . . . . . . 2.2 Vorstellung der Generationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Wirtschaftswundergeneration (ca. 1946–1955). . . . . 2.2.2 Babyboomer (ca. 1956–1965). . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Generation X (ca. 1966–1980) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Generation Y (ca. 1981–1994). . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Generation Z (ab ca. 1995) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3
Alter(n) – warum Zahlen nicht alles sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Altersbegriff – wann ist man alt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Kalendarisches Alter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Biologisches Alter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Soziologischer, psychologischer Altersbegriff . . . . . 3.1.4 Definition unterschiedlicher Lebensphasen. . . . . . . . 3.2 Fragen zur Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Altersspezifische Stärken und Schwächen bei Beschäftigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Stärken vieler jüngerer Mitarbeitenden. . . . . . . . . . . 3.3.2 Schwächen vieler jüngerer Mitarbeitenden. . . . . . . . 3.3.3 Stärken vieler älterer Mitarbeitenden . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Schwächen vieler älterer Mitarbeitenden . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 28 28 29 29 29
Arbeitsfähigkeit – ohne sie ist alles andere (fast) nichts . . . . . . . 4.1 Leistungsfähigkeit und das Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Einflussfaktoren auf gute Arbeitsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Eigenverantwortung der Beschäftigten – It’s my life. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Altersstrukturanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Regelmäßige Personalgespräche. . . . . . . . . . . . . . . .
33 34 35
4
29 30 30 30 31 31
35 35 35 35 36 IX
X
Inhaltsverzeichnis
4.2.6 4.2.7
5
6
Kontinuierliche Kompetenzerweiterung. . . . . . . . . . Angemessene Herausforderungen – Balance zwischen Über- und Unterforderung. . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Stressmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.9 Gesundheitsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.10 Weitere Faktoren vonseiten des Arbeitgebers, kurz und knapp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Arbeiten als positive Ressource . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Flow – Wenn’s läuft, dann läuft’s. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne. . . . . . . . . 5.1 Teamarbeit – das „Wir“ gewinnt immer. Wirklich?. . . . . . . . 5.2 Teamstimmung – „vergiftet“ oder heiter?. . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Teamzusammensetzung – die Mischung macht‘s. . . . . . . . . . 5.4 Teamentwicklung – vom Wachsen und Werden. . . . . . . . . . . 5.5 Teamklima und Teampflege – der Einfluss von Klimaaktivisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Teamalterung – wenn Teammitglieder gemeinsam „alt“ werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Altersgemischtes Team – ist das nicht auch ein „normales“ Team?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Chancen und Herausforderungen von altersgemischten Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Chancen altersgemischter Teams – die Liste der Pluspunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Höheres Verständnis gegenüber Patienten, Bewohnern und Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Vermeiden von Gruppendenken. . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Verbesserte Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Erzielen von Leistungen, die der Einzelne nicht bringen könnte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.5 Wechselseitige Lernmöglichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.6 Gesteigerte Kreativität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.7 Erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Herausforderungen altersgemischter Teams – über sieben Brücken müsst ihr gehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 „In-Group“/„Out-Group“-Problematik. . . . . . . . . . . 6.2.2 Unterschiedliche Arbeits- und Denkweisen. . . . . . . 6.2.3 Unterschiedlicher Umgang mit Autorität. . . . . . . . . . 6.2.4 Kommunikations- und Koordinationsprobleme und Konflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Verkrustete Strukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 37 38 38 39 40 40
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Inhaltsverzeichnis
XI
6.2.6
Unzufriedenheit und nachlassende Unternehmensbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6.2.7 Häufige Fluktuation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 7
Unternehmenskultur – „nach Art des Hauses“ . . . . . . . . . . . . . . 63 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
8
Personal – eine Beziehung für immer?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Der attraktive Arbeitgeber – mehr als nur oberflächliches Äußeres. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Kommunikation der Arbeitgebermarke – damit auch andere davon erfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Rekrutierung – andere für sich gewinnen. . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Das große Werben oder „ich stelle mich vor“ – wer ist „ich“?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Bedeutende Komponenten im Bewerbungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Generationale Akquise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Beziehung bauen, gestalten und intensivieren . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Onboarding – der gelungene Einstieg. . . . . . . . . . . . 8.4.2 Personalbindung (Retention Management) – Beziehung vertiefen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Trennungskultur – in guten wie in schlechten Zeiten. . . . . . . 8.5.1 Warum kündigen Mitarbeiter?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.2 Wenn Teammitglieder gehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.3 Gelingender Exit-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.4 Froh über Trennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Führung von altersgemischten Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Führung beginnt mit Selbstführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die entscheidende Rolle der Führungsperson. . . . . . . . . . . . . 9.3 Führungsstil und Führungsverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Dienst- und Urlaubsplangestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Transparenz – alles besser als der „Flurfunk“ . . . . . . . . . . . . 9.6 Weitere allgemeine Führungsaspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 Generationenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7.1 Spezifische Leitung Jüngerer und Älterer. . . . . . . . . 9.7.2 Junge Führungsperson und mittlere, ältere Teammitglieder – eine besondere Führungskonstellation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 Motivation – was wird getan und warum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Was motiviert Menschen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Intrinsische und extrinsische Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XII
11 Anerkennung, Wertschätzung und Loben – ist doch alles das Gleiche, oder?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Anerkennung – entscheidende „Geheimzutat“ für Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Wertschätzung – den Wert des anderen schätzen. . . . . . . . . . 11.3 Loben – Menschenführung oder Zirkusdompteur . . . . . . . . . 11.4 Einsatzgebiete von Loben und Wertschätzung – oder was Loben und Wertschätzung mit Feuer zu tun haben. . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis
103 103 104 107 108 108
12 Kreativität – wenn es mehr als herkömmliche Lösungen braucht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 13 Fehler – Chance oder Niederlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 14 Erfolgreiche Kommunikation in Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Grundmerkmale der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren. . . . . . 14.1.2 Die Inhalts- und Beziehungsebene in der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Das „Vier-Ohren-Modell“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Positive Kommunikationskultur im Team. . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Interpretationen – die scheinbare Wahrheit. . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Kommunikations- und Interaktionsstile nach Schulz von Thun (2016). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.1 Der bedürftig-abhängige Stil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.2 Der helfende Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.3 Der selbst-lose Stil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.4 Der aggressiv-entwertende Stil. . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.5 Der sich beweisende Stil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.6 Der bestimmende-kontrollierende Stil. . . . . . . . . . . . 14.5.7 Der sich distanzierende Stil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.8 Der mitteilungsfreudig-dramatisierende Stil. . . . . . . 14.6 Effektive Teambesprechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.7 Feedback – der Blickwinkel der anderen. . . . . . . . . . . . . . . . 14.7.1 Selbstreflexion – Selfie ohne Filter. . . . . . . . . . . . . . 14.7.2 Das Johari-Fenster und die Sache mit dem „blinden Fleck“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.7.3 Feedback von außen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.7.4 Regeln für ein wirksames Team-Feedback . . . . . . . . 14.7.5 Feedback erhalten und annehmen. . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Faktoren, die Konflikte beeinflussen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Konfliktarten und Konflikttypen . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.2 Konfliktursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.3 Konfliktparteien und ihre Beziehungen untereinander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
XIII
15.1.4 Grundeinstellung zu Konflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.5 Strategisches Kalkül der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.6 Konfliktstile der Beteiligten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.7 Konflikthistorie und Eskalationsdynamik. . . . . . . . . 15.2 Neun Stufen der Konflikteskalation nach Glasl. . . . . . . . . . . 15.2.1 Konfliktebenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Konfliktstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Konflikte in Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.1 Häufige Gründe für Teamkonflikte . . . . . . . . . . . . . . 15.3.2 Woran erkennt man Konflikte in Teams?. . . . . . . . . . 15.3.3 Generationsbedingte Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Reflexions-Fragen zur Team- und Konfliktkultur. . . . . . . . . . 15.5 Therapie bei Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.1 Präventiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.2 Kurativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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16 Change-Management – Gutes bewahren und Neues wagen. . . . 16.1 Früher war alles besser – Blick in den Rückspiegel. . . . . . . . 16.2 Beschäftigte und Veränderungsprozesse – Beteiligte oder Betroffene?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.1 Top-down oder Bottom-up – Welcher Ansatz ist im Change-Management der zielführendste? . . . . . . 16.2.2 Erfolgsfaktoren für gelungenes Change-Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Von Missionaren bis Emigranten – verschiedene Typen in Veränderungsprozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen und transferieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 Fachkompetenz ausbauen bzw. erhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Lebenslanges Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.2 Lebensphasenorientierte Personalentwicklung/ Individuelle Gestaltung der Erwerbsbiographie . . . . 17.1.3 Möglichkeiten der Kompetenzerweiterung. . . . . . . . 17.1.4 Anreize zum Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Altersspezifisches Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1 Verschiedene Lernformen für verschiedene Generationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2 Gemeinsames Lernen unterschiedlicher Altersgruppen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Das 70:20:10-Modell – Lernen neu entdecken. . . . . . . . . . . . 17.4 Wissenstransfer innerhalb altersheterogener Teams. . . . . . . . 17.4.1 Bedingungen für reibungslosen Wissenstransfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.2 Möglichkeiten zur Lenkung des intergenerativen Austausches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Lernen durch Vorbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166 168 169 169 170 171 171 171 172 174 175 178 179 180 180 182 184 184 185
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Inhaltsverzeichnis
17.6 Mentoring-Programme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.1 Was ist Mentoring? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.2 Unterschied „Klassisches“ Mentoring und Reverse Mentoring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.3 Ziele von Mentoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.4 Erfolgsbedingungen für Mentoring-Programme. . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Humor – Klebstoff für Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1 Schattenseiten von Humor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.1 Humor ist nicht Humor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.2 Die Dosis macht’s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.3 Humor im Patientenkontakt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1.4 Humor als „Waffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2 Die guten Seiten von Humor – Was die Forschung dazu sagt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.1 Humor ist gesund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.2 Humor fördert die Gruppendynamik und das „Wir-Gefühl“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.3 Humor verbessert die Gruppenproduktivität. . . . . . . 18.2.4 Humor hilft im Scheitern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Teamunterstützung von außen – das Potenzial anderer Blickwinkel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 Anlässe für Teammaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Möglichkeiten der Teamunterstützung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3 Faktoren für eine gelungene Teammaßnahme . . . . . . . . . . . .
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Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Die Autorin
Jessica Schäfer, studierte Gesundheitsmanagerin, Fachwirtin im Sozial- und Gesundheitswesen (IHK) und Kinderkrankenschwester, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in Führungspositionen im Gesundheitswesen tätig – sowohl in der Pflege als auch in der Verwaltung. In die Unternehmensberatung „Passgenau“, die sie vor über zehn Jahren gründete und bis heute leitet, bringt sie ihre umfassende Expertise ein – ob in Consulting-Aufträgen, Trainings on the job, Seminaren oder Keynote- und Impulsvorträgen. Dabei vermittelt sie eloquent, motivierend, humorvoll und praxisnah Themen wie Servicequalität, Altersgemischte Teamarbeit, Umgang mit „schwierigen“ Menschen, Change-Management und Serviceorientierte Kommunikation. Sowohl bei Veranstaltungen in Unternehmen der Gesundheitsbranche - von der Arztpraxis bis zur Universitätsklinik – als auch in der freien Wirtschaft, auf Kongressen und Tagungen sowie in Lehrveranstaltungen für BWL- Studierende an verschiedenen Hochschulen sind ihre Kompetenzen gefragt. Unabhängig davon, was sie tut: Ihre Idee von Service gegenüber Mitarbeitenden und Patienten/Bewohnern/Kunden ist individuell, begeisternd und maßgeschneidert für die jeweilige Institution und die dazugehörigen Menschen – eben passgenau. Wer sie erlebt, spürt sehr schnell, dass sie liebt, was sie tut, und dass sie weiß, wovon sie spricht. Mehr Informationen erhalten Sie auf der Website: www.passgenau-schaefer.de
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Demographie – eine kurze Einordnung
Die Alterspyramide hat in den vergangenen Jahrzehnten ihr Aussehen deutlich verändert und wird das auch weiterhin tun – von der Tanne, über die Zypresse zur Urne. Vor allem aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der niedrigen Geburtenrate wird die Gesellschaft insgesamt, und damit auch die Beschäftigten, immer älter. Dieser demographische Wandel erfordert in vielfältiger Weise ein Um- und Neudenken in den Unternehmen.
Das Wort „Demographie“ kommt aus dem Griechischen – „demos“ heißt „Volk“ und „graphē“ bedeutet „Schrift“ oder „Beschreibung“. Die Demografie beschreibt also die Bevölkerung, ihre Entwicklungen und Strukturen. Manche sprechen auch von der Wissenschaft der Populationen. Wie sich diese verändern, wird von drei maßgeblichen Komponenten beeinflusst: Geburten, Sterbefälle und der Differenz zwischen Zu- und Abwanderung. Der demographische Wandel führte in Deutschland, wie in nahezu allen anderen Industrieländern, seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einer enormen Veränderung in der Bevölkerungsstruktur. Einen guten Überblick über die Entwicklung der Altersstruktur gibt die Grafik der Bevölkerungspyramide: Aus der Form einer ausgefransten Tanne wurde im Laufe der Jahrzehnte eine Zypressenform und in Zukunft steuert die Altersstruktur der Bevölkerung graphisch auf eine Urne, manche sagen auch
Dönerform, zu. Konkret bedeutet das: Zu Zeiten der „Tanne“ gab es eine höhere Anzahl jüngerer Bürger und eine geringere Zahl älterer. Das hat sich seither sichtbar geändert und dieser Trend wird sich auch weiter fortsetzen. So lautet das zentrale Ergebnis der Bevölkerungsvorausberechnung durch das Statistische Bundesamt im Juni 2019: „Die Alterung der Bevölkerung in Deutschland wird sich trotz hoher Nettozuwanderung und gestiegener Geburtenzahlen weiter verstärken. In den nächsten 20 Jahren sind durch den aktuellen Altersaufbau ein Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter und ein Anstieg der Seniorenzahl vorgezeichnet“ (Statistisches Bundesamt 2019). „Double Aging“ wird der Effekt bezeichnet, dass es aufgrund steigender Lebenserwartung und geringer Geburtenrate in unserer Gesellschaft immer mehr ältere Menschen geben wird, während die Zahl der Jüngeren weiter abnimmt. Heute ist bereits jede zweite Person in Deutschland älter als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre. Besonders die Anzahl der Menschen im hohen Alter ab 80 Jahren wird beständig steigen (Statistisches Bundesamt 2019). Da ist es fraglich, ob der Bundespräsident auch zukünftig bei jedem 100. Geburtstag gratulieren wird. Dafür „spart“ er Zeit bei den Ehrenpatenschaften ein, die er auf Antrag für das siebte Kind einer Familie mit denselben Eltern übernimmt.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_1
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Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit im Gesundheitswesen Im Gesundheitsbereich wird die „demographische Zange“ zusätzlich verstärkt, denn nicht nur die Anzahl und das Alter der Mitarbeitenden unterliegen dem demographischen Wandel, sondern auch die Pflegebedürftigen, die älter und multimorbider (mehrfache Erkrankungen) werden. Das hat zur Folge, dass sich Angebot und Nachfrage im Gesundheitssektor entgegengesetzt entwickeln: Weniger, älter werdendes Pflegepersonal versorgt zunehmend mehr, multimorbidere und älter werdende Menschen. Lange Zeit sorgten die Babyboomer für ein großes Potenzial an Erwerbspersonen. Gehen die noch verbleibenden Vertreter dieser Generation in den kommenden Jahren jedoch in Rente, zeichnet sich ein Kapazitäts- und Performancerisiko ab. Um den Fachkräftemangel abzumildern, setzt die Pflegebranche zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte aus EU-Ländern und dem außereuropäischen Ausland. Neben all den Schattenseiten, die die demographische Entwicklung mit sich bringt, birgt
1 Demographie – eine kurze Einordnung
sie auch Chancen. Eine davon ist der wachsende Druck auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dabei reicht es nicht, wenn nur Maßnahmen verstärkt werden, die die arbeitsrelevante Leistungsfähigkeit der Beschäftigten erhalten. Die Mitarbeitenden wissen um ihren Marktwert, was zu neuen Ansprüchen und Vorstellungen der Beschäftigten führt. Employer Branding (Marke bzw. Image eines Arbeitgebers), Arbeitgeberattraktivität und gelebte Unternehmenskultur sind die entscheidenden Schlüssel für die Zukunft. Überblick über die demographischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt: • Verringerung des Potenzials an Erwerbspersonen • Wandel der Altersstruktur: – Zunehmend älter werdendes Personal – Schrumpfen der mittleren Altersgruppen • Unterschiedliche Generationen arbeiten länger miteinander, was Potenziale, aber auch Reibungsflächen mit sich bringen kann.
1 Demographie – eine kurze Einordnung
• Gefahr eines großen Erfahrungs- und Wissensverlustes, wenn eine zunehmend größere Anzahl an Mitarbeitenden in den Ruhestand geht • Personal wird noch mehr zu einer knappen Ressource, sodass Beschäftigte zwischen verschiedenen Arbeitgebern wählen können. Der „War for Talents“ (Wettbewerb um eine geringe Zahl von qualifizierten Nachwuchskräften) ist auch im Gesundheitswesen bereits in vollem Gang.
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Literatur Statistisches Bundesamt: Bevölkerung. Mitten im demographischen Wandel. URL: https://www.destatis. de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/demografie-mitten-im-wandel.html Abrufdatum: 03.01.2020 Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 242 vom 27.06.2019 URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/ Pressemitteilungen/2019/06/PD19_242_12411.html Abrufdatum: 03.11.2019
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Derzeitige Generationen im Berufsleben
Derzeit nehmen fünf Generationen – von der Wirtschaftswundergeneration, über die Babyboomer, Generation X und Generation Y bis hin zur Generation Z – aktiv am Berufsleben teil. Allerdings ist die Einteilung nach Generationen eher ein dynamisches Konstrukt, da keine Altersgruppe homogen ist und es sowohl Überschneidungen zwischen Generationen als auch eine enorme Streuung innerhalb einer Generation geben kann. Das Verhalten einer Person hängt daher nicht nur mit ihrer Generationszugehörigkeit zusammen, sondern auch mit der Erziehung, den gemachten Erfahrungen, dem Geschlecht und dem geographischen sowie sozioökonomischen Hintergrund. Eine Generationeneinteilung, nur um ein Etikett darauf kleben zu können und eindeutig definierbare Eigenschaften zuzuordnen, ist also nicht zielführend. Doch die Einteilung ist insofern äußerst hilfreich, da das Wissen um die jeweiligen Prägungen, Erwartungen, Denkhaltungen und das Verhalten der verschiedenen Generationen für neue Blickwinkel und Verständnis sorgen.
Für den deutschsprachigen Raum gibt es keine definitiven Altersangaben, die festlegen, zu welcher Generation eine Person gehört. Vielmehr ist es so, dass die Angaben zu Beginn und Ende der Jahrgänge in der Literatur um teilweise bis zu zehn Jahre variieren. Damit ist auch erklärbar, warum
es möglich ist, dass man in einem Fachbuch beispielsweise der Generation X und in einem anderen der Generation Y zugeordnet wird. Daher dienen die festgelegten Zeiträume mehr als grobe Anhaltspunkte. Bei den Generationsübergängen gibt es viele Überlappungen und damit einen fließenden Wech sel zwischen den Generationen. Das ist schon deshalb nachvollziehbar, weil sich Werte und Einstellungen zum Leben, zur Arbeit und zum Konsum nicht schlagartig am zeitlichen Trennungspunkt zwischen zwei Generationen ändern (Klaffke 2014a, b). Überspitzt gesagt, würde im Fall einer strikten Generationeneinteilung der an Silvester Geborene eine vollkommen andere Prägung etc. besitzen wie der eine Minute später an Neujahr Geborene. Auch die Bezeichnungen für eine Generation sind alles andere als einheitlich. Besonders für die jüngeren Generationen existiert eine große Auswahl. In diesem Buch wird folgende Einteilung für die derzeit auf dem Arbeitsmarkt aktiven Generationen verwendet: Wirtschaftswundergeneration: Geburtsjahrgänge ca. 1946–1955 Babyboomer-Generation: Geburtsjahrgänge ca. 1956–1965 Generation X: Geburtsjahrgänge ca. 1966–1980 Generation Y: Geburtsjahrgänge ca. 1981–1994 Generation Z: Geburtsjahrgänge ab ca. 1995
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_2
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2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
2.1 Wodurch zeichnet sich eine Generation aus? Unter dem Begriff Generation wird meist die Geschlechterfolge Großeltern, Eltern, Kinder und Enkel verstanden (genealogischer Generationenbegriff). In der Soziologie wird „Generation“ jedoch historisch-gesellschaftlich definiert. Demnach zeichnet sich eine Generation dadurch aus, dass sie in ihrer formativen Phase (Kindheit, Jugendzeit und junge Erwachsenenzeit) gemeinsam historische oder kulturelle Ereignisse wie Wirtschaftskrise, Naturkatastrophe, Terroranschlag, Wiedervereinigung oder Pandemie erlebten, die sie weder selbst gewählt haben noch beeinflussen konnten. In der hochsensiblen Zeit um die Pubertät bilden sich elementare Einstellungen, Merkmale, Eigenschaften und Mentalitäten heraus, die gelegentlich lebenslang wirksam bleiben (Albert et al. 2015).
Beispiel
Einen Eindruck davon, wie verschieden die Prägung, Werte- und Arbeitskultur aussehen können, erleben die, die beispielsweise Mitarbeitende aus Spanien, den Philippinen oder Syrien als Teamkollegen haben. Eine Stationsleitung berichtete mir von zwei jungen Syrern, die sich im dritten Ausbildungsjahr auf ihrer Station befinden. Mit der Sprache hapere es wohl noch, meinte sie, doch sie könne sich kaum erinnern, wann sie auf Station zuletzt zwei so wissbegierige Schüler gehabt haben, die überpünktlich zum Dienst erscheinen und voller Respekt gegenüber den examinierten Pflegepersonen und ihr als Stationsleitung seien. ◄ Es sind die politischen, ökonomischen, ökologischen, kulturellen, technischen und sozialen Konstellationen, die die Lebensbedingungen der jeweils jungen Generation prägen (Albert et al. 2015). Gleichzeitig haben sie Einfluss auf die gesamte Gesellschaft – unabhängig vom Alter. So erlebt beispielsweise jeder von uns Multioptionalität (siehe Abschn. 2.2.4), zunehmende Technisierung oder Kommunikation über soziale Medien.
Der Unterschied zur jüngeren Generation liegt darin, dass sie davon besonders stark geprägt wird, denn sie kennt es, im Gegensatz zu den älteren Generationen, nicht anders und so erscheint es ihr als selbstverständlich (Hurrelmann und Albrecht 2016). Das Generationenkonzept ist nicht unumstritten. So kommt zum Beispiel von Soziologen der Einwand, dass es „die Jüngeren“ oder „die Älteren“ nicht gibt. Vielmehr handelt es sich um Minderheiten, die maßgeblich bestimmen, wie eine Generation von außen wahrgenommen wird. Nehmen wir beispielsweise die Vertreter der Generation Y. Sie kommen idealtypisch aus einem Elternhaus der Mittelschicht, sind materiell abgesichert und haben einen Hochschulabschluss oder eine gute Berufsausbildung. Doch diese Beschreibung trifft längst nicht auf alle zu, denn Soziologen zählen dazu im Kern etwa ein Viertel dieser Generation (Bund 2014). Auch die 68er stellten nur einen Bruchteil der Altersgruppe dar. Die meisten von ihnen besetzten während der Studentenrevolte keine Hörsäle und lebten auch nicht in Kommunen. Genauso wenig, wie nicht alle Schüler im Rahmen von „Fridays for Future“ auf die Straße gehen. Bei der Einteilung in Generationen und der Zuordnung von Eigenschaften, Denkweisen etc., die für eine Generation „typisch“ sind, besteht immer die Gefahr von Stereotypisierung, Schubladendenken und Klischees, die auch in Teams schnell zu Konflikten führen können. So wenig, wie alle Holländer mit dem Wohnwagen in den Urlaub fahren oder alle Schwaben sparsam sind, ist es möglich, exakt zu definieren, was alle Angehörigen einer Generation eint. Denn trotz gleicher Prägung und ähnlichen Werte- und Verhaltensmustern ist keine Altersgruppe homogen (siehe Kap. 3). Es handelt sich vielmehr um Individuen mit ihren jeweils ganz eigenen Besonderheiten, Vorstellungen, Erfahrungen und Ansichten. So kennt sicherlich jeder von uns Menschen, die beispielsweise dem Geburtsjahrgang nach Babyboomer, jedoch vom Habitus her vielmehr der Generation Y zuzuordnen sind (Intergenerationsvarianz). Daher bietet die Einteilung in Generationen nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Orientierungshilfe. Sie ist kein präzises Instrument, um individuelles Ver-
2.2 Vorstellung der Generationen
halten zu verstehen. Nach Klaffke (2014a, b) ist Generationszugehörigkeit zwar ein wichtiger Ansatz, kann jedoch nie das alleinige Erklärungsmuster für unterschiedliches Denken und Auftreten von Individuen sein. Geschlecht, geografische Herkunft, sozioökonomischer Hintergrund oder Familienstrukturen seien für die Erklärung individuellen Verhaltens mindestens so wichtig wie Generationszugehörigkeit (Klaffke 2014a, b). Häufig erhalte ich nach Seminaren und Vorträgen die Rückmeldung, dass der Überblick über die verschiedenen Generationen als besonders hilfreich für das gemeinsame Arbeiten im altersgemischten Team empfunden wurde, weil jetzt Denk- und Verhaltensweisen von Teammitgliedern besser eingeordnet werden können. Daher nun auch für Sie einen Überblick über die derzeitigen Generationen auf dem Arbeitsmarkt.
2.2 Vorstellung der Generationen 2.2.1 Wirtschaftswunder generation (ca. 1946– 1955) Aktuell befinden sich nur noch wenige Vertreter der Wirtschaftswundergeneration im Arbeitsprozess. Dennoch soll diese Generation hier vorgestellt werden, da sich durch den Rückblick in diese Zeit manche Arbeitsprozesse und Anschauungsweisen erschließen, über die sich jüngere Beschäftigte heute teilweise wundern. Nach dem Aufbau des Nachkriegsdeutschlands wuchsen die meisten Vertreter der Wirtschaftswundergeneration in einer entspannten wirtschaftlichen Lage mit zunehmendem Wohlstand auf. Durch den Wirtschaftsaufschwung herrschte nahezu Vollbeschäftigung, was für die junge Generation den Start in den Arbeitsmarkt leicht machte. Der expandierende Wohlfahrtsstaat (z. B. trat 1952 das Mutterschutzgesetz in Kraft) förderte zusätzlich ein Gefühl von Sicherheit. Es herrschte die
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weit verbreitete Zielsetzung, eine kollektive Gesellschaft schaffen zu wollen, die auf einer gemeinsamen Wertgrundlage fußt (Parment 2013). Ein Teil der Jugend, die sogenannten 68er, setzte sich besonders kritisch mit der autoritären Haltung und der Nazi-Vergangenheit der Eltern auseinander. Sie wollten dem spießig-bürgerlichen Mief von Sammeltassen, „Heile-Welt-Heimatfilmen“ und Unterordnung entkommen. Sowohl das Ausgehen im Petticoat als auch das Experimentieren mit Drogen gehörten zum Bild der jungen Erwachsenen in den 1960ern (Fintz 2014). Den Soundtrack lieferten Musiker wie die Beatles, Stones, Bob Dylan oder Elvis Presley, die kreischende Jugendmassen anzogen, wie man es bis dato noch nicht gesehen hatte. Nicht nur die Musik, die den Eltern missfiel, war Ausdruck der Protestkultur, sondern auch die Mode wie Miniröcke oder lange Haare bei Männern. In diesen Jahren wurden viele Konflikte ausgetragen, die gesellschaftliche Umbrüche mit sich brachten. Dazu gehörte auch eine Ablösung von den überkommenen Rollen- und Autoritätsvorstellungen, die Pluralisierung der Lebensformen, eine Lockerung der Moralvorstellungen und Kirchenbindung (Oertel 2014). Die älteren Vertreter dieser Generation erlebten den Mauerbau 1961 und seine Folgen bewusst mit.
Beispiel
Als jüngere Pflegekräfte überrascht feststellten, dass sich der Geschäftsführer (Wirtschaftswundergeneration) hinsichtlich sozialer Medien und Kommunikationstechnik so gut auskannte, freute sich dieser und meinte lachend: „Ich gehöre zur 68er-Generation. Wir sind Revoluzzer. Ist doch klar, dass ich als einer der ersten einen BlackBerry hatte. Und als Facebook & Co kamen, war ich natürlich auch gleich dabei.“ ◄
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Situation in der Pflege Die Pflege in den 60er Jahren, und mancherorts bis weit hinein in die 70er Jahre, war stark von den Vorgängergenerationen beeinflusst. In den 50er Jahren, und vielerorts hinein bis in die späten 60er Jahre, und darüber hinaus dominierten in der Pflege (konfessionelle) Mutterhaus-Schwesternschaften. Daneben gab es die „freien Schwestern“, doch auch ihr Leben war sehr von dem Verständnis des aufopferungsvollen Dienstes aus Nächstenliebe geprägt und so arbeiteten auch sie bis zu 80 Stunden in der Woche. Sie wohnten nahezu alle in „Schwesternwohnheimen“, die ihnen das Krankenhaus zur Verfügung stellte. Dort herrschte in den meisten Fällen ein strenges Regiment, zu dem unter anderem gehörte, dass Besuch angemeldet werden musste und die Nachtruhe pünktlich um zehn Uhr abends begann. Insgesamt bestand meist noch das traditionelle Bild der „dienenden Schwester“. Zu ihren Aufgaben zählten neben der Patientenversorgung selbstverständlich auch hauswirtschaftliche Verrichtungen wie das Zusammenfalten von Wäsche und Reinigungstätigkeiten. Die Stationsleitung führte selbst meist keine pflegerischen Tätigkeiten aus, sondern war die Zentralinstanz,
2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
bei der alle Informationen zusammenliefen. In der Regel begleitete sie den Arzt, der als „Halbgott in Weiß“ galt, in der Visite und delegierte danach die Anordnungen an die Pflegekräfte. Bei der vorherrschenden Funktionspflege wurden alle anfallenden Aufgaben in Einzeltätigkeiten zergliedert. Das bedeutete, dass den Pflegenden (täglich) bestimmte pflegerische Aufgaben von der Stationsleitung zugewiesen wurden, die sie dann nacheinander an allen Pflegebedürftigen durchführten. Wurde beispielsweise eine Pflegeperson für das Blutdruckmessen eingeteilt, so maß sie nacheinander bei allen Patienten den Blutdruck. Bei dieser Pflegeform standen die einzelnen, routiniert durchgeführten Pflegemaßnahmen deutlich mehr im Vordergrund als die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen. Die Aufgaben wurden meist nach hierarchischen Gesichtspunkten verteilt. Tendenziell galt: Je weiter eine Tätigkeit von der unmittelbaren Pflege entfernt war, desto angesehener war sie. Die Stationsleitung forderte Rückmeldung über die Ausführung der detaillierten Einzelaufträge und führte meist strenge Kontrollen durch. Eigenverantwortung vonseiten der Pflegekräfte und Veränderungen (z. B. in den Abläufen) galten im hier-
2.2 Vorstellung der Generationen
archischen System als Störfaktoren der gegebenen Ordnung; so wurde Kritik von Seiten der Pflegekräfte, sofern sie trotz weit verbreitetem Gehorsamsdenken aufkam, weitgehend unterdrückt. Ein Schwerpunkt wurde zu dieser Zeit auf die Ordnung im Krankenzimmer gelegt. So sind im damaligen Pflegebuch „Pflege des gesunden und des kranken Kindes“ die folgenden Sätze zu finden: „In den Krankenzimmern muss peinlichste Sauberkeit herrschen. In Kliniken sind sie deshalb mit weißen, abwaschbaren Möbeln von einfacher Form ausgestattet, auf welchen jede Verunreinigung sofort sichtbar wird“ (Catel 1964). Auch das Patientenbett wurde als sehr wichtig angesehen. So wird in dem oben bereits genannten Pflegebuch auf zwei Seiten detailliert beschrieben, wie das Patientenbett korrekt zu machen ist. Wert wurde auch auf das korrekte Tragen von Dienstkleidung, Haube und Brosche gelegt und daher von der Oberin und der Stationsschwester genauestens überwacht. Die Schülerinnen bekamen kaum direkte Anleitung, sondern mussten durchs „Zusehen“ lernen und Perfektion wurde ihnen regelrecht „eingetrichtert“. Wurde beispielsweise eine Tätigkeit vergessen, war es üblich, auch wenn es sich nur um eine Kleinigkeit handelte, die betreffende Person aus ihrem „Frei“ kommen zu lassen, um das Versäumte nachzuholen. Tagsüber hatten die Lernschwestern meist nur „niedrige“ Tätigkeiten zu erledigen, die oft wenig Verantwortung verlangten. Im Nachtdienst waren sie jedoch paradoxerweise bereits im ersten Ausbildungsjahr oft wochenlang allein im Dienst und trugen dabei die gesamte Verantwortung nahezu allein. In den 60er Jahren wurden bereits vereinzelt Männer zu Pflegekräften ausgebildet, von denen sich nicht wenige im Zivildienst dafür entschieden, diesen Beruf zu ergreifen. Nicht zuletzt durch das fulminante Wirtschaftswachstum und den Rückgang der Ordensschwestern kam es in den 60er Jahren zu einem Pflegenotstand, der dazu führte, dass bereits damals Pflegepersonal aus dem Balkan und Asien angeworben wurden. Zusätzlich führte man Mitte der 60er Jahre (in der DDR bereits Mitte der 50er Jahre) die Ausbildung zur Krankenpflegehilfe ein, die die Pflegekräfte mit dreijähriger Ausbildung entlasten sollte. Als weitere Unterstüt-
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zung stellten manche Häuser auch Stationshilfen für hauswirtschaftliche Tätigkeiten ein. Der zunehmende Bedarf an geschulten Pflegekräften für die Versorgung dauerhaft Pflegebedürftiger in Alten- und Pflegeheimen führte Ende der 60er Jahre dazu, dass das Berufsbild der Altenpflege geschaffen wurde und sich die ersten „Pioniere“ auf den Weg machen konnten.
Beispiel
In dieser Generation war im beruflichen Kontext noch die Anrede mit „Schwester“ selbstverständlich. Treffe ich heute ältere Chefärzte oder Pflegekräfte aus meinen ersten Berufsjahren, sprechen sie mich immer noch mit „Schwester Jessica“ an. Und sie meinen das alles andere als despektierlich. ◄
2.2.2 Babyboomer (ca. 1956–1965) Was haben Fußballtrainer Jürgen Klopp, Sänger Herbert Grönemeyer, Entertainerin Anke Engelke, Komiker Hape Kerkeling, Schauspielerin Veronika Ferres, Modedesigner Guido Maria Kretschmer, die Sängerin Madonna und der Golfer Bernhard Langer gemeinsam? Richtig, sie zählen zu den Babyboomern. Die Babyboomer sind derzeit als zahlenmäßig stärkste Generation in Deutschland dominierend in Arbeit, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Daher spricht man auch vom „Rückgrat der deutschen Bevölkerung“. Die wachsende Bevölkerungszahl hatte ihren Gipfel im Jahr 1964 und endete kurz darauf unter anderem durch den „Pillenknick“. In ihrer Kinder- und Jugendzeit erschien erstmals Literatur, die bis heute nahezu allen bekannt ist. Dazu zählen die Asterix-Hefte, in denen der kleine gallische Krieger mit seinem Freund und Begleiter Obelix Germanien erobert, genauso wie die „Bravo“, welche als „Magazin für Film und Fernsehen“ erstmals an den deutschen Kiosken lag und mit ihren Starschnitten Kinderzimmer dekorierte. Auch eine der erfolgreichsten Hörspielserien „Die drei ???“ erschien in dieser Zeit. Wer mit dem Satz „Dürfen wir Ihnen unsere Karte zeigen?“ etwas anfangen kann, gehört zu den einge-
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fleischten Fans, von denen manche bis heute zum Einschlafen eine Folge des Junior-Detektivteams hören – wenn auch nicht mehr als Musikcassette wie damals. Ebenfalls in ihren frühen Jahren erlebten die meisten von ihnen, wie das erste Fernsehgerät ins Haus kam. So konnten manche von ihnen bereits die Mondlandung live vom eigenen Wohnzimmer aus mitverfolgen. Andere sahen sie in Schaufenstern – sozusagen „Public Viewing“. In jedem Fall wurde in Schwarz-Weiß gesehen, denn das erste Farbfernsehen gab es erst Ende der 60er Jahre. Für die Babyboomer wurden viele zusätzliche kindgerechte Einrichtungen wie Kindergärten, Horte, Spiel- und Sportplätze geschaffen, was auch in Verbindung mit höherem Verkehrsaufkommen und zunehmender Besiedelung ihre Freiräume einschränkte (Oertel 2014). In der Schulzeit gehörten sie zu den ersten Klassen, in denen das Schlagen durch Lehrer (seit 1973, in Bayern dauerte es noch ein paar Jahre länger) offiziell verboten wurde. Die Jugend- und Anfangsphase ihres Berufslebens war zunehmend von Krisen, wie wirtschaftliche Stagnation, Jugendarbeitslosigkeit und RAF-Terror in den 70er Jahren, geprägt. Die erste Ölkrise 1973 und das damit verhängte bundesweite sonntägliche PKW-Fahrverbot ermöglichte Spaziergänge und Radtouren auf den Autobahnen. Etwas Neues war für viele Babyboomer auch die Fahrt in den Urlaub mit der Familie, am besten ins Ausland, nach Italien, Jugoslawien oder Spanien. Die jungen Erwachsenen unternahmen Interrail-Reisen mit der Bahn – und das ganz ohne Mobiltelefon. Ab und zu mal eine Postkarte oder ein kurzes Telefonat von einem Münzsprechapparat, das war‘s. Überhaupt hielten sich die Eltern spätestens nach Abschluss der Schule mit Ratschlägen weitgehend zurück. Der Checkout im „Hotel Mama“ fand früher statt als heute. Um die Suche einer Unterkunft, nicht selten in WGs, und die „Möblierung“ kümmerten sich die Jungen selbst. Auch modisch änderte sich ab den
2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
60er Jahren manches, denn nun wurden beispielsweise statt langer Kleider und Röcke, Hosen und Miniröcke getragen. Die Babyboomer setzten einen Großteil der politischen Forderungen der Vorgängergeneration um und konnten gleichzeitig neben dem zentralen Thema „Gleichberechtigung“ auch sozialpolitische Verbesserungen, Friedens- und Umweltziele realisieren. Ihr politisches Engagement war dabei von kollektivem Handeln geprägt (Oertel 2014). Hinsichtlich der Berufswahl war es in vielen Fällen wichtig, erst mal etwas „Handfestes“ zu lernen, das Wohlstand und eine Steigerung der Lebensqualität (eigenes Auto, Studium im Ausland etc.) ermöglicht. Daher wurde vor vielen Studiengängen eine Ausbildung absolviert. Also beispielsweise erst Banklehre, dann BWL-Studium oder Ausbildung zum KFZ-Mechaniker und dann ein Maschinenaufbaustudium. „Sehr viele“ – so kann man ein wichtiges Kriterium dieser Generation beschreiben. Sehr viele Schüler, Studierende, Ausbildungsanwärter und Bewerbende. Wo auch immer sie hinkamen, waren andere schon da. Daher mussten sie sich immer durch einen „Flaschenhals“ kämpfen und versuchen, ihre Zeitgenossen zu übertreffen. Gleichzeitig waren sie es gewohnt, Dinge gemeinsam mit anderen zu tun, sich dabei abzustimmen oder durchzusetzen. Daher sagen ihnen viele eine gute Teamfähigkeit nach, die sich in Hilfsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit ausdrückt (Bruch et al. 2010). Generell ist Arbeit für sie ein hohes Gut. Wer weiter kommen wollte, musste besser sein als seine Mitstreiter, er musste länger und härter arbeiten. Diese Leistungskultur haben die Boomer verinnerlicht und damit den Begriff des „Workaholics“ geprägt. Sie wollen bis heute gebraucht werden und wollen wertgeschätzt werden für das, was sie wissen und können. Sie belohnen es mit Engagement, Loyalität und einer hohen Bindung gegenüber ihrem Arbeitgeber.
2.2 Vorstellung der Generationen
Beispiel
Neulich unterhielten sich hinter mir zwei Frauen in der Supermarktschlange. Die eine war gerade in Rente gegangen, die andere hat bis dahin noch ein halbes Jahr zu arbeiten. Letztere berichtete, wie sehr ihr die Arbeit und das Zusammensein mit den Kollegen Freude mache. Gleichzeitig merke sie aber auch deutlich, dass sie ihre gesamte Kraft für die Arbeit aufbringen müsse. Im Haushalt, Verein und in der Familie könne sie „kaum noch was machen“, weil sie sich erholen müsse, um für den nächsten Arbeitstag wieder fit zu sein. Dieser Gesprächsausschnitt ist beispielhaft für die Einsatzbereitschaft und den Stellenwert, den viele dieser Generation der Arbeit beimessen. ◄ Technik und Babyboomer sind zwei Welten, die sich meist erst im Erwachsenenalter begegnet sind. Das ist ein bisschen so, wie wenn man Skifahren nicht im Kindesalter lernt: Bei allem Können und der Freude daran bleibt immer eine gewisse Restunsicherheit. Privat befinden sich viele Babyboomer in einer Scharnierfunktion. Sie kümmern sich um ihre Karriere, Kinder, Enkel und gleichzeitig um ihre Eltern. Solche Mehrfachbelastungen gehen mit Einschränkungen der Flexibilität, der Zeitautonomie und der Mobilität einher (Oertel 2014). In den kommenden Jahren wird die Babyboomer-Generation in den Ruhestand gehen und damit für einen erheblichen Rückgang in der Erwerbsbevölkerung sorgen. Bis dahin gilt es, ihre Potenziale zu nutzen und ihr wertvolles kristallines Wissen „anzuzapfen“ (siehe Kap. 17). Situation in der Pflege Auch in den 70er Jahren brauchte es eine große Portion Idealismus, um den Pflegeberuf mit Freude auszuüben. Die Bezahlung war niedrig, die Belastung hoch und der weiterhin vielerorts noch praktizierte „geteilte Dienst“ ( z. B. von 06:00 – 11:00 Uhr und von 16:00 – 19:00 Uhr) und lange „Nachtwachenblöcke“ waren nicht gerade attraktive Dienstzeiten. Die ersten „modernen“ Häuser stellten auf die Bereichspflege (Bezugspflege) im Schichtdienst um und warben um
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neue Beschäftigte mit Stellenausschreibungen wie dieser: „Wir haben auf Schichtdienst umgestellt und arbeiten nach dem Gruppenpflegesystem“. Die jüngeren Generationen lehnten immer mehr den Residenzzwang im „Schwesternwohnheim“ und die dort herrschenden rigiden Regeln ab. Noch heute berichten ältere Pflegekräfte immer wieder mit (leicht) frustriertem Unterton davon, dass sie keine „richtige“ Jugend und wenig Freizeit hatten, weil sie so stark von der Klinik beansprucht wurden und dazu noch „klosterähnlich“ leben mussten. Auch die patriarchalischen, altmodischen Strukturen in den Kliniken wurden immer mehr zum Diskussionspunkt. Das Ziel: Pflege als „normaler“ bürgerlicher Beruf, mit dem man sein Brot verdienen, heiraten und eine Familie gründen kann. Anfang der 70er erschien das erste Krankenpflege-Lehrbuch von Liliane Juchli und Beda Högger, das zu einem Standardwerk wurde. Die erste Fachweiterbildung für Anästhesie und Intensivmedizin wurde in den 70er Jahren aufgebaut, doch noch hatten nur größere Kliniken eine Intensivstation. Daher übernahmen Pflegekräfte, nicht selten auch Auszubildende, die sogenannte „Sitzwache“. Das bedeutete, dass sie besonders nachts allein in einem Patientenzimmer saßen, um bei einem oder mehreren, meist komatösen Patienten die Vitalzeichen, „Beatmungsgeräte“ etc. zu kontrollieren. Zur Bewältigung des anhaltenden Pflegepersonalmangels wurde Anfang der 70er Jahre das Zugangsalter für die Pflegeausbildungen auf 17 Jahre herabgesetzt und „Gastarbeiter“ für die Pflege, beispielsweise aus dem Balkan und Asien, angeworben. Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 70er hatte die ersten Spargesetze (Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz) seit dem Kriegsende zur Folge.
2.2.3 Generation X (ca. 1966–1980) Die Bezeichnung „Generation X“ wurde durch den 1991 erschienenen Roman „Generation X: Tales for an Accelerated Culture“ (Generation X: Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur) von Douglas Coupland populär. Man-
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che nennen diese Altersgruppe auch „Generation Golf“, nach dem gleichnamigen Buch von Florian Illies, in dem er seine eigene Generation skizziert. Andere Bezeichnungen für diese Jahrgänge sind beispielsweise: Generation MTV, Null- Bock-Generation, Turnschuh-Generation oder auch No-Future-Generation. Kindheit- und Jugendzeit In der Kindheit dieser Generation begann der Wandel vom freien Spielen „auf der Straße“ hin zum „Kinderzimmer-Spielen“. Aus einer sich bewegenden wurde dadurch zunehmend eine sitzende Generation. Dazu trugen in den 90er Jahren Gameboy und Playstation sowie Fernsehgeräte, zum Teil im eigenen Zimmer, bei. Überhaupt wurde Fernsehen Mitte der 80er Jahre noch reizvoller, denn dank dem neuen „Privatfernsehen“ gab es zu den bisherigen drei TV-Sendern (ARD, ZDF und Regionalsender) nun eine breitere Auswahl. Flötenunterricht, Turnverein, Theatergruppe oder Arzttermine – die Zeittaktung für die Nachmittagstermine übernahmen die Eltern genauso wie, besonders im ländlichen Bereich, die Funktion des „Eltern-Taxis“. Der Erziehungsstil wurde ins-
2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
gesamt liberaler und „Verhandeln“ spielte eine wichtige Rolle. Trotz steigender Scheidungsraten und der zunehmenden Berufstätigkeit beider Eltern, wuchsen die X’er vergleichsweise behütet auf. Die 90er Jahre waren auch die Zeit der BoyGroups wie „New Kids on the Block“, „Boyzone“, „Caught in the Act“ oder „Take that“. Gleichzeitig eroberten auch Girl-Groups wie „Spice Girls“, „Tic Tac Toe“ oder „Destiny‘s Child“ die Charts. Zu den prägenden Ereignissen dieser Generation zählen sicherlich die Wiedervereinigung und die damit verbundenen Veränderungen, die NewEconomy-Krise, die AIDS- und Drogenproblematik sowie die Kriege am Golf und in Jugoslawien. Die Lebenswelten wurden immer vielfältiger und internationaler. Dazu gehörten Austauschprogramme mit europäischen Städtepartnerschaften, Auslandspraktika, aber auch englischsprachige Fernsehsendungen wie „Sex and the City“ oder „Beverly Hills, 90210“. Die Generation X ist die erste Generation, die von einer regelrechten Medienrevolution erfasst wurde (Fintz 2014). Denn in dieser Zeit breiteten sich technische Neuerungen wie Videorekorder, Walkman, CD und Computer in den Haushalten aus. Die X’er waren die erste Generation, die ihre Hausarbeiten am „Rechner“ und nicht mehr auf der Schreibmaschine schrieben. Als die ersten Vertreter der Generation Mitte der 80er-Jahre in die Berufswelt eintraten, begannen sich die modernen Kommunikationsmittel wie E-Mail, Mobiltelefone und Informationstechnologien an vielen Arbeitsplätzen zu etablieren. Die Welt wurde durch die zunehmende Globalisierung immer mehr zum Dorf, was den Pulsschlag insgesamt deutlich beschleunigte. Wesentlich trug dazu auch die Geburtsstunde des Internets bei, die durch die Freischaltung des World Wide Web (WWW) für die öffentliche Nutzung durch das Kernforschungszentrum CERN (in der Nähe von Genf) möglich wurde. Was damals noch sehr technisch daher kam, wurde in den kommenden Jahren für die gesamte Welt zur zentralen Informations- und Kommunikationsplattform. Internetanschluss gab es zwar zunächst nur in wenigen Haushalten, doch Ende der 90er stellte Boris Becker in einem Werbespot die Frage, die
2.2 Vorstellung der Generationen
fast schon so etwas wie einen Kultstatus erlangte: „Bin ich schon drin?“ Und ja, er war wie viele andere „drin“ und es wurden immer mehr. Somit erlebten die X’er den technologischen Wandel von analog zu digital im Erwachsenenalter. Durch die steigende Arbeitslosigkeit konnte die Generation X schon beim Eintritt in die Arbeitswelt nicht davon ausgehen, dass ihre berufliche Etablierung so reibungslos gelingen würde wie bei den Vorgängergenerationen (Bruch et al. 2010). Im Jahr 1983 erreichte die Jugendarbeitslosigkeit ihren Höchststand. Laut Deutschem Jugendinstitut ist das durch die Einmündung der geburtenstarken Jahrgänge in das erwerbsfähige Alter zu erklären. Die hohen Zahlen der Schulabsolventen überforderten den Ausbildungsmarkt und so glich die Bemühung um einen Arbeitsplatz der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Viele Jugendliche wurden direkt von der Schule in die Arbeitslosigkeit entlassen (Deutsches Jugendinstitut 2020). Vom Kollektivismus zum Individualismus Im Zusammenhang mit der Generation X ist häufig auch vom Wertewandel die Rede. Gemeint ist damit der Wandel vom Postmaterialismus der Vorgängergenerationen zum Materialismus – und damit vom Kollektivismus zum Individualismus. Liest sich zunächst vielleicht etwas kompliziert, bedeutet aber vereinfacht gesagt folgendes: Die Vorgängergenerationen (Wirtschaftswundergeneration und Babyboomergeneration) wuchsen in einer Zeit auf, die von zunehmendem Wohlstand, Bildungsexpansion, Verkürzung der Arbeitszeit und Ausweitung der Freizeit, hoher sozialer Sicherheit und einer Liberalisierung der Werte gekennzeichnet war. Diese Generationen waren eher postmaterialistisch ausgerichtet, das heißt, dass das Streben nach materiellen Gütern eine geringere Bedeutung einnahm als das Streben nach immateriellen, abstrakten Werten wie Selbstverwirklichung, Kommunikation, Kultur, Bildung oder intakte Umwelt. Sie richteten also ihren Blick von sich als Individuum (Individualismus) weg auf die Allgemeinheit (Kollektivismus). Diese postmaterialistischen Werte prägten die Generationen,
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bis sich in den 90er Jahren ein Wertewandel zum Materialismus vollzog. Als Gründe dafür werden unter anderem die Ölkrise, hohe Arbeitslosigkeit, Folgen der Wiedervereinigung und die Globalisierung angeführt. Passend dazu war die Generation X, die in dieser Zeit aufwuchs bzw. erste Schritte ins Erwachsenenleben ging, vor allem auf der Suche nach materialistischen Werten wie Wohlstand, Sicherheit und Karriere. In Illies Buch heißt es dazu: „Wir lernten alle nicht für die Uni, sondern fürs Leben, unser Hauptfach hieß Karriere“ (Illies 2001). In dieser Zeit des Wertewandels entstand auch der Begriff Yuppie (Akronym für „young urban professional“), mit dem junge, karrierebewusste Stadtmenschen beschrieben werden, die großen Wert auf ihre äußere Erscheinung legen (Dudenredaktion o. J.). Auch wenn insgesamt gesehen nur wenige die finanziellen Möglichkeiten zu einem Yuppie-Leben hatten, so wurde es doch für viele zu einer Art Grundhaltung. Daher spielten Statussymbole und Marken eine große Rolle und wurden auch entsprechend offen gezeigt. Durch dieses Sichtbarmachen wurde nicht nur der eigene Lifestyle, sondern auch die Zugehörigkeit zu einer Schicht deutlich. Im privaten Bereich führte der Trend zur Individualisierung zu einer geringeren Bedeutung von Religion und Tradition und gleichzeitig zu alternativen Lebensentwürfen sowie hoher Wertschätzung von Familie (Oertel 2014). Auch die Konzentration aufs Äußere und der richtige „Body“ spielten eine große Rolle. In den 70er-Jahren entstanden Trimm-dich-Pfade und die 80er Jahre erlebten einen Aerobic-Boom im Fitnessstudio oder dank Videorekorder im Wohnzimmer. Passend zu der wachsenden Zahl an „Muckibuden“ liefen im Kino „Rambo“ und „Rocky“. Sicherlich gibt es keinen Zusammenhang zur Fitnesswelle, doch parallel dazu eröffnete 1971 der erste McDonald Deutschlands seine Filiale in München. Um dem Vorwurf der Schleichwerbung zu entgehen, sei erwähnt, dass der erste deutsche Burger King 1976 in West-Berlin öffnete.
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2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
Beispiel
Durch die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den 70er und 80er Jahren, war die Suche nach einer passenden Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle oft eine große Herausforderung. Ältere Pflegedienstleitungen und „Schulschwestern“ erzählen noch heute mit leuchtenden Augen von der Zeit, als sie ihre Auszubildenden und Bewerbenden aus einer großen Anzahl wählen konnten. Wer es damals durch den Bewerbungsprozess schaffte und nicht vorher ausgesiebt wurde, hatte bewiesen, dass er wirklich in der Pflege arbeiten möchte. Ob die Ausstrahlung der Kultsendung „Schwarzwaldklinik“ in den 80er Jahren zu der hohen Bewerberquote beitrug, ist mir nicht bekannt. ◄ Arbeiten Im Vergleich zu den kollektiv ausgerichteten Babyboomern handelt es sich bei den X‘ern eher um selbstbewusste Individuen mit einem hohen Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und einem starken Leistungswillen – auch unter schwierigen Bedingungen. Ihre Loyalität gilt jedoch eher Personen als Organisationen oder Idealen (Oertel 2014). Was Erfahrungswissen und soziale Kompetenz angeht, so sind die Babyboomer zwar im Vorteil, doch auch die Generation X verfügt aus ihrer Lebens- und Berufserfahrung bereits über einen reichen Wissens- und Erfahrungsschatz, was sie zu wertvollen Mitarbeitenden macht. In der Generation X dominieren Werte wie Pflichtbewusstsein, Disziplin und Sicherheitsdenken; sie gelten als karriereorientiert, strebsam und fokussiert. Für ihre Ziele sind sie durchaus bereit, ein Stück ihres Privatlebens zu opfern, jedoch nicht so sehr wie ihre Eltern, die meist der Generation Babyboomer angehören (Schlott 2012). Der Begriff „Work-Life-Balance“ wurde geboren, was eine Änderung in der Arbeitswelt darstellte. „Arbeiten, um zu leben“ beschreibt ihre Haltung, bei der die Arbeit nicht an oberster Stelle – und dann kommt erst mal lange nichts – steht, sondern vielmehr ein Mittel zum Zweck darstellt. Und der Zweck bzw. das Ziel der X’er ist es, ein materiell sicheres Leben zu führen, in dem man sich auch etwas leisten kann. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ – mit diesem inzwischen legendären
Werbespot einer Bank wird dieses Lebensziel gut auf den Punkt gebracht. In dieser Werbung treffen sich zwei Bekannte aus der Schulzeit offensichtlich zufällig wieder. Statt sich zu unterhalten, zückt der eine jeweils ein Foto von seinem Haus, seinem Auto und seinem Boot und legt sie triumphierend auf den Tisch. Der andere kontert und legt zunächst ebenfalls drei Bilder von seinem Haus, seinem Auto und seinem Boot auf den Tisch, um dann noch einen obendrauf zu setzen, indem er zusätzlich Bilder seiner Pferde und seiner Pferdepflegerinnen hinzufügt. Einige X’er erleben derzeit den sogenannten „Prinz-Charles-Effekt“. Durch die Tatsache, dass sich der Renteneintritt der geburtenstarken Babyboomer nach hinten verschiebt, sind die Karrierepfade, von denen es in den Institutionen des Gesundheitswesens sowieso eher wenige gibt, häufig blockiert. In der Warteschlange vor dem „Thron“ befürchten sie, dass sie nicht nur aktuell, sondern dauerhaft übergangen werden könnten, denn von „unten“ kommen souveräne, selbstbewusste Y’ler und Z’ler. Ähnlich wie die Babyboomer befinden sich bereits einige Vertreter der Generation X in einer Scharnierfunktion zwischen der Betreuung von Kindern und Eltern. Situation in der Pflege Der Patient und seine Bedürfnisse rückten immer mehr in den Mittelpunkt. Dazu gehörte auch, dass sich die Bereichspflege (Bezugspflege) zunehmend etablierte und damit die Funktionspflege Stück um Stück ablöste. Statt wie bisher von der Stationsleitung einzelne Tätigkeiten (z. B. Verbandswechsel, Blutdruckmessen) zugewiesen zu bekommen, die dann an allen Patienten durchgeführt wurden, war nun jede Pflegekraft während ihrer Schicht für die ganzheitliche, individuelle Pflege der Patienten in ihrem Bereich/Zimmer verantwortlich. Eine Sonderform der Bezugspflege nimmt das Primery Nursing (PN) ein, das Mitte der 90er Jahre aus dem angelsächsischen Raum auch in Deutschland auf Interesse stieß. Der wesentliche Unterschied zur Bezugspflege liegt darin, dass sich die Bezugspersonen nicht täglich ändern, sondern möglichst immer die gleichen Pflegepersonen die gleichen Patienten pflegen.
2.2 Vorstellung der Generationen
Aus einer hierarchisch-zentralistisch gere
gelten, tätigkeitsorientierten Funktionspflege, die sich vor allem an den Betriebsabläufen orientierte, wurde eine ganzheitliche Bezugspflege, bei der die Stationsleitung Aufgaben und Verantwortung an die Pflegekräfte delegiert. Insgesamt wurden die Pflegekräfte durch Reinigungspersonal, Apparatemedizin, verkürzte Verweildauer und portioniertes Essen entlastet. Das verpflichtende, für viele Pflegekräfte lästige Tragen der Hauben und teilweise auch der Broschen, wurde in den 80er Jahren größtenteils abgeschafft, in den einen Kliniken früher, in anderen erst deutlich später. Die Pflege professionalisierte sich zunehmend, wozu auch die Einführung von Pflegeplanung und Pflegeprozess sowie die ersten Pflegestudiengänge Anfang der 90er Jahre beitrugen. Auch weiterhin gab es immer wieder Pflegenotstände, die eine Überbelastung der Pflegekräfte mit sich brachten und die Qualität der Pflege beeinflussten. Nicht zuletzt die Proteste von Pflegekräften und die dazugehörige Berichterstattung in den Medien führte Ende der 80er Jahre zu Tarifverhandlungen. Diese brachten eine Reihe von Verbesserungen mit sich, die teilweise zu einem regelrechten Bewerberboom auf Ausbildungsplätze führte. Nach dem Fall der Mauer entstand für einige ostdeutsche Krankenhäuser eine prekäre Personalsituation, da ein Teil des Pflegepersonals in westdeutsche Kliniken wechselte.
2.2.4 Generation Y (ca. 1981–1994) Die Generation Y erlebt als erste überhaupt in der Geschichte, was es heißt, relativ wenige zu sein, und zwar sowohl aus soziologischer als auch psychologischer Perspektive. Der Begriff „Generation Y“ knüpft alphabetisch an die Generation X an.
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Hier eine kleine Auswahl weiterer Bezeichnungen: • „Why“ – Y klingt in der englischen Aussprache wie „why“, was ins Deutsche übersetzt „warum“ bedeutet. Damit wird ausgedrückt, dass diese Generation Fragen stellt, beziehungsweise vieles hinterfragt. • „Millennials“ – weil für sie um die Jahrtausendwende mit dem Eintritt in die Schule, die Ausbildung oder das Studium der „Ernst des Lebens“ begann. • „Digital Natives“ (digitale Eingeborene) – sie gehen nicht „ins“ Internet, sondern leben „im“ Internet. • “Generation Me” oder sogar “Generation Me, me, me” – um die (vermeintlich) hohe Anspruchshaltung der Altersgruppe auszudrücken. • „Trophy Kids“ – weil es allein fürs „Dabei gewesen sein“ Urkunden oder Medaillen gibt. • „Generation Biedermeier“ – wegen der teilweise überraschend bürgerlichen Vorstellungen von ihrem Leben (Grünewald et al. 2010). Prägende Ereignisse Die Generation Y wuchs in einer Welt des Klimawandels, der Globalisierung und des Terrorismus auf. Waren die Terroranschläge am 11. September 2001 (09/11) ein einschneidendes Ereignis, wurde mit den Schulattentaten in Erfurt und Winnenden die Gefahr für die Ypsiloner, die zu diesem Zeitpunkt größtenteils selbst noch die Schule besuchten, deutlich greifbarer. Den Y’lern wurde so schon früh bewusst, wie unsicher die Welt ist. Daraus haben sie zweierlei gelernt: Nichts ist mehr sicher. Und: Es geht immer irgendwie weiter (Hurrelmann und Albrecht 2016). Im Gegensatz zu den früheren Generationen können die Männer der Generation Y seit 2011 ein Leben ohne Unterbrechung durch verpflichtenden Wehr- oder Zivildienst planen. Familie und Beziehungen In der Erziehung der Y‘ler spielten Mitbestimmung, Freiheit, Wahlmöglichkeiten, Selbstbewusstsein, Achtsamkeit und Fürsorge eine große
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Rolle. Sie sind es gewöhnt, bei der kleinsten Regung bemerkt und anerkannt zu werden – Lob gehört sozusagen zum Standardverhalten der Erziehungspersonen (Fintz 2014). Kerstin Bund beschreibt in ihrem Buch „Glück schlägt Geld“ ihre Generation Y so: „Besonders rebellisch ist meine Generation also nicht, aber dann: Wieso sollte sie auch? Wir sind mit vielen Freiheiten aufgewachsen, durften unsere Interessen ausleben, in unseren Eltern sehen wir eher Berater denn Befehlshaber. Es gibt für uns schlichtweg keinen Grund, gegen unsere Kindheitserfahrung zu rebellieren“ (Bund 2014). Für Eltern, die es mit dem „das Beste wollen“ und „vor Gegenwind beschützen wollen“ übertreiben, wurde der Begriff „Helikopter-Eltern“ kreiert, da sie wie Helikopter ständig um ihre Kinder kreisen. Der Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Jugend-, Bildungs- und Gesundheitsforschung, Prof. Dr. Dr. Klaus Hurrelmann, beobachtet als Leiter, Berater und Autor zahlreicher Jugendstudien (Shell Jugendstudie, McDonald‘s Ausbildungsstudie etc.) bereits seit vielen Jahren junge Generationen und sagt: „Schon lange stand keine junge Generation mehr vor so gewaltigen Herausforderungen wie die Generation Y. Von ihren Eltern behütet und gefördert wie keine andere vor ihr, könnten die Ypsiloner die Ersten seit dem Zweiten Weltkrieg sein, für die das Versprechen auf immer mehr Wohlstand tatsächlich nicht mehr gilt: Die Zahl sozialversicherter Vollzeitjobs für Berufseinsteiger nimmt ab, die Mieten steigen, und das Versprechen, die Renten seien sicher, scheint heute aus einer anderen Zeit“ (Hurrelmann und Albrecht 2016). In einer Welt, in der vieles unsicher ist und scheint, ist besonders die Familie ein entscheidender Anker, der ein Gefühl von Sicherheit, Kontinuität und Identität bietet. Die Y‘ler sind in ihren Elternhäusern herzlich willkommen. Als Erwachsene leben sie dort häufig bis über ihre 30er Jahre in fester beruflicher Anstellung ohne finanzielles Risiko und behalten häufig noch ihr „Kinderzimmer“, das bei den Eltern darauf wartet, von ihnen nach Belieben bezogen zu werden (Fintz 2014). In der Gesellschaft findet eine stärkere Pluralisierung der Lebensformen statt: Neben traditio-
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nelle Familienverbände treten alleinerziehende Mütter oder Väter, Patchwork-Familien und alternative Lebensgemeinschaften (Klaffke 2014a, b). Freundschaften werden eher schnell und unkompliziert geschlossen. Obwohl sie durchaus ernst gemeint sind, gehen sie manchmal genauso schnell wieder unter, wie sie aufgetaucht sind. Sollte es zu einem späteren Zeitpunkt mal wieder „passen“, werden sie einfach „wiederbelebt“. Gute, vielfältige Kontakte aus dem Netzwerk sind auch deshalb ein wahrer Besitz, da Wissensanhäufung, nicht zuletzt wegen der Kurzlebigkeit und der Informationsfülle, immer weniger Sinn macht. Dafür braucht es zunehmend die Fähigkeit, Wissen so schnell wie möglich zu ermitteln und mit anderen zu verknüpfen. Multioptionalität Viele Jahrzehnte gab es einen Stromlieferanten, einen Briefzusteller, einen Telefonanbieter usw. Mittlerweile bestimmen Wahlmöglichkeiten nahezu das gesamte Leben: ob Mobilfunkanbieter, Reiseziele, Banken oder die Varianten, wie man seinen Kaffee trinken möchte. Und wer noch überlegt, was aus den früher üblichen Kaffeevarianten: „schwarz“ oder „mit Milch und Zucker“ geworden ist, für den lohnt sich ein Blick auf die Karte eines Coffee-Shops.
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Als ich kürzlich in einem kleinen Café einen Cappuccino bestellte, bekam die Bedienung fast Atemnot, als sie mir die Milchsorten aufzählte, aus denen ich wählen sollte: Kuhmilch, Mandelmilch, Kokosmilch, Reismilch, Sojamilch, Mandelmilch, Hafermilch, Dinkelmilch, Hirsemilch… ◄ Die Generation Y wuchs von Anfang an in dieser Multioptionalität auf und hat dabei auch schon die Schattenseiten kennengelernt: die Sorge, sich angesichts einer oft unendlichen Auswahl an Alternativen für das Falsche zu entscheiden oder etwas zu verpassen. Dafür steht das Akronym „FOMO“: „Fear of missing out” (Furcht etwas
2.2 Vorstellung der Generationen
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zu verpassen). Zusätzlich angefeuert wird diese Sorge durch Social-Media-Kanäle, die in Echtzeit vor Augen führen, was andere gerade großartiges erleben. Durch die unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten, werden Entscheidungen immer schwieriger. Das ist, als ob man hungrig vor einer Speisekarte säße und „nur“ ein Gericht bestellen darf – und damit die anderen nicht mehr probieren kann (Fintz 2014). Die Y’ler wissen, dass Entscheidungen mit Verantwortung verbunden sind. Und so warten sie lieber ab, zögern hinaus (Entscheidungsaufschub), entscheiden sich um oder delegieren lieber die Entscheidung und damit die Verantwortung, denn es könnte ja irgendwo noch einen besseren Partner, Ausbildungs-, Studien- oder Arbeitsplatz etc. geben. Die Generation Y handelt widersprüchlich, denn sie versucht sich alle Türen offenzuhalten und sichert sich gleichzeitig auf Biegen und Brechen ab. Individualismus Der Kollektivismus, der noch die Babyboomergeneration prägte, war bereits bei ihren Kindern – Generation X – im Umbruch. Und deren Enkel – Generation Y – können damit nicht mehr wirklich viel anfangen. Kauften die Babyboomer beispielsweise noch Möbel im nahegelegenen Möbelgeschäft, die möglichst ein Leben lang halten sollten, begann Ende der 70er durch Geschäfte wie IKEA eine neue individuell zusammenstellbare Welt des Wohnens. Auch Niedrigpreis-Lieferanten, wie RyanAir, Aldi, Lidl & Co, führten auf vielen Konsumebenen zu einer neuen Vielfalt von Qualitäts-, Leistungs- und Preisalternativen. Mittlerweile haben die Wahlmöglichkeiten den Individualismus soweit gefördert, dass der einzelne Verbraucher seine Produkte – vom Müsli bis zum Auto – individuell zusammenstellen kann. Und damit die Individualität auch im Bad und in der Küche nicht zu kurz kommt, kann auch das Duschgel mit einem eigenen Bild oder das Schokoladencreme-Glas mit dem eigenen Vornamen gestaltet werden. „Mass Customization“ heißt hier das Zauberwort. Dabei handelt es sich um das Prinzip der kundenindividuellen Massenproduktion oder anders gesagt: um Individualität vom Fließband.
Die individuelle Bedeutsamkeit „Du bist wichtig“, „Deine Meinung zählt“, mit der die Generation Y groß wurde, hat sich mittlerweile auf sämtliche Lebensbereiche ausgebreitet. So werden wir, ob Bahnfahrt, Tanken, Kino oder Drogerie, permanent nach unserer Meinung gefragt. Und weil alle wichtig sind, darf auch jeder munter den anderen bewerten. Während im Fernsehen Erziehungsmethoden, Shopping-, Koch- und Gastgeberqualität mit Punkten von 0 bis 10 bewertet werden, sind es im Social-Media-Bereich die „Likes“ bzw. „Unlikes“, mit der die eigene Meinung verkündet wird. Das Symbol dafür ist bekanntermaßen ein Daumen, der nach oben bzw. unten zeigt. Was im antiken Rom die Entscheidung über Leben und Tod bedeutete, sagt heute – mit der Anzahl der Follower – etwas über die (scheinbare) Beliebtheit aus. Eng verbunden mit dem Individualismus, ist die Tatsache, dass die Ypsiloner ein Leben mit der Konjunktion „und“ führen. Denn ihre Wünsche sollen sich nicht nacheinander erfüllen, sondern parallel: Familie und Karriere, berufliches
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2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
und soziales Engagement, gut leben und die Umwelt schützen, vernetzt sein und sich abgrenzen. Die Konjunktion „und“ ist nicht mehr wegzudenken, die Konjunktion „oder“ ist undenkbar (Fintz 2014)! Technik Die Generation Y ist die erste Generation, die mit den „neuen“ Kommunikationsmöglichkeiten und einem überbordenden Markt an Medienangeboten, die egal wo, wann, wie oft auch immer verfügbar sind, aufwächst. Laptop, Mobiltelefon & Co wurden ihr sozusagen in die Wiege gelegt. Es ist vor allem dieses kleine, 100 bis 200 g schwere, handliche „Kästchen“, mit dem ein Großteil des alltäglichen Lebens bestritten wird: ob Telefonieren, Textnachrichten, Kalender, Uhrzeit, Navigation, Notizzettel, Gamen, Einkaufen, Produkte vergleichen, Informationen einholen, Fitness, Bücher lesen, Musik hören oder Filme schauen, überall wird es eingesetzt und ist daher meist in Griffweite. Kein Wunder, dass sich besonders die jüngeren Generationen ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen können. Manche entwickeln sogar etwas, das sich „Phantom-Vibration“ nennt. Sie haben die irrtümliche Vorstellung, dass ihr Mobilgerät vibriert, obwohl sie es gar nicht in der Hosentasche haben oder gar kein Vibrationsalarm ausgelöst wurde.
Beispiel
Bei einer längeren Bahnfahrt mit mehreren Zugausfällen, defekter Klimaanlage – und das alles bei brütender Hitze – hatte sich in meinem Abteil spontan eine kleine Gruppe gebildet, die sich im wahrsten Sinne des Wortes immer mehr zusammenschweißte. Außer mir und einem älteren Herrn waren alle Y‘ler. Nachdem klar war, dass an Arbeiten nicht mehr zu denken war, unterhielten wir uns angeregt und waren bester Stimmung. Irgendwann sagte einer unvermittelt und fast schon erschreckt, dass wir schon lange nicht mehr unsere Mobiltelefone in der Hand gehabt hätten. Kein Video schauen, kein Whats-
App etc. Die anderen stimmten überrascht zu, doch keiner hatte den Wunsch, das zu ändern. Okay, bis auf mich, doch ich musste, als von der Gruppe gekürte „Deutsche Bahn-App Beauftragte“ ja schließlich die Lage im Blick behalten. ◄ Die Y’ler sind technikaffin, jedenfalls was Android-Gerät oder iPhone betrifft. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass sie beispielsweise Patientenmanagement-Programme, Excel oder Word auf Anhieb beherrschen. Und sie wissen meist auch nicht unbedingt, wie man einen neuen Toner in den Drucker einlegt oder den Papierstau im Kopierer beseitigt. Sie zweifeln noch, ob das so stimmt? Dann fragen Sie mal in Ihrer EDV-Abteilung nach, die kann oft ein Lied davon singen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Die Ypsiloner sind zwar mit Technik aufgewachsen und wissen daher, dass sie in vielen Bereichen von ihr abhängig sind und nicht ohne sie leben wollen, doch Technikfreaks oder gar Nerds (Definition laut Duden: sehr intelligente, aber sozial isolierte Computerfans) sind sie deshalb noch lange nicht. Arbeiten Die Generation Y gilt als Personengruppe, die mit ihrer Attitüde viele Unternehmen vor Herausforderungen stellt(e). Passend dazu gibt es eine unfassbar große Anzahl an Literatur, Vorträgen und Seminaren, die sich mit dieser Generation beschäftigen. Die Y’ler sehen ihre Arbeit nicht nur als Broterwerb, sondern als wichtigen Bestandteil des Lebens – nicht mehr und nicht weniger. Während vor allem die Nachkriegsgenerationen mit ihrem Lohn das Überleben der Familie sichern mussten, ging es für die nachfolgenden Generationen zwar stetig bergauf, sodass nur noch verhältnismäßig wenige Hunger und wirkliche Armut erlebten, dennoch blieb Arbeit für sie ein wichtiger Sicherheitsfaktor. Für viele Vertreter der Generation Y spielt es hingegen eine große Rolle, dass der Job einem erfüllten Leben nicht im Wege steht. Daher bringen sie sich gern bei der Arbeit ein, besonders wenn ihnen die Tätigkeit sinnvoll erscheint. Sie
2.2 Vorstellung der Generationen
hinterfragen vieles, äußern klar ihre Kritik und wünschen sich regelmäßig Feedback. Autoritäten erkennen sie nicht aufgrund ihres Amtes, z. B. Stationsleitung, Pflegedienstleitung oder ärztliche Leitung an, sondern sie müssen sich in den Augen der Ypsiloner den Respekt erst mal „verdienen“. Etwas, das in der Vergangenheit bis dato genau umgekehrt ablief. Da die Y‘ler als Kinder oft im Mittelpunkt standen, haben sie ein großes Selbstbewusstsein entwickelt, welches heute in der Arbeitswelt spürbar ist. Die Leitungsperson sehen sie eher als Coach, mit dem man auch mal über Privates sprechen kann. Nach Schlott (2012) ist es für sie selbstverständlich, dass sie und ihre Bedürfnisse nicht nur gehört, sondern auch erhört werden. Der gute Kontakt dieser Generation mit dem Elternhaus wird in die Arbeitswelt übertragen, und bringt unter anderem eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Vorgesetzten mit sich (Schlott 2012). Bei den Vorgängergenerationen war es meist üblich, dass sie nach der Ausbildung bis zur Rente im gleichen Unternehmen blieben. Vielleicht mal die Station wechseln – das war es dann aber auch schon. Die Generation Y geht davon aus, dass es für sie keinen garantierten Job in einem Unternehmen für das gesamte Arbeitsleben geben wird. Dazu kommt, dass auf viele Y’ler (zu Beginn) ein befristeter Arbeitsvertrag wartet – sozusagen ein Vertrag mit Haltbarkeitsdatum. Auch das führt nicht gerade zu einer tiefen Arbeitgebertreue. Und diese Generation kündigt, wenn es „nicht mehr passt“ – ob inhaltlich, menschlich oder weil irgendwo ein anderes, attraktives Angebot lockt. Bei der momentanen Lage auf dem Gesundheitsmarkt ist eine neue Stelle kaum ein Problem – auch das wissen sie. Sollte es zu einem späteren Zeitpunkt wieder passen, ist es gut möglich, dass sie zu dem ehemaligen Arbeitgeber zurückkommen. Tief in ihrem Inneren wünschen sie sich einen festen, unbefristeten Arbeitsplatz – allerdings verbunden mit der heimlichen Gewissheit, jederzeit wieder gehen zu können. Viele von ihnen halten eine Führungsposition für nicht erstrebenswert. Sie möchten sich lieber fachlich weiterentwickeln in einer Position, die ihnen mehr Freiheiten und mehr Zeit fürs Pri-
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vate lässt. Der Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann prognostiziert Angehörigen der Generation Y im FAZ-Interview: „Sie werden nicht per se Karriere machen, um mehr Geld zu bekommen und mehr Macht zu haben – wobei, natürlich werden sehr viele von ihnen sich das noch überlegen, wenn sie vor diesen Optionen stehen: Auch die 68er haben diese eher bürgerlichen Ziele zunächst abgelehnt, und einige von ihnen haben dann doch die Karriereleiter ganz schön zügig erklommen. Bei der derzeit jungen Generation sieht es allerdings stark danach aus, dass sie eine berufliche Tätigkeit suchen, in der sie ihre Vorstellungen verwirklichen können und die sie am Leben lässt: beim Arbeiten leben und beim Leben arbeiten. Daraus zu interpretieren, sie kniffen vor Karriere, ist völlig falsch. Sie spüren eher fast schon hellseherisch, wie gefährlich diese Selbstausbeutungsspiralen sind, in die man im heutigen Berufsleben geraten kann“ (Heidenfelder 2014). Viele Ratschläge, die wir aus der Literatur zur Burn-out-Prävention kennen, wie „Lernen Sie ‚nein‘ zu sagen“, Arbeiten Sie in einem Umfeld, indem sie glücklich sind“, „Nehmen Sie sich Auszeiten, um Kraft zu sammeln“ oder „Hören Sie auf Ihren Körper“, werden von der Generation Y ganz selbstverständlich gelebt. Warum? Sie haben mitbekommen, welche „Ochsentour“ ihre Eltern bzw. Großeltern gegangen sind oder noch gehen. Dazu kommt, dass bereits jetzt feststeht, dass sie bis zum Renteneintritt länger arbeiten müssen, als die Vorgängergenerationen. Nicht zuletzt deshalb geht es für sie darum, Momente und Gelegenheiten im Arbeits- und Privatleben zu nutzen. YOLO nennt man das in der Jugendsprache, was für “You only life once” steht. 2012 wurde der Begriff sogar zum Jugendwort des Jahres vom Langenscheidt-Verlag gewählt.
Beispiel
Ich erinnere mich noch gut an das Zwischengespräch mit zwei Schülerinnen (beide Generation Y) kurz nach Beginn ihres ersten Ausbildungsjahres. Es stellte sich rasch heraus, dass die beiden ziemlich ernüchtert über ih-
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2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
ren ersten Einsatz auf der Station waren. Sie erklärten vollen Ernstes, dass sie große Fans der Krankenhaus-Fernsehserie „St. Angela“ seien, und da wäre alles ganz anders als in unserer Klinik: „weder hübsche, junge Ärzte noch Pflegekräfte, die sich mit den knackigen Ärzten privat treffen und Liebesbeziehungen haben“, usw. Es brauchte schon einiges an Contenance, um nicht lauthals loszulachen… Einige Jahre später lief mir eine der beiden in einer Klinik zufällig über den Weg. Sie hatte mich wohl sofort erkannt, und heute kann auch sie nur noch kopfschüttelnd über das damalige Gespräch lachen. ◄ Work-Life-Balance versus Work-Life-Blending Für viele Vertreter der Generation Y bedeutet Work-Life-Balance, dass es keine strikte Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben gibt. Vielmehr verschmelzen die Grenzen zwischen diesen Welten immer mehr, was vor allem durch den Einsatz neuer Technologien ermöglicht wird. Daher spricht man auch vom Work-Life-Blending (Arbeit-Leben-Mischung), das das Ziel hat, die beiden Lebenswelten optimal aufeinander abzustimmen und dadurch mehr Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten zu nehmen. So wird Privates auch mal während der Arbeitszeit erledigt und andersherum auch nach Feierabend oder am Wochenende weitergearbeitet. Mittags nach Hause, um die Kinder vom Kindergarten abzuholen, oder den Nachmittag mit Freunden zu verbringen? Kein Problem, dann wird die restliche Arbeit eben im Homeoffice erledigt. Damit verlieren die klassischen Arbeits- und Anwesenheitszeiten und der Ort der Tätigkeit an Bedeutung. Was jedoch weiterhin zählt, sind die Arbeitsergebnisse und Leistungen. Die Bereitschaft, hart zu arbeiten, wird mit der Möglichkeit, relativ flexibel über die eigene Zeit zu bestimmen, „belohnt“. Der Begriff Work-Life-Balance suggeriert für viele, und darunter sind häufig die Ypsiloner, dass Arbeit etwas Schlechtes und Freizeit etwas Gutes ist. „Erst die Arbeit, dann das
Vergnügen“, sagt dazu passend der Volksmund. Doch die Generation Y will Leben und Arbeiten in Einklang bringen. Und sie möchte bereits bei der Arbeit Spaß und Glück haben und nicht erst nach Dienstschluss. Kerstin Bund (2014) schreibt dazu: „In unserer Welt fließen die beiden Sphären ineinander wie die Milch und der Espresso in unserem Latte macchiato“ (Bund 2014). „Spaß und Glück bei der Arbeit“ ist in der Pflege gut möglich. Doch die Vermischung von Arbeit und Privatem, beispielsweise durch Homeoffice, „Arbeit mit nach Hause nehmen“ oder freie Einteilung der Arbeitszeit, ist in der Patientenversorgung nur in den seltensten Fällen umsetzbar. Dadurch spielt Work-Life-Blending im Verhältnis zu anderen Branchen in der Pflege eine eher untergeordnete Rolle. Situation in der Pflege Besonders einschneidend war 2004 die Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf die DRGs (Diagnosis Related Groups). Seither wird nicht mehr nach Tagessätzen, sondern nach diagnosebezogenen Fallpauschalen abgerechnet. Die dadurch entstandenen Herausforderungen für das Pflegepersonal liegen vor allem in der engen Personalsituation, den zunehmenden administrativen Tätigkeiten, der oft fehlenden Zeit für zwischenmenschliche Kommunikation und Fürsorge mit den Patienten sowie in der kurzen Verweildauer der Patienten, die eine Beschleunigung und Verdichtung der Arbeit mit sich bringen. Das alles führt bei vielen Pflegekräften zu Frustration, Resignation und sinkender Motivation. Mit dem „Gesetz über die Berufe in der Altenpflege“, das 2003 in Kraft getreten ist, wird die Ausbildung in der Altenpflege erstmals bundesweit geregelt, wodurch ein einheitliches Ausbildungsniveau sichergestellt, das Berufsbild attraktiver gestaltet und dem Beruf insgesamt ein klares Profil gegeben werden soll (BMFSFJ 2018). Das Krankenpflegegesetz im Jahr 2004 brachte neben einigen Änderungen in der Ausbildungsund Prüfungsordnung auch neue Berufsbezeich-
2.2 Vorstellung der Generationen
nungen mit sich. So wurde aus der Krankenschwester bzw. dem Krankenpfleger die Gesundheits- und Krankenpflegerin bzw. der Gesundheits- und Krankenpfleger und analog dazu aus der Kinderkrankenschwester bzw. dem Kinderkrankenpfleger die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin bzw. der Gesundheitsund Kinderkrankenpfleger.
2.2.5 Generation Z (ab ca. 1995) Dem Alphabet folgend, hat sich für die derzeit jüngste Generation der Name „Generation Z“ etabliert. Genau wie die Y‘ler stellen die etwa zwölf Millionen Menschen der Generation Z ca. 15 % der deutschen Bevölkerung dar (Kring und Hurrelmann 2019). Kindheit- und Jugendzeit Die Mehrheit der Angehörigen der Generation Z wächst in stabilen finanziellen Verhältnissen auf und ist einen hohen Lebensstandard gewöhnt (Kring und Hurrelmann 2019). Dass das nicht für alle Z‘ler gilt, zeigt der Trend zur „Wohlstandspolarisierung“. Im Kinder- und Jugendbericht des Bundestages aus dem Jahr 2013 heißt es dazu: „Während der weitaus überwiegende Teil der Heranwachsenden auf eine einigermaßen sorgenfreie Zukunft blicken kann, mit Netz und doppelten Boden über die Eltern abgesichert ist, kommt hierzulande immerhin fast jeder dritte junge Mensch aus einem Elternhaus, das entweder von Armut bedroht ist, in dem die Eltern keiner Erwerbstätigkeit nachgehen oder aber selbst keine ausreichenden Schulabschlüsse vorweisen können“ (BMFSFJ 2013). Die Shell Jugendstudie aus dem Jahr 2019 trägt den Untertitel „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Wie treffend diese Aussage ist, wurde nicht zuletzt bei den Abiturprüfungen im Mai 2019 deutlich. Da die Matheaufgaben (angeblich) zu schwer gewesen sind, starteten Abiturienten in mehreren Bundesländern aus Protest Petitionen im Internet, was dazu führte, dass sich in manchen Bundesländern tatsächlich der Bewertungsschlüssel veränderte. Ebenfalls zu
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Wort melden sich einige der jüngeren Vertreter der Generation Z, die im Rahmen der „Fridays for Future“-Bewegung für eine bessere Klimapolitik demonstrieren. Manche sprechen daher auch schon von der „Generation Greta“. Der zunehmende Trend für Umweltbewusstsein wird auch durch die Shell Jugendstudie belegt. Danach liegt der Schutz der Umwelt 71 % am Herzen und ist damit inzwischen sogar wichtiger als der eigene hohe Lebensstandard (Hurrelmann et al. 2019). Die Z‘ler sind die erste Generation, die komplett im wiedervereinigten Deutschland groß wurde. Sie wuchsen in einer Zeit auf, die bestimmt war von Klimawandel, Fukushima, Terrorismus, Arabischem Frühling, Migration und schnellem technologischem Wandel. Die Älteren von ihnen bekamen bereits die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums in Form von Finanz-, Wirtschafts- und Europakrisen mit. Sie erleben, wie vieles, das lange unzerstörbar schien, zu zerfallen droht: Europa, Demokratien, die stabilen Machtverhältnisse in der Welt (Burfeind 2018). Bis 2010 gaben die jungen Menschen bei der Shell Jugendstudie (Hurrelmann et al. 2019) als hauptsächliche Probleme die wirtschaftliche Lage, steigende Armut sowie Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, keinen Ausbildungsplatz zu finden, an. Bei der Shell Jugendstudie im Jahr 2019, in der junge Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren in einer repräsentativ zusammengestellten Stichprobe von 2572 Teilnehmern interviewt wurden, nannten beinahe drei von vier Jugendlichen die Umweltverschmutzung als das Hauptproblem, das ihnen Angst macht, gefolgt von der Angst vor Terroranschlägen (66 %) sowie dem Klimawandel (65 %). Die wirtschaftliche Lage mit steigender Armut wird hingegen nur noch von etwas mehr als jedem zweiten Jugendlichen benannt, die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust oder davor, dass man keinen Ausbildungsplatz findet, sogar nur von etwas mehr als jedem dritten. Bemerkenswert ist auch, dass laut dieser Studie mehr als die Hälfte der Jugendlichen (56 %) Angst hat vor einer wachsenden Feindlichkeit zwi-
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schen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind. Dieser Aspekt, der auf eine mögliche Polarisierung der Gesellschaft hindeutet, macht ihnen mehr Sorge als beispielsweise wirtschaftliche und soziale Nöte (Hurrelmann et al. 2019). Diese Ergebnisse stammen aus der Zeit vor der COVID-19-Pandemie. Wie sehr die Generation Z durch diese Krise geprägt wird und wie die Folgen, auch für die anderen Generationen, aussehen werden, ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Familie und Beziehungen Neben traditionellen Familienverbänden existieren zunehmend alternative Lebensgemeinschaften. Auch die Rolle der Väter änderte sich dahin gehend, dass sie nun häufiger die Kinderbetreuung übernehmen. Für die große Mehrzahl der Generation Z sind die Eltern und nahen Verwandten die wichtigsten Ratgeber und der Rückzugsort. Sogar 18- bis 25-Jährige schätzen ihre Eltern nach wie vor als wichtigste Personen im persönlichen Umfeld ein (BMFSFJ 2017). Auch die Shell Jugendstudie (Hurrelmann et al. 2019) kommt zu dem Schluss, dass für diese Generation Familie und soziale Beziehungen mit Abstand die wichtigsten Wertorientierungen darstellen. Das zeigt sich auch darin, dass 16 % der Z’ler ihre Kinder „genauso“ und 58 % „ungefähr so“ erziehen wollen, wie sie selbst erzogen wurden (Hurrelmann et al. 2019). Da das Leben in den verschiedensten Bereichen für die Z‘ler häufig eher eine Ansammlung von Lebensabschnittspartnerschaften und virtuellen Freundschaften darstellt, suchen sie Bindung in der Familie. Dort erleben sie im besten Fall bedingungslose Liebe, Verlässlichkeit und Sicherheit – und damit seelische Stabilisierung -, die sie sonst in der Welt selten finden. Die Betreuung der Generation Z durch ihre Eltern entspricht dabei eher der Natur der Kaiserpinguine und Orang-Utans (intensive Betreuung) als der von Schildkröten und Haien (wenig Betreuung) (Scholz 2014). Andere sprechen, wie bereits bei der Generation Y, von „Helikoptereltern“, weil sie sich ständig in der Nähe ihrer Kinder aufhalten, um diese zu behüten und zu überwachen. Aktuell setzt sich der Begriff „Rasenmäher-El-
2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
tern“ als Steigerung der „Helikopter-Eltern“ durch. Der Name kommt daher, dass entsprechende Eltern potenzielle Hindernisse wie Konflikte oder Niederlagen aus dem Weg räumen – niedermähen -, bevor ihr Kind darüber stolpern könnte. Wie ihre Vorgängergeneration wurden auch die Z‘ler mit einer „Trophäen-Pädagogik“ erzogen. Hier ein kleines Beispiel: Gab es früher das Seepferdchen oder den Freischwimmer, wird heute bereits für 0 bis 1 m Schwimmen das „Froschabzeichen“ verliehen. Wie schon bei der Vorgängergeneration findet auch bei den Z`lern eine eher konfliktlose Ablösung vom Elternhaus statt. Das Erkämpfen von Freiheiten und das Überschreiten von Grenzen ist für die Generation Z kaum noch möglich, denn es ist ja, etwas überspitzt gesagt, alles erlaubt: Männer dürfen Männer lieben, Frauen dürfen Frauen lieben, Haare dürfen blau oder grau sein, und wenn in der Nase Ringe und Holzkeile stecken, regt das kaum noch jemanden auf. Auch die Eltern nicht. Die sind ja nun auch ewig jung, tätowiert und tragen Slim-Fit-Jeans (Burfeind 2018). Die Generation Z ist "sehr erwachsen, kontrolliert und vernünftig", soweit das Ergebnis einer Studie zur Jugendkultur des Marktforschungsinstituts Rheingold (Grünewald et al. 2010). Sie kommt weiter zu dem Schluss, dass sich das Lebensgefühl in den vergangenen Jahrzehnten komplett geändert hat: von der lodernden Revolte in den 70iger Jahren, die sich gegen betonierte, gesellschaftliche Verhältnisse und die miefige Welt der Eltern auflehnte, hin zu einer „Biedermeierwelt“, in der „das zentrale Lebensziel darin besteht, ein kleines Haus mit Garten oder eine Eigentumswohnung zu besitzen. Bewohnt mit der eigenen Familien, den (beiden) Kindern und dem Hund. Das Lied von Peter Fox über das ‚Haus am See‘ ist daher eine Hymne an ein beschauliches Leben, in dem man endgültig angekommen ist, sich niederlässt und sich im Kreise der Familie wohlfühlt. Zuhause will man sich gemütlich einrichten und Geborgenheit erfahren – möglichst mit einem verlässlichen und treuen Partner, an den man sich fest bindet“ (Grünewald et al. 2010). Ist die Generation Z also eine Horde Spießer? Man wird es
2.2 Vorstellung der Generationen
sehen. Passenderweise las ich vor kurzem in einer bekannten Modezeitschrift: „Spießig ist das neue Cool“ – die müssen es ja wissen… Technik Eine Abgrenzung zu den älteren Generationen erfolgt heute hauptsächlich über den kompetenteren Umgang mit den „neuen Medien“. Sie gewähren den Z‘lern Handlungswirksamkeit und Mobilität, ohne ihr Elternhaus verlassen zu müssen. Im Unterschied zu ihrer Vorgängergeneration hat sie keine digitale Pionierrolle mehr, da alles Digitale selbstverständlich geworden ist. Es heißt nicht mehr „mobile-first“, sondern „mobile-only“. Oder anders gesagt: alles mit, nichts ohne Smartphone. Dazu passt auch die Generationsbezeichnung „Head down“ (Kopf unten), die die Kopfhaltung beschreibt, mit der insbesondere viele junge Menschen im Alltag unterwegs sind. Ihr Blick und damit ihre Aufmerksamkeit sind auf ein Mobiltelefon gelenkt. Auch wenn die Eltern mittlerweile weitgehend selbstverständlich mit den digitalen Medien umgehen, fühlen sie sich auf der technischen Ebene häufig weniger medienkompetent als ihre Kinder, was Begleitung und Kontrolle schwieriger macht (BMFSFJ 2013). Auch die Rollen haben sich geändert: Eltern bekommen heute die ausgedienten Geräte ihrer Kinder überlassen und spannen diese für mediale Tätigkeiten ein, die sie sich selbst nicht zutrauen (BMFSFJ 2017). Manche nennen diese Generation auch „Selfie-Generation“, denn seit ihrer Geburt gibt es von ihnen Fotos im Überfluss. Zunächst von den Eltern noch mit Digitalkameras oder Smartphone-Kameras geschossen, werden heute Selfies erstellt, gefiltert und geteilt, was Akku und Powerbank hergeben. Wer hätte gedacht, dass der gute alte „Selbstauslöser“ jemals so eine hohe Bedeutung erlangen würde…? In der Kinder- und Jugendzeit der Generation Z gründeten sich Firmen wie Facebook, YouTube, Twitter oder WhatsApp. Viele kennen gar kein Leben ohne Social Media. Und so wird munter gechattet, geteilt, kommentiert, informiert usw. Die Chat-Nachrichten sorgen für ein ständiges „im Leben der Kontakte mitleben“ – in guten, wie in schlechten Zeiten. Man bleibt sozusagen auf Armeslänge im Kontakt (Go-
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leman 2006). Anstatt zu telefonieren, werden Text- oder Sprachnachrichten verschickt, statt massenhaft Freunde bei Facebook zu sammeln, werden Likes und Follower auf Instagram gesucht, und statt gemeinsam Bilder anzuschauen, werden Videos über TikTok geteilt und kommentiert. Kein Wunder, dass in vielen Fällen das eigene Social-Media-Profil zur Identität wird. Die Kommunikation innerhalb der PeerGroups und auch darüber hinaus vollzieht sich weitgehend in sozialen Netzwerken. Dadurch ist die Teilnahme daran geradezu zwingend – fast schon zwanghaft. Doch auch wenn ein großer Teil der Kommunikation unter den Z‘lern über digitale Medien stattfindet, werden auch bei ihnen Freundschaften ganz überwiegend in der „Offline-Welt“ gepflegt. So haben nach der Shell-Jugendstudie (2019) nur 5 % aller Jugendlichen mit mindestens der Hälfte ihrer Freunde ausschließlich virtuellen Kontakt und zwei Drittel (67 %) haben nur Freunde, mit denen sie (auch) persönlich in Kontakt stehen (Hurrelmann et al. 2019). Auch hinsichtlich der Verfolgung der Nachrichten aus dem In- und Ausland hat sich einiges verändert. Gab es früher einmal am Tag die „Tageschau“ oder die „Heute“-Sendung, erreichen uns, nicht zuletzt durch die „neuen Medien“, News aber auch Fake News rund um die Uhr – und das auf sämtlichen Kanälen. Die Flut der Informationen wird meist schnell „quergelesen“ bzw. „quergehört“ oder „quergeschaut“ – sozusagen „Junk-News“ in Anlehnung an „JunkFood“. Viele Trends, die bei der Generation Y begannen, setzen sich in der Generation Z fort. Dazu zählen beispielsweise Multioptionalität, Personalisierung von Produkten, Entstandardisierung von Lebensläufen, multikulturelle Vielfalt und Globalisierung. Auch die Individualität (statt dem Kollektivismus, der die älteren Generationen prägte) spielt weiterhin eine bedeutende Rolle. Die BWL- Professorin Dr. Antje-Britta Mörstedt beschreibt das so: „Der Einzelne nimmt für sich in Anspruch, ein ‚Recht‘ auf Individualismus zu haben. Äußere Zwänge, etwa gesetzliche Vorgaben oder allgemeingesellschaftlich akzeptierte Regeln, erscheinen zuneh-
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mend weniger bindend, sie werden vom Einzelnen seiner Einstellung gemäß interpretiert und ausgelegt. Blinden Gehorsam darf man von den Z-Vertretern nicht erwarten, hohes Anspruchsdenken jedoch durchaus“ (Mörstedt o. J.). Bildung Inzwischen kann die Hälfte der jungen Menschen aufgrund ihres Abiturs bzw. des Fachabiturs ein Studium an einer Hochschule aufnehmen, was einen historisch beispiellosen Höchstwert darstellt (BMFSFJ 2017). Dadurch wird die Hochschulreife immer mehr zum Standard und sorgt dafür, dass mittlere und einfache Abschlüsse ein geringeres Ansehen haben. Durch die in einigen Bundesländern vorgenommene Vorverlegung des Einschulungsalters, der Begrenzung des Gymnasiums auf acht Jahre und dem Wegfall von Wehr- und Zivildienst für junge Männer kann das Arbeitsleben für zahlreiche Vertreter der Generation Z ein paar Jahre früher beginnen als bisher. Vorausgesetzt, sie machen nicht nach der Schulzeit und/oder nach dem Studium bzw. der Ausbildung „Work and Travel“ oder auch nur „Travel“. Manche von ihnen haben dadurch im jungen Erwachsenenalter bereits mehr (und oft auch exotischere) Länder gesehen als ihre Großeltern während ihres gesamten Lebens. Arbeiten Die ersten Z‘ler sind vor ein paar Jahren ins Arbeitsleben gestartet. Daher ist es noch zu früh, um eine Aussage zu treffen, wie sie sich in der Arbeitswelt verhalten und entwickeln werden. Ein paar Tendenzen zeigen sich jedoch bereits jetzt, so bekommen wir laut Jugendforscher Prof. Dr. Hurrelmann in der Arbeitswelt eine hochsensible junge Generation, die alles blitzschnell aufnimmt und erfasst sowie enorm multitaskingfähig ist; dann aber auch nicht mehr so konzentriert ist, sich schnell ablenken lässt und ein kurzes Durchhaltevermögen besitzt (Bedürftig 2016). Vieles was auf die Generation Y zutrifft, setzt sich in der Generation Z fort, wie die folgende Aufstellung zeigt. Arbeitsbedingungen der Z’ler und wie sie arbeiten möchten:
2 Derzeitige Generationen im Berufsleben
• Die Jugendarbeitslosigkeit hat in Deutschland den niedrigsten Stand seit Jahren erreicht (BMFSFJ 2017). Das bedeutet, dass die Z‘ler für einen Ausbildungsplatz oder einen Job vielerorts nicht als Bittsteller auftreten müssen, sondern zwischen mehreren Angeboten wählen können. • 93 % der Z‘ler halten einen sicheren Arbeitsplatz für (sehr) wichtig (Hurrelmann et al. 2019). • Sie binden sich selten emotional an ein Unternehmen. Wenn es für sie nicht mehr passt, beispielsweise weil die „vibes“ nicht mehr stimmen, wird die Stelle gewechselt. • Verantwortung und Führungspositionen überlassen sie lieber anderen. • Führungskräfte „von Amts wegen“ werden hinterfragt und nicht nur aufgrund ihres Titels akzeptiert. • Die Ansprüche bezüglich des Berufslebens sind hoch: Die Arbeit soll individuelle Erfüllung und Selbstbestimmung bringen, persönlich sinnstiftend und für die Gemeinschaft nützlich sein, eine ständige und persönliche Wertschätzung mit einem möglichst permanenten Feedback sicherstellen (Albert et al. 2015; Kring und Hurrelmann 2019) und zugleich gut bezahlt sein (Hurrelmann et al. 2019). • Für fast alle Vertreter der Generation Z dürfen Familie und Kinder neben dem Beruf nicht zu kurz kommen (Hurrelmann et al. 2019). • Sie wollen, wie schon die Generation Y, weniger Stress und mehr Leben und sich auf keinen Fall „verheizen“ lassen, wie sie das teilweise bei ihren Eltern und Großeltern erlebt haben. Während die Generation Y darauf noch mit der Suche nach dem Glück im Job und der Vermischung von Arbeits- und Berufsleben (Work-Life-Blending) reagiert hat, sieht das bei der Generation Z komplett anders aus: Sie wünschen sich mehr Strukturen, geregelte Arbeitszeiten mit klar festgelegtem Beginn und Ende (Hurrelmann et al. 2019) sowie eine strikte Trennung von Berufs- und Privatleben. Work-Life-Separation statt Work-Life-Blending. Schwarzer Kaffee
Literatur
und heiße Milch, aber bitte nicht als Cappuccino gemischt, um im Bild zu bleiben (siehe Abschn. 2.2.4). Es ist damit die erste Generation, die sich dagegen wehrt, dass das Arbeitsleben in die Privatwelt eindringt (Scholz 2016). Dadurch wirken Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit oder flexible Arbeitszeitmodelle ohne Zeiterfassung auf sie eher abschreckend. Diese Faktoren spielen in der Pflege sowieso nur in den seltensten Fällen eine Rolle. Dort zeigt sich die Trennung von Beruf und Privatleben unter anderem dadurch, dass die Generation Z nach Feierabend nicht mehr für das Unternehmen erreichbar oder kurzfristiges Einspringen für einen Kollegen selten möglich ist.
Beispiel
Neulich lernte ich im Rahmen eines Consulting-Projektes in einer Unfallchirurgie einen jungen, motivierten Arzt kennen. Auf meine Frage, warum er sich für diese Fachrichtung entschieden habe, meinte er, dass er zunächst in diversen Fachrichtungen des Universitätsklinikums hospitiert habe und dann bei dem Chefarzt der Unfallchirurgie den Eindruck gewann, dass er von ihm am meisten lernen könne. „Außerdem war und ist der auch extrem sympathisch.“ ◄ Situation in der Pflege Die Z‘ler sind häufig mit perfekt getakteten Tagen und gut strukturierten Stundenplänen groß geworden. Doch in der Pflege geht es häufig außerplanmäßig zu – es muss improvisiert und rasch umorganisiert werden. Hier sind viele Z‘ler (zunächst) mehr herausgefordert als ältere Generationen. Nicht zuletzt der demografische Wandel führt zu einer zunehmenden qualitativen und quantitativen Steigerung des pflegerischen Versorgungsbedarfs. Als Reaktion darauf und um die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern, wird die Berufsausbildung in den Gesundheitsfachberufen neu strukturiert und „generalistisch“ ausgerichtet. Ziel ist es, eine qualitativ hochwertige und zeitgemäße Ausbildung zu gewährleisten, die die Pflege von Menschen aller Altersstu-
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fen und in allen Versorgungsbereichen ermöglicht. Damit sollen den Pflegekräften zukünftig mehr Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten offen stehen. Ergänzend zur beruflichen Pflegeausbildung wird ein Pflegestudium eingeführt. Und noch etwas Neues bringt die Reform mit sich: Die Berufsbezeichnung ändert sich zu „Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“. Zusätzlich werden Maßnahmen gegen den Pflegekräftemangel von Regierungsseite in die Wege geleitet, was auch dringend nötig ist, denn immer mehr Pflegekräfte arbeiten am Limit und nicht wenige verlassen frustriert den Beruf. Die aktuelle Corona-Pandemie stellt die pflegerische und medizinische Versorgung zusätzlich vor große Herausforderungen. Gleichzeitig bekommen diese Tätigkeiten, die als systemrelevant eingestuft sind, in der Bevölkerung und den Medien eine neue Präsenz. Ob sich Dankbarkeit und Anerkennung, die sich durch Klatschen auf den Balkonen, Schokolade und wertschätzende Schilder an den Krankenhauszäunen auch nachhaltig sowohl auf das Image als auch die Bezahlung und Arbeitsbedingungen der Pflege auswirken, ist derzeit noch nicht abzusehen.
Literatur Albert, Mathias; Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun; TNS Infratest Sozialforschung: Jugend 2015: Eine neue Generationsgestalt? In: Jugend 2015. 17. Shell-Jugendstudie 2015, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt 2015 Bedürftig, David: Was Generation Z vom Berufsleben erwartet. Veröffentlicht am 06.03.2016 URL: https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/bildung/article152993066/Was-Generation-Z-vom-Berufsleben-erwartet.html Abrufdatum: 08.06.2019 Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Bund, Kerstin: Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen, 2. Auflage, Murmann Verlag, Hamburg 2014 Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, Berlin 2013 Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): 15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen
26 und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, Berlin 2017 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz). Veröffentlicht am 20.04.2018. URL: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/aeltere-menschen/hilfe-und-pflege/gesetz-ueber-die-berufe-in-der-altenpflege--altenpflegegesetz-/77744 Abrufdatum: 05.05.2020 Burfeind, Sophie: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Die Generation Z wird die Wirtschaft verändern. Nur wie? In: Brand eins 2018, Heft 09, 20. Jahrgang, Brand eins Verlag, Hamburg. S. 48–57 Catel, Werner: Die Pflege des gesunden und des kranken Kindes. Zugleich ein Lehrbuch der Ausbildung zur Säuglingspflegerin und Kinderkrankenschwester, 8. Auflage, Georg Thieme Verlag, Leipzig 1964 Deutsches Jugendinstitut e.V., München: Die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit im zeitlichen Verlauf. URL: https://www.dji.de/ueber-uns/projekte/ projekte/kinder-jugendliche-und-junge-erwachsene/ die-entwicklung-der-jugendarbeitslosigkeit-im-zeitlichen-verlauf.html Abrufdatum: 01.05.2020 Dudenredaktion (o. J.): „Nerd“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/102380/revision/102416 Abrufdatum 01.05.2020 Dudenredaktion (o. J.): „Yuppie“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/208316/revision/208352 Abrufdatum: 01.05.2020 Fintz, Anette Suzanne: Leading by Meaning. Die Generation Maybe Sinn-orientiert führen, Springer Gabler Verlag, Berlin/Heidelberg 2014 Grünewald, Stephan; Quiring, Frank; Volk, Jasmin; Morzinek, Stephanie: Pressemitteilung 09.09.2010: „Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier.“ rheingold Jugendstudie 2010, URL: https://www. phil-fak.uni-duesseldorf.de/fileadmin/Redaktion/Institute/Sozialwissenschaften/BF/Lehre/Materialien/Jugendstudien/Kurzfassung_Rheingoldstudie.pdf Abrufdatum: 23.09.19 Heidenfelder, Eva: „Sie sind angepasst, aber das ist ihr Vorteil“. In Frankfurter Allgemeine Zeitung. Aktualisiert am 15.09.2014. URL: https://www.faz.net/aktuell/ karriere-hochschule/buero-co/2.3113/interview-mit-jugendforscher-zur-gen-y-13148663.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 Abrufdatum: 14.06.2019 Goleman, Daniel: Soziale Intelligenz. Wer auf andere zugehen kann, hat mehr vom Leben, Droemer Verlag, München 2006 Hurrelmann, Klaus; Albrecht, Erik: Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert, 3. Auflage, Beltz Verlag Weinheim/Basel 2016 Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun; Schneekloth, Ulrich; Leven, Ingo; Albert, Mathias; Utzmann, Hilde; Wolfert, Sabine: Jugend 2019–18. Shell Jugendstudie, Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2019
2 Derzeitige Generationen im Berufsleben Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion, 13. Auflage, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001 Klaffke, Martin: Erfolgsfaktor Generationen-Management - Handlungsansätze für das Personalmanagement. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 3–26 Klaffke, Martin: Millenials und Generation Z – Charakteristika der nachrückenden Arbeitnehmer-Generationen. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 57–82 Kring, Wolfgang; Hurrelmann, Klaus: Die Generation Z erfolgreich gewinnen, führen, binden, Herausgeber: Wolfgang Kring/Klaus Hurrelmann. NWB Verlag, Herne 2019 Mörstedt, Antje-Britta: Vortrag Erwartungen der Generation Z an die Unternehmen. URL: https://www.pfh. de/fileadmin/Content/PDF/forschungspapiere/vortrag-generation-z-moerstedt-ihk-magdeburg.pdf Abrufdatum: 04.02.2020 Oertel, Jutta: Baby Boomer und Generation X - Charakteristika der etablierten Arbeitnehmer-Generationen. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 27–56 Parment, Anders: Die Generation Y. Mitarbeiter der Zukunft motivieren, integrieren, führen, 2. Auflage, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2013 Scholz, Christian: Generation Z. Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt. Wiley-VCH Verlag & Co. KGaA, Weinheim 2014 Scholz, Christian: Elf Thesen zur Generation Z. In: Neue Werte, neue Gesellschaft, neue Arbeitswelt? Herausgeber: Roman Herzog Institut e. V. Publikation Nr. 27., München 2016. S. 15–17 Schlott, Isa: Führung 2.0 für Generation Y? Anforderung an die Führung der Generation Y. In: Das Krankenhaus im demographischen Wandel. Theoretische und praktische Grundlagen zur Zukunftssicherung, Herausgeber: Wolfgang Hellmann/Wolfgang Hoefert, medhochzwei Verlag, Heidelberg 2012. S. 201–214
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Alter(n) – warum Zahlen nicht alles sind
Abgesehen vom kalendarischen Alter – oder anders gesagt, dem „Kerzen auf dem Geburtstagskuchen Alter“ – ist Alter keine objektive und definitive Größe, sondern vielmehr ein soziales Konstrukt. Denn es kommt erheblich darauf an, wie mit dem Alter umgegangen wird: sowohl von jedem persönlich, als auch von der Gesellschaft und dem Unternehmen. „Man ist so alt wie man sich fühlt“, sagt der Volksmund, und es kann ergänzt werden „und wie man von der Außenwelt behandelt wird“ – in beiden Fällen geht es um die Wahl zwischen Defizit- oder Kompetenzperspektive. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit sind weder Ältere noch Mittlere, noch Jüngere homogene Gruppen – überall gibt es Leistungsfähigere und Leistungsschwächere. Zu den individuellen Stärken und Schwächen kommen dann noch die altersbedingten Tendenzen hinzu.
In den vergangenen Jahren habe ich viele Seminare mit dem Titel „Alte Hasen und junge Hüpfer – erfolgreich in altersgemischten Teams“ durchgeführt. Unabhängig von Region, Berufsgruppe, Karrierestatus, Alter oder Geschlecht kommt es häufig zu folgender Dynamik: Bevor es richtig losgeht, unterhalten sich die Teilnehmenden bereits engagiert darüber, in welche Gruppe sie sich einkategorisieren. Schon „alter Hase“ oder noch „junger Hüpfer“ oder irgendwas dazwischen? Vielleicht „junger Hase“? Was
für ein „Seminar-Vorglühen“ zu einem für manche ziemlich emotionalen Thema. Denn viele Menschen machen zwar Witze über das (eigene) Altern, doch „alt sein“, das ist dann eine andere Sache. Wird bei den U-Untersuchungen im Kindesalter „alles altersentsprechend“ festgestellt, freuen sich die Beteiligten. Spricht das medizinische Personal allerdings bei einem 40-Jährigen von Alterserscheinungen, kommt selten Begeisterung auf. Dann ist die Reaktion eher: „Ich bin doch noch gar nicht so alt.“
3.1 Altersbegriff – wann ist man alt? Nach dem medizinischen Wörterbuch Pschyrembel (1998) ist die • Leistungsphase zwischen dem 25. und dem 50. Lebensjahr anzusetzen, • die Rückbildungsphase zwischen dem 50. und dem 65. Lebensjahr • und Alterung ab dem 65. Lebensjahr. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) legt sich nicht mit konkreten Altersangaben fest, sondern definiert so: Ältere Mitarbeiter sind Personen, die in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens stehen, noch nicht das Rentenalter erreicht haben und gesund, das heißt arbeitsfähig sind. Für den Fall,
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_3
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dass Sie sich gerade überlegen, ob sie „jung“ oder „alt“ sind, hilft Ihnen bei der Einordnung vielleicht dieser nicht ganz ernst gemeinte Hinweis, den ich neulich gehört habe: Jüngere erkennt man daran, dass sie die Buchstaben in ihr Mobilgerät mit beiden Daumen tippen und die einzelnen Wörter nicht ausschreiben, sondern Abkürzungen verwenden. Ältere hingegen benutzen den Zeigefinger und achten auf Kleinund Großbuchstaben genauso wie auf Satzzeichen. Oder Sie halten es mit Victor Hugo: „Vierzig Jahre sind das Alter der Jugend, fünfzig die Jugend des Alters.“ Fakt ist: Es gibt kein einheitliches Kriterium, wann jemand „jung“, „alt“ oder „mittel“ ist.
3.1.1 Kalendarisches Alter Das kalendarische Alter entspricht der Zeit, die seit der Geburt vergangen ist, also der Anzahl der Lebensjahre oder anders gesagt: der Kerzenzahl auf der Geburtstagstorte. Das Geburtsdatum hat vor allem juristische Bedeutung, denn Schuleintritt, Strafmündigkeit, Volljährigkeit etc. sind daran gekoppelt. Das kalendarische Alter ist eine Vergleichsgröße, die selten hinterfragt wird. So gilt eine 30-jährige Profischwimmerin beispielsweise als „alt“, während ein gleichaltriger Geschäftsführer als „jung“ betrachtet wird. Vergisst ein 30-Jähriger den Schlüssel in der Wohnung und sperrt sich dadurch aus, ist der Stress schuld. Passiert das gleiche jemandem mit 75 Jahren, dann steht die Frage im Raum: „War es nur Schusseligkeit oder gar eine beginnende Demenz?“ Sicherlich kennt jeder von uns Personen, bei denen wir völlig überrascht sind – im Positiven wie im Negativen -, wenn wir ihr kalendarisches Alter erfahren. Dabei handelt es sich nur um eine Zahl – nicht mehr und nicht weniger. Und Zahlen sind auf der einen Seite zwar etwas eindeutiges, andererseits sind sie variabel. Denken Sie nur an den Spruch: „50 ist die neue 30“. Da stelle ich mir die Frage: Ist dann 30 die neue 10? Spaß beiseite, die Wissenschaftler beschreiben tatsächlich einen Downaging-Effekt. Das bedeutet, dass wir sowohl biologisch wie auch gefühlt ein paar Jahre jünger
3 Alter(n) – warum Zahlen nicht alles sind
sind als die vorherigen Generationen. Vielleicht ist das der Grund, warum der Altersdurchschnitt bei den Zuschauern der „Sendung mit der Maus“ mit ihren Lach- und Sachgeschichten bei 40 Jahren liegt… Inzwischen kursiert für die „jungen Alten“, die durch ihre geistigen und körperlichen Aktivitäten dazu beitragen, dass sie deutlich jünger sind als ihr kalendarisches Alter, sogar eine Bezeichnung: „Yoldies“ (Mix aus „young“ und „old“). Sie sind kreativ und engagieren sich lieber sozial oder beruflich, als auf der Parkbank zu sitzen und ausschließlich über die eigenen Gebrechen zu klagen. Die Parkbank nutzen sie eher zum Dehnen vor der nächsten Laufrunde durch den Park. Interessanterweise werden im englischsprachigen Raum unter „Yoldies“ jüngere Menschen bezeichnet, die sich selbst als älter und reifer identifizieren und lieber an einem Samstagabend zu Hause bleiben und einen Film bei Netflix schauen, statt Party zu machen. Im Begriff „Yoldie“ können sich also viele wiederfinden – sozusagen eine generationsübergreifende Vokabel.
Beispiel
Dass eine Altersangabe nur tendenziell etwas über die Leistungsfähigkeit aussagt, macht beispielsweise die ehemalige Skirennläuferin Rosi Mittermeier deutlich, die neben olympischen Goldmedaillen auch diverse andere Preise gewann. Die einen nennen sie „Goldrosi“, andere „Skioma“. Wie auch immer: Mit der inzwischen Siebzigjährigen bei einer Skiabfahrt mitzuhalten, ist auch heute noch für die meisten „Normalos“ herausfordernd bis unmöglich. ◄
3.1.2 Biologisches Alter Das biologische Alter sagt etwas über die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit aus. Veränderungen verlaufen hier sehr persönlich und stimmen daher oft nicht mit dem kalendarischen Alter überein. Durch diese erhebliche interindividuelle Streuung ist es nicht möglich,
3.3 Altersspezifische Stärken und Schwächen bei Beschäftigten
Leistungseinschätzungen allein nach dem kalendarischen Alter abzugeben (Maintz 2003). „Manche Leute altern, andere reifen“, ist ein Zitat, das Oscarpreisträger Sean Connery zugeschrieben wird. Die Unterschiede zwischen Personen einer Altersgruppe steigen mit zunehmendem Alter und sind häufig größer als die Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen (Huxhold und Wurm 2010). Dabei spielen Einflüsse wie biologische Alterungsprozesse, individuelle Lebensführung (Lebensstil, Gesundheitsverhalten, Lernerfahrungen etc.) und arbeitsbedingte Faktoren eine wichtige Rolle. Die geistige Leistungsfähigkeit entwickelt sich nach dem Prinzip „use it or lose it“. Stimulierend wirken können unter anderem komplexe Anforderungen im Beruf, ein flexibler Lebensstil im mittleren Erwachsenenalter und eine anregende Umwelt. Kurz und knapp: Wer nicht rastet, der rostet auch nicht.
3.1.3 Soziologischer, psychologischer Altersbegriff „Man ist so alt, wie man sich fühlt“, sagt der Volksmund. Und da ist viel Wahres dran, denn wie alt wir uns fühlen, hängt stark davon ab, wie wir uns selbst sehen und wie wir im sozialen Kontext im Hinblick auf unser Alter behandelt werden. Alter ist ein Konstrukt, das in unseren Köpfen je nach Kontext unterschiedliche Gefühle, Vorstellungen etc. erzeugt. So sind beispielsweise graue Haare (vorausgesetzt es handelt sich nicht um einen Zwanzigjährigen mit grau gefärbten Haaren) für viele ein untrügliches Zeichen dafür, dass dieser Mensch Erfahrung hat. Passend dazu bekam ich mit, wie ein ärztlicher Direktor zu einem altersgemischten Ärzteteam sagte, dass eine graue Haarpracht in der Ärzteschaft einem Ritterschlag gleich käme. In Start-up-Unternehmen hingegen sind Grauhaarige seltener zu finden. Dort könnten graue Haare auch bedeuten: Ist der auf dem neuesten Stand? Kann der noch was reißen? Ist er flexibel genug? Alles eine Frage von Stereotypen (siehe Abschn. 15.3.3). Wie in Institutionen mit „Alter(n)“ umgegangen wird, hängt eng mit der Un-
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ternehmenskultur zusammen und damit, ob Alter aus der Defizit- oder Kompetenzperspektive betrachtet wird.
Beispiel
Als ein jüngerer, leitender Mitarbeiter in der Sitzung eines modernen Klinikums sein Notizheft parat legte, wurde das von den anderen Teilnehmern als stilvoll interpretiert und kommentiert. Als das Gleiche wenige Monate später ein älterer, ebenfalls leitender Mitarbeiter tat, wurde ihm vorgeworfen, dass er sich weigere „mit der Zeit zu gehen“ und er sich der Technik mehr öffnen müsse und daher seinen Laptop verwenden solle. ◄
3.1.4 Definition unterschiedlicher Lebensphasen Alter kann auch über Lebensphasen wie Kindheit, Jugend, Ausbildung/Studium, Arbeitsleben, Elternsein, Großelternsein oder Rente definiert werden.
3.2 Fragen zur Selbstreflexion • Wie bewerte ich mein kalendarisches Lebensalter? • Wie alt fühle ich mich? • Welches Alter bestimmt mein Denken und Handeln? • Wie alt möchte ich am liebsten sein? Und warum?
3.3 Altersspezifische Stärken und Schwächen bei Beschäftigten Keine Altersgruppe ist homogen. Das wäre so, als würde man behaupten, dass alle 40-Jährigen in ein T-Shirt mit der Größe 38 passen – egal ob männlich, weiblich, divers, dick, dünn, groß oder klein. Also nichts mit „One size fits all“. Vielmehr gibt es überall Leistungsfähigere und Leistungsschwächere. Dazu kommen noch
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3 Alter(n) – warum Zahlen nicht alles sind
individuelle Stärken und Schwächen sowie altersbedingte Tendenzen. „Mitarbeitende des Tages“, „des Monats“ – schön und gut, doch das Ziel sollte sein, „Mitarbeitende des Lebens“ zu beschäftigen, die, egal ob jung, mittel oder alt, ihr gesamtes Potenzial zielorientiert und engagiert einbringen. Dann wird Altern nicht als stetiger Abbau von Leistungsfähigkeit – Defizitmodell -, sondern als Kompetenzmodell betrachtet, bei dem einige Schwächen des zunehmenden Alters durch Stärken kompensiert werden können. Manchmal werden aus Schwächen sogar wertvolle Kompetenzen, wie bei einem Hägar-Cartoon. Dabei sagt Hägar vor dem Auslaufen des Wikingerbootes: „Auf dieser Reise bekommt jeder eine Aufgabe! Aber zuerst: Gibt es jemanden, der nicht schwimmen kann?“ Einer meldet sich: „Ich!“ Darauf entgegnet Hägar: „Gut! Du kümmerst dich während unserer Überfahrt um undichte Stellen!“ In Seminaren erarbeiten wir die Thematik oft mittels „Walk and Talk“: Im Raum verteilt befinden sich vier Plakate: „Stärken vieler Älterer“, „Schwächen vieler Älterer“, „Stärken vieler Jüngerer“ und „Schwächen vieler Jüngerer.“ Die Teilnehmenden gehen (walk) zu den Plakaten und notieren Stichpunkte, machen einen Strich, wenn sie der gleichen Meinung sind, oder ein Fragezeichen, wenn etwas anders gesehen wird. Ein Austausch (talk) findet bereits an den Plakaten und dann später im Plenum statt. Dabei gibt es „Klassiker“, die immer genannt werden und eindeutig einer Altersgruppe zuzuordnen sind. Bei anderen Stichpunkten kommt es zu „ja, aber“, weil das eigene Erleben bei sich bzw. einem Mitarbeitenden genau anders ist, als auf dem Plakat notiert. Denn ja, es gibt sie: Die 64-Jährige, die voller Tatendrang Veränderungen initiiert und umsetzt, oder den 22-Jährigen, der mit Technik überhaupt nichts anfangen kann.
Beispiel
Oft werden bestimmten Altersgruppen gewisse Fähigkeiten zugeordnet bzw. nachgesagt. Dass das nicht immer stimmt, wissen die, die dachten, dass alle älteren Frauen
toll backen können und irgendwann jäh enttäuscht wurden. „Wie bei Oma“ ist eben immer auch Geschmacksache… ◄ Wenn auch keine pauschalen Aussagen gemacht werden können, so gibt es doch Tendenzen, die in einer Altersgruppe verstärkt auftreten. Die folgenden Charakteristiken existieren im „echten Leben“, also nicht in Reinform, sondern als Mischung, und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
3.3.1 Stärken vieler jüngerer Mitarbeitenden • Großes, aktuelles theoretisches Fachwissen • Schnelle Auffassungsgabe und Verarbeitung von Wissen (siehe Abschn. 17.2) • Gute körperliche Konstitution • Frische Ideen – noch keinen „Tunnelblick“ • Offen für Neues • Hohe Begeisterungsfähigkeit
3.3.2 Schwächen vieler jüngerer Mitarbeitenden • Wenig Praxiserfahrung: Viel „know“, wenig „how“. • Geringere Lebenserfahrung • „Zuviel auf einmal wollen“ – übermotiviert • „Alles ist möglich Denkweise“ • Neigung zum Arbeitsplatzwechsel (Fluktuation)
3.3.3 Stärken vieler älterer Mitarbeitenden • Immense Berufs- und Lebenserfahrung • Hohe Kompetenz im Umgang mit komplexen, vertrauten Situationen – professionelle Gelassenheit • Bessere Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Begrenzungen • Mehr Sinn für das Machbare – Realismus
Literatur
• Enormes Wissen über betriebliche Abläufe, Schnittstellen usw., kombiniert mit langjährigen, informellen Beziehungen • „Handwerkliches Ethos“ – Verlässlichkeit
3.3.4 Schwächen vieler älterer Mitarbeitenden • Schlechtere körperliche Verfassung • Abnahme der fluiden Intelligenz (siehe Abschn. 17.2) • Herabgesetzte Reaktionsgeschwindigkeit • Nachlassende Spannkraft und längere Regenerationszeiten • Niedrigere Motivation bei Veränderungsprozessen (Resignation) sowie unreflektierte Betonung der Traditionen
Beispiel
Im Rahmen eines Klinik-Projektes lernte ich eine engagierte Empfangsmitarbeiterin in Teilzeit kennen, die mit ihrem unglaublichen Fach- und Erfahrungswissen sowie ihrer unaufgeregten, herzlichen Art sämtliche Menschen begeisterte, die mit ihr zu tun hatten.
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Sie konnte zwar nicht mehr so schnell laufen, doch Sprints sind bei ihrer Tätigkeit auch nicht wirklich gefordert. Ich hatte sie für mich im Stillen auf Mitte/Ende 60 geschätzt. Ziemlich falsch, wie sich herausstellte. „78 Jahre“, antwortete sie mir auf die Frage nach ihrem Alter nicht ganz ohne Stolz. In diesem Jahr will sie dann aber endgültig nach vielen Jahrzehnten an diesem Arbeitsplatz aufhören. ◄
Literatur Huxhold, Oliver; Wurm, Susanne: Altersdiskriminierung. In: Altern im Wandel. Befunde des Deutschen Alterssurveys (DEAS), Herausgeber: Andreas Motel-Klingebiel/Susanne Wurm/Clemens Tesch-Römer, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2010. S. 234–245 Maintz, Gunda: Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer - Abschied vom Defizitmodell. Personal- und Gesundheitspolitik. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft, Herausgeber: Bernhard Badura/Henner Schellschmidt/Christian Vetter, Springer Verlag, Berlin/Heidelberg 2003. S. 43–58 Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch: „Lebensabschnitte“, 258. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, Berlin/New York 1998
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Arbeitsfähigkeit – ohne sie ist alles andere (fast) nichts
Arbeitsfähigkeit ist ein bedeutender Faktor,
Arbeitsfähigkeit ist das Passungsverhältnis
denn er bestimmt darüber, ob/oder wie Beschäftigte in der Lage sind zu arbeiten. Definiert wird Arbeitsfähigkeit als Passungsverhältnis von individuellen Arbeitsressourcen und Arbeitsanforderungen. Auf eine gute Arbeitsfähigkeit haben Faktoren wie die individuelle Gesundheit, Fachwissen, Motivation, Führungsqualität und Unternehmenskultur einen erheblichen Einfluss. Entscheidend ist auch, dass Arbeit nicht nur als Belastung, sondern genauso als positive Ressource gesehen und erlebt wird. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn Beschäftigte einen hohen Grad an Autonomie im Rahmen ihrer Aufgaben und Tätigkeiten haben und die soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte hoch ist.
von individuellen Arbeitsressourcen und Arbeitsanforderungen.
Zusammenarbeit ist im wahrsten Sinne des Wortes nur möglich, wenn man nicht nur zusammen ist, sondern auch arbeitet. Wichtige Voraussetzung dafür ist wiederum, dass jeder arbeitsfähig ist. Stellt sich die Frage: Was genau bedeutet „arbeitsfähig“? Der Begriff „Arbeitsfähigkeit“ wurde maßgeblich von Prof. Dr. Juhani Ilmarinen geprägt. Demnach bedeutet gute Arbeitsfähigkeit, dass Mitarbeitende mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen die gewünschte Arbeit gut leisten können.
Längsschnittstudien, die Ilmarinen als Leiter des Finnischen Instituts für Arbeitsmedizin durchführte, ergaben, dass folgende Handlungsfelder einen wesentlichen Einfluss auf die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit haben: • Individuelle Gesundheit (physische, psychische und soziale Leistungsfähigkeit) • Fachwissen und Kompetenz • Werte, Einstellungen und Motivation • Management und Führung, Organisation und Gemeinschaft, Arbeitsinhalte und Anforderungen sowie die Arbeitsumgebung (Ilmarinen 2005; Ilmarinen und Tempel 2002). Die Arbeitsfähigkeit ist nicht vom Leben außerhalb der Arbeit getrennt. Auch die Gesellschaft, Politik, Familie und Freunde beeinflussen die Arbeitsfähigkeit einer Person im Laufe ihres Lebens auf vielfältige Weise. Diese Faktoren müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Ist das der Fall und wird dazu noch eine gute Arbeitskultur entwickelt, stehen gute Produktivität und Arbeitsleistung nicht im Widerspruch zu guter Lebensqualität und Wohlbe-
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_4
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4 Arbeitsfähigkeit – ohne sie ist alles andere (fast) nichts
finden der Beschäftigten (Ilmarinen und Tempel 2002). Ziel ist der Erhalt der Arbeits- und Be-
schäftigungsfähigkeit (Employability) über das gesamte Erwerbsleben. Dafür müssen die Maßnahmen der Gesundheitsförderung, des Personalmanagements und der Arbeitsgestaltung abgestimmt, ausbalanciert und immer wieder neu (auf den Einzelnen) angepasst werden. Sämtliche Maßnahmen, ob verhältnispräventive oder verhaltenspräventive, müssen während der gesamten Erwerbsbiographie zum Einsatz kommen und nicht erst beginnen, wenn bereits Leistungseinschränkungen vorhanden sind. Denn die Arbeitsfähigkeit im Erwerbsleben ist kein Sprint, bei dem sich der Erfolg erst kurz vor der Ziellinie entscheidet, sondern es handelt sich um einen Langstreckenlauf, bei dem die Strategie bereits vom Start ab erfolgsentscheidend ist (Grabbe und Richter 2014).
4.1 Leistungsfähigkeit und das Alter Da jeder Mensch zu einem anderen Zeitpunkt altert, sagt das kalendarische Alter nur wenig über die Arbeitsfähigkeit eines Menschen aus (Ng und Feldmann 2008). Denn ja, es gibt sie, die altersbedingten Veränderungen wie Abnahme der Sehschärfe, Muskel- und Skelett-Beschwerden etc. Doch noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es eine Alterskohorte, die so gesund und aktiv war wie die heutige Generation 65plus (BMAS 2010). Sie fragen sich, welche Altersgruppe am häufigsten krank ist? Einige Studien haben gezeigt, dass die Anzahl der Krankmeldungen über Alterskohorten hinweg stabil bleibt, wohingegen die Zahl der Krankheitstage im Alter zunimmt. Das heißt, ältere Beschäftigte sind nicht mehr krank, sie
brauchen nur, wenn sie einmal krank geworden sind, länger, um sich wieder zu erholen (Bruch et al. 2010; BMAS 2013). Ab etwa Mitte der 40er streuen sich die Leistungen immer stärker. Abhängig ist das unter anderem von persönlichen Voraussetzungen wie Gesundheit, Bildung, Motivation, Lebensstil sowie den erlebten Belastungen und Ressourcen während des gesamten Lebens- und Beschäftigungsverlaufs (BMAS 2013). Zusätzlich hängt es auch mit der subjektiven Beurteilung des eigenen Gesundheitszustandes zusammen, inwiefern ältere Beschäftigte trotz oder gerade aufgrund einer längeren Arbeitstätigkeit gesund bleiben (Wegge und Schmidt 2015). Viele Studien und Meta-Analysen machen
deutlich, dass es keine definitive Verbindung zwischen Alter und Leistung gibt. Stattdessen zeigen Untersuchungen, dass ältere Beschäftigte genauso produktiv und professionell arbeiten können wie jüngere (Ilmarinen und Tempel 2002; Bruch et al. 2010). Ältere Mitarbeitende sind in vielen Fällen nicht leistungsgemindert, sondern leistungsgewandelt. Denn in jeder Arbeits- bzw. Lebensphase können Kompensationsstrategien genutzt werden, die eine Aufrechterhaltung des Leistungsniveaus trotz eventueller altersbedingter Probleme ermöglichen (Wegge und Jungmann 2015). In einigen Leistungsbereichen, etwa bei sozialen Kompetenzen und dem Hilfeverhalten bei der Arbeit, sind sogar Leistungsgewinne über die gesamte Arbeits-/Lebensspanne nachzuweisen (Wegge und Jungmann 2015). Die Arbeitsfähigkeit im Alter kann zunehmen, wenn entsprechende ergonomische Möglichkeiten zur Entlastung bei der Tätigkeit optimal genutzt werden. Das macht deutlich, dass die weit verbreiteten Defizitvorstellungen über ältere Mitarbeitende in ihrer Einseitigkeit falsch sind und daher durch eine differenzierte Betrachtung ersetzt werden sollten (Ilmarinen und Tempel 2002).
4.2 Einflussfaktoren auf gute Arbeitsfähigkeit
Negatives Altersklima kann sich im Sinne
einer selbsterfüllenden Prophezeiung nachteilig auf die Produktivität Älterer auswirken, während ein positives Altersklima meist positive Effekte auf die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit Älterer und damit auch für den Unternehmenserfolg zeigen.
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verschiedenen Abteilungen ist. Diese Früherkennung dient dazu, gegenwärtige und zukünftige Personalrisiken, beispielsweise hinsichtlich Rekrutierung, Nachfolgeregelungen und gezieltem Wissenstransfer, rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Beispiel
4.2 Einflussfaktoren auf gute Arbeitsfähigkeit 4.2.1 Eigenverantwortung der Beschäftigten – It’s my life Manche Mitarbeitende neigen zu einer „Gesundheits-Konsumhaltung“ und machen die Arbeitsfähigkeit zur alleinigen Aufgabe der Führungsebene bzw. des Unternehmens. Dabei kann jeder zu einem großen Teil selbst dazu beitragen, arbeitsfähig zu bleiben beziehungsweise wieder zu werden. Dazu zählen neben den „Klassikern“ Bewegung, gesunde Ernährung, Vermeiden von Übergewicht und Rauchen auch der Erhalt bzw. Ausbau von Wissen und Kompetenzen (z. B. zu Themen wie „Heben und Tragen“, „Stresskompetenz“ oder „Umgang mit ‚schwierigen‘ Menschen“) und weitere Faktoren.
4.2.2 Unternehmenskultur Eine Unternehmenskultur, die jede Altersgruppe schätzt, fordert und fördert sowie hinsichtlich Diskriminierung sensibilisiert ist. Mehr dazu im Kapitel „Unternehmenskultur – nach Art des Hauses‘“ (siehe Kap. 7).
4.2.3 Altersstrukturanalyse Instrumente wie die Altersstrukturanalyse sind erforderlich, um einen Überblick zu erhalten, wie alt die Belegschaft insgesamt und in den
Eine Stationsleitung ging nach mehreren Jahrzehnten Berufstätigkeit in derselben Klinik in den Ruhestand. Da es sich dabei um den regulären, gesetzlichen Renteneintritt handelte, kam dieser Zeitpunkt für alle Beteiligten in keiner Weise überraschend. Dennoch kümmerte sich die Pflegedienstleitung erst wenige Wochen vorher um die interne Nachfolge und ordnete, warum auch immer, absolutes Stillschweigen darüber an. Das hatte zur Folge, dass die amtierende Stationsleitung nicht erfuhr, wer ihr Amt übernehmen würde, und sie dadurch ihr immenses Wissen nicht weitergeben konnte. Für den Nachfolger hatte es als Konsequenz, dass er „bei null“ anfangen musste und ein Team übernahm, das zwischen Verunsicherung, Misstrauen und Ärger schwankte. Die Stationsleitung war so enttäuscht über diesen wenig wertschätzenden „Abgang“, dass sie am letzten Arbeitstag ihre Schlüssel abgab und nie mehr in der Klinik oder bei Festivitäten gesehen wurde. ◄
4.2.4 Führung Das Führungsverhalten hat den größten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten (Ilmarinen und Tempel 2002). Manch eine Führungskraft denkt sich jetzt vielleicht, das ist ja schön und gut, aber ich habe dafür kein Zeitfenster. Doch wenn für diese wichtigen Themen keine Zeit eingeräumt wird, drängeln sie sich zeitverzögert wieder hervor. Dann dreht man sich nicht nur im Kreis, sondern braucht für die
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„Bearbeitung“ meist auch noch einen deutlich größeren Zeitrahmen. Zahlreiche empirische Studien konnten positive Zusammenhänge zwischen Führung und Gesundheit von Beschäftigten belegen. So wirken Forschungserkenntnissen (Stadler und Spieß 2002) zufolge mitarbeiterund mitwirkungsorientierte Führungsstile belastungs- und fehlzeitenreduzierend, wohingegen ein autoritärer Führungsstil zu einer Zunahme der Fehlzeiten führt (Stadler und Spieß 2002). Folgende Führungsfaktoren gelten als demotivierend, belastend und tendenziell fehlzeitenfördernd (Stadler und Spieß 2002): • Mangelnde Fort- und Weiterbildungsangebote • Häufige, spontane Versetzung an verschiedene Arbeitsplätze • Kurzfristige Änderungen der Tätigkeitsinhalte • Autoritäres Führungsverhalten • Zu geringe Anerkennung der Leistung der Mitarbeitenden • Zu häufige und unsachliche Kritik • Vorenthalten von Informationen • Mangelnde Vermittlung des Arbeitssinns • Ungerechte Arbeitsverteilung und fehlende Gleichbehandlung der Beschäftigten • Zu ausgeprägte Kontrolle und Aufsicht • Unklare und ständig wechselnde Führungsrichtlinien • Zu geringe Einarbeitung neuer Beschäftigter oder in neue Aufgaben • Nichteinhalten von Versprechen und Entwicklungsmöglichkeiten • Mangelnde Berücksichtigung der persönlichen Berufsziele der Beschäftigten Kuoppala et al. (2008) zeigten in einer Metaanalyse, dass gute Führung das Wohlbefinden von Beschäftigten steigert und Fehlzeiten reduziert. In dieser und ähnlichen Studien (Wegge et al. 2014; Wegge und Schmidt 2015), wurden folgende Führungsfacetten identifiziert, die besonders förderlich für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit sind:
4 Arbeitsfähigkeit – ohne sie ist alles andere (fast) nichts
• Soziale Unterstützung des Vorgesetzten • Führen mit Werten • Führungsstil, der sich am Mitarbeitenden orientiert • Gesundheitsverhalten der Führungskraft und deren Vorbildfunktion Mehr darüber, wie sich erfolgreiche Führung positiv auf die einzelnen Beschäftigten und das altersgemischte Team auswirken kann, erfahren Sie im Kapitel „Führung von altersgemischten Teams“ (siehe Kap. 9).
4.2.5 Regelmäßige Personalgespräche Inhaltlich geht es dabei um Arbeitsfähigkeit, Arbeitsbelastung, Arbeitsplatzgestaltung, Zufriedenheit, persönliche Stärken und Verbesserungspotenziale (Selbsteinschätzung und Feedback), Perspektiven, Ziele und konkrete Entwicklungsschritte. Hier beispielhaft ein Fragenkatalog bezüglich Arbeitsfähigkeit (Gröning et al. 2014): • Wie wohl fühlt sich der Beschäftigte an seinem Arbeitsplatz/im Unternehmen? • Was motiviert oder demotiviert? • Was wirkt unterstützend bei den Arbeitsbedingungen und was fehlt? • Welche besonderen Leistungsvoraussetzungen (etwa durch Erkrankung) müssen für die Beschäftigung berücksichtigt werden? • Was gefällt dem Mitarbeitenden besonders an seinem Arbeitsplatz? • In welchen Bereichen gibt es Über- bzw. Unterforderung? • Welche besonderen Fähigkeiten und Kompetenzen zeichnen den Beschäftigten aus? Wie können diese nutzbringend (verstärkt) eingesetzt werden? • Welche Pläne hat der Mitarbeitende für den Rest des Arbeitslebens kurz-, mittel- und langfristig? • Gibt es Kündigungsgedanken oder Berufsausstiegsgedanken?
4.2 Einflussfaktoren auf gute Arbeitsfähigkeit
4.2.6 Kontinuierliche Kompetenzerweiterung Langjährig gleich bleibende Arbeit und Aufgaben fördern Lernungewohnheit und senken häufig die Einsatzflexibilität, Wandlungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft und damit die Beschäftigungsfähigkeit (Sering 2008). Daher braucht es eine kontinuierliche Kompetenzerweiterung aller Mitarbeitenden durch Maßnahmen wie Fort- und Weiterbildungen, Trainings on the job, wechselnde Aufgabenfelder oder Job Rotation. Allerdings braucht es bei aller Kompetenzerweiterung immer auch Maß und Ziel, wie das folgende Beispiel zeigt:
Beispiel
In einem größeren Unternehmen der Gesundheitsbranche wurden sämtliche Beschäftigte der mittleren Führungsebene (vor allem Stationsleitungen) vor die Wahl gestellt, entweder bis zu einem bestimmten Stichtag ein Pflegemanagement-Studium abzuschließen oder ihren Posten für eine studierte Führungsperson zu räumen. Zwar wurde das Studium großzügig durch den Träger finanziell gefördert, doch nicht jede ältere Führungsperson hatte wenige Jahre vor dem Renteneintritt noch die Kraft, Motivation und das Lernvermögen für ein solches Studium. Für sie bedeutete es, unbesehen wie sie bisher geführt und geleitet hatte, ins zweite Glied zurückzutreten. ◄ Individuelle Passung von Arbeitsinhalt und Pflegekraft Nach Ilmarinen und Tempel (2002) hat auch der Arbeitsinhalt, die Gemeinschaft der Arbeitenden untereinander und die Arbeitsumwelt einen erheblichen Einfluss darauf, wie gut oder schlecht jemand seine Ressourcen einsetzen kann. Gelingt die Verknüpfung dieser Faktoren, entstehen passende Voraussetzungen für eine gute Arbeitsfähigkeit. Umgekehrt können jedoch eingeschränkte z. B. gesundheitliche Ressourcen von Mitarbeitenden nicht komplett von guter Arbeits- und Personalorganisation und durch opti-
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male Arbeitsökologie ausgeglichen werden (Ilmarinen und Tempel 2002).
4.2.7 Angemessene Herausforderungen – Balance zwischen Über- und Unterforderung Arbeiten ohne „angemessene Herausforderungen“ ist reizlos. Es ist das Vanilleeis unter dreißig anderen Sorten. Man kann vielleicht jeden Tag alles erledigen, was erledigt werden muss, aber es fehlt die „Abenteuerlust“. Andererseits können zu hohe Erwartungen auch verunsichern und Energie verbrauchen, statt zu geben. Ziel ist es daher, sowohl eine Über- als auch Unterforderung zu vermeiden, dem vorzeitigen Gesundheitsverschleiß vorzubeugen sowie Motivation, Kreativität und Produktivität zu erhalten und zu fördern.
4.2.8 Stressmanagement In Deutschland nehmen psychische Erkrankungen seit Jahren am stärksten als Ursache für Arbeitsunfähigkeit zu. Laut dem „DAK Psychoreport“ (2019) hat sich die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Probleme in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdreifacht. Dabei stehen viele psychische Erkrankungen im Zusammenhang mit erlebtem Stress – in welcher Form auch immer. Nach Dunckel und Zapf wird Stress definiert als Ungleichgewichtszustand zwischen den Anforderungen der Umwelt und den allgemeinen Leistungsvoraussetzungen oder Handlungsmöglichkeiten der Person. Eine Bedingung dafür, dass Stress entsteht, ist, dass dieses Ungleichgewicht als persönlich bedeutsam wahrgenommen und als unangenehm erlebt wird (Dunckel und Zapf 1986). Das bedeutet, dass Stress an sich erst mal alles andere als schädlich ist. Denn wenn wir etwas tun, das uns sinnvoll erscheint, wir dabei auch noch Freude haben und sich Erfolg (in welcher Form auch immer) einstellt, dann kann diese Tätigkeit zwar
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mit einem kurzzeitigen Stress verbunden sein, aber er hat auf uns keine negativen Auswirkungen. Das Gegenteil ist der Fall: Er bringt uns sogar in Hochform. Tipps für den Umgang mit negativem Stress – also ein Ungleichgewicht aus Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten – gibt es wie Sand am Meer. Doch im Grunde geht es immer darum, ein Gleichgewicht zu erreichen. Das wusste auch schon Friedrich Schiller und formulierte: „Strebe nach Ruhe, aber durch das Gleichgewicht, nicht durch den Stillstand deiner Tätigkeit.“ Ist beim Smartphone der Akku leer, erhalten wir ein Warnsignal auf dem Display und zusätzlich meist auch einen akustischen Hinweis. Bei unserem Körper gibt es das in dieser Form bekanntlich nicht und so überhören bzw. überfühlen wir die Warnsignale leicht einmal. Neben „Schnellladungen“ (z. B. bewusstes Durchatmen beim Warten vor der OP-Schleuse) braucht es „vollständige, langsame Ladungen“. Ob Familie, Hobbies, Sport etc. – hier muss jeder die für sich passenden „Steckdosen“ finden. Denn körperliche Fitness und Arbeitsfähigkeit hilft wenig, wenn der Akku leer ist. Für ein gutes Stressmanagement sind neben den Beschäftigten selbst auch die Arbeitgeber und Führungskräfte gefordert, ihren Beitrag hinsichtlich Unternehmenskultur, Führungsqualität, Gestaltung von Arbeitsprozessen etc. zu leisten.
4.2.9 Gesundheitsförderung Dazu zählen Aspekte wie: • Ergonomie – Sitzmöglichkeiten, Schreibtisch, Arbeitsgeräte, Lupen, Lesebrillen • Reduktion von Lärmbelastungen • Gesundheitstipps und Gesundheitsnews via Intranet, Mail, App etc. • Mannschaftssportarten, Frühgymnastik, Lauftreff, Ausleihmöglichkeit von Nordic-WalkingStöcken, Langlaufkurse, geführte Wanderungen bzw. Radtouren • Kooperation mit Fitnessstudio, Schwimmbad, Fahrradgeschäft (Leasing von Fahrrädern) etc.
4 Arbeitsfähigkeit – ohne sie ist alles andere (fast) nichts
• Gesundheitstage, Firmenläufe, „SchrittzählerOlympiade“ • Gesundes Kantinenessen • Umsetzen kreativer Ideen hinsichtlich Gesund heitsförderung Hier zwei Tipps: Erstens Kochkurse: Sie sind ein Beispiel dafür, wie mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden können. In diesem Fall sind das (interdisziplinäre) Teamstärkung, gutes Essen und Erlernen von gesundem Kochen. Zweitens Beschilderung von TreppenhausStockwerken: Die Schilder zeigen anhand von Obst oder Süßigkeiten an, wieviele Kalorien beim bisherigen Aufstieg bereits verbraucht wurden. Und damit es nicht langweilig wird, ändern sich die Schilder mit den Essensmotiven immer wieder.
Beispiel
Als ich mit einer Pflegedienstleitung zufällig an einer geöffneten Aufzugstür vorbeilief, blieb sie abrupt stehen und forderte energisch, dass alle Pflegekräfte sofort den Aufzug verlassen müssen, die keinen Patienten begleiten. Die anderen Aufzugnutzer waren verwundert bis erschrocken über den rauen, militärischen Umgangston. Mir gegenüber sagte die Pflegedienstleitung stolz im Weitergehen, dass sie auf diese Weise immer „ihre Leute aus den Aufzügen raushole“. Der Grundgedanke ist ja durchaus nachvollziehbar, doch die Umsetzung erscheint mir doch mehr als fragwürdig. ◄
4.2.10 Weitere Faktoren vonseiten des Arbeitgebers, kurz und knapp • Arbeitgeberattraktivität, Personalbindung (Retention Management) und Betriebliches Eingliederungsmanagement (siehe Kap. 8) • Verringerung der alltäglichen Belastungen oder „Ärgernisse“, beispielsweise durch Optimierung von Arbeitsabläufen, gutes Schnitt-
4.3 Arbeiten als positive Ressource
stellenmanagement und Kommunikationsverhalten • Lebensphasengerechte Arbeitszeitgestaltung • Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Work-Life-Balance) • Möglichkeiten zur Stärkung des Teams und des „Wir-Gefühls“, beispielsweise durch gemeinsame Pausen, Betriebssport, Get-togethers (Tischkicker, Billard, Tischtennisplatte etc.)
Beispiel
Der Trend zum Pausenraum irgendwo im Klinikgebäude hat viele Vorteile (gute Ausstattung, abteilungsübergreifender Austausch etc.). Doch häufig ist er zu weit von der Station entfernt. Was man unter gesundheitsfördernder Sicht „Bewegung ist wichtig“ gut heißen kann, trifft auf die meisten Pflegekräfte nicht zu, da sie in ihrer Schicht bereits meilenweit laufen. Dazu kommt, dass eine Pause, bei der der Arbeitsplatz für 30 Min. verlassen werden kann, häufig gar nicht möglich ist, da z. B. „auf die Glocke gegangen“
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werden muss. Und so essen Pflegekräfte nicht selten in kleinen Teeküchen, die auch für Patienten zugängig sind, in Abstellräumen oder im Stationszimmer. ◄
4.3 Arbeiten als positive Ressource Wir verbringen einen großen Teil des Lebens in der Arbeit. Und weil der Beruf uns täglich einige Stunden des Lebens „kostet“, wird das, was wir dort erleben, uns entweder Freude und Erfüllung schenken oder uns so sehr frustrieren und herunterziehen, dass wir das mit den verbleibenden Stunden des Tages kaum ausgleichen können. Menschen, die den Beruf jedoch als ichstärkende Kraft erfahren und Erfolgserlebnisse haben, geraten seltener in die „Burnout-Falle“ und bleiben auch im höheren Alter motiviert und leistungsfähig (Hollmann und Albers 2012). Häufig wird der Fokus darauf gerichtet, wie Belastungen durch die Arbeit und psychische Gesundheit zusammenhängen. Dabei kommen die Arbeitsfaktoren, die die psychische Gesundheit stärken (Ressourcen), oft etwas zu kurz. Doch es sind genau diese Ressourcen, die die Arbeit leichter, besser und erfreulicher machen und eng mit Engagement zusammen hängen. Wobei Engagement ein Zustand ist, in dem Beschäftigte ein hohes Maß an Energie und psychische Stärkung bei der Arbeit erfahren, sich voll konzentriert in die Arbeit vertiefen können, sodass die Zeit zu verfliegen scheint (Flow), sowie sich für die Arbeit begeistern und sie damit sogar als sinnstiftend erleben können (Fischer et al. 2017). Dabei sind es vor allem folgende drei Faktoren (Ressourcen), die für Gesundheit, Leistung und Engagement ausschlaggebend sind: • Das Personal erlebt im Rahmen seiner Tätigkeit viel Handlungsspielraum und einen hohen Grad an Autonomie. • Die soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte ist hoch.
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• Die Mitarbeitenden empfinden die Balance zwischen ihrem Engagement und dessen Anerkennung durch Vorgesetzte und Unternehmen als ausgewogen und lohnend. Anhand dreier unabhängiger Studien wurde durch die Initiative Neue Qualität bei der Arbeit (Fischer et al. 2017) überprüft, wie stärkende persönliche Faktoren (etwa das Erleben von Selbstwirksamkeit), stärkende Faktoren bei der Arbeit (etwa unterstützende Führung) und Engagement im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit stehen. Das Ergebnis: Für die Gesundheit am Arbeitsplatz ist die Gestaltung der Belastungen genauso wichtig wie die Stärkung der Ressourcen. Denn es sind die Ressourcen, die das Engagement stärken und dabei helfen, Belastungen besser zu bewältigen oder zu kompensieren. Damit sind sie bedeutsam für die psychische Gesundheit. Kurz zusammengefasst: Gute Arbeit kann die psychische Gesundheit sogar fördern. Zusätzlich kann die Arbeit besonders in schwierigen Lebenssituationen zu einer wichtigen Ressource werden, da sie „Normalität“, Struktur und Ablenkung von belastenden Situationen im privaten Umfeld bietet. Gleichzeitig findet dort im besten Fall auch eine Einbindung in soziale Beziehungen und Wertschätzung statt.
4.4 Flow – Wenn’s läuft, dann läuft’s „Flow“ ist momentan fast schon so etwas wie ein Modewort und wird von vielen geradezu inflationär benutzt. Der Begriff entstand in den Siebzigerjahren durch den ungarisch-amerikanischen Psychologieprofessor Mihaly Csikszentmihalyi. Er selbst beschreibt „Flow“ als einen Zustand, „bei dem man so in eine Tätigkeit vertieft ist, dass nichts anderes eine Rolle zu spielen scheint; die Erfahrung an sich ist so erfreulich, dass man es selbst um einen hohen Preis tut, einfach, um flow erreichen“ (Csikszentmihalyi 2007). Mit anderen Worten gesagt: Flow ist ein Glücksgefühl, das Menschen erleben, die vollkommen in ihrer Beschäftigung aufgehen und dabei das Gefühl von Raum und Zeit verlie-
4 Arbeitsfähigkeit – ohne sie ist alles andere (fast) nichts
ren. Das kennt man beispielsweise von Kindern, wenn sie völlig in ihr Spiel vertieft sind. Doch Flow kann auch beim Sport, Singen, Handwerken, Kochen oder auch am Arbeitsplatz erlebt werden. Dr. Eckart von Hirschhausen beantwortet die Frage „Wann bin ich im Flow?“ so: „Wenn ich nicht darüber nachdenke. Wann bin ich raus? Wenn ich auf die Uhr gucke, um zu schauen, wie lange ich drin war. Oder wie lange ich noch muss“ (von Hirschhausen 2010). Eine wichtige Voraussetzung für das Flow-Erleben ist, dass man die Tätigkeit zwar als herausfordernd empfindet, sich aber sicher sein kann, sie bewältigen zu können. Sie darf also weder zu leicht, was zu Langeweile oder sogar Apathie führen würde, noch zu schwer sein. Neben dieser angemessenen Herausforderung braucht es für das Flow-Erleben außerdem, dass man die Tätigkeit ausführt, ohne dauernd nachzudenken, was jetzt als nächstes zu tun ist. Stattdessen gehen alle Schritte fließend ineinander über, ohne dass man sich willentlich darauf konzentrieren muss. Es gibt keinen Königsweg zum Flow und man kann ihn auf keinen Fall „von oben“ anordnen. Doch ständige Störungen, Zeitdruck und ein schlechtes Klima sind flow-hinderlich.
Literatur BMAS 2010: Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt. Bericht der Bundesregierung, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Internet. Berlin 2010 BMAS 2013: Fortschrittsreport „Altersgerechte Arbeitswelt“. Ausgabe 3: „Länger gesund arbeiten“, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Internet, Berlin 2013 Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Csikszentmihalyi, Mihaly: FLOW. Das Geheimnis des Glücks, 13. Auflage, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007 DAK Psychoreport 2019: Entwicklung der psychischen Erkrankungen im Job. Langzeitanalyse: 1997– 2018. Veröffentlicht 2018. URL: https://www.dak. de/dak/bundesthemen/dak-psychoreport-2019dreimal-mehr-fehltage-als-1997-2125486.html2018 Abrufdatum: 23.06.2019
Literatur Dunckel, Heiner; Zapf, Dieter: Psychischer Stress am Arbeitsplatz. Belastungen, gesundheitliche Folgen, Gegenmaßnahmen, Bund-Verlag, Köln 1986 Fischer, Joachim; Almer, Christian; Bosle, Catherin; Herr, Raphael; Stiegler, Franziska; König, Martin; Breucker, Georg; Krauss-Hoffmann, Peter; Große-Jäger, André; neues Handeln GmbH: Monitor Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Aktuelle Erkenntnisse zu betrieblichen und individuellen Einflussfaktoren nach Einschätzung der Beschäftigten, Herausgeber: Initiative Neue Qualität bei der Arbeit, Berlin 2017 Grabbe, Johannes; Richter, Götz: Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit – Grundlage von Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 83–106 Gröning, Wolfgang; Kromark, Kathrin; Conrad, Nicole: Älter werden im Pflegeberuf. Fit und motiviert bis zur Rente – eine Handlungshilfe für Unternehmen, Herausgeber: Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Hamburg 2014 Hirschhausen, Eckart v.: Glück kommt selten allein, 14. Auflage, Rowohlt Verlag, Hamburg 2010 Hollmann, Jens; Albers, Bettina: Strategische Personalentwicklung - Erfolgsfaktor AGE-Management. In: Das Krankenhaus im demographischen Wandel. Theoretische und praktische Grundlagen zur Zukunftssicherung, Herausgeber: Wolfgang Hellmann/Wolfgang Hoefert, medhochzwei Verlag, Heidelberg 2012. S. 185–200 Ilmarinen, Juihani: Towards a longer worklife - Ageing and the quality of worklife in the European Union, Finnish Institute of the Occupational Health (FIOH), Ministry of Social Affairs and Health, Helsinki 2005 Ilmarinen, Juihani; Tempel, Jürgen: Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben?
41 Herausgeberin: Marianne Giesert im Auftrag des DGB-Bildungswerk e. V. VSA Verlag, Hamburg 2002 Kuoppala Jaana; Lamminpää Anna; Liira Juha; Vainio Harri: Leadership, job well-being, and health effects -a systematic review and a meta-analysis. In: Journal of occupational and environmental medicine 2008, 50. Jahrgang, Heft 08. S. 904–915 Ng, Thomas W. H.; Feldman, Daniel C.: The relationship of age to ten dimensions of job performance. In: Journal of Applied Psychology 2008. 93. Jahrgang. S. 392–423 Sering, Frank: Ältere Arbeitnehmer in der Pflege. Personalentwicklung angesichts des demographischen Wandels, VDM Verlag Dr. Müller Aktiengesellschaft & Co KG, Saarbrücken 2008 Stadler, Peter; Spieß, Erika: Mitarbeiterorientiertes Führen und soziale Unterstützung am Arbeitsplatz. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Herausgeber: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund/Berlin/ Dresden 2002 Wegge, Jürgen; Shemla, Meir; Haslam, Alexander S.: Leader behavior as a determinant of health at work: Specification an evidence of five key pathways, German Journal of Research in Human Resource Management 2014 (28). S. 6–23 Wegge, Jürgen; Schmidt, Klaus-Helmut: Diversity Management. Generationenübergreifende Zusammenarbeit fördern. Reihe: Praxis der Personalpsychologie Band 31, Herausgeber der Reihe: Heinz Schuler/Rüdiger Hossiep/Martin Kleinmann/Jörg Felfe, Hogrefe Verlag, Göttingen 2015 Wegge, Jürgen; Jungmann, Franziska. Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit von Jung und Alt in einem Team. In: Informationsdienst Altersfragen 2015, 42. Jahrgang, Heft 01, Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin. S. 3–9
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Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne
Erfolgreiche Teams profitieren von der (bewussten) Ergänzung der verschiedenen Fähigkeiten, Schwächen, Erfahrungen, Perspektiven, Charaktere und Altersgruppen der Teammitglieder. Auch wenn altersgemischte Teams auf den ersten Blick ein „normales“ Team abbilden, steckt in ihnen ein beachtliches Zusatzpotenzial. Dieses wird allerdings nicht automatisch entfaltet, schließlich handelt es sich nicht um ein Wurfzelt, sondern es braucht nicht zuletzt eine durchdachte Teamarchitektur, gute Fehler-, Kommunikationsund Konfliktkultur, ein gesundes Wachstum, „heiteres“ statt „vergiftetes“ Teamklima, kontinuierliche Lernmöglichkeiten, aber auch Vertrauen, Teamfähigkeit, Dynamik und eine Teamleitung, die es als zentrale Führungsaufgabe sieht, die positiven Potenziale der Altersvielfalt zur Entfaltung zu bringen und die negativen Effekte wie Vorurteile zu vermeiden beziehungsweise zu reduzieren. Wo das gelingt, gewinnt nicht nur das „Wir“, sondern es sind auch Bestleistungen möglich.
Vor der Fokussierung auf die Besonderheiten von altersgemischten Teams werden in diesem Kapitel zunächst ein paar elementare Grundlagen von Teamarbeit beleuchtet. Denn jedes altersgemischte Team ist im Grunde ein „normales“ Team, zu dem der Generationenmix on top hinzukommt.
Beginnen wir mit der Frage: Was ist ein Team? Manche beantworten das mit: „Toll, ein anderer macht‘s!“ Andere definieren Teamarbeit so: „Teamarbeit ist die kooperative, zielorientierte Arbeit von Fachleuten, die gemeinsam an einer definierten komplexen Aufgabe, in einem Projekt oder an einem Problem arbeiten, bei Integration unterschiedlichen Fachwissens und nach bestimmten, gemeinsam festgelegten Regeln“ (Gellert und Nowak 2002). Zurück ins „wahre Leben“: Die meisten Beschäftigten verbringen mehr Zeit im Kreis ihrer Kollegen als irgendwo sonst – und oft konnten sie sich die Leute noch nicht mal selbst auswählen…
5.1 Teamarbeit – das „Wir“ gewinnt immer. Wirklich? Jedes Team ist eine Ansammlung von einzigartigen „Ichs“ und gute Teamperformance lebt von den einzelnen Teammitgliedern. Gleichzeitig ist in einem erfolgreichen Team das „Wir“ größer als das „Ich“. Egal ob der Handwerksbetrieb um die Ecke oder ein Weltkonzern: Der Kunde beurteilt ein Unternehmen immer als Einheit. Wenn ein Bosch-Staubsauger nicht mehr funktioniert, ist aus Sicht des Verbrauchers Bosch schuld, und zwar nicht nur die Staubsauger-Sparte, sondern Bosch insgesamt. Es reicht bereits ein „Faulpelz“ (Low Performer), um die Gesamtleistung
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_5
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5 Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne
des Teams nach unten zu ziehen. Würde die Arbeit dieser Person eindeutig sicht- und messbar sein, wäre in vielen Fällen ihre Einzelleistung höher als im Team. Dieses Ausruhen auf Kosten der anderen ist ein sozialpsychologisches Phänomen und wird als „Social Loafing“ oder auch „Ringelmann-Effekt“ beschrieben. Ich spreche in diesem Zusammenhang auch gern vom „Himbeeren Körbchen Prinzip“. Denn es reicht bekanntlich eine einzige Himbeere, die schimmelt, und schon verschimmelt innerhalb kürzester Zeit der Inhalt des gesamten Körbchens. Die Auswirkungen von „schimmligen Himbeeren“ kennen Sie sicher: Minderleistung, destruktives Verhalten gegenüber Teammitgliedern, Pflegebedürftigen und Angehörigen sowie fehlende Motivation und Einsatzbereitschaft. Was ist zu tun? Das Körbchen gut im Blick behalten – jeden Einzelnen und das „große Ganze“. Die „guten Himbeeren“ stärken und ermutigen und bei den schimmligen möglichst frühzeitig als Führungskraft intervenieren. Bei der Versorgung von Patienten ist gelungene Teamarbeit – sowohl innerhalb des Pflegeteams, als auch abteilungsübergreifend – besonders entscheidend. Denn in der Pflege geht es um so viel mehr als um exzellente Dienstleistungsqualität, wie wir sie beim Friseur, Restaurantbesuch oder Bäcker erwarten. Neben fachlicher Qualifikation und Infrastruktur bildet ein eingespieltes (interdisziplinäres) Team die grundlegende Voraussetzung für erfolgreiche Patientenbehandlung. So sorgt beispielsweise gute Team-Kommunikation dafür, dass Veränderungen bei Patienten frühzeitig bemerkt werden. In OP- oder Reanimationsteams sowie bei der Versorgung von Patienten im Schockraum kann sie sogar Leben retten. Eine Besonderheit in Pflegeteams ist auch die Tatsache, dass selten dieselbe „Stammmannschaft“ zusammen arbeitet. Meist ist jede Schicht neu „zusammengewürfelt“, was zusätzliche Herausforderungen hinsichtlich Teamleistung, Teamrollen, Teamentwicklung etc. mit sich bringt. Nahezu unmöglich ist es daher auch, das gesamte Team für eine Besprechung, Fortbil-
dung, Teambuilding-Maßnahme oder auch „nur“ die Weihnachtsfeier an einen Tisch zu bringen. Neben den objektiven Faktoren für eine gelungene Teamarbeit, also solchen, die sich aus der Arbeit ergeben, gibt es noch eine Reihe von „weichen“ Faktoren, die für den Erfolg von Teamarbeit entscheidend sind (Gellert und Nowak 2002). Dazu zählen soziale Kompetenzen wie Konfliktfähigkeit, Gesprächs- und Kooperationsverhalten. Ergänzend dazu kommen das ganze Spektrum menschlicher Stärken und Schwächen, Temperamente, Persönlichkeitsstile und nicht zuletzt lebensbiografische Einflussgrößen hinzu (Gellert und Nowak 2002). Die Stärke eines Teams liegt daher in den unterschiedlichen Erfahrungen, Eigenschaften und Charakteren, aus denen heraus ergänzende Verhaltensmuster für neue Ideen und Problemlösungen entstehen können. Weder den Vorgesetzten noch den Beschäftigten allein ist es möglich, hervorragende Arbeit zu erbringen – das gelingt nur im Miteinander.
Beispiel
Bei der Entlassung geben Angehörige im Stationszimmer zwei Packungen Pralinen ab und sagen dazu: „Eine Packung ist ein kleines Dankeschön für das gesamte Team und die andere Packung ist speziell für Carmen.“ Die anwesenden Pflegekräfte (Carmen hatte Nachtdienst) freuten sich von Herzen für Carmen und meinten zu mir, „dass sich das die Carmen echt verdient hätte, denn sie habe sich besonders bei der Aufnahme des Patienten derart investiert.“ Umso schöner, dass das auch von den Angehörigen gesehen und honoriert wurde. ◄ Was zeichnet ein Spitzenteam aus? • Teamfähigkeit der einzelnen Teammitglieder (Empathie, Verlässlichkeit, Loyalität, Reflexionsfähigkeit, Offenheit, Toleranz, Ehrlichkeit etc.) • Hohe Leistungsbereitschaft und Engagement • Etabliertes Lernklima
5.3 Teamzusammensetzung – die Mischung macht‘s
• Konstruktiver Umgang mit Fehlern, Kritik und Konflikten • Vertrauen, gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung • Potenziale der Teammitglieder werden genutzt – auch hinsichtlich verschiedener Altersgruppen (Synergieeffekte) • Gegenseitiges Teilen von „Best-Practice-Beispielen“ • Starker innerer Zusammenhalt und gegenseitige Loyalität • Positive Atmosphäre im Team • Hierarchiefreiheit und wenig Rivalität („Dein Erfolg ist unser Erfolg“) • Anerkennung fremder Leistungen, ohne sich selbst abzuwerten • Fähigkeit zur Metakommunikation – also gemeinsam das Kommunikations- und Interaktionsverhalten im Team reflektieren Anders formuliert: Erfolgreiche Teams bilden eine Vertrauensgemeinschaft, die von offener Information anstelle von Geheimnistuerei, Freiräu men anstelle von Zwängen, Mut machen statt Angst erzeugen, Kontrolle als Hilfe statt Überwachung, Führung als Dienstleistung anstelle von Machtausübung, dialogische Gesprächsbereitschaft anstelle einseitiger Vorgaben, Vertrauen statt Misstrauen, Toleranz bei Fehler und Irrtum statt Suche nach dem Schuldigen geprägt sind (Then 2001).
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rigen, Frust und Enttäuschung verschwendet. Das Team ist dann mehr mit sich als mit den Patienten bzw. Bewohnern beschäftigt. Ist die Stimmung hingegen nicht nur entgiftet, sondern sogar heiter, hat das einen positiven Einfluss auf Leistung, Motivation, Fluktuation, Krankheitstage, intergenerativen Wissenstransfer, Einarbeitungsqualität und Image. Das freut nicht nur das Management, weil die „Zahlen stimmen“, sondern auch die Mitarbeitenden und die „Kunden“. Und wer begeistert ist, erzählt das gern weiter. „Wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund!“, sagt dazu die Bibel.
Beispiel
Wenn Sie sich unsicher sind, wie die Stimmungslage in Ihrem Team tatsächlich ist, dann machen Sie doch beispielsweise im Rahmen einer Teambesprechung mal ein Stimmungsbarometer. Schreiben Sie dafür auf ein Plakat die Frage: „Wie findet ihr momentan die Stimmung im Team?“ und setzen darunter eine Bewertungsskala von 0 bis 10. Um mehr inhaltliches „Futter“ zu erhalten, ist es zielführend, ergänzend noch die beiden Fragen zu stellen: „Was müsste sich schnellstmöglich ändern?“ und „Was läuft schon gut?“ Werten Sie im Anschluss die Ergebnisse gemeinsam mit Ihrem Team aus und setzen sich miteinander realistische Ziele. ◄
5.2 Teamstimmung – „vergiftet“ oder heiter?
5.3 Teamzusammensetzung – die Mischung macht‘s
Nach Goleman beeinflussen Beziehungen in einem erstaunlichen Maße nicht nur unsere Erfahrungen, sondern auch unsere Biologie. Während positive Beziehungen einen günstigen Einfluss auf unser Wohlbefinden haben, können negative unseren Körper wie ein langsam wirkendes Gift angreifen (Goleman 2006). Sind Teams – oder ganze Unternehmen – „vergiftet“, herrschen Misstrauen, Aggressivität, Neid, Egoismus und sämtliche anderen „Gifte“. Anstatt die wertvolle Energie in die Kernaufgabe – nämlich die Patientenversorgung – zu leiten, wird sie für Machtkämpfe, Int-
Ob Orchester, Filmcrew oder Fußballmannschaft – auf die Zusammenstellung kommt es an. Jeder Hobbykoch weiß, dass es nicht reicht, die besten Zutaten zu haben. Brillant wird die Mahlzeit erst, wenn die einzelnen Komponenten auch gut kombiniert werden. Wichtige Kriterien bei der Zusammenstellung von Teams sind neben der fachlichen auch die soziale Kompetenz der Beschäftigten. Zur letztgenannten gehört auch die Fähigkeit, Menschen zu akzeptieren, die anders sind als man selbst. Denn das ist die entscheidende Grundlage, damit sich die
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5 Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne
bereichernde Wirkung der verschiedenen Persönlichkeitstypen, Generationen, Stärken und Schwächen entfalten kann. Sind sich Personen in einem Team ähnlich, verstehen sie sich auf menschlicher Ebene zwar meist gut, stagnieren jedoch in ihrer inhaltlichen Arbeit, was letztlich auch auf die Stimmung drückt und Beziehungen belastet (Gellert und Nowak 2002). In so einer „sozialen Monokultur” werden die Beziehungen tendenziell wichtiger als die sachlichen Ziele und Aufgaben – es wird „geklüngelt”. Doch ein Team braucht auch „komplementäre Partnerschaften”: unterschiedliche Talente, Charaktere und Erfahrungs- wie Wissensträger, die sich ergänzen und in der Summe mehr hervorbringen als die Addition der einzelnen Beschäftigten. Das deckt sich mit den Untersuchungen des britischen Professors Meredith Belbin in den 70er-Jahren. Er fand heraus, dass äußerst wenig zu bewegen ist, wenn nur Menschen mit gleichen Persönlichkeitsmerkmalen agieren. Belbin wählte dazu den Vergleich mit einer Schafherde, die zwar eine gute Gemeinschaft ist, deren einzige Leistung aber darin besteht, Gras zu fressen. Belbin identifizierte verschiedene Typen, die er zu seinem Teamrollen-Modell zusammen-
fasste, das mittlerweile zu den Managementklassikern zählt. Danach arbeiten Teams am effektivsten, wenn sie aus folgenden neun heterogenen Rollentypen bestehen: Erfinder/Neuerer, Wegbereiter, Koordinator, Macher, Beobachter, Teamarbeiter, Umsetzer, Perfektionist und Spezialist.
Beispiel
Welch entscheidende Rolle eine einzelne Person für ein Team spielt, konnte ich zuletzt bei einem schnittstellenübergreifenden Teamcoaching beobachten. Dabei fiel mir eine Mitarbeiterin durch ihre positive, zurückhaltende Art auf. Sie genoss ein spürbar hohes Ansehen bei allen Teammitgliedern und vermittelte in kritischen Gesprächssituationen zwischen den Konfliktparteien auf natürliche, diplomatische Weise. Was ihre „offizielle“ Rolle im Team ist? Stationshelferin! „Ungelernt“ vonseiten der fehlenden Berufsausbildung, aber „gelernt“ durch das Leben und ihre Motivation zur Selbstreflexion und persönlichen Weiterentwicklung. „Ohne sie würde hier alles zusammenbrechen“, formulierte es der Teamleiter danach mir gegenüber. ◄
5.4 Teamentwicklung – vom Wachsen und Werden
5.4 Teamentwicklung – vom Wachsen und Werden „Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ein Fortschritt, Zusammenarbeiten ist ein Erfolg“. Henry Ford, US-amerikanischer Automobil-Industrieller. Viele wünschen sich immer wieder, zumindest insgeheim, Teamarbeit funktioniere so: Ein Team wird optimal gematcht hinsichtlich Persönlichkeitsstilen, Rollen, Status, Kommunikations- und Konfliktstilen, präferierten Führungsstilen, Geschlechtern und dem Alter. Heraus kommt ein hochmotiviertes Team, das immer Pflege auf Top-Niveau liefert, und in dem alles geordnet und geradlinig läuft wie bei Bahngleisen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: (Altersgemischte) Teamarbeit ist nicht ein Ziel, das einmal erreicht wird, sondern ein Weg. Wann immer sich etwas an der Teamzusammensetzung verändert, sei es aufgrund von Teamleiterwechsel, Neueinstellungen, Kündigungen, Elternzeit etc., wird das komplette Teamgefüge in Bewegung gebracht und das Gesamtsystem neu sortiert. Es sind also immer wieder Gleiswechsel erforderlich, um die Fahrtrichtung zu verändern. Voraussetzung dafür sind Weichen, die weder eingefroren noch von der Hitze verbogen
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sind. Sonst kommt es leicht mal zu einer Weichenstörung oder gar Entgleisung. Auch die Gleise selbst können rosten und damit die Stabilität gefährden. Gleisen und Weichen muss daher immer wieder aufs Neue Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn weder ein Zug noch ein Team und auch kein einzelnes Teammitglied ist dafür bestimmt, dauerhaft (mal zwischendurch zum Reinigen ist in Ordnung) auf dem Abstellgleis zu stehen. Gleiswechsel und damit Entwicklung sind für das Team als Ganzes und jedes einzelne Mitglied nicht nur hinsichtlich ihrer Reife wichtig, sondern auch eine Prävention vor der Alterung. Entwicklung bedeutet immer ein Verlassen der Komfortzone und ist damit alles andere als gemütlich. Doch im Rückblick wird sichtbar, dass es sich gelohnt hat. Vielleicht ist das der Grund, warum wir nicht mit dem Dreirad oder Bobby-Car zur Arbeit fahren… Gerade in den Institutionen des Gesundheitswesens sind die Möglichkeiten, vollkommen neue Teams zusammenzustellen, nicht zuletzt aufgrund von Personalmangel, „Altbestand“, Spezialisierung, gesetzlichen Vorgaben begrenzt und auch hinsichtlich des Teamspirits nicht immer sinnvoll. Entstehen neue Teams, beispielsweise weil Stationen zusammengelegt werden oder eine Abteilung oder Einrichtung neu eröffnet wird, durchlaufen Teams typische Entwicklungsphasen. Diese brin-
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5 Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne
gen Herausforderungen, aber auch Chancen mit sich und können entweder passiv und unbewusst durchlebt oder bewusst und aktiv gestaltet werden (Gellert und Nowak 2002).
tasten“, Unsicherheit und Vorsicht im Umgang miteinander.
Entwicklungsphasen von Teams – ein Überblick Da die Entwicklungsphasen auch einen guten Einblick in die Gruppendynamik von Teams geben, lohnt es sich, diesen Buchabschnitt auch dann zu lesen, wenn Sie gerade kein neues Team zusammenstellen. Die Beschreibung der Teamentwicklungs-
phasen ist idealtypisch. Ziel ist, das Team in Form zu bringen und nicht zu sehr in Norm. Jedes Team hat seine ganz eigene Performance, die es unverwechselbar macht. In der Praxis sind die einzelnen Phasen nicht klar voneinander abgegrenzt, sondern gehen ineinander über. Die Performing-Phase sollte dabei die längste der vier Phasen sein. Francis und Young (1996) entwickelten die inzwischen sehr bekannte Teamentwicklungs-Uhr mit ihren vier Phasen: 1. „Forming“ oder Testphase 2. „Storming“ oder Auseinandersetzungsphase 3. „Norming“ oder Organisationsphase 4. „Performing“ oder Verschmelzungsphase 1. Forming Die erste Phase ist geprägt durch das Zusammenfinden eines neuen Teams. Noch weiß der Einzelne nicht genau, wie er die anderen „zu nehmen hat“ und wie er selbst von den anderen gesehen wird. In den Köpfen sind Fragen wie: Kenne ich bereits jemanden? Wer ist mir auf den ersten Eindruck sympathisch? Wer versteht sich mit wem? Auch die Rollenverteilung ist noch unklar, denn die Teammitglieder müssen sich zuerst mit den neuen Personen und der Leitung vertraut machen. Insgesamt ist die Phase geprägt durch formelle Höflichkeit, gegenseitiges „Ab-
2. Storming Mittlerweile wissen die Teammitglieder in etwa, wie sie die anderen einzuschätzen haben, und es kann begonnen werden, sich voll und ganz auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Dabei zeigen sich häufig erste Meinungsverschiedenheiten und persönliche Enttäuschungen. Die „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne-Euphorie“ aus der Anfangszeit ist verflogen und die Schwachstellen und Unzulänglichkeiten der Einzelnen und dem Team als Ganzes werden offenbar. Manche Autoren bezeichnen diese Phase auch als „Nahkampfphase“, in der von Reibereien, unterschwelligen oder offen ausgetragenen Konflikten, Polarisierung, Cliquen-Bildung (In-Group-/Out-Group-Problematik), mühsamem Vorwärtskommen und Konkurrenz um Rollen und Machtpositionen alles dabei sein kann. In dieser Phase entstehen bereits erste (auch heimliche) Regeln im Umgang mit Konflikten (Gellert und Nowak 2002). Idealerweise entwickelt sich eine Feedback- und Konfliktkultur, in der auch knifflige Themen offen und konstruktiv angesprochen und geklärt werden können. Gelingt dies, führt das zu einer Zunahme des inneren Zusammenhaltes des Teams. 3. Norming In der dritten Teamphase werden die sozialen Normen der gemeinsamen Zusammenarbeit (oft unausgesprochen) festgelegt. Sie regeln das Verhalten in Teams, sozialisieren neue Mitglieder und beschreiben, welches Verhalten die Teammitglieder voneinander erwarten. Wer die Norm erfüllt, erfährt Zustimmung und positive Reaktionen, wer hingegen davon abweicht, muss mit negativen Sanktionen rechnen. Das Team als Ganzes beeinflusst auf diese Weise das Verhalten der Einzelnen. So motiviert beispielsweise ein leistungsorientiertes Umfeld den Einzelnen dazu, seine Leistung zu steigern. Ist jedoch Leistung für ein Team nicht wichtig oder erstrebenswert, gilt man als Streber. Das war schon in der Schule so und ist auf der Station nicht anders.
5.5 Teamklima und Teampflege – der Einfluss von Klimaaktivisten
Wie hoch die Einflussnahme vom Team auf den Einzelnen ist, hängt mit dem Zusammenhalt innerhalb der Gruppe zusammen. Ist der Zusammenhalt hoch, sind die Normen besonders einflussreich und damit die Konformität, denn die einzelnen Teammitglieder möchten auch weiterhin Teil der Gruppe bleiben. Bei geringem Zusammenhalt haben die Normen hingegen weniger Einfluss, da es für die Einzelnen nicht so relevant ist, ob sie vom Team abgelehnt oder anerkannt werden. Insgesamt festigen sich in dieser Phase die Teamrollen, das Gemeinsame und Verbindende tritt in den Vordergrund, die Identifikation nimmt zu, es herrscht ein Klima von Vertrauen, Feedback und offenem Umgang. Das „Wir-Gefühl“ und der Teamgeist bilden sich immer mehr heraus. 4. Performing Verlief der bisherige Teamentwicklungsverlauf positiv, steht in dieser Phase die Beziehungsarbeit nicht mehr im Vordergrund. Das Team agiert geschlossen, es herrscht eine Atmosphäre von Anerkennung, Akzeptanz, Wertschätzung und Feedback. Wesentliche Arbeitsabläufe erfolgen zügig und effektiv, das heißt frei von Konkurrenz- und Koalitionsbildung (Gellert und Nowak 2002). Die Gruppe hat ihr höchstmögliches Reifestadium erreicht. Nun gilt es, dieses Potenzial zu nutzen und über einen möglichst langen Zeitraum aufrechtzuerhalten.
5.5 Teamklima und Teampflege – der Einfluss von Klimaaktivisten Neben fachlicher Qualifikation, Teamzusammensetzung, Rahmenbedingungen, Arbeitgeberattraktivität und Führung ist das Teamklima ein entscheidender Faktor dafür, ob gute Arbeit geleistet wird oder eben nicht. Denn je stärker die emotionalen Bindungen sind, desto motivierter, produktiver und zufriedener mit ihrer Arbeit sind die Beteiligten (Goleman 2006). Teamklima ist ein wahrer Katalysator, der weder erkauft, erzwungen (womöglich sogar als Vorgabe
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„von oben“), kopiert noch gemessen werden kann. Denn es geht um Loyalität, Vertrauen und Gefühle. Auch wenn das Teamklima ein Produkt ist, das aus dem Team als Ganzes „herauskommt“, so hat doch jeder Einzelne – unabhängig davon, an welcher Stelle der Unternehmenshierarchie er tätig ist – Einfluss auf das Klima: ob als Klimaschützer oder Klimazerstörer. Denn jedes Mal, wenn eine Tür geöffnet, ein Patient „übergeben“, ein Verband gewechselt, die Temperatur kontrolliert, der Telefonhörer abgenommen, die neue Kollegin eingearbeitet oder der Dienstplan geschrieben wird, ist das ein Beitrag dazu, ob sich das Klima verbessert oder verschlechtert. In diesem Zusammenhang bekommt Klimaerwärmung doch mal eine ganz andere Bedeutung. Wie beschrieben, kann das Teamklima nicht heraufbeschworen werden, doch es gibt viele Möglichkeiten, das „Wir-Gefühl“ zu stärken und damit das Team zu pflegen. Dabei ist es wesentlich, dass sämtliche Aktionen und Aktivitäten zu dem Team passen. Nur weil der monatliche Stammtisch das Stationsteam der Kardiologie für alle spürbar zusammenschweißte, muss das noch lange nicht der passende Weg für das Notaufnahmeteam sein. Es ist auch nicht entscheidend, wieviel gemeinsam unternommen wird oder wie lange man sich außerhalb der Arbeits-
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5 Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne
zeit trifft. Vielmehr sind es die vielen „kleinen“ Dinge, wie aufmunternde Post it‘s am Spind, ehrliche Dankeschöns, mitgebrachte Süßigkeiten oder Handgriffe, die ohne große Worte für eine andere Person übernommen werden.
Beispiel
Bei einem mehrjährigen Weiterbildungskurs zeigte sich Fürsorge, Teamspirit und „Wir-Gefühl“ der Gruppe zu einem großen Teil darin, dass an den Theorietagen alle Teilnehmenden zu einem fulminanten Buffet beitrugen. Als Dozentin profitierte ich von diesem Ritual, das ohne Anregung „von außen“ entstanden war. Ein paar Jahre später erfuhr ich, dass diese Gruppe nach Beendigung der Weiterbildung sogar noch ein eigenes Koch- und Backbuch mit all ihren Rezepten erstellte. Was für diese Gruppe mit Vorfreude, Spaß und Genuss verbunden war, kann im nächsten Kurs völligen Stress und Verärgerung – und damit das Gegenteil von Teamspirit – bewirken. ◄ Weitere Beispiele zur (interdisziplinären) Teamstärkung: • Feiern entsprechender Anlässe (Jubiläen, bestandene Prüfungen etc.) • Fahrradtouren, Lauftreff, Mannschaftssportarten • Musizieren (Chor, Band, Orchester etc.) • Kochkurse, Restaurantbesuch etc. • Public Viewing bei Sportveranstaltungen • Gemeinsame Pausen • …
Beispiel
Vor ein paar Jahren baten mich drei Krankenschwestern darum, mich beim Vorstand für den Bau einer Sauna im Klinikum einzusetzen. Sie lieferten sofort sämtliche Argumente wie Stärkung der Immunabwehr oder auch, dass es doch klasse wäre, nach einem anstrengenden Dienst dort gemeinsam zu entspannen. Nachdem ich mir alles ange-
hört hatte, stellte ich die Frage, ob sie in ihre Überlegungen auch einbezogen hätten, dass dann ja nicht nur sie drei in der Sauna wären? Sie schauten mich entsetzt an – und dann gab es nur noch einen großen Wunsch von ihrer Seite: „Bitte sprechen Sie auf keinen Fall mit dem Vorstand über unseren Vorschlag.“ ◄ Rituale – notwendiges Übel oder Teamkitt? Auch Rituale fördern das „Wir-Gefühl“ und tragen zu gutem Teamklima bei, denn sie sind identitätsstiftende, lieb gewordene Traditionen, die sich mit verlässlicher Regelmäßigkeit wiederholen. Teilweise können sie sogar einen Bestandteil der Unternehmenskultur darstellen. Der Spruch „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“ (Gustav Mahler in Anlehnung an Jean Jaurès), fasst den Umgang mit Traditionen und Ritualen sehr gut zusammen. Rituale müssen lebendig sein und die Beteiligten „Feuer und Flamme“. Den Neuen im Team wird erklärt, warum es das Ritual gibt, und jeder kann sich mit seinen Sichtweisen, Ideen und Erfahrungshintergründen einbringen und somit das Feuer neu anheizen. Rituale, die unreflektiert und als lästiges Pflichtprogramm mit einem „nicht schon wieder Gefühl“ durchgeführt werden, haben meist eine gegenteilige Wirkung hinsichtlich des Teamklimas. Ist sogar Zwang im Spiel, sollte schleunigst überlegt werden, ob dieses Ritual in der Form beibehalten, verändert oder ersatzlos gestrichen wird. Passend dazu erklärte mir der achtjährige Patient einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, dass er seine Zwänge „Rituale“ nennt. Kurz zusammengefasst: Lieber olympische Fackelweitergabe als Asche in einer schönen Urne.
Beispiel
Neben den „großen“ Ritualen gibt es auch die vielen kleinen. Auf einer Station begann alles mit einer Tasse Fencheltee, die eine Pflegekraft einer Kollegin im Nachtdienst anbot. Diese fand das lecker und bot wiederum einem anderen Kollegen Fencheltee an. Mittlerweile ist es für viele Beschäftigte dieser Abteilung –
5.6 Teamalterung – wenn Teammitglieder gemeinsam „alt“ werden
und darüber hinaus – eine lieb gewordene Tradition, dass im Nachtdienst mindestens eine Tasse Fencheltee getrunken wird. Das Unglaubliche daran: Manche von ihnen mögen den Tee am Tag nicht wirklich. Aber das ist vielleicht so wie mit Tomatensaft, der im Flugzeug über den Wolken deutlich öfter getrunken wird als auf der Erde. ◄
5.6 Teamalterung – wenn Teammitglieder gemeinsam „alt“ werden Mir fallen auf Anhieb einige Teams ein, die gemeinsam gealtert sind. Kennengelernt als junge Erwachsene, haben sie jetzt nur noch wenige Jahre bis zur Rente. Manche von ihnen arbeiten sogar schon über einen deutlich längeren Zeitraum zusammen, als ihre längste private Paarbeziehung dauerte. Neben vielen Vorteilen wie „dass man weiß, wie jeder tickt“ oder wann die Einzelnen am liebsten ihren Urlaub möchten, lauern jedoch auch einige Gefahren. Risiken durch Teamalterung: • Die hohe Vertrautheit, welche durch langes Zusammenarbeiten entsteht, kann dafür sorgen, dass die zwischenmenschlichen Aspekte bei der Zusammenarbeit wichtiger sind als die eigentliche Pflegetätigkeit. Andererseits ermöglicht das „in- und auswendig Kennen“ des anderen eine höhere Konzentration auf die Arbeit an sich. • Muss sich das Team nicht auf neue Kollegen einstellen, bleiben Rollen und Teamzusammensetzung gleich, schmort man sprichwörtlich „im eigenen Saft“. Das ist dann wie mit einem Zimmer, das nicht gelüftet wird. Es ist zwar gemütlich, warm und alles bleibt geordnet an seinem Platz, doch „frischer Wind“ – es muss ja nicht gleich ein Orkan sein – würde mal Gehirne und Räume durchpusten. Der Luftzug bringt mit sich, dass auch mal was durch die Luft fliegt. Vielleicht auch Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“. Denn fehlende Veränderungen schaden auf
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Dauer der Teamleistung und damit letzten Endes der Versorgung der Pflegebedürftigen. • Es entsteht ein Gruppendenken, in dem abweichende Meinungen sanktioniert werden. In der Konsequenz werden sie um „des lieben Teamfriedens willen“, künftig nicht mehr entwickelt und schon gar nicht geäußert. Auch darunter leidet die Qualität des Teams (siehe Abschn. 6.2.1). • Die Offenheit für Neues sinkt stetig, denn „bisher hat es doch auch gut funktioniert“.
Beispiel
Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre lernte ich in einer Klinik Pflegeteams kennen, bei denen von den organisatorischen und pflegerischen Gesichtspunkten her die Zeit irgendwo in den 50er bis 60er Jahren scheinbar still gestanden hatte. Dadurch erlebte ich eine Zeitreise mit geteiltem Dienst, Funktionspflege und gemeinsamem „Schwestern-Frühstück“ in der Kantine. Die Ansprache der Pflegekräfte mit „Schwester“ und Vornamen und das „Siezen“ innerhalb des Teams war der Normalfall. Die medizinische Versorgung und andere Fachabteilungen waren hervorragend und „State of the Art“. Wie konnte es also sein, dass die Pflege so viele Jahre hinterher hinkte? Ein beachtlicher Teil ist sicherlich auf die gemeinsame Teamalterung im großen Stil zurückzuführen. ◄ Maßnahmen gegen Teamalterung: • Teilnahme an Fort- und Weiterbildungen • Durchführung von Trainings on the job • Rotation der Beschäftigten • Hospitationen in anderen Abteilungen und/ oder Unternehmen • Teamzusammensetzungen innerhalb einer Institution bewusst planen und nicht auf „gute Zufälle“ hoffen • Neueinstellungen • Rotierende Auszubildende und Ärzte als „Frischzellenkur“ • …
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5 Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne
5.7 Altersgemischtes Team – ist das nicht auch ein „normales“ Team?
• Das Commitment der Beschäftigten ist bei Altersdiversität im Team höher. • Die Wechselabsicht in altersgemischten Teams ist niedriger. • Es gibt einen deutlichen positiven Zusammenhang zwischen Altersdiversität und Kollegialität. • Die Arbeitsqualität ist in Teams mit Generationenmix höher.
Altersgemischte Teamarbeit gab es schon immer. Was neu daran ist? Die verschiedenen Generationen arbeiten aufgrund früherer Einschulung, kürzerer Schulzeiten und dem späteren Renteneintritt sowie Wegfall des vorzeitigen Aus stiegs aus dem Berufsleben in den Vorruhestand länger zusammen. Das bedeutet auch eine längere Parallelität von unterschiedlichen Werten und Vorstellungen im Arbeitsleben (Klaffke 2014). Dazu kommt, dass die jüngeren Generationen selbstbewusst auftreten und nicht so sehr wie bisher hierarchisch denken. Das wiederum bringt mit sich, dass ältere Teammitglieder und Führungskräfte nicht „automatisch“ als Respektpersonen betrachtet werden. Aus diesen Gründen ist es noch mehr als bisher erforderlich, sich Gedanken zu machen, wie die Zusammenarbeit zwischen Älteren, Mittleren und Jüngeren funktionieren kann. Natürlich kann man auch darauf hoffen, dass es ohne Zutun zufällig klappt, oder von einem Selbstverständnis ausgehen à la, „die müssen sich halt zusammenraufen“ oder „wir sind doch nicht im Kindergarten“. Manche Führungsperson denkt sich vielleicht: „Dafür habe ich nicht auch noch Zeit“. In diesem Fall ist es hilfreich, sich ungeschönt zu überlegen, wie es läuft, wenn es so weiterläuft wie bisher? Erfolgreiche altersgemischte Teamarbeit ist kein Kurzsprint oder ein einmalig durchzuführendes „Fünf-Punkte-Programm“, sondern es handelt sich um einen Langstreckenlauf, bei dem alle Beteiligten einen langen Atem brauchen. Doch wenn es richtig gut läuft, dann ist das Ergebnis ein „Evergreen-Hit“ und nicht nur ein „One-Hit-Wonder“. Für gelungene altersgemischte Teamarbeit sprechen auch diese Forschungsergebnisse der vom Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebenen Studie (Grunau et al. 2018): • Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Altersdiversität (Vielfalt der Altersgruppen) und der Zufriedenheit mit dem Job.
Das Management von Mehrgenerationen-Belegschaften ist ein vergleichsweise neues Gebiet in betriebswirtschaftlicher Forschung und betrieblicher Praxis und wurde zunächst in den USA thematisiert (Klaffke 2014). Eng damit verbunden ist der Begriff „Diversity Management“, was sich mit Diversität, Heterogenität, Vielfalt oder Verschiedenartigkeit der Belegschaft übersetzen lässt. Dabei geht es um Merkmale, die sowohl sichtbar, z. B. Hautfarbe, Alter, Geschlecht, als auch unsichtbar, z. B. Intelligenz, sein können. Generationenvielfalt bietet die Möglichkeit, von den unterschiedlichen Fähigkeiten, Stärken und Erfahrungshintergründen der einzelnen Generationen zu profitieren (Bruch et al. 2010). Doch langjährige Diversitätsforschung hat gezeigt, dass Vielfalt allein nicht automatisch positive Effekte mit sich bringt (Wegge et al. 2011; Bruch et al. 2010). Stattdessen kommt es häufig durch die unterschiedlichen sozialen Identitäten der verschiedenen Altersgruppen zu einer gegenseitigen Abgrenzung. Diese kann zu Vorurteilen, erschwerter Kommunikation und Konflikten führen, die letztendlich die Produktivität von Teams gefährden (Jackson et al. 2003; Williams und O’Reilly 1998). In der Forschung gab es lange uneinheitliche Befunde, ob altersgemischte Teams im Verhältnis zu altersgleichen Teams produktiver, konfliktfreier, gesünder etc. sind. Die aktuelle Forschung (Fritzsche et al. 2014; Ries et al. 2013; Wegge et al. 2011; Wegge und Schmidt 2015) deutet darauf hin, dass die Arbeit in altersgemischten Teams besser funktioniert, wenn
Literatur
• innerhalb des Teams keine zu starke Fokussierung auf die Unterschiede (geringe Salienz von Altersunterschieden) stattfindet. • die Vorurteile gegenüber anderen Altersgruppen gering sind, bzw. nicht zugelassen werden und dadurch wenig Altersdiskriminierung erlebt wird. • die Teammitglieder individuell davon überzeugt sind, dass das Team von der Unterschiedlichkeit der Mitglieder profitiert ("Diversity Beliefs") – also eine hohe Wertschätzung für Altersunterschiede im Team besteht. • das Teamklima grundsätzlich positiv ausgeprägt ist, das heißt Rollenklarheit, offene Kommunikation, Transparenz und hohes Vertrauen zueinander vorherrschen. • Arbeitsaufgaben eine hohe Komplexität aufweisen und kontinuierliches Lernen erfordern. • dem Team Freiräume in der Gestaltung von teaminternen Abläufen gegeben werden. • es Vorgesetzte als zentrale Führungsaufgabe sehen, die positiven Potenziale der Altersvielfalt zur Entfaltung zu bringen und die negativen Effekte (siehe Absch. 6.2) zu vermeiden oder zu reduzieren. Es muss immer um alle Generationen gehen.
Ich vergleiche erfolgreiche, altersgemischte Team arbeit gern mit einer „Räuberleiter“. Für die, die noch überlegen, was das ist, kommt hier die Begriffserklärung von Wikipedia: Es „ist eine Klettertechnik, bei der zwei Personen mitwirken, um durch ein Widerlager Höhendistanzen körperlich zu überwinden“ (Wikipedia 2019). Das war Ihnen zu kompliziert? Hier meine Erklärung: Um ein Hindernis zu überwinden, müssen alle Beteiligten zusammenwirken. Eine Person hält die Hände verschränkt und die andere Person klettert. Räuberleiter im Alleingang ist nicht möglich. Und auch Besserwisser oder „Gaffer“ haben sich nicht bewährt. Wer was macht, ist möglichst den jeweiligen Fähigkeiten, dem körperlichen Zustand, Erfahrungshintergrund etc. angepasst. Vielleicht war eine Person früher ein guter „Kletterer“ und ist jetzt ein besserer „Halter“. Für andere ist beides körperlich nicht mehr
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gut möglich. Sie können das Geschehen aus einer anderen Perspektive betrachten, Erfahrungen und zielorientierte Tipps weitergeben, auf neue Möglichkeiten aufmerksam machen, ermutigen und sich mitfreuen, wenn ein Hindernis überwunden werden konnte. Das Modell Räuberleiter funktioniert nur dann, wenn sich komplementäre Partner finden, Vertrauen herrscht, gut kommuniziert wird, klare Absprachen getroffen werden, die Herausforderung angenommen wird und jeder bereit ist, sich voll und ganz einzubringen.
Literatur Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Francis, Dave; Young, Don: Mehr Erfolg im Team: Ein Trainingsprogramm mit 46 Übungen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Arbeitsgruppen, Windmühle Verlag, Hamburg 1996 Fritzsche, Lars; Wegge, Jürgen; Schmauder, Martin; Kliegel, Matthias; Schmidt, Klaus-Helmut: Good ergonomics and team diversity reduce absenteeism and errors in car manufacturing. In: Ergonomics 2014, 57, S. 148–161 Gellert, Manfred; Nowak, Claus: Teamarbeit, Teamentwicklung, Teamberatung. Ein Praxishandbuch für die Arbeit in und mit Teams, Limmer Verlag, Meezen 2002 Goleman, Daniel: Soziale Intelligenz. Wer auf andere zugehen kann, hat mehr vom Leben, Droemer Verlag, München 2006 Grunau, Philipp; Mackeben, Jan; Wolter, Stefanie; neues Handeln GmbH: Monitor. Altersdiversität in Betrieben. Aktuelle Ergebnisse einer Betriebs- und Beschäftigtenbefragung, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin 2018 Jackson, Susan E.; Joshi, Aparna; Erhardt, Niclas L.: Recent research on team and organizational diversity: Swot analysis and implications. In: Journal of Management 2003, 29. Jahrgang. S. 801–830 Klaffke, Martin: Vorwort. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. V–VIII „Räuberleiter“ In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. Februar 2019, 20:06 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=R%C3%A4uberleiter&oldid=185750581 Abrufdatum: 17. Mai 2019 Ries, Birgit Claudia; Diestel, Stefan; Shemla, Meir; Liebermann, Susanne Christina; Jungmann, Franziska;
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5 Teams – weil die Gruppe mehr kann als der Einzelne
Wegge Jürgen; Schmidt, Klaus-Helmut: Age Diversity and Team Effectiveness. In: Age-Differentiated Work Systems, Herausgeber: Christopher Marc Schlick/Ekkehart Frieling/Jürgen Wegge, Springer Verlag, Berlin 2013. S. 89–118 Then, Werner: Der Mitarbeiter als Mitunternehmer - eine neue Kulturstufe der Arbeit. Mit Werten in Führung gehen, Herausgeber: Jörg Knoblauch/Horst Marquardt, Brunnen Verlag, Gießen 2001. S. 228–239 Wegge, Jürgen; Jungmann, Franziska; Liebermann, Susanne; Schmidt, Klaus-Helmut; Ries, Birgit C.: Altersgemischte Teamarbeit kann erfolgreich sein. Empfehlungen für eine ausgewogene betriebliche Altersstruk-
tur. Sozialrecht + Praxis 2011, 21. Jahrgang, Heft 07. S. 433–442 Wegge, Jürgen; Schmidt, Klaus-Helmut: Diversity Management. Generationenübergreifende Zusammenarbeit fördern. Reihe: Praxis der Personalpsychologie – Band 31, Herausgeber der Reihe: Heinz Schuler/Rüdiger Hossiep/Martin Kleinmann/Jörg Felfe, Hogrefe Verlag, Göttingen 2015 Williams, Katherine Y; O‘Reilly, Charles A.: Demography and diversity in organizations: A review of 40 years of research. In: Research in Organizational Behavior, Herausgeber: Barry M. Staw/Robert Sutton, JAI Press, Greenwich 1998. S. 77–140
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Chancen und Herausforderungen von altersgemischten Teams
Bei generationsübergreifenden Teams gilt wie sooft: Wo Licht ist, ist auch Schatten. So bietet die erfolgreiche Zusammenarbeit verschiedener Altersgruppen unglaublich viele Chancen, zu denen unter anderem ein höheres Verständnis für Patienten/Bewohner, Vermeiden von Gruppendenken („Groupthink“), verbesserte Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit, aber auch wechselseitige Lernmöglichkeiten gehören. Gleichzeitig sind altersgemischte Teams keine „Selbstläufer“, die automatisch immer zu Spitzenteams werden. Vielmehr gibt es meist einige Brücken, über die gegangen werden muss: von der „In-Group“/„Out-Group“-Problematik angefangen, über unterschiedliche Arbeits- und Denkweisen, verkrustete Strukturen bis hin zu hohen Fluktuationsraten. Doch die gute Nachricht ist, dass es sich um Brücken handelt, und die sind dazu da zu verbinden. Und dort, wo dieses Verbindende, Gemeinsame immer wieder konsequent gesucht wird, können die Chancen der Altersvielfalt voll ausgespielt werden.
In diesem Kapitel werden die „klassischen“ Chancen und Herausforderungen generationsübergreifender Teams skizziert. Sozusagen ein Blick durchs Schlüsselloch, ehe in den folgenden Kapiteln die Türen weiter geöffnet und da-
mit näher auf die einzelnen Themen eingegangen wird.
6.1 Chancen altersgemischter Teams – die Liste der Pluspunkte 6.1.1 Höheres Verständnis gegenüber Patienten, Bewohnern und Angehörigen In der Pflege arbeiten Menschen mit Menschen für Menschen eng zusammen, was Pflege zu einem echten „People-Business“ macht, in dem vertrauensvolle Beziehungen eine große Rolle spielen. Denn es sind die beteiligten Menschen, die den Unterschied machen – ob im Patientenbett oder daneben, oder anders gesagt: ob im OP-Hemd oder in Dienstkleidung. Neben Faktoren wie Geschlecht oder Sympathie spielt auch das Alter eine wichtige Rolle. Denn aus der Psychologie ist bekannt, dass Menschen eher Menschen vertrauen, die sich in ähnlichen Lebensumständen befinden wie sie selbst.
Beispiel
Das Team einer Entbindungsstation besteht nahezu ausschließlich aus jüngeren Mitarbei-
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_6
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6 Chancen und Herausforderungen von altersgemischten Teams
terinnen ohne eigene Kinder. Hier würde die Ergänzung durch mittleres und älteres Personal, mit oder ohne eigene Kinder, das Verständnis für die Präferenzen und Bedürfnisse der Patientinnen erhöhen. ◄
6.1.2 Vermeiden von Gruppendenken Für den Teamerfolg sind konstruktive Konflikte genauso wichtig wie ein gewisses Maß an Übereinstimmung. Allerdings tendieren altersähnliche Teams dahin, den Gruppenkonsens zu stark zu betonen (Bruch et al. 2010). Das kann dazu führen, dass einzelne Teammitglieder ihre Meinung nicht frei äußern oder mögliche Alternativen diskutieren, sondern sich eher der erwarteten, vermeintlichen Meinung des gesamten Teams anschließen. Der Fachausdruck für das Zustandekommen unangemessener und fehlerhafter Entscheidungen in Gruppen lautet „Gruppendenken“ bzw. „Groupthink“ und wurde von dem Psychologen Irving Janis (1972) geprägt. „Gruppendenken“ kann das Team zwar kurzfristig stärken, langfristig gefährdet es jedoch die Entscheidungsqualität (Bruch et al. 2010) und damit die Arbeitsleistung.
6.1.3 Verbesserte Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit Werden die jeweiligen altersbedingten Stärken sowie das Erfahrungs- und Fachwissen in altersgemischten Teams verknüpft, bildet das die Grundlage für eine gemeinsame, konstruktive Diskussion unterschiedlicher Interessen und sorgt dafür, dass bessere Entscheidungen getroffen und Fehlentscheidungen reduziert werden können. Davon profitieren Patienten, Bewohner, Personal, Führungskräfte und das Unternehmen insgesamt.
6.1.4 Erzielen von Leistungen, die der Einzelne nicht bringen könnte Werden in der generationsübergreifenden Teamarbeit die Power, Möglichkeiten und Weisheit
der vielen „angezapft“ und perfekt orchestriert, können sogar große Herausforderungen gemeistert werden. Das gilt für Fußballspiele, Raumfahrtmissionen, Flashmobs genauso wie für die Versorgung von Patienten. Der Spruch „Neue Besen kehren gut, aber die alten kennen die Ecken“ ist eine treffende Beschreibung für die Synergieeffekte, die sich durch gezieltes, gegenseitiges Ergänzen der Stärken aller Mitarbeitenden ergeben. So können beispielsweise ältere Beschäftigte von schweren körperlichen Arbeiten zumindest teilweise entbunden werden, dafür aber Aufgaben übernehmen, die jüngere als belastender empfinden, wie die Begleitung von Sterbenden (Hollmann und Albers 2012). Insgesamt sollte das Hauptaugenmerk nicht auf die Probleme und Schwächen, sondern auf die jeweiligen Vorzüge und die besonderen Fähigkeiten gerichtet werden – sozusagen „das Beste aus den 70ern, 80ern, 90ern und von heute“. Was viele Radiosender hinsichtlich ihrer Musikauswahl versprechen, kann in altersheterogenen Teams gelebt werden.
6.1.5 Wechselseitige Lernmöglichkeit „Erfahrung macht klug“ und „Wissen ist Macht“, sagt man so schön. Jüngere können von der Erfahrungsklugheit und den in der Vergangenheit gemachten Fehlern der Älteren profitieren. Und weil Wissensweitergabe im besten Fall keine Einbahnstraße ist, sind es die Älteren, die durch „frisches“ Fachwissen der Jüngeren auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Auf diesem Weg qualifizieren sich altersgemischte Teammitglieder durch die tägliche Zusammenarbeit gegenseitig und erweitern so auch ihre Teamkompetenz insgesamt. Voraussetzungen für teaminterne Kompetenzerweiterung: • Offene Lern- und Fehlerkultur • Grundsätzliches Interesse für das jeweils Neue auf beiden Seiten • Ältere, die ihr Erfahrungswissen „Tacid Knowledge“, das mit Lebensjahren, Erfah-
6.2 Herausforderungen altersgemischter Teams – über sieben Brücken …
• • • •
rung und dem Arbeiten im Job wächst, weitergeben Jüngere, die ihr Wissen über neue Methoden oder Technik mit den Älteren teilen Zuhören, Geduld, didaktische Fähigkeiten Abwesenheit von Arroganz und Hochmut Zeit zu lernen und zu lehren
Mehr dazu im Kapitel „Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen und transferieren“ (siehe Kap. 17).
Beispiel
Eine Schülerin sollte auf einer gastroenterologischen Station einem Patienten einen „hohen Einlauf“ verabreichen. Da sie nicht wusste, wie das geht, erkundigte sie sich bei einer älteren, erfahrenen Schwester. Diese meinte: „Ich habe in meinem Leben schon so viele hohen Einläufe verabreicht, aber in den letzten Jahren verwenden wir meistens nur noch fertige Klistiere. Deshalb hol doch bitte mal dein brandaktuelles Pflegebuch.“ Und dann standen die beiden im Stationszimmer und lernten nicht nur voneinander, sondern auch miteinander. Wissenstransfer in Bestform! ◄
6.1.6 Gesteigerte Kreativität Teams mit Generationenvielfalt verfügen über einen breiten Pool an relevanten Informationen, Perspektiven, Erfahrungen und Fähigkeiten. Daraus ergeben sich Vorteile bei der Bearbeitung komplexer, kreativer Aufgaben, die innovative Problemlösungen erfordern (Bruch et al. 2010). Da es sich bei der Pflegetätigkeit definitiv nicht um stupide Fließbandarbeit handelt, können diese Vorteile tagtäglich ausgespielt werden. Mehr zu diesem Thema finden Sie im Kapitel „Kreativität – wenn es mehr als herkömmliche Lösungen braucht“ (siehe Kap. 12).
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6.1.7 Erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit Werden sämtliche Chancen altersgemischter Teamarbeit gefördert und genutzt, ist das ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil. Das gilt im Blick auf die zu Pflegenden, aber auch für die Beschäftigten. Denn die sind bekanntlich der Dreh- und Angelpunkt und tragen damit entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit bei. Inwieweit sie dazu bereit sind, hängt zu einem großen Teil von der Arbeitgeberattraktivität ab (siehe Absch. 8.1).
6.2 Herausforderungen altersgemischter Teams – über sieben Brücken müsst ihr gehen 6.2.1 „In-Group“/„Out-Group“Problematik Haben wir die freie Auswahl, tendieren wir dazu, uns mit Menschen zu umgeben, die uns möglichst ähnlich sind – Ähnlichkeits-Attraktions-Paradigma (Byrne 1971). Die wahrgenommene Ähnlichkeit oder Kategorie bezieht sich beispielsweise auf Werte, Einstellungen, Verhaltensweisen, aber auch auf Geschlecht, Herkunft, Bildungsgrad, Beruf oder das Alter. Diese Vorliebe für Gleiches nennen Soziologen „Homophilität“ und der Volksmund sagt dazu: „Gleich und gleich gesellt sich gern.“
Beispiel
Wann immer wir auf eine andere Person treffen, ob während einer Zugfahrt oder in der Supermarktschlange vor der Kasse, beginnt das Vergleichen und Bewerten. „Woher kommen Sie?“ „Ich komme aus Hamburg.“ „Ach, wie schön, ich liebe Hamburg. Meine Schwester wohnt dort“. „Wirklich, wo wohnt
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6 Chancen und Herausforderungen von altersgemischten Teams
sie denn?“ … Und schon läuft der Ähnlichkeits-Attraktions-Apparat auf Hochtouren. Für den weiteren Verlauf des Gesprächs wird es relevant sein, ob ich Hamburg toll finde oder nicht, wie das Verhältnis zu meiner Schwester ist und ob ich den Hamburger Dialekt mag, den der andere spricht. ◄ Nach der Theorie der sozialen Identität streben wir nach (Erhalt von) einem positiven Selbstwert (Wegge und Schmidt 2015). Um dieses Ziel zu erreichen, neigen Menschen dazu, die eigene Gruppe („In-Group“) mit einer anderen relevanten Gruppe („Out-Group“) zu vergleichen (Selbstkategorisierung) und zu bewerten (Tajfel und Turner 1986; Haslam 2004). Die einschlägige Forschung hat gezeigt, dass diese Selbstkategorisierung dazu führt, dass Mitglieder der eigenen Gruppe („In-Group“) positiver und homogener wahrgenommen und oft auch bevorzugt werden (Wegge und Schmidt 2015). Mit diesen Personen wird nicht nur leichter, sondern auch öfter kommuniziert und zu ihnen besteht ein größeres Vertrauensverhältnis. Das ist vor allem auf drei Annahmen zurückzuführen (Opresnik 2014): „Zum einen stellen Menschen, die uns ähnlich sind, unsere eigene Person nicht infrage, sondern bestätigen uns und unsere Einstellungen. Zweitens legt die Forschung nahe, dass die auf Ähnlichkeit gegründete Sympathie auf Gegenseitigkeit beruht, d. h. dass ein uns ähnliches Gegenüber uns ebenfalls sympathisch findet. Dies bewirkt wiederum, dass wir unserem Gegenüber wohlwollender und nachgiebiger gegenübertreten“ (Opresnik 2014). Bilden sich innerhalb eines Stationsteams Subgruppen wie „die Jüngeren“ und „die Älteren“, ist das also zunächst „normal“ und völlig in Ordnung. Schwierig wird es, wenn mehr Energie in die In-Group als in die Gesamtgruppe fließt und die Gruppenmitglieder beginnen, sich zunehmend voneinander abzugrenzen. Diese Dynamik kann von unterschwelliger und häufig unbewusster Ausgrenzung über „Schubladen-Denken“ bis hin zu offener Konfrontation und Diskriminierung führen. Die Folgen: Kommunikations- und Koordinationsprobleme, in-
dividuelle Unzufriedenheit, „Dienst nach Vorschrift“, kein „Einspringen“ mehr für andere und hoher Krankenstand. Herrscht schlechte Stimmung im Team, wird selten eine gute Pflege daraus, denn „dicke Luft“ kann man spüren und Kommunikationslücken können schwerwiegende Folgen haben. Um eine Spaltung des Teams zu vermeiden, ist es entscheidend, dass Führungskräfte In-Group/Out-Group-Tendenzen erkennen und entsprechend reagieren. Sei es durch eine Betonung der Gemeinsamkeiten oder durch das Schaffen von Bewusstsein für das, was sich aktuell im Team abspielt.
6.2.2 Unterschiedliche Arbeits- und Denkweisen Die Werte, Ziele und Interessen und damit auch die Arbeits- und Denkweise von Jüngeren und Älteren sind, bedingt durch unterschiedliche Lebensphasen und Generationenprägung, oft verschieden (Wegge und Jungmann 2015). Das äußert sich beispielsweise in Dingen wie Arbeitstugend, Sprache, Erscheinungsbild oder in den Umgangsformen. Besonders in Kombination mit Vorurteilen gegenüber den anderen Generationen können sich rasch Konflikte entwickeln, die sich zunächst negativ auf die Teamstimmung und dann auch auf die Teamleistung auswirken. Mehr zu dieser Thematik im Kapitel „Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit“ (siehe Kap. 15).
6.2.3 Unterschiedlicher Umgang mit Autorität Während der Ausbildung und den ersten Arbeitsjahren der älteren Generationen herrschte vielerorts ein autoritärer Führungsstil mit Weisungskultur nach „Gutsherrenart“. Die Autorität der Vorgesetzten aufgrund ihres Amtes wurde selbstverständlich anerkannt. Doch aus dem Blickwinkel der jüngeren Generationen haben nur die Personen Autorität und Vertrauen „verdient“, die
6.2 Herausforderungen altersgemischter Teams – über sieben Brücken …
transparent und auf Augenhöhe kommunizieren und das, was sie von anderen verlangen, authentisch und glaubwürdig vorleben – „Walk the Talk“. Umgekehrt wird die Autorität jüngerer Mitarbeitender in Führungspositionen oft von den älteren ebenfalls nicht (von vornherein) unbedingt anerkannt (siehe Abschn. 9.7.2). Schließlich waren in der Vergangenheit meist die ältesten (sowohl vom Alter als auch der Betriebszugehörigkeitsdauer) auch die Führungskräfte.
6.2.4 Kommunikations- und Koordinationsprobleme und Konflikte Wenn sich Pflegekräfte nicht mehr als ein Team begreifen, sondern sich emotional als „Ältere“ versus „Jüngere“ oder andersherum verstehen, reduzieren sich die Interaktion, gegenseitige Unterstützung und Empathie. Gleichzeitig werden bestehende Kommunikations- und Koordinationsprobleme auf Dauer zu einem Nährboden für Misstrauen, Missverständnisse und unterschwellige Vorbehalte, die in echte Auseinandersetzungen umschlagen können. Das alles führt zu individueller Unzufriedenheit, erhöhtem Zeitaufwand und schlechter Leistungserbringung (Eberhardt 2016; Van Knippenberg und Schippers 2007). Denn erforderliche Abstimmungen dauern dann länger, es werden oft überflüssige Diskussionen geführt, die Informationsweitergabe über den aktuellen Stand des Konfliktes (häufig ist es lästern) brauchen Zeit, die dann für die wirklich wichtigen Kommunikationsflüsse bezüglich der Patienten fehlt. Schwelen Konflikte zu lange oder haben sich verhärtet, ist eine Konfliktlösung meist nur noch durch Unterstützung eines unabhängigen (externen) „Dritten“ möglich. Mehr zu diesem Thema finden Sie in den Kapiteln „Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit“ (siehe Kap. 15) und „Teamunterstützung von außen – das Potenzial anderer Blickwinkel (siehe Kap. 19).
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Beispiel
Auf einer Säuglingsstation vertraten vor allem die älteren Pflegekräfte die Meinung, dass das Stillen für die Neugeborenen das Beste ist. Die jüngeren und mittleren sahen das zwar grundsätzlich auch so, waren aber nicht so „ideologisch“ und ausdauernd. Wenn es mit dem Stillen nicht auf Anhieb klappte, kam ein „Stillhütchen“ zum Einsatz oder es wurde gleich zum Abstillen geraten. Das führte bei den Patientinnen von Verunsicherung bis hin zum Unmut, der dann wiederum zurück ins Team getragen wurde. In den Übergaben wurde teilweise so laut – nennen wir es diplomatisch mal – „diskutiert“, dass Auszubildende vor der Tür „Wache“ stehen mussten. Dieser Konfliktpunkt löste sich erst auf, als der Chefarzt der Abteilung eine klare Regelung hinsichtlich des Stillens vorgab und der Großteil der Beschäftigten gemeinsam an einer entsprechenden Fortbildung teilnahm. ◄
6.2.5 Verkrustete Strukturen Unreflektierte routinierte Arbeitsabläufe und Prozesse führen auf Dauer zu Verkrustungen. Es sind Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“, die Kreativität und Innovation im Keim ersticken. Ganz nach dem Motto: „Lieber ein bekanntes Elend als eine unbekannte Freude.“ Dabei sind viele Veränderungen, die heute Zukunftsangst auslösen, morgen die Tatbestände, auf die wir übermorgen mit nostalgischer Verklärung zurückblicken (Landmesser 2001). Da das Neue von dem bisher „Normalen“, Gewohnten abweicht, sorgt es erst mal für ein Gefühl von Unsicherheit. Daher sind bei sämtlichen Veränderungsprozessen die Transparenz und Beteiligung der Beschäftigten besonders entscheidend. Mehr dazu im Kapitel „Change-Management – Gutes bewahren und Neues wagen“ (siehe Kap. 16).
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6 Chancen und Herausforderungen von altersgemischten Teams
6.2.6 Unzufriedenheit und nachlassende Unternehmensbindung Studien konnten zeigen, dass Beschäftigte in schlecht funktionierenden altersgemischten Teams eher zu Unzufriedenheit und Frustration am Arbeitsplatz neigen als in altersgleichen Teams, was zu erhöhten Fehlzeiten und zunehmenden Krankheitstagen führt (Tsui et al. 1992; Zenger und Lawrence 1989; Bruch et al. 2010). Häufig ist es die Summe vieler „kleiner“ Dinge und/oder offene bzw. verdeckt ausgetragene Konflikte, die zu Unzufriedenheit führen. Wo sich Mitarbeitende früher wegen mangelnder Alternativen oder Loyalität zum Arbeitgeber arrangierten, findet heute bei dem leichtesten Anflug von „gefällt mir nicht“ oder „passt nicht zu mir“ deutlich schneller ein Stations- oder Arbeitgeberwechsel statt. Und der Markt mit seinen vielen offenen Stellen winkt nur so mit seinen Angeboten. Mehr zu dieser Thematik im Kapitel „Personal – eine Beziehung für immer?! (siehe Kap. 8)
6.2.7 Häufige Fluktuation Eine hohe Fluktuationsrate bedeutet für Teams Hochleistung. Denn die zurückbleibenden, tendenziell eher älteren Pflegekräfte müssen Abschied nehmen und immer wieder neue Kollegen einarbeiten sowie ins Team integrieren, was auf Dauer für Unruhe sorgt. Oftmals werden die bisherigen negativen Erfahrungen mit jüngeren bzw. neuen Beschäftigten auf den nächsten Neuankömmling projiziert. Nicht nur deshalb gestaltet sich die Einarbeitung immer mehr als „lästiges Übel“, das Zeitressourcen und Engagement fordert. Umso frustrierender ist es für das bestehende Team, wenn der „Neue“ kaum, dass er gut eingearbeitet ist, die Klinik wieder verlässt.
Beispiel
In einem großen Klinikum lernte ich vor kurzem eine besondere Form der Einarbeitung kennen: Sämtliche neuen Pflegekräfte kommen zur Einarbeitung in eine von den Abläufen her gut funktionierende Abteilung und werden dort „fit gemacht“. Erst wenn das erreicht ist, arbeiten sie auf ihrer eigentlichen Stelle. Für das „Einarbeitungsteam“ bedeutet das permanente Mehrarbeit. Und der „Neue“? Auf der „richtigen“ Station angekommen, muss er erst mal wieder alles kennenlernen – vom Fachgebiet, über die Abläufe bis hin zum Team und der Leitung. ◄
Literatur Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Byrne, Donn: The attraction paradigm. Academic Press, New York 1971 Eberhardt, Daniela: Generationen zusammen führen. Mit Millennials, Generation X und Babyboomern die Arbeitswelt gestalten, Haufe-Lexware, Freiburg 2016 Haslam, S. Alexander: Psychology in organizations: The social identity approach, 2. Auflage, Sage, London 2004 Hollmann, Jens; Albers, Bettina: Strategische Personalentwicklung - Erfolgsfaktor AGE-Management. In: Das Krankenhaus im demographischen Wandel. Theoretische und praktische Grundlagen zur Zukunftssicherung, Herausgeber: Wolfgang Hellmann/Wolfgang Hoefert, medhochzwei Verlag, Heidelberg 2012. S. 185–200 Janis, Irving L.: Victims of groupthink, Boston 1972 Landmesser, Martin: Mitarbeiter in Zeiten schneller Veränderungen authentisch führen. In: Mit Werten in Führung gehen, Herausgeber: Jörg Knoblauch/Horst Marquardt. Brunnen Verlag, Gießen 2001. S. 189– 200 Opresnik, Marc: Die Geheimnisse erfolgreicher Verhandlungsführung. Besser verhandeln - in jeder Beziehung, Gabler Springer Verlag, Berlin/Heidelberg 2014
Literatur Tajfel, Henri; Turner, John C.: The social identity theory of intergroup behavior. In: Psychology of intergroup relations, Herausgeber: Stephen Worchel/William G. Austin. Nelson-Hall, Chicago 1986. S. 7–24 Tsui, Anne S.; Egan, Terri. D.; O’Reilley III, Charles. A.: Beeing Different: Relational demography an organizational attachment. In: Administrative Science Quarterly 1992, 37. Jahrgang, Heft 04. S. 549–579 Van Knippenberg, Daan; Schippers, Michaéla C.: Work Group Diversity. Annual Review of Psychology 2007, 58. Jahrgang. S. 515–541 Wegge, Jürgen; Schmidt, Klaus-Helmut: Diversity Management. Generationenübergreifende Zusammenar-
61 beit fördern. Reihe: Praxis der Personalpsychologie Band 31, Herausgeber der Reihe: Heinz Schuler/Rüdiger Hossiep/Martin Kleinmann/Jörg Felfe. Hogrefe Verlag, Göttingen 2015 Wegge, Jürgen und Jungmann, Franziska: Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit von Jung und Alt in einem Team. In: Informationsdienst Altersfragen, Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen 2015, 42. Jahrgang, Heft 01, Berlin 2015. S. 3–9 Zenger, Todd R.; Lawrence, Barbara S.: Organizational demography: The differential-effects of age an tenure distributions on technical communication. In: Academy of Management Journal 1989, 32. Jahrgang. S. 353–376
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Unternehmenskultur – „nach Art des Hauses“
Unternehmenskultur sind gemeinsame Überzeugungen und Werte, die die Entscheidungen und Handlungen jedes Einzelnen prägen und gleichzeitig prägt jeder Einzelne auch die Kultur. Daher muss sie eine Maßanfertigung sein, die gelebt und sich kontinuierlich weiterentwickelt. Häufig wird sie als „Nice to have“ abgewertet, dabei macht sie den Unterschied, ob und wie hoch die Zufriedenheit der Beschäftigten, aber auch der Patienten ist, und hat damit Einfluss auf die Fluktuationsrate, das Image sowie die wirtschaftlichen Ergebnisse. Sie zeigt sich in sichtbaren Dingen wie Architektur, Dienstkleidung oder dem Logo und wird in Hochglanzbroschüren beschrieben und beworben. Doch die „wahre“ Unternehmenskultur kann man kaum beschreiben, sie muss erlebt werden. Sie zeigt sich in vielen „Kleinigkeiten“ und „Softfaktoren“ wie Wertschätzung, Integration, Führungs-, Fehler-, Kommunikations-, und Konfliktkultur, aber auch darin, ob und wie die Chancen der Altersvielfalt genutzt und gefördert werden.
Der Begriff „Unternehmenskultur“(Corporate Cul ture) wurde von dem Soziologen und Mitbegründer der Organisationspsychologie und -entwicklung Edgar Schein so definiert: Unternehmenskultur kann als das System grundlegender Überzeugungen und der damit verbundenen Werte und
Normen verstanden werden, die das sichtbare Verhalten der Beschäftigten in einem Unternehmen bestimmen, beziehungsweise als dominante Verhaltensweisen des Unternehmens erscheinen (Schein 1985). Unternehmenskultur beruht demnach auf grundlegenden gemeinsamen Überzeugungen, die das Denken, Handeln und Empfinden der Führungskräfte und Mitarbeitenden im Unternehmen maßgeblich beeinflussen (Leitl und Sackmann 2010). Gleichzeitig prägen die Verhaltensweisen jedes Einzelnen auch die Unternehmenskultur. Vereinfacht lässt sich Unternehmenskultur zusammenfassen mit „nach Art des Hauses“, „das ist typisch für uns“ oder „diese Werte sind für uns so bedeutend, dass wir ohne sie nicht mehr wir selbst wären“. Führung wird von der Unternehmenskultur beeinflusst, denn Grundannahmen und Werte finden sich im Führungsstil wieder. Umgekehrt spielen Vorgesetzte eine entscheidende Rolle hinsichtlich Unternehmenskultur, da sie mit ihrem täglichen Führungsverhalten die Kultur nachhaltig prägen. Statt einem Fisch, der vom Kopf her stinkt, kann sich genauso gut ein wunderbarer Wohlgeruch ausbreiten, wenn die Führungsebene eine gute Unternehmenskultur aktiv vorlebt, würdigt und weiterreicht. Gleichzeitig heißt es auch für die Mitarbeitenden, unabhängig von Position oder Berufsgruppe: „Be the spirit“. Denn von allein oder zufällig entsteht selten eine gute Unternehmenskultur.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_7
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Eine identitätsstiftende Unternehmenskultur wirkt motivierend und erhöht die Chancen, dass gute Beschäftigte bleiben und neue dazukommen wollen. Denn gerade die jüngeren Generationen fragen sich, ob das jeweilige Unternehmen zu ihnen passt – und nicht anders herum. Und bekanntlich spricht sich Gutes herum: Ob ganz Old School per Mundpropaganda oder über Social-Media-Kanäle. Neben der Bindung zum Unternehmen entscheidet die Unternehmenskultur maßgeblich über den wirtschaftlichen Erfolg. Wie sehr eine auf die Beschäftigten zentrierte Unternehmenskultur und das damit verbundene Engagement des Personals zusammenhängen, zeigte auch eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales initiierte Studie. Danach ist es eine Kombination aus kulturellen Dimensionen wie Identifikation, Teamorientierung, Veränderungsfähigkeit einer Organisation, Förderung der beruflichen Entwicklung und eines fairen
7 Unternehmenskultur – „nach Art des Hauses“
Miteinanders, die bis zu 31 % des finanziellen Erfolges erklären kann (Hauser et al. 2008). Unternehmenskultur zeigt sich unter anderem in sichtbaren Prozessen und Strukturen, Logo und Corporate Identity, aber auch in Ritualen. Daneben sind es die meist unsichtbaren und scheinbar unbedeutenden „Kleinigkeiten“, die darüber entscheiden, ob sich ein Unternehmen gut und vertrauenswürdig „anfühlt“ oder nicht. Daher ist es nahezu unmöglich, Unternehmenskultur zu beschreiben – man muss sie erleben. Denn neben den nach außen kommunizierten Unternehmenswerten spürt man die wahre, gelebte Unternehmenskultur erst im unmittelbaren Kontakt – egal ob Arztpraxis, Seniorenzentrum, Klinik oder ambulante Pflege: Ist die Atmosphäre angespannt oder heiter? Wie ist der Umgang des Personals untereinander? Sprechen die Mitarbeitenden übereinander oder miteinander? Wie ist der Führungsstil? Sind Patienten, Angehörige und Bewerber Bittsteller oder Menschen auf Augenhöhe? Wie werden Telefongespräche geführt? Was steht in den Mail-Zeilen – und was dazwischen? Begrüßt man sich im Flur, sei es auch nur durch Blickkontakt mit Nicken, oder ist der Blick aufs private Smartphone gerichtet? Wie ist es um die Sauberkeit und den Geruch bestellt? Wie laufen Übergaben, Visiten oder Besprechungen ab? Wer sitzt in Meetings wo? Wer parkt wo? Wie sieht es mit der Pünktlichkeit aus? Und wenn es zu einer Wartezeit kommt, wie wird diese kommuniziert und gestaltet? Wie ist die Fehlerkultur (was passiert, wenn etwas passiert)? Wie fair ist die Dienstund Urlaubsplanung? Wird ein leeres Bonbonpapier vom Boden aufgehoben? Und wenn ja, von wem? Da es die Menschen eines Unternehmens sind, die den entscheidenden Unterschied machen, gibt es kein einzigartiges Leitbild, keinen Wertekanon, kein Mindset oder Vergleichbares „von der Stange“. Für Passgenauigkeit braucht es eine Maßanfertigung, die genau zu diesem Unternehmen und den dazugehörigen Menschen passt. Die unterliegt dann auch nicht dem vielerorts praktizierten Konformismus „More of the
7 Unternehmenskultur – „nach Art des Hauses“
65
same“ (immer mehr von immer demselben) – und es wird kapiert statt kopiert.
Beispiel
Eine große Abteilung innerhalb eines Klinikkonzerns zeigte mir kurz vor der Eröffnung ihr Unternehmensleitbild, das Grundlage für die Unternehmenskultur sein sollte. Die Bitte an mich: „einen Blick darauf werfen“ und Feedback geben. In diesem Fall reichte tatsächlich ein Blick, um zu sehen, dass das so nicht bleiben kann. Denn es war sofort erkennbar, dass es sich um eine unter Zeitdruck schnell von der Leitungsebene zusammengestellte bunte Mischung von Aussagen anderer vergleichbarer Institutionen handelte. Meine Vermutung bestätigte sich, als im Text völlig falsche Ortsnamen und später sogar Kliniknamen auftauchten… Das Kopieren ist das eine, doch es stellt sich die Frage: Wie will eine Institution die Kultur einer anderen leben? ◄ Unternehmenskultur ist weder Accessoire noch Dekoration und damit kein „Nice-to-have“, sondern sie ist tragender Pfeiler, Identität und DNA einer Institution. Und die DNA ändert man nicht einfach mal auf die Schnelle, nur weil die Situation womöglich gerade kompliziert ist. Das ist in etwa wie mit einem Kompass: Ihm ist es egal, ob man ihn dreht, wendet oder schüttelt – seine Nadel zeigt immer nach Norden. Gleichzeitig bedeutet Unternehmenskultur nichts vollkommen Unbewegliches, denn sie wird im besten Fall auf allen Ebenen gelebt – und was lebendig ist, ist selten starr. Und wenn es mal schwierig wird? Dann gehört das nicht nur dazu, nein, gerade in solchen Situationen zeigt sich die Unternehmenskultur in besonderer Weise. Und zwar nicht die geschriebene, sondern die gelebte. Damit Unternehmenswerte bekannt sind, ist es zweifellos erforderlich, dass sie kommuniziert werden. Doch das Aufhängen von Wertetafeln oder Leitbildern im Goldrahmen reicht nicht aus. Menschen, weder Mitarbeitende noch die „Außenwelt“, möchten nicht nur „schöne Worte“ oder Absichtserklärungen in Flyern und Hochglanzbroschüren – sie durchschauen
„Scheinkulturen“. Stattdessen müssen Kodex und Verhalten übereinstimmen und konsistent sein. Oder anders formuliert: Was draußen (Website, Flyer etc.) draufsteht, muss auch drinnen sein. Jeder von uns kennt markige Sätze wie „Bei uns sind Sie im Mittelpunkt“. Der Ort Farchant wirbt schon an der Ortseinfahrt mit dem Slogan „Farchant, das liebe Dorf“ und Aussagen wie diese wecken Erwartungen und sind fast schon so etwas wie ein Versprechen. Eine gelungene Zusammenarbeit der verschiedenen Generationen spiegelt sich auch in der Unternehmenskultur – und umgekehrt – wieder. Im besten Fall ist es eine Kultur, die • Vielfalt zulässt und fördert. • Unterschiede zwischen den Altersgruppen nicht hinderlich, sondern als bereichernd, beispielsweise für den Dienstleistungsprozess, erachtet.
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7 Unternehmenskultur – „nach Art des Hauses“
• Stereotype abbaut. • gegenseitige Akzeptanz, Toleranz und Wertschätzung zwischen Jüngeren und Älteren fördert. • generationenbalanciert ist und damit Gleichberechtigung gegenüber allen Generationen lebt. • den Dialog und Wissenstransfer zwischen den Generationen fördert. • die Arbeitsfähigkeit aller Mitarbeitenden als wesentlichen Dreh- und Angelpunkt begreift. • Schulungen für Führungskräfte zur generationsübergreifenden Mitarbeiterführung anbietet. • altersgemischte Teams im Bedarfsfall frühzeitig mit Teamberatung unterstützt. Fragen zur alterssensitiven Kulturdiagnose: • Wie werden die einzelnen Generationen (von Wirtschaftswundergeneration bis hin zu Generation Z) gesehen? Gibt es positive bzw. negative Bilder von bestimmten Generationen? • Welche Generation bzw. Generationen dominieren die Denkweise, Atmosphäre und Beurteilungskriterien in den einzelnen Stationen/ Abteilungen und im Unternehmen generell? • Bestehen Vorurteile? Und wenn ja, wie wird mit ihnen umgegangen? • Altersgemischte Teams werden gesehen als…? • Wenn jemand schon lange bei uns arbeitet, dann gilt er als…? • Wer neu dazukommt, wird gesehen als…?
Beispiel
Vor ein paar Monaten beobachtete ich im viel frequentierten Eingangsbereich eines Universitätsklinikums zufällig folgende Situation:
Ein jüngerer Arzt begrüßte aktiv ein älteres Ehepaar und erkundigte sich nach dessen Wohlergehen. Die beiden waren sichtlich überrascht und unterhielten sich kurz mit ihm. Als der Arzt danach im Stechschritt weiterging, tauschte sich das Ehepaar darüber aus, wie verblüffend es sei, dass er sich noch an sie erinnere, da sie ja schon vor über einem Jahr in dessen Ambulanz gewesen seien. Außerdem konnte er doch gar nicht wissen, dass er sie heute hier trifft, weil sie ja in einer ganz anderen Abteilung einen Termin hätten. Zudem sei hier doch soviel „Getümmel“. Während sie sich über diese Begegnung austauschten, strahlten sie über beide Ohren. Sie kennen sicherlich weder den Slogan noch die offiziellen Unternehmenswerte dieses Universitätsklinikums, doch dieser Arzt hat mit seiner Zwei-Minuten-Aktion in den Augen der beiden die Bestnote verdient. Und das werden sie mit Sicherheit auch weitererzählen. So wie ich es gerade auch tue ☺. ◄
Literatur Hauser, Frank; Schubert, Andreas; Aicher, Mona; Fischer, Lorens; Wegera, Katharina; Erne, Claudia, Böth, Inge: Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement in den Unternehmen in Deutschland: Abschlussbericht Forschungsprojekt Nr. 18/05; ein Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Forschungsbericht/ Bundesministerium für Arbeit und Soziales, F371). Bundesministerium für Arbeit und Soziales; Psychonomics AG; Universität Köln; Great Place to Work Institute, Berlin 2008 Leitl, Michael; Sackmann, Sonja: Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor. In: Harvard Business Manager 2010, Heft 01. S. 36–43 Schein, Edgar H.: Organizational Culture and Leadership. A dynamic view, CA: Jossey-Bass, San Francisco 1985
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Personal – eine Beziehung für immer?!
Gutes Personalmanagement bedeutet Beziehungsarbeit – von „auf sich aufmerksam machen“ bis zur Verabschiedung. Ob eine Beziehung überhaupt zustande kommt, wie sie sich gestaltet und wie lange sie hält, hängt von vielen Faktoren ab. Davon am bedeutendsten sind die humanen, also die menschlichen. Daher lohnt es sich als Unternehmen Fragen zu stellen wie: Sind wir ein attraktiver Arbeitgeber – und zwar von „innen“ und von „außen“? Was macht uns so besonders, was ist unsere Kernkompetenz (USP – Unique Selling Proposition)? Wie kommunizieren wir unsere Arbeitgebermarke? Wie sprechen unsere Beschäftigen über uns? Wie lernen uns Menschen kennen? Wie laufen unsere Bewerbungsprozesse ab? Wie bauen, gestalten und intensivieren wir Beziehungen mit bereits vorhandenen Mitarbeitenden? Gelingt es uns, Beschäftigte an uns zu binden, und wenn ja, wie (Retention Management)? Wie ist unsere Trennungskultur – in guten wie in schlechten Zeiten?
Jedes Unternehmen braucht gutes Personal. Doch besonders im Gesundheitswesen, wenn es im wahrsten Sinn des Wortes um Leben und Tod geht, stellen die Beschäftigten einen essenziellen, nicht austauschbaren Schlüsselfaktor dar. Umso relevanter ist es, passende Beschäftigte zu gewinnen, sie an das Unternehmen zu binden, zu loyalisieren, zu befähigen, zu ermutigen, zu qua-
lifizieren und ihre Arbeitsfähigkeit, aber auch Arbeitswilligkeit, über das gesamte Beschäftigungsverhältnis hinweg zu erhalten bzw. auszubauen. Gelingt dies, ist das die beste Voraussetzung, um die Potenziale der verschiedenen Altersgruppen vollumfänglich in den Teams zu nutzen. In diesem Kapitel geht es größtenteils nicht um das Team als Ganzes, sondern um die individuellen Personen. So wie eine Kette von den einzelnen Gliedern abhängig ist und durch sie überhaupt erst zu einer Kette wird, verhält sich das auch mit den Teams. Geht es um gutes Personal, geht es immer auch um gute Beziehungen: zwischen den Bewerbenden und dem Unternehmen, den Mitarbeitenden und den Vorgesetzten, den Mitarbeitenden untereinander und jedem Beschäftigten mit seiner Tätigkeit. Es sind die beteiligten Personen, die eine Beziehung gestalten – oder eben nicht. Ob in Zeitschriften, Büchern, Blogs, Podcasts oder Hörbüchern, überall finden sich Beziehungsratgeber mit Tipps und Tricks, wie Beziehungen gelingen. Allein schon diese Vielfalt macht deutlich, dass es nicht das eine, immer funktionierende „Non-plus-ultra-Programm“ für gelingende Beziehungen gibt. Personalmanagement (Human Resource Management) bedeutet Beziehungsarbeit – von „auf sich aufmerksam machen“ bis zur Verabschiedung. Entsprechend ist dieses Kapitel aufgebaut.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_8
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8.1 Der attraktive Arbeitgeber – mehr als nur oberflächliches Äußeres Ob zufälliges Zusammentreffen, bewusstes Suchen oder Verkuppelt-werden: Nahezu jede Beziehung beginnt mit „auf jemanden aufmerksam werden“ bzw. „auf sich aufmerksam machen“. Dabei spielt Attraktivität eine entscheidende Rolle. Das Wort Attraktivität wird aus dem lateinischen „attrahere“ abgeleitet, was so viel bedeutet wie „an sich ziehen“ oder „anziehen“. Und damit ist auch schon beschrieben, worum es bei Arbeitgeberattraktivität im Kern geht: Es ist die Anziehungskraft, die ein Arbeitgeber auf die passenden Bewerber ausübt. Ob und in welchem Ausmaß es also Außenstehende als erstrebenswert erachten, bei einem bestimmten Unternehmen zu arbeiten, hängt von dessen Attraktivität ab. Bekanntlich liegt die ja im Auge des Betrachters und ist daher subjektiv. Was der eine unwiderstehlich attraktiv findet, widert einen anderen womöglich an. Abhängig ist das unter anderem vom persönlichen Geschmack, aber auch von der Erwartungshaltung und den Vorerfahrungen. Dennoch gibt es Faktoren, die nahezu alle Mitarbeitenden als attraktiv bewerten (siehe unten). Denn „ob man lieber Birnen oder Äpfel hat, darüber kann man streiten. Ob hingegen eine Birne faul ist oder gut, ist keine Frage des Geschmacks, sondern der Qualität.“ Trix Haussmann, schweizerische Designerin. Gerade wenn es um die bewusste Suche nach einer neuen Beziehung geht, ist es zielführend, zunächst einen ehrlichen Blick in den Spiegel zu werfen und sich zu fragen: „Worin bin ich schon richtig gut?“ „Wo liegt Verbesserungspotenzial?“ „Wodurch hebe ich mich positiv von den anderen ab?“ Nach der eigenen Nabelschau muss der Blick auf die anderen gelenkt werden: Wie attraktiv sind sie, was machen sie besser als ich und was kann ich von ihnen lernen (BestPractice-Beispiele)? Dieser Vorgang gilt für den privaten Bereich genauso wie für die Personalsuche. Eine „Eins mit Stern“ bekommt der
8 Personal – eine Beziehung für immer?!
Arbeitgeber, der das Maximum an Arbeitgeberattraktivität erreicht hat: Er wird zum Wunscharbeitgeber („Employer of Choice“) eines perfekt passenden Zielkandidaten. Dieser Zielkandidat muss übrigens nicht immer das Toptalent auf dem Markt sein, sondern er muss „nur“ die richtige Person für seine neue Stelle sein. Eine hohe Arbeitgeberattraktivität hat auch
positive Effekte hinsichtlich Identifikation, Commitment und Leistungsbereitschaft bei den bereits Beschäftigten. Der Aufbau und die Weiterentwicklung einer attraktiven Arbeitgebermarke (Employer Branding) ist nicht zuletzt deshalb von großer Bedeutung, da sich die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der Bewerbenden und Beschäftigten verändert haben. Ein Grund dafür ist der demographische Wandel, durch den das Potenzial an Erwerbspersonen sinkt, was zum Personalmangel und dem sogenannten „War for Talents“ beiträgt. Gleichzeitig steigen die Ansprüche des Personals. So ist die Frage in vielen Fällen nicht mehr, ob man die Arbeitsstelle überhaupt bekommen kann, sondern ob die Arbeit zu einem passt. Allen voran sind es die jüngeren Generationen, die für ein „gutes Unternehmen“ arbeiten wollen. Wobei mit „gut“ nicht nur die Tätigkeit an sich gemeint ist, sondern auch die gelebte Unternehmenskultur. Besonders für die Generationen Y und Z ist die Arbeit zunehmend ein Ausdruck der eigenen Identität. Daher wählen sie den Arbeitgeber genauso aus wie Produkte oder Dienstleistungen. Sie fragen sich in der Rolle als Konsument: „Wer kann mir mehr bieten?“ „Wer hat das emotionalste Produkt?“ „Wer trägt zu meinem Image bei?“ (Parment 2013).
Beispiel
Bevor sich ein Oberarzt in einem Universitätsklinikum bewarb, war es ihm wichtig zu wissen, wie dort die Abläufe und Wege
8.1 Der attraktive Arbeitgeber – mehr als nur oberflächliches Äußeres
für seine Patienten wären und welche Atmosphäre dort herrscht. Da seine Hauptaufgabe in der Betreuung einer Ambulanz liegen würde, begann er seine „Erkundungsreise“ im Empfang. Er bat um eine Wegbeschreibung zu der Ambulanz und zog dort angekommen eine Wartemarke. Die halbstündige Wartezeit vor der verwaltungstechnischen Aufnahme nutzte er, um sich bei den Patienten, von denen viele „Stammgäste“ waren, Erkundigungen einzuholen. Am Ende hat er sich beworben, denn Räumlichkeiten, Ausstattung und vor allem die Menschen, die dort arbeiten, überzeugten ihn. ◄ Arbeitgeberattraktivität bedeutet neben dem Image sowie der Unternehmens- und Führungskultur, auch einen Katalog anzubieten, der sich an den Beschäftigten orientiert. Dazu zählen unter anderem: • Personalentwicklung, Laufbahnplanung, Weiterbildungsmaßnahmen (auch in Teilzeit), Rückkehrgespräche • Flexible Arbeitszeiten • Familienfreundlichkeit: Kindergarten, Ferienbetreuung in den Schulferien, Ad hoc-Kinder-Notfallbetreuung, Zusammenarbeit mit Pflegeeinrichtungen für pflegebedürftige Eltern bzw. Kinder, Regelungen zur Freistellung für die Betreuung von Angehörigen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, bezahlte Sonderurlaube für familiäre Ereignisse • Betriebliches Gesundheitsmanagement: Fitnessstudio, Pilates-Kurse etc. • Preiswerte Wohnmöglichkeiten • Günstige Kantinenpreise und die Möglichkeit Essen mit nach Hause zu nehmen • Krankenhausbehandlung nach Wahlleistungsstandard für Beschäftigte und ihre nächsten Angehörigen • „Dual Career Couples“: Bei Neueinstellung wird sich gleichzeitig nach Erwerbsperspektiven für den Lebenspartner umgesehen.
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Manche Unternehmen gehen noch einen Schritt weiter und organisieren – meist mithilfe von ehemaligen Beschäftigten, die jetzt in Rente sind – eine ganze Angebotspalette, bei der sich Mitarbeitende aller Altersgruppen sowie Personen in Rente gegenseitig mit ihren Begabungen und Ressourcen unterstützen. Hier ein paar inspirierende Beispiele für altersgemischte Teamarbeit, die über das Beschäftigungsverhältnis hinaus gehen: Haustierbetreuung, Taxi-Dienste, Unterstützung bei technischen, handwerklichen, hauswirtschaftlichen oder gärtnerischen Fragestellungen, Serviceangebote für die private Haushaltsführung wie Einkaufservice oder Wäsche- und Bügelservice. All denen, die nach dem Lesen der letzten Absätze enttäuscht und frustriert über ihren Arbeitgeber an dieser Stelle am liebsten das Buch zuschlagen wollen, sei folgendes gesagt bzw. geschrieben: Bei der Entwicklung des bekannten Konzeptes „Great Place to Work“ haben Levering und sein Team entdeckt, dass es den Beschäftigten nicht auf bestimmte Maßnahmen oder Instrumente ankam, um ihren Arbeitgeber als guten Arbeitgeber wahrzunehmen. Vielmehr wurde deutlich, dass gute Arbeitgeber dem gesamten Bereich der Beziehungen zwischen Unternehmen und Beschäftigten hohe Aufmerksamkeit schenken. Insbesondere kristallisierten sich Faktoren wie der Teamgeist oder die Anerkennung und Wertschätzung der Beschäftigten als wichtige Treiber einer positiven Arbeitsplatzkultur heraus (Schulte et al. 2009).
Beispiel
In einem Seniorenzentrum traf ich auf eine neue Mitarbeiterin, die mir völlig begeistert von ihrem neuen Arbeitgeber berichtete. 20-minütige Massagen für symbolische 5 € in der Pause oder nach Dienstschluss, deutlich reduzierte Mitgliederbeiträge in einem Fitnessstudio usw. – solche Angebote kannte sie von ihren bisherigen Arbeitsplätzen nicht und daher war ihr klar: „Hier bin ich
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8 Personal – eine Beziehung für immer?!
genau richtig“. Ein Jahr später begegnete ich ihr wieder. Massage oder Fitnessstudio hatte sie bisher nicht genutzt, aber allein das Wissen, „dass ich könnte, wenn ich wollte“ reiche ihr, meinte sie. Als ich sie fragte, ob sie immer noch denke, dass sie hier „genau richtig“ ist antwortete sie: „Ja, ich habe einen tollen Chef und die Kollegen sind klasse.“ Es ist vielleicht ein bisschen so, wie wenn das Argument, in Bremen zu wohnen, ist, dass man „einfach mal kurz zu einem Sonnenuntergang an die Nordsee fährt“ – oder in München „für ein Wochenende an den Gardasee reist“. Doch wie oft das dann in die Realität umgesetzt wird, ist dabei erstmal zweitrangig. ◄
8.2 Kommunikation der Arbeitgebermarke – damit auch andere davon erfahren „Wenn eine Ente ein Ei legt, dann tut sie das still und zurückgezogen in einem Busch. Wenn jedoch ein Huhn ein Ei legt, so gackert es laut und flattert herum. Und der Erfolg? Die ganze Welt isst Hühnereier!“ Henry Ford I, US Autoindustrieller. Ein attraktiver Arbeitgeber zu sein ist schön und gut. Schade ist es jedoch, wenn das nur wenige wissen. Das ist vergleichbar mit jemandem, der attraktiv ist und neue Beziehungen sucht, jedoch seine eigenen vier Wände nicht verlassen möchte. Dann wissen vielleicht Postboten und Paketzusteller um die Attraktivität, doch die Welt „da draußen“ wird so nicht erreicht. Besser ist es, sich intern und extern als glaubwürdiger und attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und die eigenen Vorzüge gezielt zu präsentieren: Wer bin ich als Arbeitgeber? Was macht mich so besonders (Kernkompetenz, Alleinstellungsmerkmal)? Warum soll jemand ausgerechnet bei mir arbeiten? Was verspreche ich? Was ist der Mehrwert? Präsentieren Sie die gewährten Vorteile ansprechend und sichtbar. Zeigen Sie Ihren Beschäftigten, was Sie Gutes für die Belegschaft tun. Dann geraten diese Benefits auch nicht in
Vergessenheit und sorgen so für eine nachhaltige Bindung an das Unternehmen.
Beispiel
In einer großen Klinik bekamen alle festangestellten Mitarbeitenden ein kostenloses Jahresticket, das sie dazu berechtigte, sämtliche Züge und öffentlichen Verkehrsmittel im gesamten Bundesland kostenlos zu nutzen. Zur Verwunderung der obersten Leitungsebene kam nur wenig Freude und Dankbarkeit auf. Der Grund? Die „frohe Botschaft“ wurde nur unzureichend und so kompliziert erklärt, dass sich nur wenige damit auseinandersetzten und von dem Geschenk Gebrauch machten. ◄ Ob Berichte, Storytelling oder O-Töne von Beschäftigen auf der Website, Instagram, Presse etc. – wichtig ist, dass das Ganze fundiert und wahr ist. Erlebt das eigene Personal, dass äußere Darstellung und tägliches Erleben nicht übereinstimmen, wird auf Dauer das Arbeitgeberimage darunter leiden. Denn dann heißt es: „Außen hui und innen pfui.“
Beispiel
Sobald der Direktor einer Pflegeeinrichtung auf Externe (Bewohner, Angehörige, Pflegekassen etc.) trifft, zeigt er sein „Gummiband-Lächeln“ (Gummiband um den Hinterkopf und die Büroklammern in die Mundwinkel ☺). Leider kennen seine Beschäftigten – außer an der Weihnachtsfeier – meist nur seine „hängende Mundwinkel-Variante“. Sie können sich vorstellen, was das zum Teil frustrierte Personal antwortet, wenn sie von Externen hören: „Wow, du hast ja einen richtig sympathischen, fröhlichen Chef!“ ◄ Gefährlich sind auch vollmundige Versprechen, blumige Stellenanzeigen und der Einsatz von Weichzeichnern an allen Ecken und Enden. Denn die werden nicht zuletzt durch die zuneh-
8.3 Rekrutierung – andere für sich gewinnen
mende Transparenz über soziale Medien schnell entlarvt. Auch die schönsten und professionellsten Pressemitteilungen, Hochglanzbroschüren, Website-Auftritte und Social-Media-Kanäle nützen wenig, wenn die Beschäftigten bei einer Geburtstagsparty, im Schwimmbad, dem Bierzelt oder sonst wo etwas ganz anderes und im schlimmsten Fall sogar das komplette Gegenteil wie die „offizielle“ Unternehmenskommunikation in die Welt hinaus tragen. Nach wie vor bedenken viele Einrichtungen nicht, dass jeder Beschäftigte sein eigenes soziales Netzwerk hat und damit sozusagen ein „Pressesprecher“ der Institution ist. Was „früher“ beim nächsten Telefonplausch oder einem Kaffeebesuch besprochen wurde, geschieht nun in Echtzeit. Damit ist Kommunikation schneller, häufiger, unreflektierter, emotionaler und erzielt eine größere Reichweite. Im Positiven ist der Mitarbeitende Botschafter und Fürsprecher für das Unternehmen und im Negativen Saboteur und Zerstörer. Für Außenstehende, die sich die Frage stellen, wie attraktiv ein Unternehmen ist und ob eine Beziehung infrage kommen könnte, ist die Selbstdarstellung des anderen wichtig, aber auch die Meinung derer, die bereits eine Beziehung mit ihm eingegangen sind. Denn wie heißt es so schön: "Wenn du die Qualität einer Küche beurteilen willst, dann frage nicht den Koch, sondern diejenigen, die dort gegessen haben."
8.3 Rekrutierung – andere für sich gewinnen „Kapital lässt sich beschaffen, Fabriken kann man bauen, Menschen muss man gewinnen.“ Hans Christoph von Rohr, Topmanager. Je älter Sie sind, umso mehr „Wellen“ haben Sie in Ihrem Arbeitsleben bereits miterlebt. Angefangen von vielen Bewerbern auf wenige freie Stellen bis hin zu wenigen Bewerbern auf viele freie Stellen. Während in den Jahren mit vielen Bewerbern die Einstellungskriterien entsprechend hoch angesetzt werden, senkt sich die Messlatte derzeit wieder deutlich, um über-
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haupt genügend Personal zu bekommen. Für die älteren Generationen war klar, wo ihr Platz war. Daheim! Die wohnortnahe Klinik – im Idealfall waren es sogar mehrere – galt in den meisten Fällen als Wunscharbeitsort. Wegziehen wegen eines Ausbildungsplatzes oder Arbeitsplatzes war nur dann gefragt, wenn „daheim“ nichts möglich war. Und immer mit dem Ziel vor Augen, wieder zurückzukehren, sobald dort eine Stelle frei wird.
Beispiel
Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen nur vereinzelte Glückspilze nach dem Examen übernommen wurden. Eine Wunschstation konnte angegeben werden, doch die Freude darüber, überhaupt eine Stelle im Ausbildungsunternehmen zu bekommen, war riesig. Für manche bedeutete das zwar, dass sie als Pflegekräfte aus der Kinderkrankenpflege auf Erwachsenenstationen oder Pflegekräfte aus der Erwachsenenpflege im Seniorenzentrum „zwischenparkten“, und das Ganze oft sogar noch in Teilzeit, doch Hauptsache, man hatte überhaupt eine Arbeitsmöglichkeit. „Einfach so“ kündigte keiner und so war die Fluktuation entsprechend gering. ◄ Heute sind die fünf wichtigsten Faktoren, die maßgeblich beeinflussen, ob sich pflegerische Berufseinsteiger für einen Arbeitsplatz entscheiden, nach Kappel und Klein (2012) folgende: 1. Gutes Betriebsklima: 40,3 % 2. Gewünschter Fachbereich: 32,3 % 3. Vollzeitarbeitsstelle: 30,0 % 4. Aufstiegsmöglichkeiten: 22,8 % 5. Einarbeitungskonzept: 17,6 % Der momentane Personalkräftemangel im Pflegebereich ist ein großes Thema, wenn nicht das große Thema – und das völlig zurecht. Hier braucht es dringendst Lösungen von „höchster Stelle“. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken und immer wieder aufs Neue Zeit und
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Energie mit Lamentieren zu verbringen, ist es zielführender, die Ärmel hochzukrempeln und das anzupacken, was im eigenen Handlungsspielraum möglich ist.
8.3.1 Das große Werben oder „ich stelle mich vor“ – wer ist „ich“? Laut Duden (Dudenredaktion o. J.) ist ein Bewerber jemand, der sich um etwas oder jemanden bewirbt. In den vergangenen Jahren, zum Teil Jahrzehnten, waren die Rollen diesbezüglich auch in den Institutionen des Gesundheitswesens klar verteilt: Der Bewerber ist die Pflegekraft und das Unternehmen gibt vor, wie das Arbeitsverhältnis aussehen wird. Dadurch waren Bewerber oftmals Bittsteller, die wie am Fließband mit Standardtexten und Kreuzverhören mit anschließender Option noch Fragen stellen zu dürfen, abgefertigt wurden. Oder anders formuliert: Sie waren eine Akte inmitten eines großen Stapels. Am Ende von Vorstellungsgesprächen hieß es dann klassischerweise: „Wir melden uns bei Ihnen“ – und das lange Warten begann. Mittlerweile haben sich die Zeiten gravierend geändert und wer meint, weiter an den alten Prozessen und Mustern festhalten zu wollen, erlebt, wie Bewerbungen – sofern sie überhaupt eingehen – immer häufiger auch wieder zurückgezogen werden. Denn jetzt heißt es vonseiten des Bewerbers: „Ich melde mich bei Ihnen.“ Manche Bewerber tun nicht einmal das, sondern gehen gleich wortlos zu einem alternativen Arbeitgeber. Überhaupt stellen potenzielle Mitarbeitende, und dabei vor allem die jüngeren und mittleren Generationen, größtenteils hohe Ansprüche an die Institution und den Bewerbungsprozess. Sie wollen ernst genommen werden und wünschen sich Begegnungen auf Augenhöhe. Das bedeutet in der Praxis, dass ein echtes Interesse am Gegenüber wieder mehr ins Zentrum gerückt werden muss. Denn auch wenn die interessierte Person später nicht bei diesem Unternehmen arbeitet, so behält sie es doch im Idealfall in guter Erinnerung und kommt wieder: ob als Patient, Bewohner oder erneut als Bewerber.
8 Personal – eine Beziehung für immer?!
In jedem Fall ist sie ein nicht zu unterschätzender Multiplikator. So wie es in der Vergangenheit Unterneh-
men gab und heute immer noch gibt, die sich um Fairness und Augenhöhe im Bewerbungsprozess bemühen, gibt es nach wie vor auch Bewerbende, die taktvoll sind. Alles eine Frage von Charakter, Stil und Werten – unabhängig auf welcher „Seite“.
Mögliche Wege des Anwerbens Hier ist es relevant, dass es nicht nur einen Weg zum Kennenlernen gibt, sondern dass verschiedene Plattformen genutzt werden. Doch bevor man einen „Bauchladen“ mit sämtlichen Kanälen gleichzeitig bespielt und nichts davon qualitativ hochwertig und ansprechend ist, ist es sinnvoller, auch anhand von Evaluationen, sich auf die zu konzentrieren, die passend zur vakanten Stelle und dem Unternehmen sind. Dazu gehört auch, dass eine halbherzige „Pseudo-Teilnahme“ an den sozialen Netzwerken vermieden wird, da die Community das sofort entlarvt. Beschäftigte finden – wie und wo? • Selbst ausbilden • Klassische Stellenanzeigen, Plakate, Radio-, Fernseh- und Kinowerbung • Initiativbewerber-Pool und Talente-Pool (Candidate Relationship Management) • Soziale Netzwerke im Internet (z. B. Instagram, Facebook) • Präsenz auf diversen Ausbildungsplatz- und Stellenbörsen im Internet • Unternehmens-Website • Recherche (Active Sourcing) und Veröffentlichung von freien Stellen auf Plattformen wie Xing oder LinkedIn • Videos auf Facebook, Audio-Podcasts beispielsweise Storytelling (Beschäftigte berichten über ihre Tätigkeit) • Profile auf kununu und weiteren Arbeitgeber-Bewertungsportalen
8.3 Rekrutierung – andere für sich gewinnen
• Präsentation des Unternehmens in Schulen und Bildungsmessen – beispielsweise auch gemeinsam mit den eigenen Auszubildenden (Peergroup) • Kooperationen mit Schulen, beispielsweise durch Ausstellen von Bildern aus Kunstprojekten der Schulen im Unternehmen • „Klebstoff-Wirkung“ von Girls- & BoysDays, Praktika, FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) und Hospitationen nutzen • Kinder sind die Mitarbeitenden von morgen und erzählen schon heute begeistert von der Kindergarten-Führung, Teddybären-Klinik oder der „Kinderuniversität“ weiter. • Inserate in ausländischen Zeitungen und Arbeitskräftebörsen veröffentlichen • Beschäftigte werben Beschäftigte: Mundpropaganda steht am Anfang von vielen neuen Mitarbeiterbeziehungen. Daher sollten Organisationen alles dafür tun, dass nicht nur die Fassade poliert ist, sondern auch drinnen hinsichtlich Unternehmenskultur und Mitarbeiterführung alles strahlt. Dann sind die Beschäftigten die besten Botschafter, wenn es darum geht, neue Teammitglieder zu finden. Sind Arbeitsatmosphäre und die Bedingungen jedoch miserabel, wird nur selten eine Kopf- oder Vermittlungsprämie dazu führen, dass Mitarbeitende bleiben, geschweige denn eine Person anwerben. Denn wer will seinen Freunden so etwas „antun“?
8.3.2 Bedeutende Komponenten im Bewerbungsprozess • Althergebrachte, unreflektierte Abläufe und interne Prozesse müssen – nicht zuletzt aufgrund der derzeitigen Marktgegebenheiten – infrage gestellt und ggf. überarbeitet werden. Denn der demographische Wandel, Pflegefachkräftemangel, aber auch die sozialen Medien und die damit verbundene „Gläsernheit“ von Unternehmen, erfordern, dass der Anwerbungsprozess wie am Schnürchen läuft. Das bedeutet, dass neben den Standards im Bewerbungsverfahren auch individuelle An-
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passungen an die einzelnen Talente möglich sind. • Gerade zu Beginn braucht es eine große Portion Vertrauensvorschuss und den Glauben daran, dass das Gegenüber es gut mit einem meint. Dabei helfen neben guten Bewertungen anderer auch viele eigene positive Eindrücke („Momente der Wahrheit“). Allerdings reicht in vielen Fällen schon ein negativer aus, um diese zu überdecken und Zweifel am Gegenüber aufkommen zu lassen. Es sind „Kleinigkeiten“ wie Unpünktlichkeit, falsche Auskünfte, lange Telefon-Warteschleifen, schlecht vorbereitete Vorstellungsgespräche oder Vereinbarungen, die nicht eingehalten werden, um ein diffuses, schlechtes „Bauch-Gefühl“ auszulösen. Und diesem vertraut bekanntlich keiner gern.
Beispiel
Eine Bewerberin mit weiter Anreise möchte in einer ihr im Vorfeld angebotenen Personalunterkunft übernachten. Als sie, wie vereinbart, im Klinikempfang den Schlüssel dafür abholen will, ist weder der Empfangsmitarbeiter noch die zuständige Personalsachbearbeiterin darüber informiert. Nach längerem Diskutieren, Rumtelefonieren und „über die Kollegin Schimpfen“ – und das alles vor der Bewerberin – überreicht die Mitarbeiterin aus der Personalabteilung einen Zimmerschlüssel. Wie sich herausstellt, passt dieser nicht zur angegebenen Appartement-Nummer und so muss die Bewerberin viermal zwischen Klinik und dem fünf Gehminuten entfernten Personal-Appartement-Gebäude hin- und herlaufen, um dann in ein Zimmer eintreten zu können, in dem außer im Bad keine Glühbirnen vorhanden sind. So gewinnt man keinen Blumentopf und schon gar nicht eine neue Beschäftigte. ◄ • Festlegen und kommunizieren von kompetenten Kontaktpersonen, die Bewerbende über alle Etappen des Bewerbungsprozesses aufmerksam begleiten und für vertiefende Informationen zur Verfügung stehen.
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• Zügige Rekrutierungsprozesse drücken Wertschätzung für die Bewerbung aus, entsprechen dem Wunsch nach Feedback (besonders der jüngeren Generationen) und helfen zu verhindern, dass ein vielversprechender Kandidat in der Zwischenzeit „abspringt“. Wie bitter, wenn – während die eigene Institution noch Bewerbungen sortiert oder intern lange Abstimmungen laufen – der Wunschkandidat bereits woanders seinen Arbeitsvertrag unterschreibt. • Bewerbungs-Interviews auf Augenhöhe führen. • Flexibilität hinsichtlich der Termine für Bewerbungsgespräche, sodass Bewerbende beispielsweise keinen Urlaubstag dafür nehmen müssen. • Beteiligung der zukünftigen Teammitglieder bei der Entscheidung, ob der Interessierte in die Kultur des Teams bzw. der Institution passt. Das kann beispielsweise im Rahmen eines Probearbeitens oder gemeinsamen Mittagessens herausgefunden werden. Findet eine längere Hospitation statt, ist auch die Rückmeldung bezüglich des Leistungsniveaus miteinzubeziehen. • Aufbau bzw. Erweiterung des „Candidate Relationship Managements“: Dabei geht es darum, eine Beziehung zu guten Talenten auf dem Arbeitsmarkt auch dann aufzubauen und zu pflegen (beispielsweise über soziale Medien), wenn für diese momentan keine passende Stelle frei ist. Sobald eine entsprechende Position zu vergeben ist, kann auf diesen Talente-Pool zurückgegriffen werden. So lernt man sich kennen, bevor man sich bindet. Das spart für Institutionen nicht nur Zeit und Kosten, sondern ist auch ein entscheidender Vorteil im Wettbewerb um die besten Kandidaten. • Führen von Datenbanken über Auszubildende und ehemalige Beschäftigte (natürlich immer deren Zustimmung vorausgesetzt), um sie bei zukünftigen Rekrutierungen im Blick zu haben.
8 Personal – eine Beziehung für immer?!
• Implementierung von intelligenten webbasierten Bewerberportalen, die Bewerbende beispielsweise über den Status der Bewerbung auf dem Laufenden halten. • Absagen so früh wie möglich und in einem freundlichen, persönlichen Stil kommunizieren. Immer mit dem Ziel, dass die Person zwar jetzt (etwas) enttäuscht ist, den Bewerbungsprozess jedoch so empfunden hat, dass sie positiv darüber denkt und spricht und sich zu einem späteren Zeitpunkt nochmal bewirbt.
Beispiel
Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt auch folgendes Beispiel einer Pflegekraft Ende vierzig: Als sie sich auf ihre erste Stelle als Krankenschwester bewarb, meinte die Mutter Oberin (Pflegedienstleitung) am Ende des Gespräches zu ihr: „Sie können in vier bis sechs Wochen mal telefonisch nachfragen, ob es was mit der Stelle geworden ist. Und weil es sich dann ja um ein Ferngespräch handelt, ist es in Ordnung, wenn Sie erst ab 18:00 Uhr anrufen, wenn der Tarif günstiger ist.“ ◄
8.3.3 Generationale Akquise Da die alleinige Rekrutierung junger Arbeitskräfte in Zukunft nicht mehr ausreichen wird, um den Bedarf der Unternehmen zu decken, wird sich die gezielte Suche nach qualifizierten und motivierten Mitarbeitenden der mittleren und älteren Altersgruppen zu einem wichtigen Bestandteil einer modernen und altersfesten Personalpolitik entwickeln (Bruch et al. 2010). Bei allen Altersgruppen spielen die „menschlichen Faktoren“ wie Mund-zu-Mund-Propaganda und „Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme“ oder ein sonstiges Kennenlernen auf persönlicher Ebene eine entscheidende Rolle in der Akquise. Für die jüngeren Generationen ist es schon seit ihrer Kindheit selbstverständlich,
8.4 Beziehung bauen, gestalten und intensivieren
dass nur ein Mausklick entfernt die Antwort auf alle ihre Fragen wartet. Daher tendieren jüngere Praktikanten, Schüler, Auszubildende und Pflegekräfte eher zur Informationsbeschaffung und Kommunikation mittels sozialer Medien wie Facebook, YouTube, Instagram und Blogs. Bei der Rekrutierung Älterer finden traditionelle Methoden wie Stellenanzeigen in Fachzeitschriften, Zeitungen etc., aber auch Flyer und Broschüren über eine Institution, ihren Einsatz. Eine weitere Rekrutierungsstrategie ist die Einstellung von über 50-jährigen Arbeitssuchenden. Allerdings ist auch dieser Markt in der Pflege derzeit so gut wie leer gefegt. Das bestätigt auch die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, nach der die Arbeitslosigkeit in der Kranken- und Altenpflege in den vergangenen Jahren rückläufig ist. So befand sich die berufsspezifische Arbeitslosenquote im Jahr 2019 im Durchschnitt in der Krankenpflege bei 1,0 % und bei Altenpflegefachkräften bei 0,9 % auf sehr niedrigem Niveau (Agentur für Arbeit 2020).
Beispiel
Eine Universitätsklinik suchte nach neuen Beschäftigten für die Patientenaufnahmen und -ambulanzen und entschied sich unter anderem zur Rekrutierung älterer (Langzeit)arbeitssuchender. Die wenigsten von ihnen hatten bisher einen medizinischen Hintergrund, geschweige denn Patientenkontakt. Innerhalb kürzester Zeit arbeiteten sich die meisten von ihnen hoch motiviert ein und sind jetzt nicht nur geschätzte Teammitglieder, sondern genießen dank ihres Engagements auch große Beliebtheit bei den Patienten. Was sich hier so leicht liest, war alles andere als ein Selbstläufer. Es setzte zum einen die gute Einarbeitung der Kollegen voraus und ist andererseits dem Führungstalent der Abteilungsleiterin geschuldet. ◄
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8.4 Beziehung bauen, gestalten und intensivieren 8.4.1 Onboarding – der gelungene Einstieg Es ist soweit: Das Werben hat ein Ende und idealerweise gibt es zwei Gewinner, die sich nun auf ein näheres Kennenlernen, sozusagen eine Beziehung auf Probe, freuen. Einarbeitungsprogramme nennt man neudeutsch „Onboarding“ – wörtlich übersetzt „an Bord nehmen“. Doch nur weil jemand an Bord ist, bedeutet das noch lange nicht, dass er sich auch mit dem Arbeitgeber auf die Reise begibt. Noch ist der Hafen nicht verlassen, der Anker nicht gelichtet und vom Land trennt nur eine Gangway. Grundsätzlich besteht der Wunsch, dass sich die Beziehung vertieft, doch jetzt wird erst mal geschaut und getestet, ob es passt – und zwar von beiden Seiten. Wird gehalten, was versprochen wurde? Verstehen wir uns auch in kniffligen Situationen? Ist wirklich Kaiserwetter oder wurde nur das Blaue vom Himmel versprochen? Ziehen bereits innerhalb kürzester Zeit Wolken auf? Nur harmlose Schleierwolken oder Gewitterwolken vielleicht sogar mit Unwetterpotenzial? Auch wenn im Vorfeld viel über den anderen recherchiert und sich ausführlich darüber unterhalten wurde, wie man ist und sich eine Beziehung vorstellt, findet wirkliches Kennenlernen hauptsächlich dadurch statt, dass man gemeinsam Zeit verbringt, im Dialog ist und das Gegenüber in verschiedenen Situationen erlebt. Relevant ist in dieser Phase auch, das Umfeld des anderen kennenzulernen. Was im privaten Leben Familien- und Freundeskreis sind, bezieht sich im Arbeitsleben vor allem auf das Stationsteam, aber auch auf wichtige Schnittstellen. Vielleicht stellt sich für den Neuankömmling in dieser Phase heraus, dass er sich zwar hervorragend mit der
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Stationsleitung versteht, die er bereits vom Vorstellungsgespräch her kennt, doch es mit einigen im Team gewaltig knirscht. Meist entscheidet der Beschäftigte übrigens in den ersten hundert Tagen, ob er einem Unternehmen langfristig erhalten bleibt (Schlott 2012). Kommunikationsqualität, Transparenz, Ehrlichkeit, Wertschätzung und Sicherheit sind gute Stichwörter, wenn es um gelungene Einarbeitungsprogramme geht. Denn der „Neuankömmling“ will nicht nur „einen Job besetzen“ oder „eine Lücke im Team schließen“ oder gar „ein Loch stopfen“, sondern er möchte das Gefühl haben, dass er wichtig für die Station und das Unternehmen insgesamt ist. Und er sucht nun nach Bestätigung, dass die Entscheidung für den neuen Arbeitgeber richtig war. Auch deshalb spielt Feedback in dieser Phase der „Beziehung auf Probe“ eine große Rolle. Daher benötigen nicht nur die jüngeren Generationen, gerade in der Anfangszeit im neuen Job, Rückmeldung, um die Einarbeitung zu verbessern und Fehlverhalten und Fehlentwicklung zu minimieren. Der Arbeitgeber profitiert durch diese Gespräche auch dadurch, dass neue Beschäftigte nicht nur ihre Arbeitskraft, Erfahrung und Wissen in das Unternehmen einbringen, sondern zu Beginn bei ihnen auch noch kein „Tunnelblick“ existiert. Allen Lesern aus der Fachrichtung Augenheilkunde sei gesagt, dass damit in diesem Fall nicht die Seheinschränkung durch Schädigung des Sehnervs gemeint ist. Es geht vielmehr darum, dass man bei längerer Tätigkeit unfähig oder auch unwillig wird, etwas wahrzunehmen, was außerhalb dessen liegt, was man kennt oder was einen interessiert. Stattdessen geht der Blick geradeaus wie bei Scheuklappen. Umso spannender ist der Blick von Personen, die von außen kommen. Deren Eindrücke und Änderungsvorschläge werden daher am besten gezielt in Mitarbeitergesprächen abgefragt und geprüft. Merkmale, an denen der Neuzugang erkennt, dass es dem Arbeitgeber ernst mit ihm und er willkommen ist: • Arbeitsvertrag liegt nach der Jobzusage schnell vor
8 Personal – eine Beziehung für immer?!
• Vorbereiteter Spind, EDV-Zugang, Kollegen wissen Bescheid etc. • Professionelle, standardisierte und dennoch individualisierte Einarbeitung durch Paten/ Mentoren • Veranstaltung für neue Beschäftigte • Welcome-Paket am ersten Tag: handgeschriebene Begrüßungskarte mit guten Wünschen für den Start und ein kleines Willkommensgeschenk, z. B. Essensmarken für Kantine, kostenloser Stadtplan, Informationsmaterial aus der Tourismuszentrale, Gutschein für Kino, Schwimmbad, Museum, Bergbahn etc.) • …
Beispiel
In einem schwäbischen Seniorenzentrum bekommt jeder neue Beschäftigte, der nicht aus der Gegend stammt, mit einem Augenzwinkern ein Langenscheidt-Lexikon mit der Fremdsprache „schwäbisch“ überreicht. Denn wie heißt es schon im Slogan des Landes Baden-Württemberg: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ ◄
8.4.2 Personalbindung (Retention Management) – Beziehung vertiefen Nach dem ersten Kennenlernen vertiefen sich die Beziehungen zum neuen Arbeitgeber, aber auch zu Vorgesetzten und vor allem zu den Teammitgliedern weiter. Kennt man zunächst nur einzelne Personen, begegnet man nun innerhalb kürzester Zeit den Menschen, mit denen ab jetzt meist ein beachtlicher Teil des Tages verbracht wird. Oft trifft der neue Beschäftigte bereits in dieser Phase die (unbewusste) Entscheidung: Möchte ich Teil dieses Teams/des Unternehmens sein? Und das Unternehmen fragt sich: Passt diese Person zu uns und in unsere Beziehungsgeflechte? Eine vertrauensvolle Beziehung, bei der die Verbundenheit immer mehr wächst, kann weder erzwungen noch erkauft werden. Es gibt sie auch nicht „von der Stange“, sondern sie lebt
8.4 Beziehung bauen, gestalten und intensivieren
von der unverwechselbaren Handschrift der Beteiligten. Natürlich muss das Rad nicht ständig neu erfunden werden, doch fest steht: Mitarbeiterbindung auf Basis tumber Treue, Bequemlichkeit und moralischer Verpflichtung funktioniert nicht mehr. „Wollen“ hat das „Müssen“ aufseiten der Beschäftigten abgelöst (Schüller und Fuchs 2007). Dieses „Wollen“ – und damit die Verbundenheit mit dem Arbeitgeber – äußert sich in hohem Engagement, Freude bei der Arbeit, emotionaler Verbundenheit, Vertrauen, Identifikation, freiwilliger Treue und Loyalität. Erfahren Beschäftigte von einem attraktiven Stellenangebot, ist es meist eine Frage des Beziehungsstatus (frisch verliebt, glückliche oder unglückliche Beziehung, verwitwet oder frisch geschieden), ob es beim Liebäugeln bleibt oder die aktuelle Beziehung beendet wird. Das ist vergleichbar mit einem offenen Küchenfenster, aus dem herrlicher Essensduft strömt. Der Hungrige würde am liebsten läuten und sich sofort an den gedeckten Tisch setzen. Eine Person, die von ihrer letzten Mahlzeit noch gesättigt ist, nimmt den Duft wohlwollend war und bekommt vielleicht Appetit. Anders geht es jemandem, der einen komplett vollen Bauch hat. Der Duft widersteht ihm förmlich. So ist es auch mit den Beschäftigten: Wessen „Bauch“ mit Wertschätzung, Einbringen eigener Ideen, tollem Team, guter Führung etc. voll ist, wird sich nicht so leicht vom Duft einer anderen Küche anlocken lassen. Faktoren, die zur Personalbindung (Retention Management) beitragen: • Sichere und gesunde Arbeitsplätze, die eine möglichst lange Arbeitsfähigkeit ermöglichen. • Ansprechende Unternehmenskultur, die gelebt wird und damit entscheidend zum Betriebsklima beiträgt. • Hohe Arbeitszufriedenheit, denn je größer die Arbeitszufriedenheit und die Bindung Pflegender ist, desto weniger beabsichtigen sie, den Arbeitgeber und/oder den Beruf zu verlassen.
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• Ausgeprägte Führungsqualität, denn "Menschen kommen zu Unternehmen – aber sie verlassen Vorgesetzte" (Dr. Reinhard K. Sprenger). • Möglichkeit, die eigenen Kompetenzen zielführend einzubringen und zu erweitern (Personalentwicklung, Mentoring siehe Kap. 17). • Als Arbeitgeber dem Beschäftigten Aufmerksamkeit schenken und umgekehrt als Mitarbeitender Interesse am (neuen) Arbeitgeber zeigen. • Attraktive Serviceangebote, die Wertschätzung ausdrücken. • Zuverlässige Dienstpläne (z. B. mithilfe von Springerpools), um eine möglichst verlässliche Lebensgestaltung zu gewährleisten. • Beteiligung des Personals (Ideen-Management, Mitarbeiterbefragungen etc.). • Belastung und Beanspruchung von Mitarbeitenden ernst nehmen und nach möglichen, individuellen Lösungen suchen. • (Altersgemischte) Teams durch Teammaßnahmen unterstützen (siehe Kap. 19). Commitment – freiwillige Verbundenheit Wer das Wort nur akustisch hört, könnte spontan meinen, dass da „Komm mit“ im Wort enthalten ist. Und das wäre inhaltlich gar nicht so falsch – ergänzt mit „Bleib da“, „Bring dich mit Passion und Herzblut ein“ und „Sei gern Teil dieses Unternehmens“. Denn Commitment ins Deutsche übersetzt, heißt soviel wie „Bindung“, „Engagement“, „Hingabe“ oder „Verpflichtung“ und bezeichnet das Ausmaß der Identifikation einer Person mit einer Organisation. Commitment kann nicht erzwungen werden, sondern findet immer freiwillig statt. Denn es stellt eine innere Haltung dar, die das Ergebnis eines längerfristigen Prozesses, sozusagen einer Entwicklungsreise, ist. Allgemein betrachtet, kann sich die Identifikation eines Mitarbeitenden mit seinem Arbeitgeber auf eine Vielzahl verschiedener Gesichtspunkte richten. Dabei geht es um Einstellungen und Gefühle wie Selbstverpflichtung, Loyalität, Ehrlichkeit, Verantwortungsgefühl oder Treue. Insgesamt werden drei Betrachtungsebenen unterschieden, die eng damit zusammenhängen,
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8 Personal – eine Beziehung für immer?!
ob ein Beschäftigter in einer Organisation bleibt oder sie verlässt. Ebenen von Commitment: • Affektive Ebene: Dabei handelt es sich um die emotionale Verbindung zu einer Organisation. Ist sie besonders stark ausgeprägt, möchte der Beschäftigte nicht nur aktuell in diesem Unternehmen arbeiten, sondern würde am liebsten für immer ein Teil davon sein. • Normative Ebene: Hier geht es darum, dass ein Beschäftigter die Normen und Organisationswerte eines Unternehmens akzeptiert, wodurch das Empfinden einer moralischen Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber entsteht. • Organisationale Ebene: Sie wird auch als rationale oder kalkulatorische Ebene bezeichnet, weil es darum geht, die Vor- und Nachteile in Bezug auf ein Arbeitsverhältnis abzuwägen, z. B. mögliche Kosten, die mit einem Verlassen der Einrichtung verbunden wären.
Beispiel
In der Kantine eines Städtischen Klinikums lernte ich zufällig eine Gruppe von Senioren in den 70 – 80ern kennen. Es stellte sich heraus, dass es sich um ehemalige Mitarbeiter verschiedener Abteilungen handelt, die sich nun, zum Teil gemeinsam mit ihren Partnern, dort nahezu jeden Tag zum gemeinsamen Mittagessen, teilweise sogar Frühstück, verabreden. Eine erfrischende Truppe von Leuten, die bis heute sehr mit dem ehemaligen Arbeitgeber verbunden sind und leidenschaftlich über ihn erzählen. Und das nicht nur, weil sie ihre Mahlzeiten zum ermäßigten Mitarbeiterpreis erhalten. ◄
8.5 Trennungskultur – in guten wie in schlechten Zeiten Nicht aus allen Beziehungen werden „Freunde fürs Leben“. Das war zwar schon immer so, doch nicht zuletzt durch häufigere Wohnort-
und Arbeitsplatzwechsel bestehen Beziehungen oft nur während der Dauer eines bestimmten Lebensabschnittes. Das heißt nicht, dass der Kontakt komplett abbrechen muss, und es heißt schon gar nicht, dass sich die Beziehung nicht wieder zu einem späteren Zeitpunkt intensivieren kann. Manche Beziehung endet auch, weil die Beteiligten merken, dass sie nicht (mehr) zueinander passen, und nicht selten stehen dann am Ende Unstimmigkeiten oder gar handfeste Konflikte. Immer wieder ist es auch erforderlich, eine Person zu versetzen oder sich ganz von ihr zu trennen, weil sonst zu befürchten ist, dass erheblicher Schaden an den Patienten und/oder im Team entstehen könnte. Auch im Beruf findet immer mehr die Abkehr von einer „Normalbiographie“ statt, in der das gesamte Arbeitsleben bis zum gesetzlichen Renteneintritt in Vollzeit im gleichen Unternehmen gearbeitet wird. Früher war es eine Auszeichnung, möglichst lange in einer Institution tätig zu sein, und mehrere Stellenwechsel im Lebenslauf wurden eher als negativ bewertet. Heute nehmen „Patchwork-Erwerbsbiographien“ zu und sind nicht mehr atypischer Ausnahmefall, sondern Regelfall. So bewerben sich manche Pflegekräfte sogar nur für einen gewissen Zeitraum (nicht alle sprechen dies von vornherein aus), weil sie in dieser Zeit ein bestimmtes Fachgebiet, für das eine Klinik bekannt ist, kennenlernen bzw. vertiefen wollen, oder sie möchten den Lifestyle einer Stadt miterleben oder einen Winter in Skigebiet-Nähe verbringen. Alles andere als überraschend ist die Tatsache, dass die Wechselabsicht bei den jüngeren Generationen am stärksten ausgeprägt ist und es auch die unter 30-Jährigen sind, die dann tatsächlich am häufigsten das Unternehmen verlassen. Das ergab eine Studie (Grunau et al. 2018), die gemeinsam vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) getragen wurde. Auf die Frage „Haben Sie im Laufe der letzten zwölf Monate daran gedacht, Ihren derzeitigen Arbeitgeber zu wechseln“, antworteten demnach mit „ja“:
8.5 Trennungskultur – in guten wie in schlechten Zeiten
47 % der unter 30-Jährigen 45 % der 30- bis 39-Jährigen 36 % der 40- bis 49-Jährigen 23 % der 50-Jährigen und Älteren Es gibt verschiedene Gründe, warum ausgerechnet die jüngeren und mittleren Generationen eher den Arbeitgeber wechseln. Einer davon ist, dass sich die Vertreter der Generationen Y und Z ihres Marktwertes besonders bewusst sind und relativ zügig kündigen, wenn es (scheinbar) verlockende Alternativen oder „Stress“ mit dem Team oder den Vorgesetzten gibt. Auch geringeres Loyalitätsempfinden trägt dazu bei, dass sie eher den Arbeitsplatz wechseln, als sich selbstkritisch zu reflektieren oder anzupassen (Schmidt et al. 2013). Mittlere und ältere Generationen lassen sich tendenziell mehr Zeit, bevor sie einer unangenehmen Arbeitssituation den Rücken kehren. Zusätzlich ist hier häufig die familiäre Angebundenheit ein entscheidender Stabilisator.
Beispiel
Ich erlebe es immer wieder, dass sich in manchen Stationen, Abteilungen oder Gremien innerhalb von ein bis zwei Jahren ein Großteil der Beschäftigten ausgetauscht hat – ob durch Renteneintritt, Mutterschutz, Elternzeit, Stellenwechsel innerhalb des Unternehmens oder Kündigung. Spannenderweise treffe ich dann den einen oder anderen plötzlich in einem anderen Unternehmen wieder. ◄
8.5.1 Warum kündigen Mitarbeiter? Die Gründe für Kündigungen sind vielfältig: Umzug, Unzufriedenheit mit der Leitungsperson, Unstimmigkeiten im Team, fehlende berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, aber auch Aspekte wie Familienfreundlichkeit, Work-LifeBalance etc. Insgesamt steigt die Wechselfreudigkeit in Konfliktsituationen. Dann heißt es für Beschäftigte oftmals eher „weg von“ als „hin zu“. Ist die Fluktuation dauerhaft hoch oder nimmt zu, ist es wichtig, nicht die Augen zu verschließen oder
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vorschnell Argumente für die Kündigungen zu finden, sondern ehrlich die Gründe dafür zu evaluieren. Hierzu ist die Beantwortung folgender Fragen hilfreich: • Welche Geschichte hat dieses Team/dieses Unternehmen? Seit wann verlassen es immer mehr Teammitglieder? • Welche Beschäftigten kündigen? Die besten, der Durchschnitt oder die nicht so guten („Low Performer“)? • Welche Altersgruppen kündigen? • Wohin gehen die Ehemaligen und was kann ihnen der neue Arbeitgeber bieten? • Warum gehen die Teammitglieder wirklich – nicht die „offizielle“ Sprechvariante? • Warum bleiben die Mitarbeitenden, die bleiben? • Wie ist die Team- bzw. die Unternehmenskultur? • Wie ist der Führungsstil? • Welche Verbesserungspotenziale für das Team bzw. Unternehmen sehen die gehenden Beschäftigten?
Beispiel
In einem großen Gesundheitsunternehmen kündigten über Jahre hinweg zahlreiche motivierte Stationsleitungen und Pflegekräfte. Die Pflegedienstleitung argumentierte, darauf angesprochen, mit dem schlechten Standort und den hohen Ansprüchen der Beschäftigten. Die daraufhin durchgeführten Gespräche mit aktuellen und „frisch-ehemaligen“ Beschäftigten sowie die Auswertung zahlreicher schriftlicher Rückmeldungen an die Geschäftsführung der vergangenen Jahre ergaben immer mehr das Bild, dass der Grund für einen Großteil der Kündigungen im Zusammenhang mit dem Führungsstil der Pflegedienstleitung standen. Dazu kam, dass in der Befragung von Bewerbern, warum sie die vom Unternehmen zugesagte Stelle nicht antreten wollen, ebenfalls sehr häufig die Pflegedienstleitung und ihre Art und Weise,
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8 Personal – eine Beziehung für immer?!
Vorstellungsgespräche zu führen, genannt wurden. Nachdem die Pflegedienstleitung mit den Ergebnissen konfrontiert wurde, verließ sie die Institution. Das führte im Pflegedienst und darüber hinaus zu einem großen Aufatmen und machte den Weg für einen Neustart frei. Allerdings hing der durch sie entstandene enorme Imageschaden dem Unternehmen noch länger nach. ◄
Eindruck, dass sie Loser sind, wenn sie nicht auch kündigen. Ganz nach dem Motto: „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.“ Kündigen gleich mehrere engagierte und beliebte Personen, mischt sich zu dem „Loser-Gefühl“ noch der Eindruck: „Alle Guten gehen“. Nicht selten können solche Gefühlslagen dazu beitragen, eine Kündigungsdynamik auszulösen.
Beispiel
8.5.2 Wenn Teammitglieder gehen Wenn eine Person die Institution verlässt – ob freiwillig oder nicht, ob seit langem geplant oder kurzfristig -, verändert das immer auch die Teamkonstellation. Ob Erleichterung oder Trauer, in jedem Fall bleibt (zunächst mal) eine Lücke, denn jedes Teammitglied steht für etwas: für eine bestimmte Rolle, eine Dynamik oder auch eine Teamverpflichtung (Alf-Jähnig et al. 2013). Der „Trauerprozess“ verläuft ziemlich unterschiedlich und ist sehr von den beteiligten Personen abhängig. Manche Ex-Teammitglieder werden förmlich glorifiziert, andere so schnell wie möglich vergessen und bei wieder anderen wird ständig an die schlechten Seiten der Person erinnert. Beschäftigte, die gekündigt haben, können mit ihrem Verhalten und ihrer Kommunikationsweise dazu beitragen, wie ihr Trennungsprozess abläuft: Während die einen bis zum letzten Tag mit voller Energie arbeiten, lassen es andere gemütlich „auslaufen“. Manche Gehende legen sehr viel Pathos in ihren Abschied, indem sie ihren Countdown gegenüber allen kommunizieren: „Nur noch 4 Frühdienste“, „Morgen ist unser letzter gemeinsamer Dienst“ oder „Das ist meine letzte Visite“. Gibt es zu viele Aussagen wie diese, sind die meisten Zurückbleibenden, trotz Abschiedsschmerz, einfach nur noch froh, wenn diese „Schwebesituation“ aufhört und sich die Tür hinter dieser Person schließt. Herausfordernd wird es für die Bleibenden auch, wenn die „Noch-Kollegen“ permanent von dem neuen Unternehmen, in das sie nun wechseln, schwärmen. Dabei entwickelt sich bei den anderen der
Ein sehr gut integrierter und von allen Seiten beliebter Mitarbeiter kündigte nach vier Jahren, um ein Vollzeitstudium in einer anderen Stadt zu beginnen. Der Abschied von seinem bisherigen Arbeitsplatz fiel ihm derart schwer, dass er mit der Kündigung auch gleich die Krankschreibung per Post einreichte. Das Team hatte daran längere Zeit zu „knabbern“, da es weder eine Ankündigung noch ein Vorzeichen für die Kündigung gab. Stattdessen wurde es mitsamt der Stationsleitung „eiskalt“ erwischt, was zur Folge hatte, dass sich in die Trauer immer mehr Unverständnis und Ärger mischten. ◄
8.5.3 Gelingender Exit-Prozess Bei allen Bemühungen um eine gute, langfristige Mitarbeiterbindung lassen sich nicht alle Kündigungen aufhalten. Wie bereits beschrieben, gehören Trennungen in der heutigen Zeit immer mehr zum Tagesgeschäft. Statt also „eingeschnappt“ zu reagieren, den Scheidenden als „aussätzig“ oder „Verräter“ zu betrachten, gilt es, die Trennung professionell zu gestalten. Wo das gelingt, können Trennungen sogar zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor für Arbeitgeberattraktivität werden. In den USA sprechen manche auch vom „Beautiful Exit“. Dazu gehört ein würdiger Abschied der von Integrität, Dankbarkeit, Großzügigkeit und Respekt geprägt ist. Darüber freut sich der Gehende, doch mindestens genauso wichtig ist diese Art von Verabschiedung für die Zurückbleibenden. Sie erleben, wie das Engage-
8.5 Trennungskultur – in guten wie in schlechten Zeiten
ment einer motivierten, loyalen Pflegeperson honoriert wird. Außerdem wird deutlich, dass das Unternehmen kein Gefängnis ist, wo der, der jetzt gehen „darf“, den Weg in ein glücklicheres Arbeitsleben geschafft hat, während die andern dort weiter „versauern“ müssen. Vielmehr wird deutlich, dass es sich um ein offenes Haus mit offenen Türen handelt und vertrauensvolle Beziehungen nicht plötzlich abgebrochen werden müssen, weil eine Person den Ausgang nimmt. Im besten Fall hinterlässt der „Aussteiger“ noch Informationen, Tipps, Erfahrungen und Verbesserungspotenziale, die der Organisation helfen, sich weiterzuentwickeln. „Reisende soll man nicht aufhalten“, doch man kann in ihnen den Wunsch wecken, wieder zurück kommen zu wollen. Wenn sich Arbeitgeber und Beschäftigter auf Augenhöhe ein freundliches „Auf Wiedersehen“ sagen, können beide Seiten davon profitieren. Denn manchem wird erst nach der Trennung richtig deutlich, was man am anderen hatte. Daher: Gestalten Sie den Exit-Prozess professionell und lassen Sie eine Brücke stehen. Nicht „aus den Augen aus dem Sinn“, sondern lieber „im Auge behalten“. Denn das Ziel ist, dass der Ehemalige nicht nur gut über das Unternehmen denkt und spricht, sondern sogar den Wunsch hat, bei Gelegenheit zurückzukommen. Sein Einverständnis vorausgesetzt, können Sie ihm daher mitteilen, wenn eine adäquate Stelle frei wird. Wenn er selbst kein Interesse hat, kennt er vielleicht die passende Person. Schnüren Sie ein individuelles Paket mit einem kleinen, individuellen Abschiedsgruß und fragen Sie, ob die Person auch weiterhin beispielsweise die Mitarbeiterzeitschrift erhalten möchte. Bleiben Sie im Kontakt, indem Sie Einladungen zu Festlichkeiten schicken, zu Geburtstagen oder bestandenen Prüfungen gratulieren, oder wünschen Sie „Frohe Weihnachten“. Welche Maßnahmen auch immer ergriffen werden, sie sollten weder lästige Pflichtübung sein noch völlig übertrieben und „vor Schmalz triefend“ sein. Wie sooft geht es auch hier um Passgenauigkeit und nicht um Massenproduktion.
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Beispiel
Negativbeispiel: Als eine Altenpflegerin nach 40 Jahren engagierter Pflegetätigkeit in den Ru hestand ging, freute sie sich trotz ihrer Bescheidenheit auf eine Prämie von 100 € und einen Blumenstrauß zum 40. Jubiläum. Nur wenige Tage vor diesem Ereignis bekam sie einen sachlichen Brief der Geschäftsführung, dass es einen Rechenfehler gegeben hätte (das 1. Jahr als Pflegehelferin werde nicht mitgerechnet) und ihr daher die Prämie erst in einem Jahr zustände. Die Enttäuschung über dieses „kleinkarierte“ Verhalten war so groß, dass sie jegliche Feierlichkeiten zu ihrem Renteneintritt ablehnte. Positivbeispiel: Die langjährige Stationsleitung einer Frühgeborenenstation, erlebte einen so positiven Abschluss ihrer beruflichen Tätigkeit, dass sie nun dem Wunsch des Teams nachkommt und auch noch Jahre nach ihrem Renteneintritt mit Frühgeborenen, die keinen oder wenig Besuch bekommen, „kängurut“. ◄
8.5.4 Froh über Trennung „Manche Menschen verursachen Glück und Freude, wohin auch immer sie gehen. Andere, wenn sie gehen.“ Das soll der Schriftsteller Oscar Wilde einmal gesagt haben. Und Hand aufs Herz: Es gibt Beschäftigte, deren Kündigung vor allem Freude und Erleichterung auslösen. Deutlich schlimmer ist es, wenn Mitarbeitende zwar ständig ihre Unzufriedenheit kundtun, innerlich gekündigt haben, nur noch „Dienst nach Vorschrift“ machen und sämtliche im Team „runterziehen“, bis auch der Letzte von dieser demotivierenden Stimmung infiziert ist, aber nie die Arbeitsbeziehung beenden. Kündigen frustrierte Beschäftigte, ist die Gefahr groß, dass sie auch das noch mal auf großer Bühne kundtun. Die befindet sich sowohl innerhalb des Unternehmens, aber mithilfe sozialer Medien oder Arbeitgeber-Bewertungsportalen
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8 Personal – eine Beziehung für immer?!
auch außerhalb. Dort wird sich nochmal massiv über die „Zustände“ ausgelassen. Dieser Imageverlust schadet dem Unternehmen doppelt: Erstens lassen sich interessierte Talente davon abschrecken und bewerben sich erst gar nicht, zweitens sind Patienten, Bewohner oder deren Angehörige verunsichert bezüglich der Qualität in diesem Unternehmen. Das ist zwar bitter und kann versucht werden, soweit wie möglich abzumildern, z. B. durch Löschen von Beiträgen. Doch am Ende heißt es aufseiten des Unternehmens mit Blick auf die Kündigung: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
Beispiel
Eine Klinik-Mitarbeiterin zog aus familiären Gründen weg. Sie galt nach außen als angepasst, unauffällig und gut in die Klinikteams eingebunden. Was jedoch keiner ahnte, war ihr „Abschiedsgeschenk“, das die zurückbleibenden Beschäftigten erst nach und nach entdeckten. Eine ihrer Hauptaufgaben lag darin, die geplanten, stationären Patientenaufnahmen nach vorgegebenen Kriterien auf die Stationen zu verteilen. Eine Regel bestand z. B. darin, dass pro Tag max. drei Aufnahmen geplant werden dürfen, um genügend Kapazitäten für Notfälle zu haben. In verlässlicher Weise hat sie über Jahre die Zuteilung der Patienten auf diese Weise geplant. Nach ihrem Weggang stellte sich heraus, dass sie für die nächste Zeit teilweise bis zu sieben Aufnahmen pro Tag eingeplant und mit den Patienten bereits vereinbart hatte. Die Ex-Kollegen konnten es zunächst nicht glauben, doch als sie sahen, dass sich das über das gesamte nächste Halbjahr hinzog, war klar: Da war bei ihr wohl noch eine Rechnung offen – welche auch immer… ◄
Literatur Agentur für Arbeit: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt-Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich, Herausgeberin: Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg 2020. S. 10–13 Alf-Jähnig, Rainer; Hanke, Thomas; Preuß-Scheuerle, Birgit: Teamcoaching. Konzeption, Methoden und Praxisbeispiele für den Teamcoach, 3. Auflage, managerSeminare Verlags GmbH, Bonn 2013 Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Dudenredaktion (o. J.): „Bewerber“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/22005/revision/22034 Abrufdatum: 01.05.2020 Grunau, Philipp; Mackeben, Jan; Wolter, Stefanie; neues Handeln GmbH: Monitor. Altersdiversität in Betrieben. Aktuelle Ergebnisse einer Betriebs- und Beschäftigtenbefragung, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin 2018 Kappel, E. M.; Klein, K. : Analyse der beeinflussenden Faktoren auf die Arbeitsplatzwahl bei Berufseinsteigern der Pflege. Eine standardisierte deskriptive Studie in ausgewählten Pflegebildungseinrichtungen. Masterthesis. Katholische Hochschule KatHO NRW, Fachbereich Gesundheitswesen, Köln 2012 Parment, Anders: Die Generation Y. Mitarbeiter der Zukunft motivieren, integrieren, führen, 2. Auflage, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2013 Schlott, Isa: Führung 2.0 für Generation Y? Anforderung an die Führung der Generation Y. In: Das Krankenhaus im demographischen Wandel. Theoretische und praktische Grundlagen zur Zukunftssicherung, Herausgeber: Wolfgang Hellmann/Wolfgang Hoefert, medhochzwei Verlag, Heidelberg 2012. S. 201–214 Schmidt, Christian; Möller, Johannes; Windeck, Peter: Arbeitsplatz Krankenhaus: Vier Generationen unter einem Dach, Deutsches Ärzteblatt 2013 Jahrgang 110, Heft 19. Schüller, Anne M.; Fuchs, Gerhard: Total Loyalty Marketing. Mit begeisterten Kunden und loyalen Mitarbeitern zum Unternehmenserfolg, 4. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden 2007 Schulte, Karsten; Hauser, Frank; Kirsch, Johanna. Was macht Unternehmen zu guten Arbeitgebern? Empirische Befunde über die wichtigsten Determinanten einer erfolgreichen Unternehmenskultur, Wirtschaftspsychologie 2009, 11. Jahrgang, Heft 03. S. 17–30.
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Führung von altersgemischten Teams
Die Führung von altersgemischten Teams unterscheidet sich in den allgemeinen Führungsgrundsätzen nicht von denen eines altershomogenen Teams, daher werden diese zwar kurz beleuchtet, doch der Schwerpunkt liegt auf den Besonderheiten der generationsübergreifenden Führung. Für sie braucht es ein erweitertes Führungsrepertoire, denn erfolgreiche Führung von Beschäftigten unterschiedlichen Alters ist immer eine Kombination aus der Beachtung von generationaler Prägung, Alterungseffekten, Lebenssituationen und den individuellen Besonderheiten (Charakter etc.). Neben der Führung jedes einzelnen Mitarbeitenden muss auch das altersgemischte Team insgesamt geführt werden. Dafür sind Facetten wie Förderung der positiven Zusammenarbeit, aber auch frühzeitiges Erkennen von Mobbing und Vorurteilen relevant.
Das Anforderungsprofil an Vorgesetzte wächst nicht zuletzt deshalb kontinuierlich, weil Leistungsdruck und Aufgabendichte stetig zunehmen. Stationsleitungen sind dabei in einer besonderen Sandwichposition: Vielerorts leisten sie aufgrund des Personalmangels die gleiche Patientenversorgung wie die Pflegekräfte in ihrem Team und erfüllen „nebenbei“ noch ihre
Leitungsaufgaben. Dazu kommt, dass viele Pflegekräfte um ihren Wert für die Institution wissen und daher selbstbewusst von den Führungskräften einen echten Mehrwert fordern. Führung wird somit zunehmend als „Dienstleistung für Mitarbeitende“ verstanden.
9.1 Führung beginnt mit Selbstführung Bei den steigenden Anforderungen braucht es im wahrsten Sinn des Wortes „Führungs-kraft“. Und Kraft hängt größtenteils wiederum eng mit der eigenen Motivation zusammen. Bin ich Leitung, weil ich es will oder weil ich es die letzten Jahre oder sogar Jahrzehnte war? Ist es für mich inzwischen mehr Frust als Lust? Bringe ich noch genügend Leidenschaft, Esprit und Kraft mit, um mein Team zu motivieren? Habe ich die Weiterbildung oder das Studium zwar erfolgreich abgeschlossen, entdecke jetzt aber, dass ich nicht wirklich als Leitung geeignet bin? Komme ich „auf dem Zahnfleisch“ zur Arbeit, will aber auf keinen Fall meinen Führungsstatus verlieren? Was müsste passieren oder an welchen Stellschrauben müsste ich drehen, um meine Kraft wieder „aufzutanken“? Zur Beantwortung dieser Fragen braucht es Selbstrefle-
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_9
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xion. Denn wer andere erfolgreich führen will, muss auch die Bereitschaft und Fähigkeit mitbringen, das eigene Denken, Können, Handeln und die Wirkung auf andere immer wieder zu hinterfragen. Der Managementvordenker Peter Drucker formulierte es so: „Wer sich selbst nicht führen kann, muss sich nicht wundern, wenn andere ihm nicht folgen.“ Das erinnert an die obligatorischen Flugzeugeinweisungen vor dem Start, bei denen man aufgefordert wird, erst sich selbst und dann den anderen zu helfen.
9.2 Die entscheidende Rolle der Führungsperson Fest steht, ob Teamkultur, Teamstimmung, Teamperformance, Arbeitsfähigkeit oder Fluktuation: Die Vorgesetzten tragen entscheidend zu gelingender, altersgemischter Teamarbeit bei. Auch die Arbeitszufriedenheit und damit die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten erhöhen sich, wenn Führungskräfte einen respektvollen Umgang pflegen, mit Konflikten konstruktiv umgehen können, gute organisatorische Fähigkeiten besitzen und ihre Beschäftigten einbinden. Nicht zuletzt diese Aspekte machen deutlich, dass dem Thema Führung insgesamt ein höherer Stellenwert eingeräumt werden muss. Dazu gehört auch, dass die „richtigen“ Personen in Führungspositionen sind, nämlich die, die das können und wollen. Nicht selten wird die Stelle der Stationsleitung oder Pflegedienstleitung an die nächst Ältere automatisch „vererbt“ oder mit einer Person besetzt, die sich als gute Pflegeperson erwiesen hat. Besitzt sie dazu noch Führungskompetenz, ist alles prima. Wenn nicht, mündet das meist in eine „Edelpflegekraft-Karriere“. Das bedeutet, sie übernimmt weiterhin Pflegetätigkeiten im großen Stil – nicht weil sie es aufgrund von Pflegepersonalmangel muss, sondern weil sie nicht loslassen kann – und versucht gleichzeitig, die Führungsangelegenheiten zu jonglieren. Doch eine gute Führungskraft
9 Führung von altersgemischten Teams
zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihr altersgemischtes Team wie eine Fußballmannschaft coacht und so aufstellt, dass sie das Team stimuliert, indem sie versucht, die Fähigkeiten jedes Teammitglieds herauszufordern und einzubinden. Sie selbst muss dafür nicht die Beste im Tor oder Sturm sein. Wichtig ist jedoch, dass sie eine integre Persönlichkeit ist, der mehr an der „Sache“ als an der Macht liegt. Nach Daniel Golman, einem klinischen Psychologen, der viele Jahre an der Harvard Universität lehrte, sind die besten Vorgesetzten Menschen, „die vertrauenswürdig, empathisch und beziehungsfähig sind und in deren Gegenwart wir uns ruhig, geschätzt und angeregt fühlen. Die schlechtesten sind distanziert, schwierig und arrogant; bei ihnen fühlen wir uns im besten Fall unwohl, im schlechtesten Fall sind wir verärgert“ (Goleman 2006). Und Ärger führt zu vielem, aber sicher nicht zu Spitzenleistungen. Wer sich fragt, was eine „perfekte“ Führungskraft auszeichnet, erhält in der populären Management-Literatur Lastwagenladungen voller Antworten. Dass es sich dabei eher um Wunschlisten als um real erfüllbare Tätigkeitsanforderungen handelt, machen auch Gellert und Nowak in ihrer etwas überspitzten Aufzählung deutlich: Die Führungsperson soll hochintelligent sein, aber nicht so brillant, weil sie sonst zu abgehoben ist. Sie soll sich gut durchsetzen können, muss aber einfühlsam sein. Sie soll dynamisch und gleichzeitig geduldig sein. Sie soll fließend kommunizieren können und ein guter Zuhörer sein. Entschlusskraft muss sie besitzen, aber bedächtig soll sie sein (Gellert und Nowak 2002). Statt nach dem Vollkommenen zu suchen und Idealvorstellungen hinterherzulaufen, sollten sich besonders die Perfektionisten unter den Führungskräften fragen, ob sie selbst nicht genau deshalb „perfekt“ sind, weil sie „imperfekt“ sind? Passend dazu lautete vor ein paar Jahren eine Kampagne des Modekonzerns Esprit „ImPerfekt“.
9.3 Führungsstil und Führungsverhalten
9.3 Führungsstil und Führungsverhalten Da wirkungsvolle Führung nicht im luftleeren Raum stattfindet, sind neben persönlichem Wollen und individuellem Können der Führungskraft auch die politischen, gesellschaftlichen und betrieblichen Rahmenbedingungen (Unternehmenskultur, Vorgaben, Prioritäten etc.) entscheidend. Grundsätzlich haben Führungskräfte direkte und indirekte Einflussmöglichkeiten auf Mitarbeitende. • Direkte Führung: ist beziehungsorien-
tiert und zeigt sich z. B. in persönlichen Gesprächen, Anerkennung und Wertschätzung. • Indirekte Führung: ist aufgabenorientiert und kommt bei der Gestaltung von Arbeits- und Ablauforganisation, Stellenbeschreibungen, Zusammensetzung von Teams etc. zum Tragen.
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Hinsichtlich Führungsstilen gibt es eine breite Palette, beispielsweise autoritär, laissez-faire, charismatisch, demokratisch oder agil, die sich ständig erweitert. Tendenziell führen ältere Leitungspersonen mit einem dominanteren Führungsstil, was sich für sie in ihrem Erleben über die Jahre auch bewährt hat. Die jüngeren Beschäftigen in Leitungsposition sind meist schon aufgrund ihres Alters und ihrer Sozialisation kommunikativer, teamorientierter und harmoniebedürftiger. Allerdings erlebe ich, wahrscheinlich genau wie Sie, immer wieder auch das pure Gegenteil: Jüngere, die ihr Team an der „kurzen Leine“ führen und ihre Entscheidungen durchdrücken, was nicht selten auch mit Unsicherheit zu tun hat. Und ältere Führungskräfte, bei denen Kommunikation groß geschrieben wird und die gemeinsam mit ihren Beschäftigten nach Kompromissen suchen. Ein Führungsstil, der für altersgemischte Teams empfohlen wird, ist die transformationale Führung (Eberhardt 2016), die eine Weiterentwicklung des Führens mit Zielvereinbarungen (trans-
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aktionale Führung) darstellt. Bass definiert sie in seinem Buch „The Handbook of Leadership“ so: „Transformationale Führung ist die Fähigkeit von Führungskräften, ihre Vorbildfunktion überzeugend wahrzunehmen und dadurch Vertrauen, Respekt, Wertschätzung und Loyalität zu erwerben. Die Mitarbeitenden werden intrinsisch motiviert und zur Veränderung (Transformation) ihres Verhaltens und ihrer Lern- und Leistungsbereitschaft inspiriert“ (Bass und Bass 2008). Der Erfolg dieser Führung wurde in der breiten Öffentlichkeit im Sommer 2004 sichtbar, als Jürgen Klinsmann als Bundestrainer die deutsche Fußballnationalmannschaft mit seinem Trainerstab übernahm und zum „Sommermärchen 2006“ führte (Kast 2014). Erfahrene Führungskräfte wenden Führungsstile nicht in Reinform an. Je nach Situation, Person und Team wählen sie mit Fingerspitzengefühl die beste Mischform. Denn es ist gut möglich, dass die einen Beschäftigten mutmachenden Zuspruch und emotionale Unterstützung benötigen und die anderen autoritäre Führung und klare Ansagen – und das in der gleichen Situation. Gutes Führungsverhalten lässt sich nicht in ein Schema pressen, sondern es kommt darauf an, dass die Führungskraft in der Lage ist, die direkten und indirekten Instrumente so individuell wie möglich auf das Gegenüber abzustimmen. Gerade in den Mehrgenerationen-Belegschaften braucht es Führungskräfte mit erweitertem Führungsrepertoire (Kast 2014). Unabhängig davon, wie der Führungsstil bezeichnet wird, bedeutet Leitung immer, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem die Mitarbeitenden nicht nur für eine Institution arbeiten, sondern ein Teil davon sein möchten. Dann erledigen sie ihre Aufgaben, weil sie das wollen, statt das nur zu müssen. Sie geben ihren Vorgesetzten ihr Maximum und erhalten andererseits das Maximum von ihren Vorgesetzten. Wer seine Beschäftigten jedoch nur als Erfüller einer Funktion betrachtet, die wie ein Besen in der Ecke stehen, um bei Bedarf hervorgeholt zu werden, der kann keine Spitzenleistungen erwarten. Denn dazu braucht es die Komponenten Können und Wollen. Als Führungsper-
9 Führung von altersgemischten Teams
son lautet dann die zentrale Frage: Wie kann ich dazu beitragen, dass jeder meiner Mitarbeitenden die beste Version von sich selbst ist? Dann werde ich als Leitungskraft zu einem Möglichmacher, der die Spielwiesengrenzen mit Regeln und Grenzen festlegt, klar kommuniziert und dann seine Leute spielen lässt. Dazu ist es auch wichtig, dass ich als Führungskraft weiß, was, wie und unter welchen Bedingungen meine Beschäftigten arbeiten. Um sich hier ein Urteil bilden zu können, brauchen Leitungspersonen immer wieder den Blick durch die Brille des Mitarbeitenden. Oder falls Sie Schuhe lieben: „Gehen Sie in den Schuhen des anderen.“ Apropos „in den Schuhen des anderen gehen“: Haben Sie schon einmal die Schuhe einer anderen Person getragen? Glück gehabt, wenn diese Person weder eine ausgeprägte Fußfehlstellung, Fußpilz oder Schweißfüße hatte… Doch im Ernst: wie machen Sie es? Benutzen Sie lieber Hintereingänge, um möglichst wenig Beschäftigten, Patienten etc. über den Weg zu laufen? Besuchen Sie doch mal Ihre Bewohner, begleiten eine Visite, verbringen Zeit im Empfang oder arbeiten für ein paar Stunden auf Station mit. Die Erfahrung zeigt: Das öffnet Herzen – bei den internen und externen „Kunden“. Und ganz nebenbei erhalten Sie wertvolle Informationen und Ideen, die Ihnen am grünen Tisch eher nicht eingefallen wären.
Beispiel
Der Geschäftsführer mehrerer Seniorenzentren lässt es sich nicht nehmen, regelmäßig auf den Stationen vorbei zu schauen. Bei diesem „Walk and Talk“ geht es ihm in keiner Weise um Kontrolle oder darum, dass er seinen Führungskräften nicht vertraut. Vielmehr möchte er durch diese Tuchfühlung weder den Kontakt zu seinen Beschäftigten an der Basis noch zu den Bewohnern verlieren. Wer neu ist, reagiert überrascht, wenn der oberste Boss beispielsweise plötzlich nach einem langen Bürotag im Nachtdienst auf Station vorbeikommt, um sich zu erkundigen, wie sich
9.4 Dienst- und Urlaubsplangestaltung
eine beschlossene Entscheidung über den Sachverhalt XY nun im „echten Leben“ auswirkt. Wer schon länger dort angestellt ist, weiß diesen Dialog sehr zu schätzen. ◄ Mitarbeitende, die einen Führungsstil nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ erleben und nicht sicher sein können, welche Reaktion wann erfolgt, erwarten im Zweifel immer das Schlimmste. Das führt dazu, dass sie kaum bereit sind, offen ihre Meinung zu sagen, neue Ideen einzubringen, kooperativ zusammenzuarbeiten oder die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern. Stattdessen sind sie angepasste „Ja-Sager“, gehen in eine freizeitorientierte Schonhaltung und kündigen innerlich. Die Androhung mit der „Peitsche“ führt zwar dazu, dass das Verhalten bzw. Tun verändert wird, doch nur so weit, dass es gerade so reicht, um einer Strafe zu entgehen. Und ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse sprichwörtlich auf den Tischen.
Beispiel
In einem Seniorenzentrum regiert eine Chefin mit strenger Hand – oder anders gesagt: die „Peitsche“ ist griffbereit. Ist sie bei Außenterminen, erfahren dank einer ausgeklügelten Kommunikationskette innerhalb kürzester Zeit die wichtigsten Abteilungen von dieser frohen Botschaft. Dreh- und Angelpunkt dafür ist eine Verwaltungsmitarbeiterin, deren Büro direkten Blick auf den Parkplatz der Chefin bietet. Die Mitarbeitenden der Verwaltung gehen oft sogar soweit, dass sie nach der „Freigabe“ im wahrsten Sinne des Wortes ihre Füße hochlegen, die „Nägel machen“ oder gemütlich zusammen Kuchen essen. Es ist filmreif zu beobachten, wie dank eingespielter Abläufe innerhalb kürzester Zeit der „normale“ Urzustand wieder hergestellt ist, wenn die Chefin wieder mit ihrem Auto auf dem Parkplatz eingetroffen ist. ◄
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9.4 Dienst- und Urlaubsplangestaltung Der Dienstplan ist für alle Pflegekräfte sehr bedeutsam, da er nicht nur ihren beruflichen, sondern auch privaten Tagesablauf enorm bestimmt. Damit ist der Dienstplan, genau wie der Urlaubsplan, einer der wichtigsten Motivationstreiber, aber auch ein Machtinstrument, und stellt somit eine zentrale Leitungsaufgabe dar.
Beispiel
In einem Team wird der Dienstplan von einer Mitarbeiterin geschrieben, deren Charakter und Attitude im Team häufig zu Konflikten führt. Entsprechend ist der Dienstplan alles, aber nicht fair. Warum die Leitung den Dienstplan nicht selbst schreibt? Sie nennt mir gegenüber Zeitgründe und führt außerdem an, dass es dieser Mitarbeiterin doch soviel Freude bereite und sie es ihr daher „nicht wegnehmen wolle“, zumal diese ja auch nur noch drei Jahre bis zu ihrem Rentenbeginn arbeiten würde. ◄ In der Next-Studie (nurses’ early exit study), einem europäischen Forschungsprojekt, wurden ca. 40.000 professionell Pflegende zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Pflegeberuf befragt. Hinsichtlich Dienstplanung ergab sie folgendes: „Die Organisation der Arbeitszeiten hat sich als erwartet wichtiger Faktor herausgestellt, der sowohl Burnout als auch Arbeit/Familie-Konflikt maßgeblich beeinflusst. Dabei beschreiben die Zufriedenheit über und die Einflussmöglichkeit auf die Dienstplangestaltung wesentliche Eckpunkte einer zeitgemäßen Dienstplanorganisation. Vor allem Unplanbarkeit und Unregelmäßigkeit sowie fehlende Einflussmöglichkeiten in der Dienstplanung scheinen negative Auswirkungen zu haben“ (Simon et al. 2005). Zusätzlich
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9 Führung von altersgemischten Teams
soll bei der Erstellung aus ergonomischer Sicht darauf geachtet werden, dass sehr frühes Aufstehen (vor 5 Uhr), kurze Dienstwechsel, Nachtdienste, zu viele Wochenenddienste hintereinander und „zerrissene Freizeit“ etc. vermieden werden. Denn diese Faktoren bedeuten für jeden Körper Anstrengung, wobei mit zunehmendem Alter die Belastung deutlich steigt. Auch das Privatleben und/oder andere außerberufliche Umstände sollen berücksichtigt werden – und das möglichst für alle Altersgruppen gleich fair: ob vierfache Mutter, Studentin mit berufsbegleitendem Studium, alleinerziehender Vater, Großmutter dreier Enkel, Ehemann einer Lehrerin, die nur in den Schulferien Urlaub nehmen kann, junger Singlemann mit großem ehrenamtlichen Engagement oder die Babyboomerin, die ihre Eltern pflegt. Wenn man bedenkt, welch hohe Anforderungen an den Dienstplan gestellt werden, und das bei meist dünner Personaldecke, ist es kein Wunder, dass er vielerorts ein sehr kniffliges Thema darstellt. Da es nahezu unmöglich ist, sämtliche Wünsche und Befindlichkeiten zu beachten, ist der Dienstplan daher immer ein Kompromiss aus betrieblichen Anforderungen, Wünschen der Beschäftigten und arbeitsrechtlichen Vorgaben bzw. Empfehlungen.
gedienstleitung nur die Möglichkeit, möglichst individuelle Lösungen zu finden. Insgesamt haben hier altersgemischte Teams einen echten Vorteil, denn die verschiedenen Altersgruppen haben tendenziell auch unterschiedliche Bedürfnisse und bieten so eine größere, flexiblere Bandbreite bei der „Bestückung“ der Dienste. So gibt es beispielsweise Ältere, die gern immer wieder mal ein paar Nachtdienste machen, denen aber die Frühdienste viel zu stressig sind. In manchen Institutionen erlebt derzeit der „geteilte Dienst“, der lange Zeit die übliche Arbeitszeit in der Pflege darstellte, wieder ein Comeback. Motive vonseiten der Träger sind meist ökonomischer Art und der zunehmende Personalmangel. Die Dienstzeiten (vormittags und nachmittags Dienst, dazwischen eine längere Pause) schränken die Möglichkeiten der Familienzeit und Freizeitgestaltung deutlich ein und bedeuten doppelte Wege zum Arbeitsplatz. Daher ist es nicht verwunderlich, dass diese Arbeitszeiten vor Jahrzehnten immer unpopulärer und deshalb nahezu überall abgeschafft wurden. Manche älteren Mitarbeitenden haben diese Zeiten als „golden“, weil für sie deutlich körperschonender, in Erinnerung und trauern daher diesen teilweise sogar hinterher. Warum also nicht, sofern organisatorisch möglich und sinnvoll, ihnen diese Dienstzeiten gewähren?
Beispiel
Eine Ärztin berichtete, dass sie und ihr Mann, ein Pfleger, beide im Schichtdienst einer Klinik arbeiten. Da sie trotz mehrmaligem Intervenieren keinen gemeinsamen Sommerurlaub genehmigt bekommen haben, ist das Ganze nun so geplant: Sie fährt mit den Kindern in das gemietete Ferienhaus nach Schweden vor und in der zweiten Woche kommt dann ihr Mann dazu. Nach einer Überschneidung von drei Tagen reist sie dann wieder zurück, während ihr Mann mit den Kindern die restliche Woche in Schweden bleibt. Im Anschluss an diese Schilderung fragte sie mich sichtlich erregt: „Können Sie sich vorstellen, wie wenig mich das für meine Arbeit motiviert?“ ◄ Fernab von Politik und Unternehmensführung bleibt auf der Ebene der Stationsleitung und Pfle-
Beispiel
Ein Pfleger bekommt in einer Stationsbesprechung beim Thema „Dienstplanerstellung“ von seinem Team Sätze zu hören wie: „Du kannst doch mehr Wochenenddienste übernehmen als wir, denn du bist jung, ledig und hast keine Kinder.“ Daraufhin meint er: „Vielleicht bin ich genau deshalb Single, weil ich ständig Überstunden, Nacht- und Wochenenddienste machen muss?!“. Wer meint, damit wäre die Sache erledigt gewesen, liegt leider falsch. Ins betroffene Schweigen hinein, legt ein Kollege ernsthaft nach: „Auf deinem Balkon oder in deiner Wohnung lernst du keine Frau kennen, aber im Dienst hast du eine breite Auswahl: Mitarbeiterinnen, Patientinnen, Angehörige…“ ◄
9.4 Dienst- und Urlaubsplangestaltung
Doch, es gibt sie auch: die Teams, die mit ihren Dienstplänen zufrieden sind. Entscheidende Kriterien dafür sind: • Verlässliche, langfristige, faire Erstellung des Dienstplanes frei von Sympathie und Senioritätsprivilegien (nach dem Motto „ich habe die älteren Rechte“). • Berücksichtigung von Mitarbeiterwünschen und -ressourcen. • Flexible Möglichkeit des Schichttausches der Teammitglieder untereinander nach festgelegten Kriterien, beispielsweise der Beachtung unterschiedlicher Qualifikationen. • Springer-Pools, um den Dienstplan auch bei akuten Krankheitsfällen möglichst aufrechterhalten zu können und damit den Pflegekräften eine höhere Verlässlichkeit zu bieten. • Beteiligung der Teammitglieder bei der Erstellung. Diesbezüglich höre ich in Consultings allerdings von konträren Erfahrungswerten: entweder großes Chaos und Unzufriedenheit oder hohe Zufriedenheit und Motivation. Für die Erstellung der Urlaubsplanung gilt in weiten Teilen, was bereits in den letzten Abschnitten für die Dienstplangestaltung beschrieben wurde. Hier noch zwei Beispiele, wie die Urlaubsplanung besser nicht laufen sollte:
Beispiel
In einem altersheterogenen Team eines Klinikums vollzieht sich die Urlaubsplanung seit Jahren auf einem sehr, sagen wir mal, besonderen Weg. Erste Wünsche kann jeder bereits im Vorfeld unverbindlich in einen Kalender eintragen und dann kommt es zum großen „Showdown“ im Privathaus einer Mitarbeiterin. Diese fährt ein Drei-Gänge-Menu auf und im Anschluss geht es dann an die gemeinsame Festlegung der Urlaube. Wer die meisten Wünsche erfüllt bekommt? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt… Und sollte beim einen oder anderen Ärger hochkommen, wird der mit einer im Anschluss gereichten Bowle schnell runtergespült. ◄
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Beispiel
In einem Seniorenzentrum taucht irgendwann im Spätherbst – keiner weiß den Tag oder die Stunde – ein Mitarbeiter des ortsansässigen Orthopädie-Fachgeschäftes auf allen Stationen auf, um als Werbegeschenk ihren doppelseitigen DIN A4-Papier-Kalender für das Folgejahr vorbeizubringen. Soweit so unbedeutend – denken Sie! In Wirklichkeit ist das jedoch der große Glücksmoment für alle Diensthabenden. Denn wer in diesen Kalender seine Urlaubswünsche zuerst einträgt, hat auch ziemlich große Chancen, dass sie erfüllt werden. Hier gilt das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. ◄
9.5 Transparenz – alles besser als der „Flurfunk“ Transparenz – was wörtlich aus dem lateinischen übersetzt soviel wie „Durchsichtigkeit“ bedeutet- ist ein Führungsaspekt, der häufig eine Nebenrolle zugewiesen bekommt. Doch die hat sie gar nicht verdient, denn immer da, wo Intransparenz herrscht, hat das enorme Auswirkungen auf (altersgemischte) Teams. Wie wichtig Durchsichtigkeit ist, sieht man schon daran, wie sehr uns eine verspiegelte Sonnenbrille beim Gegenüber irritiert, während uns durchsichtiges Brillenglas den vollen Durchblick verschafft.
Beispiel
Im Rahmen eines Klinikanbaus bat ein Klinikträger die Stationen und Abteilungen, die später dort einziehen, um konkrete Vorschläge, was in ihren Augen auf jeden Fall baulich etc. beachtet werden solle. Die Beschäftigten waren positiv überrascht, dass sie auf diese Weise eingebunden werden und schrieben daher hoch motiviert Konzepte und Pläne. Das Ganze spielte sich vor gut zwei Jahren ab und jetzt sind dort alle auf die bevorstehende Einweihung gespannt. Dann werden sie sehen, was von Ihren Ideen und
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9 Führung von altersgemischten Teams
Vorschlägen umgesetzt wurde, denn auch auf Nachfrage haben sie bisher weder ein „Danke“ noch eine Rückmeldung bekommen. Ganz anders gehen die Paketdienste vor. Sie machen in Sachen Transparenz oft vieles richtig. Indem wir ziemlich exakt verfolgen können, wo sich unser Paket gerade befindet, fühlen wir uns informiert und können uns darauf einstellen, wann wir das Paket in Händen halten werden. Ein Vorbild für gelungene Prozesskommunikation. ◄ Haben Beschäftigte den Eindruck, dass sie nicht alle für sie wichtigen Informationen haben oder diese zu spät bekommen, macht sich Verunsicherung und das Gefühl breit, nicht in ein Team oder die Institution eingebunden zu sein. Nach dem Motto: „Mir sagt mal wieder keiner was.“ Innerhalb kürzester Zeit beginnt dann das Spiel „Ich weiß etwas, das du nicht weißt“ und oft wird zusätzlich der berühmte „Flurfunk“ (heute wäre wohl „Flur- und Messenger-Funk“ korrekter) konsultiert. Die Folgen reichen von Verwirrung, Missverständnissen, Vertrauensverlust, Frustration, Spekulation bis hin zu Falschinformationen (Fake News). Und es ist diese brisante Mischung, die auf Dauer das Engagement und die Motivation des Personals sinken lässt. Was hilft? Transparenz! Der Fremdwörterbuch-Duden übersetzt Transparenz unter anderem mit „Deutlichkeit“, „Verstehbarkeit“ und „Erkennbarsein“. Und diese drei Wörter fassen gut zusammen, was Transparenz im besten Sinne meint: Es geht um klare, konkrete Aussagen, die das Gegenüber versteht und mit denen sich der Informationsgeber zu erkennen gibt. Die Kommunikationswege müssen so weit wie möglich gelenkt werden, damit Mitarbeitende die richtigen Informationen von der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt erhalten. Statt Informationen aus dem „Flurfunk“ oder der Zeitung sind Teamsitzung, Personalversammlung, Intranet, Mitarbeiterzeitschrift oder „schwarzes Brett“ der deutlich bessere und zielführendere Weg. Immer wieder fragen mich Stationsleitungen oder Pflegedienstleitungen, wie sie vorgehen sollen, wenn sie etwas wissen, aber noch nicht
darüber sprechen dürfen. Es ist knifflig, hier eine allgemeingültige Empfehlung herauszugeben, denn jeder Fall ist anders gelagert. Doch sobald etwas zu berichten ist – und sei es nur ein Zwischenschritt – sollte das zeitnah erfolgen. Und es ist der vertrauensvollere, ehrlichere Weg, wenn Sie auf Nachfrage Ihres Personals, ob Sie zu der Sache XY etwas wissen, antworten „Ja, aber ich darf noch nicht darüber sprechen. Doch ihr könnt euch sicher sein, sobald ich ‚grünes Licht‘ bekomme, werde ich euch sofort informieren.“
Beispiel
Während eines Projekts in einer Klinik erzählten mir zwei hochmotivierte, talentierte Mitarbeiter im Vertrauen, dass sie keinerlei Information haben, wie es mit ihrer Abteilung weitergehe, und dass trotz mehrmaligem Nachfragen „von oben“ keine Antwort zu bekommen sei. Frustriert planten sie daher die Klinik zu verlassen und bewarben sich bereits. Kurz darauf saß ich in einer Leitungsbesprechung dieser Klinik und staunte, als unter anderem über diese beiden Mitarbeiter als Hoffnungsträger für den Aufbau einer neuen Abteilung im geplanten Neubau, gesprochen wurde. Schade, dass die beiden nichts davon wussten – für die beiden Mitarbeiter und die Klinik. ◄
9.6 Weitere allgemeine Führungsaspekte Da der inhaltliche Schwerpunkt dieses Buches auf altersgemischten Teams liegt, wird nicht detailliert auf sämtliche allgemeine Führungsaspekte eingegangen. Daher stattdessen ein paar reflektierende Check-up-Fragen: • Nutzen Sie die „Weisheit der Vielen“ oder wissen Sie alles am besten? • Machen Sie Ihr Team zu Mitwissern? Oder heißt es bei Ihnen: Wissen ist Macht!? • Bedeutet Kommunikation bei Ihnen Monolog oder Dialog?
9.7 Generationenführung
• Heißt es bei Ihnen bzw. in Ihrem Team „Ich-zuerst“ oder gibt es ein „Wir-Gefühl“? • Sorgen Konflikte für große Krisen oder werden sie auch als Chance gesehen? • Wie sieht es bei Ihnen hinsichtlich Fehlerkultur aus (siehe Kap. 13)? • Gibt es bei Ihnen „Chef-Zeit?“ Im Englischen gibt es nur ein Wort für Gegenwart und Geschenk: Present. Ein gegenwärtiger Moment in Liebe ist das eigentliche Geschenk. Dieses Präsent ist gratis, nicht übertragbar und vor allem „vom Umtausch ausgeschlossen“ (von Hirschhausen 2012). • Sind Sie ein gutes Vorbild? Oder anders gefragt: Heißt es bei Ihnen „Walk the Talk“ oder weichen Sie in Ihrem eigenen Tun von dem ab, was Sie von Ihren Beschäftigten verlangen oder ihnen angekündigt haben? • Nutzen Sie als Pflegedienstleitung oder Mitglied der Pflegedirektion lieber Hintereingänge und „verschanzen“ sich in ihrem Büro? Oder suchen Sie immer wieder bewusst den Kontakt für kurze Gesprächssequenzen mit den Pflegekräften? Oft reichen bereits kleine Gesten oder allein schon ein kurzer Blickkontakt. Idealerweise geschieht dieses „Management by walking and talking around“ dann nicht als Kontroll-Rundgang oder aus einer Verpflichtung heraus, sondern aus echtem Interesse und Wertschätzung. • Wie denken Sie über kleine, positive Überraschungen für Ihre Mitarbeitenden? Geschenke erhalten die Freundschaft, sagt der Volksmund, und sie motivieren, loyalisieren und geben das Gefühl von „Ich bin gesehen“. Gründe gibt es genügend und Möglichkeiten des Ausdrückens von ehrlich gemeinter Wertschätzung, Dankeschöns oder der Freude an der gemeinsamen Teamarbeit ebenso. Von dem kühlenden Wasserspray an heißen Tagen bis zur von Hand geschriebenen Geburtstagskarte vom Vorgesetzten ist sehr vieles möglich – auch mit kleinem Budget. • Vermeintliche „Kleinigkeiten“, über die man schnell hinweggeht: Wie sieht es bei Ihnen hinsichtlich Wertschätzung, Vertrauen, Dank (Für ein „Danke“ braucht es kein Budget!), Großzügigkeit, Entschuldigungen, Spielräume,
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Integrität, Fröhlichkeit, Offenheit, Informationsfluss, permanentem Lernen und einer Feedback-Kultur (von „oben“ nach „unten“ und andersherum) aus?
9.7 Generationenführung Erfolgreicher Generationenführung gelingt es, die Unterschiedlichkeit zum Vorteil zu nutzen. Was sich so leicht liest, ist eine echte Herausforderung, denn je altersgemischter die Zusammensetzung, desto anspruchsvoller ist die Führungsaufgabe, da verschiedene Prägungen, Lebensphasen, Alterungseffekte, Hintergründe, Kompetenzen und Ansprüche integriert werden müssen. Manche gehen sogar so weit zu sagen, dass wir derzeit fünf verschiedene Generationen in den Unternehmen haben, die noch nie mit so unterschiedlichen Vorstellungen in Bezug auf den Wert und die Gestaltung von Arbeit miteinander auskommen mussten (Kast 2014). Auch die Rollen haben sich verändert: Der Vorgesetzte von heute ist höchstens „primus inter pares“, „Erster unter Gleichen“ (Schüller und Fuchs 2007) und als Vorbild, Coach und Mentor gefordert. Führungsfacetten, die für altersgemischte Teams besonders bedeutsam sind: • Schaffen geeigneter Rahmenbedingungen • Unternehmenskultur, die Altersvielfalt in Teams und im Unternehmen insgesamt fördert (siehe Kap. 7). • Förderung der positiven Zusammenarbeit aller Generationen (Wegge und Schmidt 2015) • Schulung und Begleitung der Führungskräfte von altersgemischten Teams • Mobbing und Vorurteile frühzeitig erkennen sowie gezielt und überlegt intervenieren • Beteiligung aller Altersklassen an Entscheidungen, die die Arbeit betreffen (Wegge und Schmidt 2015) • Bereitschaft zu und Suche nach flexiblen und individuellen Lösungsmöglichkeiten • Offene An- und Aussprache unterschiedlicher Ansichten, Bedürfnisse und von Unstimmigkeiten
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9 Führung von altersgemischten Teams
• Fairness im Umgang mit den verschiedenen Altersgruppen – weder Bevorzugung noch Benachteiligung (Wegge und Schmidt 2015) • Gleiche Möglichkeiten aller Beschäftigten, neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben (Wegge und Schmidt 2015) • Berufliche Stärken der einzelnen Teammitglieder in den Vordergrund stellen (Wegge und Schmidt 2015) • Generationsspezifische Führung
• Wie erkenne ich frühzeitig Vorurteile und Mobbing und wie interveniere ich? • Wie schaffe ich ein Betriebsklima, in dem jedes Teammitglied die Stärken eines anderen schätzt und die Schwächen toleriert beziehungsweise „ausbügelt“?
Entscheidend ist, dass es immer um alle Generationen geht, denn es gibt mittlerweile viele Schulungsangebote (für Führungskräfte), die den Umgang mit der Generation Y betreffen, und aktuell bekomme ich Schulungsanfragen bezüglich der Generation Z. Die halte ich durchaus auch, finde es aber gleichzeitig wichtig, die anderen Generationen inhaltlich mit einzubeziehen, denn die jüngeren Generationen stellen in den Teams nur einen gewissen Prozentsatz dar. Interessanterweise habe ich noch nie eine Anfrage bekommen oder eine entsprechende Ausschreibung gesehen, die sich inhaltlich ausschließlich mit der Generation X oder der Generation Babyboomer beschäftigt. Die Sonderstellung der jüngeren Generationen ist nachvollziehbar, doch sie brauchen weder „Welpenschutz“, noch muss vor ihnen gewarnt werden.
Mittlerweile existieren die verschiedensten (Lehr-)Meinungen darüber, welche Führungspräferenz welcher Generation zugeschrieben wird. Studiert man diese intensiver, wird deutlich, dass sie sich teilweise grob widersprechen und andererseits häufig allgemeine Führungsaspekte einer bestimmten Generation zugeordnet werden. So wünschen sich beispielsweise nach Meinung vieler Autoren die Jüngeren viel Anerkennung, Vertrauen und Kommunikation auf Augenhöhe. Doch wollen das nicht alle Altersgruppen? Genauso wie Feedback (am liebsten natürlich positives), Selbstbestimmung, Work-Life-Balance und die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Doch während Ältere ein anderes Verhältnis zu Autoritäten haben und sich eher zurückhalten und mit Gegebenheiten arrangieren, tragen die jüngeren Generationen ihre Ansprüche in die Arbeitswelt und fordern sie ein. Da es bei der Führung von altersgemischten Teams immer um Individuen geht, braucht es eine differenzierte Betrachtung von Mensch und Situation, wobei die Beachtung von Generationsspezifika helfen kann, Handlungen zu verstehen oder Lösungen zu finden (Eberhardt 2016). Frau Prof. Dr. Bruch, Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement in St. Gallen, und ihr Team gehen davon aus, dass ein Ansatz der generationalen Führung sinnvoll ist, der sowohl die generationale Prägung, die Lebenssituation als auch Alterungseffekte des einzelnen Mitarbeitenden berücksichtigt. Daher kann es ihrer Auffassung nach „zu einer erfolgreichen Führungsbeziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden unterschiedlicher Generationen
Bei aller Führung: Der Geführte, unabhän-
gig zu welcher Generation er gehört, muss selbst gehen – weder Kinderwagen noch Rollator werden benötigt (siehe Kap. 4). Fragen zur Selbstreflexion (Kast 2014): • Aus welchen Generationen setzt sich das Team zusammen? • Welche Bedürfnisse, Erwartungen und Ziele haben die Einzelnen? • Wie gehe ich als Führungskraft auf die individuellen Bedürfnisse der Teammitglieder ein? • Gibt es generationsbedingte Konfliktpunkte? Und wenn ja, wie agiere ich als Führungskraft?
9.7.1 Spezifische Leitung Jüngerer und Älterer
9.7 Generationenführung
einzig kommen, wenn es zu einer Übereinstimmung zwischen generationalen Führungspräferenzen der Mitarbeitenden und dementsprechend angepasstem Führungsverhalten der Vorgesetzten kommt. Ausschließlich mit einem solchen individuell angepassten Führungsstil kann es gelingen, den Bedürfnissen der verschiedenen Generationen gerecht zu werden und damit ihre unterschiedlichen Potenziale und Stärken zur Entfaltung zu bringen“ (Bruch et al. 2010). Erfolgreiche Führung ist eine Kombina-
tion aus der Beachtung von generationaler Prägung, Lebenssituation, Alterungseffekten und individuellen Besonderheiten (Charakter etc.). Da es sich um eine Kombination handelt, können auch nur tendenzielle Empfehlungen für die Führung der verschiedenen Altersgruppen gegeben werden. Alles andere ist Instinkt und setzt Freude am Führen, eine große Portion Empathie und Mut, auch mal zu scheitern, voraus. Jüngere Bedingt durch ihr zwar hohes Fachwissen, aber ihrer geringen Lebens- und Arbeitserfahrung brauchen sie eine starke, direkte Führung und regelmäßige (und „regelmäßig“ meint nicht das jährliche Mitarbeitergespräch) Feedbacks über die eigene Leistung. Dazu kommt, dass sie durch den erlebten Erziehungsstil, aber auch (soziale) Medien gewöhnt sind, Rückmeldung zu erhalten und zu geben. Nichts anderes erwarten sie daher im Arbeitsleben. Dazu meint Fußball-Bundestrainer Joachim Löw: „Die jüngere Generation wünscht sich mehr Kommunikation, die Spieler heute haben eine Meinung und sagen sie auch. Heute kommt auch mal ein 20-jähriger Spieler zu mir und sagt: ‚Trainer, ich sehe das anders als Sie.‘ Sie wollen Gründe und mitgenommen werden. Das hätte ich mich früher als Spieler gegenüber meinem Trainer nicht getraut. Finde ich positiv“ (Straten et al. 2017).
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Die Generationen Y und Z erhielten be-
reits in ihrer Kindheit im Verhältnis zu den Vorgängergenerationen die Maxi-Portion an Lob. Das wirkt sich insofern auch auf ihre Arbeitsweise aus, als dass sie sich häufige Rückmeldung, am liebsten natürlich positive, zu ihrem Tun wünschen. Insgesamt wissen sie um ihren Marktwert, was sie selbstbewusst auftreten lässt. Dazu kommt, dass aus ihrer Sicht ältere Teammitglieder oder Vorgesetzte nicht mehr von vornherein, nur aufgrund des Alters oder eines Amtes, Autorität besitzen. Stattdessen müssen sie erst mit Kompetenz, Authentizität und „Vorbildsein“ überzeugen. Umgekehrt wird die Autorität jüngerer Beschäftigter in Führungspositionen oft von den älteren ebenfalls nicht von vornherein anerkannt. Führung mit Kommando und Kontrolle schätzen sie nicht, sondern vielmehr individuelle Beachtung und Förderung (Eberhardt 2016). Zuspruch, Aufmerksamkeit und Unterstützung setzen sie im Arbeitsleben als selbstverständlich voraus, weil sie es von ihrer eigenen Erziehung her so gewohnt sind (Rodenstock 2016). Sie suchen in ihrem Privat-, aber auch im Berufsleben nach Ankern. Fürsorgliche Vorgesetzte und freundliche Teammitglieder können ihnen Orientierung bieten und ein Gegengewicht zum Entscheidungsdruck in der Multi-Optionsgesellschaft darstellen (Klaffke 2014). Um bei den jüngeren Beschäftigten Höchstleistungen und eine emotionale Bindung an das Unternehmen zu fördern, ist es relevant, dass Vorgesetzte die individuellen Werte, Normen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden stärker berücksichtigen und somit Führungsbeziehungen höchst individuell und partnerschaftlich gestalten (Klaffke 2014). Manche sprechen in diesem Zusammenhang bereits vom „In loco parentis“-Management: Vorgesetzte als führender Familienersatz. Auch das Aufzeigen von Entwicklungschancen und Mentoringprogrammen (siehe
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Absch. 17.6) fördert die Mitarbeiterbindung der Jüngeren. Kerstin Bund fasst die Rolle von Vorgesetzten in ihrem Buch „Glück schlägt Geld“ als Vertreterin der Generation Y so zusammen: „Wir brauchen kein Alphatier, das sein Ego vor sich her trägt wie das Känguru seinen Beutel. Wir wollen einen gebildeten, keinen eingebildeten Chef. Einen Vorgesetzten, von dem wir etwas lernen können. Wir wünschen uns aber nicht nur einen Chef, auf den wir stolz sein können, sondern auch eine Arbeit, die Sinn stiftet“ (Bund 2014). Apropos „Sinnstiftung“: Im Vergleich zu anderen Branchen hat die Pflege hinsichtlich Sinnhaftigkeit ein riesiges Spektrum zu bieten. Doch die Frage ist: Wird dieser Trumpf, auch hinsichtlich Personalgewinnung, schon voll ausgespielt? Ältere Der einzig hochsignifikante Faktor zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeitender (51. bis 62. Lebensjahr) stellt laut den Forschungsergebnissen einer finnischen Längsschnittstudie zu Alter und Arbeitsfähigkeit gutes Führungsverhalten und gute Arbeit der Vorgesetzten dar (Ilmarinen und Tempel 2002). Detaillierte Studien haben gezeigt, dass es aus Sicht von älter werdenden Beschäftigten vier Führungsqualitäten für Vorgesetzte gibt (Ilmarinen und Tempel 2002):
9 Führung von altersgemischten Teams
ältere Beschäftigte nicht nur „von oben“, sondern auch von den Teammitgliedern. Gerade wegen dieser Kompetenzen erwarten sie, in Entscheidungsfindungen und Change-Management-Prozesse eingebunden zu werden. Das ist besonders für jüngere Führungskräfte von hoher Bedeutung, um als Leitungsperson von den älteren akzeptiert zu werden. Auch die Förderung der Weitergabe von Berufserfahrungen älterer an jüngere Beschäftigte dient in vielen Fällen für ältere als Anerkennung und ist gleichzeitig ein Gewinn für die jüngeren (siehe Abschn. 17.4). Vor allem der körperliche Abbau Älterer muss respektiert werden und gleichzeitig gemeinsam mit jedem einzelnen Mitarbeiter nach individuellen, passgenauen Möglichkeiten gesucht werden, um die Arbeitsfähigkeit möglichst lange zu erhalten (siehe Kap. 4).
Beispiel
Eine 63-jährige Stationsleitung äußerte, dass sie sich mit ihrem Team sehr gut verstehe, aber es schade finde, dass die Jüngeren ihr Alter nicht ernst nähmen. Auf meine Frage, woran sie das festmache, meinte sie, dass die Jüngeren oft zu ihr sagen: „Du bist doch nicht alt.“ Im Dialog mit dem Team stellte sich heraus, dass die Jüngeren das ausschließlich wertschätzend und anerkennend meinten. ◄
• Eine aufgeschlossene, nicht stereotype Einstellung gegenüber dem Alter • Bereitschaft zur Kooperation • Fähigkeit zur individuellen Arbeitsplanung • Gute Kommunikationsfähigkeiten
9.7.2 Junge Führungsperson und mittlere, ältere Teammitglieder – eine besondere Führungskonstellation
Bei einer Ehrung von Beschäftigten, die zwanzig Jahre und länger im Unternehmen beschäftigt sind, sprach der Geschäftsführer in seiner Rede von „Erfolgsgaranten“. Er erklärte das damit, dass jeder Jubilar im Laufe der Jahre zum Erfolg des Klinikums beigetragen hätte. Denn es seien immer die Menschen, die ein Unternehmen ausmachen und ihm ein Gesicht gäben. Diese Wertschätzung und Anerkennung für ihre Arbeits- und Lebenserfahrung wünschen sich
In der heutigen Arbeitswelt hat eine Umkehrung des Senioritätsprinzips stattgefunden. Das bedeutet, dass nicht mehr zwingend der Ältere die Jüngeren führt. Diese neue Konstellation ist besonders konfliktgefährdet, da sie nicht der traditionellen Ordnung entspricht, die sich über Jahrhunderte in unserer Gesellschaft entwickelt hat (Bruch et al. 2010). Inwieweit der Altersunterschied Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Beschäftigten und Führungskraft oder die
Literatur
Arbeitsleistung hat, wurde bisher nur in Ansätzen untersucht. Doch laut Wegge, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie, zeichnet sich ab, dass bei einer „Jung führt alt Konstellation“ negative Auswirkungen zu erwarten sind, da ältere Mitarbeitende über Probleme berichteten, die Anweisungen von jüngeren Vorgesetzten anzunehmen. Auch die jüngeren Führungskräfte seien von dem Rollenwechsel beeinflusst. So deuten erste Studienergebnisse an, dass jüngere Vorgesetzte von älteren Mitarbeitenden eher Widerstand als Kooperation erwarten und sich unwohl fühlen, wenn sie Anweisungen an Mitarbeitende geben, die im Alter ihrer Eltern oder Großeltern sind (Wegge und Schmidt 2015).
Beispiel
Bei einem Projekt lernte ich eine Führungskraft in den Zwanzigern kennen, die ein altersgemischtes Team von 80 Leuten führt. Sie musste seit ihrem Dienstantritt bereits einige unpopuläre Entscheidungen treffen, Umstrukturierungen initiieren und durchführen. Obwohl sie mit Abstand die Jüngste ist, genießt sie bei ihren Beschäftigten hohen Respekt und Anerkennung. Sie „spielt“ nicht damit, dass sie „so jung“ ist, sie verschweigt es aber auch nicht und fordert schon gar nicht einen „Kükenbonus“. ◄ Jüngere Führungskräfte besitzen zwar ihr „frisches“ Fachwissen aus Weiterbildung oder Studium, doch sie haben meist ein Erfahrungsdefizit. Diesbezüglich sind ihnen die langjährigen Beschäftigten voraus. Entsprechend ist die jüngere Führungsperson zu Beginn in vielen Fällen in der Rolle einer Lernenden. Nicht zuletzt deshalb sind überhebliches Auftreten, Ablehnen „niedriger“ Aufgaben oder ein autoritärer Führungsstil nicht angebracht. Stattdessen heißt es, klar und transparent zu kommunizieren, authentisch sein, Feedback und Ideen aller Altersklassen einholen, jüngere und gleichaltrige Teammitglieder nicht favorisieren oder gar bevorzugen, Erfahrene besonders bei wichtigen Entscheidungen mit „ins Boot holen“ und gleichzeitig deutlich machen, dass die Entschei-
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dung letztendlich von der Führungsperson getroffen wird. Das alles erfordert Zeit, Fingerspitzengefühl und kann sich am Anfang durchaus wie ein „Trainingslager“ anfühlen, bei dem auch Scheitern dazugehört. Besonders bei meinen Lehrveranstaltungen
für BWL-Studierende fasse ich es so zusammen: Kommen – schauen – mitarbeiten – wertneutrale Fragen stellen (z. B. zu Abläufen) – und danach kann die eigentliche Führung beginnen.
Literatur Bass, Bernard M.; Bass, Ruth: The Bass Handbook of Leadership: Theory, Research and Managerial Applications, New York 2008 Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Bund, Kerstin: Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen, 2. Auflage, Murmann Verlag, Hamburg 2014 Eberhardt, Daniela: Generationen zusammen führen. Mit Millennials, Generation X und Babyboomern die Arbeitswelt gestalten, Haufe-Lexware, Freiburg 2016 Gellert, Manfred; Nowak, Claus: Teamarbeit, Teamentwicklung, Teamberatung. Ein Praxishandbuch für die Arbeit in und mit Teams, Limmer Verlag, Meezen 2002 Goleman, Daniel: Soziale Intelligenz. Wer auf andere zugehen kann, hat mehr vom Leben, Droemer Verlag, München 2006 Hirschhausen, Eckart v.: Wohin geht die Liebe, wenn sie durch den Magen durch ist? Rowohlt Verlag, Hamburg 2012 Ilmarinen, Juihani; Tempel, Jürgen: Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben? Herausgeberin: Marianne Giesert im Auftrag des DGB-Bildungswerk e. V., VSA Verlag, Hamburg 2002 Kast, Rudolf: Herausforderung Führung - Führen in der Mehrgenerationengesellschaft. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-PracticeAnsätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 227–244 Klaffke, Martin: Millenials und Generation Z – Charakteristika der nachrückenden Arbeitnehmer-Generation. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Mar-
96 tin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 57–82 Rodenstock, Randolf: Generationen- und Wertevielfalt als Chance für die Wirtschaft. In: Neue Werte, neue Gesellschaft, neue Arbeitswelt? Die Generation von morgen, Herausgeber: Roman Herzog Institut e. V., Publikation Nr. 27, München 2016. S. 4–7 Schüller, Anne M.; Fuchs, Gerhard: Total Loyalty Marketing. Mit begeisterten Kunden und loyalen Mitarbeitern zum Unternehmenserfolg, 4. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden 2007 Simon, Michael; Tackenberg, Peter; Hasselhorn, HansMartin; Kümmerling, Angelika; Büscher, Andreas; Müller, Bernd Hans: Auswertung der ersten Befragung der
9 Führung von altersgemischten Teams NEXT-Studie in Deutschland, Universität Wuppertal 2005. https://www.next.uni-wuppertal.de Straten, Walter M.; Makus, Michael; Vomland, Vim: 5 Bundestrainer, 1 Interview! Der Rudi-Franz-Berti-Jogi-Klinsi-Gipfel. Ein Gespräch über Deutschland, Fußball, Vergangenheit und Zukunft, veröffentlicht am 22.06.2017 In: Bild-Zeitung 2017, Sonderausgabe. S. 22–24 Wegge, Jürgen; Schmidt, Klaus-Helmut: Diversity Management. Generationenübergreifende Zusammenarbeit fördern, Reihe: Praxis der Personalpsychologie Band 31, Herausgeber der Reihe: Heinz Schuler/Rüdiger Hossiep/Martin Kleinmann/Jörg Felfe, Hogrefe Verlag, Göttingen 2015
Motivation – was wird getan und warum
„Fähigkeit ist das, wozu du fähig bist. Motivation bestimmt, was du tust. Die Einstellung bestimmt, wie gut du es machst.“ Dieses Zitat, das dem ehemaligen US-amerikanischen Football-Trainer Lou Holtz zugesprochen wird, fasst in aller Kürze zusammen, wie bedeutend Motivation ist. Neben den individuellen Beweggründen etwas zu tun, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie vonseiten des Arbeitgebers die Motivation der einzelnen Beschäftigten, der Teams und des Unternehmens insgesamt gesteigert beziehungsweise auf hohem Niveau gehalten werden kann.
„Glückliche Kühe geben mehr Milch.“ Diese viel zitierte Bauernweisheit gilt, im übertragenen Sinn, auch im Berufsleben. Denn Menschen, die am Arbeitsplatz glücklich sind, arbeiten motivierter, gehen häufiger für Patienten die berühmte „Extra-Meile“, halten sich an Absprachen, identifizieren sich mit ihrer Arbeit, leben die Unternehmenswerte, sind innovativer, kreativer, akquirieren bei Bedarf neues Personal, das sie gut einarbeiten, und sie berichten in der Öffentlichkeit positiv über ihre Arbeit. Und das alles, weil sie es wollen – nicht weil sie es müssen. Zu dem Ergebnis kommt auch eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: „Personen mit großem Engagement sind typischerweise charakterisiert durch ein hohes Maß
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an Energie, Widerstandsfähigkeit, Bereitschaft zur Anstrengung, Beharrlichkeit, Hingabe zur Arbeit und Freude über intensive Arbeit“ (Grunau et al. 2018). Ob Klinik, Pflegeheim, Arztpraxis oder ambulanter Pflegedienst – es sind genau diese motivierten Pflegekräfte, die das eigentliche Kapital des Unternehmens darstellen.
Beispiel
Etwas verstohlen sagte mir eine Krankenschwester, die ich als sehr motivierte Person kennengelernt hatte: „Ich würde sogar umsonst arbeiten. Ja, ich habe soviel Freude bei meiner Arbeit, dass es mir fast unangenehm ist, dass ich dafür Geld bekomme.“ Und schmunzelnd fügte sie hinzu: „Aber sagen Sie das lieber nicht meinem Chef.“ ◄ Motivation ist ein bedeutender Faktor, doch ist er auch objektiv messbar? Der Gallup Engagement Index ist Deutschlands renommierteste und umfangreichste Studie zur Arbeitsplatzqualität. Mittels eines Befragungsinstruments wird untersucht, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung von Beschäftigten an ihren Arbeitgeber ist und damit ihr Engagement und die Motivation bei der Arbeit. Aus dem Gallup Engagement Index von 2018 (Nink 2018) geht folgendes hervor:
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_10
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10 Motivation – was wird getan und warum
15 % der Beschäftigten besitzen eine hohe emotionale Bindung und gehen ihrer Arbeit mit Hand, Herz und Verstand nach. 14 % der Beschäftigen haben keine Bindung und innerlich bereits gekündigt. 71 % (das sind fast 3 von 4 Beschäftigten) sind gering gebunden und machen lediglich Dienst nach Vorschrift. Marco Nink, der Verantwortliche für die Gallup-Studie vergleicht dieses Ergebnis mit einem Karren, den 15 Leute ziehen, auf dem 71 drauf sitzen und 14 Leute hinten bremsen. Diese Ergebnisse wirken ernüchternd und gleichzeitig spiegeln sie das wider, was mancher tagtäglich in seiner Abteilung erlebt. Gleichzeitig gibt es auch Beschäftigte jeden Alters, die sich mit Passion einbringen. Stellt sich die Frage, warum ist das so, und ist es möglich, noch mehr Mitarbeitende zu motivieren, den „Karren“ zu ziehen?
10.1 Was motiviert Menschen? Das medizinische Wörterbuch Pschyrembel (1998) definiert Motivation als „Bezeichnung für die Gesamtheit subjektiver Beweggründe im Sinne der Handlungsbereitschaft für ein bestimmtes Verhalten.“ Jeder Mensch hat also seine ganz eigenen Faktoren, die ihn zu seinem Verhalten motivieren. Statt Motivation nach dem „Gießkannenprinzip“ braucht es daher einen individuellen Motivatoren-Cocktail, dessen Zutaten beispielsweise Geld verdienen, helfen wollen, stolz sein auf Geleistetes, Selbstverwirklichung und Macht ausüben sein können.
Beispiel
Der Chefarzt einer großen Abteilung erhielt ein lukratives Jobangebot einer namhaften Klinik in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes. Warum er nicht motiviert annahm? Er erklärte es mir so: „Die finanzielle, personelle, technische und räumliche Ausstattung wären in der anderen Klinik besser, aber ich habe mir hier ein Pflege- und Ärzteteam aufgebaut, das nicht austauschbar ist.“ ◄
Neben den individuellen Motivatoren gibt es eine vielfältige Auswahl von Aspekten, die für einen Großteil der Beschäftigten motivierend wirken. Dabei wird deutlich, wie groß die Möglichkeiten des Arbeitgebers und der Vorgesetzten sind, auf die Motivation der einzelnen Beschäftigten, die (altersgemischten) Teams und das Unternehmen insgesamt Einfluss zu nehmen. Faktoren für eine höhere Motivation im Berufsleben: • Sicheres, unbefristetes und gut bezahltes Arbeitsverhältnis • Positive Arbeitsbeziehungen im eigenen Team • Hohe Führungsqualität der Vorgesetzten • Vorherrschende Unternehmenskultur • Freude bei der Arbeit Im subjektiven Erleben der Beschäftigten scheint Spaß an und in der Arbeit sehr häufig eine wichtige Qualität sehr guter Arbeitgeber zu sein (Hauser und Schulte-Deußen 2014). In diesem Sinne: „It‘s okay to have fun“ • Anerkennung, Wertschätzung und Lob • Vorbilder (siehe Abschn. 17.5) • Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (Work-Life-Balance) • Verbundenheit mit dem Unternehmen und der eigenen Tätigkeit (Commitment) • Möglichkeit, altersspezifische Fähigkeiten einzubringen Die generelle Arbeitsmotivation von Mitarbeitenden hängt stark davon ab, ob diese entsprechend ihrer altersspezifischen Fähigkeiten und Stärken eingesetzt werden. Wenn älteren Beschäftigten Aufgaben übertragen werden, die sie aufgrund veränderter physischer und psychischer Fähigkeiten nicht mehr gut bewältigen können, führt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem sich selbst verstärkenden negativen Effekt hinsichtlich der Motivation. • Sinnhaftigkeit der Tätigkeit Es geht nicht nur um „fame and glory“ (Ruhm und Ehre), sondern auch darum, dass das eigene Tun Sinn stiftet und Überzeu-
10.1 Was motiviert Menschen?
gungen gelebt werden können. Hier hat die Pflege grundsätzlich einen entscheidenden Vorteil zu vielen anderen Branchen. Bei Projekten in der freien Wirtschaft erlebe ich immer wieder, wie frustriert Mitarbeitende sind, die oft monatelang intensiv an einem Projekt gearbeitet haben, das dann, warum auch immer, nicht realisiert wird. • Möglichkeit, die eigene Arbeit positiv zu beeinflussen (Job Crafting) • Sichtbarmachung der eigenen Arbeit Eine entscheidende Rolle spielt auch, dass Fortschritte und positive Ergebnisse sichtbar gemacht werden. Stellen Sie sich vor, sie stellen tagtäglich in einer Bäckerei Kuchenteig her, dürfen aber nie den fertigen Kuchen sehen, geschweige denn probieren. Wie lange hätten Sie wohl Freude an der Teigherstellung? • Ermutigung Wir sind als Menschen zu vielem fähig, doch nicht jeder traut sich immer alles zu. Manchmal braucht es daher jemanden, der einem Mut zuspricht. Und in einem Team mit Generationenmix kann dies ein erfahrener Hase genauso sein wie ein junger Hüpfer. Ermutigung kann auch durch ein nüchternes Schild erfolgen, wie dieses, das im österreichischen Gaistal zu finden ist. Die Strecke bis zu diesem Schild verläuft auf einem stetig aufwärtsgehenden, breiten Forstweg. Dann kommt eine Weggabelung, an der dieses
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Schild steht: Beide Wege führen zur Hämmermoosalm: Nach links setzt sich der bisherige breite und moderat ansteigende Forstweg fort, während nach rechts ein kleiner, steiler Wanderpfad beginnt. Wie denken Sie, reagieren viele Wanderer, wenn sie dieses Schild lesen? Manche entscheiden sich tatsächlich spontan für den Wanderpfad und lassen sich von der Aussage „nur 150 m steil“ ermutigen. Nicht selten hört man dann durch den Wald „1, 2, 3,…“ schallen. Sie ahnen wahrscheinlich schon warum: Manche lassen es sich nicht nehmen, anhand ihrer Schrittlänge mitzuzählen, ob die Aussage mit den 150 m auch tatsächlich stimmt. Und ja, sie ist korrekt. Die Ermutigung und das dazugehörige Vertrauen hat sich also positiv bestätigt. u Metaanalysen zeigen, dass es nicht nur fi nanzielle oder materielle Anreize sind, die stark wirken (Stajkovic und Luthans 1998), sondern es ist vielmehr eine Kombination aus verschiedenen positiven Reizen, die die höchsten Werte erzielt (Stajkovic und Luthans 2003). Steve Jobs, Mitgründer und langjähriger CEO von Apple, hatte seinen ganz eigenen Motivationsstil. Manche Beschäftigte berichten, dass er oft motivierte, indem er auf die größeren Zusammenhänge hinwies. Hier ein Beispiel: Larry Kenyon, der Entwickler des Macintosh-Betriebssystems
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von Apple, bekam eines Tages Besuch von Steve Jobs in seinem Büro. Der beklagte sich, dass der Rechner zu lange zum Hochfahren brauche. Kenyon begann zu erklären, warum das so war, aber Jobs unterbrach ihn: „Wenn du jemandem das Leben retten könntest, indem der Rechner zehn Sekunden schneller hochfährt, würdest du es dann hinbekommen?“, wollte er wissen. Kenyon gestand ein, dass es wahrscheinlich möglich sei. Jobs trat an eine Wandtafel und rechnete ihm vor, dass zehn Sekunden Extrazeit zum Starten des Computers pro Tag bei etwa fünf Millionen MacUsern jedes Jahr allein 300 Mio. Stunden ausmachten, was ca. 100 Menschenleben entsprach, die er pro Jahr retten könne. Larry war ziemlich beeindruckt und einige Wochen später hatte er die Startzeit des Betriebssystems um 28 Sekunden verkürzt (Isaacson 2011).
Beispiel
Sicherlich kennt jeder die Arbeitssituationen, in denen die Rahmenbedingungen ziemlich knifflig, um nicht zu sagen katastrophal, sind: Pflegepersonal-Ausfälle, Notbesetzung, Wochenenddienste, Nachtdienste, Material- oder Wäscheengpass, überbelegte Abteilung etc. Doch gerade in diesen Notsituationen ist der Zusammenhalt der Diensthabenden oft sehr hoch, was wiederum die einzelnen Beschäftigten motiviert. Und so ist es unglaublich, was erreicht werden kann, wenn motivierte Pflegekräfte auf motiviertes Personal aus Medizin, Patientenaufnahme/Verwaltung, Küche, Labor usw. treffen. Kurz: wenn die „Richtigen“ gemeinsam Dienst haben. ◄
10.2 Intrinsische und extrinsische Motivation Intrinsische (Latein intrinsecus = von innen, inwendig) Motivation bedeutet ein in der Person liegendes Interesse, Neugier oder Werte, die diese dazu bewegt, etwas zu tun. Das zeigt sich beispielsweise in einem tiefen Involviertsein in die Arbeitstätigkeit oder dem „Aufgehen“ im Sporttreiben. Die Motivation liegt in der
10 Motivation – was wird getan und warum
Tätigkeit selbst, wodurch kein Steuerungsinstrument von außen benötigt wird. Intrinsische Motivation ist besonders bei komplexen Tätigkeiten wirksam, die ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Kreativität und Autonomie erfordern, und wirkt sich vor allem auf die Qualität der Arbeit aus (Cerasoli et al. 2014). Diese Qualität ist im Gegensatz zur Quantität deutlich aufwendiger zu messen, zu kontrollieren, zu steuern und zu belohnen. Die extrinsische (Latein extrinsecus = von außen, äußerlich) Motivation wird durch äußere Faktoren wie materielle Belohnung, Bestrafung, Überwachung oder soziale Bewertungen (Tadel, Noten, Ansehen etc.) angestoßen. Extrinsisch motiviertes Verhalten ist häufig unmittelbar abhängig von äußeren Kontroll- und Steuerungsinstanzen und erlischt, wenn diese wegfallen. Sie wirkt sich am positivsten bei eher unbeliebten Aufgaben, sinnlos erscheinenden Tätigkeiten oder eintönigen Routinearbeiten, die wenig Selbstständigkeit und Handlungsspielraum ermöglichen, aus. Da sich diese Tätigkeiten häufig auf die Quantität auswirken, lassen sie sich gut (von außen) messen, kontrollieren und steuern – auch hinsichtlich Motivation.
Beispiel
Einem Mitarbeiter der wiederholt unpünktlich zum Dienst kommt, wird von der Vorgesetzten eine Abmahnung angedroht. Da sich der Mitarbeiter sicher sein kann, dass die Abmahnung im Falle einer erneuten Verspätung auch konsequent erfolgt, wird er extrinsisch motiviert, künftig pünktlich zu sein. ◄ Extrinsische und intrinsische Motivation schließen sich nicht zwangsläufig aus, vielmehr sind es oft positive Synergien. Ein Beschäftigter kann beispielsweise den Wunsch nach angemessener Bezahlung sowie Anerkennung und gleichzeitig Freude an der Arbeit an sich haben. Manche Tätigkeiten werden aus extrinsischen Motiven begonnen und während des Tuns aufgrund intrinsischer Anreize weitergeführt. Wertet man mehrere tausend Untersuchungen in einer Metaanalyse aus, so haben extrinsische und
Literatur
intrinsische Motivation im Durchschnitt etwa den gleichen Einfluss auf die Leistung (Cerasoli et al. 2014). In der Literatur wird die intrinsische Motivation oft den älteren Generationen und die extrinsische den jüngeren zugeordnet. Der Blick ins „echte Leben“ zeigt, dass es auch hier Sinn macht, die individuelle Person statt einer starren Alterszuordnung zu betrachten. Denn ja, es gibt sie, die älteren Mitarbeitenden, die aus Leidenschaft, Spaß und Neugier an ihrer Tätigkeit bis zum letzten Tag, und manchmal sogar darüber hinaus, hoch motiviert arbeiten. Doch dann sind da die gleichaltrigen Beschäftigten, die nur noch „wegen dem Geld“ arbeiten und die Monate und Tage zählen, bis sie endlich aufhören können. Im letztgenannten Fall kann beim besten Willen nicht mehr von intrinsischer Motivation gesprochen werden.
Beispiel
Die Pflegedienstleitung eines Klinikums sah in einer Pflegeperson das Potenzial, zukünftig als Stationsleitung zu arbeiten. Als sie ihr das in einem Gespräch mitteilte und ihr jegliche Unterstützung während des Studiums anbot, reagierte die Pflegekraft alles andere als positiv. Der Grund? Sie liebe ihre Tätigkeit mit den Patienten so sehr, dass sie nichts anderes tun wolle, als diesen zu helfen. Daraufhin stellte die Pflegedienstleitung folgende Fragen: „Wie vielen Patienten können Sie an einem Tag helfen? Und wie vielen Patienten können Sie helfen, wenn Sie als Stationsleitung tätig wären?“ Nach ein paar Tagen sagte sie freudig zu. Hier hatte die Pflegedienstleitung gute Menschenkenntnis bewie-
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sen und erkannt, wo sich die richtige „Motivations-Stellschraube“ befand. Einige Jahre später traf ich erneut auf die Stationsleitung. Sie ist der Meinung: „Das war die beste Entscheidung“, und ich hatte den Eindruck, dass das auch ihr Team so sieht. ◄
Literatur Cerasoli, Christopher P; Nicklin, Jessica M.; Ford, Michael T.: Intrinsic motivation and extrinsic incentives jointly predict performance: a 40-year meta-analysis. Psychological Bulletin 2014, 140. Jahrgang, Heft 04. S. 1–29 Grunau, Philipp; Mackeben, Jan; Wolter, Stefanie; neues Handeln GmbH: Monitor. Altersdiversität in Betrieben. Aktuelle Ergebnisse einer Betriebs- und Beschäftigtenbefragung, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin 2018 Hauser, Frank; Schulte-Deußen, Karsten: Mitarbeiterengagement - Ergebnis von Generationen-Management und Erfolgsfaktoren für Unternehmen. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, GoodPractice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 107–134 Isaacson, Walter: Steve Jobs. Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers, 2. Auflage, Bertelsmann Verlag, München 2011 Nink, Marco: Engagement Index. Die neuesten Daten und Ergebnisse der Gallup-Studie, Redline Verlag, München 2018 Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch: „Motivation“, 258. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, Berlin/New York 1998 Stajkovic, Alexander D.; Luthans, Fred: Self-efficacy and work-related performance: A meta-analysis. Psychological Bulletin 1998, 124. Jahrgang, Heft 02. S. 240–261 Stajkovic, Alexander D.; Luthans, Fred: Behavioral management and task performance in organizations: Conceptual background, meta-analysis, and test of alternative models. Personnel Psychology 2003, 56. Jahrgang, Heft 01. S. 155–194
Anerkennung, Wertschätzung und Loben – ist doch alles das Gleiche, oder?
Auch wenn die drei Begriffe „Anerkennung, Wertschätzung und Loben“ zunächst identisch erscheinen, haben sie doch verschiedene Bedeutungen und lösen beim Gegenüber unterschiedliche Reaktionen aus. Anerkennung ist der Überbegriff für Wertschätzung und Loben. Während es stark komprimiert bei Wertschätzung darum geht, den anderen für das zu schätzen, „Wie“ er ist, steht beim Loben das „Was“ im Vordergrund. Wird Wertschätzung und Lob mechanisch, aus taktischen Gründen oder aus Pflichtgefühl heraus eingesetzt, „funktioniert“ das zwar (denken wir an den Pawlow'schen Hund), doch es ist nicht nachhaltig. Schon Goethe (frei zitiert) wusste: „Und spürt man Absicht, so ist man verstimmt.“ Ganz anders, ist es, wenn Wertschätzung und Lob aus Respekt, Wohlwollen und Bewunderung heraus geäußert und passgenau kombiniert werden. Das bringt dann nicht nur positive Effekte für die einzelnen Beschäftigten, sondern auch für die Teamperformance und hat damit auch eine betriebswirtschaftliche Relevanz.
Im Sprachgebrauch verwenden wir die Worte „Anerkennung“, „Wertschätzung“ und „Loben“ häufig als Synonyme. Schaut man sich jedoch die Begriffe näher an, wird deutlich, dass Anerkennung den Überbegriff für Wertschätzung und Loben darstellt.
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11.1 Anerkennung – entscheidende „Geheimzutat“ für Beziehungen Anerkennung geben zu können, setzt im wörtlichen Sinn voraus, dass ich kenne, was jemand tut, und das dann auch in meiner Rückmeldung benenne. Einer der häufigsten Sätze, die ich von Beschäftigten höre, ist dieser: „Die da oben (in der Teppichetage) sehen gar nicht, was ich hier alles mache.“ Daraus folgern nicht wenige von ihnen: „Wie es mir geht, interessiert keinen, ich bin ein kleines Rädchen im Getriebe, das nichts wert ist.“ Und nicht selten arbeiten sie dann auch irgendwann dementsprechend.
Beispiel
In einem Klinikum berichtete ein Team aus Reinigungskräften, Mitarbeiterinnen der Hauswirtschaft und Küche, dass sich manche der Leitenden Ärzte im Anschluss an Fortbildungsveranstaltungen persönlich bei ihnen für die Bestuhlung, das schön hergerichtete Buffet und die Sauberkeit bedanken. Dadurch fühlen sie sich „von oben“ in ihrem Tun gesehen – eben anerkannt. Und die nächste Veranstaltung? Dieses Team schaut ihr hoch motiviert entgegen. ◄ Anerkennung ist ein wichtiges menschliches Bedürfnis. Mark Twain meinte dazu: „Von einem
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_11
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11 Anerkennung, Wertschätzung und Loben – ist doch alles das …
guten Kompliment kann ich zwei Monate leben.“ Echte, authentische Anerkennung motiviert nicht nur, sondern verstärkt und verbessert Beziehungen und damit auch den Teamgeist. Dennoch gibt es nicht wenige, die dem Loben und Wertschätzen eher skeptisch gegenüber stehen. Denn sie haben die Vorstellung, dass unterlassene Anerkennung zu noch größeren Anstrengungen und Motivation beim Gegenüber führen. Manche sehen das Zeigen von Anerkennung aus dem Grund nicht ein, weil sie meinen, dass sie selbst auch nicht genug Anerkennung bekommen. Und wieder andere befürchten, dass das Gegenüber durch Anerkennung „Oberwasser“ bekommen könnte. Kein Wunder also, dass ich – von der Nordsee bis zu den Alpen – immer wieder dem Spruch „Nicht geschimpft ist schon genug gelobt!“ begegne. Meistens wird er im jeweiligen Heimatdialekt wiedergegeben. Hier mal die schwäbische Variante: „Net gschempft, isch g'lobt g'nuag.“ Fehlen jedoch positive Rückmeldungen, kann das auf Dauer frustrieren und demotivieren. Es ist dann ein bisschen so, wie wenn eine Person sagt: „Ich liebe Dich“ und die andere antwortet: „Ich weiß“. Anerkennung ist eine Bringschuld und keine Holschuld. Ich treffe immer wieder auf Teams, die sich so sehr nach Anerkennung „von oben“ sehnen, dass sie eine Kopie der Dankeskarten von Patienten ins Fach der jeweiligen Leitung legen. Und die Konsequenz? Von „oben“ kommt auch dann keinerlei Resonanz.
ich folgte ihr und sie brachte mich in ein leeres Kinderabteil, dimmte dort das Licht angenehm und wünschte mir „weiterhin frohes Schaffen“. Doch damit nicht genug: Etwa nach jeder Stunde brachte sie mir eine kleine Süßigkeit und bewunderte meinen Fleiß. Als ich nach ein paar Stunden den Zug verließ, war nicht nur mein Zuckerpegel hoch, sondern auch meine Stimmung. Und das Beste: Ich hatte deutlich mehr gearbeitet, als ich ursprünglich vor hatte, denn so eine Gelegenheit musste ich einfach nutzen. ◄
Beispiel
Als ich im vergangenen Jahr eine längere Bahnfahrt wie so oft zum Arbeiten nutzte, kam eine Zugbegleiterin auf mich zu und meinte, dass sie schon längere Zeit beobachte, wie konzentriert ich an meinem Computer arbeiten würde und dass sie eine gute Idee habe, wo ich das noch besser tun könnte. Ich war ziemlich perplex, denn mein Großraumwagen im ICE war lautstärketechnisch durchaus noch vertretbar und ich hatte es bis dato noch nicht erlebt, dass ein Fahrgast in dieser Weise angesprochen wurde. Doch
11.2 Wertschätzung – den Wert des anderen schätzen Wie das Wort „Wertschätzung“ bereits im wörtlichen Sinn sagt – also „Wert-schätzen“ – geht es darum, einen Wert zu schätzen. Dabei ist es
11.2 Wertschätzung – den Wert des anderen schätzen
nicht möglich, den Wert eines Menschen objektiv zu messen – weder in Litern, Zentimetern oder Kilogramm – man kann den Wert eben nur schätzen. Und so beruht Wertschätzung immer auf einer subjektiven Einschätzung. Daher ist es möglich, dass jemand unter Umständen einen ganz anderen oder auch keinen besonderen Wert an einer Person schätzt als ein anderer. Wertschätzung heißt „Ich sehe dich“, und zwar nicht nach dem Motto. „Big Brother is watching you“, sondern auf die positive Art: „Ich weiß, wie du bist und wie du dich in deine Arbeit einbringst und das schätze ich als wertvoll ein.“ Bei Wertschätzung geht es um den Menschen als Ganzes, das heißt wir empfinden ehrliche Freude, Dankbarkeit oder Bewunderung über das Sein, Tun, die Eigenart oder die erreichten Ziele eines anderen. Wertschätzung will den anderen nicht ma-
nipulieren. Kommt eine geäußerte Wertschätzung nicht aus dem Herzen, sondern wird als eine Pflichtaufgabe angesehen, ist diese Inkongruenz für das Gegenüber spürbar. Schon Goethe wusste: „Und spürt man Absicht, so ist man verstimmt.“ (abgewandeltes Zitat aus Goethes Schauspiel „Torquato Tasso“).
Beispiel
Eine ältere Stationsleitung besuchte vor ein paar Jahren eine Pflichtveranstaltung für Führungskräfte. Wieder zurück auf Station befragte sie bei jeder Übergabe alle Diensthabenden reihum vor versammelter Mannschaft, wie es ihnen gerade gehe. Es erstaunt nicht wirklich, dass die Antworten mit mehr oder minder genervtem Unterton „gut“ lautete. Auf meine Frage, warum sie so vorgehe, meinte sie, dass in der Schulung gesagt wurde, dass es wichtig sei, die Mitarbeitenden regelmäßig zu fragen, wie es ihnen gehe. Sie selbst wäre darüber auch irritiert gewesen, doch wenn das jetzt heute führungstechnisch so modern und gefordert sei, dann setze sie das pflichtbewusst um. ◄
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Positive Auswirkungen von Wertschätzung: • Wertschätzendes Führungsverhalten wirkt sich positiv auf die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten aus, während „unbefriedigende Anerkennung und Wertschätzung am Arbeitsplatz“ das Risiko einer Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit mehr als verdoppelt (Ilmarinen und Tempel 2002). • Mitarbeitende, die sich von ihrer Führungskraft wertgeschätzt, akzeptiert, fair und gerecht behandelt fühlen sowie gut miteinander kommunizieren, haben weniger körperliche Beschwerden, weniger depressive Verstimmungen und ein besseres Wohlbefinden als Beschäftigte, die sich nur gering akzeptiert und wertgeschätzt fühlen (Rixgens et al. 2008). • Mitarbeitende, die sich von ihren Führungskräften sozial unterstützt fühlen (z. B. durch eine konkrete Hilfestellung), berichten weniger über gesundheitliche Beschwerden (Lohmann-Haislah et al. 2012). Wertschätzung ist verbunden mit Wohlwollen und Respekt, und dabei entstehen meist nicht mal finanzielle Ausgaben. Denn sie drückt sich oft durch kleine Gesten aus: • • • • • • •
Anerkennender Blick Begrüßen bei zufälligen Begegnungen Interessiertes Zuhören und Nachfragen Freundlicher Augenkontakt Anteilnehmendes Lächeln Aufhalten einer Tür Ansprache mit Namen
Beispiel
Ein Mitarbeiter der Haustechnik weiß von den ca. 400 Beschäftigten seines Arbeitgebers nicht nur Namen und Abteilung, sondern größtenteils auch das Geburtsdatum. Dieser unauffällige, unaufgeregte und integere Mann lebt durch sein namentliches Begrüßen, eine Gratulation am Geburtstag, ein gutes Wort im Vorbeigehen und – nicht zu vergessen – eine Ration Süßigkeiten in seiner Kitteltasche, die
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11 Anerkennung, Wertschätzung und Loben – ist doch alles das …
er situativ verschenkt, echte Wertschätzung. Nicht weil er es muss, sondern weil er eben so ist. Und genau das sorgt für seine große Beliebt- und Bekanntheit: vom Empfang bis zur Geschäftsführung. ◄ Manchmal bedeutet Wertschätzung, auch einen Wert zu schätzen, indem man einen Geldwert einsetzt. Hier eine kleine Auswahl von Beispielen: • Kinderbetreuung während der Arbeitszeit (Kinderkrippe, Kindergarten) • Ferienbetreuung für Mitarbeiterkinder • Vergünstigte Konditionen für Fitnessstudios, Schwimmbäder, Kinderkrippen und öffentliche Verkehrsmittel • Helle, freundliche Pausenräume in Arbeitsplatznähe • Krankenhausbehandlung nach Wahlleistungsstandard für Beschäftigte und ihre Angehörigen • Personalentwicklung, z. B. Fort- und Weiterbildungsangebote • Kostengünstige Mitarbeiterverpflegung und -unterkünfte • Mitarbeiterparkplätze, gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz, abschließbarer Fahrradkeller • Kleine Aufmerksamkeit bei bestandenen Prüfungen
Beispiel
Als junge Pflegekraft – und damit lange bevor es die Fernsehsendung „Undercover Boss“ gab – erlebte ich mit, wie der Vorstandsvorsitzende des Klinikträgers (die Zentrale war mehrere Stunden von unserer Klinik entfernt) plötzlich um 06:00 Uhr in der Übergabe saß. Den wenigen, die ihn erkannten, verheimlichte er seine Identität nicht, doch die meisten hielten ihn für den Hospitanten aus einer anderen Klinik. Da er vor Jahren eine Pflegeausbildung absolviert hatte, saßen die Grundgriffe und alles wirkte sehr authentisch. Als er sich bei der Übergabe zum Spätdienst allen offiziell vorstellte, war das Erstaunen ziemlich
groß. Der Mann, den man sonst nur weit weg auf der Bühne bei der Weihnachtsfeier im Anzug sah, hatte Bettschüsseln geleert und Patienten gewaschen. Warum er das gemacht hat? Weil er die Abläufe kennenlernen und Verbesserungspotenziale entdecken wollte. Mich hat das beeindruckt – und Sie können sich vorstellen, dass ich nicht die Einzige war. ◄ Gegenseitiges Wertschätzen und Anerkennen Loben funktioniert meist nur hierarchieabwärts, weil eine Beurteilung der Leistung vorgenommen wird. Der Chef kann sagen: „Das haben Sie prima gemacht“, während die gleiche Aussage umgekehrt nicht von jedem Chef als Anerkennung empfunden wird. Bei der Wertschätzung verhält sich das anders, denn es geht um eine konkrete, individuelle Äußerung von Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen. Darum ist Wertschätzung nach „oben“, „unten“ und auf „gleicher Höhe“ möglich.
Beispiel
Als ich vor ein paar Jahren an einem intensiven und sitzungsreichen Tag kurz in mein Büro zurückkam, um die nächsten Unterlagen zu holen, fand ich einen Schaumkuss auf meinem Schreibtisch. Dazu ein kleiner Zettel: „Gruß aus der Küche ☺“. Der Küchen-Crew war aufgefallen, dass ich an diesem Tag nicht in der Kantine war, und da beschlossen sie, mir auf diesem Weg eine Freude zu machen. Und ja, das ist ihnen gelungen! ◄ Ob Stationsleitung, Pflegedienstleitung, Chefärzte oder die Mitglieder der Klinikleitung – auch das sind Menschen, die sich über eine wertschätzende Rückmeldung ohne Hintergedanken freuen. Ob über genehmigte „Freiwünsche“ im Dienstplan, das neue Parkhaus, eine frisch gestrichene Wand oder den neuen Kollegen.
Beispiel
Als eine Krankenschwester im Nachtdienst die recht umfangreiche Patientenakte eines
11.3 Loben – Menschenführung oder Zirkusdompteur
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entlassenen Patienten abgeheftet hatte, kam ihr spontan die Idee, zwischen die abgehefteten Befunde, Krankenblätter etc. immer wieder ein Mini-Gummibärchenpäckchen zu legen. Ein paar Tage später meldete sich eine Mitarbeiterin des Schreibbüros bei der Station, um sich für die Gummibärchen-Päckchen zu bedanken, die sie völlig überrascht zwischen den Diktierkassetten gefunden hat. Wie sich herausstellte, hatte sich der Arzt, der den Arztbrief diktierte, so sehr über die Gummibärchen gefreut, dass er ein paar Päckchen weiterschenkte. Sozusagen praktizierte, schnittstellenübergreifende Wertschätzung. ◄
irgendwann gar nicht mehr erstrebenswert. Es bräuchte eine stetige Steigerung des bisher ausgesprochenen Lobes – und das ist nicht möglich. Zum anderen besteht das Risiko, dass Beschäftigte nur dann noch etwas tun, wenn sie dafür auch ein Lob erhalten. • Lob und Manipulation Manches Lob ist ein strategisch geäußertes „weiter so“. Durch Lob lernen wir bereits in frühester Kindheit, welche Verhaltensweisen das Etikett „gut“ verdienen. Gleichzeitig erleben wir, wie schnell man diese Auszeichnung auch wieder verlieren kann, wenn das eigene Tun oder Verhalten von den Eltern und später von den Kollegen und Vorgesetzten als nicht „gut“ definiert wird. Wird man für ein Verhalten belohnt und zeigt es zukünftig nur um der Belohnung willen, ist der Unterschied zum Dompteur im Zirkus nicht mehr weit. Dann doch lieber innere Einsicht statt Dressur und äußere Bedrohung.
11.3 Loben – Menschenführung oder Zirkusdompteur Gelobt wird, wenn Erwartungen erfüllt, Leistungen erbracht oder Ziele erreicht wurden. Das zu lobende Verhalten ist beobachtbar und kann meist zeitlich und räumlich abgegrenzt werden. Loben bezieht sich also auf die Handlungs-Ebene. Es funktioniert wie ein Wegweiser und ist in der Personalführung ein entscheidendes und sensibles Steuerungsinstrument. Achten Sie daher darauf, wen sie wann wofür und mit welcher Dosierung loben. Lob ist vergleichbar mit einer Art Handel: Lob gegen Leistung. Macht der Beschäftigte etwas richtig, wird er gelobt. War die Leistung schlecht, gibt es Tadel. In beiden Fällen geht es nicht um die Person an sich. Oder anders gesagt: Es geht darum, wie jemand etwas macht, nicht wer er ist. Die Schattenseiten des Lobes: „Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob ist man machtlos.“ Siegmund Freud • Lob und der Gewöhnungseffekt Bei Mitarbeitenden, die für jedes Detail permanent gelobt werden, setzt mit der Zeit ein Gewöhnungseffekt ein. Die Folge: Das Lob ist nichts Besonderes mehr und damit auch
Beispiel
In der Ausbildung brachte ich an meinem Geburtstag einen selbst gebackenen Kuchen für das Stationsteam mit. Am nächsten Tag fand ich folgenden, von einer älteren Schwester geschriebenen Zettel, auf meiner gespülten Kuchenplatte. Ein wunderbares Beispiel für strategisches Loben. ◄
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11 Anerkennung, Wertschätzung und Loben – ist doch alles das …
• Lob und der eigene Status Das gönnerhafte Lob von „oben“ nach „unten“ zählt zu den Machtspielen, die häufig nur das Ziel haben, den eigenen Status deutlich zu machen.
11.4 Einsatzgebiete von Loben und Wertschätzung – oder was Loben und Wertschätzung mit Feuer zu tun haben Feuer gibt Wärme und Licht – Dinge, die für unser Leben und das der anderen entscheidend sind. Die Grundzutaten dafür sind Zweige und dicke Holzscheite. Die Zweige sind vergleichbar mit dem Lob: Sie spielen eine entscheidende Rolle beim Anfeuern – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Und das ist besonders am Anfang des Feuers, also beispielsweise beim Antritt einer neuen Stelle oder dem Ausbildungs- bzw. Berufsbeginn (Generation Z) entscheidend. Das Feuer muss erst einmal entfacht werden, bevor ein Holzscheit aufgelegt werden kann. Dafür sind die Zweige – also das Loben – genau richtig. Ein Feuer, das dauerhaft nur durch Zweige betrieben wird, ist nicht wirklich effektiv, da eine hohe Anzahl von Zweigen benötigt wird, weil ständig nachgelegt werden muss und der Wärmegrad geringer ist. Ist das Feuer entfacht, kommen die dickeren Holzscheite ins Spiel. Sie sind vergleichbar mit Wertschätzung, denn sie brennen länger und machen das Feuer stabil. Ein aufkommender
Windstoß oder Wasserspritzer – also Missverständnisse oder kleinere Konflikte – können das Feuer nicht löschen, weil die gemeinsame Grundlage stimmt. Sind die Holzscheite – warum auch immer – heruntergebrannt und die nur noch glühende Asche soll neu entfachen, sind zunächst wieder die Zweige gefragt, bevor der nächste Holzscheit aufgelegt werden kann. Übrigens: Ob Buche, Lerche oder Fichte – jedes Holz hat seine Brenneigenschaften und damit Vor- und Nachteile. Das ist vergleichbar mit altersgemischten Teams, in denen bekanntlich auch nicht jeder aus dem gleichen Holz geschnitzt ist. Daher kommt es sowohl beim Loben und Wertschätzen wie auch bei der Teamzusammensetzung auf den richtigen Mix an.
Literatur Ilmarinen, Juihani; Tempel, Jürgen: Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben? Herausgeberin: Marianne Giesert im Auftrag des DGB-Bildungswerk e. V. VSA Verlag, Hamburg 2002 Lohmann-Haislah, Andrea; Schütte, Martin; Beermann, Beate; Morschhäuser, Martina; Siefer, Anke; Burr, Hermann, Bodnar, Linn: Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund/Berlin/Dresden 2012 Rixgens, Petra; Badura, Bernhard; Behr, Martina: Sozialkapital und gesundheitliches Wohlbefinden aus der Sicht von Frauen und Männern - Erste Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung in Produktionsbetrieben. In: Fehlzeiten-Report 2007. Arbeit, Geschlecht und Gesundheit, Herausgeber: Bernhard Badura/Helmut Schröder/Christian Vetter, Springer Verlag, Heidelberg 2008. S. 159–174
Kreativität – wenn es mehr als herkömmliche Lösungen braucht
Kreativität ist deutlich mehr als unsinnige Spinnerei oder gar Zeitverschwendung. Richtig eingesetzt und gefördert stellt sie eine „Geheimzutat“ für bessere Teamperformance dar, von der nicht nur die Teammitglieder, sondern auch die Patienten profitieren. Das Wort „Kreativität“ steht erst seit 1973 im Rechtschreibduden und heißt, aus dem Lateinischen „creare“ übersetzt, soviel wie „erschaffen, schöpferisch hervorbringen“. Kreativität ist als Soft Skill die Fähigkeit, gute und möglichst neuartige Lösungen für Probleme zu entwickeln. Und genau deshalb ist sie in der Pflege und in altersgemischten Teams besonders gefragt. Kreativität im besten Sinne bedeutet, das bisher Gewohnte mal infrage zu stellen, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. „Thinking outside the box“ nennt man das heute auf Neudeutsch. Also beispielsweise die eigenen Stationsabläufe aus der Perspektive eines Patienten oder einer kooperierenden Abteilung wie OP, Labor oder Patientenaufnahme zu betrachten. Und sich dadurch sensibilisieren zu lassen für die Bedürfnisse der anderen.
Beispiel
In einer Therapieeinrichtung für blinde Menschen wird das neue Personal, welches die Örtlichkeiten noch nicht kennt, mit verbundenen Augen durch die Räume geführt, um ein
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Gefühl dafür zu bekommen, an welchen Stellen es für die Patienten problematisch sein könnte und wo Verbesserungsbedarf besteht. ◄ Manche, tendenziell sind es Menschen mit „Zahlen-Daten-Fakten-Hirnen“, sehen Kreativität eher als unsinnige Spinnerei und Zeitverschwendung an. Andere verwenden „kreativ sein“ als eine Art Synonym für Improvisation, man könnte auch Notlösung dazu sagen. So war die Antwort einer Pflegedienstleitung auf die Mitteilung der Stationsleitung, dass sie nicht wisse, wie sie den Dienstplan bei dem aktuell sehr hohen Krankenstand schreiben solle: „Dann seien Sie doch einfach kreativ!“ Dass sich über Kreativität manchmal diskutieren lässt, zeigt auch die Durchsage bei einer meiner letzten Bahnfahrten. In einem völlig überfüllten ICE wurden die Reisenden per Durchsage aufgefordert, „kreativ zu werden“ und sich an dem „wunderbaren Spiel Gepäck-Tetris zu beteiligen“ und sämtliche Gepäckstücke in den Waggons so in die Fächer zu schichten, dass alle Lücken gestopft würden. Die Reaktionen der Reisenden auf diese Durchsage reichte von Entsetzen, über „lustige Idee“, bis hin zu „Wo ist die Kamera von ‚Verstehen Sie Spaß‘?“ Wer sich als Beschäftigter wie ein Dauergast im Hamsterrad fühlt oder wie der Hauptdarsteller in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_12
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12 Kreativität – wenn es mehr als herkömmliche Lösungen braucht
hat für kreative Ideen meist wenig Kapazitäten übrig. Auch ein Klima der Angst sorgt dafür, dass Beschäftigte in die innere Immigration driften und nur noch reagieren. Ähnlich verhält es sich, wenn viele rigide Standards und Verfahrensanweisungen die tägliche Arbeit prägen oder jedes Wollen von Mitarbeitenden im Keim erstickt wird. Dann verschwinden mit der Zeit jegliche Lust und der Mut, inspirierende neue Ideen einzubringen. Stattdessen herrscht eine Lähmung, „Dienst nach Vorschrift Mentalität“ und Konformität statt Individualität. Gerade im Patientenkontakt ist es jedoch genau dieses Individuelle, Passgenaue, das den Unterschied zwischen Mittelmäßigkeit und Exzellenz macht. Und es sind oft die kleinen kreativen Dinge, die begeistern.
Beispiel
Der Pfleger eines Seniorenheimes hat für die Problematik, dass eine Bewohnerin den Verzehr von Obst ablehnt, eine kreative Lösung gefunden: Er malt mit einem Permanentmarker ein Smiley auf eine Orange oder Banane und präsentiert der Bewohnerin „ihren Besuch“. Die strahlenden Augen der Bewohnerin überzeugten mich restlos und auch die Angehörigen sind begeistert. Heißt deshalb die Lösung für alle Obstmuffel in Senioreneinrichtungen, Smileys auf Obst zu malen? Nein, kreativ sein heißt ja eben nicht eine Lösung für alle. ◄ Kreativität findet ihren Einsatz sowohl im normalen Berufsalltag als auch in „gelenkter Form“ beispielsweise in Besprechungen, Zukunft-Workshops oder Projektgruppen. Ob man das Ganze „Ideen-Jahrmarkt“, „Kreativ-Session“, „World-Café“ oder „Think tank“ (Denkfabrik) nennt, ist dabei nicht wirklich erheblich – auf Rahmenbedingungen, Inhalt und Zielorientierung kommt es an.
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sungen, die eher einem „Malen nach Zahlen“ gleichen. Man ist zwar kreativ, doch sowohl Motiv als auch Farben sind vorgegeben. Für gute, innovative und kreative Ideen braucht es Freiräume, Offenheit, Veränderungswillen und die dazugehörige Unternehmenskultur. Nicht immer hat die Führungsperson auch die besten Ideen. Deutlich zielführender ist es daher, ein „Spielfeld“ zur Verfügung zu stellen, in dem Ideen entwickelt, geäußert, ausprobiert und Fehler gemacht werden dürfen. Entscheidend für Kreativität ist auch, dass sich jedes Teammitglied aktiv einbringen kann. Denn die Chance auf viele unterschiedliche Blickwinkel (Alter, Kompetenz etc.) – und damit verschiedenste Ideen – erhöht sich durch die Beteiligung aller. Und das Maß an Kreativität ist definitiv keine Frage des Alters. Das Beste daran: Wenn Beschäftigte mit ihren kreativen Ideen bei der Veränderung integriert werden und es spürbare Beispiele für die Veränderung gibt, dann werden diese besser akzeptiert und motivierter in die Praxis transferiert (siehe Kap. 16). Hierbei spricht man auch vom „Mein-Baby-Effekt“ oder auch dem „IKEA-Effekt“. Der Begriff „IKEA Effekt“ stammt aus der Verhaltensökonomik und beschreibt, dass wenn wir etwas selbst zusammengebaut haben – vielleicht sogar schwitzend, die Nacht um die Ohren schlagend und an der Anleitung verzweifelnd – wir diesem Gegenstand mehr Wertschätzung entgegenbringen, als wenn wir ihn fertig zusammengebaut gekauft hätten. Der Effekt zeigt sich nicht nur bei Schränken oder Tischen vom schwedischen Möbelhaus. So hat beispielsweise ein massenhaft produziertes Smartphone, das wir nach unseren Wünschen und Bedürfnissen personalisieren (z. B. Hintergrundbild, Anordnung der Apps) durch diese Individualisierung einen deutlich höheren Wert. Jedoch nur für diese Person.
12 Kreativität – wenn es mehr als herkömmliche Lösungen braucht
Ein anderer, der bei diesem Prozess nicht dabei war, kann den Stolz und Wertzuwachs, den wir dem neuen Schrank oder personalisierten Smartphone zuschreiben, nicht unbedingt nachvollziehen, was leicht zu einer Frustration führen kann. Gerade dann, wenn man nicht weiß, wie die Reaktion auf den eigenen Vorschlag ausfällt, erfordert es oftmals Mut und Überzeugung, die Idee preiszugeben. Umso enttäuschender ist es für Beschäftigte, wenn ihre geäußerte Idee sofort „in der Luft zerrissen“ wird und sie nie erfahren, was aus ihrer Idee geworden ist. Oder wenn sich andere mit falschen Federn schmücken und das Lob für die Idee unverdient ernten.
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Beispiel
In einer Freiburger Straßenbahn bemerkte ich, wie ein ca. zehnjähriger, leicht retardierter Junge bei jeder Haltestelle hektisch aufsprang, zur Tür rannte und seinen DIN A4 Block an die Scheibe hielt. Als ich ihn nach ein paar Haltestellen fragte, was denn auf seinem Block zu sehen ist, drehte er ihn zu mir um und ich las: „Tür kapud“. Dieser Junge hatte ein Problem erkannt, eine Lösung gesucht, gefunden und dann auch noch umgesetzt – Kreativität vom Feinsten. ◄
Fehler – Chance oder Niederlage
Auch wenn alles dafür getan wird, dass sie nicht passieren, sind sie allgegenwärtig – ob ein kleines Missgeschick, das schnell wieder behoben ist, oder Fehler, die das Leben eines Patienten gravierend verändern oder sogar beenden. Gründe für Fehler gibt es mehr als genug: Unkonzentriertheit, Missverständnisse, fehleranfällige Strukturen, hoher Zeitdruck und vieles mehr. Daher braucht es eine konstruktive Fehlerkultur, die frei von Angst und Sanktionen ist, in der aus Fehlern gelernt werden darf und in der es heißt: „Reden ist Gold“.
Beispiel
Als ich im Supermarkt ein paar Äpfel in die Tüte packen wollte, begann plötzlich der aufgestapelte Apfelberg ins Rutschen zu kommen. Gemeinsam mit einer anderen Kundin versuchte ich die Äpfel aufzufangen, was uns auch überraschenderweise ganz gut gelang. Lachend sagte ich danach: „Das scheint heute nicht mein Tag zu sein“. Daraufhin sagte die Frau, dass ihr Mann das heute auch schon gesagt habe, und zählte sämtliche Missgeschicke auf, die ihm heute schon passiert waren. Sie schloss mit den Worten: „Jetzt ist er auf der Arbeit“. Daraufhin erwiderte ich: „Ich hoffe, er arbeitet nichts ganz so Verantwortliches.“
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Ihre Antwort: „Wie man es nimmt: Er fliegt gerade ein großes Passagierflugzeug in die USA.“ ◄ Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Während das in anderen Branchen oft „nur“ mit finanziellen Einbußen oder Imageverlust verbunden ist, steht in Berufen wie der Pflege nicht weniger als die Gesundheit und das Leben von Patienten auf dem Spiel. Das ist jeder Pflegeperson bewusst, und dennoch ist es trotz aller Bemühungen nicht möglich, eine Null-Fehler-Quote zu erreichen. Daher ist es entscheidend, Strategien zu finden, wie Fehler – so gut es geht – vermieden werden können und wie mit entstandenen Fehlern umgegangen wird. Werden sie unter den Tisch gekehrt oder führen sie zu Veränderungen – beispielsweise in den Abläufen? Werden Sie als Chance gesehen oder als Niederlage? Dort wo Fehlerverursacher an den Pranger gestellt werden, wird viel Energie verbraucht, um Fehler schönzureden, zu vertuschen oder auf eine andere Person zu schieben. Die Folge: Die gleichen Fehler passieren immer wieder. Dabei wäre der offene Umgang mit unerwünschten Ereignissen, besonders dann, wenn sie für Patienten schwere Konsequenzen haben, für die Pflegekräfte eine große Erleichterung. Denn sie leiden unter den gemachten Fehlern und werden nicht umsonst als „Second Victims“ (zweite Opfer) bezeichnet (Stiftung Patientensicherheit 2006).
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_13
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Angst vor Fehlern führt zu neuen Fehlern – ein Teufelskreis, den man nur durch Offenheit durchbrechen kann. Insgesamt braucht es eine Unternehmenskultur, in der aus Fehlern gelernt werden darf mit dem Ziel, dass sich Fehler möglichst nicht noch einmal wiederholen. Passend dazu haben sich in den vergangenen Jahren eine Reihe von unterschiedlichen Reporting- und Learning-Systemen in den Institutionen des Gesundheitswesens etabliert.
Beispiel
Die Ärzte einer Abteilung berichteten, dass sie einen gravierenden Fehler, der ihnen unterlaufen war, in das trägerweite System eingaben und auf die zugesagte Anonymität (keine Angabe von Namen, Klinik etc.) und den Ausschluss haftungsrechtlicher Konsequenzen vertrauten. Kaum war es unternehmensintern „öffentlich“, begann das große Rätselraten, aus welcher Klinik der Unternehmensgruppe diese Eingabe wohl stammt. Um es abzukürzen: Das Ziel, dass mit der Eingabe eines Fehlers andere davor bewahrt werden, den gleichen Fehler zu begehen, wurde erreicht. Doch am Ende kochte nicht nur das Ärzteteam (vor Wut), sondern auch die Gerüchteküche. Und im Sinne einer guten Fehlerkultur hoffe ich, dass die Unternehmensgruppe aus diesem Vorfall gelernt hat. ◄
13 Fehler – Chance oder Niederlage
Bemerken Vorgesetzte, dass Fehler passieren oder wichtige Abläufe nicht reibungsfrei funktionieren, hilft oft die Frage: „Was müsste der Beschäftigte hier lernen, damit es zukünftig besser funktioniert?“ Und: „Wie kann ich ihn als Führungskraft dabei unterstützen?“ Manche Firmen etablieren sogenannte „Fuckup Days“, bei denen über alle Dinge gesprochen wird, die schief gelaufen sind. Nicht in einer „Du bist schuld Kultur”, sondern in dem Sinne, dass gemeinsam herausgefunden wird, was das Unternehmen aus den gemachten Fehlern lernen kann. Übrigens: Auch ein Vorgesetzter darf Fehler machen und darüber sprechen – nicht zuletzt in dieser Hinsicht ist er Vorbild. Die einzigen Fehler, die bei keinem toleriert werden können, sind Absicht, Nachlässigkeit und Schlamperei (Schüller und Steffen 2017). Das „fehlerhafte“ Schild an einem See führte bei vielen Spaziergängern mit T-Shirt und kurzen Hosen zu einem Schmunzeln. Generationaler Umgang mit Fehlern Die mittleren und älteren Generationen haben noch erlebt, welche Konsequenzen ein kleiner Tippfehler auf der Schreibmaschine verursachte: Papier ausspannen, neues einspannen und dann die ganze Seite nochmal komplett neu tippen. Gut, es gab Tipp-Ex – aber auch bei noch so guter Anwendung war die Korrektur immer erkennbar. Ganz anders bei den Generationen, die mit PC und Mobilgeräten groß wurden: Auf welchem Gerät auch immer sie etwas tippen,
Literatur
haben sie eine Korrekturtaste, die den Fehler vollkommen unsichtbar macht. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Texten, die von Hand geschrieben werden. Hier brachte der Anfang der 70er Jahre auf den Markt gekommene Tintenkiller eine deutliche Erleichterung für die Schulkinder. Auch wenn man, genau wie bei der Verwendung von Tipp-Ex, die Korrektur meist noch etwas sieht, so ist er oft die Rettung, wenn es darum geht, Wörter zu verbessern, bei denen man sich verschrieben hat. Diese Korrekturmöglichkeiten haben einen großen Einfluss auf die Arbeitsweise. Frühere Generationen überlegten zuerst, was sie schreiben und wie sie es am besten formulieren, um es dann erst mal ins „Unreine“ und dann ins „Reine“ zu schreiben. Heute setzt man sich vor das Gerät und tippt, löscht, tippt usw. solange, bis es am Ende passt. Dazu kommt, dass „früher“ vieles auf Logik aufbaute und somit auch viele Fehler durch logisches Denken und Handeln gelöst werden konnten. Das funktioniert so heute nicht immer. Denn weder Computer noch Monitore oder Infusionspumpen sind immer „logisch“. So ist es beispielsweise gut möglich, dass sich während einer Routineeingabe in den PC plötzlich und unerwartet ein neues „Fenster“ öffnet, was besonders bei vielen Älteren zu Verunsicherung führen kann. Es ist auch nicht möglich, sämtliche Funktionsweisen auswendig zu lernen, weil es viel zu viele davon gibt. Und kaum kommt ein „kleines Update“, ist manche Funktion oder Benutzeroberfläche anders als zuvor. Forscher haben festgestellt, dass Ältere im Vergleich zu Jüngeren anders denken und manchmal sogar schneller. Die Ergebnisse belegen, dass
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Ältere beispielsweise mehr aus ihren Fehlern lernen. Nach einem Fehler zögern sie bei der nächsten Aufgabe ein wenig länger, bevor sie eine Entscheidung treffen. Auf diese Weise machen sie im Endeffekt sogar weniger Fehler als Jüngere (BMAS 2010).
Beispiel
Wenn ein Monitor einen Fehlalarm gibt, reagieren ältere Beschäftigte meist so, dass sie zunächst versuchen, eine logische Erklärung für den Alarm zu finden, und gehen systematisch alle Möglichkeiten durch. Die jüngere Pflegeperson versucht ebenfalls, eine Erklärung zu finden, geht aber sehr schnell in den Modus „Versuch und Irrtum“ über. Sie drückt so lange, bis es aufhört zu piepsen und der Monitor wieder korrekt arbeitet. Die Frage, woran es gelegen hat, kann sie daher meist nicht eindeutig beantworten. ◄
Literatur BMAS: Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt. Bericht der Bundesregierung. Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Internet, Berlin 2010 Schüller, Anne M.; Steffen, Alex, T.: Fit für die next economy. Zukunftsfähig mit den Digital Natives, 1. Auflage, Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2017 Stiftung für Patientensicherheit: Wenn etwas schief geht: Kommunizieren und Handeln nach einem Zwischenfall, Schriftenreihe Patientensicherheit Schweiz, Band 1. Herausgeber: Stiftung für Patientensicherheit, Basel/Zürich 2006
Erfolgreiche Kommunikation in Teams
Bei Kommunikation ist es in etwa so wie im Straßenverkehr: Fährt man alleine auf der Straße, stehen die Chancen für störungsfreies Durch- und Ankommen gut. Gleiches gilt, wenn alle Verkehrsteilnehmer respektvoll und umsichtig fahren und ihren Fahrstil der Situation und den anderen Verkehrsteilnehmern anpassen. Doch genau wie im Verkehr gibt es auch in der Team-Kommunikation immer wieder Störungen: Unterschiedliche Charaktere, Kommunikationsmuster, generationale Prägungen, Kommunikationsstile, „Ohren“, Interpretationen, fehlendes Feedback und „Team-Baustellen“ können von stockender Interaktion über Kommunikation-Staus, leichten Auffahrunfällen bis hin zum Totalschaden von Teams führen. Doch eine gute Kommunikationskultur ermöglicht nicht nur fließenden Verkehr, unfallfreies Zusammenarbeiten, entspanntes Ankommen, Sicherheit und konstruktive, bereichernde Gespräche, sondern sie kann auch Kommunikations-Baustellen beenden und dafür sorgen, dass die Fahrt danach komfortabler ist als zuvor.
Das Thema Kommunikation ist so umfangreich, dass eine intensivere Beleuchtung den Rahmen des Buches sprengen würde. Daher folgt nun ein praxisorientierter Refresher, der das Wichtigste für gelungene altersgemischte Teamarbeit zusammenfasst.
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Kommunikation bestimmt einen großen Teil des Lebens. Jeder von uns hat schon einmal erlebt, wie vernichtend Kommunikation sein kann, aber auch wie wunderbar, wenn wir eine positive Nachricht erhalten. „Worte sind die Kleider unserer Gedanken“, hat ein kluger Mensch einmal gesagt. Und sie sind wie Zahnpasta: einmal draußen, bekommt man sie nicht wieder zurück in die Tube. Kommunikation entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg, Sieg oder Niederlage, Konflikt oder Frieden. Kein Wunder also, dass Kommunikation als Schlüsselkompetenz für erfolgreiches soziales Verhalten bezeichnet wird. Bei dem hohen Stellenwert von Kommunikation wäre es erstrebenswert, wenn wir immer „richtig“ und „gut“ kommunizieren könnten. Der bekannte Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun nennt hinsichtlich Kommunikationsfähigkeit die Faustregel „40/40/10/10“: „40 % der Menschen sind gut in Sachen Klartext, Ehrlichkeit, Authentizität. 40 % sind gut in Sensibilität und Takt. 10 % sind gut darin, beides zusammen zu führen. Und 10 % haben leider weder das eine noch das andere“ (Gatterburg und Pieper 2015). Doch es gibt kein Rezept oder eine Art Aufbauanleitung, wie Kommunikation immer gelingt. Dafür sind die beteiligten Personen, die
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_14
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jeweilige Situation und Hintergründe viel zu verschieden. Immer wieder begegnen mir Führungskräfte und Beschäftigte, die fast zwanghaft versuchen, irgendwelche in Kommunikationstrainings oder aus Büchern gelernten „verbotenen Worte“ (z. B. Problem, müssen, dürfen, aber) krampfhaft zu vermeiden und dadurch teilweise seltsame Satzgebilde und Aussagen senden. Auch das Auswendiglernen von Standardsätzen ist meist nicht zielführend, da das Gegenüber recht schnell merkt, wenn Aussage und Person nicht stimmig (kongruent) sind.
Beispiel
Doch auch mit „authentisch“ ist das so eine Sache… Dass das nicht immer der beste Weg ist, wurde mir vor ein paar Jahren während eines Trainings on the job in besonderer Weise deutlich. Ich begleitete einen Mitarbeiter, der sich gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und Patienten die meiste Zeit – auch während meiner Anwesenheit – missmutig, unfreundlich und unhöflich benahm. Darauf von mir angesprochen, sagte er in ruhigem, ernstem Ton, dass er „halt einfach authentisch“ sei, und wie wichtig das besonders im Umgang mit den Patienten wäre. ◄ Die Lösung für gelungene Kommunikation liegt da doch eher im alten humanistischen Ideal: „Sei
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du selbst und werde, der du bist“ (Gatterburg und Pieper 2015). Oder anders formuliert: „Sei und werde die beste Version von dir selbst.“ In diesem Sinn lohnt es sich, das eigene Kommunikationsverhalten zu reflektieren und das vorhandene Repertoire kontinuierlich zu erweitern. Das hätte auch bei dem Bild geholfen, das die Frage aufwirft, was soll abgetreten werden: wirklich die Füße – oder doch die Schuhe?
14.1 Grundmerkmale der Kommunikation Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick formulierte fünf sogenannte Axiome (als absolut richtig erkannte Grundsätze) der Kommunikation, die, wenn sie ignoriert werden, zu Störungen in der Kommunikation führen. An dieser Stelle sollen die beiden Axiome „Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren“ und „Inhaltsund Beziehungsebene in der Kommunikation“ etwas näher betrachtet werden.
14.1.1 Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren Kommunikation erfolgt bekanntlich nicht nur verbal (gesprochene Worte), sondern auch non-
14.1 Grundmerkmale der Kommunikation
verbal (ohne Worte) und paraverbal (Tonfall, Artikulation, Sprachtempo etc.). Zu den Formen nonverbaler Kommunikation zählen: • Blickkontakt • Stille • Gesten • Körperhaltung • Gesichtsausdruck/Mimik (Lächeln, Augenzwinkern, angespannter Kiefer, Augenrollen etc.) • Körperkontakt (Händedruck, Umarmung etc.) • Gerüche (Parfümierung, Zigarettengeruch, Mund- und Schweißgeruch etc.) • Erscheinungsbild („Kleider machen Leute“) • Distanzzonen • …
Beispiel
Wenn Sie im Wartezimmer oder während einer Bahnfahrt eine Zeitschrift öffnen, signalisiert das den Mitreisenden, dass Sie kein Interesse an einer Unterhaltung haben. Blättern Sie die Seiten nur durch, kann das bedeuten, dass Sie die Fahrzeit überbrücken möchten oder den Inhalt nicht wirklich spannend finden oder dass Sie Ihre Lesebrille nicht dabei haben und daher nur die Überschriften lesen können oder dass Sie sich erst mal einen Gesamteindruck über den Inhalt der Zeitschrift verschaffen wollen. Nehmen wir an, Sie markieren mit einem Leuchtstift bestimmte Abschnitte, so kann das dafür sprechen, dass Sie sich fortbilden oder Recherchearbeit für ein Buch oder einen Vortrag betreiben. Ist das Cover der Zeitschrift zu sehen, wird erkennbar, ob Sie sich für Hunde, Motorräder, Wohnungseinrichtung oder Pflege interessieren. ◄ Wo wir gerade bei den öffentlichen Verkehrsmitteln sind: Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben auf ihrer Website die Rubrik „Meine Augenblicke“, die all denjenigen, die am Fahrkartenschalter oder während der Fahrt eine Per-
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son kennengelernt, sie aber trotz oder wegen des „magischen Moments“ nicht angesprochen haben, eine zweite Chance gibt. Hier ein Beispiel: „Für die einen ist es Zeit – für mich waren es die längsten Sekunden meines Lebens… Bus M44 Richtung Alt-Buckow 18:09 Uhr: Du saßt auf dem ersten Doppelsitz hinter dem vorderen Stehbereich in Fahrtrichtung links und warst eifrig am Kaugummi Kauen. Als sich unsere Blicke trafen, schautest Du ganz ernst und hörtest unmittelbar auf, weiter zu kauen. Du hast darauf gewartet, dass ich als erstes wegschaue… Nach gefühlten 5 Minuten (wahrscheinlich waren es in Wirklichkeit nur 5 Sekunden) und einer „Schau-mir-in-die-Augen“-Handbewegung von mir musstest Du lächeln und hast den Blick abgewandt. Ein sehr süßes Lächeln übrigens, das ich noch immer vor mir sehe! Ich habe die restliche Zeit damit verbracht zu schauen, dass ich meine Haltestelle nicht verpasse, und gleichzeitig überlegt, wie ich Dich ansprechen könnte. Leider ist mir – bis Du im Zimmererweg ausgestiegen bist – nichts Passendes eingefallen. So kann ich nur hoffen, dass Du entweder diesen Augenblick hier liest oder wir wieder im selben Bus sitzen… Morgen um die gleiche Zeit? Ich jedenfalls werde da sein…“ Wenn das mal nicht ein Beispiel für nonverbale Kommunikation im echten Leben ist. Im Gespräch mit einem direkten Gegenüber wird laut dem Psychologen und Kommunikationsforscher Albert Mehrabian etwa 55 % über die Gestik und Mimik des Gegenübers wahrgenommen, 38 % über den Tonfall und nur 7 % wird auf den Inhalt – also die eigentliche Sache – geachtet. Das heißt: 93 % sind Körper und Stimme! Bedeutet das, dass der Inhalt egal ist? Im Gegenteil: Inhalt ist wichtig! Doch ob man ihn glaubt, darüber entscheiden größtenteils Körpersprache und Stimme. Die Tatsache, dass nonverbale Kommunikation in der Regel eine stärkere Wirkung hat als das, was wir mit Worten sagen, hängt damit zusammen, dass die Körpersprache entwicklungsgeschichtlich deutlich älter ist und direkter ausdrückt, was wir denken und fühlen. Und sie sagt auch deshalb mehr „als tausend Worte“, weil sie sich nur schwer manipulieren lässt. „Man lügt wohl mit dem Munde;
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aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch die Wahrheit“, wird Friedrich Nietzsche zitiert. Wir können nicht nicht kommunizieren!
Beispiel
Bei Bewusstlosen fällt oft die Formulierung „nicht ansprechbar“. Im echten Sinn stimmt das jedoch nicht, denn die Person ist ansprechbar. Wir können Botschaften mit Worten oder Berührungen senden und bekommen darauf zwar keine verbale Antwort, aber die Monitorwerte oder die Körperspannung etc. geben eine Rückmeldung. Auch Frühund Neugeborene sind nicht dafür bekannt, dass sie uns mit Worten ihr Befinden mitteilen. Das könnte auch der Grund sein, warum Eltern selten nach einer durchwachten Nacht mit tiefen Augenringen sagen: „Ludwig hat die ganze Nacht durchgeredet.“ ◄
14.1.2 Die Inhalts- und Beziehungsebene in der Kommunikation Jede Aussage hat einen • Inhaltsaspekt – das „Was“ der Botschaft (wird meist verbal geäußert), z. B. Zahlen, Daten, Fakten, und einen • Beziehungsaspekt – das „Wie“ der Botschaft (wird verbal und nonverbal übermittelt). Also wie ist die menschliche Beziehung zwischen Sender und Empfänger und wie soll der Empfänger den Inhalt verstehen. Selbst eine scheinbar rein sachliche Kommunikation ist beziehungsgeleitet. So drückt unter anderem die Art, wie wir fragen oder sprechen (Tonfall, Mimik, Gestik etc.), etwas über unsere Einstellung zum anderen aus. Erst durch die nonverbale Kommunikation wird deutlich, ob es sich beispielsweise bei der Aussage „Das hast du gut gemacht“ um ein ehrliches Lob oder um einen zynischen Kommentar handelt. Herrscht
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auf beiden Ebenen Einigkeit, ist Kommunikation erfolgreich. Sie ist auch dann störungsfrei, wenn zwar eine Uneinigkeit auf der Sachebene besteht, aber die Beziehungsebene davon nicht beeinträchtigt wird. Kommt es allerdings zu Störungen auf der Beziehungsebene, können durch Ärger, Neid, Wut, Freude, Verliebtheit etc. Teile des Inhaltes verloren gehen. In der Kommunikationspsychologie dient das Eisberg-Modell zur Erklärung, wie wir miteinander kommunizieren. Inhaltlich geht es auf Watzlawicks Axiom zurück, dass Kommunikation immer einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt enthält (Watzlawick et al. 2017). Das ist vergleichbar mit einem Eisberg, der einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil, der sich unter der Wasseroberfläche befindet, besitzt. Der sichtbare Teil des Eisbergs, ca. 20 %, macht den sachlich-inhaltlichen Anteil an einem Gespräch aus, während sich der größere, Anteil ca. 80 %, unter der Wasseroberfläche befindet. Dieser „unsichtbare“, emotionale Teil ist meist unbewusst und dominiert die Beziehungsebene.
14.2 Das „Vier-Ohren-Modell“ „Gedacht heißt nicht immer gesagt, gesagt heißt nicht immer richtig gehört, gehört heißt nicht immer richtig verstanden, verstanden heißt nicht immer einverstanden, einverstanden heißt nicht immer angewendet, angewendet heißt noch lange nicht beibehalten.“ Das Zitat, das dem österreichischen Verhaltensforscher Konrad Lorenz zugesprochen wird, zeigt das Dilemma, in dem wir uns immer wieder befinden: Wir wundern uns darüber, wie jemand das Gesagte, das wir unserer Meinung nach klar und eindeutig geäußert haben, so dermaßen „falsch“, oder diplomatisch formuliert, „anders“ verstehen kann. Und dann geht das Spiel „Ich höre was, was Du nicht sagst“ los. Im besten Fall lösen sich die entstandenen Missverständnisse schnell auf. Doch besonders dann, wenn die Beziehungsebene zwischen den beiden Gesprächspartnern gestört ist, wird aus einem zunächst harmlosen Missverständnis schnell ein Konflikt. Eine Antwort, wie es zu Kommunikations-Missver-
14.2 Das „Vier-Ohren-Modell“
ständnissen kommen kann, gibt das „Vier-Ohren-Modell“, das auch „Nachrichtenquadrat“ oder „Kommunikationsquadrat“ genannt wird und von Prof. Friedemann Schulz von Thun publiziert wurde. Dabei wird davon ausgegangen, dass wir immer, wenn wir kommunizieren, etwas mitteilen. Außer bei Selbstgesprächen braucht es dafür mindestens zwei Personen: einen Sender und einen Empfänger. Außerdem besitzt nach Schulz von Thun jede Nachricht vier Ebenen: • Sachebene: Was ist der (reine) Inhalt der gesprochenen Worte (Zahlen, Daten, Fakten etc.)? • Beziehungsebene: Wie stehen Sender und Empfänger zueinander? • Selbstoffenbarungsebene: Was teilt der Sender über sich mit (innere Befindlichkeiten, Werte, Nonverbales, z. B. Zittern)? • Appellebene: Welche Handlung möchte der Sender beim Empfänger auslösen (Wünsche, Ratschläge, Aufforderungen etc.)? Diese vier Ebenen (sozusagen vier Zungen) gibt es nicht nur auf der Seite des Senders. Auch der Empfänger hat vier Empfangsebenen, gewissermaßen vier Ohren, auf denen er die Nachricht wahrnehmen kann. Idealerweise hat ein Mensch alle vier Kommunikations-Ebenen gleichermaßen zur Verfügung. Das ist aber nicht die Regel. Häufig sind ein oder zwei Ohren besonders stark entwickelt und andere kaum ausgeprägt. Nach Schulz von Thun (von Thun 2010) können einseitige Empfangsgewohnheiten zu Störungen in der Kommunikation führen. Hat ein Mensch beispielsweise ein „übergroßes Appellohr“, möchte er auf die Bedürfnisse des Interaktionspartners eingehen. Auch auf Aussagen, die nicht als Appell gemeint sind, wird diese Person appellorientiert reagieren. Insgesamt gilt: Je weniger die vier Ebenen einer Nachricht beachtet und reflektiert werden, desto eher können Störungen in Form von Missverständnissen und Konflikten in der zwischenmenschlichen Kommunikation entstehen. Dann herrscht die „zum einen Ohr rein und
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zum anderen raus“-Mentalität – und hier sind nicht die anatomischen Ohren gemeint.
Beispiel
Ein Kollege kommt ins Stationszimmer und sagt: „Ist das heiß hier.“ Er sendet das als Appell und erwartet, dass ein Fenster geöffnet wird. Der anwesende Kollege hört den Ausspruch auf dem Beziehungsohr und äußert sein Bedauern. Ein anderer Kollege hört es auf dem Selbstkundgabeohr und sagt: „Echt, mir ist es kalt“ und eine Kollegin sieht die Aussage als sachliche Information und reagiert gar nicht. ◄ Das erhöht die Kommunikationsqualität: • Als Zuhörer nachfragen, wenn Sie nicht sicher sind, wie eine Aussage zu verstehen ist. • Reflektieren Sie Ihre eigenen „Zungen“ und „Ohren“ und stellen Sie fest, welche Stärken und Schwächen sie jeweils mit sich bringen. • Wenn Sie die Tendenz haben, ein Ohr überzubetonen und andere zu vernachlässigen, überlegen Sie, ob Ihr Gegenüber nicht auch etwas anderes gemeint haben könnte. • Reflektieren Sie Ihre Grundhaltung, mit der Sie einer anderen Person begegnen. Bemühen Sie sich, sich und Ihr Gegenüber so zu respektieren, dass das Motto gilt: Ich bin o.k. – du bist o.k. • Nutzen Sie die Feedbackgabe und -annahme zur kontinuierlichen Verbesserung.
Beispiel
Beim Schreiben dieses Buches ist es mein Wunsch, möglichst zielsicher zu senden. Das ist gar nicht so einfach, denn gerade im geschriebenen Wort lauert die Gefahr von Missverständnissen, da Sie als Leser weder Mimik oder Gestik von mir sehen, noch meinen Tonfall hören (was wiederum für ein Hörbuch sprechen würde). Falls wir uns schon einmal begegnet sind, werden Sie dieses Buch anders lesen. Wenn das nicht der Fall ist,
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bietet Ihnen das die Gelegenheit, dass Sie sich eine ganz freie Vorstellung von mir aufbauen können – es lebe die Phantasie und Interpretation. Doch was im Bezug auf mich zutrifft, gilt genauso andersherum. Auch ich weiß nicht, wer dieses Buch gerade in den Händen hält, mit welchen Ohren Sie hören, wie Ihre Stimmungslage ist oder wo Sie diese Zeilen lesen – ob Liegestuhl, Kinderspielplatz, Toilette, während einer überraschend ruhigen Nachtwache im Stationszimmer oder in einer Bibliothek. Ich weiß auch nicht, ob Sie dieses Buch selbst entdeckt haben oder ob es Ihnen empfohlen wurde oder Sie vielleicht sogar dazu verpflichtet wurden, es zu lesen. Mit welchen Ohren, in welcher Stimmung und an welchem Ort auch immer: Sie wissen jetzt, ich gebe mein Bestes, um möglichst gut für Sie zu „senden“. ◄
14.3 Positive Kommunika tionskultur im Team Kommunikation ist der Dreh- und Angelpunkt für gelungene (altersgemischte) Teamarbeit. Nur wenn die Kommunikation erfolgreich ist, kann es auch die Teamarbeit sein. Oder andersherum gesagt: Erfolgreiche Teamarbeit ohne gute Kommunikation ist nicht möglich. Denn Kommunikation, Sprache und Interaktion tragen zur Identität und Kultur in einem Team bei und bestimmen zu einem großen Teil über das Teamklima, aber auch über Teamdynamik und -erfolg. Die Kommunikation innerhalb des Teams dient nicht nur zum Selbstzweck oder dazu, eine angenehme Arbeitsatmosphäre herzustellen, vielmehr sind gerade Patienten und Bewohner auf einen guten und qualitativ hochwertigen Informationsaustausch aller Beteiligten angewiesen. Gut kommunizierende Teams entstehen selten von allein oder zufällig. Denn in einem Team prallen Charaktere, Temperamente, Altersgruppen, Kommunikationsstile und „Lieblingsohren und -schnäbel“ (siehe Vier-Ohren-Modell)
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aufeinander. Da sind Missverständnisse vorprogrammiert und, um die wieder „auszubügeln“, braucht es – falls es überhaupt gelingt – viel Zeit und Energie. Immer wieder sind in Teamberatungen die unterschiedliche Kommunikationskultur, der damit verbundene Habitus und die dazugehörigen Vorurteile und Interpretationen Auslöser oder Verstärker von Konflikten: manchmal sehr schnell offensichtlich, weil offen kommuniziert, in anderen Fällen jedoch tief verborgen. Dazu kommt häufig noch die unterschiedliche Herkunft und die damit verbundene Kommunikationskultur der einzelnen Teammitglieder. Und da reden wir noch nicht einmal von Mitarbeitenden aus Spanien, Griechenland oder den Philippinen. Und wir reden auch nicht von den Deutschen, die in der Schweiz arbeiten und dort ihre ganz eigene Erfahrung hinsichtlich anderer Kommunikationsmuster machen. Allein schon innerhalb Deutschlands gibt es entscheidende Kommunikationsunterschiede. So nimmt beispielsweise die verwendete Wortanzahl ab, je weiter es Richtung Norden geht. Allein das ändert Sprache und Sprachstil schon deutlich im Verhältnis zum Süden der Republik.
Beispiel
Während eines beruflichen Projektes im Norden Deutschlands äußerten Führungskräfte, wie froh sie seien, dass ich auch aus dem Norden käme, denn so könnte man „vernünftiger miteinander reden und arbeiten als mit Süddeutschen“. Umso erstaunter reagierten sie, als ich ihnen mitteilte, dass ich die meiste Zeit meines Lebens in Bayern gelebt habe und dort auch derzeit wieder lebe. Wie es weiterging? Sie konnten ihre Vorurteile überwinden und nicht wenige verbrachten ihre Urlaube danach in den bayerischen Alpen. Bisher hat sich allerdings weder der bayerische Tourismusverband noch die bayerische Staatsregierung für diesen Beitrag zur innerdeutschen Verständigung bedankt… ☺ ◄
14.3 Positive Kommunikationskultur im Team
Die informelle Kommunikation über die Berufsund Stationsgrenzen hinweg spielt eine wichtige Rolle. Denn es sind oft die kurzen, spontanen Zusammentreffen wie eine gemeinsame Tasse Kaffee oder der kurze Plausch im Treppenhaus, die wie bindender Kitt wirken und die „offizielle“ Kommunikation positiv beeinflussen. Gesprächsförderer in der Teamkommunikation • „Zauberworte“ Bitte, danke, gern, das freut mich. • Zuhören Zuhören bedeutet, dem anderen bewusst (auch nonverbal) die Aufmerksamkeit zuwenden und nicht währenddessen bereits die Antwort im Kopf zu formulieren. • Ich-Botschaften Ich-Botschaften (z. B. „Ich wünsche mir, dass …“) lösen beim Gesprächspartner meist mehr Betroffenheit aus, wodurch dieser eher zu einer Klärung bereit ist. Im Gegensatz dazu lösen Du-Botschaften (z. B. „Du hättest auf jeden Fall…“) in der Regel Widerspruch, Rechtfertigung, Ärger und Verletzung aus. Doch Vorsicht, es gibt auch Pseudo-Ich-Botschaften, die zwar mit „ich“ beginnen, dann aber doch eine Aussage über den anderen machen. Beispiel: „Ich finde, dass du total arrogant bist.“ Das ist dann eine verkappte Du-Botschaft mit ausgestrecktem Zeigefinger. • Eigene Aussagen mit „ich“ statt „wir“ Aussagen wie „Wir denken…“, „Alle sind der Meinung, dass, …“, „Keiner von uns möchte…“ sind meist nicht korrekt, da diese Pauschalierungen in den seltensten Fällen vorher mit „allen“ abgestimmt werden. Vielmehr handelt es sich um ein persönliches Versteckspiel, bei dem der Sender nicht die volle Verantwortung für sein Gesagtes übernehmen will und daher lieber die Meinung „aller“ vorschiebt. Besonders in Krisen- und Konfliktsituationen, aber auch in Mobbing-Prozessen, ist dieses „Formulierungs-Versteckspiel“ besonders fatal, da so Konflikte zusätzlich angefeuert werden und bei Mobbing-Opfern das große Rätselraten beginnt, wer sich hinter „alle“ verbirgt.
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• Fragen statt sagen Im Zweifelsfall bietet es sich oft an, lieber erst mal nichts zu sagen, sondern zu fragen. Dazu zählen folgende Fragearten: – Offene Fragen: „Wie sehen Sie das?“ – Nachfragen: „Habe ich Sie richtig verstanden?“ – Zielorientierte Fragen: „Was könnte Ihre Situation verbessern?“ • Schwierige Gespräche vorbereiten Statt spontan zwischen Tür und Angel oder kurz vor der Übergabe in ein Gespräch „reinzustolpern“, ist es wertschätzender und zielführender, sich selbst und den anderen darauf vorzubereiten. • Positive Sprachmuster Das bedeutet nicht, eine rosarote Brille aufzuziehen oder ein verkrampftes, positives Denken um jeden Preis an den Tag zu legen. Vielmehr geht es um eine innere Haltung und eine Lösungs-Sichtweise statt einer permanenten Problemanalyse. Warum also nicht auch mal sagen, was möglich ist, statt mitzuteilen, was alles nicht geht? Oder das Gute erwähnen und das Schlechte unter den Tisch fallen lassen? Oder zu sagen, was gewünscht wird, statt dem, was nicht getan werden soll? Dann würde aus „Null Fehler“ ein „Alles richtig“ oder aus „Diese Abteilung ist bis zum 04.01. geschlossen“ ein „Diese Abteilung öffnet wieder am 05.01.“ Oder aus „Das ist nicht schlecht“ ein „Das ist gut“ oder aus „Der Stationsarzt ist schon lange weg“ ein „Der Stationsarzt ist morgen ab 08:30 Uhr wieder erreichbar“ oder aus „Geh nicht immer so viele Umwege“ ein „Geh den direkten Weg“. • Gesprächsstörer vermeiden Gesprächsstörer sind unter anderem „Du-Botschaften“, Reizformulierungen, Killerphrasen, Unterstellungen, Bewertungen, Verallgemeinerungen wie „Du kommst immer zu spät“ oder „Du füllst nie die Schränke auf“. Zusammengefasst: Bitten statt auffordern, einladen statt aufdrängen, hinhören statt zuquatschen, fragen statt sagen, klar senden, hinschauen, in-
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teragieren, sich kümmern, Interesse, Respekt und Wertschätzung zeigen.
Beispiel
Im Laufe einer Teamberatung kam zur Sprache, dass das altersgemischte Team bei WhatsApp eine Gruppe hat. Im weiteren Verlauf fand ich allerdings heraus, dass das nur die „offizielle“ ist. Was keiner bis dato wusste: Parallel dazu haben sowohl die Jüngeren als auch die Älteren eine eigene Gruppe. Und in diesen altersgleichen Gruppen wird sich dann über die jeweils anderen ausgetauscht, um nicht zu sagen über sie gelästert, was die Buchstaben und Emoticons hergeben. Manchmal sogar live direkt vom Stationstisch aus… ◄
14.4 Interpretationen – die scheinbare Wahrheit Wir interpretieren immer und erschaffen uns so eine subjektive Wirklichkeit, die nicht der Wirklichkeit einer anderen Person entsprechen muss. Denn wir nehmen das Geschehen um uns herum wie durch einen Filter wahr, wodurch selektive Wahrnehmung entsteht. Ohne Filter wären wir angesichts der vielen Informationen und
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der Komplexität völlig überfordert. Alles, was durch den Wahrnehmungsfilter kommt, wird interpretiert und emotionalisiert. Es findet also ein Dreischritt statt: Wahrnehmen/Beobachten – Interpretieren/Bewerten – Fühlen. Schulz von Thun (2010) erklärt das so: Wahrnehmen bedeutet, dass etwas gesehen wird. Durch Interpretation wird das Wahrgenommene mit einer Bedeutung versehen und Fühlen heißt, dass auf das Wahrgenommene und Interpretierte mit einem Gefühl geantwortet wird. Wobei das Gefühl von der eigenen seelischen „Bodenbeschaffenheit“ abhängt (von Thun 2010). So wird die emotionale Reaktion an einem rabenschwarzen Tag anders ausfallen als an einem „Gute-Laune-Tag“.
Beispiel
Jemand äußert einen Vorschlag, woraufhin das Gegenüber die Augenbrauen hochzieht (wahrnehmen). Das wird gedeutet, als „Sie findet den Vorschlag nicht gut“ (interpretieren), woraufhin sich eine große Enttäuschung und Ärger breit machen (fühlen). ◄ Das bedeutet, dass wir in der Regel Dinge nicht neutral sehen, sondern bereits bei der Beobachtung interpretieren, um sie dann – posi-
14.4 Interpretationen – die scheinbare Wahrheit
tiv oder negativ – zu bewerten. Damit ist Wahrnehmung subjektiv, auch wenn wir oft davon ausgehen, dass es sich um die objektive Wahrheit handelt. Da bekommt „Ich sehe was, das du nicht siehst“ doch mal eine ganz neue Bedeutung. Gleichzeitig wird deutlich, wie leicht es in der Kommunikation zu Missverständnissen kommen kann. Auch unterschiedliche Blickwinkel spielen bei der Interpretation eine wichtige Rolle, denn nicht immer ist das Große wirklich groß beziehungsweise das Kleine klein – alles eine Frage der Betrachtung.
Wahrnehmung kann auch mit einer Kaffeezubereitung mittels eines Filters verglichen werden (Gelmi und Freitag 2016): Oben wird 100 Grad heißes klares Wasser reingeschüttet und unten kommt eine ca. 90 Grad heiße braune Kaffeebrühe heraus. Im Filter bleiben Informationen (Temperatur, Kalkpartikel, evtl. Schmutz) hängen. Gleichzeitig wird das heiße Wasser im Brühprozess mit Aroma- und Farbstoffen und
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ggf. mit Koffein angereichert. Die zuerst reduzierte Information wird also im übertragenen Sinn „gefärbt“. Ähnlich ist es mit unserer Informationswahrnehmung: Wir nehmen nur einen Teil der insgesamt zur Verfügung stehenden Information wahr und interpretieren diese Informationen mit unserem ganz individuellen Kaffeefilter bzw. Weltbild. Entsprechend können zwei Menschen aus den gleichen Informationen unterschiedliche Schlüsse ziehen. Der Referenzrahmen für die Beurteilung von zunächst sachlichen Informationen ist also durch die anschließende Interpretation und Bewertung individuell ausgeprägt und wird zusätzlich durch Verzerrungseffekte beeinflusst. Einer der bekanntesten ist der sogenannte „Halo-Effekt“ (englisch halo, Heiligenschein). Dabei überstrahlt ein markantes Merkmal einer Person alles andere. Das führt fälschlicherweise dazu, dass von diesem auf weitere Eigenschaften geschlossen beziehungsweise andere übersehen werden, die nicht dazu passen. Ist ein Bewerber beispielsweise älter, kann dieses Merkmal dazu führen, dass ihm ein geringeres Arbeitstempo oder eine niedrigere Lernfähigkeit und Flexibilität zugeschrieben werden. Doch warum ist das so? „Das Gehirn besteht aus vernetzten Gehirnregionen, entwickelt sich ständig weiter und verarbeitet viele Prozesse in unserem Unterbewusstsein. Dabei nutzt unser Gehirn bestimmte Muster, um kognitive Ressourcen zu sparen“ (Habermacher et al. 2014). Diese Muster werden dann auch auf neue Situationen immer wieder angewendet. So kommt es zu Denkmustern wie „Fleißige Mitarbeiter sind nicht übergewichtig“, „Teilzeitkräfte sind nicht einsatzfreudig“ oder „Jüngere sind faul“. Mehr dazu im Abschnitt „Generationsbedingte Konflikte“ (siehe Abschn. 15.3.3). Die Effizienz des Gehirns zeigt sich auch in der Fähigkeit, Assoziationen zu bilden. Lesen Sie beispielsweise das Wort „Bayern“, assoziieren Sie damit vielleicht Urlaub, Berge, Seen, Dirndl, Oktoberfest oder FC Bayern. Diese Assoziationen und Stereotypen reichern sie gleichzeitig mit persönlichen Erinnerungen, beispielsweise Ferienaufenthalt in der Kindheit oder frisch verliebt auf der Almhütte, an. Oder neh-
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men wir ein anders Beispiel: Hören Sie „Flensburg“, denken sicherlich viele von Ihnen spontan an den Punktestand beim Kraftfahrt-Bundesamt mit Sitz in Flensburg und haben dabei nicht unbedingt die besten Gefühle. Dabei hat Flensburg so viel mehr zu bieten als die deutsche Bundesbehörde. Möglicherweise denken Sie manchmal beim Lesen dieses Buches „Das sehe ich anders“ und meine Antwort wäre vielleicht „So habe ich das auch gar nicht gemeint“. Besonders unausgesprochene Interpretationen können zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen bis hin zu Auseinandersetzungen führen. Daher stellt sich die Frage: Was können wir angesichts der Selektivität unserer Wahrnehmung tun? Entscheidend ist sicherlich, dass wir überhaupt erkennen, dass es keine objektive Wahrnehmung gibt und dass unsere Interpretationen zutreffen können oder nicht. Um das herauszufinden, ist es hilfreich: • wichtige Aspekte des Gesagten wiederzugeben: „Ich habe das gerade so verstanden… – ist das richtig?“ • Gefühle von anderen widerzuspiegeln: „Ich habe das Gefühl, dass du enttäuscht bist, dass ich den Frühdienst morgen nicht mit dir tausche, stimmt das?“ • beim Gegenüber wertneutral nachzufragen: „Wie meinst du das?“ oder „Hast du ein Beispiel dafür?“
14 Erfolgreiche Kommunikation in Teams
„Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht‘s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er ‚Guten Tag‘ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: ‚Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel.‘“
Beispiel
Als ich am Abend eines heißen Sommertages eine kleine Wanderung machte, sah ich plötzlich in ca. 100 m Entfernung eine leicht übergewichtige Frau, die sich nach vorn an einen Baum lehnte, der kurz vor einem Abgrund stand. Ich lief schnell auf sie zu und dachte an Kreislaufprobleme, Suizidgedanken etc. Umso überraschter war ich, als sie mir tiefenentspannt mitteilte, dass sie diesen Baum umarmt, weil ihr das Kraft gäbe. ◄
Interpretationen über eine Person oder eine
Situation sind etwas von mir. Sie können zutreffen oder nicht. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit solchen Phantasien umzugehen: sie für sich behalten und das eigene Verhalten danach auszurichten oder sie mitzuteilen und auf Realität zu prüfen (von Thun 2010). Das Paradebeispiel über subjektive Wirklichkeit ist die Geschichte mit dem Hammer (Watzlawick 2011):
14.5 Kommunikations- und Interaktionsstile nach Schulz von Thun (2016) Im zweiten Band seiner Reihe „Miteinander reden“ beschreibt Schulz von Thun acht idealtypische Kommunikations- und Interaktionsstile. Welcher Stil dominiert, hängt davon ab, welche Persönlichkeitsmerkmale besonders ausgeprägt sind. Die Kommunikations- und Interaktionsstile schließen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr hat jeder Mensch von jedem Stil etwas in sich.
14.5 Kommunikations- und Interaktionsstile nach Schulz von Thun (2016)
Bei manchen Stilen erkennen wir uns sofort, bei anderen braucht es jedoch vielleicht einen zweiten Blick. Doch auch wenn jeder Stil in jedem angelegt und auslösbar ist, so hat jeder von uns Stile, die stärker ausgeprägt sind als andere, was einen lebensgeschichtlichen Hintergrund hat. Wichtig zu wissen ist auch, dass kein Stil in Reinform existiert, sondern immer neben der Persönlichkeit auch von der jeweiligen Situation abhängig ist. Da jeder Stil seine eigenen Stärken und Schwächen mit sich bringt, gibt es nicht den einen idealen Kommunikations- und Interaktionsstil. Stattdessen muss das jeweilige Kommunikationsverhalten stimmig sein, da es sonst auf das Gegenüber aufgesetzt und unecht (inkongruent) wirkt. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Art und Weise, wie er mit Menschen kommuniziert und Beziehungen gestaltet. Daher treffen in einem Team immer auch verschiedene Kommunikations- und Interaktionsstile aufeinander. Handelt es sich um ein altersgemischtes Team, bringt das zusätzliche Vielfalt in die Kommunikation, denn wie wir miteinander kommunizieren und interagieren ist auch von der Erziehung und Prägung der jeweiligen Generation abhängig. Passen die Stile zueinander – unabhängig davon, ob altersgleiches Team oder Generationenmix-Team -, wird Kommunikation sozusagen fast schon zum Selbstläufer. Sind sie nicht kompatibel, kann das von Unwohlsein, Antipathie, Reibereien bis hin zu Konflikten und Kündigungen führen. Schulz von Thun geht davon aus, dass vor allem die frühkindliche Entwicklung den Kommunikations- und Interaktionsstil beeinflusst. Dieser wird dann im Erwachsenenalter nicht mehr überprüft oder korrigiert. Stattdessen bestätigt einem die eigene Erfahrung, wie (scheinbar) gut man doch mit seinem Stil fährt, und die sich selbst erfüllende Prophezeiung trägt ihr übriges dazu bei, ihn nicht zu reflektieren. Doch Kommunikationsstile sind keine Blutgruppen: Sie können bis zu einem gewissen Grad geändert und angepasst werden. Was es dazu braucht? Eine Portion Wollen kombiniert mit Selbstreflexionsfähigkeit. In diesem Sinne kann der folgende Überblick über die verschiedenen Stile
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nicht nur dazu beitragen, die anderen Teammitglieder wiederzuerkennen, sondern auch sich selbst. Sozusagen Aha-Erlebnisse auf mehreren Ebenen…
14.5.1 Der bedürftig-abhängige Stil Dieser Stil stellt sich selbst als hilflos und überfordert dar und gibt damit dem anderen das Gefühl, dass er helfen, entscheiden und die Verantwortung übernehmen muss, da sonst alles schief gehen wird. Hierbei hat die nonverbale Kommunikation oft einen enormen Stellenwert, denn es reicht meist schon ein Blick, um das Herz des anderen zu erweichen. Doch der Wunsch nach Unterstützung kann auch verbal geäußert werden – von der Bitte bis hin zur Forderung.
14.5.2 Der helfende Stil Dieser Stil ist komplementär zu dem bedürftig-abhängigen Stil. Oder anders gesagt: Menschen, bei denen der helfende Stil dominiert, ziehen bedürftig-abhängige Personen an wie Magnete. Sie stehen den Schwachen und Hilflosen einerseits als geduldige Zuhörer, aber andererseits auch mit Rat und Tat zur Verfügung – und das jederzeit, teilweise auch über die eigene Erschöpfung hinaus. Auch wenn sie nach außen eine souveräne Stärke ausstrahlen, heißt es tief in ihnen drin: „Ich darf nicht schwach, hilflos, ratlos, traurig oder bedürftig sein.“ In diesem Zusammenhang passt das Stichwort „Helfersyndrom“, denn auch bei dem helfenden Stil will sich der Helfer nicht wirklich mit seinem eigenen Anlehnungsbedürfnis und seinen schwachen Anteilen auseinandersetzen.
14.5.3 Der selbst-lose Stil Der selbst-lose Stil ähnelt dem helfenden Stil, da auch hier das Grundmuster darin besteht, für andere da zu sein und ihre Nöte zu erkennen.
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Während der „Helfende“ aus einer souveränen Haltung, sozusagen „von oben“ kommt, hat der „Selbst-lose“ eher eine aufopferungsvolle, manchmal fast schon unterwürfige Haltung „von unten“. Und noch einen Unterschied gibt es: Beim helfenden Stil geht es darum, die Gefühle von eigener Schwäche, Hilf- und Ratlosigkeit weit von sich wegzuschieben und sich durch die souverän-überlegene Haltung gegenüber Hilfsbedürftigen die eigene Stärke und Problemlosigkeit zu beweisen. Ganz anders beim selbst-losen Stil, bei dem die Schwäche mitenthalten ist. So sind Personen, bei denen dieser Stil dominiert, der tiefen Überzeugung, dass sie bedeutungsund wertlos sind, was nur durch den Einsatz für andere etwas kompensiert werden könne. Dieses „sich durch den anderen Definieren“ ist auch ein Ausdruck von fehlendem Selbstgefühl. Man ist also ohne Selbst – daher die eigenartige Schreibweise „selbst-los“. Während der helfende Stil seine Probleme und Sorgen nicht offenbart, weil er nicht als schwach und bedürftig gesehen werden will, tut es der Selbst-lose nicht, da er auf keinen Fall in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten und andere damit belasten möchte.
14.5.4 Der aggressiv-entwertende Stil Der Gegenpart zum selbst-losen Stil ist der aggressiv-entwertende Stil. Zu diesem autoritären Charakter gehört das „Radfahrer-Prinzip“, bei dem „nach oben gebuckelt“ und „nach unten getreten“ wird. Dabei ist das Ziel, dem Gegenüber offen oder verdeckt zu schaden und es klein, schuldig und wertlos erscheinen zu lassen. Dazu gehört pathologisieren, erniedrigen aber auch, dass Fehler an den Pranger gestellt werden. Das alles geschieht aus der Überzeugung heraus, dass man es doch nur gut mit dem anderen meint und er es nicht anders verdient hätte. Doch damit nicht genug, es wird auch davon ausgegangen, dass der andere in Schach gehalten werden müsse, da die Gefahr bestehe, dass er sonst den Spieß umdrehen und einen Vernichtungsfeldzug beginnen könnte.
14 Erfolgreiche Kommunikation in Teams
Von außen betrachtet wirkt dieser Stil aggressiv, bösartig, verächtlich und überkritisch, doch die „Innenseite“ ist meist verletzlich und verzweifelt. „Harte Schale, weicher Kern“ sagt dazu der Volksmund.
14.5.5 Der sich beweisende Stil Wer im beweisenden Stil kommuniziert, will dem Gegenüber durch sein Verhalten deutlich machen – eben beweisen – wie gut, kompetent, gebildet und überlegen er ist und was er schon alles geschafft hat, wen er alles kennt oder wie gefragt er ist. Dadurch steht er immer latent unter Druck, denn er gibt sich nach außen vollkommener, als er innerlich ist. Dieses Spannungsfeld zwischen Ehrgeiz und Selbstzweifel kostet diesen Personen viel psychische Kraft. Ihren Selbstwert machen sie vor allem von der nach außen präsentierten Leistung abhängig. Daher heißt es in ihnen: „Ich selbst bin nicht (liebens)wert – nur in dem Maße, wie ‚gut‘ ich bin, verdiene ich Liebe und Anerkennung.“ Treffen zwei Personen, bei denen dieser Kommunikations- und Interaktionsstil dominiert, aufeinander, kommt es regelmäßig zu einem gegenseitigen Auftrumpfen nach dem Motto: „Mein Haus, mein Auto etc.“.
14.5.6 Der bestimmendekontrollierende Stil Bei diesem Stil geht es um Kontrolle, Berechenbarkeit („das Heft in der Hand haben wollen“), Sicherheit und die große Sorge vor Chaos, Kontrollverlust, (bösen) Überraschungen und dem „Spiel des Lebens“ mit seinen ständig neuen Gegebenheiten. Im Extremfall kann dieser Stil zu einer zwanghaften Lebensführung mit pedantischer Regelmäßigkeit, starren Normen und Prinzipien führen. Eine Person, bei der dieser Stil stark vorherrscht, gibt ihrem Gesprächspartner deutlich zu verstehen, dass sie (im Gegensatz zu ihrem Gegenüber) weiß, was richtig und gut ist – auch für den anderen. Von alltäglichen Dingen wie
14.5 Kommunikations- und Interaktionsstile nach Schulz von Thun (2016)
„Nimm einen Regenschirm mit“ bis hin zu den großen Lebensfragen – für alles gibt es nicht nur einen Tipp, sondern einen Appell und/oder einen Verhaltenskodex. Obwohl nicht immer unbedingt so beabsichtigt, wird dieser Stil meist nicht im positiven, fördernden Stil angewandt, sondern eher „oberlehrerhaft“. Das sorgt dafür, dass es vom Gegenüber als penetrant empfunden und, wo immer möglich, abgelehnt wird. Auch dieser Stil hat etwas Entwertendes, doch im Gegensatz zum aggressiv-entwertenden Stil ist das hauptsächliche Ziel nicht die Herabsetzung des anderen, sondern es besteht darin, dass das Gegenüber geformt, geändert und kontrolliert werden soll. Der bestimmend-kontrollierende und der selbst-lose Stil bilden häufig eine Symbiose, denn hier treffen sich sozusagen Guru und Musterschüler.
14.5.7 Der sich distanzierende Stil Personen, bei denen dieser Stil überwiegt, möchten auf räumlicher und emotionaler Ebene eine gewisse Distanz wahren. Das Distanzierende bezieht sich dabei nicht nur auf das Körperliche (z. B. Scheu vor Berührungen), sondern auch auf das Räumliche. Letzteres zeigt sich unter anderem darin, dass Schreibtische oder andere Gegenstände dafür verwendet werden, den „Sicherheitsabstand“ einzuhalten (und das schon lange vor Corona). Neben einer nonverbalen Abwehrhaltung sind weitere Kennzeichen dieses Stils eine versachlichte Sprache, kaum Preisgeben von Privatem oder Gefühlslagen und das vernünftige, rational Denkende. Auch wenn Distanzierte nach außen hin den Eindruck erwecken, dass sie durch kaum etwas berührbar sind („an die ist kein Rankommen“) und keine Gefühle haben, so findet sich bei genauer Betrachtung doch tatsächlich ein Herz, wo von außen häufig ein Stein vermutet wird. Auch diese Person kompensiert mit ihrem Verhalten innere Angelegenheiten.
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14.5.8 Der mitteilungsfreudigdramatisierende Stil Das Ziel dieses Stils ist es, zu präsentieren und wahrgenommen zu werden. Alles, nur nicht einer von vielen sein, sondern lieber etwas Besonderes. Personen, bei denen dieser Stil stark ausgeprägt ist, deren Leben ist die Bühne – ob wortwörtlich oder im übertragenen Sinn. In ihrem Umfeld ist es selten langweilig, denn sie bringen mit ihrer Lebendigkeit, Mitteilungsfreudigkeit und Spontanität „Leben in die Bude“. Hingegen werden Dinge wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit von ihnen eher als Pedanterie und Spießbürgerlichkeit bewertet. Von ihrer wahren Persönlichkeit geben sie nur wenig preis, denn sie haben schon früh gelernt, dass es kaum jemanden interessiert, wie es ihnen wirklich geht, sie aber immer dann Beachtung erhalten, wenn sie auf sich aufmerksam machen.
Beispiel
Ein pflegerisch aufwendig zu versorgender Patient wurde neu auf eine Station aufgenommen. In der Übergabe wird besprochen, wer ihn im Spätdienst pflegt. Hier die verschiedenen Reaktionen: • Bedürftig-abhängiger Stil: „Das ist viel zu schwierig für mich. Das schaffe ich auf keinen Fall. Du bist doch viel kompetenter, bitte übernimm du ihn.“ • Helfender Stil: „Ach, das ist doch gut zu schaffen.“ Im Falle, dass ein anderer aus dem Team den Patienten übernimmt: „Du Armer, sag mir auf jeden Fall Bescheid, wenn du Hilfe brauchst, dann helfe ich dir sofort.“ • Selbst-loser Stil: Im Falle, dass sich eine andere Pflegekraft für die Pflege des Patienten gemeldet hat: „Lass mich dir bei diesem schwierigen Patienten helfen.“
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• Aggressiv-entwertender Stil: „Das ist doch wirklich ein Kinderspiel.“ Ein anderer hat den Patienten übernommen: „Wenn du nicht mal das schaffst, bist du wirklich ein Vollpfosten.“ • Beweisender Stil: „Das ist überhaupt kein Problem für mich, das bekomme ich spielend hin. Seht zu und lernt!“ • Bestimmender Stil: „Der Patient wird von XY übernommen und wichtig dabei ist, auf folgendes zu achten…“ • Distanzierender Stil: „Keine Panik, lasst uns mal ganz sachlich und überlegt an die Sache rangehen.“ • Mitteilungsfreudiger-dramatisierender Stil: „Ich hatte vor ein paar Monaten schon mal so einen Patienten und da…“ ◄
14 Erfolgreiche Kommunikation in Teams
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•
14.6 Effektive Teambesprechungen Besprechungen sind immer dann erfolgreich, wenn es gelingt, zielführende, konkrete Ergebnisse unter breiter Beteiligung der (anwesenden) Beschäftigten im vereinbarten Zeitrahmen zu erzielen. Entscheidend dafür ist eine systematische Vorgehensweise, die Kommunikationsqualität, aber auch die Kritik- und Konfliktfähigkeit der Teilnehmenden und der Besprechungsleitung. Im wahren Leben kenne ich jedoch Besprechungen, in denen • keiner vorbereitet ist und die Teilnehmenden nacheinander dazukommen bzw. früher das Meeting verlassen – und das bei einer Besprechungsdauer von 30 Min. • sich Teilnehmende von Kollegen „rauspiepsen“ bzw. „raustelefonieren“ lassen, nur um nicht dabei sein zu müssen. • zwei bis drei Personen „Dauersprecher“ sind und sich die Bälle zuwerfen und die anderen das Vorgetragene genervt bis resigniert abnicken. • sämtliche Beschäftigte ihre Wünsche zu den Tagesordnungspunkten niederschreiben, jedoch nie anwesend sind. Am Meeting nehmen dann oft nur die Stationsleitung und maximal ein bis zwei Pflegekräfte teil. Hier von
•
Beschlussfähigkeit zu sprechen, ist wohl etwas zu hoch gegriffen. das Ergebnisprotokoll bereits im Vorfeld vom Vorgesetzten geschrieben wird. es weder einen Schluck Wasser oder Kaffee zu trinken gibt, weil es von der Klinikleitung mit der Begründung „Das ist Arbeit, kein Kaffeekränzchen“ verboten wurde. Doch ich kenne auch andere Beispiele, nämlich die Variante, dass immer ein anderer einen selbstgemachten Kuchen mitbringen muss, oder auch die Luxusvariante, bei der sich die Tische fast schon vor lauter Schnittchen, Gebäck, Säften und diversen warmen Getränken biegen. jeder zu Beginn aufgefordert wird zu sagen, wie er sich gerade fühlt. Als Parameter dienen dazu Wetterkonstellationen. Also beispielsweise: „Ich fühle mich sonnig mit ein paar Wolken“, „Bei mir herrscht Eiseskälte“ oder „Leichter Fönwind, der aber zum Orkan werden könnte“. Erklärt wird das damit, dass auf diese Weise jeder vom aktuellen Gemütszustand des anderen wisse und ihn dann besser „nehmen“ könne. die Zeit fast ausschließlich zum Smalltalk genutzt wird und am Ende noch kurz pro forma die Tagesordnungspunkte vorgelesen werden – immer mit dem Hinweis: „Das können wir dann ja noch per mail oder telefonisch klären.“
Vielleicht kommt Ihnen manches bekannt vor und ich bin mir sicher, dass sich die Liste noch lange fortsetzen ließe. Kein Wunder, dass da kaum jemand „Hurra“ schreit, wenn die nächste Teambesprechung vor der Türe steht. Häufig ist der Kommentar hinter vorgehaltener Hand dann eher „Es ändert sich ja doch nichts“ oder „Schon wieder die bla-bla-Runde“. Passend dazu gibt es ja diesen Spruch: „Viele gehen rein, wenig kommt raus“. Einmal ganz davon abgesehen, dass schlecht funktionierende Besprechungen zu Übellaunigkeit und Gelangweiltsein führen, sorgen sie auch für Unzufriedenheit, Demotivation und sinkender Bereitschaft, sich kreativ, innovativ und konstruktiv einzubringen. Doch selbstverständlich gibt es auch Besprechungen, die effektiv, motivierend, humorvoll, zielführend sind, und an denen die Beschäftigten
14.6 Effektive Teambesprechungen
nicht nur gern teilnehmen, sondern sich auch aktiv einbringen. Wie das gelingen kann, dazu nun mehr. Erfolgsfaktoren für Teammeetings: • Zeitrahmen vorher festlegen – keine Open-EndBesprechungen • Pünktlichkeit (Beginn und Ende) • Termine frühzeitig kommunizieren – möglichst bereits bei Dienstplanerstellung berücksichtigen • Regelmäßigen Rhythmus festlegen • Für Ungestörtheit sorgen • Tagesordnungspunkte – Klar definierte Ziele und eine Agenda – also nicht nur zusammensitzen und dann mal schauen, „was so von der Gruppe her kommt“ – Im Vorfeld über geplante Tagesordnungspunkte, inklusive Zeitbudgets und das zu erreichende Ziel (Information, Diskussion, Meinungsbildung, kollegialer Rat, Entscheidung etc.) informieren – Möglichkeit geben, selbst Themen vorzuschlagen – ob über Besprechungsbox, ausgehängtes Plakat oder digital – Wichtige Themen zuerst – Quick-Wins – Themen einplanen, die schnelle und deutliche Erfolgserlebnisse ermöglichen • Nonverbale Kommunikation – auf die eigene und die der anderen achten. Ob rollende Augen, gelangweilte Blicke, genervtes Durchatmen oder auch offene, zugewandte Körperhaltung, aufmunterndes Nicken oder bestätigendes Lächeln • Gesprächsleitung/Moderation – eindeutig im Vorfeld klären (im Falle, dass die Besprechungsleitung rotiert) – sorgt dafür, dass die Beiträge der Anwesenden klar, kurz, entscheidungsfördernd und informativ sind – also keine „Informationslawinen“ – unterbricht „Vielredner“ wertschätzend – beendet störende, parallel geführte „Seitengespräche“ – greift bei Spannungen ein und versucht, wieder eine positive, konstruktive Verständigung herzustellen
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– schafft eine offene Atmosphäre – ermutigt Teilnehmende zu Wortbeiträgen – fasst die Beschlüsse für das Protokoll zusammen und sorgt für Klärung von Zuständigkeiten, Terminierung und Evaluationstermin • Führen eines Ergebnisprotokolls (Themen, Beschlüsse, Zuständigkeiten, Terminierung). Zu Beginn der nächsten Teambesprechung wird anhand dieses Protokolls der Status der in der letzten Besprechung vereinbarten ToDo‘s geklärt (Ergebnissicherung/Evaluation) • Jede Besprechung verläuft teamorientiert nach fairen Spielregeln. Diese können beispielsweise folgende sein: – Sache vor Emotion – Ausreden lassen – wenn erforderlich maximale Redezeit, z. B. drei Minuten am Stück, vereinbaren – Jeder darf sich nicht nur, sondern soll sich sogar beteiligen, auch die Auszubildenden – Persönliche Konflikte werden nicht vor dem Team ausgetragen – Lachen ist erlaubt, ja sogar erwünscht, abgesehen von Auslachen • Sicherstellen, dass Protokolle von allen gelesen werden • Immer wieder die eigenen Besprechungen wertneutral reflektieren: – Anzahl der Teilnehmenden – Werden Protokolle gelesen? – Wie vorbereitet sind die Teilnehmenden und die Gesprächsleitung? – Sind immer „nur“ die gleichen Beschäftigten anwesend? – Passt der Zeitrahmen? – Werden alle Wortbeiträge fair behandelt? – Bringen sich die Teilnehmenden ein? – Ist der gewählte Termin günstig? – Finden die Besprechungstermine zu oft oder zu selten statt? – Sind die Tagesordnungspunkte relevant für eine Besprechung? – Sind auch Meinungen, die von der Gesprächsleitung/der Führungskraft abweichen, erwünscht? – Werden die Vereinbarungen/To-Do‘s umgesetzt?
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– Können sich Teammitglieder – auch die, denen eine Teilnahme nicht möglich ist – im Vorfeld einbringen? – Werden Themen diskutiert oder nur die Punkte nacheinander „durchgehechelt“ und von den Teammitgliedern pflichtbewusst abgenickt? – Was läuft in den Besprechungen besonders gut? Wo ist Verbesserungspotenzial? • Multiprofessionelle Meetings installieren, um Belange, die beispielsweise Schnittstellen zu anderen Abteilungen betreffen, zu besprechen Beispiel
In einer Klinik treffen sich die Stationsleitungen einmal im Quartal zu einer erweiterten Stationsleitungs-Besprechung und laden hierfür einen „Gast“ ein. Das kann eine Person aus Direktorium, Verwaltung, Apotheke, Einkauf etc. sein. Hinter vorgehaltener Hand spricht man außerhalb der Pflege auch vom Tribunal, denn die Besprechung hat im Grunde nur einen einzigen Zweck: Die Stationsleitungen tragen sämtliche Probleme, Vorstellungen und Wünsche vor, die sie mit dieser Abteilung oder der Person haben, und der Gast darf jeweils nur kurz zu den einzelnen Kritikpunkten Stellung beziehen. ◄ Neben den „klassischen“ Teambesprechungen sind immer wieder auch kurzfristig einberufene Zusammenkünfte erforderlich, die jedoch in keiner Weise die geplanten Meetings ersetzen. Vielmehr ist es wie eine kurze Spielunterbrechung (Timeout), die in Sportarten wie Eishockey oder Handball, hauptsächlich dazu genutzt werden, die weitere Taktik zu besprechen.
14.7 Feedback – der Blickwinkel der anderen 14.7.1 Selbstreflexion – Selfie ohne Filter Um ein möglichst klares Bild von sich selbst zu bekommen, wird nicht nur ein Feedback von
14 Erfolgreiche Kommunikation in Teams
außen, sondern auch eines von sich selbst benötigt. Es braucht Selbstreflexionsfähigkeit, aber auch Mut und Willensstärke, um die eigenen Gedanken, Einstellungen, Vorurteile, Gefühle, Aktionen, Fähigkeiten, Entscheidungen, Werte, Talente, Wünsche und so weiter kritisch zu prüfen. Sozusagen ein Selfie ganz ohne Filter. Keine Sorge, es muss ja nicht gleich die Nahaufnahme bei Neonröhren-Beleuchtung sein. Denn manche Menschen neigen dazu, sich negativer zu sehen als die anderen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass wir uns selbst am allerbesten kennen, weil wir die meiste Zeit mit uns verbringen. Passend dazu hatte ich unlängst ein Buch mit dem Titel „Jeder ist normal, bis du ihn näher kennenlernst“ in der Hand. Der Psychologe Cloud (2012) beschreibt das Verhältnis von Feedback „von außen“ und „von innen“ so: „Es ist eines, sicher und korrekt Auto zu fahren, wenn ich im Rückspiegel einen Streifenwagen sehe; das ist das Feedback von außen. Es ist etwas anderes, sicher und korrekt zu fahren, wenn ich allein auf der Straße bin; das ist Reife“ (Cloud 2012).
Beispiel
Nachdem ich eine ca. 50-jährige Mitarbeiterin längere Zeit bei ihrer Tätigkeit begleitete (Training on the job), gab ich ihr unter anderem die Rückmeldung, wie professionell sie mit ihrer ruhigen, natürlichen, herzlichen Art und ihrer positiven Ausstrahlung selbst knifflige Situationen deeskaliert. Daraufhin begann sie zu weinen. Sie meinte, dass ihr das deshalb so nahe gehe, weil sie sich ihr ganzes Leben über ihre muffige und schlechtgelaunte Art geärgert hatte. Doch vor fünf Jahren habe sie den Entschluss gefasst, dass sie fröhlicher und „leichter“ werden wolle. So hat sie viele Bücher gekauft, sich Hilfe gesucht und positive Formulierungen aufgeschrieben. Die habe sie dann auswendig gelernt, „wie andere eine neue Fremdsprache lernen“, erzählte sie. Es habe etwas gedauert, doch nach einiger Zeit sei sie immer sicherer und fröhlicher geworden. Das positive Feedback ihrer Umwelt habe sie positiv verstärkt und nun
14.7 Feedback – der Blickwinkel der anderen
könne sie sich ihr Leben gar nicht mehr anders vorstellen. ◄
14.7.2 Das Johari-Fenster und die Sache mit dem „blinden Fleck“ So ähnlich wie der „tote Winkel“ beim Abbiegen gibt es den „blinden Fleck“. Der Begriff ist dem sogenannten „Johari-Fenster“ entnommen und setzt sich aus den ersten Buchstaben der Vornamen Joseph Luft und Harry Ingham, den „Erfindern“ des Fensters, zusammen. Das eigene Verhalten lässt sich danach unterscheiden, ob es mir selbst bekannt ist oder nicht – und auch danach, ob es anderen bekannt ist oder nicht. Auf diesen Unterscheidungen ist das Johari-Fenster mit seinen vier Dimensionen aufgebaut. Wie groß die einzelnen Quadranten des Johari-Fensters sind, ist von den persönlichen Beziehungen der einzelnen Teammitglieder genauso abhängig wie das Ausmaß, in welchem eine Person Kenntnis über die eigene Persönlichkeit hat.
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Öffentlich – ist mir und anderen bekannt Dazu zählt alles, was ein Mensch von sich preisgibt, wie private Lebensumstände, Familienstand, Hobbys, Eigenschaften, Werte und Einstellungen. Bereich des Verbergens – ist nur mir selbst, aber nicht den anderen bekannt Der Betroffene kann das Geheime, wie „wunde Punkte“ oder heimliche Wünsche, sozusagen die „private Person“, entweder unwissentlich oder bewusst vor den anderen Teammitgliedern verbergen. Während durch wachsendes Vertrauen innerhalb des Teams oder zu einzelnen Teammitgliedern der Bereich kleiner werden kann, führen Angst und Verschlossenheit zum Gegenteil. Blinder Fleck – ist mir selbst unbekannt, den anderen jedoch bekannt Beim „blinden Fleck“ kann es sich beispielsweise um unbedachtes oder unbewusstes Verhalten, erkennbare Zu- und Abneigungen oder Vorurteile handeln. Dieser Bereich wird meist nonverbal, etwa durch Mimik, Gestik, Tonfall,
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Distanzzonen oder auch Erscheinungsbild kommuniziert. Das Unbekannte/das Unbewusste – ist weder mir noch den anderen bekannt Das Unbewusste ist ein Bereich, der unser Handeln beeinflusst, über den aber weder wir selbst noch andere etwas wissen. Manches wird im Laufe der Zeit sichtbar, wodurch vieles erklärbar wird, das wir bis dahin nicht einordnen konnten. Dieser Bereich kann durch Psychotherapie teilweise erschlossen werden. Wie kann der „blinde Fleck“ verkleinert werden? Da wir „blinde Flecken“ bei uns selbst nicht wahrnehmen, ist es wichtig, dass uns andere Feedback geben. Denn wenn Informationen bekannt sind, kann im Fall von Verbesserungspotenzialen versucht werden, daran zu arbeiten, die „blinden Flecken“ zu verkleinern bzw. aufzulösen. Werden positive Dinge von anderen gesehen und rückgemeldet, löst das Freude aus und stärkt das Selbstbewusstsein. Daher ist es entwicklungsfördernd und lohnenswert, gegenüber einem Feedback von außen offen zu sein und es sich auch immer wieder aktiv einzuholen. Es gilt: Der Empfänger, nicht der Sender, bestimmt die Bedeutung einer Aussage (Heckner und Keller 2011). u Viele „blinde Flecken“, wie Verhaltensmuster, sind oft tief verinnerlicht und können daher, auch wenn sie „von außen“ sichtbar gemacht werden, nicht einfach auf Knopfdruck geändert werden. Dafür braucht es Zeit, Geduld und weiterhin konstruktive Feedbackgabe und -annahme.
14.7.3 Feedback von außen Regelmäßiges konstruktives Feedback bietet eine große Chance, die Fremdwahrnehmung mit der Selbstwahrnehmung systematisch zu vergleichen. Oder anders formuliert: Feedback ist
14 Erfolgreiche Kommunikation in Teams
eine wunderbare Möglichkeit, sich besser kennenzulernen – so wie andere einen sehen.
Beispiel
In einem Stationsteam arbeitete ein Mitarbeiter mit starkem Mundgeruch. Die Kollegen versuchten es ihm über Umwege mitzuteilen, indem sie ihm Bonbons und Kaugummis anboten, doch er verstand den „Wink mit dem Zaunpfahl“ nicht. Da keiner vom pflegerischen und medizinischen Personal den Mut hatte, offen mit ihm darüber zu sprechen, wussten es alle – außer ihm. Die entscheidende Wende kam, als einige Monate später eine neue Stationsleitung ihren Dienst antrat. Nach wenigen Tagen sprach sie ihn unter vier Augen behutsam darauf an. Er reagierte sehr positiv und dankbar und berichtete, dass sein Zahnarzt vor einigen Monaten gemeint hätte, dass es sein könne, dass er demnächst Mundgeruch entwickeln würde. Sobald dies einträte, solle er wiederkommen, um das Ganze zu behandeln. Das tat er dann auch und innerhalb kürzester Zeit war der Mundgeruch verschwunden. Geblieben ist bei ihm ein gewisses Misstrauen, warum die Kollegen nicht schon früher etwas gesagt haben. Das Team wiederum ist der Meinung, er hätte aktiv bei ihnen nachfragen können. Diese Spannung konnte erst durch einen offenen Dialog und Vertrauens-Rückgewinnung abgebaut werden. ◄ Durch Feedback wird eine Rückmeldung gegeben, wie das Verhalten im Positiven oder Negativen vom Feedbackgeber erlebt wird, welche Bedürfnisse und Gefühle das bei ihm hervorruft und – im Fall von negativem Feedback – welche Verhaltensänderungen die Zusammenarbeit erleichtern würden. So können Verhaltensweisen, die die Zusammenarbeit stören, korrigiert und positive verstärkt werden. In beiden Fällen klärt Feedback die Beziehung zwischen Personen und fördert dadurch das gegenseitige Verstehen. Wird die Rückmeldung wertschätzend und positiv gegeben, steigert das (im Team) die Stimmung, Motivation, Produktivität und erhöht
14.7 Feedback – der Blickwinkel der anderen
die Bereitschaft bei anderer Gelegenheit, auch kritisches Feedback entgegenzunehmen (Gellert und Nowak 2010). Unausgesprochenes hingegen bietet viel Raum für Phantasie, Spekulation, aber auch Interpretation, und ist damit ein Nährboden für Fehleinschätzungen. Durch Feedback herrscht mehr Klarheit (jeder weiß, woran er ist) und so können Missverständnisse im Keim erstickt und Konflikte auf niedriger Stufe deeskaliert werden. Fehlt jedoch die Bereitschaft zur Metakommunikation, also zum Gespräch über die Kommunikation, das Verhalten und den Umgang miteinander, dann staut sich Ärger auf und es kommt irgendwann zu einer (unkontrollierten) Explosion, die mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Die Feedback-Kultur in einem Team hängt wesentlich davon ab, wie lange sich die Teammitglieder kennen, welche Atmosphäre herrscht und welcher Vertrauensgrad besteht. Umgekehrt trägt eine gute Feedbackkultur dazu bei, dass sich Vertrauen und Akzeptanz im Team verbessern. Je höher die Bereitschaft der Teammitglieder ist, sich gegenseitig Feedback zu geben, desto mehr Möglichkeiten gibt es, voneinander zu lernen. Das gilt auch im Hinblick auf die Annahme eines Feedbacks. Denn wer Feedback gibt, muss sich auch daran messen lassen, ob er im umgekehrten Fall bereit ist, ein Feedback anzunehmen. An dieser Stelle kann jeder Vorbild sein und damit zu einer hilfreichen Kultur des offenen Austausches beitragen. Passend dazu wird John F. Kennedy (manche schreiben es auch Benjamin Franklin zu) zitiert: „Unsere Kritiker sind unsere Freunde, sie zeigen auf unsere Fehler.“
14.7.4 Regeln für ein wirksames TeamFeedback Neben den wohlwollenden, ermutigenden Rückmeldungen, die ihr Gegenüber auf etwas hinweisen, das verbessert werden kann, gibt es Feedbacks, die abwertend oder verletzend sind und vor allem darauf abzielen, jemanden klein zu halten, zu beschuldigen, „eine Rechnung zu begleichen“ oder den eigenen Status klar zu stel-
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len. Dazu hat der Schriftsteller Max Frisch einmal geschrieben: „Man darf dem anderen die Wahrheit nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen. Man sollte sie ihm vielmehr hinhalten wie einen Mantel, damit er hineinschlüpfen kann.“ Folgende Punkte zeigen, wie dieses „Mantel hinhalten“ aussehen kann: • Timing ist alles – auch beim Feedback. Weder sollte es sich auf etwas beziehen, das schon länger zurückliegt, noch ist es ratsam, Feedback zu schnell und „aus dem Bauch heraus“ zu äußern. • Vor der Feedback-Gabe die eigene Motivation prüfen: Bin ich in diesem Fall die richtige Person, um Rückmeldung zu geben? Was stört mich wirklich am Verhalten des anderen? Regt mich die Person als solches auf? Stört dieses Verhalten nur mich oder stört es auch andere (nur beobachten, keine Umfrage im Team starten)? Stört mich am anderen etwas, das eigentlich mein eigenes Problem ist? Wie wird es mir gehen, wenn der andere sein Verhalten tatsächlich ändert oder wenn er es nicht verändert? • Feedback nur geben, wenn es sich auf Verhaltensweisen bezieht, die der Empfänger auch verändern kann. • Die Entscheidung, ob ein Feedback gegeben wird oder nicht, hängt auch von den Bedürfnissen und dem „Zustand“ des Empfängers ab. • Nicht vor anderen, schon gar nicht ein Tribunal und auch kein „zwischen Tür und Angel Gespräch“. Besser ist ein möglichst störungsfreier Raum und ein Zeitfenster, das groß genug ist, dass beide ihren Standpunkt mitteilen können. • Ein Feedback ist kein „Staatsakt“, sondern ein normales und hilfreiches Gespräch. Es ist also nicht erforderlich und auch alles andere als zielführend, wenn plötzlich in förmlichem Ton und mit geschwollenen Worten gesprochen wird. • Feedback sollte, wann immer möglich, im direkten Gespräch erfolgen und nur in Ausnah-
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mefällen schriftlich – in keinem Fall über Dritte. • Da ein Feedback die Beziehung zwischen Empfänger und Sender klären und verbessern soll, erfolgt es im eigenen Namen und nicht als „Briefträger“ anderer Teammitglieder oder der Leitung. Dazu gehört auch, dass keine Formulierungen wie „Wir alle…“, „Jeder im Team…“ oder „Man hat mich gebeten…“ verwendet werden, da sich der Feedbackgeber hinter diesen Formulierungen versteckt. Und „Versteckspiel“ und Feedback gehören nicht zusammen. • Bei den Fakten bleiben und nicht Tatsachen mit Mutmaßungen mischen und mit Übertreibungen garnieren. • Statt Pauschalierungen wie „immer“, „nie“, „alle“, besser konkret die Dinge benennen und dabei Ich-Botschaften verwenden. • Feedback ist kein Gang durch die „Ahnengalerie“, daher nicht noch sämtliche früheren Vorfälle nach dem Motto „Wo wir schon mal dabei sind“ vortragen. • Rückmeldungen so geben, dass sie keine (moralischen) Bewertungen oder unterschwelligen Botschaften enthalten. • Kein Lob mit Tadel mischen („Hamburger-Methode“). • Feedback ist nicht nur Monolog, sondern Dialog, und daher ist auch Zuhören ein wichtiger Faktor. • Feedback wird für den Empfänger deutlicher, wenn der Feedbackgeber mitteilt, was das Verhalten des anderen für ihn bedeutet, z. B. „Wenn du in der Übergabe so schnell redest, kann ich mich irgendwann nicht mehr konzentrieren.“ • Häufig erfolgt Feedback auch durch nonverbale Signale wie Körperhaltung, Gestik, Mimik, Blicke, eisiges Schweigen, Lächeln oder Gähnen. Diese Form des Feedbacks hat eine starke Wirkung auf das Gegenüber, doch die Schwierigkeit liegt darin, dass es noch mehrdeutiger zu verstehen ist als das verbale Feedback. So kann der Blick auf die Uhr während der Übergabe vieles bedeuten: „Komm doch endlich mal zum Schluss“, „Ich bin gelangweilt“, „Ach, wenn es doch schon Feier-
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abend wäre“, „Ich will sicher sein, dass ich auch noch genügend Zeit habe, um meine Patienten zu übergeben“, „Ich muss gleich zum Zahnarzt und muss daher pünktlich die Station verlassen“. • Beim Feedback ist es entscheidend, Sache und Mensch zu trennen. Die Rückmeldung bezieht sich auf Verhalten oder Handlungen eines Menschen, aber nicht auf die Person. Es ist daher ein Unterschied, ob dem Gegenüber beispielsweise mitgeteilt wird, dass er viel geredet hat oder dass er ein Vielredner ist. So wird aus einem störenden Verhalten keine störende Person. • Die Gesprächslänge sollte dem Inhalt des Feedbacks angemessen sein. Grundsätzlich gilt: In der Kürze liegt die Würze. Endlosschleifen, die immer wieder auf dem Kritikpunkt „rumhacken“, fördern in keinem Fall, dass das Feedback gut aufgenommen wird. • Niemanden mit einem Feedback-Gespräch „überfallen“, besonders dann, wenn es keine positive Rückmeldung ist, und möglichst nicht vor oder unmittelbar nach der Rückkehr aus einem „Frei“ oder „Urlaub“ platzieren. • Es gibt keine objektive Wahrheit. Daher ist es wichtig, die Gefühle und Ansichten des Gegenübers zu respektieren und Verständnis für seine Interpretationen zu haben. Dazu gehört auch, Empathie und Kompromissbereitschaft insofern zu zeigen, dass zumindest eine friedliche Lösung angestrebt wird, genauso wie zuzugeben, dass man sich möglicherweise geirrt hat. • Je nach Thema und Situation: Verschwiegenheit zusichern.
14.7.5 Feedback erhalten und annehmen Jeder freut sich über ein positives Feedback – besonders wenn es ernst gemeint, wertschätzend und ohne Hintergedanken geäußert wird. Die Annahme einer solchen Rückmeldung fällt dementsprechend leicht. In vielen Fällen sieht das bei einem kritischen Feedback anders aus; das ist meist so unbeliebt wie die Hausaufgaben
Literatur
nach der Schule. Dabei ist die geäußerte Kritik grundsätzlich nur die Meinung eines anderen, die zutreffen kann oder nicht. Kein Grund also, sich sofort in Verteidigungsposition zu bringen. Stattdessen lohnt es sich, erst mal zuzuhören, um danach entscheiden zu können, wie mit dem Feedback umzugehen ist. Manchmal braucht es erst etwas Zeit, um den Hinweis „zu verdauen“. In anderen Fällen kann es hilfreich sein, den Inhalt mit eigenen Worten wiederzugeben und Fragen zu stellen („Wie meinst du das?“, „Hast du ein konkretes Beispiel dafür?“), um sicher zu sein, dass alles richtig verstanden wurde. So können mögliche Missverständnisse sofort ausgeräumt werden. Außerdem hilft die Konkretisierung auch dabei, Distanz zu der Sache zu gewinnen und, wenn erforderlich, innerlich etwas „runterzukommen“. Stellt der Feedback-Empfänger fest, dass es sich um sachlich falsche Aspekte handelt, sollte er diese richtig stellen oder sein Verhalten erklären. Es ist wichtig, dass nicht jede Rückmeldung über den gleichen Kamm geschert wird. Gibt uns eine Person Feedback, weil sie Interesse an uns hat und es gut mit uns meint, dann lohnt es sich, dieses Feedback zu prüfen und, wenn möglich, Veränderungen anzustreben. Denn dann kann ein negatives Feedback die Entwicklung der Persönlichkeit voranbringen. So gesehen ist ein „negatives“ Feedback ein „positives“ Feedback – sozusagen eine Trainingseinheit, um besser zu werden. Handelt es sich um ein ungerechtfertigtes, kränkendes oder verletzendes
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Feedback, kann dies freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen werden.
Literatur Cloud, Henry: Charakter gefragt. Sechs unverzichtbare Eigenschaften für Menschen in Verantwortung, 2. Auflage, Brunnen Verlag, Gießen 2012 Gatterburg, Angela; Pieper, Dietmar: Sprechen und Verstehen “Zauberkraft zwischen zwei Menschen”, Interview mit Friedemann Schulz von Thun. In: Spiegel Wissen 03/2015. S. 12–19 Gellert, Manfred; Nowak, Claus: Teamarbeit, Teamentwicklung, Teamberatung. Ein Praxishandbuch für die Arbeit in und mit Teams, 4. Auflage, Limmer Verlag, Meezen 2010 Gelmi, Thomas; Freitag, Thomas: Coaching 3.0. In: Hero Magazine, Februar 2016. S. 26–29 Habermacher, Andreas; Peters, Theo; Ghadiri, Argang: Das Gehirn, Entscheidungen und Unconscious Bias. In: Vielfalt erkennen – Strategien für einen sensiblen Umgang mit unbewussten Vorurteilen, Herausgeber: Charta der Vielfalt e. V. Berlin, Mai 2014. S. 21–28 Heckner, Kathrin; Keller, Evelyne: Teamtrainings erfolgreich leiten. Fahrplan für ein dreitägiges Seminar zur Teamentwicklung und Teamführung, 2. Auflage, managerSeminare Verlags GmbH, Bonn 2011 Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden: 1. Störungen und Klärungen, 48. Auflage, Rowohlt Verlag, Hamburg 2010 Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden: 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, 35. Auflage, Rowohlt Verlag, Hamburg 2016 Watzlawick, Paul: Anleitung zum Unglücklichsein, 19. Auflage, Piper Verlag, Bern 2011 Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H.; Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, 13. Auflage, Hogrefe, München 2017
Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
Konflikte sind fester Bestandteil von Teamarbeit, denn in Teams prallen unterschiedliche Charaktere, Kommunikations- und Konfliktstile, Meinungen, Erfahrungen etc. aufeinander. An Konfliktursachen mangelt es daher schon in altershomogenen Teams nicht. In altersgemischten Teams kommen noch Konfliktpotenziale wie Vorurteile, unterschiedliches Kommunikationsverhalten, anderer Arbeitsethos und die In-Group-Out-Group-Problematik hinzu. In jedem Fall braucht es eine gute Konfliktdiagnostik, zu der auch die Analyse von Faktoren gehört, die den Konflikt beeinflussen, wie Konfliktursache (nicht nur die scheinbare, sondern die wahren Motive und Hintergründe), Konfliktstile oder die Eskalationsdynamik. Wie in der Medizin auch, folgt auf die Diagnostik eine möglichst passgenaue (Konflikt-)Behandlung mit dem Ziel, eine Win–win-Lösung für die Konfliktparteien zu finden. Insgesamt gilt: Nicht die Anzahl der Konflikte entscheidet über die Teamqualität, sondern, wie mit diesen umgegangen wird.
Der Begriff „Konflikt“, der sich vom lateinischen conflictus ableiten lässt, was soviel wie Zusammenstoß, Kampf bedeutet, wird von dem Konfliktforscher und Organisationsentwicklungsberater Friedrich Glasl so definiert: „Ein sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen
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handelnden Personen (Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen usw.), wobei wenigstens eine handelnde Person Unvereinbarkeiten im Denken/Vorstellen/Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen mit (einer) anderen handelnden Person(en) in der Art erlebt, dass im Verwirklichen eine Beeinträchtigung durch die andere(n) handelnde(n) Person(en) erfolgt“ (Glasl 1990). Damit ergeben sich folgende Voraussetzungen für einen Konflikt: • Die Beteiligten haben etwas miteinander zu tun – es besteht also Interaktion. • Mindestens eine der Personen denkt, fühlt oder möchte etwas anderes als die anderen Beteiligten. • Mindestens eine Person fühlt sich durch das Verhalten der anderen Person(en) beeinträchtigt. Das bedeutet: Nicht jede Auseinandersetzung ist automatisch ein Konflikt. Denn wenn eine Person zwar nicht mit dem Verhalten einer anderen einverstanden ist, sich aber davon nicht beeinträchtigt fühlt, liegt auch kein Konflikt vor. Das gilt auch dann, wenn eine Person eigentlich etwas anderes wollte, es aber nicht störend empfindet, wenn sie ihre Vorstellung nicht durchsetzen kann, beispielsweise, weil es ihr dann doch nicht so wichtig war.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_15
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15.1 Faktoren, die Konflikte beeinflussen 15.1.1 Konfliktarten und Konflikttypen
• Innerer oder äußerer Konflikt: Handelt es sich um den inneren Zwiespalt einer Person oder um den Konflikt mit einer anderen Konfliktpartei? • Zwischenmenschlicher oder struktureller Konflikt: Wird ein Konflikt durch persönliche Unstimmigkeiten wie Animositäten, Rivalität, nicht passende „Chemie“ etc. oder durch Organisationsstrukturen, Arbeitsprozesse, rigide Arbeitsabläufe mit wenig Handlungsspielräumen oder unklare Regeln und Verfahren bestimmt? Häufig werden strukturelle Konflikte in Unternehmen personalisiert und auf zwischenmenschlicher Ebene ausgetragen, wobei weder den Beschäftigten noch Vorgesetzten bewusst ist, dass die Wurzel dieser „Alltagskonflikte“ eigentlich in den Strukturen liegt. • „Heißer“ oder „kalter“ Konflikt: Ob Konflikte kalt oder heiß sind, wird danach unterschieden, wie sich das Klima der Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien darstellt. Heiße Konflikte werden offen und offensichtlich (sichtbar, fühlbar, hörbar) ausgetragen, sodass sogar Außenstehende merken, dass „hier etwas nicht stimmt“. Dabei versucht jede Konfliktpartei, mit hohem Energieniveau die andere Konfliktpartei von der eigenen Meinung zu überzeugen. So hitzig die Konfrontation auch sein mag, haben die heißen Konflikte den Vorteil, dass die Beteiligten miteinander im Kontakt sind. Gut, dieser ist zwar (anfangs) alles andere als konstruktiv und auf Augenhöhe, doch er bietet die Möglichkeit eines „reinigenden“ Gewitters – vorausgesetzt die Konfliktparteien sind ernsthaft an einem Klärungsgespräch interessiert. Kalte Konflikte hingegen erkennt man daran, dass sie nicht direkt erkannt werden. Denn auf
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
den ersten Blick ist alles friedlich, ruhig und ohne Dynamik. Häufig wird daher auch die Parallele zum „Kalten Krieg“ gezogen, bei dem zwar keine Kampfhandlungen (mehr) stattfinden, sich jedoch aus dem Weg gegangen wird. Ist das nicht möglich, sind die Begegnungen der Konfliktparteien oftmals besonders – manchmal sogar übertrieben – formalistisch und höflich. Gleichzeitig können kalte Konflikte jedoch auch von Zynismus, Sarkasmus, Koalitionsbildung und Sabotage geprägt sein. Die Konfliktparteien zerstören gegenseitig den Zusammenhalt („soziale Erosion“), wodurch die positiven Synergieeffekte eines Teams deutlich eingeschränkt werden. Insgesamt herrscht Frustration und Enttäuschung darüber, dass die Gegenseite nicht überzeugt werden konnte, und die Hoffnung, dass der Konflikt noch gelöst werden kann, sinkt gegen Null. Häufig sind kalte Konflikte das Ergebnis eines früheren heißen Konfliktes, bei dem es zu keiner oder zu einer nicht befriedigenden, einvernehmlichen Lösung gekommen ist.
15.1.2 Konfliktursachen Konflikte werden umso schneller bewältigt, je eher Klarheit über deren Wurzeln besteht. Dafür ist es erforderlich, den Blick nicht nur auf das sichtbare Konfliktthema zu richten, sondern auch auf die tieferen, (zunächst) „verdeckten“ Konfliktursachen. Diese werden häufig unterschieden in Interessenkonflikte, Zielkonflikte, Bewertungskonflikte, Beurteilungskonflikte, Verteilungskonflikte, Rollenkonflikte, Generationskonflikte und Beziehungskonflikte. Davon sind nach Prof. Bruch (Bruch et al. 2010), Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement in St. Gallen, die Beziehungskonflikte am gefährlichsten für die Zufriedenheit und die Leistungsfähigkeit von Teams. Denn die dann zwischen Teammitgliedern bestehenden persönlichen Verwerfungen bis hin zu Kämpfen würden immer auch emotionale Komponenten wie Frustration, Irritationen und Ärger mit einschließen. „Solche Konflikte haben eine stark negative Wirkung, da sie die gesamte kognitive wie emotionale Aufmerksamkeit der Mitglieder binden, eine Konzentration auf die Ziele verhindern
15.1 Faktoren, die Konflikte beeinflussen
und die Arbeitsfähigkeit von Teams langfristig zerstören. Auch auf der individuellen Ebene greifen sie die Teammitglieder nachhaltig an und führen zu Unzufriedenheit, nachlassender Leistung, Burnout und steigenden Kündigungsabsichten. Beziehungskonflikte resultieren dabei unter anderem aus der sozialen Identität und Selbstkategorisierung. Daher muss damit gerechnet werden, dass sie in altersgemischten Teams häufiger auftreten als in altershomogenen Teams“ (Bruch et al. 2010). Konflikte spielen sich auf zwei Ebenen ab:
• Auf der kognitiven Ebene bestimmen Gedanken und Gefühle die Entwicklung des Konfliktes. • Auf der Verhaltensebene werden Konflikte in konkreten Verhaltensweisen, wie anschreien oder gegenseitiges aus dem Weg gehen sichtbar.
15.1.3 Konfliktparteien und ihre Beziehungen untereinander Entscheidend bei Konflikten ist auch die Art der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien untereinander: • Wer sind die Konfliktbeteiligten? Handelt es sich um einzelne Personen oder Gruppen? – Bei Individuen: Inwiefern bietet die eigene Persönlichkeitsstruktur eine Projektionsfläche für Konflikte? – Bei Gruppen: Sind die Parteien scharf voneinander abgegrenzt? • Sind die offenkundigen auch die wirklichen Konfliktpartner? Oder tragen sie den Konflikt für andere aus, die als Strippenzieher im Hintergrund bleiben? • Wer sind die Schlüsselpersonen und welchen Rückhalt haben sie in der eigenen Partei? • Wie ist der innere Zusammenhalt der Konfliktparteien?
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• Wie sind die subjektiven Deutungen und Verhaltensmuster? Sieht sich eine Partei als Opfer, Täter oder Helfer? • Bestehen Abhängigkeiten beispielsweise durch Hierarchiestufen? Und wenn ja, beeinflussen sie den Konflikt? • Gibt oder gab es zwischen den Beteiligten informelle Beziehungen, die auch in den Privatbereich hineinreichen? • Was schätzen die Parteien aneinander? Wo können sie, trotz aller Streitpunkte, noch Wertschätzung und Respekt füreinander empfinden? • …
Beispiel
Zwei Teams einer Organisation führten seit mehreren Jahren einen „Dauerkrieg“. Bei der Forschung nach den Konfliktursachen fand sich „tief unten“ versteckt die Tatsache, dass es in der Vergangenheit private „Verwicklungen“ innerhalb der Teams gab, von denen nicht alle glücklich endeten. Obwohl es keiner der Beteiligten bewusst wollte, hatten diese mittlerweile „kalten Konflikte“ enorme Auswirkungen auf die jeweiligen Arbeitsteams. ◄
15.1.4 Grundeinstellung zu Konflikten Wie ist die grundsätzliche Einstellung der Streitenden zu Konflikten: Wird ein Konflikt eher als etwas Unangenehmes, Störendes, Bedrohliches gesehen oder als persönliches Versagen bewertet? Oder als Möglichkeit, dass eine Entwicklung stattfindet, die im besten Fall sogar beziehungsfördernd wirkt? Ist die persönliche Grundauffassung, dass Konflikte unproduktiv sind und vermieden werden sollten, werden sie eher „runtergeschluckt“ und/oder leise im Untergrund ausgetragen. Wird jedoch in Konflikten eine
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Chance gesehen vorwärtszukommen, fördert das eine offene Konfliktaustragung. Auch das Temperament der einzelnen Teammitglieder spielt hinsichtlich Konfliktverhalten eine entscheidende Rolle, denn tendenziell tragen introvertierte Menschen Konfliktsituationen eher „kalt“ und extrovertierte eher „heiß“ aus. Neben der persönlichen Grundeinstellung und den Temperamenten der einzelnen Teammitglieder bestimmen auch soziale Regeln in Teams, ob Konflikte offen ausgetragen werden, und wenn ja, welches Verhalten in Konfliktsituationen als erwünscht gilt. Ist die Regel beispielsweise „Ein Gewitter reinigt die Luft“, ist es erlaubt und gewünscht, seine Meinung klar auszusprechen und Konflikte offen auszutragen. Lautet die Regel allerdings: „Bei uns ist alles prima, wir verstehen uns immer gut“, wird in dieser Team- bzw. Unternehmenskultur alles dafür getan, jedem Konflikt stringent aus dem Weg zu gehen und stattdessen Unstimmigkeiten lieber unter den Teppich zu kehren. Da ist es dann nicht verwunderlich, wenn dieser bald mehr einem Gebirge als einer ebenen Oberfläche gleicht. Irgendwann wird die Teppichgröße nicht mehr ausreichen, um alles verdecken zu können. Zieht man dann an der einen Ecke, kommt plötzlich an einer anderen Stelle etwas bereits Verdrängtes, „Untergeschobenes“ zum Vorschein. In einer solchen Kultur mit übersteigertem Harmoniebedürfnis ist zwar für alle spürbar, dass etwas nicht in Ordnung ist, doch jeder versucht, die Probleme nicht anzusprechen, weil er weiß, dass das sozial unerwünscht ist. Aus diesem „zu viel Freundlichkeit“ und „zu viel Höflichkeit“ ergibt sich „Friedhöflichkeit“, eine Wortschöpfung des Psychologen und Kommunikationswissenschaftlers Schulz von Thun, der damit ausdrücken will, dass diese „Nur-Harmonie“ etwas Totes hat. Das gilt für Teams, in denen alle außerordentlich „nett zueinander“ sind, kein böses Wort die Eintracht zu gefährden scheint und jeder aufkommende Gegensatz sofort mit sanften Beschwichtigungen in warmem Mulch erstickt wird (von Thun 2010).
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
15.1.5 Strategisches Kalkül der Parteien • Wie sieht das strategische Kalkül der Konfliktbeteiligten aus? • Wer verliert und wer gewinnt in dem Konflikt, wenn es zu einer Lösung kommt? • Was erwarten sich die Parteien subjektiv an Gewinn, Nutzen oder Kosten, wenn der Konflikt weiter besteht oder sogar noch weiter eskaliert?
Beispiel
Eine Altenpflegerin „erkämpfte“ sich durch viele Diskussionen, dass sie als Teilzeitkraft zukünftig immer vormittags von 07:00– 13:00 Uhr zum Dienst eingeteilt wird. Ihr subjektiver Gewinn sind ihre Wunscharbeitszeiten. Auf der Verlustseite sind die gute Teamgemeinschaft und das Teamklima zu verzeichnen, die bisher hervorragend waren und zu einem großen Teil dazu beitrugen, dass sie gern zur Arbeit ging. Doch die Stimmung kippte durch ihre neuen Arbeitszeiten enorm, da ihre Kolleginnen die Wünsche nicht im gleichen Ausmaß wie sie erfüllt bekommen und nun auch noch, bedingt durch die neuen Arbeitszeiten der Kollegin, zusätzlich ihre Dienstzeiten entsprechend anpassen müssen. War die Kollegin bis dato eine anerkannte, integrierte Kollegin, erlebt sie nun, was Imageverlust, Ausgrenzung und vergiftete Atmosphäre bedeuten. ◄
15.1.6 Konfliktstile der Beteiligten Wenn es brenzlig wird, reagiert jeder anders. Dabei lassen sich grundsätzlich folgende Konfliktstile unterscheiden: • Neigung, Konflikte zu vermeiden • Neigung, die eigenen Interessen durchzusetzen • Neigung, Kompromisse einzugehen • Neigung zum Rückzug oder Nachgeben • Neigung, nach Problemlösungen zu suchen
15.2 Neun Stufen der Konflikteskalation nach Glasl
15.1.7 Konflikthistorie und Eskalationsdynamik • Hat der Konflikt eine Vorgeschichte oder handelt es sich um einen „situativen Konflikt“? • Wie lange währt der Konflikt bereits? • Wo und wann sind Wendepunkte aufgetreten, die den Konflikt entschleunigt oder verschärft haben? • Was stabilisiert oder beschleunigt den Konflikt derzeit? • Erkennen die Beteiligten, welchen Anteil sie selbst an der Aufrechterhaltung des Konfliktes haben? • Auf welchen Eskalationsstufen befinden sich die verschiedenen Parteien gegenwärtig?
Beispiel
Die Eskalationsdynamik ist vergleichbar mit einem Stein, den man im Schuh hat: Für eine gewisse Zeit kann man versuchen, ihn zu ignorieren, doch irgendwann bleibt einem nichts anderes übrig, als anzuhalten und ihn zu entfernen. Sonst nehmen die Schmerzen überhand und im schlimmsten Fall entstehen sogar Folgeschäden. Was am Anfang noch als kleine Störung oder Irritation empfunden wurde, ist nun ein Hemmnis, um sich wie gehabt fortzubewegen, geschweige denn das Tempo zu erhöhen bzw. die Performance
Nach Glasl, Friedrich (1990)
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zu verbessern. Daher gilt auch bei Konflikten: „Wehret den Anfängen“. ◄
15.2 Neun Stufen der Konflikteskalation nach Glasl Bei Konflikten spricht man häufig von „eskalieren“. Doch wie läuft das eigentlich ab, wenn sich ein Konflikt Stufe um Stufe verstärkt – eben eskaliert? Um das zu veranschaulichen, entwickelte der Organisations- und Konfliktforscher Friedrich Glasl (1990) das Modell der „Neun Stufen der Konflikteskalation“. Es ermöglicht den Konfliktparteien sowie Unbeteiligten zu erkennen, welche Eskalationsstufe aktuell erreicht ist. Die Eskalationsstufe ist auch deshalb von Bedeutung, da sie darüber entscheidet, ob der Konflikt noch selbst gelöst werden kann oder ob Hilfe von außen benötigt wird. Ein Seminarteilnehmer meinte schmunzelnd, dass es doch eigentlich klasse wäre, wenn man in einer Auseinandersetzung Zettel von 0 bis 9 hätte und dann immer den entsprechenden hochhielte, da so die anderen sofort wissen, auf welcher Stufe man sei. Diese Vorstellung sorgte für Erheiterung in der Seminargruppe, doch wer weiß, vielleicht würde in der Tat so mancher Konflikt durch die Konzentration auf die Eskalationsstufen früher beendet. Fest steht: Wer sich einmal näher mit den Konfliktstufen und -ebenen beschäftigt hat,
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der agiert in Konfliktsituationen meist sensibilisierter – auch ganz ohne Zettel. Insgesamt besteht das Eskalations-Modell aus neun Konfliktstufen, von denen sich jeweils drei eine Ebene teilen.
15.2.1 Konfliktebenen Glasl bezeichnet die erste Ebene als „Win–winEbene“. Hier geht es hauptsächlich um die Sachebene und weniger um die Beziehungsebene. Da der Konflikt noch auf sachlicher Ebene gelöst werden kann, ist es möglich, dass beide Seiten als Gewinner daraus hervorgehen. Eine Konfliktbehandlung ist durch Gespräch, Moderation und Prozessbegleitung möglich. Die zweite Ebene ist die „Win-lose-Ebene“. Wie der Name bereits sagt, gibt es auf dieser Ebene einen Gewinner und einen Verlierer. Die Sachebene wird immer mehr verlassen und die Beziehungsebene gewinnt an Bedeutung. Um die eigene Macht zu demonstrieren, schmieden die Konfliktparteien Allianzen, denunzieren sich gegenseitig und drohen einander. Auf dieser Ebene reicht Moderation zur Konfliktbehandlung nicht mehr aus, sondern es ist eine Prozessbegleitung (Mediation, sozio-therapeutische Prozessbegleitung, Vermittlung) erforderlich. Auf der dritten Ebene können beide nur noch verlieren, aus diesem Grund nennt Glasl sie „Lose-lose-Ebene“. Allein schon die Bezeichnungen dieser Stufen (z. B. „Begrenzte Vernichtungsschläge“) machen deutlich, welche Dimensionen der Konflikt erreicht hat. Diese Ebene ist durch schwere Verwerfungen und Verletzungen gekennzeichnet, bei der man am Ende sogar in Kauf nimmt, sich selbst dabei zu schaden. In den Stufen 7 und 8 helfen möglicherweise noch Prozessbegleitung bzw. Schiedsverfahren. Doch auf jeden Fall braucht es jetzt einen Machteingriff von außen, da die Konfliktparteien zu keiner Lösung mehr im Stande sind.
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
Während es auf den ersten drei Stufen
noch möglich ist, dass die Konfliktparteien ohne Schaden, bestenfalls sogar mit Gewinn, aus dem Konflikt aussteigen (Win– win), gibt es auf der zweiten Ebene einen Gewinner und einen Verlierer (Win-lose). Auf der dritten Ebene erleiden beide Verluste (Lose-lose).
15.2.2 Konfliktstufen Bevor die einzelnen Stufen vorgestellt werden, noch folgende Vorbemerkungen: • Nicht jeder Konflikt muss alle Stufen durchlaufen. Er kann vorher, beispielsweise durch interne Gespräche, Unterstützung eines (externen) Moderators bzw. Mediators, beendet werden. • Es ist gut möglich, dass sich die beiden Konfliktparteien nicht immer auf derselben Stufe befinden. So kann es sein, dass die Eine bereits Koalitionen schmiedet, während die Andere noch überlegt, mit welchen Argumenten sie ihr Gegenüber überzeugen kann. • In der Arbeitswelt eskalieren Konflikte maximal bis zur 5. Stufe und nur in seltenen Fällen darüber. • Bei dem Modell handelt es sich um einen idealtypischen Verlauf. Doch es gibt immer auch Konfliktverläufe, die sich nicht an ein Modell halten. Ebene 1: Win–win 1. Verhärtung: Die Standpunkte verhärten sich und prallen aufeinander. Das Bewusstsein bestehender Spannungen führt zwar zu Verkrampfungen, dennoch besteht bei den Beteiligten noch die Überzeugung, dass die Unstimmigkeiten durch Gespräche lösbar sind. Auf dieser Stufe gibt es noch keine starren Parteien oder Lager.
15.2 Neun Stufen der Konflikteskalation nach Glasl
2. Debatte: Die Gespräche werden zu Debatten. Durch logisches Argumentieren soll die Gegenseite von der eigenen Sichtweise überzeugt und in eine schlechtere „unlogische“ Diskussionsposition gebracht werden. Im Verlauf entsteht ein Schwarz-Weiß-Denken nach dem Motto: „Ich habe Recht, der andere liegt falsch“ und eine Sichtweise von Überlegenheit („von oben herab“) und Unterlegenheit. Gleichzeitig wird versucht, gegenüber Dritten „Punkte“ zu sammeln. 3. Taten: Die verbale Kommunikation kommt zum Erliegen. Dafür gewinnt die Überzeugung, dass „Reden nichts mehr hilft“ an Bedeutung, weshalb nun eine Strategie der vollendeten Tatsachen erfolgt. Das bedeutet, dass Aktionen durchgeführt werden, ohne den anderen vorher darüber zu informieren, woraufhin die Gegenseite wiederum mit Gegenaktionen reagieren wird. Zusätzlich geht in dieser Stufe die Empathie gegenüber dem anderen verloren und die Gefahr von Fehlinterpretationen, Misstrauen und negativen Erwartungen wächst, was den Konflikt noch weiter verschärft. Ebene 2: Win-lose 4. Images/Koalitionen: Ein entscheidender Aspekt auf dieser Stufe ist, dass sich beide Konfliktseiten um das Gewinnen von Außenstehenden (Teammitglieder, Vorgesetzte, „neutrale“ Dritte etc.) bemühen. War es bisher eine Unstimmigkeit zwischen den unmittelbaren Konfliktpersonen, so weitet sich der Konflikt nun durch die Bildung von Koalitionen deutlich aus. Die „Gerüchteküche“ kocht und Stereotype und Klischees werden aufgebaut. Gleichzeitig manövrieren sich die Konfliktparteien gegenseitig in negative Rollen und provozieren sich, wo immer es geht. 5. Gesichtsverlust: Auf dieser Konfliktstufe geht es hauptsächlich darum, dem anderen zu schaden, wobei die moralischen Vorstellungen zunehmend verworfen werden. Die Konflikteskalation ist soweit fort-
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geschritten, dass der andere erniedrigt und herabgewürdigt werden soll. Es kommt zu öffentlichen und direkten Angriffen („unter die Gürtellinie“), die auf den Gesichtsverlust des Gegners abzielen. Der Gesichtsverlust wird als „Aha-Erlebnis“, sozusagen als Enthüllung des Gegners wahrgenommen. Jetzt, wo ihm die Maske vom Gesicht gerissen wurde, wird die „wahre Persönlichkeit“ sichtbar. Mit diesen Augen betrachtet, werden sämtliche Ereignisse in der Vergangenheit rückblickend anders bewertet, z. B. indem Missverständnisse aus den vergangenen Jahren dahin gehend umgedeutet werden, dass der andere damals schon nicht die Wahrheit gesagt hat. 6. Drohstrategien: Auf die Drohung der einen Seite folgt die Gegendrohung der anderen Seite, wobei die Glaubwürdigkeit der Drohung davon abhängt, ob der Drohende auch die Mittel hat, sie zu verwirklichen. Durch das Aufstellen von Ultimaten wird die Konflikteskalation beschleunigt. Ebene 3: Lose-Lose 7. Begrenzte Vernichtungsschläge: Mit dieser Stufe beginnt die dritte Ebene, in der der eigene Schaden in Kauf genommen wird, solange es dem anderen noch schlechter ergeht als einem selbst. Die Konfliktparteien neigen dazu, einander alle negativen Szenarien zuzutrauen; auch deshalb erscheinen begrenzte Vernichtungsschläge als „passende“ Antwort. Der Gegner wird nicht mehr als Mensch, sondern als Ding ohne Gefühle wahrgenommen. Daher existieren nun auch keine Regeln mehr für ein menschliches Miteinander. Jeder Schaden, den die andere Seite erleidet, wird als eigener Gewinn bewertet. Dabei ist es unerheblich, ob der Schaden des anderen auch einen Nutzen für einen selbst hat – die Werte drehen sich also um. 8. Zersplitterung: Auf dieser Stufe wird versucht, die Existenzgrundlage des Gegners zu zerstören und dadurch die gegnerische Konfliktpartei zu zersplittern. Beide Seiten sind bereit, auch einen größeren eigenen Schaden hinzunehmen, wenn dadurch der
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Schaden der Gegenseite noch größer ist. Hauptsache, das eigene Überleben wird nicht in Gefahr gebracht. 9. Gemeinsam in den Abgrund: Es kommt zur totalen Konfrontation. Der Konflikt befindet sich in einer Sackgasse ohne Ausweg. Wenn man den Gegner mit in den Abgrund reißen kann, dann springt man, auch wenn der Preis die eigene Vernichtung ist.
Beispiel
Im Kühlschrank eines Personalaufenthaltsraumes befinden sich regelmäßig eine große Anzahl an Nahrungsmitteln einer Pflegekraft. Eine andere Kollegin ärgert das besonders, da sie meint, dass die Kollegin den anderen den Platz absichtlich wegnehme. Die beiden sprechen freundlich und auf Augenhöhe miteinander, können sich jedoch auf keine Lösung einigen. Nach kurzer Zeit spricht die Kollegin erneut die andere an und versucht sie mit ihren Argumenten davon zu überzeugen, weniger Nahrungsmittel mitzubringen. Die andere argumentiert, dass sie eben viel Hunger habe und extra nur so wenig wie möglich mitbringe. Als die Kollegin am Ende ihres Dienstes in den Aufenthaltsraum geht, um ihre Tasche zu holen, sieht sie, dass die andere alle ihre Nahrungsmittel aus dem Kühlschrank geräumt und auf den Tisch gestellt hat. In diesem Beispiel wird deutlich, wie verhältnismäßig schnell Konflikte die ersten drei Eskalationsstufen durchlaufen können. ◄ Ein Beispiel dafür, wie in einem Konflikt nahezu lehrbuchmäßig alle Eskalationsstufen „gezündet“ werden, ist in dem Film „Der Rosenkrieg“ zu sehen. Darin wird gezeigt, wie sich der Konflikt im Rahmen einer Ehescheidung Stufe um Stufe entwickelt. Nachdem sie bei einem Kampf mit dem Kronleuchter gemeinsam in die Tiefe gestürzt sind, liegen die beiden Ex-Eheleute sterbend in der Eingangshalle ihres Hauses und das totale Lose-lose ist erreicht.
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
15.3 Konflikte in Teams Altersgemischte Teams stellen ein Beziehungsgeflecht dar und sind schon deshalb nichts Konstantes oder Starres. Stattdessen herrscht eine gewisse Dynamik, die immer wieder zu Spannungen und Meinungsverschiedenheiten führen kann. Wohlgemerkt „kann“, denn es ist ein bisschen so wie mit dem Beipackzettel eines Medikamentes: Die dort beschriebenen Nebenwirkungen können auftreten, müssen aber nicht. Grundsätzlich sind Konflikte fester Bestandteil von Beziehungen, denn wo sich Menschen begegnen, treffen unterschiedliche Charaktere, Generationen, Meinungen, Bedürfnisse, Interessen, Werte, Erfahrungen, Wünsche, Ziele oder auch Vorurteile aufeinander. Besonders wenn Konflikte destruktiv geführt werden und/oder hoch eskalieren, wirken sie auf die Beteiligten belastend und haben zudem negative Auswirkungen auf die Teamperformance und damit nicht zuletzt auf die Patientenversorgung. Gleichzeitig können bearbeitete Konflikte für den Abbau von Spannungen sorgen und damit wieder Energie für die „eigentliche“ Arbeit freisetzen, was wiederum zu einer besseren Teamleistung führt. Zusätzlich verbessert sich das Teamklima und es bietet sich für jeden Beteiligten, aber auch für das Team insgesamt, die Chance für Weiterentwicklung und Erhöhung des Selbstbewusstseins. Konflikte an sich sind erst einmal nichts
„Schlimmes“. Denn die Qualität von Teams wird nicht an der Anzahl der vorhandenen Konflikte gemessen, sondern daran, wie mit ihnen umgegangen wird. Greifen mechanische Teile ineinander, wie beispielsweise im Autogetriebe, gibt es Abrieb und entsteht Wärme. Damit das nicht passiert, braucht es Öl. Dieses minimiert die Reibung von Zahnrädern, Laufflächen und Lamellen und sorgt gleichzeitig für eine kühlende Wirkung. Außerdem ist es Bedingung für einen reibungslosen „butterweichen“ Ablauf beim Schalten. Läuft Öl aus, ist veraltet oder stark verschmutzt, knirscht es im Getriebe und die Arbeitsleistung
15.3 Konflikte in Teams
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ist dahin. Immer wieder mal ein bisschen Sand im Getriebe ist machbar, aber einen Felsbrocken oder gar den Mount Everest, überlebt kein Getriebe und damit im übertragenen Sinn auch kein Team unbeschadet. Geschmeidig läuft es dagegen, wenn sich ein dünner Schmierfilm zwischen alle Teile und vor allem zwischen die miteinander verzahnten Ringe des Getriebes gelegt hat. Und Sie ahnen es: Das „Öl“ ist im übertragenen Sinn die Konfliktfähigkeit.
• Auch trotz bestehender interner Konflikte nach außen hin (z. B. gegenüber Patienten) als Einheit aufzutreten. • Erkennen zu können, wo sich die Grenzen der eigenen Kompetenzen befinden und daher Unterstützung von außen notwendig ist.
Konfliktfähig sein bedeutet:
• Störungen in der Kommunikation, z. B. „verstopfte“ Informationskanäle • Missverständnisse aller Art • Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Meinungen, Zielen, Interessen und Generationen • Unterschiedliche Denk- und Wertehaltungen • Verschiedene Arbeits- und Vorgehensweisen • Beschäftigte, die nicht miteinander wollen und/oder können • Fehlende Wertschätzung untereinander und von „oben“ • Eine hohe Arbeitsdichte ohne „Normalbetrieb-Phasen“, und das Ganze über einen längeren Zeitraum, führen bei den Beteiligten zu einem hohen Stresspegel, der wiederum die Zündschnüre kürzer werden lässt und zur Dünnhäutigkeit beiträgt. Zusätzlich fehlt die Zeit sowohl für Reflexion und Metakommunikation als auch dafür, Konflikte möglichst zeitnah zu deeskalieren und damit gleich wieder „aus der Welt zu schaffen“. • Unklar verteilte Kompetenzen oder Aufgaben • Blockierende Verhaltensweisen wie Narzissmus, Konkurrenzdenken, Autoritätsfixierung, Perfektionismus und Konformismus • Systemumwelt: Beispielsweise, wenn die Umkleidekabine ursprünglich nur für zehn Beschäftigte konzipiert war und sie jetzt von zwanzig genutzt werden muss • „Kleinigkeiten“, die schließlich „große Katastrophen“ bewirken oder anders gesagt „der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“: ein unfreundlicher Blick während der Dienstübergabe oder eine schnippische Bemerkung in der Visite. Dann ist es auch die Tageslaune, die eine zentrale Rolle spielt:
• Früh bei sich selbst und anderen Verhaltensweisen und Konstellationen wahrzunehmen, die auf Konflikte hinweisen könnten, ohne permanent das „Gras wachsen“ zu hören. • Fähig zu sein, (unnötige) Auseinandersetzungen nach Möglichkeit bereits im Vorfeld zu vermeiden bzw. zu deeskalieren oder konstruktiv zu bewältigen. Dabei betrifft die Bewältigung von Konflikten nicht nur die Suche nach einer passenden Lösung, sondern auch das Schaffen eines Teamklimas, das gute Beziehungen, Toleranz, Offenheit und den Aufbau einer fairen Streitkultur fördert. • Zu erkennen, welche Faktoren zur Konfliktverstärkung beitragen. • Die eigene Position oder das eigene Anliegen so zu äußern, dass die Situation nicht weiter eskaliert. • Bedürfnisse und Interessen der anderen Konfliktpartei möglichst wertneutral wahrnehmen und akzeptieren zu können – was nicht automatisch verstehen bedeutet. • Ein Verständnis für Selbst- und Fremdwahrnehmung zu haben. • Die Bereitschaft zur konstruktiven Konfliktbehandlung zu zeigen, denn eine wesentliche Voraussetzung ist die Einsicht, dass das Bemühen um eine Konfliktlösung die Aufgabe aller Beteiligten ist. Nur wenn die Mobilisierung und Mitwirkung aller Konfliktparteien gelingt, kann eine tragfähige und dauerhafte Lösung erzielt werden. • Ehrlich eingestehen zu können, wenn man mit seinem eigenen Standpunkt falsch lag.
15.3.1 Häufige Gründe für Teamkonflikte
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rabenschwarzer Tag und übermüdet versus gut gelaunt und erholt. • Konflikte werden häufig durch sogenannte „Trigger-Wörter“ (englisch: Auslöser) ausgelöst oder verstärkt. Sie wirken wie „Sprachschrauben“ oder Rolltreppen, die Konflikte in die nächste Eskalationsstufe bringen. Die Klassiker dabei sind: „immer“ und „nie“. Daher bergen Sätze wie „Immer gehst du pünktlich nach Hause und lässt uns hier hängen“ oder „Nie kümmerst du dich um die Nebenarbeiten“ großes Konfliktpotenzial in sich, das häufig vom Sender gar nicht in diesem Ausmaß beabsichtigt war. Neben diesen „Klassikern“ können auch individuelle Trigger-Wörter sowie Nonverbales (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Gerüche, Geräusche etc.) beim Gegenüber unangenehme Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen hervorrufen, die von einer früheren oder auch noch anhaltenden Erfahrung stammen. Da keinem Teammitglied oder Vorgesetzten auf der Stirn geschrieben steht, welche Trigger er hat, kann das immer wieder zu „Überraschungen“ führen.
Beispiel
Seit längerem schwelt ein Konflikt in einem Team, bei dem keiner mehr genau sagen kann, was der eigentliche Auslöser war. Bei genauerem Hinsehen und Hinhören im Rahmen einer Teamberatung wird deutlich, dass es sich ursprünglich um Unstimmigkeiten und Antipathie zwischen einem Pfleger und seiner Kollegin handelte. Beim noch näherem in die Tiefe gehen stellt sich heraus, dass eine der Hauptursachen dafür wiederum in der Kollegin lag. Der Pfleger sah ihrem Mann ähnlich, roch wie ihr Mann (Deo, Aftershave), bewegte sich wie ihr Mann und hatte den gleichen Humor wie ihr Mann. Das „Pech“ für den Kollegen – und das gesamte Team (die meisten waren bereits in den Konflikt involviert) – war, dass sie sich gerade in einem heftigen Scheidungsdrama mit ihrem Mann befand. ◄
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
• Außerberufliche Konflikte: Immer wieder werden private Konflikte wie der Ärger mit Partner, Kindern, Nachbarn oder Eltern bewusst oder unbewusst ins Arbeitsteam getragen. Das ist besonders deshalb schwierig, da die andere Konfliktpartei nicht anwesend ist und daher auch keine Konfliktbehandlung stattfinden kann. Stattdessen besteht die Gefahr, dass sich der innere Spannungszustand einer Person unerwartet, oft in einer nach außen hin unbedeutenden Situation, gegenüber Teammitgliedern, Vorgesetzten, Patienten etc. entlädt, was wiederum der Auslöser für Teamkonflikte sein kann (Konfliktkette).
15.3.2 Woran erkennt man Konflikte in Teams? • Aggressivität und Feindseligkeit: Verletzende Äußerungen, vernichtende Blicke, „Mauern“ etc. • Offene oder verdeckte Ablehnung: sowohl gegenüber der Person als solches als auch gegenüber ihrem Verhalten und ihrer Arbeit, die sich in Sturheit, Rechthaberei etc. äußert. • Vermeiden von Kontakten: Wunsch von Beschäftigten, möglichst nicht mit XY gemeinsam Dienst zu haben. • Geringere Kommunikation untereinander: Es wird mehr übereinander als miteinander gesprochen. Und wenn, dann nur das Nötigste (auch in der Übergabe, Visite etc.). • Überkonformität: Neue Ideen werden nicht eingebracht und Kritik vermieden. • „Egal-Haltung“: Beteiligte sind desinteressiert, „schalten ab“, machen „Dienst nach Vorschrift“ und ziehen sich frustriert zurück. • Distanzierte, „gespielte“ Freundlichkeit: genaues Einhalten der Etikette, auch um zu zeigen „Schau hin, ich bin eine freundliche Person“. • Koalitionsbildung: Suche nach Verbündeten, die im Konflikt unterstützen • …
15.3 Konflikte in Teams
15.3.3 Generationsbedingte Konflikte Es könnte so schön sein: In Teams mit Generationenvielfalt profitieren Jüngere von der Erfahrung Älterer, langjährig Beschäftigte nutzen das frische Wissen der „Newcomer“, die wiederum Aufgaben übernehmen, die den Älteren schwerer fallen. Doch so einfach ist es oft nicht. Alt und Jung zusammenarbeiten zu lassen, heißt nicht zwangsläufig, dass am Ende eine höhere Arbeitszufriedenheit und bessere Pflege stehen. Schon Oscar Wilde (1984) wusste: „The old believe everything: the middle-aged suspect everything: the young know everything.“ (Die Älteren glauben alles: die Mittleren verdächtigen alles: die Jüngeren wissen alles). Konflikte gehören, wie bereits beschrieben, zur Teamarbeit dazu. Zusätzliches Konfliktpotenzial besteht in vielen altersgemischten Teams durch Generationenkonflikte. In Meyers Großes Taschenlexikon (1992) findet sich unter dem Stichwort „Generationskonflikte“ folgende Erklärung: „Sie werden im Wesentlichen durch Ablösungsprozesse der jeweils jüngeren Generation von den Lebensstilen und Werten der älteren bestimmt und können als Autoritätskonflikte interpretiert werden, bei denen eine vom Lebensalter und entsprechenden Erfahrungen hergeleitete Autorität von der nachdrängenden Jugendgeneration nicht mehr kritiklos anerkannt wird.“ Generationskonflikte sind alles andere als neu. Schon vor fast 2500 Jahren soll Sokrates über die „heutige“ Jugend gesagt haben:
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„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die Jugendlichen stehen nicht mehr auf, wenn Ältere den Raum betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Auch in der Arbeitswelt begegneten sich schon immer unterschiedliche Altersgruppen. Neu ist, dass durch den demographischen Wandel das Durchschnittsalter kontinuierlich ansteigt. Gleichzeitig werden die Altersunterschiede zwischen den Beschäftigten immer größer, was mit den mancherorts früheren Einschulungen und verkürzten Schulzeiten, dem späteren Renteneintritt sowie dem Wegfall des vorzeitigen Ausstiegs aus dem Berufsleben in den Vorruhestand zusammenhängt. Mit der Generationenvielfalt treffen am Arbeitsplatz ganz unterschiedliche Arbeitseinstellungen, Lebensentwürfe, Wertvorstellungen und Erfahrungen aufeinander. Auch das war schon in früheren Zeiten so gewesen, allerdings wurden damals generationale Konflikte am Arbeitsplatz eher selten offen ausgetragen. Gründe dafür waren der Erziehungsstil, die kleineren Gestaltungsspielräume, aber auch der häufig praktizierte, autoritäre Führungsstil. Daher hört man häufig von älteren Beschäftigten „Das hätten wir uns nicht getraut“, wenn sie sich mit den jüngeren Generationen vergleichen. Ob die Zusammenarbeit in Generationenmix-Teams von permanenten Reibereien geprägt ist oder positive Effekte genutzt und damit höhere Zufriedenheit, Motivation und Leistungssteigerung erzielt werden können, ist abhängig von Rahmenbedingungen, Führungsstärke, Teamklima und der Konfliktfähigkeit jedes Einzelnen sowie des gesamten Teams. Konflikte brauchen nicht heraufbeschworen, aber auch nicht vehement vermieden werden. Sie sollen vielmehr konstruktiv angegangen und gelöst werden oder zumindest Voraussetzungen schaffen, die eine Lösung ermöglichen. Gelingt das nicht, wirken sich Generationenkonflikte in der Regel negativ auf die Stimmung im Team,
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aber auch auf die Leistung und die Gesundheit aus (Wegge et al. 2011). Werden Konflikte jedoch überwunden, verspricht das eine Förderung der effektiven Zusammenarbeit und damit einem Mehrwert, der sich nicht nur in Form eines ausgeprägten Kompetenz- und Wissensaustauschs zeigt, sondern auch einen hohen Innovationsgrad aufweist (Hauser und Schulte-Deußen 2014).
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
Ältere werden von vielen Jüngeren als „Bremsklötze“ gesehen, die der „guten alten Zeit“ hinterher trauern und nicht bereit sind, etwas Neues auszuprobieren. Stattdessen geben sie viele „Früher-Anekdoten“ zum Besten, sind unmotiviert und sitzen nur noch ihre Zeit bis zum Ruhestand ab. Sie sind langsam, brauchen bei allem, was im Entferntesten mit Technik zu tun hat, Hilfe und ihr Fachwissen ist völlig veraltet.
Konfliktpotenziale 1. Vorurteile
Beispiel
Schon Albert Einstein erkannte: „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“ Und an vorgefassten Meinungen bezüglich anderer Altersgruppen mangelt es ja ganz und gar nicht. So halten viele Ältere die Jüngeren für respektlose Anfänger, die alles machen und nichts lernen wollen, weil sie es sowieso besser wissen. Statt Verantwortung zu übernehmen und auch mal zu „buckeln“, sind sie vor allem freizeit- und spaßorientiert. In ihren Augen sind sie „Jammerlappen“, die nur gering belastbar sind, aber arrogant ihre Bedürfnisse einfordern. Außerdem sind sie gut im „Austeilen“, aber nicht im „Einstecken“.
Eine jüngere Leitungskraft spricht von ihren älteren Mitarbeiterinnen wahlweise von „Schlachtrössern“ und „lebenden Ersatzteillagern“, die viel verdienen und wenig arbeiten würden. ◄
Beispiel
Eine Stationsleitung hatte vor mehreren Jahren schlechte Erfahrungen mit 17-jährigen Schülerinnen eines Unterkurses gemacht. Sämtliche Charakterschwächen und Ärgernisse mit diesen Schülerinnen projiziert sie seither (unbewusst) auf alle Auszubildenden unter 18 Jahren. Diese können noch so motiviert, freundlich und wissbegierig sein, die Stationsleitung unterstellt allen, dass sie „einfach viel zu jung“ und zu „unreif“ für die Ausbildung seien. Entsprechend fallen die Bewertungsbögen aus. Wenn es doch mal einer der Minderjährigen gelingt, ihr Herz zu gewinnen, so ist das in ihren Augen „die berühmte Ausnahme“, die nur ihr Vorurteil bestätigt. ◄
Diese Aussagen sind zwar sehr komprimiert und überspitzt, doch nichts davon ist „am grünen Tisch“ erdacht, sondern wird von Beschäftigten häufig in Seminaren oder in Teaminterventionen so geäußert. Auch wenn solche Sichtweisen nicht von allen Jüngeren und Älteren so geteilt werden, stellen Vorurteile ein großes Konfliktpotenzial dar. Der Sozial- und Organisationspsychologe Prof. Dr. Thomas definierte Vorurteil so: „Vorurteil ist ein Einstellungs- und Beurteilungsmuster, bestehend aus einem vorgefassten, emotional gefärbten, durch neue Erfahrungen oder Informationen schwer veränderbaren und für allgemeingültig und wahrhaftig erachteten, generalisierten Urteil über soziale Sachverhalte, das ohne differenzierende Begründung als gegeben betrachtet wird“ (Thomas 2006). Im Hinblick auf das Alter beschreiben Vorurteile stabile, gleichbleibende und typische Eigenschaften, die Personen eines bestimmten Alters zugeschrieben werden. Stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu Vorurteilen kommt? Das hängt unter anderem damit zusammen, dass keiner von uns die Welt objektiv sieht, sondern Wahrnehmung erfolgt immer vor dem jeweiligen individuellen Hintergrund, der durch Kultur, Sozialisation, Erfahrung und vielfältige andere Faktoren geprägt ist (siehe Abschn. 14.4).
15.3 Konflikte in Teams
Unsere Wahrnehmung wird zusätzlich dadurch verzerrt, dass das Gehirn die Flut an Informationen automatisch filtert und verarbeitet. Dadurch entstehen auch sogenannte „Unconscious Bias“ (unbewusste Voreingenommenheit), die unter anderem die Hautfarbe, soziale Herkunft und eben auch das Alter betreffen können. Ob wir wollen oder nicht: Jeder hat Unconscious Bias. Sie haben den Vorteil, dass sie die Interaktion mit anderen Menschen erleichtern und uns in der sozialen Welt Orientierung geben. Wir müssen also nicht immer erst herausfinden, was beispielsweise einer alten Dame mit Rollator körperlich möglich ist und was ihr schwer fällt, sondern können auf bestehende Stereotype zurückgreifen. Dadurch sind wir in der Lage, Menschen und Situationen schneller einzuschätzen. Prof. Dr. Wegge, der sich als Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie intensiv mit der Thematik Diversity Management befasst, beschreibt das so: „Menschen, denen wir zum ersten Mal begegnen, ordnen wir meist zunächst Surface-Level-Kategorien zu – das heißt sehr offensichtliche Merkmalskategorien wie Geschlecht, Alter oder Kultur. Erst wenn wir Personen näher kennen, unterscheiden wir weitere Kategorien, wie z. B. Berufszugehörigkeit“ (Wegge und Schmidt 2015). Doch bei allen Vorteilen haben Vorurteile auch den erheblichen Nachteil, dass bekanntlich nicht alle Menschen gleich sind und daher ein Vorurteil auch völlig unzutreffend sein kann. Durch Unconsious Bias geht der Blick für das Besondere, das oft hinter augenscheinlichen und oberflächlichen Merkmalen verborgen liegt, verloren. Dabei sind es viele unterschiedliche Kriterien, die eine Person ausmachen, und nicht nur die Eigenschaften, die einem auf den ersten Blick auffallen. Zu diesen nicht sichtbaren Merkmalen der „Deep-Level-Diversity“ zählen beispielsweise Werte, Erfahrungen und Vorlieben. Vorurteile zu haben ist die eine Sache, doch schwierig wird es dann, wenn auf den Vorurteilen beharrt wird und alles dahin gehend interpretiert wird, dass sich die Vorurteile bestätigen. Denn in diesem Fall kommen die negativen Folgen der Unconscious Bias wie Voreingenommenheit, Stereotype, Schubladendenken, Mob-
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bing und Fehlentscheidungen voll zum Tragen. Zusätzlich entsteht aus einem Vorurteil nicht selten Diskriminierung. In diesem Zusammenhang sind die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2015 interessant: Danach haben fast die Hälfte aller Erwerbstätigen, die sich diskriminiert fühlen, den Eindruck, aufgrund ihres Alters benachteiligt zu sein. Besonders stark betroffen sind jüngere und ältere Beschäftigte. Damit steht das Alter weit vor der erlebten Diskriminierung wegen Geschlecht, Herkunft oder Behinderung. Strategien, um Stereotype und Vorurteile abzubauen: • Eine Unternehmenskultur, in der Vorurteile gegenüber Älteren und Jüngeren keine Chance haben. • Sensibilisierung von Führungskräften und Beschäftigten für die Unterschiedlichkeit von „Alter“ und den Einfluss von Altersstereotypen, z. B. in Workshops oder Impulsvorträgen. • Individuelle Vorurteile möglichst ehrlich hinterfragen und sich der eigenen Wahrnehmungsmuster bewusst werden. • Erfahrungen und Erlebnisse mit den anderen Generationen bewusst neu bewerten und damit die bisherige Sichtweise hinterfragen und gegebenenfalls ändern. • Teammitglieder verstärkt in Kontakt bringen, denn sobald sich Beschäftigte verschiedener Generationen besser kennenlernen (gemeinsame Fortbildungen, Wissenstransfer-Tandems etc.) werden viele Vorurteile durch eigene Erfahrungen entkräftet. Vorurteile entlarven sich dann als vorschnelle Urteile und können so die Unconscious Bias eindämmen bzw. verhindern.
Beispiel
Die Frau eines recht unnahbaren, rigiden Pflegedienstleiters arbeitet in der gleichen Klinik als Pflegekraft. Wer in dem Team bzw. in der Klinik neu als Pflegekraft dazukommt und von dieser Konstellation erfährt, hat
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meist sofort Vorurteile ihr gegenüber: „Die denkt bestimmt, sie ist was Besseres und bekommt alle Dienstplan- und Urlaubswünsche erfüllt.“ Wer schon länger dabei ist und bereit ist, seine Vorurteile ehrlich zu hinterfragen, dem wird schnell klar, dass sie eine unauffällige, freundliche, hilfsbereite Kollegin ist, die keinerlei Vorzüge genießt – die Station, in der sie tätig ist, übrigens auch nicht. ◄ 2. Arbeitsweisen und Arbeitsethos Die älteren Generationen haben teilweise andere Werte und Einstellungen zur Arbeit als die jüngeren. Der früher und von manchen auch heute noch geforderte Absolutheitsanspruch der Arbeit gilt mittlerweile als veraltet. Bei jüngeren Mitarbeitenden ist der Wunsch nach individueller, sinnvoller Selbstverwirklichung sowohl in der Freizeit als auch im Beruf gefragt. Doch es sind immer öfter auch die Älteren, die von der früheren Arbeitseinstellung „Leben, um zu arbeiten“ abkommen und ebenfalls ihrem Leben außerhalb der Arbeit einen höheren Stellenwert einräumen. So gehören bei manchen älteren Beschäftigten Sätze wie „Sollen ruhig mal die Jungen ran“ oder „Mach du das, du hast die jüngeren Füße“ zur Standardrhetorik.
Beispiel
Eine eigentlich freundliche ältere Mitarbeiterin verhielt sich gegenüber schwangeren Kolleginnen nicht nur auffallend rücksichtslos, sondern schimpfte auch über deren besondere Dienstzeiten und ihr „übervorsichtiges Getue“. Das führte bei den Schwangeren zu Missmut, Konflikten bis hin zu Krankschreibungen. Im näheren Gespräch mit ihr stellte sich heraus, dass sie, als sie mit ihrem ersten Kind schwanger war, als Dauernachtwache eingesetzt wurde, weil es den Nonnen unangenehm gewesen sei, dass sie als noch unverheiratete Krankenschwester schwanger war. Daher „versteckten“ diese sie lieber in der Nachtwache. ◄ Für die älteren Beschäftigten ist es oft eine Herausforderung, dass die jüngeren häufig für Tä-
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
tigkeiten belohnt und gelobt werden wollen, die in ihren Augen selbstverständlich sind. Eine Bezeichnung für die Generation Y ist „Trophy Kids“, weil sie allein schon für die Teilnahme an etwas eine Medaille gewannen. Dazu passt auch, dass es seit ihrer Kindheit erstmals Spiele gibt, in denen es nicht mehr darum geht, dass nur einer gewinnt. Auch bei Sportveranstaltungen oder in Schulen wurden erstmals mehrere Gewinnerplätze geschaffen. Während die älteren Generationen wussten, dass sie sich anstrengen müssen, weil es nur drei Medaillen gibt, wissen die jüngeren, dass sie in jedem Fall mit einer Medaille rechnen können. Wozu sich also anstrengen? Und warum sich jetzt im Arbeitsleben von einem älteren Teammitglied oder Vorgesetzten sagen lassen, was nicht gut war? Das unerschütterliche Selbstbewusstsein mancher jüngerer Beschäftigter führt sogar so weit, dass kritische Rückmeldungen an ihnen (scheinbar) abprallen. Wir erwarten oftmals von unseren Mitmenschen das gleiche Verhalten, das wir selbst an den Tag legen. Und wenn sie anders handeln, stempeln wir sie schnell als fehlerhaft und ineffizient ab. Das lässt sich gut am Beispiel Pünktlichkeit zeigen: Pünktlichkeit wird – besonders von den Älteren – gleichgesetzt mit Zuverlässigkeit. Für die Älteren bedeutet pünktliches Erscheinen, sich zu beeilen, eine Arbeit abzuschließen, um pünktlich am vereinbarten Ort zu sein. Doch diese punktgenauen Verabredungen sind, besonders im privaten Bereich, gar nicht mehr unbedingt erforderlich. Jeder ist jederzeit erreichbar und so werden Uhrzeiten und Treffpunkte vereinbart und verschoben – wie es gerade passt. Pünktlich ist nicht mehr, wer mit wehenden Rockschößen die Tür zum verabredeten Zeitpunkt durchschreitet, pünktlich ist, wer für beide passend vor Ort ist. Zuverlässig ist, wer sich meldet (Fintz 2014).
Beispiel
In einem generationsgemischten Team war ein Dauerstreitpunkt, dass immer die Älteren die Pflanzen im Stationszimmer gießen müssen, weil die Jüngeren „zu fein“ und „zu faul“ dazu wären. Die Priorität dieser Tätigkeit
15.3 Konflikte in Teams
wurde irgendwann sogar so hoch gesetzt, dass sie in den Kalender eingetragen wurde, in dem sonst nur Tätigkeiten wie „Sauerstoffgerät kontrollieren“ notiert wurden. Doch auch das änderte nichts daran, dass die Älteren die Pflanzen gießen mussten. Die Jüngeren waren weder zu fein noch zu faul – sie verstanden nur nicht, warum es bei dem hohen Arbeitspensum so wichtig sein soll, sich auch noch um die Pflanzen zu kümmern. Irgendwann kam es dann, als die Älteren entweder im Urlaub oder krankgeschrieben waren, zum Äußersten: Trotz rasch eingeleiteten „Reanimationsversuchen“ verstarben die beiden Pflanzen. Als die drei Älteren zurückkamen, waren sie darüber entsetzt und enttäuscht. Eine berichtete, dass ihnen die Pflanzen so sehr am Herzen lagen, weil sie ein Geschenk von Angehörigen einer sympathischen, beliebten Patientin waren, die über mehrere Monate immer wieder auf dieser Station lag und schließlich doch verstarb. Die Krankheitsgeschichte berührte die jüngeren und mittleren Beschäftigten des Stationsteams sehr – und so stellt sich die Frage: Wie anders hätte alles laufen können, wenn die Älteren diese Geschichte schon früher erzählt hätten?! ◄ Beim Stichwort „Arbeitsethos“ ist auch folgendes zu überlegen: Einige der Pflegekräfte, die heute zu den älteren Beschäftigten zählen, erlebten ihre Ausbildung und den Eintritt in die Arbeitswelt zu einer Zeit, die vom Pflegenotstand geprägt war. Mal etwas provokant gefragt: Waren sie damals wirklich die Geeignetsten, Motiviertesten für den Beruf? Haben sie dafür gebrannt? Oder waren sie einfach nur die einzig Verfügbaren? So wie heute, wenn mir Pflegedienstleitungen berichten, dass sie im Grunde jeden nehmen, der sagt, dass er den Umgang mit Menschen „okay“ findet. Wie werden sich diese Beschäftigten in den kommenden Jahrzehnten hinsichtlich Motivation, Arbeitseifer und Teamverhalten entwickeln? Fazit: Zwischen den Älteren und Jüngeren existieren hinsichtlich Arbeitsethos und Arbeitsweise unter anderem folgende Spannungsfelder (Rump und Eilers 2015):
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• Bereit zu hohem Commitment, „weil es zur Pflicht gehört“, versus hohes Commitment, wenn die Tätigkeit Freude bereitet • Akzeptanz von kollektiven Mustern versus individuelle Orientierung • Lebenslange Loyalität zum Arbeitgeber versus geringere Verweildauer und aktiver Umgang mit Wahlmöglichkeiten • Teil des „Kollektivs“ versus Wunsch nach Aufmerksamkeit und Fürsorge • Lebenslange Reichweite der abgeschlossenen Berufsausbildung versus Bewusstsein der Notwendigkeit von (lebenslangem) Lernen Fest steht, dass die fortwährende Betonung und das sich immer wieder aufs Neue Bewusstmachen der Unterschiede der verschiedenen Altersgruppen – besonders wenn sie negativ gefärbt sind – in eine In-Group-Out-Group-Dynamik führen (siehe Abschn. 6.2.1). Kommen dann noch Stress, Frustration oder Verunsicherung dazu, nimmt die Wahrscheinlichkeit für eine entsprechende Sozialdynamik zu. Hier sind vor allem die Führungskräfte gefordert, diese frühzeitig zu erkennen und bei Bedarf gegenzusteuern, um weder Teamklima noch Arbeitsqualität zu zerstören. 3. Identifikation mit dem Arbeitgeber Während ältere Pflegekräfte eher eine höhere Identifikation, und eine damit einhergehende Treue und Verbundenheit zu ihrem Arbeitgeber besitzen, ist diese bei jüngeren meist deutlich schwächer ausgeprägt. Wenn es „schwierig“ wird, sie keine Weiterentwicklungsperspektive sehen oder wenn von irgendwoher ein (scheinbar) besseres Angebot winkt, wechseln sie meist recht zügig die Arbeitsstelle. Die Zurückbleibenden – und hier auf Dauer besonders die Älteren – empfinden das als treulos. Zusätzlich steigt der Unmut bei ihnen, weil sie permanent Zeit, Kraft und Herzblut für die Einarbeitung und Integration ins Team investieren, um dann „einfach so“ verlassen zu werden. Das Team wird dann zu so etwas wie einem Durchlauferhitzer, in den das kalte Leitungswasser fließt, dort erwärmt wird und anschließend warm aus dem Wasserhahn weiterfließt. Bei manchen mittleren und älteren Pflegekräften kommt noch ein gewisser Neid auf
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die private Ungebundenheit hinzu, die den jüngeren den Arbeitgeberwechsel leichter ermöglicht. Es wird spannend sein, wie die Generation Z in dieser Hinsicht auf dem Arbeitsmarkt agiert. Aus allem, was bisher über sie bekannt ist, ist davon auszugehen, dass sie mit Arbeitgeberwechseln eher zurückhaltender ist, da sie tendenziell nach Sicherheit sucht. Nach dem Motto: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ Im Hinblick auf die Identifikation mit dem Arbeitgeber muss aber auch berücksichtigt werden, dass nach wie vor viele jüngere Pflegekräfte (zunächst) mit befristeten Verträgen leben müssen. In diesen Fällen lassen sich Arbeitgeber eine Hintertür offen und brauchen sich dann auch nicht zu wundern, wenn Jüngere das gleiche tun. Einseitige Treue funktioniert auf Dauer nicht – egal in welcher Beziehung. 4. Kommunikationsverhalten Treten Kommunikationsschwierigkeiten, in welcher Form auch immer, auf, können sie zu Reibungsverlusten, Ablehnung, Isolierung, Unzufriedenheit und schlechter Arbeitsleistung führen. Dazu kommt, dass sich Vorurteile aufbauen bzw. verstärken können, wenn Generationen kaum noch miteinander kommunizieren. Das hat wiederum zur Folge, dass die unterschiedlichen Stärken und das voneinander Lernen nicht mehr zur Entfaltung kommen können. Die Kommunikation zwischen verschiedenen Generationen war schon immer herausfordernd. Doch besonders in Bezug auf die Arbeitswelt galt das Prinzip, dass die Älteren den Ton angaben. In der Vergangenheit waren die jüngeren Generationen oft froh, überhaupt eine gute Ausbildungs- oder Arbeitsstelle „ergattert“ zu haben; schon deshalb passten sie sich sowohl hinsichtlich der Arbeitsweise als auch im Team an. Ganz anders die Generationen Y und Z, die mit hohem Selbstbewusstsein eine direkte Kommunikation pflegen und daran gewöhnt sind, dass nach ihrer Meinung gefragt wird oder sie zumindest ihre Meinung jederzeit offen äußern dürfen. Entsprechend agieren sie am Arbeitsplatz und wünschen sich, an die Hand genommen zu werden bei gleichzeitig völliger Freiheit. Kerstin Bund eine Vertreterin der Generation Y schreibt dazu in ihrem Buch: „Wir sind es gewohnt, mit-
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
zureden und offen unsere Meinung zu sagen. Man darf nicht vergessen, wie wir aufgewachsen sind. Schon als Kinder durften wir mit entscheiden, wohin die Familie in Urlaub fährt oder was am Samstagabend im Fernsehen läuft. Wir sind die ersten Kinder, die ihre Eltern beim Vornamen nannten. Wir hatten Lehrer, die wir duzen durften, und Professoren, mit denen wir auf Augenhöhe diskutierten. Wir haben ein entspanntes Verhältnis zu Autoritäten“ (Bund 2014).
Beispiel
Eine Auszubildende bewirbt sich in einer Klinik um ihre erste Arbeitsstelle nach dem Examen. Nachdem sie in einer für sie infrage kommenden Klinik beim Probearbeiten war, schreibt sie per Mail an den Stationsleiter und die Pflegedirektorin: „Hallo zusammen, das Probearbeiten in Ihrer Klinik war super, Sie kommen in die engere Wahl☺.“ ◄ Sowohl von Jüngeren als auch von Älteren wird als Herausforderung in der Zusammenarbeit häufig das „nicht Verstehen“ genannt. Diese „Verständigungsprobleme“ können auf allen Hierarchieebenen auftauchen. Mit Verständigungsproblemen ist dabei nicht nur gemeint, dass alles „läuft“ oder dass aus einer Lücke im Terminkalender ein „Slot“ oder aus der „Sprachregelung“ das „Wording“ wurde oder dass es bei Fortbildungsveranstaltungen statt einer Zusammenfassung nun eine „Take-home-message“ gibt. Man beruhigt sich jetzt auch nicht mehr, sondern chillt seine Base. Und der Ausspruch „Alter“ ist keine Aufforderung, sein Alter zu nennen. Am Ende des Tages (auch so eine Formulierung, die es in den letzten Jahren in unseren Sprachgebrauch geschafft hat) geht es um viel mehr als um einzelne Wörter oder Sprüche. Beispielsweise tendiert der Babyboomer mit seiner kollektiven Prägung eher dazu, von „wir müssen“ oder „wir wollen“ zu sprechen, während der individuell geprägte Y`ler tendenziell vom „ich muss“ oder „ich will“ spricht. Das Eigeninteresse könnte aber in beiden Fällen gleich groß oder gleich eingeschränkt sein. „Ich“ muss nicht egozentrisch gemeint sein, auch wenn es von Älteren gerne so interpretiert wird (Parment 2013).
15.3 Konflikte in Teams
Beispiel
Einzelne Worte gehen in den allgemeinen Sprachgebrauch sämtlicher Generationen über, z. B. „cool“, „läuft“. Mein Großvater, der zeitlebens germanistisch auf hohem Niveau unterwegs war, führte noch im höheren Alter eine Liste mit aktuellen Wortschöpfungen. Zu seinen Recherchen gehörte auch die Befragung seiner jugendlichen Enkel. Wofür das Ganze? Nicht, um die neuen Worte selbst anzuwenden, sondern aus purem Interesse an Sprache. ◄ Eine weitere Herausforderung hinsichtlich Kommunikation sind die zum Teil unterschiedlichen Distanzbedürfnisse, die sich auch in der Frage nach dem Siezen oder Duzen zeigen können.
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tere Beschäftigte, die nicht mit Social Media & Co. aufgewachsen sind, standen diesen Kommunikationsformen zunächst skeptisch gegenüber. Zwischenzeitlich hat sich das geändert und so nutzen mittlerweile die meisten Mitarbeitenden ihre Smartphones auch zur intensiveren Kommunikation. Schwierigkeiten treten beispielsweise dann auf, wenn Jüngere ganz selbstverständlich die Möglichkeiten von Diensten wie WhatsApp nutzen, um eine direkte Kommunikation mit Führungskräften aufzunehmen, die teilweise mehrere Hierarchieebenen über ihnen stehen.
Beispiel
Der Chef (Babyboomer-Generation) mehrerer Seniorenzentren ist den sozialen Medien gegenüber sowohl privat als auch beruflich offen eingestellt. Dazu gehört auch, dass er den Facebook-Freundschaftsanfragen seiner Beschäftigten zustimmt und ein beträchtlicher Teil seiner Follower bei Instagram aus dem beruflichen Umfeld stammen. Bei aller Offenheit und Lockerheit: Eine klare Linie zieht er, wenn es um Lästereien über die mittlere Führungsebene und generell über Themen geht, die in ein Vier-Augen-Gespräch gehören. Das irritiert viele jüngere Beschäftigte zwar zunächst, doch sie bekommen auf diesem Weg die Grenzen der sozialen Medien aufgezeigt und lernen den Wert eines „Live-Gespräches“ zu schätzen, berichtet der Chef. ◄ 5. Generationsbedingte Konfliktstile
Neben der Face-to-Face-Kommunikation nutzen die jüngeren Generationen gern neuere Kommunikationstechnologien und -kanäle. Äl-
Laut dem Kommunikationspsychologen Schulz von Thun können die Menschen im Durchschnitt heute besser streiten als frühere Generationen. Das hängt seiner Meinung nach damit zusammen, dass bei den älteren Generationen meist zwei Konfliktstile besonders verbreitet waren: Entweder eine Person sagt, wo es lang geht und die anderen kuschen, oder Konfliktvermeidung um jeden Preis, sozusagen eine Pseudoharmonie „um des lieben Frieden willens“. In der Zwischenzeit hätte sich aber herumge-
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sprochen, dass selbstbewusste Individuen aneinandergeraten können und sollen und dass die Wahrheit zu zweit beginnt. Thun‘s Meinung nach sind die autoritären Verhältnisse in Elternhäusern, Schulen und Unternehmen immer mehr in Verruf gekommen; stattdessen wird Partnerschaft auf Augenhöhe angestrebt. Und noch etwas hätte sich geändert: Wir seien sensibler für zwischenmenschliche Kooperation geworden und heute eher bereit, an uns zu arbeiten – das gelte auch für die Art, wie wir miteinander umgehen (Weiss und Simon 2017). 6. Veränderungsbereitschaft Ein großer „Knackpunkt“ in altersdiversen Teams ist die Veränderungsbereitschaft. Geht es in Seminaren um Konflikte in altersgemischten Teams, ist das einer der meist genannten Diskussionspunkte. Jüngere, frisch Examinierte oder Pflegekräfte, die hoch motiviert von einer Fortund Weiterbildung zurück kommen, treffen häufig auf ein verkrustetes Umfeld, in dem es aus jedem Winkel ruft „Das haben wir schon immer so gemacht und so bleibt es auch“. Dabei geht es nicht darum, dass ständig alles unreflektiert und unkoordiniert von rechts auf links gedreht wird, um dann festzustellen, dass es auf rechts doch besser war. Denn dadurch geht viel zu viel Energie verloren und die Motivation, sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal bei einem Changeprozess zu engagieren, sinkt enorm. Vielmehr braucht es eine Bereitschaft für Neues genauso wie für bewährtes Altes. Dort, wo das nicht gelingt, gibt es eine zunehmende „Dienst nach Vorschrift“-Mentalität, innere Kündigungen (Checking out) sowie tatsächliche Kündigungen.
Beispiel
Wie das mit dem Kombinieren von Neuem und Altem bestens funktionieren kann, sehen wir auch beim Einrichten von Wohnungen. Durch einen Stilmix von modern und antik lassen sich Kontraste gestalten und Akzente setzen. Das antike Bild auf dem modernen Sideboard oder die moderne Vase auf der Biedermeierkommode: Es braucht Fingerspitzengefühl und den Blick für das große
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
Ganze, um die verschiedenen Stile auf gelungene Art und Weise miteinander zu kombinieren. Denn alte Lieblingsstücke bleiben jung, wenn man sie modern inszeniert. ◄ Mehr dazu im Kapitel „Change-Management – Gutes bewahren und Neues wagen (siehe Kap. 16). 7. Einstellung zu Weiterbildung und lebenslangem Lernen Für Konfliktstoff sorgt auch, wenn vor allem bei längeren Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen die Jüngeren nach dem Motto: „Da haben wir als Arbeitgeber noch was davon“, vorgezogen werden und gegenüber den älteren Pflegekräften verdeckt oder offen kommuniziert wird: „Das lohnt sich bei dir doch eh‘ nicht mehr.“ Hier liegt in vielen Fällen ein Denkfehler beim Arbeitgeber vor (siehe Kap. 17). Gleichzeitig haben jedoch auch manche ältere Beschäftigte die Fehleinschätzung, dass ihr fortgeschrittenes Alter bedeutet, dass sie sich hinsichtlich Wissenszuwachs und -ausbau bequem zurücklehnen und in ihren Augen den „Kelch an sich vorbeiziehen lassen“ können. Denn Fach- und Sozialkompetenz muss kontinuierlich – unabhängig vom Alter – ausgebaut werden. Wer hier meint, er wisse schon alles, muss eines anderen belehrt werden. 8. Führung Ob generationsgemischte Teamarbeit erfolgreich ist und wie sich der Umgang mit Spannungen, gegensätzlichen Einstellungen und Konflikten gestaltet, liegt zu einem großen Teil in den Händen der Führungskraft. Dabei spielen Führungsstil, Fairness, z. B. bei der Dienst- und Urlaubsplanung, Fehlerkultur, aber auch das eigene Alter, eine große Rolle. Gerade in Führungskonstellationen, in denen die Führungskraft (deutlich) jünger als die Beschäftigten ist, haben die älteren Mitarbeitenden tendenziell ein generelles Unbehagen (Klaffke 2014). Jedoch kann auch die Konstellation ältere Führungsperson und viel jüngere Teammitglieder, für Konfliktpotenzial sorgen. So sind beispielsweise viele ältere Führungskräfte, aber auch Teammitglieder darüber enttäuscht, dass sie von den jüngeren – ob Vor-
15.4 Reflexions-Fragen zur Team- und Konfliktkultur
gesetzte oder Teammitglieder – nicht die Anerkennung und Wertschätzung für ihre Führungsund Lebensleistung erhalten, die sie sich wünschen. Ein Konfliktpotenzial liegt immer wieder auch darin, dass Jüngere nicht mehr bereit sind, althergebrachte Hierarchien zu akzeptieren, sondern proaktiv bessere Arbeitsbedingungen einfordern.
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aus zwei Gründen interessant: Erstens sind größtenteils die Babyboomer und X‘er die Eltern der Y‘ler und Z‘ler – haben diese also selbst so erzogen. Zweitens stellt sich bei näherem Nachfragen oft heraus, dass die Forderungen, beispielsweise nach mehr Work-Life-Balance, auch gern von den Älteren in Anspruch genommen werden würden.
Beispiel Beispiel
Eine Medizinstudentin, die gerade ihre Famulatur begonnen hatte, wurde während einer Visite aufgefordert, die Röntgenbilder der nächsten Patienten herauszusuchen und dann vor dem Betreten des jeweiligen Patientenzimmers dem Chefarzt zu reichen. Während dieser mit den Oberärzten im Patientenzimmer war, sollte sie die Röntgenbilder der bereits visitierten Patienten wieder entsprechend einsortieren. Nachdem es bei zwei Patientenzimmern so gelaufen war, ging sie mit ins Patientenzimmer hinein. Als der Chefarzt sie nach Verlassen des Zimmers etwas verärgert fragte, warum sie das gemacht habe, antwortete sie: „Ich bin hier, um etwas zu lernen!“ ◄ Mehr zu dieser Thematik im Kapitel „Führung von altersgemischten Teams“ (siehe Kap. 9). 9. Babyboomer: Wir sind viele – wir bestimmen Baby Boomer und Wirtschaftswunderkinder waren es zeitlebens gewohnt, dass die Einstellung und Lebensweise ihrer zahlenmäßig starken Geburtsjahrgänge die „Normalität“ abbilden. Weil sie immer viele waren, mussten sie sich durch den „Flaschenhals“ kämpfen – ob in der Schulklasse oder beim „Kampf“ um einen Ausbildungs- oder Studienplatz und später um einen Arbeitsplatz. Umso schwerer fällt es ihnen, wenn die jüngeren Generationen trotz oder wegen ihrer geringen Anzahl die Arbeitswelt verändern wollen. Deren Ansprüche finden sie häufig überzogen und anmaßend. Das ist besonders
Nachdem sich in einem Seminar zum Thema gelungene, altersgemischte Teamarbeit mehrere Teilnehmer äußerst negativ über die jüngeren Generationen geäußert hatten, meldete sich eine Teilnehmerin Anfang sechzig mit folgendem Beitrag zu Wort: „Wenn ich ganz ehrlich bin, regt es mich zwar tierisch auf, dass die Jungen so gechillt sind und sich auf keinen Fall stressen lassen wollen, oder dass sie krank sind, wenn sie sich krank fühlen, aber andererseits bewundere ich sie fast auch schon dafür.“ Danach war es erst mal ruhig im Raum, doch dann nickten die meisten zustimmend. ◄ 10. Homophilität/Ähnlichkeits-Attraktions-Paradigma Es ist bekannt, dass Menschen den Umgang mit Personen bevorzugen, die ihnen ähnlich sind. Das kann sich auf Kategorien wie das Geschlecht, die Herkunft oder auch das Alter beziehen. Diese Gruppen treten untereinander leichter in Interaktion und Kommunikation. Innerhalb altersgemischter Teams kann das zu einer Bildung von Subgruppen führen, zwischen denen Konflikte entstehen können (siehe Abschn. 6.2.1).
15.4 Reflexions-Fragen zur Teamund Konfliktkultur Stellen Sie sich immer wieder einmal selbst, oder erarbeiten Sie gemeinsam im Team, folgende Fragen:
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• Nehme ich jedes Teammitglied ernst? • Wie arbeiten wir als Team zusammen? • Was erwarten wir voneinander? • Was ist den Einzelnen wichtig? • Wie kommunizieren wir miteinander? • Was hat mich im jüngeren und/oder mittleren Alter beschäftigt? Was war mir wichtig? Was hätte ich mir in Bezug auf die Arbeit gewünscht? • Wie werde und will ich sein, wenn ich älter bin? • Welche Vorteile sehe ich in unserer altersgemischten Zusammenarbeit? • Wie und wo ergänzen wir uns? • Was trage ich zum Gelingen bei? • Wo gibt es Konfliktpotenzial? • Werden knifflige Themen offen und konstruktiv angesprochen? • Wie werden Missverständnisse oder Ärgernisse artikuliert? • Findet in Kritik- und Konfliktgesprächen eine Trennung zwischen Person und Verhalten statt? • Wer sind meine Vorbilder – auch im Hinblick auf Konfliktfähigkeit?
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
15.5 Therapie bei Konflikten Je nach Konflikt und den involvierten Parteien muss eine adäquate Behandlungsmöglichkeit gewählt werden. Dabei gibt es präventive und kurative Interventions-Möglichkeiten.
15.5.1 Präventiv Im Gesundheitswesen ist Prävention ein Oberbegriff für zielgerichtete Maßnahmen und Aktivitäten, um Krankheiten oder gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden, das Risiko der Erkrankung zu verringern oder ihr Auftreten zu verzögern. Ähnliches gilt für die präventiven Konflikt-Interventionen, die dazu beitragen sollen, dass es erst gar nicht zum Konflikt kommt oder er früh deeskaliert wird, um den Schaden möglichst zu begrenzen. Wichtige Stützpfeiler sind hierbei die Führungsqualität, Kommunikation, Transparenz, Konfliktfähigkeit und das Generationen-Management. Zusätzlich dienen als Präventivmaßnahmen: Supervision, Teamberatung, Trainings on the job, aber auch theoretische Impulsvorträge/Schulungen zu Themen wie Kommunikation, Umgang mit „schwierigen“ Menschen, erfolgreiche altersgemischte Teamarbeit, souveränes Konfliktmanagement und Stressbewältigung. (siehe Kap. 19)
15.5 Therapie bei Konflikten
15.5.2 Kurativ Wenn eine Konfliktsituation bereits besteht und gewisse Eskalationsstufen durchlaufen hat, sind weder Kalendersprüche noch Glückskekse vom letzten Chinarestaurantbesuch oder duschen mit „Glücklichsein-Duschgel“ zielführend. Vielmehr muss in diesen Fällen eine gut durchdachte, kurative Behandlung erfolgen, bei der der Konflikt begrenzt, geregelt, kontrolliert, verschoben und im besten Fall gelöst wird. Konfliktbehandlung ist der Überbegriff für
sämtliche Interventionen bei Konflikten. Dazu zählen unter anderem: Konfliktlösung, Konfliktmanagement, Konfliktkontrolle, Konfliktregelung, Konfliktsubstitution und Konfliktverschiebung. Kurativ stammt vom lateinischen curare, was soviel wie „heilen“ bedeutet. Wie in der Medizin ist auch bei Konflikten nicht immer eine völlige Wiederherstellung ohne Narbenbildung möglich. Aufbauend auf eine gute Diagnostik ist das Ziel der Konfliktbehandlung, einen Zustand herzustellen, in dem die Konfliktparteien wieder förderlich und entspannt miteinander arbeiten können. Daher sollten Konflikte so früh wie möglich bearbeitet und in konstruktive Bahnen gelenkt werden. In den meisten Fällen geht es bei Konfliktbehandlungen um Interventionen zur Deeskalation. Doch bei „kalten Konflikten“ kann es zielführend sein, diese „aufzuwärmen“ und damit bewusst zu eskalieren, damit in einem nächsten Schritt Heilung möglich wird. Die naturwissenschaftliche Logik ist auf eine Vielzahl von Konflikten nicht anwendbar. Immer wenn bei Konflikten unterschiedliche Interessen, Meinungen, Einstellungen, Werte, Handlungspläne oder Ziele aufeinandertreffen, werden diese von den jeweiligen Personen als wahr empfunden. Die Anwendung von Logik würde bedeuten, dass eine Position als „wahr“ anerkannt wird und damit automatisch die andere „unwahr“ wäre. Das Ergebnis wäre, dass die Unterschiedlichkeit der Positionen erhalten bleibt und sich durch diese Entscheidung sogar
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eher noch vergrößert. Die „Verlierer“ hätten Versagensgefühle, dass es ihnen nicht gelungen ist, die anderen oder den „Schiedsrichter“ zu überzeugen. Gleichzeitig würden sie alles daran setzen, beim nächsten Mal „Sieger“ zu sein. Statt Konfliktbeendigungen, bei denen am Ende ein Gewinner steht, der hoch erhobenen Hauptes als großer Sieger vom Feld geht, und einem Verlierer, der im Schlamm liegt, sind Gewinner-Gewinner-Ansätze deutlich zielführender. Und das nicht nur aus einer sozialromantischen Vorstellung heraus, sondern weil in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit, dass die beteiligten Parteien die getroffenen Vereinbarungen auch mittragen und umsetzen, deutlich höher ist. Formen konstruktiver Konfliktbeendigung 1. Konfliktlösung Bei der Konfliktlösung gelingt es, die ursprünglich gegensätzlichen Standpunkte auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, wodurch beide Seiten ohne Abstriche voll auf ihre Kosten kommen (Win–win-Situation). Wird das erreicht, ist in der Regel eine deutlich verbesserte Basis für die Bewältigung künftiger Konflikte gegeben (Gellert und Nowak 2010). Wird eine Konfliktlösung jedoch durch Zwang, Einschüchterung, Drohung, Moralisieren oder Manipulieren erzielt, führt das zwar vielleicht äußerlich zu dem Eindruck eines scheinbar konformen, gewünschten Verhaltens der Konfliktparteien, aber innerlich ist die Konfliktlösung in solchen Fällen nicht akzeptiert. Sobald die äußeren Umstände oder die Konfliktvermittlung durch Vorgesetzte oder Teamberater wegfallen, lodert der Konflikt wieder auf.
Beispiel
Ein altersgemischtes Team ist sich zwar so ziemlich in allem uneinig, doch in einer Sache sind sie sich einig: Die derzeitige Teamberatung durch einen Psychologen finden sie einfach nur „nervig“ und „psycho“. Dieses „einen gemeinsamen Feind haben“ schweißt das Team (scheinbar) zusammen und sorgt
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dafür, dass sie wieder miteinander anstatt nur übereinander reden – sie haben ja nun ein verbindendes Gesprächsthema. Als nach ein paar Sitzungen die Teamberatung endet, da sich das Team (scheinbar) wieder „zusammengerauft“ hat, atmen zunächst alle auf. Doch der Frieden währt nicht lange, denn durch das Wegfallen der Teamberatung ist wieder der alte Zustand mit seinen Konflikten eingetreten. ◄ 2. Konfliktregelung Dabei handelt es sich um einen Kompromiss, der für alle Beteiligten akzeptabel ist. Zwar müssen beide Konfliktseiten auf einen Teil ihrer Interessen verzichten, doch angesichts der getroffenen Regelung ist dieser Verzicht vertretbar (Gellert und Nowak 2010). Anders ist die Situation, wenn es sich um „faule“ Kompromisse handelt, die nur aus sozialer Erwünschtheit oder ähnlichen Beweggründen eingegangen werden. Hier sind Konflikte nicht gelöst, sondern nur verschoben und „ploppen“ irgendwann wieder auf.
Beispiel
Will der Ehemann seinen Urlaub in den Bergen verbringen, die Ehefrau bevorzugt jedoch das Meer, dann könnte der Kompromiss-Urlaubsort beispielsweise der Gardasee sein. ◄ 3. Burgfriede Ist eine Konfliktlösung oder Konfliktregelung (noch) nicht möglich, weil der Konflikt bereits zu hoch eskaliert ist, bietet der Burgfriede eine gute Möglichkeit, um ein weiteres Eskalieren und eine Chronifizierung (kalte Konflikte) zu verhindern. Der Burgfriede ist eine Vereinbarung der Konfliktparteien, dass der Konflikt nicht weiter ausgetragen bzw. thematisiert wird. Das kann durch das „Machtwort“ einer Führungskraft geschehen oder die am Konflikt Beteiligten einigen sich untereinander auf den Burgfrieden. In der Regel stellt er eine zeitlich begrenzte Lösung dar. Im besten Fall führt
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
der Burgfrieden zu einer Entspannung der Konfliktsituation, wodurch der Weg für eine befriedigende Konfliktregelung geebnet wird (Gellert und Nowak 2010). Das Harvard-Konzept – eine Methode für Konfliktregelungen und -lösungen Das Harvard-Konzept wurde von einem Forschungsteam der Harvard-Universität entwickelt. Die Idee dahinter war, dass Methoden des Verhandelns und Vermittelns untersucht und wirkungsvolle Strategien für die Verhandlungsführung generiert wurden. Das vorrangige Ziel des Harvard-Konzeptes ist es, in Konfliktsituationen eine friedliche Einigung – Win–win-Situation – herbeizuführen, mit der alle Beteiligten gut leben können. Diese drei grundlegenden Prinzipien des Harvard-Konzeptes sind besonders für Konfliktbehandlungen relevant: 1. Menschen und Probleme voneinander trennen Viele neigen dazu, „meine Meinung“ mit „meiner Person“ zu verwechseln und daraus zu schließen: „Wer nicht meiner Meinung ist, der mag mich nicht.“ Statt sachliche und persönliche Aspekte miteinander zu vermischen, ist es jedoch relevant, bewusst darauf zu achten, dass die Sach- und Beziehungsebene voneinander getrennt werden. Das Motto „Hart in der Sache und weich zu den Menschen“ fasst das gut zusammen. Entscheidend dabei ist, • ein vorurteilsfreier und zugleich wertschätzender Umgang, der auf Verständnis und Vertrauen beruht. • dass das Gegenüber weder als Freund noch als Feind, sondern als Partner bei einer Problemlösung gesehen wird. • aufmerksames Zuhören auf beiden Seiten. • eine wertneutrale Rückmeldung darüber zu geben, was gehört wurde, um Missverständnisse und Interpretationen zu vermeiden.
15.5 Therapie bei Konflikten
• dass Argumente der Gegenseite einbezogen werden, ohne sie zu verdrehen. • dass keine persönlichen Angriffe stattfinden. • dass „Ich-Botschaften“ statt „Du-Botschaften“ mit ausgestrecktem Zeigefinger gesendet werden. Die Trennung von Menschen und Problemen bedeutet nicht, dass Beziehungsprobleme unter den Teppich gekehrt werden. Stattdessen erfordern zwischenmenschliche Probleme oft mehr Aufmerksamkeit als Sachfragen. Dazu schreiben die Harvard-Professoren: „Unser grundlegender Rat ist der gleiche, egal ob das Problem Mensch nur ein Punkt oder das Hauptthema Ihrer Verhandlungen ist: Bauen Sie eine Arbeitsbeziehung auf, die unabhängig von Übereinstimmung oder Uneinigkeit ist. Je größer Ihre Meinungsverschiedenheit mit jemandem ist, um so wichtiger ist es, dass Sie damit gut umgehen können. Eine gute Arbeitsbeziehung kann mit Differenzen fertig werden. Sie kann nicht durch Zugeständnisse in Sachfragen erkauft werden oder dadurch, dass man so tut, als ob keine Meinungsverschiedenheiten existieren“ (Fisher et al. 2009). 2. Interessen statt Positionen verhandeln Bei Konflikten geht es häufig darum, durch eisernes Verteidigen seiner Standpunkte („Es geht ums Prinzip“ etc.) einen Sieger und Verlierer zu definieren. Das führt zu Verhärtungen und lässt Konflikte eskalieren. Werden stattdessen Interessen verhandelt, wird das Abweichen von einer Position nicht als Schwäche oder als Gesichtsverlust gedeutet. Positionen lassen sich auflösen, indem die Konfliktparteien ihre („stillen“) Interessen wie Wünsche, Ängste, Befürchtungen, Zwänge oder Sorgen benennen. Denn diese sind die eigentlichen Beweggründe hinter den Positionen und lassen sich leichter in Übereinstimmung bringen als Positionen. Wie das im „echten Leben“ aussehen kann, verdeutlicht ein Beispiel, das auch in der Originalliteratur vorkommt: Zwei Bibliotheksbesucher streiten darüber, ob das Fenster offen oder geschlossen sein soll. Sie diskutieren darüber, wie weit man das Fenster öffnen soll: einen
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Spalt weit, halb, dreiviertel offen, können sich jedoch nicht einigen. Da kommt eine Bibliotheksmitarbeiterin und fragt den einen, warum er das Fenster offen haben möchte. Seine Antwort lautet: „Ich brauche frische Luft“. Als sie auch noch den anderen befragt, stellt sich heraus, dass er das Fenster lieber geschlossen haben möchte wegen der Zugluft. Nach kurzem Nachdenken geht die Bibliotheks-Mitarbeiterin in den Nebenraum und öffnet dort das Fenster, da auf diese Weise frische Luft herein kommt, ohne dass es zieht (Fisher et al. 2004). Damit haben beide, was sie wollen: Ihre Positionen waren unvereinbar, doch ihre Interessen vereinbar. 3. Gemeinsame Alternativen entwickeln In Konflikten wird von Konfliktparteien oft davon ausgegangen, dass nur sie die einzig mögliche Antwort kennen. Argumente von der Gegenseite werden in einem solchen Fall geleugnet oder abgewertet. Eine Variante ist auch, dass nach der „einzig wahren Lösung“ gesucht wird, die es jedoch objektiv gesehen meist gar nicht gibt. Eine Chance zur Lösung festgefahrener Verhandlungen kann jedoch darin bestehen, keine Entweder-oder-Haltung einzunehmen, sondern eine flexible Sowohl-als-auch-Einstellung. Diese ermöglicht, dass gemeinsam Lösungsalternativen entwickelt werden, die für beide fair sind. Dabei ist es sinnvoll, zunächst verschiedene Möglichkeiten zu finden, aus denen man anschließend gemeinsam auswählen oder die man kombinieren kann. Ein gutes Beispiel dafür, dass sich vieles vor allem dadurch lösen lässt, dass wir unser bekanntes Denkschema durchbrechen und das Problemfeld im wahrsten Sinne des Wortes verlassen, ist das folgende Rätsel, das bereits 1914 als „Neun-Punkte-Problem“ in Samuel Cyclopedia of Puzzles publiziert wurde. Denn bei der Aufgabenstellung: „Bitte verbinden Sie die neun Punkte mit insgesamt vier Geraden ohne abzusetzen“, versuchen nahezu alle Menschen, die Lösung innerhalb der neun Kreise zu finden – à la „Das ist das Haus vom Nikolaus“. Doch der Kniff liegt eben darin, dieses System zu verlassen.
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15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit
Tipps für Konfliktsituationen • Kern des Konflikts verstehen: Was ist
das Problem? • Was sind die Interessen hinter den Po-
sitionen? • Ursache für den Konflikt ermitteln:
Warum kam es dazu? • Offene und transparente Kommunika-
tion: Wer muss was wissen? • Beteiligung aller Betroffenen an der
Lösungsfindung
Literatur Alexander, Thomas: Die Bedeutung von Vorurteil und Stereotype im interkulturellen Handeln. In: Interculture Journal 2006, 5. Jahrgang, Heft 02, Herausgeber: Jürgen Bolten/Stefanie Rathje. S. 3–20 Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Bund, Kerstin: Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen, 2. Auflage, Murmann Verlag, Hamburg 2014 Fintz, Anette Suzanne: Leading by Meaning. Die Generation Maybe Sinn-orientiert führen, Springer Gabler Verlag, Berlin/Heidelberg 2014 Fisher, Roger; Ury, Wiliam; Patton, Bruce: Das Harvard-Konzept. Der Klassiker der Verhandlungstechnik, 22. Auflage, Campus Verlag Frankfurt/New York 2004
Fisher, Roger; Ury, Wiliam; Patton, Bruce: Das Harvard-Konzept. Der Klassiker der Verhandlungstechnik, 23. Auflage, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2009 Gellert, Manfred; Nowak, Claus: Teamarbeit, Teamentwicklung, Teamberatung. Ein Praxishandbuch für die Arbeit in und mit Teams, 4. Auflage, Limmer Verlag , Meezen 2010 Glasl, Friedrich: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte und Berater. 2. Auflage, Verlag Freies Geistesleben, Bern/Stuttgart 1990 Hauser, Frank; Schulte-Deußen, Karsten: Mitarbeiterengagement - Ergebnis von Generationen-Management und Erfolgsfaktoren für Unternehmen. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, GoodPractice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 107 134 Klaffke, Martin: Erfolgsfaktor Generationen-Management - Handlungsansätze für das Personalmanagement. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 3 - 26 Meyers Grosses Taschenlexikon: 4. Auflage, Band 8, B.I.-Taschenbuchverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/ Zürich 1992 Parment, Anders: Die Generation Y. Mitarbeiter der Zukunft motivieren, integrieren, führen, 2. Auflage, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2013 Rump, Jutta; Eilers, Silke: Das Miteinander der Generationen am Arbeitsplatz. In: Informationsdienst Altersfragen 2015, Heft 42. Jahrgang, Heft 01, Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen, Fatamorgana Verlag, Berlin. S. 10–18 Schulz von Thun, Friedemann: Das Werte- und Entwicklungsquadrat. Ein Werkzeug für Kommunikationsanalyse und Persönlichkeitsentwicklung. In: TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, Klett Verlag 2010. S. 13–17 Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 242 vom 27.06.2019. Qualität bei der Arbeit. Diskriminierung am Arbeitsplatz. URL: https://www.destatis.de/DE/ Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-7/diskriminierung-arbeitsplatzl.html Abrufdatum: 02.01.2020 Wegge, Jürgen; Jungmann, Franziska; Liebermann, Susanne; Schmidt, Klaus-Helmut; Ries, Birgit C.: Altersgemischte Teamarbeit kann erfolgreich sein. Empfehlungen für eine ausgewogene betriebliche Altersstruktur. Sozialrecht + Praxis 2011, 21. Jahrgang, Heft 07. S. 433–442 Wegge, Jürgen; Schmidt, Klaus-Helmut: Diversity Management. Generationenübergreifende Zusammenarbeit fördern. Reihe: Praxis der Personalpsychologie Band 31. Herausgeber der Reihe: Heinz Schuler/Rüdiger Hossiep/Martin Kleinmann/Jörg Felfe. Hogrefe Verlag, Göttingen 2015
15 Konflikte im Team – Krise oder Gelegenheit Weiss, Betram; Simon, Claus Peter: Interview mit Friedemann Schulz von Thun. Wie das Miteinander-Reden besser gelingt: Schulz von Thun über die Kunst der Kommunikation In: Wie wir Konflikte besser bewältigen – und warum Harmonie nicht immer gut ist, Geo Wissen 2017, Nr. 59. URL: https://www.geo.de/ magazine/geo-wissen/16298-rtkl-konflikte-wie-dasmiteinander-reden-besser-gelingt-schulz-von-thun Abrufdatum: 13.02.2020 Wilde, Oscar: Phrases of Philosophies for the Use of the Young, 1894
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Change-Management – Gutes bewahren und Neues wagen
Während die einen häufig den Blick zurückwerfen und seufzend daran denken, wie viel besser doch früher alles war, und hinsichtlich Veränderungen das Motto „Lieber ein bekanntes Elend, als eine unbekannte Freude“ haben, sind andere der festen Überzeugung, dass es entscheidend ist, permanent alles Bestehende infrage zu stellen und laufend Veränderungen vorzunehmen. Bei der Einstellung gegenüber Änderungen spielt in vielen Fällen das Alter eine Rolle – muss es aber nicht. Entscheidend ist unter anderem, inwieweit die Beschäftigten eingebunden werden (Both-Directions-Ansatz), wie bisherige Change-Prozesse abliefen und ob die Balance zwischen Gutes bewahren und Neues wagen gelingt. Fest steht, dass vor allem Partizipation, Transparenz und Führungsqualität darüber entscheiden, wie hoch die Identifikation, Umsetzungsbereitschaft und Nachhaltigkeit von Umstrukturierungen sind.
16.1 Früher war alles besser – Blick in den Rückspiegel Wer während der Fahrt nur noch in den Rückspiegel schaut, wird nicht mehr lange auf der Straße unterwegs sein. Kurze Blicke sind hingegen wertvoll, da sie uns helfen, gesund anzukommen. Denn der Blick zurück ermöglicht, dass etwas aus der Vergangenheit für die Gegen-
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wart gelernt werden kann. „Hinterher ist man immer klüger“, sagt man im deutschsprachigen Raum. In den USA heißt es „hindsight is 20/20“ (Rückblick ist 20/20) und bezieht sich auf die normale Sehschärfe, die 20/20 beträgt. Gemeint ist in beiden Fällen, dass Entscheidungen im Nachhinein klarer bewertet werden können als zum Zeitpunkt der Wahl. Auch wenn es sich anders anfühlt, so ist der Blick zurück in den seltensten Fällen scharf, sondern meistens verzerrt und mit einem Weichzeichner versehen. Wenn dann noch nostalgische Verklärung hinzukommt, passt Loriots bekanntes Filmzitat aus „Weihnachten bei Hoppenstedts“: „Früher war mehr Lametta“. Auch in der Pflege sind häufig Sprüche wie „Früher wurde noch gearbeitet“, „Früher hat man sich aufgeopfert“, „Früher hätte man sich das nicht getraut“ oder „Früher war alles besser“ zu hören. Dass das nicht immer zutrifft, lernte ich bereits während meiner Ausbildung, als ich mit einer älteren Schwester in der Notaufnahme einer Kinderklinik Nachtdienst hatte. Nach ein paar Stunden in der überfüllten Notaufnahme war ich erstaunt über das unverschämte Verhalten mancher Eltern. Doch was sagte die erfahrene Pflegekraft an meiner Seite alles andere als frustriert, sondern vielmehr seelenruhig und voller Gelassenheit: „Frechheit siegt. Das war schon immer so – und das wird auch immer so sein.“ Interessanterweise schauen nicht nur viele Ältere immer wieder verklärt zurück in die „gute alte Zeit“,
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_16
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16 Change-Management – Gutes bewahren und Neues wagen
sondern auch deutlich Jüngere. So berichtete mir eine Pflegekraft vor kurzem, wie furchtbar sich die neuen Schülerinnen auf der Station benehmen und dass sie keinen Anstand mehr hätten. In ihren ziemlich emotional vorgetragenen Schilderungen erwähnte sie mehrmals das Wort „früher“. Und so endete sie mit den Worten: „Früher, als ich meine Ausbildung gemacht habe, hätten wir uns das nie erlauben dürfen.“ Da sie sehr jung aussah, fragte ich sie, wann sie ihr Examen gemacht habe. Daraufhin antwortete sie ernsthaft: „vorletztes Jahr“. Insgesamt gilt: „Nicht nur weit blicken, sondern auch tief denken; nicht hinterher denken, sondern nachdenken; vorwärts denken, um schließlich vorwärts zu gehen“ (Fintz 2014).
Beispiel
Als ich mich mit einer 80-jährigen ehemaligen Säuglingsschwester unterhielt, schwärmte sie von den goldenen Zeiten, in denen es noch kein Rooming-in gab. Für sie und ihre Kolleginnen hat diese Umstellung damals ihr komplettes Arbeiten durcheinander gebracht. Auch heute, Jahrzehnte später, ist sie noch ganz aufgebracht, als sie schildert, wie „ständig diese Mütter ihre Kinder bei sich haben wollten“ und wie schlecht den Säuglingen diese ganze Unruhe getan habe. Wäre es nach ihr und ihren Kolleginnen gegangen, gäbe es bis heute ein „Kinderzimmer“ mit Glasscheibe, bei dem die Vorhänge jeden Tag zweimal für eine Stunde aufgezogen werden, um den Vätern, Geschwistern etc. die Möglichkeit zu geben, das Neugeborene anzuschauen. ◄
16.2 Beschäftigte und Veränderungsprozesse – Beteiligte oder Betroffene? Es gibt Veränderungen, die leicht zu akzeptieren sind – ja, über manche freut man sich regelrecht: Schichtdienst statt geteiltem Dienst, Bereichspflege statt Funktionspflege, Digitalthermometer statt Quecksilber, Betten, bei denen per Knopf-
druck die Höhe und vieles mehr verstellt werden kann, oder Bettlaken mit Gummizug und somit Wegfall der Falttechnik „Schweizer Ecke“ bzw. „Krankenhausecke“. Doch die meisten Personen stehen Veränderungen erst einmal mit Vorbehalten gegenüber – speziell dann, wenn sie sie unmittelbar betreffen. „Es kommt selten etwas Besseres nach“, hört man dann oft. Besonders, wenn Veränderungen für die Beschäftigten überraschend kommen und sie in den Prozess nicht involviert waren, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt werden, führt das häufig zu Widerständen gegen das Neue. Andere Gründe sind, dass… • Beschäftigten das Problemverständnis fehlt („Es läuft doch alles prima“). • sie ihren Vorgesetzten kein oder nur wenig Vertrauen entgegenbringen („Der will sich doch nur ein Denkmal setzen“ oder „Die Lügen doch alle da oben“). • sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Veränderungen gemacht haben (z. B. Jüngere haben Veränderungen durchgeführt und danach die Abteilung/das Unternehmen verlassen). • sie die Sorge vor Mehrarbeit haben. • aufgrund zu vieler Veränderungen in hohem Tempo oder wenn Change-Prozesse uninspiriert, erfolglos und unkonzentriert stattfanden, eine Veränderungs-Müdigkeit (Change-Fatigue) herrscht.
Die häufigsten Auslöser für Widerstand
gegen Veränderungen sind fehlendes Wissen, ungenügendes Können und mangelndes Wollen. Interessanterweise hängen Widerstände gegen Veränderungen oft gar nicht unbedingt mit dem Lebensalter zusammen, sondern mit dem Zeitraum, den ein Beschäftigter am exakt gleichen Arbeitsplatz mit den gleichen Personen und Abläufen zugebracht hat. Und natürlich ist es auch eine Frage des Typs, ob selbst kleinste Veränderungen sofort als riesige Krise oder auch als
16.2 Beschäftigte und Veränderungsprozesse – Beteiligte …
mögliche Chance wahrgenommen werden. Insgesamt gesehen sind es jedoch meist die älteren Mitarbeitenden, für die Neuerungen besonders unbequem sind, da Sicherheit verloren geht und Gewohntes, Liebgewonnenes weggenommen wird, während das Neue noch nicht vorhanden ist und trägt. Daher besteht Konfliktpotenzial, wenn jüngere oder neue Teammitglieder und Führungskräfte mit ihrem Blick „von außen“ frische Ideen äußern. Besonders wenn es sich dabei nicht nur um „Kleinigkeiten“ handelt, sondern um teilweise über Jahrzehnte hinweg erprobte Arbeitsabläufe, die bisher kaum reflektiert wurden. Dann lehnen viele „Platzhirsche“ jede Veränderung ab, um auf keinen Fall ihre Komfortzone verlassen zu müssen, in der sie es sich gemütlich eingerichtet haben. Das ist bedauerlich, denn sie könnten ihre Qualitäten und Stärken einbringen und gleichzeitig ihren eigenen Horizont erweitern. Denn auch das weiß der Volksmund: Wer rastet, der rostet. Eine häufige Reaktion auf neue Ideen und Vorschläge ist das Abblocken mit Sätzen wie: „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Bei uns ist das eben so“. Das sind die „Hemmsprüche“ schlechthin, um jegliche Veränderung abzuwehren. In der Vergangenheit wurde von manchen älteren Beschäftigten im Wissen, dass der (Vor-)Ruhestand nahe ist, versucht, andere Vorstellungen und Ideen der jüngeren Generationen „auszusitzen“. Diese Zeiten sind vorbei und so müssen sie sich mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen und in Teilen auch arrangieren, um jüngere zu halten (Klaffke 2014). Andererseits bin ich in letzter Zeit immer wieder Menschen begegnet, die am liebsten gar nicht in den Ruhestand gehen wollen, weil sie noch so viele Ideen und Freude an ihrer Arbeit haben. Doch das sind wohl eher die berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Beispiel
Im Gespräch mit manchen älteren Pflegekräften höre ich immer wieder: „Als ich gelernt habe, haben wir das so gemacht und deshalb mache ich das auch weiterhin so, auch wenn manches davon jetzt vielleicht überholt
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ist.“ Die Anschnallpflicht im Auto besteht in Deutschland erst seit 1976. Und ich bin mir sicher, dass keiner bei einer Polizeikontrolle sagen würde: „Als ich den Führerschein gemacht habe, gab es noch keine Anschnallpflicht, also schnalle ich mich nie an…“ ◄ Bewährte Abläufe sollten nicht nur um der Veränderung willen verändert werden. Stattdessen ist es wichtig, sich einen neutralen Eindruck zu verschaffen, und erst dann, wenn erforderlich, mit der Umstrukturierung zu beginnen. Denn auch in meinen Consultings sehe ich immer wieder, wie manche Abläufe in einem Team oder einer Institution genau so Sinn machen und erfolgreich sind, wie sie dort praktiziert werden. Dagegen würden sie in einem anderen Team oder einem anderen Unternehmen für Chaos und Kopfschütteln sorgen. Daher sollten „alte Zöpfe“ immer mit Augenmaß abgeschnitten werden, denn was hilft es, wenn jemand zwar einen modernen Kurzhaarschnitt trägt, aber seine Performance rapide absackt.
Beispiel
In einem Klinikum wurde beschlossen, dass die bis dato üblichen „Dauernachtwachen“ zukünftig in den regulären Schichtdienst eingeteilt werden müssen. Besonders einige ältere Pflegekräfte, die schon seit vielen Jahren, teilweise Jahrzehnten, nicht mehr im Tagdienst gearbeitet hatten und daher in keiner Weise mit den Abläufen etc. vertraut waren, wehrten sich sehr gegen diese Entscheidung. Dazu kam, dass sie Bedenken hatten, wie ihnen nach den vielen Jahren als Dauernachtwache körperlich die Umstellung zum Tagdienst gelingen wird. Das Resümee der Pflegedienstleitung nach dem Umstellungsprozess sah wie folgt aus: Die meisten älteren Pflegekräfte mussten über längere Zeit umfassend eingearbeitet werden und haben teilweise erhebliche körperliche Schwierigkeiten im Schichtdienst. Zusätzlich zeigte sich, dass für die meisten die Umstellung, in und mit einem Team zusammenzuarbeiten, herausfordernd war. Denn bisher trafen sie im Nacht-
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16 Change-Management – Gutes bewahren und Neues wagen
dienst sämtliche Entscheidungen, von der Pause bis dahin, was wann getan wird, relativ autonom. Daher stellt sich die Frage: Wäre es nicht die bessere Lösung für alle Beteiligten gewesen, eine Übergangslösung zu schaffen und Pflegekräfte, die kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand standen, bis dahin im Dauernachtdienst zu belassen?! ◄
„Vordermann zu bringen“, um sie dann eingebettet in ein wunderschönes Qualitätsmanagementhandbuch zu präsentieren. Stattdessen brauchen Verbesserungen Zeit und müssen stetig in kleinen Portionen umgesetzt werden. Nur so können sich die Prozesse gleichmäßig in die gewünschte Richtung verändern. Darüber hinaus wird durch Kontinuität ein Vertrauens- und Sicherheitsgefühl aufgebaut. Zusammenfassend gilt das Motto: Nicht Exzess, sondern Prozess.
Beispiel
In einer Klinik gaben sich über Jahre hinweg die Pflegedienstleitungen die Klinke in die Hand. Diese Tatsache war an sich schon für alle Beteiligten herausfordernd, doch dazu kam, dass einige der neuen Pflegedienstleitungen innerhalb kürzester Zeit ein neues Pflege-Dokumentationssystem oder zumindest neue Formulare implementierten, mit denen sie bisher in anderen Unternehmen gute Erfahrungen gemacht hatten. Das brachte nicht nur Unruhe, sondern auch ein ziemliches Durcheinander mit sich. Ältere Stationsleitungen, die diese Jahre dort miterlebt haben, berichteten davon, dass auch das Qualitätsmanagement kaum noch mit dem „Einpflegen“ der neuen Dokumente nachkam. ◄ Hinsichtlich Veränderungen gibt es kein Schema. Manchmal braucht es einen klaren Schnitt (Tabula rasa), um einen Neubeginn möglich zu machen; in anderen Fällen sind es Prozesse mit längerer Laufzeit. „Kontinuierliche Verbesserungen sind besser als hinausgezögerte Vollkommenheit“, wird Mark Twain zitiert. Und tatsächlich lautet das Zauberwort im Change-Management häufig „Kontinuität“ und wird vom Duden mit folgenden Stichworten erklärt: „kontinuierlicher Zusammenhang; Stetigkeit; gleichmäßiger Fortgang von etwas“ (Dudenredaktion o. J.). Kontinuität (lat. continuitas), zeichnet sich also durch einen lückenlosen Zusammenhang, eine Stetigkeit und einen fließenden Übergang aus. Kontinuierlich bedeutet daher beispielsweise nicht, alle paar Jahre, kurz vor der nächsten Qualitätsmanagement-Rezertifizierung, zu beginnen, sämtliche Prozesse auf
Entwicklung ist nicht immer gleichbedeu-
tend mit Fortschritt – ob beides miteinander gleichgesetzt werden kann, liegt häufig an der Führungskraft und daran, wie Veränderungsprozesse durchgeführt werden.
16.2.1 Top-down oder Bottom-up – Welcher Ansatz ist im Change-Management der zielführendste? Beim Top-down-Ansatz plant die Unternehmensleitung Veränderungen ohne Mitwirkung der Beschäftigten und setzt sie anschließend von „oben“ nach „unten“ um. Einer der größten Nachteile dabei ist, dass die Widerstände besonders hoch sind, da die Neuerungen von oben herab „par ordre“ (auf Befehl) angewiesen werden. Anders beim Bottom-up-Ansatz: Hier beginnen Veränderungsprozesse auf der untersten Hierarchieebene und werden „nach oben“ fortgesetzt. Der Gedanke dabei ist, dass die Beschäftigten am besten wissen, welche Veränderungen in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich erforderlich sind. So wird die „Weisheit der Vielen“ genutzt, denn die Beschäftigten kennen ihren Bereich und ihre Abläufe, Schnittstellen etc. besonders gut und wissen daher, wo es „klemmt“. Nicht zuletzt aus diesem Grund werden die Mitarbeitenden mit Fragen wie „Wo liegen in eurem Bereich Verbesserungspotenziale? Und was sind eure Ideen dazu?“ in die Entwicklung eingebunden. Je höher die Partizipationsmöglichkeiten und das Empowerment (Ermächtigung, Über-
16.3 Von Missionaren bis Emigranten – verschiedene Typen in Veränderungsprozessen
tragen von Verantwortung) sind, desto größer ist die Identifikation. Denn eingebundene Beschäftigte können deutlich besser mit unangenehmen Entscheidungen umgehen, als wenn sie plötzlich vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Dazu kommt, dass das, was man sich selbst erarbeitet hat, viel lieber umgesetzt wird (siehe Kap. 12). Lern- und Veränderungsbereitschaft kann jedoch nicht verordnet, sondern nur entwickelt und durch gezielte Förderung aller Beteiligten unterstützt werden. Nachteilig an diesem Ansatz ist der hohe organisatorische und zeitliche Aufwand, aber auch, dass es Mitarbeitende braucht, die offen, motiviert, kreativ, innovativ, fähig und bereit sind, ihren Arbeitsbereich zu beleuchten und ihre Komfortzone zu verlassen.
Beispiel
Die Universität Oregon plante bei der Neugestaltung des Campus erst mal keine Wege ein, sondern säte überall Rasen. Erst nachdem sich durch das tägliche Begehen Trampelpfade gebildet hatten, wurden diese befestigt. Dadurch entsprachen die resultierenden Wege den natürlichen Bewegungsmustern der Campusnutzer. ◄ Der Both-Directions-Ansatz (Gegenstromverfahren) ist eine Kombination beider Verfahren und gilt als vielversprechende Vorgehensweise für das Change-Management, da er die Vorzüge beider Ansätze verbindet und gleichzeitig deren Nachteile aufhebt.
16.2.2 Erfolgsfaktoren für gelungenes Change-Management • Unternehmens- und Führungskultur, die Vertrauen aufbaut und fördert, denn: Vertrauen trägt Veränderung • Both-Directions-Ansatz (Gegenstromverfahren) • Gründliche Problemanalyse • Klare Visionen und Ziele • Gesamtansatz statt Teillösungen (das „große Ganze“ im Blick behalten)
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• Identifikation und Festlegung der erforderlichen Projektphasen (Meilensteine) • Frühzeitiges Erkennen potenzieller Hindernisse • Erfolgskontrolle (Evaluation) • Erfolge sichern und feiern • Keine blinde „Gefolgschaft“ fordern, sondern Überzeugungsarbeit leisten und immer wieder die Frage stellen, was getan werden kann, um Widerstände zu überwinden und den Mehrwert erkennbar zu machen • Balanceakt meistern zwischen „alle mitnehmen“ und Veränderungen konsequent umsetzen • Mitarbeitende aktiv am Wandel beteiligen (Transparenz, Interaktion, Motivation, Delegation etc.) und sie so von Betroffenen zu Beteiligten und von Objekten zu Subjekten zu machen • Planen von „Quick-Wins“ – besonders zu Beginn braucht es schnelle und deutliche Erfolgserlebnisse, um Rückhalt für den weiteren Prozess zu schaffen. Später helfen sie, Durststrecken zu überwinden. • Realistische „Probedurchläufe“ vereinbaren • Frühes Scheitern („Fail fast“): Wird festgestellt, dass Veränderungsprozesse zwar gute Ideen sind, sich aber beispielsweise nicht auf die Gegebenheiten im eigenen Team/Unternehmen – warum auch immer – umsetzen lassen, ist es sinnvoll, das Projekt zu beenden.
16.3 Von Missionaren bis Emigranten – verschiedene Typen in Veränderungsprozessen Als die Scorpions „Wind of change“ sangen, hieß es in China schon lange: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ Und was von beidem getan wird, ist nicht nur eine Frage des Alters, sondern auch eine Frage des Typs.
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16 Change-Management – Gutes bewahren und Neues wagen
Beispiel
Eine meiner Großmütter hat einen Dampfdrucktopf besessen, als andere noch nicht mal wussten, was das ist. Gut, der ist dann auch mal „explodiert“ und die Küche musste danach renoviert werden, aber meine Großmutter war offen für Neues – und das bis ins hohe Alter hinein. Meine gleichaltrige andere Großmutter hingegen kochte bis zu ihrem Lebensende mit herkömmlichen Töpfen. Zwei hervorragende Köchinnen, aber komplett andere Typen hinsichtlich Veränderungsprozessen. ◄ Vahs (2009) schildert, wie die Offenheit hinsichtlich Veränderungen unterschiedlich groß ausgebildet ist. Er beschreibt folgende sieben Typen und deren Verhalten gegenüber Veränderungen: Visionäre und Missionare, aktive Gläubige, Opportunisten, Abwartende und Gleichgültige, offene Gegner, Untergrundkämpfer sowie Emigranten. • Visionäre und Missionare sind von dem Veränderungsprozess voll und ganz überzeugt. Sie haben Ziele und Maßnahmen des Wandels miterarbeitet und versuchen nun die anderen im Team bzw. im Unternehmen vom Erfolg der Veränderung zu überzeugen. • Aktive Gläubige können als erste von den Visionären überzeugt werden und übernehmen die Aufgabe von Multiplikatoren, indem sie sich für den Wandel engagieren und ihre Überzeugungs- und Arbeitskraft dafür einsetzen. • Opportunisten schauen zunächst nach ihren persönlichen Vor- und Nachteilen. Gegenüber Vorgesetzten zeigen sie eine positive Haltung zum Wandel („Das ist schon lange überfällig“, „Gut geplant“), gegenüber Teammitgliedern äußern sie verhaltene Kritik („Mal schauen, ob das gut geht“). • Abwartende und Gleichgültige bilden meist die Mehrheit im Unternehmen. Sie zeigen eine geringe Bereitschaft, sich aktiv am Wandel zu beteiligen. Erst wenn der Veränderungsprozess spürbare Erfolge zeigt, lassen sie sich zur aktiven Mitarbeit motivieren.
• Untergrundkämpfer üben selten offene Kritik, sondern streuen über den „Flurfunk“ Gerüchte und machen so Stimmung gegen den Wandel. • Offene Gegner sagen offen, dass die getroffenen Entscheidungen falsch sind und nicht zum erwünschten Ziel führen werden. Da ihre Argumente und Einwände oft konstruktiv sind, können sie den Veränderungsprozess auch positiv beeinflussen. • Emigranten bilden meist eine kleine Gruppe, die sich entschließt, den Wandel nicht mitzutragen, sondern stattdessen die Organisation zu verlassen. Oft handelt es sich dabei um Leistungsträger, die nach dem Wandel keine ausreichenden Perspektiven mehr für sich sehen. Wie bereits oben beschrieben, sind es tendenziell die älteren Beschäftigten, für die Veränderungen teilweise sehr herausfordernd sind. Sie haben schon „so vieles kommen und gehen gesehen“, wie es neulich eine ältere Altenpflegerin formulierte. Doch für die Jüngeren ist es bedeutungsvoll, dass sie gestalten und entwickeln können. Immer da, wo der Balanceakt aus Bewahren und neu Entwickeln beziehungsweise Gestalten funktioniert, ist das ein wichtiger Baustein für gelungene altersgemischte Teamarbeit.
Literatur Dudenredaktion (o. J.): „Kontinuität“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/82397/revision/82433 Abrufdatum: 01.05.2020 Fintz, Anette Suzanne: Leading by Meaning. Die Generation Maybe Sinn-orientiert führen, Springer Gabler Verlag, Berlin/Heidelberg 2014 Klaffke, Martin: Erfolgsfaktor Generationen-Management - Handlungsansätze für das Personalmanagement. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 3–26 Vahs, Dietmar: Organisation: Ein Lehr- und Managementbuch, 7. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2009
Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen und transferieren
Wissen hat ein Verfallsdatum. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass ab einem bestimmten Alter nicht mehr gelernt werden kann. Vielmehr ermöglicht nicht zuletzt das Zusammenspiel von fluider und kristalliner Intelligenz, dass Kompetenzen nicht nur erhalten, sondern ausgebaut werden können. Inwieweit das über den gesamten Beschäftigungszeitraum hinweg – sozusagen lebenslang – geschieht, ist abhängig von dem Wollen der einzelnen Beschäftigten, aber auch dem Dürfen, Sollen und Fördern von Seiten der Arbeitgeber. Altersgemischte Teams können in Sachen Wissensmanagement ihren Joker ausspielen, denn durch den Wissenstransfer von Älteren zu Jüngeren und umgekehrt bieten sich enorme Möglichkeiten. Dabei wird nicht nur miteinander, sondern auch voneinander und übereinander gelernt.
17.1 Fachkompetenz ausbauen bzw. erhalten 17.1.1 Lebenslanges Lernen Wissen hat ein Verfallsdatum. Damit ist in erster Linie nicht gemeint, dass Gelerntes wieder vergessen wird, sondern es bedeutet, dass das, was heute gelernt wird, in einigen Jahren nur noch zum Teil aktuell bzw. richtig ist. Daher spricht
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man auch von der „Halbwertszeit des Wissens“, welche gerade in der Medizin sehr kurz ist und immer weiter abnimmt. Damit Wissen und Kompetenz nicht durch mangelnden Gebrauch einrosten, ist es entscheidend, die Lernmotivation bei allen Beschäftigten zu erhalten bzw. auszubauen. Nicht zuletzt deshalb braucht es „lebenslanges Lernen“ – manche sprechen auch vom „lebensbegleitenden Lernen“ -, womit ein kontinuierliches Lernen über die gesamte Lebensspanne gemeint ist. Zum lebenslangen Lernen gehört neben formalem, systematisiertem Lernen in Bildungsinstitutionen auch das informelle Lernen. Beim formalen Lernen werden festgelegte
Lerninhalte und Lernziele in organisierter Form vermittelt. Es findet meist in Bildungsund Ausbildungsinstitutionen statt und ist hinführend zu Schul- und Hochschulabschlüssen oder beruflichen Qualifikationen. Informelles Lernen findet im täglichen Le-
ben statt, sei es in der Familie, in der Freizeit oder am Arbeitsplatz. Es passiert ohne einen strukturierten oder organisierten Rahmen. Inhaltlich geht es, beruflich gesehen, beim lebenslangen Lernen in erster Linie um medizinisches und pflegerisches Fachwissen, aber auch
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_17
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
um Sozialkompetenzen wie Kritik- und Konfliktfähigkeit, Kommunikation, Teamfähigkeit und Führungsqualität. Neben Phasen, die vom Erwerb und der Weiterentwicklung umfangreicher Kompetenzen und Fähigkeiten gekennzeichnet sind, gibt es im Laufe eines Berufslebens auch Phasen der Stagnation. Wenn dazu dauerhaft keine Lernanreize vorhanden sind, beispielsweise bei langjährig gleichbleibender Tätigkeit, führt das zu Lernungewohnheit und Lernentwöhnung. Denn Lernen und Lernerfordernisse stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang mit der jeweiligen Umwelt. Qualifikationen und Kompetenzen, die im Arbeitsprozess nicht genutzt und angewendet werden können, drohen dann verloren zu gehen. Das wiederum führt zu einem Rückgang der Handlungskompetenz und schränkt dadurch die Wandlungs- und damit Einsatzfähigkeit der Mitarbeitenden ein. Beschäftigungsfähig hingegen bleibt, wer in der Lage ist, sich schnell zu verändern und neue Fähigkeiten anzueignen. Das, was jemand weiß, ist weniger wichtig als das, was jemand lernen kann, beziehungsweise, dass er weiß, welches Wissen wo erworben werden kann (z. B. im eigenen Netzwerk oder durch Recherche). Daher geht es besonders beim Erhalt der Lernmotivation von älteren Beschäftigten darum, auch im fortgeschrittenen Erwerbsalter weiterhin Ziele und Herausforderungen zu entwickeln, deren berufliche Verwirklichung erstrebenswert sind (Bruch et al. 2010). Denn je länger die berufliche Erstausbildung zurückliegt und das Wissen nicht durch Fort- und Weiterbildungen aufgefrischt bzw. erweitert wurde, desto höher ist das Risiko einer Dequalifizierung, die zur Disqualifizierung führen kann. Das ist wie mit einem Muskel, der erschlafft und verkümmert, wenn er nicht beansprucht wird. Doch die gute Nachricht ist, er ist noch da und kann durch Training wieder aufgebaut werden. Der Abschluss einer Aus-, Fort- oder Weiterbildung oder eines Studiums ist also keine Impfung mit lebenslanger Immunität, sondern impliziert immer wieder Impfungen zur Auffrischung. Und hier die Formulierung für alle Impfgegner: Bisherige Bildungsmaßnahmen bilden zwar ein
gutes Fundament, doch es muss auch darauf aufgebaut werden.
Beispiel
Eine Stationsleitung lehnt jegliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen mit der Begründung ab, dass sie bereits eine intensive einwöchige Schulung besucht habe und ihr sämtliche Inhalte noch präsent wären. Auf die Frage, wann die Schulung denn gewesen sei, ist ihre Antwort: „vor 25 Jahren“. ◄ Allerdings herrscht häufig eine Lernkultur vor, die Lernen vor allem als Ausgleich eines Defizits oder sogar als Strafe sieht statt als Erweiterung von Horizonten und Möglichkeiten, die sogar Freude bereiten kann. In diesem Sinn bedeutet „lebenslanges Lernen“ sich weiterzuentwickeln und daher ist weder das Aufschieben nach dem Motto „Da hab ich ja noch ein Leben lang Zeit, damit anzufangen“, noch der Vergleich von lebenslangem Lernen mit lebenslanger Haftstrafe zielführend. Vielmehr beginnt lebenslanges Lernen spätestens jetzt und ist die Verbindung zur Jugend. „Wer aufhört zu lernen, ist alt. Er mag zwanzig oder achtzig sein,“ wird Henry Ford zitiert. Kornelsen formuliert es so: „Mit jedem Jahrzehnt ohne Lernen und Weiterentwicklung wird die Lücke größer zwischen dem, was wir selbst als Norm erachten, und dem, wie sich die Kultur um einen herum entwickelt. Veränderung und Lernbereitschaft halten Denken und Sprache frisch. Nur so wird es gelingen, Kontakt zu jüngeren Mitarbeitern zu halten und zeitlose Werte und Weisheiten weiterzugeben“ (Kornelson 2019).
17.1.2 Lebensphasenorientierte Personalentwicklung/ Individuelle Gestaltung der Erwerbsbiographie Eine lebensphasenorientierte Personalentwicklung, die das generationsübergreifende Lernen
17.1 Fachkompetenz ausbauen bzw. erhalten
ergänzt, orientiert sich an den typischen Fragestellungen und Herausforderungen der jeweiligen Lebensphase. Dabei ist das Ziel immer, die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu stärken und über die gesamte Lebensspanne zu erweitern. Auch wenn es sich spontan so anhört, bedeutet „Laufbahngestaltung“ nicht grundsätzlich Aufstieg oder Beförderung (vertikale Karriere), sondern beinhaltet auch den Ausbau einer Fachkarriere auf horizontaler Ebene. Dabei sind auf Dauer weder Strohfeuer noch das „Gießkannenprinzip“ zielführend. Vielmehr braucht es eine individuelle Personalentwicklung für jeden Beschäftigten/jede Abteilung, die immer auch die strategische Gesamtausrichtung des Unternehmens im Blick behält.
Beispiel
Eine Mitarbeiterin fordert von ihrem Arbeitgeber, dass er sich an den Kosten ihrer geplanten Weiterbildung zur Still- und Laktationsberaterin beteiligen soll. Allerdings befindet sich in der Klinik weder eine Geburtshilfeabteilung noch eine Kinderklinik. ◄ Es muss auch nicht jeder Weiterbildungsbedarf, den ein Beschäftigter signalisiert, (gleich) in ein Seminar zum Thema münden. Manchmal ist es effektiver und aussichtsreicher, dem Beschäftigten die Lektüre von entsprechender Fachliteratur zu empfehlen oder ein Gespräch mit einem berufserfahrenen Kollegen zu organisieren. Personalentwicklung, in welcher Form auch immer, ist besonders dann erfolgreich, wenn die betreffenden Beschäftigten aktiv eingebunden werden. Ansonsten haben die Maßnahmen eher den Charakter einer „Strafe“ und die Vorteile für die Einzelnen und das Unternehmen insgesamt verpuffen. Manche müssen zu ihrem Glück „gezwungen“ werden. Doch vorher ist zu hinterfragen, ob es für diese Person wirklich ihr Glück ist oder doch eher das des Unternehmens.
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Beispiel
Um auch nach längeren Unterbrechungen wieder im Pflegeberuf „fit“ zu werden, eignen sich „Back in job-Schulungen“. Damit bekommen die „Rückkehrer“ die nötige Sicherheit und die Stationen und Abteilungen werden hinsichtlich der Einarbeitung entlastet. Neben theoretischen Einheiten zu Themen aus Pflege, Medizin, Verwaltung und EDV geht es dabei auch um das praktische Üben. ◄ In anderen Branchen besteht häufig die Möglichkeit, ältere Mitarbeitende aus dem „Tagesgeschäft“ herauszunehmen und sie stattdessen immer mehr beratend als „Senior Experten“ oder „Silver Worker“ einzusetzen. Im Pflegebereich wäre dieses Modell für viele Ältere zwar wünschenswert, doch es gibt hierfür nur wenige Stellen. So sind Spezialisierungen im Wundoder Dekubitusmanagement, in Demenzbetreuung, Laktationsberatung oder auch wissensvermittelnde Aufgaben wie Praxisanleitung, Durchführung von Patientenschulung und -beratung zwar möglich und wichtig, doch gerade im Hinblick auf die demographische Entwicklung ist es nicht realisierbar, zahlreiche Ältere in diesen Sonderaufgaben zu beschäftigen. Dazu kommt, dass sich auch nicht jeder für diese Tätigkeiten eignet. Denn nur weil jemand älter ist, ist er nicht automatisch ein Experte oder guter Lehrender. Was die eigene Laufbahngestaltung und ein Marathonlauf gemeinsam haben Besonders bei trainings on the job, treffe ich immer wieder auf Babyboomer oder X‘er, die ursprünglich gern examinierte Pflegekräfte geworden wären. Doch aufgrund eines zu niedrigen Schulabschlusses oder der damals großen Bewerberzahl zur Ausbildung blieb es nur bei dem Wunsch. So arbeiten sie nun in ihrem „Plan B“ als medizinische Fachangestellte, Stationshilfen oder als Empfangs- bzw. Ambulanzschalterpersonal.
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
Sie machen ihre Arbeit meist gut und engagiert, doch bis heute finden sie es schade, dass es damals nicht klappte. Häufig wissen weder Vorgesetzte noch Kollegen von dem eigentlichen Berufswunsch. Und in den meisten Fällen hat dieser ursprüngliche „Plan A“ auch keinerlei Konsequenzen für das Teamgefüge. Doch wenn Gedanken wie: „So eine Niete, das was die macht, könnte ich genauso, wenn nicht sogar noch besser“, „Der braucht gar nicht so wichtig zu tun“, „Ich arbeite deutlich mehr als die, und dafür bekommt sie auch noch ein höheres Gehalt als ich“ zu stark werden, kann das zu Konflikten im Team führen. Den Abschluss heute noch nachholen? „Lohnt sich für die paar Jahre jetzt auch nicht mehr“, sagen die Betroffenen dann oft. Doch es ist entscheidend, dass nicht nur Gras über den eigentlichen Berufswunsch wächst, sondern dass die Einzelnen bewusst und versöhnt damit abschließen. Alternativ ist sprichwörtlich noch nicht aller Tage Abend. Vielleicht wird es nichts mehr mit der examinierten Pflegekraft oder dem Medizinstudium, doch die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung sind heute deutlich vielfältiger als früher. Wie dieses „raus aus der Komfortzone“ auch in höherem Alter aussehen kann, macht die Geschichte des Japaners Shiso Kanaguri deutlich, der mit 75 Jahren den längsten – oder besser gesagt den langsamsten – Marathon der Geschichte nach 54 Jahren, 8 Monaten, 6 Tagen, 5 Stunden, 32 Minuten und 20,3 Sekunden beendete. Wie es dazu kam? In seinem Heimatland galt er als Talent und war bereits ein Rennen in Weltrekordzeit gelaufen. Beim Marathonstart am 14. Juli 1912 war es für schwedische Verhältnisse ungewöhnlich heiß und auch die 18-tägige Anreise steckte ihm wohl noch in den Knochen. Das führte dazu, dass der Japaner bei Kilometer 30 mit seinen Kräften am Ende war. So nahm er die Einladung einer schwedischen Familie an, einen Schluck Wasser zu trinken und sich hinzulegen. Er schlief sofort ein und erwachte erst am Folgetag. Seine Scham war so groß, dass er still und heimlich nach Japan zurückreiste. In Schweden galt er daraufhin viele Jahre als vermisst. Als das schwedische Fernsehen ihn viele Jahre später kontaktierte, ob er das Rennen zu Ende bringen wolle, stimmte er zu.
Im Ziel angekommen sagte der Universitätsprofessor Kanaguri: „Es war ein weiter Weg. Unterwegs habe ich geheiratet, sechs Kinder gezeugt und zehn Enkel geschenkt bekommen.“ Hundert Jahre nach dem Olympia-Marathon fand ein Jubiläumsrennen statt, an dem sein Urenkel teilnahm. Er lief den Marathon am Stück. Fast – denn auch er machte einen Stopp, wenn auch einen deutlich kürzeren, bei den Nachfahren der schwedischen Familie.
17.1.3 Möglichkeiten der Kompetenzerweiterung Die Instrumente zur Kompetenzerweiterung lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Maßnahmen „on the job“ (bei der Arbeit), “Training near the job” (in der Nähe der Arbeitsstelle) und “off the job” (außerhalb des Arbeitsplatzes). Die Maßnahmen „on the job“ lassen sich untergliedern in Job Rotation, Job Enrichment und Job Enlargement. Job Rotation (Wechsel der Arbeitstätigkeit) Bei der Job Rotation findet ein systematischer Tausch von Arbeitsplätzen statt. Die Beschäftigten „wandern“ in regelmäßigen Abständen durch unterschiedliche Arbeitsbereiche. In den meisten Fällen sind solche Rotationen zeitlich begrenzt, doch in der Praxis gibt es hinsichtlich des Zeitund Tätigkeitsrahmens unterschiedliche Ausprägungsformen. In jedem Fall ist es wichtig, dass diese Personalentwicklungsmaßnahmen gut durchdacht und transparent gestaltet werden. Dazu gehört die Beantwortung von Fragen wie: Warum werden die wechselnden Tätigkeiten gewünscht oder wie wird der genaue Ablauf sein? Besonders dann, wenn ein Mitarbeitender rotiert, weil es beispielsweise Probleme im bisherigen Team gab, ist es entscheidend, dass nicht aus blindem Aktionismus heraus ein „Verschiebebahnhof“ stattfindet, sondern auf möglichst große Passung geachtet wird. Generell sollte Job Rotation nicht nur disziplinierend, sondern vielmehr im positiven Sinne (siehe unten) stattfinden und auch dementsprechend kommuniziert werden.
17.1 Fachkompetenz ausbauen bzw. erhalten
Vorteile von Job Rotation: • Vermeiden von Dequalifizierungen aufgrund langjähriger Routinetätigkeiten • Vertiefung und Erweiterung von Kompetenzen • Besseres Überblicken von Schnittstellen und Abläufen – Blick für „das große Ganze“ • Erkennen von Verbesserungspotenzialen • Höheres Verständnis für andere Abteilungen • Erweiterung der persönlichen Kontakte (informelles Netzwerk) Job Enrichment (Anreicherung der Tätigkeit) Der Beschäftigte bekommt neue Aufgaben, die nicht auf dem gleichen Niveau wie bisher angesiedelt sind, sondern auf einer höheren Hierarchiestufe. Daher bringt Job Enrichment die Übernahme von mehr Verantwortung und einen größeren Handlungs- und Gestaltungsspielraum mit sich. Job Enlargement (Aufgabenerweiterung) Auch hier geht es um eine Ergänzung bzw. Vergrößerung der bisherigen Aufgaben. Dabei handelt es sich meist um Tätigkeiten, die der bisherigen Arbeit vor- oder nachgelagert waren. Durch Job Enlargement wird der Tätigkeitsspielraum erweitert, aber der Entscheidungsspielraum bleibt gleich. Zu den Maßnahmen „near the job“ und „off the job“ zählen: • • • • •
Seminare, Workshops, Vorträge Lesen von Fachliteratur Computergestützte Lernformen Teilnahme an Webinaren DIY-Filme (Do-it-yourself-Filme) im Intranet oder der Unternehmens-App • Piktogramme • „One Minute Wonder“ (OMW) Bei diesem Konzept werden regelmäßig wiederkehrende Wartezeiten (z. B. während der Blutgasanalyse auf der Intensivstation) genutzt, um mittels fokussierter Lerntafeln Wissen zu vermitteln. Hierzu werden aktuelle und relevante Themen aus der Pflege meist auf einer DIN-A4-Seite dargestellt, die inner-
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halb von einer Minute aufgenommen werden können. Wer sich darüber hinaus informieren möchte, findet dort auch dazugehörige Quellenangaben. Die Inhalte für die „One Minute Wonder“ kommen am besten von den Pflegenden selbst – also aus der Praxis für die Praxis. • …
17.1.4 Anreize zum Lernen Lernen wollen Ältere sind zwar aufgrund des Rückgangs der fluiden Intelligenz gewissen Beschränkungen unterworfen, doch sie sind immer noch in der Lage, auch neue Kompetenzen zu erwerben. Besonders die Motivation, etwas Neues lernen zu wollen, kann genutzt werden, um ein niedrigeres Lerntempo auszugleichen.
Beispiel
Eine Mitarbeiterin Ende fünfzig kümmert sich routiniert und gleichzeitig warmherzig um die Terminvergaben und Abrechnung einer Rehabilitationsklinik. „Nebenher“ ist sie für ihre Kolleginnen noch so etwas wie ein „Servicepoint“, denn sobald eine knifflige Frage auftaucht, weiß jeder, dass sie sicher eine Lösung weiß. Über mein positives Feedback am Ende des Trainings on the job freute sie sich besonders und meinte gedankenversunken: „Wenn man bedenkt, wo ich herkomme…“. Und in der Tat macht das ihre Leistung noch viel beachtlicher, denn bis vor wenigen Jahren arbeitete sie in der gleichen Rehabilitationsklinik als Hilfskraft der Therapeuten oder reinigte Räume. Die Wende kam durch eine Geschäftsführerin, die das Wollen und Potenzial in ihr erkannte und sie in ihrem Wunsch, in der Verwaltung arbeiten zu dürfen, unterstützte. Innerhalb kürzester Zeit lernte sie mit Anfang fünfzig alles Wichtige über Diagnosen, Therapie und vor allem Abrechnung. Noch heute berichtet sie mit leuchtenden Augen, wie sie in ihrer Freizeit juristisches Wissen über den Rehabilitationsbereich in sich „hineinschaufelte“. ◄
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
Neben der Motivation hat die Einstellung zum Lernen ein großes Gewicht. Wie groß hier die Bandbreite sein kann, zeigt folgendes Beispiel: Neulich hörte ich, wie sich zwei in etwa gleichaltrige Stationsleitungen darüber unterhielten, ob sie an einem Führungskräfte-Seminar teilnehmen werden oder nicht. Die eine sagte: „Man wird alt wie eine Kuh und lernt immer noch dazu“, während die andere so argumentierte: „Ich bin seit 25 Jahren Stationsleitung. Wenn ich jetzt noch nicht weiß, wie‘s geht, dann wäre das ja schlimm.“ Der größte Teil der Verantwortung für das eigene Lernen liegt bei jedem Beschäftigten selbst, unabhängig vom Alter, und ist deshalb immer auch Holschuld. Dazu gehört auch die Einsicht, dass die bloße Teilnahme an einem Workshop nicht dafür ausreicht, dass mit Erhalt der Teilnahmebescheinigung ein Haken hinter „gelernt“ gemacht werden kann. Stattdessen sollte erkannt und vonseiten der Vorgesetzten vermittelt und vorgelebt werden, dass jeder Arbeitstag die Gelegenheit bietet, etwas Neues zu lernen oder etwas Neues zu lehren. Neben dem individuellen Bildungsinteresse ist die Gestaltung der betrieblichen Bildung auch Aufgabe des Arbeitgebers und damit Teil der Führung (Ilmarinen und Tempel 2010).
Beispiel
Als ich noch als Kinderkrankenschwester arbeitete, nutzte ich regelmäßig ein paar Urlaubstage, um im In- und Ausland Hospitationen zu machen – sozusagen ein pflegerisches „Work and Travel“. Dabei traf ich meist auf motivierte, offene Menschen, die ich bei ihrem Tun begleiten und unterstützen durfte. Diese Zeiten waren immer recht intensiv, lehrreich und horizonterweiternd. Manches setzte ich in meiner Arbeit um, anderes wusste ich danach in der eigenen Klinik viel mehr zu schätzen als vorher und wieder anderes vermisste ich. ◄ Welche Möglichkeiten zum Kompetenzerhalt bzw. -ausbau auch immer genutzt werden: Um die Lernwilligkeit aller Beschäftigten zu fördern,
muss ihnen zunächst einmal verdeutlicht werden, welche Ziele damit erreicht werden sollen. Denn warum Neues lernen, wenn alles (scheinbar) gut läuft? Warum das Vertraute infrage stellen? Warum die Komfortzone verlassen? Am wirksamsten ist Lernen (im Gegensatz zur Anhäufung von Wissen) immer dann, wenn es umsetzungsorientiert ist. Denn die Motivation steigt erheblich, wenn eine Verknüpfung zwischen Schulungsmaßnahme und Arbeitsalltag hergestellt werden kann. Soll beispielsweise eine Pflegekraft zukünftig in einer anderen Abteilung oder Position arbeiten und es fehlt ihr dazu die notwendige Kompetenz, wird sie schon aus diesem Grund diese Herausforderung nicht mit Begeisterung annehmen. Vielleicht hat sie ja sogar die notwendige Grundmotivation, doch wer von uns würde einen Fallschirmsprung wagen, ohne mit dem genauen „Know how“ und Ablauf des Sprungs vertraut zu sein? Insgesamt muss eine Kultur gelebt werden, in der Fortbildungsangebote nicht nur dazu da sind, Defizite auszugleichen nach dem Motto: „Sie machen etwas nicht gut genug und müssen zur Strafe in die Schulung.“ Vielmehr sind Qualifizierungsangebote ein Zeichen der Wertschätzung, die neben Wachstumspotenzialen auch die Stärken fördern. Es ist eine Seite der Medaille, Bildungsangebote für die Mitarbeiter bereitzustellen und zu kommunizieren. Doch genauso wichtig ist es, das Personal zu motivieren, an den Veranstaltungen teilzunehmen und aktiv etwas für den eigenen Wissenszuwachs zu tun. Doch für manche bedeutet Fort- und Weiterbildung nicht mehr und nicht weniger als die Teilnahme an den Pflichtschulungen. Aber Brandschutz ist eben nicht alles… Manchmal bietet es sich auch an, dass Vorgesetzte und Mitarbeitende gemeinsam an einem Kongress, Vortrag, Seminar etc. teilnehmen. Damit wird Wissenserweiterung mit Wertschätzung, Teamklima und vielem mehr verknüpft. Denn auch im Hinblick auf Wissensmanagement ist die Vorbildfunktion bedeutend. Legt die Führungskraft beispielsweise eine „Weiß ich eh schon alles Haltung“ an den Tag, ist es nicht verwunderlich, wenn bei den Mitarbeitenden auch
17.1 Fachkompetenz ausbauen bzw. erhalten
kein Bedürfnis da ist, sich weiterentwickeln zu wollen. Beziehungsweise, wenn sie den Wunsch haben, werden sie von einer Führungskraft mit dieser Denkweise nur selten darin unterstützt.
Beispiel
Als ich vor ein paar Jahren Reinigungskräfte zum Thema „Kommunikation“ schulte, waren alle mehr als pünktlich und hatten sich gekleidet, als ob sie zu einem Festakt gehen würden. Sie freuten sich über Namensschild, Filmeinspieler, Gruppenarbeit und die kostenlosen Getränke und Kekse. Alle hatten Blöcke und Stifte dabei und die inhaltliche Beteiligung war unglaublich hoch und leidenschaftlich. Diese spürbare Freude und Dankbarkeit, an einer Präsenzschulung teilnehmen und sich dadurch weiterentwickeln zu dürfen, war mehr als eindrücklich und würde all denen gut stehen, die an Schulungen mit der Haltung teilnehmen: „Na gut, dann geh ich halt zu einer Schulung – alles besser als auf Station zu arbeiten.“ ◄ Die Gründe, warum die Teilnehmerzahl bei manchen Präsenzveranstaltungen eher gering ausfällt, stehen sicherlich vor allem in Verbindung mit der Personalknappheit. Doch mancher Anbieter muss sich auch fragen lassen: • Welchen Stellenwert hat Bildung im Unternehmen? • Wie ist das Wissensmanagement in der Unternehmenskultur verankert und im Operativen umgesetzt? • Wie attraktiv ist unser Angebot? • Gibt es verschiedene, flexible Möglichkeiten zur Wissenserweiterung? • Wie wird unsere Angebotspalette kommuniziert? • Wie ist das Image der Abteilung für Personalentwicklung – verstaubt oder innovativ? • Wie steht es bei hausinternen Schulungen um Organisation, Räumlichkeiten und den Servicegedanken?
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• Wird auf das Feedback von Teilnehmenden reagiert (Inhalte, Vertiefungsschulungen etc.)? • Werden im Bedarfsfall passende „Pakete“ für eine bestimmte Abteilung geschnürt? • Nach welchen Kriterien werden die Referenten ausgewählt? • Sind die Referenten kompetent, praxisnah und stellen sie sich auf die Teilnehmenden ein oder wird ein fertiges Programm „runtergespult“? Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es auch Beschäftigte gibt, die treue Teilnehmende von Bildungsveranstaltungen sind. Kaum ein Thema, das sie nicht interessiert. Würde es Fleißsternchen für jede Teilnahme geben, so wäre ihr Heftchen übervoll. So hoch bei ihnen der Stellenwert von Bildung auch ist, ist meine Überlegung manchmal was wird davon umgesetzt? Was nehmen die Einzelnen wirklich mit? Vielleicht tragen zu meinen Überlegungen auch die ca. fünfzehn Personen bei, deren Gespräch ich am Nachbartisch einer Klinikkantine nicht überhören konnte. Sie unterhielten sich engagiert darüber, welche Schulungen sie in den vergangenen Wochen besucht haben. Und zusammengefasst sei soviel gesagt: von Kinästhetik bis Sterben war alles dabei. Je länger ich zuhörte, umso mehr fragte ich mich: Wann arbeiten sie eigentlich und setzen dann ihr gesammeltes Wissen in die Praxis um? Und unter dem Eindruck stehend, dass kurz vorher in einem anderen Unternehmen mehrere Beschäftigte eine Teilnahmeabsage zu meinem Seminar erhielten, weil sich zu viele angemeldet hatten, stellte ich mir die Frage: Interessieren sich Beschäftigte wie die an meinem Nachbartisch wirklich für ein Thema oder nehmen sie ihren Kollegen womöglich einen Platz weg? Nochmal: Ich freue mich über jeden, der an einer Bildungsveranstaltung teilnimmt! Und wer weiß, vielleicht saß da auch die „Crème de la Crème“ aller Beschäftigten dieser Institution, die sich viel in Präsenzveranstaltungen fortbildet, um das Gelernte hoch engagiert zum Guten für ihre Mitmenschen (ob Patienten oder Kollegen) einzusetzen.
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
Lernen dürfen und sollen „Ohne Input kein Output.“ Beim Computer ist diese Tatsache allen klar, doch nicht immer im Hinblick auf die Beschäftigten. Dabei hängt die Leistung der Mitarbeitenden zu einem großen Teil von ihrem Fach- und Erfahrungswissen sowie dem Erhalt und Ausbau ihrer Sozialkompetenz ab. Zusätzlich dient die fortlaufende Qualifizierung dazu, die Einsatzmöglichkeiten und Beschäftigung der Mitarbeitenden vom Berufseinstieg bis zum Renteneintritt zu ermöglichen. Doch in manchen Unternehmen herrscht ein „Return-on-Investment-Gedanke“ hinsichtlich Wissensmanagement in dem Sinn vor, dass Ältere ab ca. Mitte fünfzig nicht mehr gefördert oder von längeren Weiterbildungsmöglichkeiten ausgegrenzt werden. Frei nach dem Motto: „Da haben wir als Arbeitgeber ja nicht mehr viel davon…“ Dabei wird jedoch oft nicht berücksichtigt, dass keine Rückzahlungsklausel im Fortbildungsvertrag die jüngeren Generationen daran hindert, den Arbeitgeber im Bedarfsfall zu wechseln. Wohl wissend, dass der neue die „Strafgebühr“, die im Fall einer Kündigung entsteht, häufig übernimmt. Während die einen enttäuscht darüber sind, dass sie aufgrund ihres Alters vonseiten des Arbeitgebers keine längeren Fort- und Weiterbildungen mehr machen dürfen, nutzen andere ihr kalendarisches Alter gern als Ausrede, um sich Qualifizierungsmaßnahmen zu entziehen. Dabei zählen nach Ilmarinen Weiterbildung und Wissensentwicklung zu den unmittelbaren Einflussfaktoren auf die individuelle Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten. Umgekehrt haben Wissensdefizite oder Ausgrenzung von Teilen der Belegschaft hinsichtlich Bildung unmittelbaren Einfluss auf die Krankheitsentwicklung (Ilmarinen 2002). Dazu kommt, dass sich auch bei älteren Arbeitnehmern eine hohe Korrelation zwischen professioneller Entwicklung und Mitarbeiterbindung zeigt. Daher führt ein Stillstand in der persönlichen Entwicklung, gepaart mit fehlender Anerkennung, mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Kündigung (Breuer 2014) – ob zur „inneren“ oder zur tatsächlichen. Verläuft die
daraufhin initiierte Suche nach Möglichkeiten eines Stellenwechsels oder früheren Berufsaustrittes negativ, führt dieses „auf das Abstellgleis geschoben werden“ nicht selten zu Frustration, niedriger Motivation und geringerer Leistungsund Einsatzbereitschaft. Das wiederum, beeinträchtigt nicht nur die Pflegequalität und das Teamklima, sondern auch das wirtschaftliche Gesamtergebnis.
17.2 Altersspezifisches Lernen Ergebnisse der psychologischen und gerontologischen Altersforschung deuten darauf hin, dass es im Alter keine generelle Abnahme von kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten gibt (Bruch et al. 2010). Der Psychologe Raymond Bernard Cattell beschrieb die intellektuelle Leistungsfähigkeit in einem Modell, das inzwischen weit verbreitet ist. Danach verfügt der Mensch über eine "fluide" und eine "kristalline" Intelligenz, die zwar miteinander verknüpft und dennoch recht unterschiedlich sind. Fluide Intelligenz Die fluide Intelligenz ist vor allem für die Verarbeitung von neuen Informationen, abstraktem Denken und der Herstellung von Beziehungen zwischen Konzepten (z. B. Zahlenreihen fortsetzen, Analogien) erforderlich. Durch sie ist man fähig, neue Probleme ohne Rückgriff auf Erfahrung zu lösen. Außerdem steht fluide Intelligenz für die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die Genauigkeit der Informationsverarbeitung. Kristalline Intelligenz Das kristalline Wissen umfasst kognitive Leistungen (Fähigkeiten und Wissen), welche im Laufe des Lebens erlernt bzw. von der Umgebung bestimmt werden. Dazu zählen beispielsweise der Wortschatz, das Allgemeinwissen und die Rechenfähigkeit. Die kristalline Intelligenz ist größtenteils milieu-, bildungs- und übungsabhängig.
17.2 Altersspezifisches Lernen
Während die fluide Intelligenz mit zunehmendem Alter sinkt, bleibt die kristalline Intelligenz bis ins hohe Alter konstant und kann bei entsprechendem Training im Alter sogar noch ansteigen (Köttendorf und Richter 2017). Daher muss mit Abnahme der fluiden Intelligenz nicht zwingend die Produktivität und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten sinken. Vielmehr können die im Erwerbsleben gewonnenen Stärken wie Erfahrungswissen und Organisationsfähigkeit die nachlassenden fluiden Fähigkeiten oft kompensieren. Geistige Anregung verhindert den Abbau der kristallinen Intelligenz. Es entsteht also eine Art Zinseszinseffekt der fluiden Intelligenz, die in die kristalline investiert wird. Oder anders gesagt: Mehr Wissen in jüngeren Jahren bewirkt, dass wir es später umso stärker erweitern und umso besser bewahren können. Passenderweise formulierte Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) es so: „Die Jugend ist die Zeit, Weisheit zu lernen. Das Alter ist die Zeit, sie auszuüben.“ Die fluide Intelligenz ermöglicht die An-
eignung von Wissen und die kristalline Intelligenz verknüpft dieses Wissen mit Erfahrung. Mit dieser Erfahrung ist es wiederum möglich, den altersbedingten Abbau von fluider Intelligenz auszugleichen. Nach Ilmarinen (2005) lassen sich folgende Schlussfolgerungen zum Thema Lernen und Altern ziehen: • Lernen ist nicht vom Alter abhängig, sondern von den Lernprozessen, die sich mit dem Alter deutlich verändern. • Das Lernen muss entsprechend den Bedürfnissen und Voraussetzungen organisiert sein. • Die Lernfähigkeit muss erhalten bleiben. • Die Arbeit muss Lernerfahrungen bieten. • Die Haltung und Denkweise des Vorgesetzten muss Lernen unterstützen. • Eine persönliche Motivation und das Bedürfnis, lernen zu wollen, muss mit dem Alter erhalten bleiben.
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17.2.1 Verschiedene Lernformen für verschiedene Generationen? Da die Lernprozesse und die Motivation in vielen Fällen bei Jüngeren anders sind als bei Älteren, müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen und das methodische Repertoire konzeptionell erweitert werden, um bestmögliche Erfolge und Freude beim und am Lernen zu erzielen. Unabhängig vom biologischen Alter sollte neben neuem Wissenszuwachs der Schwerpunkt auch auf der Weiterentwicklung der Stärken und Talente der Einzelnen liegen. Weiterentwicklungsmaßnahmen
bewegen sich immer im Spannungsfeld einer zielgruppenspezifischen Ansprache und alternsgerechten Ausgestaltung, die jedoch keinesfalls stigmatisierend wirken und bestehende Stereotype verstärken dürfen.
Lerngewohnheiten und -präferenzen sind nicht nur individuell, sondern in vielen Fällen auch von Generation zu Generation unterschiedlich. Folgende Trends und Lernpräferenzen sind charakteristisch für die jüngeren Generationen und wurden besonders durch Schofield und Honore (2009/2010) dezidiert beschrieben: • Handeln und Ergebnisse sind wichtiger als Wissen. Letzteres kann im Moment des Bedarfes abgerufen werden. • Geschwindigkeit, d. h. sofortige Information ist wichtiger als Genauigkeit. Damit wird „Last-Minute-Lernen“ deutlich mehr bevorzugt als der Aufbau echter Expertise. Gleichzeitig ist es aufgrund der Informationsflut und der immer stärkeren Spezialisierung nicht möglich, „alles“ zu einem Thema zu wissen. • Versuch und Irrtum ist ein präferierter Lösungsweg, d. h. es gibt ein höheres Interesse an problemorientiertem Lernen. • Kürzere Lernsequenzen werden bevorzugt. • Millenials sind es gewohnt, mehrere Aktivitäten gleichzeitig laufen zu lassen: „A genera-
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
tion that likes to parallel process and multitask as a way of life“ (Forrester 2006). • Sie bevorzugen visuelles Lernen und „short bites of information“ (Forrester 2006), anstatt einen Text zu lesen. • Gemeinsames Lernen – Interaktion, Diskussion und Networking sind für die Generation präferierte Wege. • Sie sehen Wissen als einen Entstehungsprozess, wobei Wissen in der Community weitergegeben bzw. konsumiert wird (konstruktivistischer Ansatz). Ältere hingegen bevorzugen eher induktives (Lernen durch logische Schlussfolgerung) und fallbezogenes Lernen. Ein hohes Maß an Lernfähigkeit findet sich vor allem in Bereichen, in welchen schon viel Vorwissen vorhanden ist. Man kann daher das Sprichwort auch verändern in: „Was Hänschen gelernt hat, verlernt Hans niemals mehr.“ Manchmal haben sich allerdings über die Zeit Fehler eingeschlichen oder die Lehrmeinung hat sich geändert, sodass es teilweise auch notwendig wird, dass zuerst „verlernt“ werden muss, ehe das Neue gelernt werden kann.
17.2.2 Gemeinsames Lernen unterschiedlicher Altersgruppen? Grundsätzlich sollten die klassischen Weiterbildungsmaßnahmen in altersgemischten Gruppen durchgeführt werden, da so alle Teilnehmenden vom gegenseitigen Wissenstransfer profitieren, das „Wir-Gefühl“ gestärkt und gleichzeitig Vorurteile abgebaut werden können. Besteht jedoch zwischen den Teilnehmenden bei Themen wie im EDV-Bereich ein größeres Wissensdefizit, ist es für alle Beteiligten oft lohnenswerter, eine generationsspezifische Weiterbildung durchzuführen. Dadurch werden bei älteren Beschäftigten Ängste und damit verbundene Lernwiderstände abgebaut. Alternativ dazu können spezielle Lernpatenschaften aus Älteren und Jüngeren gebildet werden oder Vorschalt-
kurse für diejenigen angeboten werden, die – unabhängig vom Alter – bisher noch wenig Erfahrung mit EDV-Programmen dieser Art haben, um dann darauf aufbauend am „normalen“ Kurs teilzunehmen. In jedem Fall muss verhindert werden, dass bei der Mitarbeiterqualifizierung ein Zweiklassenmodell entsteht.
Beispiel
Dass es hinsichtlich Alter und Computerkenntnissen auch die „berühmten“ Ausnahmen gibt, zeigt dieses Beispiel: Eine Mitarbeiterin Ende fünfzig ist der „Geheimtipp“ für alle, die Fragen im Umgang mit Spezialfunktionen von PC-Programmen haben. Egal ob Dienstplanprogramm, Patientendokumentation, Patientenabrechnung bis hin zu Word, Excel, PowerPoint: Diese bescheidene und unauffällige Frau ist bei allen Alters- und Berufsgruppen eine gefragte Ansprechpartnerin. Woher sie das ganze Wissen hat? Bis vor ein paar Jahren hatte sie mit Computern „gar nichts am Hut“, wie sie sagt. Doch dann machte ihr der PC-Kurs im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme bei der Agentur für Arbeit so viel Freude, dass sie zuhause immer weiter geübt und getüftelt habe. Lachend meinte sie: „Ich glaube, so was wie mich nennt man auch 'Nerd'.“ ◄
17.3 Das 70:20:10-Modell – Lernen neu entdecken In der Vergangenheit bedeutete Mitarbeiterqualifizierung in der Regel „Präsenzveranstaltung mit einem Dozenten“. Diese und andere klassischen Fortbildungsmöglichkeiten können zwar einen guten Grundstock bilden, doch es ist zusätzlich erforderlich, dass Lernen noch bewusster in die tägliche Routine am Arbeitsplatz eingebaut wird. Es geht also nicht darum, „nur“ das Wissen zur Verfügung zu stellen, sondern auch die richtige Form des Wissenstransportes zu beachten.
17.3 Das 70:20:10-Modell – Lernen neu entdecken
In diese Richtung geht auch das 70:20:10 Modell, welches von Michael M. Lombardo und Robert W. Eichinger entwickelt wurde. Dabei wird davon ausgegangen, dass 70 % am Arbeitsplatz durch Aufgaben und Herausforderungen gelernt wird, 20 % durch Interaktion und 10 % durch „traditionelle“ Qualifizierungsprogramme. Zweifellos geht es nicht darum, dass nur durch exaktes Einhalten dieser Prozentzahlen eine bestmögliche Personalentwicklung erzielt werden kann. Vielmehr sorgen sie dafür, den Blick verstärkt auch auf die informelle Wissensvermittlung zu richten und hier nicht nur auf Zufälle oder „Das machen die Beschäftigten schon unter sich aus“ zu hoffen, sondern auch bewusst zu planen und zu koordinieren. Da dieses Modell den Anforderungen der verschiedenen Generationen entgegen kommt und der Schlüssel für hohe Leistung und Engagement der Mitarbeitenden ist, werden die drei Prozentzahlen nun näher beleuchtet. 70 % Lernen durch Tun Keine Frage, theoretische Kenntnisse bilden die erforderliche Grundlage, doch echtes Know-how und wahre Lektionen entstehen erst im eigenen Tun. Es sind die Aufgaben und Herausforderungen am Arbeitsplatz sowie der Wissens- und Erfahrungsaustausch mit Kollegen, die alle Altersgruppen am meisten lernen lassen. Daher sollte Qualifizierung häufiger als „Learning by Doing” oder „Training on the job“ gestaltet werden. Das bedeutet, dass der Arbeitsort auch Lernort sein darf. Denn das Lernen von Wissen passiert zwar im eigenen Kopf, doch das Lernen von Können meist vor den Augen anderer (Schüller und Fuchs 2007).
Beispiel
Während eines geschäftlichen Gesprächstermins mit dem Chefarzt einer großen Geburtshilfeabteilung klingelte immer wieder sein Mobiltelefon. Schnell stellte sich heraus, dass er synchron zu unserem Gespräch außerplanmäßig eine schwierige Geburtssituation telefonisch, sozusagen als Back-up, begleitete. Wie wenig ihn die parallele Anleitung
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stresste, wurde nicht zuletzt daran deutlich, dass er sich nach jedem Auflegen des Hörers bei mir entschuldigte, um dann sofort den roten Faden unseres Gespräches wieder aufzunehmen. Als ich ihn darauf ansprach, meinte er, dass er als älterer und erfahrener Chefarzt seine Ärzteschaft gut kenne und wisse, was er wem zutrauen kann und was nicht. Durch das „nicht sofort Hinrennen“ gebe er seinen Leuten die Möglichkeit zu zeigen, was sie können. Außerdem entstände so keine unnötige Unruhe für die Mutter und die Begleitpersonen. Und da sein Büro in unmittelbarer Nähe zum Kreißsaal liege, könne er im Fall des Falles innerhalb kürzester Zeit eingreifen. ◄ Das alles sollte nicht dem Zufall überlassen werden, sondern möglichst systematisch geplant und durchgeführt werden. Dazu können vor allem Trainings on the job als Methode eingesetzt werden. Diese unterstützen einerseits die Stärkung der Stärken und machen andererseits auf mögliche Schwächen, „blinde Flecken“ und Fehler aufmerksam. Die Vorteile liegen darin, dass das Gelernte sofort umgesetzt werden kann, keine lange planerische Vorlaufzeit benötigt wird und die Maßnahme passgenau auf die jeweilige Person und den Arbeitsplatz zugeschnitten wird. Ein großes Plus ist auch, dass Trainings on the job trotz knapper Besetzung durchgeführt werden können, da der Beschäftigte seine „normale“ Arbeit erledigt. Begleitet werden die Trainings on the job durch erfahrene Trainer. Kommt dieser von extern, hat das den zusätzlichen Vorteil, dass keine „Betriebsblindheit“ besteht und „Best-Practice-Beispiele“ einfließen können. 20 % Lernen durch Interaktion Die Zusammenarbeit mit Kollegen prägt die eigene Vorgehensweise. Durch das bewusste oder unbewusste „über die Schulter schauen“ wird beobachtet, wie andere eine bestimmte Situation meistern. Daraus wird dann gelernt, wie man es selbst machen könnte oder eben nicht. Große Lernchancen und andere Blickwinkel
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
bringen oft auch neue Kollegen mit, die aus anderen Teams, Unternehmen (Kliniken, Seniorenzentren, ambulanten Pflegeeinrichtungen etc.) oder sogar als Quereinsteiger in ein Team kommen. Einen großen Einfluss haben hier auch die Vorgesetzten in ihrer Rolle als Vorbild – denn wie heißt es im Volksmund: „Wie der Herr, so’s Gescherr.“ Weitere Möglichkeiten, des Lernens durch Interaktion sind Feedback-Gabe, Supervision, Mentoring und Training on the job.
Beispiel
Wie ein Tropfen Pfefferminzöl auf dem Mundschutz in geruchsintensiven Patientenzimmern hilft, wie mit wenigen Blättern Toilettenpapier aus einem kalten „Schieber“ ein „Königsthron“ für bettlägerige Kinder wird, wie man sich bei nächtlichen Rundgängen mit einer Taschenlampe beste Sicht verschafft, ohne jemanden zu wecken – alles Dinge, die sich kaum in Lehrbüchern finden, sondern von Generation zu Generation weitergegeben werden. ◄ 10 % Lernen durch „traditionelle“, formale Qualifizierungsprogramme Seminare bzw. Workshops sind im Werkzeugkoffer der Personalentwicklung eines der meist genutzten Tools. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Generationen bieten Angebote wie diese noch den zusätzlichen Vorteil, dass durch die gemeinsame Teilnahme unterschiedlicher Altersgruppen verschiedene Blickwinkel eingebracht werden können. Zusätzlich sorgen gemeinsame Erlebnisse wie die Teilnahme an einem Seminar (vielleicht sogar extern) dafür, dass sich Teammitglieder neu oder besser kennenlernen.
17.4 Wissenstransfer innerhalb altersheterogener Teams Lernen ist eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wie das Wort „Vergangenheit“ bereits sagt, handelt es sich um etwas, das
vergangen ist. Geblieben ist idealerweise die Erfahrung. Im Gegensatz dazu findet das Lernen, also die „Brücke“, im „Hier und Jetzt“ statt. Darum ist es die Kombination aus Erfahrung und Lernen, die großen Einfluss auf die Zukunft hat. Das gilt für jede einzelne Person, doch es gewinnt an zusätzlicher Dynamik, wenn verschiedene Generationen eine Lerngemeinschaft bilden. Johann Wolfgang von Goethe formulierte das so: „Nach unserer Überzeugung gibt es kein größeres und wirksameres Mittel zu wechselseitiger Bildung als das Zusammenarbeiten.“ Im Gegensatz zum Medizinstudium findet in der Pflege ein großer Teil der Ausbildung im realen Leben statt. So kann von Beginn an von erfahreneren Pflegekräften gelernt und „abgeschaut“ werden. Und es sind gerade die vermeintlich kleinen Details, wie ein gutes Handling, die sich weder durch Frontalunterricht, Fachliteratur oder YouTube-Video erlernen lassen, sondern nur durch jahrelanges Tun. Eine Abkürzung ist durch Nachahmen und Tipps und Tricks von älteren Profis, sozusagen „sprechenden Lehrbüchern“, möglich.
Beispiel
Im Aufwachraum stellte eine Pflegekraft bei einem Patienten zufällig heftigen Lausbefall fest. Wieder zurück auf der Station führte diese Information bei sämtlichen Pflegekräften und Ärzten erst mal zu einem sich Schütteln und die eigene Kopfhaut Kratzen. Nur eine ältere Pflegekraft – sie durchlief ihre Ausbildung bereits in den 50er Jahren – reagierte souverän auf den Läusebefund. Gelassen öffnete sie eine Schublade, die kaum benutzt wurde, holte einen Läusekamm heraus, entfernte mit routinierten Handgriffen sämtliche Nissen und Läuse, bezog das Bett neu etc. Abgerundet wurde das Ganze mit einem „neumodischen“ chemischen Lausmittel. Unterm Strich war der Patient deutlich schneller lausfrei als die bereits „angesteckten“ Mitpatienten, die lediglich mit Chemie behandelt wurden. Das ließ alle staunen und die ältere
17.4 Wissenstransfer innerhalb altersheterogener Teams
Schwester war spätestens nach dieser Aktion hoch geachtet. ◄ Es heißt nicht umsonst: „Wissen ist Macht“. Und mit der Weitergabe seines Wissens gibt der Lehrende immer eine Machtposition auf und macht sich damit selbst ein Stück weit ersetzbar. Bei manchen führt das dazu, dass sie das Gefühl bekommen, dann nicht mehr gebraucht zu werden. Und so hüten sie ihr Wissen wie einen Schatz. Andere erleben oder denken, dass ihr Wissen überhaupt nicht relevant ist bzw. geschätzt wird.
Beispiel
Die Übergabe einer langjährigen, erfahrenen Klinikleiterin an ihre Nachfolgerin gestaltete sich derart harmonisch, dass sie ihr anbot, sie gern auch im Ruhestand bei Fragen kontaktieren zu können. Umso enttäuschter war sie, als sich die Jüngere kein einziges Mal bei ihr meldete. Sie formulierte es mir gegenüber mit enttäuschtem Unterton so: „Ich habe mich angeboten, aber keiner hat Interesse an meinem Wissen gezeigt.“ ◄ Doch Wissenstransfer ist keine Einbahnstraße: Also nicht die Älteren lehren und die Jüngeren lernen, sondern auch andersherum. Während Ältere von den Jüngeren in fachlicher Hinsicht hauptsächlich neues Wissen aus der Pflege, aber auch den Umgang mit Technik lernen können, profitieren Jüngere vom Handling der Älteren und deren tendenziell professionellerem Umgang mit Leid, Krankheit und Tod von Patienten und Bewohnern. Gelingt dieser Wissenstransfer, entstehen „Lerneinheiten“ im wahrsten Sinn des Wortes: Es wird sowohl als Einheit gelernt, wie auch in Einheiten. Der gegenseitige Austausch muss sich nicht nur auf Wissen und Fähigkeiten beschränken, vielmehr können auch Einstellungen und Wertvorstellungen weitergegeben werden.
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Werden die „Kompetenz-Tanks“ der unterschiedlichen Altersgruppen „angezapft“, wird nicht nur miteinander, sondern auch voneinander und übereinander gelernt.
Durch dieses intergenerative Lernen können die Unterschiede der verschiedenen Altersgruppen genutzt und der Wissensverlust, der durch den Renteneintritt der Babyboomer bevorsteht, abgefedert werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei das „implizite Wissen“ – also das in den Köpfen der Beschäftigten gespeicherte, durch Erfahrung untermauerte Wissen -, das nicht ohne weiteres abstrahiert, dokumentiert und weitergegeben werden kann (Bruch et al. 2010). Denn dieses Wissen, manche sprechen auch von „Tacid Knowledge“ (schweigendes Wissen), ist personengebunden und lässt sich daher auch am besten von Person zu Person weitergeben. Bei „Tacid Knowledge“ geht es um Gefühle, Instinkte und Erfahrungswerte, die uns sagen, wie etwas zu tun oder warum es besser zu lassen ist. Und es geht um informelles Wissen, also das Wissen um die vielen ungeschriebenen Gesetze, Regelungen und Gepflogenheiten. Dieses Wissen wächst mit dem Alter, der Lebenserfahrung und dem täglichen Umgang im Job. Geht eine Pflegekraft mit hohem impliziten Wissen, dann geht ihr Know-how. Kein Arbeitsvertrag kann sie dazu bringen, es hier zu lassen. Und immer wieder geht dadurch verloren, was die Patienten und Bewohner so an „ihrer“ Station, „ihrer“ Ambulanz, „ihrer“ Klinik, „ihrer“ ambulanten Pflege“ oder „ihrer“ Senioreneinrichtung geschätzt haben.
Beispiel
Kürzlich stand ich mit einer älteren Dame, die sämtliches über Wäschereinigung weiß, in deren Waschküche. Doch mit ihrer neuen Waschmaschine und den vielen verschiedenen Auswahlmöglichkeiten waren ihre profunden
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
Kenntnisse auf einmal so gut wie nichts mehr wert, denn sie bekam die Maschine gar nicht erst zum Laufen. Etwas, was sie eigentlich auszeichnet und worin sie gut ist, wurde jetzt zu einem Handicap. Ich erklärte ihr nacheinander die Programme ihre Waschmaschine und nach einiger Zeit war sie wieder die „Waschkönigin“. Und wen werde ich wohl fragen, wenn sich bei mir die nächste FleckKrise auftut? Es lebe der intergenerative Wissenstransfer. ◄
17.4.1 Bedingungen für reibungslosen Wissenstransfer • Der Wert von Wissen und Erfahrung wird von der Unternehmensleitung als kostbare Ressource gesehen, deren Weitergabe entsprechend gefördert und gefordert wird. • Bei geplanten Wissenstransfers braucht es größtmögliche Transparenz vonseiten der Vorgesetzten über das „Warum“, das Ziel und die Vorgehensweise. • Frühe Einbindung aller Beteiligten bei der Planung. • Grundsätzliche Motivation aufseiten des Wissensgebers und -nehmers. • Vorhandensein von kommunikativen und didaktischen Fähigkeiten, aber auch Geduld und Übung, denn nicht jeder Mensch ist von Natur aus der geborene Wissensvermittler. Deplatziert sind Wichtigtuer, Besserwisser und der Typ „Fräulein Rottenmeier“ (Heidi-Roman). • Vorhandensein eines guten Teamklimas und eine möglichst ideale zwischenmenschliche Passung von Wissensgeber und -nehmer. • Vermeiden, dass durch den Wissenstransfer Hierarchiestufen entstehen, da sie schnell das Teamklima vergiften können. • Zeit zum Lehren und Zeit zum Lernen geben. • Dankbarkeit und Wertschätzung zeigen gegenüber dem Wissensgeber für seine Offenheit und dem Wissensnehmer für seine Bereitschaft zum Lernen. • Vorhandensein von Wissen, das weitergegeben werden soll, denn nicht jedes „impli-
zite Wissen“ ist weitergabewürdig. Vielleicht ist es so negativ hinsichtlich Patienten, dem Team oder dem Unternehmen gefärbt, dass es mehr zerstört als unterstützt.
Beispiel
Altersgemischte Teams sind effektiv und nachhaltig wirkende Lernformen. Durch die Zusammenarbeit verschiedener Generationen gleichen sich die spezifischen Defizite einer Altersgruppe durch die jeweiligen Stärken der anderen Altersgruppen aus. ◄
17.4.2 Möglichkeiten zur Lenkung des intergenerativen Austausches Zusätzlich zu den zahlreichen informellen Kontakten zwischen den verschiedenen Altersgruppen, die Vorurteile abbauen und zusammenschweißen, ist es wichtig, den intergenerativen Austausch auch in „gelenkter Form“ zu fördern. Denn Themen wie Alter(n), Chancen und Herausforderungen von altersgemischten Teams, Vorurteile, generationale Stärken und Schwächen etc. finden im normalen Stationsalltag eher selten Raum. Diese „gelenkte Form“ kann in sehr unterschiedlicher Weise stattfinden. Hier gilt es, ein Setting zu finden, das passend ist. Ob als „Sounding Board“, Runder Tisch, Besprechung, „Lunch & Learn“ oder eine Art „Speed-Dating“ – immer geht es darum, Möglichkeiten zu schaffen, bei denen die Aufmerksamkeit auf die Stärken, Schwächen (siehe Absch. 3.3), Bedürfnisse und Wünsche der verschiedenen Altersgruppen sowie das Gelingen von erfolgreicher Zusammenarbeit gelenkt werden. Auf diesem Weg können Wertschätzung und Verständnis zwischen den Generationen wachsen und Beziehungen geknüpft bzw. vertieft werden, was wiederum förderlich für die Teamperformance ist. Meiner Erfahrung nach bieten sich für den
gelenkten, intergenerativen Austausch praxisnahe Workshops wie Lunch & Learn bzw. Coffee & Learn mit kurzen, unter-
17.5 Lernen durch Vorbilder
haltsamen und dennoch gehaltvollen Inputs an, die eine Wissensbasis schaffen und durch interaktive Elemente zum Mitdenken und Dialog anregen.
17.5 Lernen durch Vorbilder Laut dem Duden (Dudenredaktion o. J.) ist ein Vorbild eine Person oder Sache, die als (idealisiertes) Muster, als Beispiel angesehen wird, nach dem man sich richtet. Gleichzeitig sind Vorbilder auch Personen, die aufgrund besonderer Eigenschaften oder Werte zum einen andere Menschen inspirieren, motivieren, herausfordern, und zum anderen Ideen weitergeben, einen Weg zeigen, Halt geben und Mut machen. Im Englischen spricht man vom „role model“. Und auch das sagt etwas darüber aus, was ein Vorbild ausmacht: Es geht darum, das Modell einer Rolle zu sein. Somit ist der Gebrauch von Vorbildern stark verallgemeinert nichts anderes als "Lernen am Modell". Das sehen auch die Spanier so, die vom „Modelo a seguir“ (spanisch für Vorbild) sprechen. Frei übersetzt heißt das soviel wie „Modell, dem man folgt“. Auch im Deutschen sagt man ja „einem Vorbild folgen“ – womit „Follower“ doch mal eine ganz andere Bedeutung bekommt. Vorbilder dienen auch zur Identifikation und Nachahmung. Und durch Imitation wird bekanntlich mehr gelernt als aus jedem Buch. Wer an dieser Aussage zweifelt, der beobachte am besten mal kleine Kinder dabei, wie sie ihrerseits andere beobachten und dann nachahmen. Diese Form des unbewussten Lernens hat jedoch den entscheidenden Nachteil, dass auch negatives abgespeichert wird. Daher werden wir beispielsweise an vielen Ampeln auf Hinweisschildern aufgefordert: „Nur bei Grün – Kindern ein Vorbild.“ Doch dieses Nachahmen und sich Anpassen findet auch im Erwachsenenalter statt. Das ist beispielsweise auch dann gut zu beobachten, wenn bisher positiv denkende Menschen in einer neuen Partnerschaft oder in einem anderen Team immer mehr zu Pessimisten werden. Nicht weil die Person in der neuen Beziehung
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oder dem neuen Team unglücklich ist, sondern weil die eher negativ denkende Art anderer abfärbt und gleichzeitig ein optimistisches Verhalten nicht erwünscht und schon gar nicht gefördert wird. Genauso gut besteht jedoch die Möglichkeit, dass von negativen Vorbildern durch ein innerlich kämpferisches „So mach ich das nicht“ oder „So möchte ich nicht sein“ ebenfalls viel gelernt werden kann.
Beispiel
In meiner Ausbildung wurde ich bei meinem ersten Praxiseinsatz einer Krankenschwester zugeteilt, die während des morgendlichen Rundgangs beim Betreten jedes Patientenzimmers den noch völlig verschlafenen Patienten ein lautes „Guten Morgen“ entgegenrief und parallel dazu alle Lichtschalter bediente. Kaum war der komplette Raum grell erleuchtet, wurden die Vorhänge mit einem Ruck aufgezogen und die Fenster gekippt. Dieses Prozedere hat mich derart abgeschreckt, dass ich mir schwor, das niemals so zu machen – und daran habe ich mich auch gehalten. ◄ Manche Personen sind aufgrund ihrer Funktion oder ihres Amtes eine Art „vorgegebenes“ Vorbild. Dazu gehören beispielsweise Eltern, Lehrende und Führungskräfte. Doch je älter wir werden, umso mehr können wir bewusst darüber entscheiden, wer uns wie prägen soll. Vorbilder brauchen im Unterschied zu den „Schönen und Reichen“ keine Schauspieler, Sänger, Musiker oder ein großer Name der Geschichte sein. Zwar sind Mutter Theresa, Mahatma Ghandi & Co für viele ein leuchtendes Vorbild, doch genauso gut können es Fußballtrainer, Jungscharleiterin, Grundschullehrer, Kollegin oder die eigene Mutter sein. Vorbilder sind in vielen Fällen älter als man selbst, doch das muss nicht unbedingt so sein. Meist ist es eine bestimmte Facette, die eine Person zum Vorbild macht: Bei Albert Schweitzer ist es die Tatsache, dass er als „Urwaldarzt“ ein Krankenhaus in Lambarene gründete, Astrid Lindgren wird für ihre Kinder-
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17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
bücher gefeiert, Lang Lang ist ein Vorbild, wenn es um virtuoses Klavierspiel geht, Loriot (Vicco von Bülow) wird für seinen Humor und der Maler Albrecht Dürer für die Detailgenauigkeit und Feinheiten seiner Zeichnungen bewundert. „Menschen wie du und ich“ sind vielleicht Vorbilder für Herzlichkeit, Fleiß, Führungsstärke, Gelassenheit, Geduld oder Menschlichkeit. Diese vorbildliche Facette eines Menschen sagt jedoch noch lange nichts darüber aus, ob die anderen Bereiche dieser Person auch vorbildhaft sind. Gute Vorbilder wissen das selbst am besten und stehen dazu, dass sie nicht vollkommen, unübertrefflich und makellos sind. Das ist ein Unterschied zu Idolen, die fehlerlos erscheinen, solange nicht hinter ihre Fassade geblickt werden kann. Wie es aussieht, wenn die Kameras aus sind und gerade keine Instagram-Story aufgenommen wird, ist dann oft eine andere Sache. Wer sich ständig mit seinen Vorbildern vergleicht, für den wird das auf Dauer demotivierend wirken. Denn wenn ich mich auch noch so sehr anstrenge und als blutige Anfängerin bereit wäre, ab jetzt jeden Tag mehrere Stunden Tennis zu üben, ist die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass aus mir eine zweite „Steffi Graf“ wird. Ich könnte sie zwar als Vorbild haben und mich durch sie motivieren und inspirieren lassen, doch zu hochgesteckte Ziele frustrieren oft mehr als dass sie anspornen. Natürlich gibt es Ausnahmen: Dazu gehört Sebastian Vettel, der sich Michael Schumacher zum Vorbild nahm und damit ziemlich erfolgreich geworden ist. Doch er hat eine eigene Identität entwickelt und wurde nicht zu einer Kopie. Das zeugt wiederum von einer gesunden Einstellung zu seinem Vorbild. Denn Vorbild ist nicht Spiegelbild! Selbst Vorbild sein Ohne es zu wissen sind auch wir selbst oft Vorbilder, denn so wie wir leben, prägen wir mit unserem Verhalten unsere Umwelt. Oder anders gesagt: Wir sind Influencer! Die Frage ist also nicht, ob wir ein Vorbild für andere sind oder nicht, sondern wie wir ein (gutes) Vorbild sind. Daher ist es angebracht, sich immer mal wieder zu fragen:
• Wie gehe ich mit meinem Einfluss auf andere um? • Predige ich Wasser und trinke selbst Wein? • Welches Bild/welche Rolle will ich jemandem vermitteln?
Beispiel
Ein Vorbild kann man auch in der Hinsicht sein, dass man zufrieden und ohne Groll in den Ruhestand geht. Vor kurzem lernte ich einen solchen Mitarbeiter kennen, der seinen Eintritt in den Ruhestand um ein paar Jahre hinausschob. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil er liebt, was er tut. Die Begegnung mit ihm und seine hohe Motivation bis zum letzten Tag waren für mich vorbildhaft dafür, wie begeistert jemand von seiner Arbeit sein kann. ◄ Im Hinblick auf das Vorbildsein für jüngere Menschen ist der Spruch „Be who you needed, when you were younger” (Sei die Person, die du selbst gebraucht hättest, als du jünger warst) besonders passend. Denn wie beispielsweise ältere Pflegekräfte über ihre Arbeit sprechen, beeinflusst Schüler und frisch examinierte Pflegekräfte enorm in ihrem Tun. Idealerweise sind sie Vorbilder, die Hoffnungsträger, Mutmacher und ehrliche Unterstützer sind.
Beispiel
Eine Schülerin berichtete mir, dass sich viele examinierte Pflegekräfte in ihrem Ausbildungsunternehmen nicht mal die Mühe machen, sich die Namen der Schüler zu merken. Stattdessen würde sie mit „Schülerin“ angesprochen werden. Doch noch vielmehr als das frustriere sie das ständige Lästern und Schimpfen der Mittleren und Älteren über die „Zustände“, die Vorgesetzten und andere Berufsgruppen sowie ihr häufiges Betonen, wie froh sie seien, wenn sie endlich im Ruhestand sind (auch wenn das bei manchen noch fünfzehn Jahre dauere). Manche würden sie sogar
17.6 Mentoring-Programme
bemitleiden, dass sie noch „das ganze Elend“ vor sich habe. Der Gegensatz dazu findet sich in einer anderen Klinik: Dort lernte ich vor ein paar Jahren eine Krankenschwester kennen, die mit Anfang 70 noch ganztags engagiert auf Station arbeitet und sich besonders für die Schüler soviel Zeit wie irgendmöglich zum Anlernen nimmt. Und was meint ihr Stationsleiter zu dieser älteren Mitarbeiterin? „Sie ist eine meiner zuverlässigsten Pflegekräfte – sowohl in der Patientenversorgung wie auch im Team. Und wenn jemand krankheitsbedingt ausfällt, ist sie meist die erste, die anbietet einzuspringen.“ In dieser Ausprägung ist sie sicherlich eher eine Ausnahmeerscheinung, aber was für ein Vorbild für die anderen. ◄
17.6 Mentoring-Programme Besonders für große Wirtschaftsunternehmen gehören Mentoring-Programme heute fast schon zum guten Ton. Auch im Gesundheitswesen gibt es bereits Unternehmen, die Mentoring-Programme anbieten, doch (noch) sind sie eher in selbstorganisierter, informeller Form anzutreffen. Den ersten Mentor gab es bereits bei den griechischen Göttern. Denn als Odysseus in den Trojanischen Krieg auszog, übertrug er die Erziehung seines Sohnes Telemachos an Mentor, einen guten, erfahrenen Freund des Vaters. Inzwischen hat sich der Begriff „Mentor“ für erfahrene Berater durchgesetzt und „Mentoring“ wurde zu einem etablierten Instrument der Personalentwicklung, das angewendet wird, um vom gegenseitigen Erfahrungs-und Wissenstransfer zu profitieren.
17.6.1 Was ist Mentoring? Beim Mentoring fungiert der Mentor als Anleiter, Förderer, Ratgeber, Begleiter, Vorbild, aber auch als Kritiker, der dem Mentee ehrliches, konstruktives Feedback und damit eine wertvolle Hilfestellung für seine Entwicklung gibt. Als Sparringpartner stellt er die „richtigen“ Fra-
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gen, denkt mit, motiviert und hinterfragt Entscheidungen oder Vorgehensweisen. Vor allem in der freien Wirtschaft und in der Führungskräfteentwicklung dient der erfahrene, ältere Mentor zusätzlich als Netzwerkpartner und Türöffner, der den Karriereweg begleitet und unterstützt. Mentoring ist für beide Partner eine Win– win-Situation: Auch der Mentor profitiert, denn engagierte, zielorientierte Mentees bringen oft neue Ideen und Sichtweisen mit und geben damit dem Mentor frische Impulse für dessen eigene Arbeit. Außerdem kann der Mentor seine sozialen und kommunikativen Kompetenzen trainieren, sich selbst reflektieren, sein Netzwerk erweitern und erhält Anerkennung für seine Kompetenzen und Erfahrungen. Die jüngeren Generationen sind in der Regel positiv gegenüber Mentoring-Programmen eingestellt. Das hängt damit zusammen, dass sie Ältere schätzen, wenn sie glaubwürdige Vorbilder sind und von ihnen gelernt werden kann. Andererseits sehnen sie sich nach Orientierung und Authentizität – beides kann Mentoring bieten.
17.6.2 Unterschied „Klassisches“ Mentoring und Reverse Mentoring Im „klassischen“ Sinn ist Mentoring eine Art Partnerschaft, in der eine erfahrene Person (Mentor) Wissen, Erfahrung oder bestimmte Fähigkeiten an eine weniger erfahrene Person (Mentee) weitergibt. Beim Reverse Mentoring (umgekehrtes Mentoring) hingegen drehen sich die Rollen des klassischen Mentoring um: Jüngere coachen Ältere auf den Themengebieten (z. B. EDV-Knowhow), die sie besser beherrschen als die Älteren. Diese innovative Form des Mentorings zwischen den Generationen sorgt dafür, dass der Transfer nicht mehr nur einseitig von Älteren zu Jüngeren fließt, sondern genauso andersherum. Häufig wird daher im Hinblick auf das gemeinsame und gegenseitige voneinander Lernen von Personen verschiedenen Alters auch das Bild eines Tandems benutzt. Und spätestens wenn man bei
188
17 Wissensmanagement – Kompetenzen erhalten, ausbauen …
Wikipedia die Ausführungen zur Verwendung eines Fahrrad-Tandems liest, wird klar warum: „Aufgrund der Tatsache, dass zwei Fahrer treten, das Fahrzeug aber in Rollwiderstand und Stirnfläche mit einem Einzelrad vergleichbar ist, kann man mit dem Tandem in der Ebene eine höhere Geschwindigkeit als mit einem gleichartigen gewöhnlichen Fahrrad erreichen, beziehungsweise das Fahren erfordert weniger Anstrengung. Von Vorteil ist es auch, dass sich einer der Fahrer zeitweilig erholen kann. Unterschiedlich leistungsfähige Fahrer können gemeinsam Strecken bewältigen. Unabhängig davon, wie viel Kraft jeder Fahrer einsetzt – beide kommen immer zugleich an“ (Wikipedia 2020).
17.6.3 Ziele von Mentoring Ob „klassisches“ Mentoring, Tandems, Patenschaften, Peer-Mentoring (kollegiale Beratung auf Augenhöhe) oder Cross-Mentoring (Mentor kommt aus einem anderen Unternehmen oder einer anderen Branche) – ob gelenkt oder informell, ob offiziell oder inoffiziell, ob von Älteren zu Jüngeren oder von Jüngeren zu Älteren oder gleichzeitig in beiden Richtungen: Ziel ist es, dass die Jüngeren von dem Erfahrungsschatz der Älteren profitieren und die Älteren in einer lernenden Haltung bleiben. Ein positiver Nebeneffekt von gelungenem Mentoring liegt darin, dass sowohl auf die Arbeitgeberattraktivität als auch auf die Bindung an das Unternehmen positive Effekte zu verzeichnen sind. Übergreifendes Ziel von Mentoring als Po-
tenzialentwicklungsinstrument ist es, die individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten des Mentees zu stärken und weiterzuentwickeln und ihn damit in seiner persönlichen oder beruflichen Entwicklung zu fördern.
17.6.4 Erfolgsbedingungen für Mentoring-Programme • Mentoren können sowohl Führungskräfte als auch Personen auf gleicher Hierarchiestufe sein. Wichtig ist jedoch, dass kein Machtverhältnis zwischen den Beteiligten entsteht, um Hierarchiekonflikte zu vermeiden. • Loyalität gegenüber dem Unternehmen und dessen Werten. • Es braucht Gespräche auf Augenhöhe, in denen sich Mentor und Mentee nicht überoder unterlegen, sondern ebenbürtig begegnen. Oder anders gesagt: Gutes Mentoring kennt weder den „großen Zampano“ noch das „kleine Dummchen“. • Keine Beratung „von der Stange“, sondern es kommt darauf an, dass das Mentoring an die individuelle Situation angepasst wird. • Passende „Chemie“ zwischen Mentor und Mentee. • Weitere Voraussetzungen: Freiwilligkeit bei allen Beteiligten, gegenseitiges Wohlwollen, Respekt, Feedback-Know-how, Verbindlichkeit sowie Vertrauen und Vertraulichkeit.
Literatur Breuer, Per: Vorausschauendes Trennungsmanagement – Faktor der Arbeitgeberattraktivität in flexiblen Arbeitswelten. In: Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze, Herausgeber: Martin Klaffke, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014. S. 245–260 Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 Dudenredaktion (o. J.): „Vorbild“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/199466/revision/199502 Abrufdatum: 01.05.2020 Forrester Consulting: Is Europe ready for the millenials? Studie im Auftrag von Xerox, Cambridge, 2006 Ilmarinen, Juihani; Tempel, Jürgen: Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben? Herausgeberin: Marianne Giesert im Auftrag des DGB-Bildungswerk e. V. VSA Verlag, Hamburg 2002
Literatur Ilmarinen, Juihani: Towards a longer worklife - Ageing and the quality of worklife in the European Union, Finnish Institute of the Occupational Health (FIOH), Ministry of Social Affairs and Health, Helsinki 2005 Köttendorf, Nadine; Götz, Richter: Alle in eine Schublade. Altersstereotype erkennen und überwinden, Herausgeber: Initiative Neue Qualität der Arbeit. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin 2017 Kornelsen, Johann: Generationsübergreifend führen. In: Idea spektrum spezial Führen und Leiten, 2019, Nr. 1. S. 22–24
189 Schofield, Carina Paine; Honore, Sue: Generation Y and learning, The Ashridge Journal 2009/2010 Schüller, Anne M.; Fuchs, Gerhard: Total Loyalty Marketing. Mit begeisterten Kunden und loyalen Mitarbeitern zum Unternehmenserfolg, 4. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden 2007 „Tandem (Fahrrad)“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 9. April 2020, 20:39 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Tandem_(Fahrrad)&oldid=198690756 Abrufdatum: 01. Mai 2020
Humor – Klebstoff für Teams
Humor ist nicht Humor. Denn Humor kann verletzend, abwertend (put-down-Humor), nervend (z. B. bei Überdosierung) und ausgrenzend (z. B. bei „Insider-Witzen“) sein. Doch neben den Schattenseiten, gibt es vor allem die guten Seiten von Humor im Team. So ist Humor nicht nur gesund, senkt den arbeitsbedingten Stress, stärkt die Widerstandskraft und sorgt für ein positives Klima, sondern er stärkt auch das „Wir-Gefühl“, denn gemeinsames Lachen verbindet – Klebstoff eben.
Humor und Freude bei der Arbeit sind wichtig für ein gutes Miteinander. Der US-amerikanische Psychologe und Humorexperte Paul McGhee sagt dazu: „Wenn es uns gelingt, humorvoll zu sein, auch wenn wir einen wirklich schlechten Tag haben, verbessert das unser Leben enorm. Und das Leben aller um uns herum“ (McGhee 2019). Oder um es mit Martin Luther zu sagen: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“ Während Humorlosigkeit oft eine bleierne Schwere ins Team bringt, hat Humor eine positive Wirkung auf das Wohlbefinden der Beschäftigten. Und genau dieses „sich bei der Arbeit Wohlfühlen“ wünschen sich 91 % der Beschäftigten im Gesundheitswesen laut einer Befragung der ZEIT (Müller-Wirth 2018). Immer noch gehen einige Führungskräfte davon aus, dass nur die Menschen „ordentlich“
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und fleißig arbeiten, die sich auch sichtbar abmühen. Humor und Lachen während des Dienstes gilt dann als sicheres Zeichen für Nachlässigkeit, Unproduktivität und geringe Auslastung der Beschäftigten. Dabei ist es meist andersherum: Teams, die miteinander lachen und Freude bei der Arbeit versprühen – nach dem Motto „It‘s okay to have fun“ – sind zufriedener, engagierter, kreativer und besser in Kommunikation, Fehlerkultur und Konfliktmanagement. Was einem schon das eigene Gefühl und die Erfahrung sagen, wird von wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt. Jedes einzelne Teammitglied und das Team als Ganzes haben einen ganz eigenen, über die Jahre entwickelten Humor. Gefördert werden kann dieser durch eine Unternehmenskultur, in der sich humorvolle Leichtigkeit und Professionalität nicht ausschließen. Allerdings lässt sich Humor nicht fordern oder befehlen nach dem Motto: „Seid jetzt fröhlich“. Daher sei es dahingestellt, wie teamfördernd und nachhaltig die verpflichtende Teilnahme an Humor-Teamcoachings oder Lachyoga-Seminaren ist.
Beispiel
Während eines Seminartags in einer Akademie kam in der Mittagspause eine Dozentin auf mich zu und meinte, dass sie im Seminarraum nebenan ebenfalls ein Seminar halte und ihr aufgefallen sei, dass aus unserem
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5_18
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Raum immer wieder lautes, herzhaftes Lachen käme. Da sie das Gesagte sehr ernst und etwas vorwurfsvoll vortrug, äußerte ich mein Bedauern darüber, wenn wir sie in ihrem Seminar durch unser Lachen gestört haben sollten. Daraufhin entgegnete sie, dass es „schon noch in Ordnung sei“. Sie fragte, was denn unser Thema sei, und ich antwortete „Umgang mit ‚schwierigen‘ Menschen“. Sie reagierte sehr überrascht und meinte nachdenklich, dass das doch eigentlich ein recht ernstes Thema sei. Als ich sie fragte, was ihr Thema sei, antwortete sie, ohne eine Miene zu verziehen: „Lachyoga“. ◄
18.1 Schattenseiten von Humor 18.1.1 Humor ist nicht Humor Es gibt auch Situationen, wo Humor gar nicht passt. Frau Dr. Sonja Heintz vom Psychologischen Institut der Universität Zürich sagt dazu: „Wenn alle ernst sind, kann ein Witz auch nerven, oder wenn jemand an einer depressiven Verstimmung leidet, kann er nicht lachen, auch wenn er möchte“ (Gull und Nickl 2019).
Beispiel
Eine Personalchefin forderte eine Mitarbeiterin telefonisch, ohne Angabe eines Grundes, auf, kurz zu ihr ins Büro zu kommen. Die angespannt und nervös wirkende Mitarbeiterin kam sofort. Mit ernster Miene teilte ihr die Personalchefin mit, dass sie ja wisse, wie viel der Mitarbeiterin der anstehende Sommerurlaub bedeute, doch dass sie diesen leider komplett streichen müsse. Als die Mitarbeitern anfing zu weinen, löste die Personalche-
18 Humor – Klebstoff für Teams
fin den „Scherz“ auf. Die Mitarbeiterin war sichtlich erleichtert, aber humorvoll fand sie es nicht. Der wirkliche Grund für den kurzfristig anberaumten Gesprächstermin war übrigens eine harmlose, kurze, organisatorische Frage zum aktuellen Dienstplan. ◄ Sogenannte „Insider-Witze“ stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl von Gruppen enorm, doch sie machen auch deutlich, wer zur Gruppe gehört und wer nicht. Und dieses „inside“ oder „outside“ ist humortechnisch sogar von außen deutlich sichtbar. Wie? Daran, wer einen „Insider“ als solchen erkennt und daraufhin lacht – und wer nicht. Wird Letzterer zeitnah darüber aufgeklärt, warum jetzt alle lachen, ist das wie eine Handreichung ins „inside“. Je weniger wir jemanden kennen, desto weniger wissen wir, wie humorvoll diese Person ist. Wie weit kann ich gehen? Was empfindet sie noch als lustig? Dementsprechend ist immer ein vorsichtiges Herantasten angeraten.
Beispiel
In einem Unternehmen, in dem ich bereits mehrere Jahre regelmäßig verschiedene Projekte betreue, fand ich an einer Säule in unmittelbarer Nähe meines Arbeitsplatzes das untenstehende Plakat. Ich wusste sofort, dass es von einem älteren Mitarbeiter der Haustechnik stammt, der gerade für die Malerarbeiten zuständig war. So ein Plakat könnte man als despektierlich oder frauenfeindlich einstufen. Ich wusste, dass es der Mitarbeiter wertschätzend meinte, und fand es humorvoll. Er freute sich, dass ich es „richtig“ verstanden hatte. Abgehängt haben wir es dann trotzdem, aber nicht weggeworfen – wie sie sehen. ◄
18.1 Schattenseiten von Humor
18.1.2 Die Dosis macht‘s Humor braucht, wie bei einem Medikament, den passenden Einsatz und die korrekte Dosierung für den jeweiligen Menschen. Sonst kann es schnell auch mal ein zu viel des Guten geben. Und Überdosierung ist bekanntlich selten der Weg zur Heilung. Wahrscheinlich kennt jeder eine Person, die tendenziell weniger arbeitet als die anderen. Nicht weil sie nicht will, sondern weil sie nicht kann. Sie gibt ihr Bestes – und das mit großer Leidenschaft und beachtlichem Engagement. Ihr unterlaufen häufig Flüchtigkeitsfehler, sie vergisst Dinge zu erledigen oder zu dokumentieren. Kommt sie nach einer Krankschreibung wieder, bringt sie einen Kuchen mit, weil es ihr leidtut, dass die anderen Teammitglieder für sie einspringen mussten. Patienten und Kollegen lieben sie für ihre Extra-Meilen, die sie für andere geht, und für ihre herzliche, lustige Art. Leistungstechnisch gesehen ist sie allerdings, etwas überspitzt gesagt, eine „fröhliche Null“. Eine solche Person fördert Teamklima und Stimmung und ist – je nach Abteilung – meist auch leistungstechnisch tragbar. Mehrere davon in einem Team führen oft zu sehr niedriger Leistungserbringung und „gefährlicher Pflege“.
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Damit die Leistung auch trotz Spaß und Humor stimmt, braucht es eine hohe Professionalität und Konzentrationsfähigkeit. Denn wenn sich drei von vier Anwesenden im Stationszimmer vor Lachen die Bäuche halten, während die vierte Person verzweifelt versucht, sich auf ihre Dokumentation zu konzentrieren, ist zwar Spaß in der Luft, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Professionalität in der Patientenakte. Herzhaftes Lachen ist eben nicht immer alles.
18.1.3 Humor im Patientenkontakt Auch die Kontakte zu Patienten können positiv durch „guten“ Humor beeinflusst werden. „Guten“ steht hier deshalb in Anführungsstrichen, weil es besonders im Kontakt mit Kranken, die sich in einer Ausnahmesituation befinden, darauf ankommt, feine Antennen dafür zu haben, was gerade passend ist und was nicht. Doch mit dem nötigen Fingerspitzengefühl ist Humor ein wunderbares Mittel, um Spannung, Angst und Schmerzen zu reduzieren und gleichzeitig Vertrauen aufzubauen. Vieles ist bereits wissenschaftlich darüber bekannt, wie sich Humor, und damit auch die Psyche, im Hinblick auf Heilung, Compliance,
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Psychoneuroimmunologie, Embodiment (Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche) auswirken, und es wird spannend sein, was hier die weitere Forschung noch zutage bringen wird. Sicher ist in jedem Fall, dass es Patienten ein gutes und sicheres Gefühl gibt, wenn sie merken, dass sich die Teammitglieder gut verstehen – im besten Fall sogar über die Schnittstellen hinweg. Das „kippt“ allerdings schnell, wenn das Gefühl aufkommt, dass das Personal eigentlich vor allem dazu da ist, untereinander Spaß zu haben, und die Pflegebedürftigen eher Dekoration oder sogar Störenfriede sind.
Beispiel
Als wir in einer Schulung über „Humor bei der Arbeit“ sprachen, meldete sich ein Mitarbeiter zu Wort und sagte: „Also dann mache ich ja alles richtig.“ Ich fragte nach, wie er das meine. Seine Kollegen schauten sich wissend und genervt zugleich an, während er stolz erklärte, dass Humor für ihn bedeutet, „dass man immer einen flotten Spruch parat habe“. Und mit den Jahren habe er da einige gesammelt und „haue die dann bei passender Gelegenheit raus“. Als ich ihn um ein konkretes Beispiel bat, sagte er: „Na ja, wenn ein Patient um ein Eis, z. B. zum Kühlen schmerzender Gelenke, bittet, dann ist sein Spruch: „Was darf’s denn sein – Erdbeere, Vanille oder Schokolade?“. Nachdem er das erzählt hatte, lachte nur er… ◄
18 Humor – Klebstoff für Teams
tende Humor (put-down Humor) wird gern benutzt, um andere zu kritisieren, zu verspotten oder zu manipulieren. Beispiel
Ein Mitarbeiter erzählt einem Kollegen im Frühdienst, dass er gestern beim Ausparken im Parkhaus eine Säule gestreift habe. Ihm ist das total peinlich und daher bittet er den Kollegen, das auf keinen Fall weiterzusagen. Doch bei der Übergabe zum Spätdienst beginnt dieser vor versammelter Mannschaft davon zu erzählen. Dadurch erhöht der „humorvolle“ Kollege seinen eigenen Status und senkt gleichzeitig den des anderen. ◄ Die Gruppe lacht. Und das „Opfer“? Ist es anwesend, lacht es oft mit, denn wer will schon als Spielverderber oder Spaßbremse dastehen? Eine Studie des US-Neuropsychologen und Lachforschers Robert Provine besagt, dass wir nur zu 20 % aus Gründen des Humors lachen – meist stecken Überraschung, Erstaunen, Verlegenheit, Verzweiflung oder peinliches Berührtsein dahinter (Gull und Nickl 2019). Manche Menschen entwickeln als Reaktion auf die Erfahrung mit negativem Humor sogar eine Gelotophobie: die Angst davor, ausgelacht zu werden.
18.2 Die guten Seiten von Humor – Was die Forschung dazu sagt
18.1.4 Humor als „Waffe“
18.2.1 Humor ist gesund
Der Grat zwischen „noch lustig“ und „schon verletzend“ ist oft unglaublich schmal. Auf der einen Seite verbessert Humor unsere sozialen Beziehungen, andererseits kann er auch als Waffe dienen, um Teammitglieder oder Patienten/Bewohner klein zu halten, vorzuführen, abzuwerten, abzulehnen oder auszuschließen. So wird sukzessiv das Selbstwertgefühl der „Opfer“ immer weiter reduziert. Und das alles unter dem Deckmantel Humor: „War doch nicht ernst gemeint“ oder „Ist doch nur Spaß“. Dieser abwer-
„Lachen ist die beste Medizin“. Was der Volksmund sagt, wird in der Gelotologie, die sich mit den körperlichen und psychischen Auswirkungen von Lachen beschäftigt, wissenschaftlich untersucht. Und tatsächlich sorgen Humor und Lachen unter anderem dafür, dass Serotonin („Glückshormon“) und Stresshormone ausgeschüttet, die Bronchien gut durchlüftet, die Durchblutung gefördert und die Gesichtsmuskeln gelockert werden. Lachen ist also in der Tat ziemlich gesund.
18.2 Die guten Seiten von Humor – Was die Forschung dazu sagt
Beispiel
Dass Humor nicht immer die Gesundheit fördert, erlebte ich in einem Spätdienst mit einer älteren Schwester. Wir hatten viel zu tun, doch zwischendurch und in einer „Pause im Stehen“ warfen wir uns die „Humorbälle“ nur so zu. Wenn sie lachte, lachte ihr ganzer Körper, und so nahm ich es auch nicht wirklich ernst, als sie sich irgendwann den Bauch hielt und lachend rausprustete: „Hör auf, ich hab schon Bauchweh.“ Am nächsten Tag erschien die Kollegin nicht zum Dienst. Warum? Ihre Bauchschmerzen hatten wohl so zugenommen, dass sie sich am Abend noch in der Notaufnahme vorstellte, wo eine Leistenhernie (Leistenbruch) diagnostiziert wurde. Daher hieß es am Folgetag OP statt Dienst. Obwohl mir klar ist, dass die Leistenhernie nicht nur durch diesen lachenden Dienst ausgelöst wurde, beobachte ich inzwischen Menschen wachsamer, wenn sie sich beim intensiven Lachen den Bauch halten. Die Reaktion der Kollegin auf mein Bemitleiden war damals übrigens „Das war es wert“ – das nenne ich Humor. ◄
18.2.2 Humor fördert die Gruppendynamik und das „Wir-Gefühl“ Herrscht in einem Team Humor, dann wird das dabei entstehende gute Gefühl von den Beschäftigten mit dem Team assoziiert und hat damit eine positive Wirkung für jeden Einzelnen, aber auch im Hinblick auf die gesamte Gruppe. Je länger der Zeitraum ist, in dem ein Team miteinander arbeitet, umso größer ist der Vorrat an gemeinsamen humorvollen Erinnerungen, die wie Klebstoff den Zusammenhalt stärken. Diese Verbundenheit und Stimmungslage spüren Patienten, Bewohner und alle anderen, die mit einem Pflegeteam in Kontakt kommen auf Anhieb. Selbst Shampoo wird lieber in einem Geschäft gekauft, in dem Freude, Leichtigkeit und Lachen herrschen, als dort, wo Frust und Unzufrieden-
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heit im Raum geradezu greifbar sind. Wie viel wichtiger ist die Stimmung dann, wenn es um Gesundheit geht! Was Experten dazu meinen: • Humor stärkt die Beziehung, beispielsweise in dem er dabei hilft, schwierige Situationen zu meistern oder ganz allgemein positive Emotionen auszulösen. “Menschen, die gute Beziehungen haben, arbeiten besser zusammen. Humor schafft eine gute Grundstimmung“, sagt Humorforscher Paul McGhee, “und die Leute kommen lieber zur Arbeit, das ist an sich schon ein großer Gewinn, wenn man bedenkt, dass viele ihren Job nicht mögen“ (Gull und Nickl 2019). • Menschen, die miteinander lachen können, werden auch besser kooperieren und gleichzeitig kann Humor ein positives Klima erzeugen, das in Firmen die Widerstandskraft, auch während Belastungen, erhöhen kann. Das meint der Psychologieprofessor Willibald Ruch, der ein jährliches Symposium der internationalen Humorforschung ins Leben gerufen hat und Gründungsmitglied sowie Teil des Board of Directors der Internationalen Vereinigung für Positive Psychologie ist. • Der erfolgreiche Einsatz von Organisationshumor in Gruppen stärkt den Gruppenzusammenhalt und unterstützt die Lebensfähigkeit der Gruppe (Romero und Pescosolido 2008). • Erfolgreicher Humor ruft positive Emotionen hervor, die die Grundlage für gemeinsame emotionale Interpretationen bilden und tragen somit zu einer starken Unternehmenskultur bei (Romero und Pescosolido 2008).
18.2.3 Humor verbessert die Gruppenproduktivität Besonders altersgemischte Teams stellen eine Quelle von Wissen, Erfahrung und Synergie dar, die schwer zu replizieren ist. Nicht zuletzt deshalb ist es für Unternehmensleitungen vorteilhaft,
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Wege zu finden, wie sie Teams fördern und intakt halten können. Dabei spielt Humor eine wichtige Rolle, da er einen positiven Effekt auf die Mitarbeiterbindung hat, indem er zu einem attraktiven Umfeld beiträgt. Dazu kommt: Wenn die Stimmung stimmt, stimmen im besten Fall auch die Ergebnisse. Der erfolgreiche Einsatz von Organisationshumor in Gruppen fördert die Entwicklung einer starken leistungsorientierten Gruppenkultur, die die Gruppenproduktivität erhöht (Romero und Pescosolido 2008).
18.2.4 Humor hilft im Scheitern Die allermeisten Situationen, über die wir lachen, haben mit Scheitern zu tun. So sind beispielsweise Sitcoms nichts anderes als eine Aneinanderreihung des „Unperfekten“ und Peinlichen. Auch viele Alltagssituationen oder Videos im Internet leben von unfreiwillig peinlichen Wichtigtuern oder komischen Tieren. In der Königsklasse sind wir angekommen, wenn wir über unsere eigenen Fehltritte lachen können und sie als das nehmen, was sie sind: bedauerliche, aber alltägliche Vorkommnisse, die einen nicht aufhalten, sondern weiter bringen können. Ganz nach dem Motto: „Aus Fehlern wird man klug“ und „Fail to learn“ (lerne zu scheitern).
Beispiel
Der Schweizer Politiker Hans Rudolf Merz wurde in den Medien durch eine Rede vor dem Nationalrat im September 2010 bekannt, bei der er einen regelrechten Lachanfall bekam. Vorausgegangen war die Anfrage eines Nationalabgeordneten, bei der es inhaltlich vor allem um reduzierte Zölle für importiertes Fleisch mit Gewürzzusätzen ging. Die Antwort, die Herr Merz nun vorzutragen hatte, war vom Finanzdepartement in bestem
18 Humor – Klebstoff für Teams
Behördendeutsch mit verschachtelten, langen Sätzen und Abkürzungen formuliert worden. Er beginnt gewissenhaft ernst den Text vorzulesen, hat dann aber nach kürzester Zeit damit zu kämpfen, sein Lachen zu unterdrücken. Bei dem Versuch, „zum Beispiel Bündnerfleisch“ zu sagen, gibt es dann kein Halten mehr. Sowohl er, als auch der Saal lacht herzhaft. Als er sich wieder gefasst hat und den Text zu Ende verlesen hat, endet er mit den Worten: "Herr Nationalrat, ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich zwischendrin einfach nicht verstanden habe, was ich Ihnen vorlas" (Nationalrat 2010). Auf YouTube wurde diese lustige Episode aus dem Bundeshaus mittlerweile über 1,5 Mio. Mal angeklickt. Nebenbei bemerkt: Kurz danach verabschiedete sich Herr Merz aus dem Amt in den Ruhestand – aber der Lachanfall hatte damit rein gar nichts zu tun. ◄
Literatur Gull, Thomas, Nickl, Roger: Dossier: Gut lachen. Was Humor kann. In: Gut lachen. Herausgeberin: Universitätsleitung der Universität Zürich durch die Abteilung Kommunikation. UZHmagazin. Die Wissenschaftszeitschrift 2019, Heft 01. S. 26–42 McGhee, Paul: Trainieren Sie ihren Humor! In: Gut lachen. Herausgeberin: Universitätsleitung der Universität Zürich durch die Abteilung Kommunikation. UZHmagazin. Die Wissenschaftszeitschrift 2019, Heft 01. S. 43 Müller-Wirth, Moritz: Was wünschen sich die Deutschen von ihrer Arbeit? Veröffentlicht: 3. Dezember 2018. URL: https://www.zeit.de/2018/50/arbeitnehmer-berufsleben-erwerbstaetigkeit-zufriedenheit-themen-2019-umfrage/komplettansicht Abrufdatum: 11.12.2018 Nationalrat 2010: Amtliches Bulletin. Sechste Sitzung, 20.09.2010, Fragestunde. Frage Grin Jean-Pierre Zunahme der Importmenge von gewürztem Fleisch. Romero, Eric; Pescosolido, Anthony: Humor and group effectiveness. Human Relations 2008, 61. Jahrgang, Heft 03. S. 395–418.
Teamunterstützung von außen – das Potenzial anderer Blickwinkel
In China sagt man: „Jedes Ding hat drei Seiten: Eine die ich sehe, eine, die du siehst und eine, die wir beide nicht sehen.“ Daher lohnt es sich immer mal wieder – und besonders bei festgefahrenen Positionen -, einen Blick von außen einzuholen. Denn Nahsicht (Spiegel mit 10-fach Vergrößerung) plus Weitsicht (Blick vom Aussichtsturm oder Berggipfel) ergeben nicht nur andere, neue Blickwinkel, sondern auch Umsicht und Durchblick – und gerade die werden in altersgemischten Teams besonders benötigt. Anlässe für Teammaßnahmen gibt es zahlreich, hier eine Auswahl: Optimierung der Kommunikations- und Konfliktkultur, Verbesserung der Teamperformance, Stärkung des „Wir-Gefühls“ oder Gestaltung von Change-Prozessen. Dabei gibt es keine Musterlösung, sondern der Erfolg von nachhaltigen Teaminterventionen liegt zu einem großen Teil darin, die Maßnahme(n) passgenau auf das Team, seinen Reifegrad, den Anlass und das Ziel zuzuschneiden.
In den letzten Jahren ist der Markt von Anbietern für Teamcoaching, Teamentwicklung, Teamberatung, Konfliktmoderation, Teamsupervision usw. geradezu explodiert. Aufgrund des begrenzten Platzes soll in diesem Kapitel nicht auf die Zusammenhänge und Unterschiede der einzelnen Begriffe eingegangen werden. Zumal für die meisten Kunden (außerhalb von Personalabteilungen)
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nicht die Differenzierung der Angebotspalette im Vordergrund steht, sondern sie wünschen sich schlicht und ergreifend eine zielführende Unterstützung für ihr Team. Und es ist dann die Aufgabe des Anbieters, das passende Setting zu wählen. Das ist in etwa zu vergleichen mit jemandem, der sein Auto in eine Werkstatt bringt – ob zur Inspektion oder aufgrund eines Defekts. Für ihn steht im Vordergrund, dass sein Auto danach (wieder) optimal fährt. Welches Verfahren dabei angewendet wird, ist für ihn erstmal zweitrangig.
19.1 Anlässe für Teammaßnahmen • Gründung bzw. Zusammenstellung eines neuen Teams, beispielsweise durch Eröffnung eines Unternehmens oder „Zusammenlegen“ von Stationen oder Abteilungen • Reflexion der bisherigen Zusammenarbeit (Metaebene) • Verbesserung des Teamklimas und der sozialen Kompetenz im Team • Stärkung der generationsübergreifenden Zusammenarbeit • Belohnung und Motivation des Teams (Incentives) • Begleitung bei Änderungen in der Teamstruktur durch hinzukommende oder ausscheidende Beschäftigte oder Vorgesetzte
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19 Teamunterstützung von außen – das Potenzial anderer Blickwinkel
• Entwickeln bzw. Weiterentwicklung von Teamregeln und -strukturen, Strategien, Werten und Visionen • Verbesserung der Teamperformance • Gestaltung von Change-Prozessen • Optimierung der Kommunikationskultur • Verbesserung der Konfliktkultur • Unterstützung bei bestehenden (generationalen) Konflikten
19.2 Möglichkeiten der Teamunterstützung Am zielführendsten ist es, Teams flankierend zu unterstützen, und nicht erst dann, wenn die Arbeitszufriedenheit gegen Null gesunken, die motivierten Beschäftigten bereits gegangen und die Konflikte schon hoch eskaliert sind. „Ein Baum, der fällt, macht mehr Lärm als ein ganzer Wald, der wächst“, sagt ein tibetisches Sprichwort. Warum also nicht „stille“ Wachstumsarbeit unterstützend begleiten, als zu warten, bis die Bäume lautstark fallen und danach das große „Aufräumen“ und die langwierige Wiederaufforstung erfolgen müssen? Insgesamt gehört zu dem Aufgabengebiet von externen „Team-Unterstützern“ das Begleiten von Teams durch strukturiertes, methodisches und passgenaues Vorgehen. Sie erweitern Horizonte, stärken Fähigkeiten, beleuchten dunkle Ecken (blinde Flecken), zeigen Verbesserungspotenziale auf, machen Zusammenhänge eines Problems sichtbar und eröffnen lösungsorientierte Handlungsoptionen. Doch bei aller Unterstützung: Gehen müssen die Beteiligten selbst. Also weder „auf den Händen tragen“ noch „hinterherschleifen“. Die Unterstützung von Teams kann sehr unterschiedlich aussehen und hängt davon ab, • ob die Maßnahme auf eine Person, eine bestimmte Partei (z. B. bei Konflikten), das gesamte Team oder die Organisationsebene ausgerichtet ist.
Beispiel
Ein Stationsleiter wünscht sich Unterstützung für sein Team, da sich die Konflikte häufen und die Stimmung teilweise am Gefrierpunkt ist. Bei der Diagnostik stellt sich heraus, dass die Konfliktursache hauptsächlich in einer Person liegt, die ihre aggressive Stimmung und persönlichen Probleme massiv in das Team trägt. Hier braucht es (zunächst) keine Teammaßnahme, sondern Unterstützung für diese Person. ◄ Beispiel
Eine Pflegedienstleitung fordert Support für ihr Stationsleitungsteam an, da Leistung und Arbeitszufriedenheit nicht mehr tragbar seien. Bereits im Vorgespräch mit der Pflegedienstleitung wird rasch deutlich, dass hier der Spruch „Der Fisch stinkt vom Kopf her“ zutrifft. Denn Sätze in der Auftragsklärung wie „Machen Sie bitte meine Hühner wieder flott“ lassen tief blicken. Da stellt sich die Frage: Wer braucht hier den Support: die Pflegedienstleitung oder die Stationsleitungen? ◄ • ob motivierend, beratend oder didaktisch-pädagogisch vorgegangen wird. • ob Moderation, Prozessbegleitung, Konfliktbehandlung, Training on the job, Teambuilding-Workshop, Klausurtagung, Teamevents oder Outdoor-Trainings als Maßnahme gewählt werden. Eine Patentlösung gibt es nicht. Vielmehr liegt der Erfolg darin, die Maßnahme(n) auf das Team, seinen Reifegrad, den Anlass und das Ziel zuzuschneiden. Soll die Thematik „Altersgemischte Teamarbeit“ im eigenen Team beleuchtet, bzw. weiterentwickelt werden, hat es sich beispielsweise bewährt, kurze inhaltliche Inputs, Selbstreflexion und gruppendynamische Maßnahmen zu kombinieren und passgenau zu arrangieren.
19.3 Faktoren für eine gelungene Teammaßnahme
Unabhängig davon, wie viele Personen bei der Maßnahme beteiligt sind und worum es inhaltlich auch immer gehen mag, erfolgreich und nachhaltig wird Unterstützung besonders dann, wenn Ideen und Lösungen nicht übergestülpt werden, sondern von den Beteiligten selbst (mit) entwickelt werden. Nichts gegen Best-PracticeIdeen aus anderen Teams oder Unternehmen, doch sie müssen auch zu den beteiligten Personen und ihrem Arbeitsplatz-Setting passen.
Beispiel
Ein Geschäftsführer lernte im Coaching bei einem renommierten Unternehmensberater, dass er in kniffligen Situationen folgenden Satz sagen solle: „Vielen Dank, das nehme ich gern mit.“ Bei den ersten kritischen Gesprächssituationen war diese Strategie von Erfolg gekrönt. Ein jähes Ende nahm sie jedoch, als ein Beschäftigter auf seine Antwort hin fragte: „und wohin?“ ◄ Immer wieder kommt es vor, dass Führungskräfte die Unterstützung von außen dazu nutzen möchten, dass der „neutrale Dritte“ unbequeme Nachrichten überbringt. „Sie könnten doch mal ganz nebenbei das Thema XY einfließen lassen…“ Doch diese Aufgabe gehört in die Hände von Vorgesetzten oder Briefträgern. Und das allein schon zum Selbstschutz: Denn bereits in früheren Zeiten wurden Boten für schlechte Nachrichten getötet und andere fielen tot um. Denken Sie nur an den ersten Marathonläufer… Doch Spaß beiseite: Die Integrität und Neutralität geraten sehr schnell ins Wanken, wenn Beschäftigte spüren, dass der Berater ein verlängertes Sprachrohr der Chefetage ist.
19.3 Faktoren für eine gelungene Teammaßnahme • Klare Auftragsstellung bzw. -abstimmung • Optimale Passung von „neutralem Dritten“ und den beteiligten Personen
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• Neutralität, besonders was die Personen und Inhalte betrifft. Weder Befangenheit, weil persönliche Beziehungen bestehen, noch sich auf eine Seite „schlagen“, vor dem Auftraggeber „gut dastehen“ wollen oder sich „reinziehen“ lassen, ist für das Team (auf Dauer) zielführend. Vielmehr sind Integrität und Verschwiegenheit die Grundlage für Vertrauen und Offenheit. Besonders bei kniffligen Projekten formuliere ich es oft so: „Ich bin wie die Schweiz – neutral. Ich komme aus den Alpen und gehe wieder in die Alpen und alles, was hier gesprochen wird oder geschieht, bleibt auch hier in diesem Raum.“ • Vorgesetzte als Schlüsselpersonen für Durchführung und Erfolg • Grundsätzliche Offenheit vonseiten der Teammitglieder • Geeignete Methodenauswahl • Transparente Informationspolitik über die Maß nahme (Gründe, Ziele, welche Beratungsperson, Termine, Uhrzeiten, Treffpunkt etc.) • Richtiger Zeitpunkt (nicht zu spät: Stichwort „fallende Bäume“, siehe oben) • Angemessener Zeitrahmen: Ist er zu lang, läuft es sich tot und der „neutrale Dritte“ wird immer mehr Teil des Teams. Ist der Zeitrahmen zu knapp bemessen, muss zu viel in zu kurzer Zeit bearbeitet werden, ohne dass es sich verankern und damit nachhaltig sein kann. • Möglichst hohe Stabilität in der Gruppenzusammensetzung • Förderliche Rahmenbedingungen, z. B. stimmiger Raum und Uhrzeit. • Keine „verbrannte Erde“: Manche Teams haben schon zu viele Coachings oder ähnliches erlebt – oder überspitzt gesagt „durchlitten“ -, die das Team nicht als unterstützend wahrgenommen hat. In solchen Fällen ist bei den meisten kaum noch Offenheit für eine weitere Teammaßnahme da, denn wie heißt es sprichwörtlich: „Gebranntes Kind scheut das Feuer.“
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19 Teamunterstützung von außen – das Potenzial anderer Blickwinkel
Eine Teammaßnahme bietet die Gelegenheit, das Team aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Warum dafür nicht beispielsweise mal den Vergleich mit einem Gewässer ziehen und sich dabei Fragen wie diese stellen: Ist das Team ein stehendes oder fließendes, natürliches oder künstliches, ober- oder unterirdisches Gewässer? Eine sprudelnde Quelle oder mündet es in ein Meer? Langsame oder hohe Fließgeschwindigkeit? Hohes oder niedriges Wasservolumen? Süß- oder Salzwasser? Viele Zuflüsse oder wenige? Kristallklares Wasser, leichte Trübung oder Verschmut-
zung? Entsprechend den Ergebnissen der „Gewässer-Analyse“ können weitergehende Maßnahmen eingeleitet werden. Wird beispielsweise festgestellt, dass es an Klarheit und Sauberkeit mangelt, bietet sich ein Gruppenklärwerk an, bei dem die Dinge miteinander geklärt werden – am besten mit Unterstützung eines Externen, der nicht Teil des Team-Gewässers ist. Besonders wenn Teams gerade eine Durststrecke zu bewältigen haben, können maßgeschneiderte, gut koordinierte Teammaßnahmen wie ein Heilwasser wirken. Darauf erstmal einen guten Schluck Wasser – Prost!
Stichwortverzeichnis
A Altersangabe, 27 Anerkennung, 103 Arbeitgeberattraktivität, 68 Arbeitgebermarke, 67 Arbeitsethos, 152 Arbeitsfähigkeit, 33 B Babyboomer, 5, 9 Bereichspflege, 11 Bewerbungsverfahren, 73 Beziehungsaspekt, 120 Blinder Fleck, 133 Both-Directions-Ansatz, 169 Bottom-up-Ansatz, 168 Burgfriede, 160 C Candidate Relationship Management, 74 Commitment, 77 D Demographie, 1 Dienstplan, 87 Double Aging, 1 E Eisberg-Modell, 120 Employability, 34 Empowerment, 168 F Fear of missing out, 16 Feedback konstruktives, 134 Fehlermanagement, 113 Flow, 40
FOMO (Fear of missing out), 16 Führung transformationale, 85 Führungsperson, 84 Führungsverhalten, 35 Funktionspflege, 8 G Generation Golf, 12 Generation X, 5, 11 Generation Y, 5, 15 Generation Z, 5, 21 Generationenführung, 91 Generationenkonflikt, 149 Generationenkonzept, 6 Generationenvielfalt, 52 Gesprächsstörer, 123 Groupthink, 55 H Harvard-Konzept, 160 Helikopter-Eltern, 16 Hochschulreife, 24 Homophilität, 57 Humor, 192 I Identifikation Arbeitgeber, 153 In-Group, 58 In-Group/Out-Group-Problematik, 55 Individualismus, 13, 17 Inhaltsaspekt, 120 Insider-Witz, 191 Intelligenz fluide, 31, 178 kristalline, 178 Interaktionsstil, 126 Internet, 12 Interpretation, 124
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 J. Schäfer, Altersgemischte Teams in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62062-5
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202 J Job Crafting, 99 Job Enlargement, 175 Job Enrichment, 175 Job Rotation, 175 Johari-Fenster, 133 K Kollektivismus, 13 Kommunikation nonverbale, 119 Kommunikationsfähigkeit, 117 Kommunikationskultur, 122 Kommunikationsqualität, 121 Kommunikationsstil, 126 Kompensationsstrategie, 34 Kompetenzerweiterung, 174 Konflikt heißer, 140 kalter, 140 Konflikteskalation, 143 Konfliktfähigkeit, 147 Konfliktlösung, 159 Konfliktregelung, 160 Kreativität, 109 L Lernen lebenslanges, 171 Lernkultur, 172 Loben, 107 M Mentoring, 187 Metakommunikation, 45, 135, 147 Millennials, 15 Motivation extrinsische, 100 intrinsische, 100 Multioptionalität, 16 O Onboarding, 75 Out-Group, 58 P Personalentwicklung lebensphasenorientierte, 172 Platzhirsch, 167 Postmaterialismus, 13 Prinz-Charles-Effekt, 14
Stichwortverzeichnis R Rasenmäher-Eltern, 22 Reverse Mentoring, 187 Ritual, 50 Rückspiegel, 165 S Second Victims, 113 Selbstreflexionsfähigkeit, 132 Selfie-Generation, 23 Senioritätsprinzip, 94 Social Loafing, 44 Spitzenteam, 44 Sprachmuster positives, 123 Stereotype, 151 T Tagesordnungspunkt, 131 Teamalterung, 51 Teambesprechung effektive, 130 Teamentwicklungs-Uhr, 48 Teamklima, 49 Teamkommunikation, 123 Teammaßnahme, 197 Teamrolle, 46 Teamzusammensetzung, 47 Top-down-Ansatz, 168 Training on the job, 181 Transformationale Führung, 85 Transparenz, 89 Trigger, 148 Trophy Kids, 15 U Unconscious Bias, 151 Unternehmenskultur, 63 V Verbesserung kontinuierliche, 168 Vier-Ohren-Modell, 121 Vorbild, 185 Vorurteil, 150 W Wahrnehmung selektive, 124 Walk and Talk, 86 Wertschätzung, 104
Stichwortverzeichnis Wirklichkeit subjektive, 126 Wirtschaftswundergeneration, 5, 7 Wissenstransfer, 183
203 Work-Life-Balance, 20, 98 Work-Life-Blending, 20 Work-Life-Separation, 24 Workaholic, 10